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Full text of "Encyklopädie der gesammten Thierheilkunde und Thierzucht ... Bd. 2.1885 Brunst - Erdt"

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Encyklopädie der gesammten 
Thierheilkunde und ... 


Alois Koch 






































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ENCYKLOPÄDIE 

DEB 

GESAMMTEN THIERHEILKUNDE 

UND 

THIERZÜCHT. 


ZWEITER BAND. 

Brunst — Erdt. 



J3* Das am Schlüsse beigefügte Register beliebe man stets zu berück¬ 
sichtigen , da es theils fehlende Artikel nachträgt, theils die vor¬ 
handenen Artikel berichtigt und ergänzt. 


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Verzeichntes der Herren Mitarbeiter: 


Stabsveterinär ABLEITNER, München. — Prof. Dr. ANACKER, Düsseldorf. — Prof. Dr. AZ ART, 
Budapest. — Prof. Dr. BAYER, Wien. — Prof. Dr. BARAl^SKI, Lemberg. — Prof. BERDEZ, 
Bern. — J. BOHM, Lehrer a. d. Universität Leipzig. — Prof. Dr. A. BRANDT, Charkow. — 
Director Dr. BRÜMMER, Kappeln. — Prof. CH. CHAMBERLAND, Paris. — Prof. Dr. COBBOLD, 
F. R. S., London. — Dr. HUGO CRAMPE, Proskau. — Veterinärarzt EG GELING, Berlin. — 
Prof. Dr. F. EICHBAUM, Giessen. — Prof. Dr. ELLENBERGER, Dresden. — Dr. EVERSBUSCH, 
München. — Prof. FESER, München. — Dr. L. FITZINGER (weil.), Wien. — Regierungsrath 
Prof. Dr. L. FÖRSTER, Wien. — Prof. Dr. FRANCK (weil.), München. — Prof. Dr. FREYTAG, 
Halle. — Prof. Dr. LEONCIO F. GALLEG0, Madrid. — Lieutenant GRASSMANN, Hagenow. — 
Prof. Dr. 0. HARZ, München. — Prof. Dr. JOHNE, Dresden. — Docent TH. KJTT, München. — 
Veterinärarzt A. KOCH, Wien. — Veterinärarzt iF. KOUDELKA, Husovic. — Staatsrath Prof. 
LANGE,* Kasan. — Prof Dr. LECHNER, Wien. — Geheimrath Prof. Dr. LEISERING, 
Dresden. — Geheimrath Prof. Dr. LEUCKART, Leipzig. — Prof. Dr. LIAUTARD, New-York. — 
Prof. Dr. von LIEBENBERG, Wien. — Prof. LINDQUIST, Stockholm. — Prof. A. J. LOCUSTEANO, 
Bukarest. — Prof. Dr. LOEBISCH, Innsbruck. — Veterinärarzt LUNGWITZ. Dresden. — Dr. jur. 
A. MANSCH, Wien. — Chef-Veterinär P. MEGNIN, Paris. — Prof. KARL MÜLLER, Berlin. — 
Prof. Dr. NEUMANN, Toulouse. — Prof. L. PASTEUR, Paris. — Prof. Dr. E. PERRONCITO, 
Turin. — Prof. Dr. PFLUG, Giessen. — Dr. EMIL POTT, München. — Prof. Dr. PROSCH (weil.), 
Kopenhagen. — Prof. Dr. H. PÜTZ, Halle. — Prof. Dr. RABE, Hannover. — Prof. Dr. 
A. von RUEFF (weil ), Stuttgart. — Prof. RÜTIMEYER, Basel. — Prof. Dr. S. L. SCHENK, 
Wien. — Veterinärarzt W. SCHLAMPP, München. — Gestüts-Director G. SCHWARZNECKER^ 
Marienwerder. — Prof. Dr. SEIFMANN, Lemberg. — Staatsrath Trof. E. SEMMER, Dorpat. — 
Dr. 0. SIEDAMGROTZKY, Dresden. — Veterinärarzt F. SMITH, Bangalore (Indien). — Veterinär- 
arzt M. STREBEL, Freiburg (Schweiz). - Prof. Dr. STUDER, Bern. — Prof. Dr. SUSSDORF, 
Stuttgart. — Prof. Dr. LUDW. v. THANHOFFER, Budapest. — Prof. TEREG, Hannover. — 
Königl. Ministerial-Rath Prof. A. TORMAY, Budapest. — Chef-Veterinär Dr. E. VILLORESI, 
Cairo. — Prof. Dr. VOGEL, Stuttgart. — Prof. Dr. WEHENKEL, Brüssel. — Prof. Dr. 
M. WILCKENS, Wien. — Prof. Dr. WOLPERT, Kaiserslautern. — Prof. E. ZSCHOKKE, Zürich. — 
Landesthierarzt A. ZÜNDEL (weil.), Strassburg, u. A. 


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ENCYKLOPÄDIE 

DER 

GESAMMTEN THIERHEILKUNDE 

UND 

THIERZUCHT 

MIT INBEGRIFF ALLER EINSCHLÄGIGEN DISCIPLINEN UND DER SPEC1ELLEN 

ETYMOLOGIE. 


HANDWÖRTERBUCH 

FÜR 

PRAKTISCHE THIERÄRZTE, THIERZÜCHTER, LANDWIRTHE 
UND THIERBESITZER ÜBERHAUPT. 


HERAUSGEGEBEN VON , 


ALOIS KOCH 

K. K. BEZIRKSTHIERARZT IN WIEN. 


REDACTEUR DER „ÖSTERR. MONATSSCHRIFT FÜR THIERHEILKUNDE", COKKESPONDIRENDES UND EHRENMIT¬ 
GLIED DES VEREINES DER ELSASS-LOTRRINGL'CHEN THIERÄRZTE, EHRENMITGLIED DER AKADEM. GESELL¬ 
SCHAFT „LA UNION VETERINARIA“ IN MADRID, CoRRESP. MITGLIED DES KAISERL. RUSSISCHEN VETERINÄR- 
INSTITUTES IN KASAN UND DES VEREINES DER VETERINÄKÄKZTE IN ST. PETERSBURG. 


MIT 335 IN DEN TEXT GEDRUCKTEN ILLUSTRATIONEN SOWIE II TAFELN. 


ZWEITER BAND. 
Brunst — Erdt. 




WIEN und LEIPZIG. 

VERLAG VON MORITZ PERLES. 
1885 . 


Autoren - Abbr e riatur en. 


In der Regel ist jede Abhandlung von dem Autor gezeichnet. Gestattet der Ausgang 
der Zeile die Anbringung des vollen Namens nicht, so wird eine Abkürzung in der Weise 
vorgenommen, dass der Anfangs- und Endbuchstabe des Namens, bei gleichlautenden Namen 
aber beide Anfangs- und der Endbuchstabe gesetzt werden, und zwar: 


1. Ableitner 

= 

Abr. 

25. Johne 

= 

Je. 

49. Rabe 

= 

Re. 

2. Anacker 

— 

Anr. 

26. Kitt ' 

= 

Kt. 

50. v. Rueff (weil.) 

= 

Rf. 

3. Azary 

— 

Ay. 

27. Koch 

= 

Klb 

51. Rütimeyer 

= 

Rr. 

4. Baranski 

= 

Bi. 

28. Koudelka 

= 

Ka. 

52. Schenk 

= 

Sk. 

5. Bayer 

= 

Br. 

29. Lange 

= 

Le. 

53. Schlampp 

= 

Sp. 

6. Berdez 

= 

Bz. 

30. Lechner 

= 

Lr. 

54. Schwarznecker 

= 

Sehr. 

7. Bohm 

= 

Bm. 

31. Leisering 

= 

Leg. 

55. Seifmann 

= 

Sn. 

8. Brandt 

= 

Bt 

32. Leuckart 

= 

Let. 

56. Semmer 

= 

Sr, 

9. Brümmer 

== 

Brr. 

33. Liautard 

= 

Ld. 

57. Siedamgrotzky 

= 

Sy. 

10. Chamberland 

= 

Chd. 

34. v. Liebenberg 

= 

Lifl- 

58. Smith 

= 

Sh. . 

11. Cobbold 

= 

Cod. 

35. Lindquist 

= 

Lit 

59. Strebei 

= 

Sl. 

18. Crampe 

= 

Ce. 

36. Locusteano 

= 

Lo. 

60. Studer 

= 

Str. 

13. Eggeling 

= 

Efl. 

37. Loebisch 

= 

Lh. 

61. Sussdorf 

= 

Sf. 

14. Eichbaum 

= 

Em. 

38. Lungwitz 


Lz. 

62. Tereg 

= 

Tfl. 

15. Ellenberger 

= 

Er. 

39. Mansch 

— 

Mb. 

63. v. Thanhoffer 

— 

Tr. 

16. Eversbusch 

= 

Eh. 

40. Megnin 

r= 

Mn. 

64. Tonnay 

= 

Ty. 

17. Feser 

= 

Fer. 

41. Müller 

= 

Mr. 

65. Villoresi 

= 

VI. 

18. Fitzingerfweil.) 

= 

Flr. 

42. Neumann 

= 

Nn. 

66. Vogel 

= 

VI. 

19. Förster 

= 

For. 

43. Pasteur 

= 

Pr. 

67. Wehenkel 

= 

Wl. 

20. Franck (weil.) 

== 

Fk. 

44. Perroncito 

= 

Po. 

68. Wilckens 

= 

We. 

21. Freytag 

— 

Ffl. 

45. Pflug 

— 

Pfl. 

69. Wolpert 

= 

Wt. 

22. Gallego 

= 

Bo. 

46. Pott 

= 

Pt. 

70. Zschokke 

= 

Ze. 

23. Grassmann 

= 

Giu 

47. Prosch (weil.) 


Ph. 

71. Zündel (weil.) 

= 

ZI. 

24. Harz 

= 

Hz. 

48. Pütz 


Pz. 







Alle Rechte Vorbehalten. 


Dig >d b ‘ 



^3-BRA 
OF THE 

UNIVERSITY 

OF 


B. 


Brunst (Aestus vcnereus) ist ein bei 
weiblichen Thieren mit der Geschlechtsreife 
periodisch eintretender physiologischer Vor¬ 
gang, welcher sich bei unseren Hausthieren 
durch ein charakteristisches äusseres Be¬ 
nehmen, sowie durch eine Reihe von im 
Eierstocke und an den anderen Geschlechts- 
theilen vor sich gehenden Veränderungen 
kennzeichnet. Die inneren Vorgänge bei der 
Brunst bestehen namentlich in der Beratung 
eines oder mehrerer Graafscher Follikel und 
Loslösung eines oder mehrerer Eier vom 
Eierstocke, sowie in einem gesteigerten Blut¬ 
andrang zu den Genitalien, namentlich zum 
Uterus (Brunsthyperämie). Aeusserlich cha- 
rakterißirt sich die Brunst durch folgende 
Erscheinungen: Leichte Anschwellung und 
Röthung der Scheide und des Wurfes; mehr 
oder minder starker, schleimiger, zuweilen 
gerötheter, eigentümlich riechender Ausfluss 
aus der Scheide, welcher angeblich das Männ¬ 
chen beizulocken bestimmt ist; häufiger, in 
kleinen Mengen stattfindender Harnabsatz; 
leichtes Anschwellen des Euters, wobei die 
Milchsecretion bei milchenden Thieren eine 
veränderte Beschaffenheit annimmt; unruhiges, 
aufgeregtes Benehmen, Annäherung zum Männ¬ 
chen, Drang zur Begattung, zeitweises Ver¬ 
sagen des Futters, Ausstossung eigentüm¬ 
licher Töne. Bei vielen Thieren, so bei 
Muttertieren mit Jungen oder solchen, die 
nicht mit männlichen Thieren zusammen 
kommen, machen sich die Brunsterscheinungen 
nur sehr undeutlich bemerkbar. Diesen Zu¬ 
stand bezeichnet man mit stiller Brunst. Je 
nach der Thiergattung zeigt das Bild der 
Brunsterscheinungen • zum Theil bestimmte 
Eigentümlichkeiten. Die Stute wiehert, setzt 
häufig kleine Mengen Harn ab, wobei die 
Schamlippen häufig geöffnet und geschlossen 
werden und der Kitzler zum Vorschein kommt. 
Die Stute wedelt mit dem Schweife, drängt 
zu benachbarten Pferden und stellt sich zur 
Begattung an. In seltenen Fällen fliesst etwas 
Blut aus der Scheide. Einige zeigen während 
der Brunstperiode förmliche Koliksymptome. 
— Die Kuh wird sehr unruhig, lässt ein 
sehnsüchtiges Brüllen ertönen, sucht andere 
Thiere, ja selbst Personen zu bespringen. In 
der Heerde läuft sie unruhig umher, steigt 
auf die mitweidenden Rinder, verlässt selbst 
die Heerde, um den Stier aufzusuchen. Auf 
dem Höhepunkt der Brunst versagt sie öfter 
gänzlich das Futter. — Bei dem Schafe sind 
die Brunsterscheinungen nur schwach. Sie 
beschränken sich auf Blöcken. Aufsuchen und 
Begleitung des Bockes, auf willige Gestattung 


des Begattungsactes. — Die brünstige Ziege 
meckert viel, wird unruhig und versagt das 
Futter. — Die Sau grunzt viel, wird weniger 
reizbar, liebt Berührung und Kratzen, springt 
im Freien auf andere Schweine, ist unruhig, 
beisst, zeigt grosse Aufgeregtheit und Appetit¬ 
losigkeit. Die Brunst erreicht in 12—16 
Stunden ihre Höhe. Bei gutgenährten Thieren 
sind die Brunsterscheinungen wenig auffallend. 
Das Brünstigsein der Sau heisst „Rauschen“ 

— Bei der Hündin besteht eine sehr starke 
Hyperämie der Geschlechtstheile. Es tritt 
ein reichlicher, meist blutiger Scheidenaus¬ 
fluss ein. Der Wurf ist stark geschwellt und 
hängt tief nach abwärts. Die Hündin ist aus¬ 
gelassen munter, sucht ins Freie zu gelangen, 
um sich in Gesellschaft von Männchen, die 
bald durch den Geruch des Scheidenaus¬ 
flusses in Menge und auf grosse Entfernungen 
herbeigelockt werden, herumzutreiben. Sie rut¬ 
schen zu dieser Zeit häufig auf dem Hintertheil. 

— Bei allen unseren Hausthieren haben die 
Brunsterscheinungen eine bestimmte, je nach 
der Thiergattung kürzere oder längere Dauer. 
Dieselbe beträgt 

bei der Stute. 2— 3 Tage, 

„ dem Rinde. 15—30 Stunden, 

„ ,, Schweine. 1— 3 Tage, 

„ „ Schafe. 2— 3 „ 

„ der Ziege. 2— 3 ,, 

„ Hündin. 9—14 

Bei fruchtbarer Begattung erfolgt die 
nächste Brunst erst eine gewisse Zeit nach 
der Ausstossung der Frucht. Nur sehr selten 
stellen sich während der Trächtigkeit und fast 
nur bei Rindern 4—5 Monate nach der statt¬ 
gefundenen Befruchtung mehr oder minder 
deutliche Brunsterscheinungen ein, welche 
Erscheinung inan Afterbrunst heisst und die 
wohl mit der Reifung eines oder mehrerer 
Eier zusammenhängt. Bei nicht stattfindender 
Befruchtung kehren die Brunsterscheinungen 
periodisch wieder. Die Stute rosst gewöhnlich 
schon 5—9 Tage nach der Geburt und wird 
falls keine Befruchtung statt hat, gewöhnlich 
nach Intervallen von je 9 Tagen wieder brün¬ 
stig. Die Kuh rindert in der Regel 3—4 Wochen 
nach der Geburt und, wenn keine Befruchtung 
stattfindet, je alle 3 Wochen. Das Schwein 
wird, so lange es säugt, nicht brünstig; nach 
dem Abnehmen der Jungen stellt sich die 
Brunst gewöhnlich am dritten Tage und bei 
nicht erfolgender Befruchtung alle 9—12 Tage 
ein. Das Schaf bockt gewöhnlich, wenn es 
nicht säugt, 3—4 Wochen, wenn es säugt, 
erst 2—4 Monat e nach der Geburt wieder, 
und wiedeifl^H^MMdi^£gel die Brunst - 


Kocb. Eneyklopldie d. Thierheilkd. II. Bd. 


11)6032 


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2 


BRUNSWIG. — RRUST 


erscheinungen in Intervallen von 17—25 Tagen. 
Die Stute rosst gewöhnlich im Frühjahr, dann 
auch im Herbst, die Ziege wird im Herbst, 
das Schaf im Herbst und Frühjahr, die übrigen 
Hausthiere werden das ganze Jahr brünstig. 
Eierstockkranke Kühe zeigen beständig Brunst¬ 
erscheinungen. Strebtl. 

Brunswig studirte Thierheilkunde in Ber¬ 
lin und Hannover und schrieb 1831 eine Dis¬ 
sertation über die Heilung der Kolik der 
Pferde. Semmer . 

Brust — exterieuristisch — ist der am 
Pferde, Rinde etc. vorne unterhalb des Halses, 
zwischen den Schultergelenken, den Querbeinen 
und dem obersten Theil der Vorarme gelegene 
und der an den Seiten unterhalb des Wider¬ 
ristes und hinter den Schultern in der Aus¬ 
dehnung der Rippen bis zur Lende und dem 
Bauche reichende Rumpftheil. Die knöcherne 
Grundlage der Brust wird vorne innerhalb des 
Rahmens der genannten anatomischen Theile 
durch das vordere Ende des Brustbeines mit dem 
Habichtsknorpel gebildet, hinter welchem das 
erste Rippenpaar steht; nach unten und rück¬ 
wärts, sowie direct der Wirbelsäule gegen¬ 
über geben die Theile des Brustbeines mit 
dem Schaufel- oder Schwertknorpel die Skelet¬ 
unterlage ab, während an den Seiten die 
wahren und falschen Rippen das Gerüste der 
Brust formiren. Von der Grösse und Stärke, 
von der Gestalt und der Lagerung der be- 
zeichneten Skelettheile, sowie von der Mächtig¬ 
keit, Strammheit und Actionsfähigkeit des an 
die aufgeführten knöchernen Gebilde angela¬ 
gerten Muskelapparates hängt zunächst Form 
und Stärke der Brust, zum Theile das Gefällige 
im Baue der Vorhand und in weiterer Bezie¬ 
hung wohl auch die Leistungsfähigkeit des 
Pferdes, und bei dem Rinde ausserdem noch 
theilweise die Mastfähigkeit und der Mästungs¬ 
werth desselben ab. Die Grösse des Abstandes 
theils von der unteren Fläche der Brustwirbel¬ 
körper bis zur oberen Fläche des Brustbeines, 
theils der Rippen der einen Seite — selbst¬ 
verständlich in symmetrischer Art — von jenen 
der anderen Seite, sohin die Grösse des senk¬ 
rechten und des Querdurchmessers der Brust 
bedingt die absolute Tiefe und Breite derselben 
bezüglich ihres inneren Raumes, während die 
relative Breite und Tiefe ihres Umfanges — 
Gürtel — von der absoluten Grösse der er¬ 
wähnten Durchmesser an und für sich, sowie 
von der Höhe des Widerristes (Länge der 
Stachelfortsätze) und der Beschaffenheit der 
Muskulatur abhängig ist. Die Länge der Brust 
ist allein bedingt von der absoluten Länge der 
Brustwirbelkörper und des Brustbeines: je 
weiter insbesondere das letztere sich nach rück¬ 
wärts erstreckt, um so vortheilhafter ist diese 
Länge im Allgemeinen für den Bau der Brust 
und insbesondere ihr die Verwendung des 
Pferdes im Reitdienste, sowie auch für die er¬ 
höhte Leistungsfähigkeit in der letztgenannten 
Verwendungsweise. Je länger ferner speciell 
die wahren Rippen, je dichter dieselben in 
ihrer Masse, sowie je breiter sie sind und je 
angemessener die Curvenbildung nach aus-, rück-, 
ab- und vorwärts zur Länge der Rippen selbst 


und des Brustbeines sich gestaltet, um so 
tiefer und dabei wohlgeformter, tonnenartiger 
und zugleich freier ist die Brust als Ganzes. 
Je kürzer, schmäler und schwächer dagegen 
die Rippen sind, je näher aneinander sie ge¬ 
lagert und je gestreckter von den Brustwirbeln 
zu dem Sternum (Brustbein) dieselben ver¬ 
laufen, um so kürzer und schmächtiger wird 
die Brust im Allgemeinen, und um so enger 
sieht sie von vorne, um so flacher von der Seite 
aus, und um so weniger tief steht sie dem 
Boden zu. Eine solch’ schlechtbeschaffene Brust 
vermag daher im Gegensätze zur tonnenförmi- 
gen, tiefen und freien Brust den für den Le- 
bensprocess überhaupt und für die Leistungs¬ 
fähigkeit eines Thieres insbesondere so wichti¬ 
gen Brustorganen (Herz und Lungen) den an¬ 
gemessen grossen Raum nicht zu bieten, wes¬ 
halb auf derartige Defecte in der Formation 
und in den räumlichen Verhältnissen der Brust 
bei jedweder Gattung unserer grösseren Haus¬ 
thiere um so sorgfältiger zu achten ist, als 
bei den letztgekennzeichneten Eigenschaften 
einer Brust im Skeletbaue auch der zugehöri¬ 
gen Muskulatur die für die entsprechende Ent¬ 
wicklung und leistungsfähige Action nothwendi- 
gen räumlichen Bedingungen fehlen werden. 
In regionaler Beziehung wird die Brust ex¬ 
terieuristisch in die „Vorderbrust“, „Unter¬ 
brust“ und in die „Seitenbrust“ getheilt, und 
werden diese Hauptabtheilungen wieder in 
mehrere Partien geschieden, welche namentlich 
an der Vorderbrust des Pferdes durch eine 
Vertiefung und mehrere Muskelfurchen speciell 
derselben ein eigenartiges Gepräge geben. Die 
Stelle des Ueberganges der Unterbrust in die 
Seitenbrust an und oberhalb der inneren Fläche 
des Ellbogengelenkes wird „Achsel“ genannt.Ver- 
bindet man die untere Partie der beiden Bug¬ 
spitzen horizontal durch eine gerade Linie 
(Fig. 283, a b) und verlängert diese Linie in wag¬ 
rechter Richtung vom Bug aus beiderseits über 
die Schulter weg nach rückwärts bis zur letzten 
Rippe, so werden die Vorder- und die Seitenbrust 
in zwei übereinanderstehende ungleich grosse Ab¬ 
theilungen gebracht, welche an der Vorderbrust 
einfach als „obere“ und „untere“ Brust, an den 
Seiten als „obere“ und „untere“ Seitenbrust be¬ 
zeichnet werden. Die obere Brust erstreckt 
sich vom Ende des unteren Halsrandes bis zu 
der die Buggelenke verbindenden horizontalen 
Linie, bezw. in der Mitte bis zum Habichts - 
knorpel des Brustbeines. Da einerseits die Aus¬ 
dehnung des Brustbeines nach vorne und oben 
und andererseits der Stand der Buggelenke 
bei verschiedenen Thieren ein wechselnd hoher 
ist, so ist nothwendig Form und Ausdehnung 
der oberen Brust von der Halsform und dem 
Stande der genannten drei Factoren, insbeson¬ 
dere von der Lage der Schulter abhängig. Je 
tiefer der Halsaufsatz und je höher bei kurzer, 
steiler Schulter die Buggelenke gelagert sind, 
und je weiter der Habichtsknorpel nach auf¬ 
wärts reicht, desto niedriger und kürzer ist die 
obere Brust, was nicht nur unschön, sondern 
auch nachtheilig für die Leistungsfähigkeit des 
Thieres namentlich im Zuge ist, weil auch die 
passende Geschirranlage erschwert wird und 


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BRUST. 


3 


überhaupt leicht Brust- und Bugbeulen ent¬ 
stehen. Die untere Brust ist in den Fällen der 
kurzen oberen Brust meist auffallend höher und 
räumlich um so grösser, je ausgedehnter die 
dürre am vorderen Theile des Brustbeines ist. 
Je weiter dieser Bogen bei angemessener Lage¬ 
rung der Schulter nach unten reicht, um so 
ausgedehnter und tiefer wird die ganze Vorder¬ 
brust, daher diese Curve hierin überhaupt be¬ 
stimmend für die Form der Brust ist; wo¬ 
gegen eine kurze und schmächtige untere Brust 
immer wenig schätzenswerth erscheint. — Zwi¬ 
schen dem Ende des unteren Halsrandes und 
dem Habichtsknorpel des Brustbeines findet 
sich eine seichtere oder tiefere Aushöhlung, 
welche man „Brustgrube 14 nennt: sie liegt im 
Gebiete der Brust, soll sich genau in der 
Mitte der Brust befinden und weder zu tief 
noch auch verschwommen, d. h. zu seicht 
sein, sondern vielmehr eine nach oben und 
unten leicht ausgeschweifte Mulde darstellen. 
Der Haarstrich der Brustgrube geht von oben 
nach unten und bildet am unteren Ende einen 
Haarwirbel. In der unteren Brust liegen die 
mittlere und zwei seitliche Furchen. Die mittlere 
heisst Brustfurche schlechtweg und die seit¬ 
lichen werden Seitenbrust- oder auch Arm- 
(Armbrust-) Furchen genannt. Die Brustfurche 
.(mittlere), welche unter der Brustgrube als 
rinnenfbrmige mediane Vertiefung vom Habichts¬ 
knorpel beginnend nach abwärts läuft, inarkirt 
■den vorderen und unteren Rand des Habichts¬ 
knorpels und des Brustbeines selbst und wird 
seitlich begrenzt durch die vorderen (inneren) 
-dicken Ränder der breiten Brustmuskeln. Je 
stärker und strammer diese Muskeln sind, je 
prägnanter dieselben vorspringen, um so tiefer 
wird die mittlere Brustfurche und um so hüb¬ 
scher gestaltet sich dieser Theil der Brust. In 
Jieser Brustfurche liegen jedoch weder Nerven 
noch Gefässe. Die seitlichen oder Arm- (Arm¬ 
brust-) Furchen sind in ihrem Verlaufe nach 
unten und innen etwas gewundene rinnenför- 
migo Vertiefungen, welche von den äusseren 
Rändern der breiten Brustmuskeln und von den 
Kopfhalsarmbeinmuskeln, bezw. der Muskulatur 
■der vorderen und inneren Seite am oberen 
Theile der Vorarme gebildet werden. Diese 
Furchen sind gleichfalls um so tiefer und aus¬ 
geprägter, je massiger und derber die sie bil¬ 
denden Muskeln sind; in diesen Furchen ver¬ 
läuft jederseits die Bugvene. Der Haarstrich 
innerhalb der drei Brustfurchen geht von unten 
nach aufwärts, wodurch sich die Brust noch 
auffallender von ihrer Umgebung abgrenzt. Die 
Breite der Vordeibrust wird von der Länge 
und der bedeutenderen Krümmung der ersten 
Rippen, sohin von einer mehr oder weniger 
weiten Apertur des Thoraxeinganges, dann von 
der Mächtigkeit der Muskulatur und theilweise 
auch von der Menge des Fettgehaltes zwischen 
den Muskeln der Brustwandungen und den 
Schulterblättern und endlich auch von der Lage 
der Schultern selbst bedingt. Je grösser die 
Apertur des Thoraxeinganges zwischen den 
ernten Rippen namentlich in der Quere (ohne dass 
dieses Verhältnis aber übermässig erscheinen 
darf) ist, je massiger die Muskeln speciell in Ver¬ 


bindung mit Fett sind und je schiefer die Schul¬ 
tern sich an die Brustwandung anlegen, desto 
breiter wird die Brust von vorne her sein. 
Nachdem aber die ersten Rippenpaare von den 
Schultern bedeckt sind, muss deren Wölbungs- 
verhältniss zur Brustbreite mit der diesfälligen 
Beschaffenheit der hinter den Schultern liegen¬ 
den Rippen verglichen werden. Uebermässig 
starke Muskulatur kann auch bei flacherer 
Rippenstellung eine breite Brust bedingen, stets 
aber sind starke, recht stramme Brustmuskeln 
theilweise für die Streckung des Schulterge¬ 
lenkes, insbesondere jedoch für die Hebung des 
Rumpfes und Anschliessung des Buggelenkes 
gegen den Rumpf (und umgekehrt), sowie zur 
Fixirung des Buggelenkes während der Streck¬ 
action der Schultern ungemein schätzenswerth. 

Je grösser die Zahl der Rippen ist, über 
welche die Schulterblätter gelagert sind, um so 
schiefer werden notwendigerweise die Schul¬ 
tern zu stehen kommen, und um so breiter 
wird dann bei starker Muskulatur, auch wenn 
die Wölbung der Rippen keine bedeutende ist, 
die Brust sein müssen, während steile Schultern, 
flache Rippen und Muskelarmuth das Gegentheil 
bedingen. — Die Unterbrust erstreckt sich 
nahezu horizontal vom unteren Ende der Vorder¬ 
brust zwischen den Innenflächen der Vorarme 
nach hinten bis zum Schaufelknorpel des Brust¬ 
beines. Ihre Länge und Breite wird vom Brust¬ 
beine und theilweise von dem hinteren Theile 
des breiten, insbesondere aber vom grossen und 
kleinen Brustmuskel bedingt. Die Mächtigkeit 
der genannten Muskulatur übt auch Einfluss 
auf die Breite und relative Tiefe im Brustbaue. 
Die Seitenbrust nimmt hinter der Schulter und 
dem Ellbogenhöcker jeder Seite ihren Anfang 
und erstreckt sich in ihrer unteren kleineren und 
etwas flacher gestalteten Hälfte, nach hinten 
keilförmig sich verschm&chtigend, bis zur Weiche: 
in ihr verläuft von rück- nach vorwärts die 
Sporader oder äussere Brustvene. Die grössere 
obere und mehr tonnenartig geformte Hälfte 
erstreckt sich bis gegen den Rücken und 
die Lende zu, doch lagern innerhalb der un¬ 
tersten und hintersten, sowie der seitlichen und 
oberen hintersten Theile der Brustwandung 
(Thorax) ungleich weit nach vorne zu schon 
Baucheingeweide, worauf bei der Percussion 
der Brust Rücksicht zu nehmen ist. Die räum¬ 
liche Ausdehnung der Brust bezüglich ihres 
ganzen Umfanges nennt man im Exterieur 
„Gürtel 44 , das betreffende Mass „Gürtelmass 44 , 
und obwohl ein grosses Gürtelmass einer Brust 
selbstsprechend auch eine angemessene Tiefe 
dieser Brust in sich schliesst, will man ex- 
terieuristisch mit der speciellen Bezeichnung 
„Tiefe 44 oder „gute Tiefe 44 der Brust dennoch 
etwas Besonderes von der Brust näher be¬ 
zeichnen. 

Eine Brust ist tief oder hat eine gute 
Tiefe, wenn an ihr, von der Seite gesehen, der 
Abstand vom ebenen Boden, auf welchem das 
Pferd steht, bis zur Unterbrust — in der Mitte 
zwischen Ellbogenhöcker und Schaufelknorpel 
des Brustbeines — gleich ist dem Abstande 
vom genannten Punkte der Unterbrust bis zur 
höchsten Stelle des Widerristes. So beschaffene 

1 * 



4 


BRUST. 


Pferde nennt man auch stämmige, während sie 
als hochbeinige bezeichnet werden, wenn der 
Abstand vom Boden bis zur Unterbrust wesent¬ 
lich grösser ist als der von der Unterbrust bis 
zur Widerristhöhe. Das Gürtelmass als Brust¬ 
umfang wird etwas hinter der höchsten Stelle 
des Widerristes und unmittelbar vor der Schau¬ 
felknorpelgegend um die ganze Brust mittelst 
des Bandmasses genommen, und soll das Gürtel¬ 
mass bei einem in der Brust gut gebauten und 
vollständig entwickelten Pferde die Bandmass- 
höhe des Thieres um 16—25 cm übersteigen. 
Bei besonders stämmigen Pferden findet man 
ausnahmsweise auch 30—45 cm mehr im Gürtel 
als in der Höhe. Ansehnliche Differenzen von 
20—25 cm zwischen Gürtel- und Höhenmass 
finden sich vorwiegend bei vollends ausge¬ 
wachsenen und gut gebauten Pferden, während 
selbe in den ersten Entwicklungsjahren weniger 
auffallend und bei den in der Brust schlecht 
gebauten Pferden sehr geringe sein oder gar 
ganz fehlen können, wie auch ein umgekehrtes 
Verhältniss, dass nämlich die Höhe das Gürtel¬ 
mass übertrifft, nicht ausgeschlossen ist. 
Endlich kann ein Pferd, von der Seite gesehen, 
in der Brust tief erscheinen, ohne ein nennens¬ 
wertes Gürtelmass aufzuweisen, weil der 
Thorax wohl tief, aber allzu flach und schmal 
ist. Bezüglich der Brust der Fohlen ist zu be¬ 
merken, dass dieselben in den ersten Lebens¬ 
wochen scheinbar eine gegen den Boden zu 
ansehnlich tiefe Brust besitzen, welcher Um¬ 
stand darin begründet ist, dass die Anlagerung 
der Schulter an die Thoraxwandungen noch 
eine sehr laxe und nachgiebige ist, so wie auch 
die Schulterblattknorpel noch sehr weich sind, 
daher die Brust tief zwischen die Schultern 
sich einlagert, zumal auch noch die gehörige 
Markirung des Widerristes bei den Fohlen 
mangelt. 

Brustformen: a) Normale Brust 

(Fig. 283). Als normale Brust, welche überhaupt 



Fig. 283. Normale Brust. 

nur an einem allseitig möglichst ebenmässig ge¬ 
bauten Pferde proportionaliter beurtheilt werden 
kann, ist diejenige zu bezeichnen, welche in Breite, 
Tiefe und Länge einerseits zur ganzen Anlage 
nach Höhen- und Längenbau, sowie zur Stellung 
des Thieres passt und andererseits nach Contour 
und Raum in harmonischem Connex zu allen 
die Brust begrenzenden Körpertheilen (Hals, 
Widerrist mit Rücken, Lenden und Bauch, so¬ 


wie Schulter und Vorarme) steht. Demnach 
soll eine normale Brust inclusive Buggelenke 
von vorne ebenso breit wie hinter der Schul¬ 
ter an der Grenze zwischen oberer und unte¬ 
rer Seitenbrust und annähernd so breit als 
der Abstand der beiden Hüftgelenke sein und 
mit Rücksicht auf die Höhe des Thieres ein 


schwaches Drittel vom Stangenmasse betragen. 
Die Abstände vom Boden bis zur Unterbrust 




und von da bis zur höchsten Stelle des Wider¬ 
ristes sollen sich ungefähr das Gleichgewicht 
halten und endlich soll das Gürtelmass die 
Bandhöhe um 10 bis 15, die Stangenhöhe um IG 
bis 24 cm übertreffen. Die Muskulatur muss 
angemessen stark, stramm, in ihren Detailum¬ 
rissen sehr prägnant und vollkommen actions¬ 
fähig sein. Die wechselnden Abweichungen von 
den vorher skizzirten Einzelnheiten der Brust be¬ 
dingen nun namentlich bei dem Pferde die 
nachstehenden verschiedenen Formen derselben. 

b) Löwenbrust — auch „breite“ Brust 
(Fig. 284) — ist diejenige, welche durch auffallende 

Breite und Tiefe, 
letztere aber bei 
minder entwickel¬ 
tem Widerriste, 
insbesondere in ih¬ 
rem Lageverhält¬ 
nisse zu den Vorar¬ 
men, ferner durch 
stark tonnenför¬ 
mige Rippenwöl¬ 
bung und sehr 
mächtige Brust- 
und Schultermus¬ 
kulatur ausge¬ 
zeichnet ist. Diese 
_ . . Brustform, mit 

F lg . 2«,. U-.Lbn.st. ma8gigem Skelet- 

bau überhaupt verbunden, überlastet die Vorhand 
auffallend, kommt hauptsächlich bei den schweren, 
sehr stämmigen Zugrassen (kaltblütigen Schlä¬ 
gen) vor und ist fast ohne Ausnahme mit 
boden- und zehenenger (zehentreterischer) Stel¬ 
lung und fuchtelnder Bewegung verbunden, 
daher so gebaute Pferde sich niemals zum Reit¬ 
dienste eignen; dagegen ist für Zugzwecke 
diese Brustform sehr geschätzt. 

c) SchmaleBrust (Fig. 285); sie wird auch 
engeBrust genannt und ist dadurch charakte- 
risirt, dass in Folge sehr schwacher Wölbung spe- 

ciell der vorderen Rip¬ 
penpaare, durch steile 
Lagerung der Schultern 
und durch schwache 
Brust- und Schulter- 
muskulatur die Brust 
vorne sehr schmächtig 
und arm aussieht. Der 
senkrechte Durchmesser 
dieser Brustform, wel¬ 
che zumeist veredelten 
Pferden angehört, ist 
mitunter ansehnlich 
gross, doch wiegt ein 
einseitig guter Factor 
den Minderwerth dieser 
Fig. 285 . Schmal« Brust Brustform nicht auf, 


BRUSTBEULEN. 


5 




insbesondere dann, wenn zugleich einfach recht 
enge oder, was eben viel häufiger der Fall 
ist, bodenweite, zehenweite, tanzmeisterische 
Stellung mit dieser Brustform verbunden ist. 

d) Hahnenbrust (Fig. 286) ist eine ange¬ 
messen breite und tiefe, dabei aber in Folge des 
bedeutend vonra- 

genden oberen 
Theiles des Brust¬ 
beines nach vorne 
herausgebaute, 
stark muskulöse 
Brust, welche we¬ 
niger wegen ihrer 
Form, als wegen 
ihrer Kraft und 
Leistungsfähigkeit 
geschätzt ist, zu¬ 
mal mit ihr mei¬ 
stens ein allgemein 
solides Knochen¬ 
gerüste, correcte 
Stellung der Ex- 
tremitaten mit gu- F,ß * 286 Hahn * nbrU8t - 
ten Gängen verbunden sind. Diese Brustform 
wird am häufigsten an Halbblutpferden ge¬ 
funden. 

e) Ziegenbrust (Fig. 287)ist in mehr¬ 
facher Beziehung das Gegentheil der Hahnen- 
brust; sie ist schmal, 
wenig tief und zeigt zwi¬ 
schen den verhältniss- 
mäßsig weit vorragen- 
den, dabei hochstehen¬ 
den Bugspitzen und dem 
tief nach hinten liegen¬ 
den Brustbein eine auf¬ 
fallend hohle und lange 
Brustgrube.Diese Brust 
ist nicht nur unschön, 
sondern auch kraftlos. 

Sie ist überveredelten 
Pferden und typenlosen 

Kreuzungsproducten 
eigen. Mit dieser Brust- 


Fig. 287. Ziegenbru*»t. 


form ist entweder eine einfach enge oder die bo- 
den- und zehenweite etc. Stellung verbunden. 

f) HabichtsbrustfFig. 288) ist bezüglich 
der Brustbeinlagerung der Hahnenbrust ähnlich, 
doch ragt der Ha¬ 
bichtsknorpel (da¬ 
her der Name), 
weil diese Brust 
recht muskelarm 
ist, noch auffal¬ 
lender nach vorne 
heraus, weshalb 
sie unschön und 
in ihrer Leistungs¬ 
fähigkeit wenig 
geschätzt ist. 

Diese Brustform, 
mit zumeist ziem¬ 
lich correcter Stel¬ 
lung vereint, 
kommt auch bei 
Blute höher- 


lm 

stehenden Pferden 


Fig. 288. Habichtsbrust. 


häufiger als bei den sogenannten kaltblütigen 
Schlägen vor. 

g) Schiefe Brust wird diejenige ge¬ 
nannt, bei welcher entweder im Thoraxge¬ 
rüste eine Asymmetrie, oder in der Schulter¬ 
stellung einer Seite eine Abweichung oder ein¬ 
seitig eine Atrophie in der Brust- und Schulter- 
rouskulatur zugegen ist. Dass solche Thiere 
einen unegalen Tritt haben, ist naheliegend. 

Als „hängende Brust“ bezeichnet man 
jenen Zustand, wenn in Folge ungemein 
schlaffer, haltloser Brust- und Schultermuskulatur 
bei g leichtzeitig stark nach aussen gedrehten 
Ellbogenhöckem und zwischen den Schulter¬ 
blattknorpeln einsinkendem Widerrist die ganze 
Brust tief gegen die Mitte der Vorarme herab¬ 
sinkt. Man findet diesen Zustand bei alten 
breitbrustigen, weitgestellten, überbauten Zucht¬ 
stuten und auch bei älteren Kühen. — „Vor¬ 
hängend“ ist jene meist breite und muskulöse 
Brust, bei welcher Schultern und Ellbogen 
auffallend weit nach rückwärts gerichtet sind, 
wie das z. B. bei stark unterständig stehenden 
Pferden manchmal vorkommt. — Bei Beschäl¬ 
hengsten kommt mitunter, werden dieselben, 
ohne eben selbst entsprechend breit in der 
Brust zu sein, zum Decken recht massiger, 
breiter Stuten verwendet, eine stärkere Dehnung 
besonders der breiten Brustmuskeln vor, welche 
hiedurch schlaffer und etwas hängend werden, 
so dass sie von vorneher eine recht tiefe Brust 
vortäuschen. Dieser Zustand ist jedoch nur 
vorübergehend und daher die eigene Bezeich¬ 
nung als „Bescliälerbrust“ wohl nicht ge¬ 
rechtfertigt. — Bezüglich der an der Brust 
vorkommenden Defecte ist auf abweichende 
Haarfarbe oder kahle Stellen (vorausgegangene 
scharfe Einreibungen), auf Narben, besonders 
nn der Vorder- und Unterbrust (vom Leder¬ 
stecken und Haarseilziehen), auf Aderlassnarben 
an der Sporader, auf schwielige Verdickungen 
und knotige Geschwülste an den Buggelenken 
und dem Habichtsknorpel des Brustbeines (Bug- 
und Brustbeule) zu achten. Sofeme bei der 
Schwerathmigkeit der Pferde (Dampf) die Bil¬ 
dung einer tiefen Rinne (Dampfrinne) nach 
dem Verlaufe der vorderen Enden der falschen 
Rippen, sohin in die untere Seitenbrustregion 
fällt, ist eventuell auch auf dieses Moment an 
der Brust Rücksicht zu nehmen. Ltchner. 

Brustbeulen sind durch Quetschung oder 
Druck entstandene Vorderbrustgeschwülste 
der Zugpferde; sie sind am häufigsten durch 
fehlerhafte Kummetlage bedingt und zeichnen 
sich durch ihre Schmerzhaftigkeit aus. Diese 
Tumoren besitzen sehr starke Wandungen aus 
indurirtem Muskel- oder Bindegewebe und ent¬ 
halten meistens in ihrem Centrum eine ur¬ 
sprünglich geringe Ansammlung von blutigem 
Serum. Häufig bildet sich später eine kleine Abs- 
cesshöhle, welche sich immer sehr langsam 
ausdehnt und grosse Schmerzen verursacht. 
Ihrem Sitze nach werden zwei Arten von Brust¬ 
beulen unterschieden: 1. die oberflächliche 
Brustbeule, welche sich auf oder neben dem 
Habichtsknorpel des Brustbeines, und 2. die 
tiefe Brustbeule, welche sich über dem Schulter¬ 
armgelenke in der Tiefe des Armwirbel-Warzen- 


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6 BRUSTDRÜSE. - 

muskels bildet. Eine antiphlogistische Behand¬ 
lung führt nur im Beginne des Leidens zurZer- 
theilung der Brustbeule. Ist dieselbe sehr 
schmerzhaft und der Verlauf langwierig, so sind 
feuchtwarme Umschläge (Kataplasmen) wäh¬ 
rend 2—4 Tagen anzuwenden. Durch letz¬ 
tere Behandlung wird die Abscessbildung we¬ 
sentlich befördert, und kann nach kurzer Zeit 
eine künstliche Oeffnung der Abscesshöhle er¬ 
folgen. Veraltete Geschwülste sind durch An¬ 
wendung von Jodpräparaten in Salbenform zur 
Zertheilung zu bringen oder, wenn das nicht 
gelingt, auf operativem Wege durch Aus¬ 
schälen der Geschwulst zu entfernen. Berdet. 

Brustdrüse. Die Brustdrüse (Thymus), 
Bries, Kalbsmilch, gehört zu den Blutdrüsen 
und ist ein transitorisches, nur während des 
fötalen Lebens und während der frühesten 
Jugendzeit vorhandenes Organ, welches schon 
in den ersten Lebensjahren auf dem Wege 
der Verfettung zu Grunde geht und ganz 
oder bis auf geringe Ueberreste verschwin¬ 
det. Die Brustdrüse liegt mit ihrem hinteren 
unpaarigen Theil in der Brusthöhle unter 
den grossen Gefässstämmen bis zum Herz¬ 
beutel zwischen den Blättern des vor¬ 
deren Mittelfells. An der ersten Rippe theilt 
sich die Drüse in zwei Lappen, welche bei 
dem Pferde dicht nebeneinander und durch 
Bindegewebe verbunden unter und etwas zur 
Seite der Luftröhre nach vom und oben bis 
zur Höhe des sechsten Halswirbels verlaufen 
und gegen das vordere Ende immer schmäler 
werden. Die Drüse ist von einer zarten binde¬ 
gewebigen Hülle umgeben, weich, schlaff und 
von gelbgrauer Farbe; sie besteht aus zahl¬ 
reichen, durch Bindegewebe locker vereinig¬ 
ten und demgemäss leicht trennbaren Lappen, 
welche sich in immer kleinere und kleinere 
theilen lassen. Die kleinsten Läppchen der 
Brustdrüse haben einen Bau ähnlich dem der 
Lymphfollikel, sie enthalten in einem Netz 
von reticulärem Bindegewebe reichlich Zellen, 
welche zum Theil mit den Lymphkörperchen 
übereinstimmen, theils grösser als die letzte¬ 
ren sind und ausserdem eigenthümliche Ele¬ 
mente, welche in der Peripherie aus concen- 
trisch übereinander liegenden Schichten be¬ 
stehen, einen rundlichen, kernähnlichen Körper 
umschliessen und als Hassel’sche concen- 
trische Körperchen bezeichnet werden. Die 
Bedeutung der letzteren ist nicht näher be¬ 
kannt. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres 
ist die Brustdrüse bei den Pferden meistens 
vollständig verschwunden. — Bei den Wieder¬ 
käuern bildet der vordere paarige Theil der 
Brustdrüse zwei lange Schenkel, welche durch 
einen meist dünnen Strang mit dem hinteren 
unpaarigen, in der Brusthöhle gelegenen Theil 
Zusammenhängen und sich neben, sowie etwas 
unter der Luftröhre bis zum Kehlkopf ver¬ 
folgen lassen. Die im unteren Theil des Halses 
ziemlich dicken Schenkel werden gegen das 
obere Ende immer dünner und dünner. Bei 
dem Rinde bleiben Reste der Brustdrüse, 
welche von reichlich vorhandenem Fettgewebe 
umgeben werden, oft bis in das mittlere, so¬ 
gar bis in das vorgerückte Lebensalter er¬ 


- BRUSTFELL. 

halten. — Die Brustdrüse des Schweine» 
verhält sich ähnlich wie die der Wieder¬ 
käuer; bei den Fleischfressern hat da» 
Organ einen viel geringeren Umfang, es er¬ 
streckt sich namentlich nicht weit am Halse 
in die Höhe. Reste der Brustdrüse werden 
nicht selten auch bei den Fleischfressern im 
mittleren Lebensalter angetroffen. Die Arte¬ 
rien der Brustdrüse werden von den inneren 
Brust- und von den Kopfarterien abgegeben, 
sie vcrtheilen sich in dem Organ ähnlich wie 
in den Lymplulrüsen: die Venen münden in die 
innere Brust- und in die Halsvene, die Nerven 
stammen vom Sympathicus. Die Brustdrüse 
kommt auch bei den Vögeln vor, wenigstens 
werden zwei neben jedem Bronchus gelegene 
gefässreiche Körperchen als gleichwertig der 
Brustdrüse erachtet. Dem Organe wird eine 
ähnliche Function wie den Lymphdrüsen und 
Lymphfollikeln zugeschrieben. Müller. 

Brustfell (Pleura) ist die seröse Haut, 
welche die innere Fläche der Brusthöhle 
und die Lungen überzieht, so dass in der 
Brusthöhle ebenso wie in der Bauchhöhle 
sich Eingeweide und Körperhöhle mit glatten 
und feuchten Flächen berühren. Es hat den¬ 
selben Bau wie das Bauchfell ('s. d.), bildet 
jedoch zwei allseitig geschlossene Säcke (Brust¬ 
fellsäcke), welche fast genau in der Mittel¬ 
linie zusaminenstossen und dadurch eine als 
M i 11 e 1 f e 11 (Mediastinum) bezeichnete Scheide¬ 
wand darstellen. Man denkt sich den rechten 
und den linken Lungenflügel von dem Mittel¬ 
fell aus derartig in den entsprechenden Brust¬ 
fellsack eingeschoben, dass sie den letzteren 
vollständig ausfüllen. An jedem Brustfellsack 
unterscheidet man, abgesehen von dem Mittel¬ 
fell, ein parietales und ein viscerales Blatt 
(Wandblatt und Eingeweideblatt). Das parie¬ 
tale Blatt zerfällt je nach dem von ihm be¬ 
kleideten Abschnitt der Brusthöhlenwand in 
das Rippen fe 11 (Pleura costalis) und in den 
Zwerchfelltheil(Pleura phrenica). Das viscerale, 
die Lungen bekleidende Blatt wird Lungenfell 
(Pleura pulmonalis) genannt und steht mit dem 
Mittelfell, ferner durch Brustfellduplicaturen, 
welche als Lungenband (s. Lungen) bezeichnet 
werden, mit dem parietalen Blatt in Verbin¬ 
dung. An der äusseren Fläche des parietalen 
Blattes findet sich eine Schicht von elasti¬ 
schen Fasern, welche an den Rippenwandun¬ 
gen und am fleischigen Theil des Zwerch¬ 
fells eine fast zusammenhängende Mem¬ 
bran — innere B r u s t b i n d e (Fascia endo thora¬ 
cica) — darsteilen und mit dem sehnigen 
Theil des Zwerchfells untrennbar verschmel¬ 
zen. Die Brustbinde steigt von der Wirbel¬ 
säule zwischen den Theilungsästen der vor¬ 
deren Aorta, indem die elastischen Fasern 
zum grössten Theil durch Bindegewebszügc 
ersetzt werden, herab und geht in das fibröse 
Blatt des Herzbeutels über. Der linke Brust¬ 
fellsack ist etwas kleiner als der rechte, wel¬ 
cher hinter dem Herzbeutel dadurch in zwei 
Theile zerfällt, dass das Rippenfell nach oben zur 
hinteren Hohlvene aufsteigt, sich um die letz¬ 
tere umschlägt, mit dem aufsteigenden Blatt 
innig verbunden wieder bis zum Brustbein 


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BRUSTFELLENTZÜNDUNG. 


7 


herabläuft und nunmehr erst in das Mittelfell 
übergeht. Auf diese Weise entsteht ein oben 
bis zur Hohlvene reichender, seitlich von den 
beiden Blättern des Brustfellsackes, hinten 
durch das Zwerchfell, vom durch den Herz¬ 
beutel begrenzter Kaum, welcher den mittleren 
Lappen der rechten Lunge aufnimmt. Beide 
Brustfellsäcke stossen im Mittelfelle nicht 
überall dicht aneinander, es bleiben zwischen 
den Brustfellsäcken stellenweise Räume, wel¬ 
che zur Aufnahme aller, abgesehen von den 
Lungen, in der Brusthöhle befindlichen Organe 
bestimmt sind und als Mittelfellsräume 
(Cavamediastini) bezeichnet werden. Man unter¬ 
scheidet einen vorderen, mittleren und hinteren 
Mittelfellsraum und eine gleichnamige Ab¬ 
theilung des Mittelfells. Das vordere Mittel¬ 
fell reicht von dem vorderen Abschluss der 
Brustfellsäcke bis zum Herzbeutel und bis 
zum Aortenbogen; in dem vorderen Mittel¬ 
fellsraum liegen die Luftröhre, der Schlund, 
die Brustportion des Halsbeugers, grosse 
Gefässstämme, das Endstück des Milchbrust¬ 
ganges, Lymphdrüsen, Nerven und bei neu¬ 
geborenen, bezw. ganz jungen Thieren die 
hintere unpaarige Portion der Brustdrüse. Der 
mittlere Mittelfellsraum wird durch das Herz 
und durch den Herzbeutel ausgefüllt. Das 
hintere Mittelteil zerfällt in einen oberen 
und in einen unteren Theil, die Grenze zwi¬ 
schen beiden wird durch die Stelle ange¬ 
deutet, an welcher das Mittelfell in das Lun¬ 
genfell übergeht. In dem Mittelfellsraum des 
oberen Theiles liegen die unter den Wirbelkör¬ 
pern verlaufenden grossen Gefässstämme, 
weiter unten der Schlund und die parallel 
mit demselben laufenden Gefässe und Ner¬ 
vender untere Theil ist dünn, spinnengeweb¬ 
artig und besteht aus einem linken Blatt, 
der unmittelbaren Fortsetzung des oberen 
Theiles, und aus einem rechten Blatt, welches, 
wie oben erwähnt, nur bis zur hinteren Hohl¬ 
vene aufsteigt. In dem Mittelfellsraum beider 
Blätter verlaufen Gefässe und Nerven. Müller. 

Brustfellentzündung, Pleuritis s. Pleure- 
sis s. Pleuresia (von «Xeopa, Seite oder Brust¬ 
fell) befallt alle Hausthiere, am häufigsten 
die Pferde; sie tritt selten als ein selbstän¬ 
diges Leiden auf, in den meisten Fällen ent¬ 
zündet sich die Pleura secundär bei acutem 
Rheumatismus, Erysipel, Herzleiden, Infec- 
tionskrankheiten und nach vorhergegangener 
Lungenentzündung (Influenza, Lungenseuche), 
u. zw. auf einer Seite der Brust, wobei je¬ 
doch ein Uebergreifen auf die andere Seite 
nicht ausgeschlossen ist. Das Brustfell selbst 
wird in verschiedenem Umfange afficirt, bald 
sind es nur kleinere Theile der Rippenpleura, 
bald ist es das ganze Rippenfell, am häufig¬ 
sten aber die Lungenpleura, welche sich ent¬ 
zündet; in hochgradigen Fällen greift die 
Entzündung auf das Mittelfell, das Zwerch¬ 
fell und den Herzbeutel über. Locale, kleine 
Entzündungsherde auf der Pleura geben un¬ 
bemerkt vorüber, sie hinterlassen jedoch öfter 
die Spuren einer vorausgegangenen adhäsiven 
oder indurativen Entzündung, bestehend in 
einer Exsudation fibrinöser Flüssigkeiten aus 


den Gefässen, welche gerinnen, fest werden 
und sich zu jungem Bindegewebe organisiren. 
Diese Pseudoraembranen verbinden alsdann 
die Brustorgane strangartig mit der Rippen¬ 
wandung, dem Pericardium oder dem Dia¬ 
phragma, oder das Exsudat bleibt in der 
Serosa deponirt und führt hier zu einer binde¬ 
gewebigen Verdickung. Dies ist der Fall nach 
unerheblichen traumatischen Verletzungen des 
Thorax und nach Rippenbrüchen. Verdickung 
der Pleura stellt sich im chronischen Ver¬ 
laufe der localen Entzündungsvorgänge ein, 
so namentlich bei Lungentuberculose (Rotz, 
Perlsucht), wenn die Entzündung auf die 
Pleura übergeht; hier zeigt die Pleura nicht 
selten eine schwartige, fibröse, feste Ver¬ 
dickung. Diese Neubildungen lassen öfter 
eine deutliche Schichtung erkennen, weil 
unter der ersten Schicht der Reiz fortbesteht 
und zu neuen Exsudaten den Anstoss gibt. 
Je jünger die Pseudomembranen sind, desto 
weicher und desto lockerer sitzen sie der 
Serosa auf, und umgekehrt. Hochgradiger ent¬ 
zündet sich die Pleura, wenn sie mit Fremd¬ 
körpern in Berührung kommt, die vom Schlunde 
aus, bei Wiederkäuern von der Haube aus 
in die Brusthöhle eindringen (spitze Gegen¬ 
stände, Nadeln, Nägel, Drahtstücke, Holz¬ 
stücke etc., Futterstoffe nach Zerreissung des 
Schlundes), oder wenn Eiter und Jauche die 
Lunge oder degenerirten Lymphdrüsen durch¬ 
brochen und sich in die Brusthöhle ergossen 
hat; nicht selten steigert sich hier die Ent¬ 
zündung bis zum Brand, bei dem sich ein 
Theil der Pleura lederartig abstösst (Brand¬ 
schorf) oder zu einem schmierigen Brei zer¬ 
fällt, während die Umgebung hochgeröthet 
und aufgewulstet erscheint. Der Eiter kann 
zu einer adhäsiven Entzündung zwischen 
Lungen- und Rippenpleura führen, in Folge 
deren der Eiter abgekapselt wird oder sich 
einen Ausgang nach aussen bahnt. Eine der 
häufigsten Ursachen beruht auf intensiven 
Verkühlungen der Haut. Die Entzündung der 
Serosa beginnt mit Stockung der Säftecircu- 
lation; die Gefässe unmittelbar unter der 
Serosa und die Capillaren der Serosa selbst 
erscheinen mit Blut überfüllt, sie treten 
als zierliche Gefässnetze hervor; unter dem 
Mikroskope kann man beobachten, wie sich an 
den Gefässwandungen flockige Klümpchen, 
das durchgetretene fibrinhaltige Serum, an¬ 
häufen und Blutkörperchen, die den Wandun¬ 
gen massenhaft anliegen, durch die Gefäss- 
stomata hindurchzwängen. Die Emigration 
dieser Stoffe bedingt eine Trübung der Ober¬ 
fläche der Pleura, sie verliert ihren Glanz 
und ihre Glätte, das Exsudat dringt bis zur 
Oberfläche vor und schwemmt das Epithel 
hinweg, es lagert als ein schmieriger, 
eiterartiger Belag auf ihr, der mit der Zeit 
fester, trockener wird und dann eine dem 
geronnenen Eiweiss ähnliche, an locker ge¬ 
backenen Eierkuchen erinnernde Masse dar¬ 
stellt; der flüssige Theil des Transsudats, 
das Serum, sammelt sich in der Tiefe des 
Brustraumes an; es ist bei frischer Entzün¬ 
dung durch beigemischte zellige Elemente 



8 BRUSTFELLENTZÜNDUNG. 


(Lymphzellen, farblose Blutkörperchen, Kerne 
und Epithelien) und Fibrinflöckchen getrübt. 
Die Zellen zerfallen und lassen ihre Kerne 
frei werden; man findet sie bei der mikrosko¬ 
pischen Untersuchung in den verschiedenen 
Stadien des Zerfalles und mit verschiedenen 
Einziehungen an ihrer Peripherie, die Kerne 
von fein granulirten Fibrinflöckchen umgeben. 
Ueber die Bildung des Fibrins ist das Nähere 
unter dem Artikel „Ausschwitzung“ gesagt. 
Häufig enthält das seröse Transsudat fibri- 
nogene Substanz, es gerinnt alsdann unter 
Zutritt der atmosphärischen Luft zu einem 
lockeren, gelblichweissenKuchen; Beimischung 
von Blutfarbstoff oder von rothen Blutkörper¬ 
chen verursacht eine mehr oder weniger rothe 
Färbung, eine solche von vielen farblosen Zellen 
eine eitrige Beschaffenheit. So lange das fibri¬ 
nöse Exsudat auf der Oberfläche der Rippen¬ 
oder Lungenpleura und auf dem Herzbeutel noch 
weich ist, tritt es bei den Athem- und Herz¬ 
bewegungen mit den umgebenden Theilen in 
Reibung, wodurch es ein zerhacktes, rauhes 
Ansehen erhält. Saint-Cyr stellte fest, dass 
bereits in 3—4 Tagen die Pleura mit finger¬ 
dickem Exsudat überzogen sein kann, schon 
nach 3—9 Tagen hat es sich zu festeren 
Pseudomembranen organisirt. Rindfleisch fand 
bereits vom dritten bis siebenten Tage auf 
Durchschnitten zahlreiche junge Bindegewebs¬ 
zellen in der Serosa selbst und neue Gefasse 
von auffallend grossem Kaliber und mit zar¬ 
ten Wandungen, welche die Transsudation 
erleichtern; der Druck des festen Exsudats 
auf die Gefässe schränkt mit der Zeit die 
Transsudation wieder ein, dasselbe verfettet 
und verkäst unter der Hand und kann auf 
diese Weise wieder resorbirt werden, es kann 
aber auch eitrig zerfallen und dadurch eine 
grössere Gefahr für den Patienten involviren. 
Schüttelfrost und hektisches Fieber kündigen 
diesen Vorgang an. Das Transsudat übt 
auch auf Zwerchfell, Herz und Lunge einen 
üblen Einfluss aus, indem es das Zwerchfell 
nach hinten, das Herz nach seitwärts drängt, 
die Intercostalräume hervorpresst und die 
Lungen comprimirt. Da auch die Blutkörper¬ 
chen zerfallen und das Hämoglobin resorbirt 
wird, so kann nach 7—14 Tagen das Trans¬ 
sudat heller werden und nach 23—30 Tagen 
ganz hell geworden sein, sofern nicht weitere 
entzündliche Nachschübe erfolgen oder blut¬ 
reiche Flächen nicht ausgelaugt werden. Fibri¬ 
nogen tritt erst in das Transsudat über, wenn 
sien nach einigen Wochen die Entzündung 
gemässigt hat; zuweilen wird es abgesackt, 
öfter finden wir es bei Pferden nur auf einer 
Seite der Brusthöhle, wenn die Lückensysteme 
des Mediastinums durch Exsudat verklebt sind. 

Den geschilderten Vorgängen entspre¬ 
chend ist der Leichenbefund. Wir sehen 
die Pleura stark injicirt, geröthet, getrübt, 
mit Blutextravasaten, mehr oder weniger festen 
Exsudatmassen versehen, verdickt und durch 
falsche Membranen verschiedentlich mit der 
Umgebung verlöthet, die Lunge hyperämisch, 
verdichtet, camificirt oder hepatisirt, an 
anderen Stellen serös-eitrig infiltrirt und em¬ 


physematos, das Blut wenig decarbonisirt und 
locker geronnen, die rechte Herzkammer und 
die Hohlvenen vom angostauten Blut dilatirt, 
Leber und Meningen hyperämisch, erstere 
und das Gehirn serös durchfeuchtet, die Schleim¬ 
haut des Darmcanales in katarrhalischem Zu¬ 
stande und im subcutanen Bindegewebe serös- 
sulzige Ergüsse. 

Symptome. Abgeschlagenheit, Appetit* 
Verstimmung etc. gehen dem eigentlichen Krank- 
heitsausbruchc vorher, die Entzündung wird 
durch Fieberanfälle eingeleitet, wobei sich der 
Puls beschleunigt, die Arterie voll und ge¬ 
spannt fühlt, die Mastdarmtemperatur erhöht 
ist, der Durst sich steigert. Bald macht sich 
eine Beschleunigung der Respiration bemerk- 
lich, die sich durch ihre oberflächlichen Athem- 
züge bei Feststellung der Rippen der kranken 
Seite auszeichnet; das entzündete Brustfell 
soll so viel als möglich den Frictionen der 
Lunge beim Athmen entzogen werden, des¬ 
halb wird auch der Husten unterdrückt und 
erst mit der Abnahme der entzündlichen Zu¬ 
fälle kräftiger und freier. Mit der Zunahme 
des Transsudats wird die Respiration kürzer 
und beschwerlicher, was sich durch lebhafteres 
Spiel der Nasenflügel, Aufsperren der Nasen¬ 
löcher, Tiefhalten des Kopfes und starke Action 
der Bauchmuskeln zu erkennen gibt. Leiden 
auch die Lungen mit, dann werden auch die 
Vorderfüsse weiter auseinander gestellt, um 
der Lungenthätigkeit einen freieren Spielraum 
zu verschaffen. Vom Niederlegen ist keine 
Rede mehr, geschieht es dennoch, so nur auf 
kurze Zeit und auf der kranken Seite. Druck 
auf den Brustkasten, namentlich auf die Zwi¬ 
schenrippenmuskeln, veranlasst die Patienten 
zum Aus8tossen von Schmerzenslauten, des¬ 
gleichen das Gehen und Führen derselben. 
Bei Pferden tritt die Pleuritis gewöhnlich 
einseitig, bei anderen Thicren beiderseitig 
auf, sie schreitet auf weitere Flächen und 
bald auch auf die Lungenpleura vor, so dass 
sie zur Pleuropneumonie oder Peripneumonie, 
d. 1 l zur Brustfell-Lungenentzündung oder 
Brustentzündung wird. Das abgesetzte Exsudat 
verursacht ein bei der Auscultation der Brust 
wahrnehmbares Reiben, das sich mit der Zu¬ 
nahme des serösen Transsudats verliert. Die 
Lungenaffection markirt sich durch bron¬ 
chiales Schlürfen und Rasseln, verschärftes 
Vesiculärgeräusch oder gänzliches Fehlen 
desselben (Lungenatelektase), Dämpfung und 
Hellerwerden des Percussionsschalles; die 
Dämpfung begrenzt sich mit einer leicht fest¬ 
zustellenden horizontalen Linie, entsprechend 
der Höhe des serösen Transsudates und des 
festen Exsudats. Oberhalb der Dämpfungs¬ 
linie hört man tympanitisches Klingen. Das 
Serum imbibirt die Intercostal- und Zwerch¬ 
fellmuskeln, versetzt sie dadurch in paretische 
Schwäche, wodurch die Respiration noch mehr 
erschwert wird. Mit der Abnahme des Trans¬ 
sudats wandelt sich der leere Percussionston 
allraälig in den helleren, tympanitischen und 
sonoren Ton um. Adhäsionen der Lungen mit 
der Pleura lassen sich bei der Percussion 
durch scharf begrenzte Dämpfung constatiren, 


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BRUSTHÖHLE. 


9 


die Zunahme des flüssigen Transsudats in 
der Brusthöhle auch durch die Mensuration 
(metiri, messen), denn während anfangs die 
kranke Seite verflacht ist und wie eingedrückt 
erscheint, nimmt sie mit der Zeit einen 
grösseren Umfang ein und steht im Verhält- 
niss zur Dyspnoö, zu der sich bei etwas 
längerer Andauer auch Oedembildungen zwi¬ 
schen den Kieferästen, an der Unterbrust und 
an den Füssen und ein Blässerwerden der 
bisher stark geröthetcn, feurigen Schleimhäute 
hinzugesellt. Die Harnentleerungen sind spar¬ 
sam, der Harn reagirt sauer, er nimmt an 
Oxalsäure und Eiweiss zu, während sein Ge¬ 
halt an Phosphaten, Kohlensäure und Koch¬ 
salz abnimmt; Abnahme der Säure und Ein¬ 
tritt einer alkalischen Reaction communiciren 
mit Abnahme des Fiebers. Der Absatz der 
Fäces ist verzögert, sie selbst sind trocken, 
werden aber bei hinzugetretenem Darmkatarrh 
diarrhöisch. In den geschilderten Symptomen 
treten öfter Remissionen und Exacerbationen 
abwechselnd ein, letztere stehen mit entzünd¬ 
lichen Nachschüben im Zusammenhang. Nach¬ 
haltige Remissionen, besonders Abnahme der 
Körpertemperatur und Zunahme der Fress¬ 
lust, stellen die Reconvalescenz in Aussicht, 
jedoch disponiren die Reconvalescenten zu 
Recidiven, womit der Uebertritt in ein chro¬ 
nisches Stadium gegeben ist, in Folge dessen 
sie in asthmatische und kachektische Leiden 
verfallen und schliesslich ihnen erliegen. Die 
Kachexie hat meistens ihren Grund in eiter¬ 
artigen Ergüssen — Pleuritis purulenta — 
und Uebergang eitrig-jauchiger Zerfallsmassen 
ins Blut, wobei die Kräfte aufgerieben werden. 
In anderen Fällen nimmt die Pleuritis den 
Ausgang in chronische Brustwassersucht. Der 
grössere Theil der Patienten erliegt der Krank¬ 
heit, nur ein kleinerer Bruchtheil kommt 
durch, bei dem sich die Pleuritis innerhalb 
5—9—14—21 Tagen verliert; in 3—i Wochen 
kann das Exsudat vollständig resorbirt sein, 
anderenfalls bleiben asthmatische Beschwer¬ 
den noch monatelang oder zeitlebens zurück. 
Lungen- oder Gehirnödem kann den Tod 
beschleunigen. 

Cur. Man eröffnet sie mit Regelung der 
Diät, einem kühlen, luftigen Aufenthalt, einer 
kräftigen Laxanz und, falls der Puls voll und 
kräftig ist, mit einem Aderlass. Hierauf schreitet 
man ohne Säumen zu scharfen Ableitungen 
(s. d.) auf die Haut der Rippen oder zu 
kalten, nassen Aufschlägen auf die Brust¬ 
wand. Als innerliche Medicamente sind die¬ 
selben Antiphlogistica anzuwenden wie gegen 
Bronchialcroup und Bronchitis (s. d.), man 
versetzt sie nur mit Diuretica (Fenchel, Anis, 
Wachholder, Lorbeeren, Digitalis, Scilla, 
Aconit, Terpentinöl, Jod, Jodkali, Potasche), 
sobald sich Transsudat einstellt; für grössere 
Thiere ist zu diesem Zwecke der längere 
Zeit fortzusetzende Gebrauch des Stibio-Kali 
tartar., für Hunde Kermes in Verbindung mit 
Laudanum oder Morphium sehr wirksam. 
Digitalis, Tinct. Hellebori viridis und Extr. 
Aconiti beruhigen den Puh, Kampher, Arnica, 
Alant, Angelica, Caryophyllata, Imperatoria, 


China, Salicin etc. heben Schwächezustände. 
Die roborirende Heilmethode ist wegen des 
leicht eintretenden Collapsus vorzuziehen. 
Hunden gibt man ein Vomitiv von Tart. stib., 
Calomel, Apomorphin oder Senf und Salz in 
etwas warmem Wasser, auch kann man ihnen 
ein Haarseil oder ein Fontanell vor die Brust 
legen. Seröse Ergüsse verlangen Stimulantien 
und Tonica (Eisen- und Bleipräparate, Catechu, 
Tannin, Opium, Ingwer) und leicht verdau¬ 
liche, kräftige Nahrung, bei stärkerer An¬ 
sammlung in der Brust die Thoracocentese, 
damit die Lungen vom Drucke des Exsudats 
befreit werden. Die Punction kann mit jedem 
kleinen Trocart (s. Bruststich), sehr zweck¬ 
mässig auch mit demDieulafoy’schen Aspirator 
vorgenomraen werden; zur Erregung einer ad¬ 
häsiven Entzündung injicirt man nach Abfluss 
des Serums kaltes Wasser oder Lösungen von 
Carbolsäure, Jodtinctur oder Höllenstein, um 
sie bald nachher wieder aufzusaugen. Ewald, 
Riel, Fiedler u. A. empfehlen als ungefährlicher 
und wenig schmerzhaft die Entleerung des 
Serums mit dem Heberschlauch. Er besteht 
in einer zugespitzten Punctionsnadel mit 
längerem Gummischlauch; beide werden mit¬ 
telst Trichters mit Carbolwasser gefüllt und 
dann die Nadel eingestochen, worauf das 
Serum unter Verdrängung des Carboiwassers 
abfliesst, das auf erstercs eine saugende 
Kraft ausübt. Ist das Serum dickflüssig, so 
muss man eine weitere Hohlnadel einstechen, 
in deren Canule eine Spritze zum Ansaugen 
eingeführt werden kann. Uebrigens muss die 
Entleerung langsam und absatzweise ge¬ 
schehen, damit sich die comprimirte Lunge 
wieder allmälig ausdehnen kann. Anacker. 

Brusthöhle (Cavum thoracis) ist die 
zweitgrösste Höhle des Körpers und zur Auf¬ 
nahme der Centralorgane der Respiration 
und der Circulation bestimmt. Ihre knö¬ 
cherne Grundlage wird oben durch die Rücken¬ 
wirbel, seitlich durch die Rippen und 
Rippenknorpel, unten durch das Brustbein 
gebildet. Als hintere und vordere Brust¬ 
kastenöffnung bezeichnet man den durch 
das Zwerchfell geschlossenen Raum zwischen 
den letzten Rippen, bezw. den Raum zwischen 
der ersten Rippe der rechten und der linken 
Seite. Die vordere Brustkastenöffnung wird 
durch die Luftröhre, den Schlund, durch 

f rosse Gefässstämme, Lymphdrüsen und durch 
as Brustfell verschlossen; Muskeln füllen end¬ 
lich die Zwischenräume der Rippen so voll¬ 
ständig aus, dass die Brusthöhle an keiner 
Stelle direct oder indirect mit den äusseren 
Körperöffnungen im Zusammenhänge steht. 
In ihrer Gesammtheit stellen die Wände der 
Brusthöhle den Brustkasten oder Brust¬ 
korb (Thorax) dar. Derselbe hat bei allen 
Haussäugethieren die Form eines je nach der 
Wölbung der Rippen etwas seitlich zusam- 
mengedrückten oder mehr abgerundeten Kegels, 
dessen stumpfe Spitze nach vorn und dessen 
Basis nach hinten gerichtet ist. Entsprechend 
djeser Form nimmt der Quer- und Höhen¬ 
durchmesser der Brusthöhle nach vorn stetig 
ab. Da das Zwerchfell, welches Brust- und 



10 


BRUSTKASTEN. — BRUSTSEUCHE. 


Bauchhöhle scheidet, schräg von oben und hin¬ 
ten nach unten und vorn verläuft, beträgt der 
Längendurchmesser der Brusthöhle unmittelbar 
unter den Wirbelkörpern fast das Doppelte 
desjenigen, welcher durch Messung von dem 
untersten Ende der ersten Rippe bis zum 
Schaufelknorpel des Brustbeines gefunden 
wird. Längen- und Querdurchmesscr ver¬ 
ändern sich jedoch je nach den Athmungs- 
bewegungen, der erstere erheblicher als der 
letztere. Bei den Vögeln fliesst die Brust- 
und die Bauchhöhle zusammen, weil das 
Zwerchfell rudimentär bleibt. Müller. 

Die physikalische Untersuchung derB rust¬ 
höhle s. Auscultation, Palpation und Per¬ 
cussion der Brusthöhle. Vogel. 

Brustkasten, s. Brusthöhle. 

Brustkorb, s. Brusthöhle. 

Brustkrallt, s. Anthyllis vulneraria. 

Brustleiden, veraltete, als Gewährsfehler. 
Ausser bei der Perlsucht, kommt es noch oft 
in Folge überstandener Lungenseuche mit 
partiellem Absterben einzelner Lungenpartien 
zu Cavernenbildung, chronischem Husten und 
Siechthum. Ferner veranlassen spitze Körper, 
die vom Schlunde oder dem zweiten Magen 
aus in die Brusthöhle, die Lungen und das 
Herz dringen, chronische Entzündungen, Ver¬ 
dickungen, Wucherungen, Störungen der Herz- 
und Lungenthätigkeit und der Verdauung, 
Abmagerung, Abnahme der Milchergiebigkeit 
und oft den Tod und geben daher Anlass zu 
Klagen vor Gericht. Snnmer. 

Brustmittel sind jene Arzneistoffe, welche 
die in Unordnung gerathene Secretion der 
„Brustorgane 11 , d. h. der Luftröhre, Bron¬ 
chien und Lungenalveolen, wieder hersteilen 
sollen. Sie müssen nach zwei Richtungen 
wirksam sein, nämlich die krankhaft ver¬ 
mehrte Schleimabsonderung beseitigen, also 
den Auswurf, die Expectoration vermindern, 
oder die stagnirenden Secrete verflüssigen, 
dadurch mobil und so den Auswurf möglich 
machen, (s. Expectorantia). Vogel. 

Bru8trehe, s. Rheumatismus, 

Brustseuche der Pferde, Pleuropneu- 
monia equorum epizootica s. contagiosa (von 
«Xeopa, Brustfell; irvsopuov, Lunge; tat, auf; 
Cu>ov, Thier; equus, das Pferd; contagio, die 
Ansteckung). Bisher bezeichnete man jedes 
seuchenhafte Auftreten eines Brustleidens 
unter den Pferden als „Influenza 4 *; nach dem 
Vorgänge Dieckerhoffs (cfr. dessen Mono¬ 
graphie: „Die Pferdestaupe, 44 Berlin 1882) 
reserviren wir aber die letztere Bezeichnung 
für die Pferdestaupe, d. h. für eine leichtere 
katarrhalische ansteckende Krankheit der 
Pferde, während wir unter Brustseuche der 
Pferde eine seuchenhaft auftretende, an¬ 
steckende Lungen-Brustfellentzündung ver¬ 
stehen; wir setzen uns auf diese Weise in 
Uebereinstimmung mit der Nomcnclatur der 
Menschenheilkunde, welche unter „Influenza 44 
ein nervöses Katarrhalfieber begreift. Auch 
die englischen Thierärzte unterscheiden zwi¬ 
schen eigentlicher epizootischer Pleuropneu¬ 
monie und ansteckendem Katarrhalfieber oder 
Influenza. Ich habe in meiner speciellen Pa¬ 


thologie (Hannover 1879) die Brustseuche eine 
Peripneumonia mycotica genannt, weil in den 
Krankheitsproducten Pilzbildungen nachge¬ 
wiesen wurden. Friedberger in München (cfr. 
„Zeitschr. für Veter.-Wissensch. 44 1874 u.4877) 
constatirte nämlich in dem Transsudate der 
Brusthöhle und in den erkrankten Lungentheilen 
MikrococcenundMykothrixketten mit zuckender, 
schwingender Bewegung, die er als das ent¬ 
zündungserregende Irritamentum ansieht,indem 
diese pflanzlichen Mikroorganismen die Al¬ 
veolen und das interstitielle Bindegewebe der 
Lunge reizen, die Lungencapillaren thromben¬ 
artig und embolisch verstopfen, so dass es 
zur Emigration von Blut- und Lymphe- 
bestandtheilen in der bei der Brustfellent¬ 
zündung geschilderten Weise, ebenso zu Er¬ 
nährungsstörungen des Lungengewebes kommt. 
Die Mikrococcen werden mit dem Blute auch 
anderen Organen zugeführt und bringen dort 
Obliteration der Capillaren und embolische 
Entzündung zuwege, so namentlich eine 
herdweise lobuläre Pneumonie, eine Entzün¬ 
dung des Endocardiums und der Herzklappen 
(Friedberger, Köster, Lustig, Anacker), Leber¬ 
und Darmkatarrh. Man wird sich nicht wun¬ 
dern, wenn die Mikrococcen auch deletär auf 
das Blut einwirken. Franck und Leisering 
entdeckten im Blute typhös erkrankter Pferde 
ebenfalls Baeterien und Bacterienketten. Die 
Brustseuche ist eine Infectionskranklieit, die 
sich hervorragend durch ein entzündliches 
Brustleiden, öfter mit katarrhalisch-entzünd¬ 
lichem Mitleiden des Darmcanales und der 
Leber complicirt, ausspricht und durch die 
Aufnahme eines pflanzlichen Virus in den 
Körper hervorgerufen wird, das auch das 
Contagium repräsentirt. In den meisten Fällen 
gelangt das Virus mit der Luft zuerst in die 
Luftwege, dann secundär in die Hinterleibs - 
organe, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass 
es mit den Nahrungsstoffen, besonders auch 
mit dem Wasser gleich von Hause aus Magen, 
Darmcanal und Leber inficirt. Pilze gedeihen 
am besten bei einem bestimmten Wärme- und 
Feuchtigkeitsgrade: in der Tliat sehen wir 
die Seuche in feuchten, dunstigen, schlecht 
ventilirten, unreinen, auf feuchtem, von Ex- 
crementen durchtränktem Boden befindlichen, 
mit Pferden überfüllten oder doch in grös¬ 
seren Mengen besetzten Stallungen auftreten, 
wie dies in Cavallerie-, Remonte- und Mar- 
ställen und bei Pferdehändlern, Posthaltern 
und Fuhrunternehmern häufig der Fall ist. 
Die Witterungsverhältnisse sind nicht ohne 
Einfluss auf die Entwicklung der Pilze, eine 
feuchtwarme Witterung begünstigt sie, wäh¬ 
rend eine vorausgegangene variable, rauhe 
Witterung die Pferde zur Aufnahme der Pilz¬ 
keime sehr empfänglich macht, weil auf den 
erweichten, aufgelockerten, katarrhalisch affi- 
cirten Schleimhäuten diese leicht haften und 
sich auf ihnen vermehren. In gleicher Weise 
disponiren strapaziöse Arbeiten, die Härungs- 
periode, erschlaffende, viele Feuchtigkeit hall- 
tende Nahrung zur Aufnahme des Virus, w*eil 
die Gewebe hiernach erschlaffen, leichter 
vulnerabel sind und einen gewissen Feuchtig- 


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BRUSTSEUCHE. 


11 


keitsstand besitzen, der dem Eindringen und 
Gedeihen des pflanzlichen Virus äusserst 
günstig ist. So sehen wir Pferde, die neu in 
einen Stall und damit in andere diätetische 
und hygienische Verhältnisse kommen, beson¬ 
ders wenn sie jung sind, oft zuerst in die 
Brustseuche verfallen. Eine weitere Krank¬ 
heitsursache gibt alsdann das massenhaft 
vorhandene, von den Kranken ausgehende 
Virus ab, ein Thier steckt das andere an. 
Die Contagiosität kann nicht geleugnet wer¬ 
den, viele Facta aus der thierärztlichen 
Praxis erweisen sie, wenn schon die vergeb¬ 
lichen Impf-, Fütterungs- und Bluttransfu- 
sions - Versuche mit Krankheitsproducten, 
welche Percivall, Gerard, Hertwig, Rauch, 
Dietrichs und Friedberger Vornahmen, da¬ 
gegen zu sprechen scheinen; diese Versuche 
beweisen nur, dass das Virus vom Binde¬ 
gewebe und Magen aus und im Blute nicht 
leicht zur Wirkung kommt; übrigens gelang 
es Friedberger, einige Kaninchen mit einge¬ 
impften kranken Lungentheilen zu inficiren, 
sie erlagen der Impfkrankheit. Haase führt 
in den „Vorträgen für Thierärzte 1 *, II. Serie, 
5. bis 6. Heft, eclatante und überzeugende Fälle 
von der Ansteckungsfähigkeit der Brustseuche 
von Stephan, Körber, Tetzlaff, Haselbach, 
Rauch und Spinola an; oft genug konnte die 
Einschleppung der Krankheit durch kranke 
Pferde in bisher seuchenfreie Stallungen be¬ 
obachtet und nachgewiesen werden. Das Con- 
tagium ist hauptsächlich flüchtiger Natur, es 
tritt in die Luft über und mit ihr in die 
Luftwege; Ansteckung durch Träger des Con- 
tagiums hat man nicht nachweisen können, aus¬ 
genommen seuchekranke Pferde, welche häufig 
das Contagium verschleppen ; die Empfäng¬ 
lichkeit dafür erlischt selbst bei den durch¬ 
seuchten nicht immer. Die Incubationszeit 
schwankt zwischen 3 bis 14 Tagen, Rauch 
berechnet sie sogar in einem Falle auf 4 Wo¬ 
chen, der aber nicht beweiskräftig ist, weil 
die beiden Pferde, welche die Ansteckung 
bewirkt haben sollten, selbst nicht krank, 
sondern nur auf einer Weide mit kranken 
zusammen gewesen waren. Die Brustseuche 
ist eine Ortsseuche, eine Enzootie, das Virus 
entwickelt sich unter örtlichen Verhältnissen 
auch ausserhalb des Thierkörpers, die Seuche 
kann demnach zu jeder Zeit bei uns ori¬ 
ginär entstehen. Die pathogene Wirkung 
der Pilze ist in Kürze folgende: Sie setzen 
sich mit besonderen Saugorganen oderHau- 
storien in den Geweben fest, wuchern hier zu 
vielfach sich verfilzenden Fäden (Thallus oder 
Afycelium), aus denen andere Fäden, die Frucht¬ 
faden oder Conidienträger, hervorsprossen, 
welche an ihren Spitzen Körnchen oder 
Sporen (Samen) tragen. Aus einer Zweithei¬ 
lung des Plasmas der Sporen gehen die Mikro- 
coccen hervor. Der Wucherungsprocess führt 
zu Entzündung und diphtheritischem oder 
gangränösem Zerfall der Gewebe. Als eine 
feine, leicht permeable und transportable 
Masse gelangen sie mit dem Blute in alle 
Organe, irritiren selbst die Nervencentren, 
geben durch ihre massenhafte Anhäufung in 


den feinen Blutgefässen zu Obliterationen und 
Embolien Veranlassung und üben zugleich 
durch Sauerstoffentziehung und Ausscheidung 
von Auswurfstoffen oder Erzeugung eines 
chemischen Giftes einen zersetzenden Einfluss 
auf das Blut. Wir treffen die auffallendsten 
Läsionen in den Körpertheilen an, wo Höh¬ 
lungen, Vertiefungen, Schleimhautfalten, Ver¬ 
engerungen, Klappen etc. die Fortbewegung 
der Pilzkeime erschweren, so dass sie da¬ 
selbst längere Zeit verweilen und zerstören 
der einwirken. Die Wirkung besteht in Hem¬ 
mung der Säftecirculation, Hyperämie, in den 
Zellen in Wucherung, trüber Schwellung und 
fettiger Degeneration. Mitunter leiten die Bac- 
terien nur die Krankheitsprocesse ein und 
verschwinden alsdann spurlos, wie wir dies 
von denSpirobacterien desRecurrensfiebers des 
Menschen wissen. Röll und Bruckmüller be¬ 
trachten in ihren Lehrbüchern die Brust¬ 
seuche, resp. die Influenza nicht als eine 
specifische, mykotische Infectionskrankheit, 
sondern als einen acuten, seuchenhaft auf¬ 
tretenden Bronchialkatarrh, der sich mit 
Lungen-Brustfellentzündung und mit Magen- 
und Dannkatarrh paart. 

Erscheinungen. Dem Ausbruche der 
Krankheit gehen Abgeschlagenheit, Verstim¬ 
mung des Allgemeinbefindens und Husten 
einige Tage vorher. Fieber leitet die Brust¬ 
seuche ein, die Fresslust lässt nach, die 
Schleimhäute nehmen eine höhere, dunklere 
Röthung an, häufig haben sie einen gelb- 
röthliclien Timbre und sondern mehr Schleim 
ab, der zur Nase abfliesst oder mit dem 
Husten ausgestossen wird. Die Pulse sind auf 
50—60, die Athemziige auf 18—25, die Tem¬ 
peratur auf ca. 39° gestiegen, ihre Frequenz 
steigt in der Folge erheblich, die Pulse auf 
70—90, die Athemzüge auf 30—60; auch ihre 
Qualität ändert sich im Verlauf, während 
der Puls anfänglich sich voll fühlt, wird er 
später weich, klein, selbst fadenförmig und 
unregelmässig, der Herzschlag pochend, die 
Respiration kurz, beschwerlich, pumpend, 
bauchschlägig, bei entzündlicher Affection des 
Larynx und der Trachea brummend, pfeifend, 
rasselnd. Laryngitis und Bronchitis kommen 
öfter dadurch zu Stande, dass purulente, 
jauchige Stoffe aus der Lunge in die Bron¬ 
chien und Luftröhre übertreten und beim 
Entleeren durch die Nase die Gewebe reizen. 
Die Dyspnoe ist die Ursache, dass die Pa¬ 
tienten sich nicht legen, denn das Liegen er¬ 
schwert das Athmen. Bezüglich der Symptome 
und des physikalischen Befundes des Brust¬ 
leidens, resp. der an Umfang zunehmenden 
herdweisen Pneumonie und Pleuritis verweise 
ich auf die Artikel „Brustfellentzündung“ 
und „Bronchitis 11 . Der Mist- und Harnabsatz 
ist spärlich und verzögert, der Durst grösser 
als sonst. Der Harn hat eine mehr dunkle, 
später eine milchartige Farbe, er wird trüb 
und eiweisshaltig, seine Reaction eine neu¬ 
trale oder alkalische, der beim Stehen in 
einem Gefässe sich abscheidende Bodensatz 
besteht zufolgo der Analysen Sussdorfs aus 
phosphor- und kohlensaurem Kalk und kohlen- 



12 


BRUSTSEUCHE. 


saurer Magnesia: der Gehalt des Harns an 
Phosphaten, Eiweiss und Schleim nimmt zu, 
in demselben Verhältnisse der Gehalt an 
Harnsäure und harnsauren Salzen ab. Die 
mikroskopische Untersuchung weist im Harn 
grosskernige Epithelzellen aus der Blase, 
Fibrin- und Colloidcylinder au3 den Harn- 
canälchen oder auch Gallenfarbstoffe nach 
(vergl. „Blutharnen 41 ). Meistens wird das Sen- 
sorium in Mitleidenschaft gezogen, wovon 
Mattigkeit, Trägheit, Schlaffheit, Schläfrig¬ 
keit, Aufstützen oder Herabhängen des Kopfes, 
matter Blick, Muskelzittern und Convulsionen 
Zeugniss ablegen. Auch das Rückenmark leidet 
Öfter paretisch mit, bei Bewegungen bemerkt 
man Schwanken mit dem Hintertheil. Für die 
Blutalteration sprechen schwacher, kleiner 
Puls, kirschrothe, ziegelrothe oder bleifarbige 
ecchymotische Schleimhäute, zunehmender 
Collapsus und Oedeme an den extremen Kör- 
pertheilen, für Endocarditis intermittirender 
Puls, abnorme Herzgeräusche, Ausbleiben 
eines Herztones und Dyspnoe, für Magen- 
Darmkatarrh völliger Appetitmangel, Flatu¬ 
lenz und Diarrhöe, für Enteritis und Leber¬ 
katarrh Leibschmerzen, Verstopfung, ikteri- 
sche Färbung der Schleimhäute und Empfind¬ 
lichkeit gegen Druck auf die Lebergegend. 
Gelenke und Sehnen schwellen nicht selten 
entzündlich an, auch die Augen zeigen sich 
mehr oder weniger entzündet, die Augenlider 
geschwollen, die Cornea getrübt. Ist die 
Nasenschleimhaut mitleidend, dann fliesst aus 
der Nase Schleim ab, der Ausfluss nimmt 
eine Missfarbe und üblen Geruch an, wenn 
der Schleim in den Bronchiolen und Bron¬ 
chien lange stagnirt oder die Pneumonie den 
purulenten Charakter annimmt oder in Brand 
übergeht. In grösseren Pferdebeständen greift 
die Brustseuche vermöge ihres Contagiums 
weiter um sich, neue Krankheitsfälle ereignen 
sich anfangs nach 3—7 Tagen einige, später 
fast täglich, sie können sich aber auch auf 
einzelne Pferde beschränken, was von der 
Quantität des Virus, der Individualität der 
Thiere, der Pflege und Wartung und von den 
günstigen oder ungünstigen Stall- und Witte¬ 
rungsverhältnissen abhängt. Sind alle diese 
Umstände dem Krankheitsverlaufe zuträglich, 
ist Pflege und Wartung untadelhaft, der Stall 
reinlich und luftig, die Witterung trocken, 
hell und beständig, so wird mitunter die 
Seuche schon in ihren ersten Stadien coupirt. 
Sehr übel influenciren scharfe Nordost winde, 
plötzlicher Umschlag des Wetters und nass¬ 
kaltes, stürmisches Wetter auf den Krankheits¬ 
verlauf und die Mortalität, bald sterben nur 
1—2%, bald 5—10—20%. Der Tod kann 
durch Pneumonie, Endocarditis, acuten Hydro- 
thorax, Asphyxie und Sepsis erfolgen. Nach¬ 
lässe und Verschlimmerungen wechseln öfter 
miteinander ab. Recidive gehören zu den 
Seltenheiten, häufig aber bleiben Nachkrank¬ 
heiten zurück, unter denen Verdauungsschwä¬ 
che, Asthma, paretische Schwäche oder wirk¬ 
liche Paralyse einzelner Körpertheile, Sehnen¬ 
verhärtung, Deformitäten einzelner Gelenke 
oder des Hufes hervorzuheben sind. Die Höhe 


der Krankheit steigt bis zum dritten, fünf¬ 
ten bis neunten Tage, von da ab verlieren 
die Symptome an Heftigkeit, das Fieber lässt 
nach. Munterkeit und Appetit kehren all- 
mälig zurück, in weiteren 5—14 Tagen ist 
die Genesung erfolgt, die sich allerdings bei 
schweren Complicationen noch um mehrere 
Wochen verzögern kann. Hohes Fieber (80 bis 
100 kleine, drahtförmige Pulse, Temperatur 
41—42° C.), aussetzender Herzschlag, suffoca- 
tive Respiration, vorhaltende saure Reaction 
des Harns. Krämpfe, Collaps, colliquativer 
Durchfall stempeln die Patienten zu Todes- 
candidaten. Feuchte, duftende Haut und reich¬ 
liche Entleerung eines trüben, schleimigen, 
neutral reagirenden Harnes sind als kritische 
Ausscheidungen anzusehen. 

Die Autopsie liefert folgenden Befund: 
Abmagerung; seröse Ergüsse ins subcutane 
Bindegewebe, in Brust-, Bauchhöhle, Peri- 
cardium. Hirnventrikel und Rückenmarkscanal 
von schmutzigrother oder blutiger Farbe, 
welche öfter Fibrinflocken, Mikrococcen und 
Mykothrixketten enthalten und sauer reagiren; 
blasse, serös durchfeuchtete, zellig infiltrirte, 
körnig getrübte, erweichte Muskulatur, die 
stellenweise ihre Querstreifung eingebüsst hat; 
Blutaustretungen auf Schleim- und serösen 
Häuten; Blut schwarz, syrupartig oder doch 
nur locker geronnen, es enthält besonders in 
den kleineren Venen und Capillaren des 
Herzens und der Alveolen eine Menge Mi¬ 
krococcen und Bacterien bis zur wurstartigen 
Anfüllung damit, öfter auch Hämoglobin- 
krystalle und zerfallene Blutkörperchen; die 
Schleimhäute in den Luftwegen, besonders 
auch die Glottis, bis in die Bronchiolen hinein 
entzündlich geschwollen, ecchymotisch. reich¬ 
lich mit Schleim oder Jauche bedeckt; die 
Pleura und das Pericardium mit fibrinösen Auf¬ 
lagerungen versehen, geröthet, roth und 
schwarz gefleckt, verlöthet, verschorft und 
verdickt. Lungen aufgepufft, serös-blutig und 
zellig - gelatinös infiltrirt, herdweise grau- 
röthlich oder gelbgrau hepatisirt, so nament¬ 
lich in den vorderen Lungenlappen, den un¬ 
teren Lungenpartien und an der Lungen¬ 
wurzel, öfter an einzelnen Stellen käsig er¬ 
weicht oder brandig zerfallen, die Lungen¬ 
venen stark injicirt, verdickt, mit Thromben 
angefüllt, öfter geborsten; Herz erweicht, 
dilatirt, öfter fettig degenerirt, Endocardium 
und Klappen dunkel geröthet, feinkörnig ge¬ 
trübt, roth und schwarz gefleckt (nach Lustig 
ist die Endocarditis öfter das Cardinal- 
symptom, ohne dass Abnormitäten im Be¬ 
reiche des Respirationsapparates nachgewiesen 
werden können; Endocarditis ist ein ständiger 
Begleiter der Brustseuche); die Leber hyper- 
ämisch, geschwollen, streifig oder gleichmässig 
dnnkel geröthet, Leberzellen öfter fettig de¬ 
generirt, die Schleimhaut in den Gallengängen 
katarrhalisch aufgetrieben und verdickt; in 
ähnlichem Zustande wie die Leber befinden 
sich die Nieren; die Milz öfter etwas aufge¬ 
trieben, aber nicht erweicht ; die Schleimhaut 
des Darmcanals aufgelockert, hyperämisch, 
stellenweise fleckig oder gleichmässig ge- 



BRUSTSTICH. 


13 


röthet, zeitig infiltrirt, ihres Epithels ver¬ 
lustig, Darmdrüsen geschwollen und hypcr- 
ämisch, mitunter exulcerirt; Lymphdrüsen 
hyperämisch aufgetrieben, markartig dege- 
nerirt. 

Die Diagnose ist durch den Infections- 
gang, die kurz aufeinander folgenden Er¬ 
krankungen, das entschieden ausgesprochene 
entzündliche Mitleiden der Brustorgane, die 
ikterische Färbung der Schleimhäute und die 
häufigen Complicationen gesichert. Als weiteres 
diagnostisches Merkmal bezeichnet Friedberger 
die saure Reaction des serösen Transsudats, 
das bei einer nicht contagiösen Pleuropneu¬ 
monie alkalisch reagirt, und das Vorhanden¬ 
sein von Mikrococcen und Bacterien. Es han¬ 
delt sich nur um die Verhütung einer Ver¬ 
wechslung mit der eigentlichen Influenza, 
einem leichteren, contagiösen, seuchenhaft auf¬ 
tretenden Katarrh, oder der Pferdestaupe. 
In dieser Beziehung ist Folgendes zu be¬ 
merken: Die Pferdeseuche, Pleuropneumonia 
contagiosa, ist eine einheimische Seuche, die 
sich bei uns autochthon entwickelt, die In¬ 
fluenza eine fremdländische, von auswärts im- 
portirte Seuche, deren specifisches Contagium 
viel flüchtiger und inficirender ist als das der 
Pferdeseuche, sie tritt plötzlich in Erscheinung, 
die contagiöse Pleuropneumonie unter deut¬ 
lichen Prodromen. Die Erkrankung an der 
Influenza oder Pferdestaupe ist eine leichte, 
Complication mit Pneumonie und acutem Hy- 
drothorax gehört zu den Seltenheiten, die 
Schleimhaut des Auges ist ödematös infil¬ 
trirt, nicht gelbröthlich, die meisten Patienten 
seuchen durch, nur äusserst wenige sterben 
(1—2%), sie befällt fast sämmtliche Coha- 
bitanten eines Stalles. Die Pleuropneumoniker 
erkranken viel ernstlicher, sie alle schweben 
mehr oder weniger in Lebensgefahr. 

Behandlung. Vor allen Dingen ist für 
Reinlichkeit, reine, frische Luft, gute Pflege, 
wenn möglich für Aufenthalt im Freien zu 
sorgen, die Wände, Krippen und Raufen sind 
hin und wieder mit Carbolwasser zu bespritzen 
oder abzupinseln, die Kranken von den Ge¬ 
sunden sofort zu separiren; auch Chlor¬ 
räucherungen im Stalle empfehlen sich. Das 
Futter muss leicht verdaulich sein, im Ge¬ 
söff können Säuren, am besten Carbolsäure 
oder carbolsaures Natron gegeben werden. ! 
Statt der Ableitungen auf die Brustwand 
applicire man energisch kalte Begiessungen 
und Umschläge, um die Körpertemperatur 
herabzusetzen, ihre Wirkung ist durch Kalt- 
wasserklystiere zu erhöhen. Der Aderlass 
unterbleibt am besten, er schwächt zu viel, 
da die Patienten ohnehin zur Adynamie hin- 
neigen. Deshalb sind auch Antiphlogistica 
nur vorsichtig anzuwenden, am meisten zu 
empfehlen ist der Tart. stib. zu 15*0 g pro 
die, mit Kali chlor, und Natr. subsulfuros., 
alle vier Stunden repetirt. Als Roborantien 
empfiehlt Haubner Kampher und Digitalis, 
Köhne Ol. Terebinth. mit Tart. stib. und Kali 
earb., Rodloff Calomel und Kampher, Andere 
Ferr. sulfur., Cupr. sulf., Solutio arsenic., 
China, Kampferspiritus, Aether, Carbolsäure 


(1*0—3 0—9*0 :100*0 Wasser), Salicin, Aloe, 
Plumb. acet., Alaun, Ingwer, Nux vomica, 
Alkohol, Ol. phosphorat. 0*15—3*0 pro die, 
Aconit etc. Die englischen Thierärzte hüllen 
die Patienten in Decken ein, welche in heisses 
Wasser eingetaucht wurden; über die nassen 
Decken werden trockene gelegt. Von Zeit zu 
Zeit werden die Decken wieder in heisses 
Wasser getaucht oder damit begossen, aber 
nach 1—2 Stunden entfernt, worauf die Haut 
trocken gerieben und mit Seifenliniment und 
Opiumtinctur eingerieben wird. Dieses Ver¬ 
fahren soll während einiger Tage zweimal 
täglich in Anwendung kommen. Krüger be¬ 
nützte das Natrium jodicum subcutan, u. zw. 
0*50—0*75 auf 10*0—12*0 Aqua destill., 
täglich zweimal; im Getränke kann Natr. 
salicylic. 20*0 gegeben werden. In hoch¬ 
gradigen Fällen von acutem Hydrothorax wirkt 
die Punction der Brusthöhle oft lebensrettend. 
Nach dem Erlöschen der Brustseuche sind 
die Stallungen genügend zu desinficiren. Anr 
Bruststich, Thoracocentese, ist eine Ope¬ 
ration, welche im Durchstechen der Brustwand 
zum Zwecke der Entleerung angesammelter 
Flüssigkeiten besteht. An und für sich ist der 
Bruststich weniger gefährlich, insoferne Vor- 
sichtsmassregeln gegen das Eindringen von 
Luft in den Pleuralsack getroffen werden. Die 
Operation wird meistens bei acuter und chro¬ 
nischer Brustwassersucht mit starken Athem- 
beschwerden ausgeführt, und es werden dazu 
Trocarts kleineren Kalibers, mit Hähnen ver¬ 
sehen, verwendet. Diese Trocarts, als Brust- 
trocarts bezeichnet, kommen in verschiedenen 
Constructionen vor, worunter derjenige von 
Langdouzi (Fig. 289) als besonders praktisch 



Fig. 289. Brusttrocart von Langäuuzi 


erwähnt wird, welches Instrument eine getheilet 
Canule besitzt. Das Eindringen der Luft kann 
damit leicht vermieden werden, indem an dem 
gekrümmten Theile eine kurze Kautschukröhre 
befestigt und dann in ein mit Wasser gefülltes 
Glas eingetaucht wird, was übrigens mit einem 





14 BRUSTTHEE. — BRUSTWASSERSUCHT. 


einfachen Hahntrocart, wenn auch weniger 
bequem, ebenfalls ausgeführt werden kann 
(Fig.290). Derselbe Zweck wird mit demBrust- 
trocart vom Schuh, dem ein sog. Trog (Fig. 291) 
beigegeben ist, erreicht, indem der Trog mit 



Fig. 290. Senkrechter Thorax-Darchschnitt • a comprimirte 
Lange, b Exsudat, c Herz, d Trocartcaiulo mit Kaatachuk- 
rohr. 



Fig. 291. Schulischer Trog. 


Wasser gefüllt wird. Der Abfluss der Flüssig¬ 
keit muss langsam geschehen, damit die Cir- 
culationsverhältnisse Zeit haben, sich auszu¬ 
gleichen, weshalb die vielfach empfohlene 
Anwendung der Säugpumpe von Dieulafoy 
weniger geeignet erscheint. Der Einstich ge¬ 
schieht beim Pferd zwischen der sechsten und 
siebenten oder siebenten und achten Rippe, 
beim Rinde ebenfalls, beim Schweine zwischen 
der siebenten und achten oder achten und 
neunten und beim Hunde zwischen der fünften 
bis neunten Rippe. Es wird der mit dem 
Zeigefinger begrenzte Trocart unmittelbar über 
der äusseren Brustvene nach vorhergegan¬ 
genem Abscheren der Haare senkrecht ein¬ 
gestochen. Berdcz . 

Brustthee. Früher übliche bestimmte Mi¬ 
schungen von Arzneimitteln, welche bei Kehl¬ 
kopf-, Bronchial- und Lungenerkrankungen 
katarrhalischer Art von günstiger Wirkung 
sind — Species pectorales, wie z. B. Eibisch, 
Malven, Leinsamen, Bockshornsamen, Süss¬ 
holz, Wollblumen, Wasserfenchel, Enula, 
Kalmus, Anis u. s. w. Jetzt verordnet man 
diese und ähnliche Stoffe ganz dem Einzel¬ 
fall entsprechend (s. daher Expectorantia). VI. 

Brustuntersuchung, s. Auscultation und 
Percussion. 

Brustverletzungen in gerichtsthierärzt¬ 
licher Beziehung zerfallen in leichte, schwere 
und tödtliche. Die leichten Verletzungen be¬ 
treffen nur die Haut und Brustmuskulatur, 
ohne in die Brusthöhle zu dringen, oder be¬ 
stehen in kleinen, scharfen, durchdringenden 


Schnitt- und Stichwunden ohne Verletzung 
der Brustorganc und grösserer Gefässstämrae. 
Zu den schweren Brustverletzungen gehören 
grosse, penetrirende Brustwunden, complicirt 
mit Rippenbrüchen, Verletzungen der Lungen 
und des Zwerchfells und grösserer Blut¬ 
gefässstämme mit Eindringen von Luft in den 
Thorax, Blutungen und Vorfällen der Bauch¬ 
eingeweide in die Brusthöhle, traumatische 
Pleuriten und Pneumonien. Tödtlich sind alle 
Brustverletzungen mit gleichzeitiger Ver¬ 
letzung des Herzens und der grossen Gefäss- 
stämme (Aorten, Hohlvenen, Lungenarterien. 
Lungenvenen). Zerreissung des Schlundes und 
Eintritt von Futterstoffen und Getränken in 
die Brusthöhle, Zerreissungen der Nevi Vagi 
und Phrenici und des Ductus thoracicus 
(s. Verletzungen). Scmmer. 

Brustwassersucht, Hydrothorax s. Hydrops 
pectoris (v. 58t»p, Wasser: foopocj = pectus, 
Panzer, Brust). Jede Ansammlung von Serum 
in der Brusthöhle wird Brustwassersucht ge¬ 
nannt. Dem Verlaufe und der Dauer nach 
unterscheidet man die acute Brustwassersucht 
als Begleiterin der Brustfellentzündung von der 
chronischen, Wochen und Monate anhaltenden 
als Nachkrankheit der Pleuropneumonie oder 
als Symptom einer allgemeinen Hydrämie oder 
hydropischen Krase, die darin besteht, dass im 
Verlaufe chronischer Krankheiten, bei welchen 
der Organismus durch Säfteverluste geschwächt 
wird und das Blut an festen und plastischen 
Stoffen verarmt, die wässerigen Bestandtheile 
im Blute überhandnehmen und unter verstärk¬ 
tem Blutdrucke aus den überfüllten Gefässen 
hindurch gepresst werden. Den acuten Hydro¬ 
thorax hat man seines Gehaltes an Fibrinogen 
wegen auch den lymphatischen oder heissen, 
Hydrops calidus, den chronischen, mehr wäs¬ 
serig-dünnen den serösen oder kalten. Hydrops 
frigidus, genannt. Ursachen, Entstehungsweise 
und Behandlung sind dieselben wie die der 
Bauchwassersucht und der Brustfellentzündung, 
weshalb wir darauf verweisen. Die Brust¬ 
wassersucht tritt am häufigsten bei Pferden und 
Hunden nach Pleuropneumonie und Pericarditis 
auf, bei anderen Thieren ist sie meistens ein 
secundäres Leiden anderer chronischer, zur 
hydropischen Krase führender Krankheiten. Das 
im Thorax vorhandene Serum belästigt zu¬ 
nächst die Lungen; anfangs schwimmen sie 
auf dem Wasser, bei zunehmender Menge 
tauchen sie im Serum unter, werden compri- 
mirt und in Folge der Compression hyper- 
ämisch, serös-zeilig infiltrirt und endlich atel- 
ektatisch. Das Herz wird ebenfalls in seinen 
Bewegungen behindert und seine Muskulatur in 
Folge seröser Durchtränkung der Fasern in 
seiner Contractionskraft geschwächt, wie dies 
auch bei den Intercostal- und Zwerchfellmuskeln 
der Fall ist. Die Todesursache ist deshalb theils 
in der Dyspnoö und Aspbyxie, theils in Herz¬ 
lähmung und Marasmus zu suchen. 

Symptome. Diese gestalten sich je nach 
den primären Leiden, aus denen sich die 
chronische Brustwassersucht entwickelt, etwas 
verschieden. Da, wo sie aus einer Pleuritis 
hervorgeht, lässt Schmerz und Fieber nach, die 


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BRUSTWURZEL. — BÜBALUS. 


15 


beim Athmen festgestellten Rippen treten wie¬ 
der in Action, das Athmen wird dabei mehr 
and mehr mühsamer, bauchschlägig, die Athem- 
noth zwingt zum Aufreissen der Nasenlöcher 
und zu beständigem Stehen, wenigstens ver¬ 
mögen die Patienten das Liegen nicht lange 
auszuhalten. Die Schleimhäute verlieren ihre 
Röthe, werden mehr blass und wässerig auf¬ 
gedunsen, der Puls wird klein und weich, der 
Herzschlag prickelnd, flächenhaft oder nur rechts 
fühlbar, das Blut staut sich in den Jugularen 
an, Oedeme zwischen den Kieferästen, an Brust- 
und Bauch stellen sich ein, die Schwäche nimmt 
zu. Grössere Wasseransammlung verräth sich, 
ausser den bei der Brustfellentzündung ange¬ 
führten physikalischen Merkmalen, durch un- 
dulirendes Plätschern und kluckende Geräusche, 
wenn man die Brustwand durch kurze Stösse 
erschüttert, oder wenn man kleinere Thiere auf 
das Hintertheil setzt. Der rapide Verlust des 
Blutes an Wasser erregt einen lebhaften Durst, 
es wird deshalb gern viel Getränk aufgenommen, 
obschon nur wenig Ham abgesetzt. Die Nutrition 
wird hiebei erheblich beeinträchtigt, die Ab¬ 
magerung macht schnelle Fortschritte, Haare 
und Wolle werden trocken und glanzlos, die 
Patienten gehen an allgemeiner Entkräftung 
nach einigen Wochen, öfter erst nach mehreren 
Monaten ein. Auf Genesung ist nur zu hoffen, 
wenn die Wasseransammlung keinen hohen 
Grad erreicht und die Patienten noch ziemlich 
kräftig sind, indess werden den Reconvale- 
scenten oft noch Recidive verderblich, die sich 
am leichtesten bei nasskalter, rauher Witterung 
und nach kärglicher, proteinarmer Fütterung 
einfinden. Bei der chronischen Brustwassersucht 
ist in der Regel das vorhandene Serum hell 
und klar, öfter aber wird es trüb und fibrinös, 
wenn neue schleichende, entzündliche Anfälle 
sich ereignen; dementsprechend vermissen wir 
meistens auf der Pleura alle phlogistischen Er¬ 
scheinungen, sie ist im Gegentheil blass und 
wässerig aufgedunsen. Die Paracentese der 
Brust erleichtert die Patienten, sie muss aber 
öfter wiederholt werden, weil sich immer wieder 
neues Transsudat ergiesst; soll sie wirksam 
sein, so muss sie in den ersten Stadien ge¬ 
macht werden. Hunde leiden gewöhnlich zu¬ 
gleich an Herzbeutel Wassersucht; es muss dann 
auch der Herzbeutel punktirt werden. Das 
Verfahren der Paracentese und die bei ihr 
nöthigen Cautelen s. u. Bruststich Anacker. 

Die Brust- und Bauchwassersucht 
der Frucht besteht in einer zunehmenden 
Ansammlung von serösen Flüssigkeiten in der 
Brust- und Bauchhöhle. Brust- und Bauchhöh¬ 
lenwassersucht können gleichzeitig, oder es 
kann, und zwar meist die Bauchwassersucht 
ohne gleichzeitige Brustwassersucht bestehen. 
Früchte mit blosser Höhlenwassersucht werden 
meistens ausgetragen und bedingen je nach der 
Menge des angesammelten Wassers eine ver- 
schiedengradig erschwerte Geburt. Die Höhlen¬ 
wassers acht derFrucht kann erst bei derenGeburt 
mit Sicherheit diagnosticirt werden. Besteht 
neben der Höhlenwassersucht zugleich Haut¬ 
wassersucht, so heisst man derart erkrankte 
Kälber — man beobachtet nämlich diesen 


morbiden Zustand nur bei Kälbern — Speck¬ 
oder Mond- oder Wasserkälber. Die Ursachen 
der fötalen Wassersucht liegen höchst wahr¬ 
scheinlich in fötalen Kreislaufsstörungen und 
dadurch bedingten Stauungen im Systeme der 
Hohlvenen, sowie wohl auch in fötalen Nieren¬ 
erkrankungen. Strebei. 

Brustwurzel, echte Engelwurz, s. Ar 
changelica officinalis. 

Brut nennt man in der Zoologie die 
Nachkommenschaft eierlegender Thiere; in 
der Botanik werden Ausläufer, Wurzelsprossen, 
junge Zwiebeln so genannt. 

Bryonia alba, schwarzbeerige Zaunrübe, 
Hundsrübe, Tollrübe, Gichtrübe, bei uns 
überall an Zäunen mit 3—4 m langen Sten¬ 
geln umherrankende Cucurbitacee L. XXI. 42; 
herzförmig gezähnelte, fünflappige, mit scharfen 
Haaren besetzte Blätter; einhäufige gelbgrüne 
Blüthen, Doldentrauben, schwarze Beeren. Die 
armdicke, rübenförmige Wurzel (Teufelskir¬ 
schen- oder Faulrübenwurzel), 

Radix Bryoniae, enthält ein scharf 
bitteres Glykosid, Bryonin, das ähnlich der 
Aloö oder Coloquinthen stark abführt, etwas 
harntreibend ist und aus diesem Grunde 
als Drasticum hydragogum bei Hinterleibs¬ 
stockungen, Darmstasen, Leberschwellungen, 
Wassersüchten, selbst Epilepsie bis vor Kurzem 
auch in der Veterinärmedicin Anwendung ge¬ 
funden hatte. Das Gleiche gilt von der 

Bryonia dioica, die jedoch zweihäufige 
Blüthen treibt und rothe Beeren trägt; beide 
haben ihrer ungleichen und nicht zuver¬ 
lässigen Wirkungen wegen jetzt der Aloe 
weichen müssen, gelten aber nichtsdesto¬ 
weniger in der Homöopathie als sichere 
Mittel. Vogel. 

Bubalus, Büffel, Säugethier aus der 
Ordnung der Paarzeher, Artiodactyla, Unter¬ 
ordnung der Wiederkäuer, Ruminantia, Familie 
der Hohlhörner, Cavicornia, Unterfamilie der 
Rinder, Bovina. Die Büffel unterscheiden sich 
von anderen Rindern durch schwach behaarten 
Körper, das bis zur Kante des Hinterrandes 
der Nasenlöcher unbehaarte Nasenfeld, die 
gewölbte Stirn und Hörner, welche abge¬ 
plattet oder kantig, meist von dreieckigem 
Querschnitt, nach hinten gerichtet sind. Das 
Verbreitungsgebiet der Büffel erstreckt sich 
über Afrika, Ostindien und die Sunda-Inseln 
bis Celebes, in gezähmtem Zustande auch 
über Südeuropa. Die verschiedenen Arten der 
Gattung lassen sich in drei Untergattungen 
theilen, die auch geographisch auf bestimmte 
Ländergebiete sich vertheilen. 

4. Probubalus. Rütim. Diese Unter¬ 
gattung vermittelt den Uebergang der Anti¬ 
lopen zu den Rindern. Der Schädel ist lang, 
die Parietalzone ausgedehnt und schief nach 
der Stirnhöhe aufsteigend, von der Hinter¬ 
hauptfläche winkelig abgesetzt. Die Hörner 
haben einen dreikantigen Querschnitt mit ver- 
ticaler Aussenseite und sind gerade, mehr 
oder weniger nach hinten gerichtet, an der 
Basis geringelt. Diese Form tritt schon in 
den mioeänen Ablagerungen der sivalischen 



16 


BUBO. — BUCHECKERN. 


Hügel am Südabhang des Himalaja auf und 
ist noch in einer Art, dem Probubalus cele- 
bensis Rütim. (Anoa depressicornis), auf der 
Insel Celebes bis in die Jetztzeit erhalten. 

2. Büffelus. Hier ist der Schädel aus¬ 
gezeichnet durch die nach allen Seiten gleich- 
mässige Wölbung der Stirn, den allmäligen 
Uebergang der Stirn in das Occiput, die 
gegenüber den Rindern noch bedeutende Aus¬ 
dehnung der Parietalfläche. die knotigen 
Hörner, welche nach unten flach und oben 
stumpfknotig sind, wenden sich seitwärts und 
abwärts mit mehr oder weniger starker Krüm¬ 
mung nach hinten; die Hornbasis ist stark ge¬ 
runzelt, die Spitze glatt. Der Gesichtstheil 
ist langgestreckt. Die Arten dieser Gattung 
leben noch wild in Indien und auf dem indi¬ 
schen Archipel. Fossil finden sich die ersten 
Reste in spättertiären Ablagerungen (1er Siva- 
likhügel als Bubalus sivalensis Rütim. dann 
in den pliocänen Ablagerungen des Ner- 
buddathales in Indien, B. palaeindicus Falk, 
eine kleinere Form, welche sehr nahe mit dem 
vorigen verwandt ist, B. Pallasii Rütim. fand 
sich im Diluvium von Danzig. Von lebenden 
Vertretern kommt in Ostindien und Ceylon 
der gemeine Büffel, B. indicus, vor, von dem 
eine Varietät, B. arni Sh., existirt, deren 
Hörner eine Divergenz von 2 m erreichen 
können. Der B. indicus wurde schon in frü¬ 
heren Zeiten in Indien gezähmt und als Zug¬ 
thier benützt, von da scheint er frühe nach Per¬ 
sien verbreitet worden zu sein. Trotzdem dass 
Reste eines mit dem indischen Büffel wahrschein • 
lieh identischenThieres in diluvialen Ablagerun¬ 
genitaliens gefunden wurden, war im Beginn dei 
historischen Zeit der Büffel in Südeuropa un¬ 
bekannt, ebenso auch in Aegypten. Erst am 
Ende des VI. Jahrhunderts scheint der zahme 
Büffel von Kleinasien aus nach Italien ge¬ 
bracht worden zu sein, wo er sich nur lang¬ 
sam vermehrte. Gegenwärtig wird der zahme 
Büffel in Indien, Kleinasien, Afghanistan, 
Armenien, am kaspischen und schwarzen Meere 
und in Aegypten gehalten. In Europa trifft 
man ihn in Italien, Ungarn, den unteren Donau¬ 
ländern und Griechenland. Er wird haupt¬ 
sächlich als Zugthier benützt, in Aegypten 
auch der Milch und des Fleisches wegen ge¬ 
halten. Die zweite Form der Untergattung 
Buffelus ist der Sundabüffel, Bubalus son- 
daicus Schl., Karbau. Er unterscheidet sich 
durch schwächeres, mehr nach hinten ge¬ 
richtetes Gehörn und hellere Farbe von dem 
gemeinen Büffel. Gezähmt und verwildert auf 
den Inseln des malayischen Archipels und in 
Indien. 

3. Bubalus s. s., die Gruppe der Afrika 
bewohnenden Büffel, zeichnet sich aus durch 
weniger abgeplattete Hörner, welche an der 
Basis bedeutend anschwellen und schliesslich 
die ganze Stirnfläche einnehmen können. Der 
Gesichtstheil des Schädels ist mehr verkürzt 
und zugespitzt als bei den vorigen. Eine Art 
fossil im Diluvium von Algier, Bubalus anti- 
quus. Lebend in Centralafrika. B. brachyceros 
Gray, in Südafrika, B. caffer L., beide Arten 
nur wild. Studer . 


Bubo (6 ßooßtt>v, die Drüsen neben der Scham, 
bei Hippokrates besonders die geschwollenen 
und entzündeten Leistendrüsen), 1. die ge¬ 
schwollene Leistendrüse, wie sie bei bösartigen 
infectiösen Genitalerkranknngen auftritt; 2. viel¬ 
fach auch für andere Drüsenbeulen gebräuch¬ 
lich. Sussdorf\ 

Bubonokele (6 ßooßtuv, die Leisten¬ 
gegend, und : t\ xtqXyj, Bruch), Leistenbruch, 
Geschwulst in der Leistengegend. Sussdorf 

Buccinator, Bucinator, der die gewundene 
Trompete (bucina) Blasende. Uebertr. für 
Backenmuskel als dem beim Trompetenblasen 
besonders in Anspruch genommenen Muskel. Sf 

Buch, s. Magen der Wiederkäuer. 

Bu charisches Pferd. Die Reisenden, welche 
die grosse und kleine Bucharei durchwandert 
haben, berichten, dass sie dort eine weit 
ausgedehnte und zum Theil auch ziemlich 
sorgfältig betriebene Pferdezüchtung gefunden 
hätten. Nach neueren Beschreibungen der 
bucharischen Pferderasse gehört dieselbe mit 
zu den besten des Orients, jedenfalls übertrifft 
sie beiweitem die Turkomanen-Rasse. •— Nach 
Fitzinger’s Meinung sind die bucharischen 
Rosse aus der Kreuzung der hyrkanisch-per¬ 
sischen mit tangunischen Pferden hervor¬ 
gegangen, da sie in Bezug auf Form und 
Eigenschaften eine Verwandtschaft mit beiden 
zu erkennen geben. Man rühmt ihre stolze 
Haltung, ihren Muth, die Lebhaftigkeit und 
den raschen Gang; es wird sogar berichtet, 
dass sie fort und fort springen (galopiren?), 
sich häufig bäumen, im Gange drehen, aber 
alle diese Bewegungen mit grossem Geschick 
und Anstand ausführen. Solche Thiere er¬ 
fordern selbstverständlich sehr tüchtige Reiter, 
die sich aber auch unter der dortigen Be¬ 
völkerung viel häufiger als bei uns finden 
mögen. — Der Gang der bucharischen Pferde 
steht in der Mitte zwischen Pass und Galop, 
kann vielleicht Halbpass genannt werden, und 
ist derselbe bei den Tataren in der Bucharei 
ganz besonders beliebt. Die Farbe dieser 
Pferde wird verschieden angegeben; Schecken 
sollen unter ihnen oft Vorkommen und gern 
gesehen sein, weil diese gerade von in¬ 
dischen Händlern beim Ankauf bevorzugt 
werden. Aber auch andere Haarfärbungen 
sind nicht selten. In der Bucharei kommen 
viele Thiere der kirgisischen Rasse vor, die 
jedoch meistens geringer geschätzt werden 
als die echten Bucharen, weil sie weniger 
Milch zur Kumysbercitung liefern sollen. 
Von anderer Seite wird wieder berichtet, dass 
die Kirgisenstuten sich durch grosse Milch- 
ergiebigkeit auszeichnen. Freytag. 

Bucharisches Schaf, s. Zackeischaf. 

Bucheckern und Bucheikuchen als 
Futtermittel. Die Samen der Buche (Fagus 
sylvatica) gehören zu den sog. schädlichen Kör¬ 
nerfrüchten, indem sie erwiesenermassen den 
Pferden, Eseln und Maulthieren giftig sind. 
Sie enthalten nämlich einen alkaloidartigen 
Körper, das sog. Fagin. Sie sind überdies 
wegen ihrer harten Schale schwer verdaulich, 
werden aber wegen ihres Oelroichthums in 



BUCHECKERNVERGIFTUNG. — BUCHWEIZEN. 


17 


grossen Mengen gesammelt und behufs Oel- 
gewinnung entweder im geschälten oder un¬ 
geschälten Zustande ausgepresst. Die Press¬ 
rückstände aus den geschälten Bucheckern 
gehören zu den stickstofireichsten Futter¬ 
küchen, während die aus ungeschälten Samen 
viel weniger nährstoffreich und überdies hart, 
holzig und schwer verdaulich sind. Es ent¬ 
halten : 

Bucheikuchen 



ungeschält 

geschält 

Trockensubstanz. 

79-3—90 0% 
ira Mittel 83’9 „ 

87-5% 

Protein. 

. 15*8—24*0,, 

im Mittel 18*2 „ 

371 „ 

Fett . 

... 0*4—11 *7 ,, 

im Mittel 8*3 „ 

7*5 „ 

stickstofffr. Extract- 


Stoffe. 

. . 21*6—36*3 „ 
im Mittel 28*3 

«9*7 „ 

Rohfaser. 

... 20 8 —26 2 „ 
im Mittel 23 *9 „ 

5*5 „ 

Asche.. 

. 8*2 

7*7 „ 


Die Bucheikuchen, wie auch die Bucheckern 
haben sich besonders zu Mastzwecken (Schweine 
und Rinder) vortrefflich bewährt und sind 
ein gut verwendbares Kraftfutter für Milch-, 
Arbeite- und Schafvieh. Den Pferden, Eseln 
und Maulthieren sind auch die Bucheikuchen 
unzuträglich. Pott\ 

Bucheckernvergiftung. Die Buchein, 
Buchnüsse oder Bucheckern unserer Buchen¬ 
wälder, für gewöhnlich nur als Schweine¬ 
futter benützt, enthalten neben dem wohl¬ 
schmeckenden Speise- und Brennöl ein nar¬ 
kotisch giftiges Princip, das in den Press¬ 
rückständen (Bucheckernkuchen) besonders 
stark zum Ausdruck kommt und merkwürdiger¬ 
weise für Pferde tödtlich ist, während es an¬ 
deren Thieren nur in sehr grossen Quantitäten, 
wie sie gar nicht verfüttert werden, verderblich 
ist. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in 
Kolikzufallen, Athmungsnoth bei hoch ge¬ 
steigertem Puls und Schweissausbruch, worauf 
Reactionserscheinungen vom Nervensystem 
folgen, bestehend in Zittern, Convulsionen, 
stierem Blick, Mydriase, Taumeln und schliess- 
licher Lähmung des lumbalen Theiles vom 
Rückenmark, welcher Paralyse heftige Wuth¬ 
ausbrüche, tetanische Suffocationserscheinun- 
gen vorherzugehen pflegen, denn der Into- 
xicationstod geht vom Athnmngscentrum aus, 
wo sich auch grössere Hyperämien gewöl^ilich 
ausbilden. Die ganzen Buchein sind ihres 
starken Oelgehaltes wegen unschädlich und 
können selbst Pferden zu mehreren Pfunden 
täglich unbedenklich verfüttert werden, die 
Presskuchen tödten aber ähnlich den Senföl¬ 
kuchen schon zu 2—3 Pfund. 

Literatur: „Magazin fOr die ge*. Thierh.,“ 1858, S. 42; 
1859, S. 456. — „Lander, Zeitung“ ton Wolf 1868, Nr. 20. — 
Dammann, Lehrbuch der Gesundheitspflege, Berlin 1883, 
S. 519. Vogel. 

Buchentheer, Pix liquida fagea, s. Pix 
liquida. 

Buchmagen, s. Magen der Wiederkäuer. 

Buchmüller A. L., Dr., wurde 1813 Pro- 

Koch. Encjklop&die d. Thierheilkd. 11. Bd. 


fessor für Thierarzneikunde an der Univer¬ 
sität zu Lemberg und 1823 Professor am 
Thierarznei-Institute zu Wien. Buchmüller 
gab heraus: 1829 sein „Systematisches Hand¬ 
buch der Arzneimittellehre für Thierärzte und 
Oekonomen“, Handbücher über Chemie und 
Naturlehre, 1836, 1845. 1840 erschien von 
ihm eine „Allgemeine Pathologie und The¬ 
rapie der Hausthiere“. Semmer. 

Buchoz P» J., Dr. med., gab 1770—1775 
ein „Dictionnaire vötdrinaire et des animaux 
domestiques* 1 in sechs Bänden mit 60 Ab¬ 
bildungen, eine Schrift über Hausvögel (1782) 
und eine „Mödicine des animaux domestiques“ 
(1783) heraus. Semmer . 

Buchs oder Buxbaum, gemeiner, s. Bu- 
xus 8empervirens. 

Buchweizen als Futtermittel. Die 
Buchweizenpflanze oder das Heidekorn (Poly- 
gonum fagopyrum, s. d.) wird allein, häufiger 
aber im Gemenge mit einer Sommerhalntfrucht 
behufs Grünfuttergewinnung oder sie wird als 
Körnerfrucht angebaut. Sie liefert sogar auf 
sehr mageren Böden sehr hübsche Futter¬ 
erträge. Die grüne Buchweizenpflanze enthält: 


12*5-17 4 


4*5— 
0*5 — 
5*1 — 


3*2 

0*8 

7*4 


4 3— 4-4 


im Mittel 

od. 15*0% 
„ 2 4 „ 
., 0*6 „ 
H ö-4„ 

4*8 * 
1*4., 


Trockensubstanz 

Protein 

Fett 

stickstofffr. Extract- 
stoffe 
Holzfaser 
Asche 


Bezüglich seiner Verdaulichkeit dürfte sich 
der grüne, in der BlÜthe gemähte Buchweizen 
ähnlich wie Rothklee (in der Blüthe gemäht) 
verhalten. Er ist aber viel wasserreicher und 
wegen seines Wasserreichthums nicht einmal 
als alleiniges Futter für Rindvieh geeignet. 
Man darf dem Rindvieh davon nicht mehr als 
50 kg per 1000 kg Lebendgewicht geben, und 
es muss bei Erreichung des bezeichneten 
Maximalquantums das übrige Futter trocken 
sein. Milch und Butter nehmen bei starker 
Buchweizenfütterung eine schöne gelbe Farbe 
an. Schafen ist der in der Blüthe gemähte, 
als Grünfutter verabreichte Buchweizen mit¬ 
unter schädlich. Geradezu gefährlich für die¬ 
selben ist der in der Stoppel aufgelaufcnc Buch¬ 
weizen, welcher daher mit Schafen nicht, und 
ebensowenig mit Schweinen, beweidet werden 
darf. Herrscht beim Beweiden des Buch¬ 
weizens starke Sonnenhitze, so werden die 
Schafe und Schweine häufig von Tobsucht, 
Schwindelzuständen, Kopfanschwellungen, Ju¬ 
cken der Haut u. dgl. befallen, Krankheits¬ 
erscheinungen, welche mitunter sogar einen 
tödtlichen Verlauf nehmen. Für Pferde ist 
grüner Buchweizen seiner Wässerigkeit wegen 
bestenfalls nur als Nebenfutter in ganz ge¬ 
ringer Menge geeignet. Die Umwandlung des 
grünen Futters in Heu bereitet seines grossen 
Wassergehaltes wegen zu viel Schwierigkeiten. 
Ueberhaupit wird Buchweizen meistens als Kör¬ 
nerfrucht gebaut. Die Buchweizenküruer ent¬ 
halten : 


9 







18 


BUCHWEIZENAUSSCHLAG. — BUCKELOCHS. 


in Mittel 


84*6—96*2 od. 86*8% Trockensubstanz 


8*6 — 11*2 „ 

10-1 „ 

Protein 

0*9— 2*7 „ 

1*5„ 

Fett 

52*1 — 72*7 „ 

»9 5 „ 

stickstofffr Eitract- 
stoffe 

1*5 — 40*2 „ 

ISO,, 

Holzfaser 

— — 

1-8 „ 

Asche 


Sie sind nicht gerade sehr stickstoffhal¬ 
tig, jedoch holzfaserreich, gehören daher za 
den weniger werthvollen, schwer verdaulichen 
Körnerarten. Sie sind aber immerhin ein gut 
verwendbares Nebenfutter für Zugpferde, 
Schafe, Milchvieh und Mastrinder und ein 
Kraftfutter ersten Ranges für Schweine (Auf¬ 
zucht, Mast- und Zuchtthiere). Bei den Wieder¬ 
käuern und Schweinen rufen indessen auch die 
Buchweizenkörner, wie die anderen Bestand- 
theile dieser Pflanze, wenn in grösserer Menge 
verzehrt, ausser den oben bezeichneten krank¬ 
haften Erscheinungen Verstopfungen, Harn¬ 
zwang, Krämpfe, Fieberzustände, Blasenhals¬ 
entzündungen, Blasenentzündungen, Schwel¬ 
lung und Röthung der Magen- und Darm¬ 
schleimhaut, Blutanhäufung in den Lungen und 
im Gehirn hervor. Weisse und weissbunte Thiere 
sind den bezeichneten Erkrankungen in höherem 
Grade unterworfen, und es treten diese wäh¬ 
rend des Winters nicht so leicht als im 
Sommer auf. Gemeinhin hält man sogar die 
Buchweizenfütterung im Winter für ganz ge¬ 
fahrlos, räth aber doch, damit vorsichtshalber 
mindestens zwei Wochen vor dem Weide¬ 
beginne aufzuhören. Besonders zu erwähnen 
wäre ferner die Buchweizenkleie. Sie enthält: 
im Mittel 

79 ’ 1 — 86 • 8 od. 84*0 % Trockensubstanz 


11*6 — 

18*5 


15-0 „ 

Protein 

2*8 — 

4*7 

ii 

3-5 „ 

Fett 

33*8— 

51*4 

ii 

*3 0 „ 

stickstofffr. Extract- 
stoffe 

10*0— 

28 3 

ii 

19-0 „ 

Holzfaser 

— 

— 


3'4 „ 

Asche 


Die Buchweizenkleie ist relativ protein¬ 
reich und trotz ihres nicht unbedeutenden 
Rohfas ergeh altes ein sehr gutes Mastfutter 
für Schweine. Mit Milch gekocht leistet sie 
für die Ferkelaufzucht vortreffliche Dienste. 
Sie ist jedoch häufig mit Unkrautsamen, 
Sand u. dgl. verfälscht. Im Uebrigen gehört 
das Buchweizenstroh zu den werthvolleren 
Futterstrohsorten. Es enthält: 

im Mittel 

84*5—90*3 od. 89*0% Trockensubstanz 


31- 5*5 

ii 

*i „ 

Protein 

1*3— 1*6 

ii 

f* „ 

Fett 

29*9—37*1 

ii 

3*'9 „ 

stickstofffr. Extract- 
stoffe 

35*3—51*8 

ii 

**•3 „ 
so,, 

Rohfaser 

Asche 


Es ist zwar rohfaserhaltiger als die meisten 
Getreidestrohsorten, daher wahrscheinlich 
etwas schwerer verdaulich als diese, ist aber 
dafür meistens proteinreicher. Das Stroh taugt 
am besten für Schafe und Rinder und bildet 
für diese ein schätzenswerthes Nebenfutter. 
Vorsicht in Bezug auf die zu verabreichenden 


Quantitäten ist bei der Buchweizenfütterung 
unter allen Umständen geboten. Pott. 

Buchwelzenauaachlag , Fagopyrismus 
(vonPolygonum fagopyrum, der Buchweizen). Bei 
Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen ent¬ 
zündet sich zuweilen die Haut nach dem Ge¬ 
nüsse von Buchweizen, sobald sie in die Sonne 
kommen. Es ist mithin kein Ausschlag vor¬ 
handen, sondern nur eine Hautentzündung, ein 
Erythem. In solchen Fällen entwickelt sich nach 
dem Genüsse des Buchweizens eine erhöhtere 
Thätigkeit der Blutbewegung, dasselbe strömt 
in ungewöhnlicher Menge zur Haut, die von den 
Sonnenstrahlen gereizt und erwärmt wird. Die 
Congestion zur Haut wird erst durch Bewegung 
und Sonnenhitze angeregt, denn das Erythem 
bleibt gewöhnlich aus, wenn man die Thiere im 
Stalle und im Schatten hält, also gegen die Ein¬ 
wirkung der Sonne schützt. Wir haben es also 
mit einem Erythema solare zu thun. Einzelne 
wollen das Buchweizen-Erythem auch im Stalle 
beobachtet haben; es bleibt in solchen Fällen 
fraglich, ob nicht der Buchweizen vielleicht 
mit Rostpilzen befallen war, die sich in der 
Haut festsetzen und sie entzünden. Beispiele 
hiezu liefert das Beweiden befallenen Klees, 
nach dem sich zuweilen die Haut der unteren 
Fusstheile rothlaufartig entzündet Die Haut 
erscheint bei dem Fagopyrismus an mehr oder 
weniger ausgebreiteten Stehen gleichmässig 
oder streifig höher geröthet wohl auch etwas 
aufgetrieben, wenn es zu leichter Transsudation 
in das Corium und das subcutane Bindegewebe 
kommt. Gewöhnlich geht das Erythem (von 
ipoffatvciv, röthen) in 8—12 Stunden wieder 
vorüber, ohne anderweitige Nachtheile zu hinter¬ 
lassen; es ist damit eine fieberhafte Aufregung 
des Pulses, Beschleunigung der Respiration 
und ein brennendes Gefühl verbunden, es ver¬ 
schwindet unter Abschuppung der Epidermis. 
Nur selten steigert sich die Entzündung bis 
zur Bläschenbildung. Congestionen zum Kopfe 
finden dabei gern statt. Die Thiere zeigen dann 
Eingenommensein des Kopfes, Stumpfsinnigkeit 
oder Aufregung, je nachdem das Gehirn oder 
die Meningen hyperämisch sind,Tobsuchtsanfalle, 
Taumeln nnd Drängen nach rück- oder seit¬ 
wärts; Schafe sah man sogar apoplektisch ver¬ 
enden. Zuweilen halten die Erscheinungen ein 
paar Tage an, zu denen noch ein leichter Ka¬ 
tarrh hinzutreten kann. Gewöhnlich werden nur 
die weisshaarigen Hautstellen vom Erythem 
heimgesucht, weil das schwarze Haar das Licht 
abstrbirt. Ruhe und kühles Verhalten genügen 
in therapeutischer Hinsicht meistentheils, stär¬ 
keres Mitleiden des Sensoriums erheischen Ader¬ 
lass und kalte Befeuchtungen des Kopfes. Anr. 

Buckelochs oderZeburind, Bos indicus. 
Die Heimat desselben ist (nach Wagner) ein 
grosser Theil von Südasien und Afrika. Ob 
Vorderindien als eigentlicher Stammsitz des 
Buckelochsen bezeichnet werden kann, wie 
von verschiedenen Autoren angenommen wird, 
steht noch dahin. Er weicht vom Hausrinde 
Europas in mehreren Punkten, so z. B. im 
Habitus, in der Form, Stellung und Rich¬ 
tung der Hörner, sowie in der Lebens¬ 
weise, in der Stimme etc. ab. Ganz beson- 



BÜCQUET. — BUDJADINGER RIND. 


19 


ders charakteristisch ist für diese Species 
der Fettbuckel oder Höcker auf dem Wider¬ 
rist, welcher bei guter Ernährung sehr um¬ 
fangreich und schwer werden soll. Dieser 
Buckel wird aber nicht — wie beim Wisent 
— durch eine Verlängerung der Dornfortsätze 
der letzten Hals- und vorderen Rückenwirbel, 
sondern einfach durch starke Ablagerungen 
von Fleisch und Fett gebildet. Der Zoolog 
Link nannte das in Ostafrika vorkommende 
Zeburind Bos dante und behauptete, dass der 
Yerbreitungsbezirk dieser wichtigen, höchst 
interessanten Species weit grösser sei, als 
man früher angenommen habe. Auch neuerdings 
wurde von Afrikareisenden berichtet, dass die 
Zeburinder dort sehr weit verbreitet sind. 
So z. B. finden sich sehr schöne Rassen der¬ 
selben in Nubien, Dongola und Sennar. In 
Süddongola und der Bahindasteppe trifft man 
nur noch Buckelochsen. Die alte ägyptische 
Langhomrasse, besonders die leierbömige, 
gleicht durchaus dem Sanga der Abessynier; 
ihm fehlt zwar — sagt Brehra — der hohe 
Fettbuckel, indessen ist dieser auch beim 
reinen Buckelochsenschlage Innerafrikas oft 
nur sehr schwach entwickelt. Der Hausthier¬ 
garten in Halle a. S. ist seit Jahren im 
Besitze mehrerer Prachtexemplare der Sanga- 
Rasse, welche einen ziemlich hohen Buckel 
tragen. Bezüglich der Farbe wird angegeben, 
dass sowohl Schwarzschecken, Rothschecken, 
Braune und Schwarze in Afrika vorkämen. 
Ganz wei8sc Zebus, die in Indien oft bemerkt 
werden, sollen aber in Afrika selten sein. 
Die Thiere dieser Art differiren in der Grösse 
ganz bedeutend. In den fruchtbaren Landes- 
theilen Acthiopiens, sowie auch in einigen 
Bezirken Ostindiens erreichen dieselben eine 
bedeutende Grösse (l‘50m und darüber); an 
anderen Orten sieht man hingegen ganz kleine, 
zierliche Thiere — die sog. Zwerg-Zebus — 
welche kaum i m hoch werden. Die grossen 
Thiere Indiens, besonders die Brahminen- 
Zebus, werden hoch geschätzt und zum Theil 
heilig gehalten; andere werden zum Fahren 
und Reiten benützt, sollen auch zuweilen den 
Postdienst besorgen, und die kräftigsten 
Schläge finden zum Lasttragen oftmals Ver¬ 
wendung. Die meisten Zebus besitzen eine 
ganz eigenthümliche Kopfform, gewöhnlich 
lang und schmal mit gerader Nasenlinie und 
hübschen, lebendigen Augen. Ihre Hörner 
sind von sehr verschiedener Länge und in der 
Regel gleich vom Grunde aus seitlich aufwärts 
gerichtet. Es sollen auch ungehörnte Rassen 
in Indien Vorkommen, ja selbst einige, bei 
welchen die sehr kurzen Hörnchen — ohne 
Hornzapfen — lose am Kopfe niederhängen 
(Hengefeld). Endlich ist noch bemcrkenswerth, 
dass viele Zebus grosse herabhängende Ohren 
und eine feine, weiche Haut mit kurzem 
Deckhaar besitzen. Das Hintertheil der afri¬ 
kanischen Zebus ist auffällig kurz, sehr ab¬ 
schüssig und erscheint bei guter Pflege eigen¬ 
tümlich abgerundet. Alle Reisenden rühmen die 
grosse Gelehrigkeit dieser Thierart; sie sollen 
geschickter, schneller und ungleich gewandter 
als unsere europäischen Hausrinder sein. 


Ebenso lobt man die Mastfähigkeit und zarte 
Fleischqualität der Zebus. Die Milchergiebig¬ 
keit der Kühe soll stets zu wünschen übrig 
lassen, die Qualität der Milch aber gut sein. 
Blyth hat ferner noch besonders hervorge¬ 
hoben, dass die Buckelochsen in der Lebens¬ 
weise sich nicht unerheblich vom europäischen 
Rinde unterschieden; sie suchten in ihrer 
Heimat selten den Schatten auf und gingen 
niemals freiwillig in das Wasser. Kreuzungen 
der Zebus mit Europäern sind schon in 
älterer Zeit mit bestem Erfolg ins Werk ge¬ 
setzt und neuerdings im Hafie’schen Thier¬ 
garten die verschiedenartigsten Paarungen vor¬ 
genommen worden, die fast ausnahmslos eine 
hübsch geformte Nachzucht geliefert haben. 
Es zeigten sich hier auch die Halbblutthiere 
(z. B. Gayal Sanga) zur Fortpflanzung befä¬ 
higt; ein weibliches Thier dieser Kreuzung 
ist jetzt (November 1884) tragend und ist 
der Erfolg dieser doppelten Kreuzung abzu- 
warten. Frey tag. 

Bucquet J. B. M., Dr. med., schrieb 
1778 über den nachtheiligen Einfluss ver¬ 
schiedener Gasarten auf Thiere. Setnmer. 

Buda-Pest. Veterinärschule, gegründet 
1786. Gegenwärtiger Director v. Thanhoffer. 
Lehrkörper: Azary, Szabo, Varga, Koloman, 
Liebermann, Kraussz. Semmer. 

Budd R. H. gab 1816 in England ein 
Buch über Hufkrankheiten und Hufbeschlag 
heraus. Semmer. 

Budjadinger Rind. Der ziemlich fruchtbare 
Landstrich an der Jahde und Heere, im Kreise 
Ovelgönne des Grossherzogthums Oldenburg, 
ist überall wasserreich und die Luft ge¬ 
sund; er eignet sich ganz besonders zur Zucht 
eines grossen Rindviehschlages, welcher sich 
dort auch seit ältester Zeit eines guten Namens 
erfreut. Die Einwohner sind Friesen und zei¬ 
gen als solche für die Viehzucht eine ganz 
besondere Vorliebe, für den Ackerbau aber 
wenig Geschick; dieser wird meistens etwas 
vernachlässigt. Das Budjadinger Rind, in der 
Regel schwarz und weiss gescheckt, gehört 
zu den schwersten Schlägen der norddeutschen 
Niederungsrasse; ausgewachsene, gut ernährte 
Kühe derselben erreichen nicht selten ein 
Lebendgewicht von 700—750 kg, die Stiere 
werden 900—1000 kg schwer. In der Körper¬ 
gestalt hat dieser Vichschlag grosse Aehn- 
lichkeit mit dem holländischen; der Kopf 
ist noch etwas schwerer, breiter, der Hals 
stärker und häufig bewammt. Die Hörner sind 
ziemlich stark und oftmals mit den Spitzen 
nach vorn aufgerichtet; doch kommt auch das 
sog. Kneifhorn nicht selten bei ihnen vor. 
Die Aufwölbung ihres Rippenkorbes, sowie 
Breite, Stärke und Länge des Hintertheiles 
sind untadelhaft. Die Stellung der Hinter¬ 
beine könnte etwas besser sein. Das Euter 
der Kühe ist in der Regel sehr umfangreich, 
auch die übrigen Milchzeichen lassen nichts 
zu wünschen übrig, und es gehören diese Kühe 
unstreitig zu den besten im nördlichen Deutsch¬ 
land. Milcherträge von 3500—45001 jährlich 
gehören bei guter Ernährung nicht zu den 
Seltenheiten. Die Qualität der Milch ist von 



40 BUDJADINGER SCHAF. — BUJESER RIND. 


mittlerer Güte. Budjadingen liefert ansehn¬ 
liche Quantitäten Butter für den Grosshandel. 
Die Ochsen des fraglichen Schlages eignen 
sich zum Zuge besser als die Holsteiner und 
Holländer und werden daher auch häufig zur 
Feldarbeit herangezogen. Ihre Mastfähigkeit 
ist gut. Der Viehbandel steht in jenem Land¬ 
striche in hoher Blüthe; es werden sowohl 
"viele Rinder, wie auch frisch milchende Kühe 
an die benachbarten Provinzen und Länder 
abgegeben. Freytag. 

Budjadinger Schaf, s. Marschschaf. 

Büffel, s. Bubalus. 

Bügelhufeisen. Kurzweg Bügeleisen ge¬ 
nannt. Ein Hufeisen, an dessen unterer Fläche 
ein Bügel mit drei Stützen derartig verbunden 
ist, dass eine Stütze am Zehentheile und die 
zwei anderen je eine am Schenkelende des 
Eisens mittelst Stollschrauben befestigt sind. 
Die einzelnen Stützen des Bügels sind unge¬ 
fähr so lang, als der betreffende Huf weit 
ist, sie vereinigen sich in der Mitte, und 
dieser Vereinigungspunkt dient dem mit 
dem Eisen beschlagenen Hufe als Stütze. Das 
Bügelhufeisen ist #in chirurgisches Heilmittel. 
Es wird auf den Huf des gesunden Schenkels 
aufgeschlagen, um den kranken Schenkel 
(z. B. behufs Dehnung der Beugesehnen) zum 
Durchtreten zu zwingen. Wird selten ver¬ 
wendet. Eine zweite, einfachere Form zeigt 
eine mehr oder weniger hohe bogenförmige 
Vorstülpung beider Schenkelenden. Sie wird 
benützt, um kranke Sehnen und Gelenke 
während der Behandlung zu unterstützen. 
Einfacher, aber ebenso zweckmässig ist ein 
Eisen mit entsprechend hohen Stollen. Vergl. 
auch Sehnen-Unterstützungs-Eiscn. Lungwitz. 

Bündtner Schwein. In Uri und Ober¬ 
wallis, im sog. Bündtner Lande, kommt nach 
Tschudi's Angaben eine Schweinerasse unter 
obigem Namen vor, welche klein und zierlich, 
stets von schwarzer oder grauschwarzer Fär¬ 
bung ist und sehr gefällige Körperformen be¬ 
sitzt. Die Bündtner Schweine gehören zur 
Gruppe der romanischen Schweine und haben 
grosse Aehnlichkeit mit mehreren italienischen 
Rassen, Am gut gebildeten Kopfe stehen die 
Ohren aufrecht, die Beine sind fein und kurz, 
das Borstenhaar wird nicht sehr stark. Im 
Sommer leben diese Thiere ausschliesslich 
auf den Bergen von dem Weidegrase; im 
Winter werden sie im Stalle regelmässig gut 
gefüttert; sie mästen sich leicht und liefern 
stets feines Fleisch und wohlschmeckende 
Schinken. Die Fruchtbarkeit der Sauen soll 
eine befriedigende, aber nicht zu grosse sein. 
— Die eigentlichen schwarzen und Veltliner 
Schweine Bündtens sind Thiere der sog. Lodi- 
liasse; sie zeichnen sich durch ihre Schwere — 
54—56 kg — so vortheilhaft aus, dass sie die 
kleine Oberländer Rasse wahrscheinlich bald 
verdrängen werden. Frey tag. 

Bürzeldrüse. Die Bürzeldröse (Glandula 
uropygii) ist eine bei den meisten Vögeln 
vorkommende zweilappige Drüse, welche ihre 
Lage über den Schwanzwirbeln an der Stelle 
hat, wo sich die Spulen der grossen Steuer¬ 
federn des Schwanzes in die Haut einpfianzen. 


Sie vertritt die in der Haut der Vögel gänz¬ 
lich fehlenden Talgdrüsen und sondert eine 
fettige Schmiere ab, welche zur Einölung des 
Gefieders verwendet wird, so dass letzteres 
vom Wasser nicht durchtränkt werden kann. 
Die Bürzeldrüse erscheint demgemäss am 
stärksten entwickelt bei den Schwimmvögeln, 
während sie bei vielen anderen Vögeln mehr 
oder minder verkümmert und bei den zur 
Classe der Strausse gehörenchen, vielen Papa¬ 
geien u. 8. w. ganz fehlt. Sie besitzt bei den 
Gänsen und Enten zwei besondere Ausführungs¬ 
gänge und enthält glatte Muskelfasern; letztere 
umspinnen zahlreiche Drüsenschläuche, welche 
in den jede der beiden Drüsen durchziehenden 
Canal einmünden. Müller . 

Buffbohne, s. Vicia faba. 

Buffon. Georg Louis Ledere, Corate de 
B., geb. 7. September 4707 zu Montbard in 
der Bourgogne, widmete sich dem Studium 
der Naturwissenschaften, durchreiste mit dem 
jungen Herzog von Kingston Frankreich, 
Italien und England, wurde 1739 Intendant des 
Jardin du Roi in Paris und verwendete grossen 
Fleiss auf Bearbeitung einer umfassenden Na¬ 
turgeschichte, wurde' von Ludwig XV. in 
den Grafenstand erhoben und starb zu Paris 
16. April 1788. Ihm wurde in seinem Geburts¬ 
orte ein Denkmal gesetzt und in den Champs 
ölvsöes in Paris 1856 eine Bronzestatue er¬ 
richtet. Sein grösstes, unvollendetes Werk: 
„Histoire naturelle göndraleet partioulifere,“ ist 
eine bedeutende Arbeit, welche grosse Be¬ 
achtung und Anerkennung gefunden hat. — 
Buffon empfahl schon vor 140 Jahren den 
Viehzüchtern, rechtzeitig Blutauffrischungen 
bei ihren Heerden vorzunehinen, damit eine 
Rassenausartung vermieden würde. An vielen 
Orten kann eine aus der Fremde eingeführte 
Rasse nur dann auf die Dauer fortbestehen. 
wenn sie durch gelegentliche und wiederholte 
Blutauffrischung vor Ausartung bewahrt wird. 
Settegast sagt: „Das ist das Wahre und 
Wesentliche der Lehre Buffon’s, die so oft 
verdreht und verketzert worden ist. Man wollte 
in ihr die Empfehlung gedankenlosen Kreuzens 
herausfinden, während sie doch nur ausführte, 
dass die Blutauffrischung das sichere Mittel 
gewährt, der Rassenausartung vorzubeugen. “Fg. 

Buggelenk, s. Gelenke. 

Buggelenksl'ähme, s. Schulterlähme. 

Buiater, Buiatros (abgel. v. ^ ßoö?, Rind, 
und 6 iax-rip, resp. tarpos, Arzt), Rindvieh¬ 
arzt. Sussdorf. 

Buiatrik (abgel. v. rj ßoö<;, Rind, und 
y; altpcxTj, Heilkunde), Rindviehheilkunde. Sf 

Bujeser Rind. In dem Bezirke Buje in 
Istrien kommt ein Rindviehschlag unter dem 
obigen Namen vor, der vor etwa 100 Jahren 
aus der Kreuzung des alten Istrianer Land¬ 
viehes mit dem grossen, schweren Rinde der 
römischen Campagna entstanden sein soll. 
Derselbe ist wie dieses in der Regel von grau- 
weisser Farbe, zuweilen auch weissgelb oder 
lichtgrau gefärbt und erinnert sowohl in diesem 
Punkte, wie in der Körpergestalt nnd Nutz¬ 
barkeit an die römischen Stammverwandten. 
Die Thiere sind von stattlicher Grösse und 


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BUKAREST. — BULGARISCHE VIEHZUCHT. 


21 


Kraft, liefern im Zuge recht Befriedigendes; 
die Kühe sind aber schlechte Milchgeberinnen; 
es wird jedoch auf diese Eigenschaft in jenem 
Bezirke niemals grosser Werth gelegt; man be¬ 
gnügt sich mit der guten Arbeitsleistung der 
Bujeser Ochsen und nützt endlich das Fleisch 
derselben verhältnissraässig gut aus. Im ganzen 
Küstenlande von Istrien werden fast aus¬ 
schliesslich die Rinder des fraglichen Schlages 
zur Feldarbeit herangezogen und nur aus¬ 
nahmsweise Thiere anderen Schlages dazu 
verwendet. Freitag. 

Bukarest. Veterinärschule, gegründet 1861, 
Staatsanstalt, welche dem Ackerbauministe¬ 
riumunterstellt ist. Die Unterrichtsdauer währt 
fünf Jahre. Das Lehrercollegium besteht aus 
sieben Professoren. Gegenwärtiger Director 
Prof. A. J. Locusteano. Kh. 

Bukephalos und Bucephalus (v. 6 ßo»$, 
Ochs, oder ßoo, Ausdruck des Grossen, und 
r k xesaVq, Kopf, ochsenköpfig, grossköpfig). Sf. 

Bucephalus. ein thessalisches Pferd, 
welches dem König Philipp von Macedonien 
für 13 Talente angeboten und später von 
Alexander dem Grossen gebändigt wurde, 
u. zw. in der Weise, dass er seinen Schatten 
nicht gegen das Pferd gehen liess. Plutarch 
erzählt, dass der Bucephalus in der Schlacht 
mit Ponus ums lieben kam. Nach Arrian 
wurde er nur vei wundet und lebte noch 
30 Jahre. Bucephalus soll eine sehr breite 
(Ochsen-) Stirn gehabt und hiernach seinen 
Namen bekommen haben. Das Pferd war 
schwarz und besass einen weissen Stern am 
Kopfe. Nach dem Tode des Bucephalus liess 
Ihm zu Ehren Alexander der Grosse eine 
Stadt bauen, die er Bucephalia nannte, und 
um das Grab des Pferdes wurden schöne Häuser 
errichtet. Freytag. 

Bulbus (urspr. lat., dann auch ins Griech. 
übertr. h ßoXßo's), Knolle, Zwiebel, ein in 
der anatomischen Sprache beliebter Terminus 
zur Bezeichnung kugeliger Gebilde, wie B. 
oculi, Augapfel, B. olfactorius, Riechkolben, 
B. pili, Haarzwiebel, B. urethrae, Harnrührcn- 
zwiebel. Sussdorf. 

Bulbus, Zwiebel, ist in der Botanik 
der unterirdische, monocotyledonische Stamm 
gewisser Pflanzen, z. B. der Laucharten, 
Porree, Küchenzwiebel, Schalotte, der Herbst¬ 
zeitlose, der Scilla maritima u. s. w., aus einem 
fleischigen Körper (Discus), der nicht selbst 
zum Stengel auswächst, vielmehr nach oben 
stengeltreibende Knospen, nach unten Wurzel¬ 
fasern entwickelt, und den diesen anschliessen¬ 
den Schäften bestehend, welche nach innen 
mehr fleischig (Schuppen), nach aussen trocken 
papierartig (Häute) erscheinen. Den Haupt¬ 
bestandteil bilden die fleischigen, scheiden- 
oder schuppenfönnigen Blätter. 

Unter Knollen, Tubera, versteht man 
den verhältnissmässig dicken, kugelförmigen, 
fleischigen, unterirdischen Theil der Hauptaxe 
(Stengel), der entweder in einem einzigen 
Knollen, z. B. bei Colchicum oder Tuber 
Jalapae, endigt oder aus demselben Zweige 
absendet, wie bei der Salep, Sonnenblume 
oder Kartoffel. Vogel. 


Bulbus arteriosus. Das erweiterte Stück 
am Herzen, in dein der Ursprung der arteriellen 
Gefässe liegt. Beim Fischherzen ist er mit 
einer muskulösen Wandung, aus spindel¬ 
förmigen Muskelfasern bestehend, versehen. 
Er verhindert, dass der Blutdruck zu stark 
auf die Wandungen der feinen Kiemenschlag¬ 
adern und deren Verzweigungen einwirke, 
nimmt das arterielle Blut auf und befördert 
dasselbe durch eine gleichmässige Contrac- 
tion in die Kiemenschlagadern. Schenk. 

Bulgarische Viehzucht. Von den ver 
schiedenen Ländern und Provinzen an der 
unteren Donau ist bekanntlich das neue 
Fürstenthum Bulgarien mit 1162 geogr. Qua¬ 
dratmeilen oder 68.972 Quadratkilometer und 
einer Bevölkerung von 1,998.060 Seelen ganz 
besonders günstig für Ackerbau und Vieh-; 
zucht. Der Boden des Landes ist an den 
meisten Orten überaus fruchtbar und liefert 
einen Ueberfluss an Getreide (Mais, Weizen. 
Roggen, Gerste, Hafer und Hirse), ferner: 
viele Bohnen, guten Tabak und sehr wohl-> 
schmeckenden Wein. Die Waldarea ist um¬ 
fangreich und zum Theil recht schön be¬ 
standen. Von den Hausthieren werden der 
Zahl nach am meisten Schafe gehalten, doch 
ist leider das Wollproduct derselben nur von 
untergeordnetem Werthe. Die Anzahl der 
Ziegen soll dort eine ansehnlich grosse sein, 
und der Milchertrag derselben wird ziemlich 
hoch — zu 2—3 1 per Tag — angegeben. 
Neben Schaf und Ziege sind Büffel und Rinder 
wichtige Hausthiere für die bulgarische Be-» 
völkerung, und in einigen Districten wird ein 
brauchbares, wenn auch nur kleines Pferd, 
gezüchtet. Hauptsächlich werden nach Kanitz’ 
Angaben an der Jantra sehr schöne Pferde 
gezogen, während das Hornvieh, für dessen 
Verbesserung die türkische Regierung nicht 
das Geringste gethan hat, nur von massig 
kräftigem Mittelschlage ist und der südeuro¬ 
päischen Steppen-Rasse (Bos primigenius) 
angehört. Auf der Reise von Kazanlik über, 
den Travnabalkan nach Tirnovo sah jener 
Forscher auffallend kleine Rinder, welche 
mit den riesigen Stämmen und Kronen der 
Nussbäume merkwürdig contrastirten: es 
wäre dort, als wenn Vegetation und Fauna 
zwei verschiedenen Schöpfungsaltern ange¬ 
hörten. In Sistover Bezirk wurde die Vieh¬ 
zucht früher sehr schwunghaft betrieben, 
bildete dort die Haupteinnahmsquelle der 
bulgarischen Stadt- und Landbevölkerung,, 
wurde aber später wieder durch das ihr zum 
Zwecke der Tscherkessenansiedlung entzogene 
Weideland erheblich reducirt. Erst in der 
allerneuesten Zeit hat sich die Viehzucht je¬ 
nes Bezirkes wieder gebessert. Auch der 
Feldbau litt früher durch die mangelnde 
Aussaat, und es war durch die verkehr¬ 
ten Massregeln des türkischen Regiments 
zu befürchten, dass Bulgariens gesegneter 
Boden dem traurigen Schicksal der anatoli- 
schen Provinzen anheimfallen könnte. Vor 
den höchst primitiven Ackerwerkzeugen — 
Pflug und Egge — gehen entweder Rinder 
oder Büffel und nur ausnahmsweise Pferde; 



H BULGARISCHE VIEHZUCHT. 


letztere werden zur Reiterei oder als Last- 
thiere benützt. Kneza und die gleichfalls be¬ 
deutende Viehzucht treibenden Ortschaften 
Jenica, Strupen, Brenica, Vranjak und Ternak 
verdanken die Bedingung ihrer Existenz der 
mit zwei Armen sie durchfliessenden Gostilica, 
welche bei Staronievci in den lsker fallt. In 
der Hochebene des reichen Kamenogel (130 
Bulgarengehöfte) und seiner isolirten Tscher- 
fcessencolonie sah Kanitz viele Rindvieh- und 
Pferdeheerden von schönem Schlage. Auf dem 
Passe von Ginci bemerkte er auf üppigen 
Matten viele schöne Viehheerden. Die Ziegen 
finden dort im reichwuchernden Eichen- und 
Haselnussgebüsch ergiebige Nahrung. Aus der 
Umgebung von Lakatnik wanderten seit der 
Tscherkessen-Colonisation viele Viehzüchter 
nach dem Kajo Rahovo aus, denn mit der 
Etablirung dieser räuberischen Nomaden er¬ 
schien der Balkandzi (Bewohner der Balkan¬ 
halbinsel) Haupterwerb, die Viehzucht, welche 
als Cardinalbedingung vollste Sicherheit der 
oft nur von Knaben gehüteten Heerden voraus¬ 
setzt, arg bedroht. Trotzdem besass Lakatnik 
▼or Jahren noch die grosse Zahl von 40.000 
Schafen und 3000 Ziegen. Auch das jenseitige 
Osikovo zählte gleich viele Hausthiere dieser 
Art. Die einst im Vracaer Kreise blühende Rind¬ 
viehzucht litt vorzüglich durch die Wegnahme 
der besten Weideplätze von Seite der Tscher- 
kessen; nach glaubwürdigen Daten sank sie 
in zehn Jahren von 200.000 auf 80.000 Haupt, 
wodurch selbstverständlich der türkische Fis- 
cus damals sehr geschädigt wurde. Westlich 
von Berkovica beginnt der Anstieg in Cur- 
ven über jene grasreichen Sporne des Bal¬ 
kans, welche diese Stadt ringförmig um¬ 
geben und ihre prächtigen Viehheerden auf 
das beste nähren. Bei dem grossen Türken¬ 
dorfe Korak-Köi in wildromantischer Lage 
fand Kanitz hohe Zäune mit starken Pfahl¬ 
thoren, welche wahrscheinlich zur grösseren 
Sicherung des zahlreichen Vieh Standes er¬ 
richtet waren. Der fruchtbare Boden steht 
dort meist unter Anbau mit Hanf, Hafer, Mais, 
dazwischen sieht man auch schöne Obst¬ 
bäume, kleine Laubgehölze und ausgedehntes 
Wiesen- und Weideland. Letzteres begünstigt 
in jener Gegend den starken Heerdenstana; 
Büffel, Rinder, Schafe, seltener Pferde, weiden 
in grossen Trapps auf saftigen Triften jener 
Landschaft. Nicht leicht — sagt unser Ge¬ 
währsmann — kann man sich ein lieblicheres 
Landschaftsidyll denken, dazu die hübsche 
Staffage der Bauern und deren Kinder, welche 
in bunter Tracht von jener der städtischen 
Moslims abweicht. Ebenso trifft man auch in 
dem anmuthigen Thale von Bujukdere mitten 
zwischen prächtigen Korn- und Maisfeldern, 
Weingärten, Obst- und Eichenwäldchen schöne 
Heerden von Büffeln, Rindvieh. Schafen und 
Ziegen, welche sich auf saftigen Wiesenplänen 
umhertumraeln. Jene Landschaft muss überaus 
prächtig sein, denn Kanitz sagt wörtlich: 
„Man konnte sich leicht in Oberitalien glauben. 
Gegen Süden erscheint der Eichwald dichter, 
die Ortschaften liegen im Schatten tief ein- 
gcrissener Qucrthäler versteckt und im Hinter¬ 


gründe schliessen die Profile des Balkans von 
Sliven das ernste, an Kärnten erinnernde 
Landschaftsbild. 41 In der entzückenden Gegend 
von Bigirli, südlich vom Preslavbalkan, wel¬ 
cher der belebende Wechsel von Wasser, 
Weide, Feldern und Obstbäumen, von be¬ 
waldeten Bergen mit leicht gewelltem Terrain 
wunderbaren Reiz verleiht, wird trotz des 
guten Bodens für das stark bevölkerte Thal 
selbst in guten Jahren nur der nothwendige 
Bedarf an Brotfrucht producirt: bei mittleren 
Ernten werden Mais und Weizen auswärts 
gekauft: dahingegen ist dieser Bezirk unge¬ 
mein reich an schönen Viehheerden und sein 
Rohhäuteverkauf nach Osmanbazar sichert 
ihm allein schon alljährlich eine bedeutende 
Einnahmequelle. Auch in der Umgebung von 
Kazanlik gibt es zahlreiche Rinder- und Schaf- 
heerden, welche ihren Besitzern gute Rente 
liefern. In den gemischt bulgarisch-türkischen 
Ortschaften Tatarköi und Koperan findet sich 
ein reicher Heerdenstand; ausgedehnte Gras¬ 
flächen zwischen Eichenwäldern begünstigen 
deren zweckmässige Ernährung. Auf der Hoch¬ 
ebene von Balcik wird alljährlich im Juni 
ein Waaren- und Thiermarkt abgehalten, auf 
welchem die Züchter der Umgegend ihre an¬ 
sehnlich grosse Zahl von Pferden nebst Rind 
und Kleinvieh zum Kauf ausbieten. Der Kosa 
allein soll 140.000 Schafe guter Rasse und 
6700 Ziegen besitzen. Von den Producten 
des Balciker Kreises werden namentlich Kir¬ 
schen, Quitten und Honig gerühmt; letzterer 
wanderte früher häufig als werthvolles Ge¬ 
schenk nach Konstantinopel. Die Mehrzahl 
aller mitgetheilten Daten empfing Kanitz — 
auf Befehl des Kaimakam — von einem 
griechischen Mauthbeamten; doch hörte er 
von anderer glaubwürdiger Seite, dass der 
oben angegebene Viehbestand des Kreises 
noch bedeutend grösser sei. Auf dem Hochr 
lande unweit Osmanbazar (mit schönen 
Wiesenflächen) ist der Viehreichthum sehr 
ansehnlich. Der Reisende, welcher nicht an 
Ansehen verlieren, vom guten Willen der 
Localbehörden abhängen, weder häufigen 
Aerger noch Geld- und Zeitverluste erleiden 
will, muss sich auf dem primitiven Boden der 
Balkanhalbinsel eigene Pferde beschaffen. Zu 
den allerschlimmsten, oft sehr peinlichen 
Auftritten gehören dort Pferderequisitionen: 
man versucht es, dem Reisenden halbblinde, 
lahme, hustende und störrige Thiere mit der 
Betheuerung aufzunöthigen, dass es keine 
anderen im Dorfe gäbe. Am rechten Ufer 
eines bis vor zehn Jahren noch ungekannten 
dritten Lomarmes, welchen Kanitz nach dem 
Hauptorte des neuen Gebietes „Banicka-Lora u 
nannte, fand er sehr schönes Ackerland. Der 
Culturboden lohnt hier vortrefflich. Die 
Herbstaussaat von Körnerfrucht gibt eine 
reiche Ernte, die man bereits im Juni ein¬ 
bringt. Durchschnittlich wird der zehnfache 
Ertrag des Samenkornes gewonnen; Roggen 
bringt in der Ebene gewöhnlich den zwölf¬ 
fachen und Mais sogar 200- bis 400fachen 
Ertrag; dies Alles, trotzdem der Feldbau 
mit Geräthen betrieben wird, die jenen der bib- 


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BULGARISCHE VIEHZUCHT. 23 


lischen Zeit gleichen, und obschon der Boden 
keinen anderen Dünger erhält, als den die auf 
den abgemähten Acker getriebenen Viehheerden 
zurücklassen. Die Wohlhabenheit jener Land¬ 
schaft bekundet ganz besonders der auffallend 
reiche, nahe den Ortschaften auf fetten Triften 
sich umhertreibende Rindviehbestand. Einige 
grössere Tschifflikbesitzer geben ihr Weide¬ 
land in Winterpacht. Vom October bis zum 
Mai grasen hier die von den SommergTas- 
plätzen im Balkan herabziehenden Heerden, 
wofür von den Züchtern derselben ein hüb¬ 
sches Stück Geld bezahlt wird. Im stark ge¬ 
wundenen Thale des Topcu und über das 
türkische Togmalan weiter hinaus bis zum 
bulgarisch-türkischen Orte Gözedze fand Ka- 
nitz riesige Viehheerden, so dass es ihm 
schwer wurde, vorwärts zu kommen. An vielen 
Orten der Balkanhalbinsel wird das Vieh 
mit Baumlaub gefüttert, und es sagt Kanitz 
ganz treffend: Ein grosser Wohlthäter des 
fortwährend im Kampfe ums Dasein ringenden 
Balkandzi ist der Elena’s südliche Höhen 
beinahe ausschliesslich bewaldende Eichbaum, 
denn er gibt nicht nur Bau- und Brennholz, 
sondern auch Futter für die Heerden im 
Winter, der hier ungemein früh eintritt. Wenn 
in den Thälern noch das Obst an den Bäumen 
hängt, deckt bereits Schnee des Balkans 
Spitzen und pittoreske Contraste erfreuen 
dann das Auge des Wanderers. Eine verbes¬ 
serte Pferdezucht findet man eigentlich erst im 
östlichen Theile des Landes, wo aber auch Schaf¬ 
zucht in bedeutenderem Maassstabe betrieben 
wird. Bei Dolni Monastirci sieht man guten 
Ackerboden, bewaldete Hügel, Obstbäumo 
und Weingärten, dazwischen prachtvolle Büffel - 
und Schafheerden, aber auch anderes Vieh an 
den rieselnden Tränken in grosser Anzahl. Der 
preussische Feldmarschall Graf Moltke be¬ 
richtete schon im Jahre 1837, dass er unweit 
des Städtchens Kazanlik einen grossen Wasser¬ 
reichthum gefunden habe. Wie in der Lom¬ 
bardei, werden dort alle Gärten und Felder täg¬ 
lich aus dem Wasservorrath getränkt, welcher 
in Gräben und Rinnen dahinrauscht. Das ganze 
Thal der Tuntscha ist ein Bild des gesegnetsten 
Wohlstandes und der reichsten Fruchtbarkeit, 
ein wahres gelobtes Land; die weiten Felder 
sind mit mannshohen wogenden Halmen, die 
Weiden mit zahllosen Schaf- und Büffel- 
heerden bedeckt Die letzteren lassen sich 
durch herbeikommende, ihnen völlig Fremde 
niemals stören; sie nehmen ihr Bad, wo sich 
nur irgend Gelegenheit dazu bietet. Im Thal 
von Travna — mit offener Lage — wird 
neben etwas Ackerbau hauptsächlich Schaf- 
und Ziegenzucht, auch Hausindustrie betrieben. 
Man fertigt dort hübsche Holzschnitzereien. 
Ebenso ist in Sliven eine sehr gut ausge¬ 
bildete Hausindustrie. Schon Hadzi Chalfa 
erzählte, dass die Einwohner dieser Stadt 
grösstentheils „Kotzenmacher“ wären; doch 
sträubte sich sein asiatischer Stolz dagegen, 
die Vorzüge ihres Fabrikates vor dem von 
Angora und Begbazar der Geschicklichkeit 
der Arbeiter zuzuschreiben; erfand sie lieber 
in „Slivens Wasser und Luft 44 . In der grossen 


Tuchfabrik dieser Stadt arbeiten über 300 Men¬ 
schen, und es werden daselbst gröbere und 
feinere Stoffe, hauptsächlich aber braunes 
Seigtuch gefertigt. Es kommen in dieser Fa¬ 
brik jährlich 120.000 Oka Wolle (zu 10 bis 
12 Piaster per Oka) zur Verarbeitung, die 
ausschliesslich den Schafen der dortigen 
Landschaft entnommen werden. Auf der 
Strasse zwischen Lom, Arcer und Vitbol, auf 
einer sehr fruchtbaren Hochebene, sieht man 
grosse Ziegenheerden, welche sich auf dem 
üppigen Rasen lustig urahertummeln. Unweit 
Rogosna, etwa 1% Stunden jenseits von 
Befibrod, traf Kanitz grosse Schweineheerden, 
welche bei einer Eichenwaldoase weideten. 
An den Hängen des Ljubes finden sich zahl¬ 
reiche unbekannte Ortschaften, darunter auch 
das durch seine Schweinezucht bedeutende 
Kosarnik. 

In den Dorfschaften Trenbös, Musüklü, 
Radan, Odolar u. s. w. (entlang der Jantra) 
werden sehr schöne Pferde gezüchtet; die 
Rindviehzucht liegt aber in jener Gegend 
noch sehr im Argen; die Rinder sind klein 
und schwächlich. Ueber den Rahovicer Pferde¬ 
markt unweit Tirnovo äussert sich Kanitz 
folgendennassen: „Wir drängten uns durch 
alle malerischen Scenen zum Rahovicer 
Tattersall. Er bot uns womöglich noch ein 
sinnverwirrenderes Schauspiel als der Kram¬ 
markt oder Bazar. Auf einem von Baracken 
umschlossenen, nicht allzu grossen Platze 
tummelten sich etwa 150—200 Pferde, von 
merkwürdig aufgeputzten Gestalten geführt 
oder geritten. Was besagen die occidentalen 
Sportausdrücke gegenüber den allerlei Kün¬ 
sten, in welchen die dortigen Verkäufer ihre 
vierbeinige Waare zu produciren verstehen? 
Eigentlich kennt der türkische Reiter nur 
vier Gangarten: den ruhigen Schritt (Jesch- 
kin), den rascheren (Kara jeschkin), einen 
eigenthümlich beschleunigten Pass (Raschvan) 
und den Galopp (Link); dieser letztere geht 
bei grösster Eile in „ventre ä terre“ über. 
Auf dem Pferdebazar herrscht ein derartiges 
Durcheinandeijagen von Reitern und Pferden, 
ein solches Rufen, Schreien, Lachen, Fluchen, 
Feilschen, dass es Mühe kostet, das Einzelne 
im wirren Knäuel zu erfassen.“ Ueber die 
Zuverlässigkeit, Sicherheit der bulgarischen 
Pferde als Reit- und Packthiere spricht sich 
Kanitz mehrfach lobend aus. Der Bulgare sagt: 
„Nicht nur über Berge und Wasser, selbst 
durch Feuer wird mein Pferd Euch sicher 
tragen.“ Kanitz war vollauf zufrieden, dass 
sich der erste Theil der Verheissung des 
Osmanli bewährte. Die Tscherkessen haben 
zur Hebung der Pferdezucht an verschiedenen 
Orten mehrfach beachtenswertheAnstrengungen 
gemacht. Auf der Hochebene von Kamenopol 
mit 130 Bulgarenhöfen und einer isolirten 
Tscherkessencolonie beleben ungemein viele 
Rindvieh- und Pferdeheerden von schönem 
Schlage die ganze Landschaft. Die dortigen 
Pferde klettern gleich Katzen an den über¬ 
einander gethürmten Hängen hinauf. Ermüdete 
und von Insecten(Schwesterart der Columbacer 
Höhlenmücke) zerstochene Pferde werden mit 


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24 


BULLA. — BULLE. 


Wasser übergossen. Saumpferde-Karavanen 
sieht man im Lande häufig; ebenso auch 
solche von Eseln und Maulthieren. Zum 
Transport der Rosen nach Kasanlik werden 
häufig die Grauthiere (d. h. Esel) verwen¬ 
det; an beiden Seiten des Sattels (Semers) 
hängen riesige Körbe, deren Inhalt die Atmo¬ 
sphäre mit lieblichem Duft erfüllt. Kameele 
werden im Süden des Landes, z. B. von 
Sliven aus nach Adrianopel, zum Transport 
der Wollstoffe benützt. „Wir selbst haben uns auf 
der diesjährigen Studienreise mehrfach über¬ 
zeugt, dass die kleinen, zierlichen Pferde Bul¬ 
gariens auf den schlechtesten Wegen ihre 
Reiter sowohl, wie das ihnen aufgelegte Ge¬ 
päck bequem und sicher vorwärts bringen, 
sie straucheln höchst selten, zeigen eine 
fabelhafte Ausdauer bei der Arbeit, z. B. beim 
Austreten des Getreides, wie solches dort 
noch an den meisten Orten in Gebrauch ist. 
Ihre Grösse schwankt zwischen 4*35 und 
4*45 m: nur selten trifft man dort Pferde der 
Landrasse, welche 1*50 m hoch werden. 
Die braune Haarfarbe herrscht vor, und man 
sieht in Bulgarien schon viel seltener hell¬ 
farbige Pferde und Schimmel als an anderen 
Orten des Orients. Bei den weisshaarigen 
Pferden bemerkten wir häufig schönere Formen, 
und der Einfluss der edleren orientalischen 
Voreltern, die zur Türkenzeit im Lande zur 
Zucht oftmals benützt worden sein sollen, war 
auf den ersten Blick bemerkbar.“ Der alttür¬ 
kische Hufbeschlag, das sog. Pantoffeleisen, ist 
heute noch an den meisten Orten in Gebrauch, 
und nur einige fremdländische, sowie die Pferde 
der fürstlichen Armee werden jetzt mit sog. 
englischen Eisen beschlagen. Auf der Sir-Alan 
finden sich einige Sennhütten, welche eine 
nicht unbedeutende Milch- und Käsewirth- 
schaft betreiben. Kanitz berichtet: Allerorts 
ertönte dort Pfeifen- und Schalmeienklang; 
Ziegen, Schafe und Lämmer kletterten überall 
zwischen Fels und Busch umher. Muskulöse 
Hirten brachten Topfenkäse, Milch und Erd¬ 
beeren; die Leute waren dickknochig, hatten 
schlichtes blondes Haar und blaue Augen. 
Eine Beschreibung der verschiedenen bulga¬ 
rischen Hausthierrassen wird an anderem Ort 
folgen. Frey tag. 

Bulla (V. ßosiv, vollstopfen), die Blase, 
geht aus einer kugelförmigen Abhebung der 
Epidermis von der Cutis durch ein seröses 
Transsudat ira Umfange und von der Grösse 
einer Erbse hervor. Ist die Abhebung kleiner 
als eine Erbse, so wird sie Bläschen, vesicula, 
genannt. Anatomisch geht der Blasenbildung 
Hyperämie der Haut, seröse Infiltration des 
Haut- und Unterhautbindegewebes, Schwellung 
der Papillen und eitrige Infiltration der Schleim¬ 
schicht der Lederhaut voraus. Der Inhalt der 
Blase trübt sich später durch Uebertritt von 
zelligen Elementen, er wird selten resorbirt, 
meistens bersten die Blasen, worauf die Epi¬ 
dermis sich abschuppt und der Inhalt, mit 
Schuppen vermischt, zu einem Schorfe, crusta, 
eintrocknet, unter dem die Epidermis sich re- 
generirt. Die dünne Homschicht lässt anfäng- 
ich die Gefässe durchschimmern, die über¬ 


heilte Stelle hat, so lange sie dünn ist, eine 
hochrothe Farbe. Anf der blasigen Erhebung 
fallen in der Regel die Haare aus. Anacker. 

Bulldogge, Boule dogue, Bull dog, grosse, 
kräftige Hundeform, welche zu der Gruppe 
der Doggen gerechnet wird. Der Kopf ist 
sehr gross, der Schädel viereckig und hoch, 
vorne breit, in der Medianlinie zwischen den 
Augen vertieft, der Unterkiefer überragt den 
Oberkiefer und ist nach aufwärts gerichtet, 
die Fangzähne stehen weit auseinander. Die 
Augen sind gross, rund, dunkel und stehen 
weit auseinander. Die Schnauze kurz, faltig, 
die Nase breit, gross, feucht und schwarz, 
die Lefzen sind überhängend und bedecken 
das Gebiss vollkommen. Die Ohren sind ent¬ 
weder aufrechtstehend oder aufrecht stehend 
mit überhängender Spitze. Der Hals muskulös 
und etwas gebogen mit doppelter Halswarnme, 
die Schultern kräftig und schräge, die Brust 
sehr breit und tief. Die Vorderläufe sind 
kürzer als die hinteren, kräftig und gerade, 
die Ellenbogen nach aussen gedreht, an den 
Hinterläufen die Kniescheiben und Pfoten 
nach auswärts; die Ruthe ist kurz, niedrig 
angesetzt und fein, wird wagrecht getragen. 
Das Haar kurz, dicht und weich, doch rauh 
und steif, wenn man gegen den Strich streicht. 
Die Färbung gestromt und weiss, fahlgelb 
mit schwarzer Schnauze, braungelb. Die Bull¬ 
dogge wurde in England schon in vorhisto¬ 
rischen Zeiten gezüchtet; sie wurde von den 
Römern aus England als Canis britannicus 
oder Canis Britanna importirt und zu Thier- 
kärapfen verwendet. Auch später wurde sie in 
England und Frankreich häufig in Thier¬ 
kämpfen verwendet, ausserdem als Hof- und 
Wachhund, in welcher Eigenschaft sie nament¬ 
lich in England häufig gehalten wird. Str. 

Bulldoggpint8cher, s. Bull-Terrier. 

Bulle oder Stier nennt man das männ¬ 
liche Rind, im Gegensätze zu dem weiblichen, 
der Kuh. Da der Bulle in der Regel zu einer 
grösseren Zahl (ppr. 50) Kühen geführt wird, 
so sollte man bei der Auswahl desselben stets 
sorgfältig zu Werke gehen; er muss aus einer 
sichere Vererbung verbürgenden, constanten 
Zucht ausgewählt werden. Der Bulle soll die 
seinen Stamm (Rasse) besonders charakteri- 
sirenden Eigenschaften gut ausgeprägt be¬ 
sitzen, um durch ihn eine Vervollkommnung, 
Verbesserung der Familie erreichen zu kön¬ 
nen (s. u. Zucht, Vortheile der Reinzucht). 
Der Bulle sollte aus Viehstämmen, die erst 
in neuerer Zeit aus verschiedenartigen Kreu¬ 
zungen gebildet sind, nicht gewählt und ent¬ 
nommen werden. Anerkannt gute Abstammung 
aus miiehergiebigem Stamme ist für den 
Zuchtstier von grossem Werth. An Orten, wo 
hauptsächlich frühreifes, besonders mast¬ 
fähiges Vieh verlangt wird, muss man den 
Bullen aus solchen Viehstämmen wählen, bei 
welchen die Mastfähigkeit als Charakterzug 
auf den ersten Blick des sachverständigen 
Züchters bemerkbar ist. Wenn die Nachzucht 
vorzugsweise zum Zuge dienen soll, so muss 
der Bulle nicht nur aus solchen Stämmen 
gewählt werden, die sich seit langer Zeit 



BULLENBEISSER. — BURÄTISCHE ZIEGE. 


25 


durch ihre Zugleistungen ausgezeichnet haben, 
sondern er muss ausserdem noch in seinem 
ganzen Körperbau eine entschiedene Befähi¬ 
gung zu diesem Nutzungszwecke verkünden 
und deshalb starke, gut gestellte Glied¬ 
massen haben, geschickte Bewegungen und 
Ausdauer zeigen. Derbe Haut, gut gestelltes 
Horn, feste Klauen etc. sind für das Arbeits¬ 
vieh durchaus erforderlich. Der Bulle soll im 
Allgemeinen eine rege Fresslust und leichte 
Verdauung zeigen. Bei der Zucht für Mast¬ 
zwecke kommt besonders viel auf eine gute 
Verdauung und rege Bildungsthätigkeit an. Der 
zur Zucht bestimmte Bulle soll vollkommen 
entwickelte, gesunde Gcschlechtstheile haben, 
weil eine fehlerhafte Beschaffenheit derselben 
das Zeugungsvermögcn mehr oder weniger be¬ 
einträchtiget. Er soll zum Begattungsacte 
willig herantreten und denselben normal voll¬ 
führen. Der Stier darf nicht bösartig sein. 
Vom zweiten bis zum fünften Lebensjahre 
wird derselbe bei zweckmässiger Haltung 
und guter Fütterung zur Zucht verwendbar 
sein; sollte er in dieser Zeit etwas zu schwer 
werden, so muss durch massige Futterent- 
ziehuug dieser Fehler beseitigt werden. Auch 
kann man den Bullen hin und wieder zur 
Arbeit benützen und hat dann selten zu 
fürchten, dass er bis zum fünften Jahre zu 
schwer wird. Die Stiere, welche während der 
Sommermonate mit den Kühen auf die Weide 
getrieben werden und in Folge dessen die 
brünstigen Kühe öfter bespringen, als durch¬ 
aus nothwendig ist, müssen in anderer Weise 
gehalten werden, als diejenigen, welche jahr¬ 
aus jahrein im Stalle verbleiben. Diese letz¬ 
teren können mehr Kühe befriedigen als die 
ersteren. Sobald der Bulle zu kränkeln be¬ 
ginnt, schwach erscheint, muss er von der 
Zucht ausgeschlossen werden. Frey tag. 

Bullenbel 83 er. Hunderasse aus der Gruppe 
der Doggen, von plumper Gestalt, die musku¬ 
lös und kräftig ist, mit grossem Kopf, kurzer 
und breiter abgestumpfter Schnauze und einer 
Längsfurche auf der Nasenscheidewand, lan¬ 
gen , schlaffen Lippen, halb aufrechten 
Ohren. Man unterscheidet eine grosse und 
eine kleine Form des Bullenbeissers, ferner 
eine doppelnasige Form. Der grosse Bullen- 
beisser erreicht eine Schulterhöhe von 65 cm. 
seine Gestalt ist plump, aber sehr muskulös 
und kräftig, namentlich an den Schenkeln. 
Der Kopf ist gross, rundlich und hoch, das 
Hinterhaupt sehr breit, mit mässig stark ent¬ 
wickeltem Knochenkamme, die Stirne stark 
gewölbt und zwischen den Augen etwas aus- 
gehöhlt. Die Schnauze kurz und hoch, nach 
vorne stark abgestumpft und etwas aufge¬ 
worfen, mit einer meistens stärker ausge¬ 
prägten Längsfurche an der Scheidewand der 
Nase. Die Lippen lang und schlaff und sehr 
stark hängend, die Wangenhaut etwas schlot¬ 
ternd. Die Ohren sind ziemlich lang, nicht 
sehr breit, stumpf-spitzig gerundet, nicht be¬ 
sonders weich, halb aufrechtstehend und über 
der Wurzel übergebogen und hängend. Die 
Augen Rind verhältnissmässig klein, etwas 
schief gestellt und gewöhnlich triefend, die 


Augenlider schlaff, die rothe Bindehaut an 
der Innenseite sichtbar. Der Hals ist ziem¬ 
lich kurz, sehr dick und kräftig, der Quere 
nach gerunzelt. Der Leib ist gedrungen und 
voll und gegen die Weichen nur wenig ein¬ 
gezogen, der Widerrist erhaben, der Rücken 
nicht gekrümmt und in der Mitte etwas ein¬ 
gesenkt. die Brust breit und tief, die Beine 
raittelhoch, dick und stark, die vorderen voll¬ 
kommen gerade. An den Hinterfüssen keine 
fünfte Afterzehe. Der Schwanz ist ziemlich 
lang, an der Wurzel dick, gegen das Ende 
zu verschmälert und bis unter das Fersen¬ 
gelenk reichend. Behaarung kurz, glatt 
anliegend, etwas grob. Färbung fahl oder 
bräunlichgelb, bisweilen schwärzlich über¬ 
flogen oder gestromt. Schnauzenende, Lippen 
und Ende der Ohren mattschwarz. Der Bul- 
lenbeisser wird nach Fitzinger schon im ale¬ 
mannischen Gesetze unter dem Namen Bären¬ 
fänger erwähnt, später bald als Bullenbeisser 
oder Büffelfänger. Er wurde zur Bärenjagd 
und zum Einfangen des Rindes gehalten. 
Noch jetzt wird er in letzterer Eigenschaft 
in Spanien verwendet, ausserdem leistet er 
als Wächter des Hauses und Beschützer seines 
Herrn, dem er sehr treu und anhänglich ist, 
gute Dienste. 

Der kleine Bullenbeisser, Doguin, 
bedeutend kleiner als der vorige, von der 
Grösse eines Vorstehhundes und kleiner, im 
allgemeinen Bau zwischen dem grossen Bul¬ 
lenbeisser und der Bulldogge stehend, aus 
deren Kreuzung er hervorgegangen zu sein 
scheint. Der Bau ist sehr kräftig, die Brust 
breit, der Kopf schwer, im Himthoil breit, 
die Schnauze kurz, der Unterkiefer vorragend, 
die Schneidezähne stehen häufig unregel¬ 
mässig. Die Färbung ist hellisabell oder ge j 
strömt. Dieses für seine Grösse ausserordent¬ 
lich kräftige Thier wird als Stubenhund und 
mit Vorliebe als Stallhund gehalten. Studer. 

Bullenklee, s. Trifolium pratense. 

Bullenkopf, s. Kopf — Kopfformen. 

Bull-Terrier, Bulldoggpintscher, ein Kreu- 
zungsproduct zwischen der Bulldogge und dem 
glatthaarigen Pintscher, der den Math und die 
Stärke des ersteren mit der Klugkeit und Intel¬ 
ligenz des letzteren, von dem er die schlankeren 
Formen hat, verbindet. Die Grösse des Thieres 
variirt, ebenso die Form, je nachdem mehr 
oder weniger Bulldoggblut mit dem des Pint- 
schers gemischt ist. In England soll ein guter 
Bull-Terrier % Pintscher und % Bulldogg 
sein, in Frankreich wird gleichwerthige Mi¬ 
schung vorgezogen, danach ist der Kopf bald 
spitzer, bald dicker und stumpfer. Im Allge¬ 
meinen soll aber der Unterkiefer nicht vor¬ 
ragend sein. Der Leib ist schlank und kräftig, 
das Haar kurz, glatt, die Farbe vorwiegend 
weiss. In England wurde der Bull-Terrier 
hauptsächlich zum Rattenfangen abgerichtet, 
auch für Jagd auf Dachse und Füchse, die er 
im Bau aufsucht, zeigt er sich geeignet. S/r. 

Buphthalmus (ßo-3; und b x>9-aXp.o;, Ochsen¬ 
auge), s. Glaucoma congenita. 

Burätische Ziege. Die Mongolen am 
Baikalsee, besonders aber die Buräten, welche 



*6 


BURATISCHES PFERD. — BURSATTI. 


im südlichen Theile des rassischen Gouverne¬ 
ments Irkatsk (Ostsibirien) ein Nomaden¬ 
leben führen, sind im Besitze einer beson¬ 
deren Ziegenrasse, die zwar klein und zier¬ 
lich, aber dennoch sehr milchergiebig sein 
soll. Aus diesem Grunde hat sie eine grosse 
Verbreitung gefunden und kommt jetzt nicht 
selten an vielen Orten von Kleinrussland vor. 
Die Thiere zeigen im Körperbau und in der 
Haarfärbung grosse Aehnlichkeit mit der zot¬ 
tigen Hausziege des Orients. Weisshaarige 
Individuen kommen am häufigsten vor; die 
meisten sind hornlos, und gehörnte Böcke 
werden niemals zur Zucht verwendet. Ueber 
die Abstammung der burätischen Ziege weiss 
man nichts Bestimmtes anzugeben; Fitzinger 
hielt es für wahrscheinlich, dass dieselbe ein 
Blendling sei, hervorgegangen aus der Kreu¬ 
zung der Bezoar- und Kaschmir-Ziege. Fg. 

Burätische8 Pferd, soll aus der Kreuzung 
von kalmückischen mit mongolischen Pferden 
hervorgegangen sein; dasselbe wird aus¬ 
schliesslich von den Buräten am Baikalsee 
gezüchtet. Es gehört zur Gruppe der leichten 
Pferde (Equus velox) und hat ebenso grosse 
Aehnlichkeit mit dem mongolischen, wie mit 
dem Kalmückenrosse. Diese Rasse ist ungleich 
schöner als die kirgisische oder die der Basch¬ 
kiren. Die Burätenpferde sind klein von Ge¬ 
stalt, leidlich hübsch geformt, haben einen 
feinen Kopf und zierliche Beine mit schön 
gestalteten Hufen. Ihre Futteransprüche sind 
leicht zu befriedigen; in ihrer Heimat er¬ 
nähren sie sich hauptsächlich von den Gräsern 
und Kräutern, welche auf den trockenen Ge- 
birgsweiden wild wachsen; nur bei schwerer 
Arbeit gibt man ihnen etwas Körnerfutter. 
Fitzinger sagt, dass die fragliche Rasse mit 
unglaublicher Leichtigkeit die steilsten Berge 
ersteige und mit der grössten Sicherheit über 
die gefährlichsten Abhänge hinwegklettere. Fg. 

Burdon W. gab 1730 ein Taschenbuch 
für Pferdearzneikunde heraus. Semmer. 

Burdos, s. Churra-Schaf. 

Burgemeister war Prosector an der Thier¬ 
arzneischule zu Jena; gab 1847 eine Schrift 
über Veterinär-Sanitätspolizei heraus. Semmer. 

Burger gab 1823 eine Bibliothek der 
Veterinärkunde und 1830 eine Veterinär¬ 
diagnostik heraus. Semmer. 

Burgos-Hund, Basset de Burgos. Eine 
kleine Hundeform, welche mit der Behaarung 
und zum Theil auch mit den körperlichen 
Formen des kleinen Seidenhundes die niedere 
und gestreckte Gestalt des krummbeinigen 
Dachshundes verbindet (Fitzinger). Der Leib 
ist ziemlich langgestreckt, die Brust breit, die 
Beine kurz, ziemlich stark, die vorderen am 
Handgelenke etwas verdickt. Der Kopf ist 
ziemlich gross, mit spitzer Schnauze, der 
Schwanz wird meist über den Rücken nach 
aufwärts gebogen. Die Behaarung lang, zottig 
gewellt, weich, fein und glänzend, vorzüglich 
am Vorderhalse, der Brust, Bauch, Hinter- 
scite der Oberarme und den Schenkeln, an den 
Ohren und dem Schwänze, besonders an der 
Unterseite desselben, Schnauze und Läufe 
kürzer behaart. Färbung gewöhnlich auf der 


Oberseite des Körpers, Aussenseite der Ober¬ 
arme und der Schenkel, sowie am Schwänze 
schwarz, Unterseite, Innenseite der Schenkel, 
Füsse und Schnauze rostgelb, gelblichweiss 
und weiss. Dient als Schosshund. Studer . 

Bura8dorfhof, Vorwerk des königlich 
preussischen Hauptgestüts Trakehnen im 
Kreise Gumbinnen, 1829 vom Landstallmeister 
v. Burgsdorf gegründet und meistens mit 
guten Matterpferden besetzt. — Nach Frentzel 
sind hier in Burgsdorfhof, wie auf den anderen 
Vorwerken Trakehnens, seit 1800 stets mehr 
englische als orientalische Beschäler zur Bil¬ 
dung des Gestüts benützt worden, und der 
in jener Gegend verbreitete Glaube, dass nur 
allein Araber die Trakehner Zucht brillant 
gemacht haben, ihre ganze Schönheit und 
Pracht auf den Leistungen der früheren Araber 
beruhe und, wenn diese nicht wieder zahl¬ 
reich angewendet würden, erlöschen müsse, ist 
falsch. Die daselbst in neuerer Zeit stark 
benützten gemischten Vollbluthengste er¬ 
reichten an Schönheit die besten Orientalen 
und übertrafen dieselben beiweitem an Grösse, 
Stärke und schöner Schulterlage. Freytag. 

Burgunder Pech, s. Pix solida. 

Burgunder Rind. Im Osten Burgunds 
(Departement Cöte-d’Or) fand man noch vor 
etwa vierzig Jahren eine Rinderrasse, welche 
den Namen „burgundische“ führte und von 
sch warzer oder schiefergrauer Farbe, manchmal 
auch schwarz und weiss gescheckt war und 
deren Milchergiebigkeit ziemlich befriedigend 
genannt werden konnte. Diese Rinder sind 
heutzutage durch die Charolais-, norman- 
dische etc. Rasse ersetzt. Neumann . 

Burgunder Rübe, s. Beta vulgaris. 

Burgunder Schwein. Wird in den De¬ 
partements Yonne und Cöte-d’Or gezüchtet 
Die burgundischen Schweine sind weiss, mit 
langem, dünnem, plattem Körper, schmalen 
Lenden, langen Beinen und hängenden Ohren. 
Siesind eher bemerkenswerth durch die Festig¬ 
keit des Fleisches als durch ihren Mast¬ 
zustand. Neumann. 

Burrhel-Schaf, s. Wildschaf. 

Bursatti. Eine von geringen Schmerzen 
begleitete, jedoch hartnäckige und schwer 
zu behandelnde Hautkrankheit der Pferde 
in Indien. Bursat bedeutet Regen; das Lei¬ 
den ist deshalb so genannt, weil es wäh¬ 
rend der Regenmonate zu seiner höchsten 
Intensität sich steigert, nichtsdestoweniger 
aber auch während der heissen Monate vor¬ 
kommt. Es hat den Anschein, als ob speciell 
in den tropischen Klimaten eine Form von 
Hautausschlägen bei Menschen und Thieren 
vorherrschend sei, deren klinische und patho¬ 
logische Merkmale wohl nicht immer diesel¬ 
ben sind, was jedoch durch den Unterschied 
des ieweiligen Klimas, die Constitution und 
die Art des davon befallenen Individuums sich 
erklären mag. Es dürfte wohl kein Zweifel 
bestehen, dass die Bursatti-Krankheit ] nahe 
mit der Delhi-Beule (Scinde-, Mooltan-, La- 
hore- und Aden-Beule), dem Bouton d’Alep 
von Biskra, Bassorah, Bagdad und Creta und 
den Theman- und Cochinchina Geschwüren 



BÜRSATTI. 


27 


verwandt sei. Die Bursatti ist nicht gleich- 
mässig über Indien verbreitet, denn in den 
Nordwestprovinzen und in Bengalen ist sie 
sehr häufig, während sie im südlichen Indien 
oder wenigstens südlich vom Flusse Kistna 
weit seltener auftritt. Sie ist die locale Mani¬ 
festation irgend einer Krankheitsbedingung, 
welche nach verschiedenen Autoren durch das 
Wasser, die Luft, den Boden, durch Fliegen 
oder die Eier eines Insectes verursacht wer¬ 
den soll. Hohe Temperatur und Feuchtigkeit 
werden wieder von Anderen als der Entwick¬ 
lung der Krankheit sehr förderlich angesehen. 
Die Einführung eines specifischen Keimes in 
die Wunden wurde ebenfalls als Krankheits¬ 
ursache angesprochen und auch Fliegen als 
Träger des Krankheitsstoffes gehalten. Der 
Umstand, dass in Delhi Hunde an der Nase 
erkrankten, gab zu der Vermuthung Anlass, 
dass das Leiden durch einen parasitischen 
Organismus, dessen Träger das Wasser sei, 
verursacht werde. 

Anatomischer Charakter. Bei der 
Section eines Bursatti-Geschwüres ergibt sich 
Folgendes: Dasselbe knistert und erweist sich 
widerstandsfähig, u. zw. in Folge seiner knor¬ 
pelartigen Härte. Die Oberfläche ist mit 
schwammigen Granulationen bedeckt, welche 
dem Drucke wohl nachgeben, jedoch auf einer 
Basis von sklerotischem Gewebe, gebildet aus 
Streifen von faseriger Structur, die dasselbe 
nach allen Richtungen durchziehen, haften 
bleiben. Die Farbe ist gelblichweiss; die 
Geschwüre enthalten in ihrem Stroma gelb¬ 
liche Körperchen, deren Grösse zwischen der 
eines Stecknadelkopfes bis zu der einer Erbse 
variirt (Fig. 292). Diese Körperchen sind 
ihrer Gestalt nach unregelmässig, zumeist 



Fif. 292. Durchschnitt eines Rnrsatli-Geschwüre* (natür 
Ortes«) vom Fessel a Kalkige Körperchen in einem dichten 
Stroma, b die geschweige schwammige Oberfläche, c die 
Grenze des Geschwüres nnd der Haat, d gesunde Haut, im 
Begriffe, bei dem Umsichgreifen des Geschwüres infiltrirt 
zu werden. 

jedoch rund oder oval mit kleinen, stein¬ 
harten Höckerchen, dem Anscheine nach ähn¬ 
lich den körnigen Massen unreinen kohlen- 
sauren Kalkes, welcher in Indien zum Strassen- 
beschottern verwendet und von den Einge- 
bornen „Kunkur“ genannt wird, wonach auch 
diese Ablagerungen den gleichen Namen er¬ 
hielten. Diese Kunkur-Ablagerungen finden 
sich durch das ganze Geschwür hindurch, von 
dessen Oberfläche bis zur Basis vor; sie sind 
in Kapseln gebettet, aus denen sie leicht 
entfernt werden können, worauf sie eine ihrer 
Grösse entsprechende Höhlung hinterlassen. 
Das Aussehen des Geschwüres ist nur leicht 
vasculär und kann auch das umgebende Ge¬ 


webe infiltrirt sein, doch unterliegt die Feststel¬ 
lung der Grenzen keinerlei Schwierigkeit. 
Ein Kunkur besteht aus kohlensaurem Kalk 
und enthält 90% organischer und 10% un¬ 
organischer Substanz. Die Kunkurs oder, wie 
wir sie nennen wollen, kalkigen Ablagerungen 
oder Knötchen bilden eines der hervorragend¬ 
sten Kennzeichen dieser Geschwüre und ihnen 
wird der von der Bursatti-Krankheit ange¬ 
richtete Schaden zugeschrieben. 

Krankheitssymptome. Das Bursatti- 
Geschwür beginnt als Schwellung unter der 
Haut, ist hart, aber nicht schmerzhaft beim 
Drücken, jedoch sehr juckend. Die Ulceration 
der Oberfläche dieser Anschwellung geht 
sehr rasch vor sich, so rasch, dass die Ge¬ 
schwulst oft erst beim Eintreten der Ulcera¬ 
tion bemerkt wird. Die geschwürige Ober¬ 
fläche ist rund oder oval, sieht dunkelroth 
und livid aus und sondert eine serumähnliche 
Flüssigkeit ab. Die Basis des Tumors wird 
nun steinig hart, an der Oberfläche nimmt 
man kalkige Ablagerungen wahr. Bald bilden 
sich neue Geschwüre nächst dem ursprüng¬ 
lichen, das dazwischen liegende Gewebe wird 
rasch zerstört und die kleinen Geschwüre 
vereinigen sich zu grossen. Letzteres tritt 
wohl nicht stets ein, denn manchmal ist das 
Geschwür nicht grösser als ein Schillingstück. 
Die schwamraähnliche, schmutzigbraune Ober¬ 
fläche platzt bald und hinterlässt Risse, aus 
denen sich ihr flüssiger Inhalt ergiesst. Viele 
glauben, dass die Geschwüre sich durch diese 
Flüssigkeit vermehren und ausbreiten, aber 
die ThatBachen widersprechen dieser An¬ 
nahme. Die am meisten ergriffenen Körper¬ 
teile sind das Gesicht, die Extremitäten, 
die Eichel, der Penis und die Maulwinkel. 
In gewöhnlichen Fällen genügt der Eintritt 
des kälteren Wetters, um die Geschwüre auf¬ 
zutrocknen, welche jedoch im folgende» 
Jahre wieder ausbrechen. Ueber den Antheil, 
welchen die kalkigen Körperchen an dem 
Wesen der Krankheit haben, herrscht keine 
Meinungsverschiedenheit; man ist allge¬ 
mein der Ansicht, dass dieselben entfernt 
werden müssen, und wo dies in richtiger 
Weise geschieht, heilt das Geschwür bald. 
Die nach der Zerstörung des Gewebes hinter- 
lassenen Narben sind gewöhnlich weiss und 
wie jene nach Brandwunden gerändert, sie 
sind den indischen Pferdekennern wohl be¬ 
kannt. Manchmal kann man auch ziemlich 
grosse kalkige Ablagerungen unter der Haut 
fühlen. Sowohl die Narben, als auch diese 
Ablagerungen werden als ein krankhafter Zu¬ 
stand betrachtet. 

Ein an der chronischen Bursatti-Krank¬ 
heit leidendes Thier bietet einen jammer¬ 
vollen Anblick. Die Reizbarkeit und das Jucken 
erreichen ihren höchsten Grad; der Penis 
kann theilweise zerstört werden; die Fesseln 
und Kronenhaare werden rauh, der Ductus 
ad nasum ist oft von Ablagerungen in dem 
inneren Augenwinkel verstopft, Thränen rin¬ 
nen über die Wangen, ätzen deren Oberfläche 
und zerstören die Haare; die Winkel der 
Lippen sind verdickt, es tritt eine allgemeine 



28 BURSATTI. 


Schwächung ein, so dass das Tödten des 
Thieres das einzig Erübrigende ist. Es ist 
indessen durchaus nicht immer der Fall, dass 
alle an Bursatti leidenden Pferde in diesen 
extremen Zustand verfallen; es gibt im Gegen- 
theile genug Fälle, in welchen das Allgemein¬ 
befinden des Thieres nicht wesentlich gestört 
ist; es ist dann eben keine vollständige Sa¬ 
turation eingetreten, und dies führt zu der 
Erwägung des wichtigsten klinischen Merk¬ 
mals der Krankheit, nämlich der Wiederkehr. 
Die kleinen Geschwüre heilen oft spontan im 
kalten Wetter, um in der folgenden Regen¬ 
zeit aufs Neue auszubrechen. Wenn indessen 
die kalkigen Ablagerungen sämmtlich ent¬ 
fernt worden, was durch eine oft wiederholte 
und täglich vorgenommene Extraction erreicht 
werden kann, so nimmt man die Heilung als 
vollzogen an und die Krankheit kehrt nicht 
wieder, wenigstens nicht an der Stelle der 
ursprünglichen Geschwüre, obgleich es nicht 
ausgeschlossen ist, dass sie an anderen Orten 
neuerlich auftreten können. Die praktische 
Erfahrung lehrt, dass ein Pferd ein Bursatti- 
Geschwür nur einmal in seinem Leben 
haben kann, oder dass es ein solches auf 
weist, welches von Jahr zu Jahr aufs Neue 
auftritt. Letzteres führt zu der oben geschil¬ 
derten Allgemeinaffection. In Bezug auf den 
Kunkur soll hier erwähnt werden, dass dies 
nicht die einzige Krankheit des Pferdes in 
Indien ist, bei welcher man Ablagerungen 
von kalkigen Substanzen begegnet, auch die 
Leber, die Eingeweide, die Lungen und Ge¬ 
lenke können durch diesen Process desorga- 
nisirt werden, so dass Grund zur Annahme 
vorliegt, dass zwischen diesen internen Abla¬ 
gerungen und dem Auftreten der Bursatti 
kein nothwendiger Zusammenhang bestehe, 
was insoferne wichtig ist, als in den wenigen 
Fällen, in denen Autopsien von der Bur¬ 
satti zum Opfer gefallenen Thieren vorge¬ 
nommen wurden, sich ansehnliche kalkige 
Ablagerungen in den Organen vorfanden, 
welche der Bursatti-Infection zugeschrieben 
worden sind. Ich habe nicht die Absicht, dies 
zu leugnen, glaube aber, dass derartige interne 
Ablagerungen ohne die Mitwirkung der Bur¬ 
satti Vorkommen können. 

Im Beginn dieses Artikels wurde die Auf¬ 
merksamkeit auf die Thatsache hingelenkt, dass 
die Bursatti sehr nahe der Delhi-Beule und 
anderen ähnlichen orientalischen Leiden ver¬ 
wandt sei. Vor einigen Jahren unternahm ich 
nun einige Impfversuche, welche damals im „Ve- 
terinary Journal“ veröffentlicht wurden. Diesel¬ 
ben bezogen sich auf 12 Menschen und einen 
Hund. Das Resultat war ein negatives. Da noch 
über einen anderen Punkt, nämlich ob die 
Bursatti durch Inoculation auf Thiere der¬ 
selben Species übertragbar sei, eine Auf¬ 
klärung wünschenswerth gewesen, so wurden 
auch in dieser Hinsicht praktische Experimente 
angestellt, welche jedoch mit Ausnahme eines 
einzigen Falles, der ein bereits afficirtes Thier 
betraf, das nach stattgehabter Impfung in 
das Unterhaut-Bindegewebe eine beträchtliche 
Schwellung der Impfstelle aufwies, die mit 


grossem Schmerz einherging und eine In¬ 
duration um die Wunde hinterliess, negativ- 
ausgefallen sind. 

Krankheitsurs ache. Vor einigen Jahren 
war Verfasser durch mikroskopische Beobach¬ 
tungen zu der Ansicht gebracht worden, dass 
ein Pilz eine grosse Rolle bei der Krankheits¬ 
entwicklung spiele. Die Bursatti ist nämlich 
wesentlich ein fibröser Tumor, das Ergebniss 
einer specifischen Irritation. Sobald man einen 
Theil des Gewebes untersucht, das kürzlich von 
dem Leiden befallen worden, kann man beob¬ 
achten, dass die fibrösen Gebilde dieses Theiles 
sich sehr stark vergrössert haben, und dass an 
und zwischen den Fibern, theilweise dick, theil- 
weise dünner verstreut, sich kleine, rundge¬ 
staltete Zellen vorfinden, welche mehrfach Kerne 
von schwarzer Farbe enthalten. Diese Zellen, 
deren Grösse zwischen % 000 — 8 /iooo eines Zolles 
schwankt, und welche aie charakteristische In¬ 
filtration erzeugen, sind rundlich und in Er¬ 
manglung der Kerne hell, zumeist aber sind 
sie mit schwarzen Kernen wie besäet, so dass 
sie im Durchschnitte ein tiefbraunes oder 
schwarzes Aussehen darbieten (Fig. 293). Unter 
der Einwirkung von Essigsäure oder Aetzkali 



Fig. 293. Mikroskopischor SchDitt durch ein Bun-atti-Ge- 
schwftr, zeigt die fibröse Structur, sowie die pigmenthalti¬ 
gen Zellen. 


können sie beträchtlich aufgehellt werden. Sie 
liegen immer zwischen den Fasern des die 
Gewächse bildenden Gewebes und sind manch¬ 
mal derart angehäuft, dass der Schnitt völlig 
undurchsichtig ist, wodurch die fibröse Structur 
des Gebildes, die dasselbe in allen Richtun¬ 
gen durchzieht, nur undeutlich wahrgenommen 
werden kann. Das Alter des Geschwüres hat 
anscheinend keinen Einfluss auf das Aussehen 
desselben; cs sind weder die Haarbälge, noch 
die Talg- und Schweissdrüsen afficirt, in der 
That nichts ausser der einfachen Infiltration 
des Theiles, den ich im Jahre 1879 die „speci- 
fisebe braune Zelle“ nannte, vorhanden. Die 
bindegewebigen Räume der oberflächlichen 
Schichten des Coriums beginnen nun zu ent¬ 
arten und werden durch eine undurchsichtige, 
gestaltlos aussehende Masse ersetzt; die Papil- 


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BURSATTI. *9 


larkörper sind in ihrer Grösse stark reducirt, 
obgleich die Epidemiisschichten in ihrer Quan¬ 
tität stark angewachsen sein können. Diese Re- 
duction in der Grösse der Papillarkörper ist 
eine ganz gleichförmige Veränderung. Nunmehr 
beginnt in jedem Theil des Geschwürs die Bil¬ 
dung der sog. Kunkur-Körper. Diese Körper 
sind ein höchst charakteristisches Merkmal der 
Geschwüre. Dem mikroskopischen Anschein nach 
sind dieselben den in psammomatösen Aus¬ 
wüchsen gefundenen Körpern sehr ähnlich. Sie 
sind rund oder oval, dunkler gefärbt als der 
umgebende Theil; zuerst weich und käseähnlich, 
werden sie später steinhart. Sie beginnen vor¬ 
erst als eine einfache Zellengruppirung um einen 
Mittelpunkt; die äussersten Lagen desselben 
sind abgeflacht, und in gewisser Beziehung 
gleicht der Körper einem Zellennest von Epi¬ 
thelioma. Von einem Beobachter wurden die 
Geschwüre cancroide Epithelioma genannt. In 
kurzer Zeit verschwindet das zellenartige Ausse¬ 
hen dieses Körpers, welcher nun die Grösse einer 
Erbse erreicht haben mag. Beim Durchschnitt 
sieht man, dass er aus concentrischen Schichten 
mit einem dunkleren centralen Kern besteht 
(Fig. 294). Sobald die Ablagerung alt gewor¬ 
den, tritt eine Verkalkung ein. Sie wird nun 



Fig. 294. Kunkur-Durchsehnitt, stark vergrössert. 


so hart, dass sie nicht geschnitten werden 
kann; wird aber dennoch ein Einschnitt ver¬ 
sucht, so kann eine confuse Masse, welche con- 
centrisch um einen Mittelpunkt angeordnet ist, 
beobachtet werden. Die Hinzufügung eines 
Tropfens Salzsäure verursacht ein Aufbrausen 
der Masse bei gleichzeitiger Entweichung von 
Gasblasen, ein Beweis, dass die Zusammen¬ 
setzung zum grössten Theile, wenn nicht gänz¬ 
lich, von kohlensaurem Kalk gebildet ist. 

Therapie. Die Behandlung zerfällt ihrer¬ 
seits in zwei Unterabtheilungen: die präven¬ 
tive und die curative. 

Präventive Behandlung. Zuvörderst 
hat man den Zutritt von Fliegen zu den Wun¬ 
den hintanzuhalten. Meyrick theilt mit, es sei 
ihm niemals vorgekommen, dass eine recente 
Wtlnde bursattisch geworden, sobald dieselbe 
vor Fliegen geschützt wurde. Er bemerkte auch 
bei Füllen, welchen die Augenwimpern fehlten, 
das Erscheinen von Bursatti-GeschWülsten an 
der conjunctiven Membran des Augenlides, 
während dies bei Pferden, welche diese Wim¬ 


pern besassen, nicht der Fall war. Es kann 
wohl keinem Zweifel unterliegen, dass Nachr 
lässigkeit und sorglose Stallbehandlung ihren 
Antheil an dem Erscheinen dieser Krankheit 
haben, denn der obgenannte genaue Beobachter 
bemerkt, dass die Bursatti sehr häufig unter 
den aus den ehemaligen bengalischen Gestüten 
stammenden, der Regierung gehörigen Stuten 
vorkam, besonders wenn dieselben der Obsorge 
eingeborner Pächter überlassen waren, welche 
diese Pferde arg vernachlässigten. Viele be¬ 
trachten die in Rede stehende Krankheit als 
ansteckend, deshalb sollten alle constitutionell 
mit derselben inficirten Hengste castrirt, in 
bösen Fällen jedoch getödtet werden. Zu der 
Behandlung wäre noch hinzuzufügen, dass der 
Hygiene die sorglichste Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt werden sollte; reine Ställe, Reinhaltung 
auch der Umgebung derselben, gesundes Fut¬ 
ter, gutes Trinkwasser, Vermeidung allzu vieler 
Thiere in einem Raume, dies sind die besten 
prophylaktischen Vorkehrungen. 

Curative Behandlung. Die in Vor¬ 
schlag gebrachten Heilmittel sind sehr zahl¬ 
reich und zumeist kräftige Caustica. Ich selbst 
kann am besten rathen und prakticire immer: 
unmittelbare Excision der Geschwulst und ihrer 
umgebenden Theile; dies ist das sicherste und 
am meisten zufriedenstellende Mittel, beson¬ 
ders bei chronischen Geschwülsten. In den 
frühesten Stadien genügen wohl auch Kata- 
plasmen, welche die sich bildenden Verhär¬ 
tungen erweichen, die sodann durch die eiternde 
Oberfläche der Geschwulst wie eine schwammige 
Excrescenz ausgedrückt werden können; hierauf 
wird mit Lapis geätzt. Bei constitutioneller 
Bursatti muss das ganze System ins Auge ge¬ 
fasst werden. Wenn die Excision nicht vorge¬ 
nommen wird, muss man sich an die Caustica 
halten. Potassae fusa, Argent. nitr. sind hie¬ 
bei sehr nützlich, aber ausserdem muss die 
cauterisirte Oberfläche täglich mit der Zange 
nach den kalkigen Ablagerungen abgesucht 
werden, welch letztere stets zu entfernen sind. 

Schlussbemerkung. Wodurch werden 
nun diese charakteristischen Körper in den Ge¬ 
schwüren gebildet? Ich habe mich mit die¬ 
sem Gegenstand seit d. J. 1878 beschäftigt, trotz¬ 
dem bin ich noch nicht voll ständig in der 
Lage, hiefür eine durchaus befriedigerifle Er¬ 
klärung zu geben. Es ist höchst wahrschein¬ 
lich, dass ein Fungus eine hervorragende 
Rolle spielt, doch haben wir, wie bereits 
erwähnt, andere Affectionen, welche mit Bur¬ 
satti nicht einmal verwandt sind, und bei denen 
Verkalkungen in Knötchen Vorkommen, welche 
mit jenen der in Rede stehenden Krankheit 
identisch sind. Geht nun eine directe Verwand¬ 
lung des Bindegewebes in die kalkige Masse 
vor, oder erfolgt die Ablagerung in den Lymph- 
räumen, oder aber wird die kalkige Ablagerung 
in oder durch den Fungus hervorgebracht? 
Bis jetzt bin ich noch nicht in der Lage, dieses 
Problem zu lösen, neige mich aber der letzt¬ 
angeführten Ansicht zu. Wenn von dem Ge¬ 
schwür zum Behufe einer Untersuchung etwas 
abgeschnitten oder abgeschabt und mit Zu¬ 
setzung von Potasrhe und Glycerin mikroskopisch 


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30 BURSERACEAE. 

beobachtet wird, so findet man ein zartes, aber 
ausgedehntes Mycelinm des Fungus. Das ganze 
Stroma eines Bursatti-Geschwüres ist von 
diesem Mycel durchzogen, dessen Auffindung 
mit Schwierigkeiten verbunden ist; es ist so 
dünn, dass es blos % 0 ooo e ^ ne8 Zolles im 
Diameter misst. Die Fäden sind lang und 
können so weit verfolgt werden, als das Speci- 
men sich erstreckt. Die in Glycerin und in 
Wasser angcstellten künstlichen Culturen mit 
diesem Pilz ergaben, dass sich das Mycelium 
in regelmässigen Abständen segmentirt, sich 
Hyphen mit langen Sporangien, welche mit 
einer granulösen Masse gefallt sind, bilden, 
die, wenn sie durch das Bersten der Hülle 
zum Austritte gelangt, sowuhl in der Grösse 
als dem Aussehen nach der specifisch braunen 
Zelle des Geschwüres gleicht. Auch maulbeer- 
artige Sporangien gelangten als eine Form der 
Hyphenendigung zur Ansicht. Die Culturen in 
Glycerin bewirkten einen höheren Grad der 
Entwicklung, das Mycelium ist grösser als in 
den Wasserculturen, es erheben sich von dem¬ 
selben dünne Hyphen oder Conidiophoren mit 
je einem sphärischen Knötchen, aus welchem 
feine Sterigmata auswachsen. Diese Culturen 
beweisen, dass es sich hier um einen Aspergillus 
handelt, welchen ich vorläufig Aspergillus Bur- 
flatticus heissen will. Was die pathologische 
Bedeutung dieses Pilzes anbelangt, so bemerke 
ich, dass es mir gelungen ist, im Wege der 
subcutanen Inoculation ein typisches und ganz 
charakteristisches Geschwür hervorzurufen, wel¬ 
ches jedoch stets innerhalb 14 Tage bis drei 
Wochen mit Narbenbildung heilt. Es erübrigt mir 
nur mehr, einige Worte hinzuzufügen in Betreff des 
möglichen Ursprunges, woher der Pilz stammt. 
Während langer Zeit habe ich das Trinkwasser 
in Verdacht gehabt, und die bemerkenswerthe 
Leichtigkeit, mit welcher sich dieser Pilz im 
Wasser entwickelte, verleiht dieser Theorie 
thatsächlich einige Berechtigung. Indessen mag 
auch das Futter eine nicht unwahrscheinliche 
Quelle sein, umsomehr als das Gras, welches 
den Pferden in Indien verfüttert wird, täglich 
von jedem beliebigen Platz genommen wird, 
sei derselbe nun geeignet oder nicht, rein oder 
unrein. Der Ursprung des Fungus und die Art und 
Weise, in welcher er in den Organismus gelangt, 
ist aber bisher noch in Dunkel gehüllt Smith . 

Burseraceae oder Amyrideae, Balsam- 
bänme, den Suraachgewüchsen ähnlich, be¬ 
sitzen aber eine zwei- bis fünffächerige Nuss 
(Steinfrucht). Meist tropische, durch schleim¬ 
harzige Säfte ausgezeichnete Sträucher und 
Bäume, von denen jedoch hiedurch nur zwei 
bemerkenswerth sind: 

Boswellia serrata. L. X. 4. Indischer 
Weihrauchbaum, aus welchem durch Ein¬ 
schnitte der echte oder ostindische Weih¬ 
rauch, Gummi oder Resina Olibanum, Thns, von 
selbst ausfliesst. Er besteht aus Harz, Gummi 
und ätherischen Oelen und hat innerlich ähn¬ 
liche, jedoch ebenfalls schwache Wirkungen 
wie das Ammoniakgummi, findet jedoch keine 
Anwendung mehr und dient höchstens, auf 
Kohlen gestreut, zu angenehm riechenden 
Räucherungen. 


BÜSCHPFERDE. 

Balsamodendron Myrrha. EchterMyr- 
rhenbaum. L. VIII. 4. Der aus der Rinde dieses 
an der Südgrenze Arabiens wachsenden Bäum¬ 
chens von selbst ausfliessende, zu gelblichen 
oder röthlichbraunen Körnern erhärtende Saft 
bildet in Gemeinschaft mit dem des Balsamo¬ 
dendron Ehrenbergianura die überall be¬ 
kannte Myrrhe, 

Myrrha, Gummi, Resina Myrrha, welche 
zum grösseren Theil aus Schleimharz und 
3—4% angenehm riechendem ätherischen Oel 
besteht. Ihre mediciniache Bedeutung hat in 
neuerer Zeit sehr abgenommen, ja sie findet 
innerlich in der Thierheilkunde gar keine 
Anwendung mehr. Hinsichtlich ihrer pharma- 
kodynamischen Richtung kommt die Myrrhe 
dem Ammoniakgummi am nächsten und ist 
nur etwas mehr reizend und leichter verdau¬ 
lich; in früheren Jahren spielte sie eine Rolle 
bei chronischen Katarrhen der Respirations¬ 
organe, namentlich Blennorrhöen, bei Schleim¬ 
flüssen aus den Genitalien u. s. w., lauter 
Zustände, in denen jetzt Senega, Enula, Theer 
und namentlich Inhalationen mit Recht vor¬ 
gezogen werden. Aeusserlichhatsie in Form der 

Tinctura MyTrhae (4:5 Weingeist) 
wegen ihrer leicht reizenden adstringirenden 
und antiseptischen Eigenschaften recht gute 
Wirkungen in der Wundbehandlung aufzu¬ 
weisen, ist aber auch hier, obwohl mit Un¬ 
recht, ausser Mode gekommen. Vogel. 

Buscatina, Buscorina (v. r t ßoöc, Rind, 
undxö oxü>$. axaxo's, Koth), Buskatin, Buskorin, 
der Duftstoff des Rinderkothcs. Sussdorf. 

Busch J. D. studirte Medicin, war von 
1783 an Director der Thierarzneischule zu Mar¬ 
burg; gab seit 1829 eine deutsche Veterinär- 
Zeitschrift heraus. Von 1806 -1809 erschien 
von ihm ein System der theoretischen und 
praktischen Thierheilkunde in vier Bänden. 
Er schrieb ferner über Rinderpest, Schaf¬ 
pocken, Lungenseuche und gab 4801 ein Re- 
cept-TaschenbuCh heraus. Semmer. 

Buschendorf gab 1797 ein „Neues Taschen¬ 
buch für Pferdefreunde, Pferdeärzte und Be- 
schlagschmiede u heraus. Semmer . 

Bu8chir-Esel s. Bagdad-Esel. 

Buschpferde. Die kleinen englischen 
Forester Ponies, welche hauptsächlich in den 
ausgedehnten Waldstreckeil der Grafschaften 
Southampton und Hampshire gezüchtet werden, 
nennt man bei uns sehr oft Buschklepper oder 
Buschpferde. Diese Thiere sind kaum 1 20 m 
hoch, haben einen ziemlich dicken Kopf, 
kurzen, starken Hals, kurzen Rumpf mit vor¬ 
stehenden Hüften und etwas flachen Beinen. 
Kraft, Ausdauer und Sicherheit im Gange 
macht sie für den Dienst in bewaldeter Berg¬ 
landschaft ganz tauglich. Ihres guten Tem¬ 
peramentes wegen eignen sie sich sehr gut 
zur Reiterei für Kinder und altersschwache 
Personen. In Russlands nördlichen Gouverne¬ 
ments werden vorwiegend die sog. Wald¬ 
pferde aufgezogen, welche von den Deutschen 
jener Gegenden nicht selten Buschklepper 
oder Buschpferdchen genannt werden: es 
sind dieselben meistens kleine, unansehnliche 
Geschöpfe mit langen, struppigen Haaren, 


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BÜSCHSCHWEIN. — BUTTER. 


31 


aber ziemlich starken Gliedmassen; sie ver¬ 
richten selbst bei kärglicher Nahrung willig 
ihre Dienste bei der Feldarbeit wie im Zuge 
schwerer Lasten auf den gewöhnlich sehr 
schlechten Feldwegen. Im Winter auf der 
Schneebahn leisten sie mehr als im Sommer, 
und sie erscheinen dann oftmals vor den 
Schlitten der Iswostschiks in St. Petersburg 
und Moskau. Sie ertragen die härteste Winter- 
kalte in der Regel ganz gut und kommen 
häufig gar nicht in den Stall; sie müssen 
Schutz hinter Mauern, unter Schuppen oder 
in den Nadelholzwaldungen suchen. Von ver¬ 
schiedenen Reisenden wurde noch neuerdings 
berichtet, dass in Russland alljährlich eine 
ansehnlich grosse Zahl dieser Waldpferde 
durch die Kälte und den Hunger zu Grunde 
gehe. Freytag. 

Bu8Ch8Chwein (od. Larvenschwein, Poto- 
mochoerus africanus) ist ein Vertreter des pin- 
selohrigen Schweines von Süd- und Mittelafrika, 
wird in der Regel etwas grösser und stärker 
als das Pinselschwein Guineas, aber nicht 
ganz so gross und stark wie unser europäisches 
Wildschwein. Bis auf eine leicht übergebogene 
Nackenmähne und einen ziemlich starken 
Backenbart ist das Borstenhaar am ganzen 
Körper ziemlich gleich lang und von grau¬ 
brauner Färbung. Nur der Nackenkamm und 
die Barthaare sind weiss. — Das erste lebende 
Exemplar dieser Species erhielt 1852 der 
Thiergarten von London, und es sind diese 
Schweine bis auf den heutigen Tag in anderen 
europäischen Thiergärten nur spärlich ver¬ 
treten. Sie erfordern einen warmen Stall in 
sonniger Lage und Raum zum Wühlen im 
Erdreich. An länglich erschienen die Thiere 
dieser Art fast unzähmbar, doch gelang es 
geschickten Wärtern, sie nach und nach ruhiger 
zu machen. Im Londoner Garten sind Vorjahren 
vier Junge von der Buschsau geboren worden, die 
aber sofort von dieser aufgefressen wurden. Fg. 

Busse, Magister der Thierheilkunde, hatte 
in Berlin studirt und war später beim kaiser¬ 
lichen Marstall in Petersburg angestellt. Er 
begann 1854 die Herausgabe eines russischen 
veterinärmedicinischen Journals, schrieb über 
Staroperation, Castration mit dem Ecraseur 
und 1857 über die Beschälseuche im süd¬ 
lichen Russland. Semmer. 

Busse L. Th. besuchte die Thierarznei¬ 
schule in Wien, hörte Vorlesungen an der 
Universität und der polytechnischen Schule, 
ging dann nach Berlin, Dresden und München, 
machte 1836 in Berlin sein Staatsexamen UDd 
ging dann nach Posen in ein Cavallerieregiment 
und dann nach Petersburg an die medico- 
chirurgische Akademie, richtete eine Muster¬ 
schmiede ein, besuchte die russischen Reichs¬ 
gestüte und machte Reisen nach Hulland, 
Belgien und England, gab seit 1854 ein rus¬ 
sisches veterinärmedicini8che8 Journal heraus, 
schrieb viele Artikel im militärmedicinischen Jour- 
nal und in der Zeitschrift der freien ökonomischen 
Gesellschaft in Petersburg, wurde 1857 Magister 
der Veterinärmedicin; schrieb über Hufbeschlag 
1858, mit 42 Tafeln, über Hunderassen, mit 
25 Tafeln, über Hautkrankheiten, Krankheiten 


des Geflügels, der Hunde und Schweine, Mass- 
regeln gegen Thierseuchen, eine populäre Thier¬ 
heilkunde; über Exterieur, Remontepferde, Be¬ 
schälseuche, Pferdebremsen, fehlerhafte Milch, 
Koliken etc. Semmer. 

Butter. Unter Butter versteht man die 
Form, in welcher das Fett der Kuhmilch in 
den Handel und zum Genuss kommt. Um das 
Milchfett in dieser Form zu erhalten, bedarf 
es einer anhaltenden und kräftigen Erschütte¬ 
rung der in der Milch oder im Rahm enthaltenen 
kleinen, höchst fein vertheilten Fetttröpfchen, 
wodurch letztere aus dem unterkühlten, flüs¬ 
sigen Zustande in den festen Aggregatzustand 
übergehen und sich bei fortgesetztem Schla- 
en des Butterungsmaterials durch Aneinan- 
erkleben der fest gewordenen Fettpartikelchen 
zu zusammenhängenden Fettmassen — die 
rohe Butter — vereinigen. Dieser rein 
physikalische Vorgang — der Butterungs- 
process — ist nur innerhalb bestimmter Tem¬ 
peraturgrenzen (10—24° C.) möglich und er¬ 
folgt am besten bei gesäuerter ganzer Milch 
oder dem Milchbuttern bei 47—18°C., bei 
saurem Rahm bei 45—16°C. und bei süssem 
Rahm bei 41—12°C. Anfangstemperatur. Die 
in der Molkerei verwendeten Apparate, welche 
die Erschütterung des Butterungsmateriales 
(Milch oder Rahm) zum Zwecke der Butter¬ 
gewinnung zu besorgen haben, heissen Butter¬ 
fässer. Dieselben haben die verschiedenartigste 
Einrichtung und Form und werden hiernach 
eingetheilt in Stossbutterfässer, Schlagbutter¬ 
fässer mit liegender oder stehender Welle, 
in Rollbutterfässer und in Wiegen- oder 
Schaukelbutterfasser. Für den Betrieb im 
Kleinen empfehlen sich die Schlagbutterfässer 
mit liegender Welle (von Lefeldt, Schäfer, 
Schmidt, Dürkoop) und für den Grossbetrieb 
jene mit stehender Welle, von denen das 
dänische oder holsteinische am meisten An¬ 
wendung findet. Ein gutes, brauchbares Butter¬ 
fass muss leichte Reinigung und Lüftung ge¬ 
statten, einfache und dauerhafte Construction, 
dichten Verschluss besitzen, leicht zu hand¬ 
haben sein, geringen Kraftaufwand beim Aus¬ 
buttern benöthigen und die Ausbutterung 
möglichst vollkommen erreichen lassen. Im 
Allgemeinen liefern die Butterfässer in 25 bis 
45 Minuten, längstens in einer Stunde fertige 
Butter aus dem angewendeten Materiale; am 
schnellsten findet die Buttergewinnung aus 
saurem Rahm, am langsamsten aus süsser 
Milch statt. Im Allgemeinen buttert man den 
Rahm, nachdem er schwach sauer geworden. 
Zu diesem Zwecke wird daher auch der süsse 
Rahm, wie er nach den neueren Ausrahm¬ 
methoden (Swartz’schem oder Centrifugalver- 
fahren) gewonnen wird, in der Rahmtonne an 
einem 12—15°C. warmen Orte 12—24 Stun¬ 
den stehen gelassen, bis er den richtigen 
Grad des Dickwerdens oder der Säuerung er¬ 
reicht hat. Seltener wird die Butter aus süs¬ 
sem Rahm gewonnen, obwohl diese Methode 
zur Gewinnung feiner, haltbarer Tafelbutter 
vorzuziehen ist. Das Milchbuttern geschieht 
am besten mit nicht vollständig geronnener, 
also nicht völlig saurer, sondern nur dick 



tl BUTTER. 


licher Milch. Es bietet den Vortheil, dass 
der ganze Aufrahmprocess entbehrlich wird, 
besitzt aber die Nachtheile, dass nur saure 
Buttermilch abfällt, ein grösseres Flüssigkeits • 
volumen und mit mehr Arbeit verbuttert wer¬ 
den muss, und die erhaltene Butter häufig 
nicht von ausreichender Güte und Haltbar¬ 
keit ist. Die dem Butterfasse entnommene 
rohe Butter enthält noch viele Milchbestand- 
theile (Buttermilch), welche ihren Ge¬ 
schmack, ihr Aussehen und besonders ihre 
.Haltbarkeit beeinträchtigen würden, deshalb 
durch Kneten mit der Hand oder eigene Vor¬ 
richtungen (Handbutterkneter oder die Rotir- 
butterknetmaschine) entfernt werden müssen. 
Ein Auskneten in Wasser ist nur bei Butter 
aus stark gesäuertem Rahm räthlich, denn 
bei Butter aus süssem oder schwach saurem 
Material verliert dieselbe dadurch viel von 
ihrem Aroma und charakteristischem Wohl¬ 
geschmack. Das Kneten der Butter wird so 
lange fortgesetzt, bis keine Buttermilch mehr 
abfliesst und die Butter in ihrer ganzen Masse 
möglichst gleichmässig aussieht und den ge¬ 
wünschten Glanz und ein feinkörniges Ge¬ 
füge angenommen hat. Ist dies geschehen, 
so gibt man dem fertigen Product — der 
süssen Tafelbutter — auch äusserlich 
eine schöne Form entweder mit der Hand oder 
mittelst eigener Holzformen. Die gemodelte 
Butter von bestimmtem Gewicht wird zum 
Versandt in der neuesten Zeit in Pergament¬ 
papier eingeschlagen und dann in Kistchen 
zum Postversandt gebracht. — An vielen 
Orten, z. B. in Norddeutschland, wird für den 
gewöhnlichen Gebrauch die Butter gesalzen; 
es entspricht dies einer üblichen Geschmacks¬ 
richtung, hat aber auch den Zweck, sog. 
Dauerbutter, d. h. Butter von grösserer 
Haltbarkeit herzustellen. Das Salzen bedingt 
dies einerseits durch die vollständigere Beseiti- 
gungder Buttermilch, andererseits durch directe 
Beschränkung von Zersetzungsvorgängen. Man 
verwendet reines Kochsalz von bestimmtem Kör¬ 
nungsgrade, je nach der Geschmacksrichtung 
derConsumenten 2—6%. Ausser dem Salzen ist 
auch das Färben von natürlicher zu weisser 
Butter üblich geworden und wird von bestimm¬ 
ten Consuintionsorten, z. B. England, Spa¬ 
nien etc., geradezu verlangt. Die Farbe der 
natürlichen Butter ist nach der Jahreszeit 
und der Fütterung eine wechselnde; bei Stall¬ 
fütterung und mit Stroh ist sie fast weiss, 
bei Grünfütterung und Weidegang schön gelb. 
Das Färben zu heller Butter geschieht gegen¬ 
wärtig nur noch mit in Oel gelöstem, käuf¬ 
lichem Orleanfarbstoff (Bixin), welcher in ab¬ 
gemessener Menge (5 g auf 100 kg Milch oder 
dem daraus gewonnenen Rahm) vor dem Ver¬ 
buttern dem Butterungsmaterial im Butter¬ 
fasse innig beigemischt wird. Im Handel 
unterscheidet man gewöhnlich folgende Butter¬ 
sorten : 

1. Frische Butter, süss oder unge¬ 
salzen und schwach gesalzen: die feinsten 
Sorten als Thee-, Tisch- und Tafelbutter zu 
sofortigem Consum. 

2. Dauerbutter für weiteren Versandt 


und mit mindestens vierwöchentlicher Halt¬ 
barkeit, Ist stets gesalzen. 

3. Präservirte Butter, meist in luft¬ 
dicht zugelötheten Blechdosen für den über¬ 
seeischen Export. 

An norddeutschen Hafenplätzen wird 
die Butter noch unterschieden in Winter- 
oder Stall butter (Altmilch-, Frischmilch¬ 
butter) und in Gras- oder Sommerbutter, 
u. zw. Mai-, Vorsommer-, Nachsommer- oder 
Stoppelbutter. 

Nach dem Butterungsmateriale unter¬ 
scheidet man die Butter in Milchbutter, 
wenn sie aus ganzer Milch, in Rahmbutter, 
wenn sie aus Rahm, in Vorbruch- und in 
Molkenbutter, wenn sie aus den nach dem 
Verkäsen der fetten Milch übrigbleibenden 
Molken erhalten wird. Die beim Centrifugal- 
Ausrahmverfahren, d. i. aus Centrifugenrahm 
erhaltene Butter wird auch als Cen tri fugen¬ 
butt er bezeichnet. Letztere, sonst richtig 
bereitet und behandelt, gilt als die beste und 
haltbarste. Die Zusammensetzung der Butter 
ist sehr schwankend und hängt vor Allem 
von der Gewinnungsmethode ab. Der Haupt¬ 
bestandteil ist das Fett, welches bei gut 
ausgearbeiteter Waare nicht unter 80% und 
selten über 88% vorhanden ist. Die mittlere 
percentische Zusammensetzung ist die fol¬ 
gende bei: 


gesalzener 

Butter 

a) gewa- b) unge¬ 
sehen waschen 

stark ge¬ 
salzener 
od.Dauer- 
bntter 

ungesalzener Butter 

a) gewa- b) unge¬ 
sehen waschen 

Wasser_ 13 00 

12*50 

960 

15-26 

14 42 

Fett. 83 96 

8415 

8375 

83-69 

84 00 

Eiweissstoffe 0'47 

0-60 

065 

0-60 

080 

Milchzucker 0 45 

0'5O 

0 60 

040 

060 

Asche, Sali 2*12 

220 

5 50 

0*15 

018 

lOO'Ou 

100-00 

100 00 

100*00 

100 00 


Das Butterfett als solches ist ein Ge¬ 
menge mehrerer Glyceride. d. i. der neutralen 
Aether des Glycerins mit einer Reihe von 
Fettsäuren, von welchen ausser den festen 
Gliedern, als; Laurin-, Arachin-, Myristin-, 
Palmitin- und Stearinsäure, auch die Ameisen¬ 
säure, Essigsäure, Buttersäure, Capron-, Ca- 
pryl-, Caprin- und Oelsäure zu nennen sind. 
Durch das Vorkommen der Glyceride, einer 
Reihe flüchtiger Fettsäuren, ist das Butter- 
fett in physikalischer und chemischer Bezie¬ 
hung von anderen, besonders thierischen 
Fetten wesentlich verschieden. Es besitzt ein 
höheres specifisches Gewicht (0*865—0*868 
bei 100° C.; 0*9t 1—0 870 zwischen 15 bis 
30° C.), einen niedereren Schmelz- und Er¬ 
starrungspunkt, ersteren bei 31—32*5, letz¬ 
teren bei 19—24°C.: die chemische Zusam¬ 
mensetzung weist einen geringeren Kohlen¬ 
stoffgehalt (75 63%), einen niedereren Wasser¬ 
stoff- (11*87%) und einen höheren Sauer¬ 
stoffgehalt (12*50%), und dementsprechend 
einen geringeren Gehalt von Neutralfetten der 
festen Fettsäuren gegenüber anderen Thier¬ 
fetten nach. Eine wichtige Veränderung er¬ 
leidet die Butter beim Liegen an der Luft 
und bei Lichteinwirkung; sie nimmt Sauer¬ 
stoff aus der Luft auf, wird gelblich, ent¬ 
wickelt freie flüchtige Fettsäuren, welche ihr 


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BUTTEBAU SBEUTE. — BUTTERMILCH. 


33 


einen ranzigen, talgigen Gernch und Geschmack 
verleihen; dieser Zustand tritt um so früher 
und in um so höherem Grade ein, je mangel¬ 
hafter die Gewinnung, Bearbeitung und Auf¬ 
bewahrung der Butter besorgt wurde. Feser. 

Butterausbeute. Zu 1 kg Butter braucht 
man in der Regel 301 Kuhmilch. Wo man 
diese Butterausbeute im Jahresdurchschnitt 
aus der gesammten verarbeiteten Milch er¬ 
hält, darf man zufrieden sein. Es entspricht 
diese Ausbeute dem mittleren Fettgehalte 
von3%%, nachdem vom Gesammtfettgehalte 
einer Milch nach dem gewöhnlichen Aufrahm¬ 
verfahren circa 80 V* in den Rahm gehen 
und von diesem durch das Buttem im Durch¬ 
schnitt wieder 95% des darin enthaltenen 
Fettes als Butter gewonnen werden. Die Aus¬ 
beute an Butter aus einer Milch oder einem 
Rahme ist abhängig von deren Fettgehalt, 
von der Ausrahmmethode, von dem Grade 
des Ausbuttems, dann aber auch vom eigenen 
Gehalt der Butter an Fett, Wasser und an¬ 
deren Milchbestandtheilen. Alles, was die drei 
erstgenannten Verhältnisse erhöht, vergrössert 
auch die Butterausbeute. Die vollständigere 
Ausrahmung der Milch durch Centrifugal- 
maschinen nat die Butterausbeute aus der 
Kuhmilch in grossen Wirtschaften um 10 
bis 20% gesteigert. Als Anhaltspunkt für die 
Beurtheilung der Erträge von Milchkühen kann 
folgende Mittheilung gelten: 

Es kommen auf jeden Centner (ä 50 kg) 
Lebendgewicht der Kuh jährlich 

Ton guten Milchkühen 800 kg Milch u. dav. 10 s /a kg Butter 

, mittleren „ 250 M „ „ „ 8 „ „ 

„ geringen „ 200 „ „ „ „ 67i „ „ 

Dabei ist zu Grunde gelegt, dass eine 

gute Milchkuh das Sechsfache ihres Lebend¬ 
gewichts oder die Hälfte des Gewichts an 
verzehrtem Heu oder gleichwerthigern Futter 
an Milch gibt und zu i kg Butter min¬ 
destens 281 Milch erforderlich sind. Aus¬ 
nahmen nach oben und unten sind nicht 
selten; so wurden einerseits viel höhere Milch¬ 
erträge (bis zum Sechzehnfachen des Lebend¬ 
gewichtes einer Kuh) und andererseits sehr 
fette Milchsorten beobachtet, welche schon 
mit 151 1kg Butter lieferten. Feser. 

Butterbaum, 8 . Bassia butyracea. 

Butterblume, s. Ranunculus. 

Butterfehler. Sie entstehen in Folge 
fehlerhafter Behandlung der Milch, des Rahms, 
der Bearbeitung der Butter, sowie durch un¬ 
geeignete Verpackung, Aufbewahrung und beim 
Transport. Die wichtigsten Butterfehler sind: 

1. Futtergeschmack. Entsteht durch 
ungeeignete Fütterung und Anwendung solcher 
Futtermittel, welche den Geschmack und das 
Aroma der Butter beeinflussen. Schädlich 
wirken in dieser Beziehung verdorbenes, ver¬ 
schimmeltes, gefrorenes, stark beregnetes 
Futter; viel Haferstroh, Erbsen- und Wicken¬ 
schrot, Kartoffelschlämpe verfüttert machen 
die Butter bitter, Kohlrüben scharf und un¬ 
angenehm. 

2. Stall- oder Kuhschwanzge¬ 
schmack wird durch unreinliche Haltung der 
Kühe, unterlassenes Reinigen der Euter beim 


Melken, ungenügendes Durchseihen der Milch 
und zu lange Aufbewahrung in dunstigen 
Stallungen veranlasst. 

3. Rauchige und dumpfige Butter 
bildet sich durch Aufbewahrung der Milch, 
des Rahms oder der fertigen Butter in un¬ 
reinlichen, dumpfigen Localen mit verdorbener 
Luft 

4. Oelige und säuerlich - ölige 
Butter macht sich bei unrichtiger Säuerung 
des Butterungsmaterials, z. B. mit altem, ver¬ 
dorbenem Rahm, saurer Milch oder Butter¬ 
milch. 

5. Talgige Butter entsteht besonders 
durch ungehinderten Luft- und Lichtzutritt. 

6. Fischige oder thranige Butter 
wird bei übermässiger OelkuchenfÜtterung, 
fehlerhafter Rahmsäuerung, besonders bei alter 
Butter beobachtet. 

7. Bittere Butter stammt von bitterer 
Milch (s. Milchfehler), VerfÜtterung bitterer 
Futterstoffe, z. B. Lupinen, und wird auch bei 
Verdauungskrankheiten und fehlerhafter Rahm¬ 
behandlung beobachtet. 

8. Dicke, trübe, matte Butter ent¬ 
steht durch sog. Ueberarbeitung, wenn der 
richtige Feuchtigkeitsgrad beim Kneten nicht 
veranlasst wird oder die Butter zu kalt oder 
zu warm geknetet wurde. 

9. Flammige Butter zeigt sich durch 
unrichtige, ungleichmässige Färbung oder 
Salzung fleckig, streifig. 

10. Käsige oder milchige Butter 
entsteht durch mangelhafte Ausknetung der 
Buttermilch; solche Butter wird bald ranzig 
und schimmelig, letzteres besonders bei 
Aufbewahrung an feuchten, dumpfen Orten. 

11. Staffige Butter oder der StafF, be¬ 
sonders an Dauerbutter auftretend nach La¬ 
gern in fehlerhaft behandelten Holzgebinden 
bei Luftzutritt Solche Butter schmeckt un¬ 
angenehm, ranzig-süsslich. 

12. Zu stark gefärbte Butter oder 

zu weisse Butter. Ersteres ist durch zu 
starken Zusatz von Butterfarbe, letzteres durch 
Winter-, besonders Strohffttterung bedingt. — 
Die den Butterfehlern beigegebene kurze Be¬ 
schreibung ihrer Bildung gibt zur Verhütung 
der genannten Butterfehler hinreichende Fin¬ 
gerzeige. Feser . 

Buttermilch ist die beim Verbuttern des 
Rahms oder ganzer Milch nach Ausscheidung 
der Butter gewonnene weissliche Flüssigkeit, 
welche bei richtig geleitetem Butterungspro- 
cess nicht mehr äs %, höchstens %% Fett, 
ausserdem im Mittel 3*60% Käsestoff, 0*3% 
Eiweiss, 3’7% Milchzucker, 0*52% Asche 
neben 91*7% Wasser enthält. Ihre Zusammen¬ 
setzung ist nach der milchwirthschaftlichen 
Betriebsweise sehr verschieden und besonders 
von der Rahmgewinnungsmethode, der Concen- 
tration des Rahmes, der ursprünglichen Zu¬ 
sammensetzung der ganzen Milch, der Zeit¬ 
dauer der Rahmaufbewahrung, der mehr oder 
weniger vorgeschrittenen Säuerung, bei der 
sich ein Theil des Milchzuckers als Milch¬ 
säure vorfindet, abhängig. Wird süsser Rahm 
verbuttert, so bleibt auch süsse Buttermilch 


Kock. Encyklopldi« d. Thierheilkd. II. Bd. 


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34 BUTTERPULVER. — BUTTERVERFALSCHÜNGEN. 


neben der ausgeschiedenen Butter übrig; beim 
gewöhnlichen Verbuttern sauren Rahmes ist 
sie stark sauer und enthält bereits fein ge¬ 
ronnenen Käsestoff. Die süsse Buttermilch 
nimmt nach kurzer Zeit einen widerlich 
bitteren Geschmack an, der bei ursprünglich 
saurer Buttermilch nicht auftritt. Die Butter¬ 
milch ist ein beliebtes Nahrungsmittel für 
Menschen und Thiere und kann auch in Ver¬ 
mischung mit abgerahmter Milch zur Käse¬ 
fabrikation verwendet werden. Durch Ver¬ 
buttern alten, stark sauren Rahmes gewonnen, 
ist sie jungen Kälbern in Folge der massigen 
Pilzvegetationen gefährlich; sie wird dann 
nur noch von älteren Thieren vertragen, am 
besten aber an Schweine verfüttert. Feser . 

Butterpulver. Unter diesem Titel kommen 
von verschiedenen Handelsfirmen Präparate in 
den Handel, welche nach Angabe der Fabri¬ 
kanten die Zeit des Butterns verkürzen, die 
Ausbeute an Butter erhöhen und die Güte 
und Haltbarkeit der Butter verbessern sollen. 
Dies ist aber Alles nicht der Fall, denn diese 
Pulver bestehen nur aus Soda, Natrium bi- 
carbonat., Alaun, Borsäure, Borax u. dgl., also 
' aus Stoffen, welche erfahrungsgemäss ohne 
Einfluss auf das Buttern und den Butterungs- 
process sind. — Wo sich Schwer- oder Nicht- 
verbutterbarkeit eines Butterungsmaterials er¬ 
gibt, suche man die Abhilfe nie in Anwen¬ 
dung von solchen Butterpulvern, sondern in 
Erforschung der Ursache dieses Verhaltens 
und in Beseitigung derselben, d. i. in Regelung 
der Butterungstemperatur, guter Einrichtung 
und Füllung desButterfasses,normaler Säuerung 
und Reinhaltung des Butterungsmaterials, Be¬ 
seitigung von Milchfehlern. Feser. 

Buttersäure, C 4 H 8 0,. Sie entsteht bei 
verschiedenen Gährungsprocessen, zumal bei 
der sog. Buttersäuregährung des Zuckers, 
welche ebenso wie die Essigsäuregährung 
durch einen eigenen Spaltpilz eingeleitet 
wird. Dieser Spaltpilz kommt auch im Miste 
der Thiere vor und wird als Cloistridium 
butyricum bezeichnet. Ueberdies findet sich 
Buttersäure in Tamarinden, in Johannisbrot 
und in anderen Pflanzen, im übelriechenden 
Saft, welchen viele Laufkäfer ausspritzen, in 
ranziger Butter, ausserdem neben Milchsäure 
im Sauerkraut und in den sauren Gurken. 
Die Buttersäure bildet eine ölige Flüssigkeit 
von stark saurem Geschmack und ranzigem 
Geruch, sie löst sich in Wasser, Alkohol und 
Aether, wird jedoch aus der wässerigen Lö¬ 
sung durch Chlornatrium abgeschieden. Die 
Buttersäure vereint sich mit Basen zu leicht 
löslichen krystallisirbaren Salzen. Loebisch. 

Butterschmalz oder geschmolzene, aus¬ 
gelassene Butter ist die von den milchigen 
Beimengungen, d. i. von Eiweissstoffen, Milch¬ 
zucker und Wasser durch Erhitzen und Ab¬ 
setzenlassen möglichst befreite Butter, um 
das so vorzugsweise für sich erhaltene Milch¬ 
fett lange Zeit unverändert und von reinem 
Geschmack zu erhalten. Die feinste Qualität 
wird aus frischer, gut ausgekneteter Butter 
dadurch erhalten, dass man dieselbe bei 80 
bis 100° C. so lange erwärmt, bis sich auf 


der Oberfläche kein Schaum mehr bildet. Letz¬ 
terer wird vorsichtig abgenommen und nach 
völliger Entfernung die klar gewordene 
flüssige Butter sorgfältig von der unten an- 
gesammelten, schwereren, trüben Wasser¬ 
schichte getrennt. Gute Butter gibt 80—83 %, 
fettarme Butter oft nur 75% und weniger 
reines Schmalz. Feser. 

Butterverfälschungen. Die Marktbutter 
ist erfahrungsgemäss vielen Fälschungen aus- 
gesetzt. Ausser einem absichtlich veranlassten 
hohen Wassergehalt der Butter — man kann 
Wasser in ziemlich hohen Quantitäten, bis zu 
30%, einkneten — beobachtet man Bei¬ 
mischung fremder Stoffe, wie gekochter Kar¬ 
toffeln, Stärke, Mehl u. s. w., und in neuerer 
Zeit besonders häufig den Zusatz anderer 
thierischer Fette, als: Schweinschmalz, Talg 
und Oleomargarin oder sog. Kunstbutter. Be¬ 
züglich der Wassereinverleibung kann man 
von einer guten, vollwerthigen Butter ver¬ 
langen, dass sie nicht über 18% Wasser ent¬ 
halte, das Butterfett nicht unter 80 % betrage 
und die übrigen Bestandtheile nur zu 2—6 % 
Vorkommen (s. Butter). Am genauesten gißt 
über dieses Verhältniss die chemische Analyse 
Aufschluss, doch reicht für gewöhnliche Zwecke 
die Prüfung einer Butter auf ihren Fettgehalt 
mittelst der von Birnbaum in Karlsruhe vor¬ 
geschlagenen Methode aus, nach welcher ein 
30 cm langes, 15 mm weites, an einem Ende 
zugeschmolzenes Rohr, welches in 100 Theile 
getheilt ist, mit im Wasserbade zum Schmelzen 
gebrachter Butter gefüllt, darauf mit einem 
Korke luftdicht verschlossen und dann mit 
einem Tuche umwickelt und mittelst eines 
Bindfadens und einer Stange in rotirende 
Bewegung versetzt wird, so dass sich nach 
60—80 Umdrehungen das Fett der Butter 
von ihren übrigen Bestandtheilen abgeschieden 
und abgegrenzt hat und ersteres am Glase 
nach Percenten abgelesen werden kann. Die 
Verfälschung der Butter mit festen, mehligen 
Stoffen ist leicht mit Hilfe des Mikroskopes 
und der specifischen Stärkereaction mit Jod 
zu erkennen. Schwieriger ist es, die Bei¬ 
mengung anderer thierischer Fette zu er¬ 
kennen. Um darüber ins Reine zu kommen, 
bedient man sich folgender Methoden: a) Der 
mikroskopischen Prüfling der zu einem dünnen 
Häutchen unter dem Deckglas zusammen- 
gepressten Butterprobe: Echte Butter zeigt 
nur runde, feine Kügelchen neben Kochsalz¬ 
würfeln bei gesalzener Butter, fremder Zusatz 
dagegen nadel- und federartige Fettbüschel 
und Krystalle. b) Der Schmelzung über freiem 
Feuer: Schweinschmalz entwickelt hiebei den 
eigentümlichen Schweinbratengeruch. Wird 
mit der Butterprobe ein dünner Baumwoll- 
draht getränkt, angezündet und nach kurzem 
Brennen ausgeblasen, so verräth sich ein 
Talgzusatz durch den charakteristischen stin¬ 
kenden Geruch eines verlöschenden Talg¬ 
lichtes. c) Des Magarimeters von Dr. A. Mayer: 
Mittelst dieses Apparates wird durch ein Aräo¬ 
meter das specifische Gewicht einer in einem 
Glascylinder befindlichen und durch selben 
umgebendes kochendes Wasser geschmolzenen 


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BUTYL. — C. 


35 


Butterprobe bestimmt. Bei Zusatz fremder 
Fette ergibt sich ein niedereres specifisches 
Gewicht, unter 0*867. d) Des chemischen 
quantitativen Nachweises der in der zu unter¬ 
suchenden Butterprobe vorhandenen Neutral¬ 
fette, resp. der daraus darzustellenden festen 
oder flüchtigen Fettsäuren. Als oberste Grenze 
ist ein Gehalt von 90% unlöslicher fester 
Fettsäuren bei der Butter nach ihrer Ver¬ 
seifung und Zersetzung der erhaltenen Seife 
mittelst verdünnter Salz- oder Schwefelsäure 
zu constatiren, während Kindstalg 95 * 7, Ham¬ 
meltalg 95' 8, Schweinschmalz 95*7, Olivenöl 
96*1, Oleomargarin oder Kunstbutter 95*5% 
ergeben würden, also viel mehr, als reiner 
Naturbutter zukommt. Feser. 

Butyl, C 4 He, ist das einwerthige Radical 
des Butylalkohols, es wird von Butan, C 4 H 10 , 
dem gesättigten Kohlenwasserstoff der Fett¬ 
säurereihe, abgeleitet, welcher den Ausgangs¬ 
punkt der Butylverbindungen bildet, als deren 
wichtigste wir die Buttersäure nennen. Lh. 

Butyphus (abgel. v. yj ßoö?, Rind, und 
d xö^po«;, Typhus), Rinderpest. Sussdorf. 

Butyrometer, s. Laktobutyrometer. 

Butyrum, Butter, ein sehr mildes Fett 
der Kuhmilch (Butyrum vaccinum). früher zu 
Salben, besonders für das Auge, benützt, hat 
aber keinerlei Vorzüge vor dem Schweinfett, 
im Gegentheil wird es als das Gemisch einer 
grossen Menge der verschiedensten flüssigen, 
festen und flüchtigen Glyceride durch das 
leichte Freiwerden der letzteren früher ranzig 
(s. Adeps suillus). Vogel. 

Buxus sempervirens, gemeiner Buchs¬ 
oder Buxbaura, bei uns als Zwergbuchs zu 
Einfassungen in Gärten häufig gezogen, ein 
immergrüner Strauch der Ordn.Euphorbiaceen, 
Farn. Buxaceae, L. XXI. 4. Die Pflanze ist aus¬ 
gezeichnet durch ein giftiges, mit dem Bebeerin 


der Bebeerurinde (Cortex Bibiru) identisches 
Alkaloid, das 

Buxin, welches in seinen physiologi¬ 
schen Wirkungen dem Chinin an die Seite 
gestellt werden muss und vielleicht noch eine 
Rolle spielt; auch sind schon Vergiftungen, be¬ 
sonders bei Schweinen, vorgekommen, während 
die anderen Hausthiere, welche die abge¬ 
schorenen Sprösslinge ebenfalls nicht ungeme 
fressen, viel weniger empfindlich sind. Die 
toxischen Erscheinungen haben Aehnlichkeit 
mit den Taxinwirkungen des Eibenbaumes, 
Taxus baccata (s. d.). und bestehen in Er¬ 
brechen, Durchfall, Schwindel, Betäubung, 
weiten Pupillen, verlangsamterRespiration, con- 
vulsivischen Zuckungen, Kolik und heftigen 
Magenschmerzen, so dass die Thiere jämmer¬ 
liche Schreie ausstossen; der Tod erfolgt 
durch Asphyxie. Schwarzes Blut und Ent¬ 
zündungen des Magens und häufig auch des 
Darmes sind die postmortalen Zeichen. VI. 

Byssus Linn., Vail., Humb. (von ßoaso?, 
feines Gewebe), Gruft-, Schwindelschimmel. So 
nannte man früher eine Anzahl von seiden- oder 
vielmehr spinnengewebeartig feinen sterilen 
Mycelanfängen diverser Pilze, falls ihr Ha¬ 
bitus flockig war. Selbstverständlich ist diese 
Gattung heute nicht mehr existenzfähig. Immer¬ 
hin werden aber auch derzeit noch ähnliche 
Mycelien als byssusartig bezeichnet. Byssus 
werden auch seidig feine, einer Drüse entstam¬ 
mende, eiweissartige Fäden mancher Muscheln 
genannt, mittelst deren sich diese Thiere oft 
an der Unterlage befestigen, so bei Pisna no- 
bitis u. A. Was die Alten unter Byssus ver¬ 
standen, ist derzeit noch nicht sichergestellt;, 
wahrscheinlich war ihr Byssus Leinenfaser und 
das daraus gewonnene Gespinnst. Das griechi¬ 
sche Wort kommt vom hebräischen Buz, feines 
Gespinnst. Harz. 


c. 

(Artikel, die unter C vermisst werden, sind unter K n&chzuschUgen.) 


C wird als anatomische Abbreviatur ge¬ 
braucht für: Dentes canini, Haken- oder 

Hauzähne (s. Zähne). Die Gebissformeln ent¬ 
halten unter Anderem die Bezeichnung Cj-f, 
womit angedeutet werden soll, dass das be¬ 
treffende Thier oben und unten jederseits 
«inen Hakenzahn besitzt. 2. Ossa carpalia, 
Hand- oder Vorderfusswurzelknochen, z. B. 
G 1 , C 11 , C“ 1 , C™ für die Knochen der Meta¬ 
carpalreihe des Carpus. Sussdorf. 

C. Eine viel gebräuchliche Abbreviatur 
auf den lateinischen Recepten; sie bedeutet: 
«um, mit. Vogel. 

Mit o wird auch die Secundasorte der Wolle 
<s. d.) bezeichnet. Koch. 

C. C. oder conc. cont. bedeutet auf den 
Recepten concisa contusa, d. h. zerschneide 
und zerstosse. Man wendet beide Ausdrücke 
an, um dem Apotheker die Form der Verab¬ 


reichung bestimmter Arzneimittel anzudeuten, 
welche einer gewissen Präparation bedürfen. 
Dies ist gewöhnlich der Fall bei trockenen 
Vegetabilien, z. B. Blättern, Blüthen, Wurzeln, 
Stengeln, Rinden, Hölzern, welche für sich oder 
als Species in zerschnittenem Zustande 
besser zum Eingeben oder Extrahiren, zu Bä¬ 
hungen u. s. w. sich verwenden lassen; 
dabei sucht man den einzelnen Theilen eine 
möglichst gleiche Grösse zu geben und ver¬ 
wendet hiezu entsprechende Messer, bezw. 
Hack- und Wiegemesser; um die Stoffe aber 
nicht zu sehr zu verpulvern, lässt man sie, 
wie bei sehr trockenen Vegetabilien, im Keller 
oder an den Dampfapparaten erst etwas Was¬ 
ser aufnehmen (anziehen). Das Zerstossen, 
contusio, geschieht bei solchen Substanzen, 
welche sich schwer zum Zerschneiden eignen, 
wie frische Blätter, Wurzeln oder Kräuter, 

3* 



36 


CABALLÜS. — CADAVER. 


welche dann in einem Stampftroge oder Mör¬ 
ser durch Pistille von Holz oder Metall zer¬ 
kleinert werden. Vogel. 

Caballus, griech. xaßdXXinf, persisch gabal, 
deutsch Gaul, wahrscheinlich orientalischen 
Ursprungs, aus dem Hebräischen entnommen, 
ist der classischen Prosa fremd und diente 
auch bei Dichtern mehr zur Bezeichnung des 
gewöhnlichen Kleppers. In der Systematik 
bezeichnet es als Speciesname in Equus ca¬ 
ballus die Species Pferd. Sussdorf. 

Cabero F. G., einer der fruchtbarsten 
spanischen thierärztlichen Schriftsteller zu 
Ende des XVII. und Anfang des XVHI. Jahr¬ 
hunderts. Er schrieb eine Reihe von Vertei¬ 
digungsschriften der Thierärzte gegen die 
Angriffe der Menschenärzte und Streitschriften 
gegen seine Collegen. Dr. Fr. Suarez de 
Ribeira hatte in seiner Schrift „Templa- 
dor medico* mit Verachtung von Thieiärzten 
gesprochen. Dagegen schrieb Cabero 1727 
eine Verteidigungsschrift unter dem Titel: 
„Templador Vetennario de la Furia vulgär, 
en defensa de la facultad veterinaria o medi- 
cina de las bestias, y de los Albeytares peritos 
y doctos.“ Im Jahre 1728 schrieb er ein 
Werk: „Curacion racional de los irracionales 
y conclusiones veterinarias,“ in welchem er 
nachzuweisen sucht, dass die Menschenheil¬ 
kunde in allen Grundsätzen der Thierheil¬ 
kunde gleich ist. 1729 erschien seine „Veteri¬ 
naria apologdtica“. 1731 gab er heraus: 
„Apendice dogmatico al Templador y Con¬ 
clusiones veterinarias contra la sceptica apro- 
bation del Dr. Martin Martinez al libro de 
Sande,“ eine Streitschrift gegen Dr. Martinez, 
der die Thierheilkunde schmäht Seine 1732 
erschienene Schrift: „Adicion racional y me- 
tOdica ä la curacion de la lupia tumorosa y 
destierro de ignorancias y de los errados 
conceptos de J. A. Moraleda,“ ist gegen seine 
Collegen Fr. Benavides in Madrid und Mora¬ 
leda in Sevilla gerichtet, die ihn angegriffen 
hatten. Sein Werk: „Instituciones de Albey- 
teria,“ Madrid 1740, erlebte eine ganze Reihe 
neuer Auflagen (die letzte 1830). Sein letztes 
Werk: „Adiciones ä las Instituciones de Albey- 
teria,“ erschien 1756 zu Madrid. Semmer. 

Caoaoabfalle als Futtermittel. Hieher 
gehören: Cacaorinde, die ein gutes, aber 
zu theures Kraftfutter bildet, das man abge¬ 
kocht an Kälber mit gutem Erfolg verfüttert 
hat. Sie enthält 11*13 % Wasser, 7 * 28 % Asche, 
25*87% Protein, 8*22% Fett, 13*35% Roh¬ 
faser, 34*15% stickstofffreie Extractstoffe. 
Ebenfalls ein Kraftfuttermittel wäre Cacao- 
pulver (Cacaokuchen), welches enthält: 


86*0—92*6 im Mil 
16*9—19*8 „ „ 17*8 i, Protein 

8 0—16*8 „ „ 12*2 „ Fett 

— „ „ 82 9 „ stickstofffreie Extractstoffe 

— — „ „ 18*8 „ Holsfiuer 

— — s, „ 7'6 „ Asche. Pott . 

Caohexie, Cachexia (von xaxfc;, schlecht, 
und lliq, Beschaffenheit), ein pathologischer 
Zustand mit fehlerhafter Säftemischung, Stö¬ 
rung der Ernährung und Blutbildung, Ab¬ 
nahme der Temperatur, Anämie und Hydrämie. 
Man hat verschiedene Arten von Cachexien 


tel 88 ‘ 8 •/„ Trockensubstanr 


je nach den Ursachen aufgestellt, so z. B. 
eine Krebscachexie, mercurielle Cachexie, 
Sumpfcachexie, Bleicachexie etc. Eine be¬ 
sondere Gruppe bildet die 

Cachexia aquosa, Fäule, Wassersucht, 
Hydrämie, wie sie besonders häufig unter den 
Schafen in nassen Jahrgängen, bei Aufnahme 
wenig intensiven, schlechten und verdorbenen 
Futters, bei Magen-Darmkatarrhen und Wurm- 
seuchen, insbesondere der Leberegelseuche, 
Distomatosi8, Phthisis verminosa, Cachexia 
verminosa auftritt und grosse Verluste an¬ 
richtet. Die erkrankten Thiere leiden an 
Verdauungsstörungen und Durchfällen, magern 
ab, werden bleichsüchtig, schwach und gehen 
schliesslich an allgemeiner Erschöpfung zu 
Grunde. Bei der Section findet man alle 
Körpergewebe blass, schlaff das Blut wässerig, 
Transsudate in der Brust- und Bauchhöhle und 
im Herzbeutel, den Darm mehr oder weniger 
katarrhalisch afficirt und bei den Wurm¬ 
seuchen die betreffenden Parasiten; bei der 
Leberegelseuche massenhaft Leberegel in den 
erweiterten, verdickten, incrustirten Gallen¬ 
gängen der bindegewebig entarteten (scir- 
rhotischen) Leber (s. Leberegelseuche), bei 
der Magenwurmseuche der Schafe Strongylus 
contortus im Labmagen (s. Magenwurm¬ 
seuche); bei der Anämie der Hunde Ankylo- 
stoma (Dochmius trigonocephalus) im Dünn¬ 
darm und Trichocephalus depressiusculus im 
Dickdarm; bei der Bandwurmseuche der Schafe 
Taenia expansa im Dünndarm (s. Bandwurm¬ 
seuche); bei der Lungenwurmseuche der Schafe 
Strongylus filaria in den Bronchien und bei 
den Kälbern Strongylus micrurus, bei Schweinen 
Strongylus paradoxus in den Luftwegen (siehe 
Lungenwurmkrankheit der Schafe) etc. Bei der 

Cachexia boum tuberculosa, Perl¬ 
sucht, findet sich neben Abmagerung, Blut- 
armuth und Blutwässerigkeit eine allgemeine 
Tuberculose oder Anhäufung von Perlsucht¬ 
knoten und Knötchen in den Lungen, den 
Verdauungsorganen, Geschlechtstheilen etc. 
(8. Tuberculose). Semmer. 

Caohoil, der eingetrocknete wässerige 
Auszug verschiedener Catechusäure enthal¬ 
tenden Pflanzen, der, mit Lakritzensaft ver¬ 
mengt, ein adstringirendes Mittel gegen Pha¬ 
rynx- und Lungenkatarrhe (Hustenmittel) dar¬ 
stellt, im Ganzen aber bei uns nur selten 
praktische Anwendung findet (s. Catechu). VI. 

Cacio cavallo, eine der wichtigsten Käse¬ 
sorten Italiens, meist in Flaschenkürbisform, 
in der Regel aus ganzer Kuhmilch mittelst 
Lab bereitet und durch Beihilfe kochenden 
Wassers geformt. Feser. 

Cadaver (von cadere, sterben), das (nicht 
der) Cadaver, Leichnam, ist das Stammwort 
für cadaverös, cadaverisch. Sussdorf. 

Cadaver,Behandlung derselben bei den 
verschiedenen Thierseuchen. Die Cadaver an 
besonders gefährlichen Seuchen (wie z. B. an 
der Rinderpest und den Schafpocken) gefal¬ 
lener Thiere müssen vernichtet werden. Das 
geschieht am zweckmässigsten durch Verbren¬ 
nung derselben, wozu für ein grosses Thier- 
cadaver circa 6 kbm guten Holzes erforderlich 


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CADEÖL. — CAFFEINUM. 


37 


sind. Ein anderes zweckmässiges Verfahren 
zur Unschädlichmachung der Cadaver ist das 
Auflösen derselben in Schwefelsäure und die 
Benützung der Rückstände nach Entfernung 
der Schwefelsäure als Düngungsmittel. In 
Ermanglung von Holz und Schwefelsäure 
müssen die Cadaver, nachdem die Felle 
derselben durch Kreuz- uhd Querschnitte 
werthlos gemacht und mit Petroleum, Thieröl 
oder roher Carbolsäure übergossen worden sind, 
mindestens 4—6 Fuss tief verscharrt werden, 
wobei man sie noch mit Aetzkalk oder Asche 
bestreut oder mit Kalkmilch oder roher Carbol- 
säure übergiesst. Das Verscharren muss an 
abgelegenen, umzäunten oder mit Gräben um¬ 
zogenen Orten geschehen, zu denen das Vieh 
(auch Hunde und Wölfe) keinen Zutritt hat. 
Ausser Rinderpest sind es diejenigen Infec- 
tionskrankheiten, die von den Thieren auf 
Menschen übergehen, wie Milzbrand und Rotz, 
bei welchen die Cadaver der Gefallenen oder 
Getödteten sofort vernichtet (verbrannt, in 
Schwefelsäure aufgelöst) oder nach Zerstö¬ 
rung des Felles und gehöriger Desinfection 
an abgelegenen Orten tief verscharrt werden 
müssen. Bei allen anderen Infectionskrank- 
heiten können die Cadaver der Gefallenen 
theilweise ausgenützt werden. Die Felle können 
nach sorgfältigem Austrocknen oder nach vor¬ 
heriger Desinfection mit Aetzkalk oder Chlor¬ 
kalkwasser, Chlorgas oder Dämpfen schwefliger 
Säure oder auch mit Sublimat- und Carbol- 
säurelösungen und nachherigem Austrocknen 
in den Handel gebracht werden. Wo Gerbereien 
in der Nähe sind, können auch ausgetrocknete 
Felle nach vorheriger Desinfection gleich dem 
Process des Gerbens unterworfen werden. Das 
Fleisch von Thieren, die an verschiedenen 
Infectionskrankheiten, ausser Rotz, Milzbrand, 
Septikämie, Pyämie, septischem oder pyämi¬ 
schem Puerperalfieber, Brandpocken, Hunds- 
wuth, leiden, kann, falls die Thiere zeitig ge¬ 
schlachtet worden, an Ort und Stelle von 
Menschen consumirt werden. Das Fleisch von 
Gefallenen kann ebenfalls an Ort und Stelle 
den Hunden verfuttert werden (zuweilen auch 
den Schweinen). Die Knochen können, nachdem 
sie desinflcirt und getrocknet worden, in die 
Knochenmühlen gehen. Ebenso können die 
Hörner und Klauen nach Desinfection und 
vollständigem Austrocknen benützt werden. 
Das Ausschmelzen des Fettes kann in allen 
Fällen ausser Milzbrand, Rotz und Hunds- 
wuth (wo eine Infection während der Mani¬ 
pulation zu befürchten ist) gestattet werden, da 
durch Siedehitze fast alle Contagien zerstört 
werden. Jegliche Ausnützung von Cadavem in 
Folge von Infectionskrankneiten gefallener 
oder getödteter Thiere ist aber nur unter ge¬ 
höriger veterinärpolizeilicher Aufsicht zu ge¬ 
statten. Semmer. 

CadeÖl, Huile de Cade, Oleum cadinum, 
ein aus dem Juniperus oxycedrus, einer Cupres- 
sinee, vielfach gewonnenes brenzliches, dem flüs¬ 
sigen Peche ähnliches Oel, welches statt des 
Theers insbesondere £egen Räude angewendet 
und sehr gerühmt wird. Die antiparasitische 
Wirkung steht zwischen Theer und Kreosot. VI. 


Cadmium, Cd, ein weisses, zähes Metall, 
welches in seinen chemischen Eigenschaften 
eine grosse Aehnlichkeit mit dem Zink zeigt 
und nur in geringer Menge als Begleiter des¬ 
selben in den Zinkerzen vorkommt. Es wurde 
1817 von Stromeyer und Hermann entdeckt. 
Man gewinnt es als Nebenproduct bei der 
Darstellung von Zink; da es nämlich flüchti¬ 
ger ist als dieses, so ist es in den ersten 
Destillationsproducten der Zinkerze enthalten. 
Das Cadmium hat ein Atomgewicht von 111*6, 
ein specifisches Gewicht von 8*6, schmilzt 
bei 315° und siedet bei 860°. Von den Ver¬ 
bindungen desselben sind die wichtigsten: 
CdS, Cadmiumsulfid, eine schön gelbe Ver¬ 
bindung, welche in der Wasser- und Oel- 
malerei, auch zum Färben von Seifen benützt 
wird; das CdJ„ Cadmiumjodid, findet in der 
Photographie Anwendung; das Cadmium¬ 
amalgam, welches frisch bereitet knetbar ist, 
jedoch bald erhärtet, dient zum Plombiren 
hohler Zähne. Loebisch. 

caecigenus (von caecus, blind, und gig- 
nere. entstehen), blind geboren. Sussdorf. 

caecus, blind, als anatomische Bezeich¬ 
nung für blind endigende Anhänge gewisser 
Hohlorgane, so in Saccus caecus, Blindsack 
des Magens, Intestinum caecum, Blind¬ 
darm etc. Sussdorf. 

Cäment (lat. caementum [von caedere, 
fällen], der rohe, unbehauene Stein, wie er 
aus den Steinbrüchen kommt) ist der tech¬ 
nische Ausdruck für die Osteoidsubstanz des 
Zahnes (s. Cement). Sussdorf 

Caen-Pferd. Eine Benennung, mit welcher 
die Kaufleute manchmal normandische Pferde 
bezeichnen, welche aus dem Departement 
Calvados herstammen. Neumann. 

Caesalpinlaceae, Cäsalpinien, eine be¬ 
deutende Familie der Ordnung Leguminosae, 
deren Blüthen jedoch zygomorph sind, aber 
nicht schmetterlingförmig, und denen meist 
10 freie Staubgefässe zukommen. Es sind 
nur tropische Gewächse, meist Holzpflanzen 
(über 1500 Arten), und befinden sich darunter 
die wichtigen Farbhölzer Fernambuk- oder 
Brasilienholz, das Braunholz, Blut-, Blau¬ 
oder Camp&cheholz, der echte, als Nahrungs¬ 
mittel für Menschen und Thiere verwendete 
Johannisbrotbaum (Ceratonia siliqua), dessen 
Hülsen auch ein berühmtes Brustmittel sind, 
sowie Arzneipflanzen, wie der Tamarinden¬ 
baum mit seinem süsssäuerlichen Hülsen¬ 
mark (Abführmitel auch bei uns, Pulpa Tama- 
rindorum), die Sennesblätter (s. d.) und der 
Copaivbalsam von Copalfera officinalis. VI. 

caesareus, Adj. von Caesar, dem Familien¬ 
namen des durch C. Julius Cäsar so berühmt 
gewordenen Julischen Geschlechtes, erlangte 
schon frühzeitig die Bedeutung kaiserlich, 
weil C. Julius Cäsar als der erste Dictator 
des römischen Reiches eine kaiserliche Ge¬ 
walt erhielt. Daher auch Sectio caesarea, der 
Kaiserschnitt etc. Sussdorf 

Cafelöffei voll, s. Medicinalgewicht. 
Caffeinum oder Coffeinum; das Alkaloid 
ist in neuerer Zeit als anregendes Gehirn- 
und Herzmittel bekannter geworden und kann 



38 


CAINOTHERIUM. — CALCARIA CHLORATA. 


häufig die Digitalis ersetzen (s. die Stamm¬ 
pflanze [Kaffeebaum] unter Coffea arabiea). VI. 

Cainotherium, fossiler Wiederkäuer in 
mehreren Variationen, von dem zahllose 
Funde vorliegen, welche für phylogenetische 
Folgerungen von grosser Bedeutung sind. Kitt. 

Cairo, Veterinärschule, gegründet 1830 
zu Abou Zabel. An derselben wirkten Clot- 
Bey, Pretot, Hamont, Prince, Gregoire, Laforge, 
L abatut. Semmer. 

Cajeputöl, Oleum Caieput, grünliches 
ätherisches Oel einer Myrthacee der Molukken, 
das früher als reizendes Gewürzmittel An¬ 
wendung fand, jetzt aber verlassen wor¬ 
den ist. Vogel. 

Calabarbohne, Faba Calabarica, enthält 
als hauptwirksamen Stoff das in neuester Zeit 
in der Thierheilkunde zu grosser Berühmt¬ 
heit gelangte Alkaloid Physostigmin oder 
Eserin (s. die Stammpflanze Physostigma 
venenosum). Vogel 

Calabreser Hund. Chien de Calabre. Cala- 
brian Dog. Italienischer Wolfshund. Eine 
schöne, grosse Hunderasse, welche zu der 
Gruppe der Schäferhunde gerechnet werden 
muss. Er erreicht eine Schulterhöhe von 55 
bis 60 cm, ist kräftig gebaut, mit hohen, starken 
Läufen. Der Kopf ist mittelgross, länglich, 
das Hinterhaupt breit, die Stirn gewölbt, die 
Schnauze spitz, die Ohren schmal, aufrecht 
und an der Spitze etwas umgebogen. Im All¬ 
emeinen erinnert der Kopf etwas an den 
es Wolfes. Der Schwanz wird bogenförmig 
nach aufwärts gekrümmt getragen. Das Kör¬ 
perhaar ist lang, zottig gewellt und weich, 
am längsten am Halse, am Bauch, an der 
Hinterseite der Beine und am Schwänze, wo 
es auf der Unterseite desselben in langen 
Fransen herabhängt. An den Ohren, der Vor¬ 
derseite der Beine und an den Pfoten ist das 
Haar beträchtlich kürzer, das Gesicht ist sehr 
kurz und glatt anliegend behaart. Die Fär¬ 
bung ist schneeweiss, selten etwas mit fahl¬ 
gelb gemischt. An den Seiten des Kopfes 
kommen hin und wieder ein bis zwei falbe 
oder rostfarbige Flecken vor. Diese Hunde 
dienen als Hüter der Schafheerden in den 
Abruzzen. Studer. 

Calamus aromaticus, frühere Bezeichnung 
des Kalmus (s. die Aroidee Acorus Ca¬ 
lamus). Vogel. 

Calberla-Masse (von Bunge zuerst zu¬ 
sammengesetzt und später von Calberla 
verändert und damit für gewisse Zwecke ver¬ 
bessert) ist eine der sog. „Einbettungs¬ 
massen“, in die man zu histologischen Unter¬ 
suchungen bestimmte Objecte einlegt und 
dortselbst einschmelzen lässt, um sie in 
feinste, in ihrem Zusammenhänge am wenig¬ 
sten gestörte Schnitte zerlegen zu können. 
Als ganz besonders brauchbar wurde folgende 
Zusammensetzung von Otto Becker für die 
Linse des Auges — deren Einbettung 
grossen Schwierigkeiten begegnet — em¬ 
pfohlen : Eiweiss wie Dotter möglichst frischer 
Eier werden tüchtig verrührt, sodann für 
jedes Ei 7—8 Tropfen wasserfreien Glycerins 
zugesetzt, nochmals gut verrührt und das 


Gemisch nun durch ein feines Flanelltuch 
filtrirt. Mit dem Filtrate wird das vorher ge¬ 
härtete Präparat, welches in einer oben 
offenen, eckigen Schachtel (Einsatz einer 
schwedischen Zündholzschachtel) mittelst 
Karlsbader Nadeln freischwebend erhalten 
wird, übergossen und das Ganze dann im 
Wasserbade so lange Alkoholdämpfen aus- 
gesetzt, bis die Masse fest geworden (was bei 
einem halbirten Auge in zwei Stunden ge¬ 
schehen ist). Hierauf lässt man in Alkohol 
von gewöhnlicher Concentration das Ganze 
nachhärten. Ist der erwünschte Härtegrad 
erreicht, so klebt man das Ganze mit Gummi 
auf Kork fest und schneidet auf dem Mikrotom 
unter Alkoholbenetzung; man kann hiebei 
Schnitte von 0*01 mm erhalten. Die Eiglycerin¬ 
mischung nimmt die zur Färbung des Prä¬ 
parates verwendeten Tinctionsmittel an und 
begünstigt die Entwicklung niederer Orga¬ 
nismen. 

Literatur: M. Bresgen, Virchow’s Arch., Bd. 66. 
— Otto Becker, Zur Anatomie der gesunden und 
kranken Linse. 1883, pag. 12 und 13. Schlampp. 

Calcaneum, calcaneus (von calx, die 
Ferse), Ferse und übertragen der die Grund¬ 
lage derselben bildende Knochen, das Fersen¬ 
bein, Sprungbein. Sussdorf. 

Caloaria, Kalk (eigentlich Kalkofen), 
wird aber auch für einzelne Kalkpräparate 
gebraucht, officinell jedoch nur von der 
Pharmacopoea Germanica für Chlorkalk und 
gebrannten Kalk; für die Kalksalze und deren 
Präparate wird jetzt überall die Bezeichnung 
Calcium angewendet, obwohl der richtige 
lateinische Ausdruck Calx heisst, der aber 
medicinell fast ausser Gebrauch gekom¬ 
men ist. Vogel. 

Calcaria carbonica, s. Calcium carbonicum. 

Calcaria caustlca, Aetzkalk, s. Calcaria 

usta. 

Calcaria chlorata, Ph. G. Chlorkalk 
(s. d.), Calx chlorata, Calcaria hypochlorosa, 
Calcaria oxymuriatica. Nach der Pharma¬ 
copoea Austriaca heisst der Chlorkalk Cal¬ 
cium hypochlorosum, unterchlorigsaures Cal¬ 
cium, s. d. (Subchloras calcicus, Bleichkalk). 
Hypochlorate oder Chlorure de chaux, chloride 
of lime, bleaching powder, Calce sottoclorosa. 

Wirksam im Chlorkalk ist das Chlorgas und 
der Kalk, aus denen er besteht; für inner¬ 
liche Zwecke kommen daher die zusammen¬ 
ziehenden, austrocknenden, selbst etwas kau¬ 
stischen Eigenschaften des Kalkes neben den 
desodorisirenden und desinficirenden des Chlors 
in Betracht. Nachdem jedoch das wegen seines 
Gehaltes an Chlorgas ohnedies etwas variable 
Präparat sich ausserordentlich leicht (schon 
an der Luft) zersetzt und das Endprodukt 
der Einwirkung der Magensäuren nur die 
Bildung von Chlorwasserstoff (Salzsäure und 
schwer lösliches magensaures Calcium) ist, 
so darf man keine allgemeinen Chlorwirkun¬ 
gen von ihm erwarten, denn wenn auch Spu¬ 
ren von Chlor ins Blut gelangten, müssten 
auch sie in Salzsäure umgewandelt werden. 
Jetzt ist das sonst ungemein kräftige Arznei¬ 
mittel für Allgemeinwirkungen obsolet, da 



CALCARIA 

man ohnedies jetzt sichere antiseptische Blut¬ 
mittel hat; früher ist es namentlich gegen 
typhöse Processe, Influenza, Rothlauffieber, 
Milzbrand, Blutharnen, ja selbst gegen Rotz 
und Wurm (Hertwig) gerühmt worden. Da¬ 
gegen erzielt man heute noch von Contact- 
wirkungen des unterchlorigsauren Calciums 
gute Erfolge, indem es durch seine säure¬ 
widrigen, leicht adstringirenden, fäulniss- 
widrigen und geruchzerstörenden Wirkungen, 
welche sich während seines Aufenthaltes in 
Magen und Darm mit grosser Sicherheit ent¬ 
falten, falschen Gährungen und meteoristischen 
Auftreibungen zuvorkomrat und deswegen bei 
Fütterung verdorbener Nahrungsmittel, bei 
Aufblähungen, Lecksucht, Wollfressen, Dys¬ 
pepsien, putriden Vorgängen, Durchfällen, 
Ruhr u. s. w. innerlich verwendet wird, nur 
darf es nicht länger als 1—2 Tage fortgegeben 
werden, da es sonst den Thieren zuwider 
wird, das Wiederkäuen sistirt und durch 
Bildung grösserer Mengen magensauren Kalkes 
die Verdauung ruinirt. Man gibt es einigemal 
im Tage Pferden zu 10*0—20’0, Rindern zu 
20*0—50*0, den kleinen Thieren zu 2*0—5*0 
entweder in aromatischen Aufgüssen mit 
Spiritus oder besser in Latwergen, die am 
zweckmässigsten durch Mehl gebunden wer¬ 
den. In der Hundepraxis verbindet man mit 
Chlorkalk bittere, würzige Tincturen. 

Aeusserlich ist Chlorkalk bei richtiger 
Verwendung ebenfalls ein hochgeschätztes 
Mittel und steht jetzt auch seine oft bestrit¬ 
tene desodorisirende Wirkung ausser Zweifel. 
Besonders dienlich ist er, mit Wasser zu 
einem dicklichen Brei angemacht, zu chirur¬ 
gischen Verbänden überall da, wo zu geringe 
oder zu starke, üble Wundsecretion sich be- 
merklich macht und eine Abwechslung im 
Verband nöthig erscheint, auch eröffnet er 
meist den Reigen der Wundmittel bei atoni- 
schen Geschwüren und beobachtet man bei 
ihm eine raschere Heilung, die vornehmlich 
der Kalkwirkung zuzuschreiben ist. Zu Ein¬ 
spritzungen seiner Lösungen in die Scheide 
und den Uterus darf nur 1—2% Chlorkalk 
dem Wasser beigegeben werden. Endlich ziehen 
ihn viele Praktiker auch gegen den Strahl¬ 
krebs in Gebrauch, wobei er erst nach den 
stärkeren Aetzmitteln (Salpetersäure, Chlor¬ 
zink u. s. w.) zur Verwendung kommt, denn 
er vermag nur die nachwuchernden Zotten¬ 
spitzen abzutödten, welche dann als eine 
schmierige Masse mittelst eines hölzernen 
Spatels abgestreift werden können. Zur Ver¬ 
nichtung von üblen Gerüchen in Stallungen, 
Sectionsräumen u. s. w. entwickelt man Chlor¬ 
gas aus Chlorkalk, indem man diesen mit 
etwas Wasser oder Essig übergiesst; desinfi- 
cirendeEigenschaften haben aber diese Dämpfe 
nicht, denn Chlor tödtet die Mikroorganismen 
(am sichersten den Rotz- und Tuberkelbacillus) 
erst, wenn die Dämpfe massenhaft aufsteigen, 
wozu grosse Mengen des Kalkes (1—2 kg) 
erforderlich sind; besser benützt man hiezu, 
um sicher zu gehen, die Guyton-Morveau’schen 
Räucherungen (s. d.), meist geben aber die 
einzelnen Veterinärgesetzgebungen hiezu die 


CHLORATA. 39 

nöthigen Vorschriften, denn mit medicamen- 
tösen Entpestungsmitteln allein ist noch nicht 
geholfen, und gibt es noch energischere Mittel, 
als den Chlorkalk. Bei der Entwicklung von 
Chlorgas sind mindestens 5 g frischer Chlor¬ 
kalk und 10 g Salzsäure auf 1 kbm Luftraum 
zu rechnen, und zum Anstreichen von Gerät¬ 
schaften, Wänden, Raufen u. s. w. bedient 
man sich einer Chlorkalkmilch von 10 / 0 . 

Chlorinhalationen sind mit Recht 
ganz ausser Gebrauch gekommen, die Thiere 
werden von dem irrespirablen Gase, auch 
wenn es nur mittelst Wasser oder Hausessig 
entbunden wird, zu empfindlich berührt; ausser¬ 
dem hat man jetzt ebenso gute Desinficientien 
selbst für Lungengangrän, ohne dass heftiger 
Hustenreiz erzeugt wird (Carbolsäure, Theer, 
Kreosot, Terpentinöl, Brom), am besten eignet 
sich das Verbrennen gleicher Theile Theer 
und Terpentinöl; nur gegen die Lungen¬ 
würmerkrankheit kann das Mittel ebenfalls 
therapeutisch verwendet werden, da der Husten 
hiebei dienlich ist. 

Die Guyton-Morveau’schen Chlor¬ 
räucherungen sind die stärksten, es müssen 
daher bei ihrer Anwendung Menschen und 
Thiere entfernt werden und sind die betref¬ 
fenden Räumlichkeiten mindestens 8 Stunden 
lang damit anzufüllen. Man nimmt hiezu 
3 Chlornatrium, 2 Braunstein und übergiesst 
mit so viel (zur Hälfte mit Wasser ver¬ 
dünnter) roher Schwefelsäure, dass eine breiige 
Consistenz entsteht. Zu bemerken ist noch, 
dass gefärbte Stoffe, Teppiche, Schabracken 
u. dgl., der bleichenden Einwirkung des Chlors 
halber ihre Farbe verlieren. Für Hühner¬ 
ställe, Volieren empfiehlt Perroncito auf 100 kbm 
Stallraum 3 kg Chlorkalk, 1 * 5 kg Schwefel¬ 
säure und ebensoviel Wasser. 

Aqua chlorata oder Chlori (Chlorum 
solutum, Liquor Chlori, Aqua oxymuriatica. 
Chlorina liquida; Eau chloröe; chlorine water: 
aqua di cloro). Diese officinelle Lösung von 
Chlorgas in Wasser muss mindestens 0 * 4 Chlor 
enthalten und bildet dann eine klare Flüssig¬ 
keit von erstickendem Gerüche, welche im 
frischen Zustande blaues Lackmuspapier ohne 
Röthung bleichen soll, an der Luft Chlorgas 
abgibt und am Tageslichte sich unter Frei¬ 
werden von O und Bildung von Chlorwasser¬ 
stoffsäure zersetzt. Die Wirkungen des giftigen 
Chlors kommen hier am reinsten zum Vor¬ 
schein, es hat daher ganz dieselben Indi- 
cationen, w r ie sie oben beim Chlorkalk ange¬ 
geben worden sind, d. h. es werden jetzt nur 
mehr die Contactwirknngen benützt, u. zw. 
besonders bei Indigestionen, chronischen und 
acuten Aufblähungen. Magen-Darmkatarrhen, 
bei manchen profusen Ausleerungen, die 
anderen Mitteln Trotz bieten u. s. w. Im An¬ 
fang erregt es in leichtem Grade den Appetit, 
indem es der Bildung von Salzsäure Vor¬ 
schub leistet, ist daher ein gelindes ver- 
dauungsbefördemdes Mittel, das zugleich auch 
etwas die Darmentleerung anhält, wird aber 
im Ganzen nicht häufig oder nur in Ab 
wechslung mit anderen Pepticis ange¬ 
wendet. Gelangt Chlorgas in den Athmungs- 


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40 


CALCARIA HYPOCHLOROSA. — CALCARIA USTA. 


tract, so erregt es nicht blos heftigen 
Husten und krampfhafte Verengerung der 
Glottis, sondern bald auch Entzündung, Er¬ 
stickungszufälle und selbst Tod. Das Blut ist 
dabei flüssig und schwärzlichroth, das Fleisch 
riecht nach Chlor und ist bei Schlachtthieren 
werthlos geworden; doch toi eriren Rinderund 
selbst Pferde grosse Gaben, und zwar über 
1 kg. Bei Vergiftungen kommen örtlich die¬ 
selben Erscheinungen zum Vorschein, wie solche 
die kaustischen Alkalien erzeugen, und als Ge¬ 
genmittel würde sich leichtes Schwefelwasser¬ 
stoffwasser, verdünntes Ammoniak (Salmiakbil¬ 
dung), noch besser Inhalation grösserer Wasser¬ 
dampfinengen empfehlen. Chlor ist ausgezeich¬ 
net dadurch, dass es ausserordentliche Affi¬ 
nität zum H hat und dieses allen Organen 
rasch entzieht, so dass unter Freiwerden von 0, 
der in statu nascendi intensive oxydirende 
Eigenschaften entfaltet, die ursprüngliche Mo- 
lecularstructur verloren geht, d. h. es zu An¬ 
ätzungen kommt, denn an die Stelle des 
Wasserstoffes tritt Chlor und Salzsäure und 
auch die Albuminate gerinnen. Ebenso zer¬ 
störend wirkt Chlor aber auch auf die nie¬ 
dersten Organismen, ganz besonders auf die 
Fäulnisserreger und üblen Gerüche, so dass 
es kein besseres Desinfectionsmittel, besonders 
für gährende Fäcalien, Dungstätten etc., gibt; 
die Schizomyceten werden aber nur durch 
starke Mengen Chlors vernichtet, das ge¬ 
wöhnliche Räuchern z. B. in Stallungen, 
Quarantainen, Bahnhöfen reicht weit nicht 
aus. — Aeusserlich kommt Chlorwasser unter 
ähnlichen Anzeigen in Gebrauch, wie beim 
Chlorkalk angegeben wurde; am meisten hat 
es sich Ruf erworben bei fötiden Vorgängen, 
brandigen Ulcerationen, Pustula maligna, dann 
bei contagiösen Affectionen der Bindehaut, Infil¬ 
trationen derselben (vorausgesetzt, dass die Ent¬ 
zündung gebrochen) und bei diphtheritischen 
Zuständen. Als Augenmittel ist es besonders 
von den Specialisten hoch geschätzt, bei den 
übrigen Zuständen empfiehlt sich jedoch bei 
Thieren, besonders was die desodorisirenden 
Zwecke betrifft, besser der Chlorkalk. Aeusser¬ 
lich ist keine Verdünnung nöthig, nur auf 
die Schleimhäute, nämlich eine Vermischung 
mit gleichen Theilen Wasser; bei Conjuncti- 
viten namentlich auch des Geflügels (mit 
oder ohne Kamillenthee) wäscht man mittelst 
eines weichen Pinsels täglich einmal den 
Bindehautsack gut aus. Innerlich Pferden 
100 • 0—150 * 0 , Rindern 1 50 • 0—250 * 0, Schwei¬ 
nen, Schafen 30*0—60*0 und Hunden 2’0 bis 
5’0 pro dosi. Bei Blausäurevergiftung (oder 
Cyankalium) ist Chlor kein Gegengift, eher 
bei Phosphorvergiftungen des Geflügels zu 
1 Theelöffel öfters. Bei Diphtherie des Rachens 
u. s. w. werden jetzt keine örtlichen, sondern 
nur mehr inhalatorische Desinficientien an¬ 
gewendet, am besten Dämpfe von Theer, 
Terpentinöl, Carbolwasser und Brom. Vogel. 

Calcaria hypochlorosa, s.Calcaria chlorata. 

Calcaria oxymuriatica, s.Calcaria chlorata. 

Calcaria phosphorica, s. Calcium phos- 
phoricum. 

Calcaria soluta, s. Calcaria usta. 


Calcaria sulfurata, s. Calcaria usta und 
Calcium oxysulfuretum solutum. 

Calcaria sulfurica usta, gebrannter Gyps, 
s. Calcium sulfuricum ustum. 

Calcaria usta Ph. G. Gebrannter Kalk, 
Aetzkalk, Calcaria caustica. Ungelöschter Kalk. 
Lebendiger Kalk, Calxviva. Nach der österr. Ph. 
Calcium oxydatum, Calciumoxyd. Chaux vive; 
unslaked lime, quicklime; calce viva. Der ge¬ 
wöhnliche Kalkstein (oderKreide, Kalktuff, Mar¬ 
mor) ist kohlensaurer Kalk oder Calcium,C0 8 Ca, 
in den Hauptbestandtheilen und wird durch 
Glühen seiner Kohlensäure und des Wassers 
beraubt, so dass nur mehr ausser den Neben- 
bestandtheilen das Calciumoxyd, CaO (s. d.), 
zurückbleibt. Bringt man dieses mitthierischem 
Gewebe in Berührung, so holt es sich das im 
Kalkofen verlorene Wasser wieder mit grosser 
Begierde und bringt so die ganze Molecular- 
structur in Unordnung, denn ein solches Ge¬ 
webe zerfällt, indem gleichzeitig eine Er¬ 
hitzung desselben, Zersetzung der Albuminate 
und Verseifung der Fette stattgefunden hat. 
Es ist somit eine Aetzung erfolgt, der Aetz- 
schorf (die zerfallene Gewebsmasse) ist aber 
nur ein kleiner und dünner, weil ein Zer- 
fliessen und Umsichgreifen in die Breite und 
Tiefe nicht möglich war (wie z. B. bei dem 
im Gewebswasser sich leicht lösenden Aetz- 
kalium), das Calciumoxyd hat sich vielmehr 
mit dem Gewebswasser zu Calciumhydroxyd, 
H s CaO,. umgewandelt, das aber trocken ist 
(gelöschter Kalk, der kaum mehr angreift); 
ausserdem bildet die Verbindung von Kalk 
und Eiweiss ebenfalls ein hartes Pulver, so 
dass also der Aetzkalk ein nur leicht corro- 
direndes, mehr austrocknendes Mittel ist und 
auch demgemäss nur zu oberflächlichen Ge¬ 
webszerstörungen dienen kann, z. B. bei 
üppigen Granulationen, feuchten Warzen, 
kleineren Neubildungen, wo er aber durch 
rasche Kernwucherung baldige Vernarbung 
und besseren Heiltrieb erzielt als das Aetz- 
kali, das durch Zerfliessen stark um sich 
greift, dessen Zerstörungen man daher weniger 
in der Hand hat. Um die Gegensätze beider 
Mittel auszugleichen und das eine durch das 
andere zu corrigiren, verwendet man in der 
Chirurgie gerne die Verbindung beider, wo¬ 
durch das 

Pulvis causticus Viennensis, Wiener 
Aetzpulver, entsteht, zusammengesetzt aus 
6 Calciumoxyd und 5 trockenem Aetzkali 
(Kalihydrat); wegen der bequemeren Anwen¬ 
dung für manche Fälle bereitet man sich aus 
dem Pulver durch Zusatz von etwas Mehl 
und Wasser die 

Pasta caustica Viennensis, mit der 
man je nach Erforderniss stärker oder leichter 
fortätzen kann. Schon nach fünf Minuten be¬ 
ginnt der Gewebsangriff und dauert20—40 Mi¬ 
nuten. Die Vernarbung ist stets eine gute. 
Der Aetzkalk erfordert wie der Gyps eine sorg¬ 
fältige trockene Aufbewahrung. Weitere Anwen¬ 
dung findet das Mittel noch bei hartnäckigen 
Hautkrankheiten, wo es mit Wasser zu Kalkmilch 
abgelöscht wird; auch dann übt es noch leicht 
ätzende Einwirkungen aus und wird gerne mit 



' ^ OT TH€ 

UNIVERSITY 

OF 


CALCIUM. 


Schwefel verbunden (s. Räudeheilmittel und 
Calcium oxysulfuretum solutum). Man kocht 
i Kalk, 2 Schwefel und 20 Wasser zu 12 
Theilen ein (Calcium sulfuretum, Schwefel¬ 
calcium) und wäscht damit die betreffenden 
Stellen. Besonders bewährt bei dem so lästigen 
Pruritus ist auch die Vermischung von 1 Aetz- 
kalk mit je 2 Theer und Fett. Desgleichen 
tödtet er alles Ungeziefer, indem die Haut 
derselben, selbst die chitinhaltige der Milben, 
gründlich zerstört wird. Dadurch und durch 
seine Wohlfeilheit ist er auch ein berühmtes 
Heilmittel gegen Räude (s. d.) geworden, wo 
er in Verbindung mit Potasche, Tlieer, Hirsch¬ 
horaöl, Schwefel, Carbolsäure u. dgl. ausge¬ 
dehnte Anwendung findet. Gegen das Unge¬ 
ziefer in Geflügelstallungen wird jetzt viel¬ 
fach der Kalkstaub der Kalkbrennereien ver¬ 
wendet, indem man diesen gegen die Decke 
und Wände, sowie in alle Ritzen und Fugen 
wirft und auch auf dem Boden umherstäubt, 
um ihn dann mit dem Miste zu entfernen 
(Zürn); ebenso desinficirt man mit Kalkmilch 
in der wirksamsten Weise die Stallungen, in 
denen z. B. Verkalben, Euter- und Nabel¬ 
entzündungen etc. ausgebrochen sind; er ist 
in dieser Weise den (nicht desinficirenden) 
Carboidämpfen weit vorzuziehen. Als Gegen¬ 
mittel bei Anätzungen mit Kalk, Hineinfallen 
in Kalkgruben ist Wasser unzweckmässig, 
besser Oel oder auf kleinere Stellen Zucker; 
Kalksaccharat ist unlöslich. Endlich kann 
frisch gebrannter Aetzkalk auch zum Aus¬ 
trocknen feuchter Stallungen und anderer 
Räumlichkeiten verwerthet werden. 

Aqua Calcariae Ph. G. Kalkwasser. 
Aqua Calcis Ph. A.; Calcaria soluta, Liquor 
Calcis. Eau de chaux; lime water; idrato di 
calce sciolto. Besprengt man gebrannten Kalk 
(Calciumoxyd, CaO) mit % Vol. Wasser (1:4), 
so bewegt er sich unter Erhitzen, stösst 
Wasserdämpfe aus und zerfällt zu einer weissen 
amorphen Masse, d. h. zu Calciumhydroxyd, 
Ca(0H)„ oder gelöschtem Kalk, der mit 3 bis 
4 Theilen weiteren Wassers die Kalkmilch 
zum Anstreichen gibt und 1:100 das offici- 
nelle Kalkwasser. Es bildet eine klare, alka¬ 
lische Flüssigkeit, welche gut verschlossen 
werden muss, um nicht an der Luft sich 
durch Aufnahme von Kohlensäure zu trüben 
(Calciumcarbonat). Der Kalkgehalt dieses 
Aqua Calcis ist jedoch ein äusserBt geringer, 
denn Aetzkalk löst sich erst in 800 Wasser, 
der Bodensatz obiger Mischung 1:100 wird 
daher weggegossen. Das Mittel ist vorwiegend 
ein säurewidriges, daneben aber auch, wie 
schon oben beim Chlorkalk angegeben wurde, 
ein milde zusammenziehendes, tonisirendes, 
septisches, das besonders für den Magen und 
Darm berechnet ist, wo es die Drüsensecretion 
mit grosser Sicherheit beschränkt, daher 
Diarrhöen anhält, namentlich wenn sie durch 
darmreizende Säuren, wie bei den Säuglingen, 
erzeugt worden sind, und wobei mit den Fett¬ 
säuren unlösliche, die Verdauung bald be¬ 
lästigende Kalkseifen gebildet werden, die 
ein zusammenhängendes, die Darmdrüsen be¬ 
deckendes Häutchen bilden, unter welchem 


41 

auch Darmgeschwüre wie unter einem Pflaster 
zur Heilung gelangen. Der grösste Theil des 
Kalkantheils geht indess mit dem Darminhalt 
ab, ein kleinerer Theil wird resorbirt und der 
Schluss der Wirkung ist bei fortgesetzter An¬ 
wendung eine durch die Beschränkung der 
Drüsensecretion hervorgerufene Indigestion 
und Verstopfung. Sonach macht man von dem 
Mittel nur 1—2 Tage je 1—3mal täglich Ge¬ 
brauch (bei längerer Dauer der Krankheit 
zieht man den kohlensauren Kalk herbei, s. d.). 
u. zw. ausser bei Durchfällen auch bei Auf¬ 
blähungen, wobei viel CO, absorbirt wird, 
bei Rhachitis (s. Calcium carbonic. und phos- 
phoric.) und bei jenen folliculären Verschwä¬ 
rungen, welche Diarrhöen zu unterhalten 
pflegen und die Folgen acuter und chronischer 
Darmkatarrhe sind. Der Nutzen ist hier un¬ 
leugbar, da die blossliegenden, gereizten, die 
Peristaltik fortwährend anreizenden Nerven¬ 
enden jetzt eine die Heilung wesentlich för-. 
dernde kalkige Schutzdecke erhalten. Viele 
machen jedoch aus obigen Gründen keinen 
Gebrauch von dem Mittel und ziehen jene 
Stoffe vor, welche keine Appetitlosigkeit, kein 
Erbrechen und keine Obstipation nach sich 
ziehen, wie z. B. Kreide, Wismut, Silber¬ 
nitrat. Der Nutzen bei Schleimflüssen aus den 
Luftwegen, Geschlechtstheilen ist ein zu ge¬ 
ringer, ebenso hat man Kalkwasser zur Lö¬ 
sung von Croupmembranen wieder verlassen 
und den desinficirenden Inhalationen den 
Vorzug gegeben, wie auch die Wirkung als 
Antidot bei Vergiftungen mit Säuren eine 
viel zu schwache genannt werden muss. Die 
Gaben müssen grosse sein, Pferd 1—31, 
Rind 1—5 1, Schafen, Schweinen %—11 und 
Hunden 50—100*0; bei heftigen acuten Me¬ 
teorismen giesst man am besten gleich Kalk¬ 
milch ein, den 10. bis 20. Theil obiger Dosen, 
bei Säuglingen sind kleine, aber öftere Gaben 
in der Milch sehr vorteilhaft und kann da¬ 
mit arab. Gummi, Anis, Eier, Bouillon, Bitter¬ 
mandelwasser, Rheum- oder Eisentinctur, 
Rothwein, Chinin u. dgl. verbunden werden, 
bei grossen Hausthieren mit Aufblähung 
Spiritus, Erdöl, Terpentinöl, Oleum Carvi una 
später kleine Gaben Aloö, Salzsäure etc. 
Aeusserlich kann Kalkwasser ebenfalls viel¬ 
fach Nutzen bringen, wie als Austrocknungs¬ 
mittel bei Decubitus, nässenden Hautaus¬ 
schlägen (mit Aqua Picis), Geschwüren, stark 
secernirenden Wunden; einen besonders guten 
Ruf geniesst auch die alte, aber vortreffliche 
(Stahl’sche) Mischung gegen Verbrühungen 
und Verbrennungen ersten und zweiten Grades, 
nämlich gleiche Theile Kalkwasser und Leinöl, 
sowie das Glycerin mit 5—10% Aqua 
Calcis. Vogel . 

Calcium, Ca, ein Metall., zu der Classe 
der Erdalkalimetalle gehörig. Es kommt in 
der Natur nicht gediegen vor, auch nicht in 
der Oxydverbindung; hingegen gehören viele 
Salze des Calciums zu den weitverbreitetsten 
chemischen Bestandtheilen der Erdrinde und 
sind von gleich grosser Bedeutung für die 
Ernährung und das Wachsthum von Thier 
und Pflanze. Als Calciumcarbonat, C0 3 Ca, 


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42 CALCIUM CARBONICUM. — 

bildet es den Kalkstein, die Kreide und den 
Marmor und kommt in Quellwasser gelöst 
vor, bildet die Schalen von Schnecken, Mu¬ 
scheln und Eiern, Korallen. Mit Schwefel¬ 
säure verbindet sich das Calcium zu Gyps, mit 
Phosphorsäure zu Apatit und Phosphorit, mit 
Flusssäure zu Flussspath. Im Meerwasser finden 
wir es als Chlorcalcium gelöst, mit der unter¬ 
chlorigen Säure bildet es den Bleichkalk. 
Trotzdem man jedoch das Brennen des Kalk¬ 
steins schon im Alterthum kannte, wurde das 
metallische Calcium erst 1808 von Davy durch 
Elektrolyse aus Calciumchlorid dargestellt. 
Es ist ein gelbes Metall, dessen Atomgewicht 
39*9, specifisches Gewicht 1*58, es ist härter 
als Blei, zähe und hämmerbar, an feuchter 
Luft wird es rasch oxydirt, es zersetzt das 
Wasser schon bei gewöhnlicher Temperatur 
unter Entwicklung von Wasserstoff“, bei Roth- 
glühhitze verbrennt es an der Luft mit glän¬ 
zendem gelben Licht. Loebisch. 

Calcium carbonicum, kohlensaurer Kalk, 
Calciumcarbonat (s. d.); Calcaria carbonica. 
Kreide. Creta alba, oder nach der Ph. Austr. 
Calcium carbonicum nativum, besteht in fos¬ 
silem Zustande fast nur aus kohlensaurem 
Kalk (mikroskopische Thierschalen), C0 3 Ca, 
sie genügt daher für thierärztliche Zwecke 
oder bedient man sich der durch Schlämmen 
gereinigten Kreide, Creta elutriata seu 
depurata, während der officinelle kohlen saure 
Kalk ganz rein ist und durch Fällen von 
Chlorcalcium mit reiner Soda erhalten wird: 

Calcium carbonicum praecipita- 
tum, Creta praeparata, Carbonas Calcis 
praecipitatus Ph. A. Wegen der leichten Ver- 
drängbarkeit der Kohlensäure bildet sich bei 
inneilicher Verabreichung alsbald magen¬ 
saurer Kalk, Kreide ist daher vorwiegend ein 
säuretilgendes Arzneimittel und wird auch am 
häufigsten bei abnormer Gährung im Magen 
und Darm gegeben, wobei die für den Magen 
so wohlthätige Kohlensäure frei wird; im 
Darm weiter hinten verliert sich der Magen - 
säureantheil allmälig immer mehr und das 
Mittel wird wieder zu einfach kohlensaurem 
Kalk, der, im Wasser unlöslich, zum grös¬ 
seren Theil durch die Fäces wieder abgeht, 
ein anderer Theil ist aber resorbirt worden 
und kommt als Calciumcarbonat in ziemlich 
grosser Menge im Harn der Thiere wieder 
zum Vorschein, während beim Menschen die¬ 
ses im Harn völlig fehlt. Während dieser 
Passage durch den Alimentarschlauch machen 
sich dieselben Kalkwirkungen bemerklich, wie 
sie schon oben beim Kalkwasser (s. unter 
Calcaria usta) näher angegeben worden sind. 
Auf die Dauer geht die Anwendung des Mit¬ 
tels, wenn es auch etwas besser als Chlor¬ 
kalk ertragen wird, auch nicht, und wenn es 
darauf abgesehen wäre, dem Körper mehr 
Kalk zuzulühren, so eignet sich hiezu besser 
das phosphorsaure Calcium oder das präparirte 
Knochenfuttermehl (s. d.). Aus diesem Grunde 
ist auch der Werth des kohlensauren Kalkes 
bei Rhachitis ein zweifelhafter, und fehlt es 
hiebei wahrscheinlich gar nicht an im Körper 
ankommenden Kalkmengen, da diese ja in 


CALCIUM PHOSPHORICUM. 

allen Futterarten und der Milch reichlich ent¬ 
halten sind, sondern eher an der Verdauung, 
Resorption und Assimilation der erdigen Kör- 
perbe9tandtheile. Sonach wäre die Kreide in 
der Thierheilkunde hauptsächlich nur ein 
leicht zu beschaffendes Antacidum, müsste 
aber bei habitueller Säurebildung (Pyrosis) 
mit den leichter umzusetzenden kohlensauren 
Alkalien, insbesondere dem Natriumcar¬ 
bonat (der Bildung von Kochsalz wegen), in 
Abwechslung kommen, es wird jedoch von 
Rindern und Pferden in den unten angege¬ 
benen Dosen wochenlang gut ertragen (siehe 
auch Calcium phosphoricum). Dosis für das 
Pferd 5*0 — 10*0: Rind 10*0—30'0; Schaf 
5*0—10*0; Schwein 1*0—3*0; Hund 0*3 bis 
3 * 0, täglich mehrmals mit Kochsalz, Glauber¬ 
salz, Enzian. Schafgarben, Wachholderbeeren, 
Eisen. Bei Vergiftungen durch Säuren so viel 
als erforderlich mit Wasser als Schüttel- 
mixtur. Aeusserlich ganz entbehrlich. Vogel. 

Calcium chloratum, Chlorcalcium, CaCl», 
s. d. (nicht zu verwechseln mit Chlorkalk) 
ist ein dem Chlornatrium ähnlich zusammen 
gesetztes Salz, das aber in der Veterinär- 
medicin keine Anwendung findet, sondern nur 
als Trocknungsmittel für Gase und Flüssig¬ 
keiten dient. Vogel. 

Calcium hypochlorosum, unterchlorig¬ 
saurer Kalk, die officinelle Bezeichnung 
des Chlorkalkes nach Ph. A. (s. Calcaria 
chlor ata). Vogel 

Calcium oxydatum, Calciumoxyd, ist der 
gebrannte Kalk (s. Calcaria usta). Vogel. 

Calcium oxysulfuratum solutum Ph. A., 
Kalkschwefelleberlösung, Schwefelcalciumlö¬ 
sung, Solutio Calcii oxysulfurati. Solutio Vle- 
m i n c k x. Diese als V1 e m i n c kx’sches Räude¬ 
mittel in bestem Rufe stehende Lösung ist in 
Oesterreich-Ungarn officinell vorgeschrieben 
und wird auf folgende Art bereitet: Man bespritzt 
30 Theile zerstossenen frischen Aetzkalk mit 
20 Theilcn Wasser und gibt dem so ge¬ 
löschten Kalkpulver 60 Theile Schwefelblu¬ 
men bei. Die Mischung (Calciumoxysulfuret, 
foie de soufre calcaire, sulfuret of calcium) 
wird in gut verstopftem Glase aufbewahrt und 
sobald obige Lösung verlangt wird, kocht 
man 3 Theile der Mischung mit 20 Theilen 
Wasser unter beständigem Aufrühren zu 
12 Theilen ein und colirt. Das Waschmittel 
ist auch bei Behandlung räudiger Thiere be¬ 
währt und muss nach acht Tagen wiederholt 
werden. Die Lösung enthält Fünffachschwefel¬ 
calcium und ist die beste aller derartigen 
Bereitungsvorschriften (s.Räudeheilmittel). VI. 

Calcium phosphoricum, Calciumphosphat 
(s. d.), phosphorsaurer Kalk oder Kalk erde,Cal¬ 
caria phosphorica, Phosphas Calcis. Phosphate 
calcaire; phosphate of lime; calce fosforica. 
Die Kalkverbindung wird bei innerer Medica- 
tion unter dem Einfluss der Magensäuren in 
saures Phosphat umgewandelt, jedoch nicht 
zersetzt, denn es geht als solches ins Blut; 
der grössere Theil wird mit den Excrementen 
ausgestossen, die ungewöhnlich trocken zum 
Vorschein kommen; der weisse feste Mist 
der Hunde besteht fast ganz aus phosphor- 


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CALCIUM SACCHARATUM. — CALCIUM SüLFURICUM USTUM. 43 


saarem Kalke. Letzterer kann in Verbindung 
mit Kochsalz lange Zeit, ohne die geringste 
Concoctionsstörung zu veranlassen, fortge¬ 
geben werden, und Rinder z. B. vertragen ihn 
zu 100‘0—200*0 viele Monate lang. Die 
Wichtigkeit des Mittels und die Bedeutung 
für das Blut ist aus der Physiologie bekannt, 
und welche Wichtigkeit den Kalksalzen über¬ 
haupt (wozu noch Chlorcalcium und Calcium¬ 
carbonat tritt) zukommt, erhellt schon daraus, 
dass Thiere, denen man sie entzieht, kachek- 
tisch werden, insbesondere aber, wenn es an 
phosphorsaurer Kalkerde gebricht. Letzteres 
soll nun bei der Rhachitis und Knochenbrü¬ 
chigkeit der Fall sein, das Mittel spielt daher 
bei beiden Erkrankungen eine hervorragende 
Rolle, mit welchem Rechte, ist jedoch insbe¬ 
sondere nach den schönen Versuchen von 
Weiske, Wildt und Milne-Edwards wieder 
zweifelhaft geworden, nachdem es sich her¬ 
ausstellte, dass die verschiedenartigsten Bei¬ 
mengungen von Erdphosphaten zum Futter 
einen Einfluss auf die Zusammensetzung der 
Knochen nicht ausübten, und selbst bei jun¬ 
gen, im Wachsthum begriffenen Thieren hat 
sich weder bei Mangel an Kalk, noch an 
Phosphorsäure irgend eine bemerkenswerthe 
Aenderung im Skelete ergeben. Die Frage 
der Behandlung genannter Thierkrankheiten 
ist daher immer noch eine unerledigte, so 
lange jedoch bessere Mittel nicht gefunden 
sind, sucht man wenigstens den beobachteten 
Ueberschuss an ausgeschiedener Phosphor¬ 
säure durch leichte, aber fortgesetzte Gaben 
des Mittels zu decken, die übrigen Ernäh¬ 
rungsstörungen, wie sie besonders Roloff so 
schön festgestellt hat, der Natur überlassend. 
Von dem Calciumphosphat (oder aufge¬ 
schlossenem Knochenmehl) reicht man dem 
Pferde 10*0—20*0, Rindern 20*0—50*0, 
Kälbern, Lämmern 5*0—10*0, Hunden 0*5 
bis 2*0 pro dosi, insbesondere mit bitteren 
und gewürzhaften Mitteln, weil auf Herstellung 
einer geregelten Verdauung und Assimilation 
ein Hauptgewicht gelegt werden muss. VI. 

Calcium saccharatum, Zuckerkalk, Cal- 
caria saccharata, ist eine Verbindung von 
Rohrzucker mit Kalk, welche Bedeutung da¬ 
durch gewonnen hat, dass sie nach den Huse- 
mann’schen Versuchen an Thieren sich als 
einziges Antidot bei Carboivergiftungen er¬ 
wiesen hat und auch besser als Kalkwasser 
von den Säuglingen vertragen wird. Man gibt 
es diesen löffelweise alle Stunden in Lösungen 
mit Glycerin \: 10—20. Vogel. 

Caloium sulfuratum, s. Calcaria usta und 
Calcium oxysulfuratum solutum. 

Calcium sulfuricum ustum Ph. G., ge¬ 
brannte schwefelsaure Kalkerde. Calcaria sul- 
furica usta. Gebrannter Gyps. Gypsum ustum. 
Gypse calcine, vitriol de chaux; burnt gyp¬ 
sum; calce solforica, gesso (s. Gyps). Der 
fast völlig durch Glühen entwässerte schwe¬ 
felsaure Kalk, CaS0 4 , bindet 2 Molecule 
Wasser, löst sich aber erst in 1:400 Theilen 
Wasser und muss gemahlen als weisses amor¬ 
phes Pulver wegen seiner grossen Absorptions¬ 
fähigkeit für Wasser gut aufbewahrt werden. 


Dieser Gyps findet hauptsächlich aus dem 
Grunde chirurgische Anwendung in der Thier¬ 
heilkunde, weil er die Eigenschaft hat, durch 
Verrühren mit der Hälfte Wasser das im 
Glühofen verlorene Krystallwasser mit grosser 
Begierde alsbald wieder chemisch zu binden 
und so einen Brei zu bilden, der in längstens 
einer Viertelstunde zu einer festen, unver¬ 
rückbaren Masse erstarrt. In diesem Zu¬ 
stande bildet er ein ebenso einfaches als 
billiges Verbandschutzraittel (Scepasticum 
contentivum) bei Luxationen, Knochenbrüchen 
und um auf geschwollene, chronisch verhärtete 
und verdickte Theile nach allen Seiten einen 
andauernden und zugleich glcichmässigen 
Druck auszuübon. Das rasche Trocknen des 
Breies ist ein Hauptvorzug, und kommen ihm 
die übrigen Contentivverbände, wie sie durch 
Gummi arabicum, Kleister, Wasserglas u. s. w. 
hergestellt werden, an Stärke und Sicherheit 
nicht gleich, letztere können daher nur Anwen¬ 
dung in leichten Fällen und bei den kleineren 
Hausthieren finden. Höchstens könnte man 
sagen, dass in der Schwierigkeit der Ab¬ 
nahme des Gypsverbandes eine kleine Incon- 
venienz gelegen wäre, indess kann auch 
dieses Geschäft durch Aufweichen mit war¬ 
mem Wasser und Durchschneiden mittelst 
eines scharfen, starken Messers, dessen sich 
z. B. die Gärtner bedienen, erleichtert werden. 
Man hat mehrere Arten von Gypsverbänden. 
die je nach dem Einzelfalle ihre Vortheile 
haben. Die älteste, schon von den Arabern 
gebrauchte Form ist 

1. der Gypsguss, wie er bei den Thie¬ 
ren um die letzten Zehenglieder angelegt 
wird, indem man diese in einen leichten 
Holzkasten stellt und letzteren mit dickem 
Gypsbrei ausgiesst; der Kasten wird nach 
einer halben Stunde entfernt. An Stelle des 
Gypses ist in neuerer Zeit auch das mit 
Kiesel (Silicum) vermengte Tripolith (s. d.) 
verwendet worden, welches schneller erhärten 
und eine grössere Bindekraft und Festigkeit 
besitzen soll, dessen Vorzüge aber noch nicht 
näher constatirt sind. Ausserdem kann man 
diesen Guss auch aus freier Hand anlegen, 
indem man den Brei in entsprechender Dicke 
um die betreffende Stelle anlegt, gut ver¬ 
schmiert und die Mitte dicker hält; um die 
antiseptische Verbandmethode damit combi- 
niren zu können, lässt man einige Stellen 
(Fenster) offen. Behufs grösserer Sicherheit 
des Gusses verwendet man den sog. Modellir- 
gyps, der auch in den Apotheken in Noth- 
fällen erhältlich ist und in gut verschlossenen 
Schachteln vorräthig gehalten wird. Das be¬ 
treffende Glied wird vorher eingeölt und mit 
einer weichen, dünnen Binde umgeben, Her- 
vorragungen aber sind des Schutzes der 
Haut wegen mit Watte auszupolstcrn. Zuletzt 
wird der frische Guss mit der nassen Hand 
gleichmässig überstrichen und womöglich an 
den äusseren Rändern und denen der Fenster 
durth einen Firniss wasserdicht gemacht, um 
das Abbröckeln zu vermeiden. 

2. Der Gypsverband wird durch Bin¬ 
den hergestellt, welche aus weitmaschigem 


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44 


CALCUTTA-PONY. — CALLENBERG 


Zeug, am besten Gaze oder Flanell, bestehen, 
mehrere Meter lang sind und auf beiden Sei¬ 
ten trocken mit Gypspulver reichlich bestreut 
werden. Nun rollt man dieselben und taucht 
sie entweder in kaltes Wasser so lange, bis 
keine Luftblasen mehr entweichen, um sie 
dann ohne Verzug umzuwickeln, oder be¬ 
feuchtet man die Gypsbinden erst während 
des Anlegens mit Wasser. Schliesslich werden 
die äussersten Touren durch weiteren Gyps- 
brei je nach Erforderniss verstärkt, wie man 
auch immer den sich aus den Maschen und 
Gängen ausquetschenden Brei sorgsam ver¬ 
streicht. Der ganze Verband darf aber nicht 
plump und zu schwer werden, da er sonst 
von aen Thieren nicht lange geduldet wird; 
man hilft daher oft durch Einbinden von 
Schienen aus Pappe, Holz, Guttapercha¬ 
platten, Hobelspänen, gehechelten Hanfbündeln 
u. dgl. nach, welche immer der Länge nach 
eingegypst werden. Verwerflich ist das Durch¬ 
ziehen der Binden durch den Gypsbrei, das 
eine rasche Beendigung des Geschäftes bei 
der immer mehr steif werdenden Masse ver¬ 
hindert (die Lagen sind 3—6fach und muss 
alles Schnüren vermieden werden). Beschleu¬ 
nigt kann das Erstarren werden, indem man 
warmes Wasser (60—80°C.) nimmt oder etwas 
Kochsalz, Alaun, Wasserglas oder Cement 
beifügt, was bei unruhigen Thieren besonderen 
Vortheil gewährt; verlangsamt wird es durch 
Zusatz von mehr Wasser, d. h. gleiche Theile 
Gyps und Wasser, oder durch Zusatz von 
Kleister, flüssigem Leim, Bier, Milch oder 
Borax. Sollte der Gyps nicht mehr ganz frisch 
sein, so erhitzt man ihn in einer Pfanne, bis 
keine Wasserdämpfe mehr ausgestossen werden. 

In neuester Zeit hat der Gyps Con- 
currenz erhalten durch ein neues Material für 
erhärtende Verbände, nämlich durch den 
plastischen Filz (poroplastic feit), den 
man sich jetzt auch selbst hersteilen kann, 
indem gewöhnliche 6—8 mm dicke Filzplatten 
mit einer Mischung von 1 Schellack und 
1% Spiritus imprägnirt werden. Der Filz 
wird dadurch plastisch, d. h. er schmiegt sich 
bei Erwärmung in beinahe siedendem Wasser 
der Körperoberfläche sehr leicht an und hat 
sich so bei ausserordentlicher Festigkeit be¬ 
sonders wegen seiner Leichtigkeit überall be¬ 
liebt zu machen gewusst. 

Eine weitere Verwendung findet Gyps 
auch bei Strahlkrebs, um einen längeren 
gleichmässigen Druck zu erzielen, es müssen 
aber dadurch die Weichtheile an den Rändern 
von den Hornmassen abgedrängt werden. Der 
Brei wird einfach zwischen die Eisenarme 
eingegossen und die Festigkeit durch Ein¬ 
legen von platten Holzstäbchen oder einigen 
Hanfwischen erhöht; eine Hauptbedingung 
bleibt jedoch, vorher von dem Messer und den 
Desinfectionsmitteln sachgemässen Gebrauch 
zu machen. Endlich verwendet man den Gyps- 
verband noch bei schlaffen Gelenken, ver¬ 
härteten und verdickten Sehnen, aber .auch 
bei frischem Sehneuklapp, nachdem der Theil 
vorher mit Watte umgeben worden ist. Es 
darf das Thier dann erst zur Arbeit verwendet 


werden, wenn alles Lahmgehen verschwunden 
ist. Schliesslich verwenden manche Thierärzte 
auch Gypsmehl bei stark secernirenden Wunden 
und Geschwüren, bei Flächenblutungen, und 
empfiehlt sich zum Wundverband ganz be¬ 
sonders die Combination von Theer in ver 
schiedenem Verhältniss; dieses Theergyps- 
pulver ist zugleich stark antiseptisch, besteht 
aus 1 Theer und 5—10 Gyps und hat sich 
auch als vortreffliches Vernarbungsmittel be¬ 
währt. In der Hygiene und Landwirtschaft 
endlich wird Gyps wegen seiner grossen Ab- 

und zu diesem Behufe in Stallungen und auf 
Dungstätten urahergestreut. Vogel . 

Calcutta-Pony, s. Indisches Pferd. 

Calendula offlcinaito, Ringelblume, Rin¬ 
gelrose, eine bei uns wohlbekannte Coraposite 
(Cynaree L. XIX.), 0*5 m hoch, mit kahn¬ 
förmigen Früchten, auf dem Rücken gefurcht, 
blüht im Sommer safrangelb, Blätter sehr 
entfernt gezähnt. Ihre Blätter und die Blüthen- 
körbchen, Herba et Flores Calendulae, Fleurs 
de Souci, Marygold Flowers, haben ein eigen¬ 
tümliches, nach Leichen riechendes (Todten- 
blume) äterisches Oel, orangegelben Farb¬ 
stoff, Calendulin (Ringelblumenschleim), und 
werden häufig noch als ein diuretisches, auf¬ 
lösendes und selbst eröffnendes Arzneimittel 
benützt. Vogel. 

Calisayarinde, Cortex Chinae Calisayae, 
eine der drei Rindensorten verschiedener Cin- 
chonaarten (China regia Calisaya, Königs¬ 
china), wie sie die Ph. A. neben der Cortex 
Chinae fuscus oder griseus und der C. Chinae 
ruber aufgenommen hat, und welche verschie¬ 
denen Gehalt an Chinin und Säuren besitzen. 
Die deutsche Phannakopöe schreibt jetzt nicht 
mehr verschiedene Sorten vor, sondern ver¬ 
langt nur mehr im Allgemeinen „Cortex 
Chinae 11 cultivirter Cinchonen, besonders aber 
der Cinchona succirubra, deren rotbraunes 
Pulver bis über 3*5% Alkaloide enthält. VI. 

Callenberg, eine herzogliche Musterfarm 
in der Nähe von Coburg, sehr schön am Fusse 
des gleichnamigen Berges gelegen, ist ge- 
wissermassen eine Copie der Shaw-Farm zu 
Windsor, welche der verstorbene Prinz Albert, 
ein Bruder des jetzt regierenden Herzogs von 
Sachsen-Coburg-Gotha, dort für England ge¬ 
gründet hat. Letzterer hat die volks- und 
landwirtschaftlichen Errungenschaften seines 
— leider zu früh verstorbenen — Bruders 
nach dem Festlande und schon vor mehr 
als 20 Jahren nach Deutschland gebracht und 
die Callenberger Farm in der Absicht ge¬ 
gründet, dass sie den strebsamen deutschen 
Landwirten als Mittel diene, sich zu be¬ 
lehren, und manche zweckmässige englische 
Wirthschaftseinrichtung bei uns einzubürgern. 
Zu der quästionirten Farm gehören die beiden 
Vorwerke Kropfweihers und Eichhof, und sie 
umfasst im Ganzen ein Areal von 848 Morgen 
Culturboden nebst 29*847 Morgen Karpfen¬ 
teichen. Die Felder stehen grösstenteils in 
hoher Cultur; Drainage und Tiefcultur sind 
überall durchgeführt. Der Boden ist nur 
zum geringeren Theile als ein besonders 



CALLENBEKG. 


45 


fruchtbarer zu bezeichnen: meistens ver¬ 
witterter rother Keupersand, der auf blauem, 
undurchlassendem Keuper ruht. Auf einzelnen 
Feldern herrscht strenger Thon vor; ausser¬ 
dem trifft man dort Lehm, Sand und san¬ 
digen Lehmboden. Die Tiefe der Ackerkrume 
wechselt zwischen 10 und 40 cm. Fast durch- 
gehends werden Beete von 14—18 Furchen 
gepflügt. — Die Gebäude der Farm sind in 
jeder Beziehung musterhaft aufgeführt worden 
und stehen in der inneren wie äusseren Ein¬ 
richtung denjenigen nicht nach, welche in 
Windsor errichtet sind. Der Hof mit seinen, 
in regelmässig länglichem Viereck gestellten, 
langen und schmalen, einstöckigen Gebäuden, 
mit flachen, mit Steinpappe gedeckten Dächern, 
dem Feimenhofe statt des fehlenden Scheunen¬ 
raumes und dem Wahrzeichen englischen Be¬ 
triebes : dem hohen Kamine, ist weithin sichtbar 
und zeigte schon vor zwei Decennien allen 
Besuchern, dass dort die Dampfkraft an die 
Stelle thierischer Arbeit treten sollte. — Die 
Viehställe sind solid und gut gebaut, ohne 
Raumverschwendung etc. Besonders zweck¬ 
mässig ist der hohe Futtergang im Kuhstalle 
hergestellt. Am Boden des Hauptganges laufen 
zwei Eisenschienen, und auf ihnen rollt leicht 
und schnell ein kleiner Wagen mit dem Futter 
aus dem grossen Futterraume heran. — Die 
Klappenverschlüsse der Ventilation, wie auch 
hohe Wandungen in den Ställen begünstigen 
die nöthige Luftcirculation in denselben. Die 
Dungstätte ist mit einem Pappdache versehen; 
ihre Holzsäulen ruhen auf Steinen. Der Dünger 
aus den verschiedenen Ställen wird sorgfältig 
gemengt In der Nähe des Kuhstalles befindet 
sich das Milchhaus oder die Molkerei mit 
allen neuerdings geforderten Einrichtungen zur 
Herstellung „edler“ Butter und schmackhafter 
Käsesorten. — Der Feiraenhof, hinter dem 
Kuhstalle gelegen, lässt bezüglich seiner 
zweckmässigen Bauart nichts zu wünschen 
übrig; die Feimen ruhen nicht auf dem Boden, 
sondern 6 Reihen ä 5 Stück grosser Quader, 
etwa 65 cm hoch die Bodenfläche überragend, 
tragen ein Balkengerüst, welches, mit Prügel 
und Schilf bedeckt das Feimlager bildet. Das 
Dach ist durch den Aufbau des Heues aus 
diesem selbst gebildet mit Stroh eingedeckt 
und es hat der ganze Haufen die Gestalt 
eines Hauses mit französischem Dache. Er ist 
sehr gross und in demselben wird alleB Heu 
der Farm untergebracht. Um die lästigen Nage- 
thiere sicher abzuhalten, ist die obere Hälfte 
der Steine mit einer glatten Blechkappe über¬ 
zogen, welche wohl zugleich auch als Schutz¬ 
mittel gegen allzu rasche Verwitterung dient. 
Die regelmässig und gut gebauten Feimen 
auf Callenberg gewähren einen höchst be¬ 
friedigenden Anblick. Sie sind dort der billig 
gebaute Scheunenraum, welcher an anderen 
Orten durch hohe Herstellungs- und Unter¬ 
haltungskosten oftmals die Rente unserer Land¬ 
güter lum nicht geringen Theile verschlingt. 

Ganz besonders schön ist auf der Callen¬ 
berg-Farm der Viehstand. Die Pferde gehö¬ 
ren den grossen schweren Schlägen des Con- 
tinents an; sie stammen zum Theil aus Bra¬ 


bant. Flandern und derPerche, anderenteils 
aus Steiermark, und es können letztere als 
schöne Repräsentanten der Pinzgauer Rasse be¬ 
zeichnet werden. Alle werden regelmässig, gut, 
zweckmässig ernährt und leisten bei der Arbeit 
im bergigen Terrain durchaus Befriedigendes. 
Die Anforderungen, welche dort an das Zug¬ 
vieh — Pferde wie Ochsen — gestellt wer¬ 
den, sind nicht unbedeutend. Die Pferde 
werden im Alter von 1%—2 Jahren durch 
zuverlässige Händler in den oben genannten 
Ländern angekauft, die Ochsen aber auf dem 
Gute selbst gezogen, und es gehören diese 
ausnahmslos der Schwyzer Rasse an, welche 
sich stets durch leichten Gang im Geschirre 
auszeichnet. Nach den Mittheilungen des 
Herrn Gutsdirectors Messmer wurden in den 
letzten 20 Jahren etwa 50 Kühe und 15 Stiere 
im Canton Schwyz angekauft und auf der 
Farm stets rein gehalten, so dass jetzt der ganze 
Bestand an Rindvieh als Vollblut-Schwyzer 
bezeichnet werden kann. Die guten Eigen¬ 
schaften dieser anerkannt schönen Rasse, 
welche a. a. 0. der Encyklopädie bespro¬ 
chen werden, besitzt auch das in Callen¬ 
berg aufgezogene Vieh, und es soll hier 
nur kurz erwähnt werden, dass sich dasselbe 
dort leicht und gut acclimatisirt hat, ins¬ 
besondere haben die Schwyzer den Ueber- 
gang vom gewohnten Weidegange zur aus¬ 
schliesslichen Stallfütterung ohne Nachtheile 
überwunden. Es wurden auf dem Gute im 
Sommer 1884: 80 Haupt Kühe, 6 Stiere und 
40 Stück Jungvieh gehalten. Die Kälber wer¬ 
den zum Theil an benachbarte Güter zur Zucht 
abgegeben und stets gut bezahlt. — Das 
Jungvieh steht gewöhnlich auf dem Vor¬ 
werke Eichhof. Sämmtliche Thiere werden 
vortrefflich ernährt und sauber gehalten. Die 
Kälber lässt man nie zum Saufen an die 
Mutter, sondern tränkt dieselben drei Monate 
lang aus dem Kübel mit frischer Milch; später 
erhalten sie gequetschten Hafer und feines 
Heu. — Die Kühe bekommen zur Zeit der 
Winterfütterung per Stück und Tag 1 kg 
Oelkuchen. Der Milchertrag dürfte im Durch¬ 
schnitte per Jahr und Stück auf 2500 1 
zu veranschlagen sein. Schafe werden auf 
der Farm nicht gehalten. — Die Schweine 
gehören zur Berkshire- und Yorkshire Rasse 
und sind theilweise Geschenke Ihrer Maje¬ 
stät der Königin von England. Die Frucht¬ 
barkeit der Sauen wird sehr gerühmt Man 
hält 2 Eber und 12 Sauen, die im Durch¬ 
schnitt 20 Ferkel per Stück im Jahre liefern 
sollen. Der Futterzustand des Borstenviehes 
ist untadelhaft. Jedes ausgewachsene Schwein 
hat seinen eigenen Raum im schön gebauten 
Stalle. Die Fütterung besteht aus Haferspreu 
mit gekochten Kartoffeln, Spülicht, Molkerei¬ 
abfällen und im Sommer aus grünem Klee. — 
Endlich wäre noch zu bemerken, dass auf der 
Farm (auf dem Eichhofe) schon vor 1865 der 
Versuch gemacht worden ist, asiatische Masken¬ 
schweine zu züchten; dieselben wurden zum 
Theil rein gehalten, andererseits mit eng¬ 
lischen Rassen gekreuzt; die Nachzucht fand 
keinen Beifall, und es wurde in Folge dessen 



46 CALLOSITAT. — CALORIMETER. 


diese Zucht sehr bald wieder aufgegeben. — 
Der Geflügelhof enthält verschiedene schöne 
Hühner- und Taubenrassen, die sich einer 
besonders sorgfältigen Pflege zu erfreuen 
haben. Frey tag. 

Callosität, v. callus, Schwiele, Verdickung 
der Haut, Wundränder etc. Koch. 

Callus, neugebildete Knochenmasse, wel¬ 
che bei Knochenbrüchen (s. Fracturen) die 
Bruchenden verbindet. Koch. 

Cal mar. Loligo Lam. Gattungsname für 
Mollusken aus der Classe der Kopffüsser, 
Cephalopoda, Ordnung der Zweikiemer, Di- 
branchiata, Unterordnung der Zehnfüsser, De- 
capoda. Die Vertreter der Gattung haben 
einen länglichen, nach hinten zugespitzten 
Körper, dessen Hinterende von zwei drei¬ 
eckigen, an der Spitze meist zusammenstos- 
senden Flossen umgeben ist. Acht Arme mit 
zwei Reihen von Saugnäpfen umgeben den 
Mund, dazwischen stehen noch zwei lange 
Fangarme, die an ihrem verbreiterten Ende 
vier oder mehr Saugnapfreihen tragen. Diese 
Fangarme sind nur theilweise in Scheiden 
zurückziehbar. Eine hornige Schale findet 
sich im Mantel abgesondert. Vierundzwanzig 
Arten in allen Meeren. Im Mittelmeere und 
im atlantischen Ocean leben: Loligo vulgaris 
Lam. und Loligo subulata Lam., deren Fleisch 
gegessen wird. Studer . 

Calmus, Kalmuswurzel, s. Acarus Calamus. 

Calomel, Hg 4 Cl„ Quecksilberchlorür. Das 
künstlich dargestellte Quecksilberchlorür 
scheint schon im XVI. Jahrhundert als Arznei¬ 
mittel verwendet worden zu sein. Damals 
wurde es mit mysteriösen Namen, wie Draco 
mitigatus, Aquila alba, Mercurius dulcis, be¬ 
legt. Der Name Calomel, richtig Kalomel (von 
xaXojjLsXac, schön schwarz), rührt aus der zwei¬ 
ten Hälfte des vorigen Jahrhunderts her und 
deutet an, dass sich das Präparat mit Alkalien 
schwärzt. Das Quecksilberchlorür kommt je¬ 
doch auch als Mineral, als Quecksilberhornerz, 
in der Rheinpfalz, bei Almaden und in Idria vor. 
Zur Darstellung des Calomels für den Arznei¬ 
gebrauch erhitzt man ein inniges Gemisch 
von Quecksilberchlorid (Sublimat) mit Queck¬ 
silber in einem Kolben; es geht hiebei der 
Calomel als farbloses Sublimat über, welches 
ein gelbliches Pulver liefert; lässt man jedoch 
die Dämpfe des Calomels zugleich mit Wasser¬ 
dämpfen in einen geräumigen Ballon treten, 
so verdichten sich dieselben zu einem zarten 
weissen Pulver (englischer Calomel). Der Ca¬ 
lomel gibt beim Präpariren ein sehr feines 
wcisses bis blassgelbliches Pulver, welches 
aus mikroskopisch kleinen Krystallen besteht, 
ist geruch- und geschmacklos, färbt sich am 
Licht grau, beim Erhitzen gelb, ist unlöslich 
in Wasser, Weingeist und Aether, wird jedoch 
durch kochendes Wasser und kochende Säuren 
zersetzt. Durch Alkalien, Alkalicarbonate wird 
Calomel unter Bildung von Quecksilberoxydul 
geschwärzt. Nach der Pharmakopöe soll de- 
stillirtes Wasser, mit Calomel geschüttelt und 
die Flüssigkeit sodann filtrirt, das Filtrat 
beim Abdampfen keinen Rückstand hinter¬ 
lassen, ein solcher würde auf Verunreinigung 


mit Sublimat oder mit löslichen Salzen 
deuten. Die pharmakologische Verwendung 
s. Hydrargyrum chloratum. Loebisch. 

Calomel vegetabile wird neuerer Zeit 
auch das Podophyllin genannt, das ähnliche 
eröffnende Wirkungen besitzt wie der metal¬ 
lische Calomel (s. Podophyllum peltatum). VI. 

Calorimeter. Unter diesem Ausdruck ver¬ 
steht man einen Apparat, welcher dazu dient, 
die bei irgend einem chemischen oder physi¬ 
kalischen Processe entwickelten Mengen von 
Wärme (Calor) zu bestimmen. Häufig reicht 
hiezu der gewöhnliche Wärmemesser, das 
Thermometer, aus, es gibt jedoch Wärmemen¬ 
gen, welche sich mit diesem Instrument nicht 
messen lassen, für die man daher eine be¬ 
sondere Vorrichtung construirt hat. Hier han¬ 
delt es sich nur um solche Wärmemengen, 
welche im thierischen Organismus erzeugt 
und wieder verausgabt werden, und um diese 
genau zu messen, dazu dient insbesondere 
das Calorimeter. Als hauptsächlichste Wärme¬ 
quelle gilt die Oxydation der Eiweisse, Fette 
und Kohlehydrate der Nahrungsmittel; der 
Kohlenstoß 1 wird zu Kohlensäure verbrannt, 
der Wasserstoff zu Wasser oxydirt; ferner 
entsteht Wärme durch Umsetzung der me¬ 
chanischen Arbeit, denn wie chemische Spann¬ 
kräfte in Wärme übergehen, ist dies auch 
mit jener der Fall. Die mechanische Arbeit 
des Herzens z. B. wird zum grössten Theile 
durch die Reibungswiderstände des Blutes 
in den Capillaren consumirt, sie erscheint aber 
wieder in Gestalt von Wärme, die Muskel¬ 
arbeit liefert daher ebenfalls einen Theil der 
Wäimeeinnahmen des Körpers, denen die 
Wärmeausgaben, wie sie hauptsächlich durch 
Fortleitung, Ausstrahlung, Veränderung des 
Aggregatzustandes der Körperbestandtheile 
u. 8. w. geschehen, gegenüberstehen. Die 
Summe der von einem Thiere abgegebenen 
Wärmemengen muss nun gesucht werden, und 
dies ist eine der Hauptaufgaben desjenigen 
Abschnittes der Physik, welcher unter dem 
Namen Calorimetrie bekannt ist. Bei der 
Construction des Calorimeters muss eine be¬ 
sondere Sorgfalt auf Vermeidung jedes Wärme¬ 
verlustes des zu messenden Gegenstandes 
verwendet werden, es wird daher die Wärme 
desselben auf ein Medium übertragen (Was¬ 
ser, Quecksilber), dessen Temperatur man vor 
und nach der Operation mittelst eines Ther¬ 
mometers genau bestimmt. Das gewöhnliche 
Calorimeter, wie es zu physikalischen und 
physiologischen Untersuchungen verwendet 
wird, besteht aus einem Kasten von Zink¬ 
blech, in welchen das lebende Thier gesetzt 
wird; diesen Kasten bringt man in einen 
grösseren, und der Raum zwischen beiden 
wird mit Wasser von allen Seiten her um¬ 
geben, so dass nicht die geringste Wärme¬ 
menge der Messung entgehen kann. Damit 
das Thier in dem geschlossenen inneren Ka¬ 
sten athmen kann, geht von diesem eine kurze 
Röhre nach aussen, und damit auch die Wärme 
der ausgeathmeten Luft nicht verloren gehe, 
läuft ein zweites (luftabführendes) Rohr nicht 
direct nach aussen, sondern schlangenförmig 


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CALORLMETER. 


47 


durch den Zwischenraum beider Kasten, um 
an das hier befindliche Wasser die Wärme 
abgeben zu können. Aus der Temperatur der 
Wasserschichte lässt sich nun die Wärme¬ 
abgabe des Thieres leicht berechnen, man 
geht aber nicht von Decimalgraden aus, son¬ 
dern hat eine bestimmte Basis oder Einheit 
aufgestellt, von der alle Messungen der 
thierischen Wärme ausgehen. Eine solche 
Wärmeeinheit oder 

Calorie entspricht nämlich derjenigen 
Wärmemenge, welche erforderlich ist, um 
1 1 Wasser von 0° auf 1°C. zu bringen. 
In dieser Weise gelang es, die Grössenver¬ 
hältnisse der Bildung der Wärme im Thier¬ 
körper aufzufinden, und haben sich nach Helm- 
holtz und Barral folgende Zahlen ergeben: 
In 24 Stunden erzeugt ein Pferd 20700 Wärme- 
einheiten und reicht diese Wärmemenge aus, 
das Fünfzigfache seines Körpergewichtes (zu 
400 kg angenommen) in Wasser um 1° zu 
erhöhen oder, mit anderen Worten, nach Ga- 
varret, um rund 200 1 Wasser von 0° 
zum Sieden zu bringen. Ein erwachsener 
Mensch producirt in derselben Zeit das Zehn¬ 
fache weniger, d. h. 2700 Calorien. Da nun 
die Temperatur der Warmblüter sich stets 
constant verhält (Homoiothermen, Pferd. 37 *5 
bis 38*2°, Mensch 37*3°), so muss auch 
ebensoviel Wärme, als gebildet worden, 
immer wieder verloren gehen, es verliert also 
das Pferd in 24 Stunden 20700 Wärmeein¬ 
heiten, der Mensch 2700. Von diesem Wärme - 
Verlust kommt der grösste Theil auf die Fort¬ 
leitung und Ausstrahlung der Körperober¬ 
fläche, und zwar fast 70 %, auf Verdunstung 
von den Lungen 25%, der Rest von 5% 
vertheilt sich auf die Abgaben behufs Er¬ 
wärmung der kälteren eingeathmeten Luft, 
Erwärmung der Nahrungsmittel im Magen 
und auf jene Wärme Verluste, die durch die 
Ausscheidung von Harn und Mist entstehen. 
Diese Zahlen gelten nur für den ruhenden 
Körper, anders verhält es sich mit dem ar¬ 
beitenden. Wie Wärme in mechanische Kraft 
übergehen kann, so entsteht auch ein Theil 
der thierischen Wärme, durch mechanische 
Kräfte, z. B. durch Stoss, Reibung, Bewe¬ 
gung; die lebendige Kraft des Herzens wird 
durch die Hindernisse im Circulationssystem 
in Wärme umgesetzt, ebenso erzeugt die Be¬ 
wegung der mit Muskeln ausgestatteten Or¬ 
gane wieder Wärme so die Bewegung der 
Skeletmuskeln, des Magens und Darmes, und 
selbst die elektrischen Ströme der Muskeln, 
Nerven und Drüsen werden in Wärme umge¬ 
wandelt. Stets geschieht nun diese Umwand¬ 
lung der einen Kraftform in die andere nach 
ganz bestimmten Verhältnissen, und hat man 
diese ebenfalls herausgefunden; sie geschieht 
immer derart, dass eine bestimmte Wärme¬ 
menge in eine bestimmte Arbeitsgrösse (oder 
Elektricitätsmenge) übergeht und umgekehrt. 
Dementsprechend besteht ein ganz bestimmtes 
numerisches Verhältniss zwischen der durch 
eine bestimmte Arbeitsgrösse zu erzeugenden 
Wärmemenge und umgekehrt; um diese zu 
messen, muss ebenfalls eine Arbeitseinheit 


aufgestellt werden, was auch von Joule ge¬ 
schehen ist. Dieser hat nämlich gefunden, 
dass diejenige Wärmemenge, welche nöthig 
ist, um 1 kg Wasser von 0° auf 1° zu er¬ 
höhen, gleich ist der Arbeit, welche erfor¬ 
derlich ist, um in einer Secunde 1 kg auf 
425 m Höhe zu bringen; somit ist 1 Calorie 
äquivalent mit 425 Kilogrammmeter, oder, mit 
anderen Worten, da man 1 kgm, d. h. die 
Arbeit, 1 kg auf 1 m zu heben, als Arbeits¬ 
einheit bezeichnet, so ist eine Wärmeeinheit 
= 425 Arbeitseinheiten. Man bezeichnet 
diesen Werth als das mechanische Aequi- 
valent der Wärme. Verrichtet sonach der 
Körper Muskelarbeit, so sind auch seine 
Wärmeeinnahmen vergrössert, wie schon aus 
der Zunahme der Eigenwärme bei der Arbeit 
und der CO,-Aushauchung hervorgeht (beim 
Gehen des Pferdes steigt die Wärme um ca. 
1°, beim Menschen um 0*7°, bei länger 
dauerndem Traben bis zu 1*5°, beim Tetanus 
um 3—4°). Wie viel von dieser gesteigerten 
Verbrennungswärme nach dem physikalischen 
Gesetze der Erhaltung der Kraft in mechani¬ 
sche Arbeit umgewandelt wird, ist ebenfalls 
berechnet worden, und ergeben sich für die 
thierische Maschine ähnliche Verhältnisse wie 
für die Dampfmaschinen; bei letzteren gehen 
jedoch colossale Wärmemengen unbenützt ver¬ 
loren, denn (theoretisch) wird höchstens der 
achte Theil der durch das Kohlenfeuer dem 
Kessel mitgetheilten Wärme in Arbeit verwan¬ 
delt, % gehen also verloren; erheblich besser 
angelegt ist nach Helmholtz die thierische Ma¬ 
schine, denn sie ist im Stande, in maximo den 
fünften Theil ihrer Verbrennungswärme in Ar¬ 
beit umzusetzen. Betreffs der Ermittlung der 
Wärmeabgabe des ganzen Thieres für eine be¬ 
stimmte Zeit musste man ebenfalls Einheiten 
schaffen, d. h. vergleichbare Werthe, und hat 
man diese in der Physik auf Körperge¬ 
wichtseinheiten reducirt. Danach gibt an 
Wärme ab 


1 kg Pferd 

in 

1 

Stunde 

21 

Calorien 

1 „ Mensch 

r 

1 

f 

2*3 

F 

1 „ Schaf 

r> 

1 

r » 

2*6 

T) 

1 „ Hund 

r? 

t 

r» 

4*0 

F 

1 „ Gans 

F 

1 

r» 

50 

F 

1 „ Taube 

rt 

l 

r> 

10*1 

F 

1 * Fink 

n . 

1 

n 

38-0 

Ti 


Hieraus ergibt sich die ebenso inter¬ 
essante als höchst überraschende Thatsache, 
dass, je kleiner das Thier ist, um so grösser 
seine Wärmeabgabe, und lässt sich dies daraus 
erklären, dass die wänneausstrahlende Körper¬ 
oberfläche nicht in demselben Verhältniss ab- 
nimmt als das Körpergewicht. Dementspre¬ 
chend ist also der Wärmeverlust eines Hundes 
schon fast doppelt, der der Gans dreimal und 
der des Finken über fünfzehnmal so gross als 
der des Pferdes. Endlich haben die dies¬ 
bezüglichen calorimetrischen Untersuchungen 
der Physiker ergeben, dass bei der Verbren¬ 
nung einer Substanz unter Entwicklung von 
Licht, also ausserhalb des Körpers, nicht 
mehr Wärme entsteht, als bei der Oxydation 
innerhalb des Körpers Verbrennungswärme 
gebildet wird, es lassen sich jedoch die Zahlen 




48 


CÄLTHA PALUSTRIS. — CAMARGUE-PFERD. 


nicht sehr genau angeben, indem wohl die 
Wärmeabgabe dnrch das Calorimeter exact 
erhoben werden kann, bei Berechnung der im 
Körper verbrannten Stoffe ergeben sich je¬ 
doch Fehler. So entstehen bei der Verbren¬ 
nung von 

1 g H zu Wasser ... 34’ 5 Calorien 
n CO,. 8-1 * 

1 n Eiweiss. 4*3 „ 

1 „ Fett. 9*1 „ 

1 „ Zucker. 3*3 „ VI. 

Caltha palustris L., Sumpfdotterblume. 
Perennirendes Kraut ans der Familie der 
Ranunculaceae, mit einem dicken, fast knol¬ 
ligen Wurzelstock, daB grosse Büschel bildet 
und ganze Flecken bedeckt. Stengel 30 cm 
hoch, aufrecht oder theilweise niederliegend. 
Grundständige Blätter lang gestielt, rundlich 
bis herzförmig, am Rande gekerbt. Stengel¬ 
blätter kurz gestielt oder sitzend, kleiner. 
Blüthen nur aus Kelchblättern bestehend, gross, 
goldgelb. Die Pflanze findet sich auf sehr 
feuchten Wiesen und zeigt dem Landwirth 
an, dass es keine Wiese höherer Classe ist 
und der Entwässerung bedarf, v. Liebenberg. 

Calumbo, Radix Calumbo, die ofßcinelle 
Bezeichnung der Ph. A. für die Colombo¬ 
wurzel, welche die Ph. G. als Radix Colombo 
aufführt (s. Jateorhiza Columba). Vogel. 

Calvo Fern., zu Ende des XVI. und An¬ 
fang des XVII. Jahrhunderts, gab 1584 ein 
Buch heraus unter dem Titel: „Libro de Al- 
beyteria, en quäle se tratta del Cavallo, y 
Mulo, y Jumento,“ 6. Auflage, Madrid \ 675, 
eine Compilation der Schriften seiner Vor¬ 
gänger. 1623 erschien von ihm zu Alcala de 
Henares eine neue Ausgabe des Werkes von 
de la Reyna mit Anmerkungen. Semmer. 

Calx, die frühere Bezeichnung für Kalk, 
jetzt nirgends mehr officinell gebraucht, son¬ 
dern vulgär für Calx viva (s. d.). 

Calx vlva oder Calx extincta, gelöschter 
Kalk; Calx usta, gebrannter Kalk (s. Calcaria 
usta); Aqua Calcis, Kalkwasser; Calx Caustica, 
Aetzkalk, der hie und da noch usuelle Ausdruck 
für Calx Antimonii cum sulfure gilt für die 
Spiessglanzpräparate, die Calx Marcasitae ist 
das Wismutoxyd und Calx chlorata Chlor¬ 
kalk (s. d.). Vogel. 

Calyclflorae, kelchblüthigePflanzen,Kelch- 
blüther, bezeichnet die erste Reihe der Poly- 
petalae, Classe Dicotyledoneae; medicinell 
ohne Bedeutung. Vogel. 

Camard. Trigla lineata L. Fisch aus der 
Unterlasse der Knochenfische, Teleostei, Ord¬ 
nung der Stachelflosser, Acanthopteri, Familie 
der Panzerwangen, Cataphracti. Gattung 
Trigla. Art. 20—30 cm lang, roth und braun 
gefleckt, mit blauen Fleckeil auf den Brust¬ 
flossen, die bis zum dritten oder vierten Strahl 
der Afterflosse reichen. Im Mittelmeer und 
an der atlantischen Küste Europas. Wird ge¬ 
gessen. Studer. 

Cflmarero A. G. studirte Thierheilkunde 
in Madrid und war von 1852 an als Lehrer der 
Thierheilkunde in Leon thätig. Semmer . 

Camargue-Pferd. Dieses Pferd erhält 


seinen Namen von der Insel Camargue, welche, 
von sumpfiger Bodenbeschaffenheit, im Rhone- 
Delta gelegen ist. Es kommt dort in fast 
halbwildem Zustande vor, ebenso wie in der 
weitläufigen Ebene des Crau am linken Ufer 
dieses Flusses. Die Tradition verlegt seinen 
Ursprung bis zur Einführung arabischer und 
numidischer Pferde durch die Römer um das 
Jahr 626 a. u. c., dann bis zum Aufenthalt 
der Sarazenen gegen das Jahr 730 und end¬ 
lich in die Zeit der Kreuzzüge. Unter der 
Regierung Ludwigs XIV. konnten die wegen 
ihrer Religion verfolgten Camisards ihre 
Cavallerie mit den in der Camargue gebor- 
nen und aufgezogenen Pferden ausrüsten. Die 
Rasse, welche einstens viel reichlicher ver¬ 
treten war als heutzutage, hat den Gegen¬ 
stand eines obwohl beschränkten Handels 
ebildet. Gegenwärtig nimmt diese Rasse 
eständig an Bedeutung ab und dient heute 
nicht viel mehr als zur Bestreitung localer 
Bedürfnisse. Im Nachstehenden möge eine 
Schilderung des Aussehens dieses Pferdes 
nach Gayot folgen. Es ist klein, sein Höhen- 
mass variirt wenig und bewegt sich zwi¬ 
schen 1*32—l *34m. Es ist selten von der 
für die leichten Cavalleriepferde erforder¬ 
lichem Grösse. Die Haarfarbe ist stets grau- 
weiss. Obwohl es ziemlich corpulent ist, ist 
sein Kopf gewöhnlich eckig, aber gut ange¬ 
setzt ; die Ohren sind kurz, das Auge lebhaft, 
hoch oben stehend, der Hals gerade, zart; 
die Schulter ist gerade und kurz, aber der 
Widerrist hoch; der Rücken ist hervorsprin¬ 
gend, die Hüfte breit, aber lang und schlecht 
angesetzt; die Kruppe ist kurz, häufig ab¬ 
schüssig wie beim Maulthier; die Schenkel 
sind mager, die Fesseln kurz, dick und stark. 
Die Extremitäten sind trocken, aber zu dünn; 
die Articulation des Knies ist unzulänglich 
und die Sehnen sind schwach; der Gang ist 
sehr sicher, die Hufe von guter Beschaffenheit, 
aber breit und zuweilen ein wenig platt. Das 
Camargue-Pferd ist schnell, mässig, lebhaft, 
muthig und befähigt, harten Entbehrungen 
und den Wetterunbilden Trotz zu bieten. Es 
hat sich seit Jahrhunderten wenig verändert, 
ungeachtet des beklagenswerten Zustandes, 
in dem es durch Vergessen und Sorglosig¬ 
keit gehalten wird. Dieses Pferd bildet 
Heerden, welche Manaden heissen und aus 
20—100 Stück Hengsten, Stuten und Füllen 
jeden Alters bestehen. Der Hengst, welcher 
Grignon genannt wird, ist im Allgemeinen ein 
Pferd, das sich durch seine Schnelligkeit und 
Ausdauer bei den Rennen (Ferrades) bemerk¬ 
bar macht, die darin bestehen, auf den 
grossen Heideflächen die Stiere und Kühe zu 
verfolgen, die sodann mit dem Glüheisen 
markirt werden. Diese Pferde werden sonst 
selten zu etwas Anderem als zum Ausstampfen 
des Getreides nach spanischer Manier ver¬ 
wendet, eine höchst erschöpfende Arbeit, 
welche übrigens mehr und mehr im Ver¬ 
schwinden begriffen ist und durch die An¬ 
wendung der Walzen verdrängt wird. Da¬ 
durch wird aber andererseits wieder eine 
Reduction der Camargue-Rasse herbeigeführt; 







CAMARGUE-RIND. — CAMERA LUCIDA. 


49 


in den benachbarten Departements, beson¬ 
ders aber in jenem der Aube, ist dieselbe in 
Umbildung begriffen, verschönert und ver- 
grössert sich, so dass sie sich eignen wird, Re- 
monten für die leichte Cavallerie zu liefern. Nn. 

Camargue-Rind. Die Insel Camargue er¬ 
nährt, ausser ihren Pferden, zahlreiche Rinder- 
heerden, welche dort in voller Freiheit leben 
und von berittenen Hirten überwacht werden. 
Jedes Thier dieser Heerden trägt ein ihm von 
seinem Besitzer aufgedrücktes Brandzeichen. 
Diese Operation, welche sich in den Arenen 
von Arles vollzieht, gibt Gelegenheit zur Ab¬ 
haltung von Volksfesten, welche im Provcn- 
(jalischen Ferrades genannt werden. Nachdem 
die Thiere zu Beginn dieser Feste zusammen¬ 
getrieben werden, um sie in den Arenen zu 
vereinigen, beginnen die berittenen Männer 
mit den jungen, ungezähmten Thieren ein 
Kampfspiel aufzuführen. Die Carmague-Rasse 
ist von kleinem Wuchs, 1*30 m im Durch¬ 
schnitt, der Widerrist ist höher als die Kruppe. 
Die Hörner sind dünn, verhältnissmässig lang, 
nach oben und ein wenig nach aussen ge¬ 
richtet. Der Kopf ist lang, das Maul schmal, 
der Hals dünn, der Unterleib geräumig, die 
Brust eng, die Fttsse verhältnissmässig lang. 
DasFleisch ist hart und zäh. Die Gangartist 
lebhaft und rasch. Das Flotzmaul, die Augen¬ 
lider und die Hörner sind immer schwarz, meist 
auch die Behaarung, mit Ausnahme weniger 
Thiere, welche roth gefärbt sind. Es wurden mit 
Erfolg gekrönte Versuche gemacht, die Eigen¬ 
schaften dieser Rinder zu verbessern und den 
Charakter dieser Rasse schmiegsamer zu 
machen. Diese Versuche werden noch besser 
gelingen in dem Masse, als die Cultur nach 
und nach das Pastoralsystem auf der Insel 
verdrängen wird. Zur Zeit ist jedoch die 
Camargue-Rasse von geringem Werthe. Nn. 

Camelina (abgel. von xdpLYjXoc, Kameel), 
das Pockengift bei Kameelen. Sussdorf. 

Camelopardalis. Die Giraffe, welche schon 
hinsichtlich ihres Exterieurs eine isolirte 
Stellung unter den wiederkäuenden Hufthieren 
einniramt und namentlich ihrer eigenartigen 
Stirnzierde halber merkwürdig ist, wird von 
Rütimeyer „eine überaus bizarre Form der 
Hirsche“ genannt. Die beiden hornähnlichen 
Prominenzen ihres Schädels, von der be¬ 
haarten Haut überzogene Knochenzapfen, sind 
nämlich einem Hirschgeweih ohne Zapfen 
homolog, da sie gleich dem Geweihe als 
Hautverknöcherungen heranwachsen, indess 
nie mit dem Stirnbeine völlig verwachsen. In 
fossilen Species ist sie nicht nur in der Sub- 
himalayaformation der Sivalikkette von Indien 
gefunden worden, sondern muss nach den 
Resten, welche Gaudry aus Pikermi bei Mara¬ 
thon zusammengestellt, iin miocänen Attika 
heerdenweise gelebt haben (Helladotherium 
Duvemoy). Kitt. 

Camelus. Von den beiden Kameelarten, 
von denen heutzutage das einhöckerige (Came¬ 
lus Dromedarius) über die afrikanischen 
Wüsten verbreitet ist, das zweihöckerige (Ca¬ 
melus bactrianus) den centralasiatischen Völ¬ 
kern als Hausthier dient, sind fossile Reste 

Koch. Encyklopädie d.Thierheilkd. II. Bd. 


an den gleichen Orten, wo die gezähmten 
Thiere heute noch leben, gefunden worden. 
Indess bieten dieselben für entwicklungs¬ 
geschichtliche Momente weniger Anhalts¬ 
punkte als die interessanten Wiederkäuer¬ 
reste aus amerikanischem Boden. Marsh und 
Leidy haben eine ganze Reihe kameclartiger 
Fossilien (Poebrotherium, Protolabos, Pro- 
camelus, Pliauchenia, Camelus, Auchenia) be¬ 
schrieben, an welchen sich eine allmälig 
fortschreitende Reduction des Gebisses und 
der Extremitäten vollzog. Kitt 

Camembert-Käse ist ein weicher Lab¬ 
käse aus ganzer oder wenig entfetteter Kuh¬ 
milch, ursprünglich in der .Normandie fabri- 
cirt. Die Form ist flach cylindrisch, die Höhe 
3 cm, der Durchmesser 10 cm. Das Stück wiegt 
circa 300 g. Reif besitzt er eine dünne, gelb- 
röthliche Rinde, einen zarten, beinahe dick¬ 
flüssigen Teig vom Geschmack der Brie- 
Käse. Feser. 

Camera lucida (Camera [camara, xa- 
jüidpa]) = Kammer, auch die Wölbung, ge¬ 
wölbte Decke eines Zimmers, auch eine mit 
gewölbtem Bretterdach verseheneieichte Barke 
bei den Ponticrn; Lucidus = lichtvoll, hell, 
von lux, lucis = Licht, Feuer, Glanz) oder 
clara, lichte Kammer. Unter Camera lucida 
versteht man solche Apparate, mit welchen 
man Gegenstände nach der Natur oder mikro¬ 
skopische Bilder aufnimmt. Die zur mikro¬ 
skopischen Bildaufnahme dienende Camera 
lucida ist entweder ein mit Spiegel, oder 
mit spiegelnder Glaslamelle, oder endlich mit 
Prismen versehenes kleines, mit dem Ocular 
des Mikroskopes verbindbares Gehäuse. Die 
Methode der Zeichnung ist folgende: Man 
sieht durch das Prisma auf eine Papierfläche, 
wo man das projicirte Bild des abzuzeichnenden 
Gegenstandes und zugleich die Spitze des 
zeichnenden Stiftes sieht. Man kennt mehrere 
Systeme, u. zw.: Die 

Camera lucida von Zeiss (Fig. 295) 
ist mit zwei Prismen versehen. Durch das 
eine, rechtwinkelige Prisma werden die von 
der Objectivfläche und dem Stifte bei d 
durch ein zweites, gleichseitiges, unter einem 



Fig. 295. Zeiss Camera lucida i'natQrl. Grosse). 


4 



50 CAMERARIUS. 

Winkel von 27° gegen das erstere geneigte 
Prisma kommenden Strahlen auf die Zeichen¬ 
fläche gesendet. Die Schrauben a b dienen zur 
Richtigstellung des Apparates, c zur Befesti¬ 
gung desselben am Mikroskop. 

Camera lucida von Wollaston. Sie 
besteht im Wesentlichen aus einem vierseitigen 
Prisma, welches einen rechten und einen 
stumpfen Winkel hat. Die eine Fläche des 
Prismas ist gegen das Object gekehrt, dessen 
Zeichnung man entwerfen will. Der vom Ge- 
enstande kommende Lichtstrahl dringt durch 
iese Fläche in das Prisma ein, erleidet an 
der zweiten Fläche eine und an der dritten 
Fläche eine zweite totale Reflexion und tritt 
vom Prisma rechtwinkelig zu der oberen 
Fläche desselben ins Auge des Zeichners. 
Das Auge wird so über diese obere Fläche 
des Prismas gehalten, dass man durch die 
eine Hälfte der Pupille das reflectirte Bild 
des abzuzeichnenden Gegenstandes sieht, 
während man durch die andere Hälfte der 
Pupille an dem Prisma-Eck vorbei nach einer 
horizontal liegenden weissen Papierfläche 
sieht, auf welcher man das projicirte Bild 
des Gegenstandes und zugleich die Spitze 
des Bleistiftes wahrnimmt. 

Camera lucida von Sömmering. Diese 
ist ein kleines Metallspiegelchen, welches an 
einer horizontal befestigten Metallstange oben 
und in der Mitte der Ocularlinse aufgehängt 
ist. Von der einen Seite blickt man in den 
Spiegel hinein, wo man das projicirte Bild 
sieht, und, neben den Spiegel sehend, nimmt man 
dasselbe auf einem zu der Sehlinie recht- 
winkelig aufgestellten Papierblatte und zugleich 
die zeichnende Bleistiftspitze wahr. 

Camera lucida von Amici-Norbert. 
Norbert’s nach Amici construirte Camera 
lucida besteht aus einem gerade über der 
Mitte des Oculars anzubringenden, mit einer 
unter 45° aufgestellten dünnen Glasplatte 
bedeckten Rohre und einem der Glasplatte 
gegenüber aufgcstellten, recht winkeligen Glas- 
prisma, welches von einem kleinen Messing¬ 
pfeiler getragen wird. Das Prisma ist um 
eine horizontale Axe drehbar. Vom Zeichen¬ 
papier und der Bleistiftspitze werden die 
Lichtstrahlen durch die Prismafläche und 
Glasplatte ins Auge reflectirt, während die 
Lichtstrahlen vom mikroskopischen Gegen¬ 
stände durch das erwähnte und mit der Glas¬ 
platte bedeckte Rohr ins Auge gelangen. 

Camera lucida vonRadvaner. Diese 
ist nach Muster des amerikanischen Umbro- 
glas - Zeichenapparates (Neutral Tint Glass 
Reflector) construirt und besteht aus einem 
gewöhnlichen Deckglase, welches man am 
einfachsten am Rande des Oculars mit Wachs 
unter 45 0 befestigt und dem gegenüber man 
ein auf ein Zeichenbrett gezogenes Papier 
aufstellt. RadvaneCs Apparat ist auch noch 
mit einer kleinen Haltevorrichtung, mit welcher 
man das Ganze am Ocular befestigen kann, 
versehen. 

Camera lucida von Chevalier und 
Oberhäuser-Hartnack. Dieselbe ist folgen- 
dermassen construirt: In einem knieförmigen 


— CAMPER. 

Metallrohre sind Linsen und ein Prisma be¬ 
festigt. Der verticale Röhrentheil wird anstatt 
des Oculars in das Mikroskoprohr gesteckt; 
am Ende des horizontalen Rohres ist ein win¬ 
ziges Prisma befestigt, durch welches man 
auf einer horizontal neben dem Mikroskope 
aus gebreiteten Papierfläche das auf dieselbe 
projicirte Bild mit der zugleich sichtbaren 
Bleistiftspitze abzeichnet. 

Camera lucida von Nachet. Nachet 
hat seine neuere Camera lucida nach Govi's 
Angaben folgendermassen construirt: Die 
Lichtstrahlen fallen durch das Rohr des 
Mikroskopes und durch das Ocular auf pa- 
rallelopipede Doppelprismen. Die Prismen 
sind durch eine sehr feine, durchsichtige 
Goldschichte von einander geschieden, von 
welcher das Bild auf ein Prisma, von da auf 
ein zweites Prisma und von diesem auf das 
neben dem Mikroskope befindliche Papier 
geworfen wird. Gleichzeitig sehen wir die 
Spitze des Bleistiftes durch entgegengesetzte 
Strahlenreflexion und können die Umrisse des 
Bildes mit dem Stifte nachzeichnen. 

Camera lucida von Seibert. Dieselbe 
besteht aus zwei Spiegelchen, welche im Innern 
eines Gehäuses an den einander gegenüber¬ 
stehenden Flächen befestigt sind. Von dem 
Spiegelchen, welches oberhalb des Oculars 
angebracht ist, wird in der Mitte das Amal- 
am weggewischt. Der ganze Apparat, resp. 
as Gehäuse ruht auf einer kleinen Säule 
und kann mit Hilfe eines Ringes am Oculare 
befestigt werden. Die vom mikroskopischen Ob¬ 
jecte kommenden Strahlen gelangen durch den 
vom Amalgam befreiten Punkt des Spiegel - 
chens hindurch in das Gehäuse und zum Auge. 
Gleichzeitig werden aber auch diese Strahlen 
auf das gegenüber angebrachte Spiegelchen 
und von diesem auf das neben dem Mikroskope 
angebrachte Blatt Papier geworfen. 

Die Abbö’sche Camera lucida, welche 
in neuester Zeit von Zeiss angefertigt wird, 
ist eine vervollkommncte Construction des 
Zeiss’schen Apparates. Sie ermöglichet eine 
deutlichere Sichtbarkeit des Zeichenstiftes 
und eine gleichmässigere Bildschärfe, sowie 
selbst bei den stärksten Objectivsystemen 
keinen Lichtverlust. v. Thanhoffer. 

Camerariu8, deutscher Arzt, Professor der 
Medicin in Tübingen und Schriftsteller über 
Rindviehseuchen; im XVIII. Jahrhundert. Abr. 

Camora P. L., Proto-Albeytar des König¬ 
reichs Navarra, gab 1588 zuLogrono ein Werk 
über Behandlung der Pferde, Maulthiere und 
anderer Hausthiere mit einem Anhang über 
Reitkunst heraus. Semmer. 

Campe, französischer Stallmeister und 
Bearbeiter der Hippiatrik, im XVTI. Jahr¬ 
hundert. Ableitner. 

Campecheholz, s. Blauholz. 

Camper P. (1722—1789), Professor zu 
Amsterdam und Gröningen, schrieb 1769 über 
die in Holland herrschende Rinderpest und 
stellte Impfversuche an. 1778 erschien von 
ihm eine preisgekrönte Abhandlung: „Ueber 
die vorzüglichste Ursache der. ansteckenden 
Krankheit unter dem Hornvieh.“ Semmer. 


Digitized by v^oogie 



CAMPER. — C AN ALIS. 


51 


Camper A. G., Sohn des Vorhergehenden, 
gab eine Abhandlung über Krankheiten, die 
sowohl den Menschen als den Thieren eigen 
sind, heraus. Semmer. 

Campher, Camphol, auchLaurineencampher, 
C lo H ie O, eine weisse, körnig krystallinische 
zähe Masse von eigentümlich starkem Geruch 
und brennendem bitterlichen Geschmack, findet 
sich in allen Theilen des in China und Japan 
einheimischen, auf den Sundainseln cultivirten 
Campherbaumes, Laurus Camphora L. Aus 
den zerschnittenen Holztheilen dieses Baumes 
wird der Campher durch Wasserdampf aus¬ 
getrieben und in geeigneten Gefassen con- 
densirt. In Europa wird der rohe Campher 
durch Sublimation gereinigt und kommt in 
Form von durchscheinendem Brot mit krystal- 
linischer Structur in den Handel. Auch die 
ätherischen Oele von Mentha, Salbei, Majoran 
u. s. w. scheiden beim Stehen in der Luft 
campherähnliche Stoffe ab. Der Campher ver¬ 
dampft schon bei gewöhnlicher Temperatur, 
schmilzt bei 175° und siedet bei 204°. Er 
löst sich in 1000 Th. kalten Wassers, in 
% Th. Alkohol, reichlich in Holzgeist, Aether 
und Chloroform, Schwefelkohlenstoff, und dreht 
die Polarisationsebene nach rechts. Auf das 
Wasser geworfene Stückchen schwimmen darauf 
mit rotirender Bewegung. Durch wasserent¬ 
ziehende Substanzen wird der Campher in 
mehrere Kohlenwasserstoffe zerlegt, u. zw. ent¬ 
steht hiebei in grösster Menge C, 0 H„ (Cyraol), 
daneben auch Toluol und XyloL Mit Salpeter¬ 
säure gekocht, nimmt er Sauerstoff auf und 
geht in Camphersäure, C 10 H t8 0 4 , über. Mit 
Brom und Jod vermag sich der Campher direct 
zu vereinigen. Der Campher findet Anwendung 
als Heilmittel, in neuerer Zeit auch Broin- 
campher, ersterer überdies auch in der Technik 
zur Darstellung von Celluloid und Spreng¬ 
gelatine. Bezüglich der arzneilichen Verwen¬ 
dung s. die Stammpflanze Cinnamomum 
Camphora. Loebisch. 

Campine-Huhn, eine in der nordbelgischen 
Landschaft Campine (vlämisch Kempen) ge¬ 
züchtete Varietät des Hamburger Huhnes 
(s. d.). Wilckens. 

Canadisches Pferd. Dasselbe hat nach 
Schwarznecker’s Mittheilung fast unvermischt 
sein normannisches Blut erhalten, ähnelt 
in der Kopfform und Ohrstellung dem alt¬ 
spanischen Pferde. Die meisten Thiere dieser 
vielgenannten nordamerikanischen Basse sind 
klein, kaum l*60m hoch, tragen sich aber 
gut, stolz; ihr Hals ist hoch aufgerichtet, 
mit starker Mähne geziert, die Brust ist breit 
und voll; ihre Schultern stehen etwas steil 
und sind meistens schwer zu nennen; ebenso 
ist ihr breiter Rücken stark, die Kruppe rund 
und fleischig. Die Aufwölbung des Bippen- 
korbes lässt Einiges zu wünschen übrig. 
Schwarznecker nennt ihre Beine geradezu 
bewunderungswürdig; sie besitzen vortreff¬ 
liche Sehnen und kräftige, kurze Fessel mit 
Behang; charakteristisch ist ferner noch ihr 
starker Schweif mit krausen Haaren, wie 
solche bei anderen Rassen fast niemals Vor¬ 
kommen. Ihre Schnelligkeit ist nicht besonders 


gross, dagegen aber lobenswertli ihre Aus¬ 
dauer, Genügsamkeit und Klugheit. Sie be¬ 
sitzen im Schritt und Trabe eine hohe Action 
und erscheinen dabei rund im Knie. Canadische 
Pferde sind bereits mehrfach nach Europa 
überführt worden, in den Edinburger Pferde¬ 
bahnwagen verwendet, zeigen sich dieselben 
sehr dauerhaft. Ihre Körperschönheit konnte 
H. v. Nathusius, welcher sie dort gesehen 
hat, nicht loben, wohl aber ihre Leistun¬ 
gen in der Trabgangart. Kreuzungen der 
canadischen Stuten mit englischen Vollblut¬ 
hengsten lieferten eine Nachzucht, die sich 
durch Kraft, gute Gänge und eine eiserne 
Constitution auszeichnet. Nach Fitzinger ver¬ 
trägt die fragliche Rasse die Kälte besser 
als jedes andere unserer Hausthiere. Freytag. 

Canallculi lacrymalis, s. Thränenapparat. 

Canalis, m. (urspr. Adj. von canna, xavva, 
also rohrförrnig), Rinne, Röhre, ist ein auch 
in der Anatomie beliebter Ausdruck zur Be¬ 
zeichnung cylindrischer Hohlgänge, welche 
meist zum Durchtritte von Gefässen und 
Nerven etc. dienen. So sind noch gebräuchlich: 
C. a 1 i m e n t a r i u s, der Verdauungsschlauch. — 
C. alveolaris. der Zahnhöhlencanal, welcher 
im Ober- und Unterkieferbein als enge Fort¬ 
setzung des C. irifraorbitalis, resp. C. infra- 
maxillaris Nerven und Gefässe zu den Incisivi 
und Canini führt. — C. caroticus, s. Felsen¬ 
bein. — C. centralis, s. Centralcanal des 
Rückenmarkes. — C. cochlearis, Schnecken¬ 
canal, s. Gehörorgan. — C. columnae spi- 
nalis, medullae spinalis, s. vertebralis, der 
Wirbelcanal. — C. cruralis, der Schenkel¬ 
canal, welcher als unregelmässig vierseitiger 
Raum an der medialen Fläche des Ober¬ 
schenkels neben dem M. vastus internus und 
zwischen dem M. sartorius einer-, dem M. pec- 
tineus und gracilis andererseits vom Canal, 
inguinal, endlich durch das Lig. Poupartii ge¬ 
trennt herabsteigt und oberhalb der unteren 
Beckenwand seinen Anfang, in der Mitte des 
Oberschenkels dagegen sein Ende nimmt. In 
ihm liegen lateralwärts die A. und. V. crural., 
medial davon die A. und V. epigastrie, infi, 
vom der N. saphenus (daher eventuell die 
Nothwendigkeit einer Erweiterung desselben 
vom medialen Winkel aus nach vom). — 
C. Fallopii = C. spiralis = Aquaeductus 
Fallopii, s. mittleres Ohr und Aquaeductus. 
— C.Fontanae, s. Auge.— C. inframaxil- 
laris, Unterkiefercanal, s. Unterkieferbein.— 
C. i n f r a o r b i t a 1 i s, der Oberkiefer- oder Unter¬ 
augenhöhlencanal, s. Os maxillare superius. — 
C. inguinalis, der Leistencanal, ein seitlich 
comprimirter trichterförmiger Raum, welcher 
zwischen dem M. obliqu. abdomin. ext., resp. 
dessen Endsehne (Lig. Poupart.) einerseits 
und dem M. obliqu. abdomin. int. und M. 
abdomin. transvers. andererseits die untere 
Bauchwand perforirt. Er nimmt seinen An¬ 
fang mit dem Annulus abdominalis, Bauch¬ 
ring, etwa 5 cm vor dem Ram. horizontal, des 
Schambeins, und erreicht sein Ende schief 
nach hinten mit dem der anderen Seite con- 
vergirenden Annulus inguinalis, Leistenring, 
einer schmalen, circa 7 cm beimPferde messenden 


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52 


CANALIS HYAL01DEUS. —^CANARIENVOGEL. 


Spalte, welche auch bei dem weiblichen Thiere 
vorhanden ist, während diesem (exclusive Hün¬ 
din, daher auch das Vorkommen von Leisten¬ 
brüchen bei dieser) der Zagang zum Leisten- 
canale fehlt. Der C. inguinal, bildet die Ver¬ 
bindung zwischen dem Cavum abdominis und 
scroti und vermittelt so den Eintritt des de- 
scendirenden Hodens aus der Bauchhöhle in 
den Hodensack beim Fötus, den Durchtritt 
des Samenstranges beim geborenen Thiere. 
In seinem vorderen lateralen Winkel verkehren 
die Gefässe des Hodens, während seinen hin¬ 
teren Winkel der Samenleiter passirt, ein 
Hinweis auf die Nothwendigkeit einer Er¬ 
weiterung des Bauchringes von dem medialen 
hinteren Winkel aus. — C. lacrimalis, Thränen- 
canal, s. Auge und Thränenapparat.— C. op¬ 
ticus, s. Keilbein. — C. petro-basilaris und 
etrosus, s. Felsenbein und mittleres Ohr. — 
. pterygo-palatinus, Gaumencanal, zwi¬ 
schen Gaumen und Oberkieferbein (s. d). — 
C. radicis, der Zahnwurzelcanal, s. Zähne. — 
C. sacralis, der Kreuzbeincanal. — C. Sten- 
sonianus s. naso-palatinus, der Stenson- 
sche Canal oder Nasengaumengang, ist der 
(beim Pferde allein gegen die Maulhöhle blind 
abgeschlossene) die Verbindung von Nasen- 
und Maulhöhle vermittelnde Canal, welcher auf 
dem unteren Horne des Nasenscheidewand¬ 
knorpels basirt, beim Rinde bis 7 cm lang das 
Gaumengewölbe in der Gegend der Dentes 
canini durchsetzt und seitlich von einer flachen 
Schleimhautpapille, „Gaumenhügel,“ in die 
Maulhöhle mündet. Er ist ein Ueberrest der 
embryonalen Nasenfurche, der Verbindung 
des Nasensäckchens mit der primitiven Mund¬ 
höhle und soll Geschmacks- und Geruchsinn 
in gegenseitige Beziehungen treten lassen. — 
C. thoracicus, der Milchbrustgang, s. Lymph- 
gefasse. —C. transversarius, der Querfort¬ 
satzcanal der Halswirbelsäule (s. d.). — C. Vi¬ 
di anus, ein an der Schädelbasis zwischen der 
Wurzel des Process. pterygoid. des Keilbeines 
und dem Pflugscharbein sich hinziehender 
Gang, welcher den N. Vidianus (s. N. tri- 
geminus) aus der Fossa spheno-palatina an 
die Schädelbasis treten lässt. Sussdorf. 

Canalis hyaloideus, s. Corpus vitreum. 

Canalis Petiti, s. Zonula Zinnii. 

Canarienvogel. Serinus canarius Koch. 
Bekannter Stubenvogel aus der Ordnung der 
Singvögel, Oscines, Familie der Finken, Frin- 
gillidae. Der wilde Vogel lebt auf den ca- 
narischen Inseln, Madeira, Cap Verden und 
Azoren. Derselbe ist auf der Oberseite gelb¬ 
grün, mit schwärzlichen Schaftstrichen und 
sehr breiten, hell aschgrauen Federrändern; 
die Unterseite ist gelb, am Bauche weisslich; 
Flügel und Schwanz schwärzlich. Der Canarien¬ 
vogel lebt vorwiegend in lichtem Gehölze und 
in Gärten, er brütet im März auf nicht zu 
dicht belaubten Bäumen, auf denen er sein 
Nest bereitet. Im XVI. Jahrhundert wurde 
der Vogel nach Europa gebracht und durch 
die Zucht in mannigfacher Weise verändert. 
So ist die citron- bis goldgelbe Färbung des 
Stubenvogels ein Product der künstlichen 
Zuchtwahl. Studcr . 


Krankheiten der Canarien Vögel. An 
dieser Stelle soll nur der häufigsten und vorzüg¬ 
lichsten Krankheiten der Canarienyögel ge¬ 
dacht werden, da die übrigen Krankheiten* 
soweit sie ein specielles Interesse darbieten, 
unter gesonderten Namen beschrieben werden. 

Schmarotzer auf der Haut und in 
den Federn. Die in der Gefangenschaft 
lebenden Canarienvögel werden hauptsächlich 
von Milben und Federlingen geplagt. Sind die 
Schmarotzer in grösserer Zahl vorhanden, so 
verlieren die Vögel die gewohnte Munterkeit* 
sie lassen selbst in der Fresslust nach und 
gedeihen nicht recht, inan sieht sie häufig 
mit dem Schnabel in den Federn herum¬ 
suchen, um sich der Plagegeister zu entle¬ 
digen; untersucht man das Federkleid, so 
kann man sich von deren Gegenwart über¬ 
zeugen, man findet sie auch im Bauer, be¬ 
sonders an den Sitzhölzern. Von Milben findet 
man meistens die gewöhnliche Vogelmilbe* 
Dermany8sus avium, es kommen aber auch 
hier Krätzmilben und Federbalgmilben vor; 
die Federlinge (Läuse) gehören meistens 
der Gattung der Philopteriden an. Zur Be¬ 
seitigung der Schmarotzer ist Reinlichkeit 
das erste Erforderniss. Das Bauer ist öfter 
in der Woche mit heisser Lauge auszuwaschen* 
wobei besonders die Sitz- oder Springhölzer 
zu berücksichtigen sind, da sie den Lieblings¬ 
sitz der Schmarotzer abgeben. Frischer Sand 
sollte täglich eingestreut werden; selbstver¬ 
ständlich ist das Trinkwasser und Wasser 
zum Baden täglich zu erneuern, denn Baden 
ist den Vögeln ein Bedürfniss. Auf die Haut 
streiche man zwischen die Federn etwas 
Anis- oder Rosmarinöl oder ein wenig Peru¬ 
balsam, oder wasche die Thierchen mit einem 
Decoct von Anissamen, auch kann man ihnen 
etwas persisches Insectenpulver zwischen die 
Federn streuen. 

Die Entzündung der Bürzeldrüse 
oder die Darre, Adenuropygiitis (von d^v* 
Drüse, glandula uropygii, die Fettdrüse der 
Vögel). Die Bürzeldrüse hat ihre Lage oberhalb 
des Schwanzes an der oberen Fläche der 
Schwanzwirbel. Die entzündete Drüse schwillt 
an, wird dunkelroth und schmerzhaft, wobei 
Fieber, Trauern und Verstopfung zu be¬ 
merken ist. Mit der Zeit sammelt sich das 
eiterartig gewordene Secret in den Aus¬ 
führungsgängen der Drüse an, man bemerkt 
alsdann auf der Oberfläche der Drüse einen 
weissgelblichen Fleck, der mit einer Nadel 
oder einem feinen Bistouri zu öffnen ist, damit 
das abnorme Secret ausgedrückt werden kann. 
Die kleine Wunde kann mit einer Borsäure¬ 
lösung ausgepinselt werden. Die schmerzhafte 
Spannung lindert man durch Einreiben von 
erwärmtem Fett oder Oel oder von Glycerin 
in die Drüse. 

Hypertrophie der Krallen und 
Atrophie der Zehen. Die Krallen er¬ 
reichen nicht selten eine ungewöhnliche Länge, 
es setzen sich an ihnen und den Zehen 
Excremente fest, so dass diese Theile ver¬ 
dickt und incrustirt erscheinen. In Folge des¬ 
sen vermögen sich die Vögel nicht mehr auf 



CAN ARIENVOGEL. 


53 


ihren Stangen festzuhalten, sic fallen bei den 
wiederholten Versuchen hiezu herab, kauern 
nun ermüdet und kraftlos in einer Ecke des 
Bauers auf dem Boden, sie verlieren selbst 
die Fresslust und sind scheinbar ernstlich 
krank. Verkürzt man die Krallen mit der Schere 
bis zur normalen Grosse und reinigt die Zehen 
von dem anhaftenden Schmutze, so kehrt sofort 
die gewohnte Munterkeit zurück. Der Koth 
muss in lauwarmem Wasser vorher aufge¬ 
weicht werden, damit sich die Oberhaut nicht 
mit ablöst, was Schmerzen verursacht. Sitzt 
der Koth lange Zeit als eine harte Kruste 
auf den Zehengliedern, so bringt er diese 
zum Schwinden, wir sehen deshalb nicht 
selten Canarienvögel mit fehlendem letzten 
Zehengliede, weil dasselbe schliesslich sich 
ablöst; Zwirnsfaden oder Haare, die sich um 
die Zehen herumgeschlungen haben, bewirken, 
wenn sie nicht frühzeitig abgelöst werden, 
ebenfalls ein Abfallen eines oder mehrerer 
Zehenglieder. 

Wahrend der Mauser, bei welcher die 
Oberfedem zum Herbste hin gewechselt wer¬ 
den, zeigen sich die Vögel sehr angegriffen, 
nervös verstimmt, matt, hinfällig und zu 
Krankheiten disponirt, der Gesang verstummt, 
er kehrt erst allmälig nach der überstandenen 
Mauser wieder; während derselben sind die 
Thierchen vor Erkältung, Zugluft, Nässe und 
Nahrungsmangel zu bewahren. Haupterforder- 
ni8s bleibt Reinlichkeit und reine Luft. 

Von katarrhalischer Augenent¬ 
zündung werden hiebei die Vögel leicht 
befallen; die Augenlider schwellen und but¬ 
tem (vermehrte Schleimabsonderung), die 
Augen werden geschlossen gehalten. Diese 
sind mit kaltem Wasser, Flieder- oder Karnil- 
lenthee öfter auszuwaschen, in hartnäckigen 
Fällen setzt man auf 30 g der Flüssigkeit 
0 • 09 g Zinc. sulfuricum oder Lapis ophthal- 
micus hinzu. 

Der Katarrh der Athmungsorgane, 
der sog. Pips (von Pipen abgeleitet), kann 
sich von der Nasen- und Maulhöhle aus bis 
in die Lungen erstrecken. Die hervorragend¬ 
sten Symptome sind Ausfluss von Schleim 
aus Nase und Schnabel, bei erschwerter, zu¬ 
weilen pipender Respiration und allgemeinem 
Trauern. Pfeifende Athmungsgeräusche spre¬ 
chen für ein entzündliches Mitleiden der 
Rachenhöhle und des Kehlkopfes (Bräune), 
Schmerz beim Druck auf den Brustkasten für 
ein solches der Lungen. Hier empfiehlt sich 
Grünfutter, das Auspinseln der Nase und des 
Mauls mit mildem Oel und das Einathmen 
heisser Wasserdärapfe, auch kann man etwas 
Ammoniumchlorid (0*06) oder Kalium sul- 
furicum (0*50), in Wasser gelöst, bei ent¬ 
zündlicher Affection des Kehlkopfes oder der 
Lungen Nitrum (alle 2 Stunden 0*01—0*03) 
in Gummischleim geben und die Kehle, resp. 
die Brust mit Spiritus camphorat. oder Liquor 
Ammon, caust. einreiben. 

Durchfall wird gern durch fett- und 
ölreiche Nahrung hervorgerufen, namentlich 
wurde er bei ausschliesslicher Fütterung mit 
Hanfsamen beobachtet und ist dann öfter 


mit Hautjucken verbunden. Die Dauer des 
Darmkatarrhs, resp. Durchfalls beläuft sich 
auf 3—6 Tage, wenn er in Darmentzündung 
übergeht, nur auf 10—12 Stunden. Die kleinen 
Patienten sind warm zu halten, man reicht 
ihnen reinen Gummischleim oder mit mini¬ 
men Dosen Calomel (0*005 g) versetzt, oder 
Kamilleninfusum mit Opium (0*01 g), alle 
zwei Stunden den achten Theil, oder Tinctura 
Rhei vinosa (0*0i—0*03g), oder mehrere 
Tropfen der Douglas’schen Mixtur, einer Mi¬ 
schung von Acid. sulfuric. und Ferrum sul- 
furic. in etwas Wasser; gegen Darmentzün¬ 
dung wendet man Nitrum wie bei Lungen¬ 
entzündung an. 

Appetitlosigkeit ist meistens mit 
Verstopfung verbunden, beide gehen aus 
Diätfehlern hervor. Canarienvögel bedürfen 
zu ihrer Nahrung, ausser frischem Wasser und 
Sand, nur der Sämereien; am besten bekommt 
ihnen ein Gemisch von Canariensamen, zer¬ 
drücktem Hanfsamen und Sommerrübsamen, 
hin und wieder gibt man dazwischen etwas 
Grünes, z. B. Kohl, Salat, Brunnenkresse. 
Appetitlosigkeit verlangt eine Aenderung des 
diätetischen Regimes, man nehme hier seine 
Zuflucht zu den Bechstein’schen Universal- 
Nahrungsmitteln (cfr. Bechstein, „Die vor¬ 
züglichsten Singvögel im Zimmer,“ Ulm 1827), 
deren Compositionen die folgenden sind: Man 
weicht eine altgebackene Semmel (Weissbröt¬ 
chen) in frisches Wasser ein, drückt nach 
gehöriger Erweichung die Semmel aus, be- 
giesst sie mit Milch und mischt etwas Weizen¬ 
gries hinzu; oder: man zerreibt eine gelbe 
Rübe (Mohrrübe) auf dem Reibeisen, weicht 
etwas Semmel in Wasser, presst das Wasser 
wieder aus und verreibt beides in einem 
Napfe mit zwei Händen voll Weizengries oder 
hülsenfreiem Gerstenschrot. Beide Mittel sind 
jeden Morgen frisch zu bereiten, sie dürfen 
nie sauer verfüttert werden. In das Trink¬ 
wasser kann ein rostiger Nagel gelegt wer¬ 
den, oder man gibt ein wenig Kreide oder 
Magnesia carbon. in einem Pfefferminzinfu- 
sum oder in einem Decoct von Kalmus oder 
Ingwer. Gegen Verstopfung benützt man 
Schleim, Oel. Ol. Ricini (10—20 Tropfen) und 
führt statt eines Klystiers einen in Oel ge¬ 
tauchten Nadelkopf in die Cloake, auch kann 
man ein Klystier von Seifenwasser setzen. 

Gicht oder rheumatische Arthri¬ 
tis gibt sich zu erkennen durch Schmerz in 
den Beinen, gespannte, schmerzhafte Bewe¬ 
gung, vieles ruhiges Liegen auf dem Boden 
des Vogelbauers und durch anfänglich schmerz¬ 
hafte, später unschmerzhafte Auftreibung der 
Gelenke. Hier sind die Patienten warm, tro¬ 
cken und reinlich zu halten; man verabreicht 
ihnen Salmiak oder Salpeter in einem Infu- 
sum von Kamillen oder Fliederblumen, dann 
auch Natr. salicylicum (0*005—0*01 g), wo¬ 
bei die Beine mit fcampherspiritus, Salmiakgeist 
oder einer Mischung von Ol. Hyoscyami coct. 
und Morphinum (7*0:0*06 g) einzureiben sind. 

Epilepsie. Hertwig klagt u. A. als 
Ursache der Epilepsie den Aerger über andere, 
in der Nähe befindliche Vögel oder Menschen 



54 


CANCER. — CANIS. 


an (cfr. „Magazin für Thierheilkunde“, 1849). 
Während der Anfälle bemerkt man Zit¬ 
tern , Wanken, Verdrehen der Augen und des 
Halses, Umfallen, Zappeln mit den Beinen; 
nach kurzer Dauer dieser Symptome kehrt 
die frühere Munterkeit zurück. Ruhe, magere 
Diät und beruhigende, krampfstillende Mittel 
geben hier die Heilmittel ab, z. B. Bella¬ 
donna (0*005—0*01 g), Chloralhydrat(0*06bis 
0*10g stark mit Wasser verdünnt), Zincunt 
oxydat. s. Zinc. valerianicum (0*03—0*06 g) 
in Baldrianinfusum. Anacker. 

Cancer, eine aus einem bindegewebigen, 
gefässhaltigen Stroma mit eingelagerten Epi- 
thelzellenzapfcn bestehende Neubildung, (s. 
Krebs). Setnmer. 

Cancroid oder Epitheliom, frühere Be¬ 
zeichnung für einen Plattenepithelkrebs mit 
einem bindegewebigen Stroma und eingela¬ 
gerten Epithelzellenkugeln und Zapfen, in 
welchen die Plattenepithelzellen zwiebelscha¬ 
lenartig übereinander gelagert angetroffen 
werden (Fig. 29(1). Nur das Centrum der Kugeln 



Fig. 296. Caucroid aus Plattenepithel. Epithelzellennester. 

und Zapfen enthält deutlich ausgeprägte, kern¬ 
haltige Plattenepithelzellen, nach den Rändern 
zu sind die Zellen abgeflacht und dicht über- 



Fig. 297. Cancroid aus Epithelzellenzapfen im lockeren 
Bindegewebe, das mit kleinen Rundzellen infiltrirt ist. 
a Epithelzellen, b Rundzellen. 


einander gelagert,ohne deutliche Contourenund 
ohne deutlichen Kern (Fig. 297), s. Krebs. Sr. 

Candlenüsse undC an dl e n u s s- (C an dl e- 
nuts-) Kuchen. Die nussartigen Früchte von 
Aleurites trilobata, welche sehr ölreich sind, 
werden behufs Oelgewinnung entschält und 
gepresst. Die verbleibenden Rückstände die¬ 
nen als Viehfutter. — Die entschälten Nüsse 
enthalten: 

94 •7—95*6 im Mittel 95*1 % Trockensubstanz 
22‘7—23'8 „ 23 ‘2 „ Protein 

59-2-63-0 „ „ 60*1 „ Fett 

— — „ „ 6'7 „ stickstofffreie Extractstoffe 

1"6— 2'7 „ 2*0 „ Holzfaser 

— — „ „ 3"ß „ Asche 

Die nach den geschälten Nüssen verblei¬ 
benden Pressrückstände (Kuchen) enthalten: 

92‘1—93’1 im Mittel 92*3 % Trockensubstanz 
62-3—57 1 „ „ 54-1 „ Protein 

8-9—10 6 „ „ 9*6 Fett 

14 ‘ 2—17 * 6 „ „ 15* 9 „ stickstofffreie Extractstoffe 

3'8— 6 8 * „ 4*2 „ Holzfaser 

— — , f 8‘5 „ Asche 

Die Candlenutskuchen gehören zu den 
stickstoffreichsten Oelkuchen und sind 
zufolge ihres geringen Rohfasergehaltes auch 
leicht verdaulich. Man kann von ihnen aber 
nur geringe Mengen verfüttern, da sie sonst 
eine purgirende Wirkung äussern. Am be¬ 
liebtesten sind sie als Mas tfutter für Rind¬ 
vieh, an welches man bis 1 U per 1000 U 
Lebendgewicht verabreichen darf. Pott. 

Caniden, s. Hund. 

Caniniatrica (abgeleitet von canis, Hund, 
und v) taxptxY) sc. tex VY J, Heilkunde), die 
Hundeheilkunde. Sussdorf. 

Canis familiaris f ossilis. Unter diesem 
Namen nimmt Pictet den Hund für das Dilu¬ 
vium als ein wildes Thier an, und es erscheint 
ihm sicher, dass während der Diluvialepoche 
eine oder mehrere wilde Species gelebt haben, 
die dem Chien domestique (Haushund) nahe 
standen und nicht der heutige Wolf, Schakal 
oder Fuchs waren. Ebenso meinte Blainville, 
dass der Hund „chien u von keiner jetzt leben¬ 
den wilden Species abstamme, ^ondern von 
einer Species, welche im Diluvium gelebt 
hat und einer geselligen, sanften Natur ge¬ 
wesen sei. De Serres, Dubreuil und Jeanjean 
berichten über diluviale Hundereste aus der 
Höhle Lunel-Viel bei Montpellier. Uebrigens 
haben schon Esper, Rosenmüller, Goldfuss, 
Buckland, Tournal und Cuvier von Knochen¬ 
resten des Hundes gesprochen, welche mit 
diluvialen Thieren gefunden wurden, und 
Schmerling führt ausdrücklich an, dass die 
von ihm in den belgischen Höhlen gefundenen 
Hundereste desselben, d. h. diluvialen Alters 
seien wie die anderen mit gefundenen Knochen. 

Canis familiaris interinedius W. 
Unter den prähistorischen, bei Wcikersdorf in 
Niederösterreich durch den Grafen G. Wurm¬ 
brand gemachten Funden wurden Prof. Dr. 
J. Woldricli Schädel und Knochen eines 
Hundes zur Untersuchung übersendet, der 
denselben als eine neue Rasse unter dem 
oben angeführten Namen von den Hunden 
der Stein- und Bronzezeit (Canis f. palustris 
Rütm. und Canis f. matris optimae Jeitt.) 
unterschied. Seitdem ist dieser Hund bereits 




CANNABINEAE. — CANNABIS SAT1VA. 


35 


vielfach auch in anderen prähistorischen An¬ 
siedlungen gefunden worden, und nach Strobel 
entspricht er in Italien der Eisenzeit; er soll dem 
Schafhund, Canis rudo, am nächsten kommen. 

Literatur: Prof. Dr. Joh. N. Wold*ich. lieber 
eiben nenen Haushund der Bronzezeit aus den Aschenlagern 
von Weikersdorf, Pal kau und Ploscha. Mitth. der anthrop. 
Ges. in Wien, 1877. 

Canis familiaris matris optimae 
Jeitt. Unter den zahlreichen Resten mensch¬ 
licher Thätigkeit, als Stein- und Knochen¬ 
werkzeugen, Bronzegeräthen, Scherben von 
Thongeschirren etc. etc., fanden sich in dem 
Olmützer Pfahlbau in Mähren auch inter¬ 
essante Thierreste von Pferd, Rind, Schaf, 
Schwein, Haushuhn und vom Hund. Ausser 
dem Torfhund (Canis f. palustris Rütm.) der 
Schweizer Pfahlbauten wies Prof. L. H. Jeit- 
teles eine neue, grössere und kräftigere Rasse 
nach, welche er mit dem systematischen 
Namen Canis f. matris optimae (nach seiner 
verstorbenen Mutter) belegte. Dieser Haus¬ 
hund, welcher der Bronzezeit angehört, wurde 
seitdem in vielen prähistorischen Fundstätten 
verschiedener Länder nachgewiesen. Naumann 
schreibt ihm zwei jetzige Formen zu, u. zw. 
den Windhund, Canis grajus, und einen grös¬ 
seren Jagdhund (Parforcc-Hund). 

Literatur : Die vorgeschichtlichen Alterthürner der 
Stadt OlroOtz und ihrer Umgebung von Prof. L. H. Jeit- 
teles. Mitth. der anthrop. Ges. in Wien, 1872. 

Canis familiaris palustris. Prof. 
L. Rütimeyer in Basel constatirte unter den zahl¬ 
reichen Thierresten der Schweizer Pfahlbauten 
auch eine ziemlich constante Hundeart, welche 
er genau fixirte, unter dem Namen Torfhund 
beschrieb und später als eigene Art (Canis 
f. palustris) aufstellte. Er vergleicht den 
Torthund, der von den Schweizer Pfahlbauern 
der Steinzeit in gezüchtetem Zustande, also 
als eigentlicher Haushund gehalten wurde, 
mit dem heutigen Jagd- und Wachtelhund; 
Prof. Jeitteles nähert ihn dem Canis pomera- 
nus L. und den heutigen kleineren Rassen. 
Studer identificirt mit diesem prähistorischen 
Hunde den Haushund der Papuas, „CanisHibe- 
rinae“,QuoiGaimard und Rütimeyer bestätigen 
.diese Ansicht. Strobel berichtet, dass dem 
Torfhund der Jagdhund, Canis bracco, ent¬ 
spreche. Aber nicht nur in den Schweizer 
Pfahlbauten wurden Reste dieses prähistori¬ 
schen Hundes aufgefunden, auch in anderen 
Ländern, sowie auch in prähistorischen An¬ 
siedlungen am Lande findet er sich während 
der Steinzeit verbreitet. Nach Studer variirt 
schon gegen Ende der Steinzeit in den Pfahl¬ 
bauten der Canis f. palustris Rütim., beson¬ 
ders der Grösse nach, und es entsteht die 
Aufgabe, auf Grund dieser subfossilen Funde 
und osteologischen Vergleiche mit den jetzt 
lebenden Hunderassen den allmäligen Ueber- 
gang in die historische Zeit nachzuweisen. 

Literatur: Prof. L. Kütimeyer, Fauna der 
Pfahlbauten. Neue Denkschr. der Schweiz. Ges. f. d. ges. 
Naturw, 1862. — Prof. L. HL Jeitteles, Die Stamm¬ 
vater unserer Hunderassen, Wien 1877. 

Canis familiaris Spalletti. Prof. 
Dr. Pelegrino Strobel in Parma bestätigte in 
der Terremare dell’ Emilia und in verwandten 
Fundorten Italiens nicht nur die bis daher 

\ 


gekannten drei prähistorischen Hunde: Canis 
f. palustris Rütim., Canis f. matris optimae 
Jeitt. und Canis f. intermedius Wold., son¬ 
dern es gelang ihm auch, noch eine vierte 
typische Form in der Terremare von Bagno 
bei Rubiera nachzuweisen, welche er zu Ehren 
der Eigenthümerin, Comtesse Gabriela Ra- 
sponi Spalletti, mit dem obigen systemati¬ 
schen Namen bezeichnet. Diese Form ist die 
kleinste der bis jetzt aufgestellten vier prä¬ 
historischen Hunde und Strobel nähert sie dem 
heutigen Spitz, Canis pomeranus L. Dieser 
Hund der Terremare gehört dem Uebergang 
der Steinzeit zur Bronzezeit an und sowohl 
Strobel, als auch Canestrini berichten, dass 
er den Bewohnern nicht blos als Hilfsthier, 
sondern auch als Nahrungsthier gedient hat 
(Strobel: „Le razze del Cane nelle terremare 
dell’ Emilia,“ 1880). 

Canis ferus nennt Bourguignat den 
Hund der ältesten Diluvialzeit, welcher nach 
seiner Ansicht ein wildes Thier war, aber 
sanfter und geselliger als der Wolf; er setzt 
ihn an Stelle des von Pictet („Traitö de 
palöontologie,“ 1853, p. 203) aufgestellten 
Canis f. fossilis. Im Laufe der prähistorischen 
Zeit sollen durch Zähmung dieses Hundes die 
jetzt lebenden Hundearten entstanden sein. 
Neuere Gelehrte, so namentlich Prof. Woldrieh, 
glauben an mehrere diluviale Hundearten, 
welche später vom Menschen gezähmt wurden. 

Canis hercynicus nennt Prof. Wol 
drich eine unter den diluvialen Thieren von 
Zuzlawitz im Böhmerwalde aufgefundene 
diluviale Hundeform, welche er mit dem prä¬ 
historischen Canis f. Spalletti Strob. in Be¬ 
ziehung bringen zu können glaubt. 

Canis Mikii ist eine von Prof. J. Wol- 
drich in Wien neu aufgcstellte, wilde dilu¬ 
viale Hundeart, deren Reste aus der mähri¬ 
schen Höhle Öertova dira bei Neutitschein 
stammen. Von diesem Hunde sind bis jetzt 
nur ein Oberkiefer- und ein Unterkieferfrag¬ 
ment bekannt. Das Unterkieferfragment hat 
ungefähr die Grösse eines Schakalkiefers, 
Lupus aureus Gray, die Stärke des horizon¬ 
talen Astes nähert sich der eines sehr alten 
Fuchses, Vulpes vulgaris Gray. Das Ober¬ 
kieferfragment zeigt auch charakteristische 
Abweichungen, sowohl vom Fuchse, als auch 
vom Schakal. Prof. Woldrich vermuthet, dass 
der diluviale Canis Mikii (nach dem Wiener 
Entomologen Prof. J. Mik) der Stammvater 
des prähistorischen Canis f. palustris Rütim. 
ist, dem er an Grösse und Bau nahekommt 
(8. a. Hund, Vorgeschichte desselben). 

Literatur: Beiträge zur Geschichte des fossilen 
Hundes etc., von Prof. Dr. Joh. Nep. W o 1 d f i c h. Mitth. 
d. anthrop. Ges. in Wien, 1881. Koudclka, 

Cannabineae, Hanfgewächse, nesselartige 
Landpflanzen (Urticinae) mit gegenständigen 
Blättern, Fruchtknoten mit zwei Narben und 
einer hängenden Samenknospe, einfächerig; 
ein einsamiges ungeflügeltes Nüsschen. Von 
diesen Kräutern ist neben dem Hopfen (Hu- 
mulus Lupulus s. d.) von besonderer Wichtig¬ 
keit der gemeine Hanf, Cannabissativa(s.d.) VI. 

Cannabia sativa, der gemeine Hanf, 
L. XXII. 5. Stengel bis i m hoch, Blätter ge- 


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36 CANON. — CANTHARIDES. 


tingert, 5—9 Blättchen, lanzettlich gesägt. 
Die männlichen Pflanzen sind etwas kleiner 
(Stanbhanf, Pimmel): die weiblichen heissen 
Samenhanf (Masch). Die Pflanze liefert wegen 
ihrer starken Bastfasern unseren Hanf, die 
Samen das Oleum Cannabis und die Blätter 
in ihrem Vaterland Persien und Indien ein 
berauschendes, opiumähnlich wirkendes Ge¬ 
tränke, Haschisch. Offlcinell ist 

Herba Cannabis indicae, Summitates 
Cannabis indicae, Chanvre indien, Indian 
hemp; die Zweigspitzen der weiblichen Pflan¬ 
zen oder die davon abgestreiften rauhhaari¬ 
gen Blätter liefern ein narkotisches Princip 
in Form eines braunen Harzes, Cannabin 
(Haschischin), vielleicht auch des ätherischen 
Oeles Cannaben, möglicherweise auch beider 
zusammen und kommt dasselbe in dem Hanf 
Indiens reichlicher vor als in dem unse- 
rigen; beide Pflanzen sind jedoch identisch, 
die Bezeichnung Cannabis indica gegenüber 
der des Cannabis sativa ist daher nicht ge¬ 
rechtfertigt, die Sonne Indiens ist eben kräf¬ 
tiger als die unserige. Das Kraut kommt als 
Bhang oder Haschisch und als die stärkere 
Ganja in Handel, die Blätter beider sollen 
aber grün sein, aromatisch riechen und daher 
wenig Stengel enthalten. Das active Princip 
scheint mehr das Cannabin zu sein, und hat 
man jetzt eine Verbindung als 

Cannabinum tannicum hergestellt, 
welches die merkwürdige Eigenschaft hat, 
ein berauschendes, schlaferzeugendes Mittel 
(Hypnoticum) ersten Hanges zu sein, ohne 
jedoch wie das Opium zu obstipiren, die Ver¬ 
dauung zu stören oder das Bewusstsein zu 
verändern. Im Ganzen stellt sich der indische 
Hanf als ein angenehmeres Opium heraus und 
wird er auch in diesem Sinne angewendet, 
hauptsächlich gegen schmerzhafte Zustände, 
Neurosen und bei Thieren bei dem Starr¬ 
krampf, gegen den Röll besonders das 

Extractum Cannabis indicae ange¬ 
wendet hatte. Die Wirkungen verhalten sich 
ziemlich ungleichmässig, bei einzelnen Indi¬ 
viduen sogar unzuverlässig, auch liegen nur 
spärliche Erfahrungen vor, die einander theil- 
weise widersprechen, es lässt sich daher 
heute keineswegs ein abgeschlossenes Urtheil 
über die Verwendbarkeit des Mittels in der 
Thierheilkunde abgeben; die Blätter spitzen 
lassen sich für sich nicht gut anwenden, 
auch sind die beiden obigen Präparate, abge¬ 
sehen von dem Preise, nicht immer ganz rein. 
Dosis des nur in Weingeist löslichen Extrac- 
tes für Pferde 3*0—8*0, öfter im Tage, je 
nach dem Effecte; für Hunde 0 3—0*6. Ein 
Narcoticum für letztere Thiere ist auch die 
Tinctura Cannabis indicae (1*20), 
welche zu 5—20 Tropfen und mehr gereicht 
wird; bei grossen Hunden braucht man öfters 
das Doppelte. Von dem gerbsauren Cannabin 
ist die Gabe noch nicht näher bekannt, doch 
beträgt sie heim Menschen für hypnotische 
Zwecke 0*3—0*5 dieses Pulvers. Vogel. 

Canon (griech. 6 y.ava>v, Regel), die Cur- 
methode. Sussdorf, 


Canquoin'sche Paste, sehr bequemes und 
bewährtes Aetzmittel, bestehend aus gleichen 
Theilen Zinkchlorid und Roggenmehl. Behufs 
des Wegätzens von Neubildungen auf der 
Haut, besonders Krebsen, trägt man die Paste 
stark messerrückendick auf, zweckmässiger 
aber ist es, erst die Epidermis zu entfernen, 
was mittelst Salmiakgeist oder concentrirter 
Salpetersäure am besten zu erreichen ist; 
ebenso können Einschnitte in die Neubildung 
gemacht werden, um von hier aus die Zer¬ 
störung vorzunehmen, oder man schneidet, um 
die Entfernung der gebildeten Aetzschorfe zu 
vermeiden, in diese ein, um von Neuem die 
Paste zu appliciren. Der Schorf, sich selbst 
überlassen, beginnt am 10. bis 12. Tage abzu¬ 
fallen. Vogel. 

Cantharidea, spanische Fliegen, richtiger 
Pflasterkäfer, Lytta (Cantharis) vesicatoria. 
Muscaehispanicae. Mouches d'Espagne: blister- 
beetle, blistering fly; cantaridi. Wirksam ist 
nur das sehr scharfe Cantharidin (s. d.), und die 
eigentümlich fettartigen Körper haben blos 
die Bedeutung einer besseren Löslichkeit des 
Scharfstoffes. Applicirt man Cantharidin‘oder 
das gebräuchlichste Präparat desselben, die 
Cantharidensalbe, auf die behaarte oder ge¬ 
schorene Haut der Thiere, so entsteht Röthung 
und Entzündung der Cutis, und das Exsudat 
sammelt sich unter der Epidermis an, welche 
zu Blasen emporgehoben wird; in dem gel¬ 
ben, alkalischen Inhalte letzterer ist auch 
Cantharidin enthalten, und man hat so eine 
tüchtige Hautentzündung geschaffen, welche 
jedoch nicht tief in das Coriumgewebe vor¬ 
dringt und deswegen auch nicht die Haar¬ 
zwiebeln zerstört. Diese mit Schonung der 
Haare verbundene und doch mit grosser 
Sicherheit erfolgende entzündungserregende 
Wirkung machen die Canthariden zu einem 
der werthvollsten und unentbehrlichsten Arz¬ 
neimittel der Thierheilkunde, welche höchst 
ausgiebigen Gebrauch von dem „Vesicatorium u 
macht, und kann es bei Pferden, wo Haarver¬ 
luste meist ängstlich vermieden werden müs¬ 
sen, durch kein anderes Phlogogenum ersetzt 
werden. Schliesslich bersten die Blasen, die 
entblösste Lederhaut liegt offen da und das 
Exsudat trocknet zu Borken ein, hat jedoch 
die Haarschäfte gelockert, so dass sie meist 
ausfallen. Unter dem Schutze dieser Schorfe 
regenerirt sich die Epidermis und wachsen 
die Haare wieder nach. Je nach der Vita¬ 
lität des Hautorganes vergehen mehrere 
Stunden, bis die ersten Vesicä auffahren, die 
volle Wirkung lässt aber gewöhnlich 24 Stun¬ 
den auf sich warten, und bis zur spontanen 
Abstossung der Krusten vergeht ein Zeitraum 
von 7—10 Tagen. Beschleunigt wird die er- 
stere Wirkung durch Beigabe von Oel oder 
Fett zu dem Pulver der Käfer oder durch 
Lösung des extrahirten Cantharidins in Oel, 
Collocßum oder Fett. Erfolgt der Eingriff 
stärker oder wird die Salbe u. s. w. in kur¬ 
zen Zwischenräumen, mehrmals eingerieben, 
so erfolgt nicht nur eine Verschwärung der 
Cutis, sondern auch Aufsaugung des Cantha¬ 
ridins. d. h. eine Vergiftung (Cantharidismus). 


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CA NTH ARIDES. 


57 


wobei die Nieren, in denen die Ausscheidung 
hauptsächlich geschieht, am stärksten an¬ 
gegriffen werden; ausser der sich besonders 
auf die Epithelien der Harncanälchen be¬ 
schränkenden Nephritis parenchymato9a ent¬ 
stehen aber auch Entzündungen der Schleim¬ 
häute, besonders Gastro-Enteritis mit Er¬ 
brechen und Durchfall, Nervenzufalle wie bei 
Atropin und eine gewisse Erregung im Sexual - 
Systeme mit vermehrtem Harndrange. Diese 
Erhöhung der Geschlechtslust erfolgt nur bei 
massigen Gaben und wahrscheinlich in Folge 
eines Kitzels der betreffenden Theile des 
männlichen und weiblichen Geschlechts¬ 
apparates, eine Erhöhung der Potenz ist je¬ 
doch mit dem rein hyperämischen Vorgänge 
nicht verbunden. Gegenmittel der Vergiftung: 
Bekämpfung der Entzündung der betreffenden 
Theile, viel schleimige Substanzen, aber keine 
Oleosa, die nur da9 Cantharidin weiter lösen 
würden. Schon bei 0*06 des Pulvers innerlich 
treten bei Hunden Ecchymosirung der Blasen- 
Schleimhaut, selbst Cystitis, Injection der 
Nieren, Schmerzen u. s. w. auf, bei 1*0 Nieren¬ 
entzündung; sehr stark wird auch das Ka¬ 
ninchen, die Katze und der Mensch ergriffen: 
letzterer stirbt auf 2 g und auch bei Pferden 
können schon 15*0, bei Rindern 25*0 zum 
Tode führen; beim Cantharidin ist die Todes¬ 
dose fast hundertmal kleiner, während das 
Geflügel ungleich weniger afficirt wird, aber 
keineswegs immun ist 

Innerlich gestalten sich die Canthariden 
sonach zu einem allgemeinen Reizmittel, ins¬ 
besondere für die gastrischen und uropoötischen 
Organe, es wäre aber viel zu gefährlich, sie 
als ein verdauungsbelebendes oder gar diure- 
tisches Mittel praktisch zu verwerthen, nach¬ 
dem man viel bessere Mittel besitzt, auch 
kommen keine anderen Effecte zu Stande als 
die angegebenen; höchstens kann der Versuch 
gemacht werden, das Pulver oder die Tinctur 
zur Erhöhung mangelhafter Geschlechtslust 
anzuwenden, die Brunst zu fördern. Pferden 
gibt man zu diesem Behufe 0*5—2*0 Pulvis 
Cantharidum, Rindern 2 0—4*0; Schafen, 
Schweinen 0 * 20—0‘50pro dosi, Hunden 0 10 
bis 0*15 pro die als Aphrodisiacum, nöthigen- 
falls mehrere Tage lang, und ist für Kühe 
z. B. eine Tagesgabe von 15*0 noch un¬ 
gefährlich, das Mittel lässt aber gar häufig 
im Stich, nachdem das Ausbleiben der Brunst 
meist in histologischen Veränderungen des 
Sexualapparates beruht; auch ist zu bemerken, 
dass der Cantharidingehalt der gepulverten 
Käfer ein variabler ist, ebenso die Empfäng¬ 
lichkeit der Hausthiere. 

Aeusserlich macht man von dem Can- 
tharidenpulver in der Wundbehandlung (als 
Reizmittel bei Torpidie, Beförderung der 
Eiterung und Heiltendenz) jetzt nur mehr 
selten Gebrauch, die Hauptbedeutung des 
Mittels liegt vielmehr in der vesicatorischen 
Action. Hauptsächlich will man derivatorische 
Entzündungen hervorrufen, um entzündliche 
Affectionen z. B. der Haut, des Zellgewebes, 
der Muskeln, Blut- und Lymphgefässe, Sehnen, 
Gelenke, Bänder, Knochen, Nerven zu massigen, 


schleichende Entzündungen und deren Folgen 
zu zertheilen oder innere Entzündungen 
rascher zu beseitigen, wie z. B. des Gehirns 
und seiner Häute, der Augen, der Brust- und 
Bauchorgane (s. hautreizende Methode). Zu 
diesen Zwecken benützt man am häufigsten 
die Verbindung des Pulvers mit Fett als 
Unguentum Cantharidum, Cantha- 
ridensalbe, Reizsalbe, Ung. irritans oder epi- 
spasticum, Spanischfliegensalbe, Zug- oder 
Käfersälbchen, Scharfsalbe. Onguent de can- 
tharides, cantheride-ointment, unguento canta- 
relle. Die Zusammensetzung wird verschieden 
angegeben, die einfachste ist aber zugleich 
die beste. Die Salbe der Ph. G. combinirt 
sich aus 1 Pulver und 4 Olivenöl und wird 
12 Stunden digerirt; diese Verbindung wäre 
die denkbar beste, wenn sie nicht mit gelbem 
Wachs stark durchsetzt wäre, das bei Thieren 
das Einziehen in die Haut erheblich er¬ 
schwert, sie ist daher unbrauchbar. Pro usu 
veterinario enthalten die übrigen Pharma- 
kopöen verschiedene Recepte, welche alle 
der Beimengung von Klebmitteln halber 
(Wachs, Terpentin, Theer, Pech, Harz) weitaus 
nicht so zweckmässig sind, als die unter 
Digestion bewirkte Verbindung des Cantha- 
ridenpulvers mit Fett 1:4; 1:5 ist ebenfalls 
bewährt und die stärkste Salbe für die Pferde¬ 
praxis. Für das Rindvieh ist Crotonöl mit 
Terpentinöl 1:10—15 oder die Brechweinstein¬ 
salbe 1:4 Fett (Pockensalbe) vorzuziehen. Bei¬ 
mengungen weiterer Stoffe, wie der klebenden, 
verhindern allerdings das Abfliessen im Sommer, 
indess muss jede Salbe vollständig in die 
Haut eingerieben und beim Ausschwitzen des 
anderen Tages nachgerieben werden; will je¬ 
doch in jenen Fällen, wobei anfdie eingeriebene 
Stelle behufs stärkerer Wirkung noch eine 
Schichte der Salbe aufgetragen wird, das Ab- 
träufcln vermieden werden, schützt man die 
Haut durch Einreibung einer einfachen Cerat- 
salbe oder bedeckt sie mit einer Schichte 
von Leimen. Meist ist das Abscheren und 
Waschen der Haut vor der Inunction noth- 
wendig und bei theer- oder pechhaltigen Salben 
das Annähern eines Glüheisens während des 
Einreibens. Ist die Ausschwitzung unergiebig, 
kann nach 12 oder 2 t Stunden eine weitere 
Portion verordnet werden, mehrere, z. B. 
3—4 Wiederholungen sind aber dem Haar¬ 
wuchs gefährlich. Nach der Abheilung kann 
wieder begonnen werden; soll jedoch öfter 
nacheinander eingerieben werden, wie bei 
schleichenden Entzündungen, so empfiehlt sich 
die schwächere Salbe 1: 5—6 Fett oder Vase¬ 
line, sowie die Tinctur mit Terpentinöl 1:1—2. 
Verstärkt wird die Scharfsalbe am besten 
mit Euphorbium 1:8 Salbe, höher zu gehen 
ist nicht rathsara. Die sich bildenden Schorfe 
sind erst abzubähen, wenn sie trocken und 
adhärent geworden sind, vorheriges Einfetten 
unterstützt dieses Geschäft wesentlich. Bei 
frischen Knochenauftreibungen leistet die 
Jodquecksilbersalbe 1:8—10 in der Regel 
bessere Dienste. In England ist das Blistern 
sehr gewöhnlich, und ist eine der häufigsten 
Zusammensetzungen folgende: Canthariden- 



58 


CANTHARIDIN. — CAOUTCHOUC. 


pulver uml Euphorbium 2, Sublimat 1, Erdöl 8, 
Wachssalbe 12; ebenso ist eine bewährte Ver¬ 
stärkung Euphorbium 1, Spanischfliegenpul¬ 
ver 3, Lorbeeröl 4, grüne Seife 10. Um die 
Wirkung anhaltender zu machen, wie bei 
alten Verdickungen, Piephaken, Hautsklerosen, 
Spat, Sehnenklapp, gibt Haubner folgendes 
bewährtes Reccpt an, das als bestes 

Emplastrum anglicum acre (Ern- 
plastrum cantharidum perpetuum, Zugpflaster) 
gelten kann und gegenüber anderen schwer 
klebenden gut haftet: Spanischfliegenpulver 13, 
Euphorbiumgummi 3,Burgunderharz 11.Mastix, 
Kolophon, Safranpflaster, Terpentin, schwarzes 
Pech, Bolus je 6. Die gut vermengten Stoffe 
werden über gelindem Feuer zu einer homo¬ 
genen Pflastermasse in Stangen geformt. Beim 
Verbrauch wird das Pflaster in der Wärme 
(nicht zu heiss!) verflüssigt und so mit einem 
Spatel einige Millimeter dick aufgetragen und 
sogleich mit geschnittenem Werg bedeckt und 
verstrichen. Das englische Pflaster bleibt 
liegen, bis es (etwa nach 12 Tagen) von 
selbst abfällt. 

Collodium cantharidatum, Collo- 
dium cantharidale oder vesicans. Die offici- 
nelle, syrupdicke Auflösung von Schiessbaum¬ 
wolle in Cantharidinäther fixirt sich gut, 
kann nicht abgeleckt werden oder ablaufen 
und trocknet sofort; das Präparat ist aber 
gewöhnlich für die behaarte Haut der Thiere 
zu schwach, eignet sich daher nur für empfind¬ 
liche Subjecte und feinere Hautstellen. Immer 
müssen, wie bei allen Scharfstoffen, die Beuge- 
Hachen von der Einreibung verschont bleiben 
und ist dafür zu sorgen, dass die Thiere sich 
nicht scheuern können. 

Tinctura Cantharidum (1:10)erleich¬ 
tert die innerliche Anwendung behufs Er¬ 
höhung des Geschlechtstriebes (s. oben), 
indem man sie in schleimigen Vehikeln dem 
Futter in besonderer Ration beimengt. Pferd, 
Rind 10*0—15*0 pro dosi, Schaf, Schwein 
40—50 Tropfen auf zweimal im Tage, Hund 
2—10 Tropfen, öfter im Tag; falls kein Er¬ 
folg, ist nach 2—3 Tagen zu wiederholen; 
fetten Thieren muss an Futter abgebrochen, 
mageren zugeiegt werden. Aeusserlich benützt 
man die Tinctur, wenn längere Zeit eine 
Reizung gewünscht wird, ohne dass zu frühe 
Borken eintreten; verstärkt wird sie am 
besten mit 2 Tbeilen Ol. Terebinthinae. 
Ebenso dient sie zur Beschleunigung des 
Haarwachsthums mit grüner Seife, zu Ein¬ 
reibungen der Hufkrone, reizenden Injectionen 
in die Fistelgänge. Vogel. 

Cantharidin, Cantharidinsaure, C^H^O,, 
ein scharfer Stoff, welcher, auf die Haut und 
die Schleimhäute gebracht, ein Gefühl von 
Brennen, in grösseren Mengen selbst exsu¬ 
dative Entzündung verursacht, er findet sich 
in geringer Menge, 2—5 pro Mille, in ver¬ 
schiedenen Käferarten, doch werden am häufig¬ 
sten die spanischen Fliegen, Lytta vesicatoria, 
Cantharis vesicatoria, für denselben benützt. 
Die Cantharidinsaure bildet farblose Prismen, 
die sich in höherer Temperatur verflüchtigen, 
sie löst sich leicht in fetten Oelen, Aetlier, 


Chloroform, Benzol, nur sehr wenig in kaltem 
Wasser und Weingeist. Während das Cantha¬ 
ridin bei Menschen, Säugethieren und Vögeln 
als heftiges Gift wirkt, ist es für Igel, Hühner 
und Frösche ganz unschädlich. Im Munde 
erzeugt das Cantharidin wegen seiner Schwer¬ 
löslichkeit keinen Geschmack, die leicht lös¬ 
lichen cantharidinsauren Salze schmecken je¬ 
doch nicht scharf, sondern bitter. Locbisch. 

Canthoplastik oder Kanthoplastik (von 
xavd-o's, Winkel, und rcXdsactv, bilden) be¬ 
zeichnet ein operatives Verfahren, welches eine 
Erweiterung der Augenlidspalte bezweckt. Bei 
gut fixirtem Kopfe führt der Operateur das 
stumpfe Blatt einer starken geraden Schere 
in horizontaler Richtung so weit hinter den 
Augenwinkel, dass er erwarten darf, die vor 
dem knöchernen Orbitalrande liegenden Weich- 
theile mit kräftigem Schlage zu durchtrennen. 
Etwas umständlich, der Sicherheit der Opera¬ 
tion jedoch förderlich ist es, das Blatt der 
Schere in der Rinne einer vorher in den 
Bindehautsack eingeführten, gefurchten Sonde 
zu leiten. Manche verwenden ein Messer mit 
kleiner, sichelförmiger Klinge, das, in den 
Lidsack eingeführt, an einer vorher genau be- 
zeichneten Stelle herausgestossen wird, worauf 
man, die Klinge durchziehend, die Weichtheile 
trennt. 

Die Canthoplastik ist indicirt als 
Vor- und Nebenact bei Ausschälung des 
Bulbus und Ausweidung der Augenhöhle, wo 
dann das Eindringen gegen den Augapfel 
und die Orbita bedeutend erleichtert wird; 
nach erreichtem Zwecke vereinigen einige 
Nähte die Lidwinkel wieder. Als selbständige 
Operation wird sie bei Ankyloblepharon 
und Blepharophimosis ausgeführt (s. An¬ 
kyloblepharon). Zweckmässig ist es, nach 
Enucleationen etc. etc. die correspondirenden 
Punkte der äusseren Haut durch einige 
Nähte zu vereinigen; es geschieht dies, 
indem man die Wunde in der Weise 
durch Auseinanderziehen mit den Fingern 
klaffen macht, dass aus dem anfangs fast 


horizontalen Schnitt 


nahezu verticaler wird 



Der Operateur 

umfasst die Conjunctiva in der Mitte der 
Schnittlinie, durchsticht sie mit einer feinen, 
mit einem Seidenfaden versehenen Nadel, 
lässt die Conjunctiva los und hebt die äussere 
Haut ebenfalls in der Mitte der Wunde auf, 
durchsticht sie gleichfalls mit der Nadel und 
vereinigt durch Schliessung des Knotens die 
entsprechenden Schleimhaut- und Hautränder. 
In derselben Weise wird unter- und oberhalb 
noch eine Naht angelegt. Das Einlegen eines 
fremden Körpers verhindert das Verkleben 
der Wundlippen. Schlampp . 

Canthu8 (= dem griech. 6 xayO-o's), der 
Augenwinkel, bei den lat. Classikern nur für 
den eisernen Reifen um das Rad gebräuch¬ 
lich. Sussdorf. 

Caoutchouc, Cautchouc, Gummi elasti- 
cum, Federharz (s. Kautschuk). Vogel. 


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CAPALOfi. — CAPILLARGEFASSE. 59 


Capaloe, eine der besten und in der 
Thierheilkunde gebräuchlichsten Aloesorten 
(s. Aloe). Vogel. 

Capaun, v. ital. Cappone, Benennung eines 
castrirten und gemästeten Hahnes, Kapaun. 
Capaunen oder Capaunern, das Verschneiden 
der Hähne (s. Castration). Koch. 

Capelet, le, Stollbeule, Steingalle, Piep¬ 
haken. Sussdorf. 

Capillargefässe. Die Haargefässchen wur¬ 
den 1661 von Malpighi in der Lunge und 
Harnblase des Frosches gelegentlich der De¬ 
monstration des Blutkreislaufes entdeckt und 
mit Rücksicht auf ihr haarfeines Kaliber den 
Haarröhrchen (capillus, Haupthaar) des Physi¬ 
kers an die Seite gestellt. Dieselben schieben 
sich als Verbindungsglied zwischen Arterien 
und Venen ein und vermitteln vermöge ihrer 
äusserst zarten Wandungen den Austausch 
der Stoffe zwischen Blut und Gewebsflüssig¬ 
keiten. 

Anatomisch-Histologisches. Die Ca- 
pillaren als für das unbewaffnete Auge un¬ 
sichtbare feinste Röhren gehen meist ohne 
bestimmte Grenze aus den Arterien hervor 
und in die Venen über. In den Geweben und 
Organen selbst bilden sie im Allgemeinen den 
Formen und der Gruppirung der Gewebs- 
elemente sich anpassende Netze von ver¬ 
schiedenster Maschenweite und von differentem, 
wenn auch in engen Grenzen schwankendem 
Röhrendurchmesser. Immer steht die Summe 
der Gefassquerschnitte, also die gesammte 
Gefässoberfläche, im Verhältnis zu der 
Thätigkeit der Organe. Es ist verständlich, 
dass die Lunge als das den Gasaustausch 
zwischen Blut und atmosphärischer Luft ver¬ 
mittelnde Organ das engste Capillametz mit 
grosser Röhrenweite besitzt, ähnlich verhalten 
sich eine Anzahl von Drüsen, secernirenden 
Schleimhäuten etc., während die nervösen 
Centralorgane, fibrösen Häute, Sehnen, Bänder 
weitmaschige Haargefässnetze aufzuweisen 
haben. Dagegen fehlen in einzelnen Geweben, 
wie in den Epithelialhäuten und epidermoi- 
dalen Gebilden, sowie in den Knorpeln etc. 
Capillaren und Blutgefässe überhaupt gänz¬ 
lich. In den zottigen Erhebungen der Schleim¬ 
häute etc. biegen ferner die feinsten Arterien 
in der Nähe der freien Spitze vielfach ohne 
Herstellung von Netzen um, um sofort in 
ein«- capillare Vene überzugehen. In noch 
anderen Organen, in welchen eine zu der Er¬ 
nährung derselben unverhältnissmässig grosse 
Menge Blutes nur unter gewissen Verhält¬ 
nissen zur Erfüllung rein mechanischer Zwecke 
angestaut wird, wie in den Schwellkörpern 
zwecks der Erection, existiren nicht überall 
capilläre Uebergangsgcfässe, sondern es mün¬ 
den hier noch relativ weite Arterien direct 
in die ergiebigen Räume des Schwellnetzes 
ein. In ihrem Baue erscheinen die Capillaren 
zunächst als structurlose, kernhaltige, dünn¬ 
wandige Röhren, deren Wand indessen bei 
Behandlung mit dem die Zellgrenzen so schön 
offenbarenden Silbernitrat (0 * 25—0 * 5 %ige Lö¬ 
sung) sich als eine durch Aufrollung und Ver- 
löthung membranartig aneinander gekitteter 


spindelförmiger, der Längsaxe parallel ge¬ 
stellter Zellen von dem Charakter der En¬ 
dothelzellen entstandene zarteste Haut erweist. 
Sie wird deshalb auch Endothel-, Perithel¬ 
rohr, Zellhaut etc. genannt. In derselben be¬ 
finden sich zwischen den Zellgrenzen, die 
Kittsubstanz durchbrechend, grössere und 
kleinere Oeffnungen, Stomata und Stigmata, 
die man bald als präformirt betrachtet, bald 
auf den früher gelegentlich erfolgten Durch¬ 
tritt von farblosen Blutzellen zurückführt. 
Nicht überall scheint die Capillarwand ein 
blosses Endothelrohr zu sein, möglicherweise 
findet sich vielmehr in weiter Verbreitung 
an der äusseren Oberfläche desselben eine zarte, 
vollkommen homogene Membran (Chrzon- 
szeewski), die Ran vier ein Rudiment der La¬ 
mina clastica interna der kleinen Arterien 
nennt. In gewissen Organen und an den 
Uebergangsstellen der Capillaren in die an¬ 
schliessenden Gefasse gesellt sich dieser ein¬ 
fachen Zellhaut eine Adventitia zelligen, 
feinfaserigen oder netzförmigen Charakters 
hinzu, die theils als Bindeglied die Capillare 
an die Nachbargebilde anheftet, theils als 
Lymphbahn Verwendung findet. 

Physikalisch -Physiologisches. 1. 
Die so ungemein zarten, die Dicke von 1 bis 
1 *5 p. kaum überschreitenden Capillargefäss- 
wandungen sind in ganz vorzüglichem Grade 
permeabel, sowohl für Gase und Flüssigkei¬ 
ten, wie für belebte körperliche Bestandteile 
der Säfte. Dadurch gestatten sie eine Fil¬ 
tration und Diffussion von Gasen und Flüs¬ 
sigkeiten, wie auch die Emigration der farb¬ 
losen Blutzellen; dadurch ermöglichen sie die 
Ernährung der Gewebe und den Wiederersatz 
des Verbrauchten, dadurch auch den Eintritt 
von Ernährungsmaterial aus den Verdauungs¬ 
organen in das Blut. Der Durchtritt der Leu- 
kocyten durch die Gefässwandungcn kann 
direct unter dem Mikroskope beobachtet wer¬ 
den, die dünnen serösen Membranen kleiner 
Thiere bieten, an einer Stelle gereizt, ein 
günstiges Feld dazu. 2. Die Dehnbarkeit der 
Capillarwandungen ist eine beschränkte, Zcr- 
reissungen treten deshalb in ihnen leicht auf. 
3. Die Capillaren besitzen ferner Contractili- 
tät; sie können sich in continuo zusammen¬ 
ziehen, sie sollen sich nach Stricker auch an 
beschränkter Stelle ausdehnen und wieder 
verengen, und selbst Sprossen hervortreiben, 
die sie bald wieder zurückziehen, bald ver¬ 
längern, hohl werden und mit auderen in 
Verbindung treten. Die Contractilität ist, 
wie überall, so auch hier die Eigentümlich - 
keit des Protoplasmas der Zellen; sie steht 
wohl unter dem Einflüsse des Nervensystems, 
das auch ihnen feinste Fibrillen sendet, 
welche die Capillaren mit langgezogenen 
Netzen umspinnen und an deren Wandungen 
mit knopfförmigen Verdickungen enden. Ja 
möglicherweise besitzen auch sie periphere 
Ganglien (bei Frosch und Eidechse wurden 
solche an de:i Capillaren der Niere und Zunge 
nachgewiesen), die sie unter Umständen un¬ 
abhängig von dem Centralnervensystem ihr 
Kaliber ändern lassen. Durch ihre Contracti- 


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60 CAPILLITIÜM. - 

lität haben die Capillaren auch einen gewis¬ 
sen Einfluss auf die Blutströmung'; durch Er¬ 
weiterung ihres Lumens vermindern sie 
Stromgeschwindigkeit und Blutdruck, durch 
Verengerung desselben erzielen sie das Gc- 
gentheil. 4. Die Summe der Querschnitte der 
-zu einer Arterie gehörigen Capillaren ist be¬ 
trächtlicher als deren Durchmesser; dadurch 
steigt der Gesammtquerschnitt des Capillar- 
systems auf das 500- bis 700fache desjenigen 
der Aorta an. Das ist von grosser Bedeutung 
für die Abnahme der Stromgeschwindigkeit 
und des Blutdruckes, sowie für das Ver¬ 
schwinden der pulsatorischen Erscheinungen 
gegen die Peripherie. Die Entwicklung der 
Capillargefässe ist schon vielfach Gegenstand 
der Untersuchung gewesen. Die alten An¬ 
schauungen, dass sie aus der Verschmelzung 
blasig sich auftreibender Zellen hervorgehen, 
deren Halle zur Capillarwand, deren Kerne zu 
den Capillarkernen sich umgestalten, sind 
verlassen. Für sehr wahrscheinlich dagegen 
gilt, was Koelliker für die Gefässbildung im 
embryonalen Fruchthofe lehrt. In der ur¬ 
sprünglich gleichartigen Zellenraasse diffe- 
renziren sich netzartig verbundene Zellen¬ 
stränge solider Beschaffenheit, die sich all- 
mälig unter Flüssigkeitsausscheidung un¬ 
regelmässig aushöhlen, Verdickungen der 
Wände (sog. Blutpunkte) hinterlassend, welche 
das Material zur Bildung der Blutzellen ab¬ 
geben sollen. Sicher ist ferner durch die Be¬ 
obachtung in dem Schwänze der Kaulquappe 
constatirt, dass sich die oben angedeuteten 
ursprünglich soliden Protoplasmasprossen der 
Gapillarwand durch Aushöhlung in Hohlgänge 
umwandeln, die unter Vermehrung der 
Kerne und Verbindung mit benachbarten Ge- 
f&ssen die Vergrösserung der Capillarnetze 
erzielen. Sussdorf. 

Capillitium, Haargeflecht. Bei vielen Ga- 
stromyceten findet man in den Tramen der 
Gieba neben den vorwiegenden feineren 
Fäden dickere, röhrige, oft scheidewandlose 
Hyphen, welche ein unter sich anastomo- 
sirendes Strangnetzwerk bilden. Während nun 
bei eintretender Reife die obgenannten feineren 
Zellfäden sammt den Basidien verflüssigt 
werden und verschwinden, bleibt das maschige 
Netzwerk röhriger, derberer Fäden erhalten, 
eine zusammenhängende, lockere, wollige Masse 
darstellend, die als Capillitium oder Haarge¬ 
flecht bezeichnet wird. Ein ähnliches Hyphen- 
geflecht, mit derselben Bezeichnung belegt, 
kommt auch bei einigen Tuberaceen (Ela- 
phomyces) vor. Endlich nennt man auch Ca¬ 
pillitium eine bei vielen Myxomyceten vorkom-. 
mende, oft vielfach verzweigte haarfeine Faser- 
masse, ein Skelet darstellend, welche bei und 
während der Formirung der Sporangien vom 
Protoplasma abgeschieden wird. Harz. 

Capita oder Capsulae Papaveris, die un¬ 
reifen, opiumhaltenden Köpfe des Mohns 
(s. Papaver somniferum). Vogel. 

Cappadoci8che8 Pferd, auch edles nato- 
lisches genannt, ist aus der Paarung von 
abchasischen Tscherkcssen-Hengsten und ge¬ 
meinen turkomannischen Stuten hervorge- 


CAPRONSÄURE. 

gangen; dasselbe ähnelt in seinen Körper¬ 
formen am meisten dem kurdistanischen Rosse, 
ist aber etwas grösser als dieses. Das Zucht¬ 
gebiet der cappadocischen Pferde erstreckt 
sich über einen grossen Theil von Kleinasien 
und ist nicht mehr — wie früher — auf Anadoli 
oder Natolien beschränkt. Die Thiere sind von 
mittlerer Grösse, werden selten Aber 1*50 m 
hoch, sind dabei von kräftiger, hübscher Ge¬ 
stalt, besitzen einen feinen, zierlichen Kopf an 
einem hübschen, gut aufgesetzten Hals; ihr 
Leib ist schlank, gestreckt, die Brust nicht 
besonders breit, das Hintertheil aber sehr 
kräftig entwickelt. Ihre Beine sind zwar fein, 
jedoch von fester Knochensubstanz; der Schweif 
könnte etwas höher angesetzt sein und besser 
getragen werden. Man rühmt dieser Rasse 
nach, dass sie äusserst gutmüthig und leicht 
zu reiten sei; dazu kommt noch, dass sie sehr 
dauerhaft ist und die meisten Pferde der¬ 
selben bis in ein hohes Lebensalter zur Arbeit 
benützt werden können. Schon im alten Cappa- 
docien galt die Pferdezucht für ein achtbares, 
einträgliches Gewerbe; es wurde berichtet, 
dass von dort alljährlich viele Rosse nach 
anderen Ländern transportirt worden wären; 
wir bezweifeln aber, dass die bei den alten 
Römern unter dem Namen „cappadocische 
Pferde 14 nnd in der heiligen Schrift unter 
der Benennung „thogarmische Rosse 11 ange¬ 
führten Thiere derselben Rasse angehört 
haben, welche heute in Kleinasien unter jenen 
Namen vorkommt. An verschiedenen Orten 
von Natolien werden schon seit längerer Zeit 
edle arabische Hengste zur Verbesserung der 
alten Landrasse benützt, und es ist nicht zu 
leugnen, dass auf diese Weise gute Erfolge 
erzielt worden sind. Freytag. 

Capra (Fern. v. Caper) L. Die Ziege, 

Geiss. 

Caprin&äure, C lo H lo O t , eine Fettsäure, 
welche in der Butter, im Cocosnussöl und in 
vielen anderen Fetten vorkommt, sie schmilzt 
bei 30° und siedet zwischen 468—270° unter 
theilweiser Zersetzung. Das Baryumsalz der¬ 
selben krystallisirt aus Alkohol in fettglän¬ 
zenden Schuppen und Nadeln. Loebisch. 

Caprioie, vom franz. Caprice, Grille, Laune, 
Eigensinn, plötzlicher Einfall in musikalischer 
Beziehung, Phantasiestück. Ein Scliulsprung 
der Pferde wird so genannt, bei welchem die- • 
selben fast senkrecht in die Höhe springen, 
die Vorderfasse in den Knien gebeugt haltend 
und in der Luft schwebend, mit den Hinter¬ 
füssen ausschlagen, um mit den letzteren 
wieder zuerst den Boden zu erreichen (s. a. 
Gangarten, künstliche). Koch. 

Capronsäure C e H lt O t . Entsprechend den 
isomeren Alkoholen der Fettreihe mit 6 Koh¬ 
lenstoff, gibt es mehrere isomere Capron- 
säuren. Die normale Capronsäure findet sich 
in der Natur theils im freien Zustande vor, 
wie im Schweiss. theils bildet sie als Gly¬ 
cerinäther den Bestandtheil einiger Fette. 

Sie entsteht auch bei der Oxydation von 
Eiweisskörpern und von höheren Fettsäuren, 
auch als Oxydationsproduct des normalen 
Hexylalkohols wurde sie gewonnen. Sie bil- 


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CAPRYLSÄURE. — CARBO LIGNI PULVERATUS. 


61 


det ein Gel von specifischem Gewicht 0*946 
bei 0 # , erstarrt bei—18®krystallinisch and siedet 
bei 205°. Das Baryumsalz derselben ist in 
Wasser leicht löslich. Loebisch. 

Caprylsäure, C 8 H 10 0„ normale Octyl- 
säure, findet sich neben der Caprinsäure im 
Cocosnussfett, ferner im Weinfuselöl und in 
mehreren Pflanzenölen, sie entsteht bei der 
Oxydation des normalen Octylalkohols, kry- 
stallisirt aus Alkohol in Nadeln, die bei 16° 
schmelzen, und siedet bei 232—234°. Das 
Baryumsalz löst sich in 50 Th. kochenden 
Wassers und krystallisirt in fettglänzenden 
Schuppen. Loebisch. 

Capsicum annuum et longum, Beissbeere, 
spanischer Pfeifer, Piper hispanicum, unga¬ 
rischer Pfeffer, Paprika, die reife, durch grosse 
Schärfe ausgezeichnete Frucht beider genannten 
Solaneen, L. V. 1.; ursprünglich von West¬ 
indien stammend, jetzt auch bei uns cultivirt 
und als Speisepfeffer verwendet. Beide tragen 
schön glänzende, meist rothe Früchte (Beeren) 
mit dünnem Pericarp und gelblichen Samen, 
welche einen noch nicht näher bekannten 
Scharfstoff, Caspicol, enthalten und früher 
officinell waren als 

Fractus Caspici. Das rothe oder roth- 
gelbe Pulver, in Ungarn und Serbien als 
Gewürz besonders beliebt, erregt schon in 
kleinen Mengen im Mund und Magen Brennen 
und Wärmegefühl, ist daher ein appetit- und 
verdauungserregendes Mittel, das auch bei 
Thieren da und dort verwendet wird, voraus¬ 
gesetzt, dass keine Reizungen vorher schon 
zu Grunde liegen. Man gibt das Mittel messer¬ 
spitzweise oder verwendet die 

Tinctura ^Japsici in der Hundepraxis 
zu 5—20 Tropfen. Zum Einreiben als Haut¬ 
reize sind beide Präparate entbehrlich. Der 

Cayennepfeffer, Piper Cayennense, 
ist dem Paprika botanisch nahe verwandt, 
stammt aber von Capsicum Brasilianum oder 
fastigiatum, dessen Früchte viel kleiner und 
runzelig, sowie von glänzend orangegelber 
Farbe sind. Sie kommen im Handel fein ge¬ 
pulvert vor und sind noch schärfer als der 
spanische Pfeffer. Vogel. 

Capsula lentis, s. Lens crystallina. 

Capsula Tenoni, s. Auge (Augenmuskeln). 

Cap8ulae gelatinosae, kleine, aus weisscm 
Leim geformte, etwa eine Messerspitze Arznei¬ 
substanz haltende, bleistiftdicke, 0*5—1 *0 cm 
lange Kapseln, welche sich wie eine Nadel¬ 
büchse schliessen und gut verschlucken lassen. 
Zum Eingeben widerwärtiger Medicamente 
auch in der Hundepraxis sehr bequem. In 
neuester Zeit stellt man auch Kapseln aus 
Hornstbff dar (s. Capsuiae keratinosae). VI. 

Capsuiae keratinosae, aus einer hornähn¬ 
lichen Masse wie die kleinen Gelatinekapseln 
hergestellt, dienen ebenfalls zum Eingeben 
für die kleinen Hausthiere, sie sind jedoch 
im Magen nicht lösbar, sondern erst im Darm, 
wo sie dann auch ihren medicamentösen In¬ 
halt abgeben. Man will damit nicht allein den 
Magen mit letzteren unberührt lassen, also 
durch Mediciniren den Appetit nicht alteriren, 
sondern auch die betreffenden Arzneistoffe 


chemisch unverändert in den Dünndarm ge¬ 
langen lassen. Vogel . 

Capsuiae Papaveris, so viel als Capita 
Papavcris. Vogel. 

Cap8ullti8, ein älterer, jetzt obsoleter 
Ausdruck für eine Trübung der Kapsel der 
Krystalllinse des Auges, welcher aus jener 
Zeit stammt, in welcher man den Star als 
einen entzündlichen Vorgang auffasste (siehe 
Cataracta). Schlampp. 

Capt gab 1760 zu Genf ein Buch heraus 
unter dem Titel: „Les admirables Secrels et 
Remfedes“ (ein populäres Thierarzneibuch). Sr. 

Caracciolo P. gab 1566 in Venedig ein 
Buch über Hippiatrie mit Beschreibung der 
inneren und äusseren Krankheiten der Pferde 
unter dem Titel: „La Gloria del Cavallo^ 
heraus, in welchem er mehrere spanische 
Thierärzte citirt. Semmer. 

Caramel wird die braune amorphe Masse 
genannt, welche beim Erhitzen des Rohr¬ 
zuckers auf 190—200 °C. entsteht Die Masse 
schmeckt intensiv bitter, verliert jedoch diesen 
Geschmack in verdünnter Lösung. Es dient 
wegen seines starken Färbvermögens zum 
Braun- oder Gelbfärben von Bier, Essig, Wein 
und Liqueuren und kommt als sog. Zucker¬ 
couleur in den Handel. Aus Traubenzucker 
erhält man Caramel, wenn man ihn mit 2%%, 
Aetznatron und 5% Wasser kocht, bis er in 
eine dunkelbraune Masse umgewandelt ist. LJu 

Carbamid, s. Harnstoff. 

OH 

Carbaminsäure, CO NH , ist die Amin- 

* OH 

säure der hypothetischen Kohlensäure GO^g, 


sie ist im freien Zustande nicht bekannt, 
sondern nur in Verbindungen, in welchen der 
Wasserstoff des Hydroxyls durch Metalle oder 
Kohlenwasserstoffreste substituirt ist. Kommen 
trockene Kohlensäure und trockenes Ammoniak¬ 
gas zusammen, so entsteht das Ammonium- 
salz der Carbaminsäure. Nach E. Drechsel 
entsteht der Harnstoff im Blute aus carbamin- 
saurem Ammoniak durch Wasserentziehung; 

co m *' ~ H *° = co nh; 

Carbamins. Ammon. Wasser Harnstoff" 
Demnach muss die Carbaminsäure im Blute 
vorhanden sein, wie dies thatsächlich von 
Drechsel nachgewiesen wurde. Loebisch. 

Carbo Ligni pulveratus Ph. G., Holz¬ 
kohlenpulver. Carbo Ligni depuratus Ph. A. r 
Carbo purus oder vegetabilis. Buchen- oder 
Fichtenkohle wird so lange erhitzt, bis sie 
keine Dämpfe mehr abgibt, und dann als Pulver 
nachgeglüht, damit vollends alle Kohlensäure, 
Feuchtigkeit und das Ammoniak entweicht. Da¬ 
durcherlangt sie zufolge ihrer Unzahl von leeren 
Räumen eine bedeutende Absorptionskraft für 
Riech- und Farbstoffe, für Fäulnissgase und 
fötide Stoffe aller Art, aber auch chemische 
Kräfte, durch welche sie namentlich basische 
Metallsalze zerlegt, indem sie ihre Oxyde 
fallt. In erster Linie hat man sie behufs Auf¬ 
saugung Übler Secrete zum Wundverband be¬ 
nützt und als Pulver bei jauchigen Wunden. 
Geschwüren, Decubitus, nässenden Hautaus- 



62 CARBO VEGETABILIS. — CARBONYLVERBINDUNGEN. 


schlagen aufgestreut, ihre Bedeutung ist aber 
überschätzt worden, denn sie kann aus dem 
Grunde nur wenig leisten, weil ihre Poren 
sich bald mit Flüssigkeit füllen und so das 
Mittel seine Wirksamkeit rasch einbüsst. Im 
trockenen Zustande, z. B. beim Aufstellen des 
gereinigten Kohlenpulvers in Schalen, des- 
odorisirt sie Sectionssäle, Kvankenlocale, Ab¬ 
tritte u. dgl. mit grosser Sicherheit, Zer- 
setzungsprocesse werden aber niemals durch 
Kohle aufgehoben, im Gegentheil begünstigt, 
wenn man sie z. B. dem Miste, den Düng¬ 
stätten aufstreut, dagegen bindet sie (nament¬ 
lich Torfkohle) Phosphorsäure und Ammoniak, 
hebt den Geruch auf und erhöht den Werth 
des Düngers für ökonomische Zwecke ganz 
wesentlich, therapeutisch kann sie jedoch jetzt 
ganz gut entbehrt werden, denn auch inner¬ 
lich verabreicht bei üblen Gerüchen aus dem 
Maule, gasigen Auftreibungen, ammoniakali- 
schcn Zersetzungen, stinkenden Durchfällen 
ist ihr Werth ein sehr geringer und hat man, 
abgesehen davon, dass die scharfen, spitzigen 
Splitterchen in die Lungensubstanz, Magen¬ 
darmschleimhaut nacligewiesenermassen ein- 
dringen können, jetzt ausserdem bessere und 
sichere Mittel für obige Zwecke insgesammt. VI. 

Carbo vegetabilis, Holzkohle, s. Carbo 
Ligni pulv. 

Carbolismus, CarbolsäurcVergiftung, s. 
Acidum carbolicum. 

Carboljute ist nass und trocken im Handel: 
letztere ist bequemer und wird dadurch her¬ 
gestellt, dass 1 Pfund Jute (s. d.) mit einer 
Lösung von 50*0 Carbol und 200*0 Colo- 
phonium in 550*0 Spiritus und 250*0 Glycerin 
durchgearbeitet wird und, sobald die Fasern 
durch Verdunstung des Weingeistes anein¬ 
ander zu kleben beginnen, ausgezupft und 
getrocknet wird. Die so bereitete Carboljute 
ist weit besser als die früheren Präparate, 
welche bald den Carbolgehalt verloren. VI. 

Carbolöl, s. Acidum carbolicum. 

Carbolsäure, C«,H-.OH, Phenyalkohol, 
Phenol. Die Carbolsäure ist in chemischer 
Beziehung ein Derivat des Benzols, C e H«, aus 
welchem sic entsteht, wenn 1 H desselben 
durch OH substituirt wird. Die chemischen 
Individuen, welche in dieser Weise entstehen, 
nennt man im Allgemeinen Alkohole (s. d.), 
und die Carbolsäurc ist das erste Glied der 
aromatischen Alkohole, welche man als Phe¬ 
nole bezeichnet, und daher der Name Phenyl¬ 
alkohol der chemisch richtige Name derselben. 
Sie wird fabriksmässig aus dem Steinkohlen- 
theer gewonnen, aus dem Nebenproduct, welches 
bei der trockenen Destillation der Steinkoh¬ 
len, wie sie zur Beratung von Leuchtgas 
dient, gewonnen wird. Aus dem Steinkohlen- 
tlieer wird nämlich durch fractionirte Destil¬ 
lation ein bei 180—220° destillirendes Pro¬ 
duct gewonnen: das schwere Steinkohlen- 
Theeröl, in welchem sich die Carbolsäure 
neben Anilin und Naphthalin findet, aus die¬ 
sem wird die Carbolsäure durch ihre Lös¬ 
lichkeit in wässeriger Natronlauge getrennt. 
Physiologisch wichtig ist die Entstehung der 
Carbolsäure als Product der Pankreas- und 


Darmverdauung der Eiweisskörper (s Ver¬ 
dauung). Die im Darmcanal freiwerdende 
Carbolsäure wird im Blute und in den Ge¬ 
weben zu Phenylschwefelsäure umgewandelt 
und gelangt als solche in den Harn, demge¬ 
mäss kann man aus dem normalen Harn 
des Menschen und der Säugethiere minimale 
Mengen von Carbolsäure abscheiden, welche 
allerdings bei gewissen krankhaften Zustän¬ 
den. namentlich bei solchen, welche eine 
Occlusion des Darmes bedingen, vermehrt 
werden (s. a. Harn). 

Die chemisch reine, ganz wasserfreie Car¬ 
bolsäure bildet eine neutrale, farblose, aus 
langen Prismen bestehende Masse von eigen- 
thümlichem theerähnlichen Geruch und von 
brennendem Geschmack. Bei 45 °C. verflüs¬ 
sigt sie sich zu einer öligen Flüssigkeit, 
welche bei 183° C. siedet. Die Carbolsäure löst 
sich in 20 Th. Wasser und ist in jedem Ver¬ 
hältnis mischbar mit Weingeist, Aether, 
Chloroform, Glycerin, verdünnter Natronlauge. 
Die rohe Carbolsäure, vorzugsweise zur Des- 
infection von Aborten, Eisenbahmvaggons. 
Senkgruben, auch Ställen benützt, stellt eine 
braunrothe Flüssigkeit von der Consistenz 
eines Syrups mit stark theerartigem Gerüche 
dar und ist in Wasser viel schwerer löslich 
als die reine Carbolsäure. Man erkennt die 
Carbolsäure an folgenden Reactionen: 1. Stark 
verdünnte wässerige Lösungen derselben wer¬ 
den durch neutrale Lösung von Eisenchlorid 
violett gefärbt; diese Reaction wird durch 
einen Ueberschuss von Eisenchlorid und 
von freier* Säure aufgehoben. 2. Ein mit 
Salzsäure befeuchteter Fichtenholzspan wird 
durch Phenol an der Sonne dunkelblau ge¬ 
färbt. 3. Mit Bromwasser im Ueberschuss 
versetzt, entsteht in einer verdünnten Lösung 
von Carbolsäure ein gelblichweisser Nieder¬ 
schlag von Tribromphenol. 4. Mit Millon’s 
Reagens gekocht, färbt sich eine Lösung von 
Carbolsäure intensiv roth. Die Carbolsäure 
ist ein energisches Protoplasmagift, welches die 
Flimmerbewegung der Zellen und die Bewe¬ 
gungen der weissen Blutkörperchen zu hin¬ 
dern im Stande ist, sie wirkt tödtend auf nie¬ 
dere Organismen schon in sehr geringer 
Menge, doch wirkt sie, in grösserer Menge 
resorbirt, auch bei den höchsten Thierclassen 
als energisches Gift. In der Heilkunde findet 
sie demgemäss wegen ihrer antiparasitären 
Wirkung mannigfache Anwendung (s. Acidum 
carbolicum). In der Technik wird sie zur Dar¬ 
stellung der Pikrinsäure, der Saliclysäure und 
mancher Theerfarbstoffe verwendet. Loebisch. 

Carbona8 ist die Bezeichnung mancher 
Pharmakopöen für die kohlensauren Verbin¬ 
dungen, die aber jetzt fast überall verlassen 
und durch das Adjectiv carbonicum ersetzt 
worden ist; so hat z. B. die Ph. A. die Aus¬ 
drücke Carbonas ammoniae, C. calcis, C. lixivae 
oder potassae (Kali), C. sodae u. s. w. VI. 

Carbonylverbindungen nennt man in der 
organischen Chemie die Derivate der Kohlen¬ 
säure. Nimmt man von der hypothetischen 
Kohlensäure, CO(OH)„ die beiden OH weg, 
dann bleibt ein Rest oder Radical CO übrig, 


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CAKCANI. — CARHAIX-PFERD. 


63 


welches Carbonyl heisst. Das Kohlensäuregas 
ist C0=0, Kohlensäureanhydrid. Von den 
praktisch wichtigen Carbonylverbindungen 
nennen wir das Carbonylchlorür, COCl„ auch 
Phosgengas, welches sich bei der Zersetzung 
des Chloroforms an der Luft bildet, sehr 
giftig ist und vielleicht bei mancher Chloro¬ 
formnarkose den dabei auftretenden plötzlichen 
Tod verchuldet, ferner das Kohlenoxysulfid- 
gas, COS, welches in manchen Schwefelquellen 
natürlich vorkommt. Loebisch. 

Carcani J. schrieb 1714 zu Mailand 
über die unschädliche Benützung des Plei 
sches, der Felle und des Talges der an der 
damals herrschenden Rinderpest gefallenen 
Thiere. Semmer. 

Carcinom (von xapxt'vo<;, Krebs), siehe 
Krebsneubildung. Semmer. 

Cardia, richtiger Kardia, das griechische 
T t xapBta (daher auch kardia und nicht kardia 
zu sprechen), bedeutet: 1. das Herz und t. den 
Magenmund, die Einpflanzungsstelle des 
Schlundes in den Magen, und übertragen den 
Magen selbst. Der Ausdruck ist nach Heister 
darauf zurttckzuführen, dass der Magenmund 
beim Menschen in der sog. Herzgrube liegt. 
Davon das Adj. cardiacus, z. B. in cardiaca 
sc. remedia, herzstärkende Mittel. Von Kardia 
abgeleitet finden sich zuweilen noch in Brauch: 

Cardialgia, besser Kardialgia (yj xap- 
StaXYia, von xap8:a und xb Skyos, Schmerz), 
Magenschmerz, Magenkrampf. 

Cardiamorpliia, besser Kardiamorphia 
(von xapoia und apop^os, ungestaltet), Herz- 
raissbildung. 

Cardiauxc, besser Kardiauxe (von xapäia 
und r aojij, Vermehrung), Herzvergrösserung. 

CJardiopcrikarditis, besser Kardioperi - 
karditis (von xapfo'a und xo irsp'.xap8:ov. Herz¬ 
beutel, und End. itis), Herzbeutel- und Herz¬ 
entzündung. 

Cardioplethora, besser Kardioplethora 
(von xapoia und ^ Anfüllung), die 

Hyperämie des Herzmuskels. 

Card itis, besser Karditis (vonxap&ia und 
End. itis), Herzentzündung. Sussdorf 

Cardiaca. Wie man Mittel hat, um bei 
Behandlung innerlicher Krankheiten die Herz- 
thätigkeit herabzusetzen, so gibt es auch 
solche Arzneistoffe, welche die Arbeitsleistung 
des Herzens vermehren, indem sie die Gan¬ 
glien des Myocardiums anregen und aus diesem 
Grunde von altcrsher als Cardiaca (Myo- 
cardiaca) bezeichnet werden. Solche herz¬ 
stärkende Arzneimittel gehörenden Excitantien 
an, wie z. B. Bier, Wein, Kalisalze, Am¬ 
moniak, als Hauptmittel hat sich aber der 
Kampher erwiesen. Alle diese Mittel dürfen 
nur vorsichtig angewendet werden, denn so¬ 
bald sic in grösserer Menge im Blute an- 
kommen. wird das Herz zu stark erregt, und 
an die Stelle der erhöhten Arbeit tritt eine 
Verminderung, Ermüdung, ja selbst Erschö¬ 
pfung und der Tod ein, denn gerade beim Herzen 
macht man die Beobachtung, dass einer Er¬ 
regung sehr rasch eine Depression folgen 
kann. Eine andere Art herzstärkender Wir¬ 
kung kommt auch der Digitalis zu, welche 


ein prononcirtes Herzmittel aus dem Grunde 
ist. weil sie eine Volumszunahme der ein¬ 
zelnen Herzpulsationen veranlasst, mit welcher 
eine Verlangsamung der Contractionen und 
auffällige Steigerung des Blutdruckes ver¬ 
bunden ist, so dass grössere Ruhepausen für 
das ermattende Herz eintreten und doch das 
Blut wieder besser in Gang gebracht wird. 
Als Ersatzmittel, für das Digitalin kann jetzt 
auch das Caffein gelten, ebenso in gewisser 
Beziehung das Adonidin und Convallamarin. 
In ähnlicher Weise wirkt auch das Helle¬ 
borein, Muscarin, Physostigmin. Nicotin, 
Veratrin, Antiarin und namentlich das Atropin 
in kleinen Gaben, das ebenfalls eine ausge¬ 
sprochene Verlangsamung der Herzschläge 
erzeugt, u. zw. durch primäre Erregung theils 
des Vagustonus im Gehirn, theils der hem¬ 
menden Apparate im Herzen selbst. All diese 
Wirkungen der angegebenen Mittel sind und 
dürfen nur transitorische sein, alle Cardiaca- 
effecte sind somit nur an die Zufuhr ganz 
bestimmter Mengen der in Rede stehenden 
Herzgifte gebunden, es müssen dieselben so¬ 
nach auch sehr genau und sachgemäss dosirt 
werden. Direct und ausschliesslich auf das 
Herz berechnet ist von all den angegebenen 
Alkaloiden und Glykosiden indess nur das 
Fingerhutkraut. Vogel. 

Cardini gab 1845 in Frankreich ein 
„Dictionnaire d’Hippiatrique et d*Equitation u 
heraus, mit Benützung der neuesten Werke 
der Thierärzte. Semmer. 

Cardiopalmus (von xapota, Herz; r:a).po;, 
Klopfen), s. Herzklopfen. 

Carditto, s. Herzkrankheiten, resp. Herz¬ 
entzündung. 

Cardobenedictenkraut, Herba Cardui be- 
nedicti, ein dem Enzian gleich wirkendes 
Mittel (s. die Stammpflanze Cnicus bene- 
dictus). Vogel. 

Cardol, C tl H ao O„ wurde von Städeler 
das aus dem Pericardium der Nüsse von 
Anacardium occidentale dargestellte scharfe 
Oel benannt: es löst sich in Alkohol und 
Aether, nicht in Wasser, es erzeugt auf der 
Haut Blasen ähnlich dem Cantharidin. Milder 
wirkt ein ähnliches Oel, aus Semecarpus 
Anacardium bereitet. Loebisch. 

Cardoleum, der blasenziehende, ölige Stoff 
der Elephantenläuse (s. Anacardiaceen), wel¬ 
chem ähnliche Wirkungen zukommen wie den 
Canthariden (Cardoleura vesicans), der aber 
bei Thieren hinsichtlich seiner praktischen 
Brauchbarkeit noch nicht genügend geprüft 
worden ist und auch theurer zu stehen kommt, 
doch kann schon jetzt gesagt werden, dass 
der vesicatorische Effect bei Pferden eher 
stärker ist als der der Cantharidensalbe. es 
sind jedoch mehrere Präparate in den Handel 
gebracht worden. Vogel. 

Carelll G. schrieb 1856 über Influeuza der 
Füllen in Neapel. Semmer 

Carhalx-Pferd. Diese Abart des bretoni- 
schen Bidets, von einer Grösse von etwa 
1 • 40 m, mit eckigen Formen, ist heutzutage 
verschwunden in Folge von Kreuzungen, die 
sie vergrössert und zu einem sehr hübschen 



64 


CARHAJX-R1ND. — CARIESP1LZ. 


Reitpferd umgebildet haben. Sie erhielt ihren 
Namen von der kleinen Stadt Carhaix, welche 
an der äussersten Ostgrenzc des Departements 
Finistere liegt. Neumann. 

Carhaix-Rind. Eine locale Abart der 
bretonischen Rasse, die sich höchstens durch 
die Farbe unterscheidet, welche fast immer 
rothscheckig ist. Neumann . 

Carica Papaya, der Papayabaum Süd¬ 
amerikas (Melonenbaum), der aber botanisch 
noch nicht näher bekannt ist. Bei Einschnitten 
in die grünen Früchte und den Stamm quillt 
ein Milchsaft, Papayotin, hervor, welcher 
mit Alkohol behandelt das 

Papainum, Papain, niederschlagen 
lässt; es zeichnet sich dadurch aus, dass es 
ungemein peptonisirende Wirkungen auf hart 
gekochte Eier und Fleisch hat, die noch 
bedeutender sind als die der besten Pepsin¬ 
präparate, denn das Ferment verdaut das 
Tausendfache seines Gewichtes und noch 
mehr von Fibrin und bei hypodermatischem 
Gebrauche entsteht sogar eine der Verdauung 
ähnliche Erweichung des Bindegewebes. Hier¬ 
nach hat man an dem Papain ein vortreffli¬ 
ches Digestionsmittel bei Magenleiden, na¬ 
mentlich wenn es an Magensaft gebricht, 
sowie bei den Dyspepsien, gastrischen Ka¬ 
tarrhen, Wurmleiden, denn das pflanzliche 
Pepsin löst Helminthen mit Leichtigkeit auf 
und zeichnet sich gegenüber dem thierischen 
und dem Pankreatin noch weiter dadurch aus, 
dass es nicht blos in saurem, sondern auch 
in alkalischem Medium peptonisirend wirkt. 
Dieser besonders auf thierisches Gewebe auf¬ 
lösenden Wirkung wegen benützt man Papain 
in der Menschenheilkundc auch gegen Neu¬ 
bildungen, Krebse u. dgl. In der Hunde¬ 
praxis ist das Mittel noch weiter zu prüfen. VI. 

Carle« der Knochen und Zähne (von 
xai’pttv, anfressen), Beinfrass, Knochenfrass, 
bone-rottenness, carie, ist eine ulcerative Zer¬ 
störung der Knochen und Zähne; sie verhält 
sich zur Ostitis (Knochenentzündung) ähnlich 
wie die Geschwürsbildung in den Weichtheilen 
zur Entzündung derselben. Der Caries oder 
Geschwürsbildung am Knochen geht eine 
schmerzhafte Entzündung und Schwellung des 
Knochens voraus. Der abgesonderte Knochen¬ 
eiter ist dünn, jauchig, übelriechend, miss- 
farbig, grau oder schwärzlich und mit kleinen 
nekrotischen Knochenpartikelchen gemischt. 
Die cariöse Knochenfläche ist gelb- oder roth- 
braun. rauh, ihre Umgebung grünlichgelb, 
allmälig weiter zum gesunden Knochen hin in 
Roth übergehend. Die cariösen Knochen¬ 
schichten sind mürbe, brüchig, mit Rundzellen, 
Detritus oder jauchigem Eiter infiltrirt, mit 
Lacunen (Howship’schc Lacunen) durchsetzt, 
die Knochenkörperchen mit Fetttröpfchen an¬ 
gefüllt. Die Knocheneiterung zerfällt in eine 
Caries simplex und Caries fungosa. Bei der 
Caries simplex erfolgt ein einfacher molecu- 
lärer nekrotischer Zerfall der Knochensubstanz 
mit Bildung eines Defects (Usur). Sic kommt 
vorzugsweise an den Gelenksenden nach Zer¬ 
störung der Gelenksknorpel und durch Druck 
und Reibung der gegenüberliegenden Knochen¬ 


enden zu Stande. Bei der fungösen Caries 
kommt es zu bedeutenderen Granulationen 
und fungösen Wucherungen von missfarbigera 
Aussehen, die nachher wieder eitrig zer- 
fliessen. Die Diagnose auf Caries ist aus der 
Beschaffenheit des ausfliessenden dünnen, 
schwärzlichen, mit Knochensplitterchen ge¬ 
mengten Eiters leicht zu stellen. Beim Ein¬ 
führen der Sonde in die Fistelöflnung bei 
tiefgelegener Knochencaries stösst man auf 
die rauhe, unebene Knochenfläche. Die Pro¬ 
gnose ist bei unbedeutender oberflächlicher 
Caries günstig, bei tiefgreifender bedeutender 
cariöser Zerstörung (der Beckenknochen, Wir¬ 
bel, Gelenksflächen) ungünstig zu stellen. 
Ohne Behandlung schreitet die Caries meist 
progressiv fort und richtet grosse Zerstörungen 
an. Die Ursachen der Caries sind Verwun¬ 
dungen und Contusionen der Knochen, Ein¬ 
dringen fremder Körper, Fracturen, Entzün¬ 
dungen, Eiterungen und Brand in der Um¬ 
gebung der Knochen, die auf Periost und 
Knochen übergreifen. Sie kommen daher am 
häufigsten vor bei Nageltritten und anderen 
Hufkrankheiten am Hufbein, an den Wirbel¬ 
knochen bei WiderriBtschäden, Genickbeulen 
und Fisteln, in Folge von Gelenksentzün¬ 
dungen an den Gelenksflächen, ferner als 
Begleiterscheinungen von Knochenkrankheiten 
(Ostitis, Osteomyelitis, Periostitis, Sarkomen, 
Carcinomen an den Knochen), von Rotz, Tu- 
bercnlose und Scrophulose. 

Behandlung: Bei Caries oberflächlich 

ä ener Knochen ist es zweckmässig, alles 
haft afficirte Knochengewebe auszuscha¬ 
ben bis an die Grenzen des gesunden, oder 
man brennt die cariösen Stellen gründlich 
mit dem weissglühenden Eisen aus, worauf 
sich der Brandschorf abstösst und der Defect 
durch Knochenneubildung ausgefüllt wird. 
Wenn nach Abstossung des Schorfes sich noch 
cariöse Stellen zeigen, so müssen diese noch¬ 
mals gebrannt werden. Wo man mit dem 
Brenneisen nicht ankommen kann oder darf, 
da wendet man zum Aetzen der cariösen 
Stellen Chlorantimon, concentrirte Mineral¬ 
säuren und Alkalien, Kreosot und Carbol- 
säure an. Cariöse Zähne, die leicht zu Ent¬ 
zündung der Alveolen, Zahnfisteln und Knochen¬ 
wucherungen führen, sind von vorneherein 
durch Ausziehen zu entfernen. 


Literatur: Chirurgie von Bert wi g etc. — Zünde 1, 
Dictionraire. Scmmcr. 

Cariespilz. Der muthmassliche Erzeuger 
der Zahncaries oder desZahnfrasses,Leptothrix 
buccalisRobin („Hist. nat. dcsvdgdt. parasit.,“ 
p. 345). Ein Spaltpilz (Fig. 298), welcher gleich 
anderen Verwandten in mehreren Vegetations¬ 
formen vorkommt, u. zw. als langer, dünner, 
oft scheinbar ungegliederter Faden, der mit¬ 
unter unregelmässige Schraubenwindung zeigt, 
sodann als Stäbchen, Bacterien und Coccen. 
Alle farblos, von 0*7—1*2 Mikr. Durchmesser 
Bewimperte Schwärmer sind bis jetzt nicht 
beobachtet. Nach Behandlung mit verdünnten 
Säuren (Schwefel-, Salz-. Citronen-, Wein-, 
Essigsäure) wird der Inhalt, aber nicht die 
Membran, durch wässerige Jodlösung blau 



CARILLO. — CARM1NATIVA. 


65 


gefärbt. Diese Reaction bleibt indessen zu¬ 
weilen aus. Der Pilz ist ein ständiger Be¬ 
wohner der Mundhöhle des Menschen, aller 
Fleischfresser, des Schweines und mancher 
Pflanzenfresser, woselbst er die Schleimhäute, 
den Zahnschleiin etc. bewohnt; auch im Zahn¬ 
stein kann man ihn nach Entfernung des 
Kalkes mittelst Säuren leicht nachweisen. 
Gesunde, normale Zähne werden von Lepto- 
thrix buccalis nicht angegriffen, wenn die¬ 
selben aber stellenweise verletzt, ihres 
Schmelzes beraubt werden, so vermag der 



Fig. 298. Leptothrix buccalis. A Colonie aus dem mensch¬ 
lichen Zahnschleim, aus Fäden und Coccen bestehend. B 
Uariöser Zahn, Längsschnitt mit Nestern von Leptothrix. 

C Zahncanälchen mit Leptothrix-Coccen und -Bacillen. 

Pilz in die Zahnsubstanz einzudringen. Solche 
Verletzungen geschehen häufig durch unvor¬ 
sichtige Behandlung der Zähne mit harten 
und scharfen Gegenständen, namentlich häufig 
bei Entfernung von Speiseresten oder Entfer¬ 
nung des Zahnsteines u. s. w. mit Metall¬ 
gegenständen. Ferner aber leiden in Folge 
reichlicher Säurebildung durch Spaltpilze im 
Munde bei nachlässiger Pflege und Mangel 
an Reinlichkeit die Zähne durch diese Säuren 
ausserordentlich; sie werden oberflächlich an¬ 
gefressen und so dem Cariespilz der Eintritt 
ungemein erleichtert. Besonders nachtheilig 
soll es, wie allgemein angenommen wird, sein, 
Fleischreste zwischen den Zähnen nach den 
Mahlzeiten nicht zu entfernen, da gerade Ei¬ 
weisssubstanzen für die Spaltpilze ein vorzüg¬ 
liches Ernährungsmaterial darstellen. Der 
Pilz dringt nun überall, wo verletzte Zahn¬ 
oberflächen Vorkommen, in die Zahncanäl¬ 
chen ein, verbreitet sich in denselben durch 
den ganzen Zahnkörper, erweitert schliesslich 
Koch. Encyklopädie d. Thierheilkd. 11. Bd. 


durch Säurebildung diese feinen Röhren, wo¬ 
bei häufig grosse kugelige, backofenartige 
Höhlungen entstehen, die von Coccen und 
Stäbchen ganz ausgefüllt werden, schliesslich 
auch zu zwei oder mehreren oder noch grös¬ 
seren Massen verschmelzen. Gleichzeitig gehen 
die eiweisshaltigen Bestandtheile des Zahnes, 
insbesondere die Pulpa, in stinkende Zer¬ 
setzung über. Zuletzt bricht der morsch und 
porös, cariös gewordene Zahn zusammen. 
Impft man nach Lebert die Leptothrix buc¬ 
calis auf und in die Hornhaut, so entsteht 
schwere Eiterung unter Entwicklung langer, 
feiner, gegliederter Fäden und Ketten von 
Bacillen. Harz. 

Carillo studirte Thierheilkunde in Madrid 
und war Lehrer an der Veterinärschule zu 
Cordova. Semmer . 

Carlier A., berühmt durch seine Werke 
über Schafzucht: .,Traitö de betes ä laine” 
zu Ende des XVIII. Jahrhunderts. Semmer 

Carlin, s. Mops. 

Carlina aucalia, stengellose Eberdistel 
oder Eberwurz, eine prachtvolle Cjnaree un¬ 
serer Gebirge und Voralpen mit schnee- 
weissem, strahlenden Hüllblättchen, einköpfig. 
Früher war sie als 

Radix Carlinae officinell und diente 
in der Veterinärpraxis wegen ihres scharfen 
ätherischen Oeles als ein Reizmittel für die 
Haut (im Infus) und innerlich als drastisches 
Abführmittel, besonders für Pferde (Ross¬ 
wurzel); die eröffnende Wirkung war jedoch 
eine unsichere, die Wurzel musste daher 
weichen, als die zuverlässige Aloö besser be¬ 
kannt wurde. Vogel. 

CarUbader Salz, s. Karlsbader Salz. 

Carmin, rother, wird der Farbstoff der 
Cochenille (einer Schildlaus) genannt. Er 
wird gewonnen, indem man die Cochenille 
mit Wasser unter Zusatz von etwas Alaun 
oder oxalsaurem Kali and Salpeter kocht und 
die klare Flüssigkeit in einer flachen Schale 
an der Luft stehen lässt. Er besteht aus 
Canninsäure (C 17 H 18 0 10 ), verbunden mit 
Spuren von Kalk und Thonerde, ist geruch- 
und geschmacklos und leicht löslich in Am¬ 
moniak. Die ammoniakalische Lösung des 
Carmin8 heisst auch flüssiger Carmin. Er 
dient als Färbemittel, auch in der Mikro¬ 
skopie zum Tingiren bestimmter Gewebs- 
bestandtheile, ferner als Schminke. Durch vor¬ 
sichtiges Erhitzen von trockenem Carmin er¬ 
hält man ein dunkel purpurrothes, violettes 
sehr beständiges Pulver, welches als gebrann-, 
ter Carmin in den Handel kommt. Loebisch. 

Carminativa nennt man von altersher 
jene Arzneistofle, welche geeignet sind, über¬ 
mässige Mengen im Darme gebildeter Gase 
(Blähungen, Flatus) zu beseitigen. Haupt¬ 
sächlich handelt es sich hier um Kohlen¬ 
säure, neben welcher jedoch in pathologi¬ 
schen Zuständen auch andere Gase, Kohlen¬ 
wasserstoff, Schwefel- und Phosphorwasser¬ 
stoff, auftreten können. Solche blähungtrei¬ 
bende, carminative Mittel haben dann die 
Aufgabe, die Gase mechanisch oder chemisch 
zu binden, zu absorbiren, wohin die kohlen 


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66 


C ARMINTIN CTION. — CARPALKNOCHEN. 


sauren Alkalien, die Kohle u. s. w. gehören 
oder deren Entwicklung zu hintertreiben — 
Antiseptica: Benzin, Terpentinöl. Erdöl, Bitter¬ 
stoffe, Salzsäure— und die schon gebildeten 
Luftarten dadurch auszutreiben, dass durch 
Reizmittel die peristaltische Bewegung an¬ 
geregt und beschleunigt wird. In diese letz¬ 
tere Kategorie gehören besonders die Gewürz - 
Stoffe und ätherischen Oele (Aromatica, Ter¬ 
pene und Kampherarten), wie Kamillen, 
Fenchel, Anis, Kümmel, Pfefferminze, Quendel, 
Thymian, Radix Calami und Pvrethri, Absinth, 
Ingwer, Zimmtim Aufguss, dann Ammoniak, 
Kampher, Aether, Hoffmann’s Tropfen u. s. w. VI. 

Carmf ntinction, s. Mikroskopische Technik. 

Carnification der Lungen (v. caro, Fleisch, 
und facere, machen), Carnificatio pulmonum, 
ein Zustand, wo die Lungen durch Compres- 
sion von im Thorax angehäuften Exsudaten, 
eingedrungene Luft, Neubildungen etc. oder 
durch aufgehobenen Luftzutritt durch Ver¬ 
schluss der zuführenden Bronchien vollkom¬ 
men luftleer (atelektatiscli) werden, collabiren 
und eine fleischähnliche Farbe und Beschaf¬ 
fenheit annehmen. Die Carnification der Lun¬ 
gen ist entweder angeboren (hei todtgebornen 
Früchten) oder im späteren Leben entstanden 
und betrifft die ganze Lunge oder nur ein¬ 
zelne Theile derselben. Semmer. 

Carnivorus (caro, camis, f., Fleisch, und 
vorare, fressen), fleischfressend. Der Ausdruck 
Camivoren dient zur Bezeichnung aller fleisch¬ 
fressenden Thierarten; auch gewisse Pflanzen- 
arten, welche Eiweissverdauungsvermögen be¬ 
sitzen und sich von Insecten etc. nähren, 
werden carnivore Pflanzen genannt. Sussdorf 

Carolaisisches Rind. Ein Name, welcher 
häufig den Rindern von Ariegc (s. d.) und 
denen der Ost-Pyrenäen beigelegt wird. Nn. 

Carossiers, s. Kutschpferd. 

Carotis, richtiger Karotis, sc. Art., die 
Kopfarterie, leitet ihren Namen von der irri¬ 
gen Ansicht her, dass Compression dieser Ar¬ 
terie einen soporartigen Schlaf, 6 xotpo? der 
Griechen, erzeuge. Daher sie auch von Ve- 
salius A. soporifera genannt wird. Andere 
leiten den Namen von vj xapa, Kopf. ab. Ihren 
Verlauf und Theilung 8. Blutgefässe. Sf. 

Carotiadriise, Glandula carotica, Ganglion 
intercaroticum, wurde von Luschka ein hanf- 
bis linsen- oder gurkenkerngrosses derbes, 
zuweilen körniges Organ von rüthlieher Farbe 
genannt, welches der medialen Fläche der 
Carotis communis des Menschen und vieler 
Säugethiere in nächster Nähe von deren 
Theilungsstelle anliegt. Dasselbe ist nach dem 
Vorgänge J. Amold’s als verkümmerter Rest 
embryonaler Gefässausbreitungen (Kiemen- 
gefässe) zu deuten. Andere finden darin wegen 
des Vorkommens reicher Mengen von Gang¬ 
lienzellen ein nervöses Organ. Heppner schil¬ 
dert dasselbe aus einer Bindegewebskapsel 
und bindegewebigem Stroma zusammengesetzt, 
in dessen rundlichen Maschen „Drüsenballen“ 
von lappigem Bau und gewöhnlich von einem 
Arterienstämmchen durchzogen gelagert sind. 
Bräunliche „Drüsenkörner“, von fein gra- 
riulirter Molecularmasse erfüllt, fügen die 


Läppchen und Ballen zusammen. In dem 
Hüllstroma finden sich Netze cerebrospinaler 
und sympathischer Nervenfasern, die einzelne 
und ganze Gruppen von Ganglienzellen ent¬ 
halten. Die Carotisdrtise ist wie die Thymus 
und Thyreoidea als eine aus dem Epithel 
einer Kiemenspalte sich entwickelnde Drüse 
aufzufassen. Sussdorf 


Carpalknochen, Vorderfusswurzel, Vorder¬ 
knieknochen, Ossa carpi, sind sieben oder acht 
Knöchelchen, welche das solide, doch sehr be¬ 
wegliche Bindestück zwischen den Vorarm- und 
Mittelfussknochen darstellen. Sie entsprechen den 
Handwurzelknochen des Menschen und sind bei 
den verschiedenen Thieren sehr ungleich geformt 
und entwickelt. Die Carpalknochen sind in zwei 
übereinander liegenden Reihen angeordnet: die 
Vorarm- oder Radialreihe und die Schienbein¬ 
oder Metacarpalreihe. Während letztere mit 
dem Schienbein durch ein straffes Gelenk zu 
einem Ganzen verbunden ist, kann die Radial¬ 
reihe als ein knöcherner, zersplitterter Menis¬ 
cus, ähnlich einem Zwischengelenkknorpel, auf¬ 
gefasst werden, indem sie sowohl nach auf- als 
nach abwärts wechselgelenkig verbunden ist. 
Gewöhnlich sind in jeder Reihe vier Knochen, 
wobei aber ein oder zwei solcher mehr als Seh- 
samknochen anzusehen sind. Die Nomenclatur ist 
leider bis heute noch keine einheitliche. Schwab 
benannte die Knochen nach ihrer Form beim 
Pferd, Gurlt nach der Anatomie des Menschen. 
Gegenbauer nach ihrer Lagerung und Bedeu¬ 
tung. Sie heissen beim Pferd, 

obere Reihe, von innen begonnen: 


n. Schwab 
würfelförmiges 
Bein 

keilförmiges 

Bein 

vieleckiges 

Bein 

Hakenbein 


n. Garlt 

Os naviculare 
Os semilunare 
Os triquetrum 


n. Gegenbauer 

Os carpi ra¬ 
diale 

Os interme- 
dium 

Os carpiulnare 


Os pisiforme Os acccesso- 
rium 


untere Reihe, medial begonnen: 


n. Schwab 

erbsenför¬ 
miges Bein 
halbmond¬ 
förmiges Bein 
kahnförmiges 
Bein 

kugelförmiges 

Bein 


n. Gurlt 

Os multangu- 
lum majus 
Os multangu- 
lum migus 
Os capitatum 

Os haraatum 


n. Gegenbauer 

Os carpale 
primuru 
Os carpale 
secundum 
Os carpale 
tertium 
Os carpale 
quartum 


Das erbsenförmige Bein fehlt dem Pferd 
meistens und wird vom innem langen Seitenband 
eingeschlossen; das Hakenbein ist der Sehnen¬ 
knochen von den beiden Mittelfussbeugemuskeln 
M. extensor carpi ulnaris und M. flexor carpi 
ulnaris, so dass nur sechs Knochen die Last 
auf das Schienbein übertragen. Die Aufeinander¬ 
lagerung der Knochen ist im Allgemeinen der¬ 
art, dass ein unterer Knochen zwei obere unter¬ 
stützt, und die Richtung der Gelenksflächen 
weist daraufhin, dass die Knochen durch die 
Belastung auseinander gedrängt werden können, 
was allerdings durch die zahlreichen Zwischen- 



CARPOGONIUM. 


CARROUSSEL. 


67 


knockenbänder beschränkt wird. Darin liegt 
die Elasticität des Vorderknies, welche beim 
Pferd beträchtlich, dagegen bei den mehrzelligen 
Thieren weniger noth wendig ist, weil sie vom 
Unterfuss geboten wird. So sind beim Rind 
zwei Knochen in der unteren Reihe (halbmond¬ 
förmiges und Kahnbein), bei den Fleischfressern 
zwei in der oberen Reihe (würfelförmiges Bein und 
Keilbein) miteinander verwachsen. Die oberen 
und unteren Gelenksflächeu sind gross, die seit¬ 
lichen klein, unterbrochen. Die vorderen Flächen 
sind ziemlich eben, breit; die hinteren schmal 
und höckerig. Die Hakenbeine stehen nach 
rückwärts rechtwinkelig ab, sind bei Pferd und 
Schwein seitlich zusammengedrückt, blattför¬ 
mig, beim Rind und den Fleischfressern cylin- 
drisch. Die Vögel besitzen zwei Handwurzel¬ 
knochen. Zschokke. 

Carpogonium, wohl auch Archicarpium, 
die weibliche Zelle oder der weibliche Zellen- 
complex bei kryptogamischen Pflanzen; so bei 
Pilzen (Flechten), Algen, Moosen und Far¬ 
nen etc.; bei den beiden letzteren ist es die 
Eizelle des Archegoniums. Im Uebrigen ist 
Carpogonium meist gleichbedeutend genommen 
mit Ascogonium. Harz. 

Carpospongus (abgel. von 6 xapscoc, Hand¬ 
wurzel, und 6 orcoy yo», Pilz, Schwamm), Vor- 
derfusswurzel- (Knie-) Schwamm. Sussdorf. 

Carpus, richtiger Karpos, 6 xap^os, die 
Hand- oder Vorderfusswurzel, der von dem 
griechischen xapcpsiv, zusaramenziehcn, ein¬ 
schrumpfen, dann auch zusamraenlesen, fassen, 
greifen, abzuleitende technische Name des 
aus 6—8 Knochen zusammengesetzten obersten 
Theiies der Hand, resp. Vorderfusses. Man 
kann den Ausdruck Karpos direct mit der 
greifenden Thätigkeit der menschlichen Hand 
in Verbindung bringen. Man kann jedoch bei 
dieser Ableitung auch an die gegen den 
Unterarm und die Mittelhand etwas einge- 
gezogene Contour der Handwurzelpartie 
denken. Sussdorf. 

Carracciolo, italienischer Schriftsteller 
über Hippologie und Hippiatrik im XVII. Jahr¬ 
hundert. Ableitner. 

Carragheenmoo8 oder irländisches Perl¬ 
moos (Chondrus crispus und mamillosus), zwei 
Meeralgen, die im getrockneten Zustande eine 
lappige, hornartig durchscheinende lockere 
Masse bilden, welche sich beim Kochen fast 
ganz in Schleim auflöst und sehr stärkereich 
ist. Die in grossen Massen an den nördlichen 
und westlichen Küsten Irlands wachsenden 
Pflanzen dienen wie die Renthierflechte und 
das isländische Moos gelegentlich zur Fütte¬ 
rung des Rindviehes. Das Carragheenmoos ist 
aber stickstoffreicher als die letztge¬ 
nannten beiden Pflanzen: es enthält 81*2% 
Trockensubstanz, 9 * 4 % Protein, 55 * 5 % stick¬ 
stofffreie ExtractstofFe (Lichenin),2*2% Holz¬ 
faser und 44*2% Asche. Es dient auch als 
menschliches Nahrungsmittel, als lösendes, 
reizstillendes Heilmittel (es enthält etwas Jod) 
und zu verschiedenen technischen Zwecken. Pt. 

Carriere ist die schnellste Bewegungsart 
des Pferdes, welche man im deutschen auch 
mit dem Namen „Rennlauf 11 bezeichnet und 


bei der man im Gegensätze zum gewöhn¬ 
lichen Galopp nicht drei, sondern nur zwei Huf¬ 
schläge hört (s. Gangarten). Leckner. 

Carriere gab 1837 heraus seine: „Traitö 
sur la maladie des betes ä laine connue sous 
le nom de cachexie aqueuse ou pourriture.“ Sr. 

Carr0U88el, auch Carrussel, franz. car- 
rousel, ital. carosöllo, stammt wahrscheinlich 
vom lateinischen carrus, der Wagen, und 
sella, der Reitsattel, ab, nannte man im Mittel- 
alter die Wettstreite der Ritter im Fahren, 
Ringstechen, Scheibenwerfen, Stossen u. s. w., 
welche bei festlichen Veranlassungen an den 
Höfen der Fürsten mit vielem Aufwande und 
grossem Pomp gehalten wurden. Diese Spiele 
sind sehr alt; am fränkischen Hofe werden 
sie zuerst 842 erwähnt, wo Karl der Kahle 
und Ludwig der Deutsche zum Zeichen ihrer 
Versöhnung Carroussels durch die ritterliche 
Jugend halten Hessen. Später wurden sie 
durch die Turniere verdrängt, traten aber wieder 
an deren Stelle, als diese mit der alten Ritter¬ 
schaft allmälig in Verfall kamen. Wie bei 
den Turnieren ward später auch beim Car- 
roussel von Damen, welche sich zuweilen 
selbst, in Wägen sitzend und nach Ringen 
stechend, am Spiele betheiligten, dem Sieger 
mit dem Kranze der Preis ertheilt. Die 
Schönheit und Geschicklichkeit der Pferde, 
die geschmackvolle Anordnung, die Costttmi- 
rung der Reiter und Pferde, verbunden 
mit einer guten Musik, bestimmen den 
Werth eines Carroussels, welches noch 
immer als Glanzpunkt der Feste bei grossen 
Feierlichkeiten erscheint. Anbei folgt ein 
Carrousselplan: Nach dem unter den Klängen 
eines Marsches erfolgten Einzug und den 



Fig. 299. Flan eines C’arreusselä. 








68 


CARROUSSELREITEN. — CARUM CARVI. 


üblichen Ehrenbezeigungen vor den höchsten 
Anwesenden sprengt entweder ein Reiter 
allein sein Pferd in den Galopp rechts an 
oder zwei zugleich, der eine rechts, der an¬ 
dere links galoppirend, und reiten nach den 
aufgehangenen Ringen (Fig. 899, 1 und 1), um 
sie mit den Lanzen herunterzunehmen und im 
Galopp einem aufgestellten Knappen oder 
Diener abzugeben. Die aufgestellten Köpfe 
von Pappe (II und 2) werden mittelst eines 
kurzen Lanzenstosses vom Reiter ange- 
spiesst, welcher hierauf in kleiner Volte 
den aufgestellten Knappen umreitet und sich 
aus dessen Hand im Vorüberreiten den Wurf¬ 
spiss überreichen lässt, um diesen kräftig auf 
die Scheibe (III und 3) zu werfen. Ist man 
hierauf dem Kopfe von Pappe (II und 2) auf 
8—10 Schritte nahe gekommen, so feuert man 
ein blind geladenes Pistol auf ihn ab, der 
durch den Anprall des Papierpfropfens zur Erde 
fällt. Der Reiter zieht hierauf den Säbel und 
haut mit gutem Augenmasse nach den rechts 
und links aufgestellten Köpfen (IV und 4). 
Nach den Köpfen V und 5 kann mit dem 
Säbel oder Degen gestochen werden. Mit 
den vorüberreitenden Gegnern werden Hiebe 
mit flacher Klinge gewechselt Noch auf die 
verschiedenste Weise kann das Carroussel 
anziehend gemacht werden. Beim Carrous¬ 
sel wird meistens im Galopp, verbunden mit 
Renngalopp geritten, öfters kann im Galopp 
gewechselt und dann und wann parirt werden. 
Das Abreiten erfolgt nach den üblichen Ehren¬ 
bezeigungen. Im Jahre 1879 wurde zu Ehren der 
goldenen Hochzeit des deutschen Kaiserpaares 
zu Berlin ein glänzendes Reiterfest, ein Car¬ 
roussel abgehalten. Die Herren waren durch¬ 
wegs Cavallerie-Officiere, u. zw. die besten 
Reiter der preussischen Armee, die Damen 
Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft. 
Im April 1880 fanden drei Carrousselvor- 
stellungen zu Ehren der silbernen Hochzeit 
des österreichischen Kaiserpaares für die 
Armen Mährens, Schlesiens, Istriens, Dal¬ 
matiens, Galiziens und der Stadt Wien statt 
und zeichneten sich durch ihren glänzenden 
Verlauf aus. Der Gang der Vorstellungen war 
folgender: Während aas Musikcorps über der 
Kaiserloge den Einzugsmarsch intonirte, flogen 
die Thüren der Manfcge auf und an der 
Spitze des Zuges erschien der Herold, hinter 
ihm vier weitere Herolde mit den Wappen 
jener Kronländer, für welche der Ertrag des 
Festes bestimmt war, dann folgten die be¬ 
rittenen Reisigen und die Jäger zu Pferde, 
ferners die Hirschjagd mit mehreren Cava- 
lieren zu Pferd, drei Koppeln edler Jagdhunde 
und Jägern zuPferd und zu Fuss, die Gems- 
jagd mit Cavalieren auf Ponies, Trommlern 
und Pfeifern, sowie Jägern — gebürt. Tirolern 
— zu Fass. Nun erschien die Falkenjagd, 
bestehend aus 12 Damen und 12 Herren, und 
die Wildschweinjagd, beide gefolgt von einem 
Cortfege von Cavalieren. Die Nachhut bestand 
aus berittenen Reisigen und Jägern zu Pferde. 
Im Zuge befanden sich prächtige zwei- und 
vierspännige Galawagen und ein vierspänniger 
Wildwagen. Nachdem der Zug die Manage 


verlassen, erschienen die Falkenjäger, um 
eine Quadrille im Schulgalopp auszuführen. 
Die • 12 Paare bestanden aus hohen und 
höchsten Personen. Die zweite Piöce war das 
Reiten der Herren, welches aus complicirten 
Figuren bestand und brillant ausfiel. Es 
folgte die Quadrille der Herolde, geritten in 
den Gängen der hohen Schule. Das nun 
folgende Reiten der Reisigen — 24 Garde¬ 
reiter auf trefflichen Lipizzanerschimmeln — 
und Jäger — 24 Unterofficiere des zweiten 
Uhlanen- und sechsten Husarenregimentes auf 
ihren Dienstpferden — war wohl die schönste 
Pifcce und erregte allgemeine Bewunderung. 
Hierauf folgte ein Carrousselfahren von acht 
Zweispännern, gelenkt von den besten Wagen¬ 
führern. Das nun folgende Vierspännerfahren 
zeigte die berühmtesten Viererkutscher der 
Welt, welche dieselben leiteten. Den Schluss 
bildete ein Kopfcarroussel, in dem 47 der 
besten Reiter die aufgestellten Hürden nahmen 
und die aufgesteckten Thierköpfe während 
des Galoppirens theils herunterhieben, theils 
mit der Lanze herunterstachen. Aehnliche 
Carrousselreiten finden gar nicht selten auch 
bei Cavallerieregimentem statt, welche zur 
Feier des 25-, 50-, 100- oder 200jährigen 
Jubiläums des bestehenden Regimentes aus¬ 
geführt werden. 

Zu Volks- und Kinderbelustigungen ist 
gegenwärtig das Carroussel eine Vorrichtung, 
bei welcher auf Messen, Jahrmärkten etc. 
hölzerne Pferde, Wägen etc. an das Ende von 
kreuzweise übereinander gelegten Balken be¬ 
festigt sind, so dass sie sich horizontal um 
den Mittelpunkt drehen lassen (sog. Ringel¬ 
spiel): Apparate zum Ringstechen sind auch 
zuweilen angebracht. Ableitner. 

Carrousselreiten ist die schulgerechte 
Ausführung künstlicher Figuren durch Reiter 
und Reiterinnen auf Pferden, welche in neuerer 
Zeit nicht selten zur Ausführung kommen 
und einen wesentlichen Theil des Carroussels 
ausmachen. Ableitner. 

Cart-horse, s. Englisches Karrenpferd. 

Cartflago, -inis, f., Knorpel, davon carti- 
lagineus und cartilaginosus, knorpelig, ist in 
der lateinischen Nomenclatur zahlreicher 
Knorpel des Körpers in Verwendung. Die¬ 
selben finden bei den betreffenden Apparaten etc. 
ihre Besprechung. Sussdorf. 

Cartwright, englischer thierärztlicher 
Schriftsteller und Mitarbeiter am „Veterina- 
rian.“ Semmer. 

Carum Carvi L., gemeiner Kütnmel, 
V. CI., 2. O., ein zweijähriges Kraut aus der 
Familie der Umbelliferen, mit spindelförmiger 
Pfahlwurzel, aufrechtem, verzweigtem, 50 bis 
60 cm hohem Stengel. Blätter doppelt gefiedert. 
Blättchen fiederspaltig mit linealischen Zipfeln, 
die untersten Paare an dem gemeinschaft¬ 
lichen Blattstiel kreuzweise gestellt. Dolden 
mit 8 — 10 Strahlen, ohne Hülle oder mit 
1—2 kleinen, linealen Deckblättchen. Blumen¬ 
krone weiss oder röthlich, Blüthe: Mai, Juni, 
Reife: Juni, August. Theilfrüchtchen gewöhn¬ 
lich etwas gekrümmt mit fiinf deutlichen, 
fadenförmigen Rippen. In reinem Bestände 



CARUNCULA. — CASElN. 


69 


wird der Kümmel als Futterpflanze nicht ge¬ 
baut, dagegen säet man gerne eine kleine Menge 
(4—8 kg per Hektar) davon auf Wiesen und 
Weiden aus, auf denen er sich durch mehrere 
Jahre erhält, sobald die Samenbildung ver¬ 
hindert wird. Der Kümmel wird von den 
Thieren gerne gefressen, er soll die Milch- 
secretion befördern, die Verdauungsorgane 
stärken und das Aufblähen der Thiere ver¬ 
hindern. v. Liebenberg . 

Fructus Carvi, Semen Carvi, Semen 
Cumini pratensis, Wiesenkümmel (Cumin des 
prfes, caraway-seeds, semi di carvo). Einzig 
wirksam ist das officinelle ätherische Oel 

Oleum Carvi. das, in Weingeist lös¬ 
lich, isomer mit Terpentinöl ist und aus den 
beiden Stoffen Carven und Carvol besteht; 
es ist reichlich namentlich in den Früchten 
höherer Lage und nördlichen Klimas bis 
zu 7% enthaltend und daher neben dem 
Terpentinöl eines der wohlfeilsten Oleo- 
aetherea der Veterinärmedicin. Dem Fenchel 
ähnlich veranlasst Kümmel in Folge des län¬ 
ger andauernden Reizes auf den Darmcanal 
eine reichlichere Durchblutung des Darmrohres 
und deswegen lebhaftere Peristaltik und Ab¬ 
sonderung, demzufolge steht er auch im 
Rufe eines kräftigen, Blähungen abtreibenden 
Mittels (Carminativum, s. d.) sowohl, als eines 
die Verdauung belebenden Aromaticums, das 
zugleich, wie viele Umbelliflorae, mit Bier als 
Galactogogum vom Volke benützt wird: die 
Hebung der Verdauung liegt letzterer Wirkung 
hauptsächlich zu Grunde. Aber auch in der 
Pferde- und Rinderpraxis hat sich Kümmel 
recht beliebt gemacht bei Indigestion, Wind¬ 
koliken und anderen Flatulenzen, trägem Mist- 
absatze, geringen Wanstcontractionen u. dgl.; 
Pferden gibt man das Pulver 40*0—20*0, 
Rindern 30*0—100*0, Schafen, Schweinen 
5*0—15 0, Hunden 1—2 Tropfen des äthe¬ 
rischen Oeles mit Zuckermehl oder einige 
Gramm des Pulvers im Aufguss, mit kleinen 
Gaben Aloe, Glaubersalz, Terpentinöl, in 
dringenden Fällen als Thee zu 3—5% mit 
Spiritus, Ammoniak, Asa foetida, Schwefelleber, 
meist aber mit Kochsalz auf dem Futter oder 
Brot. Den kleinen Hausthieren sind grössere 
Gaben des Oleum Carvi gefährlich, dem Un¬ 
geziefer schon zu wenigen Tropfen tödtlich. 
Der Hund stirbt auf 4*0. Römischer Kümmel 
s. Cuminum Cyminum. Vogel. 

Carunenla (lat. Diminutivum von caro, 
Fleisch), das Fleischwärzchen, überhaupt jede 
warzenartige Erhebung einer Oberfläche; so 
in Caruncula lacrimalis, Thränenkarun- 
kel, C. sublingualis, Hungerwarze oder 
Hungerzize mit der Ausmündungsöffnung des 
Ductus Whartonianu8 und D. Bartholinianus 
am Boden der Maulhöhle; endlich C. uteri, 
die Fruchthälterwarze. Sussdorf. 

Caruncula lacryraalis, s. Thränenapparat. 

Caryophyllatawurzel, Nelken- oder Bene- 
«lictenwurzel, Radix Caryophyllatae, s. die 
Stammpflanze Geum urbanum. Vogel. 

Caryophyllin, C^H^O*, eine in den Ge¬ 
würznelken vorkomraende Substanz von neu¬ 
traler Reaction, ohne Geruch und Geschmack, 


unlöslich in Wasser, löslich in kochendem 
Weingeist, aus welchem sie in Nadeln beim 
Erkalten auskrystallisirt. Von concentrirter 
Schwefelsäure wird das Caryophyllin mitrosen- 
rother, dann blutrother Farbe gelöst. Loebisch 
Casanova B., von 1796—1822 Professor 
an der Veterinärschule zu Turin, schrieb über 
Räude 1821. Semmer. 

Cascarilla, Cascarillrinde, die Rinde 
wohlriechenden Crotons, der Euphorbiacee 
Croton Elutheria, eines Strauches in West¬ 
indien. Die wirksamen Bestandteile sind 
Gerbsäure, 1—3% ätherisches Oel und ein 
Bitterstoff Cascarillin, dem Salicin nahe ver¬ 
wandt. Vermöge dieser Bestandtheile ge¬ 
staltet sich die angenehm riechende, gewürz¬ 
hafte, bitter schmeckende Rinde, welche als 
Cortex Cascarillae in der österreichi¬ 
schen Pharmakopöe (Ph. A.) officinell aufge¬ 
führt wird, zu einem tonisireuden Araaro- 
aromaticum, das den Uebergang der China 
zu den Würzstoffen bildet und so bei Atonien 
des Magendarmcanals zur Hebung des Appe¬ 
tites, Beschleunigung der Reconvalescenz nach 
erschöpfenden Krankheiten dient. Das Stoma- 
chicum hat bis jetzt in der Veterinärmedicin 
wenig Anklang gefunden, und liegen daher 
keine weiteren Erfahrungen vor; als Tonicum 
muss ihm jedenfalls die Chinarinde vorge¬ 
zogen werden, und was die zweite Wirkung 
betrifft, so besitzen wir an unseren einheimi¬ 
schen bitteraromatischen Pflanzenstoffen wohl¬ 
feilere Mittel; doch wird die angenehme 

Tinctura Cascarillae (Ph. A. 1:5 
Spiritus) in der Hundepraxis von manchen 
Praktikern den magenstärkenden Mixturen zu 
20—60 Tropfen mit Vorliebe beigegeben. 
Dosis der Rinde bei Pferden 10*0—20*0. VI. 

CaseYn, Käsestoff, wird eine eiweiss¬ 
artige Substanz genannt, welche die Haupt¬ 
menge der in der Milch der Säugethiere vor¬ 
kommenden Eiweisskörper bildet, u. zw. fin¬ 
det sich das Casein in der frischen Milch 
aufgelöst und zeigt in seinen chemischen 
Eigenschaften grosse Aehnlichkeit mit dem 
durch freies Alkali veränderten Eiweiss, mit 
dem sogenannten Kalialbuminat; es gerinnt 
nicht beim Kochen seiner Lösung, also beim 
Kochen der Milch, hingegen scheidet es sich 
beim Abdampfen derselben auf der Ober¬ 
fläche als eine Haut ab, die, wenn sie ent¬ 
ferntwird, sich immer wieder erneuert; ebenso 
wie Kalialbuminat wird auch Casein aus sei¬ 
nen Lösungen durch verdünnte Säuren ge¬ 
fällt. Es scheiden verdünnte Essigsäure und 
Milchsäure das Casein aus der Milch aus, 
ebenso die verdünnten Mineralsäuren; m einem 
Ueberschuss von Essigsäure wird jedoch das 
Casein wieder gelöst. Ausser durch Säuren 
wird das Casein auch durch Kälberlab — 
Labmagen, der vierte oder eigentliche Magen 
des Kalbes — gefällt, und dieses Fällungs¬ 
mittel ist es, mit welchem das Casein bei der 
Käsebereitung aus der abgerahmten Milch 
abgeschieden wird. Die Fällbarkeit des Ca¬ 
seins durch Kälberlab, d. h. durch ein unor- 
ganisirtes Ferment — Labferment — wird 
von einigen Chemikern als Unterschied zwi- 



70 


CASPISCH-TATARISCHES PFERD. — CASSIA ANGUSTIFOLIA. 


sehen Kalialbnminat und Casein geltend ge¬ 
macht, jedoch hält Soxhlet beide Substan¬ 
zen für identisch. Dieser ist der Ansicht, 
dass auch bei der Fällung durch Lab die 
Milchsäure derjenige Stoff ist, welcher das 
Casein in den unlöslichen Zustand überführt. 
Nasse zeigte jedoch, dass das Casein sein 
charakteristisches Verhalten in der Milch 
nicht der Gegenwart von Alkalisalzen, son¬ 
dern der von Erdphosphaten verdankt, und 
dass die Gerinnung einer Caseinlösung durch 
das specifische Labferment auch bei Ab¬ 
wesenheit von Milchzucker, bezw. Milchsäure 
eintritt. Für einen Unterschied zwischen 
Milchcasein und Kalialbuminat sprechen auch 
die Ergebnisse neuerer Untersuchungen; so 
zeigte unter Anderen 0. Hammarsten, dass 
das durch Säuren gefällte Casein von we¬ 
sentlich anderer Beschaffenheit ist, als das 
durch Lab gefällte, er zeigte, dass bei der 
Caseinfällung durch Lab den Kalksalzen eine 
bestimmte Rolle zukommt. Das aus der Milch 
in irgend einer Weise ausgeschiedene Casein 
schliesst stets den gesammten Fettgehalt der 
Milch ein. Will man demnach chemisch rei¬ 
nes Casein darstellen, so muss dieses durch 
Ausziehen mit Aether vom Fett befreit wer¬ 
den. Hoppe-Seyler und Lubavin fanden über¬ 
dies in dem Milchcasein als beständigen Be 
standtheil einen den Zellkernen eigenthüm- 
lichen, der Einwirkung der Verdauungssäfte 
widerstehenden Stoff, das Nuclein. In der 
chemischen Zusammensetzung scheint das 
Casein in der Milch der verschiedenen Säuger 
gleich zu sein. Es enthält C 53*47%, 
H 7*13%, N 15*83% und einen Gehalt 
an Schwefel von 0*8—1*1%. In Bezug auf 
die Fällbarkeit des Caseins aus der Milch 
ist bekannt, dass es aus der Milch der Kuh 
in derben Flocken ausfällt, hingegen aus der 
Milch der Stute und der Eselin in dünnen, 
zarten Fäden, so wie aus der Frauenmilch; 
da nun im Magen die zarten Fäden des 
Stuten-Caseins vom Magensaft leichter an¬ 
gegriffen und gelöst werden, als die derben 
Flocken des Caseins der Kuhmilch, so hält 
man die Stutenmilch für ein besseres Surrogat 
der Frauenmilch als die Kuhmilch. Das Ca¬ 
sein wird hauptsächlich in der Form von Käse 
als Nahrungsmittel verwerthet. In der Chirur¬ 
gie benützt man eine Mischung von Kalk 
und Käse zur Bereitung von permanenten 
Verbänden ähnlich dem Gypsverband. LA. 

Caspisch-tatarisches Pferd soll von den 
wilden tatarischen Rossen abstammen und 
wird jetzt von den Kaufmännischen Tataren 
gezüchtet, welche an der Westküste des caspi- 
schen Sees wohnen. Es ist ein Thier von 
geringer Grösse, aber gut, kräftig gebaut, 
besitzt einen zierlichen Kopf mit schwach ge¬ 
wölbtem Nasenrücken und kleinen, feinen 
Ohren. Sein Hals ist ziemlich kurz und etwas 
tief aufgesetzt, der Leib gestreckt, die Brust 
breit, die Lenden sind kräftig, der Rücken 
mit stark hervortretendem Widerriste ist 
scharf und das hohe Kreuz leidlich gut ab¬ 
gerundet. Diese Pferde besitzen feine, trockene 
Beine mit starken Sprunggelenken, langen 


Unterfüssen und schön geformten Hufen. Nach 
Fitzinger sind fast alle Pferde dieser Rasse 
kühn, unerschrocken und vortreffliche Schwim¬ 
mer; auch rühmt man ihre grosse Ausdauer 
im Dienst. Ihr Gang ist hart, besonders breit 
gestellt werden die Beine beim Traben. Auf 
den heimatlichen Weiden finden sie fast 
überall Salz, welches sie vom Boden ab¬ 
lecken und sie sollen an anderen Orten, wo 
solches fehlt, nicht gut gedeihen. Die Schnel¬ 
ligkeit dieser Pferde soll erstaunlich gross 
sein. Frey tag. 

Cassia acutifolia oder lenitiva (Senna 
acutifolia), sowie eine zweite Senna-Cassie, die 
Cassia angustifolia, bilden miteinander 
die bekannten Sennesblätter. Beide Cassia- 
arten, zu denen sich auch die Cassia obovata 
gesellt, sind wildwachsende krautähnliche Ge¬ 
wächse, welche den Leguminosen (Cäsalpineen 
L. X.) an gehören. Die erstere wächst beson¬ 
ders in Oberägypten und Nubien und kommt 
über Alexandria nach Europa, ist deswegen 
auch unter dem Namen der 

Alexandrinischen Senna bekannt. 
Die Fliederblättchen sind lederartig, spitz, ei¬ 
förmig, oben grün, unterseits bläulichgrün, 
am Rande gewimpert und von den sehr ähn¬ 
lichen Arghelblättern der Solenostemma Ar¬ 
ghel mehr oder weniger durchmischt, die aber 
nicht purgiren; man erkennt sie daran, dass 
sie mehr graulichgrün sind, dicker, runzelig 
und einnervig. Die indischen oder 

Tinnivelly-Sennesblätter der zweiten 
oben genannten Senna-Cassie sind ebenfalls 
sehr wirksam, obwohl sie früher verpönt waren, 
nur dürfen sie nicht älteren Datums sein, was 
man an der bräunlichen, gelblichen Farbe 
(statt der grünen) leicht erkennen kann. Offi- 
cinell sind beide als 

Folia Sennae und bekannt als eines 
der ältesten und gebräuchlichsten Abführ¬ 
mittel; wirksam ist fast ausschliesslich die in 
Wasser lösliche glykosidische Cathartinsäure, 
welche hauptsächlich an Calcium und Magne¬ 
sium gebunden ist und sich ausserordentlich 
leicht zersetzt, die Blätter verlieren daher 
durch Liegen wesentlich an Wirksamkeit. 
Das Sennakrol und Sennapikrin sind nur 
Bitterstoffe, ausserdem ist ein Farbstoff ent¬ 
halten und das süsse Cathartomannit. Obwohl 
nun die Sennesblätter bei allen Hausthieren 
durch starke Erregung der Peristaltik dra¬ 
stisch abführen, finden sie doch nur Anwen¬ 
dung bei Schweinen und in der Hundepraxi s. 
und auch hier. ist das Mittel wegen des 
widerwärtigen bitteren Geschmackes und unan¬ 
genehmen Geruches schwer einzugeben und 
erregt leicht Erbrechen: dagegen hat es den 
grossen Vortheil, dass mit grosser Zuverlässig¬ 
keit eine breiige, viel Wasser enthaltende und 
schmerzlose Darmentleerung erfolgt, welcher 
der andauernden aber ungefährlichen Reizung 
des Dickdarms wegen keine Verstopfung nach¬ 
folgt, wie z. B. den salinischen Laxantien 
und dem Rheum; auch verdienen die Sennes¬ 
blätter den Vorzug da, wo man es mit grosser 
Indifferenz des Darmcanals, habituellen Ver¬ 
stopfungen zu thun oder es zugleich auf Ent- 



CASTAGNOLE. 

fernung hydropischer Ergüsse abgesehen hat. 
Am einfachsten gibt man das billige 

Pulvis Foliorum Scnnae mit etwas 
Manna oder Bittersalz, u. zw. kleinen Hunden 
zu 2 * 0—5 * 0, grossen 8 * 0— 1 2 * 0, Schweinen bis 
zu 15*0; die Wirkung erfolgt bei mittlerer 
Dosirung in mehreren Stunden, noch schneller, 
wenn man nur den kalten Aufguss der Blätter, 
über Nacht gestanden und morgens eingegeben, 
verwendet und 1—2 Tropfen concentrirte Salz¬ 
säure hinzugibt, die sowohl den Geschmack 
verbessert, als den Schlusseffect erhöht Sehr 
beliebt ist auch das 

Wiener Tränkchen, InfusumSennae 
compositum, Aqua laxativa Yiennensis 
(5 Blätter auf 30 Wasser und 10 Manna, 
nach der Ph. G. auch 5 Natro-Kalium tarta- 
ricum); man gibt jede Stunde einen Esslöffel 
voll, bis Wirkung eiugetreten. Besser schme¬ 
ckend ist 

Syrupus Sennae, der mit Fenchel, 
Zucker und Spiritus bereitet wird und entwe¬ 
der Hunden und Katzen löffelweise oder als 
Zusatz in anderen Mixturen gereicht wird. 
Das reine purgirende Princip, 

Acidum catharticum e Senna, hat 
sich bei meinen Versuchen an Hunden, selbst 
subcutan angewendet, nicht als brauchbar er¬ 
wiesen. Vogel. 

Castagnole. Brama Raji Bl. Schn. Fisch 
aus der Unterclasse der Knochenfische, Te- 
leostei, Ordnung der Stachelflosser, Acantho- 
pterygii, Familie der Makrelen, Scombridae. 
Gattung Brama. Der Fisch wird 50—70 cm 
lang, hat einen hohen, seitlich comprimirten 
Körper, kleine Schuppen und tief gegabelten 
Schwanz, der stacheltragende Theil der 
Rückenflosse ist klein, der folgende Abschnitt 
lang und im Beginn hoch. Die Farbe matt 
silberfarbig. Im Mittelmeere und an der ost¬ 
atlantischen Küste vom Cap der guten Hoff¬ 
nung bis in die Nordsee. Das Fleisch wird 
geschätzt. Studer. 

Caatley (1781—1833), studirte Thierarz¬ 
neikunde in London, schrieb viele Aufsätze 
im „Veterinarian.“ Semmtr. 

Caatoreum, das Präputialsecret des Bi¬ 
bers, Bibergeil, enthält hauptsächlich Fette, 
Ammoniakbasen und Benzoösäure, auch etwas 
Phenol und wurde ähnlich dem Baldrian oder 
Moschus beim Menschen früher vielfach gegen 
Neurosen angewendet, ist aber jetzt fast ver¬ 
lassen und für Thiere gar nie gebraucht 
worden. Vogel. 

Caatoröl (Castor Oil), Oleum Castoris, 
ein hie und da für das Ricinusöl gebrauchter 
Ausdruck (s. Ricinus communis). Vogel. 

Caatration. Die Castration (von castrare, 
verschneiden) ist eine Operation, durch welche 
die Functionen der Geschlechtsdrüsen (Hoden 
oder Eierstöcke) absichtlich aufgehoben wer¬ 
den. Sie ist wohl die älteste chirurgische 
Operation, welche an Thieren ausgeführt wird 
und scheint dieselbe im 3. Buche Moses, Cap. 22, 
Vers 24, in vier verschiedenen Methoden er¬ 
wähnt zu sein (Ihr sollt auch dem Herrn kein 
Zerstossenes, oder Zerdrücktes, oder 
Zerrissenes oder Zerschnittenes opfern 


CASTRATION. 71 

und sollt in Eurem Lande solches nicht thun). 
Nach Hesiodes waren bei den Griechen der 
sechste, der achte und der zwölfte Tag des 
Monates als günstig zu ihrer Ausführung be¬ 
zeichnet. Xenophon spricht von der Castra¬ 
tion der Hengste, Stiere und Hunde; Aristo¬ 
teles, im IV. Jahrhundert vor Chr., erwähnt 
diese Operation bei Mutterschweinen, Vögeln, 
sowie bei weiblichen Kameelen; die Römer 
dehnten dieselbe auf alle männlichen Haus- 
säugethiere und ebenso auf weibliche Schweine 
und das Geflügel aus. Es scheint sogar, dass 
sie die Castration der Fische Vornahmen. 
Mago von Carthago (II. Jahrhundert vor Chr.) 
ist der erste, welcher der Castration mittelst 
Kluppen erwähnt. Plinius führt die Castration 
des männlichen Kameels an; Absyrtus und 
Vegetius erwähnen das Abbrennen der Hoden 
bei Pferden. Der Letztere schreibt über den 
Starrkrampf, welcher als Folge dieses Ver¬ 
fahrens eintritt. Unter Heinrich VII. wurde in 
England durch ein Verbot gegen das gemein¬ 
schaftliche Weiden von Hengsten und Stuten 
die Castration sehr verbreitet, dann aber im 
späteren Mittelalter wieder weniger geübt und 
es galt sogar das Reiten eines Walachen un¬ 
würdig für einen Edelmann. Heutzutage wird 
die Castration sehr häufig ausgeführt und dient 
theils zu Heil-, theils zur Verfolgung ökonomi¬ 
scher Zwecke und kann sowohl bei männlichen 
als bei weiblichen Thieren ausgeführt werden. 
Sie ruft bei denselben Veränderungen hervor, 
welche, kurz zusammengefasst, folgende sind: 
1. Grössere Mastfähigkeit, 2. sanfteren 
Charakter, welche Eigenschaft die Lenk¬ 
samkeit und Gebrauchsfähigkeit bei Arbeits- 
thieren sehr erhöht, 3. schmackhafteres 
Fleisch und 4. Aenderung der Körper¬ 
form, wobei im Allgemeinen bei männlichen 
Thieren die Vorhand sich weniger, die Nach¬ 
hand hingegen mehr entwickelt. 

Die zu castrirenden Thiere werden in 
der Regel im jugendlichen Alter operirt, weil 
dann die Wirkung eine grössere und die 
Operation weniger gefährlich ist. Es gibt eine 
sehr grosse Anzahl verschiedener Methoden 
der Castration; selbstverständlich sind nicht 
alle von gleicher Bedeutung, viele sogar als 
gefährlich oder grausam zu bezeichnen und 
deswegen werden von den Thierärzten nur 
einige Hauptmethoden wohl mit vielen, je¬ 
doch meistens unwesentlichen Abänderungen 
ausgeführt. Einige Methoden haben, da sie 
nach dem heutigen Standpunkte der Chirurgie 
nicht mehr zu rechtfertigen sind, nur einen 
geschichtlichen Werth. So wird das Klopfen der 
Hoden, das Brennen oder Durchstechen oder 
auch das Zerquetschen derselben heutzutage 
von Thierärzten nicht mehr geübt. In der 
Zeit, in welcher man die Führung des Mes¬ 
sers aus Unkenntniss der anatomischen Ver¬ 
hältnisse mehr scheute, waren allerdings die 
unblutigen Castrationsmethoden mehr ge¬ 
bräuchlich als jetzt. Durch die Einfuhruug 
der antiseptischen Wundbehandlung sind aber 
die blutigen Methoden noch weniger gefähr¬ 
lich als früher und es steht zu erwarten, dass 
die oben angeführten, hauptächlich in wärmeren 


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7t CASTRATION. 


Gegenden zum Theil noch üblichen Castra* 
tionsniethoden als zu schmerzhaft auf einzelne 
Thiergattungen und einzelne Fälle beschränkt 
werden. 

In Folgendem werden wir weniger auf 
die systematische Classification, als auf die 
Wichtigkeit der Methoden Rücksicht nehmen. 
Da sowohl die anatomischen Verhältnisse, wie 
auch die auszuführenden Operationen bei jeder 
Thiergattung andere sind, so scheint es an¬ 
gezeigt, die Castration nach denThiergattungen, 
an welchen sie meistens vorgenommen werden, 
ausführlich zu beschreiben. Um jedoch die 
Systematik zu berücksichtigen und Wieder¬ 
holungen zu vermeiden, so werden zunächst 
die anatomischen Verhältnisse der Geschlechts¬ 
organe behundelt, sowie eine Uebersicht der 
bei männlichen Thieren angewendeten Castra¬ 
tionsmethoden gegeben. 

A. Castration der männlichen Thiere. 

Anatomisches: Die Fortpflanzungs¬ 

organe der Säugethiere, welche hiev haupt¬ 
sächlich in Betracht kommen, bestehen bei 
beiden Geschlechtern aus einer Reihe ganz 
analoger Gebilde, welche im Wesentlichen aus 
folgenden Theilen zusammengesetzt sind: 
1. Zwei Geschlechtsdrüsen (Testikel und 
Ovarien): 2. Ausführungscanäle für das 
Drüsenproduct (Samen- und Eileiter): 3. Be¬ 
hälter für dasselbe (Samenbläschen, männ¬ 
licher und weiblicher Uterus); 4. gemein¬ 
schaftlicher Ausführungsgang für Harn- und 
Geschlechtsproducte (Harnröhre und Vagina). 

Geschlechtsorgane der männlichen 
Thiere (anatomische Uebersicht). Von aussen- 
her betrachtet sind die männlichen Geschlechts¬ 
drüsen, die Hoden oderTestikeln, durch mehrere 
Membranen geschützt und liegen bei den 
Herbivoren vor der Schamgegend während 
bei den Omnivoren und Carnivoren dieselben 
weiter nach rückwärts unterhalb des hinteren 
Sitzbeinausschnittes sich befinden. 

Die allererste Hülle wird durch eine 
sackartige Divertikelbildung der allgemeinen 
Decke, welche als Sero tum bezeichnet wird, 
gebildet; in der Medianlinie desselben befindet 
sich eine Naht, die sog. Raphe. Diese Haut 
ist beim Pferd, Schweine und Kaninchen 
nackt, bei Wiederkäuern und Fleischfressern 
fein behaart, sie enthält zahlreiche und gut 
ausgebildete Talgfollikel. In der Medianlinie, 
der Naht entlang, kommt bei Pferden, Hunden 
und namentlich Kaninchen eine sehr deut¬ 
liche Längsfurche vor, während bei Wieder¬ 
käuern und besonders bei Schweinen diese 
sehr schwach angedeutet ist. Die innere Fläche 
dieser Scrotalhülle ist mit einer aus organischen 
Muskelbündeln bestehenden dünnen Schichte 
in innigster Verbindung. Dieselbe wird als 
Fleischhaut oder Dar tos bezeichnet. Die 
Fleischhaut ist besonders bei Wiederkäuern 
gut entwickelt und zieht die Scrotalhaut bei 
ihrer Zusammenziehung in kleine Falten 
(Runzeln) zusammen. Die Dartos steigt in 
der Medianebene in die Höhe und bildet so¬ 
mit eine Scheidewand, welche den Hodensack 
in zwei für sich bestehende Säcke theilt. 


Weiter nach innen kommt eine dritte 
Hülle vor, bestehend aus fibrösem Gewebe, 
die allgemeine Scheidenhaut (Tunica 
vaginalis). Zwischen dieser und der Dar¬ 
tos ist eine reichlich vorkommende lockere 
Bindegewebslage vorhanden. Die Letztere ist 
namentlich bei jungen Thieren weitmaschig, 
während sie bei älteren aus kürzeren und 
derberen Fasern besteht. Die allgemeine 
Scheidenhaut entspringt aus der Quer¬ 
bauchbinde und ist seitlich und aussen mit 
einer verschieden starken Muskelschichte über¬ 
zogen, welche HodenmiLßkel (Muse, cre- 
master externus) genannt wird; dieser Muskel 
zieht die Scheidenhaut in die Höhe. Die innere 
Fläche des von der allgemeinen Scheiden¬ 
haut gebildeten Sackes ist mit einer Fort¬ 
setzung des Bauchfelles (Parietalblatt der 
besonderen Scheidenhaut) überzogen: in der 
Höhe des Schweifes des Nebenhodens, welcher 
mit dem entsprechenden Theil der allgemeinen 
Scheidenhaut durch kurzes und straffes Binde¬ 
gewebe verbunden ist, springt das Parietal¬ 
blatt auf den Nebenhoden über und breitet sich 
über denselben, den Hoden und den Samen¬ 
strang als Visceralblatt der besonderen Schei¬ 
denhautaus. Die oben beschriebene, aus straffem 
Bindegewebe bestehende Verbindung des Ne¬ 
benhodens mit der allgemeinen Scheiden¬ 
haut wird von den meistenThierärzten fälsch¬ 
lich als Nebenhoden band bezeichnet (s. u.); 
diese Bindegewebsbrücke setzt sich eigentlich 
noch ausserhalb der allgemeinen Scheidenhaut 
bis zur Dartos in Form einer dickeren Binde¬ 
gewebslage fort und scheint ein Ueberbleibsel 
des Leitbandes der Hoden (Gubernaculum 
Hunteri) zu sein. Der Hoden (Testikel) liegt 
innerhalb des Visceralblattes der besonderen 
Scheidenhaut, welches den Nebenhoden und 
den Samenstrang umhüllt, und ist derselbe 
selbst durch eine fibröse Hülle, die eigene 
Haut des Hodens (Membr propria testi- 
culi), umschlossen. DerTestikel hat die Form 
einer Bohne, deren grösserer Bogen nach 
vorn und unten gerichtet ist; bei Wieder¬ 
käuern steht die Längsachse desselben mehr 
vertical. Die Blutgefässe des Scrotum, Dartos 
und allgemeinen Scheidenhaut stammen von 
der äusseren Schamarterie und gehen 
wieder in die gleichnamigen Venen zurück. 
Die Lymphgefässe stehen mit den Leisten¬ 
drüsen in Verbindung. Die Blutgefässe des 
Hodens und Nebenhodens stammen von der 
inneren Saraenarterie und gehen in die 
innere Samenvene über; dieselben bilden am 
vorderen Rande des Samenstranges ein Geföss- 
geflecht, welches als rankenförmiges Ge¬ 
flecht (Plexus pampiniformis) bezeichnet 
wird. Am hinteren Rande des Samenstranges 
steigt der Samenleiter nach aufwärts und 
zwischen demselben und dem rankenförmigen 
Geflecht sind einige schwache glatte Muskel¬ 
fasern, der innere Hodenmuskel (Cre¬ 
master internus), bemerkbar. (Ueber weitere 
anatomische V erhältnisse s. Geschlechtsorgane.) 
Die Nerven stammen aus dem Lenden- 
eflecht (äusserer Samennerve) und aus dem 
amengeflecht der sympath. Nerven. 


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CASTRATION. 73 


Castrationsmethodea Die Castra¬ 
tionsmethoden bei männlichen Haussäuge- 
thieren können in folgende Gruppen eingetheilt 
werden: 

A. Castration mit Entfernung der Hoden: 

I. Auf unblutigem Wege (d. h. ohne 

Öeffnung des Hodensackes): 

1. Das Abbinden des Hodensackes; 

2. das Abkluppen des Hodensackes. 

II. Auf blutigem Wege (d. h. mit Öeffnung 

des Hodensackes): 

1. Das Abkluppen desS am ens trän - 
ges: a) Mit bedeckten Testikeln und 
Samenstrang; b) mit unbedeckten 
Testikeln und Samenstrang; c) mit 
unbedeckten Testikeln und bedeck¬ 
tem Samenstrang: 

2. die Unterbindung des Samen¬ 
stranges: a) mit bedeckten Te¬ 
stikeln und Samenstrang; b) mit 
unbedeckten Testikeln und Samen¬ 
strang; c) mit unbedeckten Testikeln 
und bedecktem Samenstrang; 

3. das Abschaben des Samenstranges; 

4. das Abreissen des Samenstranges; 

5. das Abdrehen des Samenstranges; 

6. das Ab quetschen des Samen¬ 
stranges ; 

7. das Abbrennen d. Samenstranges; 

8. das einfache Abschneiden des 
Samenstranges. 

B CastrationmitBeibehaltung der Hoden: 

1. Die Bistournage; 

2. das Klopfen der Samenstränge; 

3. die subcutane Un tcrbindung: 
a) des vorderen Theiles des Samen¬ 
stranges; b) der Samenarterie allein. 

Nicht mehr gebräuchlich: die subcutane 
Unterbindung des Samenleiters, das Klopfen 
der Hoden, das Brennen mit Durchstechen 
desselben. 

Die Castrationsmethoden letzter Gruppe, 
mit Beibehaltung der Hoden, sind ganz vor¬ 
zugsweise in den wärmeren Gegenden üblich: 
sie haben den Vortheil, dass keine Wunde 
nothwendig wird, sind jedoch unsicherer als 
die anderen und werden meistens nur bei 
Wiederkäuern in Anwendung gebracht. Bei 
diesen Methoden wird der Blutzufluss zu den 
Testikeln durch Drehen. Klopfen oder Unter¬ 
binden der inneren Samenarterie gehemmt, 
wodurch allmälig eine Atrophie des Hodens 
bedingt wird. Der unverletzte Hodensack füllt 
sich später bei Mastthieren mit Fett, wo¬ 
durch der sog. „Griff“ gebildet wird, welcher von 
den Metzgern einiger Gegenden (z. B. Frank¬ 
reichs) gesucht wird, so dass diese Castra¬ 
tionsmethoden dadurch verbreitet werden. 

Nicht alle Castrationsmethoden sind in 
einer Gegend im Gebrauche; meistens wer¬ 
den bei jeder Thiergattung nur eine oder 
höchstens zwei angewendet, namentlich ist 
dieses in zuchttreibenden Ländern der Fall, 
während da, wo seltener castrirt wird, die 
Operationsmethode einzig und allein vom 
Tnierarzt abhängig ist. Eine positive Bevor¬ 
zugung der einen Methode über alle anderen 


lässt sich kaum aufstellcn, indem der eine 
Operateur diese, der andere jene mit bestem 
Erfolge ausführt; bei keiner Operation spielen 
die individuellen Verhältnisse des Chirurgen 
eine so grosse Rolle, wie bei der Castration, 
bei welcher jeder Praktiker eine eigene, wenn 
auch kleine Modiffcation des Operationsmodus 
einführt und die guten Resultate derselben 
zuschreibt. Im Folgenden werden die einzelnen 
Methoden möglichst unparteiisch beschrieben, 
und soweit möglich, nicht nach der persön¬ 
lichen Auffassung eines Einzelnen, sondern 
nach den Ergebnissen der allgemeinen 
Erfahrung beurtheilt. 

Mehrere Methoden können bei verschie¬ 
denen Thiergattungen in Ausführung kommen; 
wir werden dieselben da beschreiben, wo sie 
eine grössere Bedeutung haben, und beginnen 
mit der Castration der Einhufer. 

Castrirte männliche Pferde werden mei¬ 
stens als Walachen (oder Mönche) bezeichnet: 
einige Autoren meinen deshalb, dass die 
Castration des Pferdes von der Walachei aus 
nach Deutschland gebracht worden sei: der 
Umstand, dass in Frankreich ein solches Pferd 
Cheval hongre (von hongrois, Ungar) genannt 
wird, dürfte diese Annahme einigennassen be¬ 
kräftigen. 

Männliche Pferde werden castrirt: 1. um 
sie lenksamer und damit brauchbarer zu 
machen, 2. um sie von der Zucht auszu- 
schliessen und 3. namentlich, um sie mit Stuten 
im zweiten und dritten Jahre auf der gleichen 
Weide halten zu können. Die Castration wird 
seltener als Heiloperation, z. B. in Fällen von 
Sarcocele. Hodenkrebs, Hodenfisteln, Wunden, 
Hernien u. 8. w. ausgeführt. Die Verände¬ 
rungen, welche durch dieselbe im Thierkörper 
hervorgerufen werden, sind folgende: Weniger 
laute und seltenere Stimme, weniger massive 
Vorhand, entwickeltere Nachhand, überhaupt 
feinere Gliederung. Die Hoden des Pferdes 
sind meistens ungleich entwickelt, der linke 
ist meistens grösser und wiegt 10—30 g mehr 
als der rechte. Jeder Hoden wiegt im Durch¬ 
schnitte bei zweijährigen Fohlen 150—175 g. 
Die Scrotalhaut ist unbehaart, bei dunkel¬ 
haarigen Pferden und weiss gewordenen 
Schimmeln schwarz pigmentirt. Ihre Längs¬ 
achse ist mehr horizontal, als bei anderen 
Thieren gelegen. 

Männliche Pferde werden meistens im 
Alter von zwei Jahren castrirt; um diese Zeit 
sind die Körperformen genügend entwickelt, 
um ohne Nachtheil auf deren ferneres Wachs¬ 
thum die Operation vornehmen zu können. 
Verwerflich ist es, die Thiere zu früh zu 
castriren, indem ihre Vorhand, namentlich 
der Widerrist, sich nach der Castration nicht 
mehr, wie es sonst der Fall wäre, ausbildet. 
Allerdings steigt die Operationsgefahr mit 
der Alterszunahme, immerhin ist die Erstere 
bei zweijährigen Thieren nicht sehr gross. 
Es werden die Fohlenhengste meistens im 
März und April und nur selten im Herbst 
castrirt. Bei Kälte, rauher Witterung wie bei 
grosser Hitze ist die Vornahme der Castration 
unrathsain. 


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74 


CASTKATION. 


Eine eigentliche Vorbereitung zur Opera¬ 
tion durch strenge Diät, Laxiren und Blut¬ 
entziehen ist vollständig nutzlos, indem die 
Thiere durch dieselbe schon genügend ge¬ 
schwächt werden. Bei älteren Hengsten, welche 
um diese Zeit in geschlechtlicher Aufregung 
sind, ist jedoch knappe Kost oder ein kleiner 
Aderlass oder auch eine Laxanz einige Tage 
vor der Operation am Platze. 

Einzig und allein werden die zu castriren- 
den Thiere am Operationsmorgen nicht ge¬ 
füttert, damit ihr Magen weniger überfällt 
sei; es ist dies übrigens eine Vorsichtsmassregel, 
welche bei allen Fällen der grösseren Haus- 
thiere mit Recht empfohlen wird. 

Die Castration kann beim Pferde 
im stehenden Zustande ausgeführt werden, es 
ist jedoch dieses Verfahren trotz aller an¬ 
geblichen Vortheile nicht zu empfehlen, da 
ungünstige Ereignisse nur zu oft die Folge 
einer solchen unsicheren Stellung bei der 


Operation mit vollkommenster Sicherheit aus¬ 
geführt werden. Eine andere Befestigungs¬ 
und Lagerungsmethode ist die von Hering, bei 
welcher der rechte Hinterfuss mittelst einer 
Spannleine an einem mit einem Ring ver¬ 
sehenen Gurte festgehalten wird. 

Ist das Pferd in die gewünschte Lage 
gebracht, so kniet der Operateur unmittelbar 
hinter der Kruppe, und reinigt den Hodensack 
und seine Umgebung mit einem trockenen 
Tuche oder mittelst eines schwach befeuchteten 
sauberen Schwammes; die zu starke Be¬ 
feuchtung der Haut bewirkt nicht nur eine 
Contraction der Dartos, sondern auch eine 
Zurückziehung des Hodens gegen den Leisten¬ 
canal. Nach geschehener Reinigung müssen 
die Testikel und die Samenstränge auf das 
Vorhandensein von pathologischen Zuständen, 
namentlich Hodensackbrüche, sorgfältig unter¬ 
sucht werden, weil der Operationsmodus da¬ 
durch verändert wird. Bei Pferden kommen 



F>g- 300. Lagerung und Fesselung des l’ferdes zur Castration. 


Operation wurden. Die Thiere werden auf die 
linke Seite auf ein erhöhtes Strohlager ge¬ 
worfen und der rechte Hinterfuss über dem 
Fessel mit einer Plate-Ionge (Spannleine, 
Langriemen) versehen. Diese Letztere wird 
über die äussere Fläche der Schulter bis zum 
Kammrande, von dort unter dem Hals, dann 
über die Vorderbrust, über sich selbst, unter 
dem rechten Unterschenkel, hinter der Achilles¬ 
sehne an die äussere Schenkelfläche geführt 
und das Ende einem Gehilfen, welcher hinter 
dem Rücken des Thieres niederkniet, an¬ 
vertraut. Hierauf wird der so befestigte Fuss 
aus dem Fesselriemen gezogen und unter 
Ziehen der Plate-longe bis in die Höhe des 
Buggelenkes (bei älteren Thieren etwas weniger 
hoch) gebracht. Das Ende derselben wird 
dann zwischen ihr und den oberen Theil des 
Schienbeines durchgezogen und das Schienbein 
und der Fessel mit circa drei kriechenden 
Touren umwickelt (s. Fig. 300). Durch eine 
solche Lagerung wird die Leistengegend des 
Pferdes möglichst abgedeckt und kann die 


hauptsächlich folgende Methoden zur Aus¬ 
führung: 

1. Die Castration mittelst Kluppen: 
a) auf den bedeckten Samenstrang, .b) auf 
den unbedeckten Samenstrang; 

t. die Castration durch Abdrehen des 
Samenstranges; 

3. die Castration durch Abbrennen des 
SamenstTanges. 

Weniger gebräuchlich sind: die Unter¬ 
bindung des Samenstranges, das Abquetschen 
desselben und die Bistournage. 

Kluppen methode. Hengste werden 
hauptsächlich mittelst Kluppen castrirt. Diese 
Letzteren bestehen aus zwei Halbcylindern von 
15—18 cm Länge und sind auf der Fläche, 
mittelst welcher dieselben sieh berühren, mit 
einer Rinne zur Aufnahme eines Aetzmittels 
versehen (Fig. 301). Das Aetzmittel (Kupfer¬ 
vitriol oderQuecksilbersublimat) wird entweder 
mit Mehl, Tragant oder arabischem Gummi 
und etwas Wasser zu einem Teig geformt und in 
die Kluppenrinne gestrichen, oder es wird das- 



0 ASTRATION. 


75 


selbe über die vorher mit Mehlteig oder Talg 
ausgefüllte Rinne gestreut, wobei darauf ge¬ 
achtet werden muss, dass kein Aetzmittel 
neben derselben zurückbleibe. Eine solche 
Kluppenrinnenausfüllnng sollte immer eine 



Fig. 301. Gewöhnlich«* Kluppe geöffnet, a Abgedachte 
Fläche zur Freilegung der Ligatur, b Abdachung des vor¬ 
deren Kluppenendes zum Offnen, c c hinteren Kluppenende. 


festere Consistenz haben und deshalb einige 
Tage zura Voraus bereitet werden, da sonst 
die zu weiche Masse bei der Application der 
Kluppen über den Samenstrang vollständig 
durch die gepressten Weichtheile aus der 
Rinne gedrängt wird. 

Man gebraucht mehrere Arten von Klup¬ 
pen, wovon die folgenden besonders hervor¬ 
gehoben werden: 

Die gewöhnlichen Castrirkluppen aus 
Holz, bei welchen das vordere Ende zum 
leichteren Oeftnen abgedacht, während der 
hintere Theil cylindnsch abgerundet ist. 
Circa 2*5 cm von den Enden entfernt, be¬ 
findet sich je eine ringförmige Rinne, 
welche zur Aufnahme einer Ligatur bestimmt 
ist. Behufs leichterer Durchschneidung 
der letzteren beim Abnehraen der Kluppen 
können sehr zweckmässig die Kluppenkanten 
zu beiden Seiten der hinteren Ligaturrinne 
mit dem Messer zurückgeschnitten werden, 
wodurch die Ligatur an dieser Stelle eine 
Art Brücke bilden muss, welche leicht zu 
zerschneiden ist (Fig. 302 a). Die Ligatur 
der Kluppen soll mit starken Bindfaden in 



Fig. 302. Gewöhnliche Kluppe, geschlossen, s Einkerbung 
znr Freilegung der Ligstur, b Abdachung zum Oeffnen 
der Kluppe. 


Form einer chirurgischen Schlinge (Castrir- 
schlinge) vgl. Fig. 324 ausgeführt werden. Bei 
den Chamierkluppen sind die vorderen Enden 
mittelst eines Chamieres verbunden (Fig. 303). 
Die Castrirkluppen von Rueff werden mittelst 
eiserner Ringe geschlossen und bieten daher 
eine grosse Solidität (Fig. 304). Um die 
Compression des Samenstranges noch besser 
zu sichern, hat Bouillard eine aus Eichenholz 
verfertigte kantige Kluppe construirt, welche 


durch ihre zweckmässige Einrichtung beaeh- 
tenswerth erscheint; es ist dieselbe aus zwei 
flachen Holzstücken, die sich durch ihre mit 
Hohlrinne versehenen Kanten berühren, ge¬ 
bildet; ihr vorderes Ende ist charnierartig 



Fig. 303. Chamierkluppe. 



Fig. 3o4. Kluppe von Rueff. a lesLtebender Ring, b coni- 
sche Kluppenenden mit ringförmigen Kinnen, c Schlusmring. 


mit Draht befestigt (Fig. 305). Solche 
Kluppen zeichnen sich durch ihre Billigkeit 
aus, ihr Preis ist nicht höher als derjenige 
der gewöhnlichen Kluppen (ca. 50 Pfennige das 
Paar); dieser günstige Umstand bietet den 





Fig. 3u5. Kluppe von Bouillard. 

grossen Vortheil, dass man bei jeder Castra¬ 
tion neue Kluppen verwenden kann, was 
übrigens in Anbetracht des Werthes eines Pfer¬ 
des mehr als gerechtfertigt erscheint. Sollen 
jedoch diese Kluppen wieder gebraucht wer¬ 
den, so sind dieselben abzuwaschen, in Wasser 
zehn Minuten lang zu kochen und nachher 
mittelst Carbolwasser zu desinficiren. Da die 
Kluppen durch ihren mehrmaligen Gebrauch 
sich verbiegen und dann nicht mehr genü¬ 
gend comprimiren, werden sie nach Berdez 
vor dem Kochen sehr zweckmässig an beiden 
Enden mit ca. 3 mm dicken Hölzchen ver¬ 
sehen und in der Mitte fest zusammengebun- 
den, wodurch sie wieder gerade werden 
(Fig. 306). Die Kluppen werden entweder auf 
den blossgelegten Samenstrang (Castration mit 
unbedeckten Testikeln und Samenstrang). 





76 


CASTRATION. 


oder auf den von der allgemeinen Schei¬ 
denhaut bedeckten Samenstrang angelegt, 
im ersteren Falle können dieselben kürzer 


telst des Bistouris bis auf die allgemeine 
Scheidenhaut getrennt, wonach dasselbe ein 
grösseres Klaffen der Scrotalwunde zulässt. 



Fig. 30tf. Klappenreinigung nach Berdez. 


sein und ca. 15 cm Länge haben, im zwei¬ 
ten Falle müssen die Kluppen, weil sie 
mehr Gewebe zu fassen ha¬ 
ben. eine Länge von ca. 18 cm 
besitzen. Zum festen Schliessen 
der auf den Samenstrang ange¬ 
legten Kluppen werden sog. 

Kluppenzangen (Fig. 307) oder 
Kluppenschrauben (Fig. 308) 
gebraucht. Die ersteren können 
auch mit einer Vorrichtung 
zum Einstellen versehen wer¬ 
den. Die Ausführung der Ca¬ 
stration mittelst Kluppen er¬ 
heischt die Oeffnung des Ho¬ 
densackes in der Weise, dass 
die Scrotalliaut und die Dartos 
allein oder mit denselben noch 
die allgemeine Scheidenhaut 
sowie deren seröser Ueberzug 
durchgeschnitten werden, wo¬ 
nach die Castration mit be¬ 
deckten oder unbedeckten 
Testikeln unterschieden wird. 

Castration mit bedeck¬ 
ten Testikeln: Der Opera¬ 
teur erfasst den rechten Ho¬ 
densack und presst den betref¬ 
fenden Testikel mit der linken 
Hand nach rückwärts, wo¬ 
durch die Scrotalhaut gespannt 
und glänzend wird. Sollte das 
Thier den Testikel durch den 
Cremaster externus in die Höhe 
gegen den Leistenring hinauf¬ 
ziehen, so soll der Operateur 
einen Augenblick warten, bis 
der Muskel erschlafft. Hiebei 
kann man zur Beförderung der 
Operation das Pferd an den 
Lenden klemmen, wodurch die 
Spannung des Muskels bald tig. 308. Kiuppen- 
nachgibt. Dann wird ein stark schraube oder 
geballtes Bistouri in der vollen Ca vin r oiIiPh Ube 
Hand gehalten und unter Auf¬ 
stützen des Daumens auf die obere Fläche 
des Hodensackes ein Schnitt, welcher gleich¬ 
zeitig Scrotalhaut und Dartos interessirt, 
vom vorderen bis zum hinteren Ende des 
Hodens ausgeführt (Fig. 309). Die klaffende 
Hautwunde lässt durch das vorliegende 
lockere Bindegewebe die allgemeine Schei¬ 
denhaut, die nicht verletzt wird, durch- 
blicken. Das erwähnte Bindegewebe wird 
durch leichtes Ueberfahren des Testikels mit- 


Kig. 307. Kluppen¬ 
zange. 




Fig. 3u9. Ausführung des Uodensackschnittes. 

Hierauf werden die Wundränder gefasst und 
durch Zerreissung der vorkommenden Ad¬ 
härenzen bis gegen den Inguinalcanal zurück- 
gedrängt. Hinten, gegen den Schweif des 
Nebenhodens, sind die Bindegewebszüge straffer 
und reichlicher, so dass hier häufig mit 
Schere oder Messer nachgeholfen werden 
muss. Nach Zurückschiebung der Scrotalhaut 
erscheint der Cremaster externus deutlich, 
die an einem Ende zugebundenen Kluppen- 
theile werden in Form eines V geöffnet und nun 
von vorn nach hinten über die allgemeine 
Scheidenhaut und den äusseren Hodenmuskel 
so hoch als möglich angelegt, mit der Zange 
festgedrückt und mittelst einer Ligatur gut 
zugebunden (Fig. 310). In Frankreich werden 
alsdann die Hoden nicht immer abgeschnitten, 
sondern häufig mehrere Tage bis zu ihrer spon- 



Fig. 310- Castration mit bedeckten Testikeln. a Neben¬ 
hodenschweif, b allgemeine Scheidenhant mit dem Ende des 
Äusseren Hodenmuskels, c zurückgezogener Hodensack. 






CASTRATION. 


77 


t&nen Ablösung, welche nach 10,14—20 Tagen 
erfolgt, an den Klappen hängen gelassen. In 
der Mehrzahl der Fälle jedoch werden jetzt 
die Kluppen, nachdem dieTestikeln unmittelbar 
darunter mit einer Schere abgelöst, nach 3 
bis 4 Tagen entfernt, was weit rationeller ist. 
Die Vortheile der Castration mit bedeckten 
Testikeln sind folgende: 1. Unmöglichkeit 
der Einwirkung der Luft auf den Samen¬ 
strang und des Eindringens derselben in die 
Bauchhöhle; 2. Verhütung der Zerrung des 
Samenstranges, da die allgemeine Scheiden- 
haut die Kluppen trägt; 3. Verhütung von 
Eingeweidevorfällen. Die Nachtheile sind: 
1. Möglichkeit der Einklemmung von Netz¬ 
oder Dannstücken; 2. weniger vollständige 
Compression des Samenstranges. Diese beiden 
Nachtheile lassen sich jedoch durch sorg¬ 
fältige Untersuchung und Anwendung von 
starken, gut zusammengepressten Kluppen 
vermeiden. 

Castration mit unbedeckten Te¬ 
stikeln. Diese Castrationsmethode ist viel 
üblicher als die vorige; sie wird in der Weise 
ausgeführt, dass der Scrotalschnitt die Haut, 
die Dartos, die allgemeine Scheidenhaut und 
ihren inneren serösen Ueberzug betrifft. Diese 
Membranen werden, wenn möglich, auf ein¬ 
mal durchgeschnitten, wobei jedoch die Ver¬ 
letzung des Hodens selbst vermieden werden 
soll. Sofort nach ausgeführtem Schnitte tritt 
der Testikel aus der Wunde, theils durch 
sein eigenes Gewicht, theils durch die Zu¬ 
sammenziehung der Dartos und namentlich 
des äusseren Hodenmuskels, hervor. Mit dem 
Hoden fliesst in der Regel etwas klares Serum 
aus. Bei der Ausführung des Schnittes ist es 
nothwendig, dass das Bistouri rasch geführt 
werde, da sonst der Testikel vor Vollendung 
desselben hervorquillt. Der so abgedeckte 
Nebenhoden hängt jedoch durch straffes, kurzes 
Bindegewebe mit der allgemeinen Scheiden- 



Fig. 311. Castration mit unbedeckten Testikeln. a Zurück¬ 
gezogener Hodensack, b allgemeine Scheidenhant, c ran- 
kenftrmiges Geflecht, d auf den unbedeckten Saraenstrang 
angelegte Klappe, e hinterer Rand des Samenstranges, 
f Kopf des Nebenhodens, g Schweif des Nebenhodens, 
h Testikel. 


haut zusammen. Viele Operateure trennen 
diese Verbindung mittelst des Bistouri oder 
der Schere, während andere dieselbe bestehen 
lassen. Die zu dieser Castrationsmethode er¬ 
forderlichen kürzeren Kluppen werden in glei¬ 
cher Weise, wie oben beschrieben, angebracht 
(Fig. 311); es empfiehlt sich, die eben erwähnte 
allgemeine Scheidenhaut oberhalb ihrer Ver¬ 
bindung mit dem Schweif des Nebenhodens 
in die Kluppen zu fassen, weil dieselben dann 
den Samenstrang weniger belasten und ein 
schlaffes Herunterhängen desselben dadurch 
vermieden wird; auch kann nach geschehenem 
Schnitte die allgemeine Scheidenhaut an ihrem 
vorderen, hinaufgezogenen Theile gefasst und 
die Kluppen über sie angelegt werden (Castra¬ 
tion mit bedeckten Testikeln und unbedecktem 
Samenstrang von Degive). Diese letzte Ope¬ 
ration wird jedesmal ausgeführt, wenn Ein¬ 
geweide im Inguinalcamde sichtbar werden i 
oder wegen der Weite desselben solche aus- / 
zutreten drohen. 

Die Castration durch Abdrehen 
(Torsion) des Samenstranges bietet den 
grossen Vortheil der Vermeidung von fremden 
Körpern, wie Kluppen und Ligatur, in der 
Wunde und auf dem Samenstrang. 

Mehrere Autoren unterscheiden eine 
„freie“ und „beschränkte“ Torsion bei 
der Castration männlicher Thiere; die erstere 
wenn auch ausführbar, ist, nach Versuchen zu 
beurtheilen, wohl kaum in praktische Anwen¬ 
dung gekommen, da die Drehung des Samen¬ 
stranges sich bei derselben weit über den 
Inguinalcanal bis zur Douglas’schen Falte 
fortsetzt und nicht nur unnöthige Schmerzen, 
sondern gefährliche Zerrungen des Bauch¬ 
felles verursacht. Die beschränkte Torsion 
(Torsion bomäe) geschieht in der Weise, dass 
der Samenstrang quer einige Centimeter über 
den Nebenhoden mittelst einer Zange (bei 
grösseren Hausthieren genügt dazu die Hand 
nicht) festgehalten wird. Diese Zange wird als 
„fixe Zange“ (Pince fixe) bezeichnet (Fig. 312a); 



Fig. 312, Torsionszangen nach Keynal; a fixe, b beweglich 
Zange. 







78 


CASTKATION. 


derTestikel wird mit der Hand oder der Samen¬ 
strang einige Centimeter unter der fixen Zange 
mit einer zweiten, welche dann in der Achse 
desselben gehalten wird, gefasst und gedreht, 
bis eine Ruptur erfolgt. Die zweite Zange wird 
als bewegliche Zange (Pince mobile) bezeich¬ 
net (Fig. 312 b). 

Nachdem die Drehung eine feste Zu¬ 
schnürung des Samenstranges bewirkt hat. 
ist es sehr zu empfehlen, den gedrehten Theil 
durch die Auseinanderhaltung der Zangen zu 
strecken, indem dadurch nicht nur die Ruptur 
erleichtert wird, sondern durch die Zurück¬ 
ziehung der inneren Gefassmembranen eine 
sicherere Obliteration derSainenarterie bedingt 
wird. Nach der bewerkstelligten Trennung 
des Samenstranges wird die fixe Zange vor¬ 
sichtig und langsam geöffnet: stellt sich eine 
Blutung ein, so wird der Samenstrang etwas 
weiter oben gefasst und die Operation wieder¬ 
holt, aber langsamer ausgeführt. 

Castration durch Abbrennen des 
Samenstranges. Diese namentlich in Frank¬ 
reich früher häufig ausgeführte Operation 
bietet die gleichen Vortheile wie die Castra¬ 
tion durch Abdrehen, indem auch hier keine 
fremden Körper in der Wunde Zurückbleiben. 
Das Abbrennen wird in der Weise ausge- 
ftthrt, dass der Samenstrang blossgelegt (Ca¬ 
strationsmethode mit unbedeckten Testikeln) 
und mit einer flachen eisernen Zange bis 
2 cm über den Nebenhoden gepresst und 
festgehalten wird, worauf derselbe mittelst 
eines Glüheisens unmittelbar unter der Zange 
in langsamen Zügen durchgebrannt wird. Die 
hiezu zu verwendenden Zangen können einfach 
(Fig. 313) oder doppelt sein, wie die Zange 
von Huart (Fig. 314). in welcher beide vorher 



Fig. 313 Zange znr Castration durch Brennen des Samen- 
btranges. 



blossgelegte Samenstränge gleichzeitig einge¬ 
klemmt werden. Die Brenneisen, welche zum 
Abbrennen des Samenstranges gebraucht 
werden, sind entweder messerförmig (Fig. 315) 
oder keilförmig (Fig. 316). Einige Mi¬ 
nuten nach geschehener Trennung wird die 
Zange allmälig gelüftet und schliesslich ent¬ 
fernt. Wird jedoch eine Blutung beobachtet, 
so wird der {Samenstrang ca. % cm höher in 


die Zange gefasst und von Neuem mit dem 
Glüheisen cauterisirt. Diejenigen Operateure, 
welche sich dieser Methode bedienen, sind 



Fig. 315. Fig. 316. 

Messcrfiörmigea Brenneisen. Keilförmiges Brenneisen. 

alle sehr zufrieden damit und rühmen die 
günstigen Resultate derselben. Neben diesen 
drei Hauptmethoden können auch noch andere 
bei der Castration des Pferdes gebraucht 
werden; es werden dieselben jedoch nur selten 
ausgeführt und wird deswegen ihre Beschrei¬ 
bung nur einer summarischen Erörterung 
unterworfen. 

Die Unterbindung des bedeckten 
oder unbedeckten Samenstranges wird 
in gleicher Weise eingeleitet wie die be¬ 
schriebene Anlegung der Kluppen, es ist 
jedoch zu bemerken, dass die Unterbindung 
des unbedeckten Samenstranges mittelst einer 
Ligatur, wegen der Contractilität desselben 
sowie wegen der grossen Empfindlichkeit des 
Peritonaeums beim Pferde einige Gefahr bei 
allfälligem Zurückziehen desselben in den 
Leistencanal bietet, wesshalb diese Methode 
kaum zur Ausführung gelangt. 

Das Abquetschen des Samenstranges 
mit dem Ecraseur (s. Abquetschen) würde 
bedeutende Vortheile haben, wenn die noth- 
wendig zu beobachtende Langsamkeit in der 
Ausführung der Operation den Thieren nicht 
zu grosse Schmerzen verursachen würde. 
Immerhin ist diese Methode beachtenswcrth, 
da sie bei pathologischen Zuständen des 
Samenstranges, wie z. B. beim Vorkommen 
von Champignons, von den gleichen Autoren, 
die sie wegen der leichten Entstehung von Her¬ 
nien als zu gefährlich bezeichnen, empfohlen 
wird. 

Die Bistournage ist eine namentlich 
in Südfrankreich ausgeübte Castrations¬ 
methode (dieselbe ist jedoch meistens von 
Empirikern und Castrirern von Beruf an- 
gewendet); sie besteht eigentlich in einem 
„subcutanen Zudrehen 14 der Samenstränge, 
wodurch die in denselben enthaltenen Blut¬ 
gefässe obliteriren und eine Atrophie der 
Hoden erzielt wird. 

Nachbehandlung Castrirte Pferde 
werden behutsam vom Lager aufgestellt und, 
da viele mit Schweiss bedeckt, tüchtig mit 
Strohwischen abgerieben und leicht bedeckt. 
Der Gang ist etwas gehemmt, namentlich ist 




CASTRATION. 


79 


eine etwas weite Stellung und steiferes Halten 
der hinteren Gliedmassen zu beobachten. Sollte 
das Thier eine zu ausgesprochene Steifigkeit 
in den Lenden und der Kruppe erkennen 
lassen, so ist dieses ein Zeichen, dass die 
Samenstränge zu stark gezerrt worden oder 
durch zu hoch angelegte Kluppen gespannt 
sind. Sind Kluppen verwendet worden, so 
sollen dieselben bei gut ausgeführter Operation 
nicht parallel liegen, sondern hinten in der 
Weise convergiren, dass sie einen V bilden 
und die Scrotalwundränder ohne Pression be¬ 
rühren. Sitzen die Kluppen zu fest nach oben 
gepresst, so wird bei der sich nachher ein- 
stellenden Entzündungsschwellung die Span¬ 
nung zu gross, was zu Complieationen ge¬ 
fährlicher Art führen kann. Hängen die Kluppen 
hingegen herunter, so befindet sich der Samen¬ 
strang unter sehr ungünstigen septischen Be¬ 
dingungen; diese Erscheinung tritt vorzugs¬ 
weise bei schlaffen Thieren ein; in einem 
solchen Falle ist die sofortige Anlegung einer 
zweiten Kluppe über die erste, welche dann 
durch die Section des Samen Stranges ent¬ 
fernt wird, angezeigt. Das Schweifhaar wird, um 
eine Einklemmung in die Kluppen und eine 
Verunreinigung desselben beim Wedeln zu 
verhüten, aufgebunden. Dem Thiere wird 
leichtverdauliche Nahrung in geringerem Quan¬ 
tum verabreicht. Zur Vorsicht werden die 
castrirten Thiere, damit sie die Kluppen mit den 
Zähnen nicht abreissen können, kurz an¬ 
gebunden. Viele Operateure giessen, bevor 
das Pferd das Lager verlässt, reines Oel zur 
Milderung des Reizes, Abhaltung der Luft 
und Vermeidung von Verklebungen in die 
Scrotalwunde ein: diese Massregel ist zu 
empfehlen. Jeden Tag wird die Wunde mit 
einein Bauschen aus reinem Werg oder mit 
Carbolwatte. die vorher befeuchtet ist, ge¬ 
reinigt. 

Sind Kluppen verwendet worden, so wer¬ 
den dieselben am zweiten bis vierten Tage 
durch Aufschneiden der Ligatur mittelst eines 
hakenförmigen Taschen- oder eines Huf¬ 
messers abgelöst. Werden dieselben zu früh¬ 
zeitig abgelöst, so ist der zwischen den Klup¬ 
pen eingeklemmte Theil des Samenstranges 
noch zu fest mit dem oberen Stück desselben 
verbunden, um schnell eliminirt werden zu 
können, was zur Folge hat, dass sehr leicht 
Resorption von septischen Stoffen stattfinden 
kann. Dieser Vorgang scheint übrigens durch 
die nach solcher frühen Abnahme der Kluppen 
sich immer einstellenden Fieberbewegung und 
die Vermehrung des Scrotaloedems bestätigt 
zu werden. Auch ist das öftere Einführen des 
vorherein geölten Zeigefingers in die Wunde, um 
allfällige Adhärenzen zwischen Dartos und 
Samenstrang aufzuheben, nicht rathsam. Nach 
IS—24 Stunden stellt sich gewöhnlich ein 
leichtes Wundfieber ein und schwellen dann 
die Scrotalwundränder und auch später die 
Vorhaut mässig an; es stellt sich dann ein 
Ausfluss von zuerst dünnflüssigem serösblutigem 
Exsudat ein, welcher Ausfluss später trüber 
und zuletzt eiterig wird. Die Heilung ge¬ 
schieht durch Eiterung und dauert dieser 


Process bis zur gänzlichen Vernarbung der 
Wunde ca. 4—6 Wochen. 

Castration der männlichen Wieder¬ 
käuer. Die männlichen Wiederkäuer werden 
castrirt, um ihre Mastfähigkeit zu erhöhen, 
ihr Fleisch schmackhafter, sowie auch solche, 
die zur Arbeit verwendet werden, lenk¬ 
samer zu machen. Durch die Castration 
wird, wenn frühzeitig ausgeführt, die Kör¬ 
perform namentlich bei den grossen Wie¬ 
derkäuern bedeutend modificirt: so werden 
der Kopf länger, die Hörner mehr entwickelt, 
der Hals gestreckter, die Lenden und die 
Kruppe breiter. Bei den männlichen Wieder¬ 
käuern sind die Hodensäcke mehr länglich 
und vertical gestellt (Fig. 317); der grosse Bo¬ 
gen der Testikel ist nach vorne gerichtet. Der 



Fig- 317. Testikel der Wiederkäuer. * Samenleiter, b ran- 
kenftrmiges Geflecht, c Kopf des Nebenhodens, d Schweif 
des Nebenhodens, e Testikel. 

Kopf des Nebenhodens ist somit oben, 
der Schweif desselben unten, der letztere ist 
bei kleinen Wiederkäuern leicht durchfühlbar. 
Die Stiere werden in jedem Alter castrirt, 
jedoch wird die Operation meistens im jugend¬ 
lichen Alter von 6—12 Wochen vorgenommen; 
später ausgeführt, verändern sich die Körper¬ 
formen weniger. Die zu castrirenden Thiere 
werden vor und nach dem Operationstage auf 
strenge Diät gesetzt, überhaupt ist diese 
Massregel bei den Wiederkäuern im Allge¬ 
meinen vor jeder eingreifenden Operation zu 





80 CASTRATION. 


beobachten, weil sonst die bei jedem Fieber 
sich einstellende Störung in der Rumination 
zu bedeutenden krankhaften Complicationen 
in den Verdauungsorganen führen kann. 

Die bei Wiederkäuern in Anwendung ge¬ 
brachten Castrationsmethoden sind: 

1. Die Unterbindung des Samen¬ 
stranges: a) mit bedeckten und b) mit unbe¬ 
deckten Testikeln; 

2. das Abdrehen des Samenstran¬ 
ges; 

3. das Abbrennen des Samen¬ 
stranges; 

4. das Abreissen des Samenstran¬ 
ges; 

5. das Abkluppen des Hodensackes 
und 

6. das Abbinden des Hodensackes. 

Weniger gebräuchlich sind folgende Me¬ 
thoden : 

7. die Bistournage; 

8. das Klopfen der Samenstränge; 

9. die subcutane Unterbindung; 

10. die Anlegung einer Kluppe: 
a) überden bedeckten, b) über den unbedeck¬ 
ten Samenstrang; 

11. das lineare Abquetschen; 

12. das Abschaben des Samen¬ 
stranges. 

Beim Castriren grösserer Wiederkäuer 
wird, wenn das Scrotum geöffnet werden muss, 
das Thier zunächst niedergeschnürt und fest¬ 
gebunden ; einige Operateure führen zwar die 
blutige Operation am stehenden Thiere aus; 
abgesehen von dem gefahrlosen und leichten 
Niederschnüren desselben ist es sicherer und 
besser, dieselbe am liegenden Thiere vorzu¬ 
nehmen. Soll das Scrotum geöffnet werden, 
so geschieht dies in der Weise, dass der 
Schnitt über dem grossen Bogen des Testikels, 
also vorne bis zum untersten Ende des 
Scrotalsackes geführt wird, damit die Wund- 
secrete frei abfliessen können (Fig. 323). Ge¬ 
schieht dies nicht, so sammeln sich die 
letzteren im untersten Theile des Hodensackes 
an, wo sie leicht verjauchen und dann zu 
septischen Complicationen Veranlassung geben 
können. 

Die Castrationsmethode der Unterbin¬ 
dung des Samenstranges mittelst einer 
Ligatur ist bei Wiederkäuern, da die Anle¬ 
gung von Kluppen wegen des senkrechten 
Hautschnittes weniger bequem ist als bei 
Einhufern, sehr üblich, hiebei muss die zu 
verwendende Ligatur nicht zu dünn und auch 
nicht zu dick sein; im ersteren Falle schneidet 
sie die Gewebe durch, was Blutungen verur¬ 
sachen kann, im zweiten comprimirt sie die¬ 
selben nicht genügend. Die Ligatur kann auf 
dem bedeckten oder auf dem unbedeckten 
Samenstrang ca. 2 cm über dem Nebenhoden¬ 
kopf angelegt und der darunter liegende 
Theil 1 cm von derselben abgeschnitten wer¬ 
den. Unmittelbar nach geschehener Trennung 
zieht sich der Samenstrangstumpf, die Ligatur 
mitnehmend, etwas zurück: um nun einestheils 
die Gefahr der Zurückziehung derselben in 
die Bauchhöhle, andemtheils die zu frühe Zu¬ 


heilung der Scrotalwunde zu verhüten, ver¬ 
binden einige Operateure die aus der letzteren 
herabhängenden Ligaturen miteinander (Ver¬ 
fahren von J. Meyer in Zürich), was sehr 
zweckmässig ist. Die Ligatur wird beim An¬ 
legen über den Samenstrang zu einer Castrir- 
schlinge geformt und fest zusammengeschnürt. 

Die Anlegung einer Ligatur auf dem be¬ 
deckten Samenstrang, also über der allgemeinen 
Scheidenhaut, ist wegen der Unmöglichkeit 
des Lufteindringens in den Peritonealsack sehr 
zu empfehlen (Verfahren von 
Meyer). Das Abdrehen und 
das Abbrennen des Samen¬ 
stranges sind in gleicher 
Weise wie beim Pferde aus¬ 
zuführen. Beim Abdrehen 
wird zum Fassen des Sa- 
menstranges die Tögl’sche 
Zange noch vielfach als fixe 
Zange gebraucht (Fig. 318). 
Beide Methoden haben den 
eminenten Vortheil, dass 
bei ihrer Anwendung keine 
Ligaturen und Kluppen not¬ 
wendig werden, sind je¬ 
doch in Bezug auf Blutung 
nicht immer vollständig 
sicher. 

Das Abreissen des 
Samenstranges wird bei 
ganz jungen Wiederkäuern, 
bei Lämmern z. B., in fol- 
gender Weise ausgeftthrt: 
Das zu castrirende Lamm 
wird von einem stehenden Gehilfen dem sitzen¬ 
den Operateur (Schäfer) von der Bauchseite prä- 
sentirt; der Letztere fasst das äusserste Ende 
des Scrotalsackes des Thieres und drängt 
dadurch die beiden Testikel zurück, hierauf 
wird der zwischen Daumen und Zeigefinger 
der linken Hand gehaltene Hautzipfel mittelst 
eines scharfen Messers quer durchgeschnitten. 
Durch Pressen der Samenstränge mit den am 
Halse des Scrotums angelegten beiden Händen 
werden die Testikel gleichzeitig aus ihren 
Fächern ca. 1—2 cm weit herausgedrückt 
(Fig. 319), die Samenstränge beiderseits mit- 





Fig. 319. Ca^tratioD der Larara er. a abgesebnittones Hoden- 
t*ckeude, b b hervortrete nie Testikel. 

telst Daumen und Zeigefinger festgehalten, 
und nachdem der Operateur die beiden Testikel 
mit den Zähnen gefasst, werden die beiden 
Samenstränge durch Rückwärtsbewegung zer¬ 
rissen. 



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CASTRATION. 


81 


Das Anlegen von Kluppen über 
den Hodensack. Diese Castrationsmethode 
wird vorzugsweise bei Stieren in Anwendung 
gebracht; sie bietet den Vorthei], dass die 
Compression nach Bedarf verstärkt werden 
kann, was bei grösseren Thieren, wo viel 
Masse durchgequetscht werden muss, von 
grossem Vortheile ist. Die Kluppen, welche 
zu diesem Zwecke dienen, sind meistens 
Charnierkluppen aus Eisen, Stahl (Fig. 320) 
oder auch aus Holz mit Metallbeschlag 
(Fig. 321); sie dürfen nicht zu breit sein, da 



Fig. 320. Scbraubcnklappe. 


sonst die Quetschung der Weichtheile man¬ 
gelhaft ist. Meistens sind sie flach und be¬ 
rühren sich durch eine Kante, statt durch 



321. Schraabenklappe zum Abklappen des Hoden¬ 
sackes. 


eine Fläche. Die gebräuchlichsten Kluppen 
sind in vorstehenden Figuren abgebildet, wes¬ 
halb eine besondere Beschreibung überflüssig 
ist. Die Kluppe wird quer oberhalb des 
Hodens am eingeschnürten Theile des Hoden¬ 
sackes angelegt und mittelst der Schraube 
fest zugeschlossen; während zehn Tagen wird 
die Kluppe nach Bedarf weiter zu geschraubt, 
dann das Scrotum unterhalb derselben abge¬ 
schnitten oder man wartet, bis die abge- 
kluppten Theile von selbst herunterfallen, was 
nach ca. 14 Tagen einzutreten pflegt. Bei 
kleinen Wiederkäuern wird der Hodensack 
meistens nach drei Tagen entfernt. Zum Ab¬ 
kluppen bedient man sich verschiedener In¬ 
strumente, worunter wir das von Magne beson¬ 
ders erwähnen (Fig. 322). 



Fig. 322. Sch raabenklappe ron Magne. 


Das Abbinden des Hodensackes 
wird bei kleinen Wiederkäuern sehr häufig 
ausgeführt. Die Methode ist leicht und ver¬ 
langt wenig anatomische Kenntnisse, weshalb 
sie von Landwirthen öfters in Anwendung 
kommt. Es wird zur Vornahme der Operation 
eine feste runde Ligatur von 2—3 mm Durch- 

Koch. Encyklopldie d. Thierheilkd. 11. Bd. 


messer verwendet; eine dünnere schneidet die 
Scrotalhaut durch und eine zu dicke Ligatur 
kann nicht genügend fest angezogen werden. 
Die Ligatur wird als eine sog. Castrirschlinge 
über den Hals des Hodensackes (Fig. 323 a) ange - 
legt, ihre Enden werden an kurze Holzstäbe be- 



Fig. 328. Castration der kleinen Wiederkäuer, a Höhe, in 
welcher das Abbinden oder das Abkluppen vorgenommen 
wird, b Form and Richtung des ScroUlschnitte« bei der Ca¬ 
stration mit Oeffnang des Hodensackes. 

festigt und nun wird die Schlinge fest angezogen 
und bis zum Abfallen des Hodensackes gelassen 
(Fig. 324). Die Hauptsache hiebei ist die feste 
Zusammenschnürung der in der Schlinge be¬ 
findlichen Weichtheile, da sonst eine Resorp- 



F»g. 324. Castration durch Abbinden des Hodeasacke* 
mittelst der Castrirschlinge. 

tion der in den brandig abgestorbenen Thei- 
len gebildeten Jauche vorkommt, wodurch 
Septikämie eintritt und die Thiere rasch zu 
Grunde gehen. Hierbei muss nicht vergessen 
werden, dass die bedeutende Compression, 
welche in den ersten Stunden von der Schlinge 
ausgeübt wird, sehr bald nachlässt, indem die 
eingeschnürten Gewebe unter der Ligatur 


















82 CASTRATION. 


seitlich ausweichen. Aus diesem Grunde hat 
man es versucht, die Hanfligatur durch ein 
elastisches Material, welches nie locker wird, 
zu ersetzen, und dazu sog. Kautschukfaden von 
1*5—2*5mm Dicke verwendet (s. Elastische 
Ligatur). 

Der Hodensack wird sofort nach der 
Operation kalt und stirbt alsbald brandig ab. 
Sollte nach einigen Tagen die Ligatur zu 
locker sein, so legt man eine zweite über die 
erstere an. 

Die Bis tour nage (nach dem Franz, von 
bis, zweimal, und tourner, drehen) ist eine 
bei Wiederkäuern leicht ausführbare Operation, 
bei welcher, wie der Name es deutet, zweierlei 
Drehungen ausgeführt werden. Grössere Thiere 
kann man stehend operiren, kleinere werden 
hiezu auf den Rücken gelegt. Die Castration 
durch Bistournage wird in folgender Weise 
vorgenommen: 



Fig. 325. Bistournage. Das Hinaufschieben der Testikel. 



' Fig. 326. Bistournage. Das Herabdrücken der Testikel. 


1. Werden die [Adhärenzen zwischen 
Dartos und allgemeiner Scheidenhaut durch 
starkes Hinauf- und Hinabschieben der Testi¬ 
kel gelockert (Fig. 325 u. 326), die allge¬ 
meine Scheidenhaut folgt hierbei wegen ihrer 
straffen Verbindung mit dem Nebenhoden den 
Bewegungen dieses Organes. 

2. Wird der eine Testikel, um Platz zu ge¬ 
winnen, gegen den Leistencanal zurückge¬ 


schoben, während derjenige, an welchem ope- 
rirt wird, gegen den Grund des Scrotums ge¬ 
drückt wird. 

3. Der beinahe vertical hängende Testi¬ 
kel wird dann in der Weise durch Händedruck 
in seiner Lage verändert (Fig. 327), dass dessen 
unteres Ende (Schw r eif des Nebenhodens) unter 
die Scrotalhülle nach rück- und aufwärts steigt, 
während dessen oberes Ende nach vorn und 
abwärts gleitet, so; dass in der neuen Stel¬ 
lung, wobei das Scrotum selbst in keiner Weise 
verändert ist, der Schweif des Nebenhodens 
oben, der Kopf desselben unten, der grosse 
Bogen hinten und der Samenstrang voran liegt 
(Fig. 328). Um diese Umwälzung leichter 
vorzunehmen, wird der Samenstrang über dem 
Kopfe des Nebenhodens mittelst Zeige- und 
Mittelfingers leicht fixirt und etwas abwärts 
gedrückt. 



Fig. 827. Bistournage. Umdrehung des Tostikels 



Fig. 328. Bistournage. Zudrehen des Samenstranges. 


4. Ist einmal der Testikel umgewendet 
(Fig. 328), so wird der Samenstrang um den¬ 
selben zwei- bis viermal gedreht, wobei er 
von vorn nach aussen unter die Scrotalhaut 
bewegt wird. Der zugedrehte Samenstrang 
lässt sich durch die Hüllen befühlen und er¬ 
scheint als spiralig gewundener runder und 
harter Strang (Fig. 329). Durch das Zudrehen 
des Samenstranges wird derselbe kürzer, was 


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CASTRATION. 


83 


man übrigens an der Annäherung des Hodens 
gegen die Leistengegend bemerken kann; der 
Hoden wird dann fest an die untere Oeffnung 
des Inguinalcanales gepresst, der andere 
Hoden in das Scrotum gedrückt und auf 
gleiche Weise operirt. 

5. Sind beide Hoden nach der Operation 
gegen den Leistencanal hinauf geschoben 
worden, so fasst der Operateur das nun leere 
Scrotum und schnürt dasselbe mittelst einer 
breiten Ligatur so hoch wie möglich ein, damit 
die Testikel nicht wieder in dasselbe treten 
und sich aufdrehen können (Fig. 330). Die 
Ligatur darf nur mässig angezogen werden, da 
man die Blutcirculation im Scrotum nicht zu 
beeinträchtigen hat. Nach kurzer Zeit, sogar 
nach einer Stunde schon, ist das Abgleiten 
der locker angebrachten Ligatur kaum mehr 
zu befürchten, da der hinter derselben sich 
befindende leere Scrotalsack sich mit Exsudat 
füllt. Die angebrachte Ligatur wird nach 



Fig. 329. Bustournage. Dm Zudrehen des Saraenstranges. 



Fig. 330. Biatournage (Schluss der Operation), a Die zuge- 
drehten Samenstrange, b der leere Hodeusack, c die Li¬ 
gatur. 

36—48 Stunden wieder entfernt, indem nach 
dieser Zeit durch Adhärenzen und Ent¬ 
zündungsanschwellung keine Gefahr des Zu- 
rückdrehens mehr eintritt. Die Bistournage 
eignet sich vorzugsweise bei kleineren Wieder¬ 
käuern und scheint bei älteren Schaf- und 
Ziegenböcken weniger gefährlich zu sein als 
andere Methoden, obschon während einiger 
Tage die Thiere bedeutende Schmerzen zu 


empfinden bekunden. Die Ausführung der 
Operation selbst nimmt nur kurze Zeit in 
Anspruch, z. B. bei kleineren Wiederkäuern 
und einiger Uebung seitens der Operirenden 
2—3 Minuten. 

Das Klopfen der Samenstränge. 
Diese Operation ist wie die vorige in süd¬ 
lichen Gegenden Frankreichs üblich und be¬ 
steht in der Quetschung des Samenstranges, 
um in denselben eine Obliteration der dem 
Hoden Blut zuführenden Gefässe zu bewirken. 
Das Klopfen der Samenstränge lässt sich auf 
folgende Weise bei Wiederkäuern ausführen: 
Es werden zwei ca. i m lange runde Hart¬ 
holzstäbe von etwa 3 cm Durchmesser quer 



Fig. 831. Castration durch Klopfen de« Sainenstrange*. 
a oberer (hinterer) Holzstab, b unterer (vorderer) Holz- 
*tab, c Stelle, auf welcher der Samonstrang geklopft wird. 


Fig. *»33. Castratioi» durch 
Klopfen der Samenstrange. 

a oberer (hinterer; Stab, 
b unterer (vorderer) Stab, 
c Stelle, worauf das Klopfen 
ausgeführt wird. 

über den Scrotumhals angelegt, so dass der 
eine vor, der andere hinter demselben zu 
liegen kommt (Fig. 331 und 332); die Enden 
der Stäbe werden durch zwei Gehilfen stark 
zusammen gepresst und in der Weise um ihre 
Achse gedreht, dass sich der vordere Stab 
unten, der hintere oben befindet^ und der 
Hals des Scrotums eine Sförmige Krümmung 
erfährt (Fig. 333). Die Gehilfen halten die 

r>* 



Fig 332. Castration durch 
Klopfen der Sameustr&nge, 
erste Stellung der Stabe, 
a hinterer, b vorderer Stab. 








84 CASTRATION. 


Stäbe in dieser Stellung fest gepresst, wor¬ 
auf der Operateur hinter das Thier tritt, 
mit der einen Hand den Hodensack nach 
abwärts drückt, während er mit der anderen 
mittelst eines Hammers t —3 Schläge auf 
den Theil des Samenstranges, welcher auf 
dem unteren Stabe ruht, gibt. Der dazu zu ver¬ 
wendende Hammer ist aus Buchsholz mit Blei¬ 
einlage gefertigt: in Ermanglung eines solchen 
kann auch ein Beschlaghammer verwendet 
werden. Sollte die Operation das erstemal 
nicht gelingen, so kann dieselbe ohne Nach¬ 
theil später wiederholt werden, was mit der 
Bistournage nicht der Fall ist. Die Thiere 
scheinen während der Operation wenig zu 
leiden, jedoch stellt sich nach 2—3 Tagen 
in der Regel ein mässiges Fieber ein. 

Die subcutane Unterbindung (Ca¬ 
stration ä l’aiguille) besteht in der Obliteration 
der inneren Samenarterie oder des vorderen 
Theiles des Samenstranges durch eine Ligatur, 
welche mittelst einer Wundnadel angelegt 
wird. Die Operation ist sehr einfach und kann 
namentlich bei Stieren in Anwendung gebracht 
werden; zu diesem Zwecke wird der hintere 
FUSS der zu operirenden Seite mittelst einer 
Spannleine nach vorn gezogen, während der 
Operateur hinter das Thier niederkniet. Der 
Hoden wird fest gefasst und durch Spannung 
des Samenstranges dieser auf dem gestreckten 
linken Zeigefinger fühl- und sichtbar gemacht, 
worauf die mit der Ligatur (Seide) versehene 
ekrümmte Wundnadel am vorderen Rande des 
amen8tranges zwischen demselben und der in¬ 
neren Wand der allgemeinen Scheidenhaut ein¬ 
gestochen wird. Die Nadel wird so weit ge¬ 
rührt, dass der vordere Theil des Samen¬ 
stranges (Gefasstheil) überschritten wird und 
dann nach Aussen durchgestossen und durch 
die gleiche Oeffnung, diesmal an der äusseren 
Seite des Samenstranges, durch die erste 
Einstichsöflhung herausgenommen, wonach die 
auf diese Weise um den Samenstrang gelebte 
Ligatur angezogen und fest verbunden wird 
(Fig. 334). Das von Serres angegebene Verfah¬ 
ren, wonach die Nadel nur einmal durch eine 



Fig. 334. Halbschematische Darstellung der subcutanen 
Unterbindung des Samenstranges. (Querschnitt oberhalb 
der Testikel.) a rechter Samenstrang, b linker Samen¬ 
strang, cc Samenleiter, d rechter unterbundener vorderer 
Samenstrangtheil, e vorderer Theil des linken Samenstranges, 
f von der Dartos gebildete Scheidewand, g Hodensack, 
h i Wegrichtung der Nadel mit Ligatur, k Holzstibchen, 
Aber welches die Ligatur befestigt wird. 


einzige Ein- und Ausstichöfihung geführt wird, 
lässt sich trotz der wiederholten Erwähnung in 
der Veterinär-Literatur nicht ausführen, ohne 
dass die krumme Nadel vollständig einge¬ 
stochen und dann subcutan weiter geführt 
wird, was gegenüber dem erzielten unbedeu¬ 
tenden Vortheile, nur eine Stichöflhung zu er¬ 
zeugen, zu schwierig und gefährlich erscheint. 

Eine Modification der subcutanen Unter¬ 
bindung wird in der Weise ausgeführt, dass 
der ganze Samenstrang von der Ligatur ge¬ 
fasst wird, was jedoch unnöthige Schmerzen 
verursacht. 

Die subcutane Unterbindung ist leicht 
auszuführen und verlangt nur kurze Zeit. Damit 
die Ligatur nicht in’s Innere des Scrotums 
zurückgezogen werde, wird dieselbe nach Ein¬ 
schnürung des Samenstranges an ein Holz¬ 
stäbchen befestigt oder mit der Ligatur der 
anderen Seite verbunden. 

Was das Klopfen, das Brennen und Durch¬ 
stechen des Hodens anbelangt, sind diese Me¬ 
thoden als barbarisch und gefährlich zu be¬ 
zeichnen und verdienen nur bei Erwähnung 
der Geschichte der Castration aufgeführt zu 
werden. 

Die empfohlene subcutane Unterbindung 
des Samenleiters allein führt, wie vorausgesehen 
werden kann, zu Entzündungen, Abscess- 
bildungen und ist daher zu verwerfen. 

Die Anlegung von Kluppen über den 
bedeckten oder unbedeckten Samenstrang ist 
bei Wiederkäuern nicht üblich, weil durch 
dieselben die Scrotalhaut, die ja bei Wieder¬ 
käuern nur vorne aufgeschnitten wird, zu weit 
hinaufgeschoben werden würde. 

Was das lineare Abquetschen an¬ 
belangt, so dürfte dasselbe bei Wiederkäuern, 
da diese Thiere weniger reizbar sind als die 
Einhufer und wegen der Enge des Inguinal- 
canales Hernien seltener Vorkommen, vorteil¬ 
hafte Anwendung finden. 

Das Ab schaben des Samen Stranges 
wird nur bei ganz jungen Wiederkäuern aus¬ 
geführt; bei starker Entwicklung der Samen- 
gefässe, wie sie bei älteren Thieren vorkommt, 
ist jedoch die Einstellung einer Blutung nicht 
ausgeschlossen (s. Castration der Schweine) 
Castration der männlichen Sch weine. 
Männliche Schweine werden zum Zwecke 
der schnelleren Mästung und zur leichteren 
Haltung mit weiblichen Thieren castrirt. Diese 
Operation kann sowohl bei jungen als bei 
älteren Thieren ausgeführt werden. Die zu 
verwendenden Castrationsmethoden sind je 
nach dem Alter oder der Uebung zu wählen. 
Die Testikel des Schweines liegen mehr nach 
rückwärts (Fig. 335), sie sind in flacheren 
Scrotalsäcken eingeschlossen und erreichen 
ein Gewicht von ca. 150 g, sind somit so gross 
als diejenigen der Pferde. Der Inguinalcanal 
ist bei diesen Thieren sehr weit, so dass 
Leisten- und Hodenbrüche verhältnissmässig 
häufiger Vorkommen als bei anderen Thieren. 

Werden die männlichen Schweine nicht 
zur Zucht verwendet, so können sie im Alter 
von 4—8 Wochen castrirt werden; es ist je¬ 
doch zu bemerken, dass, wenn sie etwas 


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CASTRATION. 85 


älter operirt werden, die Maskelanlage mehr 
entwickelt, und deshalb deren Verwerthung 
zu gewissen Zwecken vortheilhafter wird. Die 
Bemei8terung älterer Eber ist nicht immer 
ein leichte Sache. Folgendes Verfahren, das 



Fi g. 836. Stellung der Tesiikel beim Schweine. 

der Referent mit Vortheil angewendet hat, 
lässt sich der Einfachheit wegen sehr 
empfehlen. Es wird eine Strickschlinge an 
der linken hinteren Gliedmasse des Thieres 
über dem Tarsalgelenk befestigt und das 
Thier aus dem Stalle an eine Gitterwand, 
einen Gartenzaun oder in Ermanglung eines 
solchen in die Nähe eines Baumes geführt. 
Dann wird ein zweiter starker, aber weicher, 
doppelt zu einer einfachen Schlinge zusam¬ 
mengelegter Strick von einem Gehilfen ge¬ 
halten und hierauf die gebundene Gliedmasse 
fest angezogen; das Thier versucht zu ent¬ 
weichen und öffnet das Maul zum Schreien; 
die oben erwähnte Schlinge wird in diesem 
Augenblicke (von rückwärts her) leicht und 
rasch durch das Maul, über den Oberkiefer 
und hinter den Hauzähnen angelegt, die 
Enden durch das Gitter gezogen oder um den 
Baum gelegt und nachdem der Kopf des Thieres 
so nahe und so tief wie möglich an diesem 
angebracht worden, mittelst einer Schlinge, 
die leicht aufzulosen ist, befestigt Das so 
gefesselte Thier sucht im ersten Augenblicke 
sich zu befreien, erkennt aber bald die Macht¬ 
losigkeit seiner Befreiungsversuche und er¬ 
gibt sich in sein Schicksal. Es wird nun Stroh 
geholt und ein Lager auf der linken Seite des 
Thieres bereitet. Der Gehilfe, welcher den 
linken Hinterfuss festhält, begibt sich nach 
rechts, ein anderer Strick wird an dem linken 
Vorderfuss befestigt und während ein kräf¬ 
tiger Gehilfe das Thier auf das Lager stösst, 
ziehen die anderen an den Stricken. Ist das 
Schwein am Boden, so werden ihm die mit 
weichen Tuchlappen eingewickelten vier Füsse 
mit den bereits angebrachten Stricken kreuz¬ 
weise über einander gebunden. Junge Ferkel 
werden entweder auf einen Tisch gelegt, oder 


von einem sitzenden Gehilfen festgehalten, 
welcher das Thier an den Beinen zwischen 
seine Schenkel einklemmt, in der Weise, dass 
die Bauchseite des Thieres oben und dessen 
Hintertheil auf die Knie des Gehilfen zu 
liegen kommen. Die Castrationsmethoden, die 
bei Schweinen in Anwendung kommen, sind: 

Bei älteren Thieren die Anlegung 
einer Kluppe oder einer Ligatur auf den 
bedeckten oder unbedeckten Samen¬ 
strang, bei jüngeren Schweinen das Abdrehen 
und Abreissen, das Abschaben oderauch 
das einfache Abschneiden des Samen¬ 
stranges. Die zu verwendenden Kluppen 
brauchen nur 8—10 cm lang zu sein. Wird 
die Ca8tration mit bedeckten Testikeln aus¬ 
geführt, so empfiehlt sich vorerst, eine genaue 
Untersuchung der im Hodensacke liegenden 
Organe vorzunehmen, wenn man nicht Gefahr 
laufen will, Darmschlingen in die Kluppen 
oder die Ligatur einzuklemmen, was selbst¬ 
verständlich den Tod des Thieres nach sich 
ziehen würde. Bei der Castration mit unbe¬ 
deckten Testikeln darf die Scrotalwunde viel 
kleiner sein als bei der vorerwähnten Methode. 
Die Kluppe oder die Ligatur wird jedoch sehr 
zweckmässig auf einen Theil der allgemeinen 
Scheidenhaut angelegt, damit Zerrungen des 
Samenstranges möglichst verhütet werden. 
Es wird meistens zur Verhinderung des Ab- 
gleitens, der Nebenhoden oder wenigstens ein 
Theil desselben unter der Ligatur oder den 
Kluppen gelassen; die Letzteren können nach 
24—48 Stunden schon entfernt werden. Das Ab - 
drehen und Abreissen des Samenstranges wird 
folgendennassen ausgeführt: Nach Blosslegung 
des Samenstranges wird die V erbindung zwischen 
der allgemeinen Scheidenhaut und den Neben¬ 
hoden mit der Schere aufgehoben, der Samen¬ 
strang der Länge nach geschlitzt und etwas her¬ 
vorgezogen. Mit der linken Hand wird der¬ 
selbe oberhalb der gemachten Oeffhung festge¬ 
klemmt, während mittelst des durch die letz¬ 
tere gesteckten Zeigefingers der rechten Hand 
der Samenstrang rasch und bequem gedreht 
wird. Ist derselbe strickartig, so wird er etwas 
angezogen, noch ein paarmal gedreht und 
vollends zerrissen, worauf er sich dann in den 
Leistencanal zurückziehen kann. Das Abscha¬ 
ben des Samenstranges soll eine aus Indien 
oder China durch die Engländer nach Europa 
gebrachte Castrationsmethode sein; sie besteht 
darin, dass der biossgelegte Samenstrang, auf 
den Zeigefinger der linken Hand gehalten 
und gespannt, mittelst des Rückens oder des 
wenig scharfen schneidenden Randes eines 
beinahe senkrecht zum Samenstrang gehaltenen 
Bistouris schichten weise getrennt wird. Hie¬ 
bei werden die Blutgefässe zunächst einseitig 
getrennt und können die Tunica media 
und intima sich noch während der Spannung 
der Tunica adventitia ins Lumen des Gefässes 
zurückziehen. Ist der vordere (Gefäss-) Theil 
des Samenstranges in dieser Weise durch¬ 
getrennt, so kann der Rest desselben einfach 
durchgeschnitten werden. 

Das einfache Abschneiden kann nur 
bei jüngeren Thieren von 4—6 Wochen in 


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$6 


CASTRATION. 


Anwendung kommen, da bei älteren die fol¬ 
gende Blutung, wenn nicht gerade tödtlich, 
doch nachtheilig wird. Bei dieser Methode 
wird der blossgelegte Samenstrang leicht ge¬ 
spannt und unmittelbar über den Nebenhoden 
mit einem scharfschneidenden Bistouri auf 
einmal getrennt. 

Castration des Hundes. Die Castra¬ 
tion der männlichen Hunde ist eine verhält- 
nissmässig seltenere Operation, sie wird, gegen 
habituell erregten Geschlechtstrieb und gegen 
den bei diesem Zustande sich einstellenden 
Drang, das Haus zu verlassen, vorgenommen. 
Da die Hundebesitzer die Castration ihrer 
Hunde häutig aus Unkenntniss der Folgen 
dieser Operation verlangen, so sind die Tliier- 
ärzte verpflichtet, dieselben darüber zu be¬ 
lehren. Die castrirten Hunde verlieren durch 
die Castration ihre besten Eigenschaften, 
werden träge, theilnahmslos und ausser¬ 
ordentlich schnell fett, Jagdhunde ver¬ 
lieren jede Lust, das Wild zu verfolgen oder 
aufzuspüren und sollen zum grossen Tlieil 
ihren feinen Geruchssinn einbüssen. 

Die Testikel liegen beim Hunde wie beim 
Schweine hinterhalb der Schenkelspalte uud 
nicht wie bei den Einhufern und Wiederkäuern 
in der Leistengegend. Bei älteren Thieren ist 
die Dartos öfters mit der allgemeinen Schei¬ 
denhaut fest verbunden, so dass eine Trennung 
derselben schwierig wird. 

Hunde werden am bequemsten auf einem 
Tische, nachdem man denselben das Maul 
und die vier Füsse mit breiten Binden ge¬ 
bunden hat, operirt. 

Die in Anwendung kommenden Castra¬ 
tionsmethoden sind: Die Unterbindung des 
Samenstranges mit bedeckten oder unbedeckten 
Testikeln; das Abschaben, das Abdrehen 
und Abreissen des Samenstranges, welche 
Operationsmethoden wie bei Schweinen und 
anderen Thieren ausgeführt werden. Es ist 
jedoch zu bemerken, dass beim Hunde die 
aus derScrotalwunde herabhängenden Ligatur¬ 
enden weder unter sich noch mit denen der 
anderen Seite verbunden werden dürfen, da die 
Gefahr des Abreissens dadurch erhöht wird. 

Castration der Katze. Männliche 
Katzen werden häufiger castrirt als Hunde, 
die operirten Thiere bleiben lieber zu Hause 
und werden ebenfalls fett; namentlich be¬ 
kommen sie ein schön glänzendes Haar. Die 
Operation an und für sich bietet keine 
Schwierigkeit, wohl aber die Befestigung des 
Öfters sehr gefährlichen Thieres. Das Ein¬ 
stecken desselben (Kopf voran) in einen 
Stiefel oder dichten Sack ist nur scheinbar 
bequem, indem dasselbe ziemlich leicht mit 
den hinteren Pfoten herauskommen kann. Die 
einfachste Art des Haltens ist folgende: Der 
Gehilfe hält die Katze mittelst der linken 
Hand an einer angelegten Halshautfalte auf 
einem Tische (nahe einer Ecke) fest; fasst 
mit der rechten Hand den rechten Hinterfuss 
am Tarsus und Metatarsus, führt den¬ 
selben rasch schief über den Hals und packt 
zugleich die gebildete Hautfalte, indem er 
den Kopf des Thieres gleichzeitig fest auf 


den Tisch herabdrückt. Mit der freigewordenen 
linken Hand fasst er den Schwanz und drückt 
das Kreuz des Thieres ebenfalls auf den 
Tisch, jedoch so, dass die Scrotalgegend 
1—2 cm ausserhalb der Tischkante freifiegt. 
Das Thier sucht freilich den Kopf und das 
Kreuz vom Tische zu heben und krallt sich 
zu diesem Zwecke fest an denselben an. Die 
Hauptsache hierbei ist das energische und 
feste Halten des Thieres in dieser Lage und 
muss der Gehilfe zum Ausharren ermahnt 
werden, da in der Regel das erboste Thier 
die Sache nicht leicht zum zweitenmal an 
sich machen lässt. Unter Beobachtung der 
an gegebenen Verhaltungsmassregel bietet diese 
expeditive Methode keine Schwierigkeit und 
keine Gefahr. 

Ist das Thier festgehalten, so gilt es, die 
Operation so schnell wie nur möglich auszu¬ 
führen. Zu diesem Zwecke wird entweder der 
Hodensack beiderseitig rasch eingeschnitten 
oder kann das äusserste Ende desselben mit¬ 
telst einer Schere quer abgeschnitten werden. 
Die Testikel werden dann leicht ausgedrückt, 
gefasst uud der nachfolgende Samenstrang 
durch rasches Herausziehen zerrissen oder mit 
dem Bistouri abgeschnitten. Die Katze wird 
vom Gehilfen sofort in einen vorgehaltenen 
Korb gesteckt und eingesperrt. Eine Nach 
behanalung ist nicht nothwendig. 

Castration der Kaninchen. Die Ca¬ 
stration dieser Thiere wird zur Erhöhung der 
Mastfähigkeit und auch zum Zwecke des ge¬ 
meinschaftlichen Haltens von männlichen und 
weiblichen Kaninchen in einem gleichen Raume 
vollzogen. Castrirte Kaninchen unter sich und 
mitWeibchen verhalten sich indifferent, werden 
jedoch von Uncastrirten nicht geduldet und ver¬ 
folgt, weshalb letztere einzeln gehalten werden 
sollen. Bei Kaninchen sind die Leistencanäle 
sehr weit, weshalb auch ausser der Rammei¬ 
zeit die Testikel sich in dieselben und sogar 
bis in die Bauchhöhle zurückziehen können. 
Die Scrotalsäcke sind unbehaart und befinden 
sich in der Leistengegend, jedoch etwas rück¬ 
wärts gelagert und sehr dünnwandig; beide 
Hodensäcke sind von einander scharf ge 
trennt. Die Castration kann durch Abbinden 
des Hodensackes, Abschaben oder Abschneiden 
des Samenstranges geschehen. Beim Abbinden 
des Hodensackes kann jedes Hodensackfach 
für sich mit einer Ligatur versehen werden; 
nach geschehener fester Zuschnürung lässt 
man die Testikel, bis sie sich selbst ablösen, 
hängen. Bei den anderen Methoden ist es 
wegen der grossen. Gefahr von Eingeweide¬ 
vorfällen dringend geboten: 1. Die Scrotal- 
wunden möglichst klein zu machen und 2. beim 
Abschaben und beim Abschneiden den Samen¬ 
strang so wenig wie möglich herauszuziehen 
(da Eingeweide sonst leicht nachfolgen). In 
Folge dessen empfiehlt sich das einfache 
Abschneiden mehr als das Abschaben. Ca¬ 
strirte Kaninchen erreichen öfters ein sehr 
grosses Gewicht; solche von den grösseren 
Rassen sogar 5—6, selbst 8 kg. 

Die Castration von Parkthieren, wie Rehe 
und Hirsche, kann manchmal durch Ver- 



CASTRATION. 


87 


letzungen, oder auch wegen ihrer Gefährlich¬ 
keit für Personen oder Thiere geboten sein; 
dieselbe wird nach den gleichen Methoden, 
wie sie bei kleinen Wiederkäuern üblich sind, 
ausgeführt. Eigentümlich ist, dass bei ca- 
strirten Rehen und Hirschen die Entwicklung 
des Geweihes eine wesentliche Transformation 
erleidet; dasselbe wird nämlich nicht mehr 
regelmässig abgelegt und ist auch dessen 
Wachsthum abnorm (s. Geweih). 

Castration der Cryptorchiden. Die 
Cryptorchiden sind Thiere, bei welchen die 
Testikeln nicht bis in die Hodensäcke ge¬ 
langt sind. Bekanntlich sind diese ursprüng¬ 
lich in der Bauchhöhle sich entwickelnden 
Drüsen durch einen wesentlich aus glatten 
Muskelfasern bestehenden Bandapparat, das 
Hunter’sche Leitband der Hoden (Gubernacu- 
lum Hunteri), mit der hinteren Abtheilung 
desHodensackes verbunden (Fig. 336 G). Dieses 


Inguinal- oder Abdominal-Cryptorchidie (s. 
Monorchidie) bezeichnet. 

Die Operation der Castration wird bei 
solchen geschlechtlich immer aufgeregten 
Thieren, namentlich beim Pferde, das als 
„Kiber“ bekannt ist, nothwendig. Sie kann 
auf verschiedene Art geschehen, vor Allem 
ist jedoch die genaue Exploration der Ingui¬ 
nalgegend von Aussen sowie von Innen durch 
den Mastdarin erforderlich, da in einzelnen 
Fällen dadurch der zurückgebliebene Testikel 
in den Leistencanal gestossen werden kann. 

Das Thier wird liegend, wie bei der ge¬ 
wöhnlichen Castration, operirt. Das leere 
Scrotum wird mit Phenyllösung gewaschen 
(die Hände und der Arm des Operateurs 
ebenfalls), die Scrotaihaut zu einer Falte ge¬ 
legt und mit dem Bistouri in der Richtung 
der Längsaxe des Körpers ein Schnitt von 
9—12 cm gemacht. Die darunter liegende 



< 7 . (x. C. vag. V. ur . 


Fig. 886. Das Herabsteigen der Hoden ans der Bauchhöhle in den Hodensack nach Eichbaum. M. orch. Meecrchium, 
T. Hoden, G. vag. llohlranm der Tonic, vag. communis, G. Gubernacnlum Hunteri, C. Convolut des Vas deferens, V. ur. 
Vesica urinaria, P. Penis, V. c. Vena cava posterior, A. Aorta. 


Band zieht durch seine allmälige Verkürzung 
die Hoden durch den Leistencanal in die Ho¬ 
densäcke. Auf dieser Wanderung kann es je¬ 
doch Vorkommen, dass ein oder beide Testi¬ 
kel in der Bauchhöhle oder dem Leistencanal 
Zurückbleiben. (Professor Dr. Eichbaum hat 
über den Descensus Testiculorums sehr inter¬ 
essante Untersuchungen angestellt, s. österr. 
Monatsschrift für Thierheilkunde Jahr 1883 
Nr. 1). 

Solche Thiere, bei welchen beide Hoden 
zurückgeblieben sind, werden als Cryptorchi¬ 
den, solche, bei welchen nur ein Hoden zu¬ 
rückgeblieben ist, werden als Monorchiden, 
und der Zustand, je nachdem der oder die 
Hoden im Inguinalcanal oder in der Abdomi¬ 
nalhöhle (Bauchhöhle) zurückgeblieben, als 


Dartoshaut wird ebenfalls mit dem Messer 
sorgfältig getrennt und nun die zugespitzt 
gehaltene eingeölte Hand gegen den äusseren 
Leistenring, welcher namentlich gegen den 
Schambeinrand fühlbar ist, eingebohrt. Selbst 
verständlich wird die Operation sehr er¬ 
leichtert, wenn der Operateur eine kleine 
Hand besitzt. Sitzt der Testikel im Inguinal - 
canal, so ist derselbe von der allgemeinen 
Scheidenhaut umgeben und wird diese mit 
den Fingern einige Oentimeter weit losprä- 
parirt und darauf in eine kleine Falte ge¬ 
zogen, welche dann mittelst eines Herniotoms 
oder einer Schere angeschnitten wird; diese 
Oeffnung wird nun nach Bedarf und Möglich¬ 
keit erweitert, der in der Regel verkümmerte 
Testikel am Schweif des Nebenhodens ge- 



88 CASTRATION. 


fasst and langsam nach Aussen gezogen. In 
Fällen, bei welchen der Testikel schwer zu 
fassen ist, kann eine gelöffelte Steinzange mit 
Vortheil verwendet werden. Liegt der Testikel 
noch in der Baachhohle, so befindet sich der¬ 
selbe in der unmittelbaren Nähe des oberen oder 
inneren Inguinalringes (Fig. 336 T): in diesem 
Falle muss die Hand weiter dringen und der 
Peritonealüberzug durchgebohrt werden, worauf 
der Testikel mit 3 Fingern gefasst und in 
den Inguinalcanal gezogen wird. Ist der In¬ 
guinalcanal zu eng oder ganz obliterirt, so 
konnte der Bauchschnitt neben demselben in 
der Richtung nach Aussen geführt werden, 
was aber wegen der Gefahr der Peritonitis 
bei dem Pferde sehr bedenklich erscheint. 
Mit Geduld und Geschicklichkeit bringt man 
die Hand meistens durch den Inguinalcanal 
hindurch. Sind die Testikel herausgezogen 
oder wenigstens in den unteren Theil des 
Canales gelangt, so lassen sich dieselben 
durch Abbrennen, Abkluppen, Unterbindung, 
Abdrehen oder Abquetschen nach der bei der 
normalen Castration angeführten Operations¬ 
weise leicht entfernen. Das lineare Abquet¬ 
schen dürfte wohl unter den anderen Methoden 
den ersten Rang einnehmen (Degive). Vor¬ 
sichtshalber ist nach der Operation die Scro- 
talwunde durch eine Naht während 24 Stun¬ 
den zu verschliessen, damit keine Eingeweide- 
vorfailc entstehen: die durch die Erweiterung 
des Canales erzeugte Reizung führt bald zu 
dessen Schwellung (Entzündungsschwellung), 
so dass diese Gefahr nur in den ersten Stun¬ 
den nach der Operation zu befürchten ist. 

Castration der männlichen Vögel. 
Die Castration der männlichen Vögel kommt 
eigentlich nur beim Haushahn vor, obschon 
Enten, kleinere Gänse, grössere Tauben sich 
ebenfalls dazu eignen. In der Mehrzahl der 
Fälle wird diese Operation durch Köchinnen 
ausgeführt und zeigen dieselben manchmal 
eine ausserordentliche Gewandtheit darin. Der 
castrirte Hahn wird als Kapaun bezeichnet 
und lässt sich durch die Veränderung seiner 
Stimme und grosse Mastfahigkeit von den Un- 
castrirten unterscheiden. Die Operation selbst 
ist leicht auszuführen, erheischt aber, um gün¬ 
stige Resultate zu liefern, einige Uebung. Die Ge¬ 
schlechtsdrüsen des Hahnes liegen in der Kör¬ 
perhöhle und zwar in der Höhe der letzten 
Rippenfortsätze, unmittelbar unter dem vor¬ 
deren Ende der Nieren (Fig. 337). Diese letz¬ 
teren sind sehr zart und ist deren Verletzung 
meistens tödtlich. Die Testikel sind von 
bohnenförmiger Gestalt und nur durch ihre 
Gefässe und ihr sehr lockeres Bindegewebe in 
ihrer Lage gesichert; ihre Grösse variirt sehr 
nach Rasse, Alter und Jahreszeit. Das Alter 
von drei Monaten scheint für die Castration 
das günstigste zu sein. Nach den Beobach¬ 
tungen des Referenten sind im Allgemeinen 
die Hähne, welche einen einfachen Kamm 
tragen, diejenigen, welche am leichtesten 
castrirt werden, indem sie meistens gut 
entwickelte und daher leicht erreichbare 
Testikel besitzen. Die Operation wird in 
folgender Weise ausgeführt: Der Operateur 


hält den Hahn an den Füssen, den Kopf 
desselben unter den Arm nehmend, und zwar 
so, dass der Rücken des Vogels nach 
unten gerichtet ist; für Ungeübtere ist jedoch 
die Verwendung eines Gehilfen anzurathen. 
Der Letztere sitzt auf einem hohen Stuhle 



Fig. 337. Castration des Hahnes, a Herz, b b Testikel. 
c c Nieren, d Schnitt in der Banchwand. 

oder besser auf einem Tische und hält den 
zu operirenden Hahn so, dass dessen Rücken 
auf seinen Knien ruht und dessen Hinter- % 
theil gegen den Operateur gewendet ist. 
Zunächst werden rechts oder links in der 
Gegend zwischen dem hinteren Ende des 
Brustbeines und dem After die Federn einzeln 
ausgerupft, dann eine Hautfalte zwischen diesen 
beiden Punkten angelegt und vorläufig ein 
Hautschnitt von 2 * 5 cm in dieser Richtung 
gemacht, worauf die Musculatur und schliess¬ 
lich das Bauchfell zum Vorschein kommt. 

Das Letztere wird mit einer Pincettc gefasst, 
etwas in die Höhe gehoben und angeschnitten. 

Die so erzeugte kleine Oeffnung wird dann 
erweitert und auf diese Weise der seitliche 
Luftsack, dessen Wandung bei jedem Athem- 
zuge hin und her bewegt wird, abgedeckt. 

Wenn die Operation in der rechten Flanke 
aasgeführt wird, kann derselbe ohne Bedenken 
angeschnitten werden, insofern er sich un¬ 
mittelbar vor der Oeffnung lagert und nicht 
zur Seite geschoben werden kann. Nun wird 
der eingeölte Zeigefinger der rechten Hand 
durch die klaffende Wunde in die Körper¬ 
höhle und zwischen Eingeweide und Bauch¬ 
wand bis zur Wirbelsäule eingeführt. Der 
rechte Testikel wird zunächst als 12—18 mm 
langes und 8—12 mm breites bohnenförmiges 


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CASTRATION. 89 


Gebilde von derber Consistenz gefühlt, worauf 
derselbe mit etwas gebogener Fingerspitze 
nach ab- und auswärts von seinen Adhärenzen 
befreit und schliesslich völlig frei wird. Der 
so abgelöste Testikel wird sofort längs der 
Bauch wand mittelst der etwas gebeugten dritten 
Phalanx nach aussen gezogen, wobei derselbe 
in der Regel vor der Oeflhung dem Finger 
ausweicht und unter die Darmschlingen ge¬ 
langt Ist dieses nun geschehen, so verliere 
man keine Zeit mit dem Wiederauffinden des 
Testikels, denn abgesehen von der Verlän¬ 
gerung der Operation wird hierbei das Bauch¬ 
fell unnöthig gereizt und sehr häufig verletzt. 
Der linke Testikel wird auf gleiche Weise 
wie der rechte aufgesucht und dann mittelst 
des Fingers an die Wirbelkörper sachte ge¬ 
presst und abgestreift. Eine Hauptsache ist 
es, bei der Operation nur die Pulpa des Fin¬ 
gers zu gebrauchen, da mit dem Nagel zu leicht 
Verletzungen erzeugt werden. Ist der zweite 
Testikel abgelöst, so wird die äussere Wunde 
durch die Kftrschnernaht geschlossen. Das 
Liegenlassen der Testikel in der Bauchhöhle 
hat nicht den geringsten Nachtheil, es pfropft 
sich derselbe an irgend einer Stelle der 
Bauchwand oder der Eingeweide ein und wird 
schon innerhalb weniger Tage zum grössten 
Theil resorbirt. Die ganze Operation vom Be¬ 
ginne bis zum Ende dauert bei einiger Uebung 
nicht mehr als 2—4 Minuten. Damit der 
castrirte Hahn von den nicht castrirten leicht 
unterschieden werden kann, wird unmittelbar 
nach ausgeffthrter Operation der Kamm des¬ 
selben mit der Schere aufgeschlitzt oder 
V förmig ausgeschnitten. 

Wenn unmittelbar nach beendigter Ope¬ 
ration der castrirte Hahn seine Federn schüt¬ 
telt und mit den Flügeln schlägt, so ist man 
sicher, dass die Castration von gutem Er¬ 
folge begleitet sein wird. Senkt er aber den 
Kopf und vermag er sich nicht auf den 
Beinen zu halten, lässt er ferner die Flü¬ 
gel hängen und hält die Augen halb ver¬ 
schlossen, so verzichte man lieber auf die 
geringen Chancen eines günstigen Ausganges 
und tödte das Thier sofort, um es wenig¬ 
stens als Suppengeflügel zu gebrauchen. Die 
Nahtligatur wird von selbst eliminirt und 
können nach wenigen Tagen die jungen Ka¬ 
paunen ins Freie gelassen werden. Am ersten 
und zweiten Tag bekommen dieselben in 
Milch aufgeweichtes Brot und werden in tro¬ 
ckenen, vor Luftzug geschützten Räumen ge¬ 
halten. Die Sterblichkeit mag bei einiger Fer¬ 
tigkeit zwischen 2 und 7% der Operirten 
betragen, was in Anbetracht des geringeren 
Werthes und der Benützung der missglückt 
Operirten als ein günstiges Resultat bezeichnet 
werden kann. In Frankreich (Bresse) gibt es 
Frauen, die in dieser Operation eine solche 
Uebung und Fertigkeit erlangen, dass sie von 
hundert kaum ein bis zwei Stück verlieren 
und zur Ausführung der Operation nie mehr 
als zwei Minuten verwenden. 

Die Castration der Enten, Gänse etc. ist 
insofeme schwieriger, als der Finger des 
Operateurs meistens zu kurz ist, um bei 


diesen Thieren die Testikel bequem abstreifen 
zu können. Die Kapaunen erreichen ein Ge¬ 
wicht von 2*5—3kg und darüberund reprä- 
sentiren somit einen Geldwerth von 4 bis 
7 Mark. Es wäre daher sehr zu wünschen, 
dass diese Operation ausser Frankreich eine 
rössere Verbreitung finden würde, indem 
ie Nachfrage nach gutem Geflügel immer 
grösser wird. 

B. Castration bei weiblichen Thieren. 

Die Castration weiblicherThiere wird eben¬ 
falls von den älteren Schriftstellern erwähnt, 
so führen Aristoteles (384—321 v. Chr.) und 
Plinius der Aeltere (23—79 n. Chr.) die Ca¬ 
stration des weiblichen Kameeles und des 
Schweines an. Dieselbe besteht in der Extir- 
pation der Eierstöcke und dient theils als 
Heiloperation (bei Entartung), theils zur Ver¬ 
folgung ökonomischer Interessen (Mastfähig¬ 
keit, erhöhte Brauchbarkeit etc.); sie wird 
jedoch wegen der schwierigeren Ausführung 
und grösseren Gefahr seltener als die Ca¬ 
stration männlicher Thiere vorgenommen. Im 
Allgemeinen sind die weiblichen Geschlechts¬ 
organe nach dem gleichen Typus wie die¬ 
jenigen männlicher Thiere zusammengesetzt 
und bestehen aus folgenden Theilen: 1. Den 
am Eingang des Beckentheiles der Bauch¬ 
höhle befindlichen Eierstöcken; 2. den Fallo- 
pischen Röhren; 3. der Gebärmutter sammt 
ihren Hörnern; 4. der Scheide und 5. dem Wurf. 

Die Eierstöcke (Ovarien) sind ge¬ 
paarte Geschlechtsdrüsen von länglich-rund¬ 
licher Gestalt; sie bestehen aus einem Binde- 
gewebsstroma, in welchem die Eierstockblasen 
(Graafsche Follikel) in verschiedener Anzahl 
eingebettet sind und das Ei enthalten. Nach 
Berstung der Graafsehen Follikel entwickeln 
sich durch Bildung einer bindegewebigen 
Narbensubstanz die sog. gelben Körper, welche 
jedoch nach einigen Monaten zum grössten 
Theile wieder resorbirt werden. Die Eier¬ 
stöcke sind mit einer fibrösen Hülle versehen 
(Tunica propria), über welche ein vom Bauch¬ 
fell stammender seröser Ueberzug sich breitet. 
Jeder Eierstock hängt an der inneren (me¬ 
dialen) Fläche des breiten Mutterbandes, wo 
er durch zwei Bandverstärkungen (das obere 
und das untere Eierstockband) theils an dem 
vorderen Rande desselben, theils an dem Ge¬ 
bärmutterhorn fixirt wird (Fig. 338). Ganz in 
dessen Nähe und theilweise mit ihm verbunden 
befindet sich die von zwei serösen Blättern 
gebildete trichterförmige Muttertrompete, an 
deren freiem Rande zarte und zackige Fort¬ 
sätze (Fransen) Vorkommen. Vom Grunde 
dieses Trichters setzt sich eine geschlängelte 
Röhre zwischen den beiden Blättern des breiten 
Mutterbandes (der Eileiter) bis zun» Gebär- 
mutterhorne fort. Die Gebärmutterhörner sind 
Verlängerungen des Gebärmutterkörpers, 
welche die Form eines Schlauches haben und 
nach vorn und aussen divergiren. Ihre Wan¬ 
dungen sind wie diejenigen der Gebärmutter 
selbst aus drei Häuten zusammengesetzt: 
1. Einer Schleimhaut, welche die innere Aus¬ 
kleidung darstellt: 2. einer Muskclschichte 


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90 


CASTRATION. 


und 3. einer serösen Umhüllung, welche von 
den breiten Mutterbändein stammt. Die letz¬ 
teren entstehen aus dem Lenden- und Nicren- 
theile des Bauchfelles und sichern die Lage 
der Gebärmutter und ihrer Hörner, an deren 
concaven Rändern sie sich befestigen. Weiter 



Fig. 338. Rechter Eierstock der Kuh. U rechtes Gebärmutter¬ 
horn, L breites Mutterband, 1/ dessen vorderer Rand, 
0 Eierstock, R Rauch fellfalte, an welcher derselbe aufge¬ 
hängt ist, S oberes Eierstorkband, T unteres Eierstock¬ 
band, A. EierstockaTterie, V Eierstockvene, I Eileiter, 
P Muttertrompete, X deren gefranster Rand, Z Einmttn- 
dnng des Eileiters in das Gebärmutturborn. (Nach Leisering.) 

hinten am Beckeneingange schnürt sich der 
Gebärmutterkörper ein und bildet den Gebär¬ 
mutterhals (Collum uteri), an welchem die 
Muskelschichte eine bedeutende Stärke be¬ 
sitzt. Die Höhlung der Gebärmutter com- 
municirt nach rückwärts durch einen engen 
Canal mit der Scheide (Vagina). Dieser enge 
Canal besitzt somit eine vordere Oeffnung 
nach der Gebärmutter (innerer Muttermund) 
und eine hintere Mündung nach der Scheide 
(äusserer Muttermund), welche letztere mehr 
oder weniger stark in die Höhlung der Vagina 
hervorragt. Die Scheide stellt einen geräumigen 
Vorhof dar, an dessen unterer Wandung die 
Hamröhrenmündung vorkommt; zwischen 
dieser und der äusseren Scheidenöffnung be¬ 
findet sich der Kitzler (Clitoris). Die Scheide 
liegt in der Beckenhöhle unmittelbar unter 
dem Mastdarme und ist mit diesem und mit 
den Beckenwandungen durch lockeres Binde¬ 
gewebe verbunden. Nur der vordere Theil ist 
mit einem serösen Ueberzuge, welcher vom 
Bauchfelle stammt, versehen; da wo der 
seröse Ueberzug den oberen vorderen Theil 
der Scheide verlässt, um den Mastdarm zu 
überziehen, entsteht eine Ausbuchtung, die 
„Excavatio recto-uterina u , welche bei der Ca¬ 
stration durch die Vaginalmethode eine wich¬ 
tige Rolle spielt (vgl. Fig. 347). Unter dem 
vorderen Ende der Scheide zwischen ihr und 
der Harnblase bildet das Bauchfell ebenfalls 


eine Ausbuchtung, welche als Blasen-Trag- 
sackausbuchtung (Excavatio vesico-uterina) 
bezeichnet wird. Es besitzt somit die Scheide 
nur vorne einen serösen Ueberzug, während 
weiter rückwärts dieselbe in losem und weit¬ 
maschigem Bindegewebe gelagert ist. 

Bei der Castration weiblicher Thiere 
müssen die Eierstöcke aus der Bauchhöhle 
herausgenommen werden und können hiezu 
mehrere Methoden in Anwendung kommen, je 
nachdem dieselbe von dieser oder jener Seite 
geöffnet wird. Die Oeffnung der Bauchhöhle 
zum Zwecke der Castration kann bei den 
weiblichen Hausthieren von vier Seiten aus 
geschehen: 1. Durch die Flanke, 2. durch 
die Scheide, 3. durch die weisse Linie 
und 4. durch den Mastdarm. Die erste, 
als Flankenmethöde bekannt, ist die älteste 
und kann bei allen Hausthieren zur Anwen¬ 
dung kommen. Die zweite und die vierte 
können nur bei grösseren und die dritte nur 
bei kleineren Thieren ausgeführt werden. 

Die Castration der Kuh. Unter den 
grösseren Thieren nimmt die Castration der 
Kuh den ersten Rang ein und wird deshalb 
hier zuerst beschrieben. Diese Operation hat 
keineswegs einen ausschliesslich modernen Ur¬ 
sprung, indem dieselbe schon von Olivier de 
Serres in seinem „Thöätre d’agriculture“ 
(1600) unzweifelhaft erwähnt wird. Nach 
Delabtre-Blain (1803) ist die Castration der 
Kuh in England im letzten Jahrhundert häufig 
ausgeführt worden. Es scheint jedoch dieselbe 
im ersten Drittel des gegenwärtigen so ziem¬ 
lich selten vorgekommen zu sein. Nachdem 
nun im Jahre 1831 in einer industriellen 
Zeitschrift ein Aufsatz über die von Thomas 
Winn im Natchezlande (Louisiana) ausge¬ 
führte Castration der Kühe erschienen war, 
verbreitete sich diese Operation nicht nur in 
den Vereinigten Staaten sondern auch in 
Europa wieder. So publicirte Levrat, Thierarzt 
in Lausanne (Schweiz), im Februar 1833 über 
die von ihm ausgeführte Castration der Kuh 
eine kurze Abhandlung. Um die gleiche Zeit 
operirte Trachsler in Oerlikon bei Zürich nach 
der nämlichen Methode. Von da an wird diese 
Operation häufig Gegenstand von Aufsätzen 
in der Veterinär-Literatur, so von Regere (1834), 
Putot (1838), Lorin (1841), Aubin (1845), 
Rey (1847), Seifert aus Steiermark (1847), 
Charlier(1850), Prangö(1850), Colin (1858) etc. 

Die Castration der Kuh wird zum Zwecke 
der Entwicklung der Mastfahigkeit, sowie der 
Verlängerung der Lactationsperiode nach zwei 
Methoden ausgeführt: die Castration durch 
die Flanke (Levrat) und die Castration 
durch die Scheide (Charlier). 

Die von Charlier sehr warm empfohlene 
Castration der Kühe soll nach demselben 
hauptsächlich folgende Zwecke erfüllen: 
1. Grössere Mastfahigkeit. 2. grössere Milch- 
secretion, 3. schmackhafteres Fleisch. Was 
jedoch die grössere Milchsecretion anbelangt, 
so lässt sich dieses nur behaupten von Kühen, 
die vor der Operation durch krankhaft erhöhten 
Geschlechtstrieb für die Lactationsperiode, 
in welcher sie sich befanden, zu wenig Milch 





CASTRATION. 


91 


lieferten. Die Milehsecretion kann allerdings , 
über 20 Monate nach der Operation andauern, j 
jedoch eibt es eine Menge von Fällen, wobei ' 
eine bedeutende Abnahme der Milehsecretion \ 
eintrat. Der Hauptvortheil der Castration , 
liegt indessen in dem Umstande, dass die 
Thiere, die dann keine Milch mehr geben, 
bereits gemästet erscheinen. Kühe sollten 4 
bis 6 Wochen nach dem Gebären des 4., 5. 
bis 6. Kalbes castrirt werden. 

Castration durch die Flanke. Diese 
Operation wurde von Levrat an der linken, 
später von Putot, Desbans, Rey, Charlier etc. 
an der rechten Flanke aasgeführt. Die mei¬ 
sten Operateure schnitten die Rauchwand 
schichtenweise bis zum Peritonaeum in schiefer 
Richtung von der oberen Flanke aus durch, so 
dass die Wunde circa 12—15 cm Länge erhielt 
(Fig. 339). Dann wurde die Hand und der Arm 
durch die erzeugte Oeffnung eingeführt und die 



Fig. 339. Castration dnreh Flanken schnitt nach Levrat. 

Ovarien durch Torsion oder Ausschälen ent¬ 
fernt, worauf die äussere Wunde mittelst 
Zapfen- oder Kürschnernaht verschlossen 
wurde. Obschon diese Castrationsmethode bis 
zum Jahre 1850 die einzige war, die zur Aus¬ 
führung gelangte, wird sie heutzutage von 
keinem Thierarzt mehr unternommen, indem 
die neuere Methode weit günstigere Resultate 
liefert. 

Castration der Kühe durch die 
Scheide. Charlier veröffentlichte im Jahre 
1850 eine neue, von ihm erfundene Castra¬ 
tionsmethode, die darin besteht, die Ovarien 
durch einen Schnitt in der Wandung der 
Scheide zu erreichen und zu extirpiren. Die 
Vortheile dieser letzteren sind so gross gegen¬ 
über der Flankenschnittmethode, dass sie so¬ 
zusagen die einzig ausgeführte ist. Zudem ist 
dieselbe sehr einfach und leicht vorzunehmen: 
obschon bei einigen Operateuren die Zahl der 
mit ungünstigem Ausgange begleiteten Fälle 


, eine grosse ist, so kann dieses Resultat 
| nur auf die Operationsweise der Betreffenden 
' zurückgeführt werden; unter Beobachtung 
| aller Cautelen ist diese Operation keineswegs 
, zu den gefährlichen zu zählen. • 

Vor Allem lege der Operirende ein grosses 
Gewicht auf die richtige Answahl der Thiere; 
alte, anämische und abgezehrte phtisische 
Kühe, die von den Landwirthen gleichsam 
als erstes Probirstück dem Thierarzte zur 
Operation übergeben werden, dürfen überhaupt 
aus leicht begreiflichen Gründen nicht verwen¬ 
det werden. Insoferne keine Ernährungsstörung 
eingetreten, bieten nymphomanische (stier- 
süchtige) Thiere nicht eine besondere Ge¬ 
fahr, cs sei denn, dass deren Ovarien be¬ 
deutenden Umfang aufweisen würden, was 
übrigens durch Exploration durch den Mast¬ 
darm leicht im voraus ermittelt werden kann; 
Thiere mit chronischen Flüssen aus Scheide 
und Gebärmutter müssen vorher durch ratio¬ 
nelle Behandlung von dieser Erkrankung ge¬ 
heilt werden. 

Die zu castrirende Kuh wird Abends zu¬ 
vor schon etwas knapp und am Opera¬ 
tionsmorgen gar nicht gefüttert. Die Opera¬ 
tion kann am besten im Stalle geschehen, 
insoferne zu beiden Seiten des Thieres freier 
Platz zur Aufstellung der Gehilfen übrig ge¬ 
lassen wird. Der Kopf der Kuh wird an der 
Krippe kurz angebunden und durch einen 
Gehilfen gehalten; zu beiden Seiten des 
Kreuzes wird je ein kräftiger Mann, wovon 
der eine den Schwanz des Thieres zur Seite 
zieht, aufgestellt. Einige Operateure lassen 
von diesen Letzteren je einen armdicken Holz¬ 
sparren kreuzweise unter dem Bauche und 
neben den Flanken des Thieres halten. Diese 
leicht auszuführende Befestigungsmethode ist 
ebenfalls bei Untersuchungen der Becken¬ 
organe sehr zu empfehlen, jedoch in Folge 
eigener Erfahrung nicht unumgänglich noth- 
wendig. Rathsam ist es, vor der Operation 
die Thiere eine bis zwei Minuten lang im 
Hofe herumzuführen, damit der Mastdarm 
entleert werde. Das Einführen der Hand in 
den Mastdarm zum Zwecke der Entleerung 
desselben sollte vom Operateur vor der Ope¬ 
ration vermieden werden, da unmittelbar nach¬ 
her die gleiche Hand in die Bauchhöhle ge¬ 
führt wird. Nun wird eine l%ige wässerige 
Carbollösung in die Scheide, wenn aus der¬ 
selben der geringste Ausfluss bemerkbar ist. 
eingespritzt. Die Hände werden sorgfältig mit¬ 
telst derselben Carbollösung, die in genügender 
Menge (3—41) vorhanden sein muss, gewaschen. 
Einer besonderen Prüfung sind die Nägel zu 
' unterziehen; überhaupt wird nach den Grund¬ 
sätzen der strengen Antisepsis gehandelt. 
Wenn mehrere Operateure trotz Missachtung 
dieser Vorschrift mit Erfolg operiren, so ist 
doch diese Vorsicht bei der Castration einer Kuh 
niemals ausser acht zu lassen. Alle später zu 
gebrauchenden Instrumente werden bis zu ihrer 
Verwendung in besagte Lösung getaucht. Nun 
wird die mit reinem Baumöl oder Fett über- 
strichene Hand über den vorher Teingewa¬ 
schenen Wurf einigemale gestrichen, wodurch 



92 


CASTRATION. 


die Thiere an die Berührung gewohnt werden. 
Zunächst wird die leere rechte Hand lang¬ 
sam in die Scheide eingeführt, der Mutter¬ 
mund aufgesucht und zugleich die normale 
Beschaffenheit der Scheide constatirt, hierauf 
wird nun die eigentliche Operation nach ver¬ 
schiedenen Verfahren ausgeführt. 

Verfahren von Charlier. Charlier ver¬ 
wendet zur Castration der Kühe durch die 
Scheide 1. einen Scheidenspanner, 2. ein ver¬ 
borgenes Bistouri, 3. eine lange Schere, 
4. eine Eierstockzange und 5. einen Finger¬ 
hut. Der Scheidenspanner (Fig. 340) besteht 
aus einem polirten gebogenen Stahlstab, an 
welchem gegen vorne ein ca. 2 cm langer und 
dünner, jedoch abgerundeter Stift zum Ein¬ 
führen in den Muttermund angebracht ist; 
dieser Stab ist ferner mit einem gefensterten, 
flachen, nach rückwärts gebogenen Fortsatz 
versehen, durch dessen Oeffhung die obere 
Scheidenwand eingeschnitten wird. Seitlich 
und abwärts befinden sich ca. 2 cm breite 
flache Stahlfedern, welche mit dem vorderen 
Theil der Stange charnierartig verbunden 
sind. Diese Federn können mittelst einer 
Schraubenvorrichtung, welche sich am Hefte 
des Instrumentes befindet, aus der sie zur 
Hälfte einhÜllendenHülse bogenförmig gespannt 
werden (Fig. 341). Das verborgene Bistouri 


Fig. 341. Geöffneter Scheiden- 
spanner von Charlier (von Oben 
gesehen). 

hat die Form eines Hakenmessers und kann 
zwischen den beiden Hefttheilen durch einen 
Knopf zurückgezogen werden (Fig. 342 und 343). 
Der Fingerhut hat die Form eines solchen und 
ist am Ende offen und mit kantigen Rändern 
versehen (künstlicher Nagel) (Fig. 345). Die 



Fig. 340. Geschlos¬ 
sener Scheiden¬ 
spanner von Char¬ 
lier. 



Eierstockzange besteht ans einer Art grosser 
federnder Pincette mit gefensterten und ein¬ 
gekerbten Binden. Ihr Verschluss wird mittelst 




Fig. 344 Haltung des verborgenen Bistouri. 

einer etwas conisch erweiterten röhrenförmigen 
Hülse, welche über die zwei federnden Arme 
geschoben wird, bewerkstelligt (Fig. 346). 

Die Operation selbst wird in 
folgender Weise vorgenommen: Zu¬ 
nächst wird die linke eingeölte Hand 
in die Scheide gebracht, dann der 
geschlossene Scheidenspanner ein¬ 
geführt, am Muttermund fixirt und 
aufgespannt, wodurch die Wandun¬ 
gen der Scheide weit ausgedehnt 
werden. Die linke Hand wird her¬ 
ausgezogen und nun die mit dem ver¬ 
borgenen Bistouri bewaffnete rechte 
Hand in die Höhlung der Scheide 
eingeführt. Das Bistouri wird ge¬ 
öffnet und so in der vollen Faust 
gehalten, dass der Rücken dessel¬ 
ben gegen den Muttermund, die 
Schneide nach dem Scheideneingang 
gerichtet ist (Fig. 344). Die Spitze des 
Instrumentes wird in 
den vorderen Winkel 
des am Scheidenspan- 
ner befindlichen Fen¬ 
sters in die Wand der 
Scheide eingestochen 
und der Schnitt ge¬ 
gen den Operateur 
in der ganzen Aus¬ 
dehnung des Fen¬ 
sters nach hinten er¬ 
weitert (Fig. 347). 



Fig. 


Fig. 345. Finger¬ 
huk nach Charlier. 


346 . 
Eierstock- 
z&nge nach 
Charlier. 




CASTRATION. 


93 


Durch Nachfühlen mit dem gestreckten Zeige¬ 
finger wird die erzeugte Wunde geprüft 
und sollte das Peritonaeum nicht durch¬ 
schnitten worden sein, der Schnitt wie¬ 
derholt. Hierauf wird der Scheidenspanner, 
der nun nicht mehr nothwendig ist, ge¬ 
schlossen und behutsam zurückgezogen, 
nachdem das Bistouri beim Herausziehen der 
Hand aus der Scheide entfernt worden. Die 
rechte Hand wird nun wieder eingeführt und 
zwei Finger (Zeige- und Mittelfinger) durch 
die erzeugte Wunde in die Bauchhöhle ge¬ 
streckt und der linke Eierstock gesucht. Das 
Auffinden des Eierstockes ist keineswegs 
schwierig; wenn der Schnitt richtig ausgeführt, 
findet man denselben an der inneren Fläche 


mittelbar über denselben eingeklemmt und 
weiter oben mittelst der, mit oder ohne Fin¬ 
gerhut bewaffneten Hand festgehalten, wor¬ 
auf die Trennung des Eierstockes durch 
Drehen der Zange erfolgt (Fig. 350 u. 351). 

Der gegenüberliegende Eierstock wird 
nun mit der anderen Hand in gleicher Weise 
in die Scheide gezogen und extirpirt. Charlier 
gebrauchte in letzterer Zeit statt des cora- 
plicirten und theueren Scheidenspanners einen 
einfachen Scheidenhalter (fixateur du vagin) 
(Fig. 352 u. 353). Das von ihm aufgestellte 
Verfahren hat viele Modificationen erhalten, 
wovon die folgenden am meisten bekannt 
sind: 

Verfahren von Colin. Colin verwendet 



Fig. S47. Cutration der Kuh nach Charlier. a Beckensymphytm, b Excavatiu veaico uterina, c Harnblase, 
d Excaratio recto uterina, e Gebärmutter mit dem rechten Horne and Eistocke, f Mastdarm. 


des unmittelbar seitlich der Oefinung befind¬ 
lichen breiten Mutterbandes meistens etwas 
nach abwärts angehängt. Derselbe wird zwi¬ 
schen die beiden Finger gefasst und in die 
Scheide gezogen, worauf die geschlossene 
Eierstockschere (Fig. 348) eingeführt wird. 
Mittelst der letzteren wird der unten dick 
anzuffihlende Theil des Bandapparates des 
Eierstockes (unteres Eierstockband) 1 cm tief 
einge8chnitten(Fig.349) und die Schere wieder 
entfernt. Nun wird, während der Eierstock 
immer noch in der Scheide festgehalten wird, 
die geschlossene Eierstockzange eingeführt, 
der Eierstock gefasst und die Bandinasse un- 


nur drei Instrumente. 1. ein convexes Bi¬ 
stouri mit verschiebbarem stumpfem Schneide - 
decker (Fig. 354), 2. eine Eierstockzange 

(Fig. 355) und 3. eine Charnierklammer zum 
Halten des Eierstockbandes während der 
Torsion (Fig. 356). 

Die Operation differirt von derjenigen 
von Charlier in folgenden Punkten: 1. Ein¬ 
facheres Instrumentarium, weil kein Scheiden- 
Spanner und keine Schere erforderlich ist; 
2. der Schnitt wird in der Weise ausgeführt, 
dass er von hinten nach vorne geschieht. 
Indem kein Scheidenspanner in Gebrauch 
kommt, wird die obere Scheidenwand durch 


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94 


CASTRATION. 




Fig. 349. Einschneiden des Eierstockbandes mittelst der Schere. 


Fig. 348. Schere 
nach Charlier. 



Fig. 850. Ausführung der Torsion des Eierstockes mittelst der Eierstockzange. 


Fig. 351. Anwendung des Fingerhutes 
von Charlier. 



Fig. 352. Neuer Scheideuhalter von Charlier. 





Fig. 354. Scheidenbistouri 
von Colin. 


das Strecken des Armes gespannt; 3. wird 
statt des Fingerhutes eine Klammer gebraucht. 

Verfall re n von Busse. Derselbe be¬ 
werkstelligt die Ablösung des Ovariums mit¬ 
telst des Ecraseurs von Chassaignac. 

Verfahren von Prange. Prange unter¬ 
bindet das Eierstockband mittelst einer Ligatur, 
welche dann nach der Operation durch die 
Wunde nach aussen hängend bis zur Ab¬ 
lösung des von derselben eingeschnürten 
Theiles des Bandes belassen wird. Der Eierstock 
wird sogleich nach der Unterbindung abge¬ 
schnitten. 

Die Unterbindung des Eierstockbandes 
und der Eierstockarterie mittelst Catgut, 
welches dann kurz abgeschnitten und der 
Resorption in der Bauchhöhle überlassen wird, 


ist eine moderne Verbesserung, die alle Be¬ 
achtung verdient. Knüsei in Luzern ver¬ 
wendet hiezu selbst präparirtes starkes 
Catgut mit sehr günstigem Erfolge. 

Verfahren von J.Richter (in Schwein- 
furt). Derselbe zieht oberhalb des Mutter¬ 
mundes die obere Wand der Scheide zu einer 
Querfalte, welche dann mittelst einer langen, 
der Kante nach gebogenen Schere (Fig. 357) in 
der Mittellinie durchschnitten wird. Die 
Wunde wird mit den Fingern erweitert und, 
nachdem der Eierstock in die Scheide gezo¬ 
gen. dessen Bänder mittelst einer im rechten 
Winkel gebogenen Zange (Fig. 358) festge¬ 
halten, worauf der Eierstock durch Torsion 
abgetrennt wird. Hiebei kann unter Umstän¬ 
den ein messerförmiges Instrument in der 



CASTRATION. 


95 


Form einer rechtwinkelig gebogenen Baum¬ 
schere zum Abschaben des Eierstockbandes 
verwendet werden. 

Verfahren von Bösenroth. Bei die¬ 
sem Verfahren wird eine Längsfalte der 
Scheidenwand gebildet und diese 
mittelst einer der Fläche nach ge¬ 
bogenen Schere eingeschnitten. In 
dieser Weise bekommt der Schnitt 
eine quere Richtung zur Längsachse 
der Scheide. 

Verfahren von G. Richter 
in Bischoffsheira. Derselbe bildet eine 
Querfalte, welche von ihrer Basis 
aus mittelst eines ein geführten gera¬ 
den Messers durchgestochen und 
nach abwärts durchgeschnitten wird. 
Nachdem der Eierstock in die Scheide 
gezogen, wird das untere, dann nach 
Umdrehen des Bandapparates auch 
das obere Eierstockband eingeschnit- 
ten und der Eierstock durch Tor¬ 
sion abgelöst. 

Verfahren von Wallraff in 
Chur. Derselbe, welcher im Canton 
Graubünden viele Kühe castrirte, 
verwendete nur ein stark geballtes, 


Fi*. 855. 
Eierstock - 
zange nach 

Colin. 



Fig. 356. Klammer von Colin. 


Fig. 357. Richter'sche Schere. 

gewöhnliches Bistouri, um den Scheiden¬ 
schnitt in gleicher Weise wie Colin aus¬ 



zuführen. Den Eierstock löste er mittelst des 
Daumennagels von seinen Verbindungen los. 

Verfahren von Walther. Walther ver¬ 
wendet einen gefensterten Scheidenhalter 
(Fig. 359), uni den Schnitt nach Charlier aus¬ 
zuführen. Beim Hineinziehen der öfters ver- 
grösserten Ovarien unterstützt derselbe die 
Wandung der Scheide mittelst einer von 
aussen gehaltenen Richter’schen Zange. Der 
Eierstock wird dann mit der Hund abgedreht. 



Alle oben erwähnten Verfahren werden 
mit mehr oder weniger Variationen von den 
praktischen Thierärzten ausgeführt: sehr 
selten ist es, wenn Einer nach einiger Er¬ 
fahrung nicht in irgend einem Punkte eine 
Abänderung vornimmt und kann deshalb be¬ 
hauptet werden, dass die Castration der 
Kühe mit so vielen Varianten, als es Operateure 
gibt, zur Ausführung gelangt.Diese Erscheinung 
ist auch begreiflich, da die Erfahrung die 
an jedem Verfahren haftenden Mängel zur 
Erkenntniss bringt und die individuelle Ge¬ 
schicklichkeit bald diesen, bald jenen Vor¬ 
theil ausnützt. Ueber die angeführten Ver¬ 
fahren lassen sich folgende auf Erfahrung 
basirte Beurteilungen angeben: 

Das Charlie r’sche V e r f a h r e n erfordert 
eine zu grosse Anzahl Instrumente, welche 
theuer sind: der Scheidenspanner und der 
Seheidenhalter sind leicht zu entbehren. Das 
Colin’sche Verfahren bietet den grossen 
Vortheil der Vereinfachung, die Anwendung 
der Klammer ist indessen von geringerem 
Effect als der Fingerhut von Charlier. Die 
Ausführung des Schnittes ohne Scheiden- 
spanuer kann mit dem Colin’schen Messer 



96 


CASTRATION. 


sehr leicht, exact und gefahrlos bewerkstelligt 
werden. Dieses Verfahren ist übrigens auch 
deswegen am meisten verbreitet. Das Ver¬ 
fahren von Busse, wobei zur Ablösung des 
Eierstockes ein Ecraseur verwendet wird, be¬ 
sitzt bedeutende Vortheile, da eine Torsion 
und eine Zerrung des Bandapparates voll¬ 
ständig vermieden wird, jedoch erfordert 
das Durchquetschen zu viel Zeit, während 
bei rascherem Vorgehen, wie die Erfahrung 
in letzter Zeit erwiesen, Verblutung durch die 
Eierstockarterie möglich ist. Beim Verfahren 
von PrangÖ, welches wohl selten zur Aus¬ 
führung gelangte, ist die Einwirkung einer 
nach aussen hängenden und bis in die Bauch¬ 
höhle reichenden gewöhnlichen Ligatur sehr 
zu befürchten, da dieselbe die Wundheilung 
verzögern muss und der Zutritt der Luft in 
die Bauchhöhle längere Zeit hiedurch ermög¬ 
licht wird. Die Anwendung einer aus starkem 
Catgut bestehenden Ligatur, wie sie Knüsei 
in Luzern gebraucht, ist als ein wesent¬ 
licher Fortschritt im Verfahren von Prange 
anzuführen, was indessen auch durch die 
günstigen Resultate bestätigt wird. 

Das Verfahren von J. Richter scheint 
den Vortheil zu bieten, dass Baucheingeweide 
weniger verletzt werden; dasjenige von 
Bösenroth hat wahrscheinlich wegen der 
Bildung eines zur Längsachse der Scheide quer 
verlaufenden Schnittes, wodurch leicht eine Ver¬ 
letzung der benachbarten Gebilde möglich ist, 
keine Verbreitung gefunden. Das Verfahren 
von G. Richter scheint Nebenverletzungen 
der Scheide beim Durchstechen der Scheiden¬ 
falte, sowie bei der Erweiterung des Schnittes 
zu leicht veranlassen zu können. 

Das Verfahren von Wallraff ist wohl 
das einfachste von allen, es lässt sich jedoch, 
besonders bei älteren Kühen, der Eierstock 
nicht immer leicht auslösen. Es bildet dieses 
den grellsten Gegensatz zum Charlier’schen 
Verfahren. Dasjenige von Walther lässt, ab¬ 
gesehen von der Verwendung eines Scheiden¬ 
halters, keine Nachtheile 
anführen. 

Das Verfahren von 
Weber lässt sich in 
gleicher Weise beurthei- 
lcn, wie dasjenige von 
Busse; bei diesem wird 
ebenfalls ein Ecraseur 
verwendet, dessen Kette 
jedoch durch einen Haken 
ersetzt wird (Fig. 360). 

Nach eigener Erfah¬ 
rung, gestützt auf durch¬ 
wegs günstige Erfolge, 
kann folgende Variante 
hier angeführt werden: 

Der Scheiden schnitt wird 
mit dem Colin’schen Bi¬ 
stouri ausgeführt, der 
Eierstock in die Scheide 
gezogen und ein am Ende 
gebogener Draht- oder 
Ketten-Ecraseur(Fig.361) 
unmittelbar über dem 



Fig 360. Ende des 
Web ergehen Ecraseur?. 


Eierstock angesetzt und rasch fest angezogen: 
hierauf wird der Eierstock mit der Hand 
einige Mal abgedreht und abgerissen; bei 
älteren Kühen ist das vorherige Einschneiden 
des unteren und oberen Eierstockbandes zur 
Erleichterung des Ablösens zu empfehlen 



A\ 


c 



[a 


8 

Fig. 861. Castraiion der Kuh. A Ecraseur (gekrümmt), 
a Schraube, b Flügelmutter, c Handhabe, d Eieretock, 
e Drmhtschlinge. 

Nach Ablösung des Eierstockes wird der 
Ecraseur ohne vollständige Durchquetschung 
des Bandapparates und der Arterie wieder 
geöffnet und entfernt. 

Die Vortheile dieser Operationsweise 
sind: 1. Die Verwendung weniger Instrumente; 
2. Sicherstellung des Bandapparates vor 
Weiterdrehung; 3. rascheres Operiren als 
dies beim Durchquetschen mit dem Ecraseur 
der Fall ist; 4. Verhütung der Blutung; 5. mög¬ 
lichste Beschränkung der comprirairten Stelle 
des zurtickbleibenden Eierstockes. 

Die bei der Castration der Kuh durch 
die Scheide überhaupt zu beachtenden Punkte 
sind folgende: 1. Grösste Reinlichkeit und 



CASTRATION. 


97 


Desinfection der Hände und der zu verwen¬ 
denden Instrumente; 2. Ausführung des Schei¬ 
denschnittes unmittelbar über dem Gebär- 
mattermund in der Richtung der Medianlinie; 
3. Verhütung der Ablösung des Bauchfelles 
beim EinfÜhren der Finger durch die Schei¬ 
denwunde; 4. Verhütung der Fortpflanzung der 
Drehung und Zerrung des breiten Becken¬ 
bandes beim Abdrehen des Eierstockes. — 
Die Gefahr der Verletzung innerer Organe 
(Mastdarm, Pansen, Dannschlingen) bei der 
Ausführung des Schnittes ist gering, sie wird 
meist von Ungeübten gefürchtet, während sie 
erfahrungsgeinäss nur bei ganz ungeschickter 
Haltung des Messers eintreten kann. (Beim Co* 
lin’schen Verfahren wird das Bistouri an der 
Klinge selbst zwischen Daumen und Zeige¬ 
finger gehalten.) 

Als interessant mag hier noch die von 
A. Trachsler, anlässlich der Eierstockunter¬ 
suchung stiersüchtiger Kühe, versuchte Ca¬ 
stration auf unblutigem Wege erwähnt 
werden. Diese Operation ist zwar nur 
experimentell (von Trachsler zuerst und dann 
von Berdez 1870) zur Ausführung gelangt. 
Obschon der günstige Ausgang der Versuche 
die Möglichkeit dieser Castrationsmethode 
dargethan, ist doch diejenige von Charlier weit 
überlegen. Es wurde in folgender Weise ope- 
rirt: Nachdem der Mastaarm ausgeräumt 
und die mit einer einfachen Schlinge ver¬ 
sehene Hand in denselben eingeführt, wurde 
der eine Eierstock aufgesucht und mit der 
Darmwand ins Lumen des Mastdarmes ge¬ 
zogen, worauf das Ganze durch die mittelst 
eines Schlingenträgers zugedrehte Ligatur 
festgehalten werden konnte (Fig. 362). 


schienen, ausser bei der Zuschnürung, keine 
besonderen Schmerzen zu empfinden, und 
trotzdem sie am ersten Tage öfters auf den 
Mastdarm drängten, behielten sie regen Appetit 
und stellte sich kein Fieber ein. Zur Vor¬ 
sicht wurden die Thiere mit etwas Glauber¬ 
salz gefüttert, um die Excremente weich zu 
erhalten. Zwischen dem 11. und 14 Tage 
lösten sich die abgebundenen Eierstöcke los: 
bei der eine Woche nachher vorgenommenen 
Section fanden sich die Operationsstellen ver¬ 
narbt, die breiten Mutterbänder theilweise 
mit dem Mastdarmüberzuge verwachsen und 
das Lumen des Mastdarmes nur etwas ver¬ 
engt. Es frägt sich, abgesehen von den übrigen 
Zufälligkeiten dieser Methode, ob die Ver¬ 
wachsung der breiten Mutterbänder mit der 
beweglichen Mastdarmwand nicht eine an¬ 
dauernde Reizung der in denselben verlaufenden 
Samennerven bedingen würde, was bei der 
kurzen Dauer des Experimentes nicht con- 
trolirt werden konnte. — Die Castration 
der Kühe hat namentlich als Heiloperation 
gegen Nymphomanie (Stiersucht) eine grosse 
Bedeutung; es ist jedoch ausdrücklich davor 
zu warnen, Thiere, welche an verbreiteter 
Tuberculosis leiden, zu operiren, da bei 
denselben die Castration mit zu grosser Ge¬ 
fahr verbunden ist. Die durch Eierstockcysten 
hervorgerufene Stiersucht braucht nicht immer 
durch die Ovariotomie beseitigt zu werden, da 
in diesem Falle die von Zangger empfohlene 
Zersprengung der Cysten durch die in den 
Mastdarm eingeführte Hand leicht bewerk¬ 
stelligt werden kann und welche unblutige 
und gefahrlose Operation bei sicherer Dia¬ 
gnose immer eine zeitweilige, sehr häufig eine 
bleibende Heilung des Zu¬ 
standes herbeiführt. 

Nachbehandlung. Ca- 
strirte Kühe werden nach 
der Operation häufig von 
kolikähnlichen Schmerzen 
befallen; dieselben pflegen 
jedoch nicht lange anzu¬ 
dauern und genügt in der 
Regel ein ruhiges Verhal¬ 
ten zu deren Beseitigung. 
Sehr wichtig ist die Be- 
Fig. 362. Schematische Darstellung der Castrationsmethode durch den Vastdarm. rücksichtigung der bei Wie- 
(Trachaler.) Von oben gesehen, a Vordere, b hintere MastdarmOffnung (After), derkäuern SO wichtigen Ver- 
c c EientAck«, d d breit. HetterUnd«. e e du Aetiehen der Ligatur. dauungsverhältnisse, indem 



Die endgiltige Unterbindung des von der 
Mastdarmwand überzogenen Eierstockes wurde 
mit einer sog. Castrirschlinge, an deren beiden 
Enden ein kurzes rundliches Holzstück be¬ 
festigt war, bewerkstelligt; hiebei musste, um 
Zerrungen zu vermeiden, das eine Ligatur¬ 
ende durch die weit in den Mastdarm einge¬ 
führte Hand nach vorne, und das andere 
von Aussen nach rückwärts gezogen werden. 
Der erste Eierstock wurde etwas weiter gegen 
die Bauchhöhle, der andere etwas mehr rück¬ 
wärts unterbunden, damit die Beiden einander 
gegenüberstehenden das Lumen des Mastdar¬ 
mes nicht zu sehr verengen. Die Ligaturenden 
wurden ca. 30 cm vom After entfernt abge¬ 
schnitten und hängen gelassen. Die Thiere 

Koch. Encjrkloptdie d. Thierheilkd. II. Bd. 


nach allen eingreifenden Operationen die Ru- 
mination bei denselben mehr oder weniger ge¬ 
stört ist; aus diesem Grunde ist es sehr zu 
empfehlen, den Thieren während 24—36 Stun¬ 
den keine feste Nahrung zu verabreichen, 
weil sich sonst gefährliche Indigestionen ein¬ 
stellen können. Während dieser Zeit gibt 
man den Thieren Mehltränke mehrmals des 
Tages* und beginnt nachher allmähg leicht 
verdauliches Futter zu füttern. Viele Thiere 
bekunden keine Temperaturerhöhung, scheinen 
von der Operation wenig afficirt und zeigen 
grossen Appetit; man wird in allen Fällen 
gut thun, vorsichtig zu sein, indem eine Fieber¬ 
bewegung sich in den nächsten Tagen noch 
immer einstellen kann. Die Milchsecretion 



98 


CASTRATION. 


wird durch die Castration nur in den ersten 
Tagen beeinträchtigt; es kann dieses sowohl 
der knappen Fütterung als der Operation 
selbst zugeschrieben werden. In vielen Fällen 
wird die Milchsecretion vermehrt, jedoch ist 
die erzielte Vermehrung nicht so beträchtlich, 
wie häufig behauptet wird. Will man die 
Milchsecretion berücksichtigen, so ist die Ca¬ 
stration 6—10 Wochen nach dem Werfen des 
Kalbes vorzunehmen, früher ist es wegen 
des Gebärmutterausflusses nur ausnahmsweise 
möglich. Bei vielen castrirten Kühen erhält 
sich die Milchsecretion 10—12, sogar über 
20 Monate; bei anderen tritt die Mastfähig¬ 
keit in den Vordergrund und sistirt die Milch¬ 
secretion bald nach der Operation, während 
sich ein ausserordentlich günstiger Ernährungs¬ 
zustand einstellt. 

Castration der Stute. Die Castration 
der Stute wird nur als Heiloperation ausge¬ 
führt; sie kommt deshalb auch seltener vor. 
In Anbetracht der grösseren Empfindlichkeit des 
Bauchfelles bei Pferden ist sie eine gefährliche 
Operation, welche nur gegenüberThieren in An¬ 
wendung kommt, die durch andauernde Ueber- 
reizung der Geschlechtsorgane ohne Gefahr 
nicht mehr gebraucht werden können und 
daher ein geringeres Risico bilden, indem sic 
in diesem Zustande wenig oder keinen Werth 
haben. Die anatomischen Verhältnisse der 
Geschlechtsorgane, welche bei der Castration 
der Stute zur Berücksichtigung gelangen, 
sind: 

1. Engerer Scheideneingang, wodurch 
das Einführen der Hand manchmal erschwert 
wird; 

2. grössere Entfernung der Ovarien von 
der Scheide, indem dieselben unter dem Psoas 
an verhältnissmässig kurzen Bändern befestigt 
sind; 

3. grössere Volumen der Ovarien, welche 
ein reichlicheres Bindegcwebsstroma besitzen; 

4. Vorkommen einer Bauchfell-Duplicatur, 
die eine Art Tasche bildet, Eierstocktasche 
genannt, in welcher der Eierstock theilweise 
versteckt liegt. 

Die Castration der Stute wird heutzutage 
durch die Scheide ausgeführt, da die übrigen 
Methoden; durch die Flanke und durch die 
Medianlinie der Bauchwand, viel mehr Gelegen¬ 
heit zu Eingeweidevorfällen und zu Peritonitis 
bieten. Die Operation wird in gleicher Weise 
wie bei der Kuh stehend ausgeführt, jedoch 
müssen folgende Modificationen eintreten: 
a) Der Scheidenschnitt muss 8—10 cm lang 
sein, um die ganze Hand in die Bauchhöhle 
gelangen zu lassen; b) die Eierstöcke können 
nur selten in die Scheide gezogen werden 
und müssen deshalb in der Bauchhöhle, 
nachdem die Ränder der zwei Eierstock¬ 
bänder eingeschnitten, abgedreht werden. Die 
Nachbehandlung ist dieselbe wie bei der 
Kuh und soll der Vorsicht halber länger fort¬ 
gesetzt werden. 

Ovariotomie beim Schafe. Weibliche 
Schafe werden jetzt weit seltener castrirt als 
früher. Die günstigste Zeit zur Operation ist 
ein Alter von 6—9 Wochen. Die Castration 


wird durch den Flanken schnitt (links) ausge¬ 
führt. Der Eierstock wird durch Herausziehen 
des betreffenden sehr langen und gewundenen 
Gebärmutterhomes, an dessen Ende er sich 
befindet, leicht gefunden und durch Abdrehen 
oder einfaches Abschneiden extirpirt. Die 
Hautwunde wird mittelst Kürschnernaht ge¬ 
schlossen und die Naht nach 10—12 Tagen 
entfernt Nach Daubenton sollen die castrirten 
Lämmer nur am ersten Tage krank erschei¬ 
nen, indem sie nicht saugen und steifen Gang 
zeigen. 

Die Castration der Ziege, die noch sel¬ 
tener unternommen wird, kann auf gleiche 
Weise ausgeführt werden, soll aber gefähr¬ 
licher sein. 

Die Castration des weiblichen 
Schweines wurde früher bei Thieren ge¬ 
meiner Rassen sehr häufig ausgeführt; durch 



Fig. 863. Geschlechtsorgan© des weiblichen Schweines, von 
oben gesehen, ft ft Eierstöcke, b b Muttertrompeten mit 
Eileiter, c c Geb&rmutterhörner, d Harnblase, e Gebärmutter - 
hals 

die Einführung der englischen frühreifen und 
mastfähigeren Rassen ist die Castration der 
weiblichen Schweine nicht mehr nothwendig, 
da dieselben sich ohnedies leicht mästen 
lassen. Das günstigste Alter zur Castration 
ist dasjenige von 6—12 Wochen, 
es können jedoch ältere Mutter¬ 
schweine ohne zu grosser Gefahr 
castrirt werden. 

Die Ovarien des Schwei¬ 
nes sind an ihrer Oberfläche 
ganz besonders bei älteren Thie¬ 
ren uneben; die Mutterbänder 
lang und die Gebärmutterhömer 
vielfach gewunden (Fig. 363). Ca¬ 
stration durch Flankenschnitt; 
Zur Operation verwendet man 
ein geballtes Bistouri oder 
ein sogenanntes Castrirmesser 
(Fig. 364), eine Schere, und eine 
Wundnadel mit Ligatur. Die 
Fig. 364. Castrir- Thiere werden je nach ihrer 
messer. Grösse auf einem Tisch oder 

auf dem Boden an der linken Flanke ope- 
rirt. Der Flankenschnitt wird einige Centi- 
meter vom äusseren Darmbeinwinkel in schiefer 




CASTRATION. 


99 


Richtung nach vorn und unten und in einer 
Awdehnang von 3—3% cm ausgeführt. Man 
braucht hierbei nicht die ganze Dicke der 
Bauchwand zu trennen, da die Bauchmusku¬ 
latur und das Bauchfell sehr leicht mittelst 
des gestreckten Zeigefingers durchgestossen 
werden kann, was zur Vermeidung der Los¬ 
lösung des Peritonaeums von der Bauchwand 
rasch und unter bohrender Bewegung zu ge¬ 
schehen hat. Ist der Finger in die Bauchhöhle 
gelangt, so sucht man den gewundenen Theil 
des linken Gebärmutterhomes auf, zieht es 
in die Wunde und bringt dessen vorderes 
Ende nach aussen, worauf der Eierstock leicht 
aufgefunden wird; nach Ablösung durch Ab¬ 
drehen oder Abschneiden kann mittelst des 
herausgezogenen linken Gebärmutterhomes 
das rechte erreicht und durch Nachziehen der 
rechte Eierstock gefasst und operirt werden. 

Die äussere Wunde wird mittelst Kürsch- 
nemaht geschlossen. Weibliche Schweine 
können auch von der weissen Linie aus operirt 
werden (chinesische Methode); bei dieser Me¬ 
thode wird eine Sonde durch die Scheide bis 
in die Gebärmutter geführt, dann die Bauch¬ 
wand in der Mittellinie, 6—8 cm vom Scham¬ 
beinrand, in der Ausdehnung von 3—4 cm ge¬ 
öffnet. Durch Bewegen der Sonde wird die 
Gebärmutter nahe an die Oeflhung gebracht 
und mittelst eines stumpfen Hakens hervor¬ 
gezogen, worauf wie bei der Flankenmethode 
verfahren wird. 

Zum bequemen Operiren können hierbei 
die Thiere an den Hinterbeinen aufgehängt 
werden, was den Vortheil hat, dass die Ein¬ 
geweide der BauchöfFnung weniger anliegen. 

Castration der Hündin. Hündinnen 
werden wegen des (für deren Besitzer) lästigen 
Läufigwerdens hin und wieder castrirt. Die 
Operation wird in gleicher Weise, wie beim 
Schweine, ausgeführt, nur ist zu bemerken, 
dass der Bauchschnitt höher angebracht sein 
muss und dass der rechte Eierstock sehr 
häufig wegen der kürzeren breiten Mutter¬ 
bänder nicht nach Aussen gebracht werden 
kann, was dann einen zweiten Bauchschnitt 
auf der rechten Seite bedingt. Wenn auch 
beide Schnitte am gleichen Tage ausgeführt 
werden können, so ist es doch rathsam, vier¬ 
zehn Tage abzuwarten. 

Die Anwendung der chinesischen Methode 
ist nicht zu empfehlen. 

In allen Fällen ist das Aufsuchen der 
leichter zu findenden Gebärmutterhörner als 
das der Eierstöcke anzurathen. 

Die Castration der Hündin bietet keine 
grosse Gefahr, da die Sterblichkeit 2: 70 be¬ 
tragen kann (Berdez). 

Die Castration der Katze wird selten 
verlangt und bietet zwei Schwierigkeiten: 
Das Fesseln des Thieres und das Auffinden 
des gerstenkorngrossen Eierstockes. In einem 
gegebenen Falle wurden die zwei hinteren 
Füsse des Thieres mittelst einer breiten 
Spiralbinde aneinandergeschlossen und deren 
Pfoten gut eingewickelt, während Kopf, vor¬ 
dere Gliedmassen und Brust in ein Stiefelrohr 
gesteckt wurden. Der Eierstock konnte nur 


durch Herausziehen der, unter dem in die 
Bauchhöhle eingeführten Zeigefinger, befind¬ 
lichen Eingeweide aufgefunden werden. 

Die Castration der Henne soll 
darin bestehen, dass der zwischen Sacrum 
und Mastdarm befindliche weissaussehende 
Eileiter durchschnitten wird (Fig. 365). Ein 
eigentliches Ablösen des Eierstockes ist nicht 
wohl ohne bedeutende Gefahr möglich. Die 
diesbezüglichen Versuche scheinen diese 
Schwierigkeit nur zu bestätigen und es fragt 
sich, ob überhaupt die Ovariotomie bei Vögel 
je unternommen wurde. Die Operation ist 
wenigstens nirgends mit Sicherheit auf¬ 
geführt. 



Fig. 365. Eierstock der Henne. Bei den Vögeln ist nur ein 
Ovariutn linkerseits vorhanden, das rechte ist rudimentär, 
a Schlund, b Luftröhre, cc Lungen, d Zwerchfell, e Ova- 
rinm in Traubenform, zosammengesatzt aus zahlreichen 
in der Entwicklung begriffenen Eichen, e' Barbe (Stigma), 
e" Narbenförmige Vertiefung (sog. Kelch) eines bereits ab¬ 
getrennten Eies, c"' sehr entwickeltes Ei, f sehr langer, 
breiter und beweglicher Eihilter, f Trichter des Eilei¬ 
ters, f" Eileiter, f"' Mündung des Eileiters in die Cloake, 
g Gekröse des Eileiters, h Cloake. 

C. Zufälle und ungünstige Kreignisse nach 
der Castration. 

1. Das Eindringen von Luft in die Bauch¬ 
höhle. 

Das Eindringen von Luft in die Bauch¬ 
höhle durch den offenen Leistencanal bei 
männlichen, sowie durch die offene Scheide 
oder Bauchwand bei weiblichen Thieren ist 
eine nicht selten vorkommende Erscheinung, 
welche häufig ohne üble Folgen begleitet ist, 
jedoch in einzelnen Fällen Veranlassung zur 
Bauchfellentzündung geben kann. Bei Pferden 
soll hiebei namentlich beim Aufstehen des 

7 * 



100 


CASTRATION. 


Thieres die Luft unter Bildung eines eigen¬ 
tümlichen Geräusches eindringen. Später ist 
dieses Eintreten von Luft in die Bauchhöhle 
durch die Schwellung des Samenstranges 
weniger möglich. Bei der Castration weib¬ 
licher Thiere durch die Flanke tritt trotz der 
geübten Vorsicht sehr häufig Luft ein, weniger 
aber bei der Castration durch die Scheide, 
da durch den äusseren Luftdruck in der Regel 
die Schamlippen an die Instrumente oder den 
Arm des Operateurs angedrückt werden und 
so ein hermetischer Verschluss erzielt wird. 
Das Eindringen der Luft muss durch alle 
Vorsichtsmassregeln möglichst verhütet wer¬ 
den, was in der Mehrzahl der Fälle gelingen 
mag; ist trotzdem Luft in die Bauchhöhle 
gedrungen, so lässt sich nur bei der Castra¬ 
tion der weiblichen Thiere durch die Flanke 
ihre Einwirkung auf das Bauchfell durch Ein¬ 
giessen reinen (nicht ranzigen) Baumöles in 
grösserer Menge schwächen. Ueble Folgen 
dieser scheinbar unzweckmässigen Behandlung 
hat die vielseitige Erfahrung nicht constatirt 
und ihre Anwendung im Gegentheil sehr vor¬ 
teilhaft erscheinen lassen. Bei experimentellen 
Versuchen in dieserHinsichthatman beobachtet, 
dass schon einige Stunden nach dem Ein¬ 
giessen das Oel mit der Serosität des Bauch¬ 
felles eine weissliche Fettemulsion bildet, die 
nach 24 Stunden beinahe vollständig resorbirt 
wird. 

2. Vorfällen des Darmes oder 
Netzes bei oder nach der Castration, a) Bei 
männlichen Thieren. Dieses sehr unangenehme 
Ereigniss stellt sich bei schon vorhandenen 
Hodensack- oder Leistenbrüchen oder in Folge 
Anwendung der Bauchpresse bei erweitertem 
Leistencanal während der Operation oder un¬ 
mittelbar nachher ein. Wenn Darm schlingen 
oder Netztheile sofort nach Oeffnung der 
Testikelhüllen hervorquellen, oder wenn be¬ 
merkt wird, dass der Leistencanal beim 
Zurückziehen der Hoden übermässig erweitert 
ist, so ist es rathsam, die Castration durch 
Kluppen oder Unterbindung mit bedeckten 
Testikeln, selbst wenn die allgemeine Scheiden¬ 
haut schon geöffnet worden wäre, auszuführen. 
In solchem Falle werden die Kluppen oder 
die Ligatur nach Reposition der vorgefallenen 
Baucheingeweide so hoch wie möglich ange¬ 
legt. Ist der Vorfall nach der Castration cin- 
getreten, so wird das Thier, selbst wenn der 
Samenstrang wegen Zurückziehung desselben 
nicht mehr zu erreichen wäre, m gleicher 
Weise operirt. Der Eingeweide Vorfall kommt 
bei Pferden und ganz besonders häufig bei 
Schweinen und Nagethieren, am seltensten 
bei Wiederkäuern vor. b) Bei weiblichen 
Thieren: Eingeweidevorfälle treten bei der 
Castration weiblicher Thiere sehr häufig 
während der Operation, ganz besonders bei 
der Castration der weiblichen Schweine und 
der Hündinnen ein. Bei diesen Thieren wird 
zur leichteren Auffindung des Eierstockes das 
Gebärmutterhorn hervorgezogen, wobei häufig 
Darmschlingen und auch Netzstücke nach 
aussen gelangen. Obschon solche Vorfälle 
keine besondere Gefahr bieten, so müssen die¬ 


selben so schnell wie möglich reponirt wer¬ 
den, was mit der Pulpa der eingeölten Finger 
zu geschehen hat. Sind indessen die ausge¬ 
tretenen Eingeweide durch Staub, Sand, Streu 
oder Excremente ntheilchen verunreinigt, so 
müssen dieselben vor ihrer Reposition durch 
vorsichtiges Ausspülen mittelst lauwarmen 
Wassers gereinigt werden. Darmschlingen 
dürfen nicht abgerieben werden, da sonst der 
Epithelialüberzug des serösen Ueberzuges 
Schaden leidet und sehr leicht peritonitische 
Zufälle dadurch bedingt werden. Verunreinigte 
oder längere Zeit der Luft exponirte Netz¬ 
theile können ohne Schaden mit der Schere 
amnutirt werden. Vorgefallene Eingeweide 
sina Verletzungen ausgesetzt und können 
durch dieselben gefährliche, oft tödtliche 
Complicationen herbeigeführt werden. 

3. Blutung. Die meisten Castrations 
methoden verdanken ihre Entstehung der Be¬ 
rücksichtigung dieses wichtigen Punktes. Sie 
stellt sich in Folge ungenügender Oblitera¬ 
tion der Samcngefässe ein und obschon die¬ 
selbe nur in seltenen Fällen die Verblutung 
des Thieres herbeizuführen vermag, kann sie 
durch übermässige Schwächung desselben 
dessen Ernährungsverhältnisse bedeutend mo- 
dificiren, selbst den Tod des Thieres bedin¬ 
gen. Die Blutung kann bei männlichen Thie¬ 
ren aus zweierlei Blutgefässen stattfinden: 
aus den Gefässen des Scrotums und aus den 
Gefässen des Samenstranges; der verursachte 
Blutverlust tritt bei und unmittelbar nach der 
Operation oder erst nach einiger Zeit ein. 
Man kann somit eine primäre und eine 
secundäre Blutung unterscheiden; die erstere 
entsteht sehr oft beim einfachen Ab¬ 
schneiden, Durchbrennen, Durchquetschen, 
Abdrehen, Abschaben und Zerreissen des 
Samenstranges, während die letztere meistens 
in Folge zu frühzeitiger Entfernung oder Ab- 
reissens der auf denselben angelegten Klup¬ 
pen beobachtet wird. Bei den Blutungen 
aus den Serotalwandungen (äussere Scham¬ 
arterien) kann die Blutstillung mittelst Kälte, 
Adstringentien etc. versucht werden, worauf 
die Tamponade angewendet wird. Zu diesem 
Zwecke wird die Sero tal wunde mittelst Werg, 
Carboljute oder besser Carbolwattc (im trocke¬ 
nen Zustande) ausgefüllt und die Scrotal- 
wundränder darüber durch die Naht ein¬ 
ander genähert. Nach 24 Stunden können 
dann die Hefte gelöst werden, aber die Aus¬ 
füllung kann in der Wunde bleiben, bis sie von 
selbst hcrausfällt. Bei Blutungen aus dem 
Samenstrang ist dessen Aufsuchen und das 
Anlegen einer Ligatur oder einer Kluppe auf 
denselben nothwendig. Sollte indessen der 
Samenstrang wegen seiner Zurückziehung in 
die Bauchhöhle nicht mehr zu erreichen sein, 
so ist das Thier sorgfältig zu fällen und die 
Hand in den Leistencanal, wie bei der Castra¬ 
tion der Cryptorchiden, selbst bis in die 
Bauchhöhle einzuführen, um den Samenstrang¬ 
stumpfen zu fassen und nach aussen zu ziehen. 
In gewissen Fällen kann die Unterbindung 
innerhalb des Leistencanales unter Benützung 
einer Levret’schen Doppelröhre nothwendig 


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CASTRATION. 


101 


werden. Bei Hunden stellen sich in Folge Ab- 
reiftsens der Ligatur, beständigen Beleckens 
der Wunde, sowie Rutschens auf dem Hinter- 
theil häufig hartnäckige Blutungen ein. 

Bei weiblichen Thieren ist die Blutung 
meistens eine innere, so dass man ihre Gegen¬ 
wart nur aus den schnell sich entwickelnden 
Symptomen der Anämie erkennen kann. In 
Folge der durch Blutverlust sich einstellenden 
Blutdruckverminderung sistirt die Blutungvon 
selbst Bei kleineren Hausthieren, bei Hün¬ 
dinnen z. B., ist eine Verblutung, selbst wenn 
die Thiere während der Brunstperiode castrirt 
wurden, kaum möglich; bei grösseren Haus¬ 
thieren und ganz besonders bei der Kuh kann 
der durch Blutung der Eierstockarterie be¬ 
dingte Schwächezustand die völlige Unthätig- 
keit der complicirten Verdauungsorgane gerade 
im Moment, in welchem die Thiere den erlittenen 
Verlust durch Nahrungszufuhr decken sollten, 
herbeiführen, was die Gefahr noch bedeutend 
erhöht Da nachher das Versäumte nicht nach¬ 
geholt werden kann, ist es rathsam, die Ab¬ 
lösung des Eierstockes so auszuführen, dass 
eine Blutung vermieden wird, jedenfalls ist 
ein zu rasches Vorgehen bei dessen Ab¬ 
trennung unvorsichtig. 

4. Kolik. Castrationskolik. Die Ca¬ 
strationskolik stellt sich meistens unmittelbar 
nach der Castration ein, sie ist sowohl bei 
männlichen als bei weiblichen Thieren zu 
beobachten. Diese Kolik ist der Ausdruck 
eines inneren Schmerzes und kann bei den 
verschiedensten Operationsmethoden Vorkom¬ 
men ; ihre Behandlung besteht in Führen der 
Thiere und wo dieses nicht zulässig, na¬ 
mentlich bei unterdrückter Peristaltik, in Ver¬ 
abreichen einer leichten Laxans. Allgemeine 
Frictionen über den ganzen Körper sind eben¬ 
falls zu empfehlen. Die Castrationskolik ver¬ 
schwindet in der Regel nach einigen Stunden; 
dauert sie länger, so lässt sich befürchten, 
dass peritonitische Vorgänge sich einstellen. 
In solchem Falle kann bei vollblütigen Thieren 
ein Aderlass oder die innere Verabreichung 
von Kal. nitr., Tart. stib., Natr. salicyl., Aether. 
sulf.,Camph. etc., sowie diesubcu- 
tane Injection von Morph, acet. 

(in Solution 1:30) angezeigt sein. 

Einklemmungen des Darmes 
und des Netzes bei Anwendung 
von Kluppen oder Ligatur über 
den Hodensack oder den bedeckten 
Samenstrang bedingen selbstver¬ 
ständlich auchKolikschmerzen; ge¬ 
naue Untersuchung der Verhält¬ 
nisse vor der Ausführung der Ca¬ 
stration wird vor diesem tödtlich 
verlaufenden Ereigniss schützen. 

5. Oe dem der Sero talgegend. In Folge 
des auf die äussere Schamvene ausgeübten 
Druckes seitens der durch Entzündung der 
verletzten Theile hervorgerufenen Schwellung 
stellt sich bei Pferden regelmässig ein Oedem 
des Scrotums, des Schlauches und sogar des 
Bauches ein. Diese Erscheinung ist vorüber¬ 
gehend und wird durch mässige Bewegung 
bekämpft; es gibt jedoch Fälle, wobei die 


bedeutende Schwellung des Schlauches die 
Harnemission erschwert: durch Scarificationen, 
kalte Bähungen, Einreiben von grauer Queck¬ 
silbersalbe etc., durch Anbringung einer Ban¬ 
dage zur Unterstützung des schwer gewordenen 
Theiles kann jedoch dieser Zustand mit Erfolg 
behandelt werden. 

Oedeme, welche später, etwa 7—8 Tage 
nach der Castration auftreten, lassen dann auf 
Einstellung einer Samenstrangentzündung 
schliessen. 

6. Ab8cessdesHodensackesundder 
Leistendrüsen. In Fällen, wobei die Scro- 
talwunde zu klein ist und zu schnell ver¬ 
wachsen kann, füllt sich die Höhlung des 
entzündeten Hodensackes mit Eiter, welcher 
Zustand als Hodensackabscess namentlich bei 
Hunden beobachtet wird. Diese Complication 
bietet an und für sich keine Gefahr und wird 
durch einen ergiebigen Schnitt beseitigt. — 
Abscedirung der Leistendrüsen wird nament¬ 
lich bei Pferden wahrgenommen; dieselbe stellt 
sich circa 8—15 Tage nach der Castration ein 
unter den Erscheinungen einer Lahmheit der 
Gliedmasse der betreffenden Seite und unter 
Aeusserung bedeutender Schmerzen bei Druck 
auf die Drüsengegend. In solchen Fällen wird 
die Umgebung der Drüse zur Beförderung der 
Eiterung mit Althaeasalbe, Digestivsalbe, 
Fett etc. eingerieben und sobald eine deut¬ 
liche Fluctuation wahrzunehmen ist, wird der 
Abscess geöffnet, worauf der Zustand bald in 
Heilung übergeht. 

7. Beckenabscess. Charlier beschreibt 
einen zwischen Mastdarm und Scheide sich 
entwickelnden phlegmonösen Abscess, welcher 
in Folge der Castration durch die Scheide 
bei Kühen (namentlich zur Winterszeit) beob¬ 
achtet wird. Die Symptome dieser Compli¬ 
cation sind: Auftreibung der Flanken, Kolik¬ 
anfälle, Stellung wie beim Harnabsetzen; bei 
der Untersuchung durch den Mastdarm wird 
ein mehr oder weniger grosser Tumor auf 
der oberen Scheidenwand gefühlt, welcher 
später deutliche Fluctuation erkennen lässt. 
Ein solcher Beckenabscess bietet keine grosse 


Gefahr, da derselbe sich in der Regel ins 
Lumen der Vagina ergiesst. Charlier empfiehlt 
jedoch dessen frühere Oeffhung mittelst eines 
Concav-Bistouris oder des von ihm erfundenen 
flachen Trocart (Trocart ä absces) (Fig. 366), 
bestehend aus einer flachen Röhre mit Seiten¬ 
öffnung, in welche eine schmale Klinge mit¬ 
telst eines geknöpften Stäbchens gestossen 
werden kann. Das Instrument wird von der 



366. Abscesstrocart (Einführung desselben). 



102 CASTRATION. 


Hand begleitet in die Scheide gebracht und 
bis zum durchfühlbaren Abscess geführt, 
worauf die Klinge vorgeschoben und die Spitze 
des Instrumentes bis in denselben eingestossen 
wird; durch Hin- und Herziehen des Instru¬ 
mentes wird die Stichöffnung erweitert und 
kpnn der Eiter ausfliessen. Bei Reinhaltung 
der Wunde durch Einspritzungen kann die 
Heilung nach wenigen Tagen eintreten 

8. Gangraen der Scrotalwunde 
(Brand). Der Brand der Scrotalwunde ist keines¬ 
wegs eine seltene Erscheinung nach der Castra¬ 
tion; er entsteht namentlich in Folge vonCircu- 
lationsstörung bei intensiver Entzündung der 
verletzten Theile. Die Erscheinungen, unter 
welchen er sich einstellt, sind folgende: 
Starke und schnell sich ausbreitende, Ode¬ 
matöse, im Beginne schmerzhafte Schwellung 
der Leistengegend, welche die innere Schen¬ 
kelfläche, die untere Flanke, den Bauch und 
die Unterbrust erreicht; schlechte Beschaffen¬ 
heit der Wundsecrete, welche einen üblen 
Geruch annehmen, Vorkommen von Schüttel¬ 
frösten, hohes Fieber, Appetitlosigkeit, nach 
5—6 Tagen Tod unter septicämischen Er¬ 
scheinungen. Der Brand der Castrationswunde 
ist eine der gefährlichsten Folgen dieser 
Operation und muss durch streng-antiseptische 
Behandlung in seiner Ausbreitung gehemmt 
werden. Bei grösserer Ausdehnung müssen 
die ergriffenen Theile mittelst Messer und 
Glüh eisen entfernt werden. Die gleichzeitige 
Verabreichung innerer Mittel ist ebenfalls zu 
empfehlen: Salicylsaures Natron (im Beginne) 
und Chinarinde in grösseren Dosen sind dann, 
trotz des hohen Preises der letzteren, in der 
Bekämpfung der drohenden allgemeinen Blut¬ 
vergiftung in erster Linie zu verwenden. 

9. Peritonitis (Bauchfellentzündung). 
Die Bauchfellentzündung tritt, nach Gourdon, 

ewöhnlich vom zweiten ois sechsten Tage nach 

er Castration ein, seltener später. Das von 
dieser Krankheit befallene Thier fiebert; nach¬ 
dem die Wundsecretion aufgehört hat, stellt 
sich ein starkes Oedem der Schenkel und 
der unteren Bauchwand ein, der Rücken ist 
stark gewölbt, die Flanken aufgezogen, ctfe 
vier Gliedmassen nahe beisammengestellt; 
unter den Erscheinungen des eingetretenen 
Brandes der Scrotalwunde wird das Thier 
immer schwächer und geht 5—6 Tage nach 
Ausbruch der Krankheit zu Grunde. Bouley 
legt in ätiologischer Hinsicht grösseres Ge¬ 
wicht auf die Einwirkung der Kälte, sowie 
auf die bei der Operation verursachten Zer¬ 
rungen, als auf die Einwirkung der atmo¬ 
sphärischen Luft auf den peritonealen Ueber- 
zug des Samenstranges, da die Peritonitis 
ebenso häufig bei der Castration mit bedeckten 
Testikeln vorkomme. Bei weiblichen Thieren 
stellt sich die Bauchfellentzündung häufig 
ein, namentlich erweist sich die Stute als 
sehr empfindlich, während die Kuh und das 
Schwein grössere Verletzungen des Perito- 
naeums sehr gut vertragen. Die Behandlung 
der Peritonitis ist leider, obschon Heilung 
beobachtet wurde, selten von Erfolg. 

Es wird die Wunde desinficirt, bei Pfer¬ 


den die Bauchwand mit grauer Quecksilber¬ 
salbe eingerieben, bei anderen Hausthieren 
Sinapismen aufgelegt oder kalte Umhüllungen 
gemacht. Innerlich Salpeter, Glaubersalz, bei 
hartnäckiger Verstopfung auch Klystiere. 

10. Tetanus (Starrkrampf).DieUrsachen 
des Starrkrampfes sind hier hauptsächlich in 
der Verwundung (Wundstarrkrampf) zu suchen; 
da jedoch zu gewissen Zeiten diese Erkran¬ 
kung eine grössere Verbreitung erlangt, so 
werden atmosphärische Einflüsse auch neben 
der Verwundung und Erkältung als ätiolo¬ 
gische Momente angesehen. Ganz besonders 
werden kleine Wiederkäuer in Folge der Ca¬ 
stration vom Starrkrampf befallen. (Näheres 
s. Starrkrampf.) 

11. Innerer Bauchbruch desOchsen 
(Ueberwurf). Diese nicht ganz seltene chirur- 

ische Erkrankung entsteht durch Zerreissuug 
er in der Bauchhöhle vorkommenden und 
den Samenleiter einhüllenden Bauchfellfalte, 
in welcher eine Darmschlinge eingedrungen 
und festgehalten wird. Der innere Bruch des 
Ochsen wird meistens nur rechts beobachtet 
und lässt sich, einige Zeit nach der Castra¬ 
tion (ganz besonders nach der Bistournage), 
durch folgende Merkmale erkennen: Wölbung 
der Lenden, Schleppen der hinteren Glied¬ 
masse. Kolikanfälle, Verstopfung und Fieber. 
Die Diagnose wird durch Mastdarmexploration 
sichergestellt, indem der Samenstrang als 
dicker harter Strang über weicher anzu¬ 
fühlenden Darmschlingen erscheint. Die ein¬ 
geklemmten Darmstücke gehen in Folge Blut- 
circulationsstörung in Brand über, was den 
tödtlichen Ausgang der Krankheit nach einigen 
Tagen herbeifihrt. Die Behandlung besteht 
in Ablösung der eingeklemmten Darmschlinge 
1. durch Bergab führen der Thiere; 2. durch 
manuelle Verschiebung vom Mastdarme aus; 
3. durch blutige Operation mittelst Flanken¬ 
schnitt und Durchschneidung der über die 
Darmeinklemmung befindlichen Samenstrang¬ 
brücke. (Näheres s. Eingeweidebrüche.) 

12. Lähmung der Nachhand. Die Läh¬ 
mung der Nachhand soll bei der Castra¬ 
tion der Kühe durch die Scheide hin und 
wieder beobachtet worden sein. Eine solche 
Erscheinung lässt sich (nach Franck, Hand¬ 
buch der Geburtshilfe) vielleicht als vorüber¬ 
gehende Reflexlähmung des Hintertheiles in 
Folge Verletzung der Scheide und des Uterus 
erklären. Bei der Castration des Geflügels 
kommt sie hie und da vor und kann dann 
als sicheres Zeichen einer beim Einführen 
des Fingers in die Bauchhöhle geschehenen 
Verletzung oder Reizung des Hüftnerven (N. 
ischiadicus) angesehen werden. Die Behandlung 
besteht in Einreibung flüchtig reizender Me- 
dicamente. 

13. Samenstrang-Entzündung, Sa¬ 
menstrangverhärtung, Champignon 
und Samenstrangfistel. Die Entzündung 
des Samenstranges ist eine nothwendige Folge 
der Castration, sie ermöglicht die Verwach¬ 
sung desselben mit seiner Umhüllung, der 
Leistencanalwandung. Unter normalen Hei¬ 
lungsvorgängen stellt sich in den ersten 


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CASTRATION. 


103 


24 Standen nach der Operation eine seröse 
Infiltration des Samenstranges ein, wodurch 
(nach Bouley) eine Annäherung der beiden 
Peritonealüberzüge eintritt, in Folge welcher 
deren Verwachsung erzielt wird. Stellt sich 
aber eine zu reichliche Exsudation ein, so 
wird dieselbe eiterig und ist dann die oben¬ 
erwähnte Verwachsung unmöglich. Es stellt 
sich diese Erscheinung jedesmal bei zu 
starker Entzündung der Theile ein; unter 
solchen Bedingungen schwillt der Samenstrang 
noch mehr an, es stellt sich in demselben eine 
reichliche Bindegewebswucherung ein, welche 
vorzugsweise den in der Scrotalwunde her¬ 
vorragenden Samenstrangstumpfen betrifft 
und welche dann als Champignon aufge¬ 
fasst wird. 

Der Champignon stellt somit eine 
profuse Bindegewebsneubildung des unteren 
Endes des Samenstrangstumpfes dar. Diese nicht 


besitzen scheinen, ist die Infection niemals 
direct bewiesen worden und dient dieselbe, 
vorderhand wenigstens, als ein sehr bequemer 
Deckmantel für bewusste oder noch mehr für 
unbewusste, jedoch in der Regel existirende 
Operationsfehler. 

Obschon, streng genommen, der Name 
Champignon (Pilz) vorzugsweise auf den am 
Ende des Samenstranges sich entwickelnden 
pilzähnlichen Tumor sich zu beziehen scheint, 
begreift man nach Bouley unter dieser Be¬ 
zeichnung alle verhärteten Tumoren des un¬ 
teren Theiles des Samenstranges. 

Solche Tumoren werden nach ihrem Sitze 
in extrascrotale und in subcutane Cham¬ 
pignons unterschieden (Bouley). (Diese Be¬ 
zeichnungen könnten vielleicht in: Aeusscre 
und innere oder „sichtbare“ und „unsicht¬ 
bare“ umgewandelt werden.) Die „subcu- 
tanen“ (inneren oder unsichtbaren) Cham 




Fjg. 868. Gekrümmte Kloppen. 



Fig. 869. Doppel¬ 
te bre ton LevTet. 


selten vorkommende Neubildung ist das Pro¬ 
duct einer zu intensiven Entzündung des 
Samenstranges, welche letztere durch folgende 
Bedingungen sich einstellt: zu langsam aus¬ 
geführte Castration, Zerrung des Samenstran¬ 
ges (z. B. beim Anlegen der Kluppen), zu 
hohes Anbringen der Kluppen oder Ligatur, 
Einwirkung der Luft auf den herunterhän¬ 
genden Samenstrang, Zu frühes Abnehmen 
der Kluppen, unvollständige Compression des 
Samenstranges, sowie alle übrigen Verhält¬ 
nisse, welche eine Reizung dieses Gebildes 
bedingen können. 

Unter den ursächlichen Momenten der 
Bildung des Champignons wird von vielen 
Operateuren die Infection angeführt. Ab¬ 
gesehen von der einfachen, rein bindegewe¬ 
bigen Structur, welche solche Tumoren zu 


pignons werden wieder in drei Arten unter¬ 
schieden: 1. Die extra-inguinalen (aus¬ 
serhalb des Leistencanales befindlichen); 2. die 
intra-inguinalen (innerhalb des Leisten¬ 
canales befindlichen), und 3. die intra¬ 
abdominalen (innerhalb der Bauchhöhle 
vorkommenden). 

Die Champignons bedingen durch ihre 
Gegenwart schon im Initiaistadium krank¬ 
hafte Erscheinungen, deren Kenntniss von 
Wichtigkeit ist; damit behaftete Thiere zeigen 
eine gewisse Steifigkeit in den Bewegungen 
der Nachhand, die Lenden sind nach auf¬ 
wärts gewölbt und auf Druck unempfindlich. 
Ist der Champignon einseitig, so sind die 
Lenden auf der kranken Seite seitwärts ein¬ 
gebogen und die Wirbelsäule daher seitlich 
gekrümmt: beim Gehen wird die Gliedmasse 


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104 


CASTRATION. 


nach Aussen unter „mähender“ Bewegung vor¬ 
gesetzt. 

Die Thiere fiebern öfters, der Ernährungs¬ 
zustand leidet sehr, das Haar wird struppig 
und schliesslich gehen sie unter steter Abma¬ 
gerung zu Grunde. Im Innern des Champignons 
kommt es häufig zu eiterigen Infiltrationen, 
die endlich nach aussen sich Bahn brechen 
und schliesslich zu Fisteln Veranlassung ge¬ 
ben, welche als Samenstrangfisteln be¬ 
zeichnet werden. 

Unter allen Champignons sind die 
„äusseren“ die gutartigsten; sie erreichen 
öfters die Grösse eines Menschenkopfes und 
können sehr rasch diese Dimensionen an¬ 
nehmen. Ihre Oberfläche ist röthlich und un¬ 
eben (blumenkohlartig) (Fig. 367J; ältere sind 
zerklüftet, mit blutigeiterigem, bereits in Ver¬ 
wesung begriffenem Exsudat bedeckt und bluten 
bei der leisesten Berührung. Was die Behand¬ 
lung des Champignons und der Samenstrang¬ 
fistel anbelangt, so ist dieselbe eine rein chirur¬ 
gische. Aeussere Champignons werden in der 
Weise operirt, dass wenn möglich über die¬ 
selben auf den gesunden Theil des Samen¬ 
stranges gekrümmte Kluppen wie bei der 
Castration angelegt werden (Fig. 368). Auch 
kann mit grossem Vortheil der Ecraseur lindaire 
von Chassaignac verwendet werden. Bei in¬ 
tra-inguinalen Champignons wird eine mit¬ 
telst einer Doppelröhre (Fig. 369) oder eines 
Schlingenträgers angebrachte Ligatur zur 
Unterbindung des Samenstranges gebraucht. 
Die intra-abdominalen Champignons, als 
die gefährlichsten von Allen, werden mittelst 
weiss glühendem, lang zugespitztem Brenneisen 
vom Inguinalcanal aus erreicht; auch kann 
einfach der in jeder Schmiede vorhandene 
Löschspiess dazu verwendet werden. Selbst¬ 
verständlich wird diese Art Champignons vor 
der Operation in Bezug auf Lage und Aus¬ 
dehnung durch den Mastdarm genau unter¬ 
sucht werden müssen. Das Brenneisen wird 
hiebei unter drehender Bewegung bis in den 
Champignon geführt, was in der Regel nicht 
auf einmal geschehen kann; durch das Brennen 
wird ein Canal erzeugt, durch welchen der 
später in eiteriger Schmelzung begriffene 
Champignon nach aussen sich entleeren kann. 
Dieses Mittel ist begreiflicher Weise nicht 
ohne grosses Risico anzuwenden, bildet jedoch 
eine letzte Zuflucht in der Behandlung dieser 
prognostisch ungünstigen Erkrankung. Die 
Champignons kommen vorzugsweise bei Pfer¬ 
den vor, sind jedoch auch bei Wiederkäuern, 
Hunden und Schweinen beobachtet worden. 

Literatur: Gorlt & Hertwig, Chirurg. Anat. 
und Oper&tionslehre für Thier&rzte, Berlin 1847. — 
Charlier, De la Castration des Vaches, Paris 1856. — 
Bouley & Reynal, Dictionnaire pratiqne, Paris 1857. — 
Gourdon, Traitd de la Castration, Paris 1860. — Förster, 
Instrumenten- und Verbandlehre, Wien 1861. — Förster, 
Compendium der Operationslehre, Wien 1867. — Hurtrel 
d'Arboral. Dictionnaire de m&lecine, de Chirurgie et 
d'hygtäne vetörinaires, Paris 1874. — Hering, Handbuch 
der thierftrztl. Operationslehre, dritte Auflage, Stuttgart 1879. 
—Peuch & Toussaint, Präcis de Chirurgie v^tcrinaire, 
Paris 1877. — Degive, Manuel mödecine opöratoire 
vetärinaire Bruxelles 1880. — Signol, Aide mömoire du 
v£törinaire, Paris 1884. — Liautard, Animal Castra¬ 
tion, New York 1884 etc. etc. ßerdes. 


Castration in Indien. Die Castration 
wird in Indien heutzutage an allen jenen 
Pferden, welche für Armeezwecke bestimmt 
sind, vorgenommen. Dies war noch vor wenigen 
Jahren nicht der Fall; Regimenter und Bat¬ 
terien wurden mit arabischen und persischen 
Pferden beritten gemacht; man fand aber 
damals, dass die nicht verschnittenen Pferde 
sowohl bei den Exercitien als im Stalle so 
viel zu schaffen gaben, dass beschlossen wurde, 
sämmtliche Armeepferde zu castriren. Hiegegen 
wurden jedoch wieder gewichtige Bedenken 
erhoben; so wurde beispielsweise geltend 
gemacht, dass vom Standpunkte der Arbeits¬ 
leistung aus ein verschnittenes Pferd niemals 
mit einem nicht castrirten in Vergleich ge¬ 
bracht werden könne. Doch wurde die An¬ 
gelegenheit durch ein nicht ganz werthloses 
praktisches Experiment entschieden. Es wurden 
drei Versuche gemacht, deren letzter die 
Frage entschied. Zweihundert Pferde des 
15. Husarenregimentes — einhundert castrirte 
und einhundert nicht castrirte — mussten 
einen Marsch von ca. 800 Meilen (engl.) an- 
treten. Die letzten 400 Meilen wurden in 
Eilmarsch zurückgelegt. Es wurde blos ein 
einziger Ruhetag zugestanden und die letzten 
sechs Märsche mussten in einem Verhältniss 
von 30 Meilen per Tag gemacht werden, all 
dies unter der glühenden Sonne Indiens und 
mit Mann und Ausrüstung im ungefähren Ge¬ 
wicht von 250—308 Pfund. Es wurde nun ge¬ 
funden, dass die Castrirten sich ebenso tüchtig 
wie die Nichtcastrirten bewiesen, obwohl sie erst 
sechs Monate vorher der Operation unter¬ 
zogen wurden. Von jener Zeit an wurden 
sämmtliche Pferde castrirt. Die Operation ist 
in Indien nicht ohne Gefahren. Peritonitis 
und Tetanus, ebenso Samen strangfisteln 
sind häufig die Folgen derselben. Die Jahres¬ 
zeit, in welcher die Operation vorgenommen 
wird, ist wohl zu berücksichtigen. Sowohl 
die trockene Jahreszeit als das kalte Wetter 
sind zu vermeiden; andererseits geben die 
Fliegen während der heissen Jahreszeit, wie 
bei allen Wunden, auch hiebei Anlass zu 
vielerlei Unannehmlichkeiten. Der Bericht 
über 10.305 Castrationsoperationen, welche 
in Südindien vollzogen wurden, wurde im 
„Quarterly Journal of Veterinary Science in 
India“ von M. Adams veröffentlicht. Da alle 
hiebei in Betracht gezogenen Thiere nach 
einer und derselben Methode, nämlich durch 
Schaben des Samenstranges mit einem ge¬ 
zähnten Messer, castrirt wurden, da fenler 
alle fast von gleichem Alter waren und sich 
unter gleichartigen hygienischen und klima¬ 
tischen Verhältnissen befanden, so ist diesem 
Berichte ein grosser Werth beizumessen. 
Die Gesammtzahl der operirten Pferde war, 
wie erwähnt, 10.305, und von diesen sind 
2*63% den Folgen der Operation erlegen. 
Die Todesfälle erfolgten bei 1*12% durch 
Peritonitis, bei 0*73% durch Samenstrang¬ 
fisteln, bei 0*21% durch Hämorrhagie, bei 
0*15% durch Tetanus. Bei Peritonitis trat der 
Tod nach dem 6., bei Krebs nach dem 7., 
bei Tetanus nach dem 15. Tage ein. Die 



CASTRIRPULVER. 

Monate, welche die meisten Todesfälle auf¬ 
wiesen, waren Mai, September, October und 
November: die günstigsten März, April und 
Juli. Die über die Temperatur gemachten 
Beobachtungen zeigten, dass dieselbe bis zum 
3. Tage anstieg und sich bis zum 8. auf 
gleicher Höhe hielt, worauf sie fiel. Der nor¬ 
male Stand wurde am 13. Tag nach der 
Operation erhalten. Die Eingebornen in Indien 
castrircn niemals ihre Pferde, wohl aber die 
zu Arbeitszwecken bestimmten Stiere. Die 
Operation wird Mulling genannt und auf 
folgende Weise vollzogen: Das in vollkommen 
wildem Zustande befindliche Thier wird in 
einen geschlossenen Raum getrieben, gebunden 
und sodann geworfen; die Hinterfüsse werden 
stark vorwärts gezerrt, worauf eine Ligatur 
über das Scrotum und den Samenstrang ge¬ 
strichen und leicht angezogen wird. Sobald die 
Strangulation vollständig ist, werden die 
Testikel an den Schenkel gelegt und der 
„Operateur 11 , bewaffnet mit einem gekrümmten 
dicken Stock von etwa zwei Fuss Länge, 
führt nun mit aller Kraft einen wuchtigen 
raschen Schlag auf die Hoden; ein solcher 
Schlag genügt, um die Integrität des Organs 
zu zerstören. Die Testikel werden nun an 
den anderen Schenkel gelegt und in ähnlicher 
Weise behandelt. Das Ganze des Scrotum- 
inhaltes und des Samenstranges wird nun 
durch wiederholte Schläge in eine Art Brei 
verwandelt. Sodann wird etwas Fett aufge¬ 
legt und die Operation ist vollendet. Dieser 
widerliche, barbarische Vorgang wird aller¬ 
dings nur von den Eingebornen vollzogen, 
welche behaupten, dass, derselbe sehr zuver¬ 
lässig und selten von bösen Folgen begleitet 
sei. Wenn dies auch der Fall sein mag, so 
sollte diese abscheuliche Tortur dennoch 
durch eine gesetzliche Vorkehrung eingestellt 
werden. Smith. 

Castrirpulver, Aetzmittel zur rascheren 
Abtödtung der Samenstränge, auf die Kluppen 
verwendet (s. Pulvis ad castrandum). Vogel. 

C&suisiik (abgel. von Casus, Fall) nennt 
man in der Medicin die Zusammenstellung 
von Krankheitsfällen, welche für die Beur¬ 
teilung einer Krankheit in ihren verschiedenen 
Beziehungen wichtig sind. Sussdorf. 

Cai&Iepsia, s. Catalepsis (von xata- 
kafißavetv, festhalten). die Starrsucht oder 
wächserne Steifheit. Die Krankheit besteht in 
einem anhaltenden, geringgradigen Krampfe 
8ämmtlicher motorischer Muskeln, bei dem 
Bewusstsein und Empfindung theilweisc oder 
ganz, die Willenskraft total aufgehoben ist. 
Die kataleptischen Thiere sind nicht im Stande, 
sich vom Platze zu bewegen oder aus eigenem 
Antriebe die Lage eines ihrer Gliedmassen zu 
verändern, wohl aber wird jede Stellung bei¬ 
behalten, die man den einzelnen Körperteilen 
gibt, denn diese lassen sich wie Wachs biegen. 
Die unwillkürlichen Muskeln sind von der 
krampfhaften Contraction nicht betroffen, sie 
functioniren regelmässig, so namentlich das 
Herz, der Darm und die Respirationsmuskeln. 
Da bei der Catalepsie zugleich Störungen in 
den Gehirnfunctionen beobachtet werden, so 


— CATAPLASMA. 105 

lassen diese auf anatomische Veränderungen 
im gesammten Central - Nervensystem, vor¬ 
züglich jedoch in den vorderen motorischen 
Wurzeln des Rückenmarks mit Sicherheit 
schliessen. Worin die anatomischen Verän¬ 
derungen bestehen, konnte bisher nicht nach¬ 
gewiesen werden, ebensowenig kennt man 
mit Zuverlässigkeit die Reize, welche auf die 
Nerven einwirken und sich reflectorisch im 
tonischen Muskelkrampf auslösen; sie müssen 
stark und anhaltend sein oder schnell aufeinan¬ 
der folgen, wenn sie eine tetanische Contraction 
der Muskeln bewirken sollen. Die Reize können 
mechanische oder chemische sein (Körper¬ 
erschütterungen, Belästigung des Magens und 
Darmcanals durch schwer verdauliche Nahrung 
oder Eingeweidewürmer, Säugen der Mutter- 
thiere, Veränderungen in der Dichte des 
elektrischen Nervenstromes durch Erkältungen, 
Rheumatismus etc., Veränderungen in der 
Teitur der Nerven durch Gemüthserregungen, 
wie Schreck, Sehnsucht). Vorausgegangene 
Himleiden mit Hinterlassung von anatomischen 
Veränderungen in den Nervenfasern und Gan¬ 
glien, ebenso der Geburtsact scheinen die 
Thiere zur Catalepsie zu disponiren, wahr¬ 
scheinlich wird die Disposition durch be¬ 
stimmte Veränderungen in der Blutcomposition 
verstärkt, sei es, dass bestimmte Säuren im 
Blute auftreten, oder dass das Blut mit Serum 
überladen wird (Anämie). Sehr wahrscheinlich 
ist auch der Wärme- und Elektricitätsgehalt 
der Luft von Einfluss auf die Entstehung der 
Catalepsie, denn Wärme und Elektricität sind 
für das Nervensystem erregende Reizmittel. 
Bisher ist Catalepsie nur selten bei Thieren 
beobachtet worden, und zwar nur bei Pferden 
und Hunden, ohne dass dadurch ausgeschlossen 
wäre, dass auch andere Thiergattungen davon¬ 
befallen werden könnten. Die Dauer beträgt 
im Falle der Reconvalescenz einige Tage, 
längere Andauer pflegt den Tod herbeizuführen. 

Als Heilmittel sind Purganzen (Calomel, 
Aloö, Gummigutti, Crotonöl), krampfstillende 
und erschlaffende Medicamente zu versuchen, 
z. B. Kampher, Ammonium carbonic., Arsenik, 
Curare, Chloralhydrat, Inhalationen von Chloro¬ 
form und Aether, warme Bäder etc. Anacker. 

Cataplasina, Breiumschlag, s. Bähungen. 
Unter dem Ausdruck 

Cataplasmaad decubitum wird nicht 
mehr das leicht hart werdende Bleitannat, 
Plumbum tannicum pultiforme, verstanden, 
sondern in der Ph. G. ist jetzt ein besonderes 
Sälbchen hiefür vorgesehen, das man auf 
Excoriationen, luxuriirende Wunden, bei Ge¬ 
schwüren, Kronentritten, Mauke u. dgl., be¬ 
sonders gerne aber auf durch Aufliegen (De¬ 
cubitus) entstandene Wundflächen streicht, und 
das die Heilung wesentlich beschleunigt. Diese 
gleichsam als Cataplasma dienende Salbe 
(Ph. G.) heisst: 

Unguentum Plumbi tannici, gerb¬ 
saure Bleisalbe, und wird durch Eingiessen 
von basisch essigsaurem Bleioxyd in Eichen¬ 
rindenabkochung, wodurch eben das gerbsaure 
Blei als Brei gefällt wird, bereitet, oder indem 
man ex tempore 1 Gerbsäure mit 2 Bleiessig 


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106. CATARACTA. 


verreibt und mit 17 Schweinfett zu einer 
(gelblichen) Salbe macht. Vogel . 

Cataracta, Syn. Catarrhacta (von xaxa- 
paxtaTQ? oder xaxappaxTjs, herunterwerfen,plötz¬ 
lich unterbrechen, wegen der Unterbrechung 
des Lichtdurchganges durch das Auge); Glau- 
cosis, Glaucosies; Hypochyma, Hypochysis; 
Suffusio, S. aquae, Aquae Descensus; franz.: 
la cataracte; engl.: cataract, ital.: cataratta, 
span.: catarata; Staar oder (besser) Star, 
grauer Star, Starblindheit. Wie bei allen 
Krankheiten, bei denen man ein so reich¬ 
haltiges Sortiment von Namen und Bezeich¬ 
nungen, die theils früher gebraucht wurden, 
theils zur Jetztzeit noch gang und gäbe sind, 
zusammenstellen kann, und man den Schluss 
auf eine bei einzelnen Persönlichkeiten und zu 
verschiedenen Zeiten wechselnde Anschauung 
bezüglich der Erkennung ihres Wesens und 
des zu Grunde liegenden Processes zu ziehen 
berechtigt ist, so gilt dies ganz besonders 
für den Star; es liegt in der reichhaltigen 
Nomenclatur ein Theil der Geschichte dieses 
Leidens selbst. Sehr interessante historische 
Aufschlüsse gibt uns Otto Becker in seiner 
Einleitung zur „Pathologie und Therapie des 
Linsensystems 44 (Gräfe-Sämisch, Handbuch 
der ges. Augenheilkunde, 41 Bd. V, erste Hälfte). 
Das Wort „Cataracta 44 — welches jetzt neben 
dem deutschen Ausdruck „Star 44 die allgemein 
acceptirte Bezeichnung ist — stammt ohne 
Zweifel von dem griechischen xaxappyfvofA' 
(xaxa^aaou>) und wurde deshalb wohl auch 
„Catarrhacta 44 geschrieben. Jedoch als Be¬ 
zeichnung für eine Augenkrankheit haben die 
Alten es nicht gebraucht, vielmehr begegnet 
uns dieser Ausdruck erst im Jahre 1150, wo 
er von dem salernitanischen Arzte Platärius 
unter den das Sehen beeinträchtigenden Krank¬ 
heiten mit den Worten aufgefünrt wird: „Ca¬ 
taracte visus inter conjunctivam et corneam 
tunica nascuntur et uveam tunicam subal- 
bidam reddunt. 44 Es ist anzunehmen, dass die 
Araber, welche sich der Lehre von Hippo- 
krates und Galen auf das Engste anschlossen, 
den Vorgefundenen Ausdruck oko/ogis über¬ 
setzten und dann, als die Salernitaner die 
Worte des Albulcasis und Avicenna ins 
Lateinische übertrugen, diesen der früher ge¬ 
bräuchliche Ausdruck abhanden gekommen 
war und sie nun den Namen „Cataracta 44 
schufen. In der lateinischen Uebersetzung 
des Albulcasis von Görard de Crömone 
(geb. 1114) finden wir als Ueberschrift eines 
Capitels die Worte: „De cura aquae quae 
descendit in oculo vel Cataracta. 44 DerZeit nach 
fällt diese Stelle so ziemlich mit den Worten 
des Platärius zusammen, und es dürfte 
demnach „Cataracta 44 ursprünglich im Sinne 
des herabfallenden Wassers gebraucht worden 
sein. In der That findet sich im Avicenna 
für grauen Star der arabische Ausdruck nuzul- 
el-mä’, welches wörtlich ebenfalls das Herab¬ 
fallen des Wassers bedeutet. Späterhin wurde 
auch diese Deutung so gründlich verwischt, 
dass Ambroise Parö (geb. 1517) Cataract mit 
dem französischen „coulisse 44 übersetzte, wo¬ 
gegen Laurentius Heister das Wort „Fall¬ 


gattern 14 einführte. Damit schwand auch die 
Vorstellung der herabfallenden Flüssigkeit 
und wurde vielmehr angenommen, dass sich 
zwischen Cornea und Glaskörper an irgend 
einer Stelle — die nach verschiedenen Autoren 
eine wechselnde ist — ein Häutchen bilde. 
Erst 1705 erkannteBrisseau, dass der eigent¬ 
liche Sitz des Stares in der Linse zu suchen 
sei. In den griechischen Schriften der Alten 
kommen nur die Ausdrücke YXaoxwatt« oder 
YXauxtujjia oder uito'^vct? vor, welch letzteren 
Ausdruck die lateinisch schreibenden Autoren 
mit „Suffusio 44 übersetzten. So gebraucht Ce 1- 
sus und nach ihm Publius Vegetius Rena¬ 
tus von Voltcrra dieses Wort, namentlich der 
letztere Autor befasst sich in seiner in der 
zweiten Hälfte des V. Jahrhunderts erschie¬ 
nenen „Ars veterinaria s. Mulomedicina 44 mit 
Augenkrankheiten, so z. B. beschreibt er u. A. 
in Cap. XVII seines Werkes eingehend die 
Lagerung des Thieres zur Staroperation. Das 
deutsche Wort „Star 44 , das als Wurzelverbum 
das goth. „stairan 44 unbeweglich 9tehen hat, 
bedeutet so viel wie „Starre 44 des Auges (stierer 
Blick). Zum ersten Male wird die Bezeichnung 
von einem Thiere gebraucht und zwar in den 
aus dem VIII. Jahrhundert stammenden kero- 
nischen Glossen bei der Hyäne: „Hyaena 
bestia staraplint cujus pupillae lapideae sunt, 
des seha augono stani sint. 44 Sobald man aber 
sich gewöhnt hat, einen Krankheitsprocess 
mit einem Symptom, das ihm neben vielen 
anderen Krankheiten auch zukommt, zu be¬ 
zeichnen, musste man, um ganz heterogene 
Dinge nur einigermassen aus einander halten 
zu können, dem Namen ein Epitheton bei¬ 
fügen; so entstand der „schwarze 44 , „grüne 44 
und „graue 44 Star, ja George Bartisch 
spricht in seiner 1583 erschienenen „Ophthal - 
modouleia 44 sogar von einem „weissen 44 , 
„gelben 44 und „blauen 44 Star. Allmälig erst 
gewöhnte man sich, das Wort „Star 44 nur in 
der Verbindung „grauer Star 44 zu gebrau¬ 
chen und damit eine Linsentrübung zu be¬ 
zeichnen. 

Definition: Als „Cataracta 44 oder 
„grauen Star 44 bezeichnet man jede in dem 
— normaler Weise allerorts vollständig durch¬ 
sichtigen — Linsensystem des Auges auf¬ 
tretende Trübung, mögen die Ursache derselben 
und die ihr zu Grunde liegenden pathologisch- 
anatomischen Processe sein, welche sie auch 
immer wollen. Hiebei ist es ganz gleich- 
giltig, ob der Linsenkörper oder seine Kapsel 
in ihrer ganzen Ausdehnung getrübt sind, 
oder ob nur einzelne Theile oder engst- 
umschriebene Gebiete eine solche Veränderung 
in ihrer Durchsichtigkeit zeigen; vielmehr 
ist eine so beschaffene Stelle, die selbst über 
die Grösse eines Punktes nicht hinausgeht, 
ebensogut eine Cataract wie eine dichte, 
mächtige, das ganze Areal der Linse ein¬ 
nehmende Trübung. Ebensowenig wie durch 
die Grösse der Opacität kann der Begriff* 
„Star 44 alterirt werden durch Veränderungen 
der topographischen Lage der Linse. Für ge¬ 
wöhnlich durch das Ligamentum Suspensorium 
lentis (Zonula Zinnii) in ihrer Lage erhalten, 


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CATARACTA. 


107 


kann — abgesehen von der sog. Ectopia len¬ 
tis — die Linse veranlasst werden, in Folge 
einer Verflüssigung des Glaskörpers (Synchysis) 
oder als Folge traumatischer Insulte, Con- 
tusionen des Bulbus, nach vorhergegangener 
Zerreissung ihres Aufhängebandes ihren Ort 
zu verlassen und nach hinten in den Glas¬ 
körper zu fallen oder nach vorne in die vor¬ 
dere Augenkammer zu luxiren, sobald sie 
vollständig und in allen ihren Theilen aus 
der Pupille nach vorne getreten ist, oder zu 
subluxiren, wenn sie bei Dehnung oder un¬ 
vollständiger Zerreissung der Zonula Zinnii 
eine Verschiebung und Axendrehung eingeht 
und so mit einem Segmente in die Vorder¬ 
kammer hineinragt. Derartige nach vorne in 
die Augenkammer luxirte, resp. subluxirte 
Linsen gehen im Laufe der Zeit in Folge des 
eänderten Zuflusses von Nährmaterial und 
er Einwirkung des Kammerwassers in ihrem 
Gewebe Metamorphosen ein, deren End¬ 
resultat eine Trübung ist, welche als echte 
Cataract aufgefasst werden muss. Von dieser 
Art des Stares, bei welcher der Linse selbst 
angehörige, in gesundem Zustande durch¬ 
sichtige Elemente getrübt sind und den sie 
als Cataracta vera bezeichnet wissen 
wollen, unterscheiden manche Autoren patho¬ 
logische Zustände, bei denen sich trübe und 
undurchsichtige Massen, welche mit anderen 
festen Theilen des Auges nicht im Zusammen¬ 
hänge stehen, der vorderen oder hinteren 
Fläche der Linse, resp. deren Kapsel anlagern, 
als Cataracta spuria, falscher Star. Es 
sind dies meist Residuen einer abgelaufenen 
Iritis, die nach hinten gegen die Vorderfläche 
der Linsenkapsel fibrinöse oder eitrige Ex¬ 
sudate gesetzt, welche sich dann der Kapsel 
angelöthet und dort, wie man sich ausdrückt, 
organisirt haben. Besonders häufig kommt es 
vor, dass, wenn eine sog. hintere Synechie 
der Iris in Folge vorausgegangener Entzün¬ 
dung dieser Membran sich entweder spontan 
gelöst oder bei medicamentöser Behandlung 
— namentlich wenn man etwas spät dazu 
gekommen ist — zerrissen wurde, ein kleiner 
Theil der pigmentirten Rückfläche der Regen¬ 
bogenhaut mit auf der Linsenkapsel sitzen 
bleibt, so dass man (sehr häufig bei der Irido- 
choroiditis recidiva des Pferdes) schwarze 
Punkte und Flocken von der Grösse eines Steck¬ 
nadelkopfes bis zu der einer Erbse oder mehr 
in Linien- und Flächenform ausgezogene, za¬ 
ckige und vielgestaltete Pigmentirungen der 
entweder noch gesunden und sonst durch¬ 
sichtigen oder bereits in ihrem Gewebe cata- 
raetös getrübten Linse vorne aufgelagert findet. 
Legt sich die Linse bei einem Durchbruch 
der Cornea nach aussen an die Hornhaut an, 
um nach Verschluss der Perforationswunde 
wieder zurückzutreten, so kann es kommen, 
dass Reste des Narbengewebes, welches mit 
der vorderen Linsenkapsel verklebt ist, an 
ihr haften bleiben und so mitgenommen 
werden — Cataracta capsularis an¬ 
terior spuria. Hingegen fallen membranöse 
Gebilde, welche mit der Iris einerseits, mit 
der vorderen Linsenkapsel andererseits in 


Verbindung stehen (so z. B. die als ein aus 
dem Fötalleben herstammendes Residuum 
aufzufassende Membrana pupillaris perse- 
verans), nicht unter die Kategorie der fal¬ 
schen Cataracte. Und wie nun die vordere 
Linsenkapsel von Seite der Vorderkammer aus 
mit derartigen Bildungen beladen werden 
kann, so kann die äussere Fläche der hinteren 
Kapsel vom Glaskörper her Auflagerungen er¬ 
halten, die dann gewöhnlich das Bild des 
sog. hinteren Polarstares zeigen, ohne jedoch 
intra vitam stets als Cataracta spuria er¬ 
kannt werden zu können. So beschreibt 
H. Müller („Gesammelte und hinterlassene 
Schriften zur Anatomie und Physiologie des 
Auges“, Bd. 1) eine „eigentümliche Form 
von hinterem Polarstar“ aus dem Auge einer 
jungen Ziege, die als eine ausserhalb der 
Kapsel liegende, mit der embryonalen gefäss- 
haltigen Kapsel zusammenhängende Trübung 
aufzufassen war; v. Ammon beschreibt einen 
derartigen Fall vom Kaninchen. Der Fall, 
den Mayerhausen („Zeitschr. f. vergleichende 
Augenheilkunde,“ II. Jahrg.) als „ungewöhn¬ 
lich langes Persistiren der Tunica vasculosa 
lentis beim Kaninchen“ beschreibt, gehört 
ebenfalls hieher. 

Um sich das Verständniss bei Beschrei¬ 
bung von Cataracten gegenseitig zu erleich¬ 
tern, hat man in anatomischer Hinsicht eine 
Unterscheidung in Kapselstar, Cataracta 
capsularis (Fig. 370a) — es ist nur die 
Linsenkapsel allein Sitz einer Trübung — und 
in Linsenstar (im engeren Sinne), C. lenti¬ 
cularis, gemacht; letzteren trennt man wieder 
in Rindenstar, C. lenticul. corticalis 
(Fig. 370 b) — die Trübung liegt in der 
Rindenschichte der Linse — und in Kemstar, 
C. lenticul. nuclearis (Fig. 370c) — der 
centrale Kern allein ist cataractös verändert. 
Sind sowohl der Linsenkörper wie die Kapsel 



Fig. 370. Linsendurchschnitte. a Kapselst ar, b und c Lin¬ 
senstar und zwar: b Cortikalstar, c Kernstar (schematisch). 


gleichzeitig getrübt, so hat man die C. cap- 
sulo - lenticularis. Sitzt die Trübung in 
der Axe der Linse, so spricht man von 
einem centralen oder axialen Star, C. cen¬ 
tralis s. axialis; ist so ziemlich genau 
das Centrum der Linse ergriffen und nur 
dieses allein, so hat man es mit einer C. cen¬ 
tralis lenticularis zu thun, im Gegensatz 
zu jenen axialen Trübungen, welche mehr 
gegen den vorderen oder hinteren Pol der 
Linse zu gerückt sind und die man dann als 
C. centralis anterior et posterior oder 
C. polaris anter. et post. — vorderen und 
hinteren Polarstar — bezeichnet. Je nachdem 



CATARACTA. 


108 

nur ein Theil des Linsengewebes oder dieses 
in seiner ganzen Masse ergriffen ist, hat man 
eine theil weise Trübung, C. parti alis, oder 
eine vollkommene, C. tot alis. Da jedoch 
keine intra vitam acquirirte C. totalis, sei 
sie auch noch so dicht und verbreite sich 
der Process auf jede einzelne Linsenfaser, 
plötzlich und auf einmal entsteht, vielmehr 
sich allmälig aus einer C partialis heraus- 
entwickelt, dürfte man den Ausdruck C. par¬ 
tialis eigentlich nicht für die Formen theil- 
weisen Stares in Anwendung bringen, welche 
nach Erfahrung und Voraussicht zu einer 
C. totalis führen, und es verwendet eine An¬ 
zahl Autoren dafür den Namen C. progres¬ 
siva, während sieden Ausdruck C. part. für 
solche Linsentrübungen reserviren, bei welchen 
der Process wirklich sich aufnur einen Theil des 
Linsenareales definitiv beschränkt. Hinsichtlich 
der Gestalt, Farbe und Consistenz des Stares 
haben sich für einzelne, häufiger vorkoramende 
Starformen gewisse Namen in der Augenheil¬ 
kunde eingebürgert; so spricht man von Star¬ 
punkten, C. punctata — kleine und kleinste, 
einzeln oder zu mehreren in Kapsel oder 
Linsenkörper sitzende punktförmige Trübun¬ 
gen; Balkenstar — die Punkte haben sich 
zu mehr weniger dicken Strichen ausgezogen; 
Sternstar, C. stellata — die einzelnen 
Punkte haben sich so gruppirt, dass daraus 
eine sternartige Figur entsteht; C- nigra, 
Grauschwarzstar; Perlmutterstar — die 
einzelnen, nicht allzu grossen Trübungen haben 
das Aussehen conglobirter, glänzender Schüpp¬ 
chen; weicher Star, C. mollis; harter Star, 
C. dura; gemischter Star, C. mixta— harter 
Kern mit auffallend weicher Corticalis. Die 
Extreme in der Consistenz der Stare werden 
angegeben als C. fluida s. lactea (wegen 
seiner milch weissen Farbe), C. lapida, 
C. calcarea, C. gypsea, C. arido-sili- 
quosa. Jede Cataract, welcher Art sie sonst 
auch sein mag, die mit der Iris durch eine 
Verlöthung (hintere Synechie) verwachsen ist, 
heisst C. accreta. 

Von grosser Wichtigkeit für die Prognose 
und die allenfalls einzuschlagende Therapie 
ist es, zu entscheiden, ob man es mit einem 
primären Star oder einer erst secundär er¬ 
folgten Cataractbildung, C. consecutiva s. 
secundaria (welch 1 letzterer Ausdruck auch 
für den sog. Nachstar in Gebrauch ist) zu 
thun hat. Während im ersteren Falle das Auge 
— eben bis auf die Starbildung — als ge¬ 
sund bezeichnet werden muss und einen be¬ 
stimmten anderweitigen Krankheitsprocess 
nicht nach weisen lässt (so namentlich bei 
C. congenita und C. senilis), gibt es 
hingegen wieder Erkrankungen des Bulbus, 
die in ihrem weiteren Verlauf, in ihrem Fort¬ 
schreiten ziemlich regelmässig das Linsen¬ 
system in Mitleidenschaft ziehen und eine 
Cataract hervorrufen — C. consecutiva 
(z. B. bei der recidivirenden Iridochoroiditis). 

Diagnostik der Cataract. So leicht 
und einfach es auch sein mag, einen wohl- 
ausgebildeten totalen oder partiellen Star auf 
den ersten Anblick mit blossem Auge als 


solchen zu erkennen, über seine anatomische 
Ausbreitung, allenfalls das ungefähre Alter und 
die Consistenz klar zu werden, ebenso unmö¬ 
glich ist es, ohne Zuhilfenahme optischer 
Hilfsmittel feine und feinste, besonders in den 
hinteren Abschnitten der Linsenmasse ge¬ 
legene Trübungen aufzufinden und als der 
Linse angehörig festzustellen. Erst mit der 
Verbesserung der Methode der seitlichen Be¬ 
leuchtung und der Einführung des Augen¬ 
spiegels in die Augenheilkunde ist es uns 
vergönnt, ein gewonnenes Untersuchungs- 
resultat mit apodiktischer Sicherheit aus- 
sprechen zu dürfen, so dass die objective 
Diagnose des Stares jetzt zu den glänzend¬ 
sten Resultaten der physikalischen Unter¬ 
suchungsmethode zu zählen ist. Um ein Lin- 
sensytem bezüglich seiner Durchsichtigkeit 
und Functionsfähigkeit sowie auf die Lage¬ 
rung desselben hin untersuchen zu können, 
ist es vor allen Dingen absolut nothwendig, 
sich dasselbe in seiner ganzen Ausdehnung 
zur Anschauung zu bringen, also nicht nur 
den für gewöhnlich bei Tagesbeleuchtung in, 
resp. hinter der Pupille sichtbaren Abschnitt 
zu exploriren, sondern auch den normaler 
Weise von der Iris verdeckten Theil der 
Untersuchung zugänglich zu machen, indem 
man eine Dilatation der Pupille, u. zw. eine 
Mydriasis ad maximum herbeiftthrt, was durch 
mittelst Augentropfgläschen oder Haarpinsels 
zu bewerkstelligende Instillation einer l°/ ? igen 
Lösung von Homatropin leicht zu erreichen 
ist; in der Regel wird eine einmalige Einträufe¬ 
lung von dem gewünschten Effect bereits 
begleitet sein; sollte wider Erwarten nach 
10—15 Minuten eine Erweiterung der Pupille 
nicht eingetreten sein, so ist — sobald man 
von der Güte des angewendeten Präparates 
überzeugt ist — bei Wiederholung der In¬ 
stillation eine gewisse Vorsicht anzuwenden, 
da die Möglichkeit sehr nahe liegt, dass man 
es mit Synechien zu thun hat, deren forcirte 
Zerreissung von üblen Folgen begleitet sein 
kann. Durch die Anwendung von Homatropin 
vermeidet man eine zu lange Dauer der 
Mydriasis und die bei schwefelsaurem Atro¬ 
pin auftretenden Blendungserscheinungen. An¬ 
derenfalls kann man durch nachträgliche 
Instillation einiger Tropfen einer 1 %igen 
Lösung von salicylsaurem Eserin (Physostyg- 
min) die Mydriasis in kurzer Zeit zum Ver¬ 
schwinden bringen. Die so für die Unter¬ 
suchung vorbereitete Linse erfährt — selbst¬ 
verständlich im verdunkelten Raume — eine 
Beleuchtung mit auffallendem wie auch in 
durchfallendem Lichte. Zu ersterem Zwecke 
concentrirt man durch eine Sammellinse 
von kurzer Brennweite und grosser Oeff- 
nung das Licht einer Lampe (s. Beleuch¬ 
tung focale und Ophthalmoskopie) so auf die 
Linse, dass die Spitze des auf diese Weise 
erzeugten Lichtkegels in die Mitte der Pu¬ 
pille zu liegen kommt und durchforscht nun 
die so hell erleuchtete Linse systematisch in 
allen ihren Theilen; gut ist es, durch leichtes 
An- und Abrücken des projicirenden Convex¬ 
glases die Spitze des Lichtkegels bald mehr 


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CATARACTA. 


in die vorderen, bald mehr in die hinteren 
Schichten des Linsensystems im Auge zu 
legen, um so die Linse gewissennassen 
schichtenweise zu durchsuchen. Sind Trü¬ 
bungen vorhanden, so verursachen dieselben 
einen grauen, weissen oder sonst veränderten 
Reflex, indem sie die Lichtstrahlen nur theil- 
weise oder auch gar nicht ins Innere des 
Auges dringen lassen, dieselben vielmehr 
zurückwerfen. Eine Quelle für Täuschungen 
könnte der Umstand werden, dass in Linsen 
älterer Thiere bei dieser Art der Beleuchtung 
ab und zu ein leichter Seidenglanz bemerkt 
werden kann, der jedoch nicht pathologisch 
ist, sondern seine Erklärung durch im höheren 
Alter auftretende physiologische Processe fin¬ 
det. Auf derartige Zustände machte bei Thieren 
zuerst Berlin aufmerksam. Man findet näm¬ 
lich relativ oft bei älteren Pferden bei Spiegel¬ 
beleuchtung in der Linse in den mittleren 
und den Randtheilen, in concentrischer An¬ 
ordnung, bogenförmig verlaufende „Linien 11 , die 
abwechselnd, je nach der Bewegung des Unter¬ 
suchers, des Spiegels oder des untersuchten 
Auges hell erleuchtet oder schattig aussehen. 
Ebenso wenig sind zu dem Processe „Star“ 
zu rechnen die von demselben Autor be¬ 
schriebenen und gedeuteten radiären strich- 
förmigen und concentrischen Linsenreflexe, 
welche erstere auf einer Dichtigkeitsdifferenz 
in den Rindenschichten beruhen, während die 
letzteren auf eine höhere Brechkraft des Lin- 
senkemes gegenüber der Rindensubstanz zu¬ 
rückzuführen sind. Durch beide Veränderungen 
wird ein unregelmässiger Astigmatismus der 
Linse erzeugt. Derartige und manche andere 
Irrthümer zu verhüten, schliesst sich derfocalen 
Beleuchtung eine Augenspiegeluntersuchung 
(mit durchfallendem Lichte) an, die überhaupt 
einen integrirenden Bestandteil jeder Linsen¬ 
untersuchung bildet. Durch den Spiegel wird 
hinter der Linse ein erleuchtetes Feld geschaffen, 
vor dem dieselbe in einem durchaus durch¬ 
sichtigen Medium, um mich so auszudrücken, 
schwimmt. Ist das Linsensystem durchsichtig, 
so nimmt man von demselben nichts wahr. 
Finden sich in demselben aber Theile, welche 
getrübt und daher für Licht wenig oder gar 
nicht durchgängig sind, so erscheinen dieselben 
vor dem erleuchteten Augengrunde nicht er¬ 
leuchtet, also dunkel oder schwarz, indem sie 
das rückkehrende Licht abhalten. Auch inso- 
ferne wird das Resultat der focalen Beleuch¬ 
tung durch die Spiegeluntersuchung ergänzt, 
bezw. rectiflcirt, als bei ersterer allerfeinste 
und zarte Trübungen oft nicht mehr wahr¬ 
genommen werden können, während sie der 
Spiegel als staubförmige, kleinste Wölkchen 
noch erkennen lässt. Trübungen in den vor¬ 
dersten Theilen des Glaskörpers, die oft mit 
blossem Auge und bei seitlicher Beleuchtung 
so deutlich gesehen werden, dass man ge¬ 
neigt ist, sie in die hinteren Schichten der 
Linse zu verlegen, werden bei der Spiegel¬ 
untersuchung leicht daran erkannt, dass sie 
bei Drehungen, die das untersuchte Auge macht, 
die entgegengesetzte Bewegung wie die Horn¬ 
haut vollführen, während Linsentrübungen 


10 9 

sich immer in derselben Richtung fortbewegen 
wie der vordere Abschnitt des Bulbus. Es 
rührt dies daher, dass der Drehpunkt des 
Auges direct hinter der Linse liegt und dass 
alle hinter demselben gelegenen Gebilde den 
umgekehrten Weg zurücklegen müssen. Aus¬ 
serdem ist ein Glaskörper, der Trübungen 
besitzt, meist bis zu einem gewissen Grade 
verflüssigt, was zur Folge hat, dass die in 
ihm suspendirten Körper auch dann, wenn 
das Auge bereits aufgehört hat, sich zu drehen,, 
noch leichte schwingende oder rückläufige 
Bewegungen machen, während im Gegensatz 
dazu eine Linsentrübung mit dem Momente 
eingetretener Ruhe des Augapfels ebenfalls 
unbeweglich erscheint. Das durchfallende Licht 
verliert für die Diagnose der Cataract seinen 
Werth, wenn eine Trübung so ausgebreitet 
und dicht ist, dass dieselbe ein Leuchten der 
Pupille verhindert: in solchen Fällen wirkt 
der Augenspiegel ähnlich wie die seitliche 
Beleuchtung. Sind Trübungen oder Flecke der 
Hornhaut verhanden, so ist zu bedenken, dass 
dieselben bei einigem Umfange und bei seit¬ 
licher Beleuchtung, Schatten bis auf die Linse 
werfen können. Sich über die ganze Hornhaut 
erstreckende Maculae, Trübungen des Vorder¬ 
kammerwassers, Exsudate in demselben, Iri¬ 
tis u. s. w. benehmen uns die Möglicheit, eine 
Cataract zu erkennen, oder schränken die¬ 
selbe doch bedeutend ein. 

Um den Ort, welchen die Trübung inner¬ 
halb der Linse einnimmt, annähernd bestimmen 
zu können, reicht für gewöhnlich die Augen¬ 
spiegeluntersuchung aus. Sobald man es aber 
mit Linsen zu thun hat, welche derart 
intensiv getrübt sind, dass man einen auch f 
nur einigermassen deutlichen Reflex aus dem 
Augeninnem nicht mehr erhält, verliert die 
Spiegelung für diesen Zweck ihren Werth 
und man greift, um doch noch die Locali- 
sirung der Trübung festzustellen im Stande zu 
sein, zu den sog. Purkinje-Sanson 1 sehen 
Flammbildchen. Hält man nämlich ein 
Licht von der Seite her gegen das Auge eines 
Thieres, so wird dasselbe von den spiegelnden 
Flächen des Auges reflectirt und man be¬ 
obachtet drei kleine Spiegelbildchen der 
Flamme: je eines von der Hornhaut und der 
vorderen Fläche der Linse entworfen, also 
von convexen Spiegeln reflectirt und daher 
aufrecht, und ein drittes von der einen con- 
caven Spiegel vorstellenden hinteren Linsen- 
fläche, daher umgekehrt. Ist nun in den 
tieferen Theilen der Linse eine Trübung vor¬ 
handen, so muss das von der hinteren Kapsel 
entworfene Reflexbild an der Stelle fehlen, 
wo die Trübung ist. Liegt die letztere im 
Glaskörper, nahe hinter der Linse, so ist 
das Bildchen stärker als in der Norm, da 
jetzt der Spiegel durch die Glaskörperopacität 
gleichsam einen Belag bekommt, in Folge 
dessen er stärker reflectirend wirkt. Das 
Fehlen oder Verschwomraensein des genannten 
Linsenbildchens spricht also stets dafür, dass 
die tieferen Theile der Linse entweder völlig 
oder doch stark getrübt sind. Bei diffuser 
Linsentrübung verschwindet, während das 



110 


CATARACTA. 



vordere Kapselbild überall sichtbar gemacht 
werden kann, das hintere ganz oder es er¬ 
scheint verschwommen und alsdann zu¬ 
gleich schwach gefärbt. Ein Umstand, wel¬ 
cher zu diagnostischen Irrthümem zu füh¬ 
ren geeignet ist, bleibt noch der Erwähnung 
werth. Hat eine Linse eine Lockerung 
ihrer anatomischen Fixation erfahren und ist sie 
in Folge einer Dehnung oder partiellen Zer- 
reissung ihres Aufhängebandes mit einem 
Segmente aus dem Pupillargebiete heraus in 
die vordere Augenkammer getreten (Subluxation 
der Linse), so zeigt sich bei focaler Beleuch¬ 
tung bereits der in solcher Weise vorgerückte 
Linsenrand als ein heller, bogenförmiger 
Streifen, welcher dann bei Spiegelbeleuchtung 
vollkommen dunkel und schwarz erscheint 
(Fig. 371), ohne dass die Linsensubstanz hier 
an Durchsichtigkeit eingebüsst zu haben 
braucht. Es rührt diese 
Erscheinung von der to¬ 
talen Reflexion des Lich¬ 
tes am Linsenrandc — 
welcher nun die Spitze 
eines Prismas darstellt — 
her. Daher erscheint bei 
Beleuchtung von vorne 
derselbe hell, indem die a 

von der Loupe ansgehen- Jf f^ m Oberen Seg- 
den Strahlen an ihm 80 mente in die vordere 
schief auffallen, da88 sie Augenkmmmer »ttbloxirten 
nicht weiter gehen, son- Lmse * 

dem alle in das Auge des Beobachters 
zurückgeworfen werden. Wenn darauf der 
Untersucher den Augenspiegel benützt, so er¬ 
scheint der Rand schwarz; denn das Licht, 
welches er durch den Augenspiegel aus dem 
Auge bekommt, wird an der Stelle, wo der 
Linsenrand sich befindet, ebenfalls total reflec- 
tirt, also ins Innere des untersuchten Auges 
zurückgestrahlt. Schliesslich ist für die par¬ 
tielle Dislocation der Linse aus dem Pupillar¬ 
gebiete charakteristisch, dass die Theile des 
Augengrundes, z. B. die Sehnervenscheibe, 
doppelt erscheinen. Dies rührt aber daher, 
dass das aus dem Auge zurückkommende Licht, 
welches der Augenspiegel hineingeworfen, 
dasselbe auf zwei ganz verschiedenen Wegen 
verlässt, einmal durch den Theil der Pupille, 
in dem sich die Linse noch befindet, das 
anderemal durch den linsenlosen Theil. 

Bezüglich der bei Linsenuntersuchungen 
mittelst des Augenspiegels (durchfallendes 
Licht) benöthigten Intensität der Beleuchtung 
ist zu bemerken, dass möglichst schwache 
Flammen verwendet werden sollen, während 
man gleichzeitig die lichtschwächsten 
Spiegel (Plan-Spiegel) zur Anwendung bringt. 
Wollte man eine grelle Beleuchtung oder 
lichtstarke (Concav-) Spiegel benützen, so 
liefe man Gefahr, sehr feine und staubförmige 
Trübungen der Linse in dem geschaffenen 
Lichtmeer, in dem sie gleichsam ausgelöscht 
werden, einfach zu übersehen. Bedeutend er¬ 
schwert sich der Untersucher die Stellung 
seiner Diagnose, wenn er zum Zwecke von 
Linsenexplorationen sich corrigirender Gläser 
bedient, die er in seinen Spiegel einschieben 


wollte; er stellt damit sein Auge wohl scharf 
für den Augenhintergrund ein. an dem er ja 
alle Details zu erkennen befähigt wird, über¬ 
sieht dagegen die seinem Auge nähergelegenen 
Veränderungen in der Linse. Es ist daher 
Regel, bei jeder Untersuchung mit dem Augen¬ 
spiegel, welche eine Erforschung der Linse, 
überhaupt sämmtlicher brechenden 
Medien zum Zwecke hat, nie ein Concav- 
oder Convexglas in den Spiegel ein¬ 
zusetzen, vielmehr den Spiegel allein nur 
als solchen zu benützen. 

Pathologie und Aetiologie der 
Cataract. Wenn wir oben die Cataract als 
jede, unter welchen Umständen auch immer, 
auftretende Trübung, als einen theil weisen 
oder vollständigen Verlust der Durchsichtig¬ 
keit des Linsensjstems definirt haben, so ist 
damit bereits ausgesprochen, dass es nicht 
ein und immer derselbe Process sein kann, 
der solche Veränderungen herbeiführte; es 
sind vielmehr eine Reihe verschiedenster 
pathologischer Vorgänge, die sich in Kapsel 
und Linsenkörper, hier sowohl in den sub- 
capsulären Epithelien als auch in den Linsen¬ 
fasern (die aber auch als modificirte epithe¬ 
liale Bildungen aufzufassen sind) abspielen, alle 
aber den gleichen Schlusseffect zur Folge haben: 
dass sie die Brechkraft der Linse an der er¬ 
griffenen Stelle verändern, so einen Contrast 
zwischen gesundem und krankem Gewebe 
herbeiführend, welcher seinen Ausdruck als 
Trübung findet. Es ist dies ein Verhältniss, 
ähnlich wie z. B. bei den Herzklappenfehlern, 
bei denen eine Klappe durch mannigfaltige 
Aenderung ihrer Form, Gestalt, histologischen 
Textur etc. erkrankt sein kann, die schliessliche 
Folge jedoch stets dieselbe bleibt: Insuffi- 
cienz der Klappe und Stenose ihres Ostiums. 
Der graue Star ist ein häufig, ja im Ver¬ 
gleich zu Erkrankungen der übrigen Theile des 
Bulbus geradezu so unverhältnissmässig häufig 
auftretendes Augenleiden, dass man nothwen- 
dig dazu kommen musste, gewisse prädispo- 
nirende Ursachen dafür zu suchen, zu denen 
nur eine Gelegenheitsursache noch hinzutreten 
darf, um Cataractbildung hervorzurufen. Und 
in der That hat man durch genaueres Stu¬ 
dium der Art und Weise, wie die Linse ihre 
Ernährung bewerkstelligt, in derselben ein 
Organ gefunden, welches bei so hoher Digni¬ 
tät und einfacher Zusammensetzung ganz 
eigcnthümliche Ernährungsbedingungen be¬ 
sitzt. Die Linse ist durch eine geschlossene, 
structurlose und für geformte Elemente nor¬ 
maler Weise undurchgängige Membran voll¬ 
ständig abgegrenzt. Bis gegen Ende des 
Embryonallebens liegt dieser Membran die 
gefässhaltige Kapsel vollständig auf, deren 
Gefasse ohne Zweifel während der ganzen 
Dauer ihrer Entwicklung das Material für 
die Ernährung und das Wachsthum der 
Zellen und Fasern innerhalb der Kapsel 
liefern. Nach Rückbildung der gefasshaltigen 
Kapsel tritt nun das eigcnthümliche Ver¬ 
hältniss ein, dass die Linse nur mittelst der 
Fasern der Zonula Zinnii mit den festen Thei- 
len des Auges unmittelbar in Verbindung 


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CATARACTA. 


111 


steht. Ihre Ernährung kann daher, da die 
Zonulafasem weder Nerven noch Blutgefässe, 
noch etwa Lymphbahnen besitzen, nur von 
den die Linse nach vorne und hinten um¬ 
gebenden flüssigen Medien des Auges, also 
entweder vom Kammerwasser, oder vom Glas¬ 
körper, oder von beiden zugleich aus ge¬ 
schehen. Diese Medien besitzen aber auch 
wieder, ebenso wie die Linse, weder Nerven 
noch Gefässe. Die interessanten Injections- 
versuche, die Deutschmann, Schöler, 
Uhthoff und Andere angestellt haben, er¬ 
gaben, dass die Ernährungsflüssigkeit in der 
Aequatorialgegend der Linse, zwischen den 
Blättern der Zonula Zinnii gehend, in die 
Linse eintritt und allmälig concentrisch gegen 
den Kern zu vorrückt, dessen Stoffwechsel in 
Folge davon ein nur viel trägerer sein kann. 
Eine Bestätigung dieser Befunde müssen wir 
darin erblicken, dass in der Gegend des 
Linsenäquators die Zellenneubildung eine 
physiologisch viel lebhaftere ist als im Lin¬ 
senkern. Auf diese Weise wird uns die Häufig¬ 
keit der Linsenerkrankungen einigermassen 
verständlich. Bis vor nicht gar langer Zeit 
nahm man als Ursache des Stares ganz 
allgemein Vorgänge fast ausschliesslich re¬ 
gressiver Natur (Atrophie, degenerative Zu¬ 
stände) an und schrieb der activen Betheili¬ 
gung der intracapsulären Zellen nur eine 
ganz nebensächliche Bedeutung zu. Wo man 
eine solche wahrnahm, sprach man von einer 
Entzündung; so spricht Iwanoff von einer 
Phakitis, Horner von entzündlicher Kapsel- 
cataract und Knies charakterisirt die Star¬ 
bildung überhaupt als parenchymatöse Ent¬ 
zündung, in deren Verlauf dann Regenera¬ 
tionsvorgänge von Seite der nicht zerstörten 
Elemente hinzutreten. Dass über diese Ver¬ 
hältnisse nicht schon früher Klarheit ge¬ 
schaffen wurde, lag zumeist in den bedeu¬ 
tenden technischen Schwierigkeiten, welche 
die Linse den Untersuchungen entgegensetzte. 
0. Becker hat nun nachgewiesen, dass 
nicht allein regressive, sondern vielmehr, 
u. zw. am häufigsten progressive Processe 
(Wucherung, Neubildung) der Starbildung 
zu Grunde liegen. Diese abnorme Zellpro- 
duction äussert sich: 1. als Wucherung des 
Kapselepithels, 2. als Bildung bläschenartiger 
Zellen und 3. als Bildung eines epithelialen 
Ueberzuges an der Innenseite der hinteren 
Fläche. Alle diese Arten von Zellneubil¬ 
dung kommen bei den verschiedenen Formen 
des grauen Stars, wenn auch in verschie¬ 
denem Grade und verschiedenem Verhältniss, 
zur Beobachtung. Auffallend dabei ist es aber, 
dass den gleichen Producten ganz verschie¬ 
dene Ursachen in- und ausserhalb der Linse 
zu Grunde zu liegen scheinen. Wie sich dies 
bei den einzelnen Formen der Cataract ver¬ 
hält, will bei deren näherer Besprechung 
erörtert werden. Was die regressiven Meta¬ 
morphosen anbelangt, so gehen nach Becker 
sowohl die Linsenfasern, wie auch die intra¬ 
capsulären Zellen solche ein. Erstere werden 
bei Bildung des Linsenkernes, bei der sog. 
Sclero8irung der Linse, von einem Processe 


ergriffen, den man als eine einfache Atrophie 
bezeichnen kann. Auch bei den intracapsu¬ 
lären Zellen kann man Bilder finden, welche 
sich wohl nur durch Atrophie erklären lassen. 
Allen innerhalb der unverletzten Kapsel vor¬ 
kommenden Zellen, sowohl den Zellen des 
normaler Weise vorhandenen Epithels der 
vorderen Kapsel, wie insbesondere sämmt- 
lichen neugebildeten Zellen, ist in hohem 
Masse die Tendenz gemeinsam, bald und 
schnell einem der regressiven Processe anheim¬ 
zufallen: so findet häufig in das Gewebe der 
Linse eine Ablagerung von Kalksalzen statt, 
die als Petrification auch in anderen Geweben 
bekannt ist. Die wichtigsten Starformen sind: 

1. Der Wundstar, Cataracta traumatica, 

2. der Altersstar, Cataracta senilis, und 3. der 
consecutive (oder secundäre) Star, Cataracta 
consecutiva. 

1. Die Cataracta traumatica verhält 
sich bezüglich ihrer Aetiologie und Pathologie 
am einfachsten. Sie kann sowohl durch die 
Linse direct treffende Insulte (Stich, Schuss) 
hervorgerufen werden, indem durch ihre Form 
dazu geeignete Körper die Augenhüllen per- 
foriren und den Zusammenhang der Linse 
stören, als auch die Folge von Zusammen¬ 
drückung und Erschütterung (contusio) des 
Bulbus sein und wird dann im letzteren Falle 
als indirecter, im ersteren als directer Wund¬ 
star bezeichnet. Im Falle directer Linsenver¬ 
letzung wird man stets die eine oder die 
andere Complication vorfinden, sei es, dass 
man in frisch untersuchten Fällen die Ver¬ 
letzung der Bulbushüllen — der Cornea oder 
des Scleralbandes — entdeckt, Blutansamm¬ 
lungen in der vorderen Kammer, Zerreissung 
der Zonula Zinnii, Iriswunden und beginnende 
Verlöthung mit der Linse u. s. w., sei es, 
dass in älteren Fällen Narben angetroffen 
werden, die — sobald sie in die Cornea zu 
liegen kommen — fast immer gut sichtbar 
sind und in ihrer Formation und der Lage 
zur Linsentrübung hin auf die Möglichkeit 
oder Wahrscheinlichkeit stattgehabten Traumas 
aufmerksam machen; nur ganz feine, etwa 
mit der Nadel gestochene Verletzungen der 
Cornea hinterlassen eine sichtbare Narbe nicht, 
während die gleichzeitig angestochene Linse 
sich trübt. Eindringendc stechende oder 
schneidende Instrumente treffen wohl nie die 
Kapsel allein, sondern verwunden meist einen 
Theil der Linsensubstanz mit. Das Schicksal 
einer derartig verletzten Linse gestaltet sich 
etwa folgendermassen: Die mit dem Humor 
aquaeus in Berührung kommenden Krystall- 
theile trüben sich zunächst, imbibiren sich 
mit Kammerwasser, blähen sich auf und zer¬ 
fallen in kleine Partikelchen, welche schliess¬ 
lich ganz aufgelöst und resorbirt werden. Hat 
ein Theil der Linsenmasse diese Wandlung 
durchgemacht, so kommt, vorausgesetzt, dass 
die Kapselwunde noch offen ist, ein anderer 
Theil an die Reihe, welcher dasselbe Schicksal 
erleidet, bis in dieser Weise der ganze Kry- 
stallkörper aufgesaugt und das Pupillargebiet 
frei wird. Die Linsenkapsel restiri als zartes, 
durchsichtiges, bei Focalbeleuchtung seiden- 



112 


CATARACTA. 


glänzend erscheinendes Häutchen und consti- 
tuirt einen sog. Nachstar. In anderen Fällen 
schliesst sich die Kapselwunde, nachdem ein 
Theil der Linse abgestossen und resorbirt wor¬ 
den, so dass das Kammerwasser keinen Zugang 
zum Rest der Linse hat, welche in ihrer nun¬ 
mehrigen Grösse und reducirten Gestalt viele 
Jahre hindurch als traumatische Cataract per- 
sistirt. Diese Cataract kann total sein — es 
ist also die ganze Linsenmasse starig ver¬ 
ändert — sie kann aber auch partiell bleiben, 
indem der Zerfallsprocess stehen bleibt und 
die übrigen Linsendistricte verschont. Ganz 
kleine Kapselwunden können sich sofort wieder 
schliessen, so dass dem Kammerwasser der 
Zutritt zum Kry stallkörper verwehrt und letz¬ 
terer vor starigen Veränderungen verschont 
bleibt. Bei einer Contusio bulbi kann die 
Linsenkapsel gesprengt werden und die Linse 
trübt sich dann durch Contact mit den flüs¬ 
sigen Medien des Auges in derselben Weise 
wie beim directen Wundstar. Ob Erschütterun¬ 
gen des Auges, welche weder von Berstung der 
Kapsel noch Zerreissung der Zonula begleitet 
sind, eine Linsentrübung hervorrufen können, 
ist noch nicht entschieden. Bemerkenswerth 
ist jedoch die Thatsache, dass Berlin durch 
Prellung von Kaninchenaugen mit einem ela¬ 
stischen Stabe Trübungen in der vorderen 
Corticalsubstanz erhielt. Für Cataractbildung 
muss eine Contusion des Auges auch in dem 
Falle verantwortlich gemacht werden, wenn 



Fig. 372. In die vordere Augenkammer loxlrte, geblähte und 
starig degenerirte Linse mit Geftseprossung in der Cornea 
(Pferd). Die Iris ist trichterförmig nach rückwärts gedrängt. 

eine auf diese Weise in die Vorderkammer 
luxirte, resp. subluxirte Linse sich später¬ 
hin trübt. (Fig. 372). 

2. Der senile, Greisen- oder Altersstar, 
Cataracta senilis, kommt, wie der Name 
dies schon besagt, raeistentheils bei alten 
Thieren vor. Der Zeitpunkt, bis zu welchem 
die Starbildung gewöhnlich aufzutreten pflegt, 
ist bei den verschiedenen Thierarten eine 
verschiedene; so soll nach Hertwig beim 
Pferde ein Altersstar nur äuserst selten und 
dann meist nicht vor dem 36. Lebensjahre 
sich entwickeln. Hunde und Katzen werden 
sehr häufig zwischen dem 14. und 16. Jahre, 
eingesperrte Vögel mit 10—15 Jahren star¬ 
blind. Dass bei den übrigen Hausthieren 
die Cataracta senilis nicht oder nur aus¬ 
nahmsweise zur Beobachtung gelangt, liegt 


wohl hauptsächlich in dem Umstande, dass 
man dieselben aus ökonomischen Rücksichten 
und Gründen nicht das Alter erreichen lässt, 
welches sie zur Starbildung disponiren würde. 
Doch ist es kein gerade zu seltener Befund, 
dass man alte Kühe mit einer Starform be¬ 
haftet findet, welche äusserlich das Ansehen 
einer senilen Cataract zeigt, und wo man bei 
der nachträglichen Section des Auges keine 
Veränderungen findet, die den Star als einen 
consecutiven erklären liessen, so dass man zur 
Annahme, es mit Greisenstar zu thun zu 
haben, einigermassen berechtigt ist. Da der 
Altersstar in einer Involutionsperiode sich 
entwickelt und in genetischem Zusammenhang 
mit derselben steht, so ist es leicht zu ver¬ 
stehen, dass er gemeiniglich die Linsen beider 
Augen befällt. Die in der Linse gelegene, 
vom Alter abhängige, zur Cataractbildung 
disponirende Ursache ist die Sclerose der 
Linse, die Kembildung derselben. Es ist eine 
von Pristley Smith zuerst gefundene That¬ 
sache, dass Linsen, in denen sich eine senile 
Cataract entwickelt, ein kleineres Volumen 
besitzen als gleichalterige, gesunde, sich nicht 
trübende Linsen; hieraus muss der Schluss 
gezogen werden, dass eine excessive Schrum¬ 
pfung, ein Excess in der Rückbildung die 
Einleitung zur cataractösen Veränderung des 
Linsenkörpers bildet. In Folge der ungleichen 
Schrumpfung der peripheren Fasern und 
Schichten weichen diese auseinander, bilden 
Lücken zwischen sich, in denen sich die 
zwischen den Gewebselemcnten befindliche 
Flüssigkeit in abnormer Weise ansammelt. 
Diese ursprünglich normale, auch im Bre¬ 
chungsindex den Formelementen gleiche Flüs¬ 
sigkeit veranlasst, weil sie in den Lücken 
stagnirt, abnorme Diffusionsvorgänge zwischen 
ihr und dem Inhalt der Linsenfasern, in Folge 
deren die letzteren einen Theil ihres Inhaltes 
verlieren, gegen den sie einen Theil ihrer eigenen 
Bestandtheile abgibt. Die Zwischenwände der 
einzelnen Lückenabtheilungen sind doppelt 
contourirt und auch der Länge nach sind sie 
zu beiden Seiten von einer doppelten Contour 
eingefasst. Die Einwirkung solcher Flüssig¬ 
keitsansammlung auf die Form der benach¬ 
barten Schichten ist eine sehr mannigfache. 
Alle Stadien, von der punktförmigen molecu- 
laren Trübung bis zum Auftreten stärker 
lichtbrechender Tröpfchen in den Fasern, von 
der runzeligen Begrenzung bis zu dem Bilde 
quergestreifter Fasern, das Aufquellen mit 
Uebergang zu cylindrischen Röhren lassen 
sich eben so häufig wahrnehmen, wie die 
Endstadien des Zerfalles, das Verschieben 
der Schichten, Abbrechen, Zerbrechen und 
Zernagtsein einzelner Fasern, Eiweisskugeln, 
molecularer Brei, Kalkkörner, Fett, Chole- 
stearinkrystalle. 

So lange ausschliesslich in der Peripherie 
oder ausnahmsweise einzelne trübe Streifen 
auch vor oder hinter dem Kerne sich ge¬ 
bildet haben, spricht man von beginnender 
Cataract (Cataract incipiens). Ist die 
Trübung der Rindensubstanz weiter vorge¬ 
schritten, so bedient man sich des Ausdruckes 



CATARACTA. 


113 


unreifer Star (C. non dum matura). Als 
reif (C. matura) bezeichnet man die Cataract, 
sobald die Rindenschichte vollständig trübe 
geworden ist. Hin und wieder bedient man 
sich noch der weiteren Unterscheidung der 
C. maturescens, welches Stadium dem der 
Reife unmittelbar vorhergeht. 

Das Stadium der Reife erkennt man 
daran, dass bei seitlicher Beleuchtung keine 
dunklen Partien mehr zu unterscheiden sind, 
und dass bei der Spiegeluntersuchung auch 
bei erweiterter Pupille kein Licht aus dem 
Augengrunde mehr zurückkehrt. Als ein be¬ 
sonders charakteristisches Merkmal wird der 
sog. „Schlagschatten der Iris“ angenommen. 
Wegen der ausserordentlichen Feinheit der 
Linsenkapsel wird der Pigmentsaum der Iris 
bei vollständig getrübter Rindensubstanz der¬ 
selben unmittelbar anzuliegen scheinen. Liegt 
hinter der Iris ausser der Kapsel noch 
durchsichtige Rindensubstanz, so wird bei 
seitlicher Beleuchtung zwischen dem Pupillar- 
rande der Iris und der vordersten, das Licht 
reflectirenden getrübten Schichte der Rinde 
ein schwarzer Zwischenraum sich zeigen, aus 
dessen Breite man auf die Quantität der noch 
nicht getrübten Rindensubstanz schliessen 
kann. 

3. Der consecutive Star, Cataracta 
consecutiva, ist als Folgezustand ander¬ 
weitiger Erkrankungen von Theilen des Auges 
aufzufassen, wobei schliesslich die Linse mit 
in den Process hineingezogen und cataractös 
verändert wird. So führen namentlich Ent¬ 
zündungen des Uvealtractus, sowohl im vor¬ 
deren als im rückenwärtigen Abschnitte, also 
jegliche Form von Iritis, Cyclitis, Irido- 
choroiditis (bes. Iridochoroiditis recidiva des 
Pferdes), selbst Retinochoroiditis, sowie Ver¬ 
änderungen im Glaskörper in letzter Reihe 
zur Bildung von Cataract. Ist das in Rede 
stehende Leiden einseitig, so ist es auch der 
Star, sonst aber kann auch die „choroideale“ 
Cataract an beiden Augen Vorkommen. Die 
choroidealen Stare sind meist totale, doch 
beginnen sie sehr häutig als partielle, nament¬ 
lich als eorticale Stare; die Totalstare sind 
meist ziemlich weich und haben oft einen 
eigentümlichen bläulichen Schimmer. Sehr 
oft sind sie mit kalkigen Ablagerungen an 
der Kapsel und mit wirklichen Kapselstaren 
verbunden. Die vordere und hintere Cortical- 
cataract, sowie der hintere Polarstar können 
sehr lange als solche bestehen bleiben oder 
nur sehr langsam auf die Umgebung sich 
verbreiten, führen aber endlich zur Trübung 
der ganzen Linse. Nicht selten bestehen 
gleichzeitig mehr oder weniger zahlreiche 
hintere Synechien; man spricht alsdann von 
angewachsenem Stare, Cataracta ac- 
creta. 

In einer consecutiv starig erkrankten 
Linse kommt es zu einer abnormen, oft ganz 
ezcessiven Production von Zellen, welche 
nicht, wie man früher wohl annahm, als von 
aussen eingewanderte Eiterzellen anzusehen 
sind, sondern durch Proliferation der Kapsel- 
epithelien entstehen. 


Um künftighin die Classification einer 
Cataract annähernd zu ermöglichen, hat 
0. Becker den Versuch einer Systematik der 
Linsenkrankheiten gemacht. 

Becker theilt die Linsenkrankheiten ein 
in Missbildungen der Linse, in pathologi¬ 
sche Veränderungen der ursprünglich nor¬ 
mal gebildeten Linse, welche ohne Ein¬ 
wirkung äusserer Gewalt auf das Auge ent¬ 
stehen, und in Veränderungen der ursprüng¬ 
lich normal gebildeten Linse, welche durch 
von aussen auf das Auge einwirkende Gewalt 
herbei geführt werden. Diese Hauptgruppen 
gliedert Becker in folgende Unterabthei¬ 
lungen : 

I. Missbildungen der linse. 

A. Missbildungen der Linse ohne 
nachweisbare pathologische Verände¬ 
rungen in anderen Theilen des Auges: 
1. Cataracta centralis lentis; 2. C. fusiformis, 
Spindelstar (eine die ganze Länge der Linsen- 
aie einnehmende Trübung); 3. C. polaris 
posterior vera; 4. C. zonularis; 5. gekerbte 
Linse; 6. Lenticonus anterior et posterior 
(ein regelmässig gebauter, durchsichtiger 
Kegel ragt weit aus der Pupille in die vordere 
Kammer oder nach Rückwärts in den Glas¬ 
körper hinein). 

B. Missbildungen der Linse mit 
nachweisbaren pathologischen Ver¬ 
änderungen im übrigen Auge: 

a) Missbildungen des Linsensystems, 
welche mit Anomalien im Bereiche der Arteria 
hyaloidea, resp. der gefässhaltigen Linsen¬ 
kapsel Zusammenhängen: 1. Die Linse bei 
Anophthalmus und Mikrophthalmus; 2. Cata¬ 
racta membranacea congenita accreta; 3. C. po¬ 
laris posterior spuria. 

b) Missbildungen der Linse in Folge un¬ 
symmetrischer Entwicklung der ZonulaZinnii 

1. Coloboma lentis; 2. andere Formanomalien 
der durchsichtigen Linse; 3. Ectopia lentis. 

II. Pathologische Zustände des ursprüng¬ 
lich normal gebildeten Linsensystems, 
welche ohne Einwirkung äusserer Ge¬ 
walt entstehen. 

A. Die Verbindung der Linse mit 
ihrem Aufhängeband ist nicht gelöst. 

a) Einseitige Cataract, bedingt 
durch einseitiges Augenleiden, a) Die 
Linse wird dadurch, dass sie vorübergehend 
oder dauernd mit erkrankten, festen, gefäss¬ 
haltigen Theilen des Auges in Berührung tritt, 
theilweise getrübt, Kapselcataract: 1. Cata¬ 
racta polaris anterior congenita et acquisita; 

2. C. capsularis anterior, ß) Die Linse wird 
in Folge dauernder directer Berührung mit 
erkrankten, festen, gefässhaltigen, normalen 
oder pathologisch veränderten Theilen des 
Auges total getrübt: 1. Beginnende totale 
Trübung durch Verkleben der Linse mit 
einem Irisgranulom; 2. Cataracta complicata; 

3. Perforation der Linsenkapsel, y) Die Linse 
wird in Folge eines einseitigen Augenleidens 
total getrübt, ohne abnorme Adhäsionen ein- 


Koch. EncykJopftdie d. Thierheilkd. II. Bd. 


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114 CATARACTA. 


gegangen zu sein: Cataracta mollis ex cho- 
roidite. 

b) Constitutioneller Star, a) Das, 
wenn auch seiner Natur nach unbekannte 
constitutionelle Leiden bedingt zunächst eine 
Aderhaut- oder Netzhauterkrankung und diese 
die Cataract: Cataracta choroidealis. ß) Ein 
Zwischenglied zwischen constitutionellem Lei¬ 
den und Linsentrübung ist nicht bekannt. 
Hieher gehören die doppelseitigen Totalstare: 

1. Cataracta capsulo-lenticularis oculi utriusque; 

2. C. Morgagniana o. utr. (als C. Morgagniana 
bezeichnet man einen Totalstar, bei welchem 
als secundäre Metamorphose eine Verflüssi¬ 
gung der Corticalis der Linse auftritt, welche 
sich in ein trübes, kalkmilchähnliches Fluidum 
auflöst, in welchem dann der gewöhnlich sehr 
kleine sclerosirte Kern herumschwimmt; neben 
der Verflüssigung der Corticalis kann die 
Kapsel auch kalkige Beschläge aufweisen); 

3. C. fluida congenita oc. utr.; 4. C. mem- 
branacea congenita; 5. C. senilis. 

B. Die Linse befindet sich nicht 
mehr in normaler Verbindung mit der 
Zonula Zinnii und hat in Folge dessen 
die tellerförmige Grube theilweise 
oder ganz verlassen. Spontane Luxation 
und Subluxation (Kapselcataract, Synchysis 
corporis vitrei — GlaskiTrperverflüssigung — 
Staphylombildung etc. etc.). 

III. Pathologischa Zustände der ursprüng¬ 
lich normal gebildeten Linse, welche durch 
von Aussen wirkende Gewalt veranlasst 
werden. 

A. Durch stumpfe Gewalt: 1. Cata- 
ractbildung durch Erschütterung. Trauma¬ 
tische Luxation. 

B. Durch Stich und Schnitt: 1. Un¬ 
absichtliche Verletzung, Wundstar; 2. ab¬ 
sichtliche operative Eingriffe. 

Prognose. Die Functionsstörungen, wel¬ 
che in Folge einerStarbildung an dem ergriffenen 
Auge sich einstellen, sind je nach Form, La- 
gerung^ntensität und Dichtigkeit der Trübung, 
je nachdem der Bulbus anderweitig miterkrankt 
oder vor pathologischen Vorgängen sonst un¬ 
behelligt ist, verschieden in ihrer Art und 
Schwere. Ob bei einer denkbar dichtesten 
Trübung der Linse eines Thierauges eine 
absolute Undurchlässigkeit für Lichtstrahlen 
besteht, lässt sich objectiv wohl nicht mit 
der wünschenswerthen Sicherheit feststellen 
und muss bei mangelnden Anhaltspunkten 
für ein subjectives Empfinden auch wohl da¬ 
hingestellt bleiben. Dürfte man jedoch Schlüsse 
per analogiam vom Menschen hier verwerthen, 
so liesse sich anführen, dass bei diesem ein 
Verlöschen der Lichtempfindung bis zum letzten 
Funken gar nie statt hat; der Kranke kann 
vielmehr — selbstverständlich dürfen dann 
die lichtempfindenden und leitenden Theile 
des Auges nicht verändert sein — bedeutende 
Differenzen in der Helligkeit immer noch 
unterscheiden und sich klar werden, ob er 
sich in einem hell und grell erleuchteten oder 
in einem verdunkelten Gemache befindet 
Weniger dichte, jedoch über das ganze Linsen¬ 


areal verbreitete Trübungen erzeugen das Ge¬ 
fühl, als ob ein verhüllender Schleier ihm vor 
das Auge gezogen wäre. Partielle Stare, welche 
nur einen gewissen Tlieil der Linsenmasse 
occupiren, müssen nach zwei Gesichtspunkten 
hauptsächlich bemessen werden: einmal nach 
ihrer Grösse und ihrem Sitze und dann nach 
der vorhandenen Möglichkeit oder Wahrschein¬ 
lichkeit der Vergrösserungund des Ueberganges 
in einen Totalstar. Je mehr eine Veränderung 
von der Gestalt der Starpunkte excentrisch 
sitzt, mehr in die für gewöhnlich von der 
L*is verdeckte Linsenzone fällt, desto weniger 
Störungen wird der Star verursachen und gün¬ 
stiger zubeurtheilen sein. Noch sei hier der weit 
verbreiteten, jedoch völlig irrigen Ansicht in 
berichtigender Weise Erwähnung gethan, dass 
eine Starbildung, je dichter sie sei, desto 
hochgradigere Sehstörungen verursache und 
umgekehrt, je leichter und zarter, einem 
feinen Nebel vergleichbar ein Partialstar sich 
ansehen lasse, desto weniger Einfluss übe er 
auf das Sehen aus. Angenommen, ein Star¬ 
fleck von der Grösse einer Erbse sitze mitten 
in der Pupille eines Pferdes, so wird, wenn 
derselbe sehr dicht ist. eben an dieser Stelle 
kein Licht mehr passiren können, diese Stelle 
fällt vollständig aus, während die übrigen 
Theile der Linse für Lichtstrahlen normal 
durchlässig sind; ist nun aber der gleiche 
Starfleck nur als zarte Trübung angelegt, 
so werden eine gewisse Anzahl von Licht¬ 
strahlen ihn noch passiren können, es tritt 
aber nun eine Diffusion des Lichtes 
zwischen der getrübten Stelle und den 
angrenzenden gesunden Partien ein, 
in Folge dessen das Sehen überhaupt viel 
undeutlicher wird, als wenn bei einer 
dichten Startrübung eine circumscripte Stelle 
für Licht ganz verlegt wäre. 

Doch ist die Vorhersage des Stares 
quoad Sehvermögen stets eine zweifelhafte, 
meist eine ungünstige. Es muss hier ganz 
scharf unterschieden werden zwischen dem 
primären und dem consecutiven Star; bei 
ersterem ist eine (operative) Hilfe mög¬ 
lich, bei letzterem jede Therapie vergeblich, 
wenn man nicht im Stande ist, das Grund- 
leiden zu heben oder so weit wenigstens zu 
bessern, dass dieses kein Hindemiss für ein 
gntes Sehvermögen mehr ist (was meist aber 
nicht möglich ist). 

Das Schicksal operirter Stare hängt dann 
noch davon ab, ob die Nachbehandlung in 
richtiger Weise geleitet werden kann, und 
aus diesem Grunde war das Resultat einer 
Cataract-Extraction bis jetzt meist ein proble¬ 
matisches; mit zunehmender Möglichkeit, die 
Nachbehandlung rationell und consequent 
durchführen zu können, steigen allmälig die 
Aussichten auf besseren Erfolg auch bei dieser 
Operation. 

Therapie der Cataract. Die Therapie 
der Linsentrübungen kann gegenwärtig nur 
eine rein operative sein; eine medicamentöse 
Behandlung ist — obwohl wenige Präparate 
unseres Arzneischatzes nicht vom Standpunkte 
reiner Empirie und Specnlation aus schon 


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CATARACTA. 


115 


versucht und angepriesen worden sind, um 
alsbald der verdienten Vergessenheit anheim 
zu fallen — gegenwärtig ohne allen und jeden 
Erfolg. Dem Umstande, dass wir lange Zeit 
vollständig im Unklaren über die Ursachen 
und den Process der cataractösen Entartung 
waren, ist es zuzuschreiben, dass eine ganze 
Masse Mittel experimentell angewendet wor¬ 
den ist. 

Ob es späteren Zeiten, in denen uns die 
Physiologie und Pathologie der Linse alle 
nötliigen Aufschlüsse gegeben haben wird, 
gelingt, eine medicamentöse, erfolgreiche 
Therapie einzuschlagen, muss vorderhand 
dahingestellt bleiben; doch ist der Gedanke, 
auf solchem Wege der Behandlung einstens 
eine bestehende Linsentrübung wieder zur 
Aufhellung zu bringen, nicht so ganz von 
der Hand zu weissen. 

Der Gedanke, auf operativem Wege einen 
Star zu heilen und so das Sehvermögen des 
damit behafteten Patienten theilweise wieder 
herzustellen, ist schon über 2000 Jahre alt, 
und man suchte denselben sowohl beim 
Menschen, als beim Thiere zu realisiren. So 
wurde eingangs bereits erwähnt, dass P. V e- 
getius Renatus im V. Jahrhundert sich 
mit Staroperationen beim Thiere eingehend 
beschäftigte. Sehr interessant ist die That- 
sache, dass man starig getrübte Linsen ent¬ 
fernte, resp. in den Glaskörper hinunterstiess, 
-ohne zu ahnen, dass man es hier mit der 
Linse zu thun habe, vielmehr jahrhunderte¬ 
lang der Ansicht war, ein Häutchen vor sich 
zu haben, das die Folge von Gerinnungen 
sei und sich in die Pupille hineingelagert 
habe. Eine derartige, von Brisseau 1705 
operirte cataractöse Linse war es auch, welche 
später bei der Section des Auges im Glas¬ 
körper aufgefunden wurde und den Operateur 
veranlasste, die neueLehre aufzustellen, welche 
den Star in die Linse verlegt und so zu 
unserer heutigen Anschauung führte. 

Die Staroperation hat den Zweck, den 
nachtheiligen Einfluss, den die getrübte Linse 
auf das Sehen ausübt, aufzuheben oder die 
durch dieselbe bedingte Entstellung zu be¬ 
seitigen. Dies kann auf verschiedene Weise 
erreicht werden: 1. Man entfernt die Linse 
aus dem Pupillarbereich, ohne sie jedoch aus 
dem Auge herauszunehraen, sondern versenkt 
dieselbe in den Glaskörper— Depressio s. 
Reclinatio lentis. 2. Man entfernt die 
Linse aus dem Auge, wobei ein grösserer 
Schnitt in Cornea oder Sclera vorherzugehen 
hat, durch welchen man die Linse austreten 
lässt— Extractio lentis. 3. Man kann die 
Linse an ihrer Stelle belassen und durch 
Oeffnung ihrer Kapsel der Einwirkung des 
Humor aquaeus preisgeben und so deren Re¬ 
sorption bewerkstelligen—Discissio lentis. 
4. Kann man endlich bei partieller Verdun¬ 
kelung der Linse durch Anlegung einer 
künstlichen Pupille seitlich Licht einfallen 
lassen — Iridectomie bei Cataract. Bei 
den ersteren drei Operationsmethoden hat 
man zu bedenken, dass im günstigsten Falle 
und bei Abwesenheit jeder Complication mit 


Erkrankungen anderer Bulbustheile schliess¬ 
lich ein aphakisches (linsenloses) Auge re- 
sultirt, das — auch ideal operirt und geheilt — 
hochgradig hyperopisch ist und nur durch 
Vorsetzen von Convexgläsem in die Lage 
kommen kann, unter Neutralisirung ^seiner H 
hinreichend helle und scharfe Netzhautbilder 
zu sehen. Bei jedem Star, den man operiren 
will, steht man — vorausgesetzt natürlich, 
dass hiezu überhaupt die Indicationen vor¬ 
handen sind — vor der Frage, ob im con- 
creten Falle bei dem betreffenden Thiere, 
dem man natürlich seine Aphakie nicht stän¬ 
dig durch Vorsetzen von Convex gläsern corri- 
giren kann, ein nahezu erblindetes oder ein 
schwachsichtiges Auge von höherem Werthe 
ist. Während beim Pferde (dessen Star aber 
sehr oft ein consecutiver und daher a priori 
inoperabel ist) die Beantwortung dieser Frage 
eine wechselnde sein mag, so ist es beim 
Hunde entschieden an gezeigt, den grauen 
Star — sobald er überhaupt operirt werden 
kann — zu entfernen und so ein wenn auch 
unvollständiges Sehvermögen herzustellen. 

Was die Reclination oder Depres¬ 
sion anbelangt, so ist dieselbe zwar die älteste 
und einfachste Form der Cataractoperation, 
die schon von den Griechen und Römern ge¬ 
übt wurde, jetzt jedoch wegen ihres unsiche¬ 
ren Erfolges und ihrer unter Umständen für 
das Auge sehr gefährlichen Folgen willen 
vollständig verlassen ist. Wohl war es sehr be¬ 
quem und angenehm, eine nur ganz kleine 
Nadelstichwunde in der'Cornea zu haben, die 
Linse aus ihrem anatomischen Zusammenhänge 
mit dem Auge zu lösen, umzulegen und in das 
Corp. vitr. zu versenken. Allein oft schon ganz 
kurze Zeit nach vorgenomraener Operation 
zeigte sich die Unzulänglichkeit solchen Ver¬ 
fahrens, indem die Linse — selbst wenn der 
Glaskörper auch nicht verflüssigt war — 
wieder aufstieg und das Pupillargebiet von 
Neuem für Licht versperrte — Aufsteigen 
des Stars — so dass sie noch ein oder gar 
mehrmals hinabgedrückt werden musste. 
Bleibt sie jedoch glücklicherweise — man 
hat das aber gar nicht in der Hand — im 
Glaskörper liegen, so wirkt sie hier als Fremd¬ 
körper, der einen fortwährenden Reiz ausübt, 
indem sie auf dem Ciliarkörper auf- und an- 
schlägt bei allen Bewegungen, die das Auge 
macht, dadurch eine Cyclitis, Iridochoroiditis, 
Panophthalmie provocirt, so dass das rasch 
gewonnene Sehvermögen gewöhnlich von 
kurzer Dauer ist. Fast ebensowenig wie 
von der vorhergehenden Methode scheint man 
in der Thierheilkunde mit der (beim Men¬ 
schen in der Mehrzahl der Fälle geübten) 
Extraction praktische Resultate erzielt zu 
haben. Das Wesen dieses operativen Ver¬ 
fahrens besteht darin, dass man eine genü¬ 
gend grosse Hornhautschnittwunde anlegt, 
die Linse mit oder ohne instrumentale Hilfe 
entbindet und zur Schnittöflhung nach aussen 
befördert. Bezüglich des Schnittes haben 
sich zwei ganz bestimmte Methoden heraus¬ 
gebildet: die Extraction mittelst des Lap¬ 
penschnittes und die durch Linear- 


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116 


CATARACTA. 


schnitt. Beim ersteren bildet man mittelst 
des Beer’schen Starmessers (das ein keil¬ 
förmiges Messer von der Gestalt eines recht¬ 
winkeligen Dreieckes ist, dessen eine Kathete 
im Messerrücken und dessen Hypothenuse in 
der Messerschneide gegeben ist) (Fig. 373), 
durch einen ziemlich genau halbkreisförmi¬ 
gen, dem Hornhautrande pa¬ 
rallel verlaufenden Schnitt eine k 
lappenförmige Wunde in der \ 

Cornea (Fig. 374). Eine der- j\ 

artig lappenförmige Wunde be- A 

sitzt eine grosse Klaffungsfähig- 1 j \ 

keit, wodurch sie sehr geeig- j \ 

net wird, auch grosse Stare || A 

austreten zu lassen. Die be- I 1 \ 
deutende Gefahr jedoch, welche i \ 
eine Abtrennung der Hornhaut j]i||.|,|\ 

in so grosser Fläche mit sich ■■|||r 
brachte, führte dazu, dass man 
mittelst einer Lanze (Fig. 375 
und 376) eine geräumige Lan- S 
zenwunde in der Hornhaut an¬ 
legte, durch welche dem Star I 

der Austritt verschafft wird— j 

Linearschnitt (Fig. 377). 

Eine dritte, in der jüngsten 
Zeit von Berlin und Evers- { 
husch mit gutem Erfolge beim 
Hunde und bei der Katze ge- j 

übte Operationsmethode, von H 

der es scheint, dass sie in der 
Thierheilkunde sich zu bewäh- Fig. 373. sur¬ 
ren im Stande ist, und die »«»eriiichBeür. 
deshalb cultivirt und in ihren Indicatio- 
nen genauer präcisirt zu werden verdient, 
ist die Discission der Linsenkapsel; sie 
hat die Einschneidung der vorderen Linsen¬ 



Fig. 374. Lzppenachnitt mittelst des B e e rachen Starmessers. 


instrumenten übliche Form. Das zu ope- 
rirende Auge wird vorher so lange atropini- 
sirt, bis eine maximale Mydriasis erreicht ist; 

a b 



Schmales Lan- cknng des Lanxen- 

zenmesser. messen. 


zu operiren, ohne den Eintritt der letzteren 
abzuwarten, ist inopportun und gefährlich, 
da man einmal bei enger Pupille nicht in der 
Lage ist, die Schnitte in der gewünschten 



Fig. 377. Lineanchnitt mittelst des Lanzenmessers. 


* kapsel in mehrfacher Richtung — nicht Zer¬ 
stückelung der Linse selbst — zur Aufgabe. 
Dir Zweck ist, eine bleibende Lücke mitten 
in der vorderen Kapsel zu schaffen, damit 
die Linse der Einwirkung des Kammerwas¬ 
sers ständig ausgesetzt werde, bis sie aufgelöst 
und resorbirt ist und damit alsdann die vordere 
Kapsel möglichst vollständig aus dem Pupil- 
larbereiche beseitigt sei. Man bedient sich da¬ 
bei eines eigens construirten Instrumentes, der 
sog. Discissionsnadel (Fig. 378), welche man 
von der Cornea aus auf die Linsenkapsel 
aufsetzt — Keratonyxis. Die Nadel trägt 
vorne eine zweischneidige kleine Lanze, 
welche auf einem cylindrischen — ja nicht 
konischen — Halse aufsitzt, der relativ zur 
Schneide so dick ist, dass er die von der 
Schneide gesetzte Wunde stopfe, ohne sie 
beim Verschieben zu dehnen oder zu quet¬ 
schen. Das Heft der Nadel hat die bei Augen- 


Ausdehnung anlegen zu können, andererseits 
sehr leicht die Iris mit der Nadel verletzen 
wird, welche diesen Insult dann mit einer 
mehr oder weniger heftigen Entzündung be¬ 
antwortet, ein Ereigniss, das doppelt unan¬ 
genehm werden kann, da Verlöthungen der 
Regenbogenhaut mit der ebenfalls verwun¬ 
deten Linsenkapsel häufige Folgen sind. 
Ausserdem hat die Iris bei enger Pupille von 
der nachträglich sich blähenden und vergrös- 
sernden Linse später zu leiden. — Nachdem 
das Thier narkotisirt (ob und in wie weit 
die Narkose durch das kürzlich in der ophthal- 
miatrischen Praxis aufgetauchte und sehr 
prompt wirkende Cocainum muriaticum er¬ 
setzt werden kann, durch welches Mittel eine 
vollständige, tiefe Anästhesie der Hornhaut 
bewirkt wird, muss erst durch Versuche fest¬ 
gestellt werden, s. Cocain), placirt sich der 
Operateur in der Weise (kleinere Thiere kommen 



CATARACTA. 


117 


auf einen Tisch zu liegen), daes er sich dem 
Kopfe des Thieres gegenüber befindet; der An¬ 
griff geschieht stets von aussen und unten her 
(Fig. 379). Ein Assistent hält die Augenlider 
geöffnet (diese Hilfe ist hier dem Einlegen 
des Sperrelevateurs vorzuziehen), der Opera¬ 
teur ergreift mit der Pincette (Fig. 380) eine 
Bindehautfalte und fixirt so mit der linken 
Hand den Bulbus, während er die rechte 
Hand — die Nadel in der bekannten Schreib¬ 
federhaltung, den Goldfinger wie überhaupt 
bei allen Augenoperationen eingeschlagen, 
den kleinen Finger zur Ver- 
grösserung der Stützfläche für 
die Hand ausgestreckt — auf den 
Kopf fest auflegt (Fig. 381). So¬ 
dann theilt er sich die Hornhaut 
durch eine horizontale und eine 
durch deren Mitte gelegte verti- 
cale Linie im Gedanken in vier 
Quadranten, deren äusseren un¬ 
teren er halbirt und in der Mitte 
derHalbirungslinie den Punkt für 
den Einstich bestimmt (Fig. 382). 

Die Schneide- des Instrumentes 
gegen den hinteren, resp. vorde¬ 
ren Pol des Auges sehend, wird 
nun die Nadel in einer Rich¬ 
tung eingeführt, als ob sie die 
ciliare Insertion der Iris im obe¬ 
ren inneren Quadranten treffen 
solle, durchläuft also die vordere 
Augenkammer in diagonaler Rich¬ 
tung; bevor jedoch dieses Ziel 
erreicht und wenn zugleich die 
Nadel bis an den Hals eingedrun¬ 
gen ist, wird die Spitze der Na- p . n - 
del auf den Punkt 1 (Fig. 382) cissionsiadei. 
der Linsenkapsel aufgesetzt und 
nun führt man mit der Nadel eine 
hebelförmige Bewegung aus, wo¬ 
bei sich der Stiel hebt, die Spitze gegen den 
Punkt 2 zu senkt, dabei immer die Linsenkapsel 
auf dem ganzen Wege zerschneidend. Um je¬ 
doch den gewünschten Kreuzschnitt zu vollen¬ 
den, ist es nötliig, dass man die Nadel jetzt um 




a gerade, 
b sichelför¬ 
mige Nadel. 



Fig. 879. JO innerer oberer, JU lasserer oberer, AO lasse¬ 
re? oberer and ÄU lasserer unterer Quadrant der Horn¬ 
haut, E Einsticbpankt für die Discissionsnadel, A^(erster) 
Aufsatzpunkt auf der Linse. 

90° dreht, an Punkt 3 aufsetzt und unter 
langsamem Senken des Stieles zu Punkt 4 
hinföhrt. Nun wird es nöthig, um keinen 
Kreuzschnitt in der Cornea zu machen, die 
Nadel wieder um ihre 90° zurückzudrehen, 
so dass die Lanze in derselben Haltung das 
Auge wieder verlässt, in der sie es betreten. 
Im ganzen Verläufe der Operation soll kein 


Kammerwasser austreten, als höchstens beim 
Einstich der Nadel ein kleiner [Tropfen, und 
man verhütet dieses unangenehme Ereigniss, 
welches eine momentane Verkleinerung der 
Kammer und damit Beschränkung 
des Operationsraumes zur Folge 
hat, auch ganz gut, wenn anders 
man die Hornhautwunde nicht mit 
der Nadel zerrt und quetscht, 
sondern die Einstichstelle als das 
Hypomochlion für die Hebelbe¬ 
wegungen der Nadel betrachtet. 

Nachbehandlung. Streng 
nöthig ist gleichmässige Tem- 
perirung des Lichtes und stete 
Erweiterung der Pupille mittelst 
Atropin. Empfehlenswerth ist es, 
die Erhöhung des Druckes in 
der vorderen Augenkammer, wel¬ 
che das Atropin bewirkt, durch 
öftere Instillation einer 2%igen 
Lösung von Cocain muriaticum 
zu beseitigen und so die hier un¬ 
erwünschte und lästige Neben¬ 
wirkung des Atropinsalzes zu neu- 
tralisiren. Die Hornhautwunde 
bleibt meist nach Entfernung 
der Nadel geschlossen, etwa ab¬ 
gelaufenes Kammerwasser rege- 
nerirt sich rasch. Treten örtliche 
Fig. 380. Fixa- Reizerscheinungen auf, so sind 
ftrT.n Balboa kalte Umschläge und grosse Ruhe 
nach Waldau, indicirt, unter Umständen auch 
ein Laxans. 



Fig. 381. Discisaion der Linse beim Hunde. 



Geht die Resorption der Linse ausnahms¬ 
weise besonders langsam von statten und hat 
das Auge unverkennbar 
darunter zu leiden — die 
Aufsaugung bis zum völ¬ 
ligen Verschwinden der 
Linse kann normaler Weise 
schon eine Reihe von Wo¬ 
chen in Anspruch neh¬ 
men — so empfiehlt es 
sich vorteilhaft, eine 

dea^Krenzschnlttaa 0 aof Punctio “ der Hornhaut 
der Linsenkapsel. vorzunehmen. Durch eine 




118 


CATARRH. 


2 bis höchstens 3 mm lange Wunde wird 
das Kammerwasser successive entleert, jedoch 
die Linse unberührt gelassen. Das Vor¬ 
wärtsrücken der Linse erweitert oder sprengt 
die früher gesetzte Kapselöffnung, kann sogar 
bisweilen eine Lücke in der bereits zerklüf¬ 
teten Linse bewirken. Die Resorption erfolgt 
dann rascher, wahrscheinlich deshalb, weil 
das mit Linsenelementen gesättigte Kammer¬ 
wasser entleert und durch frisches ersetzt 
wird. Diese Procedur ist ungefährlich und 
kann öfter wiederholt werden, als die Dis- 
cission selbst. Sollte jedoch ein Erfolg nicht 
bemerkbar werden, dann ist man genöthigt, 
die Discission selbst zu wiederholen, indem 
man entweder die früher vielleicht nicht ge¬ 
nügend ausgefallenen Schnitte in der Linsen¬ 
kapsel erweitert oder neue anlegt. 

Hat man es mit einem partiellen Star zu 
thun (welcher mitten in der Pupille sitzt) 
und von dem man der Form, Farbe, dem ge¬ 
netischen Ursprünge und der Beobachtungs¬ 
dauer nach annehmen darf, dass er sich auf 
das ergriffene Territorium der Linse be¬ 
schränkt und nicht mit der Zeit den ganzen 
Krystallkörper ergreift, so sieht man von der 
totalen Zerstörung der Linse durch Discission 
ab — derartige Stare quellen auch ziemlich 
ungleich und rufen dadurch oft unangenehme 
Reactionserscheinungen hervor — und schafft, 
nachdem man sich überzeugt, dass Compli- 
cationen mit anderen Augenleiden nicht vor¬ 
handen sind, für die Lichtstrahlen einen 
neuen Weg, indem man auf dem Wege der 
Iridcctomie (s. d.) eine künstliche Pupille 
anlegt. Dieses Verfahren gewährt ausserdem 
den grossen Vortheil, dass man das Auge 
nicht künstlich aphaktisch macht und so das 
Sehvermögen an und für sich bedeutend herab¬ 
setzt. 

Literatur: OttoBecker, Pathologie und Therapie 
des Linsensystems, Handbuch der gesammten Augenheil¬ 
kunde, V. Bd., erste Hälfte, Cap. VII, 1875.—0. Becker, 
Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse, 1884. — 
Gerlach. Handbuch der geiichtlichen Thierheilkunde 1872, 
pag. 311—316. — Hertwig, Praktisches Handbuch der 
Chirurgie 1874, pag. 126—133. — Arlt, Operation »lehre, 
Handbuch der gesainmten Augenheilkunde, Bd. III, Cap. II, 
pag. 249—328. Schlampp. 

Caiarrh, Catarrhus seu Inflammatio ca- 
tarrhalis s. Coryza (von xata^clv, herab- 
fliessen; yj xrfpo(a, der Schnupfen). Catarrh 
wird jeder Ausfluss von Schleim aus den na¬ 
türlichen Körperüflfnungen genannt, der auf 
einer leichten Entzündung der Schleimhaut 
basirt. Für gewöhnlich versteht man unter 
Catarrh nur einen schleimigen Auswurf aus 
der Nase, also eine Entzündung der Schleim¬ 
haut der oberen Luftwege, der Nase, des 
Mauls und der Rachenhöhle, wohl auch noch 
eine Entzündung leichteren Grades der Luft¬ 
röhre und der gröberen Bronchien. Eine Ent¬ 
zündung der Schleimhaut der Augen bezeichnet 
man als catarrhalische Augenentzündung, eine 
solche des Kehlkopfes und der Luftröhre als 
Luftröhrencatarrh, und wenn sie mit Schling¬ 
beschwerden verbunden ist, als catarrhalische 
Bräune; eine solche des Mauls als Stomatitis 
catarrhalis, Maulentzündung, des Darmes als 
Durchfall, der Harnröhre als Tripper, der 


weiblichen Geschlechtstheile als weissen Fluss. 
Das Wesen des Catarrlis besteht in entzünd¬ 
licher Reizung des Schleimhautgewebes, ver¬ 
möge deren dasselbe blutreicher, hyperämisch 
wird. Die Capillaren strotzen von Blut, sie 
erschlaffen und erweitern sich, so dass das 
Blut in ihnen langsamer fliesst und Zeit ge¬ 
winnt, die flüssigen Bestandteile durch die 
schlaffen Gefässhäute hindurchtreten zu lassen. 
Hiebei wird die Schleimhaut röther und quillt 
auf, die hyperämischen Schleimdrüsen sondern 
in erhöhtem Masse zunächst einen mehr 
dünnen, wässerigen, bald dicker und zäher 
werdenden, mit abgestossenenEpithelien reich¬ 
lich vermischten Schleim ab, der zur Nase 
abfliesst; unter der Hand treten auch farblose 
Blut- und Lymphkörperchen in ihn über, und. 
sofern Capillaren zerreissen, Blut in Substanz: 
der Schleim erscheint alsdann blutig ge¬ 
streift, die Schleimhaut blutig gefleckt, später, 
nach Umwandlung des Hämoglobins in Pig¬ 
ment, bräunlich, rostfarbig gefärbt. Da, wo 
sich die Epithelien reichlich abgestossen haben, 
erscheint die Schleimhaut wund, erodirt, mit¬ 
unter bilden sich auch nach Erguss von Serum 
unter das Epithel kleine Bläschen. Nach fet¬ 
tigem Zerfall der Zellen und Resorption des 
Detritus und Serums kehrt die Schleimhaut 
zu ihrer normalen Beschaffenheit zurück. Be¬ 
darf es hierzu eines Zeitraumes von 7—14 Ta¬ 
gen, so nennt man den Catarrh einen acuten, 
erfolgt in dieser Zeit die Restitutio ad inte¬ 
grum nicht, so bleiben Schleimhaut und Schleim¬ 
drüsen verdickt, auch das bindegewebige 
Stroma vermehrt sich und die Schleimabson¬ 
derung wird stabil, mithin der Catarrh zum 
chronischen; er greift dann gern auf die Um¬ 
gebung, namentlich auf die Lungen, wohl 
auch auf den Darm über, wobei sich Ab¬ 
magerung einstellt, weil dem Körper viele 
Eiweissstoffe verloren gehen. Der acute Catarrh 
wird von mässigem Fieber begleitet, das sich 
durch erhöhte Mastdarmtemperatur, aufgereg¬ 
ten Puls und etwas beschleunigte Respiration 
ausspricht, ohne dass die Fresslust und das 
Allgemeinbefinden merklich getrübt ist. Die 
Haupterscheinungen bestehen in Ausfluss von 
reinem weissen Schleim aus der Nase und, 
falls Kehlkopf und Luftröhre mitleiden, in 
einem anfangs etwas schmerzhaften und des¬ 
halb unterdrückten, später kräftigen, lockeren 
Husten, der durch Druck auf den Kehlkopf 
leicht hervorgerufen werden kann. Häufig ist 
auch die Conjunctiva aufgelockert und höher 
geröthet, sie sondert dann Schleim ab, der sich 
im inneren Augenwinkel ansammelt oder die 
Augenlider verklebt. Ein entzündliches Mit¬ 
leiden der Rachenschleimhaut macht das Ab- 
schlucken der Nahrung beschwerlich. Die Nase 
der Hunde und das Flotzmaul der Rinder 
fühlt sich trocken an, manche Patienten lassen 
ein stärkeres Eingenommensein des Kopfes 
und eine mehr oder weniger erhebliche Ab- 
geschlagenheit erkennen. Tritt plötzlich grosse 
Athemnoth unter pfeifenden, zischenden Ge¬ 
räuschen ein, so ist die Schleimhaut der 
Stimmritze serös aufgewulstet; der Zustand 
selbst wird nun Glottisödem genannt. Fremd- 



CATARRH. H9 


körper und Croupmembranen im Kehlkopf 
verursachen ähnliche Geräusche; um vor Ver¬ 
wechslungen gesichert zu sein, hat man auf 
Fremdkörper zu untersuchen. Glottisödem 
fährt leicht zum Erstickungstode. Nicht selten 
steigert sich der Luftröhrencatarrh zur Ent¬ 
zündung der Bronchien und Bronchiolen 
(s. Bronchialkrankheiten). Lockert sich die 
Nasenschleirahaut stark auf, wobei auch ein 
zäherer Schleim sich in den Nasengängen an¬ 
sammelt, so wird das Athmen schnaufend, 
schloddernd, ein Vorgang, der in den engen 
Nasengängen der Schweine am leichtesten 
eintritt und zu der Bezeichnung „Schnüffel- 
krankheit“ geführt hat. Die Schwellung er¬ 
greift mitunter die Weichtheile des Kopfes, 
namentlich den Rüssel und die Submaxillar- 
drüsen. Schweine, Hunde und Katzen erbrechen 
sich öfter, die letzteren beiden Thiergattungen 
hört man auch niesen, bei ihnen ist der Nasen- 
catarrh als „Staupe“ bekannt (s. d.), er geht 
hier gern in Bronchitis, Lungenentzündung 
über und complicirt sich leicht mit Entzün¬ 
dung und Schwellung der Tonsillen, ferner 
mit Magen-Darmkatarrh, Augenentzündung, 
Convulsionen und Krämpfen, verbunden mit 
Hinfälligkeit, Schwäche, völligem Appetit¬ 
verlust, Abmagerung, Schwäche im Hinter- 
theil und wirklicher Paralyse der Hinterhand, 
wovon der Grund in Hyperämie der Meningen 
des Gehirns und Rückenmarks mit nachfol¬ 
genden serösen Transsudaten zu suchen ist. 
Bei kleinem Pulse und unter Colliquationen 
(copiösem, fötiden Nasenfluss und Durchfall) 
gehen die Patienten kachektisch ein. Bei den 
Einhufern complicirt sich der einfache Catarrh 
gern mit entzündlicher Anschwellung der Sub- 
maxillardrüsen und der Lymphgefässe des 
Kopfes, er wird dergestalt zu dem Symp- 
tomencomplexe, der uns als Druse oder Stren¬ 
gei bekannt ist. Bei ihnen und den Rindern 
geht der Nasenkatarrh öfter auf die Kopf¬ 
höhlen (Stirnbein- und Oberkieferhöhlen) über, 
es siedeln sich in dem stagnirenden Schleime 
leicht FäulnissStoffe und Pilze (Mikrococcen) 
an, die zum septischen Zerfall des Trans- 
und Exsudats und zum brandigen Zerfall des 
oberen Theils des Schleimhautgewebes führen 
(s. die Artikel „Ausfluss 1 *, „Auswurf* 1 , „Aus¬ 
schwitzung“ und „Diphtherie“). Die Krank¬ 
heit wird auf diese Weise zum bösartigen 
Catarrhalfieber oder brandigen Kopfcatarrh, 
dessen Symptome in Kürze folgende sind: 
Starkes Fieber, 50—90 kleine weiche, acce- 
lerirte Pulse, Mastdarmtemperatur von 40 
bis 42°, Athembeschwerden, Schnaufen, An¬ 
schwellung und Hitze des Kopfes, Ecchy- 
mosen auf der Nasenschleimhaut, Appetits¬ 
verlust; missfarbiger, mehr oder weniger 
blutiger, stinkender, mit Gewebsfetzen ver¬ 
mischter Nasenfluss : borkenartige, missfarbige, 
fibrinöse Exsudatauflagerungen auf der Nasen¬ 
schleimhaut, unter denen die Schleimhaut 
wund, excoriirt erscheint; die Excoriationen 
präsentiren sich als geschwürartige Substanz¬ 
verluste mit hochrothem Grunde und unregel¬ 
mässig ausgezackten, aufgewulsteten Rändern. 
Schlingbeschwerden sind vorhanden, wenn die 


geschwürige Zerstörung auf die Rachenhöhle, 
Kehlkopf und Luftröhre übergreift. Verstopfung, 
später Diarrhöe, grosse Schwäche. Stumpf¬ 
sinnigkeit, Convulsionen der Gesichtsmuskeln, 
klonische Krämpfe, epileptische Anfälle,Oedem- 
bildung an den herabhängenden Körper¬ 
stellen, Absatz eines dunkel gefärbten, eiweiss- 
und schleimhaltigen Harns und Verfall der 
Kräfte geben anderweitige Symptome ab, der 
Tod erfolgt eventuell nach 4—5—21 Tagen. 
Rinder leiden zugleich an einer Nephritis, 
Cystitis und Trübung der Cornea in Folge 
einer zelligen Infiltration, öfter gepaart mit 
einer Iritis und Keratitis bei Erguss eines 
gelbgrünen Exsudats in die vordere Augen¬ 
kammer; das Sehvermögen ist hiebei gänz¬ 
lich aufgehoben. Das Ergriffen werden mehrerer 
oder sämmtlicher Thiere desselben Stalles 
spricht für eine Infection; der Infectionsstoff 
entwickelt sich in niedrigen, dunstigen Stal¬ 
lungen mit schlechten Jaucheabzügen oder 
Jaucliebehältem in unmittelbarer Nähe des 
Stalles. Professor Esser konnte die Krank¬ 
heit durch Einimpfen des Schleims nicht auf 
andere Rinder übertragen. Auch das Haus¬ 
geflügel wird öfter von Catarrh der Schleim¬ 
häute der Luftwege heimgesucht, er nimmt 
hier gern den eitrig-fibrinösen und croupösen 
Charakter an und wird „Pips“ genannt, wenn 
sich croupöse Massen auf der Zunge und in 
der Rachenhöhle ablagern, in Folge dessen 
die Respiration angestrengt, pipend und 
asphyktisch, das Schlingen erschwert und 
schmerzhaft wird. In manchen Fällen ent¬ 
zündet sich die Cornea, der Herzbeutel und 
das Herz. Die hautartige, weissgelbliche Croup- 
raasse wird in günstig verlaufenden Fällen 
innerhalb 2—6 Tagen auf dem Wege der Eite¬ 
rung abgestossen und Genesung erfolgt nach 
2—3 Wochen. Andernfalls nehmen Schwäche, 
Anämie, Abmagerung und der eitrigeAusfluss bis 
zum 8.bi8l5. Tage zu, die Temperatur schwankt 
zwischen 41*6—42*5°, sinkt aber im Stadium 
des Marasmus und Collapsus auf 39—38® 
(s. Trinchera, „La clinica veterin.“, 1800). Der 
Verlauf ist häufig chronisch, die Dauer be¬ 
trägt 60—70 Tage; oft tritt der Pips seuchen¬ 
artig auf, weil er ein Contagium entwickelt 
(s. Catarrh unter Canarienvögel-Krankheiten). 
Die Augen sind oft hochgradig catarrhalisch 
entzündet und die Augenlider so verklebt, 
dass sich das Geflügel wie blind benimmt, 
auch kommt es öfter zu Abscessbildungen in 
dem subcutanen Bindegewebe unterhalb der 
Augen (s. Anacker, „Thierarzt“, 1882). 

Der chronische Catarrh charakteri- 
sirt sich durch seine Andauer, periodisches 
stärkeres Auftreten, ohne ganz zu verschwinden, 
und durch seine Fieberlosigkeit. Der abflies- 
sende Schleim ist theils dünn, hell und 
rein, theils kleisterartig, gelbgrünlich, krüm- 
lich, eiterartig und übelriechend, an den 
Nasenrändern zu schmierigen Borken ver¬ 
trocknend. Die Missfarbe und der üble Ge¬ 
ruch rührt von der Anwesenheit von Fäul- 
nissbacterien her. Die Menge des abfliessenden 
Schleims variirt sehr, sie nimmt bei warmer, 
trockener Witterung ab, der Schleimfluss kann 


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120 


CATARRH. 


unter solchen Verhältnissen ganz zurücktreten, 
um sich bei nasskalter, feuchter, veränder¬ 
licher Witterung desto stärker wieder einzu¬ 
stellen. Auf diese Weise wird der Catarrh 
zum „Schleimfluss, Blenorrhoea“ (s. d.), er 
besteht lange Zeit ohne Trübung des Allge¬ 
meinbefindens, wohl aber magern endlich die 
damit behafteten Thiere ab, die Schleimhäute 
verlieren dann ihre lebhafte, rothe Farbe, die 
Conjunctiva wird zuerst in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen, sie wird mit der voranschreitenden 
Anämie blass und sondert ebenfalls beständig 
Schleim ab. Husten wird auch hier häufig 
gehört. Die Schleimhaut in der Nase, meistens 
auch in den Kopfhöhlen, findet sich degenerirt, 
sammetartig aufgelockert, mit fungösen Wu¬ 
cherungen versehen oder schwielig verdickt 
(Wucherung des Bindegewebes), anämisch, 
nicht selten auch blutig punktirt, denn die 
Schwielen und die verdickten und verlängerten 
Drüsenschläuche comprimiren die Blutgefässe 
und geben derart zu Zerreissungen der¬ 
selben Anlass, so dass kleine Blutungen er¬ 
folgen ; nicht selten ist das submucöse Binde¬ 
gewebe gelatinös infiltrirt, schwellen die 
Follikel knötchenartig an und vereitern (folli- 
culäres Geschwür), immer aber sind Ober¬ 
kiefer und Stirnhöhlen, bei Pferden zuweilen 
die Luftsäcke mit einem dicken, krümlichen, 
körnigen, eiterartigen, grauen, periodisch mit 
Blutstreifen vermischten Schleim angefüllt, 
der periodisch schwächer oder stärker zur 
Nase abfliesst, letzteres ist namentlich der 
Fall, wenn man den Kopf senkt und auf die 
Luftsäcke Druck ausübt. In der Regel sind 
die Kopfknochen (Stirn-, Oberkiefer- und 
Nasenbein), resp. der Luftsack der leidenden 
Seite aufgetrieben und geben einen matten 
Percussionston, mit der Zeit werden durch 
das eitrige Secret auch die Lymphgefässe der 
Nasenschleimhaut und die Kehlgangsdrüsen 
gereizt, sie schwellen an, die Drüsen bleiben 
aber lappig und beweglich, sie werden nicht, 
wie beim Rotz, kugelig, gleichmässig hart und 
liegen dem Unterkiefer nicht fest an, weil es 
nicht zur Entzündung des interacinösen und 
die Drüse umgebenden Bindegewebes kommt. 
Der Catarrh der Luftwege geht meistens aus 
einer örtlichen Reizung der mit der Aussen- 
welt communicirenden Schleimhäute hervor. 
In den meisten Fällen liegt die Ursache in 
einer jähen Abkühlung der vorher erhitzten, in 
hyperämischem Zustande befindlichen Schleim¬ 
haut durch kaltes Getränk, Zugluft oder sonst 
stark bewegte und sehr kalte, rauhe, ozon¬ 
reiche Luft, wie sie bei Nordostwinden und 
bei dem Wechsel der Jahreszeiten vorkommt. 
Nach anstrengenden, erhitzenden Bewegungen 
disponiren die Thiere sehr zu catarrhalischen 
Erkrankungen, besonders bei rauhem, stürmi¬ 
schem, veränderlichem Wetter; ebenso besitzen 
junge, zart organisirte, verweichlichte, in 
warmen, dunstigen Stallungen gehaltene Thiere, 
bei denen die organischen Gewebe erschlaffen, 
Reconvalescenten, kärglich oder mit gehalt¬ 
losen Futterstoffen genährte, heruntergekom¬ 
mene, im Haarwechsel oder in der Mauser 
befindliche oder geschorene Individuen eine 


hervorragende Disposition. Feuchtwarme und 
mit Fremdkörpern verunreinigte Luft, z. B. 
mit scharfen Dämpfen, Rauch, Staub, Sand, 
Fäulnissbacterien, Pilzen. Sporen, Coccen, 
reizt und entzündet die Schleimhaut, nicht 
minder Parasiten, z. B. Bremsenlarven (Pferde 
und Schafe), Pentastomen (Hunde), Grega- 
rinen (Geflügel), sofern diese Dinge Gelegen¬ 
heit finden, in grösseren Mengen in den Or¬ 
ganismus einzudringen. Pilze und Pilzsporen 
können den Thieren mit schimmligem, von 
Brand und Rost befallenem Streumaterial zu¬ 
geführt werden. Wir sehen fast alle Infections- 
krankheiten (Milzbrand, Rotz, Perlsucht, 
Tuberculose, Wuth, Aphthenseuche, Lungen¬ 
seuche, Pocken, Rinderpest, Masern, Schar¬ 
lach etc.) unter catarrhalischen Erscheinungen 
beginnen, weil der specifische Infectionsstoff 
zunächst mit den Schleimhäuten in Berührung 
kommt. Auch Neubildungen auf den Schleim¬ 
häuten, namentlich Polypen, reizen die Schleim¬ 
häute durch ihren Druck und machen sic 
durch die Hemmung der Blutcirculation hyper- 
ämisch. 

Behandlung. Gutartige, regelmässig 
verlaufende Catarrhe heilen unter einem zweck¬ 
entsprechenden diätetischen Verhalten; Letz¬ 
teres besteht in Verabreichung eines leicht 
verdaulichen, wenn möglich schleim- und 
zuckerhaltigen Futters (Kleiengeschlapp, Lein¬ 
kuchengesöff, Grünfutter, die verschiedenen 
Rübenarten, Quecken, Malz, Gerstenabkochung, 
Leinsamenschleim), in mässig warm und rein¬ 
lich gehaltenen, gut ventilirten Stallungen, 
wenn thunlich und bei günstiger Witterung 
Aufenthalt im Freien und Vermeidung von 
Erkältungen. Das Einathmen von heissen 
Wasserdämpfen oder den Dämpfen schleimiger 
Decocte oder der verdunstenden Jodtinctur 
oder einer Mischung von Carbolsäure und 
Salmiakgeist zu gleichen Theilen erschlafft 
die gespannten, hyperämischen Schleimhäute, 
mildert die Schmerzhaftigkeit, erleichtert und 
befördert den Schleimabfluss. Bei kleineren 
Thieren (Schweinen, Hunden, Katzen) leisten 
Brechmittel ähnliche Dienste, sie vermögen 
bei frühzeitiger Anwendung den catarrhali¬ 
schen Process zu coupiren oder doch einer 
baldigen Heilung entgegen zu führen. Catarrhe 
entzündlichen, fieberhaften Charakters erfordern 
ein medicamentöses Einschreiten, es sind hier 
die gelind den Darmcanal eröffnenden, die 
Schleimabsonderung befördernden Salze und 
Pflanzenstoffe angezeigt, so die Kali-, Natron-, 
Spiessglanz- und Ammoniumpräparate, Schwe¬ 
fel, Süssholz, Honig, Fenchel, Anis, Wachholder, 
Flieder, Kamillen, Althäa, Salbei, Pfefferminz, 
Digitalis, Alant, Kalmus, Senega, für kleinere 
Thiere, namentlich Hunde, das Kali aceticum 
mit Natr. nitric., Syrup. Althaeae, Extr. Aco- 
niti aquos., Morph. acetic.,Aqua laurocerasi etc. 
Einhüllungen des Halses in feuchte Tücher 
mit darüber gelegten, fest anschliessenden 
wollenen Tüchern oder Decken mildern eben¬ 
falls den Schmerz, sie befördern die Schleim- 
absonderung in den entzündeten Schleimhäuten 
der Rachenhöhle und der Luftröhre und die 
Diaphorese der Haut. Die höheren Grade der 



CATCHWEIGHT. — CATGUT. 


121 


entzündlichen Reizung werden durch mehr 
oder weniger scharfe Einreibungen in die 
Haut der Umgebung der leidenden Theile 
gemildert (s. Ableitung). Ueber die Behand¬ 
lung des Kehlkopf- und Luftröhrencatarrhs 
finden sich die näheren Angaben bei den 
Bronchialkrankheiten und der Bronchiorrhöe 
(8. d.). Das bösartige Catarrhalfieber er¬ 
heischt eine energischere Heranziehung des 
antiphlogistischen Heilapparates, namentlich 
die schärferen Ableitungen an Hals und 
Schenkeln (Kantharidensalbe, Sinapismen, 
Terpentinöl mit Crotonöl), kalte Ueberschläge 
und Douchen auf den Kopf und Aderlass. 
Das Getränk versetze man mit metallischen 
Säuren (Acid. sulfur. seu Acid. hydrochlor.); 
zu Inhalationen eignen sich ihrer antisepti¬ 
schen und lösenden Wirkung wegen schleimige, 
mit Ol. Terebinth. oder Acid. carbolicum ver¬ 
setzte Decocte. Zu Anfang der Krankheit gebe 
man die abführenden Neutral- und Mittelsalze 
(Kali nitric., Natr. nitr., Kali sulfuric., Kali 
chloric., Natr. subsulfuros., Ammon, hydro¬ 
chlor., Ammon, carbon.) in Verbindung mit 
bitteren, gewürzhaften und narkotischen Medi- 
camenten. Bei Neigung zur Sepsis können 
Maul und Nase mit schwachen Solutionen 
des Kali hypermangan., des Kali chlor, oder 
des Acid. carbol. crystallis. ausgespritzt wer¬ 
den, innerlich sind hier Carbolsäure, die 
Mineralsäuren, Aetherarten, Eisenpräparate, 
China, Kampher, Tannin, ätherisch ölige Pflan¬ 
zenstoffe und Aloö in minimalen Dosen und 
Räucherungen mit Terpentinöl, Theer, Chlor 
oder Carbolsäure indicirt. Ist Kopfhöhleu- 
catarrh vorhanden, so sind die Oberkiefer- 
und Stirnhöhle zu trepaniren, um den dort 
angehäuften Schleim mittelst Ausspritzungen 
mit warmem Wasser entfernen zu können; 
hierauf werden täglich Ausspritzungen von 
Spir. camphorat. oder von gleichen Theilen 
Wasser und Glycerin unter Zusatz von etwas 
Acid. carbol., oder von verdünnter Jodtinctur 
oder einer schwachen Solution des Zinc. s. 
Cupr. sulfuric., Sublimat oder Argentum nitr. 
fus. applicirt. Ist die Schleimhaut bereits sehr 
verdickt, dann müssen die Solutionen con- 
centrirter sein. Die Trepanationswunden sind 
durch Einlegen von Tampons bis zur Heilung 
des Catarrhs offen zu erhalten. Sollte der in 
den Höhlen vorhandene Schleim sehr zähe 
oder concrementartig sein, so erleichtern In- 
jectionen von angesäuertem Wasser den Ab¬ 
fluss des Schleimes. Diese Behandlung muss 
circa einen Monat lang fortgesetzt werden. 
Bei chronischem Catarrh finden gelind reizende, 
die Schleimhäute tonisirende Medicamentc 
ihre Anwendung; als solche sind namhaft zu 
machen: Schwefel- und Spiessglanzpräparate, 
Terpentin, Ammoniakgummi mit Fenchel, 
Dill, Anis, Wachholderbeeren, Alant, Ange- 
lica, Pimpinell, Decocte von Cort. Salicis, Cort. 
Chinae, Rad. Colombo, Cort. fruct. Juglandis, 
Solutionen von Tannin, Catechu, Alaun, 
Plumb. acetic., Ferr. sulfuric., Argentum nitric. 
Diese Decocte und Solutionen eignen sich 
auch zu Ausspritzungen, Staubinhalationen 
mittelst des Pulverisateurs, oder als Pulver 


zum Einblasen in die kranken Höhlen. Für 
die kleineren Thiere können auch die Bal¬ 
same, z. B. Perubalsam, benützt werden. In¬ 
halationen empyreumati8cher Dämpfe sind 
ebenfalls von guter therapeutischer Wirkung; 
man erzeugt sie, wenn man Haare, Zucker, 
Salmiak, Wachholderbeeren, Essig, Terpentin, 
Theer, Carbolsäure auf glühende Kohlen bringt, 
resp. träufelt. Ein Mitleiden der Luftsäcke 
der Pferde erfordert die gleiche Behandlung 
wie der Kopfhöhlen-Catarrh, nur müssen be¬ 
hufs örtlicher Anwendung der dort namhaft 

f emachten Medicamente die Luftsäcke mit 
em Messer oder Trocart eröffnet werden. 
Die Homöopathen geben bei acuten Catarrhen 
zunächst Aconitum, wonach sie Pulsatilla, 
Bryonia, Dulcamara und Lycopodium folgen 
lassen; im chronischen Catarrh werden alter- 
nirend Arsenik, Belladonna, Schwefelleber und 
Baryta carbonica gegeben (Straub, „Thierärztl. 
Recept-Taschenbuch“). Anacker . 

Catchweight ist am Turf beliebiges „Ge¬ 
wicht“, d. h. ein Pferderennen, bei welchem 
ein bestimmtes Gewicht des Reiters nicht 
vorgeschrieben, resp. gefordert wird, wes¬ 
halb bei einem derartigen Rennen, „race at 
catch weight“ genannt, der Reiter weder vor 
noch nach dem Rennen gewogen wird. Catch 
weight kommt jedoch fast ausschliesslich nur 
bei Privatrennen vor. Lechner . 

Catechu, Katechu, der eingetrocknete 
wässerige Auszug des Holzes verschiedener ost- 
asiatischer Bäume der Familie der Rubiaceen, 
namentlich der Uncaria Gambir, Areca Ca¬ 
techu und ihrer Betelnüsse (s. d.). Dieses 
Palmencatechu oder Gambir stellt eine braune 
erdige Masse (Terra Japonica) dar, welche als 
Hauptbestandteil Catechin, d. h. Catechu- 
säure enthält, und die sich (ähnlich wie die 
Gallussäure in Galläpfelgerbsäure) in Catcchu- 
gerbsäure um wandelt. Letztere ist stark zu¬ 
sammenziehend, hat jedoch keinerlei Vorzüge 
vor unseren einheimischen Adstringentien, so 
dass sie kaum angewendet wird, und eigent¬ 
lich in Vergessenheit gerathen ist. Vogel. 

Catout, aus Schafdärmen dargestellte 
Fäden oaer Stränge, die nach der Listerischen 
Antiseptik zum Unterbinden der Gefässe und 
zu Nähten, welche in die Operationswunden 
versenkt werden müssen, verwendet werden. 
Das Material muss selbstverständlich streng 
antiseptisch hergestellt werden und möglichst 
so beschaffen sein, dass es ohne Schaden 
einheilt oder selbst resorbirt werden kann. 
Aus diesem Grunde hat Lister einen thieri- 
schen Stoff gewählt, d. h. Darmsaiten, welche 
in der Art präparirt werden, dass man sie 
mindestens zwei Monate lang in eine Emul¬ 
sion legt, welche aus 5 Theilen Oel und 
1 Theil Acid. carbol. liquef. besteht. In dieser 
Flüssigkeit bleiben die Catgutstränge aufbe¬ 
wahrt, vor dem Gebrauche legt man sie aber 
(eine halbe Stunde vorher) in Carbolwasser, 
weil Carbolöl nicht ganz vor Mikroben schützt. 
Für gewöhnlich zum Nähen von Wunden kann 
man Catgnt ebenfalls benützen, man zieht aber 
jetzt einen anderen thierischen Stoff, die 



122 CATHAERETICA. — CAUTER, 


carbolisirte Seide vor, bestehend aus ge¬ 
wöhnlicher Nähseide, welche eine halbe bis 
eine Stunde lang in 5%igem Phenolwasser 
gekocht und auch in diesem aufbewahrt wird 
(Phenolseide, Czerny), oder man benützt die 
sog. antiseptische Seide, welche trocken in 
einem Glase aufbewahrt wird, nachdem sie zuvor 
eine Stunde lang in einer heissen Mischung von 
1 Theil Phenol und 10 Theilen Wachs ge¬ 
legen hatte. Für thierärztliche Zwecke legt 
man sich so viele Seidenfäden zu einem Näh¬ 
strange zusammen, als der einzelne Fall er¬ 
fordert. Sie ist jetzt allgemein zum Nähen 
gebraucht (s. auch Seide). Vogel. 

Cathaeretica. Die Eintlieilung der Aetz- 
mittel in solche, welche das thierische Ge¬ 
webe nur oberflächlich zerstören — Cathaere¬ 
tica — und solche, bei denen der Angriff tief 
in das Gewebe geschieht — Escharotica— ist 
ohne wissenschaftliche und praktische Be¬ 
deutung, denn bei energischer, bezw. leichter 
Anwendung der kaustischen Mittel kann die 
eine Kategorie in die andere übergehen und 
lassen sich auch sonst beide nicht strenge 
auseinander halten. Zu den cathaeretischen 
Mitteln zählen übrigens nur die Vitriole, der 
gebrannte Alaun und Kalk, der Kupferalaun, 
das essigsaure und salpetersaure Kupfer, das 
Bleinitrat, das Chlorwasser, der Chlorkalk u. a. 
(s. Aetzen). Vogel. 

Cathartica, Reinigungsmittel in Beziehung 
auf den Darmcanal, Abführmittel, welche das 
Darmrohr ausleeren, indem sie flüssige Ent¬ 
leerungen veranlassen, und wobei man es auf 
andere, entferntere Wirkungen nicht abgesehen 
hat (s. Drastica). Vogel. 

Cato Marcus Portius (von 234—149 vor 
Chr.) gab sich mit dem Behandeln von Thier¬ 
krankheiten ab und schrieb darüber in seinen 
Abhandlungen, „De re rustica.“ Semmcr. 

Cattaneo D. G., Repetitor bei der Vete¬ 
rinärschule in Mailand, schrieb 1845 ein 
Werk über Geburtshilfe, worin er sich fran¬ 
zösischen und deutschen Schriftstellern an¬ 
lehnt. Semmer. 

Cattunhund, s. Dalmatinischer Hühner¬ 
hund. 

Cauda, Schwanz (davon caudatus, ge¬ 
schwänzt), benutzt man in der anatomischen 
Nomenclatur zur Bezeichnung schwanzähn¬ 
licher Gebilde, z. B. Cauda equina des Rücken¬ 
markes, d. i. dessen hinteres, pferdeschweif¬ 
ähnliches Ende; Cauda pancreatis, d. i. der 
sehr schmächtige linke Lappen der Bauch¬ 
speicheldrüse; Cauda epididymidis, Neben¬ 
hodenschweif etc. Vielfach bedient man sich 
auch in der topographischen Anatomie des 
Ausdruckes caudal (s. d.). Sussdorf. 

Caudal. Bei den anatomischen Beschrei¬ 
bungen denkt man sich stets den Körper der 
Thiere in der aufrechten, während des Lebens 
unter normalen Verhältnissen wahrzunehmenden 
Stellung. Die Bezeichnungen vorn, hinten, oben, 
unten können jedoch leicht Anlass zu Miss¬ 
verständnissen geben, weil einzelne Körper- 
theile, z. B. der Kopf, eine schräge Lage haben, 
und weil die genannten bei dem Menschen zu¬ 
treffenden Bezeichnungen häufig für die Be¬ 


schreibung der entsprechenden Theile am Kör¬ 
per der Thiere nicht passen. Um die Lage 
genauer bezeichnen zu können, und um ver¬ 
schiedene Anschauungen über die Begriffe vorn 
und hinten beispielsweise am Kopfe zu verhüten, 
bedient sich Franck in seinem anatomischen 
Handbuche vielfach der Bezeichnung caudal 
(schweifwärts) und nasal (nasenwärts) statt 
der Ausdrücke vorn, bezw. hinten. Aus den¬ 
selben Gründen sind die Bezeichnungen dorsal 
(rückenwärts) und ventral (bauchwärts) statt 
oben, bezw. unten in der Veterinäranatomie viel¬ 
fach gebräuchlich. Müller. 

Causer Ed. hatte Thierheilkunde in Lon¬ 
don studirt und gab 1822 eine Schrift über 
Krankheiten der Respirationsorgane heraus. Ar. 
Causse de rodez-Schaf, s. Bergschaf. 

Causse - Rind — race de Causse. Zu den 
dem Braunvieh der Alpen in der Farbe glei¬ 
chenden Rindern der Gebirge im mittleren 
und südlichen Frankreich gehört auch das¬ 
jenige Rind, welches den vorstehenden Namen 
führt. Dasselbe ist verbreitet über die frucht¬ 
baren Gelände der Kalkgebirge auf dem rechten 
Ufer des Aveyron und bildet mit der auf den 
wenig fruchtbaren Gängen der Schiefergebirge 
auf dem linken Ufer des Aveyron heimischen 
race de Jögatas die beiden Unterrassen der 
race de Rouergue. Letztere ist nur wieder 
eine Unterrasse der race d’Aubrac. Hieraus 
erhellt, dass wir es bei der race de Causse 
mit einer untergeordneten Rasse, von be¬ 
schränkter Bedeutung und geringer Individuen¬ 
zahl zu thun haben. Dieselbe erfreut sich in 
ihrer Heimat eines guten Rufes, hat aber 
ausserhalb desselben keine Bedeutung. Es ist 
über diese Rasse nichts bekannt geworden, 
was allgemeines Interesse beanspruchen könnte. 

Literatur: 0. Rolide „Die Rindviehzucht“; Journal 
d'&gricult. pratiq. etc. Cratnpc. 

Caustica, Aetzmittel (s. Aetzen). 

Cau8ticum antimoniale, das officinelle 
Stibium chloratum solutum Ph. G. (s. d.) 
oder Stibium chloratum Ph. A., Antimon¬ 
butter, welche sich beim Auflösen von Spiess- 
glanzoxyd oder Dreifach-Schwefelantimon in 
concentrirter Salzsäure bildet, indem Anti- 
monchlorür (s. d.), SbCl 3 , entsteht. Das Mittel 
gehört zu den Aetzstoffen und beruht der 
kaustische Effect zum grössten Theile auf 
dem Gehalt an Salzsäure, ist daher ganz ent¬ 
behrlich, wird auch nur mehr selten ange¬ 
wendet und muss dem Zinkchlorid, das viel 
bessere Heiltendenz zurücklässt, weit unter¬ 
geordnet werden. Vogel. 

Cauter und Kautör, lat. und griech. 
6 xaorqp (von dem griech. xaieiv, brennen), das 
Brenneisen, Brenninstrument. Sussdorf. 

Cauterium, das Brenneisen als Zerstö¬ 
rungsmittel thierischen Gewebes, thermisches 
Aetzmittel welches die unmittelbare Appli¬ 
cation des Glüheisens (s. Brennen) voraussetzt 
(gegenüber der Anwendung desselben par 
distance), es wird daher dieses Brennen als 

Cauterium actuale bezeichnet, zum 
Unterschied von jenen caustischen Arznei¬ 
mitteln, welche in ähnlicher Weise chemisch 
eineGewebscorrosion zuwege bringen und auch 


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CAUTSCHUK. — CELEBES-SCHWEIN. 123 


Cauterium potentiale von altersher 
genannt werden (s. Aetzen). Vogel . 

Cautschuk, s. Kautschuk. 

Caverna, die Höhle, Loch, von Plinius auch 
für die Afteröffhung der Thiere gebraucht, 
wird jetzt nur mehr auf die in den Schwell¬ 
oder cavernösen Körpern sich findenden 
grossen Venenräume, sowie auf die sich pa¬ 
thologisch durch Gewebseinschmelzung bil¬ 
denden Höhlen der Lunge etc. bezogen, davon 
das adj. cavernosus. Sf. 

C a v e r n e vomica, Lungengeschwür, ist ein 
durchZerfall von Lungengewebe oder erweiterter 
Bronchien gebildeter Hohlraum in den Lungen. 
Am häufigsten entstehen Cavemen bei Lungen- 
tuberculose und bei Bronchiektasien und zer¬ 
fallen danach in tuberculöse undbronchiektati- 
sche Cavemen. Ferner können sich Cavemen 
entwickeln durch Peribronchitis, Broncho¬ 
pneumonien, metastatische Infarcte und Ab- 
scesse sowie lobuläre und lobäre käsige pneu¬ 
monische Herde. Durch käsige Entartung 
und Zerfall der ein gelagerten Tuberkeln, Ent- 
zündungs- und Eiterherde und der Wandung 
erweiterter Bronchien entstehen zunächst 
unregelmässige, von weichen Massen um¬ 
grenzte Bäume, deren Inhalt aus käsigen 
Zerfallsmassen, angehäuftem Schleim und bei 
Luftzutritt auch wohl aus jauchigen Sub¬ 
stanzen gebildet wird. Bei längerem Bestehen 
werden die Wandungen der Cavemen mehr 
glatt und von einer bindegewebigen Kapsel 
umkleidet. Durch Zusammenflüssen mehrerer 
kleinerer Cavemen entstehen grosse Hohl- 
räurae von buchtiger Gestalt. Kleinere Ca- 
vernen werden oft abgekapselt, schrumpfen 
zusammen, obliteriren mit Hinterlassung 
einer Pigmentschwiele. Bei grösseren Caver- 
nen werden die Wandungen oft mit Kalk¬ 
salzen incrustirt, rauh und hart und ihr In¬ 
halt mit Schleim gemengt. In anderen Fällen 
vergrössern sich die Cavemen durch progres¬ 
siven Zerfall des Lungengewebes in ihrer Um¬ 
gebung, es kommt bei Zerstörung von Blut¬ 
gefässen zu mehr oder weniger bedeutenden 
Blutungen, beim Durchbruch der oberfläch¬ 
lich gelegenen Cavemen in die Brusthöhle zu 
Pneumothorax, oder die Cavemen verwachsen 
mit der Costalpleura (Adhäsionen). Semmer. 

Cavernöse Körper, bezw. cavernöses 
Gewebe, s. Männliche Geschlechtsorgane. 

CavernÖ8e8 Atomen, s. Auscultation der 
Lunge und Amphorisches Athmen. 

Cayenne-Hund, s. Alicantischer Hund. 

Cayennepfeffer, s. Capsicum annuum. 

Cayote, mexicanischer Name eines Wild¬ 
hundes, der häufig in den Prairiegebieten von 
Neu-Mexico, Arizona, Mexico und in Cali- 
fomien vorkommt. Derselbe wurde von Esch- 
holz unter dem Namen Canis ochropus be¬ 
schrieben. Später wurde diese Art von Wag¬ 
ner als Varietät des über das ganze Prärie- 
ebietNordamerikas verbreiteten Prairiewolfes, 
anis latrans Say, erklärt Der allgemeine 
Habitus ist der des Wolfes, nur steht das 
Thier viel niedriger auf den Beinen und ist 
die Schnauze relativ länger und spitzer, 
fuchsähnlich. Die Länge beträgt von der 


Schnauzenspitze bis zur Schwanzspitze 1 bis 
1 * 4 m, wovon 40 cm auf den Schwanz kom¬ 
men; die Schulterhöhe kaum 5ö cm. Der Pelz 
ist dicht, namentlich die Ruthe stark behaart 
und buschig; die spitzen, an der Basis breiten 
Ohren ebenfalls stark behaart. Die Färbung 
ist ein schmutziges Gelbgrau, auf dem 
Rücken schwärzlich, am Ohr und Nasen¬ 
rücken rostfarben, Hals und Beine gelblich, 
die Unterseite weisslich, die Schwanzspitze 
schwarz. Die Pupille ist, wie bei allen Wöl¬ 
fen, rund. Bei der als Canis ochropus unter¬ 
schiedenen Varietät ist die Hauptfarbe des 
Pelzes mehr gelblichbraun, an Kopf, Beinen 
und auf dem Rücken mit ockerfarbener Bei¬ 
mischung. Der Canis latrans bewohnt zahl¬ 
reich das Prairiegebiet Nordamerikas vom 55° 
nördl. Br. bis Mexico; er jagt in Rudeln. 
Seine Stimme ist ein kurzes Bellen, auf das 
ein gedehntes Heulen folgt. Studer m 

Cazakee-Pferd, s. Indisches Pferd. 

Caza8 D. N. de Mendoza studirte Me- 
dicin und Thierheilkunde in Madrid und Al- 
fort, wurde Director der Veterinärschule in 
Madrid. 1830 erschien von ihm: „Tratado 
elementar completo de veterinaria“: 1832: 
,.Elementes del esterior del caballo, y juris- 
prudencia veterinaria i4 ; 1833: „Elementos de 
anatomia patologica madedos de seguir de 
orden de S. M. en la ensenanza de los alum- 
nos de la Real Escuela veterinaria“ und 
eine vollständige Bibliothek für Viehzüchter 
und Landwirthe in 7 Bänden. Semmer . 

Cedrium, bei den alten Römern die Be¬ 
zeichnung für den Holzessig. Vogel. 

Celebes-Schwein. Auf der Insel gleichen 
Namens, sowie auf Sulla-Mangoli und Buru 
kommt eine sehr eigentümliche Species der 
Gattung Sus vor, welche gewöhnlich Hirsch¬ 
eber (Porcus Babyrusa oder Sus Babyrusa) 
genannt und nach neueren Angaben ebenso 
gross wie ein mittlerer Esel wird. Diese 
Schweine sind schlank gewachsen, erscheinen 
hochbeiniger als alle anderen Glieder der 
Familie Setigera. Sie besitzen einen kurzen, 
kräftigen Rüssel, kleine, wimperlose Augen 
und kurze, schmale Ohren. Die starken Haken¬ 
zähne des Hirschebers wachsen in auffallen¬ 
der Länge aus dem Maule hervor, krümmen 
sich etwas sonderbar nach rückwärts, so dass 
man sie mit einigem Rechte mit Hörnern 
vergleichen kann. Ihre Behaarung ist sehr 
spärlich, nur am Schwanzende findet sich eine 
längere Haarquaste. Die Europäer haben 
(nach Fitzinger) den ursprünglichen Landes¬ 
namen Babi-Rusa, welcher so viel als Eber 
und Hirsch bedeutet, ohneweiters übersetzt 
und angenommen. 

Ausser diesem Hirscheber kommt auf der 
Insel Celebes noch ein anderes Wildschwein 
(Sus celebensis) vor, welches nach Gray’s Be¬ 
schreibung nicht mit jenen verwechselt wer¬ 
den kann. Dasselbe gehört zur Gruppe der¬ 
jenigen Wildlinge, die in ganz Asien, vom 
Kaukasus an bis zum Amur und vom 45. Breite¬ 
grade an bis zum Nordabhange des Himalaya 
verbreitet sind und im Leibesbau grosse Aehn- 
lichkeit mit den Wildschweinen von Syrien 


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124 CELLE. 


und Palästina zeigen. Diese asiatischen Wild¬ 
schweine fehlen fast überall auf den Hoch¬ 
steppen, kommen aber im Thianschan-Ge- 
birge noch oberhalb der Waldgrenze vor. Fg. 

Celle. Königlich preussisches Landgestüt* 
in der Landdrostei Lüneburg der Provinz 
Hannover, besitzt nur 9 ha Wiesen- und Garten¬ 
land; Ackerland fehlt daselbst gänzlich, und 
es muss daher der Bedarf an Futter durch 
Ankauf gedeckt werden. Das Wasser ist von 
sehr guter Beschaffenheit, auch das Klima 
jener Landschaft milde und entspricht der 
geographischen Lage des Ortes, mitten in der 
Lüneburger Heide. 

Geschichte. Das Gestüt Celle wurde 
im Jahre 1735 unter der Regierung des 
Königs und Kurfürsten Georg II. ge¬ 
gründet. Es begann seine Wirksamkeit mit 
12 holsteinischen Hengsten, die mit grossem 
Geschick von einem Sachverständigen ausge¬ 
wählt worden sein sollen. 1748 fanden sich in 
Celle bereits 40 tüchtige Beschäler, die zur Ver¬ 
besserung des alten Landschlages wesentlich 
beitrugen. Unter dem Stallmeister Eiderhorst 
wuchs bis zum Jahre 1764 die Anzahl der 
Hengste auf 90 Stück an. Leider hörte später 
die Wirksamkeit des Gestütes auf die Landes¬ 
pferdezucht nahezu zwei Jahrzehnte fast voll¬ 
ständig auf, und erst 1790 konnte unter dem 
zuverlässigen Stallmeister Koch eine Besse¬ 
rung derselben constatirt werden. Man kaufte 
damals mit Vorliebe Mecklenburger Hengste 
und sorgte für gute Haltung und Pflege der¬ 
selben. Nach und nach gelangten aber auch 
schon in jener Zeit englische Vollblutpferde 
zur Aufstellung, und der gute Erfolg der sorg¬ 
fältigeren Zucht blieb im Lande nicht aus. 
Während der Kriegsjahre und unter der Re¬ 
gierung des Königs Jöröme von Westphalen 
hörte die Zucht von Pferden in Hannover 
nahezu vollständig auf. Die Gestütshengste wur¬ 
den noch rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges 
nach Mecklenburg gebracht. Erst 1814 wurde 
das Celler Gestüt wieder hergestellt und durch 
den Ankauf brauchbarer Hengste wesentlich 
verbessert. 1816 übernahm ein sehr tüchtiger 
Pferdekenner, H. v. Spörken, die Verwaltung 
des Gestütes, und es gelang demselben in 
verhältnissmässig kurzer Zeit, die dortige 
Zucht ungemein zu heben. 1818 zählte man 
in Celle bereits 110 und 1839 schon 120 bis 
130 Beschäler. 26 schön gebaute Vollblut¬ 
hengste kamen damals aus England in das 
Gestüt, und es scheint, dass hauptsächlich 
unter der Regierung des Königs Ernst August 
sehr viel geschehen ist, um die Landespferde¬ 
zucht von ganz Hannover zu verbessern und zu 
vermehren. Der König befahl, dass in Celle 
210—212 Hengste als Landbeschäler benützt 
werden sollten. Seit 1866 — unter preussi- 
scher Herrschaft — ist der Hengstbestand 
daselbst etwas zurückgegangen, auch soll die 
Qualität desselben nicht mehr so werthvoll 
als in früherer Zeit sein. Schwarznecker 
sagt zwar in Bezug auf die hannoverische 
Pferdezucht: „Einen Rückgang der Zucht unter 
Preussens Scepter, den man wohl in neuester 
Zeit — etwas gesucht — behaupten hört, 


wird man Mühe haben zu beweisen, denn 
selbst wenn das Hengstmaterial in Celle wirk¬ 
lich nicht mehr die frühere Güte haben 
sollte, so hängt die Zucht im Lande nicht 
ausschliesslich von diesem, sondern ausserdem 
von circa 400 in der ganzen Provinz wirkenden 
Privatbeschälern ab.“ Im Frühjahr 1869 trat 
an die Stelle des verstorbenen Oberstall¬ 
meisters v. Spörken der jetzige Dirigent, 
Landstallmeister von Unger, welcher ernst¬ 
lich bemüht ist, den alten guten Namen des 
Celler Gestütes und der hannoverischen Pferde¬ 
zucht zu rehabilitiren. Seit Einverleibung des 
Königreiches Hannover in den preussischen 
Staat trat das Celler Landgestüt ganz in die 
Reihe der übrigen Landgestüte und depen- 
dirt jetzt direct vom Ministerium der land¬ 
wirtschaftlichen Angelegenheiten etc. Von 
Celle aus werden die Hengste von Anfang 
Jänner bis Ende Juni auf Stationen in das 
Land geschickt, wo sie für 3—15 Mark Deck¬ 
geld die Begattung der Stuten besorgen; so¬ 
bald eine Stute ein Fohlen geworfen hat, 
werden noch 9 Mark Fohlengeld erhoben. 
Die von der Gestütsverwaltung ausgegebenen 
Füllenscheine sind zuverlässige Geburtsur¬ 
kunden; für Fohlen von Vollbluthengsten 
werden diese Scheine in blauer, für Füllen 
von Halbbluthengsten und Stuten nachge¬ 
wiesener Abkunft in rother und für Fohlen 
von Halbbluthengsten und Stuten unbekannter 
Abkunft Scheine von weisser Farbe ausge¬ 
geben. Es gibt dort im Ganzen 66 Deck¬ 
stationen, welche mit zwei oder drei Hengsten 
beschickt werden. Die Anzahl der Beschäler 
schwankt zwischen 187 und 200. Nach 
Schlägen vertheilte sich der Bestand bei der 
letzten Besichtigung folgendermassen: 

1. Leichter Reitschlag mit_17 Hengsten 

2. Leichter Wagenschlag mit.. 32 „ 

3. Starker Reitschlag mit. 93 „ 

4. Starker Kutsch- und Arbeits- 

schlag mit. 45 „ 

Es sind daselbst jetzt 25 Vollblut- und 
162 Halbbluthengste aufgestellt. Einen Ge¬ 
stütsbrand hat dieser Zuchtplatz niemals ge¬ 
führt. Die Provinz Hannover exportirt alljähr¬ 
lich eine ansehnlich grosse Zahl von Pferden 
— viele derselben schon im Fohlen alter von 
6 Monaten bis 1% Jahre — und manches 
schöne Thier wandert nach Mecklenburg, 
Sachsen, Thüringen, Süddeutschland und in 
ausserdeutsche Länder, wo sie später nicht 
selten, z. B. in Italien und Spanien, als 
Mecklenburger bezeichnet werden. Es ist nicht 
zu leugnen, dass unter den günstigen Auf¬ 
zuchtsverhältnissen in Mecklenburg die han¬ 
noverischen Fohlen zu stattlicheren Pferden 
heranwachsen, als in den engen Ställen und 
bei der etwas knappen Ernährung in der 
Lüneburger Heide. Ganz bedeutend ist die 
Pferdezucht in der Umgebung von Aurich; 
es fanden sich daselbst bei der vorletzten 
Zählung 190 Fohlen auf 1 Quadratmeile. 
Man wirft den hannoverischen Pferden sehr 
häufig vor, dass sie sich etwas langsam ent¬ 
wickelten, eigentlich erst im sechsten Lebens¬ 
jahre zum vollen Dienste heran gezogen werden 


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CELLULA. — CELLULOSE. 


12S 


konnten, allein es trifft dieses nur in einigen 
Districten zu; die grosse Mehrzahl der Fohlen 
entwickelt sich so rasch und gut wie in den 
anderen Ländern und Provinzen des nörd¬ 
lichen Deutschland. Unstreitig besitzen sehr 
viele jener Pferde recht hübsche Formen, eine 
stattliche Grösse (1*60—l*80m) und gute 
Gangarten. Die hannoverischen Carrossiers 
sind in London meistens sehr gesucht und 
werden in der Regel besser bezahlt als die 
Ostpreussen. Sehr edle Reitpferde und viele 
gute Mutterstuten liefert das alte Herzogthum 
Verden, sowie auch die Grafschaft Hoya. Die 
Remonte-Commissionen haben früher in Han¬ 
nover jährlich 800—1000 Pferde angekauft, 
da aber in der Neuzeit die Preise für schöne, 
edle Pferde dort immer höher gestiegen sind, 
der Export von Jahr zu Jahr zugenommen 
hat, so hat man sich genöthigt gesehen, die 
leichteren und billigeren Remonten aus den 
östlichen Provinzen zu beziehen. Viele Hip¬ 
pologen und Cavalleristen behaupten, dass 
das hannoverische Reit- und Wagenpferd in 
der Ausdauer den „Preussen“ nachstände; 
von anderer Seite wird das Gegentheil be¬ 
hauptet. Haltung und Fütterung sprechen 
bekanntlich bei solchen Fragen wesent¬ 
lich mit. 

Bezüglich der grossen Ausdauer und 
Leistungsfähigkeit der hannoverischen Pferde 
sagte der Rittmeister Graf von Klinkowström 
bei den Versammlungen der Commission zur 
Förderung der Pferdezucht in Preussen Fol¬ 
gendes: „Die erste Escadron des 20. Dragoner¬ 
regimentes habe nach der Schlacht an der 
Lisaine am 20. Jänner 1871 bei Glatteis und 
Schnee 14 Meilen in 12% Stunden zurück¬ 
gelegt, ohne zu füttern. Am folgenden Tage 
habe die Escadron an einem kleinen Gefechte 


theilgenommen und habe dann wieder 13 Meilen 
in 12 Stunden zurückgelegt, trotz Eis und 
Schnee. Obgleich also die Pferde an zwei 
Tagen nur ein Nachtquartier und einmal 
Futter erhalten haben, ist doch kein Pferd 
liegen geblieben, die Escadron hatte vielmehr 
am 22. Jänner weiter marschiren können. Die 
Escadron bestand damals aus % hannoverischer 
Pferde. Nach langjähriger eigener Erfahrung 
könne er die grosse Leistungsfähigkeit dieser 
Rosse in vollem Masse anerkennen.“ Die 
jetzigen Leibpferde Seiner Majestät des Kaisers 
von Deutschland sind vor dem Ankauf für 
den kaiserlichen Marstall Chargenpferde der 
hannoverischen Armee gewesen, also nicht etwa 
besonders ausgesuchte Zuchtproducte. Auch 
dies spricht für die Tüchtigkeit der Zucht 
in jener Provinz. Freytag . 

Cellula (Dimin. von cella, Behältniss, ab¬ 
geleitet entweder von dem lat. celare, ver¬ 
bergen, verstecken, oder von dem hebr. kele, 
der Verschluss, verschlossener Ort), eigent¬ 
lich ein Kämmerchen, ein kleiner Hohlraum, 
wird in der anatomischen Nomen clatur noch 
vielfach für kleinere, insbesonders lufthaltige 
Hohlräume angewendet, so in Cellulae eth- 
moidales, Siebbeinzellen, C. medulläres, Mark¬ 
zellen der Knoehenspongiosa, C. pulmonales, 
Lungenzellen, C. tympanicae, Paukenzellen etc. 


Die älteren Anatomen bezeichneten damit auch 
die Lücken im lockeren Bindegewebe und 
nannten dieses daher geradezu „Zellgewebe“. 
In der neueren Anatomie deckt sich in letzterer 
Hinsicht damit nur noch der Begriff der Zelle, 
als des organisirten Elementarbestandtheilea 
des Körpers. Sussdorf,\ 

Cellulatio, ein von cellula abgeleiteter 
und in neuerer Zeit für Zellenbildung, Zellen¬ 
wucherung gebrauchter Ausdruck. Sussdorf 
Cellulose. Mit dem Namen Cellulose fasst 
man derzeit eine Gruppe von Pflanzenstoffen 
zusammen, welche zu den Kohlenhydraten 
zählen, und die eine elementare Zusammen¬ 
setzung von C e H 10 O ß haben. Cellulose bildet 
nicht nur den Hauptbestandteil der Wan¬ 
dungen der Zellen und Gefässe sämmtlicher 
Pflanzen, sondern auch aller im Verlaufe der 
Vegetationsdauer auf den Zellen entstehenden 
Ablagerungen, sie entsteht in den Pflanzen 
aus anderen Kohlenhydraten, wie Zucker, 
Stärke, welche von Protoplasma aufgenommen 
und in Form einer zusammenhängenden Cellu¬ 
losemembran abgeschieden werden. Während 
des Wachsthums der Pflanzen wird die Cel¬ 
lulose sauerstoffärmer und kohlenstoffreicher, 
indem sie in andere, zur Cellulose ge¬ 
zählte, aber von dieser doch verschiedene 
Substanzen übergeht; diese Stoffe sind die 
Holzsubstanz, die Korksubstanz, das Medullin 
im Mark des Flieders, Fungin in den Schwäm¬ 
men u. s. w., sämmtlich Körper, welche che¬ 
misch noch nicht genügend charakterisirt 
sind, und die man auch als unreine Cellulose 
auffasst. Die Cellulose, welche in der mensch¬ 
lichen Nahrung wegen der geringen Mengen, 
in denen sie darin vorkommt, keine grosse Rolle 
spielt, ist jedoch desto wichtiger für die 
Pflanzenfresser, da sie %—% der Nahrung 
derselben ausmacht. Da nach Obigem die 
Cellulose als einheitlicher Körper in den 
Pflanzen nur in geringer Menge vorkommt, 
sondern hauptsächlich in ihren organisirten 
Formen, wie Holzfaser, Kork u. s. w., so 
einigte man sich in der Ernährungslehre dahin, 
sämmtliche als Cellulose nach ihrer Ent¬ 
stehung zu betrachtenden Stoffe der Pflanze 
als „Rohfaser 11 zu bezeichnen und in den 
Analysen der Nahrungsmittel diese Gruppe 
von Körpern als solche zusammenzufassen und 
in Rechnung zu bringen. Fast rein kommt 
die Cellulose im Flughaar der Baumwollen¬ 
früchte, also in der reinen Baumwolle vor, 
ferner in jungen Blatt- und Blüthentheilen und 
im Fleisch mancher Früchte. Zur Darstellung 
von reiner Cellulose behandelt man zweck¬ 
mässig Hollundermark, Baumwolle, auch weisse 
Leinwand, schwedisches Filtrirpapier der 
Reihe nach mit Wasser, verdünnter Kalilauge, 
verdünnter Essig- oder Salzsäure, Weingeist, 
Aether und schliesslich mit siedendem Wasser. 
Der nun bleibende Rückstand, bei 110 °C. 
getrocknet, ist chemisch reine Cellulose. Emu 
solche hat ein specifisches Gewicht von 1 ’25 
bis 1'45, ist unlöslich in Wasser, Alkohol, 
Aether, sie wird gelöst durch eine Lösung 
von Kupferoxyd in Ammoniak — das sog. 
Schneider’sche Reagens. Durch Neutralismen 


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CELSUS. — CENTIGRAMMA. 


dieser Lösung wird die Cellulose in Form 
von kleinen Flocken ausgefällt. Durch Jod 
allein wird die Cellulose nur braun oder gelb 
gefärbt, bei gleichzeitigem Zusatz von Jod¬ 
kalium, Jodzink und Schwefelsäure wird sie 
jedoch schön blau. Die Cellulose wird gelöst 
durch concentrirte Säuren und Laugen; hiebei 
wird sie in Dextrin und Zucker überführt, 
thcils zerfällt sie in Humussäuren. Locbisch. 

Die Cellulose, eine in allen vegetabili¬ 
schen Futtermitteln vorkommende, stärkeähn¬ 
lich zusammengesetzte Substanz wurde noch bis 
vor Kurzem als der Stärke und dem Zucker 
gleichwerthiger Nährstoff angesehen. Man 
nahm an, dass der von der sog. Holz- oder 
Rohfaser als verdaulich geltende Theil Cellu¬ 
lose oder Zellstoff sei. Neuere Untersuchungen, 
ausgeführt von Tappeiner und Weiske. haben 
uns jedoch gezeigt, dass die Cellulose im 
Verdauungscanal der Wiederkäuer nicht eigent¬ 
lich verdaut, sondern nur durch einen Gährungs- 
process (Sumpfgasgährung) gelöst, resp. zer¬ 
setzt wird. Die so gelöste Cellulose oder Roh¬ 
faser kann somit nicht als assimilirtes Kohle¬ 
hydrat gelten und daher auch nicht als Nähr¬ 
stoff bei Futterberechnungen berücksichtigt 
werden. Die Cellulose wird zum Theil schon 
im Pansen der Wiederkäuer durch Spaltpilze 
in Kohlensäure, Sumpfgas, Aldehyd, Essig¬ 
säure und in eine buttersäureähnliche Säure 
umgewandelt. Aehnliche Zersetzungsvorgänge 
erfolgen noch im weiteren Verlauf des Ver- 
dauungscanales der Thiere. Freilich werden 
durch die Auflösung der Cellulose im Ver¬ 
dauungscanal der Thiere viele von derselben 
fest umschlossene Nährstoffe (Protein, Kohle¬ 
hydrat, Fett) freigelegt und so der Verdauung 
überliefert. Im Uebrigen beschränkt sich der 
Werth und die Bedeutung der Cellulose und 
der aus derselben der Hauptsache nach be¬ 
stehenden Rohfaser darauf, den pflanzlichen 
Futtermitteln ein grösseres Volumen zu ver¬ 
leihen, die den Verdauungssäften dargebotene 
Angriffsfläche zu vergrössem und so indirect 
eine bessere Verdauung und Ausnützung der 
Futtermittel zu begünstigen. Man vermischt 
deshalb absichtlich zu concentrirte Futter¬ 
mittel mit voluminösen, rohfaserreichen Sub¬ 
stanzen (Strohhäcksel u. dgl.). Pott. 

Cel8U8 Aurelius Cornelius schrieb unter 
Kaiser Tiberius ein encyklopädisches Werk 
über Heilkunde, Ackerbau und Thierheil¬ 
kunde. Sommer . 

Celtisohes Pferd, s. Englisches, irisches 
und schottisches Pferd. 

Cement (Zahnkitt, subst. osteoidea, cae- 
mentum, cortex osseus, crusta petro so). Das 
Cement ist seiner chemischen und histologi¬ 
schen Beschaffenheit nach echte Knochensub- 
stauz, und besitzt demnach Knochenzellen, 
welche in sog. Knochenhöhlen liegen, letztere 
sind meist gross und mit einer grossen Zahl 
Kalkcanälchen zur Anastomose versehen. Da¬ 
gegen sind Havers’sche Canäle (Gefässröhren) 
spärlich vertreten; ausserdem anastomosiren 
die Kalkcanälchen und die in denselben vor¬ 
handenen Ausläufer der Knochenzellen auch 


mit den Zahnbeinröhrchen (s. Dentin). Die 
Cementsubstanz findet sich an menschlichen 
Zähnen und denen der Carnivoren (schmelz¬ 
höckerige Zähne) nur als dünner Ueberzug 
der Zahnwurzeln; bei schmelzfaltigen und 
zusammengesetzten Zähnen ist Cement auch 
als dicke Lage auf und zwischen den Zahn¬ 
kronen, resp. ihren Buchten vorhanden und 
verkittet die Einzelzähnchen. Kitt. 

Cementation nennt man das Verfahren, 
welches angewendet wird, um Metalle durch 
Erhitzen mit pulverförmigen Körpern, den 
sogenannten Cementirpulvern, auf ihrer Ober¬ 
fläche, oder in der ganzen Masse chemisch 
zu verändern. Bekanntlich ist das Stabeisen 
an Kohlenstoff ärmer als der Stahl; um nun 
aus Stabeisen Ceinentstahl zu bereiten, bringt 
man das erstere in flachen Stäben mit Holz¬ 
kohlenpulver in aus feuerfestem Thon ange¬ 
fertigte Gefässe und setzt sie mehrere Tage 
lang der Rothglühhitze aus, wobei das Stab¬ 
eisen von aussen nach innen zu langsam 
Kohlenstoff aufnimmt. Wird Kupfer mit Zink¬ 
erzen cementirt, so verwandelt es sich an 
der Oberfläche durch Aufnahme von Zink in 
Messing. Schmiede Überziehen schmiedeiseme 
Wagenachsen mit einer Stahldecke durch 
Glühen der Asche-in Kästen mit Blutlaugensalz, 
Leder, Hornschnitzen und anderen thierischen 
Substanzen. In diesem Falle sind es die aus 
diesen Stoffen entstehenden Cyanverbindungen, 
welche ihren Kohlenstoff an das glühende 
Eisen abgeben. Loebisch. 

cenchroü, die lateinische Form für das 
griech. 6 und yj xeyypos, Hirse; das 
Adjectiv cenchrodes für aas griech. xsyypiooYj; 
oder xey)rpost8vjs, hirsekornartig, hirsekorn¬ 
gross. Sussdorf. 

Centaurea iaoea L. Gemeine Flocken¬ 
blume. Perennirende Pflanze aus der Familie 
der Compositen. Stengel 30—100 cm hoch, 
verästelt. Blätter lanzettlich, untere fieder- 
spaltig oder entfernt buchtig oder ganz- 
randig. Hüllblätter gewölbt, rundlich eiförmig, 
unzertheilt oder zerrissen oder kammförmig ge¬ 
franst. Blüthchen pfirsichblüthenroth. Scliliess- 
früchtchen ohne Federkrone. Blüthe: Juni bis 
October. Diese Pflanze ist auf Wiesen sehr 
verbreitet, vermehrt die Heumenge, wird aber 
vom Vieh nicht gefressen. Zur Vertilgung ist 
das Ausstechen nothwendig; Bewässerung 
macht sie verschwinden. v. Liebenberg. 

Centaurium minus, Herba Centaurii mi- 
noris, Tausendgüldenkraut, eine bittere Gen- 
tianee (s. die heutige botanische Bezeichnung 
Erythraea Centaurium). Vogel. 

Centaurus, 6 xevtaopoe (wahrscheinlich 
von 6 xaöpo«; und xevtsü», Stierstecher), ein 
wilder thessalischer Volksstamra, der in einem 
Kampfe mit den benachbarten Lapithen un¬ 
terging. Nach späterer Fabel waren die Ken¬ 
tauren zweigestaltige Ungeheuer, halb Mensch, 
halb Ross. Der wichtigste unter ihnen war 
Kentaure Cheiron. Sussdorf. 

Centigramma (abgel. von centum, hun¬ 
dert, und to Ypapifjia, eigentlich das Einge¬ 
grabene) = der hundertste Theil eines Gram- 



CENTIMETRUM. — 

mes. Es wird in der Receptur mit 0*01 be¬ 
zeichnet (s. Medicinalgewicht). Sussdorf, 
Centimetrum (abgel. von centum und 
x b pitpov, Mass), d. i. der hundertste Theil 
eines Meters (s. d.). Sussdorf. 

CentipelNo (abgel. v. centum und pellis, f., 
Fell), schon bei Plinius für den dritten Magen 
der Wiederkäuer, den Psalter, wegen seiner 
blätterigen Einrichtung gebraucht. Sussdorf. 

centradiaphanes (latinisirte Ableitung von 
tö xsvtpov, die Mitte, a priv. und foacpav-qs, 
durchsichtig), in der Mitte undurchsichtig. Sf 
Centralbewegung ist diejenige Bewegung, 
welche durch eine gegen einen unveränder¬ 
lichen Mittelpunkt gerichtete Kraft bestimmt 
wird. Es wirke in der Figur 383 auf den Kör¬ 
per a eine Kraft in der Form eines einmaligen 
Stosses so ein, dass er dadurch in einer be¬ 
stimmten Zeit, z. B. in einer Secunde, in der 
Richtung von a b bis b fortgetrieben werden 
musste; gleichzeitig stehe er aber unter der 
continuirlichen Einwirkung einer anderen Kraft, 
welche ihn nach dem Punkte c, u. zw. mit 
solcher Intensität hinziehe, dass er ihr allein 
folgend in derselben Zeit, wie von ab nach 
ac gelangen müsste. Daraus ist leicht er¬ 
sichtlich, dass sich der Körper a weder in 
der Richtung ab, noch in der Richtung ac 
fortbewegen kann, sondern dass er einer mitt¬ 
leren Richtung folgen muss, bei welcher der 
Einwirkung beider Kräfte nach Verhältniss 
ihrer Intensität Rechnung getragen wird. 
Diese mittlere Richtung ergibt sich, wenn man 
aus a b und a c das Parallelogramm a b c d 



constrnirt und die Diagonale a d zieht, welche 
die wirkliche Bewegung des Körpers reprä- 
sentirt. Ist der Körper aber in d angelangt, 
so wird er dem Gesetz der Trägheit zufolge 
durch den anfänglichen Stoss von d nach e, 
wenn Kraft m nicht vorhanden, und von d 


CENTRALCANAL. 127 

nach f gehen, wenn bloss Kraft m vorhanden: 
es resultirt also in Wirklichkeit die Diagonal¬ 
bewegung d bis g. Auf gleiche Weise ergeben 
sich die Diagonalbewegungen g h, hi, i k 
u. s. w., wobei aber angenommen wird, dass 
die nach c hinziehende Kraft nicht ununter¬ 
brochen oder stetig, sondern in kleinen Inter¬ 
vallen in a, d, g, h etc. stoss weise wirkt. Wenn 
nun die nach m hin wirkende Kraft stetig 
wird, was wir betrachten können als unend¬ 
lich rasche Aufeinanderfolge von Stössen, so 
entsteht eine krumme Linie in der Form des 
Umfanges eines Polygons von einer unendlich 
grossen Anzahl unendlich kleiner Seiten. Aus 
der Betrachtung der Figur ist leicht nachzu¬ 
weisen, dass die Flächeninhalte der Dreiecke 
a m d, m d g etc. einander gleich sind und 
daraus folgt als allgemeines für die Central¬ 
bewegung geltendes Gesetz: in gleichen Zeiten 
beschreibt der Leitstrahl (Radius vector) 
(a m in der Figur) gleiche Flächenräume. 
In der Mechanik heisst dieses Gesetz „Princip 
der Erhaltung der Flächen“. Eine Kraft, 
welche stets durch denselben festen Punkt 
gerichtet ist, ertheilt einem freien Punkte, 
dessen Bewegungsrichtung mit der Richtung 
der Kraft einen Winkel bildet, eine Centrai- 
bewegung und heisst Centralkraft. Beschreibt 
der bewegliche Punkt hiebei einen Kreis, so 
entsteht eine kreisförmige Centralbewegung. 
Bei derselben wirken nach entgegengesetzter 
Richtung zwei gleiche Kräfte, welche sich 
gegenseitig aufheben: die Centripetalkraft 
nach dem Mittelpunkte, durch welche das 
Bewegliche auf den Umfang des Kreises er¬ 
halten wird, und die Centrifugalkraft (Flieh- 
Schwungkraft). Diese ist der Widerstand des 
bewegten Punktes gegen die stetige Aenderung 
seiner Richtung. Ist das Bewegliche an einem 
Faden befestigt, so wird derselbe gespannt. 
Die Spannung beweist, dass Centripetal- und 
Centrifugalkraft einander gleich sind. Um die 
Gesetze der kreisförmigen Centralbewegung 
durch den Versuch kennen zu lernen, bedient 
man sich der Schwung- oder Ccntrifiigal- 
maschine. Die Bewegung der Planeten um 
die Sonne ist eine Centralbewegung. Die Ab¬ 
plattung der Erde und die Abnahme der 
Schwere von den Polen gegen den Aequator 
sind die Folgen der durch die Achsendrehung 
der Erde hervorgerufenen Centrifugalkraft. 
Die Abplattung beträgt 1:300, d. h. die 
Differenz zwischen dem grossen und dem kleinen 
Durchmesser verhält sich zum grossen wie 
{ : 300. Eine solche centrale Bewegung mit 
Zieh- und Fliehkraft ist auch bei Thieren zu 
beobachten, die bei schneller Bewegung und 
erhöhter Gangart kleinere Kreise zu durch¬ 
laufen haben, wie im Circus, der Kunstreiterei 
und den Reitschulen. Ableitner. 

Centralcanal des Rückenmarks nennt 
man den engen, von cylindrischem Flimmer- 
epithelium ausgekleideten und von einer 
dickeren Lage Ependyms (Substantia gelati- 
nosa centralis, Virchow's centralem Ependym- 
faden) umscheideten Canal, welcher das 
Rückenmark im Anschluss an die flirnkam- 
mem vom vorderen bis zum hinteren Ende 


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128 CENTRALISATION. — CENTRALNERVENSYSTEM. 


durchzieht Er stellt einen Lymphraum dar, 
der sich als Ueberrest des weit grösseren 
Canales des Medullarrohres aus der Embryo¬ 
nalzeit erhält. Sussdorf. 

Centralisation im physiologischen Sinne 
ist das Verhältniss der Subordination ein¬ 
zelner Theile des Körpers unter ein gemein¬ 
sames leitendes Princip, dessen Sitz ein Cen¬ 
tralorgan, und das ist bei allen weiter ent¬ 
wickelten Thieren das centrale Nervensystem, 
darstellt. Ihrem Grade nach ist die Centra- 
lisation eine sehr verschiedene in der Thier¬ 
reihe ; sie hängt namentlich von der Zahl der 
Organe ab, welche dem Centralorgane unter¬ 
stellt sind, wie auch von der Grösse des 
Einflusses, den dasselbe auf deren Thätigkeit 
ausübt. Die höchste Centralisation ist in 
den Vögeln und Säugethieren gegeben, am 
wenigsten ist dieselbe dagegen in system¬ 
losen Individuen, wie Coelenteraten etc., ent¬ 
wickelt. Sussdorf. 

Centrainervensystem. Die Anatomie un¬ 
terscheidet ein centrales und peripheres 
Nervensystem. Das centrale Nervensystem hat 
seinen Sitz in dem Gehirn und Rückenmark, 
sowie in den Nervenganglien (Nervenknoten), 
welche dem Verlaufe der Nerven eingeschaltet 
sind. Anatomisch ist dasselbe charakterisirt 
durch das Vorhandensein von Ganglienzellen, 
welche mit sämmtlichen Theilen des thierischen 
Körpers durch Ausläufer (Nervenfasern, deren 
Summe das periphere Nervensystem darstellt) 
in Verbindung stehen. Es finden sich deshalb 
auch in den sog. Nervencentralorganen Nerven¬ 
fasern vor, die, bevor sie zu den peripheren 
Theilen ziehen, meist eine Strecke weit die 
sog. Nervencentralorgane durchsetzen. Diese 
centralen Gebilde (Nervenzellen) stehen auch 
untereinander in Verbindung, eine für die 
Physiologie der Nervencentralorgane sehr 
wichtige Thatsache. Diese Verbindungen der 
Nervencentren werden theils durch sich ver¬ 
zweigende und unpaarig zusammentretende 
feinste Fäserchen, welche von den Fortsätzen 
(Protoplasmafortsätze) der Nervenzellen ent¬ 
springen, vermittelt, theils existiren innerhalb 
der Centralorgane eigene diesem Zwecke die¬ 
nende Nervenfasern, welche von Nervenkern 
zu Nervenkern ziehen. Man pflegt solcher in¬ 
tercentraler Nervenfasern drei verschiedene 
Arten zu unterscheiden. Die sog. Commissur- 
fasern verbinden bilateral symmetrische Punkte 
miteinander; die sog. Associationsfasern ver¬ 
knüpfen verschiedene Centra eines und der¬ 
selben Hälfte des Centralnervensystems, ins¬ 
besondere eines bestimmten Theiles der Centrai¬ 
nervenorgane; die „Projectionsfasern“ endlich 
bringen die Centra der Grosshirnrinde mit 
solchen in Zusammenhang, welche an anderen 
Stellen des centralen Nervensystemes gelegen 
sind. — Die Nervenzellen bilden mit dem sie 
aufnehmenden bindegewebigen Gerüste (Neu- 
roglia) und den darin verkehrenden Gelassen 
die graue Substanz (substantia cinerea) des 
Nervensystems. Dieselbe ist an dem Gehirn 
theils peripher, also in der Rinde gelagert 
(„peripheres“ oder „Rindengrau“), theils findet 
sie sich in der Umgebung der sog. Kammer¬ 


räume, also mehr im Centrum des Organes 
(„centrales“ oder „Höhlengrau“). Am Rücken¬ 
mark tritt nur die letztere Anordnungsweise 
auf. Fasern dagegen, welche nebst den sie 
beherbergenden Gerüsten und den Gefässen 
die weisse Masse (substantia medullaris) com- 
poniren, nehmen in letzterem Organe die 
Rindenschicht ein, während sie im Gehirn 
mehr central, oft aber hier wie dort die 
graue Substanz zerklüftend, angebracht sind. 
Das Centralnervensystem ist zur Hauptsache 
in die sog. Animalhöhlen des Körpers ein¬ 
gelagert, das Gehirn in diejenige des Kopfes 
(Schädelhöhle), das Rückenmark in diejenige 
des Rumpfes (Rückenmarkscanal). Eine An¬ 
zahl centraler Nervengebilde findet sich auch 
im Bereiche der Visceralhöhlen vor, theils frei 
und nur durch Fäden verknüpft (Knoten des 
sympathischen Grenzstranges), theils in die 
Viscera selbst eingefügt (Ganglienzellen des 
Herzens, der Lunge, des Magens und Darm- 
canales etc.). Die ganze letztere Gruppe hat 
man vielfach als periphere Ganglien den 
ersteren als centrales und auch als Ganglien-, 
sympathisches oder vegetatives Nervensystem 
dem Cerebrospinal' oder animalen Nerven¬ 
system gegenübergestellt. Die physiologische 
Unterscheidungsweise, welche durch den Namen 
vegetatives, resp.' animales Nervensystem ge¬ 
geben ist, wird durch die der älteren Physio¬ 
logie entstammende Anschauung begründet, 
dass das erstere insbesondere den Vegetativ¬ 
vorgängen, also den Vorgängen der Ernährung 
und Absonderung, das letztere denjenigen der 
geistigen und Sinnesthätigkeit und der will¬ 
kürlichen Bewegung als den allein dem Thiere 
zukommenden Processen vorstehe — eine An¬ 
schauung, die dem Standpunkte der heutigen 
Physiologie nicht mehr ganz entspricht, da 
zahlreiche Verbindungen zwischen „beiden“ 
Nervensystemen nachgewiesen sind und da es 
vor allem auch nicht an Thatsachen fehlt, 
welche das Eingreifen des cerebrospinalen Ner¬ 
vensystems in die Vorgänge des „vegetativen“ 
Lebens zur Evidenz ergeben. — Physiologisch 
erweist sich das centrale Nervensystem in 
erster Linie als ein Centralorgan in des Wortes 
strengster Bedeutung, gegenüber welchem 
sämmtliche Apparate und Functionen des 
Thierorganismus in einem Verhältnisse der 
Abhängigkeit, resp. Subordination stehen. Es 
ermöglicht und vermittelt dabei entweder die 
Thätigkeit der betreffenden Organe oder es 
greift nur in die Art und den Grad der Aus¬ 
führung der Einzelprocesse ein, modificirt sie, 
steigert sie oder drückt sie herab. Diese 
Thätigkeit des centralen Nervensystems ist 
entweder eine automatische, d. h. (scheinbar) 
ohne äussere AnregungenzuStande kommende, 
oder sie ist der Erfolg gewisser auf sie über¬ 
tragener Reize und wird dann zu einer Reaction 
auf die gegebene Anregung hin; der so von 
ihr ausgelöste Vorgang heisst ein reflec- 
torischer Vorgang oder Reflex. Das centrale 
Nervensystem ist fernerhin der Sitz der see¬ 
lischen und geistigen Thätigkeiten; in ihm 
kommen die sinnlichen Wahrnehmungen zum 
Bewusstsein, von ihm gehen alle Willens- 


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CENTRALORGANE. — CENTRIFÜGALVERF ÄHREN. 


129 


impnlse. vor allem die willkürlichenBe wegungen 
aus. Schliesslich influencirt und beherrscht es 
die Ernährungsvorgänge vielleicht zahlreicher 
oder aller Gewebe, sicher jedenfalls diejenigen 
der von ihm ausgehenden Nerven (trophische 
Centra). Alle diese Vorgänge sind auf ein¬ 
zelne Ganglienzellengruppen oder Centra ver¬ 
theilt, keinem derselben liegen verschieden¬ 
artige Functionen ob. Die Thätigkeit der ein¬ 
zelnen Centra*ist dabei entweder eine ganz 
vorübergehende oder eine dauernde (tonische), 
oder eine intermittirende periodische, sogar 
in regelmässigem Rhythmus erfolgende (rhyth¬ 
mische). Die Schilderung der Nervencentral- 
organe s. Nervensystem. Sussdorf. 

Centralorgane nennen wir 1. diejenigen 
Organe, welche durch ihre weitgehenden Ver¬ 
bindungen mit allen einzelnen Organen und 
Theilen des Körpers den Ablauf aller Einzel¬ 
acte und Functionen beeinflussen und dadurch 
deren harmonisches Ineinandergreifen ver¬ 
mitteln. In den Centralorganen dieser Art 
findet deshalb eine gewisse Centralisation, 
d. h. Subordination zahlreicher Processe unter 
ein gemeinsames leitendes Princip statt. Cen¬ 
tralorgan in diesem Sinne ist einzig das cen¬ 
trale Nervensystem. 2. Centralorgane nennen 
wir aber auch diejenigen Organe, welche den 
Mittelpunkt eines Apparates und damit den 
Hauptsitz von dessen Thätigkeit darstellen. 
Die Lunge z. B. ist das Centralorgan des 
Respirationsapparates, weil sich in ihr der Gas¬ 
austausch zwischen Blut und atmosphärischer 
Luft vollzieht; das Herz ferner ist das Central¬ 
organ des Circulationsapparates, weil es durch 
seine Thätigkeit fort und fort die Ursache 
für die Strombewegung des Blutes schafft etc. Sf. 

Centrifugalaufrahmung, s. Aufrahmungs¬ 
theorie. 

Centrifugalverfahren in der Milchwirth- 
schaft. Dasselbe hat sich in den letzten Jahren 
in sehr grosser Ausdehnung im milchwirth- 
schaftlichcn Betriebe eingebürgert. Gegen¬ 
wärtig stehen mehr als 5000 Centrifugen zur 
Milch entrahmung im praktischen Betrieb. 
Nachdem schon im Jahre 1859 der Professor 
der Veterinärmedicin, Medicinalrath Fuchs in 
Karlsruhe, einen Centrifugalapparat zur Rahm¬ 
ausscheidung für die Milchprüfung construirt 
hatte und Professor Prantl im Jahre 1864 
einen solchen für die Milchverarbeitung zur 
Rahmgewinnung zur Ausstellung brachte, ge¬ 
lang es zuerst dem deutschen Ingenieur Leh- 
feldt in Schöningen, brauchbare Milchcentri- 
fugen för die Milchwirthschaft herzustellen 
(im Jahre 1877). Gegenwärtig besitzen wir für 
das Milchcentrifugiren zum Zwecke der Rahm¬ 
gewinnung ganz vortreffliche Apparate, welche 
zur vollen Zufriedenheit der Besitzer arbeiten. 
Am bekanntesten sind ausser der Lehfeldt’schen 
Centrifugc (Modell 1883) die von de Laval 
(Fig. 384 u. 385), dann die Nielsen-Petersen’sche 
oder dänische von Burmeister und Wain in Ko¬ 
penhagen. Bei jeder dieser Milchcentrifugen 
wird in einer zur raschen Rotation befähigten 
Metalltrommel in Folge ungemein zahlreicher 
Umdrehungen (bis zu 6000mal in derMinute > die 
in continuirlichem Strahl zufliessende Milch 

Ko eh. Eucjklopädie d. Thierheilkd. 11. Bd. 


mittelst der Centrifugalkraft in Rahm und Ma¬ 
germilch geschieden und diese durch besondere 
Vorrichtungen gesondert zum Abfluss gebracht. 
Die Vortheile, welche dieses neueste Ent- 



Fig. 384. Separator von de Lava). (Bergendorfer Eisen¬ 
werk bei Hamburg). 

rahmungsverfahren bietet, sind ganz eminente: 
Die Forderung an ein gutes Entrahmungsver¬ 
fahren, Milch, Rahm und Magermilch während 
der Ausrahmung vollkommen süss zu erhal¬ 
ten, wird hiermit am vollkommensten erfüllt; 
die Milch kann unmittelbar nach dem Melken 
— noch kuhwarm — sofort und direct der 
vollkommensten Entrahmung unterworfen 
werden; es geschieht dies in der denkbar 
kürzesten Zeit; die Leistungsfähigkeit geht 
so weit, dass eine Maschine bereits 1000 1 in 
einer Stunde auszurahmen vermag; es kann 
mit den neuesten Maschinen jede beliebige 
Höhe der Entrahmung erreicht werden und 
ist die Ausrahmungsgrösse auch während des 
Ganges der Centrifugen zureguliren; die er¬ 
haltene Magermilch hat bei der vollständigen 
Entrahmung nur noch 0’1% Fett, während 
sie bei früheren Methoden noch mindestens 
0*5% Fett enthält: daher rührt die beob¬ 
achtete höhere Butterausbeute von mindestens 
10%; die Maschinen arbeiten continuirlich 
mit verhältnissmüssig wenig Kraftaufwand: 
sie existiven bereits für Göpelbetrieb, so dass 
ein Pferd schon ausreicht, die Centrifugc so¬ 
wohl als gleichzeitig das Butterwerk zu ver- 

9 




130 


CENTRIFÜGENMILCH. - CEPHAfiLIS 1PECACUANHAE. 


sehen; bei den kleineren Maschinen ist schon 
* eine halbe Pferdekraft für den Betrieb aus¬ 
reichend. Die Maschinen sind solid, haltbar 
gebaut, bedürfen selten der Reparatur, sind 
leicht zu handhaben, sicher und gefahrlos, 
gut und schnell zu reinigen, machen sehr 

f eringe Ansprüche an Raumbedarf und sonstige 
Irfordernisse, wie Wasser, Eis und Geschirr. 
— Die Milchausrahmung ist für Milch- 



Fig 385. Separator von de Laval im Durchschnitte. A Trom¬ 
mel, a Milchzulanfgeftss, BC Raum für Magermilch und 
Rahm, b Ablaufrohre, welche die Magermilch durch die Oeff- 
nung c zum Abflüsse bringt, C Ablauf für den Rahm, 1 m n o 
Trommelwelle, k Scheibe lür den Triebriemen, D Gestelle. 

wirthschaften, die grosse Mengen Milch ver¬ 
arbeiten müssen, die einfachste, vollkommenste, 
sicherste und billigste. Die erhaltenenProducte 
sind stets vollkommen süss und unverdorben, 
daher haltbarer und brauchbarer sowohl für 
die Buttergewinnung aus dem Rahm, als für 
die Verkäsung und anderweitige Verwerthung 
der Magermilch. Feser. 

Centrifugenmilch. Milch, welche mittelst 
einer Centrifuge oder eines sog. „Separators“ 
entsahnt worden ist. Dieselbe dient wie andere 
sog. Magermilch zum Füttern des land¬ 
wirtschaftlichen Nutzviehes, besonders der 
Kälber. Pott. . 

Centrifugenrückstände bei der Rüben¬ 
zuckerfabrikation. Die bei der Rüben¬ 
zuckergewinnung durch Ausschleudern des 


Saftes in Centrifugentrommeln verbleibenden 
Rückstände. Bezüglich ihrer chemischen Zusam¬ 
mensetzung stehen sie nahezu in der Mitte 
zwischen den sog. Diffusionsrückständen 

(s. d.) und den Zuckerrübenpresslingen (s. d). 
Sie enthalten: 

15*0—18*0 im Mittel 16*0% Trockensubstanz 
0*9— 1*0 „ „ 0*9 „ Protein 

— — „ 0*1 „ Fett 

4*3—12*4 „ „ 10*7 „ Stickstofffr. Kxtractstoffe 

2*6—3*9 „ ., 3*1,, Holzfaser 

— — „ „ 1*2 „ Asche 

In Betreff ihrer Verfütterung und Con- 
servirung gilt das bei den Diffusions¬ 

und Pressrückständen Gesagte. Sie kommen 
übrigens in neuerer Zeit immer seltener vor, 
weil die meisten Zuckerfabriken zu dem sog. 
Diffusionsverfahren übergegangen sind oder 
den Rübenzucker durch Auspressen des Rüben 
breies gewinnen. Pott. 

Centro8teo8Clero$i$ (latinisirte Ableitung 
von xo xevtpov, ooxeov, Knochen, und 
oxXripo«;, hart, fest), die Centralosteosklerose 
= östeosclerosis centralis. Sussdorf. 

Cephaelfe Ipecacuanhae, Brechwurzel, 
Brechwurz, brechenerregende Kopfbeere, ein 
Halbstrauch Brasiliens aus der Familie der 
Rubiaceen (Coffeaceae) L. V. 1., deren Wurzel 
ein berühmtes Arzneimittel ist. Die Drogue 
besteht aus den verdickten Mitteltheilen der 
Wurzelfasern und bildet mehrere Zoll lange, 
nach oben und unten verschmälerte, wurm- 
förmig gekrümmte Stücke, welche durch feine 
Längsstreifen und kreisförmige, in kurzen Ab¬ 
ständen von 1 mm, aufeinander folgende 
Wülste ausgezeichnet sind und weissgraue 
Farbe haben sollen. Geschmack ekelhaft 
bitter. Die unter dem Namen 

Radix Ipecacuanhae überall offici- 
nelle Wurzel (Fig. 386) enthält das sehr giftige 
Alkaloid Emetin, dem die Brechwirkung zu¬ 
kommt, das aber für sich allein auch Purgir- 
mittel ist, während die Wurzel selbst zwar 
ebenfalls Emeticum ist, aber keine Diarrhöe 
erzeugt, sondern im Gegentheil diese sogar hebt, 
und deswegen auch als Ruhrmittel bekannt 
ist. Rutherford hat das Wurzelpulver bei 
Hunden direct in den Darm eingeführt und 
wohl eine stärkere Injection der Schleimhaut, 
nicht aber Abführen hervorgerufen. Der Grund 
des antidiarrhoeischen Effectes ist in dem 
Gehalte an glykosidischer Ipecacuanha- 
gerbsäure und Amylum gelegen. Das Er¬ 
brechen durch Emetin, welches heftige Rei¬ 
zung und selbst Entzündung der Schleimhäute 
(ganz ähnlich wie der Tartarus emeticus) er¬ 
regt, erfolgt wahrscheinlich in Folge Reizung 
der Magennerven reflectorisch, jedoch nicht 
immer sicher, wie die Einwirkung auf den 
Darm ebenfalls; man gibt daher bei Menschen 
und Thieren den Ipecacuanhabrechpulvem 
immer etwas Brechweinstein bei; man kann 
sich bei Diarrhöen auch nicht ganz auf die sto¬ 
pfende Wirkung verlassen, es wäre denn, dass 
man ihnen als Unterstützungsmittel Opium (ge¬ 
wöhnlich das Dowerische Pulver) beigibt. Das 
theure Emetin selbst wird nicht für sich allein 
angewendet und tödtet Katzen schon zu 2, 





CEPHALE. 


131 


Hunde zu 20—30 cg durch Kräfteverfall und 
Gastroenteritis. 

Als Brechmittel wirkt Pulvis Rad. 
Ipecac. nur in grossen Gaben, denn kleine 
veranlassen blos Würgen und Ekel (Nau- 
seosum); dabei bleibt es sich gleich, ob man 
sie per os oder subcutan reicht, der Brech¬ 
weinstein dagegen wirkt viel stärker, behelligt 
aber auch mehr die Thiere, deswegen bemerkt 



Fig. 386. Echte Ipec&caanha-Pflaiue and Wnrzel. 


man auch trotz heftigen Erbrechens durch 
die Wurzel keine Collapserscheinungen und 
gewöhnlich auch kein Durchschlagen nach 
hinten. Wo man daher nur eine Eutleerung 
des Magens, nicht aber auch des Darmes 
wünscht, wie z. B. bei Vergiftungen, wird 
das Mittel für sich allein gegeben, gegen¬ 
wärtig aber das viel sicherere Apomorphin 
vorgezogen. Dosis: Schwein 1 * 0—2 *5, grosse 
Hunde ebensoviel, kleine 0*5—1*0 entweder 
mit lauwarmem Wasser verschüttelt oder als 
Pulver mit ebensoviel Amylum, dass das Mittel 
besser auf der Magenschleimhaut verschmiert. 
Man verschreibt stets mehrere der obigen 
Gaben (2—3) und gibt diese bei zögernder 
Wirkung nach 10—15 Minuten nach. "Reines 
Emetin gibt man zu 4—8 mg als Pulver oder 
in Losung. 

Als Brustmittel findet die Brechwurz 
ebenfalls Anwendung und es ist festgestellt, 
dass kleine Gaben ebenso sicher die Secre- 
tion der Bronchialschleimhäute anregen, die 
Ezpectoration befördern, als grosse Hyperämie 
und Bronchitis erzeugen; es scheint daher, 
dass das Emetin bestimmte Beziehungen zu 
den Athmungs- und Digestionsschleimhäuten 
hat, die jedoch nicht näher bekannt sind, 


immer ist aber auch liier der Schlusseffect 
ein nicht ganz zuverlässiger; wo es sich daher 
besonders um Verflüssigung zäher Schleim¬ 
massen in den Luftröhrenastverzweigungen 
handelt, zieht man gegenwärtig das posi¬ 
tivere Apomorphin oder Pilocarpin vor, welche 
in ganz kurzer Zeit eine sehr reichliche Ab¬ 
sonderung dünnen, serösen Schleimes zur 
Folge haben, während die expectorirende 
Brechwurzwirkung wahrscheinlich nur in Er¬ 
regung von Husten besteht. Jedenfalls passen 
die genannten Mittel nur bei Brustaffectionen 
mit spärlichem Secret (wie das Atropin* bei 
zu reichlichem), und dürfen sie dann auch in 
dem fieberhaften Stadium zur Anwendung ge¬ 
langen. Am zweckmässigsten ist hier der Auf¬ 
guss der Wurzel und verschreibt man, um 
kein Erbrechen aufkommen zu lassen, nur 
leichte Dosen, 1:150—200, stündlich einen 
Kaffee- oder Esslöffel voll, mit süssen Mitteln, 
Malzextract, Salmiak, Anis u. s. w. 

Gegen Diarrhöen verfahrt man in ähn¬ 
licher Weise, zieht aber etwas grössere Dosen 
vor, denen man Opium zusetzt. Dosis 0*5 
bis 1*0 auf 100*0 leichten Fenchelthee, den 
man ebenso gut klystieren, als in Verbindung 
mit Gummi oder Amylum, Opiumtinctur u. dgl. 
gebeu kann. 

Syrupus Ipecacuanhae ist in der 
Hundepraxis gerne benützt und leicht beizu¬ 
bringen. Die Ipecacuanha ist hier zu 1% ver¬ 
treten. Als Brechmittel reicht man es zu 
einem Esslöffel voll (besser Brechwein), bei 
Brustleiden und als stopfendes Mittel setzt 
man es anderen geeigneten Mitteln, Mix¬ 
turen, bei. 

Tinctura Ipecacuanhae (1:10). Als 
Brechmittel verschreibt man 15 g und gibt sie 
theelöffelweise bis zur Wirkung. Desgleichen 
gibt man 

Vinum Ipecacuanhae (1:10 Xeres) 
zu 10—20 Tropfen als Expectorans oder bei 
Durchfällen und als Brechmittel für schwache 
Individuen theelöffelweise. Gegen zu starkes 
Erbrechen (Hyperemese) leisten Gerbsäure, 
Chloralhydrat oder etwas mit Eis abgekühlter 
Rothwein gute Dienste. Vogel. 

Cephale, die lat. Form des griech. kephale 
(•?} xs<paXirj, von dem hebr. käphäph, krümmen, 
beugen, rund, hohl machen [?]), der Kopf, das 
Haupt etc., wird in vielfachen medicinisch 
gebräuchlichen Zusammensetzungen getroffen; 
so spricht die Anatomie von einem Encepha- 
lum, Gehirn, Vena cephalica, Bugader, grosse 
innere Hautvene (s. Blutgefässe), die ihren 
Namen von dem arabischen Al-kifnl oder Al- 
köfäl, zum Kopf gehörig, weil bei Kopf leiden 
zum Aderlässen benützt, ableitet. Die Patho¬ 
logie kennt u. A.: 

Cephalaemia (von xrpaXVj und xo a:piai 
Blut), die Blutüberfüllung des Kopfes. 

Cephalitis (von x$<paX^ und Endung 
itis), die Kopf- und Gehirnentzündung = En¬ 
cephalitis. 

Cephaloedema (von xs<paXtj und xo 
otSyjiia, Wassergeschwulst), ödematöse Kopf- 
gescnwulst, äusserer Wasserkopf. 


9* 


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13t CEPHALOPODEN. 


Cephalophyma (von xeqpaX^, und xb 
cpöfia, Geschwulst), Kopfgeschwnlst. 

Cephalopyosis (von xefcu-iq und 
xüu)3i<;, Eiterung), Kopfabscess, Eiterung am 
oder im Kopfe. Sussdorf. 

Cephalopoden, Cephalopoda von xe^aXV) 
Kopf und irooc Fuss, KopffÜsser. Höchste 
Classe des Typus der Mollusken. Die Cepha¬ 
lopoden sind Weichthiere mit deutlich geson¬ 
dertem Kopf, der zwei grosse seitliche Augen und 
eine Anzahl die Mundöffnung umstehende, meist 
mit Saugnäpfen versehene Arme trägt. Der Fuss 
stellt einen durchbohrten Trichter dar, durch 
welchen einestheils das verbrauchte Athem- 
wasscr ausgestossen wird, anderenteils der 
After und die Geschlechtsorgane ausmünden. 
Der meist kegelförmige Mantel umschliesst 
eine Athemhöhle, in welcher die Kiemen ge¬ 
legen sind. Der Mantel kann eine äussere, 
oft spiralgerollte und gekammerte Kalk¬ 
schale ausscheiden oder eine innere Kalk¬ 
oder Horaschale. Die Cephalopoden sind ge¬ 
trennten Geschlechts und leben im Meere. Der 
Kumpf dieser Thiere erscheint in der Längs¬ 
achse bedeutend verkürzt, so dass die After¬ 
öffnung und diejenige der Athemhöhle, welche 
das hintere Körperende bezeichnen, nahe der 
Mundöffnung zu liegen kommen, dafür ist die 
Rückenfläche bedeutend erhaben, meist kegel¬ 
förmig und umhüllt von dem sackförmigen 
Mantel. Die Arme, welche in bilateraler An¬ 
ordnung den Mund umstehen, entsprechen den 
Kopfsegeln anderer Mollusken (nach Leuckart), 
nach der Auffassung Huxley's dem vorderen 
Abschnitt des Fusses. Sie sind in der Zahl von 
acht vorhanden und tragen an ihrer, dem 
Munde zugekehrten Seite Saugnäpfe, deren mus¬ 
kulöse Scheibe noch durch Haken, die sich 
von ihrem Centrum aus erheben (Onychotheutis) 
oder durch Horazähne, die ihren Rand um¬ 
geben, verstärkt sein kann. Innerhalb des 
Kranzes von Armen können noch zwei lange, 
bald mehr, bald weniger in Scheiden zurück- 
ziehbare Fangarme auftreten, welche nur an 
ihrem verbreiteten Ende Saugnäpfe tragen 
(Decapoda). Bei der Gattung Nautilus sind 
an Stelle der Arme acht Gruppen von cylin- 
drischen, einziehbaren Tentakeln vorhanden. 
Der Mantel, welcher den hohen Dorsaltheil des 
Körpers umschliesst, bildet nach hinten, wo 
er sich von der Körperhaut abhebt, eine Höhle, 
die Athemhöhle, in der die vier (Tetrabran- 
chiata) oder zwei (Dibranchiata) Kiemen liegen. 
Der Eingang in diese Höhle wird vermittelt 
durch zwei seitlich vom Kopfe gelegene spalt¬ 
artige Oeffnungen, der Ausgang für das ver¬ 
brauchte Athemwasser durch den trichterartig 
durchbohrten Fuss. Der Mantel kann eine in¬ 
nere oder eine äussere Schale absondern. Die 
innere Schale entwickelt sich in einer beson¬ 
deren Rückentasche des Mantels und stellt 
entweder eine flache, federförmige oder lanzett¬ 
förmige Platte dar, die aus einer biegsamen 
Hornsubstanz (Conchyolin) besteht, oder ein 
spongiöses, von Kalksalzen erfülltes platten¬ 
artiges Gebilde (Os sepiae) darstellt. Die äussere 
schale ist entweder dünn und kahnförmig 
(Argonauta) oder dick, spiral aufgerollt in 


einer Ebene oder aufsteigend oder gerade; 
ihr Hohlraum durch Querwände in eine Reihe 
hintereinander liegender Kammern getheilt. 
Die weiteste, vorderste Kammer dient dann 
zur Aufnahme des Thierkörpers, die folgenden 
sind mit Luft gefüllt und stellen einen hydro¬ 
statischen Apparat dar. Durch sämmtliche 
Kammern zieht sich eine röhrenförmige Ver¬ 
längerung des Thierkörpers, der Sypho. Solche 
Schalen bieten die lebenden Nautilus, die fos¬ 
silen Ammoniten, Orthoceras etc. etc. Der 
Trichter erhebt sich an der Bauchseite des 
Rumpfes aus der breiten Mantelspalte und er¬ 
scheint als eine cylindrische, nach vorn ver¬ 
engerte, bei Nautilus nach hinten gespaltene 
Röhre, welche mit ihrer breiten Basis in der 
Mantelhöhle beginnt und von hier das durch 
die Mantelspalte ein gedrungene Athemwasser 
und die Excremente und Geschlechtsproducte 
nach aussen entfernt. 

Die innere Organisation zeigt eine hohe 
Stufe der Entwicklung. Das Nervensystem 
zeichnet sich durch Concentration und Grösse 
seiner Ganglien aus. Die drei für die Mol¬ 
lusken charakteristischen Gangliengruppen 
bilden eine vom Oesophagus durchwachsene 
Masse, welche von einem inneren Knorpel, 
dem Kopfknorpel, umschlossen wird. Es lässt 
sich eine suprapharyngeale Partie unter¬ 
scheiden, von der die starken Augennerven 
zu den beiden mächtigen, seitlich am Kopfe 
stehenden Augen abgehen, und eine subpha¬ 
ryngeale Partie, die wieder in einen vorderen 
und hinteren Abschnitt, beide durch Cora- 
missuren mit den suprapharyngealen Gang¬ 
lien verbunden, zerfällt: der vordere Abschnitt 
gibt die Nerven zu den Armen ab, ferner 
die Trichter- und Gehörnerven zu einem im 
Kopfknorpel gelegenen Gehörorgan, der hintere, 
Ganglion viscerale, zwei grosse Mantelnerven, 
welche jederseits zu zwei grossen Ganglien, 
den Ganglia stellata, anschwellen. Die Ver¬ 
dauungsorgane beginnen im Centrum der 
Arme mit einer Mundöffhung, die von einer 
ringförmigen Hautfalte umgeben ist. Der mus¬ 
kulöse Schlund besitzt zwei schnabelartige 
Kiefer und einen Zungenwulst mit Reibplatte. 
Der Oesophagus nimmt zwei Paare von 
Speicheldrüsen auf und mündet in einen weiten, 
meist in einen Blindsack ausgezogenen Magen. 
Der Chylusdarm bildet wenig Biegungen und 
mündet im Enddarme in der Mittellinie der 
Mantelhöhle nach aussen. Im Anfangstheil 
seines Verlaufes nimmt er den Ausführungsgang 
der Leber auf. Das muskulöse, in der Median¬ 
linie des Körpers gelegene Herz nimmt seitlich 
die beiden Kiemenvenen auf und vertheilt das 
arterielle Blut durch eine vordere Aorta ce- 
phalica und eine hintere Aorta abdominalis 
im Körper, wo aus Capillarnetzen das venöse 
Blut theils in Lacuncn, theils in Venen über¬ 
geht, welche sich in einer grossen, neben der 
Aorta verlaufenden Hohlvene sammeln. Diese 
spaltet sich in zwei oder vier das Blut zu 
den Kiemen führende Stämme, die muskulöse 
Wandungen haben und pulsiren. Die Harn¬ 
organe sind schwammig traubige Anhänge 
an den beiden Kiemenarterien, die in beson- 


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CERA. 133 


deren Baachfelltaschen liegen, welche in den 
Mantelraura münden. Ein weiteres Excretions- 
organ ist der sog. Tintenbeutel, ein bimförmiger 
Sack, dessen stielförmiger Ausführungsgang 
mit dem After nach Aussen mündet Er entleert 
eine intensiv schwarze Flüssigkeit, die Sepia. Die 
Geschlechter sind getrennt, die männlichen Ge~ 
schlechtsorgane bestehen in einem unpaaren 
Hoden, die Samenelemente entleeren sich in 
eine die Geschlechtsdrüse umgebende Bauch¬ 
felltasche, von der ein langer Samenleiter 
entspringt, der, nachdem er noch eine Pro¬ 
statadrüse und einen Spermatophorensack auf¬ 
genommen, in die Mantelhöhle ausmündet. 
Aehnlich gebaut sind die weiblichen Ge¬ 
schlechtsorgane. Auch hier liegt der Eierstock 
in einer Bauchfelltasche, von der ein doppelter 
oder einfacher Eileiter in die Mantelhöhle 
mündet. Die Begattung geschieht entweder 
direct, indem die Thiere sich mit ausgebreiteten 
Armen aneinanderheften, die Oeffnungen der 
Trichter aufeinanderlegen, wobei die Samen - 
elemente in die weibliche Geschlechtsöffhung 
entleert werden, oder indirect, indem beim 
Männchen ein eigentümlich umgewandelter 
Arm (Hcctocotylus) zuerst die Spermatozoiden 
aufnimrat und diese auf das Weibchen über¬ 
trägt. Dabei wird bei einzelnen Arten der 
Arm abgelöfit und verbleibt einige Zeit in der 
weiblichen Mantelhöhle. Die meist in trau- 
bigen Massen abgelegten Eier entwickeln 
sich durch partielle Furchung, wobei sich auf 
dem grossen Dotter eine Keimscheibe bildet, 
die sich in das spätere Thier umwandelt, das 
allmälig den grossen Dottersack in sich auf- 
nimmt. Die Cephalopoden leben im Meere 
und nähren sich von lebender Beute. Ihre 
Bewegung geschieht theils durch Kriechen 
vermittelst der Arme, theils durch Schwimmen, 
wobei die bei vielen Arten vorkommenden 
Seitenflossen die Bewegung unterstützen, die 
Propulsion aber geschient durch das Ausstossen 
von Wasser aus dem Trichter. 

Viele Arten erreichen eine ungeheure 
Grösse, es sind Individuen von über 10 m 
Länge bekannt geworden. Nach der Zahl der 
Kiemen zerfallen die Cephalopoden in zwei 
Hauptordnungen: 

1. DieTetrabranchiatamitvierKiemen. 
Diese Ordnung tritt, aus den hinterlassenen 
Harttheilen zu schliessen, schon in der Silur¬ 
formation in zahlreichen Formen auf und ist 
in der heutigen Schöpfung nur noch durch 
die Gattung Nautilus mit vier Arten in der 
Südsee und dem indischen Ocean vertreten. 
Die Tetrabranchiata besitzen eine äussere 

ekammerte Schale, die von einem centralen 

ypho durchzogen wird, statt der Arme acht 
Tentakelgruppen um den Mund, ein ge¬ 
spaltener Trichter und Augen ohne Cornea 
und Linse. 

2. Die Dibranchiatamit äusserer oder 
innerer Schale, oder nackt, mit 8—10 Armen 
in der Umgebung des Mundes und Augen, 
die eine Linse besitzen. Dahin werden ge¬ 
rechnet: 

Die Ammonitiden mit äusserer ge¬ 
kammerter Schale und ventralem Sypho, deren 


Schalen fossil vom Devon bis in die Kreide 
Vorkommen. 

Die Octopoda mit acht Armen, nackt 
oder mit äusserer Schale, Octopus, Argonauta. 

Die Decapoda mit zwei Fangarmen 
zwischen den acht Mundarmen, dahin gehören 
die Gattungen Sepia, Loligo u. A. S/udcr. 

Cera. Bienenwachs. An sich selbst 
dient das Wachs nicht zur menschlichen 
Nahrung, sondern nur, wenn es in Form von 
Waben ist und noch Honig enthält, als sog. 
Scheibenhonig. Bekanntlich ist im Bienen¬ 
stöcke das Wachsgebäude der Hauptbestand¬ 
teil desselben, indem es zur Aufnahme der 
Brut dient, derselben Wärme und Schatz bietet 
und dem Bienenvolke ein Aufbewahrungort 
der Nahrung ist. Das Wachs ist wie der 
Honig ein Secretionsproduct der Bienen, und 
es wird von diesen mittelst des im Früh¬ 
jahr und im Sommer gesammelten Blüthen- 
staubes gebildet. Wenn diese Thierchen gute 
und reichliche Nahrung gemessen, so dass sich 
durch die Verdauung derselben mehr körper¬ 
liche Stoffe entwickeln, als zur Erhaltung des 
Körpers nöthig sind, so wird durch den Ueber- 
schussanNahrungsstoff das Wachs in speciellen 
Drüschen gebildet, dessen Production also auf 
ähnlichen Bedingungen beruht wie die Fett¬ 
bildung bei anderen Thieren. Das Wachs 
dient den Bienen zur Bereitung der Betten 
und Wohnungen der Jungen so wie der Vor¬ 
rathsräume. Sie bauen, so lange ein Bedürf¬ 
nis für solche Aufbewahrungsorte vorhan¬ 
den ist. Erst wenn der Wachsbau vollendet, 
wird der Honig in die Wachszellen ein¬ 
geräumt und sobald eine derselben gefüllt 
ist, wird sie mit einem Deckel von Wachs 
geschlossen. Wenn die Bienen Wachs aus¬ 
schwitzen, müssen sie mehr Honig, Pollen und 
Wasser consumiren, als sonst zu ihrer Erhaltung 
nöthig ist; es ist berechnet worden, dass zur 
Erzeugung von 1 g Wachswaben ungefähr die 
Nahrung consumirt wird, welche zur Produc¬ 
tion von 10 g Honig gedient hätte; es ist 
auch constatirt worden, dass ein Volk, wel¬ 
ches im Frühjahr einen Vorrath an leeren 
Waben hat, doppelt oder dreifach so viel 
Honig liefert als ein anderes, welches die 
Waben erst bauen muss Die Bienenzüchter sind 
in Folge dessen daraufgekommen, den Bienen 
den Wachsbau zu ersparen, indem sie in ihre 
Wohnungen leere Wachswaben (durch Schleu¬ 
dermaschinen geleert) einfügen und so zu 
sagen die Bienen zwingen, nur Honig zu 
erzeugen; dadurch verlieren aber die Honig¬ 
scheiben viel von ihrem Werth. 

Die Honigwaben bestehen aus zu einer 
Art Kuchen zusammen gestellten Zellen, die 
eine Mittelwand besitzen, an welcher zu beiden 
Seiten die sechseckigen Zellen aufrecht und ein¬ 
ander gegenüber stehen. Die Zellen sind von 
verschiedener Grösse, je nachdem sie Brut¬ 
oder Honigzellen sind; letztere sind auch 
tiefer. Die Waben haben 25—35, selten 45 mm 
Dicke, besonders in der Mitte. Man unter¬ 
scheidet Vollwaben, d. h. Waben, welche den 
ganzen Raum des Mobilrähmchens oder des 
Korbes einnehmen, unregelmässige Waben, 


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134 


CERATITES. — CERDAGNE-RIND. 


wenn sie nicht flach anfliegen, Theilwaben, 
wenn sie an einem Theil mehr oder weniger 
abgerundet und nicht fertig gebaut sind, 
nur %, %, oder % einer Wabe bilden. Einige 
Waben sind mit Honig gut angefüllt, andere 
mehr oder weniger leer; man unterscheidet 
auch helle, dunkle und andere Waben, meist 
je nach der Farbe des Honigs, dessen Ge¬ 
schmack je nach den Blumen, auf welchen 
Pollen gesammelt wurden, sich ändert und 
auch auf den Werth der Honigscheiben Ein¬ 
fluss hat. Nebst dem Honig enthalten die 
Wabenzellen auch die abgestorbenen Bienen- 
eier oder die Maden, bisweilen auch todte 
Bienen. Verdeckter Honig wird vorgezogen; 
er unterscheidet sich gewöhnlich von ver¬ 
deckten Brutzellen dadurch, dass die Deckel¬ 
chen nicht so glatt und gewölbt sind wie bei 
den letzteren und gewöhnlich eine mehr weiss- 
liche Farbe haben. Die chemischen Bestand¬ 
teile des Wachses kommen hier nicht näher 
in Betracht; es sind dies Myricin und freie 
Cerolinsäure mit einer Ceroleln genannten Fett¬ 
substanz, welche bei 28° C schmilzt.—Eine Ver- 
fälschung des natürlichen Wachses in Honig¬ 
scheiben kommt nicht vor, wohl aber eine 
Verfälschung des Honigs selbst. Verfälschun¬ 
gen grober Art, wie mit Mehl, Stärke, Leim, 
sind leicht zu erkennen; die Nachweisung von 
Stärkezucker wird hingegen schwer, beson¬ 
ders weil die Zusammensetzung des Honigs 
selbst eine veränderliche ist und sehr ver¬ 
schiedene Zuckerarten darin Vorkommen. Ver¬ 
giftungen durch Wachs oder eher durch Honig 
sind zuweilen in tropischen Gegenden vor¬ 
gekommen, wenn die Bienen auf Giftpflanzen 
geschwärmt haben. — Die Statistik gibt für 
Frankreich im Jahre 1883 eine Zahl von ca. 
2,500.000 Bienenstöcken an, für Deutschland, 
fast 3,000.000. Jedoch besteht stets noch eine 
grosse Einfuhr von Honig nach Deutschland, 
u. zw. von ca. 3500 Tonnen, sowie von ca. 
600 Tonnen Wachs. Zundel. 

Cera flava, gelbes Wachs, Cera citrina, 
rohes Wachs; cire jaune, bees (or yellow) 
wax, cera gialla. Das Bienenwachs, eine fett¬ 
artige Substanz, die aber kein Glycerin ent¬ 
hält (s. Wachs), findet keine medicinische 
Anwendung mehr, denn es wird weder resor- 
birt, noch kann es als einhüllendes und bei 
Durchfällen den Darminhalt verklebendes und 
zurückhaltendes Mittel dienen, wie früher ge¬ 
schehen; es verlässt vielmehr den Dickdarra 
unverändert. Aber auch zu pharmaceutischen 
Zwecken wird seine Eigenschaft, den Salben die 
Consistenz zu erhöhen und leicht mit Oelen 
und Fetten zu verschmelzen, nur selten in der 
Thierheilkunde verwerthet, wo feste Salben, 
Pflaster, Bougies u. s. w. wenig in Gebrauch 
kommen. Das weisse Wachs ist nur gebleichtes 
gelbes Wachs. 

Unguentum cereum, Wachssalbe, dar¬ 
gestellt durch Zusammenschmelzen von 3 
gelbem Wachs mit 7 Olivenöl, dient nur zum 
Einreiben der Haut, um sie vor dem Herab- 
fliessen scharfer Arzneimittel, vor der Ein¬ 
wirkung des Eiters, der Jauche u. s. w. zu 
schützen. 


Charta cerata, Wachspapier, mit Wachs 
getränktes Papier, dient den Apothekern als 
Tectur von Salben und als Enveloppe leicht 
feucht werdender Pulver, stark riechender Sub¬ 
stanzen oder Pflaster. 

Taffetas ceratus, Wachstaffet,• dar¬ 
gestellt durch Tränken von Taflet mit öligem 
Wachs, dient hauptsächlich als ein imper- 
spirables Deckmittel, um die Wärmeausstrah¬ 
lung und Verdunstung feuchter Arzneimittel 
auf der Haut zu verhindern, wodurch Kata- 
plasmen ersetzt werden können; ausserdem 
erhält es feuchte um die Haut gelegte Lappen 
lange Zeit als solche und wird dadurch zu 
einem mächtigen Erweichungs- und Zerthei- 
lungsmittel, wie z. B. bei Rheumatismen, An¬ 
schwellungen, Drüsen u. s w. Zu gleichem 
Zwecke wird jetzt auch vielfach das Gutta¬ 
perchapapier verwendet, und haben beide das 
Geschäft der Erweichung, Schmelzung und 
Zertheilung, wie es früher durch Umlegen 
von schweren wollenen Lappen, Schafpelzen 
u. 8. w. geschah, wesentlich vereinfacht. 

Cera arborea, Baumwachs, dient oft 
zum Verschmieren von Hornspalten, Ausfüllen 
von Kluften in dem Hufe, zum Schutz kranker 
Klauen und Nägel namentlich bei Menagerie- 
thieren, Zimmervögeln etc. Es wird als 
solches oder durch Zusammenschraelzen von 
gleichen Theilen Terpentin, Fichtenharz, 
gelbem Wachs und Talg dargestellt, mit 
Curcuma gefärbt und in Stangen gerollt; 
früher war es als Ceratum Resinae Pini oder 
Emplastrum citrinum officinell. Vogel. 

Ceratites (Keratites) lapis, s. Unicornu 
fossile. 

Ceratum, so viel als Wachspflaster, eine 
Art Mittelding zwischen Pflaster und Salbe. 
Man hat in den Apotheken verschiedene der¬ 
artige pflasterähnliche Mischungen, bestehend 
aus Wachs, Harz, Oel, Walrath, zum An¬ 
kleben an die Haut, Bedecken von Exco- 
riationen, und wird solchen Ceraten vielfach 
auch ein Arzneimittel beigemengt und diesen 
dann der entsprechende Namen gegeben, z. B. 
Ceratum Picis, C. Pini, Plumbi u. s. w. Sie 
sind, die Wachssalbe etwa ausgenommen, in 
der Thierheilkunde alle überflüssig. Cerate 
sind ausserdem auch solche Salben, denen 
man durch Wachs eine steifere Consistenz 
ertheilen wollte. Vogel. 

Cercarien (von xepxos, Schwanz) nennt 
man die geschlechtslose Brut der Saug¬ 
würmer. 

Cercomyotomia (von xepxoc, Schwanz 
und 6 u.5(, Muskeln, ij tojjlyj, Schnitt), Schweif- 
muskelschnitt. Sussdorf. 

Cercos, besser Kerkos = r { xepxos, 
Schwanz, davon Cercomyotomia = Schweif¬ 
muskelschnitt. 

Cerdagne-Rind, race de la Cerdagne. Die 
Rinder der französischen Seite der Pyrenäen 
stimmen in ihren zoologischen, also in ihren 
Rasse-Eigenschaften überein und bilden hier¬ 
nach eine in sich abgeschlossene Rinder¬ 
gruppe. Dieselbe zerfällt in mehrere Unter¬ 
abtheilungen. Die zwischen denselben beste¬ 
henden Unterschiede sind eine Folge der ört- 



CERDAGNE-SCHWEIN. — CEREBRANTIA. 135 


liehen und der dadurch bedingten wirth- 
schaftlichen Verhältnisse, unter welchen 
die betreffenden Viehstämme gehalten wer¬ 
den. Diese Unterschiede betreffen namentlich 
die Grösse und Schwere der Thiere, 
nebenbei unerhebliche Abänderungen der 
Farbe; im geringeren Grade ihre wirt¬ 
schaftlichen Leistungen: Milchergiebigkeit, 
Befähigung zum Dienste im Zuge und Mast¬ 
fähigkeit. Beim Eingehen auf alle hiebei in 
die Erscheinung tretenden Unterschiede Hessen 
sich für jedes einzelne Pyrenäenthal recht 
wohl eine oder mehrere Rassen aufstellen, 
und hiedurch die ohnedies übergrosse Zahl 
der französischen Rinder-Rassen noch um ein 
ganz WesentHches vermehren. Das Pyrenäen¬ 
vieh stimmt in der Farbe mit dem Braun - 
vieh der Alpen überein. Es ist also einfarbig, 
braun, braungelb, gelbgrau u. s. w. und aus¬ 
gestattet mit einem hellfarbigen Rückenstreif 
und einem sogenannten Rehmaul. In seinem 
Körperbau besitzt es alle Eigentümlich¬ 
keiten des Gebirgsviehes: stämmigen Rumpf, 
starke Wamme, hochangesetzten Schweif, 
starkknochige Beine. Diesen Eigenschaften 
stehen wenig empfehlenswerte wirtschaft¬ 
liche Leistungen zur Seite. In dieser Bezie¬ 
hung vermag das Vieh nur die geringen An¬ 
sprüche seiner Besitzer zu befriedigen. Diese 
aber müssen sich damit trösten, dass unter 
den obwaltenden ungünstigen Wirtschafts¬ 
verhältnissen ihrer Heimat auch mit grösserer 
Sorgfalt sich nicht viel mehr erzielen lassen 
würde, als man seit altersher ziemlich mühelos 
erreicht. Das Vieh begeht im Sommer die 
Gebirgsweiden. Leider währt diese Zeit ver- 
hältnissmässig reichlicher Ernährung nur 
wenige Monate. Den langen Winter steht das 
Vieh im Stalle und muss sich an dem Futter 
genügen lassen, das seine Besitzer den Som¬ 
mer über mit vieler Mühe eingeschafft haben. 
Unter diesen Umständen bleibt die körper- 
Hche Ausbildung der jungen Thiere zurück 
und kommt die Leistungsfähigkeit der alten, 
namentüch in Bezug auf Milchproduction, 
nicht zur vollen Entfaltung. Die hier in Rede 
stehende Race de la Cerdagne führt diesen 
Namen nach ihrem Verbreitungsbezirke, der 
alten Grafschaft Cerdagne, und ist der Haupt¬ 
sache nach in den Hochthälern der Pyrenäen 
zu Hause. Das Vieh ist nur von geringer 
Grösse und Schwere. Seine Milchergiebigkeit 
ist gering. Auch in den sonstigen Leistungen 
genügt es nur sehr bescheidenen Anforde¬ 
rungen. Eine Bedeutung ausserhalb seiner 
Heimat hat es bisher nicht erlangt. Crampc. 

Cerdagne-Schwein. Dieses Schwein bietet 
nichts dar, was ihm irgend welche wirthschaft- 
liche Bedeutung verleihen könnte. Es ist über 
dasselbe nichts weiter zu berichten, als das 
Folgende: Zur Zeit der alten Gallier ver¬ 
standen es die Bewohner des Verbreitungs¬ 
bezirkes dieses Schweines, der nachmaligen 
Grafschaft Cerdagne, sich mit den das Land 
mit Krieg überziehenden Römern auf guten 
Fuss zu stellen und sich dieselben durch 
Getreide- und Viehlieferungen zu verbinden. 
Bei letzteren haben Schweine eine besonders 


wichtige Rolle gespielt. Diesem Umstande 
verdankt das Cerdagne-Schwein ein Interesse, 
das es anderenfalls nicht haben würde. Crampc. 

Cerealien, von Ceres, Göttin des Acker¬ 
baues, im Allgemeinen jene Samen der cul- 
tivirten Gramineen, welche zu Mehl verrieben 
werden, im Gegensatz zu den Samen der 
Leguminosen, welche nur ausnahmsweise zur 
Mehlbereitung dienen und zum grossen Theil 
vom Menschen in Form von Muss oder Brei 
genossen werden. Locbisch. 

Cerebralia, gleichbedeutend mit Cere¬ 
brantia, s. d. 

Cereforalsyaiem. Man fasst darunter zu¬ 
weilen das Gehirn nebst dem gesammten 
davon ausgehenden und dahin führenden 
Nervensystem nebst Sinnesapparaten zu¬ 
sammen; im Specielleren sind darunter Ge¬ 
hirn und Gehimnerven zu verstehen. Sf. 

Cerebrantia, Gehirnmittel. Wenn es Arz¬ 
neistoffe gibt, denen eine besondere Beziehung 
zum Gehirn (Cerebrum) zugeschrieben wird, 
so können darunter nur solche verstanden 
werden, welche es überhaupt auf das Nerven¬ 
system abgesehen haben und deswegen im 
Allgemeinen als Neurotica bezeichnet werden. 
Aber auch der Begriff der Letzteren ist kein 
streng abgeschlossener, sondern es sind diese 
Nervenmittel nur als ein Abstractum pro 
concreto aufzufassen, insoferne sie nicht immer 
und nothwendig das Nervensystem in seiner 
Gesammtheit, also mit allen seinen Centren 
angreifen, sondern in der Regel vorwaltend 
nur einzelne Bezirke, wie z. B. das Gross¬ 
oder Kleinhirn, die Medulla oblongata, den 
Sympathicus u. s. w.; auch müssen hiebei 
immer zweierlei Wirkungen unterschieden 
werden, denn entweder veranlassen sie eine 
Steigerung der Thätigkeit in den besonders 
betroffenen Abschnitten (Excitantia, Irritantia) 
oder eine Herabsetzung derselben (Narcotica, 
Hypnotica, Sedantia). Bildet sich dabei ein 
ausgesprochenes Concretum heraus und werden 
dabei insonderheit die Functionen des Ge¬ 
hirns alterirt, so heisst man solche Neurotica 
speciell auch Cerebralia oder Cerebrantia und 
kann die genannte Doppelwirkung ganz wohl 
auch von einem und demselben Arzneistoffe 
ausgehen, wie z. B. der Alkohol erst anregt, 
belebt, die psychischen Functionen, nament¬ 
lich die Willens thätigkeit hebt, also primär 
ein Nervenerquickungs-, bezw. Gehirnrestau¬ 
rationsmittel ist, je nach der Dauer und Inten¬ 
sität der Einwirkung aber eine Depression 
des Gehirns, Narkose hervorruft. Dasselbe 
gilt vom Aether, dem Opium und seinen 
Basen, von der Belladonna etc. für gewisse 
Gehirnabschnitte, so dass dabei die auffäUig- 
sten Uebergänge von der einen Wirkung auf 
die entgegengesetzte beobachtet werden können. 
Was speciell die Gehirnmittel betrifft, so be¬ 
merkt man bei ihnen in vielen Fällen eine 
eigenthümliche aber bestimmte Reihenfolge 
von cerebralen Erscheinungen, aus denen ver- 
muthet werden muss, dass die einzelnen Ge¬ 
hirnprovinzen nicht zu gleicher Zeit betroffen 
wurden. Zuerst tritt meist die Excitation her¬ 
vor, dann folgt Betäubung, hierauf Störung 


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136 


CEREBRIN. — CEREVISIA. 


der Coordinationsbewegungen, zuletzt Still¬ 
stand des Herzens und Tod. In anderen Fällen 
werden die Coordinationsbewegungen zuerst 
in Unordnung gebracht und es folgen eigen¬ 
tümliche, meist Zwangsbewegungen, wie der 
bekannte Manfcgegang nach Morphin-Injec- 
tionen bei Pferden, nach Codeln, Santonin 
bei Hunden, oder wird der Nervus facialis vor¬ 
waltend betroffen (Zuckungen der Gesichts¬ 
muskeln), der Nervus opticus (Mydriase, Myose), 
der Vagus u. s. w.; Atropin bedingt neben 
Steigerung der Erregbarkeit des Inspirations¬ 
centrums vom Gehirn aus vorübergehend 
Lähmung der Endzweige des Lungenvagus, 
Blausäure wirkt auf diese reizend, ebenso 
Muscarin auf die peripherischen Endungen 
des Herzvagus, Apomorphin auf das Brech- 
centrum des Gehirns, Pilocarpin auf das 
Speichelcentrum im verlängerten Marke bei 
allen Säugetieren und doch gehen alle ge¬ 
nannten Effecte vom Gehirn aus, allerdings 
ohne dass wir auf mehr als Hypothesen an¬ 
gewiesen sind, wenn es sich darum handelt, 
die Ursache dieser Nervenwirkungen oder gar 
die (wahrscheinlich vorliegende) chemische 
Action auf die Nervensubstanz zu erklären. 

Gehirnanregende, belebende Mittel 
(Analeptica cerebri) sind: Die Alkoholica 
(Wein, Bier, Schnaps), Ammoniak, Aether, 
Kampher, Coffein. 

Gehirn betäubende, schmerzstillende 
Mittel (Soporifica, Anaesthetica, Anodyna): 
Alkoholica, Aether, Chloroform, Chloralhydrat, 
Bromoform, Jodoform, Paraldehyd, Aethyliden- 
chlorid, Morphin, Narcotin, Thebain, Chinin, 
Cannabis, Milchsäure. 

Gehirnkrämpfe stillende Mittel: 
Aetherische Oele, Morphin, Chloralhydrat, 
Chloroform, Bromkalium. 

Gehirnlähmende Mittel (Paralysantia): 
Morphin, Chloroform, Coniin. Vogel. 

Cerebrin. Ein in der Gehirn- und Nerven¬ 
substanz, in kleiner Menge auch in Eiter¬ 
körperchen und in dem elektrischen Organ 
des Torpedos vorkommende Substanz von der 
Zusammensetzung: C 5t H 110 N,0 M . Unlöslich 
in kaltem Alkohol und Aether, löslich in 
heissem Alkohol. Wird Cerebrin in concen- 
trirter Schwefelsäure gelöst und die Lösung 
in Wasser gegossen, so fällt eine stickstoff¬ 
freie Substanz aus, welche den Namen Cetylid 
erhielt; diese liefert beim Schmelzen mit Kali 
Palmitinsäure. Loebisch. 

Cerebrosplnalfiüöslgkeli nennen wir die 
Gesammtheit der in den Hüllen sowie den 
Höhlen von Gehirn und Rückenmark befind¬ 
lichen Flüssigkeit. Sie zählt zu den sog. 
Transsudaten, wässerigen Ergüssen, welche 
wir richtiger als die Lymphe der betreffen¬ 
den Organe aufzufassen haben. Als Subdural¬ 
flüssigkeit füllt sie den Raum der Duralscheide, 
als Subarachnoidealflüssigkeit den der Arach- 
noidealscheide der Nervencentralorgane aus, 
als Kammerwasser findet sie sich in den Hirn¬ 
ventrikeln und dem Centralcanal des Rücken¬ 
marks. Die chemische Zusammensetzung ist 
von zahlreichen Forschern für die in nor¬ 
maler Quantität, wie auch für die in abnorm 


grosser Menge bei chronischen Gehirner¬ 
krankungen ergossene Flüssigkeit untersucht 
worden. Immer fiel der grosse Kaliumgehalt 
derselben auf, wie er mit der ebenfalls 
bedeutenden Kaliumaufspeicherung in den 
nervösen Centralorganen leicht in Zusammen¬ 
hang zu bringen ist. Nach C. Schmidt fanden 
sich in der Rückenmarksflüssigkeit des Hun¬ 
des unter 11*8% 0 festen Bestandtheilen 
2*4°/ 00 organische Stoffe und 9’4%<, anorga¬ 
nische Salze. Sussdorf. 

Cerebrospinalnervensystem nennt man 
Gehirn und Rückenmark nebst deren peri¬ 
pheren Ausläufern im Gegensatz zu dem 
sympathischen oder Gangliennervensystem. 
Wegen seiner Functionen als Vermittler zahl¬ 
reicher Vorgänge und Thätigkeiten (geistiges 
Leben, willkürliche Bewegung etc.), welche 
speciell nur dem Thiere zukommen, wird es 
auch das animale Nervensystem genannt. 
Näheres s. Gehirn, Rückenmark und Nerven. Sf. 

Cerebrum, Gehirn (vielleicht von der 
altgriech. Form xotp für xapot, xapYj, Kopf?), 
gibt einer Menge in der Medicin gebrauchter 
Worte Ursprung so: 

Cerebellum als Deminutiv, das Klein¬ 
hirn. 

Cerebriformis, gehirnartig. 

Cerebritis, Gehirnentzündung. 

Cerebrosis, Himwuth, ete. etc. Sf. 

Cerevisia, Bier (s. d.), das bekannte, ein 
gegohrenes Gerstenmalzinfus darstellende Ge¬ 
tränke, welchem nichts als ein Hopfenaufguss 
zugesetzt werden darf, und das häufig auch 
diätetisch bei kranken Thiercn Anwendung 
findet. Vermöge seiner Bestandtheile kann es 
als directcs Nahrungsmittel betrachtet werden, 
und wenn es auch nicht gerade durch Gehalt 
an Nährstoffen sich auszeichnet, so ist doch 
sein Gehalt an Kohlenhydraten und Eiweiss 
aus dem Grunde von hohem Werth, weil diese 
ungemein leicht ins Blut gelangen und rasch 
assimilirt werden. Hiezu kommt die ver¬ 
dauungsbefördernde Action der Kohlensäure, 
des Alkohols und des bitteren Hopfenöls. In¬ 
dessen kann Bier bei den Thieren nur in 
verhältnissmässig kleinen Quantitäten als ein 
schätzbarer Bestandtheil der Diätetik ange¬ 
sehen werden, wenigstens wenn damit nur pep¬ 
tische Erfolge erzielt werden wollen, denn eben 
die Thierver8uche(Buchner)haben gelehrt, dass 
die Eiweissverdauung nicht gefördert, sondern 
in gewissem Grade beeinträchtigt werde, in- 
soferne ein Theil der Magensäurc durch die 
im Bier enthaltenen phosphorsauren Salze 
ebunden wird; wenn man daher schwache 
ubjecte, Reconvalescirende mittelst dieses 
spirituösen Würzmittels mehr zu Kräften 
kommen lassen will, ist es auch erfahrungs- 
emäss zweckmässiger, ihnen dasselbe vor 
em Füttern zu verabreichen, und zwar am 
besten (statt des Eingusses) im Futter, in 
Mehl- oder Brotsuppen, mit Eiern, Malzextract 
(Warmbier, Biersuppen) u. dgl. Grosse Por¬ 
tionen heben bei geschwächten Individuen, 
wie der Wein auch, die Verdauung sogar 
ganz auf oder es entstehen Blutwallungen nach 
dem Kopfe, Dumpfheit und Mattigkeit. Will 



CERIUM. — CERTIFICAT. 


137 


man jedoch mehr die restaurirenden, er¬ 
quickenden, das Nervensystem in leichtem 
Grade anregenden Wirkungen des Alkohol¬ 
gehaltes (1 — 3%) eines pit gegohrenen ge¬ 
wöhnlichen Braunbieres den Kranken zugute 
kommen lassen, so eignet sich hiefür ent¬ 
schieden besser der Wein (s. Yinum). 

Maltum Hordei, Gerstenmalz, ist 
gekeimte, in der Keimung unterbrochene und 
nachher gedarrte Gerste, welche vielfach 
wegen der milden und zugleich belebenden 
Wirkung auf die Verdauungsorgane als leicht 
verdauliches Nahrungsmittel für alle Haus- 
thiere verwendet wird und vermöge ihres 
Gehaltes an leicht löslicher Diastase, an 
Dextrin und Glykose (Malzzucker, Maltose, 
s. Gerste) demulcirend bei Reizungszuständen 
der Schleimhäute, namentlich auch denen der 
Respirationsorgane einwirkt. Malz besitzt be¬ 
sonders kräftige Wirkungen in Beziehung auf 
die Ueberführung von Amylum in Dextrin 
und geschieht gleichzeitig auch eine Umwand¬ 
lung des Dextrins in Zucker, so dass auch 
die Proteinstoffe ihre plastische Action voll 
und leicht entfalten können. Besonders vor¬ 
teilhaft erweisen sich diese Wirkungen bei 
jungen Thieren, bei mangelhaftem Wachsthum, 
Defecten an Nährsalzen, Rhachitis, bei chro¬ 
nischen Magen- und Lungenkatarrhen. Drüsen¬ 
leiden, Schwächekrankheiten und Kachexien 
aller Art. Die Verfütterung muss aber längere 
Zeit andauern und der sonstige Zustand der 
Kranken im Auge behalten werden; Zusätze 
von Kochsalz, aromatischen Mitteln, Eisen, 
Schwefelantimon u. dgl. sind daher meist 
notwendig. 

Maltum tostum, geröstetes Malz, er¬ 
höht zufolge des Gehaltes an anregenden brenz¬ 
lichen Stoffen die belebende Einwirkung auf 
die Verdauungsorgane wesentlich, die Thiere 
müssen sich aber ebenfalls, wie an das Malz, 
erst gewöhnen. 

Extractum Malti, Malzextract, dar¬ 
gestellt durch Einkochen des Gerstenmal¬ 
zes und Abdampfen bis zur Extractdicke, 
ohne dass damit eine Gährung verbunden 
wird. Schon vermöge der darin enthaltenen 
Stickstoffkörper, 8 %, und Kohlenhydrate, 55 % 
(Dextrin und Glykose), ist das früher offici- 
nelle Präparat unstreitig als Nahrungsmittel 
und Plasticum (3*5% Nährsalze, besonders 
Erdphosphate) anzusehen und liegt ein beson¬ 
ders zu schätzender Werth auch in dem Ver¬ 
mögen der Diastase, das Stärkemehl in Zucker 
umzuwandeln und so die Assimilation der 
Amylaceen bei den Fleisch- und Pflanzen¬ 
fressern zu befördern. Abhängig ist der Grad 
der Nährkraft von dem Gehalte an Maltin, 
der allerdings in den verschiedenen Extract- 
sorten des Handels variirt. Man gibt das 
Malzextract den Säuglingen und meist nur 
den kleineren Hausthieren löffelweise mehr¬ 
mals täglich in den oben bei Malz ange¬ 
gebenen Leiden und verbindet damit entspre¬ 
chende Arzneimittel, z. B. Jodkalium, Arsenik, 
Phosphor (bei constitutionellen Knochenkrank¬ 
heiten), vermeidet aber die Anwendung der 
käuflichen und zugleich medicamentösen Malz- 


extracte, z. B. das Extractum Malti saccharo- 
ferratum, jodatum u s.- f., da der Gehalt an 
diesen Stoffen nicht immer zuverlässig ge¬ 
nug ist. Vogel. 

Cerium, ein seltenes Metall, welches in 
Begleitung zweier anderer seltener Metalle, 
des Lanthans undDidyms in einem in Schweden 
vorkommenden Mineral — Cerit — von Klap- 
roth und später von Berzelius aufgefunden 
wurde. In seinen chemischen Eigenschaften 
steht das Cerium, dessen Atomgewicht 141*2 ist, 
dem Aluminium ziemlich nahe, andererseits 
ist es leichter entzündlich als Magnesium und 
verbrennt mit grossem Glanze. Das metal¬ 
lische Cerium wird in grösserer Menge durch 
Elektrolyse des Ceriumchlorids dargestellt. 
Es bildet mit Sauerstoff Verbindungen von 
Ce t O ;l , Cersesquioxyd, und CeO„ Cerdioxyd; 
diesen beiden Oxyden entsprechend gibt es 
Salze des Ceroxyduls und des Ceroxyds. Von 
den Salzen des Ceriums ist von praktischer 
Wichtigkeit das schwefelsaure Ceroxydul¬ 
oxyd, dessen Lösung ein empfindliches Reagens 
auf Strychnin bildet, mit welchem zusammen¬ 
gebracht blauviolette Oxydationsproducte ent¬ 
stehen, welche sich nicht so rasch verändern 
als die mit Kaliumbichromat und Schwefel¬ 
säure erzeugten, daher man die entsprechende 
Farbcnreaction bei Anwendung von Cerlösung 
länger beobachten kann. Loebisch. 

Certiflcat. Mit diesem Ausdruck wird im 
Allgemeinen jeder Schein, jede als Beweis 
dienende schriftliche Zusicherung (Beglaubi¬ 
gungsschein, Zeugniss) bezeichnet und im 
öffentlichen Verkehr in Anwendung gebracht. 
Ursprungscertificate werden beim Zollwesen 
verwendet, aus welchen die Abstammung von 
Waaren oder Producten aus einem Staate, mit 
welchem eine Uebereinkunft über Verkehrs¬ 
erleichterungen im Allgemeinen oder auf eine 
Zollbegünstigung in Bezug auf einzelne Gegen¬ 
stände besteht, zu ersehen ist. Ausganpcerti- 
ficate auf Mess- und Marktplätzen werden den 
Kauf leuten ausgestellt, welche die Vereins- 
ländischen Messen mit gewissen ausländischen 
Waaren besuchen, die die Erfüllung der regula- 
tivmässigen Bedingungen, einMessconto für die 
Dauer der Messe beim Zollamte des betreffen¬ 
den Platzes eröffnen. Die Orts- und Gemeinde¬ 
behörden, mitunter auch die Districts- und 
Bezirkspolizeiämter, stellen Certificate als 
Viehpässe zum Ausweise des in der Gegend 
herrschenden Gesundheitszustandes derjenigen 
Thiere aus, die eine Zollgrenze zu passiren 
haben. Die Certificate werden sonach von Be¬ 
hörden und von denselben autorisirten Per¬ 
sonen ausgestellt, unter welch’ letztere auch 
die Thierärzte zählen, welchen amtliche Func¬ 
tionen übertragen sind. Diese Thierärzte 
haben in ihrer Eigenschaft als vom Staate 
aufgestellte, sachverständige Organe über den 
Gesundheitszustand der Hausthiere und über 
die Abwehr von Thierseuchen zu wachen und 
sind daher berechtigt, bei der Ein- oder Aus¬ 
fuhr von landwirtschaftlichen Thieren über 
das Grenzgebiet zweier verschiedener Länder 
behufs des Weidebezugs über den Gesund¬ 
heitszustand der Thiere Certificate auszustellen, 



138 CERÜMEN. - 

damit die Thierbesitzer sich den polizeilichen 
Vollzugsorganen gegenüber aus weisen können. 
Ebenso werden von ihnen zuweilen solche Cer¬ 
tificate über den Gesundheitszustand der 
Thiere, die im Verkehr, im Handel und 
Wandel auf die Handels- und Marktplätze 
gebracht werden, ausgestellt. Desgleichen er- 
theilen sie solche Beglaubigungsscheine für 
thierische Genussmittel, die zum öffent¬ 
lichen Verkauf in den Verkehr kommen und 
als Handelswaare betrachtet und behandelt 
werden. Ableitner. 

Cerumen (neulat. von cera, Wachs, ab¬ 
geleitet), aurium, das Ohrenschmalz (s.d.). Sf. 

Ceru88a ist keine Wachsverbindung, für 
welche sie häufig genommen wird, sondern 
eine alte Bezeichnung für Bleiweiss, welche 
die Ph. G. jetzt wieder aufgenommen hat 
und für welche die Ph. A. Plumbum carbo- 
nicum gesetzt hat (s. letzteres). Vogel. 

Ceru it, Weissbleierz, auch Bleispath, 
ist das als Mineral in der Natur vorkommende 
kohlensaure Bleioxyd. Es krystallisirt im rhom¬ 
bischen System, isomorph mit Aragonit und 
Salpeter meist in Drusen und Büscheln. Härte 3 
bis 3*5, specifisches Gewicht = 6 4. durch¬ 
sichtig, stark strahlenbrechend, weiss, in’s 
Gelbe, Graue spielend. Es ist ein Zersetzungs- 
product von Bleiglanz und kommt auf Gängen 
mit demselben vor in Bleistadt, Böhmen, in 
Bleiberg, Kärnten, im Erzgebirge. Loebisch . 

Cervicalcanal, s. Gebärmutter. 

Cerviden, Cervus, s. Hirsche. 

Cervix (wahrsch. das hebr. ereph, arab. 
gereph, keref, Nacken), Nacken mit Einschluss 
des Hinterhalses, Genick, ist in der allge¬ 
meinen Topographie die dorsale Halspartie, 
wie auch der ganze Hals. Sein Adjectiv, 
cervicalis, wird zur Kennzeichnung am Hals 
gelegener Theile verwendet, z. B. Vertebrae 
cervicales, Halswirbel etc. Der Ausdruck ist 
aber auch für halsartig verengte Abschnitte 
eines Organes in Brauch, so in Cervix uteri, 
Gebärmutterhals etc. Sussdorf. 

Cestodes (abgel. von 6 xectdc, Gürtel 
und io Gestalt) also gürtelförmig, so 

Cestoden = Bandwürmer. Sussdorf. 

Ce8tracionte8 sind eine Familie der 
Placoiden Agass.(Knorpelfische,Körnschupper), 
deren fossile Arten bis zur Tertiärformation 
gefunden werden. Man hat von ihnen bis 
jetzt hauptsächlich nur Zähne und Schädel- 
theile entdeckt. Ihre Zähne sind stumpf, haben 
eine breite, platte Krone, die einen dicken 
Schmelzüberzug mit verschiedenen Falten, 
Streifen und Punkten besitzt; die Wurzel ist 
knöchern, breit und schwammig und steckt 
nicht in Zahnhöhlen, sondern ist nur durch 
Bänder mit dem knorpeligen Kiefer verbunden. 
Die Cestraciontes, zu welchen Agassiz die 
Genera Psammodus und Acrodus rechnet, 
haben sich wahrscheinlich hauptsächlich von 
Schalthieren genährt und ihre Hauptepoche 
fällt in die Kohlenformation. Die hier lebenden 
Gattungen sind auch noch ira Jura durch 
viele neue ersetzt; von da an aber sterben 


CETACEEN. 

sie aus und ragen nur durch die Gattung 
Cestracion mit wenigen Arten im grossen 
Ocean in unsere Zeit. Koudelka. 

Cetaceen, Cetacea, Natantia, Fischsäuge- 
thiere, Wale. Ordnung der Säugethiere mit 
nur zwei vorderen, flossenartigen Extremitäten, 
spindelförmigem, nacktem Körper und einer 
wagrecht gestellten Flosse am Schwanzende. 
Die Cetaceen sind grosse Säugethiere, deren 
ganze Organisation dem Wasserleben angepasst 
ist. Der Körper ist spindelförmig, in der 
Mitte am dicksten, nach hinten sich allmälig 
verjüngend, vorn geht der zuweilen mächtig 
entwickelte Kopf ohne äusserliche Halsein¬ 
schnürung in den Rumpf über. Die Haut ist 
dick, höchstens an der Schnauze bei einzelnen 
Arten mit Borsten versehen, sonst nackt. Die 
Cutis ist mächtig entwickelt und ausseror¬ 
dentlich fettreich. Die vorderen Extremitäten 
stellen äusserlich einheitliche Flossen dar, 
die hinteren sind bis auf Rudimente des 
Beckens verkümmert. Hautfalten auf dem 
Rücken können unpaare Flossen darstellen. 
Das Gebiss besteht bald aus Schneide- und 
Backenzähnen, letztere mit breiten Kronen, 
denen in der Jugend ein Milchgebiss vor- 
hergeht (Herbivora), bald aus gleichartigen 
kegelförmigen Zähnen, welche nicht gewech¬ 
selt werden (Denticete), bald fehlt es voll¬ 
kommen, und an seine Stelle treten dann 
grosse Hornplatten am Gaumen, sog. Barten 
(Mysticete). Aeussere Ohren fehlen am Kopfe, 
die Nasenlöcher stehen entweder an der Spitze 
der Schnauze (Herbivora) oder auf der oberen 
Fläche des Kopfes, durch Klappen verschliessbar 
(Carnivora). Das Skelett zeichnet sich durch die 
Verkürzung der Halswirbelsäule, deren Wirbel 
zuweilen verwachsen sind, aus. Das Skelett der 
vorderen Extremitäten, das sich an einen schlüs¬ 
selbeinlosen Schultergürtel anheftet, zeigt 
die Elemente der Säugethier-Extremität, nur 
sind die langen Knochen auffallend verkürzt 
und abgeplattet und die Zahl der Finger¬ 
glieder vermehrt (6—42). Der Uterus ist 
zweihörhig und die Placenta diffus. Die Ceta¬ 
ceen leben in allen Meeren, sich schwimmend 
fortbewegend; einige Arten gehen auch in 
Flüsse, wenige sind vollkommene Süsswasser¬ 
bewohner. Ihre Nahrung besteht bei den Her- 
bivoren aus Pflanzen, bei den Carnivoren aus 
verschiedenen Wasserthieren, bei den Zahn¬ 
walen sind es Fische und namentlich Tinten¬ 
fische, die ihnen zum Opfer fallen; bei den 
Bartenwalen niedere Seethiere, namentlich 
Salpen, Copepoden, Pteropoden und Quallen. 
Es gehören zu den Cetaceen die grössten 
lebenden Säugethiere. Einzelne Arten von 
Bartenwalen erreichen eine Länge von 60 bis 
100 Fuss, so der Finnfisch, Balaenopterarostrata 
und Megaptera boops. Vom Menschen werden 
die Cetaceen hauptsächlich zur Gewinnung 
des Thranes gejagt. Man unterscheidet zwei 
Unterordnungen: 

1. Die Herbivora, pflanzenfressende 
Wale mit vorderen Nasenöffnungen und brust¬ 
ständigen Milchdrüsen, mit einem Gebiss, das 
aus zwei mitunter hauerartigen Schneide- und 
Backenzähnen mit breiten Kronen besteht. 


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CETACEUM. — 

Dahin gehören die Gattungen Manatus, Hali¬ 
core, Rhytine. 

2. Die Carnivora, fleischfressende Wale 
mit grossem Kopf, an dessen oberer Fläche 
die Nasenlöcher stehen, Kiefern mit konischen 
gleichartigen Zähnen oder zahnlos, dafür 
Barten am Gaumen. Dahin gehören die Del¬ 
phine, Pottfische und die Bartenwale. Sfr. 

Cetaceum, Walrath, s. d. 

Cetraria islandica L., isländisches Moos, 
Tartschenflechte (Lichen islandicus, Physica 
islandica), eine Flechtenart nicht blos Islands, 
sondern auch der meisten deutschen Gebirge. 
Thallus blattartig, aufsteigend, lappig-viel¬ 
theilig, oberseits braungrün, unten weisslich, 
Apothecien kastanienbraun. Die knorpelige, 
fast lederartige isländische Flechte ist als 
Lichen islandicusofficinell und zeichnet 
sich durch den Gehalt an Amylum und Bitter¬ 
stoff aus; letzterer theilt sich in zwei bitter 
schmeckende Säuren, Cetrarsäure und Lichen- 
stearinsäure (s. d.), und ersteres in das mit 
Wasser stark aufquellende Stärkemehl Lichenin 
(20%) und in eine unlösliche jodbläuende 
Stärke (10%). Beim Abkochen gelatinisirt 
das Moos zufolge seines Licheningehaltes. 
Durch Maceriren in Wasser geht der Bitter¬ 
stoff verloren, und kann dann das Mittel (wie 
die Amylaceen) zur Noth als Nahrungsmittel 
dienen. Der Stärkemehlgehalt der Pflanze 
kann bei Krankheiten kaum eine Rolle spielen, 
wohl aber sind es die beiden Säuren, welche 
das isländische Moos zu einem brauchbaren 
Amarum machen, das in manchen Gegenden 
auch vielfach für die Thiere und von Menschen 
gebraucht wird, aber gegenüber den anderen 
Bittermitteln keine besonderen Eigentümlich¬ 
keiten besitzt; es bleibt sich daher ganz gleich, 
ob man Enzian, Centaurium, Cardobenedicteu 
etc. oder das isländische Moos gibt. Indi- 
cationen hiefür liegen vor bei Mangel an 
Appetit, Atonie des Magens und Darmcanals, 
bei mangelhafter Verdauung und daraus resul- 
tirender allgemeiner Schwäche, Magendarm¬ 
katarrhen, Wurmleiden u. s. f.; ganz besonders 
aber passen bittere Mittel bei chronischen 
Verdauungsfehlern und bei falschen Gährungen 
im Magen (s. Amara). Dosis: Pferd 5 * 0—15'0, 
Rind 15*0—30*0, Hunden 10*0 pro die, als 
Pulver oder im Decoct (1:45 Wasser, nicht 
weniger, sonst wird dasselbe zu dick); in 
letzterem findet sich sowohl die Cetrarsäure, 
als auch die Flechtenstärke; will man aber 
nur den Bitterstoff, so ist das Infus vorzu¬ 
schreiben. Die Gelatine bereitet man sich 
durch Abkochung 1 : 6 Wasser. Vogel . 

Cetrarsäure, auch Cetrarin genannt, ist 
eine aus dem isländischen Moos, Cetraria is¬ 
landica. dargestellte Säure C 18 H la 0 8 ; sie 
schmeckt sehr bitter, löst sich fast gar nicht 
in Wasser, die Lösungen in Alkalien sind 
gelb. Die Cetrarsäure wurde auch thera¬ 
peutisch gegen Wechselfieber versucht: sie 
ist höchst wahrscheinlich an der tonischen 
Wirkung des isländischen Mooses betlieiligt. Lh. 

Cetti, ital. Abt. Naturf. und Verf. einer 
Naturgesch. der sardinisch. Hausthiere im 
XVIII. Jahrhundert. Ableitner. 


CEYLONMOOS. 139 

Ceyionmoos, Jaffhamoos, Agar-Agar, Fu- 
cus amylaceus, Bulung der Javaner, Dongi- 
Dongi der Makasseren, Tjentjan der Chinesen. 
Diese Drogue stammt ab von einigen zu den 
Florideen oder rothen Meeresalgen gehörigen 
Arten. Bildet gelblichweisse, wiederholt dicho- 
tom verzweigte, stielrundliche, 1—3 mm dicke, 
10—20 cm lange Stäbe (Javanisches Agar- 
Agar, von Sphaerococcus lichenoides 
Ag., Gigartina candida Lam, Plocaria candida 
Nees ab Es., einer an den Küsten von Ma¬ 
lakka, Sumatra, Java, Borneo, Molukken und 
Philippinen wachsenden Pflanze abstammend). 
Oder sie kommt vor in 30 bis 50 cm oder 
längeren, 0*5 bis ca. 4 cm dicken gefurchten, 
geflügelten, scharfkantigen gelblichweissen, 
oft fast farblosen Stäben (Makassar - Agar- 
Agar, ostindisches Carragheen, echtes Ceylon¬ 
moos, die momentan bei uns meist gesehene 
Drogue) von Eucheuma Sphaerococcus Ag., 
gelatina Ag., sowie von Eucheuma Gi¬ 
gartina Grew. spinosum Ag. und wahr¬ 
scheinlich noch anderen Florideen stammend, 
die sich an den Küsten von Indien, Ceylon 
und mit obiger bis Süd-China und Japan 
finden. Eine dritte Sorte kommt von Süd-China 
und Japan als chinesische Hausenblase, ja¬ 
panische Tjentjan zu uns und stammt an¬ 
geblich in erster Linie von Gelidium Amansii 
Lam., zweifellos aber auch von den bereits 
oben angeführten Stammalgen der beiden 
übrigen Agar-Agarsorten. 

Die ursprünglich hell carminrothen Pflan¬ 
zen verlieren in Folge der Präparationen: 
wiederholtes Auswaschen und Trocknen an 
der Sonne, ihre Farbe mehr oder weniger 
vollständig und kommen als Prima-Waare 
fast ganz farblos im Handel vor. 

Agar-Agar oder Tjentjan u. s. w. bildet 
seit den ältesten Zeiten, d. i. seit mehreren 
tausend Jahren, ein sehr beliebtes Nahrungs¬ 
mittel der Eingebornen Indiens, des indischen 
Archipels und Chinas. Englische und hol¬ 
ländische Aerzte führten es zuerst in den 
Arzneischatz ein; in England empfahl es na¬ 
mentlich O’Shaughnessy. Etwa um das Jahr 
4840 oder 1842 gelangte es über England 
nach Deutschland. Der anatomische Bau stimmt 
einigermassen überein mit dem des Carragheens; 
die Zellenwände bestehen an der Peripherie 
aus Pflanzenschleim, im Centrum und bis zum 
Lumen daneben aus einer Modification von 
Amyloid, wird nämlich mit Jodlösung nicht 
blau, sondern blass rothviolett gefärbt. Payen 
fand 4859 eine gummiähnliche Substanz da¬ 
rin, die er Gelose nanDte, die nach Porum- 
baru nach der Formel C 6 H 10 O s zusammen¬ 
gesetzt ist ur.d nicht gerinnt. Den Hauptbe¬ 
standteil jedoch bildet der darin reichlich 
enthaltene Pflanzenschleira, welcher bewirkt, 
dass 4% bis 2 Theile der Drogue beim Kochen 
mit 100 Theilen Wasser eine noch bei 70 °C. 
feste Gallerte liefern. Wegen dieser Eigen¬ 
schaft wird Agar-Agar sehr häufig zu Pilz- 
culturen vorteilhaft verwendet. (Siehe Cultur- 
methoden.) H. Greenish wies im Agar-Agar 
sieben Kohlenhydrate nach, die alle mit di- 
luirter Schwefelsäure Zucker liefern: in Wasser 


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140 CEZARD. — CHAETOPODEN. 


leicht löslicher Schleim, gallertbildende Sub¬ 
stanz (Lichenin, Gelin und Goömin), Stärke, 
parabinartige Substanz, Metarabin, Holzgummi 
und Cellulose. Ueberdies wären noch etwas 
Protein, Salze und Spuren von Fett anzuführen. 

Als besonders interessant möge hier noch 
erwähnt werden, dass die essbaren Nester, 
oder essbaren Vogelnester, von den ost¬ 
asiatischen Völkerschaften als Genussmittel 
überaus hoch geschätzt, von der Salangan- oder 
javanischen Schwalbe, Hirundo javanica, aus 
den oben angeführten, Agar-Agar liefernden 
Algen bereitet werden. Diese Schwalbe ist 
besonders häufig auf Java, woselbst sie in 
Höhlen und Spalten hoher Ealkfelsen in grosser 
Gesellschaft nistet. Namentlich sind es auf 
Java die Ortschaften Bongkop und Bandong, 
welche allein jährlich über eine halbe Million 
Gulden für diesen Leckerbissen einnehmen. 
Das Brüten findet vier Mal im Jahre statt, 
wobei jedesmal ein neues Nest gebaut wird. 
Die Sammler nehmen dabei nur etwa die 
Hälfte der vorhandenen Nester, da dieselben 
noch vor dem Ausschlüpfen der Jungen ge¬ 
erntet werden müssen und daher die Brut 
zerstört wird. Würden sie alle Nester ent¬ 
fernen, so wäre dies gleichbedeutend mit 
der Ausrottung der Schwalben. Alte, mit Fe¬ 
dern etc. verunreinigte Nester werden gelegent¬ 
lich auch gesammelt; sie bilden eine minder 
geschätzte und billigere Waare. 

Die sechs Höhlen von Bandong liefern 
jährlich 14.000, jene von Bongkop 500.000 Stück 
Nester, wobei ca. eine Million der Vogelbrut ver¬ 
nichtet wird. 100 Nester wiegen 600 bis 
700 g. Wie auf Java kommt die Salanganschwalbe 
noch auf anderen Inseln jenes Weltstriches 
vor und wird überall in derselben Weise ver- 
werthet. Die Hauptabnehmer für die Nester 
sind die reichen und vornehmen Chinesen, 
welche sie gleich Soja, Katzenaugen, Fleder¬ 
mausflügeln, Hahnenkämmen und anderen an¬ 
geblich kostbaren Delicatessen bei ihren Mahl¬ 
zeiten verzehren. Ganz besonders werden auch 
von Europäern die aus den Vogelnestern be¬ 
reiteten Suppen gerühmt. Harz, 

Cezard N., Chef des Höpitaux et des 
Forges an der Veterinärschule zu Alfort, 
später Thicrarzt am königlichen Stalle und 
Generalinspector der französischen Veterinär¬ 
schulen. Semmtr. 

Chabert P. (1737—1814), war erst Huf- 
und Fahnenschmied, studirte von 1763—1766 
an der Veterinärschulc in Lyon und wurde 
1766 Lehrer des Hufbeschlags an der Veterinär¬ 
schule zu Alfort und 1779 Director der Schule; 
war Gegner der Contagiosität des Rotzes. 
Chabert gab gemeinsam mit Flandrin und 
Huzard eine Sammlung von Beobachtungen 
in sechs Bänden heraus. Er schrieb über Wurm¬ 
krankheiten, Hautausschläge, Druse. Lahm¬ 
heiten, Lungenentzündung, Mondblindheit, 
Rotz, Gewährsmängel etc. (1796—1805). Sr. 

Chabert’8Che8 Oel, Wurmöl, s. Hirsch¬ 
hornöl unter Oleum animale foetidum. 

Chaerophyilum ailveatrs L. (Anthriscus 
silvestris Hoffm.), Waldkerbel, Kälberkropf, 
perennirende Pflanze aus der Familie der 


Umbelliferen; sie bildet eine Pfahlwurzel und 
einen 0*5—1 m hohen aufrechten, behaarten, 
verzweigten Stengel; untere Blätter lang ge¬ 
stielt, doppelt gefiedert mit eirund-lanzett- 
lichen, zugespitzten Abschnitten, tief fieder- 
spaltig und gezähnt, obere Blätter kürzer ge¬ 
stielt, kleiner. Dolden mit 8—10 Strahlen, 
Hülle fehlt oder aus 1—2 Blättchen bestehend. 
Hüllchen aus mehreren Blättern bestehend. 
Blüthen klein, weiss, manchmal gelblich oder 
grünlich. Frucht gegen 6 mm lang, länger als 
ihr Stiel, selten nur eben so lang, glatt und 
glänzend, Fruchtschnabel nicht deutlich ab¬ 
gesetzt, nur den fünften Theil der Fruchtlänge 
betragend. Blüthe Mai. Diese Pflanze ist ein 
Wiesenunkraut, das besonders an schattigen 
Stellen das Gras verdrängt; dem Vieh ist sie 
unschädlich. Sie wird häufig mit Conium 
maculatum, dem grossen Schierling verwechselt, 
der giftig ist und auf Wiesen sich niemals 
vorfindet. v. Li ebenberg. 

Chaetociadium Berk, et Br. von yattirj, 
Haar, Borste, und xXaäoc, Zweig. Auf Mucor- 
arten parasitisch lebende Pilze, deren Gonidien- 
träger baumartig verzweigt sind. Ihre End¬ 
verzweigungen tragen auf sehr kurzen seit¬ 
lichen Stielchen, oder fest sitzend, rundliche 
Köpfchen einzelliger Gonidien. Das Mycel 
treibt Haustorien in die Zellen des Wirthes 
und entnimmt diesem mittelst derselben die 
erforderlichen Nährstoffe. Die Copulation und 
Bildung von Zygosporen (wie bei Mucor) 
wurde von Brcfeld entdeckt. Gleich wie alle 
Mucorecn sind auch diese Pilze in ihren 
vegetativen Organen scheidewandlos. Merk¬ 
würdig ist es, dass hier ein Pilz auf einem 
ihm so nahe verwandten anderen parasitirt. 

Chaetociadium Jo ne sii Berk, et Br. 
Lebt parasitisch auf Mucor Mucedo und ande¬ 
ren Mucoreen. Die Gonidienträger sind Bo¬ 
trytis-artig, daher früher der Name Botrytis 
Jonesii. Harz . 

Chaetopoden (Chaetopoda, Borstcnfüsscr, 
Borstenwürmer. Ordnung der Gliederwürmer, 
Annelides, der höchsten Classe des Typus der 
Würmer, Vennes). Die Chaetopoden haben einen 
langgestreckten, cylindrischen oder von oben 
nach unten abgeplatteten Körper, welcher 
durch regelmässig aufeinanderfolgende Ein¬ 
schnürungen in gleichartige Ringel, Segmente, 
getheilt ist. Diese äussere Segmentirung wie¬ 
derholt sich im Innern des Körpers insofern, 
als die Leibeshöhle durch quere Scheidewände 
(Dissepimente), deren Anheftpunkt den Ein¬ 
schnürungen der Körperhaut entspricht, in 
ebensoviel hintereinanderliegende Fächer zer¬ 
fällt, in deren jedem sich die Organisation des 
vorhergehenden wiederholt (homonome Seg¬ 
mentirung). Jedes Segment trägt äusserlich 
zwei Paare von Bündeln chitiniger Borsten, von 
denen zwei dorsolateral, zwei ventrolateral 
stehen und entweder in Taschen der Haut mit 
der Basis ein gesenkt (Obligochacten) oder in 
besonderen Höckern (Fussstummel, Parapodien) 
eingelagert sind (Polychaeten). Bei den letz¬ 
teren können dazu noch am Rücken paarige 
Anhänge hinzutreten, wie Kiemen als ver¬ 
ästelte Ausstülpungen der Körperhaut und 


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CHAIGNEBRUN. — CHAMPAGNER-SCHWEIN. 


14t 


Cirren als fühlerartige Fäden. Die beiden vor¬ 
dersten Segmente des Körpers sind gewöhnlich 
von den übrigen Segmenten differencirt. Das 
erste Segment wird als Kopflappen unter¬ 
schieden, es hat keine Borsten und trägt die 
Augen und bei den Polychaeten als Tast¬ 
organe dienende Palpen, das zweite Segment 
hat auf der unteren Seite die längliche Mund- 
spaltc und entbehrt ebenfalls der Borsten. 
Diese beiden Segmente können als Kopfseg¬ 
mente unterschieden werden. Der Verdauungs¬ 
canal verläuft meist in gerader Richtung vom 
Munde zum After, der am Hinterende gelegen 
ist. Er zeigt häufig im Beginn einen musku¬ 
lösen Schlundkopf, der, mit Papillen oder 
Hornzähnen ausgerüstet, als Rüssel vorgestreckt 
werden kann. Der Darm erleidet beim Durch¬ 
tritt durch die Dissepimente successive Ein¬ 
schnürungen, um sich in den Kammern wieder 
zu erweitern, oft sich zu förmlichen seitlichen 
Blindsäcken auszudehnen. Das Gefasssystem 
besteht aus einem dem Darm aufliegenden 
Rückengefäss und einem Bauchgefass, beide 
stehen in den einzelnen Segmenten und am 
vorderen und hinteren Ende durch Gefass- 
schlingen in Verbindung. Die Excretions- 
organe sind paarige Schläuche mit nach der 
Leibeshöhle offenen Wimpertrichtern, die seit¬ 
lich an der Aussenfläche ausmünden. Sie wie¬ 
derholen sich paarig in jedem Segment. Das 
Nervensystem besteht aus einem Ganglienpaar, 
das im vordersten Segment über dem Oesophagus 
liegt und durch Commissuren, die den Schlund 
umgeben, mit zwei Nervensträngen in Ver¬ 
bindung steht, welche am Bauche verlaufen 
und in jedem Segmente zu paarigen Ganglien 
anschwellen. Von Sinnesorganen kommen 
Augen vor und Tastorgane, die entweder in 
Hautpapillen oder an den Fühlern und Cirren 
angebracht sind. Die Geschlechter sind ent¬ 
weder getrennt, bei den meisten Polychaeten, 
oder in einem Individuum vereinigt, bei den 
meisten Oligochaeten. In letzterem Falle sind 
es in bestimmten Segmenten liegende Hoden 
und Ovarien, die mit besonderen Ausführungs¬ 
gängen versehen sind oder bei denen die Seg- 
inentalorgane bestimmter Segmente diese Func¬ 
tion übernehmen. Bei den getrennt geschlecht¬ 
lichen Formen entstehen Eier oder Sper- 
matozoiden an der Leibeswandung und werden 
durch die Segmentalorgane nach aussen ge¬ 
führt. Die Entwicklung geschieht entweder 
direct (Oligochaeten) oder es kommt aus dem 
Ei eine bewimperte Larvenform, die sich erst 
ira Verlauf des freien Lebens in das vollkom¬ 
mene Thier verwandelt. Neben der geschlecht¬ 
lichen Fortpflanzung kommt auch bei ein¬ 
zelnen Chaetopoden (Naideen, Syllis) eine un¬ 
geschlechtliche Fortpflanzung durch Theilung 
vor. Die Chaetopoden leben theils in feuchter 
Erde, so die Regenwürmer, theils im Süss¬ 
wasser, zum grössten Theile im Meere, theils 
kriechend, theils schwimmend, theils in selbst¬ 
gebauten Röhren an festen Gegenständen an¬ 
geheftet. Man unterscheidet zwei Ordnungen : 

1. Die Oligochaeten, bei denen die 
aus wenig Borsten bestehenden Bündel in die 
Haut ein gesenkt sind. Sie sind Zwitter und 


leben theils in feuchter Erde, so die Regen¬ 
würmer, Lumbriciden, theils im Schlamme der 
süssen Gewässer, zum geringsten Theile im 
Meere. 

2. Die Polychaeten. Meeresbewohner, 
bei denen die Borsten in besonderen Fuss- 
höckern, Parapodien, eingesenkt sind und bei 
denen neben den Borsten noch Kiemen und 
Cirren Vorkommen. Sie sind grössten theils 
getrennten Geschlechtes. Studcr. 

Chaignebrun, Henri Audouin de, schrieb 
1757 über die damals in Frankreich herr¬ 
schende Rinderpest. Semmer. 

Chalara Corda, Schlaffgliederpilz (von 
yaXapos, schlaff). Schimmelpilze von den 
Eigenschaften und dem Habitus des Milch¬ 
pilzes (siche Arthrococcus), mit dem sie 
vielleicht identisch sind. Auch der Käse¬ 
gliederpilz, Sporendonema Casei, gehört in 
die Nähe. Chalara mycoderma Bon. ist wohl 
z. Th. Arthrococcus lactis, z. Th. Saccharo¬ 
myces Mycoderma. Harz. 

Chala8i8 (rj xaXaats, das Nachlassen, 
Erschlaffen, Atonie; yaXaoog apfrpwv, Ver¬ 
renkung). Davon als adj. chalasticus in Chalas- 
ticum sc. remedium, erweichende erschlaffende 
Arzneimittel. Sussdorf. 

Chalazae (r, Hagel, Korn), die 

Hagelschnüre, das sind spiralig gedrehte Aus¬ 
läufer der Membrana chalazifera, welche letz¬ 
tere das Albumen des Vogeleies um den 
Eidotter bildet. Sussdorf. 

Chalazonephriti8 (abgel. von ij 
Hagel, Schlossen, Korn etc. — 6 vctppo's, 
Niere, — itis = Entzündung), die körnige 
Nierenentzündung, als Stadium der inter¬ 
stitiellen Bindegewebswucherung und Schrum¬ 
pfung (dah. = Schrumpfniere) bei der Bright- 
schen Krankheit, also die chronische Form 
der Nephritis, welche zur Granularatrophie 
der Niere führt. Sussdorf 

Chalaz08f8, (von yaXaC« Finne, Nagel, 
Gerstenkorn), Finnenkrankheit; s. Finnenkrank¬ 
heit der Schweine und Rinder. Semmer. 

Chamaeleon minerale wird auch das ge¬ 
wöhnliche Kalimanganat genannt (Kalium 
manganicum crudum), weil aus ihm unter 
raschem Farbenwechsel von Grün in Roth 
das Permanganat entsteht und die Lösungen 
je nach ihrer Concentrirtheit auffallende Farben- 
nuancirungen annehmen. Vogel. 

Chambert L., französischer Veterinär, er¬ 
hielt 1813 für eine der Ackerbaugesellschaft 
zu Paris eingesendete Abhandlung eine goldene 
Medaille. Er schrieb ein zweibändiges Werk 
über Thierzucht. Koch. 

Chamille, Chamomilla, die Kamille, s. die 
Stammpflanze Matricaria Chamomilla L. 

Champagner-Schwein. Am Anfänge des 
vorigen Jahrhunderts scheinen die holländi¬ 
schen Schweine besonders geschätzt worden 
zu sein. Später kamen französische Rassen 
an die Reihe: das Lothringer und das Cham¬ 
pagner-Schwein. Beide sind vielfach in Deutsch¬ 
land eingeführt und zur Verbesserung der 
heimischen Schläge verwendet worden. Ganz 
besonders gilt dieses für das Champagner- 
Schwein. Es besass eine zeitlang eine sehr 



142 


CHAMPIGNON. — CH ARMOISE-SCHAF. 


grosse Bedeutung. Die landwirtschaftlichen 
Schriftsteller jener Zeit sind seines Lobes 
voll und berichten, dass zahlreiche Stämme 
von Champagner-Schweinen zur Begründung 
von Stammzuchten in Deutschland und Oester¬ 
reich eingeführt wurden. Auch nach Ungarn 
gelangten solche. Noch heute rühmt man 
das Champagner - Schwein als Grundlage 
der berühmten Zucht zu Schlanstett in 
der preussischen Provinz Sachsen. Mit dem 
Bekanntwerden der verbesserten englischen 
Schweine - Rassen erlosch die Bedeutung 
des Champagner - Schweines. Gegenwärtig 
kommt die Rasse als Zuchtmaterial ausser¬ 
halb ihrer Heimat nicht mehr in Betracht. 
Das Champagner - Schwein jener Zeit, von 
dem in Vorstehenden die Rede war. ge¬ 
hörte der Gruppe der wildschweinsähnlichen 
Hausschweine an und innerhalb dieser zu 
der Unterabtheilung der grossohrigen Schweine. 
Dieselben waren meist einfarbig weiss, er¬ 
reichten je nach der Art ihrer Haltung und 
Ernährung ein Gewicht bis zu 500 kg und 
zeichneten sich durch lange, breite, nach 
vorn überhängende Schlappohren aus. Von 
diesen grossohrigen Schweineu gab es zahl¬ 
reiche Rassen, richtiger Schläge, die in Pom¬ 
mern, Mecklenburg, Holstein, Friesland, Hol¬ 
land, Frankreich u. s. w. angetroffen wurden. 
Besondere Sorgfalt in der Zucht war jeden¬ 
falls die Veranlassung, dass unter diesen vielen 
Schlägen das Schwein der Champagne den 
Vorzug erlangte und lange Zeit bewahrte. Ce. 

Champignon. Unter Champignon versteht 
man jene pilzähnlichen gestielten Geschwülste, 
welche einige Zeit nach der Castration aus 
der Wunde im Hodensacke hervorragen und 
ihren Ursprung entweder von der Fleisch¬ 
haut oder manchmal vom unteren Ende des 
tief herabreichenden Samenstranges nehmen. 
Sie bestehen aus Granulationsgewebe, in den 
älteren Partien aus jungem Bindegewebe. Die 
Grösse derselben variirt von der einer Nuss 
bis zur Faustgrösse und noch darüber. Die 
Oberfläche ist meist höckerig, roth von Farbe 
und mit Eiter und Krusten bedeckt. Als Ur¬ 
sache müssen wir alle Reize beschuldigen, 
welche die Wundflächen treffen; ob Witte¬ 
rungsverhältnisse, namentlich Kälte, einen 
Einfluss ausüben können, ist fraglich, dagegen 
scheint bei einzelnen Individuen eine beson¬ 
dere Disposition zu bestehen. Französische 
Autoren gebrauchen das Wort Champignon auch 
für jene Processe am Samenstrange, welche 
wir als Samenstrangfisteln bezeichnen. Wäh¬ 
rend die Wucherungen, die von der Fleisch¬ 
haut ausgehen, ohne besonderen Belang sind 
und durch Kupfervitriol, Alaun etc. oder noch 
rascher mittelst Schere und Messer leicht zu 
beseitigen sind, machen jene, die am unteren 
Ende des Samenstranges aufsitzen und durch 
die vernarbende Castrations wunde einge¬ 
schnürt werden, mitunter sogar eine Abtra¬ 
gung des unteren Endes des Samenstranges 
nach vorheriger Erweiterung der Oeffnung im 
Hodensacke nöthig (s. a. u. Castration). Br. 

Chanker8euche, s. Beschälseuche und 
Bläschenausschlag der Geschlechtstheile. Sr. 


Ctianvalon, französischer Schriftsteller 
über Thierarzneikunde und Viehzucht; im 
XVIII. Jahrhundert. Ableitner. 

Charakter. In der Thierzucht spricht 
man von Charakter der Wolle (s. Wollkunde) 
und von eigenthümlichen Charakteren der In¬ 
dividuen und Rassen. Einige Zootechniker 
behaupten, dass jede Rasse ihren besonderen 
Charakter besässe, und dass man bei der 
Züchtung, Haltung und Pflege auf den Cha¬ 
rakter derselben ganz besondere Rücksicht 
nehmen müsse. Bei den einzelnen Individuen 
spricht man von gutem und schlechtem Cha¬ 
rakter und will damit andeuten, dass ein Thier 
entweder leicht, bequem zu behandeln, leicht 
zu reiten oder zu fahren oder dass es anderer¬ 
seits bei der Behandlung Schwierigkeiten 
macht, böse oder unaitig sei. Freytag. 

Charkow, Veterinär-Institut, gegründet 
1839 und reorganisirt als Schule 1852 und 
1873 in ein Institut umgewandelt. An dem¬ 
selben wirkten Galitzki, Ostrowski, Paljuta. 
(Gegenwärtig Melnitschenko, Brandt, Gordejew, 
Ostapenko, Danilewski, Nowopolski.) Semmer. 

Charlemagne, französischer Ockonom und 
Schriftsteller über Schafpocken und ihre Be¬ 
handlung; im XVIIL Jahrhundert. Ableitner. 

Charles, Ärztin Besangon, gab 1744 seine 
Beobachtung über Rinderpest heraus. Semmer. 

Charies-Hund, s. King Charles. 

Charlier, studirte Veterinärmedicin in Al- 
fort, schrieb 1845 über Hydrämie, Anämie und 
Cachexie der Pferde und Schafe, über Koliken 
und Tympanitis und über Castration der Kühe 
von der Scheide aus. Semmer. 

Charmoi86-Schaf. Dieser Name wurde 
einem Schaftypus beigelegt, welcher von 
H. Malingid in seinem Pachthof La Charmoise 
(Departement Loir et Cher) gezogen wurde. 
Dieser Typus ist in Frankreich zu einer 
wahren Celebrität gelangt, u. zw. besonders 
in Folge der theoretischen Discussionen, deren 
Gegenstand er war. Malingid hatte sich um 
das Jahr 1835 zum Ziele gesetzt, in Frank¬ 
reich eine Rasse heranzuziehen, welche die 
englischen Rassen ersetzen sollte, deren end- 
giltige Acclimatisation in diesem Lande fast 
unübersteiglichen Hindernissen begegnet. Um 
nun seinen Zweck zu erreichen, kreuzte er 
seine Heerde, welche aus mischblütigen Schafen 
(Solognoter, Berrichoner, Tourangeller Rasse 
und Merinos) bestand, mit Widdern von 
reiner Newkent-Rasse. Durch methodischen 
Vorgang gelang es ihm, eine Familie zu 
bilden, welche mit den Newkent-Schafen eine 
derartige Aehnlichkeit hatte, dass die äusseren 
Unterschiede sehr häufig schwer festzustellen 
waren: dieselbe Regelmässigkeit der Formen, 
dieselbe Grösse und zumeist auch dasselbe 
Wollkleid. Die Newkent-Rasse hatte bis zu 
einem Punkt Überwogen, um fast völlig den 
französischen Stamm zu absorbiren; letzterer 
hatte jedoch auf die Producte einen starken 
Theil seiner Rusticität und seiner sonstigen 
Eigenschaften, besonders aber die Schmack¬ 
haftigkeit des Fleisches, übertragen, woraus 
die Ueberlegenheit der von Malingiö mit dem 
Namen Charmoise belegten Rasse über jene 



CHARNIERGELENK. — 

der Newkent-Rasse hervorging. Er behauptete 
nämlich, thatsächlich durch Kreuzung eine 
neue Rasse herangezogen zu haben, eine 
Meinung, welche zahlreichen Widersachern 
begegnete, unter denen in erster Reihe 
A. Sanson auftrat. Die Ereignisse scheinen 
nun auch Letzterem Recht gegeben zu haben, 
denn die Charmoise-Rasse ist fast völlig ver¬ 
schwunden, sei es nun in Folge von deren 
Instabilität oder aber weil es den Nach¬ 
folgern Malingiö’s an Ausdauer und anderen 
materiellen und moralischen Eigenschaften 
mangelte, welche eben für die Durchführung 
eines zootechnischen Unternehmens von sol¬ 
cher Wichtigkeit unerlässlich sind. Neumann. 

Charniergelenk oder Wechselgelenk ist 
eine bewegliche Knochenverbindung, wobei die 
Bewegung nur in einer Ebene, um die Quer¬ 
achse der Knochen möglich ist (siehe Ge¬ 
lenke). Zschokke. 

Charolais-Rind. Von sämmtlichen fran¬ 
zösischen Rassen ist diese die für Schlacht¬ 
zwecke durch deren Tauglichkeit hiezu wich¬ 
tigste. Ihr Ursprungsort ist die alte Provinz 
Charolais, welche heutzutage zum Departe¬ 
ment Saone et Loire gehört. Von jeher war 
der Boden dort mit nahrhaften Futterge¬ 
wächsen bestanden, auch war das Vieh dort 
stets seit einer Reihe von etwa 50 Jahren 
Gegenstand eifrigster Pflege und des Be¬ 
strebens nach Vervollkommnung. Die Rinder 
erlangten dadurch einen massigen und langen 
Körper, mit stark reducirtem Skelet, leichten 
Kopf, feine Hörner, kurze und wenig volumi¬ 
nöse Glieder, einen Hals von mittelmässiger 
Kraft, fast völlig einer Wamme entbehrend; 
eine breite und tiefe Brust, starke Lenden 
and Kruppe, Hinterbacken und Schenkel, 
deren sehr entwickelte Muskeln bis fast zu den 
Sprunggelenken hinab sich erstrecken, indem 
sie einen convexen Vorsprung bilden. Die Haut 
ist dick geblieben, dabei jedoch sehr weich 
und geschmeidig geworden. Die wenig ent¬ 
wickelten Euter sind eben genügeud, um das 
Kalb entsprechend zu säugen. Die Haarfarbe 
ist in Folge einer aufmerksamen Auswahl 
weiss und erinnert an die Nuance der Rahm¬ 
farbe. Die Ochsen werden auf der Weide ge¬ 
mästet. Sie werden im Allgemeinen am Ende 
des vierten Jahres geschlachtet, nachdem sie 
vorher einige Zeit zur Arbeit angehalten 
worden, bei welcher sie sich sehr kräftig und 
leistungsfähig erwiesen. Mit ihrem Fleisch 
wird ganz insbesondere die Stadt Lyon appro- 
visionirt. Nach Comevin wurden im Jahre 1876 
in dieser Stadt 8262 Ochsen dieser Rasse ge¬ 
schlachtet. Sechs Probewägungen haben als 
Lebendgewicht einen Durchschnitt von 520 kg 
ergeben, als Nettoergebniss 57*3 per 100 und 
für die Haut 32 kg. Das Maximalergebniss 
war bei einem Lebendgewicht von 702 kg: 
428 kg netto an Fleisch oder 61 per 100; 
das Minimum mit 535 kg Lebendgewicht 
289 kg netto Fleisch oder 54*1 per 100. Das 
Maximalgewicht der Haut war 41 kg. — Das 
Fleisch ist zart aber nicht besonders schmack¬ 
haft. Die Industrie der Weidemästung, welche 
so rasch und so vorzüglich im Charolais ge- 


CHEILOANGIOSKOPIE. 143 

dieh, wo sie einen beträchtlichen Gewinn ab- 
warf, hat sich auf die benachbarten Departe¬ 
ments Allier, Cher und besonders Nifcvre aus¬ 
gebreitet. Die Ochsen dieses letzteren De¬ 
partements wurden lange Zeit hindurch mit 
dem Namen Nivernais-Ochsen belegt. Sie 
unterschieden sich von den Charolais-Rindern 
durch eine gröbere Structur, einen kräftigeren 
Knochenbau, einen stärkeren Kopf, eine 
grössere Tauglichkeit zur Arbeit, aber eine 
geringere zur Mast. Nach und nach hat durch 
fortgesetzte Mischung mit Charolaisblut, durch 
sorgfältige Wahl, durch massvolle Verwendung 
der Durham, welche der Charolais-Gruppe 
stets von Nutzen war, der Rinderbestand 
des Niövre-Departements den Charakter der 
Charolais angenommen und unterscheidet sich 
nicht mehr von diesen. Aber die Zucht hat 
jetzt im Nievre-Departement eine grössere 
Wichtigkeit und eine bedeutendere Ausdehnung 
als im Departement Saone et Loire erlangt 
und bei den grossen Thierausstellungen ist 
es zumeist das erstere, welches dem Cotentin 
die ersten Preise mit Erfolg streitig macht. Nn . 

Charple, zerzupfte alte Leinwand (Linteum 
carptum), war seither ein bekanntes Auf¬ 
saugungsmittel für Wundsccrete aller Art in 
der Chirurgie, ist aber jetzt als Verbandmittel 
gefallen, indem es als stete Trägerin einer 
Menge von Mikrozymen und Contagien gegen 
alle antiseptischen Grundsätze verstösst. Haupt¬ 
sächlich wird jetzt die Charpie durch Baum¬ 
wolle auch in der Thierheilkunde ersetzt, 
desgleichen durch Jute Gaze oder Holzwolle. VI. 

Charta cerata, Wachspapier, s. Cera flava. 

Cha8ma (xö yofop.*), Oeffnung, auch für 
Schlund, Rachen. Sussdorf. 

Chastenay H. gab 1817 in Paris heraus: 
Instruction sur les diverses maladies des betes 
ä laine, avec les remfedes curatifs les plus 
salutaires. Semmer. 

Chaumontel studirte in Alfort und war 
seit 1802 Professor der Klinik daselbst, ver¬ 
öffentlichte mehrere Aufsätze und war Mit¬ 
herausgeber des „Cours d’Agriculture“. Er war 
ein Gegner der Contagiosität des Rotzes (1809 
bis 1834). Semmer. 

Cheddar-KIse, nach dem Cheddarthale in 
der englischen Grafschaft Somerset benannter, 
5—50 kg schwerer, cylindrischer, im Mittel 
40 cm breiter, 30 cm hoher, aus ganzer Kuh¬ 
milch hergestellter, harter Labkäse, welcher 
gegenwärtig in sehr grossen Mengen in den 
nordamerikanischen Sammelmeiereien bereitet 
wird und im Handel als amerikanischer 
Cheddar erscheint. Feser. 

Cheiloangiositopie (xi xslXoc, die Lippe, 
xb dfretov, das Crefäss, oxorccu», sehen, Lip- 
pengefäss-Beobachtung). Hie mit bezeichnet C. 
Hu et er jene physikalische Untersuchungs¬ 
methode, welche uns in den Stand setzt, die Blut¬ 
gefässe am lebenden Warmblüter mikroskopisch 
betrachten und beobachten zu können, uns 
einen Einblick in die Gefässbahnen des ge¬ 
sunden wie erkrankten Organismus zu ver¬ 
schaffen. Während beim Menschen die Lip¬ 
penschleimhaut das passendste Object für 
derartige Untersuchungen abgibt — woher 


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144 


CHEILOS. — CHEMIE. 


auch der Name genommen ist — erweist sich 
dieselbe beim Thiere in Folge der stärker 
entwickelten Epithelialschichte, häufiger Pig- 
mentirung etc. etc. viel weniger geeignet. 
Man ist hier vielmehr darauf angewiesen — 
und die ersten und meisten und wichtigsten 
Experimental-Untersuchungen wurden so ge¬ 
macht — die Angioskopie an der Palpebra 
tertia vorzunehmen (s. d.). Schlampp . 

Cheiloi (x6 /elXoc, latinisirt chilus), 
Lippe, Schnauze, Rüssel, Rand, Saum, findet 
sich in zahlreichen Zusammensetzungen, z. B. 

Cheilitis, Lippenentzündung, 

Cheilonkos, Lippengeschwulst, 

Cheiloparalysis, Lippenlähmung. Sf. 

Chele (vj yyjXt)), gespaltene Klaue der 
Wiederkäuer, Schweine, auch Huf desPferdes.S/*. 

Chemie (von ich giesse, nach An¬ 
deren vom hebräischen Cham, schwarz, auch 
heiss) ist die Wissenschaft von den stofflichen 
Veränderungen der Körper. Es lassen sich 
nämlich die mannigfaltigen Veränderungen — 
Erscheinungen — welche wir an den Natur¬ 
objecten unmittelbar wahmehmen und auch 
durch Versuche herbeizuführen im Stande 
sind, in zwei Gruppen trennen, je nachdem 
die an dem Körper sichtbaren Erscheinungen 
ohne Aenderung des stofflichen Bestandes 
desselben ablaufen oder eine solche herbei¬ 
führen. Die Erscheinungen ersterer Art heissen 
physikalische, die der letzteren werden 
chemische genannt. Ein Stab aus weichem 
Eisen wird durch die Wirkung des elektri¬ 
schen Stromes in den magnetischen Zu¬ 
stand versetzt, er hat die Fähigkeit erhalten, 
weiches Eisen anzuziehen; bringen wir den 
Eisenstab nun wieder ausserhalb des Wirkungs¬ 
kreises des elektrischen Stromes, so verliert 
er den magnetischen Zustand, es hat also der 
Eisenstab während des Versuches wohl eine 
Aenderung seines Zustandes erfahren, doch 
wurde er dabei stofflich nicht verändert, die 
Wirkung des elektrischen Stromes auf das 
weiche Eisen äusserte sich demnach in einer 
physikalischen Erscheinung. Erhitzen wir nun 
denselben Eisenstab an der Luft bis zur Roth- 
glut, so werden wir nach dem Entfernen der 
Wärmequelle wahrnehmen, dass das Eisen 
diesmal stofflich verändert wurde, der metal¬ 
lische Glanz des Eisenstabes ist nicht mehr 
da, er ist mit einem schwarzen Beschlag be¬ 
deckt, welcher kein metallisches Eisen mehr 
ist, sondern ein ganz anderer Stoff mit an¬ 
deren Eigenschaften — es hat in diesem Falle 
ein chemischer Vorgang stattgefunden. Die 
Kräfte nun, welche die stofflichen Verände¬ 
rungen der Körper bewirken, Wärme, Elektri- 
cität, hoher Druck, sind bald im Stande, 
die Körper in ihre stofflichen Bestandtheile 
zu zerlegen, bald bedingen sie die Vereinigung 
mehrerer einfacher Stoffe zu neuen Körpern 
mit Eigenschaften, welche ganz verschieden 
von denen ihrer Componenten sind. Das Be¬ 
streben der Chemiker, die Körper in einfache 
Stoffe zu zerlegen, welche durch keine Kraft 
mehr weiter zerlegt werden können, führte 
zur Auffindung der chemischen Grundstoffe, 
auch Elemente genannt. Bis nun sind 65 


solcher chemischer Elemente bekannt, welche 
den stofflichen Bestand des Weltalls bilden. 
Sämmtliche Körper sind demnach entweder 
einfache, wie die Elemente, z. B. Gold, Silber, 
Jod u. s. w., oder zusammengesetzte, d. h. aus 
mehreren Elementen bestehend, so besteht 
das Kochsalz aus Chlor und Natrium, das 
Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff, der 
Zucker aus Kohlenstoff, Wasserstoff und 
Sauerstoff. Indem die Chemie sämmtliche 
stofflichen Veränderungen der Körper ihrer 
Betrachtung unterzieht, zerfallt sie nach den 
speciellen Zwecken, welche bei der chemischen 
Untersuchung verfolgt werden, in verschiedene 
Zweige. Die analytische Chemie erforscht 
die Zusammensetzung der Körper, indem sie 
dieselben in einfachere Bestandtheile, manch¬ 
mal bis zu den Elementen herab, zerlegt; sie 
charakterisirt die Elemente und Verbindungen 
nach den Erscheinungen, welche bei dem Zu¬ 
sammenbringen derselben mit anderen Körpern 
auftreten, die sog. Reactionen; so wird z. B. J o d 
daran erkannt, dass es Stärkekleister blau 
färbt, und Stärke wieder dadurch, dass sie von 
Jod blaugefärbt wird. Begnügt man sich bei 
der chemischen Analyse allein damit, die 
einzelnen Bestandtheile einer Verbindung 
durch ihre Reactionen erkannt zu haben, 
dann nennt man sie eine qualitative, werden 
aber auch die Mengen bestimmt, in welchen 
die einzelnen Körper in einer Verbindung 
Vorkommen, dann ist die Analyse eine quan¬ 
titative. Die synthetische Chemie sucht 
nach den Gesetzen, welche bei der Vereinigung 
von Elementen und von Verbindungen unter 
einander wirksam sind. Sie prüft die Ergeb¬ 
nisse der Analyse, indem sie nach denselben 
die zerlegten Körper wieder auf chemischem 
Wege künstlich darzustellen sucht. Während 
man noch vor vierzig Jahren annahm, die 
Chemiker könnten höchstens Mineralien künst¬ 
lich aus ihren Elementen darstellen, ist es 
nunmehr gelungen, eine grosse Anzahl von 
Körpern, welche in dem Pflanzen- und Thier¬ 
organismus gebildet werden, sog. organische 
Körper, aus ihren Elementen synthetisch dar¬ 
zustellen. Man ist nun im Stande, Harnstoff, 
Alkohol, Milchsäure, Essigsäure u. s. w., eine 
grosse Anzahl von Farbstoffen des Pflanzen¬ 
reiches aus ihren Elementen aufzubauen, und 
die Resultate der synthetischen Chemie haben 
auf gewisse landwirtschaftliche Productionen 
und auf die Industrien, die sich mit Farb¬ 
stoffen beschäftigen, neuerdings auch auf die 
Arzneimittellehre einen eingreifenden Einfluss 
ausgeübt. Zugleich führten die synthetisch 
chemischen Versuche zu bestimmten Vor¬ 
stellungen über den atomistischen Bau der 
chemischen Verbindungen, welche uns den 
Begriff der Constitution der Verbindungen 
vermitteln. Ausser diesen beiden Richtungen 
der chemischen Forschung, der analytischen 
und synthetischen, welche, je nachdem sie 
Körper des Mineralreiches oder der belebten 
Wesen, hauptsächlich die Verbindungen des 
Kohlenstoffes, in Betracht zieht, überdies in 
die unorganische und organische Chemie 
zerfällt, welche beide man auch als theoretische 



CHEMISCHE SCHÄDLICHKEITEN. —CHEMISCHE ZEICHEN U. FORMELN. 145 


oder allgemeine Chemie bezeichnet, wollen 
wir auch der physikalischen Chemie ge¬ 
denken, derjenigen Wissenschaft, welche die 
Beziehungen zwischen den chemischen Vor¬ 
gängen und physikalischen Erscheinungen 
registrirt. — Während sich die reine oder 
theoretische Chemie mit der Erforschung der 
chemischen Vorgänge, ohne Rücksicht auf 
die Verwerthung der erlangten Resultate zu 
anderen Zwecken beschäftigt, bringt es an¬ 
dererseits die grosse Verschiedenheit der 
Objecte, welche wir auf ihren stofflichen Be¬ 
stand zu prüfen haben, und ferner die grosse 
Verwendbarkeit der chemischen Kenntnisse 
auf den mannigfaltigsten Gebieten der mensch¬ 
lichen Thätigkeit mit sich, dass es zahlreiche 
Gebiete der angewandten Chemie gibt, 
auf welchen die Methoden der chemischen 
Untersuchung nur für bestimmte Objecte und 
im Dienste einzelner Wissenszweige verwertket 
werden. In diesem Sinne gibt es eine Chemie 
der Ackerkrume, eine Chemie des Harnes, 
eine Gährungschemie, metallurgische Chemie, 
Phyto- und Zoochemie, Biochemie, Chemie der 
Fettstoffe, der Farbwaaren u. s. w. Mit der 
Auffindung von Giften in Leichentheilen be¬ 
schäftigt sich die gerichtliche Chemie, mit dem 
Nachweis der Verfälschungen der Nahrungs¬ 
mittel, die Nahrungsmittelchemie. Locbisch. 

Chemische Schädlichkeiten als Krank¬ 
heitsursache kommen meistens in derNähe 
von Fabriken in Betracht, insoferne bei den 
in diesen betriebenen Gewerben gasförmige, 
flüssige oder feste Stoffe entwickelt werden, 
welche eingeathmet oder mit den Nahrungs¬ 
mitteln eingeführt, ebenso wie auf die Arbeiter, 
auch auf die in der Nähe der Fabriks¬ 
anlage lebenden Thiere gesundheitsschädlich 
einwirken können. Die Unschädlichmachung 
dieser Stoffe ist Aufgabe der Gewerbehygiene, 
welche für diesen Zweck bei den einzelnen 
Gewerben specielle Vorschriften aufstellt. 
Als chemische Schädlichkeiten wirken beson¬ 
ders: 1. Schwefelige Säure, deren Dämpfe 
bei der Schwefelsäure-, Alizarin- und Strohhut¬ 
fabrikation durch hohe Kamine an die Luft 
abgeliefert werden müssen; 2. Chlordämpfe, 
diese entwickeln sich bei der Darstellung des 
Chlorkalkes und auf den Bleichereien; 3. Koh¬ 
lensäure in grosser Menge hat sich bisher 
nur in Gährkellern schädlich erwiesen; 
4. Kohlenoxyd verursacht bisweilen bei Ar¬ 
beitern an Hochöfen Vergiftungen; 5. Ar¬ 
senik (arsenige Säure), welcher noch immer 
zur Darstellung von Farben — Schweinfurter- 
grün, Anilinfarben — verwendet wird; 6. Blei 
in Form von Bleioxyd, Bleiweiss, Bleizucker; 
7. Phosphor in Form von phosphoriger 
Säure,namentlich in Zündholzfabriken, schliess¬ 
lich 8. Quecksilber, dessen Dämpfe na¬ 
mentlich auf Arbeiter und nicht minder auf 
die landwirtschaftlichen Hausthiere, sowie 
auch die vorerwähnten chemischen Schädlich¬ 
keiten nachtheilig einwirken. Loebisch. 

Chemische Zeichen und Formeln. Schon 
die alten Alchemisten bedienten sich tlieils 
der Abkürzung, theils der Geheimhaltung 

Koch. EncyUoptdie d.Thierheilkd. II. Bd. 


wegen bestimmter Zeichen, um damit gewisse 
Stoffe zu bezeichnen. Feuer wurde mit Ai 
Gold als Oi Eisen mit (j 1 , Kupfer durch % 
bezeichnet. Während in dieser Zeichensprache 
mit der Benennung des Stoffes die ganze 
Bedeutung des Zeichens erschöpft war, belehren 
uns die Zeichen und Formeln der modernen 
Chemie über auf systematischer Grundlage 
aufgebaute chemische Thatsachen in kurzer 
und bündiger Form. Das richtige Verständniss 
der chemischen Zeichen und Formeln ver¬ 
mittelt uns eine Summe von chemischen Kennt¬ 
nissen in der einfachsten Weise, wie sich dies 
aus Folgendem ergeben wird. Zunächst wurden 
als Zeichen für die Elemente die Anfangs¬ 
buchstaben ihrer lateinischen Namen gewählt: 
0 Sauerstoff von Oxygenium, C Kohlenstoff 
von Carbonium u. s. w. Wenn mehrere Ele¬ 
mente denselben Anfangsbuchstaben haben, so 
unterscheidet man sie durch Anhängen eines 
zweiten kleinen Buchstabens, und zwar zumeist 
des dem Anfangsbuchstaben des Namens zu¬ 
nächst folgenden, z. B. Br für Brom, Be für 
Beryllium, jedoch As für Arsen und St für 
Stibium (Antimon), Hg für Hydrargyrum. 
Ausserdem dass das chemische Zeichen uns 
das Element anzeigt, drückt es aber auch die 
Gewichtsmengen aus, in welchen ein bestimmtes 
Element in die Verbindung eintritt. Das 
Zeichen CINa sagt nicht nur, dass Kochsalz 
aus den Elementen Ci und Na besteht, son¬ 
dern es belehrt uns auch über die Gewichts¬ 
mengen, in welchen Chlor und Natrium im 
Molecul CINa enthalten sind. Es bedeutet 
nämlich CI zugleich die Gewichtsmenge, mit 
welcher ein Atom Chlor in eine chemische 
Verbindung eintritt also das Atomgewicht 
des Elementes, welches bei Chlor (Wasserstoff 
als Einheit gesetzt) 35*5 beträgt, und bei 
Na = 23 ist, es bedeutet demnach das Sym¬ 
bol CINa die Verbindung von Chlor mit Na¬ 
trium, welche auf 35*5 Gewiclitstheile Chlor 
23 Gewichtstheile Natrium enthält und deren 
Moleculargewicht 35 * 5 -f- 23 = 58 * 5 beträgt. 
Doch verbinden sich die Elemente nicht nur 
in einfachen, sondern auch in multiplen Ver¬ 
hältnissen miteinander, und um auch diese 
Thatsache durch die chemische Zeichensprache 
zum Ausdruck zu bringen, hat man sich da¬ 
hin geeinigt, die Anzahl der Atome des einen 
Elementes, welche sich mit einem oder mehreren 
Atomen eines anderen Elementes zu einem 
Molecul verbinden, in der Weise anzuzeigen, 
dass man rechts an den Fuss der Symbole 
jene Zahl setzt, welche die Anzahl der Atome 
anzeigt, in welcher die Elemente in die Ver¬ 
bindung eingetreten sind. Schreibt man dem¬ 
nach S0 4 H # , Schwefelsäure, so ist damit an¬ 
gezeigt, dass die Verbindung aus einem Atom 
Schwefel S (32), aus 4 Atomen Sauerstoff 
(4 X 16 = 64) und aus 2 Atomen Wasser¬ 
stoff (2) besteht. Eine an die linke Seite 
eines chemischen Zeichens gesetzte Zahl multi- 
plicirt nicht nur das eine Element, neben 
welchem es sich befindet, sondern sämmtliche 
andere Symbole bis zur nächsten Interpnnkti- 
rung (Komma, Punkt, -f- oder — Zeichen). 
So bedeutet PtCl 4 .2KCl, dass im Platin- 

10 



146 


CHEMOSIS. — CHESTERKÄSE. 


Chloridkalium, PtCl 4 mit 2 Atomen Kalium 
und mit 2 Atomen Chlor verbunden ist. Die 
chemische Formel dient überdies dazu, uns die 
chemischen Zersetzungsvorgänge sowohl in 
qualitativer, als in quantitativer Art in büu- 
diger und übersichtlicher Form vor Augen zu 
führen. Wenn ich in der Formel ausdrücken 
will, dass das chlorsaure Kalium beim Er¬ 
hitzen in Chlorkalium und Sauerstoff zer¬ 
fällt, so schreibe ich C10 a K = KCl -f- O f , 
die Richtigkeit der Gleichung zeigt sich darin, 
dass rechts und links vom Gleichheitszeichen 
eine gleiche Anzahl von Elementen vorhanden 
ist; wir haben links 1 Atom Chlor, 1 Atom 
Kalium und 3 Atome Sauerstoff und ebenso 
rechts. Zugleich belehrt uns diese Formel über 
die Mengenverhältnisse, nach welchen der Pro- 
cess verläuft. Nach der obigen Formel liefert 
ein Molecul C10 3 KCl = 35 * 5 + 0 8 =(3X16)= 
48 + K = 39, also 122 * 5 Gewichtstheile, ein 
Molecul KCl = 74*5 Gewichtstheile und 
48 Gewichtstheile Sauerstoff. Nach diesen 
Daten lässt sich leicht berechnen, wie viel 
z. B. 100 Gewichtstheile chlorsaures Kalium 
Sauerstoff liefern, mit dem einfachen Ansatz 
122*5 : 48 = 100 : x = wo x = 39 2. Eine 
hervorragende Wichtigkeit haben in neuerer 
Zeit die sogenannten Constitutionsformeln 
erhalten, welche geeignet sind, unsere Vor¬ 
stellungen über gew isse chemische Functionen, 
welche den Elementen innerhalb der Verbindun¬ 
gen zukommen, uns vor Augen zu führen. Wäh¬ 
rend die empirische Formel S0 4 H Ä mich nur 
darüber belehrt, welche Elemente in einer 
bestimmten Anzahl die Schwefelsäure bilden, 
sagt die Formel S0 4 H t 0, welche die gleiche 
Anzahl von Elementen enthält, aus: dass 
ich mir die Schwefelsäure bestehend aus 
einem Schwefelsäureanhydrid SO. und Wasser 

OH 

H f O vorstellen kann; die Formel SO* qjj 

belehrt mich darüber, dass in der Schwefel¬ 
säure 2 Atome Sauerstoff mit dem Radical 
SO* in der Weise verbunden sind, dass je 
eine Affinität derselben durch H gesättigt wird, 
welche 2 Wasserstoffe demgemäss nur durch 
Vermittlung der 2 extraradicalen Sauerstoffe 
mit SO* verbunden sind. Solche Wasserstoffe 
sind es aber allein, welche in den Sauerstoff¬ 
säuren durch Metalle ersetzbar sind. Besonders 
in der organischen Chemie sind die Consti¬ 
tutionsformeln unentbehrlich zum Verständ¬ 
nisse der zahlreichen isomeren Verbindungen, 
d. h. solcher, welche aus einer gleichen Anzahl 
von Elementen bestehen und dennoch ver¬ 
schiedene chemische und physikalische Eigen¬ 
schaften zeigen (s. Isomerien). Loebisch. 

Chemosis (tq y^p.o>ot^, v. r\ xyjjay], eine 
Muschel mit klaffenden Schalen, v. 
offen stehen) bezeichnet eine Schwellung der 
Lidbindehaut, als deren Wesen eine seröse 
Durchtränkung in Folge einer Transsudation 
in und unter ihr Gewebe anzunehmen ist. 
Der Vorgang, welcher die Chemosis veran¬ 
lasst, kann ein verschiedener sein: man nimmt 
als ursächliche Momente an: 1. Eine Stauung 
im venösen Abflüsse aus der Conjunctiva, 
2. einen entzündlichen Vorgang in derselben 


und 3. einen entzündlichen Vorgang in den¬ 
jenigen Geweben, die einen mit den Strom¬ 
gebieten der Bindehaut communicirenden Ab¬ 
fluss besitzen, so namentlich bei Iritis und 
Cyclitis. 

Eine sehr häufige Begleiterscheinung ist 
die Chemosis bei der Pferdestaupe (Diecker- 
hoff), wo sie mit mehr diffuser Röthung oder 
Injection der Bindehaut, ikterischer Färbung 
des scleralen und subconjunctivalen Gewebes 
ab und zu auch partiellem Oedem der Cornea, 
Lidkrampf und Lichtscheue vergesellschaftet, 
neben einer Steigerung der Körpertemperatur 
oft das einzig constatirbare Symptom ist. So 
beobachtete Friedberger gelegentlich der 
im Frühjahre 188t stattgehabten Invasion 
dieser Seuche bei 80% seiner Patienten der¬ 
artige Augenleiden mit mehr weniger ausge¬ 
sprochener Chemosis. Ausserdem kann Che¬ 
mosis auftreten bei der einfachen Conjuncti¬ 
vitis catarrh., Lidabscessen, eiteriger Infil¬ 
tration der Umgebung der Lider, bei Schwel¬ 
lung und Eiterung im Zellgewebe der Orbita 
und schliesslich als Theilerscheinung bei all¬ 
gemeiner Hydropsie. Während bei leichteren 
Formen conjunctivalen Oedems die Membran 
sich leicht geschwellt, hellrosa- bis tiefroth, 
feucht, wässerig und glänzend präsentirt, 
wird sie mit Zunahme der Intensität allmälig 
blässer, voluminöser; sowohl am Scleraltheil, 
als auch am Fornii und dem Lidtheile der 
Bindehaut (an der Conjunctiva palpebr. ganz 
besonders bei der Pferdestaupe) bilden sich 
mehr weniger durchsichtige Falten, die immer 
mehr anschwellen, schliesslich ganz den Bulbus 
verdecken können und zur Lidspalte als blasse, 
durchsichtige Wülste hervorquellcn und so 
den Schluss derselben hindern. 

Die Therapie ist vor Allem gegen das 
Grundleiden zu richten. Sind bei zu starker 
Wulstbildung Ernährungsstörungen benach¬ 
barter Theile (namentlich in der Hornhaut) 
zu befürchten, so ist eine rationelle Vornahme 
der Massage indicirt. Schlampp . 

Chenocholalsäure oder Chenocholsäure. 
c„h 44 0 4 , ist ein Spaltungsproduct der in der 
Gänsegalle vorkommenden Taurochenochol- 
säure, aus welcher sie durch Kochen mit 
Baryt erhalten wird. Sie ist unlöslich in Was¬ 
ser, löslich in Alkohol und Aether und kry- 
stallisirt nur schwer aus einer mit Wasser 
versetzten Lösung. Die Lösungen reagiren 
sauer und geben die Pettenkofer’sche Reac- 
tion auf Gallensäuren. Loebisch. 

Chenu gab 1816 in Paris heraus seine 
„Traite de la boiterie“. Semmer. 

Cherry Fred. Clifford, englischer Veterinär 
im 18. Jahrhundert, gab 1842 heraus „The art 
of shveing horses. By the Sieur de Solleysel“: 
mit Bemerkungen von ihm. Koch. 

Cherry W. A. veröffentlichte mehrere Ar¬ 
tikel im Veterinarian (1846) über Rheumatis¬ 
mus, Drüsenleiden etc. Semmer. 

Cheshire-Käse, s. Chesterkäse. 

Chesterkäse ist ein in den englischen 
Grafschaften Cheshire und Shropshire aus 



CHEVROTINS. 

ganzer Milch hergestellter harter, hochcylin¬ 
drischer Labkäse von 20—50 kg Gewicht mit 
festem, wachsartigem Teig und eigenartigem 
pikanten Geschmack. Fes er. 

Chevrotins oder Geiskäsli aus der ro¬ 
manischen Schweiz, jetzt auch im Solo- 
thurner Jura aus Kuhmilch gemacht. Weich¬ 
käse, klein, flachcylindrisch, dienen für den 
Localconsum. Feser . 

Chiacon Fernando gab 1551 heraus „Trac- 
tado de la Cavaleria“. Koch. 

Chiasma (ri> ycaapct), das Zeichen des X? 
anatom. Terminus für sich kreuzende Faser¬ 
züge, z. B. Chiasma nervorum opticorum, 
die (übrigens unvollkommene) Sehnervenkreu¬ 
zung, s. Nervus opticus. Sussdorf. 

Chiasmus (6 /} aopöc), Kreuzschnitt. 

Chiastolith, eine Abart des Andalu- 
sits. Die im schwarzen Thonschiefer einge¬ 
wachsenen rhombischen Krystalle von meist 
graulicher oder gelblicher Färbung enthalten 
längs der Achse verlaufende und auch diagonal 
gelagerte Einlagerungen von schwarzer kohliger 
Materie, so dass der Querbruch der säulen¬ 
förmigen Krystalle eine schwarze Zeichnung 
erkennen lässt, welche an den griechischen 
Buchstaben / erinnert, daher der Name des 
Minerals. Der Chiastolith ist ein Thonerde¬ 
silicat, und findet sich im Thonschiefer immer 
nur da, wo dieser von Granit durchbrochen 
wird, als metamorpliische Zone, welche dem 
Granit anliegt, um nach aussen in den ge¬ 
wöhnlichen Thonschiefer überzugehen; kommt 
vor bei Strehla in Sachsen, im Fichtelgebirge, 
in den Pyrenäen, auch in Nordamerika. LA. 

Chfber. Eine Bezeichnung der Einge- 
borncn Indiens für eine diesem Lande eigen¬ 
tümliche Hautkrankheit, welche die Pferde 
befällt, wenn dieselben während der Regen¬ 
zeit zu lange weiden oder auch sonst, wenn 
überhaupt starker Thau auf die Wiesen ge¬ 
fallen ist. Obgleich schon seit längeren Jahren 
in diesem Lande, ist mir doch bisher noch 
kein derartiger Erkrankungsfall bei einem 
Pferde vorgekommen, u. zw. aus dem einfachen 
Grunde, weil die Truppenpferde eben nicht 
den erwähnten veranlassenden Ursachen aus¬ 
gesetzt werden. Ich beschränke mich daher 
bei Beschreibung dieser Krankheit auf das 
Resumö einer Publication des inspicirenden 
Veterinär-Arztes Meyrich C. V. S. über diese 
Krankheit. Dieselbe gleicht dem Herpes 
(Mauke?) und besteht in einem Bläschen- 
Ausschlag um die Kronen, etwa einen Zoll 
oder mehr oberhalb der Hufe, welcher sich 
manchmal über die Ballen erstreckt. Nach¬ 
dem die Bläschen bersten, bleibt eine ex- 
coriirte Fläche zurück, welche oft Monate 
bis zur gänzlichen Heilung braucht. Gelegent¬ 
lich bedeckt sich nach einiger Zeit diese 
Oberfläche mit einer haarlosen Haut, welche 
so hart und dick werden kann, dass sie ein 
hornähnliches Ansehen bekommt. Die Chiber- 
krankheit tritt gemeiniglich auf, wenn Pferde 
von nassen Weiden heimgebracht und ihre 
Fü8se nicht abgetrocknet werden. Die Weide 
muss übrigens auch sumpfig sein, da bei einem 


— CHIMAERA. 147 

Abweiden gut drainirten Landes diese Krank¬ 
heit nicht vorzukommen pflegt. Meyrich setzt 
voraus, dass in dem thauigen Gras irgend 
ein specielles Irritans vorhanden sei, welches 
aus den Sümpfen stammt, durch die beständige 
Berührung mit den Füssen beim Herumgehen 
der Pferde die Bläschen hervorbringt und 
durch das Trocknen des Thaues auf der Haut 
noch concentrirt wird. Die Behandlung ist im 
frühen Stadium eine höchst einfache, eine 
Waschung mit Lin. Chlor, ist genügend. 
Bei chronischen Fällen ist die Anwendung 
von Arsenik und die wiederholte Application 
von Vesicantien auf die Kronen das Em- 
pfehlenswertheste. Smith. 

Chileslscheü Pferd. Dasselbe stammt, wie 
die meisten anderen Südamerikaner, von der 
spanisch-andalusischen Rasse ab und soll schöner 
und dauerhafter als die Rosse von Paraguay 
sein. Man lobt ihren Fleiss bei der Arbeit, 
auch ihr lebendiges, feuriges Temperament, 
und behauptet, dass sie den echten Andalu- 
siern im Werthe nicht nachstehen. Sie haben 
einen kleinen, gut geformten Kopf mit einer 
massigen Ramsnase; ihr Hals ist hübsch ge¬ 
bildet, der Rücken sehr kräftig und das gut 
abgerundete Kreuz bei nur leidlich guter Er¬ 
nährung fleischig. Ihr dicker Schweif ist ziem¬ 
lich hoch, doch nicht besonders frei ange¬ 
setzt. Die dünnen aber dabei derben Beine 
haben harte, dauerhafte Hufe. Passgänger kom¬ 
men unter den chilesischen Pferden häufig vor, 
und es sind solche ganz besonders beliebt. 
Neuerdings sind Pferde dieser Rasse nach Eu¬ 
ropa (Frankreich) gekommen und sollen hier 
gute Abnahme gefunden haben. Frevtag. 

Chilisalpeter, NO„Na, Natriumnitrat, sal¬ 
petersaures Natron. Der Chilisalpeter kommt 
in Peru und in Bolivia in 1—40 m starken 
isolirten Schichten vor, welche mit Ablage¬ 
rungen von Kochsalz und borsaurem Kalk 
wechseln. Das aus dem rohen Chilisalpeter 
durch Umkrystallisiren gewonnene reine sal¬ 
petersaure Natron krystailisirt in wasser¬ 
freien, würfelähnlichen Rhomboedern, daher 
auch der Name Würfelsalpeter. Es schmeckt 
kühlend, ist leichter löslich als der Kalisal¬ 
peter, schmilzt bei 313°; da es an der Luft 
leicht Wasser anzieht, ist es für die Berei¬ 
tung des Schiesspulvers nicht anwendbar. 
Für sich erhitzt, verliert es Sauerstoff und 
wandelt sich zu salpetrigsaurem Natron um. 
Der Chilisalpeter findet Anwendung als Arz¬ 
neimittel, zur Darstellung von Salpetersäure 
und salpetersauren Salzen, in der Schwefel¬ 
säurefabrikation, als Düngmittel, auch zum 
Einpöckeln des Fleisches, schliesslich auch 
zu Kältemischungen, indem es sich im Wasser 
unter Temperaturerniedrigung löst. Mischt 
man 1 Th. Natriumnitrat mit 4 Th. Wasser, 
so sinkt das Thermometer in der Lösung bis 
— 10*6°C.Ueberdie Chilisalpeterwirkung 
s. das officinelle Natrium nitricum. Locbisch. 

Chimaera (fj Ziege), ein fabel¬ 

haftes feuerspeiendes Ungeheuer, das vorn 
Löwe, mitten Ziege, hinten Drache gewesen 
sein soll. Sussdorf. 

D' * 


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448 


CHINA. — CHINESISCHE THIERZUCHT. 


China, Chinarinde and deren arzneiliche 
Bedeutung, s. die Stammpflanze C i n c h o n a und 
deren Alkaloide. 

Chinas (chinesische Hühner), s. Cochins. 
Chinesische Thierzucht. Chinesisches 
Pferd. Die in China vorkommenden Pferde 
gehören nach Ham Smith’s und Fitzinger’s 
Untersuchungen zur Gruppe des leichten 
Pferdes (Equus velox) und sind wahrscheinlich 
die kleinsten, zierlichsten im östlichen Asien. 
Auf dem Holan-Gebirge, in der Provinz Xensi 
sollen noch vor zwei Jahrhunderten wilde Pferde 
an getroffen worden sein, und es ist nicht unmög¬ 
lich, dass ein grosser Theil der jetzt in China vor¬ 
kommenden zahmen Pferde von jenen Wild¬ 
lingen abstammt. Die Chinesen nennen die¬ 
selben Myautze und schätzen sowohl ihre Lei¬ 
stungen als ihr gutes Temperament sehr hoch. 
Bestimmte Angaben über die Grösse dieser 
Rasse fehlen gänzlich; alle Reisenden nennen 
sie klein, dabei aber voll und stark; sie be¬ 
sitzen ein breites, starkes Kreuz, können aber 
auf besondere Körperschönheit keine Ansprüche 
machen, auch sollen sie nicht so rasch und 
geschwind in ihren Bewegungen sein, wie viele 
andere Rassen des leichten Pferdes in Mittel- 
Asien. Ein tückisches, boshaftes Wesen soll 
bei den chinesischen Pferden oft bemerkt 
worden und es sollen besonders die Hengste 
wild und nicht leicht zu bändigen sein; um solche 
Thiere zahm und lenksam zu machen, müssten 
sie rechtzeitig verschnitten werden, dann aber 
wären sie etwas leichter zu zähmen, würden auch 
bald folgsam und willig bei der Arbeit. Für den 
Kriegsdienst soll die fragliche Rasse nicht 
tauglich sein, weil die meisten Thiere sich furcht¬ 
sam zeigten und selbst beim blossen Wiehernder 
muthigen tartarischen und mongolischen Rosse 
die Flucht ergriffen. Für die Reiterei und den 
Dienst im Marstalle des Kaisers von China 
benützt man hauptsächlich Pferde aus der 
Mongolei, und es sind daselbst in den Steppen 
neuerdings mehrere grosse Gestüte eingerichtet 
worden, welche hauptsächlich für die Bedürfnisse 
der Hofhaltung und der Armee die nöthige Anzahl 
Pferde liefern. 

Ueber die Esel des himmlischen Reiches 
sprechen sich die Reisenden meistens günstiger 
als über die dortigen Pferde aus; sie sollen 
gross, kräftig sein und neben dem Rinde haupt¬ 
sächlich zur Feldbestellung benützt werden. 
Pferde verwendet man nur ausnahmsweise 
zur Arbeit im Felde. 

ChinesischesRind. Bekanntlich verbietet 
dieLehredesFo oder Buddha, welche in Chinaam 
weitesten verbreitet ist und gewissermassen 
die Staatsreligion genannt werden kann — der 
Kaiser ist dort Oberpriester — den Genuss 
des Rindfleisches; in Folge dessen erklärt es 
sich auch, dass die Rind Viehzucht im Reiche 
nur geringe Verbreitung gefunden hat. Soviel 
uns bekannt, trinken die Chinesen keine Kuh¬ 
milch und überlassen dieselbe fast ausschliess¬ 
lich den Kälbern ihrer Kühe. In den meisten 
Provinzen, wo Rinder Vorkommen, bevor¬ 
zugt man solche, die sich zur Arbeit tauglich, 
d. ln genügend kräftig, willig zeigen und den 
Pflug zu ziehen im Stande sind. Hauptsächlich 


werden Zebus oder Buckelochsen (s. unter 
BuckelochB) gehalten, die wahrscheinlich von 
Indien aus nach China eingeführt worden 
sind. In einigen Bezirken sollen auch Yaks 
zur Arbeit benützt werden. Ob aber Büffel und 
Gayals in China als Hausthiere Vorkommen, 
wie von Einzelnen behauptet wird, konnten wir 
leider nicht genau ermitteln. In China leben 
mehr als 100.000 Christen, 1,500.000 Muha- 
medaner und 50,000 Juden, und wir halten 
es für unwahrscheinlich, dass diese wie jene 
Rindviehzucht betreiben und zu diesem Zwecke 
fremdländische Rinder herbeigeholt haben. In 
den Hafenorten, wo viele Europäer wohnen, 
sollen zu deren Milchbedarf chinesische Frauen 
gemolken werden. 

Chinesisches Schaf. Von ungleich 
grösserer Wichtigkeit und Bedeutung als die 
chinesische Rindviehzucht ist dort die Haltung 
und Züchtung der Schafe. Diese Thiergattung 
ist im Reiche der Mitte sehr zahlreich und 
wahrscheinlich in verschiedenen Rassen ver¬ 
treten, die fast alle zur Gruppe der Fett¬ 
schwanz- und Fettsteissschafe gehören. Das 
Klima des Landes soll an den meisten Orten 
für die Schafzucht sehr günstig sein; die Thiere 
entwickeln sich rasch und gut, kommen schon 
im zweiten Lebensjahre zu einer stattlichen 
Grösse und zeichnen sich durch eine grosse 
Fruchtbarkeit aus. Nach Gayot und Moll 
werfen die Zibben dort zweimal im Jahre 
und liefern in jedem Wurfe 2—4, ja sogar 
5 Lämmer. Rouher hat im Jahre 1863 
hornlose Schafe der Ongti-Rasse nach Frank¬ 
reich eingeführt, die hier sehr befriedigt haben 
soll. Moll und Gayot beschreiben die chinesi¬ 
schen Schafe folgendermassen: Grosse, kräftige 
Thiere mit vollem Rumpf, hohem Widerrist, 
langem Halse und einem grossen Kopfe mit 
gebogener Nasenlinie; die Lenden sind gut 
entwickelt, das Hintertheil fällt nach rückwärts 
ab und der Leib ist sehr umfangreich. Die 
langen Beine sind in den Oberarmen sehr mus¬ 
kulös, die Unterfüsse auffällig kurz aber kräf¬ 
tig gebaut. Der Schwanz ist sehr stark ent¬ 
wickelt, wenn auch nicht ganz so stark wie 
bei der Rasse von Caramanien, so doch viel 
breiter als bei allen gewöhnlichen Rassen 
Frankreichs. Das Vliess wird von langen Haa¬ 
ren gebildet, die ziemlich fein sein sollen. 
Man rühmt ganz besonders die gute Qualität 
des Fleisches und es hat möglicherweise dieser 
Umstand hauptsächlich dazu beigetragen, mit 
jener chinesischen Rasse Acclimatisations-Ver¬ 
suche in Frankreich anzustellen. 

Chinesisches Schwein. Die Schweine¬ 
zucht erfreut sich in China eines recht guten 
Namens und es ist uns w r ohl bekannt, dass ge¬ 
rade das Schwein seit ältester Zeit das wich¬ 
tigste Hausthier für die Chinesen gewesen ist. 
Den grossen Werth desselben — zur Veredlung 
unserer Hausschweine — haben die europäi¬ 
schen Seefahrer schon im vorigen Jahrhundert 
erkannt, und es sollen zuerst portugiesische 
Matrosen chinesische Schweine eingefangen 
oder ein getauscht und mit nach Europa ge¬ 
bracht haben. Fitzinger nannte das chinesische 
Schwein Sus sinensis; derselbe unterschied bei 



CHINIDIN. 


149 


dieser Species drei Rassen, welche er chinesische, 
capische und serinesische nannte. H. v. Nathu- 
sius-Hundisburg hielt Fitzinger’s Unterscheidung 
für unhaltbar und war der Meinung, dass man 
nur allein vom „indischen Schweine“ als be¬ 
sondere Art sprechen könne. Unser Gewährs¬ 
mann beschreibt dasselbe folgendermassen: 
„Der horizontale Durchmesser des Rumpfes ist 
annähernd gleich dem perpendiculären Durch¬ 
messer der Brust, demnach sind die Rippen 
stark gewölbt. Der Rücken ist zwischen Hüfte 
und Becken eingesenkt, breit, die Brusttiefe 
grösser als die Länge der Beine vom Elbogen 
bis zur Sohle, dies zuweilen im Verhältnisse 
von 2:1. Die Ohren sind kurz, aufrecht, die Stirn 
ist hoch; die Profillinie des Gesichtes concav, 
der Rüssel kurz und sehr robust. Die Farbe 
schwarz, schwarzgrau und schwarz mit rothem 
Schein, Bauch, Füsse und Kehle sind zuweilen 
auch weiss gefärbt. Die an der Küste Chinas 
lebenden Schläge kommen in allen Farben vor, 
sind oft weiss, zuweilen gefleckt, und in dieser 
Form eine durch Cultur veränderte Rasse, 
welche oft so kurzbeinig ist, dass bei einiger- 
massen gutem Futterzustande ihr Bauch die 
Erde berührt. Die Glieder bleiben bei dieser 
Form jedoch im Vergleich mit den englischen 
Culturrasscn stark.“ Von den physiologischen 
Eigenschaften ist ganz besonders die Mast¬ 
fähigkeit lobend zu erwähnen; dieselbe ist 
ausserordentlich gross und wahrscheinlich die 
bedeutendste aller bekannten Schweinerassen. 
Nicht zu loben ist die geringe Fruchtbarkeit 
der chinesischen Sauen; sie liefern gewöhnlich 
nur 4—5 Ferkel in einem Wurfe, selten 6 Stück. 
Die Vererbungsfähigkeit der Rasse ist sehr 
gross; schon bei einmaliger Kreuzung über¬ 
trägt sie ihre Eigenschaften auf die Nachzucht 
mit grösster Sicherheit. Die Fleischqualität 
dieser Thiere sagt unserem Geschmacke nicht 
recht zu; dasselbe ist in der Regel zu stark 
mit Fett durchwachsen, auch meistens zu 
weichlich, ganz besonders dann, wenn die 
Thiere stark mit öligen oder animalischen Stoffen 
ernährt werden. Aus diesem Grunde hat bei 
uns in Oesterreich und Deutschland die Rein¬ 
zucht mit chinesischen Schweinen nur wenige 
Liebhaber gefunden, wo hingegen die Kreu¬ 
zungen mit diesem Blute an vielen Orten die 
besten Erfolge geliefert haben. Die Futter¬ 
ansprüche bezüglich der Qualität der Nähr¬ 
mittel sind bei den chinesischen Kreuzungs- 
producten nicht entfernt so gross, wie bei dem 
Reinblut, welches ganz besonders sorgfältig 
ernährt und gepflegt werden muss. Die chine¬ 
sischen Schweine sind über alle Erdtheile ver¬ 
breitet und die jetzt neuerdings so viel gerühmten 
Poland-China-Schweine von Nordamerika ver¬ 
danken unstreitig ihre guten Formen und 
grosse Mastfähigkeit jener asiatischen Rasse. Fg. 

Chinesische Ziegen. Missionär Na¬ 
cken, welcher vor einiger Zeit aus China nach 
Deutschland zurückgekehrt ist, berichtet, dass 
neben Schaf und Schwein auch die Ziege ein 
wichtiges, sehr geschätztes Hausthier der 
Chinesen sei. Es gibt daselbst mehrere Rassen, 
welche sich durch Grösse und Haarfärbung 
von einander unterscheiden. In den nördlichen 


Provinzen sind die Ziegen von kleiner, zierlicher 
Gestalt, liefern aber ein grosses Quantum 
Wolle (nahezu soviel wie die dortigen Schafe) 
und es steht dieses Product seiner Weichheit 
wegen ziemlich hoch im Preise. Wahrschein¬ 
lich ist diese Rasse der Kaschmir-Ziege nahe 
verwandt. 

Erwähnt sei hier endlich noch, dass in China 
das baktrische, zweihöckerige Kameel oder 
Trampelthier (Camelus bactrianus), welches im 
Osten und hauptsächlich in der Mitte Asiens 
ein wichtiges Haus- und Lastthier genannt wird, 
in ansehnlich grosser Zahl vorkommt und zwar 
vorwiegend in den nördlichen Provinzen. Der 
Name Trampelthier ist für diese Species ganz be¬ 
zeichnend, denn seine Gestalt ist so schwerfällig, 
plump, dass neben ihm das Dromedar geradezu 
zierlich erscheint. Meistens ist die Behaarung 
derTrampelthiere dichter, reichlicher als bei den 
Dromedaren und die Haarfarbe dunkler (tief 
braun) als bei letzteren. In der Regel wird 
das Trampelthier etwas grösser und schwerer, 
als das Dromedar, die Beine sind aber etwas 
kürzer, und gerade hiedurch erscheint das 
Thier so missgestaltet. Die Chinesen sollen 
die Züchtung dieser Thiergattung recht gut 
verstehen und deren Haltung, Fütterung etc. 
mit Sorgfalt betreiben. Man verwendet diese 
Thiere hauptsächlich zum Waarentransport, 
seltener zum Reiten; ihr Gang ist zu langsam, 
schleppend. Von Peking aus gehen al)jährlich 
viele grosse Caravanen (zum Theil mit Thec) 
bis weit durch ganz China hindurch und bin 
nach dem asiatischen Russland. Hin und wieder 
erscheinen sie auch in den südlichen Gouver¬ 
nements des europäischen Russlands; ihr dicker 
Haarpelz schützt sie auf den weiten Reisen 
gegen die grosse Kälte jener Gegenden vor¬ 
trefflich. Die Brunstzeit der Trampelthiere fällt 
noch in die Winter zeit — von Februar bis An¬ 
fang April — und es werfen die Stuten nach 
einer Tragezeit von 11—13 Monaten ein oder 
zwei Junge, die ein drolliges Aussehen zeigen 
und sich ziemlich langsam entwickeln. Freytag . 

ChinesischerHund. Chinesedog,Chien 
chinois. Diese Rasse gleicht im Habitus sehr 
dem Spitz oder Pommer. Der Leib ist ge¬ 
drungen, der Kopf mittelgross, die Stirn ge¬ 
wölbt, die Schnauze ziemlich lang, die Ohren 
breit, aufrechtstehend, an der Spitze etwas 
überhängend und nach vorn geneigt. Der 
Schwanz wird bogenförmig über den Rücken 
gekrümmt. Die Behaarung lang und fein. Die 
Färbung einfarbig schwarz, ebenso Rachen¬ 
höhle und Zunge, es kommen auch rostrothe 
und gelbe Individuen vor. Wird in Hinter¬ 
indien, Japan und China gehalten, in letzterem 
Land auch als Nahrungsmittel verwendet. Str, 

Chinesische Katze. Varietät der Haus¬ 
katze, mit langen, weichen, seidenartigen Haaren 
bekleidet und mit Hängeohren. Sie wird in 
China gemästet und gegessen. Studer. 

Chinesisches Huhn, s. Seidenhühner. 

Chinidin auch Conchinin, C t0 H, % N,0„ ein 
Alkaloid der Chinarinde, welches nach Koch 
und Hesse aus allen echten Chinarinden er¬ 
halten wird. Es krystallisirt aus erkaltendem 



130 


CHIN1DINUM SULFURICUM. — CHIRURGIE. 


Weingeist in grossen glänzenden Prismen, 
schmeckt bitter und verhält sich in seinen 
Reactionen dem Chinin sehr ähnlich, auch 
die therapeutische Wirkung der Chinidinsalze 
ist der der Chininsalze ausserordentlich nahe¬ 
stehend. Loebisch . 

Chinidinum sulfuricum, s. Cinchona. 

Chininum und seine Salze, s. Cinchona. 

Chinioideum, s. Cinchona. 

Chinioidinum, s. Cinchona. 

Chinium, Quinia, in der Pharmacopoea 
Austriaca auch für Chininum gebraucht. VI. 

Chinoidin. Das Chinoidin ist eine che¬ 
misch noch nicht genau charakterisirte Base, 
welche nach Winckler in der Hauptsache 
aus amorphen Umwandlungsproducten der 
Chinabasen, neben etwas unverändertem Chi¬ 
nin, Cinchonin und Harz besteht, es wird sehr 
häufig neben Chinin gegen intermittirende 
Krankheitsformen angewendet. Loebisch. 

Chinolin, C 9 H 7 N, kommt im animalischen 
Theer, sog. Knochentheer, auch im Stein- 
kohlentheer Yor und entsteht auch bei der 
Destillation von Chinin und Cinchonin mit 
Aetzkali, daher der Name. Es bildet eine 
scharf riechende, bitter schmeckende Flüssig¬ 
keit von 1*08 sp. G., schwer löslich in Was¬ 
ser, leicht in Alkohol und Aether. Das Chi¬ 
nolin wurde auch synthetisch durch Erhitzen 
eines Gemenges von Anilin, Nitrobenzol, Gly¬ 
cerin und Schwefelsäure dargestellt. Es wirkt 
fäulnisswidrig und das weinsaure Chinolin 
wurde daher auch bei zyraotischen Krank¬ 
heiten zur Herabsetzung der Fiebertempera¬ 
tur als Heilmittel versucht. 

Die arzneiliche Verwendung von Chino¬ 
lin so wie seine Salze, s. Cinchona. Lh. 

Chinova8äure, C J4 H 88 0 4 . Diese Säure 
wurde von Hlasiwetz als Spaltungsproduct 
des in allen Chinarinden vorkommenden Chi- 
novins erhalten. Lockeres krystallinisches 
Pulver, unlöslich in Wasser, löslich in Al¬ 
kalien. Die ammoniakalische Lösung ist rechts¬ 
drehend. Loebisch . 

Chinovige Säure, C 84 H 38 0 3 , findet sich in 
den grünen Theilen von Thuja occidentalis L., 
sowie in den Nadeln von Pinus sylvestris, 
eine weisse spröde Masse, in Wasser unlöslich, 
in Weingeist, Aether und Alkalien leicht 
löslich. Loebisch. 

Chinovin, Chinovabitter, C ao H 88 0 8 . Ein in 
den Chinarinden vorkommendes Glycosid, 
welches durch Salzsäure in weingeistiger Lö¬ 
sung in Chinovasäure und Chinovinzucker 
gespalten wird. Amorphes Harz, löslich in 
Weingeist Loebisch. 

Chionyphe Carteri (von x“»v, Schnee, und 
Gewebe, Faden), ein in Indien den so¬ 
genannten Madurafuss erzeugender parasiti¬ 
scher Pilz des Menschen. Harz . 

Chiretta. Ein werthvolles bitteres toni¬ 
sches Heilmittel, das in Indien als thera¬ 
peutisches Remedium in starkem Gebrauch 
steht und von einer Pflanze aus der Familie 
Gentiana stammt. Dasselbe wirdbei schwachen, 
herabgekommenen Pferden, besonders solchen, 
welche schwere Krankheiten überstanden 
haben, als stärkendes und appetitanregendes 


Mittel in Anwendung gebracht. Es wird ge¬ 
wöhnlich in Form einer Infusion verabreicht, 
kann aber auch gepulvert mit dem Futter 
vermischt gegeben werden. Smith. 

Chiron (Xsipiov), ein Centaur der griechi¬ 
schen Mythe, 1350—1270 v. Chr., welcher 
umfangreiche* Kenntnisse in der Arzneikunst 
besessen und Lehrer des Asklepios etc. ge¬ 
wesen sein soll. Er war selbst Sohn des 
Saturn und der Phillyra. Sussdorf. 

Chlronomon (abgel. von r t /slp, Hand, und 
vep.siv, theilen etc.), nach Probstmayr: der, 
welcher mit der Hand theilt, Zerschneider, Pro- 
sector. Sussdorf. 

Chirurgie. Eine exacte Definition des 
Wortes Chirurgie zu geben, ist ungemein 
schwer, denn welchen Theil der ärztlichen 
Kunst und Wissenschaft man mit dem Namen 
Chirurgie und welche Krankheiten man als 
chirurgische zu bezeichnen hat, darüber hat 
mehr der Gebrauch als die wissenschaftliche 
Untersuchung entschieden. Die Trennung 
zwischen interner Medicin und Chirurgie ist 
eine künstliche und der ganze Unterschied 
läuft da hinaus, dass die Chirurgie vorzugs¬ 
weise, aber keineswegs ausschliesslich, die zu 
Tage liegenden äusserlich sichtbaren Schäden 
umfasst, jene Krankheiten also, welche der 
ärztlichen Behandlung auf operativem oder 
mechanischem Wege zugänglich sind, oder 
bei welchen, wie die Abstammung des Wortes 
Chirurgie (x&Ip, die Hand, und epYov, das 
Werk) besagt, die Hand werkthätig eingreift 
(was aber wieder nicht für alle Fälle gilt). 
Die Grenze zwischen interner Medicin und 
Chirurgie festzustellen ist nicht möglich und 
bei vielen Krankheiten, die als rein interne 
gelten, bringt ein operativer Eingriff Heilung 
(Tracheotomie, Pansenschnitt, Darrastich, 
Bruststich etc.), ebenso werden die Mehrzahl 
der Hautkrankheiten nicht zu den chirur¬ 
gischen Krankheiten gezählt, obschon sie rein 
äusserliche sind. Das Gebiet der Chirurgie 
in der Menschenheilkunde erweitert sich ge¬ 
genwärtig von Tag zu Tag, denn bei den 
enormen Fortschritten der operativen Tech¬ 
nik, insbesondere in Folge der antiseptischen 
Wundbehandlung werden viele Krankheiten 
durch die Hand des Chirurgen geheilt 
oder doch gebessert, welche noch vor weni¬ 
gen Jahren als ausschliesslich der internen 
Medicin angehörig betrachtet wurden. (Re- 
sectionen von Darmstücken bei innerer Ein¬ 
klemmung, Invagination, Resection bei Magen¬ 
krebs, Exstirpation der kranken Niere, der 
Milz etc.) Leider müssen wir gestehen, dass 
das Gebiet der Veterinär-Chirurgie ein be¬ 
deutend eingeschränkteres ist als das der 
Menschen-Chirurgie, denn es handelt sich hier 
nicht allein das Leben des Individuums um 
jeden Preis, selbst mit Opferung einzelner 
Theile seines Körpers, zu erhalten, sondern 
hauptsächlich darum, den früheren gebrauchs¬ 
fähigen Zustand der Thiere möglichst wieder 
herzustellen. Aber selbst wenn wir dieses im 
Stande wären, so kommt in vielenFällen noch die 
Zeit in Betracht, welche eine derartige Heilung 
in Anspruch nehmen würde; es tauchen da 



CHIRURGIE. 151 


ökonomische Fragen gewichtiger Natur auf, 
ob es dem Eigenthümer nicht rentabler er¬ 
scheint, das Capital, welches durch die Er¬ 
haltung und die Behandlung des Thieres, 
durch den Entgang des Nutzens etc. ver¬ 
schlungen wird, für den sofortigen Ankauf 
eines neuen, gesunden, ihm gleich den ge¬ 
wünschten Nutzen verschaffenden Individuums 
zu verwenden. Diese beiden Umstände sind 
es hauptsächlich, welche bei manchen chirur¬ 
gischen Erkrankungen wohl zu erwägen sind. 
Auf einen weiteren grossen Ucbelstand ist noch 
hinzuweisen, u. zw. auf die Unmöglichkeit bei 
dem Unverstände und der Widersetzlichkeit 
der Thiere, die nöthigen Heilbedingungen in 
exacter Weise durchzuführen, wodurch gar oft 
trotz der Opferwilligkeit des Besitzers und 
der Geduld des Thierarztes die gewünschte 
Heilung nicht zu erzielen ist. 

Der Umstand, dass die Chirurgie es 
meist mit offen zu Tage liegenden Schäden 
zu thun hat, erleichtert die Diagnose und die 
Behandlung, und insofern ist anzunehmen, 
dass man viel früher mit der Chirurgie und 
rein chirurgischen Hilfeleistungen sich be¬ 
fasste, bevor man an die Diagnose der inneren 
Krankheiten nur dachte, dass somit die 
Chirurgie den ältesten Theil der ganzen Heil¬ 
kunde bildet. 

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, 
eine vollständige Geschichte der Chirurgie 
zu bringen; erwähnenswerth aber ist es doch, 
dass von den thierärztlichen Schriftstellern 
des Alterthums manche Operationen ange¬ 
geben werden, welche wir heute noch aus- 
führen, dass manche von denselben geübte 
Operation in Vergessenheit gerieth und erst 
später wieder neuerlich erfunden werden 
musste. Das Mittelalter dagegen brachte uns 
viele unsinnige chirurgische Eingriffe (Fei- 
seln, Nagelschneiden, Gaumenritzen etc.), 
deren Ausrottung erst in der neuesten Zeit 
gelang. Seit der Gründung der Thierarznei¬ 
schulen wurde die Chirurgie erst als Wissen¬ 
schaft betrieben und es erschienen ausser 
zahlreichen, werthvollen kleineren Arbeiten 
von den verschiedensten Autoren noch Lehr¬ 
bücher über Chirurgie von Dieterichs, 
Strauss, Hertwig, Armbrecht Fricker, Pütz, 
Stockfleth, Gourdon, Peuch-Toussaint, Lanzi- 
lotti-Buonsanti; über Operationslehre von 
Gurlt, Hertwig, Hering, Vogel Falke, Förster; 
über Instrumenten- und Verbandlehre 
von Förster. Bayer. 

Prähistorische Chirurgie. Gleichwie 
sich die ersten Anfänge der Medicin überhaupt 
bis in das graueste Alterthum verfolgen lassen 
und wir ihren primitiven Spuren bei den einfach¬ 
sten Naturvölkern begegnen, ebenso können 
wir an der Hand scheinbar unbedeutender 
Funde die Ausführung chirurgischer Operationen 
schon in der prähistorischen Zeit nachweisen. 
Operative Eingriffe wurden, hauptsächlich in 
das menschliche Leben, schon in einer Zeit 
vollführt, als der Mensch seine nothwendig- 
sten Geräthe und Werkzeuge aus blossem »Stein 
und Knochen verfertigte, da ihm die Kennt- 
niss jedweden Metalles mangelte. An einer 


Reihe aufgefundener, menschlicher Schädel, 
welche dieser prähistorischen, sogenannten 
Steinzeit entstammen, hat man untrügliche 
Merkmale der operativen Entfernung von Kno¬ 
chenpartien nachgewiesen. Dr.Pruniöres machte 
auf diese Eigentümlichkeit einiger Cranien 
schon im Jahre 1873 bei der Versammlung 
der Association fran^aise zu Lyon und in dem 
darauf folgenden Jahre zu Lille aufmerksam 
und legte die Beweisstücke vor. Der berühmte 
Craniologe Broca hielt in einer Sitzung des 
internationalen anthropologischen Congresses 
zu Budapest einen höchst interessanten Vor¬ 
trag über trepanirte prähistorische Schädel 
aus den Höhlen und Dolmengräbern der jün¬ 
geren Steinzeit Frankreichs. Nach ihm wurde 
die Trepanation entweder durch Herausschneiden 
des Knochenstückes mittelst eines scharfen 
Feuersteinmessers oder einer Feuersteinsäge 
ausgeführt, oder es wurde die betreffende 
Stelle des Schädels so lange geschabt, bis eine 
Oeflfnung daselbst entstand. Dies schloss er 
aus der Beschaffenheit der trepanirten Stellen 
der von ihm untersuchten Cranien. Später 
wurden von anderen Forschern weitere Be¬ 
lege zur prähistorischen Chirurgie, speciell zur 
Trepanation des Schädels, aus zahlreichen 
Gräbern der neolithischen Periode geliefert. 
Derartige Funde besitzen wir aus Frankreich, 
Deutschland, Oesterreich (Mähren, Böhmen), 
Portugal, Peru etc. Es ist von Interesse, dass 
die Operation wahrscheinlich in derselben Weise 
gemacht wurde, wie sie von den noch jetzt 
lebenden „Steinmenschen“ auf den Südsee¬ 
inseln geübt wird. In der Sitzung vom 19. Sep¬ 
tember 1882 der 55. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte in Eisenach zeigte 
Tillmanns in seinem Vortrage über prähisto¬ 
rische Chirurgie, dass die Naturvölker der 
Gegenwart, z. B. die Australier und die Süd- 
see-lnsulaner, welche etwa auf derselben Cul- 
turstufe stehen, wie die Menschen der prähi¬ 
storischen Steinzeit in Europa, nach überein¬ 
stimmenden Berichten von Reisenden selbst 
schwierige Operationen, wie die Castration der 
Frauen und die Trepanation des Schädels und 
der Extremitätenknochen mittelst ihrer Stein¬ 
instrumente mit Erfolg auszuführen verstehen. 
Die Ovariotomie wird von den australischen 
Eingeborenen aus verschiedenen Ursachen aus¬ 
geführt, unter anderen sogar auch, um die Ver¬ 
erbung bestimmter Krankheiten, z. B. der Taub¬ 
stummheit, zu verhindern. Die Operation wird 
durch Schnitt parallel dem Ligam. Poupart. 
beiderseits ausgeführt. Reisende haben der¬ 
artig mit Erfolg castrirte Frauen, resp. Mäd¬ 
chen gesehen. Bei der Trepanation des Schä¬ 
dels und der Extreraitütenknochen wird nach 
Spaltung der Weichtheile der Knochen mittelst 
Feuerstein allmälig dnrehgeschabt. Bei Ge¬ 
hirnverletzungen werden die verletzten Gehirn- 
theile entfernt und ein entsprechend grosses 
Gehirnstück von einem eben getödteten Schweine 
vorübergehend „behufs rascherer Heilung“ 
applicirt. Ferner erwähnte Tillmanns die Mika¬ 
operation bei den Australiern, d. h. die Steri- 
lisirung der Männer durch Spalten der unteren 
Fläche des Penis von der Harnröhrenmündung 


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152 CHITIN. 

bis zum Scrotum, sodann eine in der That 
staunenswerte Methode des Abortus bei den 
Eskimos durch Eröffnung der Eihäute mittelst 
einer besonders präparirten Seehundsrippe. 
Endlich demonstrirte Tillmanns das chirurgische 
Instrumentarium der Südsee-Insulaner, be¬ 
stehend aus Feuersteinen, Steinmessern, ge¬ 
schärften Knochen kleiner Thiere, Haifisch¬ 
zähnen u. s. w. Wir ersehen aus diesen Be¬ 
legen, dass trotz der äusserst primitiven Hilfs¬ 
mittel die chirurgische Behandlung schon bei 
Naturvölkern eine sehr wichtige Rolle spielt, 
und mit vollem Rechte können wir dies auch 
auf die prähistorische Bevölkerung Europas 
beziehen, da dieselbe einst auf einer ähnlichen 
Culturstufe stand. Aber nicht nur an Menschen, 
sondern auch an den schon in der jüngeren 
Steinzeit (neolithische Periode) gezüchteten 
Nutzthieren mussten operative Eingriffe geübt 
worden sein; zumindest besitzen wir Belege, 
dass schon in der Pfahlbauzeit die Castration 
des Rindes bekannt war und Anwendung fand. 
Bekanntlich betrieben die Schweizer Pfahl¬ 
bauern eine ganz rationelle Viehzucht und man 
hat wiederholt in der Fundschichte mitten 
unter Bronzen und alten Topfscherben, nebst 
anderen Resten aus dieser Zeit, Hornzapfen 
vom Rind gefunden, welche weder Stieren 
noch Kühen, sondern nur Ochsen angehören 
konnten. Koudtlka. 

Chitin, C l4 H, e N,0 l0 , bildet den Haupt¬ 
bestandteil in den Körperdecken und den 
Anhängen (Stacheln, Schuppen, Haaren) der 
Insecten und Gliederthiere. Man erhält es am 
leichtesten aus den Flügeldecken der Mai¬ 
käfer, indem man dieselben nacheinander mit 
Wasser, Alkohol, Aether, concentrirter Essig¬ 
säure und mit Kalilauge auszieht. Der Rück¬ 
stand ist Chitin, eine farblose Masse, die 
Form des Gewebes zeigend, aus welchem es 
dargestellt wurde. Beim Kochen mit concen¬ 
trirter Salzsäure zerfällt es in Glykosamin 
und Essigsäure. Lotbisch . 

Chlamydosporen (vonykap.6?» Kleid, Hülle) 
hat man eine Menge der verschiedenartigsten 
Gonidien bei Pilzen genannt. Am zweck- 
massigsten belegt man mit dieser Bezeichnung 
jene intrahyphealen Vermehrungszellen, welche 
häufig zumal bei Schimmelpilzen an Mycel- 
fäden sich bilden, indem kleine Zellen der* 
selben sich durch Scheidewandbildung ab¬ 
gliedern. Sie sind reich an Protoplasma, 
besitzen Exo- und Endosporium und ver¬ 
mögen nach längerer oder kürzerer Ruhe 
wieder auszukeimen und ein neues Mycelium 
zu bilden. Sie kommen sehr häufig vor bei 
Pilobolus, Penicillium glaucum, manchen 
Mucor-Arten, Aspergillus glaucus u. a. Bei 
Aspergillus nigrescens Robin habe ich einige 
Male Chlamydosporen von tief schwarzbrauner 
Färbung beobachtet. Im Allgemeinen scheinen 
sich die Chlamydosporen namentlich auf 
älteren Mycelien gerne zu bilden. //arg. 

Chlor, von yXwpo'c, grünlichgelb, Atomgew. 
35*5, ein Element, von Scheele im Jahre 1774 
entdeckt, kommt in der Natur nicht im freien 
Zustande vor, jedoch sehr verbreitet mit einer 
grossen Anzahl Metallen verbunden, als Chlor- 


- CHLOR. 

natrium — Kochsalz — in massigen Lagern, 
als Chlorkalium und Chlormagnesium, als Chlor¬ 
blei, Chlorsilber in mehreren Mineralien; überdies 
kommen die Chloralkalien auch noch gelöst 
im Quell- und Meerwasser und in den pflanz¬ 
lichen und thierischen Gewebsflüssigkeiten so¬ 
wie in den thierischen Excreten vor. Um freies 
Chlor darzustellen, bringt man gleiche Gewichts- 
theile von Braunstein (Manganhyperoxyd) und 
Kochsalz zu einem abgekühlten Gemisch von 
2 Th. Schwefelsäure und 2 Th. Wasser in 
einen Kolben, welcher mit einem Gasent¬ 
wicklungsrohr versehen ist, und erwärmt 
gelinde; hiebei erhält man einen gleichmässigen 
Strom von Chlorgas. Auch durch Erhitzen von 
Braunstein mit Salzsäure allein erhält man 
Chlor. Das Chlor ist bei gewöhnlicher Tempera¬ 
tur ein grünlich gelbes Gas von erstickendem 
starken Geruch, welches, schon in geringer 
Menge und mit Luft verdünnt eingeathmet, 
die Schleimhäute des Respirationstractes stark 
reizt und Erstickungsanfalle hervorruft. Das Chlor 
ist in Wasser leicht löslich, I Volumen Wasser 
nimmt 3 Volumen Chlorgas auf. Eine gesättigte 
wässerige Lösung von Chlor führt den Namen 
Aqua Chlori, auch Liquor chlori — Chlor¬ 
wasser. Dieses hat alle chemischen Eigen¬ 
schaften des Chlorgases und wird häufig dort 
an gewendet, wo man die Wirkung des Chlors 
erzielen will. Das Chlorgas hat ein specifisches 
Gewicht von 2*45, es lässt sich bei einem 
Druck von vier Atmosphären und bei einer Tem¬ 
peratur von 15° C. zu einer gelben Flüssig¬ 
keitverdichten, bei gewöhnlichem Atmosphären¬ 
druck durch Abkühlen auf —40° C. 

Das Chlor bildet mit sämmtlichen anderen 
Elementen Verbindungen, und zwar vereinigt 
es sich mit den meisten Metallen schon bei 
gewöhnlicher Temperatur direct und bildet mit 
ihnen Chloride. Kupfer, Antimon, Arsen, Wis- 
muth und Phosphor vereinigen sich mit Chlor 
so energisch, dass sie, in ein mit Chlorgas ge¬ 
fülltes Glas geworfen, sich daselbst entzünden 
und mit hellem Glanz zu den entsprechenden 
Chloriden verbrennen. Mit Wasserstoffgas ver¬ 
bindet sich Chlor ebenfalls; hiebei entsteht C1H, 
Chlorwasserstoffsäure, jedoch nur unter bestimm¬ 
ten Bedingungen. Ein Gemenge von gleichen 
Raumtheilen Chlor und Wasserstoffgas bleibt 
nämlich im Dunkeln aufbewahrt unverändert, 
im zerstreuten Tageslicht vereinigen sich beide 
nur langsam, lässt man aber directes Sonnen¬ 
licht oder chemisch wirksame Strahlen (blau, 
violett und ultraviolett) darauf einwirken, so 
findet die Vereinigung beider Gase unter hef¬ 
tiger Explosion statt. Die grosse Anziehungs¬ 
kraft des Chlors zum H bewirkt es auch, dass 
das Wasser durch Chlor zersetzt wird, hiebei 
entsteht nach der Gleichung: CI, + H,0 = 
2 HCl + 0 = Salzsäure und Sauerstoff wird 
frei. Da diese Zersetzung des Wassers durch 
Chlor besonders leicht unter Mitwirkung des 
directen Sonnenlichtes stattfindet, muss auch 
das Chlorwasser, soll es die Brauchbarkeit nicht 
verlieren, in schwarzen Gläsern oder im Dunkeln 
aufbewahrt werden. Der Eigenschaft, das Was¬ 
ser unter Bildung von freiem Sauerstoff, wie 
oben erwähnt, zu zerlegen, verdankt das Chlor 


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CHLORATHYLENUM. — CHLORALUM HYDRATÜM. 153 


sowohl seine energisch desinficirende als auch 
bleichende Wirkung. Beide Wirkungen übt das 
Chlor eben nur bei Gegenwart von H,0 aus; 
bei der Zerlegung dieses freiwerdenden Sauer¬ 
stoffes greift es in dem einen Falle die Krank¬ 
heitsträger an, im anderen Falle die Farben und 
zerstört dieselben. 

Um mittelst Chlorgas zum Zwecke der 
Desinfection sogenannte Chlorräucherungen 
auszuführen, sind mehrfache Vorschriften an¬ 
gegeben, deren brauchbarste ich hier wegen 
ihrer praktischen Wichtigkeit anführen will. 
Nach Letheby bringt man auf eine Untertasse 
von Porzellan 1 Theelöffel gepulverten Braun¬ 
stein und setzt nach und nach unter Umrühren 
% Tasse starke rohe Salzsäure zu (1 Th. 
Braunstein zu 4 Th. concentrirte rohe Salz¬ 
säure). Stellt man die Untertasse auf einen 
erwärmten Ziegelstein, so tritt die Chlorent¬ 
wicklung rascher ein. Die Gegenwart von 
lebenden Wesen muss in den Räumen, wo 
Chlor entwickelt wird, vermieden werden. 

In neuerer Zeit hat Clemens zu Chlor¬ 
räucherungen eine Mischung von 8 Th. einer 
concentrirten Lösung von Kupferchlorid, 1 Th. 
Chloroform und 48 Th. Weingeist empfohlen: 
diese wird in eine gewöhnliche gläserne Spi¬ 
rituslampe gegeben und dann an gezündet, hie¬ 
bei sollen sich desinficirende Chlorkupferdämpfe 
entwickeln, welche die Luft vollständig des- 
inflciren. Clemens empfiehlt bei Rinderpest, 
die Chlorkupferlampe in den Ställen in Gegen¬ 
wart der Thiere brennen zu lassen und zu¬ 
gleich ein Gemisch von 11 Spiritus, 8 g Chlor¬ 
kupfer und 16 g Chloroform, täglich 1 Thee¬ 
löffel voll, auf 8—3mal im Getränke vertheilt, 
den Thieren als Arznei zu geben, auch sollen 
Boden und Streu öfters mit derselben Mischung 
besprengt werden. 

Das Chlor tritt in vielen organischen Ver¬ 
bindungen an die Stelle von Wasserstoff ein: 
man bezeichnet den Ersatz von 1 Atom Was¬ 
serstoff durch ein einwerthiges Element oder 
durch ein einwerthiges Radical als Substi¬ 
tution. So ist z. B. Chloroform, CHCl a , ein 
Sumpfgas, CH 4 , in welchem 3 Atome Wasser¬ 
stoff durch 3 Atome Chlor substituirt sind. Das 
durch Substitution in einer organischen che¬ 
mischen Verbindung gebundene Chlor ist nur 
dann an seinen Reactionen zu erkennen, wenn 
die betreffende Verbindung zerstört wird, dem¬ 
gemäss kann man das Chlor im Chloroform 
nicht direct durch salpetersaures Silber als 
Chlorsilber nachweisen, wie in der Chlorwasser¬ 
stoffsäure, sondern das Chloroform muss vor¬ 
erst durch höhere Temperatur zerlegt werden, 
um den Beweis liefern zu können, dass Chlor 
darin enthalten ist. Loebisch . 

Das freie Chlorgas findet vielfach thier¬ 
ärztliche Verwendung, wird jedoch, da es als 
solches nicht zu haben ist, zum Gebrauche 
erst aus verschiedenen Chlorverbindungen 
entwickelt. Direct enthalten ist es im Chlor¬ 
kalk und Chlorwasser (s. daher Calcaria chlo- 
rata und Aqua chlorata); ebenso wird es hie 
und da dem Kochsalz entnommen (s. Guy¬ 
ton -Morveau’sche Chlorräucherungen unter 
Calcaria chlorata). Vogel. 


Chiorithylenum, Aethylenchlorid oder 
Elaylchlorür, s. Aethylenum chloratum. 

Chlorithylidenum oder Aethylidenum bi- 
chloratum, s. Aethylenum chloratum. 

Chloral, C t HCl a O. Es wird erhalten, wenn 
man trockenes Chlorgas in Alkohol leitet. 
Durch die Einwirkung des Chlors geht der 
Aethylalkohol zunächst in Aldehyd über und 
dieser setzt sich mit einer neuen Menge Chlor 
in der Weise um, dass Chloral entsteht: 
C,H 4 0 +3 CI, = C,HC1.0 +3 HCl. 

Aldehyd Chloral 

Das Chloral ist eine farblose Flüssigkeit von 
schwach melonenähnlichem Geruch und scharfem 
Geschmack, welche bei 94° siedet, sich mit 
Alkohol und Aether mischt und mit Wasser 
zu einer krystallinisehen Masse verbindet, 
welche das Hydrat des Chlorals darstellt, 
C,HCl a 0.H,0, und als Chloralhydrat be¬ 
zeichnet wird (s. Chloralum hydratum). Auch 
mit Alkohol verbindet sich das Chloral zu 
einer krystallinisehen Verbindung, in wel¬ 
cher 1 Molecul Alkohol die Stelle von H,0 
einnimmt, Chloralalkoholat. Das Chloral wurde 
von Liebig im Jahre 1838 entdeckt, von 
Liebreich im Jahre 1869 als Narcoticum in 
die ärztliche Praxis öingeführt. Auch als An¬ 
tidot des Strychnins ist das Chloral wichtig. Lh 

Chloralum hydratum, Chloralhydrat, 
Hydras Chlorali. Erst in neuerer Zeit in die 
Heilkunde eingeführt, ist es jetzt schon als eine 
höchst bedeutsame Bereicherung des Arznei¬ 
schatzes erkannt worden, trotzdem es dem Chlo¬ 
roform ganz nahe kommt. Oertlich in die Haut 
eingerieben, irritirt es ziemlich heftig und er¬ 
regt Schmerz in concentrirten Lösungen, ja 
es kommen ihm hier, wie auf Wunden, selbst 
kaustische Eigenschaften zu, welche nur ver¬ 
mieden werden können, wenn leichtere Lösungen 
genommen werden, nämlich nicht über 15%ige. 
Subcutan entsteht durch concentrirte Lösung 
eminente Zerstörung und Mortification der 
Haut bei allen Thieren, während nur 10%ige 
Solutionen selbst bei trachealen Einspritzun¬ 
gen gut ertragen werden. Chloralhydrat ge¬ 
hört auch (wie das Chloroform) zu den stark 
fäulnis8widrigen Mitteln, u. zw. schon in sehr 
diluirten Lösungen, und beruht diese Wirkung 
auf einer eigentümlichen Beeinflussung der 
Eiweisskörper, die jedoch nicht coagulirt zu 
werden brauchen. Wunden bleiben auf 1 bis 
8%ige Lösungen gerade so aseptisch, wie 
bei 5%igem Carbolwasser, und würde man 
Chloralhydrat auch zum Wundverband her¬ 
beiziehen, wenn es nicht ebenso gute und wohl¬ 
feilere Mittel genug gäbe. Auch gegen schmerz¬ 
hafte äusserliche Zustände ist es ganz ent¬ 
behrlich und zieht man ihm mit Recht Chloro¬ 
form vor. Gegen Rauschbrandbacillen hat es 
sich schon zu 3% sehr wirksam erwiesen. 
Ob, dem Blute zugeführt, das leicht lösliche 
und resorbirbare Hydrat eine Zersetzung er¬ 
fährt, vielleicht wie in anderen alkalischen 
Flüssigkeiten eine Spaltung in Ameisensäure 
und Chloroform (und weiterhin in Salzsäure), 
ist möglich, wird aber immer mehr bezweifelt, 
nachdem das so leicht nachweisbare Chloro- 


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154 


CHLORAMMONIUM. — CHLORHYDRAS MORPHYCUS 


form niemals in chloralisirten Thieren ge¬ 
funden werden konnte; es ist daher wahr¬ 
scheinlicher geworden, dass Chloral ähnlich 
wie viele andere chloroformähnlich wirkende 
Methanabkömmlinge als solches für sich zur Wir¬ 
kung gelangt, ohne also gespalten zu werden. 
Dass das Gehirn zunächst von dem Angriff be¬ 
troffen wird, geht daraus hervor, dass eines der 
frühesten und hauptsächlichsten Symptome der 
Ohloralwirkung Schläfrigkeit ist, welche auf 
grössere Dosen in tiefen Schlaf und vollständige 
Bewusstlosigkeit übergeht, ohne dass dabei aber 
die Empfindlichkeit oder gar Reflexerregbar¬ 
keit aufgehoben wäre; letzteres geschieht 
erst auf sehr hohe und gefährliche Gaben, 
wobei auch die Rückenmarksganglien in Mit¬ 
leidenschaft gezogen werden. Sonach erweist 
sich das Mittel in erster Linie als ein Nar- 
coticum (Hypnoticum) ersten Ranges, das je¬ 
doch die Empfindung nicht wesentlich alterirt, 
wenn die gewöhnlichen Schlafdosen gereicht 
werden; es eignet sich sonach auch nicht sehr 
als Anaestheticum und muss ihm mit Rück¬ 
sicht auf letzteren Umstand das Chloroform 
weit vorgezogen werden, das noch Empfin¬ 
dungslosigkeit in ungefährlicher Weise schaflft, 
auch wenn schon alle .Hautreflexe erloschen 
sind. Dass bei einer derartigen, durch tiefen 
Schlaf charakterisirten Depression des Ge¬ 
hirns auch Pulsschlag und Athem vermindert 
werden, ebenso der Stoffwechsel, ist leicht 
einzusehen. Tod durch Paralyse des Respira¬ 
tionscentrums (oder diastolischen Herzstill¬ 
stand) erfolgt aber erst, wie gesagt, in sehr 
hohen Gaben, die bei allen Hausthieren genau 
bekannt sind; das Mittel hat daher bedeutend 
an Gefährlichkeit verloren. Mittelgrosse Hunde 
schlafen auf 6*0—8*0 mehrere Stunden, 
Katzen schon auf 2 0—3*0 mehr als 12 Stun¬ 
den, Pferde auf 100*0—150*0. Todesgabe für 
Katzen ist 6*0, für Hunde 10*0—18*0 und 
bei Pferden kommt man niemals in die Lage, 
vollständige Schlafdosen zu verabreichen, die 
für den Fortbestand des Lebens bedenklich 
wären, denn hiezu sind über 200 g nöthig. 
Wichtig ist, das Verhalten des Pulses und 
Athmens im Auge zu behalten (s. Chloro¬ 
form), sowie das der Pupille, die sich wäh¬ 
rend des narcotischen Schlafes stark veren¬ 
gert hat; schon die geringste Erweiterung 
jedoch deutet im weiteren Verlauf ebenso 
Gefahr an, wie starke Verflachung der Athem- 
züge, Verminderung und Unregelmässigkeit 
des Herzschlages. Die künstliche Erzeugung 
von Schlaf kann bei den Hausthieren nur 
ausnahmsweise die Indication des Mittels ab¬ 
geben, wohl aber, wenn es sich um allzu ge¬ 
steigerte Reflexerregbarkeit, allgemeine, rein 
nervöse Gereiztheit, Convulsibilitäten u. dgl. 
handelt. Am meisten passt Chloralhydrat bei 
krampfhaften Affectionen aller Art, z. B. bei 
Krampfliusten, grosser, nervöser Aufregung, 
Ueberempfindlichkeit des Magens bei Hyper- 
emesis, excessiven Contractionen des Uterus 
(Krampfwehen), hauptsächlich aber bei Wund¬ 
starrkrampf aller Haüsthiere, während bei 
erethischen Fiebern, Eklampsien, bei Epi¬ 
lepsie, Veitstanz die Chloralwirkungen keine 


Erfolge aufzuweisen haben. Bei Tetanus ist 
das Mittel häufig von sichtlicher Wirkung, 
obwohl alle schwereren Fälle mit Tod ab¬ 
gehen und Chloral stets erfolglos ist. sobald 
seine Anwendung erst in jenem Stadium er¬ 
folgt, in welchem Puls und Athem schon zu 
steigen beginnen. Immerhin hat sich von 
allen Tetanusmitteln das Chloralhydrat am 
geeignetsten erwiesen und jetzt fast allge¬ 
mein das Morphin aus dem Felde geschla¬ 
gen, ganz besonders ist dies aber der Fall, 
wenn die Starrkrampffälle frühzeitig genug 
zur Behandlung gelangen. Dosis für Pferd 
und Rind 30*0—50*0 mit Schleim (1 kg) in¬ 
nerlich oder auf zwei Klystiere innerhalb einer 
Stunde, täglich 2—3 solche Dosen. Tritt in 
einigen Tagen Besserung nicht ein, versucht 
man kleinere Gaben (15*0—20*0), die aber 
alle 2—3 Stunden (per elysmam) mit viel 
Schleim zu appliciren sind. Beim Krampf¬ 
husten der Hunde kann Chloral nur pallia¬ 
tive Wirkung schaffen, keine abkürzende, die 
eher dem Chinin zukommt. Dosis 0*5—2*0 
innerlich mit Gummischleim oder weissem 
Syrup. In der Geburtshilfe ist sein Nutzen 
meist nur ein geringer, denn selbst im tief¬ 
sten Schlafe geschehen noch Uterincontrac- 
tionen, doch nehmen diese an Intensität er¬ 
heblich ab. Dosis bei tetanoiden Geburts¬ 
wehen: Pferd und Kuh 100*0, Hund wie oben. 
Morphin subcutan oder Branntwein (Rind 
%—11) ist hier meist vorzuziehen. Für sub- 
cutane Zwecke eignet sich Chloralhydrat, wie 
oben schon gezeigt, nicht, dagegen wird in 
Frankreich viel Gebrauch von ihm gemacht 
zu trachealen Einspritzungen zu 2 0—10*0 
für Pferde, in reichlich Wasser gelöst. — 
Die Vergiftung durch Chloralhydrat wird in 
derselben Weise behandelt, wie es beim 
Chloroform angegeben ist. Aehnliche Wir¬ 
kungen kommen auch den übrigen Methan¬ 
abkömmlingen der fünfwerthigen Kohlen¬ 
wasserstoffe zu, nämlich dem Bromalhydrat 
und Butylchloral (Crotonchloral [s. d.]). VI. 

Chlorammonium und seine arzneiliche 
Bedeutung, s. Ammonium chloratum. 

Chlorantimonwirkungen, s. Liquor Stibii 
chlorati oder Causticum antimoniale. 

Chlorat, alte Bezeichnung für Chlorsäure, 
s. Chloretum. Vogel. 

Chlores8ig8äurewirkungen, s. Acidum 
aceticum. 

Chloretum, die ältere Bezeichnung für die 
salzsauren (Chlor-) Verbindungen oder Chlo¬ 
ride, welche früher auch als muriatische Salze 
bezeichnet wurden, z. B. Chloretum Antimonii, 
Spiessglanzchlorid; Chloretum Ammoniae, 
Zinci, Hydrargyri. Derartige Basen und Me¬ 
talloxyde erhalten jetzt die Bezeichnung 
„chloratum“, während chloricum die chlor¬ 
sauren Verbindungen angibt. bezw. die Chlor¬ 
säure als Chlorat an gedeutet wird. Vogel. 

Chlorhydras Ammoniae. (Ph. A ), Chlor¬ 
ammonium, s. Ammonium chloratum, Sal¬ 
miak. Vogel. 

Chlorhydras morphious nennt die öster¬ 
reichische Pharmakopoe auch das salzsaure 
Morphium, s. Morphium hydrochloricum. VI. 


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CHLORINA. — CHLOROFORM. 


155 


Chlorina liquida, verflüssigtes Chlorgas. 
Chlorwasser, s. Calcaria clilorata. Vogel . 

Chlorit, von yXiopds, grün, gehört zu den 
wasserhaltigen krystallinischen Silicaten. Der 
Chlorit besteht aus Kieselsäure, Talkerde, 
Thonerde, Eisenoxydul und Wasser und kry- 
stallisirt in dünnen, sechsseitigen Tafeln. Er 
erscheint in krystallinischen, schuppigen Mas¬ 
sen, auch erdig, zeigt eine Härte =3 1—1*5, 
spec. Gew. 2*8—3, durchsichtig bis durch¬ 
scheinend, auf der Spaltfläche perlmutterglän¬ 
zend, oder auch berggrün in’s Schwärzliche 
spielend. Vor dem Löthrohr brennt er sich 
weiss. Der Chlorit bildet den Chloritschiefer, 
der oft mit Quarz gemengt deutlich geschichtet 
in den Alpen am Monte Rosa, Grossglockner, 
ferner in Schottland, im Ural vorkommt: auch 
in der Urschiefergruppe tritt Chloritschiefer 
neben Glimmer und Thonschiefer auf, dem¬ 
gemäss in der centralen Hauptkette der Alpen, 
den Salzburger Alpen, überdies auch auf Erz¬ 
lagerstätten. Loebiseh. 

Chlorkalk (Bleichkalk). Lässt man Chlor¬ 
gas auf gelöschten Kalk ein wirken, so entsteht 
hiebei unterchlorigsaurer Kalk (CaOCl 2 ) und 
Chlorcalcium (CaCl*). Der käufliche Chlorkalk ist 
ein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalk 
und Aetzkalk, er bildet ein weisses Pulver 
mit einem Geruch nach unterchloriger Säure, 
indem schon die Kohlensäure der Luft diese 
aus ihrer Verbindung mit dem. Kalk frei¬ 
macht. Die wässerige Lösung schmeckt scharf 
salzig und wirkt durch allmälige Abgabe von 
Sauerstoff schwach bleichend. Setzt man eine 
Säure hinzu, so wird die unterchlorige Säure 
frei gemacht, welche, indem sie sich in Chlor 
und Sauerstoff zersetzt, energischer bleichend 
wirkt. Versetzt man daher Chlorkalk mit Salz¬ 
säure, so zersetzt sich die frei werdende unter¬ 
chlorige Säure unter Entwicklung von Chlor. 
Der Chlorkalk findet als Bleichmittel und als 
Desinfectionsmittel, auch als Arzneimittel häufig 
Anwendung. Um grössere Räume mit Chlor¬ 
kalk zu desinficiren, streut man entweder 
den frischen Chlorkalk aus, oder stellt den¬ 
selben in offenen flachen Gefässen hin und 
feuchtet mit wenig Wasser an. Zum Anspritzen 
der Wände und Decken, sowie zum Reinigen der 
Fussböden benützt man Lösungen von 1 Th.Chlor¬ 
kalk in 10—12 Th.Wasser. Giesst manaufChlor¬ 
kalk Salzsäure oder bespritzt man die mit Chlor¬ 
kalk befeuchteten Stellen unmittelbar nachher 
mit verdünnter Salzsäure, dann kommt es 
augenblicklich zur Entwicklung von Chlor, 
während der Chlorkalk ohne Zusatz von Säure 
nur allmälig in dem Maasse, als er durch die 
Kohlensäure der Luft zerlegt wirkt, Chlor ent¬ 
wickelt. Sind in einem Raume farbige Objecte 
zu schonen, dann darf man nicht mit Chlor¬ 
kalk räuchern, weil die Chlordämpfe die Farben 
zerstören; in solchen Fällen wendet man besser 
Dämpfe von Schwefligsäure - Anhydrid an. 
Die arzneiliche Bedeutung des Chlorkalk 
s. Calcaria chlorata. Loebiseh. 

Chlormercur. Mit dieser Benennung wird 
in älteren Schriften bald CalomeL, Queck- 
silberchlorür, HgCl, bald Sublimat, Queck¬ 
silberchlorid, HgCl a , bezeichnet. Loebiseh. 


Chlornatrium, auch Natriumchlorid, Koch¬ 
salz, NaCl, findet sich in mächtigen Lagern 
meistens der Triasformation als Steinsalz, in 
Auflösung in den aus den Salzlagem ent¬ 
stammenden Salzsoolen, im Meerwasser, in 
kleinerer Menge in jedem Quellwasser. Be¬ 
rühmte Salzlager sind die von Wieliczka in 
Galizien, von Stassfurt, Reichenhall in Deutsch¬ 
land, Cordova in Spanien, Salzlager finden 
sich in Oesterreich besonders reichlich in 
Hall, Hallein, Hallstadt. Natrium und Chlor 
verbinden sich beim Erhitzen direct zu Koch¬ 
salz. Das gewöhnliche Kochsalz enthält immer 
etwas Natriumsulfat. Calciumsulfat und Mag¬ 
nesiumchlorid, die Gegenwart des letzteren 
verleiht ihm die Eigenschaft, an der Luft 
feucht zu werden. Das Chlomatrium bildet 
Würfel, es ist in heissem Wasser nicht viel 
löslicher als in kaltem; 100 Th. Wasser lösen 
bei 0° 36 Th., bei 100° 39 Th. Salz auf, es 
enthält daher eine gesättigte Kochsalzlösung 
in 100 Th. etwa 26*5 Th. Kochsalz. In ab¬ 
solutem Alkohol ist es fast unlöslich. Es 
schmilzt bei 776° und verdampft bei Weiss¬ 
glut ziemlich leicht. Wird als Speisesalz und 
Viehsalz angewendet. — Ueber die arzneiliche 
Wirkung s. Natrium chloratum. Lh. 

Chloroform, CHC1 8 , dreifach gechlortes 
Sumpfgas, entsteht bei der Einwirkung von 
Chlorkalk auf Weingeist, Aceton und andere 
organische Körper und bei der Zersetzung 
des Chlorals durch Natron- oder Kalilauge. 
Um Chloroform darzustellen, destillirt man 
3 Th. Alkohol, 50 Th. Chlorkalk und 100 Th. 
Wasser aus einer geräumigen Retorte. Das 
Chloroform geht mit den Wasserdämpfen in 
die Vorlage über, wo es sich als schweres 
Oel am Boden ansammelt. Man reinigt es 
durch Schütteln mit Schwefelsäure und nach- 
herige Destillation, es stellt eine farblose, 
ätherisch riechende Flüssigkeit von süsslichem 
Geschmack dar, welche bei 61° C. siedet, 
vom specifischen Gewichte 1*525 bei 0°. Das 
Einathmen der Dämpfe des Chloroform ver¬ 
ursacht Bewusstlosigkeit. Es löst Jod mit 
purpurvioletter Farbe auf. Mit reiner concen- 
trirter Schwefelsäure gemischt, muss Chloro¬ 
form farblos bleiben. Ein Chloroform, welches 
auf dem Wasserbade bei einer Temperatur 
von A4 0 nicht vollständig tiberdestillirt, ist 
unbrauchbar. Saure Reaction, welche das mit 
Chloroform geschüttelte Wasser annimmt, 
weist auf Salzsäure hin, Braunfärbung durch 
concentrirte Schwefelsäure ist durch einen 
Gehalt an Alkohol oder an empyreumatischen 
Stoffen bedingt. Loebiseh. 

Das Chloroform ist neben dem Bromo- 
form und Jodoform (s. d.) eines der drei¬ 
fachen Substitutionsproducte der Ethane und 
Abkömmling der dreiwerthigen Radicale 
CnHn 2—1. Da es in Ameisensäure (Acidum 
formicicum) zerfällt, gehört es zu den For- 
mylverbindungen und ist auch das wichtigste 
derselben, Formyltrichlorür, Form vl um tri- 
chloratum (Trichlormethan. CHC) 3 ). Das 

Chloroform ist jetzt neben dem Aethyläther 
therapeutisch das Hauptmittel zur Herbei¬ 
führung einer allgemeinen Gefühllosigkeit 



156 


CHLOROFORM. 


(Anaesthesie) und Bewusstlosigkeit zugleich, 
obwohl ihm durch andere Alkoholradicale, 
x. B. dem Aethylaldehyd (Aethylidenoxyd), 
Paraldehyd, Aethylendichlorür, Aethyliden- 
chlorid (s. Aethylenum chloratum) n. A. der 
erste Rang streitig gemacht worden ist; auch 
ist es an Stelle des Alkohol getreten, der 
früher den genannten Zwecken allein diente, 
denn Chloroform ist erst 1847 als anaesthe- 
sirendes Mittel erkannt worden. — Oertlich 
auf die Haut applicirt, verflüchtigt es sich 
rasch und erzeugt Verdunstungskälte, eine 
Folge, die des Chloroform preises wegen nur 
selten oder gar nicht zu Eühlungszwecken 
thierärztlich verwendet wird, auch eignet sich 
hiezu besser der noch flüchtigere Aether. Bei 
Einreibungen in die Haut darf man keine narcoti- 
sirenden örtlichen, d. h. schmerz linderndeEffecte 
erwarten, im Gegentheil irritirt und röthet es 
die Haut stark; will man daher ftusserlich 
schmerzstillend einwirken, muss es mit Oel 
oder Fett (zu gleichen Theilen) verdünnt 
werden; in dieser Weise ist Chloroform das 
beste äusserliche Narcoticum bei Erregung 
der peripheren Nerven und bedarf es auch 
keiner Beigabe narcotischer Extracte, wie es 
häufig geschieht. Desgleichen ist es den Mor- 
phinsälbchen vorzuziehen, die gar keine anal* 
gesirenden Wirkungen haben. In dieser Weise 
(oder 1:2—3 Oel) erweist sich das Mittel 
recht brauchbar bei allen äusserlichen schmerz¬ 
haften Zuständen, Rheumatismen, Entzün¬ 
dungsgeschwülsten u. dgl., selbst bei Pru¬ 
ritus. — Bei innerlicher Mediation erfolgt der 
Angriff des am besten durch Inhalation in 
den Körper geführten Mittels zunächst auf 
das Grosshirn, nachdem das Blut keine nach¬ 
weisbaren Veränderungen erlitten hat. Da 
Chloroform sich besonders dadurch auszeich¬ 
net und sich so vortrefflich verwenden lässt, 
dass auch bei völliger Anaesthesie der Thiere 
immer noch motorische Erregungen zu Stande 
kommen (Hautreflexe) und selbst nach schon 
eingetretener Lähmung der quergestreiften 
Muskelfasern, wie der glatten in den Ge- 
fässwandungen und der Pupille, doch der 
Herzmuskel und der Athraungsapparat noch gut 
fortfunctioniren, so geht daraus hervor, dass 
die sensiblen Nervenzellen der grauen Sub¬ 
stanz der beiden Hirnlappen zunächst ge¬ 
troffen werden und erst später die motorischen 
und reflexvermittelnden Gehirnzellen (zum 
Unterschied von den Nervenfasern), sowie die 
spinalen Ganglien; die Chloroformnarcose 
hat somit noch nichts Beängstigendes, wenn 
auch schon die Hautreflexe erloschen sind, es 
beweist diese letztere Erscheinung vielmehr 
nur, dass die Bewusstlosigkeit nunmehr eine 
vollständige und damit auch genügende ist. 
Sonach hat diese künstlich geschaffene Nar- 
cose viele Aehnlichkeit mit dem natürlichen 
Schlafe, wo ebenfalls die motorische Erreg¬ 
barkeit fortdauert. Letztere erlischt beim 
Chloroform schlafe zuletzt auf der Cornea und 
in der Nasenschleimhaut, es kann daher die 
Narcose ganz wohl so lange fortgesetzt wer¬ 
den, bis die Thiere überhaupt auf äusßere 
Reize (Nadelstiche) nicht mehr reagiren; 


Gefahr tritt erst dann ein, wenn das gegen 
Chloroform äusserst widerstandsfähige Herz 
ebenfalls engagirt worden ist, was sich alsbald 
durch grosse Verlangsamung und Unregelmäs¬ 
sigkeit des Pulses kundgibt, sowie durch 
immer seichter werdendes Athmen. Um sicher 
zu gehen, lässt man sich am besten die Puls- 
schläge laut vorzählen und behält die Tiefe 
und Regularität der Respirationszüge auf der 
Höhe der Anaesthesie im Auge. Ebenso gibt 
auch die Pupille Anhaltspunkte, denn diese 
ist während der vollen Bewusstlosigkeit stark 
verengt, eine in diesem Stadium erfolgende 
allmälige Erweiterung signalirt aber Gefahr. 
Eine Todesdosis lässt sich bei den einzelnen 
Hausthieren nicht angeben, denn die Empfäng¬ 
lichkeit variirt sehr und geht auch bei der 
Application eine verschiedene Menge ver¬ 
loren. Der Tod erfolgt durch Synkope, geht 
also vom Herzen aus, es kann aber auch 
früher schon das Respirationscentrum gelähmt 
werden, denn die Ganglien des Myocardiums 
arbeiten meist noch fort, auch wenn das Ge 
hirn und verlängerte Mark bereits der Para¬ 
lyse verfallen sind. Merkwürdig ist auch 
beim Chloroform (wie beim Chloralhydrat, 
Opium und Alkohol), dass der Betäubung 
stets eine primäre Erregung vorhergeht und 
erst beim Ansteigen der Narcose eine all¬ 
mälige Verlangsamung der Circulation und 
Athmung Eintritt. Welche Vorgänge inner¬ 
halb der Nervenzellen der grauen Hirnsub¬ 
stanz stattfinden, konnte noch nicht eruirt 
werden, die Veränderungen sind aber wahr¬ 
scheinlich nicht anatomischer Art, denn schon 
5—20 Minuten nach Aufhören des Chloro- 
formirens erfolgt das Erwachen, ohne dass 
irgend eine Alteration des Befindens der 
Thiere nachweisbar wäre, wohl aber kommt 
es offenbar zu chemischen Veränderungen, 
sofern die Eiweisskörper grössere Neigung 
zum Zerfall zeigen und auch in der Art be¬ 
einflusst werden, dass bei chloroformirten 
Thieren z. B. das Myosin in geronnenem Zu¬ 
stande an^etroffen wird. Letzterer Umstand 
ist auch die Ursache der früher eintretenden 
Muskelstarre nach dem Tode, wo nach Chloro¬ 
form charakteristische anatomische Zeichen 
nicht zu finden sind. — Klinische Anwen¬ 
dung findet das Mittel trotz seiner hervor¬ 
ragenden Eigenschaften relativ wenig in der 
Thierheilkunde, namentlich seit man gegen 
die verschiedenen nervösen Erregungszustände 
noch andere treffliche Mittel hat, wie Morphin, 
Chloralhydrat, Bromkaliura, mit denen auch die 
meisten krampfhaften Affectionen bekämpft wer¬ 
den (s. Chloralum hydratum). Unübertroffen 
steht jedoch Chloroform da als Anaestheticum bei 
chirurgischen Operationen, zu welchem Behufe 
es am besten durch Inhalation dem Blute 
zugeführt wird, u. zw. entweder pur oder mit 
dem etwas milder vorgehenden Aether (1 Chlo¬ 
roform, 2—5 Aether). Kleinere Thiere lässt 
man bei übergehaltenem Taschentuche direct 
aus dem Medicinglase einathmen, grösseren 
Thieren steckt man einen mit der Flüssig¬ 
keit getränkten kleinen Schwamm in eine 
der Nasenöffhungen oder man hat hierzu be- 



CHLOROFORMIUM. — CHLORWASSERSTOFFSÄURE. 157 


sondere Apparate, bei denen aber stets das 
gleichzeitige Inspiriren von genügender at¬ 
mosphärischer Luft gesichert sein muss. Die 
weiteren Sicherheitsin assregeln sind schon 
angedeutet worden. Für die grossen Haus¬ 
siere hält man etwa 50—100 g bereit, bei den 
kleineren genügen schon 10—15 g. Hunde sind 
empfindlicher als die Herbivoren, doch weni¬ 
ger als der Mensch, Katzen tolerircn aber so 
wenig das Mittel, dass man sie lieber gar 
nicht chloroformirt. Je kleiner die Thiere, 
desto grösser die Vorsicht; die Annahme je¬ 
doch, dass Aether minder gefährlich sei, ist 
keine ganz richtige, denn Aether lässt nur 
länger auf seine Vollwirkung warten und er¬ 
zeugt auch kürzere Narcosen. Die Betäubung 
tritt bald ein, denn schon nach 5—10 Minuten 
tritt Bewusstlosigkeit ein, deren Dauer sich 
nach dem Einzelfalle zu richten hat; sie kann 
sich selbst auf eine Stunde erstrecken; in 
letzterem Falle ist das Vorausschicken einer 
vollen Dose Morphin subcutan anzurathen, 
um dann erst (nach 5—8 Minuten) durch 
Chloroform die Betäubung auf den gewünsch¬ 
ten Grad zu steigern und auf demselben zu 
erhalten. Subcutane Einspritzungen sind eben¬ 
falls üblich, der Localeffect ist nicht zu 
fürchten, wie beim Chloral; vielfach werden 
daher (mit Branntwein verdünnte) Chloro¬ 
formdosen sogar tracheal verwendet. Manche 
Praktiker verlassen sich, um sicher zu gehen, 
ganz auf das oben genannte Verhalten des 
Schlafes, noch sicherer ist aber immer die 
Art der Athmung und der Rhythmus des 
Pulses. Beginnt letzterer aufzuhören, muss 
jedes weitere Inhaliren ausgesetzt werden und 
ist Lebensgefahr eingetreten, sorgt man als¬ 
bald für energische Reizung der Hautnerven 
(am besten mit kaltem Wasserstrahl, Einrei¬ 
bungen mit Ammoniak), Einleitung künst¬ 
licher Respiration, Hervorziehen der Zunge 
u. s. w., vorsichtige Strychnin- oder Kampher- 
gaben können ebenfalls versucht werden. 
Gegen Krampfwehen hat sich Chloroform 
nicht sehr zuverlässig erwiesen, indem die 
Contractionen fortdauern, auch wenn Betäu¬ 
bung schon eingetreten, doch haben sie 
wesentlich an Intensität verloren (s. auch 
Chlor alum). Vogel. 

Chloroformium, s. Chloroform. 

Chlorophyll (Blattgrün, Pflanzengrün), die 
Ursache der grünen Farbe der Pflanzen, in 
denen es an Protoplasma gebunden und in 
geringer Menge vorkommt, u. zw. selten gleich- 
mässig vertheilt, meist in Körnern, welche 
aus einem eiweissartigen Stoff mit einer sehr 
geringen Menge Chlorophyll bestehen. Den 
Chlorophyllkörnern kann der Farbstoff durch 
90% Alkohol entzogen werden. Die alkoholi¬ 
sche Lösung des Chlorophyll ist grün im 
durchfallenden Lichte, bei starker Concen- 
tration roth und zeigt eine blutrothe Fluor- 
escenz. Charakteristisch für die Lösung des 
Chlorophylls ist dessen Absorptionsspectrum. In 
verdünnter Lösung zeigt sich im mittleren 
Roth ein schwarzer Streifen, ein zweiter im 
Beginn von Gelb, ein dritter im Grüngelb, 
ein vierter ira Grün. Schüttelt man eine al¬ 


koholische Chlorophyllösung mit Ligroin, so 
geht vorzugsweise blaues Kyanophyll über, 
während im Alkohol gelbes Xantophyll zurtick- 
bleibt, das Blattgrün bestände demnach aus 
einem Gemische zweier Farbstoffe. Von 
höchster Wichtigkeit für das gesammte or¬ 
ganische Leben der Natur ist die Function, 
welche dem Chlorophyll zukommt, indem es 
die Pflanze befähigt, aus der in der Atmo¬ 
sphäre vorhandenen Kohlensäure den Sauer¬ 
stoff abzuscheiden und den Kohlenstoff zu 
assimiliren, d. h. zu einem Bestandtheil der 
Pflanze umzuwandeln. Mittelst des Chloro¬ 
phylls unter Mitwirkung des Sonnenlichtes 
zerlegt also der Pflanzenorganismus die Kohlen¬ 
säure in Kohlenstoff und in Sauerstoff. Zur 
Erklärung dieser Rolle des Chlorophylls nimmt 
man an, dass dem Chlorophyll die Fähigkeit 
zukommt, Lichtstrahlen in ihrem Brechungs- 
verraögen zu verändern und hiedurch Kraft 
disponibel zu machen, durch welche zunächst 
Kohlensäure im Chlorophyllapparat lo9e ge¬ 
bunden wird. Diese lockere Verbindung soll 
nun durch Einwirkung des Sonnenlichtes in 
der Weise zerlegt werden, dass einerseits das 
Chlorophyll regenerirt wird und andererseits 
ein Kohlehydrat oder ein Kohlenwasserstoff 
entsteht. Das Chlorophyll selbst entwickelt 
sich nur in den dem Lichte ausgesetzten 
Pflanzentheilen, es ist eisenhaltig und bedarf 
Eisen zu seiner Bildung; fehlt dieses, so 
werden die Pflanzen bleichsüchtig. Manche 
giftige und bittere Substanzen, welche in der 
am Sonnenlicht wachsenden grünen Pflanze 
Vorkommen, verschwinden, wenn man die 
Pflanze im Dunkeln aufzieht, so z. B. der 
Bitterstoff des wildwachsenden Spargels, wenn 
man den Spargel im Dunkeln cultivirt. Lh. 

Chlorräucherungen, s. Calcaria chlorata. 

Chlorsäure, HC10 3 , Acidum chloricum, 
eine Sauerstoffsäure des Chlors, nur in wäs¬ 
seriger Lösung als freie Säure bekannt. Die 
chlorsauren Salze entstehen neben den Chlo¬ 
riden, wenn man auf einige Metallhydrate 
Chlor in der Wärme einwirken lässt. So 
bilden 

6 KOH + 6 CI = 5 KCl + 

Kaliumhydroxyd Chlor Kaliumchlorid 
KC10 a + 3 H a O 

Chlorsaures Kalium. 

Zersetzt man in Wasser lösliches chlorsaures 
Barium mit Schwefelsäure, so fällt unlöslicher 
schwefelsaurer Baryt nieder und man erhält 
die Chlorsäure in wässeriger Lösung. Im 
Vacuum concentrirt stellt die Lösung eine 
syrupartige Flüssigkeit dar, welche stark 
oxvdirend wirkt und sich schon bei 40° in 
Sauerstoff und Ueberchlorsäure zersetzt. Das 
chlorsaure Kalium dient zur Darstellung des 
Sauerstoffes und als Heilmittel. Loebisch. 

Chlorsäure# Kali, Wirkungen desselben, 
s. Kalium chloricum. 

Chlorum solutum, s. Aqua chlorata unter 
Calcaria chlorata. 

Chlorwasser und seine therapeutische An¬ 
wendung, s. Calcarhv chlorata. 

Chlorwasserstoffsäure, C1H, Salzsäure. 
Acid. hydrochloric. vcl muriaticum, ist eine 


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158 


CHLORZINK. — CHOCOLADE. 


Wasserstoffsäure des Chlors, entstanden durch 
die Verbindung von Chlor mit Wasserstoff; 
sie kommt im freien Zustande in geringer 
Menge in den vulcanischen Gasen vor, ferner 
im Magensaft der Menschen und Säugethiere. 
Sie entsteht durch Vereinigung von CI- und 
H-Gas unter dem Einfluss des directen Sonnen¬ 
lichtes oder chemisch wirksamer Strahlen, 
auch durch Einwirkung von Chlor auf Wasser 
und auf wasserstoffhältige organische Stoffe. 
Im Grossen wird die Salzsäure jedoch dar¬ 
gestellt, indem man Kochsalz durch Schwefel¬ 
säure zersetzt: S0 4 H 9 -j- 2 ClNa = S0 4 Na 9 -f- 
2 C1H, hiebei bildet sich schwefelsaures Na¬ 
trium und gasförmige Salzsäure. Letztere ist 
ein farbloses Gas, welches an der Luft starke 
Nebel bildet. Sobald nämlich die Chlorwasser¬ 
stoffsäure mit Luft in Berührung kommt, 
zieht sie die in der Luft stets vorhandenen 
Wasserdämpfe an und bildet mit diesen kleine 
Bläschen — Nebel. Die C1H ist in Wasser 
sehr löslich und bildet damit eine stark saure 
Flüssigkeit vom spec. Gew. 1*2, welche im 
Handel Salzsäure heisst, an der Luft raucht 
und 40% Chlorwasserstoffsäure enthält. Die 
wässerige verdünnte C1H wird in der Medicin 
angewendet, sie löst viele Metalle unter Bil¬ 
dung von Chloriden. Auf Quecksilber, Silber, 
Gold und Kupfer wirkt sie nicht ein; mit 
löslichen Silbersalzen — Silbernitrat,—erzeugt 
sie eine Fällung von unlöslichem Chlorsilber. 
Die pharmacodynamische Verwendung s. Aci¬ 
dum hydrochloricum. Loebisch. 

Chlorzink, sein therapeutisches Verhalten 
und seine chirurgische Bedeutung, s. Zincum 
chloratum. 

Chtnel G. (1747—1806) studirte Thier¬ 
heilkunde in Wien, war Lehrer der Thierheil¬ 
kunde in Lemberg, schrieb 1787 über die Leber¬ 
egelseuche und über den Genuss des Fleisches 
kranker und gesunder Thiere. Semnur. 

Choanen (choanae, von yodvY), Trichter) 
sind die hinteren (oberen) Nasenöflhungen, 
welche vom Grund der Nasenhöhlen in den 
Schlundkopf führen (s. Nasenhöhlen). Sie 
werden aussen durch die Gaumen- und Flügel¬ 
beine begrenzt, innen durch das Pflugschar¬ 
bein und durch die knorpelige Nasenscheide¬ 
wand von einander getrennt. Jede Choane 
hat bei den Pferden eine länglich ovale 
Form, etwa 7 — 8 cm Länge und 3—3 * 5 cm 
Breite. Bei den übrigen Hausthieren sind diese 
Oeflhungen verhältnissmässig länger, schmäler 
und tiefer. Müller. 

Chocolade. Ein Fabricat, welches recht¬ 
lich aus den enthülsten Bohnen des Cacao- 
baumes, unter Zusatz von Zucker und ver¬ 
schiedenen Gewürzen, mit Ausschluss aller 
sonstigen Zusätze, wären diese auch unschäd¬ 
lich, bereitet sein soll. Die Cacaobohne, kurz¬ 
weg auch Cacao genannt, ist der Same der 
gurkenähnlichen Frucht des auf den sundi- 
schenund philippinischen Inseln angebauten, in 
Mittelamerika heimischen Baumes Theobroma 
Cacao Linne. Die Bohnen werden entweder 
an der Luft oder an der Sonne getrocknet (ordi¬ 
näre Sorten) oder, wie dies in Caracas der Fall 
ist, in Haufen gew orfen, mit Erde zugedeckt, 


einer gelinden Gährung unterworfen und erst 
dann getrocknet. Durch letzteres Verfahren 
verlieren die t Bohnen einen Theil ihres Bit¬ 
terstoffes und werfen beim Rösten leicht ihre 
Hülsen ab. Zur Beurtheilung der Qualität der 
Cacaosorten dienen folgende Anhaltspunkte: 
die dunkelbraunen und rauhen Bohnen sind 
werthvoller als die hellfarbigen und glatten, 
die Hülse derselben soll möglichst erhalten, 
die Mandel voll, von rötlicher Farbe im In¬ 
nern, von mässig bitterem Geschmack und 
geruchlos sein. Das Chocolade- oder Cacao- 
pulver des Handels ist schon ein Product der 
gerösteten Bohne, welches grossen Fälschun¬ 
gen ausgesetzt wird, indem man es theils von 
Fett befreit, theils durch Zusatz von Mehl, 
Stärke und* Zucker eine unrechtmässige Ge¬ 
wichtsvermehrung desselben herbeiführt. 

Echte Cacaomasse enthält sämmtliche 
chemischen Bestandteile der Cacaobohne, we¬ 
niger die der Schalen: 43—53% Fett (Cacao- 
butter und Spuren von flüchtigem Oel), 
3*46 Cacaoroth, .10—18% Stärke und Gummi. 
13% Pflanzeneiweiss und 1 *5 % Theobromin. 
Durch diesen hohen Gehalt an Fett, Stärke 
und Eiweiss erhält die Cacaomasse einen 
hohen Nährwerth und durch ihren Gehalt 
an dem Alkaloid Theobromin, welches mit 
dem Thein nahe verwandt ist, wirkt sie auch 
ähnlich dem Thee und Kaffee als gelind er¬ 
regendes Genussmittel; auch die geringen 
Mengen flüchtigen Oeles, welche sich beim 
Rösten der Cacaobohnen entwickeln und 
diesen das eigentümliche Aroma verleihen, 
tragen zur erregenden Wiikung der Chocolade 
bei. Die Zusätze, welche die Cacaomasse be¬ 
hufs Herstellung einer billigen Chocolade 
erfährt, sind zum Theil gesundheitsschädlich, 
zum Theil nicht. Als Zusatz müssen wir auch 
die Hülsen der Cacaobohne betrachten, 
welche, da sie 11—12% der Bohne betragen, 
in grosser Menge zur Erzeugung mittlerer 
Chocoladesorten verwendet werden, zum 
grössten Theile werden diese übrigens in Irland 
zur Darstellung eines Getränkes verwendet, 
welches durch Zusatz von Hülsenfrüchten 
nahrhaft gemacht wird. Um den Zusatz von 
Hülsen in einer Chocolade zu erkennen, 
bedarf es der Kenntniss der mikroskopisch-ana¬ 
tomischen Structur der Schale. Um mit dem 
Mikroskop zu prüfen, muss man erst die 
im Wasser löslichen Bestandteile aus der 
Chocolade auswaschen, abfiltriren, den Rück¬ 
stand trocknen und mit Aether das Fett 
ausziehen. Man erkennt dann die Cacaohülsen 
an dem braunen grosszelligen Gewebe, wel¬ 
ches eine Menge Spiralfasern enthält. Der 
Cacao zeigt ein kleinzelliges Gewebe, ange¬ 
füllt mit runden Stärkemehlkörperchen, welche 
20—25mal kleiner sind als die der Mehl¬ 
arten, weshalb man sie zweckmässig bei 
300—500maliger Vergrösserung untersucht. 

Die unverfälschte echte Chocolade 
wird aus den enthülsten Bohnen ohne jeg¬ 
lichen Zusatz in der Weise bereitet, dass man 
die grob gestossenen Bohnen in einem eiser¬ 
nen Kessel bei mässiger Wärme mit einer eiser¬ 
nen Keule so lange zerreibt, bis sie zu einem 



CHOLÄMIE. 


159 


ganz zarten Brei geworden, welchen man in 
Formen von Weissblech vertheilt und darin 
erhärten lässt; sie stellt eine braunrothe, 
feste Masse dar, welche im Munde leicht 
zergeht, ohne dabei schleimige oder sandige 
Stoffe zurückzulassen und schwach aromatisch 
bitter schmeckt. Die eben geschilderte Cho- 
colademasse wird auch als Gesundheits- 
chocolade bezeichnet. Als Vanillen- 
chocolade wird eine Masse angeführt, 
welche 4 g Vanille auf 1 kg. Chocolade ent¬ 
hält. In neuerer Zeit wurde der Versuch ge¬ 
macht, gesetzlich Chocolade. als eine Mi¬ 
schung zu normiren, deren Muttersubstanz 
allerdings die oben geschilderte echte Choco¬ 
lade bildet, welche aber ausserdem an Zu¬ 
sätzen neben Gewürzen und Zucker noch 
Stärke, Mehl, Traganth, Salep u. dgl enthält 
(Griessmayer). Als Beispiel für die Zusammen¬ 
setzung von Chocolade-Compositionen führen 
wir an: Kaiffa, bestehend aus 500 Cacao, 
750 Salep, 1000 Sago, 1250 Reismehl, 
250 Grütze, 250 Moosgallerte, 6000 Zucker 
und 50 Vanille. Die reinen Chocoladen bei 
uns enthalten 15—20% Fett, 2% Asche und 
wenigstens 0*3% Theobromin; durch den 
Vergleich dieser Zahlen mit den oben für 
reine Cacaomasse gegebenen lässt sich die 
Verdünnung ersehen, welche die Cacaomasse 
durch die Zusätze erfahren hat. 

Die häufigsten Verfälschungen der Cho¬ 
colade sind nun: 1. Die Verwendung einer 
Cacaomasse, welcher das natürliche Fett — 
die Cacaobutter — entzogen wurde, zur Her¬ 
stellung der Chocolade. Als Ersatz wird 
Wachs, Stearin, Paraffin, Hammel- und 
Rindertalg verwendet. Diese Fälschung lässt 
sich mit Sicherheit dadurch erkennen, dass 
man die zerriebene Chocolade mit Aether 
behandelt und in gelinder Wärme verdunsten 
lässt. Das reine Cacaofett verbleibt hiebei 
als weisse, feste und spröde Masse, deren 
Schmelzpunkt bei 34° C. liegt. Fremde Fett¬ 
stoffe müssen dann durch specielle Reactionen 
identificirt werden. 2. Es werden der Cho¬ 
colade Getreide- und Hülsen fruchtmehle, 
Kartoffelstärkemehl in verschieden grosser 
Menge beigefügt. Diese Fälschung kommt 
dem Geschmacke des Publicums nach einem 
Getränke entgegen, welches möglichst dick 
sein soll, während reine Chocolade dünn¬ 
flüssig ist. Mehlhaltige Chocolade läuft sehr 
langsam durch's Filter, auf diesem bleibt ein 
förmlicher Kleister zurück. Der Nachweis der 
zugesetzten Mehlsorte wird mittelst des Mi- 
kroskopes geliefert durch Auffinden der für 
die verschiedenen Mehle charakteristischen 
Stärkekörner (8. Amylura). 3. Als Verfälschungen 
mineralischer Art wurden in der Chocolade aufge¬ 
funden: Kreide, Gyps, Schwerspath, Ziegel¬ 
mehl, Zinnober, Eisenocker, Bolus armenicus. 
Die echte Chocolade liefert nur sehr wenig 
Bodensatz, der sich auch nur sehr langsam 
abscheidet. Nach König deutet mehr als 
3*56% Aschengehalt der Chocolade stets 
auf einen Zusatz von Mineralstoffen. 4. Als 
Verfälschung von geringerer Tragweite wird 
auch der Ersatz der theueren Vanille in der 


Chocolade durch billige Gewürz- und Riech¬ 
mittel — Perubalsam, Benzoeharz etc. geübt. 
Es gehört demnach die Chocolade zu den am 
häufigsten gefälschten Genussmitteln, ja es 
kommen sogar Chocoladen in Handel, welche 
ohne Cacao blos aus grobem Schiffszwieback. 
Kleienmehl und Ziegelsteinstaub bereitet 
wurden. Auf die Gegenwart von Cacao in 
einer Chocolade prüft man durch den Nach¬ 
weis des Alkaloides desselben, des Theo- 
bromins (s. d.). Loebisch. 

Cholämie (von /oXy;, Galle, und aijxa, 
Blut). Vergiftung des Blutes mit Galien- 
bestandtheilen, Gallenfarbstoffen, Gallensäuren 
und Gallensalzen. Die mit der Cholämie ver¬ 
bundene Gelbfärbung der Gewebe wird als 
Gelbsucht bezeichnet (s. Icterus). Die Cho¬ 
lämie kann entstehen durch Resorption der 
schon gebildeten Galle bei behindertem Ab¬ 
fluss, oder durch übermässige Gallenproduction, 
oder durch gehinderte Leberfunction. Bei be¬ 
hindertem Gallenabfluss in den Darm wird 
die Galle von den Lymph- und Blutgefässen 
aufgenommen und so ins Blut gebracht. Die 
Ursachen des behinderten Gallenabflusses sind: 
Katarrhalische Schwellungen der Schleimhaut 
der Gallenausführungsgänge, Verengerungen 
oder Verschluss derselben durch Neubildungen, 
Gallensteine, Concremente und Parasiten 
(Leberegel, Spulwürmer), behinderte Athem- 
bewegungund aufgehobener Druck des Zwerch¬ 
fells auf die Leber, Verminderung der Vis a tergo 
durch Abnahme des Seitendrucks in den Pfort¬ 
aderverzweigungen durch Thrombose der Pfort¬ 
ader und der Interlobularvenen. Die Folgen 
des behinderten oder aufgehobenen Gallen- 
abflu8scs in den Darm sind zunächst Ver¬ 
dauungsstörungen, behinderte Resorption der 
Fette, Abmagerung, die Fäces verlieren ihre 
braune Farbe und werden je nach der auf¬ 
genommenen Nahrung blassgrau oder hell¬ 
grün, übelriechend. Der Uebertritt der Galle 
aus den überfüllten Gallengängcn in die 
Lymphbahnen erfolgt schon einige Stunden 
nach Eintritt des Hindernisses. Das Blut ent¬ 
hält schon in den ersten 24 Stunden, der 
Harn nach 48 Stunden Gallenfarbstoffe und 
nach einigen Tagen erfolgt deutliche Gelb¬ 
färbung der sichtbaren Schleimhäute und der 
Sclerotica (Icterus). Sämmtliche Gewebe, auch 
die Knochen und Zähne, am meisten aber die 
Leberzellen und die Epithelien der Harn- 
canälchen werden mit Gallenfarbstoffen in- 
filtrirt und verfallen nachher der albuminösen 
Trübung und Fettmetamorphose. Auch sämmt¬ 
liche Körperflüssigkeiten, Secrete, Excrete 
und Transsudate, sind gelb gefärbt, und ein 
Theil der Gallenfarbstoffe wird beständig 
durch den Harn und Schweiss abgeführt. 
Weit nachtheiliger noch als die Gallenfarb¬ 
stoffe wirken die Gallensäuren im Blute. Die¬ 
selben lösen zunächst die rothen Blutkörperchen 
auf und wirken weiterhin nachtheilig auf das 
Muskel- und Nervensystem. Die Muskel- 
thätigkeit wird abgeschwächt oder ganz ge¬ 
lähmt, die Herzcontractionen und Athoinzüge 
werden verlangsamt, die Temperatur sinkt 
unter die Norm. Die Affection des centralen 



160 CHOLAGOGA. 


Nervensysteme manifestirt sich durch Apathie, 
Ooma, Sopor nach vorübergehender Aufregung 
(bis zur Tobsucht). Ein Theil der Gallen¬ 
säuren wird ebenfalls durch Harn und Schweiss 
eliminirt. Der Cholesteringehalt des Gehirns 
und Blutes nimmt bei der Cholämie zu, da 
das Cholesterin nicht mehr in gehöriger Weise 
mit der Galle in den Darm ab geführt werden 
kann. Der Verlauf der Cholämie ist acut oder 
chronisch und endet mit Genesung oder Tod 
durch Einwirkung der Gallenfarbstoffe und 
Gallensäuren auf die Gewebe und das Blut, 
durch Störung der Leberfunction und der 
Muskel- und Nerventhätigkeit. Bei Sectionen 
findet man sämmtliche Gewebe, besonders die 
Drüsenzellen, mit körnigem Zellenpigment in- 
filtrirt, Pigmentkörnchen im Blut, Fett¬ 
degeneration der Muskeln und Drüsen. Die 
Prognose ist bei vorübergehender Cholämie, 
wie sie z. B. als Begleiterscheinung der In¬ 
fluenza bei Pferden auftritt, günstig, bei 
selbständiger Cholämie der Schafe, Hunde 
und Schweine ungünstig. 

Therapie. Abführmittel, Calomel, dop¬ 
peltkohlensaure Salze, Brechmittel, Senfteige 
auf die Lebergegend, Bewegung. 

Literatur i Allgemeine Pathologie von W»gner, 
Cohnheim, Stricker, Sarooel KOhne etc. Sr. 

Cholagoga, gallentreibende Mittel. Von 
jeher hat man geglaubt, annehmen zu müs¬ 
sen, es existiren bestimmte Arzneistoffe, welche 
eine besondere Beziehung zur Leber haben 
und damit auch in directem Zusammenhang 
mit der Gallenbereitung zu bringen seien; 
man hat sie deswegen auch Lebermittel, He- 
patica, genannt: als solche gelten besonders 
einige gelbaussehende und dabei bittere Mittel, 
z. B. die Aloö, das Rheum, das Leberkraut 
und andere Pflanzen aus der Ordnung der 
Lebermoose (Muscineae, Hepaticae), sowie 
Jalape, Bitterklee, Taraxacum , Bryonia, 
Glaubersalz, Bittersalz, Calomel, Tartarus u. a. 
Man sieht, unter diesen Stoffen figuriren be¬ 
sonders auch solche, die Abführen erzeugen, 
und es ist noch nicht lange her, dass man 
überhaupt einem Medicamente cholagoge Wir¬ 
kungen vindicirte, wenn nach seinem Ge¬ 
brauche stark gallige, lettige Färbung der 
Darmentleerungen auftrat. Letztere Annahme 
ist nun eine durchaus irrige, wie auch Erhöhung 
der Darraausscheidung noch lange nicht gleich¬ 
bedeutend mit Verstärkung der Gallensecre- 
tion ist, dagegen kann jetzt nicht geleugnet 
werden, dass es in der That gewisse Mittel 
gibt, w elche es ganz besonders auf das gallen¬ 
bereitende Organ abgesehen haben, denn man 
findet sie hier wieder notorisch vor, sie ver¬ 
weilen in der Leber kürzere oder längere 
Zeit, indem diese ein Lieblingsdepot für sie 
ist, während andere Organe von ihnen unbe¬ 
rührt bleiben. So ist dies der Fall mit dem 
Alkohol, dem Phosphor, den meisten Metall¬ 
salzen, dem Icterogen der Lupinen u. s. w., 
welche auch vorzugsweise oder ausschliesslich 
in der Leber krankhafte Veränderungen her- 
vorrufen (fettige Entartung, gelbe oder rothe 
Atrophie). Ferner hat man die Erfahrung ge¬ 
macht, dass sie bei einzelnen Leberkrankhei¬ 


ten, Gallenstörungen, Gelbsüchten gegenüber 
anderen Mitteln auffällig gute Dienste leisten. 
Allerdings hat man stricte Beweise für die 
heilsamen Wirkungen auf die Leber nicht bei¬ 
zubringen vermocht und schliesslich auch ge¬ 
funden, dass gerade icterische Zustände in den 
meisten Fällen mit gar keiner Erkrankung der 
Leber in causalem Zusammenhang Btehen, 
man ist daher in der letzten Zeit in das 
andere Extrem verfallen und hat eine Einwir¬ 
kung der Arzneimittel auf die Gallensecretion 
geleugnet oder sie nur indirect zugegeben. 
Erst die Experimentation der neuesten Zeit 
hat darüber Licht verbreitet und bestimmte 
Nachweise geliefert. Zuerst war es Pescho- 
lier, welcher 1876 bei Thieren gefunden, dass 
manche Substanzen, in erster Linie die Ipe- 
cacuanha, in toxischen Gaben, die Zuckerbil¬ 
dung in der Leber cessiren machen, andere sog. 
Lebermittel aber, wie Calomel, mit der Gallen¬ 
bereitung oder Ausscheidung gar nichts zu 
thnn haben. Später, 1879, hat dann Ruther¬ 
ford durch seine interessanten Thierversuche 
festgestellt, dass es allerdings specifische 
Gallenmittel gäbe, aber wohl zu unterscheiden 
sei, ob die Leber unmittelbar getroffen werde, 
also die cholagoge Wirkung als eine directe 
Action auf die Leberacini, bezw. auf die 
Leberinnervation aufzufassen sei oder der 
unzweifelhaft vorliegende gallentreibende 
Effect nur ein secundärer sei, entstanden 
durch reflcctorische Wirkungen von Seiten 
der gereizten Darmschleimhaut und des damit 
verbundenen gesteigerten Hinflutens von Blut 
auch nach der Leber. Die Beweise für erstere 
Aufstellung sind von ihm dadurch erbracht 
worden, dass einzelne Arzneimittel, wie das 
phosphorsaure Ammonium, das benzoösaure 
und salicylsaure Natrium, die Brechwurzel u. s.w. 
eine Steigerung der gesammten Leberthätig- 
keit hervorbringen, ohne einen erheblichen 
Einfluss auf die Intestinalschleimhaut auszu¬ 
üben; er hat diese Mittel, zu denen auch die 
Salpetersäure und das Königswasser gehören, 
deswegen Hepatic. stimulants genannt; das¬ 
selbe ist der Fall bei dem Podophyllin, so- 
ferne cs nur in ganz kleinen' Dosen gegeben 
wird, denn die cholagoge Wirkung hört als¬ 
bald auf, sobald Purgiren eintritt. Ausser¬ 
dem ist nachgewiesen worden, dass die Gal¬ 
lenbereitung gar nicht alterirt zu werden 
braucht, auch wenn ein vermehrter Blutzu¬ 
fluss nach der Leber stattfindet. Den Beweis 
hiefür lieferte insbesondere das Ricinusöl, 
welches, wie bekannt, eine prononcirte Er¬ 
weiterung der Darmcapillaren und damit eine 
Hyperämie auch im gesammten Pfortader¬ 
systeme veranlasst, mit der Gallenausschei¬ 
dung aber gar nichts zu schaffen hat, im 
Gegentheil diese notorisch vermindert. Dass 
es ferner Arzneimittel gibt, die auf das Leber¬ 
parenchym direct einwirken, geht daraus her¬ 
vor, dass zum Unterschied von den die Leber 
reizenden Stoffen die Leberthätigkeit herab¬ 
gesetzt wird, die Gallenabsonderung also eine 
Beschränkung erfährt. In diese Kategorie von 
Lcbermitteln gehören jetzt der Salmiak und 
das Calomel, ebenso das essigsaure Blei und 


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CHOLAGOGA. 


161 


in gelindem Grade, wie schon erwähnt, das 
Olenm Ricini; merkwürdigerweise zählt hie- 
her nach Rutherford auch das Bittersalz, 
während das so nahe verwandte Natriumsulfat 
ein ungemein sicheres und kräftig wirkendes 
Cholagogum ist Aus diesen Untersuchungen 
resultirt nun, dass die früher bestandene 
Ansicht von der Existenz gallentreibender 
Mittel doch ihre Berechtigung hatte, wenn 
sie auch nur auf rein therapeutische Erfah¬ 
rungen basirt war und ein grosser Theil der 
hieher gerechneten Arzneimittel gestrichen 
werden muss, wie namentlich Taraxacum, 
Trifolium fibrinum und Calomel, während den 
anderen sog. Lebermitteln nur indirect chola- 
goge Wirkungen zukommen, insoferne sie 
primär eine Reizung der Darmwand, der 
Drüsencomplexe derselben und damit auch 
des benachbarten Pfortadergebietes erzeugen. 
Dies gilt nach Rutherford nunmehr von der 
Alo6, Jalape. den Coloquinthen, dem Rheum, 
Colchicum, Glaubersalz, Doppelsalz, Tartarus, 
dem phosphorsauren Natrium, sowie dem Iri- 
din, Evonymin, Juglandin und anderen Stoffen. 
Da mit der abführenden Wirkung dieser Mit¬ 
tel auch eine Vermehrung der Darmperi¬ 
staltik nothwendig verbunden ist, so muss 
wahrscheinlich ein Theil der oft so günsti¬ 
gen Wirkungen beim Icterus auf Rech¬ 
nung des Umstandes geschrieben werden, dass 
an der Mündung des Lebergallenganges be¬ 
findliche Hindernisse des Galleneintritts in 
das Darmrohr mechanisch fortgeschafft wer¬ 
den; man wird daher gut thun, Gallenabson¬ 
derung von Gallenexcretion scharf ausein¬ 
anderzuhalten. Ausserdem darf für praktische 
Zwecke nicht ausser Acht gelassen werden, 
dass ein gewisser Gegensatz zwischen der 
Secretion der Leber und der des Darms be¬ 
steht und dass viele dieser Mittel nur cholagog 
sind, wenn sie in Purgirdosen zur Anwendung 
kommen, keineswegs aber darf aus einer 
stärkeren Gelbfärbung der Defäcationen eine 
gallentreibende Action der zuvor gegebenen 
Arzneimittel entnommen werden. Gallenfarb¬ 
stoffe können im Darmkothe auch dadurch 
stärker auftreten, dass, wie Wasilieff darge- 
than hat, das Bilirubin und Biliverdin im 
Darmcanal nicht grösstentheils zerstört wird, 
wie dies durch die hier stattfindende Fäulniss 
normalerweise zu geschehen hat; werden daher 
Medicamente . gegeben, welche diesen Fäul- 
nissprocess inhibiren, so erhalten sich die 
Farbstoffe und färben abnorm gelb. Dies 
ist z. B. bei dem stark antiputriden Calomel 
der Fall, das offenbar nur dadurch in den 
Ruf eines besonders Cholagogen Mittels 
gelangt ist, während gerade das Gegentheil 
stattfindet. Das Quecksilbersublimat ist zwar 
ebenfalls, ja noch stärker fäulniss widrig und 
schafft trotzdem sehr gelbe Kothmassen, es 
rührt dies aber daher, dass es ein ungemein 
gallenerregendes Gift ist, die Galle daher 
überreichlich in den Darm eintritt, das Su¬ 
blimat aber längst aus demselben resorbirt 
worden ist. 

Auf die Leber selbst will man thierärztlich 
nur in bestimmten Fällen einwirken, wie 

Koch. Encyklofftdie d. Thierheilkd. II. Btl. 


z. B. bei ungeregelter Verdauung, wenn an¬ 
dere Mittel im Stiche lassen, bei manchen 
Magendarmkatarrhen, intermittirenden Gelb¬ 
färbungen der Sclera, bei Kollererscheinungen, 
starken Fressern, allzu reichlicher Ernährung, 
Adipöse, abdomineller Vollblütigkeit u. s. w., 
oder wenn man stärkere Transsudationen aus 
der Pfortader in das Darmlumen veranlassen 
will, um Exsudate in anderen Organen zur Auf¬ 
saugung zu zwingen. Am zweckmässigsten 
combinirt man in allen diesen Fällen bei 
den grossen Hausthieren die Aloö mit Glau¬ 
bersalz, bei den kleinen den Tartarus depu- 
ratus oder natronatus mit Ipecacuanha in 
kleinen aber fortgesetzten Gaben. Wenn 
man, wie häufig, bei kranken Thieren von 
Störung der Leberfunctionen spricht, kann 
darunter veterinärmedicinisch wohl nur eine 
Unregelmässigkeit in der Gallenabsonderung 
verstanden werden, denn andere Zustände 
der Leber werden bei der Schwierigkeit ihrer 
Diagnose nicht leicht festzustellen sein. Eine 
Verminderung der Gallensecretion lässt sich 
etwa durch gestörte Digestion und auffallend 
blasse Färbung des meist trockener abge¬ 
henden Darminhaltes erschliessen, es kommen 
aber unter solchen Umständen ohnedies die 
genannten Mittel an die Reihe, und was eine 
krankhafte Steigerung der Leberfunction be¬ 
trifft, das man auch als Biliosität zu 
bezeichnen pflegt, so ist zu beachten, dass 
diese erfahrungsgemäss meistens acute Darm¬ 
katarrhe, beziehungsweise galliges Erbrechen 
hervorruft; die damit Hand in Hand gehende 
Hypersecretion wird am zweckmässigsten mit 
die Gallenabsonderung vermindernden und 
zugleich antikatarrhalischen Mitteln bekämpft 
und taugen hiezu vorzüglich das schwefel- 
saure Magnesium mit Calomel, später der 
Salmiak und in hartnäckigen Fällen das 
Bleiacetat. Mangelhafte Gallenbereitung mit 
nachfolgendem Hang zu Verstopfungen kommt 
am häufigsten in der Hundepraxis zur Beob¬ 
achtung und verdient hier das salicylsaure Na¬ 
trium, das Natriumphosphat und die Brechwurz 
eine ausgiebigereAnwendung, als es gewöhnlich 
geschieht, selbst wenn dadurch auch brechen- 
erregende Wirkungen zu Stande kommen, 
von denen ja bekannt ist, dass sie einen 
fördernden Einfluss auf die Gallenbereitung, 
respective den Gallenabfluss ausüben. Letz¬ 
teres kann nicht bezweifelt werden, wie in 
letzter Zeit von mehreren Seiten geschehen, 
denn jede Reizung der Magennerven muss 
reflectorisch auch eine Beschleunigung der 
Darmbewegung und damit des Eintritts der 
Galle umsomehr bedingen, als dies auch um¬ 
gekehrt der Fall ist, d. h. eine vermehrte 
Darmthätigkeit auch kräftigere Contractionen 
insbesondere des Pylorus und seiner Um¬ 
gebung nach sich zieht. 

Gallenabsonderung erregende Mit¬ 
tel ohne Reizung der Darmthätigkeit sind so¬ 
nach: benzoesaures und salicylsaures Natrium, 
phosphorsaures Ammonium, Ipecacuanha (in 
kleinen aber fortgesetzten Gaben), Salpeter¬ 
säure, Acidum chloro-nitrosum. Mit Erregung 
der Darmthätigkeit: Aloe, Rheum, Jalape, 

11 



162 CHOLALSÄURE. — CHOLERA DER HÜHNER. 


Podophyllin (letzteres nur in dosi refracta), 
sowie phosphorsaures Natrium, Sublimat, 
Glaubersalz und Doppelsalz. 

Gallen ab sonderung vermindernde 
Mittel. Als solche können vorerst nur fol¬ 
gende mit Bestimmtheit aufgestellt werden: 
Ricinusöl, Calomel, Bittersalz und Chlor¬ 
ammonium. Vogel. 

Cholal8äure, auch Cholsäure, C^H^O«, 
ist das stickstofffreie Spaltungsproduct der 
in der Galle der meisten Wirbelthiere vor¬ 
kommenden Gallensäuren, deren wichtigsten 
die Glycocholsäure (s. d.) und Taurochol- 
aäure (s. d.) sind, aus diesen spaltet sie sich 
bei Einwirkung von Säuren, Alkalien und 
Fermenten ab. Sie bildet tetraödrische Kry- 
stalle von intensiv bitterem Geschmack, in 
Wasser wenig, in Alkohol und Aether leicht 
löslich, und zeigt rechtsseitige Circumpolari- 
sation. Die Lösungen geben mit Zucker und 
Schwefelsäure die Pettenkoferische Gallen- 
reaction (s. Galle). Loebisch. 

Chole, Cholos (V]/oXtq, 6 yo'Xos, Galle), 
findet sich in vielen auf Gallenlrildung, Er- 
giessung etc. bezüglichen medicinischen Ter- 
minis, z. B. 

Cholagogus (xoXaytoyds, und £yeiv, 
führen, leiten), Galle abführend, 

Cholecystis (abgeleitet von tq xjotcs, 
Blase), Gallenblase, 

Cholelithos und Cholelithiasis (von 
6 Xtfl-o$, Stein, resp. ■*) XtO*taaic, Steinbildung), 
Gallenstein, Gallensteinbildung, 

Cholericus b. Plin., gallensüchtig, 

Cholorrhoea (von -fj £oiq, Fluss), an¬ 
haltender Gallenabfluss, 

Cholosis, Gallenkrankheit im Allge¬ 
meinen etc. etc. Sussdorf. 

CholeYnsäure, s. Taurocholsäure. 

Cholepyrrhin (Hein), identisch mit amor¬ 
phem Bilirubin. 

Cholera der Hühner, Hühnerseuche, Hüh¬ 
nerpest, Cholera des poules, Maladie öpi- 
zootique des animaux de basse-cour, eine 
seuchenartige Krankheit, die vorzugsweise 
die Hühner ergreift, sich periodenweise 
über ganz Asien und Europa ausbreitet 
und beträchtliche Verluste unter dem Geflügel 
verursacht. Die Krankheit, welche unter Er¬ 
brechen, Durchfall, Appetitverlust, vermehrtem 
Durst, rapider Abmagerung, Apathie und Tod 
unter Convulsionen auftritt, wurde in früheren 
Jahrhunderten vielfach mit der seuchenartig 
auftretenden croupösen Rachen- und Darm¬ 
entzündung, mit Anthrax, Darmkatarrhen und 
anderen Gefltigelseuchen verwechselt. Die 
Seuche, welche im Jahre 1600 in Italien unter 
dem Geflügel herrschte und von Aldrovandi 
in seiner Ornithologie beschrieben wird, 
scheint die Hühnercholera gewesen zu sein. 
Moscati beobachtete die Seuche 1770 in Brescia. 
Im Jahre 1789 wurde eine ähnliche Krankheit 
von Baronio in Mailand beschrieben. Tytler 
beobachtete die Cholera unter den Hühnern 
in Indien 1817 und 1818 und Searle 1828. 
Die Krankheit hatte einen sehr acuten Ver¬ 
lauf und bei der Section fand sich der ganze 
Darmcanal entzündet. Während der Cholera¬ 


epidemien in den Jahren 1830, 1831 und 1832 
wurde die Krankheit in Europa beobachtet 
und eingehender beschrieben. Die Hühner¬ 
cholera trat zuerst 1830 in Russland und 
Polen, 1831 in Deutschland und Ungarn und 
dann 1832 in Italien und Frankreich auf und 
wurde von Erd, Radius, Karrer, Grognier. 
Olivier, Leboucher, Breschet, Cariöre, Blachier 
und Devilliers beschrieben. Grognier consta- 
tirte, dass das Verfüttern der gefallenen 
Hühner an Hunde und Schweine und das 
Verzehren kranker geschlachteter oder gefal¬ 
lener Hühner durch Menschen keine Gesund¬ 
heitsstörungen verursachte. Im Jahre 1836 
wurde die Hühnercholera von Maillet an der 
Seine beobachtet. In den Jahren 1849—1852 
herrschte sie wieder in Frankreich und wurde 
von Renault, Reynal, Delafond und Salles be¬ 
schrieben. Reynal constatirfe die Verimpfbar- 
keit der Krankheit, indem er mit dem Blute 
der Kranken und Gefallenen gesunde Hühner, 
Gänse, Enten, Tauben und Sperlinge inficirte, 
die in 12—48 Stunden starben. Auch starben 
Hunde in 54—72 Stunden, Kaninchen in 
10 Stunden und ein Pferd in 48 Stunden in 
Folge der Impfungen, und die Seuche liess 
sich von all diesen Thieren wieder auf die 
Hühner zurückimpfen, die in 10—48 Stunden 
starben. Als virulent erwies sich frisches und 
bis zu 96 Stunden altes Blut, alle Körper- 
ewebe und Flüssigkeiten, die Galle, der 
chleim, das Humor aqueus, der Darminhalt, 
das Eigelb. Diese Versuche wurden von Dela¬ 
fond, Renault und Hartmann bestätigt. Ob¬ 
gleich Hering, Salles und Hahn eine An¬ 
steckung durch Zusammenstellen und ein¬ 
fache Berührung annehmen, fielen die in die¬ 
ser Beziehung von Delafond, Renault und 
Reynal angestellten Versuche, sowie auch 
Fütterungsversuche negativ aus. In den 
Jahren 1865 und 1866 wüthete die Hühner¬ 
seuche in Ungarn und wurde von Hartmann 
unter dem Namen Hühnerpest beschrieben. 
1871 und 1872 trat die Krankheit in Nord¬ 
italien auf, wo sie von Sanctarchangelo be¬ 
schrieben wurde und 1873 beobachteten Zündel 
und Moritz dieselbe im Eisass, wobei diese 
Autoren schon Bacterien im Darm und Blute 
constatiren konnten, ohne jedoch diese ge¬ 
nauer zu beschreiben. Im Jahre 1876 wurde 
die Hühnercholera in Ostindien (Mandschurei, 
China, Amur) beobachtet und zeigte sich 1877 
im europäischen Russland. Hier wurde die 
Krankheit in Dorpat von E. Semmer näher 
erforscht und bei den Gefallenen im Darm 
massenhafte Mikrococcen, zweigliederige Kett¬ 
chen und Stäbchen (Fig. 387) und im Blute 
Mikrococcen und Diplococcen constatirt 
(Fig. 388). Durch Verfütterung der Einge¬ 
weide gefallener Hühner wurde die Krankheit 
stets auf gesunde Hühner übertragen. 1878 
trat die Krankheit in Italien und Frankreich 
auf und wurde von Perroncito, Toussaint 
und Pasteur erforscht und beschrieben. 
Toussaint und Pasteur stellten Reinculturen 
der Mikroorganismen der Hühnercholera 
im Harn und Hühnerbouillon her und wiesen 
nach, dass Verimpfungen dieser cultivirten 


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CHOLERA DER HÜHNER. 


163 


Mikroorganismen die Krankheit hervor- 
rnfen. Dabei gelang es Pasteur, festzu¬ 
stellen, dass durch fortgesetzte Culturen bei 
Zutritt reiner filtrirter Luft die Mikrococcen 
der Hühnercholera sich progressiv immer 
mehr und mehr abschwächen und zuletzt bei 


s '- ® 1 P- 

e.WJt'fX-'*' 

Fig. 387. D&rminhalt bei HQhnercholera. 



Fig. 888. Blot bei Ilahnercbolera (Blutkörperchen and 
Mikrococcen). 

den damit geimpften Hühnern nur eine leichte 
Erkrankung verursachen und dabei doch ihnen 
eine vollkommene Immunität gegen die Seuche 
verleihen. Diese Entdeckung veranlasste Pa¬ 
steur, seine erfolgreichen Mitigationsversuche 
mit dem Anthrax- und Rothlaufcontagium an¬ 
zustellen. 

Symptome. Beim ersten Auftreten der 
Seuche werden die Hühner mitten in bester 
Gesundheit plötzlich traurig, apathisch, be¬ 
kommen einen schwankenden Gang, ge¬ 
sträubtes Gefieder, hängende Flügel, der 
Kamm und Kehllappen wird blass mit blauen 
Rändern, die Thiere verlieren ihren Appetit, 
haben starken Durst, aus dem Schnabel und 
den Nasenlöchern fliesst zäher Schleim; bald 
stellt sich Durchfall ein mit Entleerung dünner, 
schleimiger, gelblicher Fäces, denen zuweilen 
Blutstriemen beigemengt sind, es treten Kolik¬ 
erscheinungen ein, die Hühner liegen mit an 
den Leib gezogenen Füssen und geschlossenen 
Augen, stehen nicht gern auf. Gegen das 
Ende sinkt die Temperatur, die Thiere werden 
cyanotisch und verenden ruhig oder unter 
Convulsionen. 

Section. Cadaver nach längerer Dauer 
der Krankheit Gefallener stark abgemagert, 
zuweilen cyanotisch, die Federn am After 
mit dünnen, breiigen Fäces beschmutzt, die 
Gewebe gelblich tingirt. Die Mägen enthalten 
normale Futterstoffe oder sind leer. Im Darm¬ 
canal dünnflüssige, graugelbe oder bräunlich¬ 
gelbe Massen, die aus Schleim, runden granu- 
lirten Zellen, Epithelzellen, Kernen, Detritus, 
Futterresten, massenhaften Mikrococcen, zwei¬ 


gliederigen Kettchen und Stäbchen bestehen 
(s. Fig. 387). Darmschleimhaut mürbe, ge¬ 
schwellt, mit Ecchymosen bedeckt. Die Darm¬ 
zotten ihres Epithels beraubt, mit körnigen 
Massen und farblosen Blutkörperchen infiltrirt, 
stellenweise stark injicirt; ihre Gefässe er¬ 
weitert, mit farbigen und farblosen Blutkör¬ 
perchen angefüllt. Die Leber in den ersten 
Stadien dunkelbraun, blutreich, die Leber¬ 
zellen feinkörnig infiltrirt, nach längerer 
Dauer der Krankheit gelblich, in Fettmeta¬ 
morphose begriffen. Lungen hyperämisch, in 
den Bronchien Schaum. Das Blut missfarbig, 
braunroth, eingedickt, enthält die gleichen 
Mikrococcen wie der Darm (s. Fig. 388). 

Verlauf und Ausgang. Der Verlauf 
der Krankheit ist anfangs, bei ihrem ersten 
Auftreten, ein sehr rapider, die erkrankten 
Thiere verenden entweder in ganz kurzer 
Zeit oder in höchstens 10—12 Stunden. Das 
Incubationsstadium nach erfolgter Fütterung 
mit dem Darm Gefallener ist ein sehr kurzes. 
Gegen das Ende der Epizootie nimmt die 
Krankheit einen subacuten Charakter an, die 
Krankheit dauert mehrere Tage an. Die Thiere 
erkranken erst mehrere Tage nach der Füt¬ 
terung (bis zu 14 Tagen) und verenden oft 
erst 2—3 Wochen nach der Aufnahme des 
Contagiums. 

Die Diagnose ist aus den angeführten 
Krankheitserscheinungen, dem Sectionsbefund, 
dem seuchenartigen Auftreten der Krankheit 
leicht zu stellen. Verwechslungen mit dem 
Croup (Pips) sind wegen der fehlenden Croup¬ 
membranen im Rachen, und mit dem Anthrax 
wegen der fehlenden Blaufärbung des Kam¬ 
mes, Fehlen der Ecchymosen und schwarz- 
braunen Flecken in der Muskulatur und der 
Abwesenheit der Anthraxbacillen leicht zu 
vermeiden. Die Prognose bei der Hühner¬ 
cholera ist stets ungünstig, da fast ausnahmslos 
alle erkrankten Hühner fallen. Gegen das 
Ende der Seuche, beim Erlöschen derselben, 
kommen aber leichtere Erkrankungen mit 
Genesung vor. 

Aetiologie. Die Hühnercholera gehört, 
wie die Cholera des Menschen, mit der sie 
aber keineswegs identisch ist, zu den mias- 
raatisch-contagiösen Krankheiten. Sie stammt 
wie diese aus Asien und wird durch einen 
specifischen Mikrococcus veranlasst oder ver¬ 
breitet. Meist inficiren sich die Hühner und 
andere Vögel durch Aufnahme verunreinigten 
Futters und Wassers. Am häufigsten werden 
Hühner befallen, nächstdem Gänse und Enten, 
seltener Truthühner, Perlhühner, Tauben. 
Fasanen, Pfauen u. a. 

Behandlung. Reines, gekochtes Futter, 
reines angesäuertes Trink wasser, Tannin. Eisen - 
vitriol, Chlor, Kali hyperraanganicum, Carbol- 
säure, beständiges Ausreinigen und Auslüften 
der Hühnerställe. Zündel empfiehlt Vogel¬ 
beeren, Einbeeren und Infuse von Tannen¬ 
sprossen. 

Polizeiliche Massregeln. Vermeidung 
des Imports fremder Hühner zur Zeit des 
Herrschens der Seuche, sofortige Trennung 
der Gesunden von den Kranken, Parcellirung 

11 * 


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164 


CHOLEBAPILZ. — CHOLESTEATOM. 


des Geflügels, Verbrennen oder tiefes Ver¬ 
scharren der Gefallenen, Einsperren der 
Kranken in besondere Ställe, die nachher 
sorgfältig desinficirt oder verbrannt werden 
können. ZurDesinfection eignet sich kochendes 
Wasser mit Mineralsäuren und Chlor. Der 
Export von Hühnern aus Seuchenställen ist 
zu untersagen. 

Literatur: Aldrovandi,Ornithologie. Bologna 1600. 

— Baronio’s Instr. vöt. IV, Paria 1793. — Heasinger, 
Recherches de pathologie conparde. Cassel 1847. — 
Grognier, Recueil 1832. — Maillet, Recueil 1836. — 
Delafond, Recneil 1851. — Bouley et Reynal, Nonv. 
Diction., Tome 8. Paria 1857. — Hering, Pathologie. Stutt¬ 
gart 1858. — Ravitsch, Seuchenlehre. Petersburg 1866. 

— Hartmann, Die Hühnerpest. Wien 1866. — Benion, 
Maladies des animaux de basse-cour. Paris 1873. — Z Q n d e 1, 
Gesundheitszustand im Unter-Eisass. 1873 —. Sanct- 
archangelo, Gazetta medico-veterinär!a 1873. — Z0nde 1, 
Dictonnaire, Paris 1875. — E.Semmer, Die Hflhnerpest, 
Zeitschrift ihr Thlermedicin 1878. — Pasteur, Cholera 
des poules. Recueil 1879. — Toussaint, Cholera des 
poules. Recueil 1879- — Perroncito, 1879 — Piltz, 
Seuchen- und Heerdekrankheiten. Stuttgart 1882. Semmer. 

Die Cholera kommt bei den übrigen Haus- 
thieren als selbständige Seuche zwar nicht 
vor, dennoch sind aber choleraähnliche Er¬ 
krankungen unter den Hausthieren, besonders 
zur Zeit des Herrschens der Cholera unter 
den Menschen beobachtet worden. So be¬ 
obachteten Tytler, Chalmers, Searle, Jameson 
und Banken eine choleraähnliche Krankheit 
unter Wiederkäuern, Pferden und Elephanten 
in Indien. Hering beschreibt 1831 eine seuchen¬ 
artige choleraähnliche Krankheit unter den 
Pferden in Stuttgart, Hildebrand sah cholera¬ 
ähnliche Krankheiten unter allen Hausthieren 
beim ersten Auftreten der Cholera in Oester¬ 
reich. Dick in Edinburgh, Cherry und Fer- 
gusson in England beobachteten choleraähn- 
fiche Erscheinungen unter den Pferden, ebenso 
Hodgeson in Calcutta. Leconturrier beschreibt 
eine choleraähnliche Krankheit unter den 
Schweinen 1855. Otto führt einen Fall von 
Infection mit Cholera bei Schweinen an, 
welche die Fäces Cholerakranker genossen 
hatten und Lindsey führt einen gleichen Fall 
von einem Hunde an. Chanceller inficirte 
Hühner durch Fütterung mit Cholerafaces. 
Nach Legras und Gougeon können Thiere 
mit frischen Choleradejectionen inficirt werden. 
Im Jahre 1870, als die Cholera in Dorpat 
endemisch auftrat, starb ein Hund und ein 
Füllen unter choleraähnlichen Erscheinungen 
und der Sectionsbefund war fast identisch 
mit dem der Choleraleichen der Menschen. 
Popow übertrug die Cholera durch frische 
Dejectionen (Ham, Fäces) auf Thiere, der 
Ausbruch erfolgte 1—3 Tage nach der Füt¬ 
terung. In Bombay starben 1881 750 Katzen 
unter choleraähnlichen Erscheinungen und 
1883 starben zur Zeit einer Choleraepidemie 
in Siruse viele Katzen. Andere Autoren, wie 
Mayer, Marechal, Loire, Eichstädt, Gutmann, 
Batschinski, die französische Commission 
unter Thuillier und Roux und die deutsche 
unter Koch’s Leitung erhielten bei ihren 
Thierversuchen in Egypten und Indien nega¬ 
tive Resultate. Neuerdings berichtet aber 
Richards aus Calcutta, dass es ihm gelungen 
sei, mit den von Koch bei der Cholera con- 


statirten kommaförmigen Bacillen Thiere zu 
inficiren. Die Frage, ob die Cholera des 
Menschen als solche oder nach gewissen 
Modifikationen auf Thiere übertragbar ist oder 
nicht, bleibt daher vorläufig noch offen, ob¬ 
gleich es neuerdings auch Koch in Berlin 
durch directes Einbringen der Cholerabacillen 
in den Darm und den Franzosen in Marseille 
gelungen ist, Thiere zu inficiren. Semmer. 

Cholerapilz des Menschen. Bereits 
wurde von mir unter .Bacterien“ (s. d.) des da¬ 
mals eben erst von R.Koch entdeckten Cholera¬ 
pilzes Erwähnung gethan. Inzwischen hat 
sich das Dunkel nichts weniger als gelichtet. 
Die kommaförmigen Bacillen kommen nach 
Bonner und nach französischen, englischen und 
italienischen Gelehrten auch bei ganz Ge¬ 
sunden, sodann bei Cholera nostras vor. 
Während sie nach Koch in der Form eine 
gewisse Constanz zeigen, variiren sie nach 
Anderen bedeutend in ihrem Querdurchmesser. 
Einige hervorragende Gelehrte betrachten die 
fraglichen Kommabacillen gar nicht als die 
Erreger der Cholera. In jüngster Zeit hat 
Emmerich im Blute bei alten, von ihm unter¬ 
suchten Cholerakranken und in Choleraleichen 
einen Spaltpilz gefunden, der von dem Koch- 
schen durchaus verschieden ist. Dieser soll 
nach ihm die Cholera hervorrufen. Man kann 
daher gegenwärtig über den Cholerapilz 
nichts Sicheres mittheilen. Sollten sich die 
bis dato bestehenden Zweifel und Wider¬ 
sprüche über die Cholera-Ursache lichten, so 
werde ich später bei „Spaltpilze“ das Be¬ 
kanntgewordene mittheilen. Harz. 

Cholerapilz der Hühner. Micrococcus 
gallinarum, Pasteuris Microbe du cholöra 
des poules. Ein blass- bis goldgelber, auf 
Nährgelatine, in Hühnerbouillon, aber auch 
in Mistdecoct, auf Glycerinstärkekleister, auf 
Brot und Kartoffeln cultivirbarer Micrococcus. 
Meist sind 2 Individuen vereint, doch kommen 
auch mehrere oder nur einzelne kugelrunde 
Individuen vor. Semmer beobachtete auch 
Stäbchen. Der Pilz erzeugt nach Einfüh¬ 
rung in den Magen mittels Futter die ge¬ 
fährliche, Hühnercholera genannte, Krank¬ 
heit, welche übrigens ausser bei Hühnern 
noch bei Gänsen und Enten, sowie beim 
Truthahn beobachtet wurde. Die Krankheit 
wurde zuerst von Pasteur eingehend studirt. 
Nach ihm wird der Pilz nach oftmaliger 
Umzüchtung in sterilisirter Hühnerbouillon 
und anderen Medien allmälig weniger ge¬ 
fährlich; impft man nun (nach ihm) Hühner 
mit diesem, durch den Einfluss des Sauer¬ 
stoffes weniger gefährlich gewordenen, also 
mitigirten Pilze, so erkranken sie nur mehr 
in geringem Grade und werden gleichzeitig 
unempfänglich (immun) für den gewöhn¬ 
lichen, sonst sehr gefährlichen Cliolerapilz. Hz. 

Cholesteatom (von /oXvj Galle, oxeap 
Talg, Cholesterin), Perlgeschwolst, Perlkrebs, 
eine aus einer bindegewebigen Kapsel und 
einem weissen stearinähnlichen, fettig glänzen¬ 
den und anzufiihlenden halbfesten Inhalte von 
blätteriger Anordnung bestehende Neubildung. 
Die Cholesteatome sind meist klein, kirsch- 



CHOLESTERIN. — CHOLIN. 


165 


kern-, selten nuss- bis hthnereigross. Ihre 
Kapsel besteht ans einem gefässarmen Binde¬ 
gewebe, das gefässlose Fortsätze nach innen 
schickt, der Inhalt ist zusammengesetzt aus 
zarten, platten, kernlosen, runden oder poly¬ 
gonalen Zellen, Fetttröpfchen und Cholesterin- 
krystallen, denen in älteren Geschwülsten auch 
Kalksalze beigemengt sind. Die Cholesteatome 
wurden früher zu den Epithelialgeschwülsten, 
speciell zur Gruppe der Krebse gezählt, bis 
Yirchow ihre Entwicklung aus der Pia mater 
nachwies und sie den Endothelgeschwülsten 
zuzählte. Die Cholesteatome kommen vor 
an der Pia mater des Gehirns, an dem Plexus 
choroideis, seltener in der Haut, den Knochen, 
Hoden, Eierstöcken; sie gehören den gutartigen 
Geschwülsten an, wachsen sehr langsam, 
machen keine Metastasen und geben keinen 
Anlass zu operativen Eingriffen. Nur die grös¬ 
seren Cholesteatome an der Hirnbasis und den 
Hirnventrikeln können durch Druck Läh¬ 
mungen, Apoplexien, Hirncongestionen, Trans¬ 
sudationen in den Ventrikeln und den Tod ver¬ 
ursachen. 

Literatur: Cruveilhier, J. Hüller, Rokitansky, 
Förster, Waldayer, Virohow, Völkmann, über Oeschwülste, 
Zünde], Dictionnaire. Semmrr 

Cholesterin (Cholestearin), CjeH^O. Das 
Cholesterin ist eine Substanz, welche ihren 
Namen mit Unrecht führt. Es kommt dieser 
Körper weder ausschliesslich in der Galle vor, 
noch ist derselbe zu den Fetten zu zählen. Das 
Cholesterin findet sich ausser in der Galle vor¬ 
zugsweise in jungen Geweben (Dotter des 
Vogeleies, Fischeier), dem Nervenmark, im 
Sperma meist in Begleitung von Neutralfetten 
und Lecithin. Es ist ferner nachgewiesen in 
den rothen Blutkörperchen (0*05%), im 
Serum (0*02—0*23%), in den serösen Flüs¬ 
sigkeiten, in der Krystalllinse, der Milz, dem 
Schweiss, dem Wollfett der Schafe und der 
Vernix caseosa. Besonders reichlich tritt es 
auf in rasch wuchernden Neubildungen und 
bei Cystenbildung im Inhalt derselben. Eine 
relativ grosse Ausbeute an Cholesterin liefern 
die Cholesteatome der Adergeflechte und die 
Cholesterinsteine der Gallenblase. In wach¬ 
senden Pflanzen, namentlich im reifenden 
Samen ist es ebenfalls gefunden worden. Zur 
Darstellung des Cholesterins eignen sich am 
besten die Cholesterinsteine wegen ihres gros¬ 
sen Gehalts an Cholesterin. Nach Maly wer¬ 
den sie zerdrückt, in einem Kolben mit star¬ 
kem Alkohol gekocht, auf einem Warmwasser¬ 
badtrichter heiss filtrirt. Beim Erkalten kry- 
stallisirt das Cholesterin aus, wird abgepresst 
und wiederholt aus heissem Alkohol, Petro¬ 
leum, Chloroform oder Aether umkrystallisirt. 

Das Cholesterin krystallisirt aus heissem, 
Alkohol oder Aether in dünnen, farblosen, 
perlmutterglänzenden monoklinen Tafeln oder 
bei raschem Auskrystallisiren in kleinen Schüpp¬ 
chen. Das aus Petroleum oder Chloroform er¬ 
haltene Cholesterin ist wasserfrei, bildet sei¬ 
denglänzende Nadeln, welche bei 137° zu 
einem farblosen Oel schmelzen. Es ist unlös¬ 
lich in Wasser, verdünnten Säuren und 
Alkalien. Alkohol löst in der Kälte nur Spuren. 


Ausser den oben genannten Lösungsmitteln 
löst es sich leicht in Methylalkohol, Eisessig, 
Essigäther, Schwefelkohlenstoff, Benzin, Benzol, 
Toluol und Terpentinöl, ebenso in den wäs¬ 
serigen Lösungen der Gallensäuren und ihren 
Salzen, in Fetten und fetten Oelen. Die ge¬ 
eignetsten Reactionen, durch welche man 
Cholesterin nachweisen kann, sind folgende: 
Phosphorsäure bewirkt beim Erhitzen Braun¬ 
färbung. Mit Salpetersäure auf dem Tiegel¬ 
deckel abgedampft, gibt Cholesterin einen 
gelben Fleck, welcher nach Zusatz von Am¬ 
moniak sich röthet. Eine Lösung des Chole¬ 
sterins in Chloroform mit dem gleichen Vo¬ 
lumen concentrirter Schwefelsäure geschüttelt, 
wird blutroth bis purpurfarben. Einige Tropfen 
der rothen Chloroformlösung in ein Schälchen 
gegossen, werden blau, grün, dann gelb. Die 
Schwefelsäure unter dem Chloroform zeigt 
grüne Fluorescenz. Tereg. 

Cholesterinsäure, C g H 10 O s . Eine durch 
Erwärmen von Cholesterin oder von Cholsäure 
mit Salpetersäure dargestellte Säure, welche 
in Wasser und Alkohol leicht löslich ist. Lh. 

Cholet-Rind. Auf dem Pariser Markte 
wird der Name Cholet-Rasse der parthenaisi- 
schen oder Poitevin-Rasse (s. d.) beigelegt. 
Cholet ist eine Ortschaft im Departement 
Maine et Loire, wo die bedeutendsten Vieh- 
märkte, zumeist mit Thieren der parthenaisi- 
schen Rasse beschickt, abgehalten werden. 
Aber ausserhalb des Bereiches von Paris und 
besonders im Poitou und Anjou, bezeichnet 
man mit obigem Namen eine Varietät der 
parthenaisischen Rasse, welche in den Um¬ 
gebungen von Cholet vorkommt. Dieselbe ist 
verhältnissmässig klein (l’50m im Durch¬ 
schnitt) und besser für die Schlachtzwecke 
geeignet. Das Skelet ist zarter. Das Fleisch, 
dessen Ergebniss ein reichliches genannt 
werden kann, ist sehr geschätzt. Die Ochsen 
von Cholet arbeiten wenig; sie werden vor¬ 
wiegend von Mästern gekauft, welche in der 
Auswahl der tauglichsten Thiere eine grosse 
Erfahrung haben. Die auf die Cholet-Varietät 
bezüglichen Details werden bei Beschreibung 
der Parthenais-Rasse, von der sie eine Abart 
bildet, gegeben werden. Neumann. 

Cholin (Sinkalin, Neurin). Eine organische 
Base, welche beim Kochen von Galle, Ochsen¬ 
hirn, auch von Eidotter mit Aetzbaryt frei 
wird. Ueberdies kommt sie auch im Flieeen- 
schwamm neben dem Alkaloid desselben, 
dem Muscarin vor, welches als Oxy- 
cholin oder Oxyneurin aufgefasst werden muss. 
Das Cholin ist ein Spaltungsproduct des im 
Gehirn vorkommenden Protagons und des im 
Eidotter, Caviar vorkoramenden Lecithins. 
Nach seiner chemischen Constitution ist es 
Trimethyläthoxyliumhydrat, d. h. ein Am¬ 
moniumhydroxyd, dessen 1 Wasserstoff durch 
Aethoxyl, die übrigen 3 Wasserstoffe durch 
Methyl substituirt sind, demnach N(C,H 5 0) 
(CH # ) a OH. Das Cholin ist auch synthetisch von 
Wurtz dargestellt. Es ist ein stark alkalisch 
reagirender Syrup, dessen Salze an der Luft 
meist zerfliesslich sind. Loebisch. 



CHOLMOGOR’SCHES RIND. — CHONDROIDE. 


m 

Cholmogor’8Che8 Rind. Dascholmogorische 
Rind führt seinen Namen nach der Landschaft 
Cholmogor im Gouvernement Archangel und ist 
niederländischen Ursprungs. Peter d. Gr. hatte 
einen Stamm des stärksten und milchreichsten 
Viehes ankaufen und mit grossen Kosten nach 
Russland bringen lassen. Hier wurde es in 
eine Gegend, die seiner Heimat glich, auf das 
weite Wiesengelände des Kreises Cholmogor, 
allerdings im hohen Norden, unter dem 65° 
n. B. gelegen, verpflanzt. Die Rasse hat sich 
bis zum heutigen Tage rein erhalten, in ihren 
Eigenschaften aber mancherlei Veränderungen 
erlitten. Da inzwischen auch das Vieh in Hol¬ 
land verändert worden ist, so besteht zwischen 
diesem und dem gegenwärtigen cholmogorischen 
Vieh nur geringe Uebereinstimmung, sowohl 
in der Gestalt, als auch in den wirthschaft- 
lichen Leistungen. Im Allgemeinen hat letzteres 
den Typus des Niederungsviehes bewahrt. Das 
cholmogorische Vieh ist also russisches Nie¬ 
derungsvieh und gehört zu dem grössten, 
schwersten und milchreichsten, das Russland 
aufzuweisen hat. In der Grösse und Schwere 
kann es auch mit ausländischen Rassen con- 
curriren, in der Milchergiebigkeit aber nicht. 
Demungeachtet ist die Rasse für russische 
Verhältnisse überaus werthvoll. Demgemäss 
hat sie weitere Verbreitung erlangt und wird 
gegenwärtig auch vielfach im Innern von 
Russland gefunden. HiefÜr ist ganz besonders die 
landwirtschaftliche Ausstellung zu St. Peters¬ 
burg im Jahre 1869 massgebend gewesen, wo¬ 
selbst cholmogorisches Vieh unter anderm auch 
seitens der kaiserlichen Farm von Zarskoye- 
Selo ausgestellt war und durch seine guten 
Eigenschaften die Rasse empfahl. Das Gewicht 
der Kühe aus Zarskoye-Selo betrug 12 bis 14 Ctr.; 
der schwerste Bulle (Alter nicht angegeben) 
wog 19 Ctr., ein gemästeter Ochs sogar 
21 Ctr. Ueber den jährlichen Milchertrag 
cholmogorischer Kühe liegen mehrere wesent¬ 
lich von einander abweichende Angaben vor. 
Dieselben bewegen sich zwischen 1500 Liter 
und 2500 Liter. Im Uebrigen besteht Ueber¬ 
einstimmung darin, dass dieRasse von Cholmogor 
mehr Milch liefert, als irgend eine andere der 
in Russland heimischen Rassen, aber auch 
viel und gutes Futter verlangt und verkümmert, 
wenn seinen Ansprüchen an Ernährung und 
Pflege nicht genügt wird. Bemerkenswerth 
ist, dass von den vielen ausländischen Rassen, 
die mit grossen Kosten nach Russland gebracht 
worden sind, die holländische Niederungsrasse 
die einzige ist, die in dem cholmogorischen 
Vieh nicht nur sich erhalten, sondern auch 
eine hohe Bedeutung für die russische Land¬ 
wirtschaft und Rindviehzucht erlangt hat. Ce. 

Choloidinsäure, C„H ag O*, soll durch 
Kochen der Cholalsäure oder der Säuren der 
Rindsgalle mit Salzsäure oder Schwefelsäure 
entstehen, doch ist die Existenz einer Säure 
von der obigen Zusammensetzung noch nicht 
endgiltig festgestellt. Loebisch. 

Choloma, Chol osis (xo yi 6 Xtup.a, ^ yu>- 
Xtoat's von ycmXoov), schon bei fiippokrates für 
Lähmung, Verrenkung, Lahmheit gebraucht. Sf. 

Cholurie,von yo\r h Galle, und oopelv, harnen. 


Absonderung von Gallenbestandtheilen, beson¬ 
ders Gallenfarbstoffen, mit dem Harn, wobei 
der Harn eine dankel gelbbraune oder grün¬ 
lich braune, auch schwärzliche Farbe annimmt. 
Die Krankheit kommt vor bei gehindertem 
Gallenabfluss aus der Leber (Cholämie und 
Icterus) und als Complication des Blutharnens, 
der Haematurie bei Rindern. Der Harn ist in 
letzterem Falle statt roth, mehr grünlich oder 
schwärzlich-roth. Durch Zusatz von Salpeter¬ 
säure wird der Harn erst grün, dann blau, 
violett, und endlich roth und gelb. Sämmtliche 
Gewebe, besonders die sichtbaren Schleimhäute, 
nehmen oine identische Färbung an; die ab¬ 
gesonderte Milch ist gelb, ja selbst das Milch¬ 
serum ist gelblich gefärbt. Die Thiere leiden an 
profusen Durchfällen, Tympaniten, Verdauungs¬ 
störungen, und magern schnell ab. Semmer. 

Chomel Jean Bapt. Louis (1671—1748) 
schrieb 1745 über die Rinderpest. Koch. 

Chondrin und Chondrogen. Behandelt 
man reine Knorpel längere Zeit mit kochendem 
Wasser, so löst sich aus denselben eine Sub¬ 
stanz, welche aus der Lösung durch Essig¬ 
säure fällbar ist und Chondrin genannt wurde. 
Die Substanz, welche Chondrin beim Kochen 
mit Wasser liefert, wurde Chondrogen genannt, 
in dieser Substanz sind die Knorpelzellen mehr 
weniger weit von einander entfernt eingebettet. 
Das Chondrin wird neben Leim und Mucin 
(Schleimstoff) zu den sogenannten albuminoiden 
Körpern gezählt, man fand die Zusammen¬ 
setzung des Chondrins C 47 7 H 6 ’7, N 13*86, 
0 81*04 und S 0*60. Neuere Untersuchungen 
stellen es als zweifelhaft hin, ob Chondrin 
eine einheitliche Substanz ist. Behandelt man 
nämlich Trachealknorpel mit Kalkwasser oder 
verdünnter Natronlauge, so extrahiren diese 
alkalischen Lösungen aus dem Knorpel einen 
Körper, der sich in allen Eigenschaften iden¬ 
tisch mit dem Mucin zeigt. Behandelt man 
hierauf den Knorpel mit kochendem Wasser, 
so löst sich derselbe, und die Lösung ist nun 
nicht mehr durch Essigsäure fällbar, gelatinirt 
jedoch beim Erkalten. Demnach wäre Chon¬ 
drin ein Gemenge von Leim und Mucin. Durch 
Kochen von Chondrin mit verdünnter Schwefel¬ 
säure wurde ein reducirender Körper erhalten, 
die Chondroglycose, doch auch der reducirende 
Körper ist im Mucin enthalten, und wurde 
als Bestandtheil desselben anerkannt, so dass 
gar kein Anhaltspunkt vorhanden ist, das Chon¬ 
drin als chemisches Individuum gelten zu 
lassen. Auch aus der Cornea lässt sich mit 
kochendem Wasser eine durch Essigsäure fäll¬ 
bare Substanz extrahiren, welche früher für 
Chondrin gehalten wurde, aber ebenfalls nichts 
Anderes ist als ein Gemenge you Leim und 
Mucin. Loebisch . 

Chondroide (von yovSpos, Knorpel, und 
I 180 ? Art, Beschaffenheit) nennt man einge¬ 
dickte zusammengeballte Conglomerate von 
Eiter und Schleim, von knorpelähnlicher Con- 
sistenz und Beschaffenheit in den Luftsäcken 
der Pferde, wie sie sich bei chronischen 
Luftsackkatarrhen bilden. Auch werden die 
zuweilen frei in den Gelenken, besonders im 
Kniegelenke angetroffenen Knorpelplättchen(Ge- 


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CHONDROM. — CHORDA DORSALIS. 167 


lenkmäuse) als Chondroide bezeichnet. Die 
letzteren bestehen aus wirklichem Knorpelge¬ 
webe und sind als Derivate der Gelenkknorpel 
(gestielte Enchondrome, die sich nachher ab- 
lösen) zu betrachten. Die Chondroide der 
Gelenke verursachen oft bedeutende Schmerzen 
bei der Bewegung und starkes Hinken, wäh¬ 
rend die Chondroide der Luftsäcke, wenn ihre 
Zahl nicht eine sehr grosse ist, ohne Nach¬ 
theil lange in den Luftsäcken liegen bleiben 
können. Semmer. 

Chondrom (von x^poc Knorpel), s. 
Knorpelgeschwulst, Knorpelneubildungen. Sr. 

Chondros (6 xovSpoc). 1. Korn, Graupe, 
Pille,2. Knorpel, ist in zahlreichen Zusammen¬ 
setzungen der medicinischen Terminologie 
gewöhnlich unter der letzteren Bedeutung an¬ 
zutreffen, so z. B. in 

Chondristos (von /ov8po<; und 6 laxog, 
Gewebe), Knorpelgewebe, 

Chondrokatagma (von /ovSpoc und *b 
xdt<xYp.a, Bruch), Knorpelbruch. 

Chondrologia (von xov8posund6 Xo'yos) 
Knorpellehre. 


ondroma, Chondrophyma (von 



Chondromalakia (von Y°vfy°S und 
rj piaXaxiu, Erweichung), Knorpelweichheit. 

Chondroperiostoma (von xovSpos und 
zö nep tooteov, Beinhaut und End. oma für Ge¬ 
schwulst), die knorpelige Beinhautgeschwulst 
etc. etc. Sussdorf. 

Chorda (+ 4 X°P^)i Darm, Darmsaite, Saite, 
ein in der anatomischen Terminologie ge¬ 
bräuchlicher Ausdruck für cylindrische Fä¬ 
den etc., so in 

Chorda dorsalis (Rückensaite), s. d. 

Chordae tendineae, Klappensehnen, 
nennt man die von den Papillarmuskeln des 
Herzens entspringenden, beim Pferde bis ra¬ 
benfederkiel-starken und vom Endocardium 
überkleideten Sehnenzüge, welche sich meist 
verästelt theils an den freien Rand, theils an 
die Kammerfläche der Atrioventrikularklap¬ 
pen festsetzen. Die von einem Papillarmuskel 
stammenden Chorden treten immer an zwei 
Klappenzipfel. Sie sollen ein Ueberschlagender 
Klappen in das Atrium gelegentlich des An- 
drängens der Blutmasse während der Kam¬ 
mersystole verhüten (Näheres s. Herz). 

Chorda tyrapani, Paukensaite, nennt 
man den Verbindungsfaden des VII. Nerven, 
welchen derselbe zum Ram. lingual, trigemini 
sendet. Die Paukensaite zieht vom Knie des 
VH. Nerven durch die Paukenhöhle, tauscht 
daselbst mit dem N. petros. superficial maj. 
Fäden aus und legt sich nach Passirung der 
Glaser’schen Spalte und medial an der Art. 
maxill. int. vorbeiziehend dem Ram. lingual, 
nerv. V an. — Die Chorda leitet hauptsäch¬ 
lich centripetal. Durch dieselbe werden wahr¬ 
scheinlich sensible Fasern vom Trigeminus 
dem Facialis zugesandt, wie sie andererseits 
auch Fasern für tactiie und thermische Sen¬ 
sibilität, sowie (vielleicht vomGlossopharyngeus 
stammende) Geschmackfasern und Vasodilata¬ 
toren für die Zunge enthält; schliesslich ist 


sie auch mit centrifugalleitenden Secretions- 
nerven und Vasodilatatoren für die Subma- 
xillar- und Sublingualdrüse ausgestattet. 
(Näheres über diese Bedeutung des Nerven 
für all diese Processe, s. unter diesen wie 
auch specielle Nervenphysiologie.) 

Chordae vocales, Stimmsaiten, wahre 
Stimmbänder nennt man jene von einem 
elastisch-fibrösen Bande (Schildgiesskannen¬ 
band) und von einer Schleimhaut beider¬ 
seits überzogenen Falten, welche sich, 
die Stimmritze begrenzend, von der Schild- 
knorpelcommissur je zu dem betreffenden 
Processus vocalis der Gieskannenknorpel 
nach rückwärts, somit divergirend hin ziehen, 
und als membranöse Zungen für die Stimm¬ 
bildung bedeutungsvoll sind (Näheres s. Kehl¬ 
kopf und Stimme). Sussdorf. 

Chorda dorsalis (Rückensaite). Unter die¬ 
sem Namen versteht man eine Zellenmasse, 
welche, strangförmig angeordnet, in der Längs¬ 
achse des Embryos liegt und früher als ein 
charakteristisches Merkmal zur Unterscheidung 
der Wirbelthiere von den Wirbellosen ange¬ 
sehen wurde. Durch die Untersuchungen Ko- 
walewski’s wurde ein solcher Zellenstrang auch 
an den Embryonen der Ascidien nach gewie¬ 
sen, welchen dieser Autor der Chorda dorsalis 
der Wirbelthiere gleichstellt. Somit entfällt es, 
dieselbe als Unterscheidungsmerkmal zur Ein¬ 
teilung des Thierreiches in Wirbelthiere und 
Wirbellose zu bezeichnen. Sie wurde auch als ein 
knorpeliger Strang beschrieben, eine Eigen¬ 
tümlichkeit, welche die Chorda in den ersten 
Entwicklungsstufen des Thieres nicht zeigt. 
Ihre Provenienz mit Rücksicht auf die ersten 
Anlagen im Keime ist erst in den letzten Jahren 
festgestellt worden. Während man dieselbe in 
den früheren Jahren als knorpelig angelegt 
und aus dem Mesoderm hervorgegangen be¬ 
trachtete, wird sie jetzt allgemein als ein Pro¬ 
duct des äusseren Keimblattes (Ectodenns) 
beschrieben. Besonders schön ist dies an den 
Knochenfischen zu verfolgen, wo die Chorda 
und das Nervensystem in einem bestimmten 
Stadium der Entwicklung von einander un¬ 
trennbar einer gemeinschaftlichen Zellenmasse 
angehören und erst später isolirt werden. Diese 
erste Anlage der Rückensaite, aus dem Ectoderm 
hervorgegangen, bezeichnet man als den eigent¬ 
lichen Chordatheil. Um diesen lagert sich 
später der. skeletogene Theil der Chorda, wel¬ 
cher ein Product der Elemente des Mesoderms 
ist, die um die angelegte Chorda sich befin¬ 
den. Dieser ist es, dessen Elemente sich knor¬ 
pelig umwandeln und die erste Chor da-Anlage 
umgeben. Die erste Anlage der Chorda besitzt 
auf ihrer Oberfläche einzelne nebeneinander 
gelagerte Zellen, welche sich auf der Ober¬ 
fläche gleichsam wie ein einschichtiges Epithel 
ausbreiten. Sie sind bei den Embryonen der 
Selachier sehr deutlich zu sehen. Man be¬ 
zeichnet sie alle zusammen als Cuticula 
chordae. Mit diesem Namen benannte man frü¬ 
her den die Chorda dorsalis umhüllenden schma¬ 
len Saum von embryonalem Bindegewebe. Die 
Chorda dorsalis ist gegen das Schwanzende 
und gegen das Kopfende allmälig dünner. Am 


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168 


CHORDAKNOPF. — CHORION. 


hinteren Ende reicht sie bis in den äussersten 
Schwanztheil und vorne bis unterhalb der vor¬ 
dersten Gehirnblase. Ueber die vorderste Endi¬ 
gungsweise war man längere Zeit strittig. Es 
stellte sich aber in den letzten Jahren heraus, 
dass sie vorne mit einem knopfförmigen Ende 
aufhört. Dieser Theil wird Chordaknopf 
genannt. Der Chordaknopf vereinigt sich 
mit den umgebenden Elementen des mittleren 
Keimblattes und dem obersten kuppelförmigen 
Abschnitte des Darmdrüsenblattes, um sich an 
der Bildung der Hypophysis cerebri zu bethei¬ 
ligen. Die Chorda dorsalis ist ein Gebilde, 
welches nur während des embryonalen Lebens 
persistirt. Im postembryonalen Zustande be¬ 
stehen Reste derselben bei einigen Thieren. 
Bei den höheren Wirbelthieren schwindet sie 
vollständig. Die Elemente der eigentlichen 
Chorda sind in späteren Stadien in der Achse 
der Zwischen wirbelbänder angehäuft, während 
sie im knorpeligen, bezw. knöchernen Wirbel¬ 
körper fehlen und bleibt nur die feine Lücke, 
in denen sie sich befanden, von den Zellen der 
Cuticula ausgekleidet, zurück. Es bietet daher 
ein frontaler Schnitt durch die Wirbelkörper 
das Bild einer perlschnurartigen Chorda. Am 
Clivus Blumenbachii sollen nach Virchow 
Reste der Chorda dorsalis das Bildungsma¬ 
teriale für Neubildungen, welche hier als Gal- 
lertsarcome gefunden werden, abgeben. Schenk . 

Chordaknopf, s. Chorda dorsalis. 

Chordapouo, s. Chordapsum, die Darm¬ 
einschnürung oder Darmverengerung 
(von x°P 8 ^ Darm, Schnur, und Ärcxttv, fest- 
halten), gibt sich durch die Symptome einer 
Kolik zu erkennen; das Wort „Chordapsus 44 
wurde deshalb auch häufig von den alten 
griechischen und römischen Schriftstellern für 
„Kolik 41 (von xokixo's, Grimmdarm) überhaupt 
gebraucht. Galenus verstand darunter eine Ent¬ 
zündung der Dickdärme, noch Andere ver¬ 
standen darunter das Kotherbrechen, Deus, 
weil sich bei Umwegsamkeit des Darmrohrs 
öfter der Darminhalt per os entleert; eine 
solche kommt zu Stande durch Verdrehungen, 
Verschlingungen, Ineinanderschiebungen und 
Einschnürungen einzelner Darmpartien in na¬ 
türlichen oder abnormen Oeffhungen innerhalb 
der Bauch- oder Beckenhöhle. Anacker . 

Chorea, von x°P* ta i Tanz, Chorea St. Viti-, 
Veitstanz, chorde, choreomania, corea, danse de 
St. Guy, eine chronisch verlaufende, perioden- 
weise auftretende Cerebrospinalneurose mit un¬ 
willkürlichen convulsivischen epileptiformen 
clonischen Contractionen einzelner willkür¬ 
licher Muskelgruppen, die entweder nur die 
Muskeln des Vordertheils oder des Hintertheils, 
oder einer Seite oder aber sämmtliche Mus¬ 
keln des Rumpfes und insbesondere aller vier Ex¬ 
tremitäten ergreifen. Die einzelnen Anfälle 
machen Remissionen und mehr oder weniger 
lange Intermissionen und bleiben meist wäh¬ 
rend des Schlafes aus. Der Veitstanz kommt 
am häufigsten bei Hunden und nächstdem bei 
Pferden vor; selten bei Rindern. Während der 
Anfälle werden die verschiedenartigsten Zuckun¬ 
gen der Muskeln am Gesichte, Hals, Rumpf 
und den Extremitäten ausgeführt, wobei die 


Thiere oft in eine tanzende Bewegung gerathen 
und sich im Kreise drehen. Dabei ist der 
Willenseinfluss auf die willkürlichen Muskeln 
nicht ganz aufgehoben und es können auch 
zweckmässige, willkürliche, geordnete Bewe¬ 
gungen ausgeführt werden, Gefühl und Reflex- 
thätigkeit, Circulation, Respiration, Verdauung 
und Temperatur sind nicht gestört. Die Pro¬ 
gnose ist bei Hunden meist ungünstig, da Hei¬ 
lung selten, bei Pferden und Rindern dagegen 
günstiger, weil hier Heilung häufiger eintritt. 
Hunde werden im Laufe der Zeit schwach, 
anämisch, magern ab und gehen schliesslich 
unter Lähmungserscheinungen zu Grunde. Die 
pathologische Anatomie des Veitstanzes bietet 
bisher nichts für die Krankheit Typisches. In 
vielen Fällen sind Hirn und Rückenmark un¬ 
verändert, in anderen Fällen hat man Hyper¬ 
ämien, Anämien, Verdickungen der Hirn- und 
Rückenmarkshäute, Verhärtungs- und Erwei¬ 
chungsherde im Rückenmarke constatirt, ohne 
jedoch etwas Constantes, dem Veitstanz Eigen- 
thümliches nachweisen zu können. Auch die 
Ursachen der Krankheit bleiben bisher unbe¬ 
kannt. Man hat eine erbliche Anlage ange¬ 
nommen und bei Hunden den Veitstanz in 
Folge von Staupe, Diarrhöen, Wurmleiden etc. 
auftreten sehen. Die Behandlung besteht in An¬ 
wendung kalter Bäder und Verabfolgung von 
Nux vomica, Asa foetida, Arsenik, Zinkoxyd, 
Argentum nitricum, Bromkalium in steigender 
Gabe. Semmer. 

Chorioidea (Histologie und Pathologie), 
8. Aderhaut. 

Chorioidealdrüse (glandula chorioidealis), 
fälschliche, in früheren Zeiten gebrauchte Be¬ 
zeichnung für die bei den Knochenfischen, 
dem Seehund und Walfisch mächtig (bis 1 *5 mm 
und darüber) entwickelte Chorioidea (Fig. 389), 
deren schwammiger 
Bau ältere Zoologen 
annehmen liess, man 
habe es hier mit einer 
wirklichen Drüse zu 
thun (Andere hielten 
sie für einen Muskel). 
Es handelt sich je¬ 
doch um eine aus den 
die Aderhaut normal 
aufbauenden Gewebs- 
elementen zusammen¬ 
gesetzte Membran, 
deren Gefässe zu einem mächtigen Wunder¬ 
netz sich entwickelt haben, das sich wie ein 
schwammiges Polster in die Substanz der 
Chorioidea einschiebt. Scklampp. 

Chorioidealruptur, s. Aderhaut. 
Chorioiditis (xö x°P t0V ’ corium, die Haut, 
u. zw. der gefässhaltige Theil der Haut, die 
Gefässhaut; Aderhaut des Auges; ähnlich 

sein), die Aderhautentzündung, s. unter „Uveal- 
tractus 44 . Sp. 

Chorion, Lösung desselben. Der Geburts¬ 
act ist erst dann ein vollendeter, wenn mit 
der Frucht auch die Fruchthüllen (sog. Nach¬ 
geburt) ausgestossen sind. Die Lösung des 
Chorions und die Ausstossung desselben mit 
der Fötalplacenta erfolgt entweder schon am 



Fig. 889. Chorioidealdrüse des 
Hechtes, a Selens, b Chorioidea, 
o Retina. Vergrössert. (Nach 
Leackart.) 


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CHORION LAEYE. — 

Ende der Geburt, in ganz vereinzelten Fäl¬ 
len (beim Pferde und beim Rinde) auch schon 
vor derselben, oder erst eine oder mehrere 
Stunden, selbst Tage nach derselben, so bei 
den Wiederkäuern, namentlich beim Rinde. 
Bei der Stute erfolgt die Trennung der Ei¬ 
häute häufig schon während der Geburt und 
das Junge wird mit den sämmtlichen Ei¬ 
häuten geboren, oder dieselben werden un¬ 
mittelbar nach dem Jungen durch die letzte 
Geburtswehe ausgestossen. In der Regel wird 
jedoch die völlige Lösung und Ausstossung 
der Eihtlllen durch die Nachgeburtswehen 
vermittelt. Beim Pferde erfolgt der Abgang 
der Nachgeburt meist während der ersten 
halben Stunde, seltener erst innerhalb zweier 
Stunden und nur in vereinzelten Fällen 3 bis 
4 und selbst mehr Stunden nach der Geburt, 
in welchen Fällen die manuelle Ablösung an¬ 
gezeigt ist (s. unter Nachgeburt). Bei 
aer Kuh erfolgt die Lösung des Frucht¬ 
kuchens von dem Mutterkuchen fast ausnahms¬ 
los erst nach der Geburt. In der Regel geht 
bei dieser Thiergattung die Nachgeburt 
2—4—6 Stunden nach der Geburt ab; beim 
Schafe und bei der Ziege findet dies meist 
nach 1—2—3 Stunden statt. Beim Rinde wird 
die Nachgeburt sehr häufig, ganz besonders 
bei Frühgeburten, 6—8—11 Tage im Frucht- 
hälter zurückgchalten, was seinen Grund 
theils in der festen Verbindung zwischen 
Frucht- und Mutterkuchen, theils darin hat, 
dass die Contractionen des Uterus nicht 
direct auf die Fruchtkuchen einwirken kön¬ 
nen, weil die Karunkeln gestielt sind und in 
diese Stiele sich keine muskulösen Elemente 
vom Fruchthälter aus hinein erstrecken. — 
Beim Schweine sind die Fruchtkuchen nur 
locker mit der Fruchthälterschleimhaut ver¬ 
bunden und es erfolgt deren Lösung in der 
Regel schon während der Geburt und deren 
Ausstossung, sofern die Chorions nicht ver¬ 
wachsen sind, meist unmittelbar nach der 
Geburt der zugehörigen Frucht. Nicht so 
selten werden auch eine oder mehrere Nach¬ 
geburten von einem nachfolgenden Jungen 
vor sich hergeschoben. Bei Verwachsung der 
Chorions je eines Fruchthälterhomes gehen 
sämmtliche Fruchtkuchen des betreffenden 
Hornes zugleich ab. — Beim Fleischfresser, 
bei welchem Frucht- und Mutterkuchen innig 
verbunden sind, löst sich das Chorion nicht 
mit dem Fruchtkuchen vom Mutterkuchen, 
sondern es werden mit dem Chorion Frucht- 
und Mutterkuchen gleichzeitig ausgestossen. 
In Folge dieser Lösung des Mutterkuchens 
tritt an den Placentarstellen des Frucht- 
hälters eine wirkliche Verwundung und eine 
geringfügige, nur sehr kurze Zeit dauernde 
Blutung ein. Die nächsten Gründe für die 
Lösung der Nachgeburt liegen ohne Zweifel 
theils in den Contractionen des Uterus, theils 
in dem geminderten oder völlig aufgehobenen 
Blutzuflusse zu den Chorionzotten. Strebei. 

Chorion laeve nennt man denjenigen Theil 
des Chorions, der die Zwischenräume der 
eigentlichen Fruchtkuchen einnimmt. Auf der 
Oberfläche dieses Choriontheiles bilden sich 


CHRANOWSKOI SAWOD. 169 

in der ersten Zeit der fötalen Entwicklung 
Zöttchen aus, die sich aber nur in den sel¬ 
teneren Fällen weiter entwickeln und dann in 
Vertiefungen — Crypten — der Uterusschleim¬ 
haut hineinragen. Strebei. 

Chorion villosum ist derjenige Theil des 
Chorions, auf dem die eigentlichen Frucht¬ 
kuchen sitzen. Strebei. 

Chorionzipfel heisst man den peripheren 
eingestülpten, functionsunfähigen, gefäss- 
losen Theil an den beiden Polen des Chorion¬ 
sackes. Strebei. 

Chorioretinitis, s. unter „Uvealtr actus“ 
und „Retina 4, (Retinitis). 

Chorologie (abgel. von yj y<opa, Wohn¬ 
ort, und 6 Xo'yoc, Lehre) nennt Haeckel die 
gesammte Wissenschaft von der räumlichen 
Verbreitung der Organismen sowohl auf der 
Erdoberfläche wie oberhalb und unterhalb 
derselben. Sie kann in doppelter Art und 
Weise betrieben werden, entweder rein stati¬ 
stisch und als solche ist sie eine Thier- und 
Pflanzengeographie, oder auch ätiologisch, und 
von diesem Gesichtspunkte sucht sie nach 
den Ursachen für die Eigenthümlichkeiten 
dieser geographischen Verbreitung. Während 
in der erst angedeuteten Weise Alei. v. Hum¬ 
boldt für das Pflanzenreich und Berghaus u. A. 
für das Thierreich vorgingen, fand Ch. Dar¬ 
win in der Untersuchung der Ursachen der 
Pflanzen- und Thierverbreitung eine bedeu¬ 
tungsvolle Stütze seiner Transmutations- und 
Descendenztheorie, indem er die chorologi- 
schen Erscheinungen als die „nothwendigen 
Wirkungen der natürlichen Züchtung im 
Kampfe um das Dasein“ darzustellen ver¬ 
stand. Sussdorf. 

Chränowskoi sawod (XpinoBCKoft rocy- 
AapcTfieHHuä KOHCKÜt aasoÄ'B), berühmtestes 
Krongestüt Russlands, benannt nach dem 
benachbarten Dorfe Chränowoje, gelegen im 
Gouvernement Woronesch, 19 km von der 
Kreisstadt Bobrow und 58 km von der Station 
Liski der Woronesch-Roslow'schen Eisenbahn. 
Dasselbe wurde ursprünglich, während der 
Regierung der Kaiserin Katharina II., im 
Jahre 1778 vom Fürsten Orlow gegründet 
und gelangte bereits zu dessen Lebzeiten, be¬ 
sonders wegen seiner vielleicht unübertroffen 
dastehenden Traber, zur Berühmtheit. Unter 
Nikolaus I. im Jahre 1845 wurde es von der 
Krone erworben und durch Hinzuziehung des 
gräflich Rostoptschin’schen Gestütes verstärkt, 
welches letztere sich durch seine vorzüglichen 
Renner auszeichnete. Grossartig in seinen 
baulichen Anlagen, macht es gegenwärtig auf 
den Besucher gewissermassen den Eindruck 
von Vernachlässigung und Verödung, ein Ein¬ 
druck, welcher auch darin seine Bestätigung 
findet, dass 1845 der Bestand an Pferden 
sich im Ganzen auf über 2000 Stück belief, 
während er gegenwärtig bis ungefähr auf die 
Hälfte zurückgegangen. Uebrigens wurden in 
der neuesten Zeit von der Regierung ener¬ 
gische Massregeln zur Hebung sowohl dieses, 
als auch aller übrigen Krongestüte ergriffen. 
Der Chränowskoi sawod zerfällt in folgende 
drei Abtheilungen, deren Bestand an Pferden 


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170 CHREMETISMA. — CHROM. 


wir nach dem „Almanach der Hauptverwaltung 
für Gestütswesen 44 für das Jahr 1883 mit¬ 
theilen: 1. Eine Abtheilung für englische 
Vollblutzucht, mit sechs Beschälern, von 
denen einer mit 22.000 Rubel in England 
bezahlt wurde, und mit 39 Mutterstuten; 
2. eine Abtheilung für Reitpferde mit neun 
Beschälern, theils eigener Zucht (Orlow’sche 
Rasse), theils englisches Voll- und Halbblut 
und mit 95 Mutterstuten; 3. eine Abtheiiung 
für Traber mit 15 Beschälern Orlow’scher 
Rasse und 107 Mutterstuten. (Die in Chräno- 
woje, sowie auch in allen übrigen russischen 
Krongestüten gezüchteten Pferde werden am 
Halse, unter der Mähne mit einer Krone ge¬ 
brannt, u. zw. die des Reitschlages an der 
linken, die des Traber- und Wagenschlages 
an der rechten Seite.) — Ausser dem Gestüte 
befindet sich in Chränowoje noch eine, gleich¬ 
falls kaiserliche Beschälstation (Depöt) mit 
20 Hengsten vom Reitschlage, 31 Traber¬ 
hengsten, 27 Hengsten des Wagenschlages 
und 32 Hengsten des Arbeitsschlages. Brandt. 

Chremettama (xö ypep.extop.a), das Ge- 
wieher der Pferde. Sussdorf. 

Chremma (xo yptupta, von yptirxsoO-a, 
sich räuspern), Auswurf == sputum. Sussdorf. 

Christholz, die getrocknete Rinde des 
levantinischen, den flüssigen Storaxbalsam 
liefernden Baumes Liquidamber orientalis (s. d.), 
wird des angenehmen Geruches wegen zu 
Räucherungen benützt. Vogel. 

Christophskraut, Actaea spicata, Ranun- 
culacee, L. XIII. 1; sammt der Wurzel 
brechenerregend und laxirend, jetzt aber nicht 
mehr im Gebrauche. Vogel. 

Christwurz, schwarze Niesswurz, fast 
identisch mit der weissen oder grünen (siehe 
Helleborus niger). Vogel . 

Chrom und dessen Verbindungen. 
Chrom (Cr, Atomgewicht 56 • 5) ist ein Metall, 
welches nicht weit verbreitet, auch nicht gedie¬ 
gen vorkommt; die wichtigsten Erze, in denen es 
vorkommt, sind der Chromeisenstein, eine 
dem Magneteisenstein isomorphe Verbindung, 
aus Chromoxyd und Eisenoxydul bestehend, 
Cr t FeO*, in Amerika, Norwegen, ausserdem 
das Rothbleierz, PbCrO*, das natürliche vor¬ 
kommende chromsaure Bleioxyd. Die Verbin¬ 
dungen des Chroms zeichnen sich alle durch 
ihre schöne Färbung aus, und auch im Smaragd, 
Spinell, Olivin tritt Chrom als färbender Be¬ 
standteil auf, auch im Meteoreisen wurde es 
nachgewiesen. Man erhält Chrom als Metall, 
indem man Chromchlorid mit Chlornatrium 
und Zink im Tiegel schmilzt, als krystallini- 
sches Pulver, welches schwerer schmilzt als Pla¬ 
tin und sich beim Glühen an der Luft nur 
schwer oxydirt. Es ist unlöslich in verdünnter 
Salpetersäure, leicht löslich in Salzsäure und 
erwärmter Schwefelsäure. Schmilzt man das 
Metall mit Salpeter, so entsteht chromsaures 
Kalium. Die Verbindungen, CrO, Chrom- 
oxydul, und Cr,0 3 , Chromoxyd, entsprechen den 
analogen Verbindungen des Eisens und sind 
starke Basen, welche mit Säuren Salze bilden, 
die Verbindung Cr0 3 , ist jedoch ein Säure¬ 
anhydrid und löst sich im Wasser zu einer 


stark saueren Flüssigkeit, welche als wässerige 
Lösung der Chromsäure betrachtet werden 
muss. Das vom Chromoxydul, CrO, ableitbare 
CrCl,, Chromochlorid, ist ein weisses Salz 
und löst sich in Wasser mit blauer Farbe, die 
Lösung nimmt an der Luft begierig Sauer¬ 
stoff auf und geht dabei in ein Chromidsalz 
über. Die Lösungen der Chromidsalze haben 
eine grüne Farbe, aus ihnen fällt Ammoniak, 
grünes Chromhydroxyd, Cr t (OH)„, welches beim 
Glühen in ein grünes Pulver, Cr t 0 8 , Chrom¬ 
oxyd übergeht, das zum Grünfärben von 
Glas und in der Porzellanmalerei dient. Auch 
der Smaragd verdankt seine schöne grüne 
Färbung dem Chromoxyd. Das Chromoxyd 
bildet ebenso wie das Eisenoxyd und die Thon- 
erde Alaune, das sind Doppelsalze von schwe¬ 
felsauren Alkalien und schwefelsaurem Chrom¬ 
oxyd, Eisenoxyd oder Thonerde, welche mit 
24 Molecülen Wasser isomorph dem Kalialaun 
krystallisiren. Der Chromalaun bildet dunkel¬ 
violette Krystalle. 

Die Chromsäure kommt in der Natur 
im Rothbleierz (s. oben) vor. Schmilzt man 
eine Chromoxydverbindung 'mit Salpeter und 
kohlensaurem Kali, so wird diese oxydirt, es 
entsteht eine gelbe Schmelze, welche neutrales 
Kaliumchromat, K t Cr0 4 , enthält. Setzt man zur 
Lösung dieses Salzes so viel Schwefelsäure als 
nothwendig ist, um die Hälfte des Kaliums 
abzusättigen, so erhält man eine gelbrothe Lö¬ 
sung, aus welcher beim Verdampfen saures 
chromsaures Kali, Kaliumbichromat, K t Cr t 0 7 , 
auskrystallisirt, ein Salz, welches im Handel unter 
dem Namen rothes chromsaures Kali vorkommt 
und zur Darstellung verschiedener Chromfarben 
und Chrompräparate benützt wird. Versetzt 
man eine concentrirte Lösung eines chrom- 
sauren Salzes mit Schwefelsäure im Ueberschuss, 
so scheidet sich das Chromsäureanhydrid, CrO s , 
in scharlachrothen wasserfreien Krystallen aus. 
Das Chromsäureanhydrid löst sich leicht in 
Wasser und in Alkohol. Es ist ein sehr ener¬ 
gisches Oxydationsmittel. Man benützt es zu 
Oxydationen in der Form eines Gemenges von 
saurem chromsaurem Kali und Schwefelsäure, 
zur Darstellung vieler chemischer Präparate, 
in der Bunsen’schen galvanischen Batterie. 
Wirkt die Chromsäure durch Abgabe von 
Sauerstoff oxydirend, so wird sie zu Chrom¬ 
oxyd reducirt und die frühere gelbrothe Fär¬ 
bung der Lösung geht in’s Grüne über. Lh. 

Die Chromsäure ist im Jahre 1840 
von Hannover in die mikroskopische Tech¬ 
nik eingeführt worden. Die Lösungen der 
Chromsäure und der chromsauren Salze sind bei 
histologischen Arbeiten unschätzbare Erhär¬ 
tungsflüssigkeiten. Chromsäure im Wasser ge¬ 
löst (0* 2-0*5—1%—2%, oder auch 0*02 bis 
0 05%ige Lösungen, endlich auch 1—2 Th. auf 
10.000 Th. Wasser) wird für Erhärtung feinerer 
Organe, sowie Embryonen angewendet (1 bis 
2%). Beim längeren Stehen in derselben wer¬ 
den die Knochen entkalkt und schnittfähig, 
hauptsächlich, wenn die Chromsäurelösung auch 
mit etwas Salzsäure vermengt wird. Verdünnt 
(0*025—0*05%) wirkt Chromsäure maceri- 
rend ein und wurde von Deiters für Isolation 


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CHROMA. — CHROMATOSIS. 171 


der Nervenzellen und von M. Schultze bei 
Untersuchung der Sinnesnerven angewendet. 
Aeusserst verdünnt (1—2 Th. auf 10.000 Th. 
Wasser) ist sie von Ranvier zur Demonstra¬ 
tion der Kittleisten der Muskelzellen des Her¬ 
zens, von Waldeyer aber in 0*05%iger Lö¬ 
sung zur Isolation der Pfeiler des Gehör¬ 
organes benützt worden. 

Chromsäure mit Platinchlorid 
[gleiche Theile von Platinchloridlösung (1 *400) 
und von Chromsäure] wird zur Demonstration 
des Gerüstes der Retina angewendet. Die 
Chromsäure wird neuerlich in der neapolita¬ 
nischen zoologischen Station auch mit Cor- 
rosiv (gesättigte wässerige Lösung von Cor- 
ro9iv mit Chromsäurelösung so lange gemengt, 
bis die gemischte Flüssigkeit dunkel stroh¬ 
gelb erscheint) vermengt als Erhärtungsflüs¬ 
sigkeit benützt. 

Chromsaures Ammoniak (rothes oder 
doppelt chromsaures Ammoniak; Ammonium 
bichromicum; chem. Formel = [(NH 4 ),Cr,0 7 ]). 
Seit Gerlach benützt man dasselbe mit gros¬ 
sem Vorth eil zum Härten des Centralnerven¬ 
systems (1—4%ige Lösung); bei der Härtung 
fängt man mit 2%iger Lösung an und hört 
mit 3—4%iger auf. In Alkohol gelöst, wird 
dasselbe auch mit Erfolg benützt (Ref.). Man 
kann auch, damit die gänzlich gehärteten 
Präparate nicht brüchig werden, nach der ge¬ 
hörigen Härtung diese in Alkohol aufbewahren 
(Ref.), ebenso wie die in Chromsäure gehär¬ 
teten Präparate (Frey). Ganze Gehirne oder 
Stücke vom Rückenmarke werden nach 3 bis 
5 Monaten in dieser Flüssigkeit schnittfahig; 
kleine Stückchen werden aber viel früher zur 
Untersuchung brauchbar. 1—2%ige, ja auch 
stärkere Lösungen von chrorasaurem Am¬ 
moniak werden von Heynold für die Unter¬ 
suchung der Schweissdrüsen benützt. 

Einfach chromsaures Kalium (chem. 
Formel = K,Cr0 4 ) wurde von Robin be¬ 
nützt und 

Einfach chromsaures Ammonium 
(chem. Formel = (NH 4 ) t Cr0 4 ; 1—5%) von 
Heidenhain zur Untersuchung der Niere an¬ 
gewendet. 

Doppelt chromsaures Kalium (Ka¬ 
lium bichromat.; Kalium bichromicum, saures 
chromsaures Kalium; chem. Formel = (K t Cr 2 0 7 ) 
wurde früher auch für Härtung des Centralnerven¬ 
systems und feinerer Organe benützt. Hie und 
da benützt man sie auch heute; hauptsächlich 
aber für die sehr gute Müller'sche Augen¬ 
flüssigkeit (chromsaures Kalium = 2—2*5 g; 
schwefelsaures Natron = lg; destülirtes 
Wasser = 100 g), welche zu folgenden Zwecken 
angewendet wird: 1. Zum Härten und zur 
Untersuchung von Retinapräparaten; 2. zum 
Härten und zur Untersuchung des Central - 
nervenBystems; 3. zum Härten und zur Unter¬ 
suchung der Embryonalorganc; 4. zum Härteu 
und zur Untersuchung der Schleimhäute; 
5. zum Härten und zur Untersuchung der 
Flimmer-Epithelien; 6. von Czerny und Lan- 
gerhans mit Speichel gemengt (gleiche Theile), 
ist sie nach mehrtägigem Ein wirken eine gute 


Macerationsflüssigkeit für das Epithel der Con- 
junctiva und Mundhöhle. v. Thanhoffer. 

Von den Chrompräparaten wird in der 
Thierheilkunde jetzt nur mehr Gebrauch ge¬ 
macht von der Chromsäure, Acidum chromi- 
cum und dem doppelchrorasauren Kali, Kalium 
bichromicum. Siehe die lateinischen Bezeich¬ 
nungen beider Stoffe. Vogel. 

Chrona (to xpäjia), die Oberfläche, die 
Farbe der Oberfläche, in vielfachen Zusam¬ 
mensetzungen vorkommend; davon auch das 
Adjectiv chromatisch, gefärbt. Sussdorf. 

Chromat 08 is, s. Chromatismus, der 
gefärbte Zustand der normalen Gewebe und 
der Neubildungen (von /pü>p.a, Farbe, XP 40 " 
uau'Csiv, färben). Den Farbstoff, Pigmentum, 
liefert in den meisten Fällen das Blut, man 
spricht deshalb auch, wenn die Färbung eine 
schwarze ist, von Pigmentirung, und sofern 
das Pigment in Form feiner Körner in das 
Gewebe eingestreut erscheint, von Pigment¬ 
infiltration. Die rothen Blutkörperchen ver¬ 
danken ihre Farbe dem Blutfarbstoff oder 
Hämoglobin, einem krystallisirbaren, eisen¬ 
haltigen Eiweisskörper. Aus einer Hämoglo¬ 
binlösung scheiden sich die Hämoglobinkry- 
stalle in Form rhombischer Tafeln und Pris¬ 
men aus; sie zerfallen schnell in Eiweissstoff 
und den eigentlichen Blutfarbstoff, das Häma¬ 
tin, wobei die rothe Farbe ins Gelbe, Grüne, 
Braune und Schwarze übergeht. Das Häma¬ 
tin krystallisirt in kleinen, schiefen, rhombi¬ 
schen, mehr oder weniger rothen Säulen, die 
leicht zu einem schwarzgrauen Pulver zer¬ 
fallen. Aehnliche Krystalle bilden sich in 
dem aus den Gefässen ausgetretenen Blute, 
die, wenn sie kein Eisen enthalten, Häma¬ 
toidin genannt werden. Dem entsprechend 
finden wir pigmentirtes Gewebe überall und 
häufig da vor, wo früher einmal chronische 
Hyperämien, Hindernisse im Blutumlaufe oder 
kleine Blutungen aus den Capillaren statt¬ 
gefunden hatten. Hierbei werden die flüssi¬ 
gen Bestandtheile des Blutes schnell resor- 
birt, nur die Blutkörperchen bleiben liegen 
und durchwandeln die eben genannten Meta¬ 
morphosen. Dyskrasische Zustände begünsti¬ 
gen die Auflösung des Blutfarbestoffes, der¬ 
selbe tritt hier öfter aus den unverletzten 
Blutscheiben in die umgebenden Flüssig¬ 
keiten und die Secrete oder Excrete über und 
färbt sie schmutzigroth. Auch amöboide Zel¬ 
len vermögen rothe Blutkörperchen oder Blut¬ 
farbstoff in sich aufzunehmen und erscheinen 
dadurch pigmentirt. Der deponirte aufgelöste 
Blutfarbstoff wird am meisten von den Ge¬ 
webszellen, weniger von der Intercellular¬ 
substanz angezogen; in den Zellen bleibt 
hierbei der Kern häufig ungefärbt, man er¬ 
kennt ihn in den pigmentirten Zellen als 
weissen Punkt. Ist dies der Fall, dann wird 
die Function der Zellen nicht merklich be¬ 
einträchtigt; erst wenn der Zellenkcrn ver¬ 
drängt wird, zerfallt die Zelle und das Pig¬ 
ment lagert nunmehr als ein feinkörniges, 
schwarzes Pulver (Melanin) frei im Gewebe. 
Die Form der Körnchen ist bald rund, bald 
eckig, bald liegen sie zerstreut, bald in grös- 


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172 CHROMATOSIS. 


seren Massen bei einander, sie bilden theils 
schwarze, tintenartige Flecke, theils Streifen 
und Haufen. In der Milz und Leber lagert 
das Pigment nicht selten so dicht, dass diese 
Organe an vielen Stellen ganz schwarz aus- 
sehen. In der Leber sind alsdann nicht nur 
die Zellen, sondern auch das interlobuläre 
Bindegewebe und die interlobulären Pfort¬ 
aderäste davon erfüllt: schwarze pigmentirte 
Lebern sind häufig bei Schafen, seltener bei 
Pferden angetroffen worden; ich selbst fand 
derartige Lebern sehr oft bei ganz gesunden 
geschlachteten Schweinen, Schafen und Och¬ 
sen (s. Thierarzt 1877), zuweilen war die 
Leber nur an vereinzelten Stellen von 
schwarzen Punkten und dergleichen unregel¬ 
mässigen Streifen durchsetzt, andere Male 
bildete die Pigmentablagerung mehr oder 
weniger in die Tiefe eindringende dicke 
Stränge oder ausgedehntere zusammenhän¬ 
gende Massen, die nur hin und wieder einen 
Rest des normalen Parenchyms zwischen sich 
inselartig einschlossen. Sehr wahrscheinlich 
ist die Ursache der Pigmentation in der 
Leber in chronischen Hyperämien und Blut¬ 
stauungen in Folge von Indigestionen, träger 
Verdauung, Leberkatarrh, mechanischen Rei¬ 
zungen des Leberparenchyms durch Druck, 
Quetschung etc., von Erschlaffung und Er¬ 
weiterung der Pfortaderverzweigangen etc. zu 
suchen, weil sonst keine Pigmentablagerungen 
in anderen Organen vorfindlich waren. In der 
Umgebung der pigmentirten Stellen fand ich 
die Gefässe stark injicirt, so dass sie als 
kleine, feine, rothe Streifen sichtbar wurden; 
zwischen ihnen waren eine Menge theils zer¬ 
fallener, theils unversehrter Blutzellen depo- 
nirt. Bruckmüller (pathol. Zootomie) traf bei 
Pferden die Pigmentablagerung in der Leber 
neben solcher in der Milz und Haut an. In 
der Milz tritt das Pigment in der Form von 
Knoten und einer allgemeinen Infiltration 
auf; in diesem Falle erscheint die Milz ver¬ 
dickt, derb und schwarzbraun. Auf der 
Schleimhaut des Darmcanals und in den 
Lyraphdrüsen gehört die Pigmentirung zu 
den normalen Vorkommnissen; diese Organe 
sind dann schwarz gefleckt oder die Schleim¬ 
haut erscheint in typhösen Krankheiten wie 
mit Russ bestaubt fAalhaut); ebenfalls häufig 
wird sie auf der Pia mater, an der Basis des 
Gehirns und in der Umgebung der Aderge¬ 
flechte in Form von Punkten und Knötchen, 
seltener auf den Meningen des Rückenmarks 
und in der Bauchspeicheldrüse vorgefunden. 
Im Gehirn etc. haftet das Pigment an den 
Ganglienzellen und ihren Scheiden. Nach 
wiederholten Lungenhyperämien scheidet sich 
Pigment punktförmig und fleckig im Lungen¬ 
parenchym ab; Pigmentanhäufung zwischen 
den Lungenläppchen alter Hunde betrachtet 
Bruckmüller fast als normalen Zustand. Das 
pigmentirte Gewebe zeigt öfter stellenweise 
eine gelbliche oder schiefergraue, braune und 
schwärzliche, seltener eine röthliche Farbe. 
Pigmentation kann ausserdem an allen serö¬ 
sen Häuten und Organen Vorkommen. In der 
Haut kennt man sie, abgesehen von Argyria 


(s. d.), als Nigrities, s. Nigritudo (niger. 
schwarz); hier sind besonders die Zellen der 
Schleimschicht pigmentirt, bei Pferden ist 
auch zuweilen das Corium so dicht von Pig- 
mentkörnem durchsetzt, dass die Talgdrüsen 
und Haarfollikel atrophiren und die Haare 
ausfallen. Gelangt von der Milz aus viel 
Pigment ins Blut, so wird der Zustand zur 
Melanämie, das Pigment wird nicht nur in 
den meisten Geweben, sondern auch in Neu¬ 
bildungen, z. B. Krebsknoten, Sarcomen, ab¬ 
gesetzt, es kommt auch zur Bildung massen¬ 
hafter schwarzer Knoten, der sog. Melanome 
(s. d.). In der Melanämie (von [Ukas, schwarz) 
ist das Blut dünnflüssig, es enthält Pigment 
theils in den Blutzellen, theils ist es dem 
Plasma bei gemischt und bleibt in den Capillaren 
der Lungen, der Leber, der Nieren, der Milz, 
der Haut, in den Gehirngefässen etc. stecken, 
veranlasst hier Pigmentirung oder Melanosis, 
wobei sich die Thiere mit der Zeit auch 
anämisch, marastisch, hinfällig und abgema¬ 
gert zeigen, die Schleimhäute eine blasse 
Farbe annelimen, der Puls klein, das Haar 
glanzlos, spröde, leicht ausziehbar, das Schwanz- 
und Mähnenhaar wellig und kraus wird, selbst 
Erscheinungen einer Gehirnreizung, Gehirn¬ 
depression oder Paralyse zu Stande kommen: 
gern bilden sich seröse Ergüsse in die Kör¬ 
perhöhlen; die Capillaren sind öfter durch 
Pigmentkörner verstopft. Am häufigsten wird 
das Melanin im subcutanen Bindegewebe, 
u. zw. in der Umgebung der Parotis, des 
Schulterblattes, des Oberschenkels und der 
Scham, bei Pferden, besonders Schimmeln in 
der Umgebung des Afters und am Schweif 
abgesetzt. Pigraentablagerungen kommen ver- 
hältnissmässig am seltensten in den Muskeln, 
Knochen und Sexualdrüsen vor. Bei hellfar¬ 
bigen Thieren ist eine Anlage zur Melanosis 
nicht zu verkennen, bei dunkelfarbigen findet 
das Pigment seinen normalen Absatz in Haut 
und Haar. Brugnone beobachtete, dass ein 
Schimmelhengst des sardinischen Gestüts 
Chivasso Melanome auf alle seine Descen- 
denten vererbte; ähnliche Beobachtungen 
machte Gohier (Annales de l’agric. fran^., 
Tome 40). Erschöpfende Anstrengungen, con- 
tinuirliche Ernährungsstörungen und Krank¬ 
heiten begünstigen die fragliche Disposition, 
sie wird oft erst von älteren Thieren erwor¬ 
ben. Virchow sah sie nach septischen Krank¬ 
heiten hervortreten. Der Vorgang der Pig¬ 
mentirung ist als Melanosis bezeichnet wor¬ 
den, Lebert gebrauchte dafür den Ausdruck 
Xanthosis (von SavO-os, gelb; Xanthämatin 
ist gleich einer Abart des Hämatins), Lobstein 
den Ausdruck Kirrhonosis (von Locke). 

Das diffus eingestreute Pigment kann später 
resorbirt werden. Manche Autoren sprechen 
den Nebennieren die Bestimmung zu, die 
Pigmentbildung in den normalen Grenzen zu 
erhalten, eine Ansicht, zu der Perosino hin¬ 
neigte (v. Giorn. d. Veterin. 1858), seitdem er 
bei einem Pferde ausser einem Melanom im Mit¬ 
telfleische nirgends Pigment abgelagert fand. 

Chromatose der Gewebe oder der Con- 
creraente kann auch in selteneren Fällen von 


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CHROMATOSIS. 


173 


den Farbstoffen des Harns und der Galle her¬ 
rühren. Den Harnfarbstoff untersuchte Thu- 
dichum (Henle’s Bericht pro 1864). Nach 
ihm enthält der frische Harn eine färbende 
gelbe Substanz, das Urochrom, das durch 
Oxydation an der Luft eine rothe Farbe an¬ 
nimmt; durch Zersetzung mit Säuren bilden 
sich aus dem löslichen Urochrom drei unlös¬ 
liche Substanzen, nämlich ein Harz, das Uro- 
pittin, eine harzige Säure, die Onychmylsäure 
und das Uromelanin neben anderen flüchtigen 
Körpern. Das Uromelanin hat eine gewisse 
Aehnlichkeit mit dem grünen Farbstoffe der 
Galle. Jaffe nannte deshalb diesen Farbstoff 
Urobilin, das den Harn roth und rothbraun 
färbt; auch gelöstes Hämoglobin verleiht dem 
Harne eine rothe Farbe. Oefter haben Harn¬ 
steine eine braune Farbe, denn die harnsau¬ 
ren Salze scheiden sich beim Erkalten des 
Harns als ein gelbröthlicher Bodensatz ab. 
Die Harn säur ekrystalle haben eine gelbbraune 
oder röthliche Farbe, die harnsauren Steine 
oder Urate eine rosa- oder ziegelrothe Farbe, 
bei Hinzutritt von Kalk- und Ammoniak¬ 
magnesia eine gelbe Farbe, die oxalsauren 
Concretionen oder Oxalate eine dunkelbraune 
oder graue Farbe, nach Hinzutritt von kohlen¬ 
saurem Eisenoxydul nehmen sie metallischen 
Glanz an. Cystinsteine besitzen eine matt¬ 
gelbe Farbe. Der Gallenfarbstoff, das Bili¬ 
rubin, ist ein Abkömmling des Blutfarbstoffes 
der Carnivoren und Omnivoren; bei den Herbi- 
voren verwandelt sich das Bilirubin durch 
Oxydation in einen grünlichen Farbstoff, das 
Biliverdin. Wird die Galle lange in den Gal¬ 
lengängen zurückgehalten, so tritt der Gallen¬ 
farbstoff in das Blut, in die Milch und in 
den Ham über, er wird alsdann in allen 
organischen Geweben abgesetzt und färbt sie 
intensiv gelb, selbst gold- und citronengelb, 
den Harn braun oder orangefarbig. Der 
Ueberlritt der Gallenpigmente in das Blut 
stellt die Cholaemia, das Gallenblut, ein sol¬ 
cher in den Ham die Choluria oder das fal¬ 
sche Blutharnen dar (von voXoc, Galle, al^a, 
Blut, oöpov, Harn). Der Harn der Cholurie 
nimmt während des Stehens an der Luft eine 
grünliche Farbe an, er färbt eingetauchte 
Leinwand gelb. Erwähnt sei noch, dass man¬ 
che Arzneimittel dem Harn eine dunklere 
Farbe geben, z. B. Rheum und Senna eine 
bräunliche bis blutrothe Farbe, Sem. cinae 
eine kirschrothe, Pix liquida, Carbolsäure etc. 
unter Hinzutritt der Luft eine oliven- bis 
schwarzgrüne Farbe. Reichlich verfüttertes 
Bohnen- oder Erbsenstroh, Rapskuchen, Klee¬ 
heu ete. verursacht den Absatz eines dunk¬ 
leren Harns. Die Grünfärbung des Harns nach 
Carbolsäure beruht auf Oxydation des sich 
im Organismus bildenden Hydrochinons 
(vergl. Siedamgrotzky-Hofraeister’s Anleitung 
zur mikroskopischen und chemischen Dia¬ 
gnostik). Der Farbstoff der Krappwurzel, 
Rubia tinctorum, geht leicht in das Blut 
über, er färbt das Blut, den Harn, die Milch, 
selbst die Galle und die Knochen roth. Aehn- 
lich verhält sich der blaue Farbstoff Indigo 
der Papilionaceen, z. B. des Waid, Isatis 


tinctoria, der Baptisia tinct., des Polygonum 
tinctorium etc. Schon Dioscorides kannte das 
lv$ixov ßa<pixo'v = indische Färbmittel. Die 
fettige Degeneration verleiht den davon be¬ 
troffenen Geweben öfter eine mehr oder weni¬ 
ger intensive Gelbfärbung. So beruht die gelbe 
Gehirnerweichung, Encephalomalacia flava 
(srxetpaXov, Gehirn, p.aXaxd<;, weich, flavus, 
gelb), auf einer fettigen Degeneration einzel¬ 
ner Gebirntheile, u. zw. des Nervenmarks, 
der Neuroglia und der Gefässwandungen, die 
Geliirntheile verflüssigen sich und bekom¬ 
men eine hell- oder schwefelgelbe Farbe. 
Capillare Blutungen färben die erweichte Ge- 
hirnraasse roth, sie führen die rothe Gehirn¬ 
erweichung herbei. Finden sich in der er¬ 
weichten Himsubstanz noch graue Faser¬ 
bündel der Neuroglia vor, so haben wir die 
graue Gehirnerweichung vor uns. 

Abnorme Färbungen bietet öfter die Milch 
dar. Der Farbstoff der Futtermittel geht eben¬ 
so in die Milch über, wie der Farbstoff der¬ 
selben in andere Se- und Excrete. Gelbe Rüben, 
Ranunculaceen, Safran, Rhabarber etc. färben 
die Milch gelblich, wenn sie an milchgebende 
Thiere verföttert werden, Rubia tinctorum, die 
Galium- und Orchideen-Arten röthlich. Blut 
kann nach dem Verfüttern scharfer, reizender 
Stoffe, z. B. junger Triebe der Tannen, Ranun¬ 
culaceen, Polygoneen etc. in den Drüsenbläs¬ 
chen des Euters in die Milch übertreten und 
ihr eine rothe Farbe geben (s. Blutmelken). 
Ganz besonders aber interessirt uns eine Pig- 
mentirung der Milch unter dem Einflüsse von 
Pilzen; die Milch, in feuchten, dunstigen Räu¬ 
men aufbewahrt, nimmt zuweilen Fäulniss- 
erreger aus der Familie der Bacterien in sich 
auf, welche den Käsestoff der Milch in eine 
Pigmentgährung versetzen, es bilden sich als¬ 
dann auf der Milch gelbe und blaue vereinzelte 
Flecke, die allmälig dunklere Nüancirungen 
annehmen, sich mehr und mehr ausbreiten 
und schliesslich die gesammte Milch blau 
färben. Die Farbenschattirungen spielen öfter 
ins Gelbe, Grüne oder Rothe hinüber: bedeckt 
sich die Milch mit einem weissen Pilzlager, 
so erscheint sie blaugrau. Ehrenberg nannte 
den Pilz Vibrio synxanthus, Fuchs aber Vibrio 
xanthogenus, Hessling, Hoflmann und Fürsten¬ 
berg „Penicillium glaucum“, dessen Schwärmer¬ 
zellen sich in der Luft verbreiten. NachHueppe’s 
Untersuchungen (cfr. Kitt in der Nr. 3 der 
Revue für Thierheilkunde und Thierzucht 
1885) ist es ein Spaltpilz in Stäbchenform, der 
sich durch Theilung vermehrt und Sporen ent¬ 
wickelt. Unter seiner Einwirkung bemerkt man 
im Rahme der Milch grau- bis himmelblaue 
Flecke, die sich in allmälig sauer werdender 
Milch auch auf den Käsestoffausbreiten und diesen 
bläuen können. In sterilisirter Milch verursacht 
Bacterium syncyanum, wie man den Pilz der 
blauen Milch später nannte, nur graue Flecke. 
Späterinder ganzen Milch eine schiefergraue oder 
mattblaue Färbung, in Fleisehwasser-Pepton- 
gelatine eine grünliche Färbung: in den grünen 
Pilzculturen geht die Farbe mit der Zeit ins 
Braune, nach Zusatz von Oxydationsmitteln 
ins Blaue über. Kitt cultivirte blaue Milch 



174 CHROMIDEN. — CHROMOGENE SPALTPILZE. 


auf sterilisirten Kartoffelscheiben, wonach gelb¬ 
liche Flecke, in der Umgebung graublaue, mit 
der Zeit mattschwarze Flecke entstanden. Aus- 
gesäeto Macerirflüssigkeit rief hier rothe Co- 
lonien hervor; der Träger des rothen Farbstoffes 
war eine Hefeform; eine grün, weissumsäumte 
Colonie bestand in einer Sehimmelpilz-Ansied- 
lung aus der Luft. Die Pigmentgährung der 
Milch tritt am leichtesten bei Grünfütterung, 
feuchtwarmer, gewitterschwüler Luft und bei 
alkalischer Beschaffenheit ein, schnelle Säurung 
verhindert sie. Nach Michailow (Centralbl. für 
medicin. Wissenschaften 1885, Nr. 5) scheiden 
sich animalische Farbstoffe aus Essig-Albumin¬ 
lösungen aus, wenn man Ammoniumsulfat hin¬ 
zusetzt; der Farbstoff' lässt sich durch Alkohol 
ausziehen; je nachdem man den Alkohol mit 
einem Alkali oder einer Säure versetzt, erhält 
man gelb oder rosa gefärbte, grün-fluorescirende 
Lösungen, welche die Gmelin’sche Gallen- 
farbstoffreaction geben. Bekanntlich bilden sich 
bei den in Fäulniss übergehenden Leichen in 
der Haut, in den Muskeln und den mit Blut 
versehenen Organen grüne Flecke, sogenannte 
Todtenflecke, Livores mortis, deren Ursache in 
der Bildung der Pristley’schen Materie aus 
diffundirtem Blutfarbestoff in das Blutserum und 
die Gewebe gesucht wurde. Pellacini (1. c. Nr. 6) 
stellte fest, dass hier die grüne Färbung aus einem 
Körper hervorgeht, der das Resultat einer Ver¬ 
bindung von Schwefelwasserstoff, der sich aus 
dem Eiweiss entwickelt, mit Blutfarbstoff' ist; 
dieser Körper besitzt alle Eigenschaften des 
künstlich dargestellten Sulfhämoglobin. Er¬ 
mangeln die Gewebe der Blutgefässe, so beruht 
die Grünfärbung derselben bei der Fäulniss aut 
einer Verbindung des Schwefelwasserstoffes mit 
einem Globulin, dem „Sulfovitellin“. Auch in 
brandigen Theilen des Organismus scheidet sich 
aus dem Blute das Hämatin in feinen Krystallen 
ab, welche ihnen eine schwarze Farbe ver¬ 
leihen und als Valentin’sche Brandkörperchen 
bekannt sind. Anacker, 

Chromiden, Chromidae. Familie der 
Knochenfische aus der Ordnung der Pharyn- 
gognathae, der Fische mit verwachsenen 
Schlundknochen. Ausgezeichnet durch den 
meist hohen, länglichen oder gestreckten 
Körper, der von Kammschuppen bedeckt ist. 
Mit einer Stachelstrahlen führenden Rücken¬ 
flosse und brustständigen Bauchflossen, kleinen 
Zähnen, die nur auf den Kiefern, nicht am 
Gaumen stehen. Die Chromiden umfassen 
19 Gattungen mit circa 100 Arten, welche 
die süssen Gewässer Afrikas und Südamerikas 
bewohnen. Sie sind theils pflanzenfressend 
und zeichnen sich dann durch gelappte Zähne 
und zahlreiche Darmwindungen aus, theils 
fleischfressend mit spitzen Zähnen. Eine der 
artenreichsten Gattungen ist Chrorais Gthr., 
von der eine Art Chromis niloticus Cuv. im 
Nil vorkommt und gegessen wird. Studer. 

Chromidien (von yptufia, Farbe) hat 
Stitzenberger die Gonidienzellen der Flechten 
zu nennen vorgeschlagen. Dieselben werden 
heute geeigneter einfach als „Algenzellen“ 
bezeichnet. Harz. 

Chromogene Spaltpilze. Zahlreiche Spalt¬ 


pilze sondern Farbstoffe verschiedenartiger 
Natur ab. Dabei können sie in allen ihnen als 
Nährboden dienenden Substanzen chromogen 
bleiben oder unter gewissen Bedingungen 
farblos werden. So erzeugt Bacterium cyano- 
genum, der Pilz der blauen Milch, in und auf 
Milch, Kartoffeln, Mandelmilch, Reisbrei, 
Stärkekleister, Bohnencasein reichlich einen 
blauen Farbstoff, während sich dieser Pilz 
auf Quitten-, Flohsamen-, Eibischschleira, 
Gummilösung, Zuckersyrup und Glycerin zwar 
sehr gut, aber ohne Pigmentbildung ver¬ 
mehrt. Die meisten bekannt gewordenen 
chromogenen Spaltpilze erzeugen, wie es 
scheint, immer Pigmente. Zu den chromo¬ 
genen Schizomyzeten gehören: 

1. Micrococcen. So Mikrococcus auran- 
tiacus, M. chlorinus, M. cyaneus, M. gallinarum 
(8. Cholerapilz der Hühner), M. lutens, M. pyo- 
cyaneus, M. prodigiosus, M. violaceus, über 
welche man unter „Micrococcus“ nachschla¬ 
gen möge. 

2. Bacterien und Bacillen. Bacterium 
synxanthum, Bacterium (Bacillus) syncyanum, 
beide unter „Bacterien“ (s.d.) erwähnt. Zu diesen 
gesellen sich noch ferner Bacillus ruber Frank 
und Cohn, Bacillus erythrosporus Cohn und 
B. brunneus Schröt. Beide sind nur in der Stäb¬ 
chenform bekannt. — B. ruber (Fig. 390) 
stellt lebhaft bewegliche Stäbchen dar, welche 



häufig auf gekochtem Reis, gekochten Kar¬ 
toffeln u. s. w. Vorkommen und ein mennig- 
rothes bis ziegelrothes Pigment abscheiden. 
Die Stäbchen sind bald einzeln, bald zu 2—6 
fadenförmig aneinander gereiht. Zuweilen 
findet man in ihnen 2—4 fettglänzende, stark 
lichtbrechende Körnchen. — B. erythrosporus. 
Gleichfalls bewegliche, kurze, dünne Stäbchen, 
die auf faulendem Fleischwasser, Fleischcxtract- 
lösungen, Leimwasser, Eiweisslösungen etc. 
als kleine, schüppchenförmige, kahmpilzartige 
Inseln, bilden, im Centrum ziegelroth,am Rande 
weiss,erscheinen oder zusammenhängendeHäute 
darstellen. Bildet im Inneren schmutzig-rothe 
Sporen. Nicht selten kommen lange, dünne, 
gegliederte Fäden neben den Stäbchen und 
Stäbchenketten vor, in denen dann häufig 
kettenförmige Sporenbildung, ähnlich wie bei 
Bacillus subtilis auftritt. Nach Verschleimung 
und Auflösung der Membran sinken die ovalen 
Sporen zu Boden. (Miflet in Cohn, Beitr. z. 
Biol. d. Pfl. 1879. Bd. III. I.S. 128). Bacillus 
(Bacteridium Schröter) brunneus wurde 


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CHROMOGENE SPALTPILZE. 


175 


von Schröter in Mais- und in Kartoffel¬ 
abkochungen gefunden; sondert einen brau¬ 
nen, nicht näher untersuchten Farbstoff ab. 

3. Sonstige Spaltpilze. Von den in¬ 
teressanteren gehört hieher die Beggiatoa 
rubescens (Lank.), B. roseo-persicina Zopf 
(Fig. 391). Nicht seltene Bewohner süsser und 
salziger Gewässer, namentlich massig auftretend 
in fliessenden und stehenden Wässern, welche 



Fig. S91. Beggiatoa roseo-persicina. I Fadenform, theils 
deutliche, theils scheinbar keine Quertheilungen zeigend. 
Einige Fftden enthalten einige bis zahlreiche Schwefel- 
körnchen. II Fftden, durch fortgesetzte Quertheilung bei 
a in Coccen, bei b erst in Kurzscheiben, dann durch verti- 
cale Scheidewftnde in Coccen zerfallend. III und IV Zoo- 
glöacolonien, durch Zweitheilung der bei II gebildeten 
Coccen entstanden. V Bewimperte Coccen (Monaden). 
VI Desgleichen zu Schw&rmcolonien vereint. VH grossere 
bei *) sich theilende Monaden. VIII Schw&rmende Bacillen 
oder Vibrionen. IX Spirillen (Ophidomonas). 

Cloakenausflüsse aufnehmen, oder die andere 
faulende thierische oder pflanzliche organische 
Substanzen reichlich enthalten. Besonders 
häufig findet man den Pilz in Brauerei- und 
Fabnksabwässern. Er scheint im Sommer wie 
im Winter mit derselben Leichtigkeit zu ge¬ 
deihen. Bildet dichte Rasen und Filze als 
Ueberzüge von Steinen u. s. w.; seine Fäden 
sind 1—7 Mikr. dick und indem sie sich mit 
dem einen Ende festsetzen, zeigen sie einen 
Gegensatz zwischen Basis und Spitze. Die 
Gliederung ist bald sehr deutlich, bald kaum 
bemerkbar; sie wird jedoch leicht erkannt nach 
der Färbung mit Anilinfarben nach der ge¬ 
wöhnlichen Weise, oder auf Zusatz von Pikrin¬ 
säure, oder Platinchlorid und Chromsäure. 
Der Pilz ist in allen seinen Theilen durch 
Bacteriopurpurin (s. oben) roth, violettroth 
oder rothbräunlich gefärbt. Die feineren Fäden 
desselben zergliedern; die Glieder runden 
sich zu Coccen; die derberen Fäden zerfallen 
nach Zopf durch Quertheilung der Glieder in 
flache, dünne Scheiben, die abermals durch 


senkrechte (der Längsachse des Fadens pa¬ 
rallele) Theilung in zwei Zellen zerfallen, so 
dassdie ursprünglichen Gliedzellen des Fadens 
in vier Tochterzellen zerfallen. Diese runden 
sich ab und stellen Coccen dar, die schliesslich 
sich von einander trennen, durch Zweitheilung 
weiter sich vermehren und so Colonien von 
sehr verschiedener unregelmässiger Gestalt 
bilden, auch nach Schleimabsonderung Zoo- 
glöen darstellen können. Diese Coccusformen 
wurden früher von Lankaster als eigene Art 
unter dem Namen Bacterium rufescens be¬ 
schrieben, und Cohn nannte sie (Beitr. z. Biol. 
I. 3. S. 157) Clathrocystis roseo-persicina. 
Die Coccen vergrössern sich später wieder: sie 
können Cilien erhalten und dann einzeln als Mo¬ 
naden (Fig. 391 IV) oder als Kugel- oder Maul- 
beercolonien (Fig. 391 V, VI) ausschwärmen, 
oder sie wachsen aus zu ovalen (Fig. 391 VII) 
oder sehr langen (Fig. 391 VIII) Schwärmern, 
oder endlich die Coccen wachsen wieder zu Fä¬ 
den aus. Nicht selten trennen sich Fadenstücke 
los und zeigen dann häufig Vibrionen- oder 
oscillarienartige Bewegung. Die Cocci wie die 
Gliederstücke der geraden oder gewundenen 
Fäden können sich schraubenzieherförmig oder 
spiralig winden und drehen und sich abgliedernd 
zu bewimperten spirillenartigen Schwärmern 
gestalten; man hat sie in diesem Stadium früher 
rar selbständige Organismen gehalten und als 
Ophidomonas bezeichnet. Hieher gehört Ophi- 
dom. sanguinea Ehrbg. Alle diese Formen 
entstehen gewöhnlich oder manchmal nicht 
gleichzeitig neben einander. Verschiedene Er¬ 
nährungsweisen, wohl auch Temperaturen, 
scheinen die eine oder die andere dieser 
Formen vorzugsweise entstehen zu lassen. 

Bemerkenswerth ist der reiche Gehalt 
an Schwefelkömchen, der gleich wie bei Beg¬ 
giatoa alba (s. Ophidomonas) bei den ruhenden, 
wie bei den schwärmenden Zuständen sich 
bemerkbar macht. Sie besitzen die Fähigkeit, 
gelöste Sulfate unter Abscheidung von H a S 
zu reduciren und dabei Schwefel in der Form 
kleiner Körnchen (Fig. 391IV, V, VI, VII, VIII) 
in sich abzulagern. Von ihnen bewohnte Ge¬ 
wässer haben daher nicht selten einen starken 
Geruch nach Schwefelwasserstoff. 

Zu dieser Pilzart gehören mehrere, meist 
schwärmende Formen, die man früher für eigene 
Arten gehalten hat. So Monas vinosa Ehr., 
welche das Wasser oft weinroth färbt und aus 
2—4 Mikr. grossen, kugeligen oder ovalen 
Schwärmern (Fig. 391 HI—VI) besteht. Ferner 
gehören hieher: Bacterium rubescens, Monas 
Okenii, M.erubescens, M.gracilis, Chromaticum 
(Monas) violascens, Monas Warmingii, Rhabdo- 
monas rosea, Spirillum sanguineum, S. viola- 
ceum, Merismopedia littoralis, M. Reiten - 
bachii etc. 

Die chemischen und physikalischen Eigen¬ 
schaften der von den Spaltpilzen abgeschie¬ 
denen Pigmente differiren theilweise in hohem 
Grade; indessen weiss man zumal über deren 
chemische Constitution und sonstige Eigen¬ 
tümlichkeiten bis jetzt noch sehr wenig. 
Einige derselben, so namentlich der von Micro- 
coccus prodigiosus abgeschiedene Farbstofi. 






176 


CHROMOGERE SPALTPILZE. 


sind den Anilinfarbstoffen vielleicht naheste¬ 
hend. Nach ihren Löslichkeitsverhältnissen 
und der Art der Farbe zerfallen die wich¬ 
tigsten: 

1. In Alkohol, Wasser und Säuren un¬ 
löslich: a)Das Bacteriopurpurin.Sonannte 
Lankaster den bei Beggiatoa, bereits unter 
„Bacterien u (s. d.) kurz citirten Farbstoff. 

2. In Alkohol löslich, in Wasser un¬ 
löslich, hieher: 

Rothe Pigmente, a) Das Pigment der 
Rosahefe, Saccharomyces glutinis Fres. b) Das 
Pigment von Micrococcus prodigiosus. Ein 
blutrothes Pigment bei neutraler Reaction, 
geht es bei Ueberhandnahme freien Alkalis 
in Orange, Ziegelroth und Gelb nach Schröter 
über. Die alkoholische Lösung reagirt neutral, 
ist gelbroth, beim Abdampfen hinterbleibt ein 
karminrother Rückstand. Aether löst davon 
Etwas auf, ohne sich selbst zu färben: auf 
Zusatz von Essigsäure tritt jedoch lebhaft 
rothe Färbung ein. Alkali färbt die alko¬ 
holische Lösung gelb. — Schwefel-, Salpeter- 
und Essigsäure färben das Pigment zuerst 
roth, dann violett oder veilchenblau. Auf Zu¬ 
satz von grösseren Mengen Schwefelsäure, 
Salpetersäure, oder von wenig Salzsäure wird 
jedoch der Farbstoff zerstört. Alkalien ver¬ 
wandeln die rothe Farbe durch Orange in 
Gelb. Säuren stellen Roth wieder her. In 
Rexroth’s Spectroskop, dessen Spectrum durch 
eine Scala in 150 Theile getheilt, und wo 
der Anfang des Natriumstreifens auf 50 zu 
stehen kam, zeigte die concentrirte alkoho¬ 
lische Lösung jenseits 59 vollkommene Ab¬ 
sorption aller Strahlen, die verdünntere Lösung 
ein schwarzes Absorptionsband von 62—68, so¬ 
dann Verdunkelung, von 75 wieder vollständige 
Absorption. — Die mit etwas Essigsäure ver¬ 
setzte Lösung zeigte bei starker Concentration 
die scharf abgeschnittene Absorption schon 
von 56 an, bei Verdünnung war die Absorption 
von 59 an scharf abgeschnitten, etwas Blau 
und Violett schimmerten von 100 an durch. 
Bei noch grösserer Verdünnung schwarzer 
Absorptionsstreifen von 59—80, dann Ver¬ 
dunkelungen bis 110 u. s. w. — Fuchsin¬ 
lösung zeigte ein ähnliches, jedoch keineswegs 
identisches Verhalten; es istnicht, wie Erdmann 
seinerzeit nachzuweisen suchte (Journ. f. pract. 
Chem., herausgegeben von Erdmann und 
Werther. Leipzig 1866, p. 385—407), mit den 
Anilinfarbsoffen nahe verwandt. 

Gelbe Pigmente, c) Micrococcus lu- 

teus. 

3. In Wasser lösliche Pigmente kommen 
vor bei: a) Micrococcus aurantiacus Cohn. 
(1. c. Bd. I. 2. p. 154.) Das Pigment ent¬ 
steht namentlich reichlich bei der Cultur auf 
Kartoffelscheiben, b) M. chlorinus. Dieses 
Pigment wird auf Säurezusatz nicht geröthet, 
sondern entfärbt, c) M. cyaneus Cohn und 
Schröter (Bd. I. 2. p. 122, 156). Schön dunkel¬ 
blau, zuweilen grünblau; wird durch Säuren 
roth, durch Alkalien wieder blau, nähert 
sich demnach dem Lacmuspigment, fluores- 
cirt nicht und besitzt ein Spectrum ohne Ab¬ 
sorptionsstreifen, jedoch ist die schwächer 


brechende Hälfte etwas verdunkelt. Ist auch 
in Alkohol löslich, d) M. violacens. Pigment 
chemisch nicht näher untersucht, entsteht 
namentlich reichlich bei der Cultur des Pilzes 
auf gekochten Kartoffelscheiben, e) B. synxan- 
thum. Das Pigment der gelben Milch (s. u. 
„Bacterien“). f) B. cyanogenum (Fig. 392), B. 
syucyanum (s.u. „Bacterien“). Der Farbstoff der 



Fig. 892. Bacterlum cyanogenum« 1 Bacterien. II Des¬ 
gleichen, von Gallertkapseln umschlossen. III laolirte Indi¬ 
viduen und Reihen von Bacterien und Micrococcen. IV Ba¬ 
cillen. V Desgleichen, mit beginnender Sporenbildung. 

blauen Milch, der ihn erzeugende Pilz kommt 
hauptsächlich in dem Küstengebiet der Ostsee, 
resp. in der norddeutschen Tiefebene vor. Das 
Pigment lässt sich auf jeder Art von Milch 
(Mensch, Schaf, Ziege, Stute, Esel und Hund) 
durch Impfung vermehren. Ebenso produciren 
dasselbe die Organismen auf Mandelmilch, Kar¬ 
toffeln, Reisbrei, Bohnencasein, Arrow-root, 
sodann nach Steelsen in einer Mischung von 
neutralem milchsaurem Ammoniak und der 
Cohn’schen Nährlösung für Bacterien, nicht aber 
auf Hühnereiweiss, Blutserum, chemisch rei¬ 
nem Casein, Eibisch-. Schwarzwurzel-, Quitten¬ 
schleim, Salep, Gummi arabicum, Gummi Tra- 
ganth, Hausenblase u. s. w. 

Im Lichte ist das Pigment sehr leicht 
zerstörbar. Mineralsäuren, Alkalien und Salze, 
Chlor u. s. w. wirken nicht oder nur sehr langsam 
auf den Farbstoff ein. Erdmann glaubte seiner¬ 
zeit (1. c.), derselbe sei gleich dem des Hostien¬ 
blutes ein Körper der Anilingruppe. Und Neelsen 
fand das spectroskopische Verhalten ähnlich 
dem von Triphenyl-Rosanilin (Cohn. Beitr. III.2, 
pag. 213). Beide geben einen Absorptions¬ 
streifen im Gelb. Durch Behandlung mit 
Kalilauge erhält man aus dem Milchblau 
einen ziegelrothen Farbstoff, der nach Neelsen 
in seinem spectrischen Verhalten Aehnlichkeit 
mit Eosin zeigt. Da er jedoch in Alkohol 
fast unlöslich ist, Eosin sich aber sehr leicht 
darin löst, so können sie nicht identisch sein. 
Er löst sich besonders leicht in säurehaltigem 
Wasser und in Glycerin, ist aber unlöslich in 
Aether, Chloroform, zersetzt sich höchst leicht, 
z. B. in wässeriger Lösung schon während 


CHROMSÄUREPILZE. — CHRYSANTHEMUM. 


177 


der Filtration; in Glycerin gelost verblasst 
er bei Luftzutritt schon nach wenigen Stunden, 
im Dunkeln nach 1—2 Tagen. Säuren ver¬ 
ändern das Blau nicht, Ammoniak erzeugt 
einen violetten Ton, kaustische und kohlen¬ 
saure fixe Alkalien verwandeln ihn in einen 
schön rothen, gelöst bleibenden Farbstoff, der 
schliesslich ziegelroth wird und schwach 
fluorescirt. Durch Kochen wird der Farbstoff 
zerstört. Die einfachen Bacterien sind 2 * 5 bis 
3*5, die Doppelbacterien 5*5—6*0 Mikr. lang, 
sehr mobil, die Mikrococcen ca. 1—1*5 Mikr., 
die Bacillen 10—18 Mikr. lang, g) Micro- 
coccus pyocyaneus Gessard, erzeugt den Farb¬ 
stoff des „blauen Eiters“, der von Fordos 
genau studirt und als Pyocyanin bezeichnet 
wurde. Löslich in Wasser und in Chloroform; 
krystallisirt aus Chloroform in langen Nadeln, 
zuweilen in Lamellen und Prismen. Die neu¬ 
trale wässerige Lösung ist blau, die an¬ 
gesäuerte roth; letztere wird durch Alkalien 
wieder blau und verhält sich so ähnlich wie 
Lackmus. Reducirende Stoffe färben das Pig¬ 
ment gelb, durch oxydirende Substanzen geht 
es in Pyoxanthin über, das gleichfalls im 
„blauen Eiter“ enthalten ist. Gold-, Platin- 
und Quecksilberchlorid, Phosphormolybdän - 
säure und Tannin fällen das Pyocyanin, Ferrid- 
cyankalium wird zu Ferrocyankalium reducirt. 

Die rothen Pigmente von Bacillus ruber 
und B. erythrosporus (s.u. „Bacterien“) und das 
in im Alkohol lösliche violette Pigment von 
Bacterium ianthinum sind bis jetzt weder 
physikalisch noch chemisch genau unter¬ 
sucht worden. Hart. 

Chromsäurepilze nannte Zürn Pilzvege¬ 
tationen, die in schwachen Lösungen von 
Chromsäure auf und neben den zu erhärten¬ 
den Objecten Vorkommen. Offenbar lagen sterile 
Mycelien von Mucor spec., vielleicht auch von 
Aspergillus glaucus vor. Wenn auch die ge¬ 
gebenen Daten keinerlei Anhaltspunkte liefern, 
welche Pilzarten überhaupt Vorgelegen haben 
können, so ist doch das Factum, dass Pilze 
in stickstoffhaltigen Lösungen von Chrom¬ 
säure zu wachsen vermögen, nicht ohne ein 
gewisses Interesse. Hart. 

Chronische Krankheiten (von xpovos, lang- 
dauernd), lange andauernde oder lebens¬ 
längliche, meist fieberlose Krankheiten, im 
Gegensätze zu den schnell verlaufenden, fieber¬ 
haften, acuten Krankheiten (s. d.). Gewöhnlich 
bezeichnet man Krankheiten, die länger als 
40 Tage andauern, als chronisch; es lässt sich 
aber eine scharfe Grenze zwischen acuten 
und chronischen Krankheiten nicht ziehen, 
da sehr schnell verlaufende schon nach 14 Tagen 
als chronisch und lebenslängliche als acut 
bezeichnetwerden, wenn sie in einigen Monaten 
mit dem Tode enden. Chronische Krankheiten 
sind: Rotz. Tuberculose, Herzleiden, Ne ubildun- 
gen, Steine, Parasiten, veraltete Katarrhe etc. Sr. 

Chrono« (6 xpo'vog), Zeit, tritt in man¬ 
cherlei Zusammensetzungen auf, um damit 
einen Zustand oder Vorgang als langwierig, 
dauernd etc. zu bezeichnen, z. B. in 

Chronhepatitis, eine chronische, also 
langdauernde Leberentzündung etc. 

Koch. Encyklopidle d. Thierheilkd. II. Bd. 


Chroniometrorrhoea (von xpo'voc, ^ 
jAetpa, Gebärmutter, und ij Fluss), chro¬ 
nischer Gebärmutter- (Schleim-) Fluss etc. Sf. 

Chrudimer Pferd. In dem 61 Quadrat¬ 
meilen grossen Kreise Ostböhmens am Abhang 
der Sudeten und auf dem böhmisch-mährischen 
Plateau wird seit ältester Zeit die Züchtung 
eines sehr brauchbaren Pferdeschlages betrie¬ 
ben, der weit über die engeren Grenzen seiner 
Heimat bekannt ist und von verschiedenen 
österreichischen Hippologen als einer der be¬ 
sten im ganzen Königreiche Böhmen hinge¬ 
stellt wird. Die Rosse des fraglichen Schlages 
eignen sich ganz vortrefflich für den Dienst 
in der schweren Cavallerie, können aber auch 
grösstentheils zu Artillerie-Bespannung, wie 
zum Kutschdienste verwendet werden. Die 
weniger schön gewachsenen Exemplare benützt 
man in den dortigen Gross- und Klein-Wirth- 
schaften zur Feldarbeit und ein ansehnlich 
grosser Procentsatz der Chrndimer Fohlen 
kommt alljährlich in den Handel. Zur Regie¬ 
rungszeit des Kaisers Josef H. wurden in jener 
Gegend holsteinische und mecklenburgische 
Hengste eingeführt, die viel zur Verstärkung der 
alten Rasse beigetragen haben; später benützte 
man englische und eine kurze Zeit sogar spa¬ 
nische und neapolitanische Beschäler zur Ver¬ 
besserung und Veredlung der Chrudimer Zucht. 
Die Figuren wurden in Folge dessen schöner 
und die Gangarten der Thiere gefälliger, so 
dass viele derselben in den Staatsequipagen 
erscheinen konnten. Im kaiserlichen Gestüte 
zu Kladrub — unweit Pardubitz — ist der 
Typus des Chrudimer Pferdes am schönsten 
vertreten. Siehe unter „Kladrub“. Freytag. 

Chrysamminsäure entsteht als wichtig¬ 
stes Oxydationsproduct der Aloö mittelst 
Salpetersäure neben Picrinsäare und Oxal¬ 
säure. Die Säure bildet in Wasser schwer 
lösliche gelbe Krystalle, ist leicht löslich in 
Alkohol und bildet mit Kalilauge grüne 
Krystalle von chrysamminsaurem Kali. Die 
Chrysamminsäure wurde von Liebermann 
und Giesel als Tetranitrodioxvanthrachinon, 
C 14 H 4 (N0 # ) 4 0 t , aufgefasst und ist demnach 
ein Derivat des Anthracens. Loebisch. 

Chrysanthemum, Chamomilla, Ph. A. 
(Compositae-Senecionideae) L. XIX., das Ka¬ 
millen-Mutterkraut, auf wüsten und bebauten 
Orten durch ganz Europa wachsend (s. Ma- 
tricaria Chamomilla Ph. G.). Vogel . 

Chrysanthemum Leucanthemum L. 
(Leucanthemum vulgare Lamk), gemeine Wu¬ 
cherblume. Perennirendes Kraut aus der Fa¬ 
milie derCompositen mit aufrechtem, einfachem 
aber schwach verzweigtem Stengel, 0 • 3—0 * 6 m 
hoch, kahl oder schwach behaart. Grund¬ 
ständige Blätter, verkehrt eirund und kurz ge¬ 
zähnt, lang gestielt, Stengelblätter schmal, 
sitzend, mit wenigen kurzen Zähnen. Blüthen- 
köpfchen einzeln, gross, Hüllblättchen mit 
braunem Hautrande; Scheibenblüthchen gold¬ 
gelb, zahlreich, klein, Strahlenblüthen weiss, 
mehr als 10 mm lang. Blüthe: Juni bis 
August. Kommt sehr häufig auf Wiesen und 
Weiden vor und wird vom Vieh sehr gerne 
gefressen. v. Liebenberg . 

12 



178 CHRYSANTHEMUM. 

Chrysanthemum scgetum L., Saat-Wu¬ 
cherblume; einjährige Pflanze, aus der Familie 
der Compositen mit aufrechtem, kahlem bis 
30 m hohem Stengel mit wenigen sparrigen 
Zweigen. Untere Blätter gestielt, verkehrt 
eirund, obere schmäler, mit herzförmigem 
Grunde den Stengel umfassend, an der Spitze 
verbreitert und gewöhnlich mit drei tief ein¬ 
geschnittenen Zähnen. Blüthenköpfchen gross, 
Hüllblättchen mit breitem Hautrande. Strahlen- 
und Scheibenblüthchen gelb. Bliithe vom Juni 
bis September. Es ist diese Pflanze eines der 
schädlichsten Unkräuter, besonders in Sommer¬ 
getreide auf Lehmboden. Seine Verbreitung 
ist eine sehr bedeutende, weil die Samen 
verfliegen. Zu seiner Bekämpfung ist noth- 
wendig, dass sie gemeinschaftlich von den Be¬ 
wohnern einer ganzen Gegend vorgenommen 
wird, und zwar durch Jäten, Verhinderung 
der Samenbildung, durch Hackfrucht und Grün- 
futterbau, eventuell durch Brache, v. Lg. 

Chrysarobin bildet zu ungefähr 80 Per¬ 
cent den wirksamen Bestandtheil des sog. 
Bahiapulvers (s. d.), aus welchem es durch 
kochendes Benzol extrahirt werden kann. Es 
ist ein Reductionsproduct der Chrysophan- 
säure (8. d.). Das Chrysarobin erscheint als 
blassgelbes, warzig-krystallinisches Pulver, 
leicht löslich in Benzol, Eisessig und Chloro¬ 
form; die Lösung in erwärmter Kalilauge 
wird bei Berührung mit Luft roth gefärbt — 
Umwandlung in Chrysophansäure. Ueber die 
therapeutische Anwendung siehe Bahia¬ 
pulver. Loebisch. 

Das Chrysarobin verursacht in Sal- 
benform eine starkes Erythem der Haut und 
wird besonders in der Menschenheilkunde gegen 
Exantheme mit Vorliebe angewendet, hat aber 
bei denselben Krankheiten der Hausthiere den 
gehegten Erwartungen nicht ganz entspro¬ 
chen. Seine Anwendung ist bei der Stamm¬ 
pflanze Andira Araroba näher angegeben. VI. 

Chrysoberyll. Ein Beryll enthaltendes was¬ 
serfreies Silicat, welches in rhombischen rectan- 
gulären Säulen in Krystallen von bedeutender 
Grösse im Glimmerschiefer in Marschendorf 
(Mähren) und im Granit in Amerika, in Ge¬ 
schieben und Flüssen in Ceylon vorkommt. 
Bruch muschelig, Härte 8 * 5, specifisches Ge¬ 
wicht 3*65—3*8, glasglänzend, Seitenflächen 
vertical gestreift, grünlich weiss, olivengrün, 
grünlich grau, selten smaragdgrün. Die durch¬ 
sichtigen Varietäten dienen als Schmuck¬ 
steine. Loebisch. 

Chrysolith (aus xpoco'Ci Gold, und X&oc, 
Stein), gehört zu den wasserfreien Silicaten 
und besteht aus Talksilicat mit Eisenoxyd ver¬ 
bunden. Er krystallisirt in rhombischen Prismen 
und wird in dieser Form edler Chrysolith genannt, 
während der in rundlichen Massen, in Körnern 
eingesprengt vorkommende als gemeiner 
Chrysolith, auch als Olivin bezeichnet wird. 
Der edle Chrysolith kommt besonders in Ober- 
egypten und Brasilien vor und wird als Edel¬ 
stein verwerthet, während der Olivin in Basalt 
und Lava eingewachsen gefunden wird. Der 
Chrysolith hat muscheligen Bruch, weissen 
Strich, Härte 6*5—7, specifisches Gewicht 


— CHURRA-SCHAF. 

3*3, ist durchsichtig, oliven- oder spargelgrün¬ 
gelb, zuweilen ins Blaue spielend. Loebisch. 

Chrysophansäure (von ypooo's, Gold, und 
<patWv, scheinen), C 15 H 10 0 4 , findet sich in meh¬ 
reren Flechten, in den Wurzeln mehrerer Rheum- 
Arten, in der Rhabarberwurzel, in den Blättern 
und Wurzeln verschiedener Sauerampferarten, 
auch in den Sennesblättem und wird am besten 
aus der gepulverten Rhabarberwurzel mit 
schwachem kalihaltigen Weingeist extrahirt, 
in die abfiltrirte Flüssigkeit wird Kohlensäure 
eingeleitet, W'obei sich die Chrysophansäure in 
gelben Flocken abscheidet. Durch wieder¬ 
holtes Umkrystallisiren zuerst in Benzol, dann 
aus Eisessig oder Weingeist erhält man 
die Chrysophansäure in orangegelben, gold¬ 
glänzenden Nadeln. Sie löst sich kaum in 
kaltem, etwas mehr im kochenden Wasser. 
Von 'wässerigen Alkalien und Ammoniak wird 
sie mit schön rother Farbe gelöst. Mit Zinkstaub 
erhitzt entsteht aus Chrysophansäure Methyl- 
anthracen. Die Chrysophansäure geht auch in 
den Harn über, wenn Rheum als Medicament 
verabreicht wurde. Der saure Harn der Carni- 
voren erscheint hiedurch gelb, grüngelb bis 
bräunlich gefärbt, der alkalische Harn der 
Herbivoren erscheint mehr orange- bis braun- 
roth gefärbt, wodurch immerhin ein Verdacht 
auf Blutfarbestoff entstehen kann. Fügt man 
zu einem Harn, der Chrysophansäure enthält, 
Kalilauge, so wird er scharlachroth, auf Säure¬ 
zusatz schwindet die Farbe wieder. Die durch 
Alkalien erzeugte Rothfärbung verschwindet 
auch unter der Einwirkung reducirender Mittel, 
z. B. nach Zusatz von Zinkstaub. Loebisch. 

Chrysopras (aus xpoads, Gold, und itpaoioc, 
lauchgrün), gehört zu den Quarzen, und zwar 
zu dem nur selten und in kurzen Säulen kry- 
stallisirenden gemeinen Quarz. Der Chrysopras 
kommt in Platten und stumpfeckigen Stücken 
im Serpentin bei Frankenstein in Schlesien 
vor, er zeigt splitterigen Bruch und ist apfel- 
grün, grünhchweiss und olivengrün gefärbt Die 
grüne Färbung rührt von Nickeloxyd her. Lh. 

Chunos. Nach einem in Peru üblichen 
Verfahren conservirte Kartoffeln. Die im Was¬ 
ser ordentlich durchgeweichten Kartoffeln 
lässt man gefrieren, wäscht sie alsdann und 
presst sie, wobei die Schale abfällt. Die so 
entschälten Knollen werden schliesslich an der 
Sonne oder durch Ofenwärme getrocknet und 
werden dadurch in einen steinharten, die 
weitere Aufbewahrung ohne besondere Um¬ 
stände ermöglichenden Zustand versetzt. Sie 
enthalten nach Meissl: 13*03% Wasser, 

0 * 4 % Zucker, 0 * 6 % Dextrin u. dgl., 81 * 84 % 
Stärke, 2*31% Protein, 014% Asparagin, 
1 * 13 % Rohfaser, 0 * 18 % Fett, 0 * 36 % Asche. Pt. 

Churra-Schaf oder Burdosschaf. Die 
ersten Mittheilungen über dieses Schaf bringt 
uns Lasteyrie in seinen Abhandlungen über das 
spanische Schaf aus dem Jahre 1800. Das¬ 
selbe gehört darnach nicht zu den „Wander¬ 
schafen“ Spaniens und gibt die gröbste Wolle 
(Lana churra heisst auch die Wolle dieser 
Thiere, Panno burdo, grobes Tuch). Die Thiere 
sind grösser und länger als die Merinos 
Spaniens. Der feine kleine Kopf, so wie die 


1 




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CHYLASMA. — CHYLUSGEFÄSSE. 


179 


dünnen Beine sind nicht mit Wolle bedeckt. 
Nach Petri („Das Ganze der Schafzucht“ 1825) 
sind die Churras in der Grösse des Körpers, 
der Gestalt des Kopfes, der Füsse und des 
Wuchses, sowie auch in der Farbe des nackten 
Bauches, der rothen Füsse etc. dem Muflon 
ähnlich, was Fitzinger veranlasst, die Churras 
als aus einer Kreuzung der Merinos mit dem 
Muflon entstanden anzunehmen. Die männ¬ 
lichen Thiere sind fast immer gehörnt, die 
Hörner denen des Merinowidders sehr ähn¬ 
lich, die weiblichen Thiere stets ungehörnt. 
Die Wolle ist eine durchaus markfreie, 
nicht zu tief gestappelte und eignet sich daher 
noch zur Herstellung gewalkter Stoffe; die 
Farbe derselben wechselt bald einfarbig, 
gelblich weiss, röthlich, braun oder schwarz, 
bald scheckig. Auch für die Mästung soll 
sich das Thier ganz gut eignen, bei gutem 
Futter rasch zunehmen und ein schmackhaftes 
Fleisch liefern. In den Gebirgsgegenden ist 
dieser Schlag kleiner und behender, er wird 
dort Aconchadas genannt. Bohm . 

Chylasma (von yoXoöv, zu Saft machen), 
nach Eisenmann die eiterartige Flüssigkeit 
aus Geschwüren und üppig granulirenden, in 
der Heilung begriffenen Wunden. Sussdorf 

Chylurie, von yokds, Chylus, Speisesaft, 
und o5?ov, Harn, auch Galacturie oder Fibri- 
nurie genannt, ein Zustand, wobei der Harn eine 
milchige Färbung annimmt und reich an Fett, 
Albumin und Lymphkörperchen w ird (die wahr¬ 
scheinlich aus den Lymphgefässen der Nieren 
stammen). Die Chylurie tritt meist perioden¬ 
weise bei sonst ganz gesunden Individuen auf 
und ist nicht zu verwechseln mit Pyurie bei 
Katarrhen und Entzündungen der Harnwege 
und mit Albuminurie bei Nierenentzündungen. 

Therapie: Adstringentien, Tannin. 

Literatur: Lionel Beate, Golding Bird, Neubauer, 
Vogel. Semm . r. 

Chylus. Unter Chylus versteht man die¬ 
jenige gerinnbare Flüssigkeit, welche sich in 
den Cbylusgefassen findet und durch Resorption 
aus dein Darmcanale in dieselben gelangt 
Der Chylus ist also zum grossen Theile ein 
Verdauungsproduct, verdaute und resorbirte 
Nahrung. Er besteht aus einer Flüssigkeit und 
geformten Elementen. Die Flüssigkeit trägt 
wesentlich die Eigenschaften des Blut- und 
Lymphplasmas an sich. Sie enthält die 
Fibringeneratoren, Alkalialbuminate, Serum- 
albumin, Paraglobulin, Pepton, Leucin, Zucker, 
milchsaure Salze u. dgl. und zeigt Verschieden¬ 
heiten je nach der Natur und Menge der ge¬ 
nossenen Nahrung, dem Verdauungs- und Re¬ 
sorptionsvermögen der Thiere etc. An ge¬ 
formten Elementen findet man im Chylus 
Leucocyten, Elementar- und besonders Fett¬ 
körnchen. Der reichliche Gehalt an Fett¬ 
kügelchen charakterisirt den Chylus. er ist 
so bedeutend, dass der Chylus ein milchiges 
Aussehen erhält (daher der Name, Milchsaft), 
^nnd gewissermassen eine Fettemulsion, wie 
aie Milch, darstellt. Die Fettkörnchen messen 
2—4 p. im Durchmesser, sind mit einer 
eiweissartigen Hülle umgeben und lassen die 
Brown’sche Molecularbewegung erkennen. Die 


Lymphkörperchen (Leucocyten) treten im Chylus 
in geringerer Menge als in der Lymphe auf. 
Sie bestehen aus einem gequollenen Eiweiss¬ 
körper, dem löslichen Paraglobulin, Lecithin, 
Cerebrin, Cholesterin, Fett, Nuclein etc. Aus 
der Zusammensetzung des Chylusplasma und 
der Lymphkörperchen und der Thatsache des 
bedeutenden Fettgehaltes erkennt man den 
Gehalt des Chylus an organischen Körpern. 
Man findet dieselben unorganischen Stoffe, 


wie im Blute und der Lymphe. Carl Schmidt 
fand in 1000 Theilen Chylus vom Pferde: 

Chlornatrium.5*84 

Natron.1*17 

Kali.0-13 

Schwefelsäure .0*15 

Phosphorsäure.0*05 

Phosphorsauren Kalk.0*20 

Phosphorsaure Magnesia . .0*05 
Eisen in Spuren. 


Die Mengen des Chylus sind schwer bestimmbar. 
Sie nehmen während der Verdauung zu, so 
dass sich dann die weissen Chylusgefässe in 
praller Füllung im Mesenterium und Darm¬ 
canale scharf markiren. Während des Hungern 
nimmt die Chylusmenge ab, die Gewisse col- 
labiren und sind nicht mehr sichtbar. Eg. 

Chylusgefässe nennen wir die Lymph- 
gefässe der die Nahrungsstoffe absorbirenden 
Organe, des Magens und Darms (exclusive 
Mastdarms). Sie führen nach Passirung der 
Mesenterialdrüsen die Lymphe dieser Organe 
gemischt mit einem Theile der aus demMagen- 
und Danninhalt aufgesaugten Nahrungsstoffe 
dem Milchbrustgange zu. Die Wurzeln dieser 
Gefässe müssen demgemäss derBedeutung der¬ 
selben als Absorptions- und Resorptionsorgane 
nach nicht blos mit den Spalten und Lücken 
des Gewebes, in dem sie entspringen, sondern 
auch mit dem Darmlumen in directer oder 
indirecter Verbindungstehen. Die Saftcanälchen 
des Organparenchyms verhalten sich zu ihnen 
wie in allen anderen Organen, offene Com- 
municationen lassen diese „wandungslosen“ 
Gänge in die Lymphgefässeeintreten(s.Lymph- 
gefässe). Die Zugangspforten für die auf¬ 
gesaugten Nahrungsstoffe sind keine eigent¬ 
lichen Stomata an der inneren Darmoberfläche, 
sondern hier vermitteln dünne Wandungen 
(Epitheloberhäutchen, poröses Gewebe der 
Schleimhaut) einen indirecten Diffusions- und 
Filtrationsverkehr zwischen dem Darminhalt 
und den-in der Darmwandung gelegenen Lymph- 
capillaren; auch die dem adenoiden Gewebe 
der Schleimhaut reichlich eingesprengten 
Lymphoidzellen sowie die Darmepithelien selbst 
scheinen sich vermöge ihres Migrationsver¬ 
mögens, resp. ihrer Contractilität dabei 
wesentlich zu betheiligen (s. Resorption). Im 
eigentlichen Verdauungsmagen (rechte Magen¬ 
ab theilung des Pferdes und Schweines, Lab¬ 
magen des Wiederkäuers, Magen der Fleisch¬ 
fresser), wie im Darme bilden die Wurzeln der 
Chylusgefässe in die verschiedenen Wandungs¬ 
schichten eingefügte Netze. In der Schleim¬ 
haut des Magens und Darmes beginnen sie 
als „oberflächliche Chylusgefässe“ vielfach 
zwischen den Drüsen und in den Zotten mit 


12* 









180 CHYMIFICATION. — CICÜTA VIROSA. 


kolben artig erweiterten Stämmchen (centraler 
Chylusraum) oder schlingenförmig; vielfach 
existiren in den oberflächlichen Lagen der 
Schleimhaut, wie im Blinddarm des Pferdes 
(Ellenberger), capilläre Lymphgef&sse über¬ 
haupt nicht. Es finden sich dann, wie in den 
Organparenchymen, nur „wandungslose“Gänge, 
welche, wie die tieferen Schleimhautschichten, 
ihre Lymphe zu einem submucösen Lymph- 
gefässnetze führen, das auch die oberfläch¬ 
lichen, zunächst die Lymphfollikel des Darmes 
passirenden Ghylusbahnen schliesslich auf¬ 
nimmt. Die aus diesem tieferen Netze hervor¬ 
gehenden, nunmehr klappenhaltigen Lymph- 
gefasse durchbohren die Muskellage der Darm¬ 
wand und empfangen hiebei die Abzugscanäle 
der vielschichtigen Netze, welche die Lymph- 
gefüsse in der Muskelhaut herstellen. An dem 
Gekrösrande des Darmes, an der kleinen und 
grossen Curvatur des Magens anlangend, treten 
sie in die betreffenden Bänder, resp. Gekröse 
ein, passiren vor oder nach Durchsetzung 
derselben die benachbarten Lymphdrüsen (s. d.) 
und vereinigen sich nun, vom Darm kommend, 
zu dem Truncus lymphaticus intestinorum, 
dem Saugaderstamme des Darmes, der sich 
mit dem Truncus coeliacus, dem Eingeweide¬ 
stamm, dem Sammelstamm der Lymphe von 
Magen, Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse, ver¬ 
bindet. Die LymphgefÜsse des Magens fliessen 
an dessen Blindsack mit den Milzlymphgef&ssen 
zusammen und bilden so mit diesen den An¬ 
fang jenes Eingeweidestammes. Näheres über 
die LymphgefÜsse der Bauchorgane (s. „Lymph- 
gefässe“). Sussdorf. 

Chymiflcation. Man verstand darunter die 
Umwandlung der aufgenommenen Nahrungs¬ 
mittel in eine dünnbreiige Masse, den Chymus 
(s. „Verdauung 11 ). ElUnberger. 

Chymus. Als Chymus, Speisebrei, be- 
zeichnete man den Mageninhalt, wie er sich 
nach Ablauf der Magenverdauung präsentirt 
und in das Duodenum übergeht. Thatsächlich 
trifft man bei den Haussäugethieren einen 
wirklichen Speisebrei nur ausnahmsweise an. 
Der Mageninhalt erscheint bei denselben mehr 
trocken als breiig (s. „Verdauung“). Er. 

Cicatricula (Deminut. von cicatrix), kleine 
Narbe, nennt man vielfach die Keimscheibe 
des Vogeleies, eine kaum linsengrosse, ca. 
0 3 mm dicke Lage weissen Bildungsdotters 
an der Oberfläche des Vogeleidotters, von wel¬ 
cher aus die Entwicklung des Embryo ihren An¬ 
fang nimmt (s. „Ei u. Embryologie“). Sussdorf. 

Cicatrisatio (neulat.), Narbenbildung, 
Vernarbung. Sussdorf. 

Cicatrix, (abgel. von ^ xm'c oder xtxos, 
der hervorquellende Saft und latpt£, Hei- 
lung), Narbe. Sussdorf. 

Cichorie gemeine oder Wegwartwurzel, 
stammt von Cichorium Intybus und liefert 
die bekannte Culturpflanze, die als Kaffeesur¬ 
rogat dient und kaum mehr eine arzneiliche Be¬ 
deutung hat. Sie gehört den Corapositen (Zun- 
genblüthern,Cichoraceae,L.XIX)an und wächst 
auch überall an Wegen und Rainen wild. Vgl. 

Cichorienwurzei und -Blätter als 
Futtermittel. Die Wurzeln der Cichorie 


(Cichorium Intybus), die für gewöhnlich nur 
behufs Darstellung des bekannten Cichorien- 
kaffee-Surrogates cultivirt wird, bilden ein be¬ 
liebtes Beifutter für Pferde, denen man davon 
bis zu 1J/* 1 per Haupt im zerkleinerten Zu¬ 
stande gibt. Die Pferde bekommen danach 
angeblich ein glänzenderes Haar und soll die 
Cichorienwurzel vor Allem zur Gesunderhal¬ 
tung der Haut beitragen. Die mitunter ausge¬ 
sprochene Meinung, dass anhaltender Cicho¬ 
riengenuss bei Menschen und Thieren die Seh¬ 
kraft schwäche, beruht wohl auf einem Irr- 
thum. 

Die Cichorienblätter gelten als ein 
vorzügliches Milchfiitter. Sie lassen sich aber 
nicht trocknen, indem behufs Einheimsung 
der Cichorienwurzeln die Blätter mit der 
Wurzelkrone abgehauen werden müssen und 
weil nämlich die letztere leicht anfault. Man 
muss sie daher behufs Conservirung in Braun¬ 
heu umwandeln oder einsäuern. Frische Blätter 
enthielten bei 54*4% Trockensubstanz, 9*2% 
Protein, 25*2% stickstofffreie Extractstoffe, 
2*3% Fett und 8*2% Holzfaser; Cichorien¬ 
braunheu: 68*7% Trockensubstanz, 11*1% 
Protein, 2*8% Fett, 30*9% stickstofffreie 
Extractstoffe, 10% Holzfaser. Das Braunheu 
und die frischen Blätter sind also sehr protein- 
reich. Pott. 

Cicuta vlr 08 a, giftiger Wasserschierling, 
eine bei uns überall an Gräben, Sümpfen und 
Flussufern wachsende Schirmpflanze (Umbelli- 
florae—Umbelliferae), L. V. 2, unser giftigstes 
Doldengewächs. Der Stengel ist 1 • 5 m hoch, 
rund, röhrig, ästig, die grossen langgestielten 
Blätter sind zwei- bis dreifach gefiedert, Fieder¬ 
lappen lineallanzettlich, gesägt, die Dolde ist 
zusammengesetzt, meist ohne Hülle, die Hüll- 
chen vielblättrig, borstenförmig, Blüthe (Juli, 
August) weiss, die Früchte kugelig. Der unter¬ 
irdische Theil des Stengels ist nur walzen¬ 
förmig verdickt, wird aber doch als „Wurzel 1 
bezeichnet; diese ist hellbraun, geringelt, mit 
zahlreichen Fasern besetzt und fleischig. Auf 
dem Durchschnitt bemerkt man circa zehn 
viereckige, fast parallel übereinanderstehende 
Fächer, welche einen hochgelben stinkenden 
Saft enthalten, die Pflanze riecht überhaupt 
eigenthümlich und ist schon deswegen ver¬ 
dächtig, weil auch die Ausdünstung Schwindel 
erregt. Trotzdem dass der besonders in der 
Wurzel enthaltene giftige Bestandteil, ein 
harzartiger Stoff, Cicutoxin (fast identisch mit 
dem Pikrotoxin der Kokkelskörner, s. Anamirta 
Cocculus), zu den bei uns häufigsten vegeta¬ 
bilischen Vergiftungen Veranlassung gibt, 
berichtet die Literatur nur wenig von den In- 
toxicationserscheinungen; Taumeln und Be¬ 
wusstlosigkeit, brennender Schmerz in der 
Magengegend, Kolik, Erbrechen, Schaum vor 
dem Munde, Mydriase, epileptiforme Krämpfe 
sind die Haupterscheinungen. Der Wasser¬ 
schierling wird nicht mehr in der Heilkunde 
angewendet, in der er t unter die Narcotica zu 
rechnen wäre, welche hauptsächlich auf das 
peripherische Nervensystem einwirken, denn 
Grosshirn und Rückenmark werden nicht an¬ 
gegriffen oder doch nur secundär, und der 


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CICUTOXIN. 

Tod erfolgt, nachdem heftige Erregung im 
verlängerten Mark vorhergegangen, unter Läh¬ 
mung der Respiration. Sonach hat die Cicuta 
ausschliesslich nur Intoxicationsinteresse und 
besteht die Behandlung in Brechmitteln, dann 
in Verabreichung von Opium, Chloroform, ganz 
besonders aber von Chloralhydrat. Vogel. 

Cicutoxin, die wirksame Substanz des 
Wasserschierlings — Cicuta virosa — ein 
zähflüssiger amorpher, sauer reagirender Kör¬ 
per, der sich in Alkohol, Aether, Chloroform, 
ziemlich reichlich in heissem Wasser und ver¬ 
dünnten Alkalien löst, es tödtet zu 5 cg intern 
oder 7 mg in Infusion per Kilo Katzen, Hunde 
in etwas grösserer Dosis und ruft nach Art 
des Pikrotoxins Krämpfe hervor. Loebisch . 

Cidarideae, Echinodermen aus der Classe 
der Seeigel, Echinoidea, Ordnung der Regularia, 
reguläre Seeigel, Unterordnung Cidarideae. 
Dieselben haben eine fast kugelige, an der Mund¬ 
seite abgeplattete Schale, die aus fest ver¬ 
bundenen Skelettstücken besteht. Die Poren¬ 
felder sind schmal, dagegen die Zwischen¬ 
porenfelder sehr breit mit zwei Reihen grosser 
Stachelwarzen, die lange, oft keulenförmige 
Stacheln tragen. Die Cidarideae treten schon 
im Beginn der Secundärzeit, im Trias auf 
und erlangen in der Jura- und Kreidezeit ihre 
formenreichste Entfaltung. In den heutigen 
Meeren findet man ihre nicht zahlreichen Ver¬ 
treter meist in grösseren Wassertiefen auf Sand 
oder Schlammgrund; zwei Familien, die Cida- 
ridea mit den lebenden Gattungen: Cidaris, 
Phyllacanthus, Porocidaris, Dorocidaris, Gonio- 
cidaris und die Sälenidae mit den lebenden 
Gattungen Peltastes und Salenia, beide 
Vertreter der Tiefseefauna angehörend. Studer . 

Ciliae, s. „Wimperhaare.“ 

Ciliarfalten, Ciliarfortsätze, s. „Uveal- 
tractus',, 

Ciliarkörper, Corpus ciliare, Strahlen¬ 
körner des Auges, s. „Corpus ciliare“ und 
„Aaerhaut“. 

Ciliarmuskel, s. „Musculus ciliaris.“ 

Cilien. Flimmer- und Wimperhaare, 
haar- oder blättchenförmige Anhängsel thie- 
rischer oder pflanzlicher Zellen, welche Aus¬ 
wüchse dieser Protoplasmakörper darstellen 
und auf deren Oberfläche sitzen. Wirbel¬ 
lose Thiere, vor allem viele Infusorien, 
sind mannigfaltig mit Cilien versehen. Bei 
allen Wirbelthieren findet sich Cilienbelag 
an Epithelialzellen geknüpft, welche sodann 
als Flimmer-Epithel bezeichnet werden und 
meist in flächenhafter Ausbreitung stehen. 
So trägt die Oberfläche der Eier, Embryonen 
und niederen Entwicklungsstufen vieler Wür¬ 
mer, die Epidermis, Darmschleimhaut, bei 
Coelenteraten, Würmern, Echinodermen, Mol¬ 
lusken, Fischen Amphibien, die Respirations¬ 
wege, die excretorischen Bahnen des Genital¬ 
apparates bei den Hausthieren, das Ependym 
des nervösen Centralcanals bei eben diesen in 
allgemeiner Verbreitung Flimmer-Epithelien. 
Die Form der Cilien ist in der Regel die 
äusserst zarter, schlank kegelförmiger Här¬ 
chen, welche hei den Hausthieren meist zu 
10—20 auf einer Zelle sitzen; es kommen 


— CILIEN. lfll 

jedoch auch weniger an einer Zelle vor T 
wie denn die Samenkörper nur eine einzige 
Cilie tragen, die gewöhnlich sehr lang ist 
und den Namen Geisselfaden führt und auch 
hier einer Epithelialzelle angehört, als welche 
der Samenkörper seiner Genese nach zu be¬ 
trachten ist. Ist eine cilientragende Zelle 
von einer Membran umhüllt, so durchbohren 
die Flimmerfortsätze diese Membran, da sie 
von dem Protoplasma ihre Entstehung nehmen 
(Engelmann), oder sie entspringen von einer 
dünnen glashellen deckelartigen Zellschichte, 
welche an der absterbenden Zelle sich los¬ 
löst. Die Flimmerhaare functioniren als 
Bewegungsmechanismus, indem sie über die 
ganze Organfläche hin gleich einem vom 
Winde bewegten Kornfelde sich rhythmisch 
und gleichzeitig senken und heben, und hier¬ 
durch eine auf ihrer Oberfläche liegende 
Flüssigkeitsschichte in bestimmte Strömung 
bringen. Da die Schwingungen der Cilien 
sehr rasch vor sich gehen (eine Cilie senkt 
sich 3—5mal in der Secunde) und in der Ge- 
sammtheit eine gewisse Richtung einhalten, 
so ist die Arbeitsleistung eine erhebliche, 
mitunter ohne optische Hilfömittel erkennbare. 
Die Flimmerbewegung erhält sich nämlich 
nach dem Tode der Thiere, besonders bei 
kaltblütigen, noch mehrere Stunden lang, 
bis eben die betreffenden Zellen selbst 
abgestorben sind, und kann durch Zusatz alka¬ 
lischer Flüssigkeiten, Wärmezufuhr etc. 
längere Zeit forterhalten werden. Streut man 
z. B. auf die intacte Luftröhrenschleimhaut 
eines frisch geschlachteten Thieres feinstes 
Kohlepulver in minutiöser Quantität, so kann 
man die Weiterbeförderung desselben mit 
blossem Auge erkennen. Die Wirkung der 
Cilien zur Fortbewegung des Eies durch die Ei¬ 
leiter zum Uterus, der Schleimflöckchen, Staub¬ 
partikel von den feineren Bronchien hinauf 
zum Kehlkopf ist bekannt, die Bewegungs- 
f&higkeit der wimpertragenden niederen Thiere 
und ihrer Jugendzustände, namentlich die leb¬ 
hafte langedauernde Mobilität der Samenfäden 
und der Epithelialzellen von der Rachen¬ 
schleimhaut des Frosches dürfte jeder Mikro - 
skopiker aus eigener Anschauung kennen. 

Literatur: Eagelmann, Protoplasma and Flimmer- 
bewegang in Heraann's Haadb. d. Physiol., Bd. I., 1879. Kt. 

Bei den Pflanzen sind die Cilien oder 
Wimperfäden haarförmige, oft höchst feine 
Fortsätze schwärmender Individuen niederer 
Organismen. Bei den Moosen und Gefäss- 
kryptogamen kommen sie noch bei den männ¬ 
lichen Befruchtungszellen, den Antherozoiden 
oder Spermatozoiden vor. Wohl gewöhnlich 
stellen sie Fortsätze des Protoplasmas (des 
Bewegungsprotoplasmas) dar und dienen so 
auch meist (oder immer) zur Bewegung oder 
als Steuerorgane, wenngleich sehr viele beweg¬ 
liche Spaltpilze existiren, die der Cilien gänz¬ 
lich entbehren. Lange und einzelne oder ge¬ 
paarte Cilien nennt man gewöhnlich Geissel- 
fäden (Flageilum). Bald kommen sie einzeln 
vor; so bei den meisten mundlosen Infusorien, 
bei vielen schwärmenden Mikrococcen, bei den 
zu Clathrocystis gehörigen Monaden, Sapro- 


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182 CIMARRONES. 


legniaschwärmern u. s. w. Bald findet man 2, 
selbst 3 an einem Ende oder an beiden. Letz¬ 
teres zuweilen bei Spirillum, ersteres, d. h. 2 
an einem Punkte entspringende bei den 
Schwärmern von Saprolegnia spec., bei Spi¬ 
rillum, bei sehr vieleu Algenzoosporen, z. B. 
bei fast allen Zoosporeen u. s. w. 

Diese Cilien sind wegen ihrer ausser¬ 
ordentlichen Zartheit oft kaum oder nur mit 
den besten Instrumenten zu erkennen; nicht 
selten aber bedarf es eigener Kunstgriffe, um 
sie zur Anschauung zu bringen. Die besten 
Mittel, dies zu erreichen, bestehen in der 
Tinction der Organismen. 

Als Färbemittel dienen verschiedene Sub¬ 
stanzen. Haematoxylin, Pikrinschwefelsäure, 
Platinchlorid in Verbindung mit Chromsäure, 
insbesondere aber die verschiedensten Anilin¬ 
farben. Das Färben wird an den frischen, 
noch nassen oder feuchten Spaltpilzen oder 
nach Koch an dem zuvor getrockneten Prä¬ 
parate ausgefiihrt. Methylviolett, Fuchsin und 
Anilinbraun, sogen. Neubraun oder Bismarck¬ 
braun, Dahlia- und Gentianaviolett liefern 
unter allen die besten Resultate. Nachdem 
die die Spaltpilze enthaltende Flüssigkeit 
in möglichst dünner Schichte auf einem 
Deckgläschen ausgebreitet wurde, lässt man 
diese je nach Umständen an der trockenen Luft 
oder 2—10 Minuten lang bei 100—110° C. 
trocknen, oder man legt das mit der Bac- 
tericii8chichte überzogene Deckgläschen in 
absoluten Alkohol. Das Verfahren hat den 
Zweck, zunächst die die Spaltpilze beglei¬ 
tenden Eiweisskörper zum Gerinnen zu bringen, 
sie unlöslich und für die Imprägnation mit 
Farbstoffen weniger empfänglich zu gestalten; 
auch haften die Pilzmassen nach einer dieser 
Behandlungsweisen viel fester an dem Glase 
als zuvor und lösen sich nachher auch bei 
anhaltendem Liegen in Wasser nicht mehr 
leicht los. 

Nachdem dies geschehen, wird mit einem 
oder auch mit einigen der oben angeführten 
Pigmente tingirt, ausgewaschen und nach 
dem Trocknen mit Cedemöl oder Berga¬ 
mottenöl und Canadabalsam eingeschlossen. 
Für die mit Bismarckbraun gefärbten Objecte 
geht meist auch Glycerin sehr gut. Nunmehr 
zeigen die stärksten Oel-Immersionen die 
Cilien in der Regel schön; mitunter eignet 
sich aber die photographische Aufnahme ganz 
besonders, um die Cilien zur Anschauung zu 
bringen. In anderen Fällen führt directe 
Beobachtung der lebenden frischen, im Wasser 
befindlichen Objecte, oder Behandlung mit 
0 * 25 procentiger Sublimatlösung zum er¬ 
wünschten Ziele. 

Manchmal scheinen diese Organe nach 
den Untersuchungen van Tieghenrs (Bullet, 
soc. bot. de France, T. 26, i 879, p. 37) nicht 
Eiweiss-, sondern Membranfortsätze zu sein; 
im letzteren Falle würden sie wahrscheinlich 
mit den Bewegungserscheinungen ihrer Träger 
nichts zu thun haben. Harz. 

Cimarrones nennen die Eingeborenen von 
Südamerika die wilden oder verwilderten Rosse, 
welche in den dortigen Pampas umherstreifen. 


Nach den uns von verschiedenen Reisenden 
gelieferten Beschreibungen dieser Pferde kön¬ 
nen sie auf besondere Schönheit keinen An¬ 
spruch machen; im Gegentheile sollen viele 
derselben geradezu hässliche Thiere sein. Sie 
besitzen einen schweren Kopf, dicke Beine, 
einen grossen, von dem ausschliesslichen Rauh¬ 
futter weit ausgedehnten Leib und tragen auf 
dem Halse eine lange, zottige Mähne. Der 
schlechte, etwas tief an gesetzte Schweif ist 
sehr dick. Ueber die Haarfarbe dieser Pferde 
werden verschiedene Angaben gemacht. Ein¬ 
zelne behaupten, dass Braune und Rappen in 
den Pampas am häufigsten Vorkommen und 
Schecken gänzlich mangelten. Von anderen Rei¬ 
senden wird berichtet, dass bei jenen Rossen 
ein einheitlicher Charakter gänzlich fehlte und 
Pferde von verschiedener Grösse und Gestalt, 
auch alle möglichen Haarfärbungen bei ihnen 
vorkämen. Alexander v. Humboldt hat uns 
in seinen „Ansichten der Natur“ eine höchst 
interessante Beschreibung von der Lebens¬ 
weise der südamerikanischen Wildpferde ge¬ 
liefert: „Schwellen nun allmälig die Flüsse, 
welche die Ebene südlich begrenzen: der 
Arauca, Agure und Payara an, so zwingt die 
die Natur alle Thiere, welche in der ersten 
Hälfte des Jahres auf dem wasserleeren, staubigen 
Boden verschmachteten, als Amphibien zu 
leben. Ein Theil der Steppe erscheint uns wie 
ein unermessliches Binnenwasser. Die Mutter¬ 
pferde ziehen sich mit den Füllen auf die 
höheren Bänke zurück, welche inselförmig 
über dem Seespiegel hervorragen. Mit jedem 
Tage verengt sich der trockene Raum. Aus 
Mangel an Weide schwimmen die zusammen- 
gedrängten Thiere stundenlang umher und 
nähren sich kärglich von der blühenden Gras¬ 
rispe, die sich über dem braun gefärbten gäh- 
renden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken, 
viele andere werden von den Crocodillen er¬ 
hascht, mit dem zackigen Schwänze zer¬ 
schmettert und verschlungen. Nicht selten be¬ 
merkt man Pferde und Rinder, welche, dem 
Rachen dieser blutgierigen, riesenhaften Ei¬ 
dechsen entschlüpft, die Spur des spitzigen 
Zahnes am Schenkel tragen.“ — Auch Brehm 
berichtet über die Cimarrones manches Be- 
achtenswerthe; er sagt, dass dieselben den 
Farmern oftmals lästig werden, weil sie nicht 
nur unnützer Weise gute Weide ab fressen, 
sondern auch die Hauspferde entführen. Wenn 
sie letztere sehen, eilen sie in vollem Laufe 
herbei, begrüssen ihre Artgenossen freundlich 
mit Gewieher, schmeicheln ihnen und treiben 
die willfährigen ohne grossen Widerstand ihren 
Gesellschaften zu. Reisende gerathen hiedurch 
nicht selten in Verlegenheit. „Die Wilden der 
Pampas essen das Fleisch der Cimarrones, 
namentlich das von Fohlen und Stuten her- 
rührende sehr gern. Sie fangen sich auch manche, 
um sie zu zähmen; die Spanier hingegen machen 
keinen Gebrauch von ihnen. Nur da, wo Holz 
mangelt, tödten sie bisweilen eine fette Stute, 
um das Lagerfeuer mit dem Knochenfette des 
Thieres zu verstärken. Höchst selten fängt 
man einen Wildling, um ihn zu zähmen.“ An¬ 
dere Reisende beschreiben eingehend, auf 


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CINABLÜTHEN. — CINCHONA. 


183 


welche Weise das Einfangen der Wildlinge 
in’8 Werk gesetzt wird; mit der Wurfkugel, 
welche sich um die Beine der Thiere schlingt, 
werden sie zum Falle gebracht Dann werden 
sie gefesselt und an einer 20 m langen, 
festen Schnur nach Hause geführt. Freytag . 

Cinabliithen, Flores Cmae, Wurmsamen, 
Zittwersamen irrigerweise genannt, es sind 
aber die noch nicht geöffneten Blüthenkörb- 
chen der Artemisia maritima oder Cina (s. d.) 
und somit keine Samen. Das Wurmmittel 
findet jetzt nur mehr Anwendung in Form 
seines extrahirten und allein wirksamen Haupt¬ 
bestandteiles, nämlich des Santonins, siehe 
daher Santoninum. Der Wurmsamen ist in der 
Ph. A. unter der Bezeichnung „Cina u officinell, 
in der Ph. G. unter „Flores Cinae u . Vogel. 

Cinchona L. Fieberrindenbaum,Chinabaum; 
grosse und berühmte Baumfamilie Südamerikas, 
den Rubiaceae-Cinchoneae angehörend, L. V. 1., 
welche in über 20 verschiedenen Arten vor¬ 
kommt und die bekannte Chinarinde liefert. Es 
sind stattliche, prachtvoll rosablühende Bäume 
von 30—40 m Höhe und 1—2 m Dicke, deren 
ursprüngliche Heimat die sog. Chinazone von 
Südamerika ist; dieses Cinchonenreich erstreckt 
sich von Bolivia durch Peru und Columbia 
hindurch und wachsen hier in einer See¬ 
höhe von 1200—3500 m auf den Anden, be¬ 
sonders auf deren östlichen Abhängen. Die 
Vegetation ist hier eine immergrüne, denn in 
diesen Nebelregionen regnet es bei Zimmer¬ 
wärme volle 9 Monate lang. Der ausserordent¬ 
lich starke und über die ganze Erde verbrei¬ 
tete Gebrauch der China-Alkaloide legte es 



nahe, dass bei der Sorglosigkeit, mit der die 
Halbindianer beim Einsammeln der Rinden 
verfahren, die Cinchonabäume, die nicht 
dichte Waldungen, sondern nur kleinere 
Gruppen in Wäldern von anderen Bäumen 
bilden, völlig ausgerottet würden; man hat 
sie daher jetzt auch in anderen tropischen Län¬ 
dern cultivirt, insbesondere auf Java, Ceylon, 
Jamaica und in Vorderindien. Die wichtigsten 
Species sind Cinchona officinalis (Fig. 393) 
mit den Varietäten C. uritusinga und con- 
daminea, C.micrantha, C. Calisaya vera, C. succi- 
rubra und in neuester Zeit die asiatische 
C. Ledgeriana. Von all diesen und anderen Cin- 
chonaarten hat die österreichische Pharma- 
kopoea nur die Rinden von folgenden Cin- 
chonen zugelassen: 

1. Cortex Chinae Calisayae, Calisa- 
ya-China, Cortex chinae regius, Königs-China¬ 
rinde (Süd-Peru und Ostindien). 

2. Cortex Chinae fuscus oder gri- 
seus, braune oder graue Chinarinde, Peru- 
Chinarinde und 

3. Cortex Chinae ruber, rothe China¬ 
rinde von C. succirubra. Sämmtliche Sorten 
enthalten 1—2% Alkaloid, die letztere 2*5%; 
die deutsche Pharmakopoea gestattet die 
Zweig- und Stammrinden aller Cinchonen, sie 
müssen aber mindestens 3*5% Alkaloide ent¬ 
halten, was besonders bei der zuletzt genannten 
Art Ostindiens zutrifft (s. Chinarinde). Als heil¬ 
kräftige Principien der Rinde sind verschiedene 
Pflanzenbasen anzusehen, unter denen jedoch 
das (in 4 Salzen ofticinelle) Chinin weitaus 
das kräftigste ist und neben dem in allen 
Rindensorten eine Modification sich findet, 
welche nicht zum Krystallisiren zu bringen ist 
und deshalb Chinioidin heisst, sowie eine dem 
Chinin isomere Base, das Chinidin oder Con- 
chinin und zwei von diesen nur durch ein 
Sauerstoffatom weniger in ihrer Zusammen¬ 
setzung verschiedene Alkaloide, das Cincho¬ 
nin und Cinchonidin. Die übrigen der China 
eigentümlichen Stoffe sind für den thierärzt¬ 
lichen Gebrauch von untergeordneter Bedeu¬ 
tung, so die Chinovasäure oder das Chinovin 
(Glykosid), die Chinagerbsäure mit ihrem Oxy- 
dationsproduct Chinaroth, sowie eine organi¬ 
sche Säure — Chinasäure, an welche die Al¬ 
kaloide in der Drogue gebunden zu sein 
scheinen. Da die China-Alkaloide sich in ihren 
Wirkungen völlig gleichen oder nur quanti¬ 
tative und sehr geringe qualitative Wirkungs¬ 
differenzen aufweisen, das Chinin aber das 
stärkstwirkende von den obengenannten vier 
Alkaloiden ist, so macht es auch diese über¬ 
flüssig und kann nur das bei der Bereitung 
des Chinins gewonnene amorphe Abfallspro- 
duct Chinoidin wegen seines billigen Preises 
thierärztlich in Frage kommen. Die Be¬ 
sprechung des Chinins in pharmakodynamischer 
Beziehung ist somit massgebend für sämmt¬ 
liche Chinabasen, doch sollen am Schlüsse auch 
die dem Chinin ähnlich wirkenden, aber syn¬ 
thetisch dargestellten Präparate Chinolin, Kairin, 
Kairolin und Antipyrin kurz aufgefuhrt werden. 

Als China-, d.h. Chinin Wirkungen sind 
folgende zu betrachten: Die Lösung der Salze der 



184 


CINCHONA. 


Chinabasen findet im Magen keine Schwierig* 
keiten, es kommt daher der grösste Theil der¬ 
selben bald im Blute an, um jedoch schon nach 
15 Minuten durch den Harn (als amorphes Chinin 
und als Dihydroxylchinin) wieder ausgeschieden 
zu werden; zum Glück bleibt indessen Chinin 
bei Kranken viel länger im Körper zurück, 
indem es von den Parenchymzellen einige 
Zeit festgehalten wird und so eine merkwürdige 
Alteration des Stoffwechsels zu Stande bringt 
(Protoplasmagift). Von erheblicher Art ist zu¬ 
nächst die feindliche Action auf die Mikro¬ 
organismen, welche schon in proportional sehr 
kleinen Gaben hauptsächlich gegen die Fäul- 
niss- und Gährungserreger gerichtet ist, und 
zwar ungleich mehr als gegen die Bacillen; 
doch kommt hier China der Salicylsäure und 
dem Carbol am nächsten, so dass Bossbach 
in ihr einen Benzolkern vermuthet. Es stimmt 
dies auch mit den therapeutischen Erfahrungen 
überein; das theure Chinin hat daher den 
beiden letzten Mitteln in neuerer Zeit fast 
weichen müssen und sind manche seiner In- 
dicationen ganz weggefullen; auch hier ist 
die antiputride Wirkung wohl nur auf Ver¬ 
änderungen zurückzuführen, die in den Eiweiss¬ 
körpern des Protoplasmas Vorgehen und den 
Bactericn ihren Ernährungsboden ruiniren, 
man bemerkt daher insbesondere bei septi- 
kämischen und typhösen Zuständen regel¬ 
mässig einen hemmenden Einfluss auf das 
Fortschreiten derselben, wenn grosse Gaben 
(Pferden 20*0—30*0, Hunde 1*0—5*0) ein- 
eingeführt werden: indessen kommen hier 
Heilungen nur zu Stande, wenn die Ursache 
der Fäulniss, der septische Herd selbst getroffen 
werden kann, was, wie bei putridem Zerfall der 
Gewebe, Gangränescenz der Lunge zum Bei¬ 
spiele, seine grossen Schwierigkeiten hat; auf 
locale pathologische Vorgänge und deswegen 
auch auf fortwährendes Nachrücken fauliger Ma¬ 
terien vermag sonach Chinin keine Einwirkung 
auszuüben, kräftiger und sicherer ist diese je¬ 
doch bei rein typhösen Erkrankungen und jenen, 
welche auch bei den Thieren aus Malariagiften 
entsprungen sind. Von hohem Interesse sind 
die Chininwirkungen bei allen Warmblütern 
auf das Blutleben und den Stoffwechsel. Das 
Punctum saliens liegt, wie jetzt besonders von 
Binz, Bossbach, Zuntz, v. Böck u. A. dargethan 
wurde, darin, dass die Chinintheilchen, wenn 
sie aus den Capillaren in die Organzellen ein¬ 
getreten sind, das Zellenalbumin vor den 
Angriffen des Sauerstoffes schützen, so dass 
dieses der Oxydation grösseren Widerstand 
entgegensetzen kann, die Eiweisszersetzung 
daher vermindert wird und grosse Eiweiss¬ 
ersparnisse erzielt werden können. Mit dieser 
Verlangsamung des Eiweissumsatzes ist aber 
auch nicht blos eine Schonung des Kräfte¬ 
zustandes, insbesondere bei Fiebern (ähnlich 
wie beim Alkohol) verbunden, sondern auch 
eine Hemmung der Gährungsvorgänge, die 
ja auf ähnlichen Zersetzungsprocessen be¬ 
ruhen, jedoch ebenfalls nur dann, wenn so 
viel Chinin gegeben wird, dass seine Theil- 
chen in die Gewebe des ganzen Körpers 
möglichst zahlreich einziehen und so aller- 


wärts eine Bednction des Stoffwechsels zu 
Stande kommen kann. Die Oxydations-Be¬ 
schränkung beruht vornehmlich darin, dass 
die rothen Blutkörperchen grosse Sauerstoff¬ 
mengen binden, festhalten und dadurch sogar 
vergrössert werden, also die O-Abgabe im 
Oxyhämoglobin wesentlich erschwert wird 
(Manasseln), und was die weissen Blutzellen 
betrifft, so erfahren diese in speciftscher Weise 
eine Art Lähmung, wodurch sie (schon auf 
kleine Chiningaben) an Zahl abnehmen und 
zugleich ihre ihnen eigenthümliche amöboide 
Beweglichkeit einbüssen; die nächste Folge 
ist dann, dass die Emigration derselben ge¬ 
hemmt wird und damit auch Eiterungen, 
leukämische Zustände, Milzschwellungen be¬ 
schränkt oder sistirt werden können. Welch 
günstiger Einfluss damit insbesondere für 
fieberhafte Vorgänge geschaffen wird, liegt 
jetzt auf flacher Hand, ebenso ist durch die 
Eiweissersparniss auch eine Erklärung der 
bekannten roborirenden Eigenschaften der 
Chinarinde gegeben. Ein ähnlicher paraly- 
sirender Effect kommt ferner zu gleicher Zeit 
auch im Bereiche der motorischen Herz- und 
Gefässnerven zu Stande und kann es nicht 
ausbleiben, dass damit eine Beruhigung der 
aufgeregten Herzthätigkeit, Verlangsamung 
des Pulses, consecutive Erweiterung der 
(peripheren) Arterien und Sinken des Blut¬ 
druckes, bei toxischen Gaben selbst Lähmung 
des Vagus, Tod durch Erstickung Hand in 
Hand geht; desgleichen muss dieser fieber- 
erniedrigenden Wirkung in Folge der oben 
ausgeführten, den Chemismus der Zellen direct 
einschränkenden Action auch eine Verminde¬ 
rung der Blutwärme nebenherlaufen, es ist 
daher wohl diese nicht unerhebliche Herab¬ 
setzung des gesammten Stickstoffumsatzes an 
der Abnahme des wärmebildenden Processes 
im ganzen Körper Schuld, denn bei Hunden 
beträgt die Verminderung der Harnstoff- 
exeretion schon im Anfänge der Chininwirkung 
mehr als] 30%. Fast denselben lähmenden 
Einfluss auf das vasomotorische System zeigt 
auch die Salicylsäure und der Alkohol m 
grossen Gaben, es können daher Beide in 
antipyretischer Hinsicht das Chinin vertreten 
oder unterstützen; von den narkotischen 
Stoffen kennt man diese Wirkung schon 
länger, man macht daher in neuerer Zeit 
mit grossem Vortheil hievon Gebrauch und 
verbindet mit den genannten Stoffen insbe¬ 
sondere das Opium. Hienach hätte man fol¬ 
gende Wirkungen zu verzeichnen: 1. Chinin 
ist wie die aromatischen Verbindungen ein 
stark fäulniss- und gährungswidriger Stoff; 
2. ein Blutgift, das den Stoffwechsel in der 
Art beeinträchtigt, dass das Zellenprotoplasma 
direct sammt den Blutkörperchen betroffen 
wird; 3. es findet eine Parese des vasomo¬ 
torischen Apparates statt, in Folge deren die 
Erregbarkeit des Vagus herabgesetzt wird, 
Herzschlag und Puls an Frequenz abnimmt, 
ohne dass erhebliche schädliche Nebenwir¬ 
kungen eintreten, im Gegentheil wird durch 
Eiweissersparniss eine Krafterhaltung erzielt, 
die von hohem Werthe ist; 4. mit der Er- 



GINCHON A. 


185 


niedrigung des Fiebers ist auch eine solche 
der Körpertemperatur verbunden, da jedoch 
die Ursachen des Fiebers höchst verschiedene 
sind, wirkt China auch nur auf gewisse 
Fieber, auf andere nicht oder kaum und der 
Puls sinkt nur, wenn die gesteigerte Wärme- 
bildung in den Organzellen an seiner ver¬ 
stärkten Frequenz Schuld trägt, jene geht 
daher der Abnahme der Pulsschläge voran. 
Hienach würde sich das Mittel besonders für 
entzündliche und infectiöse Fieber qualifi- 
ciren, wenn sie einen ausnahmsweise hohen 
Grad angenommen haben oder auf einem 
solchen persistiren; nachdem man jedoch von 
dem theuren Arzneistoff sehr hohe Gaben 
nothwendig hat und man zu einem ähnlichen 
Ziele mit der billigeren Salicylsäure, dem 
Alkohol und mit energischer Kaltwasserbe¬ 
handlung kommt, ja gewöhnlich mit letzterer 
schon allein, ist man, wie schon erwähnt, 
neuerdings von den Chininbasen mehr und 
mehr abgekommen und wenn es sich um Ge¬ 
fahren handelt, welche vornehmlich aus allzu 
rascher Eiweisszersetzung in dem Herzfleisch 
entspringen, so kann auch durch entsprechende 
Gaben von Branntwein. Wein, Kampher u. s. w. 
vorgebeugt werden, keinesfalls aber eignet 
sich Chinin für gewöhnliche Fieberkrank¬ 
heiten, am wenigsten für solche mit ausge¬ 
sprochenen Localisationen; ausserdem wird 
jetzt bei septikämischen Processen auch viel¬ 
fach statt des Chinins von der Carbolsäure 
und dem borsauren Natron in möglichst 
grossen Gaben innerlich Gebrauch gemacht. 

Chininum selbst wird der Schwerlös¬ 
lichkeit wegen £ar nicht benützt, viel zweck¬ 
mässiger erweisen sich seine Salze, von 
denen das 

Chininum sulfuricum, schwefelsaure 
Chinin, das basische wie amorphe, bevorzugt 
wird; obwohl das salzsaure Chinin, 

Chininum hydrochloricum, ent¬ 
schieden vorzuziehen ist; in ihm entwickeln 
sich keine Schimmelpilze, wie im vorgenannten, 
es ist viel löslicher und resorbirbarer, ausser¬ 
dem auch wirksamer, denn es enthält 8 bis 
9% mehr Alkaloid und wird besser ertragen, 
namentlich wenn ihm etwas Salzsäure beige¬ 
geben wird. Da es nur in grossen Gaben 
absteigende Fiebercurven zu erzeugen vermag, 
ist die Dosis bei hochgradigen, lebensgefähr¬ 
lichen Fiebern für das Pferd 15*0—85*0, 
für den Hund 1*0—3*0 und 5*0. Am besten 
in Pillen, nötigenfalls mit Opium, Kampher 
oder der häufigen Appetitstörung wegen mit 
Salzsäure, die Wiederholung gibt das Thermo¬ 
meter an. Zu beachten ist die empirische 
Thatsache, dass Chinin um so kräftiger ein¬ 
wirkt, wenn der Höhepunkt seines Effectes 
mit der natürlichen (morgendlichen) Remis¬ 
sion zusammenfallt, man gibt es daher am 
zweckmässigsten des Abends und stets die 
volle Gabe auf einmal oder in halbstündiger 
Pause auf zweimal, niemals in verzettelten 
Gaben, die nutzlos sind. Hunde erbrechen 

f erne und bei trächtigen ist schon rascher 
'od unter Collaps nachgefolgt. Für subcutane 
oder tracheale Injectionen eignet sich nur 


das Chlorid der Base und auch hier sind bei 
Hunden schon Todesfälle vorgekommen, es 
muss daher sehr sorgfältig dosirt werden und 
darf nur der vierte Theil, höchstens die 
Hälfte der innerlichen Gabe eingespritzt 
werden. Gegen Typhus des Pferdes jetzt viel¬ 
fach in Gebrauch. 

Conchininum, erst in neuerer Zeit ein- 
geführt, ist ebenfalls sehr wirksam, besonders 
als Antizymoticum, auch etwas billiger und 
erfordert das voluminöse, schwammige Pulver 
dieselbe Dosirung. Als Roborans und Magen¬ 
mittel Pferd 8*0—5*0, Hund 0*08—0 05 pro 
dosi, ebenso das Chinin. 

Chinoidinum oder Chinioidinum ist 
ein wohlfeiles Präparat, das jedoch der har¬ 
zigen Bestandtheile wegen nicht krystallisirt, 
deswegen unrein und nicht ganz zuverlässig 
ist, doch erreicht man mit ihm oft recht gute 
Resultate, wenn es in 8—3mal grösseren 
Gaben als Chinin ordinirt wird. Es bleibt bei 
der Chinindarstellung als Abfall zurück und 
ist wesentlich eine Mischung von amorphem 
Chinin, Cinchonin, Chinidin, Cinchonidin, 
Chinaroth und Harz. Die Verabreichung in 
Weingeist ist am wirksamsten und eignet es 
sich dann auch zu Klysmen; dasselbe ist der 
Fall mit der 

Tinctura Chinioidini, bestehend aus 
8 zu 15 Spiritus und 1 Salzsäure. Gabe für 
Pferde 30*0—60*0 und mehr, für Hunde 
8 * 0 — 10 * 0 . 

Chinolinum, ein neueres, synthetisch 
dargestelltes Präparat (s. d.), hat ebenfalls 
(mit Weinsäure verbunden) als Chinolinum 
tartaricum thierärztliche Anwendung erfahren, 
wird aber schlecht ertragen und hat die ge¬ 
hegten Erwartungen nicht erfüllt, auch ist 
die Wirkung auf Bacterien nur eine schwache. 

Kairinum hydrochloricum(s.Kairin), 
ebenfalls synthetisch dargestellt (Oiyhydro- 
methyl-Chinolin), steht dem Chinin sehr nahe 
und muss in ihm ein (hydrirter) Chinolinkern 
gesucht werden. In erster Linie ist Kairin 
Antipyreticum, als welches es besonders gegen 
Pneumonie, Brustseuche, Pferde- und Hunde¬ 
staupe versucht wurde (Friedberger, Fröh- 
ner u. A.), ohne sich jedoch besonders hervor- 
zuthun; bei Hunden treten ausserdem unan¬ 
genehme Nebenwirkungen, Speichelfluss, er¬ 
höhte Reflexerregbarkeit, Convulsionen u. s. w. 
hervor, es taugt daher nicht für die sog. 
nervöse Form der Staupe. Dosis: Pferd 
10-0—15*0, Hund 1*0—4*0 pro die. 

Antipyrinum, ein in neuester Zeit dar¬ 
gestelltes synthetisches Alkaloid, ein Chino¬ 
linderivat, daher dem Kairin und Chinin sehr 
verwandt, hat offenbar sehr bedeutende tem¬ 
peraturherabsetzende Wirkungen, die sich 
selbst auf gesunde Individuen erstrecken und 
ohne Beschwerden ertragen lassen, nament¬ 
lich bleiben Collapserscheinungen aus und 
kommt eine längere Apyrexie zu Stande, als 
bei den oben genannten Basen. Obwohl bil¬ 
liger als Chinin, muss es in doppelter Gabe 
verabreicht werden, eignet sich jedoch sehr 
gut auch zu subcutaner Application, da es 
sich in heissem Wasser sogar 8:1 löst: in 



186 


CINCHONA. 


letzterer Form kann es ausgiebig auch bei 
Thieren verabreicht werden (Hunden zu 1 • 0 bis 
8*0), es liegen aber derzeit, wie auch bei 
dem jüngst hergestellten Thallin, noch keine 
Erfahrungen vor, auf Grund deren ein Urtheil 
über die Bedeutung des Mittels abgegeben 
werden könnte. 

Cortex Chinae, Chinarinde (Fig. 394). 
Man schreibt ihr in der Thierheilkunde coörci- 
rende und tonisirende Wirkungen zu, sie 
zählt daher zu den Stärkungsmitteln, u. zw. 
wohl der genannten protoplasmatischen Wir¬ 
kungen wegen, sowie der dadurch gesetzten 



Fig. 394. Chinarinde. 


Ersparnisse an Eiweisssubstanzen, sowie auch 
wegen der in der Rinde enthaltenen Gerb¬ 
säure. Indessen kann diese Stärkung offenbar 
sich nur auf in der Reconvalescenz befind¬ 
liche Fieberkranke beziehen und nur indirect, 
denn wahre Stärkung des Körpers resultirt 
nur aus der Beschaffung einer grösseren Menge 
von rothen Blutkörperchen und hier können 
blos die protelnreichen Nahrungsmittel ein- 
treten, nicht Arzneimittel, Leberthran etwa 
ausgenommen. Indessen ist nicht zu verken¬ 
nen, dass der China auch vermöge der starken 
Bitterkeit ihrer Alkaloide, die nur vom Strych¬ 
nin übertroffen wird, stomachische Eigen¬ 
schaften nach Art der Amara zukommen, wo¬ 
durch sowohl falsche Gährungen in den Ver¬ 
dauungswegen gehoben werden, als auch auf 
reflectorischem Wege eine leichte Vermehrung 
der Magensecretion bedingt wird; es ist aber 
gut einzusehen, dass man mit den bitter¬ 
gewürzhaften Mitteln hier weiter kommt, um¬ 
somehr, als die neuesten Untersuchungen er¬ 
geben haben, dass China einen Einfluss auf 
die bessere Verdauung der Albuminate nicht 
auszuüben vermag, jedenfalls kann daher das 


Chinin wie die Rinde für peptische Zwecke 
entbehrt werden. Dagegen bleibt es unbe¬ 
nommen, wenn sie zur Wiederherstellung des 
verlorengegangenen Gewebstonus, nament¬ 
lich der Darmfasern herbeigezogen wird; 
ebenso bei reinen Schwächezuständen, symp¬ 
tomatischer Dyspepsie (Atonie der Verdau¬ 
ungsorgane), Neigung zu Durchfällen u. s. w. 
und kann hier der Rinde die Möglichkeit 
der Wiederherstellung, ja selbst der Besse¬ 
rung der Ernährung und damit auch der Stär¬ 
kung des Gesammtkörpers keineswegs ab¬ 
gesprochen werden. Dies gilt besonders bei 
Darreichung des Mittels nach consumirenden 
Krankheiten, bei der daraus entspringenden 
Inappetenz und gänzlichem Darniederliegen 
der Digestion, sie ist daher ein Hauptmittel 
der Genesungsperiode und der Verzögerung 
der Erschöpfung; ihre Wirkungen kommen 
denen des Weines und Alkohols hier sehr 
nahe, nur muss die Rinde auch hier in etwas 
grösseren Gaben gereicht werden, oder man 
setzt ihr eines der billigeren Alkaloide (Chi- 
nioidintinctur) mit etwas Eisen, aromatischen 
Mitteln, Malz- oder Fleischextract, Kochsalz, 
Salzsäure, Kampher (subcutan) bei. v. Boeck 
hat berechnet, dass bei Hunden hiebei fast 
60 g Eiweiss täglich im Körper erspart wer¬ 
den können. Für Fieber selbst taugt die Rinde 
nicht, denn sie müsste in viel zu massigen 
Gaben gegeben werden, da sie höchstens 
3—4% Basen enthält und so die Verdauung 
namentlich der Albuminate nur ruiniren 
müsste, ebenso aber auch repräsentiren die 
China-Alkaloide nicht die gesammte tonisirende 
Wirkung der Rinde, obwohl Herabsetzung 
des Fiebers, Hebung von Diarrhöen ja auch 
gleichbedeutend ist mit Stärkung des Kör¬ 
pers; es spielen somit auch das Chinova- 
bitter, die Chinasäure (5—8%) und die China- 
gerbsäurc besonders der rothen Rinden 
(10—12%) eine Rolle. Am wenigsten gehen 
die genannten Stoffe in Lösung bei Infusionen 
der Rinde mehr im Decoct, noch kräftiger 
ist das Pulvis corticis chinae rubri selbst, 
am wirksamsten aber sind die Rindenprä¬ 
parate. Dosis der Rinde für Pferde 10*0 bis 
20 # 0, Rinder 20*0—60*0, Schafe, Ziegen, 
Schweine 5*0—15*0, Hunden 2*0—5*0 zwei- 
oder dreimal täglich mit oder ohne obige 
Beimengungen. Aeusserlich ist das antisep¬ 
tische Mittel bei der Trockenbehandlung der 
Wunden und Geschwüre nicht zu verachten. 
Gegenangezeigt ist China entschieden bei 
acuten Magendarmkatarrhen und chronischen 
Verschleimungen des Verdauungstractes. Von 
den einheimischen Rinden kommt ihr nur die 
der Weide, Cortex Salicis, nahe und wird 
von dieser auch in der Rindviehpraxis von 
vielen Thierärzten Gebrauch gemacht. Dosis 
wie oben. 

Tinctura Chinae, in Oesterreich nicht 
officinell, aus der braunen Rinde bereitet 
(1: o), rothbraun, stark bitter, als Tonicum 
und zur Nachcur sehr wirksam. PferdlO’O—15*0, 
Hund zu 20—50 Tropfen mehrmals im Tage. 

Tinctura Chinae composita, zu¬ 
sammengesetzte Chinatinctur, enthält Enzian, 





CINCHONIDIN. — CINNAMOMUM CASSIA. 187 


Orangeschalen und Zimmt, rothbraun, bitter¬ 
aromatisch, sehr kräftiges Magendarmmittel. 
Hund zu 40—50 Tropfen, wie oben. 

Yinum Chinae, 1:3, Xereswein, roth- 
braun, klar. Entbehrlich, wie auch die China- 
rindenextracte; besser ist, guten Wein extra 
zu geben und nicht verbittert. Vogel. 

Cinchonidin (oder Conchidin) wird aus 
dem käuflichen Chinoidin (s. d.) gewonnen, 
bildet überdies den Hauptbestandteil einer 
billigeren Chinarinde, der China Bogota; in ge¬ 
ringer Menge findet es sich auch in allen echten 
Chinarinden, es ist isomer mit Cinchonin (s. d.), 
schmeckt weniger bitter als Chinin, krystal- 
lisirt aus Weingeist in grossen Krystallen, 
die saure Lösung fluorescirt nur schwach. Es 
bildet neutrale, saure und übersaure Salze. 
Sein Verhalten im Organismus ist ähnlich dem 
Cinchonin und den übrigen Chinaalkaloiden, 
doch soll es noch stärker toxisch wirken wie 
Chinin, in hohen Dosen auch Krampf 
erregend. Loebisch. 

Cinchonin, C w H, 4 N, 0, ein Alkaloid, wel¬ 
ches gegen 4*5% in der grauen Chinarinde 
(China Huanco) enthalten ist, doch kommt es 
auch in den übrigen Chinarinden vor und wird 
gewöhnlich als Nebenproduct bei der Dar¬ 
stellung des Chinins gewonnen. Es bildet 
wasserfreie Prismen, die in Alkohol löslich, in 
Wasser und Aether unlöslich sind und bei 
448—454° schmelzen. Die Salze sind im All¬ 
gemeinen löslicher als die des Chinins; es 
wirkt auf den gesunden und kranken Or¬ 
ganismus ganz wie Chinin, jedoch quantitativ 
schwächer. Loebisch . 

Cinerea clavellati, der frühere, jetzt ver¬ 
lassene pharmakologische Ausdruck für das 
Tohe kohlensaure Kali (s. „Kalium carbo- 
nicum“). Vogel. 

Cinnabarlt, Zinnober, ist das Schwefel¬ 
quecksilber Hg S (Mercuri8ulfid oder Queck- 
silbersulftir), welches in der Natur nur unrein 
vorkommt, künstlich dargestellt aber entweder 
amorph und dann schwarz krystallisirt und des¬ 
wegen auch Quecksilbermohr, Aethiops mineralis 
(s. d.) heisst. Dieses schwarze Schwefelquecksil¬ 
ber, Hydrargyrum sulfuratumnigrum sowohl, als 
die scharlachrothe krystallinische Modification 
des schwarzen Mercurisulfids, aus dem es durch 
Sublimation oder auf nassem Wege durch 
Schütteln mit einer Lösung von fünffach 
Schwefelkalium dargestellt wird (künstlicher 
Zinnober) und welche auch unter dem Namen 
Hydrargyrum sulfuratum rubrum bekannt ist, 
wurde früher gegen Hautausschläge und Skro- 
phulosis häufig angewendet, es sind aber beide 
Präparate, zu denen auch noch der Aethiops 
antimonialis (s. d.), das Hydrargyrum stibiato- 
sulfuratum zu zählen ist, jetzt vollständig ent¬ 
behrlich und deswegen weder in der öster¬ 
reichischen, noch deutschen Pharmakopoea 
officinell. Der grüne Zinnober endlich (Rin- 
mann's Grün) wird durch Glühen von Zink¬ 
oxyd mit Kobaltsalzen gewonnen und findet 
ebenfalls keine thierärztliche Verwendung mehr. 
Das österreichische Cinnabarit oder Zinnober 
ist ein Chromat und dient nur als Farbe. Vogel . 


Cinnamomum Cassia, Cassienzimmtbaum. 
eine Lauracee Chinas, Cochinchinas und der 
Sundainseln (Java), Cinnamomum aromaticum. 
deren Zweigrinde den gemeinen Zimmt 
(s. d.), die Zimmtcassie (Kanelil) darstellt, zu 
einfachen Röhren von mattrotlibrauner Farbe 
eingerollt in Handel kommt und überall offi- 
cinell ist als 

Cortex Cinnamomi Ph. G. oderCortex 
Cinnamomi chinensis, Ph. A.; chine¬ 
sischer Zimmt, Cortex Cassiae cinnamomeae: 
Cassia vera; cannelle de chine; cassia bark: 
corteccia de cassia. Neben diesem chinesischen 
Zimmt war früher in der Ph. G. auch der 
Ceylonzimmt, der in der Ph. A. als Cortex 
cinnamomi Zeylonici bezeichnet ist und der 
von einer anderen Species, Cinnamomum Zeylo- 
nicum, abstammt, officinell. Derselbe ist von 
feinerem Aroma, aber viel theurer und daher 
entbehrlich. Der Javazimmt steht zwischen 
beiden. Wirksam ist in dem Rindenbast das 
feurig schmeckende, liebliche, ätherische Oel, 
welches sich durch Oxydation an der Luft 
sehr leicht in Zimmtsäure und Zimnitaldehyd 
umwandelt; ausserdem ist noch enthalten 
ziemlich viel Gerbstoff, dann Zucker, Harz 
und Gummi. Das höchst angenehme Mittel 
concentrirt alle Wirkungen der Gewürze, d. h. 
der verdauungsbelebenden, magenstärkenden, 
reizenden Medicamente, welche zugleich Darm¬ 
gase zum Weichen bringen (Stomachicum und 
Carminativum ersten Ranges), Darmschmerzen 
dadurch lindern und eine reichlichere Secretion 
im ganzen Verdauungstracte veranlassen, acut 
katarrhalische Zustände sind daher ausge¬ 
schlossen. Spärliche Magensaftabsonderung 
charakterisirt letztere, und deswegen ist 
Zimmt ein Hauptmittel bei ihnen erst, wenn 
das Fieber völlig gebrochen ist, doch ist in 
diesem Stadium Salzsäure immer vorzuziehen. 
Sonst tritt noch Indication ein bei allen ga¬ 
strischen Atonien, wobei Zimmt vor Allem 
die wurmförmige Bewegung kräftig einleitet 
oder vermehrt. Ob er auch ähnliche Contrac- 
tionen im Uterus anregt oder dadurch gar 
Uterinblutungen stillt, ist zweifelhaft, jeden¬ 
falls ist ihm nach dieser Richtung das jetzt 
dynamisch besser bekannte, zuverlässigere 
Secale cornutum vorzuziehen. Zimmt findet 
für die angegebenen Zwecke nur in der Hunde¬ 
praxis Anwendung, ist aber noch zu wenig 
benützt. Das leicht applicable und deswegen 
auch als Geschmackscorrigens verwerthb&re 
Mittel gibt man zu 0*4—1*0 pro dosi, 3*0 
bis 5*0 pro die als Pulvis (mit Zucker) oder 
in Electuarien und im Thee, in der Milch, 
mit Wein u. s. w. Sehr passend ist auch die 
offi ein eile 

Tinctura Cinnamomi (1:5), welche 
süsslich aromatisch und zugleich etwas styp- 
tisch schmeckt und zu 40—60 Tropfen den 
Hunden verabreicht wird. Nach Geburten, 
Metrorrhagien wird sie besonders gerühmt, 
nicht etwa um auf das Genitalsystem speciell 
einzuwirken, sondern die damit im Zusammen¬ 
hang stehende Erschöpfung zu heben, man 
verbindet daher mit ihr Rothwein, Eisen u. dgl., 
alle halbe Stunde einen Theelöffel voll. 


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188 


CIRCASSISCHES PFERD. — CIRCUS. 


Syrupus Cinnamomi vermengt man 
gerne mit unangenehm schmeckenden Arznei¬ 
mitteln in der Hundepraxis, und dient er dann, 
wie auch die noch gewürzreichere Tinctura 
aromatica (Zimmt, Cardamomen, Ingwer, 
Nelken, Galgant), gegen Dyspepsien und 
Diarrhöen, die aus Erkältung, Ueberfressen, 
Indigestion, Koliken u. dgl entstanden sind. 
Dosis kaffeelöffelweise. Vogel. 

Circassisches Pferd, s. Tscherkessisches 
Pferd. 

Circumpoiarität. Zur Erklärung der 
eigentümlichen Verbreitung der Thierformen 
auf unserer Erdoberfläche hat G. Jäger eine 
Theorie aufgestellt, welche die Verbreitung 
der Thierwelt aus der allmäligen Erkaltung 
der Erdkruste und der successiven Verände¬ 
rung ihrer Temperaturverhältnisse zu erklären 
sucht. Danach soll beim Uebergang der 
Erde vom feurig flüssigen in einen festen Zu¬ 
stand an den zuerst erstarrenden Polen das 
thierische Leben aufgetreten sein. Mit grös¬ 
serer Erkaltung der Pole sind die in einem 
tropischen Klima entstandenen Thiere äqua- 
torialwärts gewandert und ersetzt worden 
durch solche, welche sich einer weniger 
warmen Temperatur angepasst haben; dieser 
Process wiederholte sich immer wieder mit 
dem Kälterwerden der Pole. (Polflüchtigkeit der 
Organismen.) Bei dem Vorschieben der Orga¬ 
nismen nach dem Aequator erweiterte sich ihr 
Verbreitungsgebiet zum Ring und dieser dif- 
ferencirte sich nach den verschiedenen Posi¬ 
tionen der geographischen Länge. Wir hätten 
danach zwei polare Schöpfungscentren, von 
denen aus äquatorwärts die Erde bevölkert 
wurde; da eine fortwährende Auswanderung 
von den Polen aus stattfand, so müssen die 
äquatorialen Zonen den grössten Reichthum 
an Formen haben. Die Arten, Gattungen, Fa¬ 
milien etc., welche sich zwischen Aequator und 
Polen ringförmig über die Erdoberfläche ver¬ 
breitet finden, bezeichnet J. als circumpolare 
Arten, Gattungen, Familien etc., ihre fossilen 
Stammformen sind am Pol zu suchen. 

Literatur: 0. Jager, zoologische Briefe; J&ger 
im Handwörterbuch der Zoologie, 2. Bd., pag. 163. Studei'. 

Circumvolutio (neulat. von circumvolvere), 
die Umwälzung, also eine Vorlagerang, z. B. 
der Eingeweide. Sussdorf. 

Circus (v. xtpxdO, Kampfspielplatz in 
Rom, ursprünglich für Ross- und Wagenrennen, 
später für alle Arten der circensischen Spiele 
bestimmt. Der römische Circus war, wie der 
Hippodromus der Griechen, oben offen, von läng¬ 
lich runder Gestalt, eine halbe Ellipse darstellend, 
aber weniger breit als jener, weil nur vier Wagen 
neben einander auffuhren. Derselbe war von 
drei Stockwerke hohen Galerien, welche die 
stufenweise erhöhten Sitze der Zuschauer bil¬ 
deten, und einem Canal, Euripus genannt, um¬ 
geben. Diese Galerien ruhten auf Gewölben, 
unter denen die zum Kampf bestimmten, wilden 
Thiere aufbewahrt wurden. Den längeren 
Durchmesser des mit Sand bestreuten Platzes 
(arena), auf welchem die Spiele gehalten wurden, 
bildete eine 4' hohe und gegen 12' breite Mauer 
(spina), an deren beiden Enden sich je drei 


Säulen (metae) mit einem Fussgestelle befan¬ 
den, um welche die Kämpfer siebenmal um¬ 
lenken mussten, ehe der Preis bestimmt wurde. 
Mitten in der Spina errichtete Cäsar den aus 
Egypten gebrachten 132' hohen Obelisk. Am 
berühmtesten war der Circus maximus, wel¬ 
cher nach Dionys von Halikarnass 9331' lang 
und 2187' breit gewesen und Plätze für über 
200.000 Zuschauer gehabt haben soll. Nach¬ 
dem er unter Nero abgebrannt, begann der 
Wiederaufbau unter Trajan; unter Constantin 
wurde er vollendet. Doch auch von diesem 
sind nur wenige Ueberreste vorhanden. 
Nach diesem war der Circus Flaminius der 
älteste, in der 10. Region ausserhalb der Stadt, 
dessen Gründung auf den Censor C. Flaminius 
zurückgeführt wird. Von dem Circus des Cara- 
calla sind noch bis jetzt Ruinen im besten 
Zustande unter dem Namen il Circo oder 
Giastra di Caracalla vorhanden. Die Spiele (ludi 
Circenses) waren: 1. Wettrennen zu Pferd 
und zu Wagen, woran Männer vom höchsten 
Rang theilnahmen; 2. gymnastische Kämpfe; 
3. die trojanischen Spiele, Kampfspiele zu Pferd, 
von J. Cäsar erneuert; 4. Thiergefechte, in 
welchen Thiere mit Thieren oder mit Ver¬ 
brechern und Freiwilligen kämpften; 5. Nach¬ 
ahmung von Seegefechten, zu welchem Zwecke 
der Circus unter Wasser gesetzt werden konnte. 
Ausser Rom hatten noch viele andere Städte, 
selbst ausserhalb Italien, wie Athen, Jerusalem 
und andere ihre Circusse; namentlich aber 
hatte Egypten solche von ungeheurem Umfange. 
Später gab es in mehreren Städten Italiens circus¬ 
artige Räume für Ballspiele; ein noch gut 
erhätener findet sich zu Perugia. Die Stier¬ 
gefechte (s. d.) gehören noch »jetzt zu den 
Lieblingsvergnügungen der Spanier und der 
Peruaner; sie finden in Madrid und in allen 
grösseren Städten Spaniens im Coliseo de los 
Toreros statt, einem Circus, mit stufenweisen 
Sitzen umgeben, über welchen sich eine Reihe 
Logen erhebt. Hahnenkämpfe (s. d.) finden in 
England, Persien, auf Java und bei den In¬ 
dianern, in Peru im Coliseo de Gallos, einem 
Amphitheater mit zweckmässiger Arena statt. 
Am häufigsten aber werden diese Circusse 
heutzutage noch für Kunstreiter errichtet, 
wobei es feststehende und nur vorübergehende 
gibt. Die ausgezeichnetsten ersterer Art sind 
der Cirque olympique auf den Elysäischen 
Feldern zu Paris, von Hittorf errichtet, mit 
Raum für 6000 Personen. Neben ihm besteht 
der Hippodröme, der zur Aufführung grosser 
Reitergefechte, militärischer Episoden, Kämpfe 
mit wilden Thieren u. dgl. bestimmt ist. 
Ausser Wien hat auch Berlin einen ganz 
massiven Circus in maurischem Stil von pracht¬ 
voller Ausstattung. An seine Arena stösst ein 
Theater, dessen Bühne 25 Meter breit und 
20 Meter tief ist; der Zuschauerraum kann 
2500 Personen aufhehmen. Auch in München 
wird in der nächsten Zeit ein solcher massiver, 
aus mehreren Gebäuden bestehender Circus 
gebaut, womit grosse Pferdestallungen, Woh¬ 
nungsräume, Theater und Concertsäle, Bade¬ 
anstalten etc. verbunden werden. Vorüber¬ 
gehende, meistens aus Holz aufgebaute Circusse 



CIRRHAGRA. — 

werden noch in jenen grösseren Städten, wo 
keine massiven vorhanden sind, zeitweise auf- 
gebant, in denen die wandernden Kunstreiter- 
truppen ihre Vorstellungen geben. Ableitner. 

Cirrhagra (xtffdc, Locke, und Sypa, Beute), 
Weichselzopf. Plica polonica, eine Verfilzung 
der Haare, besonders der Mähnen und Schweif¬ 
haare der Pferde, aber auch langhaariger Hunde 
und Rinder zu zusammenhängenden schmutzigen 
klebrigen Büscheln durch ein nässendes Haut- 
secret, gemengt mit Talg, Schweiss, Epidermis- 
schuppen, Staub, Schmutz und verschiedenen 
Pilzen. Der Weichselzopf entsteht durch ver¬ 
nachlässigte Hautpflege und Anhäufungen von 
Unreinigkeiten, die einen Reiz auf die Haut 
ausüben und eine exsudative Hautentzündung 
verursachen. Durch das Exsudat werden die 
Haare verfilzt und verklebt und nachher siedeln 
sich Schizomyceten und Pilze in denselben 
an. Der Nachweis, dass der Weichselzopf 
durch specifische Pilze verursacht werde, ist 
bisher nicht geliefert worden, obgleich von 
einigen Autoren besondere Pilze bei der Plica 
polonica gefunden und beschrieben worden sind. 
Günsberg betrachtet einen Pilz, den er Tricho¬ 
phyton plicae polonicae nennt, als Ursache 
der Krankheit und Walter fand einen Pilz, 
Trichophyton sporuloides beim Weichselzopf. 
Jedoch können diese Pilze später hinzuge- 
kommten sein und in den verfilzten Haar¬ 
büscheln und auf der entzündeten Haut einen 
günstigen Boden für ihre Entwicklung gefun¬ 
den haben. Die Behandlung des Weichsel¬ 
zopfes besteht in gründlicher Reinigung 
und Auswaschen der verfilzten Haare (die auch 
abgeschoren werden können) mit Lauge oder 
Seifenwasser und Anwendung von Sublimat 
und Kalilösungen. Semmer. 

Cirrhu8, Cirrus, ursprünglich Haarlocke, 
so auch der Schopf des Pferdes (Veget.) und 
allerhand Haarbüschel bei den verschieden¬ 
sten Thieren. Cirri tibiales nennt Veget. Renat. 
die Hornwarzen, Kastanien der Pferde. Sf. 

Cista heisst auf den Recepten Schachtel, 
bedeutet daher soviel als Scatula; man kann 
aber, etymologisch genommen, unter ersterem 
lateinischen Ausdruck nur eine grosse Schachtel 
verstehen. Vogel. 

Cito, schnell, ist eine auf Recepten üb¬ 
liche Bezeichnung, durch welche man an¬ 
deuten will, dass die Dispensation der verlang¬ 
ten Arznei unverzüglich zu geschehen habe, 
der Apotheker daher die übrigen Recepte, 
welche vor diesem übergeben worden sind, 
zurücklegen soll. Das „Cito“ wird ganz oben 
auf das Recept geschrieben und ein- oder zwei¬ 
mal unterstrichen. Vogel. 

Cito G. A. schrieb in Neapel im 16. Jahr¬ 
hundert über die Erkenntniss und Behandlung 
der Krankheiten der Pferde und Rinder. Sr. 

Citronen, s. Aurantiaceen. Sie finden in 
der Thierheilkunde sammt ihren Derivaten 
kaum Anwendung, sind daher entbehrlich. Vogel. 

Citronen8äure, C 6 H 8 0 7 , wird im Grossen 
aus dem Citronensaft gewonnen, sie findet sich 
überdies weit verbreitet im Pflanzenreiche, 
meist in Begleitung der Aepfelsäure und Wein¬ 
säure. Um die Säure aus Citronensaft darzu- 


CLADOSPORIÜM. 189 

stellen, kocht man diesen zunächst auf, um die 
Eiweissstoffe abzuscheiden, filtrirt und sättigt 
das Filtrat mit kohlensaurem Kalk und mit 
Kalkmilch. Es scheidet sich das Kalksalz der 
Citronensäure aus, dieses wird mit Schwefel¬ 
säure zerlegt und das Filtrat zur Krystalli- 
sation eingedampft. Die Citronensäure krystal- 
lisirt in grossen rhombischen Prismen mit 

1 Molekül Krystallwasser, sie schmeckt ange¬ 

nehm sauer, löst sich in 4 Th. Wasser, leicht 
in Alkohol, sehr schwierig in Aether. Die 
Citronensäure ist eine dreibasische Säure und 
bildet demgemäss drei Reihen von Salzen. 
Versetzt man eine wässerige Lösung von Ci¬ 
tronensäure in der Kälte mit Kalkmilch, so 
entsteht keine Fällung, erst beim Kochen 
scheidet sich der tertiäre citronensäure Kalk 
aus. Von den Salzen sind wichtig das 
citronensäure Eisenoxyd, ein rothbraunes Pul¬ 
ver, ferner das Magnesiasalz der Citronensäure, 
welches als Brausepulvermischung benützt 
wird. Loebisch. 

Citrus, Citrone, die reife Frucht von zwei 
ursprünglich in Ostindien einheimischen, jetzt 
auch in den Ländern des Mittelmeeres culti- 
virten Bäumen aus der Familie der Auran- 
tiaceae (s. d.), nämlich des Citrus Limonum 
und Citrus medica (L. XVIH. 9). Die erstere 
ist auch unter dem Namen Sauercitrone ' 
oder Limone bekannt und liefert die officinelle 

Citronensäure, Acidum citricum 
und von Letzterer, sowie dem Citrus secumana 
mit der ausserordentlich schwammigen Schale 
stammt das bekannte Gewürz Citronat, welches 
mit geschmolzenem Zucker bereitet wird. 
(Succate). 

Cortex Fructus Citri, Citronenschale. 
Die von den reifen Früchten abgelöste und 
getrocknete Fruchtschale, welche aus einer 
äusseren, runzlich punktirten, an mit ätheri¬ 
schem Oele gefüllten Zellen reichen gelben, 
aromatischbittern und einer inneren schwam¬ 
migen, weissen Schicht besteht. Von Letzterer 
i befreit, bildet sie das Gelbe der Citronenschale 
(Flavedo corticis citri); der Geruch ist ange¬ 
nehm würzig; der Geschmack angenehm bitter¬ 
lich. 

Oleum Fructus Citri, Citronenöl, wird 
aus der Schale durch Destillation bereitet, ist 
mitdemTerpentinöl durchaus identisch und einer 
der angenehmsten Stoffe für geruchs- und ge¬ 
schmacksverbessernden Zusatz von Pulvern als 
Oelzucker in der Hundepraxis (Elaeosaccharum 
citri). Letzterer wird bereitet, indem man zu 

2 g Zuckermehl 1 Tropfen Citronenöl beigibt. 

Die Citronenschale dient ausserdem zur Be¬ 
reitung von Aqua carminativa und Spiritus 
aromaticus, die Citronensäure zu angenehmen 
kühlenden Getränken (Limonaden) bei fieber¬ 
haften Krankheiten der Hunde zu 0*1—0*2%; 
durch ihren Gehalt an Alkali-Citraten ist sie 
zugleich leicht diuretisch. Vogel. 

Clado8porium, Link, Astspom, Gonidien- 
formen verschiedener Sphaeriaceen von peni- 
cilliumartigem Habitus. Mycel und die meist 
bäum-, seltener strauchartigen Hyphen reichlich 
septirt und gleich den in einfachen oder ver¬ 
zweigten Ketten vorkommenden Gonidien 


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190 


CLADOTHRICHEEN. — CLADOTHRIX. 


dunkel gefärbt, meist oliven- bis schwarzgrün, 
zuweilen gelbgrün. Wo sie in dichten Rasen 
Vorkommen, erscheinen dieselben schwarz grün. 
Die Sporen (Gonidien) sind bald kugelrund, 
bald elliptisch oder oval bis lanzettförmig. 
Gewöhnlich sind die untersten Glieder der 
Sporenketten durch quere Scheidewände in 
zwei- bis dreitheilige Sporen verwandelt. Die 
bekannteste Art ist Cladosporium herbarumLk., 
gleich den zahlreichen anderen Arten häufig 
auf abgestorbenen Zweigen und Blättern, fau¬ 
lendem Heu und Stroh das ganze Jahr hin¬ 
durch, besonders häufig aber vom Herbst 
bis zum Frühjahr vorkommend. Manche Formen 
sind sehr gewöhnlich auf verschiedenen ver¬ 
dorbenen Speisen, namentlich aber kommen 
sie auf Extracten und Wurzeln, die an feuchten 
Orten aufbewahrt werden, vor. Auch auf Honig, 
auf fettigem altem Papiere, auf Schmierseife, 
an Fenstern von Stallungen und Kellern kann 
man sie oft beobachten. Der genaue Zusammen¬ 
hangsnachweis mit bestimmten Sphaeriaceen- 
arten ist erst bei einigen Arten erbracht. Harz. 

Cladothrlcheen, Zweighaarpflanzen (von 
%Xd3oc, Zweig, und Tpfydc, Haar), eine Gruppe 
von Spaltpilzen, welche in der Form von 
Mikrococcen, Bacterien. Bacillen, Spirillen 
und langen Fäden Vorkommen, welche letztere 
durch Aneinanderlegung von (isolirten) ver¬ 
schiedenen Fäden falsche Verzweigungen 
(Dichotomieen) zeigen. Es gehören dahin 
zwei Arten, welche beide farblos sind und 
grosse Aehnlichkeit mit Leptothrix besitzen, 
sich von dieser jedoch durch die constante 
Pseudoverzweigung unterscheiden. Hart. 

Cladothrix, Cohn, Beitr. I. 3, p. 185. 
Zweighaar der Gattungscharakter stimmt mit 
dem Gruppencharakter überein (s. Clado 
thricheen). 

Cladothrix dichotoma Cohn, 1. c. 
Zweigabeliges Zweighaar (Fig. 395). Ein 



Fig. 896. Cladothrix dichotoma Cohn. I Fadenformen, bei 
a einlach und einem Substrat aufsitzend. 11 Desgleichen 
vergr. 111 Ein langer, spirochftteartiger Zweig. IV Vibrio» 
und spirillenartige Formen; bei a mit Cilien. VI und 
VII Zn Mikrococcen, Bacterien und Bacillen zergliedernde 
Formen. 

sehr häufiger Pilz aller mit organischen 
Substanzen verunreinigten stehenden und 
fliessenden Gewässer. Die feinen langen 
Fäden trifft man häufig auf absterbenden 


Algen und allen möglichen anderen Wasser¬ 
bewohnern; sie wurden als Leptothrix pära- 
sitica von Kützing bezeichnet. Nicht selten 
färben sie sich durch Eisenoxyd braun oder 
rostgelb; so nannte sie Kützing Leptothrix 
ochracea. Tritt namentlich häufig auf in Fa¬ 
briksabwässern, insbesondere von Brauereien, 
Gerbereien u. s. w. Auf Algen u. s. w. bildet 
die Fadenform circa \—4 mm hohe, oft seiden¬ 
glänzende Rasen. Die Fäden werden 2—3 Mikr. 
dick, sind gleichmässig walzenförmig, sie 
sondern durch Vergallertung ihrer Membran 
Schleim ab, welcher die sich von Zeit zu Zeit 
abtrennenden Glieder gleichsam wie innerhalb 
einer Scheide festhält. Diese letzteren wachsen 
weiter und bleiben in ruhigen Gewässern 
haften, wodurch mitunter ansehnliche, schein¬ 
bar dichotom verzweigte Colonien entstehen. 
Variirt ungemein in seiner Form, namentlich 
drehen und biegen sich die Fäden oft in der 
verschiedensten Weise; so dass Spirochäten, 
Vibrionen und Spirillen entstehen. Die ge¬ 
drehten, wie die gewundenen Glieder trennen 
sich los, nehmen Eigenbewegungen an und 
erhalten zuweilen Wimpern (Fig. 395, IV bei a). 
Diese Bewegungen längerer Fäden erinnern 
dann an die der Oscillarien oder sie gleichen 
diesen vollkommen. Endlich können durch 
Weiterzergliederung der Schrauben etc. Bac¬ 
terien, Bacillen und Mikrococcen entstehen, 
aus denen dann durch Auswachsen wiederum 
Fäden hervorgehen. 

Cladothrix Foersteri, Zopf, Strepto- 
thrix Foersteri Cohn (Eig. 396). Dieser in sei¬ 
nem Habitus mit dem vorhergehenden ziem¬ 
lich genau übereinstimmende, vielleicht damit 
identische Pilz wurde von Gräfe 1855 in 
Concrementen der Thränencanälchen des 
menschlichen Auges entdeckt und seither 
zu wiederholten Malen beobachtet. Coccen, 





CLAIMING. — CLAVICEPS. 


191 


Stäbchen und lange gerade Fäden, welche 
in dessen Gesellschaft von Gräfe, Waldeyer, 
Förster und Cohn beobachtet wurden, dürften 
wohl ebenfalls, gleichwie bei voriger Art, zu 
C. Foersteri gehören. Harz. 

Claimfng-Stake8 (Forderungs - Rennen) 
wird jenes Rennen genannt, in welchem durch 
die Proposition festgestellt ist, dass alle in 
diesem Rennen concurrirenden Pferde um 
einen bestimmten Preis gefordert werden 
können. Der Sieger dieses Rennens wird um 
den angesetzten Preis gefordert; jedes der 
anderen Pferde um den angesetzten Preis und 
unter Zuschlag des Werthes, welchen der Sieg 
im Rennen beträgt. Das Kaufrecht steht in 
erster Linie dem Eigenthümer des zweiten 
Pferdes zu, dann allen Uebrigen nach der 
Reihenfolge, in welcher ihre Pferde am Sie¬ 
gespfosten angelangt sind. NurDeijenige ist zu 
einer Kaufsforderung berechtigt, der ein Pferd 
im Rennen laufen liess, wobei aber der Sieger 
im Rennen erst zuletzt dieses Recht an¬ 
sprechen darf. Die Kaufsforderung muss 
schriftlich innerhalb einer Viertelstunde nach 
dem betreffenden Rennen bei einem der Ste¬ 
wards (Verwalter u. dgl.) oder bei dem Rich¬ 
ter, dem ,Wäger oder auch bei dem Renn- 
secretär eingebracht werden. Lechntr. 

Clangor (griech. yj xXoiyy von xXäCev, 
schreien), ein allgemeiner Ausdruck für die 
Stimme der Thiere. Sussdorf. 

Clapier, le, eig. der Kaninchenbau, dann 
übertr. auf fistulöse, hie und da buchtig er¬ 
weiterte Geschwürsgänge: grosses Hohlge¬ 
schwür etc. Sussdorf 

Clarendon Thom. gab 1847 in Dublin ein 
Buch heraus über den Huf und dessen Krank¬ 
heiten. Semmer. 

Clark Bracy (1773—1860) studirte in 
London Thierarzneikunde, schrieb 1796 über 
Oestrus, war Theilnehmer an dem Journal 
de Mödecine vdtörinaire und veröffentlichte 
viele Artikel über den Pferdehuf und Huf¬ 
beschlag. Semmer. 

Clark Charles, Neffe des Vorhergehenden, 
gab einige Zeit hindurch ein veterinär- 

medicinisches Journal unter dem Titel: „The 
Hippiatrist“ heraus, das gegen den „Veteri¬ 
nären“ und die Londoner Thierarzneischule 
gerichtet war. Semmer. 

Clarke James, gab 1782 ein Werk über 
Behandlung des Pferdes und über Hufbeschlag 
heraus. Semmer. 

Cla886n8prung. Das Verfahren bei der 
Paarung in Schafheerden ist ein sehr verschie¬ 
denes, entweder lässt man unter die ganze 
Mutterheerde die für die Paarung bestimmten 
Böcke zu denselben den Tag über, man nennt 
solches den wilden Sprung und rechnet 
dabei 40—50 Mutterschafe auf einen Bock, 
oder aber man theilt die Mutterheerde je nach 
deren verschiedenen Körper-Eigenschaften und 
dem Wollcharakter in verschiedene Classen, 
bringt in dieselbe Classe Thiere von mög¬ 
lichst gleichen Eigenschaften und wählt den¬ 
selben entsprechende Böcke für jede Classe, 
um auf diese Weise die daraus zu erwartende 
Nachzucht dem vorgesteckten Zuchtziele 


näher zu bringen. Ist die Mutterheerde 
nicht sehr gross, so bildet man wo möglich 
so viel Classen, als man Böcke zur Verwen¬ 
dung nöthig hat; ist die Mutterheerde dafür 
zu gross, so wählt man für jede in ihren 
Woll- und Körpereigenschaften möglichst 
gleichartig zusammengestellte Classe mehrere 
ebenso in allen ihren Eigenschaften gleich¬ 
artige Böcke und lässt solche nur Mutter- 
thiere der für sie bestimmten Classe decken. 
Man nennt solches den Classensprung. 
Das Paarungsgeschäft hiebei geschieht dann 
entweder in der Form des freien Sprunges, 
wo dann die Böcke den ganzen Tag mit ihrer 
Classe zusammen sind; diese Art der Paarung 
findet hauptsächlich dann statt, wenn die 
Paarungszeit in den Winter fallt, zu welcher 
die Thiere schon aufgestellt sind, man daher 
jede Classe in eine besonders abgegrenzte 
Abtheilung bringen kann. Man rechnet auch 
hier ca. 50 Schafe für jeden Bock, oder aber 
man wendet den „Handsprung 11 an, d. h. 
man lässt täglich ein- oder mehrere Male 
zur Paarungszeit durch einen sog. ..Sucher¬ 
oder Probirbock“ die jedesmal brünstigen 
Schafe aussuchen und bringt solche mit dem 
für die Classe, zu welcher sie gehören, be¬ 
stimmten Bock behufs Paarung zusammen. 
Hier kann man schon bis 60 Schafe für jeden 
Bock rechnen. Bei hochgezüchteten Heerden, 
in welchen jedes Mutterschaf numerirt ist, 
findet Individualpaarung und stets im 
Handsprunge statt, d. h. es wird bei Beginn 
der Paarungszeit für jedes einzelne Mutter¬ 
schaf derjenige Bock bestimmt, welcher dem 
Leiter der Zucht der qualificirteste für Errei¬ 
chung des Zuchtzieles ist. ßohm. 

Clater Fr. schrieb 1783 ein populäres 
Buch über Pferdearzneikunde unter dem Titel: 
„Every man his own Farrier“, das trotz seiner 
Mängel circa 30 Auflagen erlebte und ins 
Französische, Deutsche und Russische über¬ 
setzt wurde. 1810 erschien von ihm ein Buch 
unter dem Titel: „Every man his own Cattle 
Doctor.“ Semmer. 

Clathrocystis (von Clathrus, xXetfi-pov, 
Gitter, und xoarq, xostts, Blase), roseo-per- 
sicina Cohn. Bacterium rubescens Lankest 
(s. Beggiatoa roseo-persicina unter „Chromo- 
gene Spaltpilze 11 ). Hart. 

Claudus, lahm, davon abgel. claudicatio. 
claudigo, clauditas, das Lahmen, Hinken, 
Lahmheit etc. Sussdorf. 

Clava (vom hebr. Kalaf [mit Keulen], 
Schlägen), Keule nennt man das vordere ver¬ 
dickte Ende des Funiculus gracilis des 
Rückenmarks (s. d.). Sussdorf. 

Clavlceps, Tul., Cordyceps Fr. p. p., Ken- 
trosporium Wallr. (von Clava, Keule, und 
xscpaX t], Kopf, xsvtpov, Sporn), Keulenkopf¬ 
pilz. Die Fruchtträger dieser Pilze entsprin¬ 
gen einem Dauermycelium (Sclerotium): sie 
sind stielförmig, schwellen an der Spitze 
köpf- oder keulenförmig an und tragen hier in 
peripherischen Kammern (Perithecien) die 
Schläuche mit acht langen, einfachen, faden¬ 
förmigen Sporen. Die Pilze bewohnen wäh¬ 
rend der ersten Entwicklungsstadien die 



192 


CLAV1CEPS. 


Fruchtknoten verschiedener Gramineen; die 
Sporen erzeugen auf und in denselben ein 
Mycelium, aus dem nach aussen sich Stiel- 
chen erheben, welche Gonidien ab schnüren, 
die ihrerseits wiederum neue Mycelien auf und 
in anderen, zuvor noch gesunden Frucht¬ 
knoten erzeugen. Schliesslich gehen die My¬ 
celien, nach Resorption des Fruchtknoten¬ 
gewebes, dessen Epidermis allein erhalten 
bleibt, in ein längliches, hartes Dauermyce- 
lium über. Das Dauermycelium (Sclerotium) 
trägt an seiner Spitze noch die genannten 
Ueberreste des Gräserfruchtknotens in der 
Form eines meist weisslichen Häubchens. Die 
wichtigste Art ist: Claviceps purpurea Tul. 
Dieser Pilz befällt die Fruchtknoten von 
Secale, Triticum und Hordeum, namentlich 
häufig die erstgenannten unseres Roggens. Die 
Gonidien wie die Sporen (der Schläuche) be¬ 
fallen zur Blüthezeit die Ovarien der ge¬ 
nannten Pflanzen, auf die sie durch Wind 
und Insecten gelangen. Im Frühjahr sieht 
man aus dem Dauermycel (Fig. 397 III, IV) 
die stielförmigen Träger (Receptaculum, Stro¬ 
ma) einzeln oder in grösserer Zahl erschei¬ 
nen. Sie würden in überaus grosser Menge 
hervorbrechen, wenn sie genügende Nahrung 


/ 



Fig. 397. Claviceps purpurea Tal. I Roggea&hrchea, deren 
eine Blume ein Mutterkorn erzeugte. II Ein solches ver- 
gTössert. III und IV Zirei Sclerotien mit je einem bis 
mehreren Frnchttrigern. V Oberer Thell eines solchen 
vergr., die Perithecien (Kammern) zeigend. VI Eine Kam¬ 
mer mit den Schlauchen vergr. VII Zwei Schlauche mit 
Sporen. VIII Keimende Schlauchsporen. IX Sphacelia sege- 
turo. X Gonidien; dieselben keimend bei a; a Sporidien 
erzeugend. 


finden würden. In der Natur nehmen die zuerst 
erscheinenden den übrigen die ReservestofFe 
weg und verhindern sie dadurch, in nam¬ 
hafter Zahl aufzutreten. Man kann jedoch 
künstlich Hunderte von Fruchtträgern erzen¬ 
en, wenn man ein Sclerotium in dünne 
cheiben zerschneidet und diese nun in Nähr- 
stofflösungen bringt. Jede Scheibe bringt 
jetzt ein bis einige Receptacula hervor. Die 
Receptacula mit ihren kopfförmigen Anschwel¬ 
lungen stellen nun die Schlauchpilzform dar, 
die von Tulasne als Claviceps purpurea be¬ 
zeichnet wurde (Fig. 397 III, IV, V). An der 
Peripherie des Kopfes finden sich zahlreiche 
Kammern (Fig. 397 V, VI), jede derselben mün¬ 
det nach aussen in einer warzenförmigen Erha¬ 
benheit und enthält im Innern zahlreiche 
Schläuche (Fig. 397 VII) mit je acht fadenför¬ 
migen, langen, dünnen, einzelligen Sporen. 
Diese Sporen gelangen nun auf die jugendlichen 
Fruchtknoten der obgenannten Gräser; hier 
keimen sie alsbald (Fig. 397 VIII); die Keim¬ 
schläuche dringen in den (Roggen-) Frucht¬ 
knoten ein, leben auf dessen Kosten und ent¬ 
wickeln sich, indem sie alle dem Frucht¬ 
knoten zufliessenden Nährstoffe für sich ver¬ 
wenden, zu einem üppigen Mycelium. Dieses 
Mycel sendet nun nach aussen eine grosse 
Menge von Stielzellen, welche (Fig. 397 IX) an 
ihrer Spitze zahlreiche Gonidien abschnüren. 
Gleichzeitig wird an der Oberfläche des be¬ 
fallenen Fruchtknotens ein zuckerhaltiger, 
sehr süss schmeckender Saft abgesondert, 
in dem die Gonidien meist suspendirt liegen. 
Man kannte früher nicht die Zugehörigkeit 
dieser Pilzform zu Claviceps, und Leveilld 
nannte dieselbe seiner Zeit Sphacelia sege- 
tum. Zahlreiche Insecten, namentlich Dipte¬ 
ren und Ameisen verzehren nun den abge¬ 
schiedenen Zucker, und indem sie auch die noch 
gesunden Fruchtknoten nach Zucker absuchen, 
bringen sie mit ihren Beinen etc. auch auf 
diese die Gonidien der Sphacelia, die nun 
ihrerseits alsbald auskeimen und abermals 
ein Mycelium mit Sphaceliagonidien hervor- 
rufen. Hinsichtlich der Keimung dieser Go¬ 
nidien sei noch bemerkt, dass sie nach 
J. Kühn auf den Mycelschläuchen kleine Spo¬ 
ridien (Fig. 397 Xa) hervortreiben, welche ihrer¬ 
seits wieder Keimschläuche erzeugen, die nun 
in die Fruchtknoten eindringen. Schliess¬ 
lich verschwinden die Sphaceliagonidien und 
aus dem Mycel derselben entwickelt sich nun 
ein hartes, kornförmiges, aussen braunes bis 
violetrothes Dauermycelium. Auch dieses 
wurde früher für eine eigene, selbständige 
Pilzart gehalten und von de Candolle als 
Sclerotium Clavus bezeichnet (Fig. 397 bei 
I und II mit Fruchtträgern). Das Dauer¬ 
mycel kann nun den Winter über gleich einem 
Samen ruhen, um im Frühjahr in der feuchten 
Erde wiederum die Receptacula hervorzubrin¬ 
gen und den Cyclus von Formen aufs Neue 
durchzumachen. Das Sclerotium Clavas ist 
seit alter Zeit medicinisch verwerthet worden 
unter dem Namen „Secale cornutum“, Ergot 
de seigle (franz.), Mutterkorn. Es ist giftig, 
zeigt einen etwas unangenehmen Geruch und 



CLAVICULA. — CLEVER-RIND. 


193 


schmeckt widerlich, etwas kratzend, ist etwa 
doppelt so lang als ein Roggenkorn, gefurcht 
oder oft stumpf-dreikantig, im Innern weiss bis 
rosa. Hauptbestandteile sind: Sclerotinsäure 
1 • 5— 4 5%, Scleromucin 2—3%, ferner Fett, 
Mannit, Mycose. Sodann die Alkaloide: Ecbo- 
lin, Ergotin, Ergotinin an Ergotsäure gebun¬ 
den, Picrosclerotin, und verschiedene Pig¬ 
mente: Scleroerythrin, Sclerojodin, Scleroxan- 
thin u. s. w. In grösserer Menge dem Mehle 
beigemengt, erzeugt es angeblich die manch¬ 
mal (in Missjahren) epidemisch auftretende 
Kriebelkrankheit. Das Mutterkorn soll bei 
50 Ä C. anhaltend getrocknet, sodann in Fla¬ 
schen wohl verkorkt und versiegelt aufbe¬ 
wahrt werden, da es bei geringem Feuchtig¬ 
keitsgehalte alsbald schimmelt und verdirbt. 
Wenn irgend möglich, ist es jedes Jahr frisch 
zu sammeln. Die arzneiliche Verwendung des 
Mutterkornes s. u. Secale cornutum. Harz. 

Clavicufa (Deminut. von clavis), Schiös¬ 
selchen, diente als xXsic schon den alten 
Griechen zur Bezeichnung des Schlüsselbeins, 
während die Römer (Celsus) dasselbe jugulum 
nannten. Nach Hyrtl soll der Name von der 
Querlage des Knochens nach Art eines Riegels 
abzuleiten sein. Dasselbe stellt einen Knochen 
des Schultergürtels dar, der aber nur dort 
entwickelt ist, wo die Vorderextremität auch 
noch anderen Zwecken als der Locomotion 
dient. Daher erklärt sich der gänzliche Man¬ 
gel des Knochens bei den meisten unserer 
Hausthiere und die reducirte Ausbildung noch 
bei Hund und Katze; bei ersterem bildet er 
ein dreieckig*schildförmiges 6—7 min breites 
und langes, bei letzterer ein schwach S för¬ 
mig gekrümmtes Knöchelchen, das bei beiden 
Thieren dem sog. Schlüsselbcinstreifen des 
M. sterno-cleido-mastoideus eingelagert ist. 
Bei allen anderen Säugern, insbesondere den¬ 
jenigen, deren Brustgliedmasse in jeglicher 
Richtung frei beweglich ist, wird die Clavi- 
cula zu einem selbständigen Skelettknochen, 
der einerseits (Extremitas stemalis) mit dem 
Brustbein, andererseits (Extremitas acromia- 
lis) mit dem Gräteneck articulirt. Beim Vogel 
verwächst der Knochen, wo er ausgebildet 
vorhanden, meist mit dem der anderen Seite 
zur Furcula, einem gekrümmt gabelförmigen 
Knochen, der ventralwärts mit der Crista 
sterni, dorsal mit dem Os coracoideum ver¬ 
bunden ist. Die Clavicula ist physiologisch 
bedeutungsvoll als Strebepfeiler, welcher den 
regelrechten Abstand des Schulterarmbein- 
gelenkes von der Seitenwand des Thorax ein¬ 
hält und ein wichtiger Ansatzpunkt ist för eine 
grössere Anzahl von Muskeln, die auf Kopf, 
Rumpf und Vorderextremität wirken. Sf. 

Clavus 8ecalinu8, so viel als Claviceps 
purpurea. Vogel. 

Clement, Chef de Service in Alfort, schrieb 
über Bauchfell- und Lungenentzündung und 
über die Wirkung des Brechweinsteins im 
Recueil de mddec. vötörinaire. Scmmer . 

Clementiner Schaf ist eine Bezeichnung 
für das macedonische Fettschwanz-Schaf 
(s. d.). 

Cleveland-Pferd. Dasselbe galt bis vor 

Koch. Encyklopldie d. Thierheilkd. IT. Bd. 


20 und 30 Jahren für das beste Kutschpferd 
Englands, es verdankte seinen Namen „Cleve- 
land-Bay u einmal seinem Heimatsbezirke in 
der englischen Grafschaft York und anderseits 
der prächtigen kastanienbraunen Haarfarbe, 
welche diese Pferde fast ausnahmslos besassen. 
Das Vale of Pickering wird als der Stamm¬ 
sitz dieser Rasse bezeichnet, welche jedoch 
niemals ganz festtypirt gewesen sein soll. Zum 
Transport grosser Reise- und Postwagen auf 
zum Theil noch schlechten Landwegen war 
der Cleveländer durchaus geeignet; es waren 
in der Regel grosse, stattliche Rosse mit kräf¬ 
tigen Gliedmassen, hübscher Kopfform, gut 
aufgesetztem Halse und ausgezeichnet ge¬ 
formter Kruppe. Der gut angesetzte Schweif 
wurde hübsch getragen. Als Mängel galten bei 
diesen Pferden ihr etwas zu kurzer Brustkasten 
und ihre zu schwammige Textur. Auch ihre 
Action war oftmals nicht rasch genug, und 
man sah sich, um dieses zu verbessern, mehr¬ 
fach genöthigt, die Stuten von Cleveland, 
überhaupt von ganz Yorkshire, mitVollblut-Hen g- 
sten zu paaren, wodurch an manchen Orten 
ein sehr leistungsfähiger Kutschschlag ent¬ 
standen ist. Die Nachfrage nach Cleveländer 
Pferden war zu Anfang dieses Jahrhunderts 
in Yorkshire sehr bedeutend und sie wurden von 
In- und Ausländern so theuer bezahlt, dass 
in Folge dessen zu viel gutes Zuchtmaterial 
exportirt wurde. Schwarznecker glaubt, dass 
zum Theil durch die Herstellung fester Strassen 
und durch die in Mode gekommenen leich¬ 
teren Fuhrwerke jener alter Pferdeschlag zer¬ 
stört und überflüssig geworden ist In London 
kann man heute noch im Marstalle der Köni¬ 
gin und bei anderen Grossen des Reiches die 
Reste der alten Cleveländer Zucht zu sehen 
bekommen; in Rotton-row (Hydepark) erschei¬ 
nen zuweilen stattliche Viergespanne von 
grossen, braunen Rossen (ohne Abzeichen), die 
man als die Nachkommen der altrenommirten 
Cleveland-Bays bezeichnet. Aus der Kreuzung 
von Cleveland - Stuten mit Vollbluthengsten 
sind nicht allein tüchtige Carrossiers, sondern 
auch kräftige, sehr brauchbare Jagdpferde 
(hunters) hervorgegangen, welche wohl im 
Stande sind, ansehnliche schwere Reiter in 
den Sattel zu nehmen und sicher über das 
Terrain zu bringen. Das alte Cleveländer 
Ross erfreute sich auch als Zugthier bei der 
Feldarbeit eines guten Namens; man benützte 
hierzu vorwiegend solche Exemplare, welche 
auf besondere Körperschönheit keinen Anspruch 
machen konnten, aber starke Knochen und 
gute Sehnen besassen. Nach Deutschland sind 
früher ziemlich viele Cleveländer Hengste ge¬ 
kommen, man hat sie sowohl in Hannover, 
wie in Oldenburg zur Zucht von Kutschpferden 
benützt, und wenn dieselben auch nicht immer 
und überall einen nachhaltigen Suceess ge¬ 
habt haben, so ist doch nicht zu leugnen, 
dass die Oldenburger Pferdezucht zum nicht 
geringen Theile ihre guten Erfolge den Cleve- 
länder Braunen zu verdanken hat. Frey lag. 

Clever-Rind, ein den Holländern nahe 
verwandter schwarzscheckiger Schlag im nord¬ 
westlichen Theile des preussischenRegierungs- 

13 



19A 


CLEVE’SCHES SCHWEIN. — CLOSTRIDIUM. 


bezirkes Düsseldorf, von etwas leichteren For¬ 
men und gröberen Knochen und Hörnern, auch 
etwas weniger milchergiebig als der hollän¬ 
dische Marschschlag. fVilekens. 

Cleve’8che8 Schwein Jm Regierungsbezirke 
Düsseldorf, in der Umgegend von Düsseithal, 
des alten Herzogthums Cleve, wird die Züch¬ 
tung einer Schweinerasse betrieben, welche aus 
England stammt, schon vor langer Zeit von 
dort nach jener Gegend eingeführt sein und 
sich stets durch gute Eigenschaften ausge¬ 
zeichnet haben soll. Der Verbreitungsbezirk 
jener Rasse hat sich in Folge dessen schnell 
erweitert; sie ist im ganzen westlichen Deutsch¬ 
land bis nach Baden, Württemberg und Bayern 
vorgedrungen und hat dort. wesentlich zur 
Verbesserung der alten, hochbeinigen Land¬ 
schläge beigetragen. In der Körpergestalt zeigt 
das Cleve’sche Schwein ungleich grössere Aehn- 
lichkeit mit dem chinesischen oder portugie¬ 
sischen, als mit dem grossohrigen Schweine 
(Sus Macrotis) von Central-Europa. Die Ent¬ 
wicklung der Ferkel geht rasch von statten, 
die Mastfahigkeit der Thiere ist sehr zu loben, 
und es erreichen ausgewachsene Exemplare 
bei zweckmässiger Ernährung nicht selten ein 
Gewicht von 250—300 kg. Ihr Fleisch ist 
zart und wohlschmeckend. Sie besitzen einen 
kleinen, kurzen Kopf mit aufrechtstehenden 
Ohren: der dicke Hals ist kurz, der Rumpf 
von mittelmässiger Länge, aber von beträcht¬ 
licher Breite und Tiefe. Ihre Füsse sind kurz 
und fein von Knochen. Rücken und Kreuz bilden 
eine gerade Linie. Gewöhnlich sind die Cleve - 
sehen oder Düsselthaler Schweine von weisser 
Hautfarbe und ihre feinen Borsten stehen nicht 
sehr dicht auf dem Körper. Man rühmt ihr 
ruhiges Wesen und sagt, dass sie sich gern 
reinlich halten. Nach Weiss’ Mittheilungen 
lieferten zwei 11 monatliche Schweine dieser 
Rasse zusammen 317 kg reines Schlacht¬ 
gewicht und 36 kg Blut und Eingeweide. Fg. 

CIKchy gab 1828 heraus: „Memoire sur la 
gastro-entönte des animaux domestiqaes.“ Sr. 

CHma, s. Klima. 

Clitoriü, s. Kitzler, bezw, Geschlechts¬ 
organe. 

Cloaci8mu8 (abgel. von cloaca, Abzugs¬ 
canal), der pathologische oder auf einer Hem¬ 
mungsmissbildung beruhende Harnabgang 
durch den Anus. Sussdorf. 

Cioake. Als Cloake bezeichnet man das 
durch den After nach aussen sich öffnende 
Endstück des Darmcanales, wenn in das letz¬ 
tere die Ausführungsgänge, des Harn- und 
Geschlechtsapparates ausmünden. Eine der¬ 
artige Einrichtung findet sich bei den Vögeln, 
Reptilien, Amphibien, bei den zur Classe der 
Monotremen gehörenden Säugethieren (Schna¬ 
belthier, Ameisenigel), unter den Fischen bei 
den Plagiostomen (Haifischen, Rochen) und 
den Lungenfischen (z. B. Lepidosiren). Die 
Cloake der Vögel ist erheblich weiter als der 
Mastdarm, an dessen Einmündungsstelle sich 
eine starke Schleimhautfalte vorfindet. Die 
Harnleiter öffnen sich nach innen von den 
Samenleitern, bezw. von dem Eileiter der 
linken Seite (der rechte Eierstock und der 


dazu gehörige Eileiter fehlen fast allen Vögeln). 1 
Die Ausmündungsstellen der Harn- und Samen¬ 
leiter markiren sich häufig durch kleine 
Papillen, die Ausmündung des linken Eileiters 
stellt eine verhältnissmässig breite Spalte dar. 
Bei einigen Vögeln (z. B. Enten, Gänsen) 
birgt die Cloake ausserdem ein dem männ¬ 
lichen Gliede der Säugethiere entsprechendes 
Begattungsorgan. Müller. 

Clostridium Prazm. (von Faden), 

Kahn- oder Schiffchenbacterie. Stimmt mit 
Bacterium (s. Bacterien) überein, unterscheidet 
sich nur dadurch von demselben, dass die, 
Dauersporen bildenden, Stäbchen kahnförmig, 
citronenförmig, elliptisch, spindelig bis kaul¬ 
quappenförmig werden. Bildet Bacterien, 
Bacillen (die zuweilen Vibrionen artig ge¬ 
krümmt sind) und feine, lange, gegliederte, 
unverzweigte, leptothrixartige Fäden, welche 
jedoch zum Unterschiede von Leptothrix und 
Verwandten keinen Gegensatz von Basis und 
Spitze erkennen lassen. 

Clostridium polymyxa Prazm.(Unter¬ 
suchungen über die Entwicklungsgeschichte 
etc. einiger Bacterienarten, Leipzig 1880, p. 37), 
Gallertclostridie (von tcoXo?, viel, und p.t>6a, 
Schleim, Brei, Gallerte).Bildet auf Zuckerrüben 
und Kohlrüben knorpelige, lappige, krause Zoo- 
glöacolonien, in welchen Fäden aus längeren 
oder kürzeren Stäbchen liegen. Im Gegensatz 
zu C. butyricum besitzt der Pilz ein weit 
grösseres Sauerstoffbedürfniss; er scheidet 
leichfalls ein, Amylum und Cellulose lösen - 
es, Ferment ab. Blaufärbung mit Jod tritt 
aber nur ein bei Ernährung mit Amylum. 

Clostridium butyricum Prazm., 
Vibrion butyrique Pasteur, Amylobacter Clos¬ 
tridium Tröcul, Bacillus Amylobacter van 
Tieghem, Bacterium Navicula Reinke et Berth., 
Buttersäurepilz (Fig. 398). Verursacht in Zucker¬ 
und anderen Kohlenhydratlösungen Butter- 
säuregährung. Findet sich insbesondere in über¬ 
reifen oder faulenden Gurken, Kürbissen und Me¬ 
lonen, Zuckererbsen und grünen Bohnen, Gelben 



Fig. 398. Clostridium butyricum Prazm I. Die gewöhnliche 
Bacillusform. II. Sporenbildende Sttbchen. III. Keimende 
Sporen. 



CLOT. — CLYDESD ALE-PFERD. 


195 


Rüben, in nassfaulen Kartoffeln, im Sauerkraut, 
im reifenden Käse. Bildet sich und gedeiht 
vorzüglich in Auflösungen von milchsaurem 
Kalk, in Maischen, in Lablösungen, in mit 
Kalk, Magnesia, Zinkoxyd u. s. w. versetzter 
Milch, in mit Eiweiss und den obigen Basen 
versetzten Rohr-, Trauben- oder Milchzucker¬ 
lösungen, zumal bei höherer (35—40* C.) 
Temperatur; ebenso in ähnlich beschaffenen 
Mannitlösungen u. s. w. Entsteht in Flüssig¬ 
keiten, welche der Milchsäureg&hrung unter¬ 
liegen, aber erst nachdem sämmtlicher Zucker 
in Milchsäure übergeführt wurde. Diese Pro- 
cesse gehen bei höherer Temperatur rascher 
vor sich, als bei niederer. Die günstigste Tem¬ 
peratur für seine Entwicklung ist 35—40° C.; 
über 40° C. gedeiht er weniger gut, des¬ 
gleichen unter 30° C. Gegen Siedhitze ist 
der Buttersfturepilz viel empfindlicher als 
Bacterium subtile. Ob der Buttersäurepilz 
mit dem Milchsäurepilz identisch ist oder 
nicht, ist bis heute noch nicht fest¬ 
gestellt. Bei Sauerstoffabschluss gedeiht er 
vorzüglich; es scheint sogar, nach Pasteur's 
Untersuchungen, reichliche Sauerstoffzufohr 
wie Gift auf ihn zu wirken, ihn selbst zu 
tödten. Sehr interessant ist, wie van Tieghem 
entdeckte (Bullet, de la Soc. bot. de France, 
T. J4, 1877. — Compt. rend. 1879, P. 88, 
T. 89), die Abscheidung eines Fermentes, 
welches Cellulose und Amylum direct und 
rasch in Lösung bringt Das Innere des 
Pilzes*wird durch Jod blaugefärbt Diese 
Reaction tritt aber nicht nur nach der Re¬ 
sorption von Cellulose oder von Amylum ein, 
sondern auch unter Ausschluss beider bei 
der Cnltur in Glycerin, milchsaurem Kalk, 
in Käse, in Lösungen von Zucker und anderen 
Kohlenhydraten etc. Der Buttersäurepilz 
scheint beim Reifen des Käses eine wichtige 
Rolle zu spielen. Hart. 

Ciot, geb. 1795, Chef des Medicinal- 
wesens in Egypten, gründete eine Veterinär¬ 
schule in Abou- Zabel, die 1837 nach Cairo 
verlegt wurde. Semmer. 

Clumber-Spaaiel. Eine kleine Form des 
seidenhaarigen spanischen Wachtelhundes, die 
lange Zeit nur in der Familie der Newcastle 
in England gehalten und gezüchtet wurde, 
gegenwärtig aber auch bis Deutschland ver¬ 
breitet ist. Im Allgemeinen zeigt er einen 
langgestreckten Leib, ziemlich niedrige Beine, 
von denen die hinteren höher sind, schönen 
Behang. Der Kopf erscheint gross und lang, 
der Schädel flach mit hohem Hinterhauptbein, 
die Schnauze stark und kräftig, die Nase 
gross, fleischfarbig mit dunkler Spitze. Augen 
gross und tiefliegend, haselnussbraun. Ohren 
gross und lang, mit geringer Feder, an den 
Backen anliegend. Hals lang, kräftig und 
muskulös. Schultern stark und vorstehend. 
Brust tief, Körper lang mit sehr tiefen Rippen. 
Vorderläufe gerade und kurz, starkknochig 
und gut bcfedert. Hinterläufe mit starken, 
kräftigen Keulen. Pfoten gross. Schwanz tief 
angesetzt und hängend getragen. Haar nicht 
zu lang, ohne Kräuselung, seidig und dicht. 
Farbe weiss mit citronengelben Abzeichen und 


kleineren regelmässigen Fleckchen an der 
Schnauze. Jagt immer stumm. Studcr . 

Clydesdale-Pferd. Unter den schweren 
Zug- und Arbeitspferden von ganz Gross¬ 
britannien nimmt der Clydesdaler seit langer 
Zeit eine hervorragende Stellung ein. Dessen 
Heimat findet sich im südwestlichen Schott¬ 
land, an den Ufern der Clyde, woselbst diese 
Rasse zu Anfang des vorigen Jahrhunderts 
auf Veranlassung eines Herzogs von Hamilton 
aus der Kreuzung von Lanark-Stuten und 
Flamänder Hengsten gebildet sein soll. — 
Schwarznecker, H. v. Nathusius - Althal¬ 
densleben und andere deutsche Hippologen 
stellen den Clydesdaler als den besten Re¬ 
präsentanten des schweren Arbeitspferdes hin. 
Die Symmetrie der Linien, die Lagerung und 
Winkelstellung der Knochen, die Leichtigkeit 
in der Bewegung sind bei einem Körper¬ 
gewichte von 600—800 kg geradezu erstaunens- 
werth und es erscheint der Clydesdalei; fast wie 
eine grosse Quartausgabe zu dem Vollblut* 
Octavbande. (Schwarznecker.) Ihre. Grösse 
schwankt zwischen 1*70 und l*80m; der 
Kopf dieser Pferde ist meistens gerade und 
nur bisweilen ein wenig gebogen. Die Stirne 
ist breit und der Unterkopf hübsch gebildet. 
Ihr Hals ist von mittlerer Länge, nicht ganz 
schwer, wie bei anderen britischen Karren¬ 
pferden, auch die Mähne nicht zu stark ent¬ 
wickelt. Der prononcirte Widerrist ist zu¬ 
rückgelagert, ihre ziemlich schräg stehenden 
Schultern sind von ansehnlicher Länge und 
besitzen vortreffliche Muskeln. Die breite und 
tiefe Brust hat häufig einen Umfang von 2 m 
und darüber. Der gerade Rücken ist in der 
Nierenpartie gut geschlossen. Ihre Flanken 
könnten wohl zuweilen etwas voller sein. Das 
breite, muskulöse Kreuz, von ansehnlicher 
Länge, dacht sich nach hinten mässig ab. 
Der Schweif ist nicht zu tief angesetzt und 
wird in der Regel gut getragen. Ihre Vor¬ 
arme und Unterschenkel sind kräftig, lassen 
nichts zu wünschen übrig, besonders schön 
sind Vorderknie und Sprunggelenke articulirt. 
Ihre kurzen, breiten Schienbeine sind mit 
derben Sehnen bestens ausgestattet und 
meistens besitzen sie feste, gesunde Hufe. 
Minder lobenswerth ist der sehr starke, weit 
an den Beinen hinauf reichende Behang, 
welcher leicht Veranlassung zu Unbequem¬ 
lichkeiten gibt; ihre unteren Gliedmassen 
erfordern aus diesem Grunde auch stets eine 
sorgfältige Reinigung (Waschen und Baden) 
nach der Arbeit. — Die braune oder schwarz- 
braune Haarfarbe, zuweilen mit Abzeichen, 
ist jetzt bei der fraglichen Rasse vorherrschend; 
in früherer Zeit sollen Rappen beliebter ge¬ 
wesen sein. (David Low.) Die Thiere besitzen 
ein gutes Temperament; sie zeigen sich bei 
der Arbeit fleissig. rasch im Gange und ge¬ 
wöhnlich sehr ausdauernd. Die Züchtung der 
Clydesdaler erstreckt sich jetzt über viele 
Grafschaften von Grossbritannien und Irland: 
auch in Nordamerika und Australien wird 
diese Rasse fortgezüchtet. In Deutschland 
hat sie sich neuerdings eingebürgert; unsere 
Staatsgestüte und verschiedene Private (s. u. 

13 * 



496 CLYSMA — 

Althaldensleben) haben Hengste und Stuten 
zur Aufstellung gebracht, und es finden an 
verschiedenen Orten die Beschäler dieser Rasse 
von Clydesdale grosse Nachfrage bei der Zucht. 
Eine grössere Anzahl schottischer Pferde¬ 
züchter hat eine besondere Clydesdaler 
Pferdezucht-Gesellschaft gegründet, welche 
folgende Zwecke in's Auge fasst: 1. Die 
Reinheit des Clydesdaler Pferdeschlages (breed) 
zu erhalten und die Züchtung desselben 
möglichst zu fördern; 2. die Stammbäume 
der Thiere zu sammeln, festzustellen, zu be¬ 
wahren und später zu veröffentlichen, nebst 
anderen nützlichen, auf dieselben bezüglichen 
Mittheilungen: 3. die allgemeinen Interessen 
der Züchter und Besitzer besagter Pferde zu 
fördern; 4. verdächtigen oder zweifelhaften 
Stammbäumen der als Clydesdaler benannten 
Pferde nachzuforschen und die als falsch be- 
zeichneten Angaben zu veröffentlichen; 5. Strei¬ 
tigkeiten in Fragen, die sich auf besagte 
Pferde beziehen, zu prüfen und zu erledigen. 
Um den Beitritt zu dieser Gesellschaft zu 
ermöglichen, sind verschiedene Aufgaben von 
Seiten der Züchter zu lösen; es würde zu 
Weit führen, auf diese hier noch näher ein¬ 
zugehen. Freytag. 

Clysma, richtiger Klysma (tö xXoofjia), 
ursprünglich jedes Wundwasser, dann übertr. 
das Klystier. Sussdorf. 

Clyster und xXoo-nrjp (lat. 'und griech.), 
Klystier, Klystierspritze, ebenso 

Clysterium (v. xXoox^ptov), Kly¬ 
stierspritze. Sussdorf. 

Cnlcfn, C 42 H ge O t 5 . Wurde aus den Blät¬ 
tern von Cnicus benedictus Gärtn. dargestellt 
und soll sich auch in anderen verwandten 
Compositen finden. Seiden glänzende Nadeln 
von neutraler Reaction, von sehr bitterem Ge- 
schmacke, in Wasser schwer löslich, leicht in 
Weingeist, sehr wenig in Aether. Mit kalter 
concentrirter Schwefelsäure gibt Cnicin eine 
rothe Lösung, die auf Wasserzusatz violett, 
auf Zusatz von Ammon gelb wird. Wurde von 
Bouchardat als Antitypicum höher gestellt als 
Salicin. Es bewirkt nach Scribe brennende Hitze 
im Pharynx, Wärme im Epigastriuin, Kolik. 
Therapeutisch noch wenig erforscht. Loebisch. 

Cnicus benedictus, die Spinnendistel 
oder Kardobenedicte (Centaurea benedicta 
L. XIX. Compositae-Cynareae), deren blühende 
Zweige und Blätter in Deutschland als 

Herba Cardui benedicti (Folia Car- 
dui benedicti, Chardon bönit, Blessed Thistle) 
officinell sind. Die bei uns wildwachsende 
Pflanze ist durch ihre fast fusslangen Blätter 
ausgezeichnet, die bodenständig und fieder- 
theilig sind und einen geflügelten, stachligen 
Stiel haben; die grossen Blüthenköpfchen, 
welche gelbe Zwitterblüthen einschliessen, 
sind von spinnwebig behaarten Deckblättern 
umhüllt und in dem stachligen Hüllkelch 
eingeschlossen. Wirksam ist der in kaltem 
Wasser wenig lösliche Bitterstoff Cnicin, 
ausserdem sind aber auch noch reichliche Al¬ 
kalisalze (Magnesium, Calcium, Kalium) ent¬ 
halten; das Mittel rangirt sonach zu den 
Amara salina, hat jedoch nur schwache phy- 


COALTAR. 

siologische Wirkungen und wird auch nur da 
benützt, wo die Pflanze häufig wächst. Wie 
das Leontodon Taraxacum und das cholem- 
saure Natrium (Galle) leistet es Dienste bei 
„atonischer Verdauungsschwäche“ oder wenn 
mit dyspeptischen Zuständen eine Trägheit 
der Darmentleerung besteht; ob diese An¬ 
nahme richtig ist und man nicht mit etwas 
Enzian uni Glaubersalz ungleich weiter 
kommt, mag dahingestellt bleiben. Dosis 
beim Pferd 15 \0—30'0, Rind 30*0—i 00-0, 
Schaf 40*0—15*0, Hund in wässrigem oder 
weinigem Infus zu 5 ■ 0—10 * 0 in 200 • 0 Wasser; 
Extractum Cardui benedicti zu 0*5—1*0 in 
Pillen. Vogel. 

Coagulabilität heisst man die Fähigkeit 
einer Substanz, unter gewissen Umständen 
zu gerinnen, also Gerinnungsfähigkeit, Gerinn¬ 
barkeit. Sussdorf. 

Coagulatio (lat das Gerinnen, Zusammen¬ 
laufen einer Flüssigkeit, von cogere = con- 
agere) bezeichnet den Vorgang, welcher eine 
tropfbare Flüssigkeit in eine festere, gallertige 
Form übergehen oder sich in solcher eine 
mehr oder weniger zusammenhängende Masse 
bilden lässt. Zahlreiche Flüssigkeiten des 
thierischen Körpers, insbesondere Blut,Lymphe, 
Milch zeigen diese Gerinnungsfähigkeit, wenn 
sie aus dem Körper entnommen werden, d. h. 
unter andere Bedingungen kommen. Regel¬ 
mässig sind cs irgend welche stofflichen Ver¬ 
änderungen, meist durch fermentative Einwir¬ 
kungen angeregt, welche dem ProcesSe vor¬ 
ausgehen und ihn bedingen. Er besteht jeder¬ 
zeit in der Ausscheidung einer festeren (fest¬ 
weichen, gallertigen) Substanz, die in der 
Flüssigkeit entweder präformirt, vielleicht 
durch gewisse Verbindungen mit anderen 
Körpern in Lösung erhalten sich findet (z. B. 
Caseingerinnung der Milch) oder durch Neu¬ 
bildung einer solchen aus gewissen schon prä- 
existirenden oder unter den veränderten Be¬ 
dingungen selbst erst sich bildenden Com- 
ponenten (Fibrinbildung bei der Blut- und 
Lymphgerinnung). Die Gerinnung von Lö¬ 
sungen fester Körper von Eiweiss wird durch 
Wasserentziehung, Erhitzung etc. bewerk¬ 
stelligt. (Näheres darüber s. unter den be¬ 
treffenden Stichworten, wie Blutgerinnung,. 
Milchgerinnung etc.) Das ausgeschiedene fa¬ 
serige oder flockige Gerinnungsproduct wird 
Gerinnsel oder Coagulum genannt; freilich 
verstand man unter diesem Namen ursprünglich 
das gerinnen-machcnde Mittel, also z. B. daa 
Lab. Sussdorf. 

Coalescenz (von coalescere), eine noch 
nachweisbare Verschmelzung zweier ursprüng¬ 
lich getrennter Knochenstücke zu einem einzi¬ 
gen, z. B. die Verschmelzung des O.c.* und O.c.* 
zu dem Os capitato-trapezoideum in der Me- 
tarcapalreihe desCarpus vom Wiederkäuer oder 
des O.t. 1 und O.t.* zu dem sog. Pyramiden¬ 
beine in derMetarsalreihedes Pferdetarsus. Sf 

Coaltar (nicht zu verwechseln mit Colca- 
thar) ist das bei der Leuchtgasbereitung 
aus Steinkohlen zurückbleibende Ncbenproduct 
Theer, Steinkohlentheer, Oleum Lithanthracis, 
dessen Wirkungen, s. Pix liquida. Vogel. 


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COAPTATIO. — COCHENILLE-FACKELDISTEL. 197 


Coaptatio, die ([geschickte] Zusammen¬ 
fügung, z. B. vonW undrän dern,Bruchenden etc.), 
öbertr. die Anpassung an gegebene Verhält¬ 
nisse, also auch im Kampfe um’s Dasein. Sf. 

Cob nennt man in England das mittel¬ 
grosse starke Pferd, welches für die gewöhnliche 
Reiterei in den Parks, auf den Heerstrassen und 
im Felde benützt wird und väterlicherseits von 
guter, edler Abkunft ist. Vollbluthengste 
werden dort häufig mit einer schon durch 
mehrere Generationen veredelten Stute zu¬ 
sammengeführt, und es entsteht aus dieser 
Paarung oftmals ein kräftiges, leistungsfähiges 
Thier mit guten Formen, welches oftmals im 
Herbst zu den grossen Hetzjagden benützt 
wird. Die Grösse dieser Pferde übersteigt 
selten l*60m. Die Gangarten sind bei den 
besseren Cobs sehr zu loben. Ohne besondere 
Knieaction durchlaufen sie im Trabe 5 engl. 
Meilen und marschiren im Schritt 10 bis 
\t Meilen in einer Stunde. Frey tag. 

Cobaltum, Benennung für gediegenes 
Arsen, welches durch Sublimation von Arsen¬ 
kies in Form einer bröcklichen krystallinischen 
Masse erhalten wird. Loebisch. 

Cooa, Cocablätter, Folia Cocae, kurz¬ 
weg Coca genannt, herkommend von einer 
besonders am östlichen Abhänge der Cor- 
dilleren cultivirten Pflanze aus der Familie 
der Erythroxyleen, welche für die süd- 
amerikanische Bevölkerung von Chile, Peru, 
Bolivia und Brasilien ein unentbehrliches 
Genussmittel (zum Kauen, wie Tabak) ist, 
das dem Kaffee und Thee in seinen Wirkungen 
nahe steht und einen Zustand schafft, welcher 
die dortigen Einwohner zu anstrengenden 
Arbeiten bei knapper Nahrung befähigt. Wirk¬ 
sam ist in diesen Blättern, welche jährlich 
inungeheurenQuantitäten (über löMillionen kg) 
verbraucht werden, ein dem indischen Hanf 
ähnlich kommendes narkotisches Princip Co¬ 
cain, das jetzt als locales Anaestheticum zu 
grosser Berühmtheit gelangt ist und aus der 
Pflanze Erythroxylon Coca (s. d.) extrahirt 
wird. Es stellt ein Salz dar, das 

Cocalnum hydrochloratum heisst. 
Die Wirkung ist schon von Montegazza er¬ 
kannt worden und sagt derselbe, dass Coca 
den Hunger und Kummer vergessen mache 
und dem Erschöpften ein Labsal sei; man 
gab das Cocain auch überangestrengten 
Soldaten zu 1 cg, worauf sie wieder leistungs¬ 
fähig wurden. Wahrscheinlich beruht die 
Wirkung in einer Anaesthesie der Magen¬ 
nerven, denn die Stillung des Hungers ge¬ 
schieht sogleich. Aber auch andere Schleim¬ 
häute werden unempfindlich und fand dies 
zuerst Anrep in Rossbach’s Laboratorium in 
Würzburg, worauf Koller aus Wien erstmals 
medicamentösen Gebrauch von dem Alkaloid 
machte. Er träufelte einige Tropfen einer 
2%igen Lösung auf die Conjunctiva und fand 
bei Thieren und Menschen, dass diese völlig 
analgetisch gemacht wurde, denn man konnte 
sie beliebig einschneiden, zwicken, ja selbst 
zerkratzen, ohne dass der geringste Schmerz 
eäussert wurde. Diese totale Anaesthesie 
auert zwar nur 5—8 Minuten, sie lässt sich 


aber durch weiteres Einträufeln weniger 
Tropfen der obigen wässrigen Lösung, die 
auch bis zu 20% verstärkt werden kann, bis 
zur Dauer von % Stunde und länger aus¬ 
dehnen. Seit Ende 1884 ist nun diese ebenso 
überraschende als merkwürdige Cocain¬ 
wirkung in Tausenden von Fällen controlirt 
und allseitig bestätigt worden, so dass die 
Ophthalmiatrik durch ein äusserst werthvolles 
Analgeticum bereichert worden ist, das gegen¬ 
wärtig nicht weniger als Wundermittel Auf¬ 
sehen erregt, als seinerzeit die Chinarinde 
gegen das Wechselfieber, und zwar umsomehr, 
als auch andere Schleimhäute und Organ- 
gewebe anaesthesirt werden können, nur 
müssen die Lösungen um so concentrirter 
gemacht werden, je grösser die Fläche ist. Ob 
jedoch durch das Mittel auch die allgemeinen 
Anaesthetica, welche erst vom Gehirn aus Un¬ 
empfindlichkeit erzeugen, wie Aether, Chloro¬ 
form aus der Schanze geschlagen werden, 
müssen erst weitere Erfahrungen lehren, die 
zur Zeit noch nicht vorliegen. Vogel. 

Cocalnum hydrochloricum oder muriati- 
cum, aus der Stammpflanze Erythroxylon Coca, 
8. Coca. 

Coccaceen, Kugelbacterien (von xoxxos 
Kern, Korn, Kugel), Mikrococcen, d. h. Spalt¬ 
pilze, von denen man nur die Kugel- oder 
Coccusform kennt. Die Kugelindividuen, 
meist kaum ein Mikr. gross, sind dabei isolirt, 
oder sie können perlschnurartig aneinander 
gereiht sein. Hieher gehören Leuconostoc und 
Mikrococcus. 

Coccenartige Formen können bei den 
verschiedenartigsten Spaltpilzen Vorkommen; 
also nicht allein bei den Coccaceen. So auch 
bei Bacteriura, Beggiatoa (Siehe „chromogene 
Spaltpilze“), Leptothrix, Cladothrix, Creno- 
thrix. Meist sind die Cocci nur von Mikrmm. 
oder geringerer Grösse. Hin und wieder 
kommen bedeutend grössere vor, die dann 
als Makrococcen, im Gegensatz zu ersteren, 
den Mikrococcen, bezeichnet werden. Bewim¬ 
perte Coccen nennt man wohl auch Monaden 
(Monas). Hart. 

Coccesolen (abgel. von 6 xoxxoc, coccum, 
Beere, und 6 ocuX^v, Röhre), nach J. Berres 
die (peripheren Endorgane [?] der) allgemeinen 
Gefühlsnerven. Sussdorf. 

Cocculi indicl, Kokkelskörner (Grana Coc- 
culi, Nuces oder Semina, Fructus, Baccae 
Cocculi), s. Anamirta Cocculus). Vogel. 

Cocculi pissatorii, Fischkörner, Läuse- 
körner, Synonyma für Kokkelkörner, s. Ana¬ 
mirta Cocculus. Vogel. 

Cocculus palmatus, Handblättriger Mond¬ 
samen (Menispermium palmatum der Ordnung 
Polycarpicae - Menispermaceae L. XXII. 6.), 
eine Schlingpflanze des südlichen Afrika, deren 
Wurzel die Colombo ist, s. Jateorrhiza Co- 
lumbo. Vogel. 

Cocouius 8Ubero8U8 der fischtodtende 
Mondsamen Ostindiens, enthält ein heftiges 
narkotisches Gift, s. Anamirta Cocculus. Vogel. 

Cochenille - Fackeldistel , Nopalpflanze, 

Opuntia coccinellifer (Opuntinae - Cactaceae, 


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198 


COCfflNHUHN. — COCON. 


L. XII. 1), auf welcher der Coccus cacti, die 
Cochenilleschildlaus lebt, s. Kochenille. Vogel. 

Cochinhuhn (Cochinchina-Rasse, Shan- 
ghaes, Chinas), ein in Ostasien einheimisches 
Huhn, das zuerst im Jahre 1843 in Europa 
eingeführt wurde; der erste Stamm gelangte 
in den Besitz der Königin Victoria von Eng¬ 
land. Ira Jahre 1847 wurden mehrere Stämme 
von englischen Züchtern aus China und ins¬ 
besondere aus dem Hafen von Shanghai ein¬ 
geführt. Seitdem hat sich das Cochinhuhn 
über ganz Europa und Nordamerika als eine 
der besten Culturrassen verbreitet. Das Cochin¬ 
huhn hat eine hohe, stattliche Figur, der Kopf 
ist verhältnissmässig klein, der etwas kurze 
Schnabel hat eine kräftige Wurzel und ist 
papageiähnlich gebogen, der einfache und auf¬ 
rechtstehende Kamm ist straff, aber von feiner 
Textur und trägt an seinem oberen Rande 
tiefe und regelmässige Kerben; die feinen 
Kehllappen sind etwas länger als die Ohr¬ 
lappen, beide von rother Farbe. Der ziemlich 
kurze Hals wird etwas nach vorn getragen, 
wie auch die ganze Haltung nach vorn ge¬ 
neigt ist. Der Rumpf ist breit und kurz; er 
erhebt sich in dem breiten Satteltheile gegen 
den kurzen, schrägstehenden Schwanz, dessen 
Sichelfedern (beim Hahn) nur kurz sind und 
abwärts hängen. Die Brust ist sehr breit und 
tief, die Flügel sind klein und kurz, die 
Handschwingen unter den Armschwingen ganz 
versteckt. Die Unterschenkel sind von Flaum¬ 
federn umhüllt, die Fersen mit weichen, ge¬ 
bogenen Flaumfedern besetzt. Die kurzen und 
kräftigen Läufe stehen weit auseinander und 
sind an der Aussenseite dicht befiedert. Die 
Zehen sind gross, gerade und gleichmässigaus- 
gebreitct.DieCochins werden in folgenden Far¬ 
benschlägen gezüchtet: g e 1 b e, mit röthlichgel- 
ben Halsfedern bei Hahn und Henne, röthlich- 
gelben Rücken-, Schwanz- undFlügeldeckfedem 
beim Hahn, im Uebrigen mit graugelbem Gefie¬ 
der bei Hahn und Henne; rebhuhnfarbige 
mit brauner Grundfarbe bei Hahn und Henne, 
blauschwarzer Brust und grünschwarzer Sichel 
beim Hahn; weisse mit rein weissera Ge¬ 
fieder und zuweilen strohgelber Schattirung 
am Rücken und Sattel (was die Abstammung 
von den gelben erkennen lässt); schwarze 
mit glänzend schwarzem Gefieder; Kukuk¬ 
sperber mit bläulichgrauer Grundfarbe und 
dunkelgrauer Bänderung. Bei allen diesen 
Farbenschlägen sind Schnabel und Füsse 
gelb, nur bei den schwarzen Cochins kommen 
auch hornfarbige Schnäbel vor. Eigenthümlich 
ist die tiefe und kräftige Stimme der Co¬ 
chins. Die wirtschaftlichen Eigenschaften 
sind insgesammt sehr werthvolle. Sie sind 
sehr gute Leger, gute Brüter und Führer; ihre 
Eier sind gross und von blassgelbröthlicher 
Farbe. Die Cochins sind mastfahig, doch ist 
ihr Fleisch etwas grobfaserig: sie sind wegen 
ihrer harten Constitution leicht zu halten, 
auch in engen Räumen, doch beanspruchen 
sie viel Futter. Wilckens. 

Cochlearia Armoracia, gemeiner Meer- 
rettig und bekannte Cnieifere (Armoracia 
rusticana), enthält in ihrer diätetisch benützten, 


besonders im Herbst durch ihre Schärfe sich 
auszeichnenden Wurzel, welche früher auch als 

Radix Armoraciae officinell war, 
mehrere dem ätherischen Senföl sehr nahe¬ 
stehende, scharfe, schwefelhaltige Oele. Im 
frischen Zustande zerrieben oder zerquetscht 
kann die Wurzel als energischer, entzündungs¬ 
erregender Hautreiz dienen, eine Wirkung, 
die aber zweckmässiger dem schwarzen Senf 
überlassen bleibt. In kleinen Gaben regt das 
Mittel den Appetit gelinde an und ist Diure- 
ticum, aber thierärztlich nicht verwendet. VI. 

Cochlearia officinalis, gebräuchliches Löf¬ 
felkraut, Crueifere L. XV., 1, eine an den See¬ 
küsten der kalten Zone wachsende Pflanze, 
deren frische Blätter sammt dem blühenden 
Stengel als 

Herba Cochleariae seit Jahrhunderten 
ein Mittel ersten Ranges gegen Wassersucht,. 
Rheumatismus und besonders Scorbut waren, 
das jetzt aber gänzlich verlassen wurde. VI. 

Cochlearibus, die Andeutung auf manchen 
Reeepten, dass die Arznei löffelweise genommen 
werden soll. Vogel. 

Cocker. Mit diesem Namen bezeichnet 
man in England eine Form kleiner, lang¬ 
haariger Wachtelhunde, welche zur Jagd auf 
kleines Federwild benützt werden. Man unter¬ 
scheidet von diesen Hunden den englischen 
Cocker, English Cocker, von eleganten For¬ 
men, mit abgerundetem Hirntheil des Kopfes, 
hoher Stirne, ziemlich spitzer Schnauze, mittel¬ 
langen Ohren, die mit langen, welligen Haaren 
bedeckt sind, kräftigen, kurzen Beinen. Der 
Schwanz, der lang und abstehend getragen wird, 
wird meist gestutzt. Die Behaarung ist wellig 
und fein, seidenartig, die Farbe ist schwarz- 
milchweiss, häufig schwarz und weiss oder roth 
und weiss gefleckt. Der Cocker von Wales, 
Welsh Cocker, ist grösser und kräftiger, die 
Haare, die seidenartig sind, sind lang an 
den Ohren und Beinen, nur der Schwanz ist 
kurz behaart. Die Färbung ist schwarz oder 
kastanienbraun. Der Cocker von Devonshire 
ist ähnlich den vorigen, weiss oder braun, 
oder weiss mit orangefarbenen Flecken. Sir. 

Cocolum bedeutet soviel als das Coc- 
torium (s. d.). Vogel. 

Cocon. Viele Insecten mit vollkommener 
Verwandlung umgeben sich, wenn sie aus 
der Larvenform in das Puppenstadium über¬ 
gehen, mit einem Gespinnst aus Seidenfäden, 
das die Puppe vollständig umgibt und Cocon 
genannt wird. Die Seidenfäden sind das 
Secret von Drüsen, sogenannten Spinndrüsen, 
welche, entweder den Speicheldrüsen homolog, 
an der Unterlippe der Larve ausmünden, so 
bei Schmetterlings- und Blattwespenraupen 
oder am Hinterende des Körpers gelegen sind, 
wie bei dem Ameisenlöwen. Selten besteht, 
wie beim Seidenspinner, Bombyx mori, das 
Cocon nur aus Seidenfäden, meist sind diesen 
fremde Körper, Sand, Holztheilchen, Koth 
der Larve u. a. beigemischt. Coconbildner 
sind bei den Hymenopteren die Blattwespen. 
Tenthrediniden, die Ameisen, bei den Lepidop- 
teren die Spinner (Bombycidae), bei den Neu- 
ropteren die Ameisenlöwen, Myrmecoleo. Sir . 



COCOS NUCIFEBA. — CODElN. 


199 


Cocos nucifera, echte Cocospalme (Spa- 
diciflorae-Palmae, L. XXI. 5—10, der nütz¬ 
lichste Baum in den Tropenländern, welcher 
neben der wahren Oelpalme (Eläls gninensis) 
Afrikas den wichtigsten Handelsartikel, das 
Cocosnussöl liefert, das in ungeheuren Massen 
über Europa verbreitet und jetzt hauptsäch¬ 
lich zur Seifenbereitung benützt wird. Sein 
bis zu 26 m hoher Stamm enthält ein essbares 
Mark, aus dem Zucker und Palmwein bereitet 
wird, während die Blüthenkolben ein treff¬ 
liches Gemüse sind. Seine Frucht ist die 
bekannte Cocosnuss, deren Bast Stricke und 
Matten liefert und deren harte Schalen zu 
Gefässen aller Art verwendet werden; die 
unreifen Nüsse enthalten die Cocosmilch, die 
beim Reifen immer consistenter wird, und 
einen mandelartigen Kern bildet, aus welchem 
das Oel gewonnen wird, das durch den grös¬ 
seren Gehalt an Palmitinsäure-Glycerid (Tri¬ 
palmitin) sich auszeichnet, butterartig weiss 
ist, bei 15° weich und bei 23° flüssig wird. 
Das Cocosnussöl ist als 

OleumCocos (Oleum Cocois) in den Apo¬ 
theken vorräthig und wird vielfach statt der 
leichter ranzenden thierischen Fette zu Salben 
verwendet, in England auch an Stelle des 
Leberthrans gesetzt, während das ebenfalls 
butterartige Palmöl der Eläls (Oleum Palmae) 
mehr zu Wagenschmiere und Ceraten benützt 
wird. Vogel. 

Coco8nu88kucheit und Cocosnussmehl. 
Die nussartig schmeckenden Kerne der Cocos¬ 
palme (Cocos nucifera) werden extrahirt mit 
Schwefelkohlenstoff oder ausgepresst, behufs 
Gewinnung des fetten Cocosnussöles. Die ent¬ 
fetteten Rückstände bilden ein sehr beliebtes 
Kraftfutter für verschiedene Nährzwecke. 

Die Pressrückstände (Kuchen) ent¬ 
halten : 

87*9—94*0 im Mittel 90*6% Trockensubstanz 
16*3—37*2 „ „ 20*6 „ Protein 

6*9-22*7 „ „ 13*2,, Fett 

28*4—47*4 „ „ 37*4 „ stickstofffreie Extractstoffe 

6*9—21*1 „ „ 14*2 „ Holzfaser 

— — „ „ 5*2 „ Asche 

Die Extractionsrückstände (Cocos¬ 
nussmehl) enthalten 89*7% Trockensubstanz, 
21*1% Protein, 2*3% Fett, 39*6% stick¬ 
stofffreie Extractstoffe, 20*9% Holzfaser und 
3*8% Asche, sind also wesentlich fettärmer 
als die Kuchen. Sie gelten aber wie diese als ein 
ganz ausgezeichnetes Milchfutter, das viel 
Butterfett von ausgezeichneter Qualität und 
grosser Consistenz ergibt. Ausserdem lobt man die 
Cocosrückstände als Schweinemastmitte], 
indem danach ein besonders wohlschmeckendes 
Fleisch und ein ausgezeichneter kerniger Speck 
resultiren sollen. Oft sind indessen diese Kuchen 
etc. nicht frisch (verdorben), riechen ranzig, sind 
von dunklerer Farbe und ist alsdann Vorsicht bei 
deren Verfütterung geboten. Gute Kuchen etc. 
haben einen angenehmen süsslichen Geruch 
und sind von röthlichweisser oder wenig hell¬ 
brauner Farbe. Pott. 

Cocospalme der Tropen, s. Cocos nuci¬ 
fera. Vogel. 

Coctiv, Coctivus. In der Botanik jene 
Pflanzen, welche sich dadurch auszeichnen, 


dass sie auch in schlechten Jahrgängen leicht 
reif werden. Vogel. 

Coctorium, der Kochapparat der Pharma- 
ceuten. ' Vogel. 

Codaminum, Co dam in, eines der vielen 
jetzt im Opium nach gewiesenen (20) Alkaloide, 
dessen physiologische Wirkungen aber noch 
nicht näher studirt sind. Vogel. 

Code'in, C 18 H Äl N0 8 (von xu>8sia, Mohn¬ 
kopf), ist eine starke Base, welche im Opium 
neben Morphin und vielen anderen Opium¬ 
basen zu %—%% enthalten ist. Das Codein 
ist in Aether löslich und krystallisirt daraus 
in wasserfreien Krystallen, auch in Wasser 
ist es ziemlich löslich, es schmilzt bei 150°. 
Mit Säuren bildet es meistens gut krystalli- 
sirbare Salze, welche sehr bitter schmecken. 
Von concentrirter Schwefelsäure wird Codeln 
farblos gelöst, doch wird die Lösung nach 
acht Tagen blau; concentrirte Salpetersäure 
löst es mit rother Farbe. In seiner toxischen 
Wirkung ähnelt es dem Pikrotoxin, indem es 
erregend auf gewisse Krampfcentren wirkt 
und gleichzeitig einen gewissen Grad von 
Hypnose erzeugt, ObstipationsWirkung zeigt 
es keine. Therapeutisch hat das Codeln be¬ 
sonders in Frankreich als Ersatzmittel des 
Morphins Anwendung gefunden. Loebisch. 

Das Co dein um (Codeln), eines der 19 Ne¬ 
benalkaloide des Opiums, deren Gruppe mit dem 
Codeln an der Spitze jener des Morphins 
gegenüber steht, denn die Morphingruppe ist 
durch ihre narkotische Wirkung ausgezeichnet 
und bei der Codeingruppe tritt die tetanisirende 
in den Vordergrund (Krampfalkaloide des 
Opiums). Betäubende und hypnotische Effecte 
sind jetzt nachgewiesen bei den Opiumalkaloiden 
Narceln, Opianin, Metamorphin, Cryptopin, 
Papaverin (?), während die zweite Gruppe 
durch Steigerung der Reflexerregbarkeit Con- 
vulsionen und selbst Starrkrampf erzeugt; 
hieher gehören zunächst Thebain, Laudanin 
und Laudanosin, während die weiteren Krampf¬ 
alkaloide spasmodische Muskelbewegungen aus- 
lösen, welche hauptsächlich vom erregten Ge¬ 
hirn und verlängerten Mark ausgehen und 
deren Repräsentant eben das Codeln und Hydro- 
cotarnin ist, obwohl auch die Morphin gruppe 
leichte krampferregende Nebenwirkungen auf- 
weist; am meisten kommt hiebei auf die 
Dosirung an und so kommt es, dass auch die Co¬ 
dein gruppe prononcirt schlaferzeugende Neben¬ 
wirkungen hat, wenn nur kleine Mengen ins 
Blut gelangen. Codeln ist unzweifelhaft viel ge¬ 
fährlicher als Morphin und das diesem jeden¬ 
falls von allen Opiumbasen am nächsten 
stehende Narcein; es tödtet Kaninchen schon 
bei 0*05 (subcutan), bei Hunden erzeugt es in 
derselben Gabe blos Schlaf, in grösseren Gaben 
schon heftige Streck- und Stosskrämpfe, My- 
driase, Ansteigen der zuvor stark gesunkenen 
Temperatur, zuletzt Tod durch Erstickung. 
Merkwürdig ist die neueste Beobachtung, wo¬ 
nach Code'in ganz eigentlnimliche Einwirkun¬ 
gen auf das Gehirn ausübt, in Folge deren 
jene Neurose günstig beeinflusst wird, welche, 
als Glykosurie bekannt ist; man verwendet 



200 


CODEX MEDICAMENTORUM. — COELENTERATEN. 


daher gegenwärtig das (keine Verstopfung 
erzeugende) 

Codeinum hydrochloratum vielfach 
gegen Zuckerharnruhr, welche sich immermehr 
als eine Gehirnkrankheit entpuppt. Als bestes 
Gegenmittel für Codeinvergiftungen hat sich 
Chloralhydrat gezeigt. Vogel. 

Codex medfcamentorum, s. u. Apotheken. 

Codia, eine hie und da gebrauchte latei¬ 
nische Bezeichnung für die offieinellen Mohn¬ 
köpfe, Capsulae (Capita) papaveris. Vogel. 

Coelenteraten , Coelenterata; Leuckart- 
Hohlthiere. Niederster Typus der metazoi- 
schen Thiere. Unter dem Namen Coelen¬ 
teraten vereinigte zuerst Leuckart im Jahre 
1847 (Beiträge zur Kenntniss wirbelloser 
Thiere, von Frey und Leuckart, Braunschweig 
1847) einen Theil der Polypen und die 
Acalephen Cuviers, welche mit den Infu¬ 
sorien, Eingeweidewürmern und Echinodermen 
von diesem in dem Embranchement der Radiär- 
thiere, Animaux rayonnös zusammengefasst 
worden waren. Leuckart definirt die Coelente¬ 
raten als Thiere von radiärem Körperbau, mit 
einer Leibeshöhle, welche von der Central¬ 
achse nach der Peripherie zu einstrahlt und 
durch eine weite Oeffnung im Grunde des ein¬ 
fachen Magenrohres, wenn ein solches über¬ 
haupt vorhanden ist, mit dem Verdauungs¬ 
apparat zusammenhängt. Er vereinigt in diesen 
die Classen der Polypen und der Acalephen 
(s. Leuckart: Ueber die Morphologie und die 
Verwaodtschaftsverhältnisse der wirbellosen 
Thiere, 1848). Später vertrat Leuckart die An¬ 
sicht, dass auch die Schwämme, Spongien, zu 
den Coelenteraten gehören und die nächste 
Verwandtschaft zu den Polypen zeigen, was in 
der Folge namentlich durch die Arbeiten 
Haeckel’s und F. E. Schulze’s erhärtet wurde. 
Im heutigen System ist der Typus der Coelen¬ 
teraten in der von Leuckart gegebenen Be¬ 
grenzung vollständig anerkannt. Nur dürfen 
wir den als Leibeshöhle bezeichneten Ver¬ 
dauungsraum nach den seither gewonnenen 
entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen nicht 
mehr als solchen auffassen, sondern als ent¬ 
sprechend demjenigen Raume, der beim Em¬ 
bryo höherer Thiere von dem durch Einstül¬ 
pung oder Abspaltung gebildeten inneren Keim¬ 
blatte umschlossen wird und der sich bei wei¬ 
terer Entwicklung zum Verdauungsrohre und 
in vielen Fällen, Echinodermen, Würmer, Brachi- 
opoden, Wirbelthieren auch zur Leibeshöhle 
differencirt. Dieser Raum wird dann richtig 
als coelenterischer Verdauungsraum bezeichnet. 
Darnach charakterisiren sich die Coelenteraten 
als Thiere, deren aus 2—3 Zellblättern ge¬ 
bildete Körperwand einen coelenterischen 
Raum umgibt, der als Verdauungsraum func- 
tionirt, von dem aus taschenartige oder canal- 
artige Aussackungen in radiärer Richtung zu 
der Hauptachse ausstrahlen können; diese 
können mit dem äusseren Medium durch 
Poren der Köq>erwand in Verbindung stehen, 
(Spongien), oder geschlossen sein (Cnidaria). 
Die Körperform der Coelenteraten lässt sich 
zurückführen auf einen cylindrischen Schlauch 
der an einem Ende eine Oeffnung, die Mund- 


öfihung, besitzt, am anderen Ende geschlossen 
ist. Die Wandung besteht aus einer äusseren 
Schicht von Zellen, dem Ectoderm, und einer 
inneren, dem Endoderm, zwischen beiden liegt 
eine structurlose Membran. Dieselbe kann bei 
vielen Familien sich sehr verdicken, Zellen in 
sich aufnehmen, Skelettsubstanzen von Kiesel, - 
Kalk oder hornartigen Stoffen ausscheiden, sich 
zu einem Gallertgewebe umgestalten und heisst 
dann Mesoderm. Das Ectoderm steht den ani¬ 
malen Functionen vor, es besteht aus einer 
einfachen Zellschicht oder ist mehrschichtig 
und dann bei höheren Formen differencirt in 
Epithelzellenlager, Muskeln und Ganglienzellen 
mit Nervenausläufem. Das Endoderm stellt 
meist eine einfache Lage von Geisselzellen 
dar, welche den ganzen coelenterischen Ver¬ 
dauungsraum auskleiden. Die Geschlechts¬ 
zellen entstehen durch Ablösung von Zellen 
aus dem Ectoderm oder Endoderm. Die Haupt¬ 
erscheinungsformen der Coelenteraten sind die 
Spongie, der Polyp, die Scheibenqualle und 
die Rippenqualle. Die Spongie repräsentirt 
einen an einem Ende fest aufsitzenden Schlauch 
mit einer Oeffnung, dem Osculum, an dem 
entgegengesetzten Ende. Von dem coelente- 
rischenRaum strahlen in die durch sehr entwickel¬ 
tes Mesoderm verdickten Wandungen Taschen 
und Canäle aus, welche sich durch besondere 
Poren nach aussen öffnen. Diese Poren dienen 
als Eingangsporen für Wasser und Nahrungs¬ 
stoffe. Der Polyp ist ein schlauchförmiger, an 
einem Ende festgehefteter, am andern mit 
einer Mundöffnung versehener Körper, dessen 
Wandungen undurchbohrt sind. Die Mund- 
Öffnung ist umgeben von cylindrischen oder 
zuweilen verzweigten Tentakeln, welche, sehr 
beweglich, zum Ergreifen der Beute dienen. 
Die Qualle zeigt einen scheiben- oder glocken¬ 
förmigen, freischwimmenden Körper, aus dessen 
Centrum nach unten ein am Ende offenes Rohr, 
das Magenrohr, herabhängt. Das Rohr führt 
in einen im Centrum der Scheibe gelegenen 
coelenterischen Raum, von dem aus nach der 
Pheripherie Taschen oder Canäle ausstrahlen, 
die am Rande der Scheibe durch einen Ring¬ 
canal vereinigt sein können. Häufig trägt der 
Rand der Scheibe Tentakeln. Die Rippenqualle 
repräsentirt eine freischwimmende Kugelform, 
an deren unterem Pole eine Mundöffnung, am 
entgegengesetzten Pole ein Sinnesorgan sich 
befindet. In acht Meridianen laufen über die 
Kugel rippen artige Hervorragungen, welche 
locomotorische Schwimmplättchen tragen. Der 
Mund führt in ein Magenrohr, das, in der Haupt¬ 
achse des Körpers verlaufend, in den coelen¬ 
terischen Hohlraum, den sogenannten Trichter, 
mündet, der zwei kurze Ausführungsporen 
zu den Seiten des oberen Poles besitzt. Vom 
Trichter gehen 2 Canäle aus, die sich je in 
4 spalten, um schliesslich in meridi anale Canäle 
überzugehen, welche unter den acht Rippen 
verlaufen. Die Coelenteraten pflanzen sich auf 
geschlechtlichem Wege durch Eier und auf 
ungeschlechtlichem Wege durch Knospung oder 
Theilung fort. Letztere beide Fortpflanzungs¬ 
arten führen oft zur Bildung von Thierstöcken, 
indem die durch Knospung oder Theilung ent- 



COELIA. — COFFEA ARABICA. 


201 


standenen Individuen mit dem Mutterthiere 
im Zusammenhänge bleiben. Bei den Hydro- 
medusen und vielen Scheibenquallen findet ein 
Generationswechsel statt. Aus dem Ei eines Ge- 
schlechtsthieres, das in der Form der frei¬ 
schwimmenden Qualle auftritt, entsteht ein 
Polyp, welcher auf ungeschlechtlichem Wege 
durch Knospung oder Quertheilung wieder das 
Geschlechtsthier, die freie Qualle, erzeugt. Die 
Coelenteraten sondern sich in die zwei Sub¬ 
typus der Poriferen oder Spongien und die 
Cnidarien oder Coelenteraten mit Nesselorganen. 
Diese Letzteren zerfallen in die Ordnungen der 
Hydromedusen (Quallenpolypen), Acalephen 
(Scheibenquallen), Anthozoen (Blumenpolypen), 
Ctenophoren (Rippenquallen). Die Coelente¬ 
raten leben grösstentheils im Meere, nur wenige 
Formen auch im süssen Wasser, so die Süss¬ 
wasserschwämme (Spongilla), die Süsswasser¬ 
polypen (Hydra); auch eine kleine Qualle 
wurde neuerdings als Süsswasserbewohner ent¬ 
deckt. Sir. 

Coelia, die in das Lateinische übertragene 
Form des griech. vj xo:Xi'a, die Höhlung, als 
Bauchhöhle, Brusthöhle, Magen, Herzkammern, 
mit dem Adj. coeliacus = xoiXtaxo's, ist ein in 
zahlreichen medicinischen Terminis gebräuch¬ 
liches Componens, so in 

Coelialgia, Hinterleibsschmerz, Bauch¬ 
schmerz. 

C o e 1 i i ti s, Hinterleibsentzündung. 

Coelioparacentesis, die Punktion des 
Hinterleibes etc. Sussdorf. 

Coelodoata Boiei Bronn. Im Jahre 1831 
beschrieb H. G. Bronn die noch nicht abge¬ 
nützten jungen Zähne von Rhinoceros ticho- 
rhinus Cuv. aus dem Löss unter dem Namen 
Coelodonta, Höhlenzähne, indem er glaubte, 
dass sie einer eigenen Art angehörten, v. Meyer 
und Kaup wiesen nach, dass es blos Backen¬ 
zähne eines jungen Individuums von Rhinoceros 
tichorhinus seien, worauf Bronn in seiner 
Lethaea geognostica dieser Anschauung bei¬ 
stimmt. Koudelka. 

Coelom (t& xotXu>jjia, Höhle) ist der 
HaeckePsche Ausdruck für den zwischen Haut¬ 
muskelschlauch und Darmschlauch gelegenen 
Hohlraum, also gleichbedeutend mit Leibes-, 
Pleuroperitoneal-, Visceralhöhle oder Jäger’s 
Perigastrium. Ein Coelom kommt den nie¬ 
dersten Thiergruppen nicht zu, es ist nur ein 
Besitz der schon etwas höher entwickelten 
Avertebraten und der gesammten Vertebraten. 
Haeckel stellt deshalb die Coelomaten den 
Acoelomiem (Coelenteraten der früheren) als 
den nicht mit einer Leibeshöhle ausgestatteten 
Thieren gegenüber. Die Entwicklung der 
Leibeshöhle beginnt mit der Bildung der 
Pleuroperitonealspalte im Mesoderm und 
Scheidung desselben in eine Körper- und 
Darmfaserplatte. Näheres s. Leibeshöhle. Sf. 

Coelomeie (abgel. von xolXoc, hohl, und 
\ funta, Sonde), die Hohlsonde. Sussdorf. 

Coenuru8 (von xojvo's, gemeinschaftlich 
und oöpd, Schwanz), der Gemeinschwanz, 
Vielkopf, Quese. Scolexform der Cestoden 
s. Bandwürmer. 

Coffea Arabica, echter Kaffeebaum; ein 


immerblühender, immergrüner Baum von der 
Tracht unserer Kirschbäume aus der Familie 
der Rubiaceen (Coffeae) L. V. 1, der ursprüng¬ 
lich in Abessinien vorkam, von den Arabern nach 
Arabien verpflanzt wurde und jetzt seiner bekann¬ 
ten Samen, der Kaffeebohnen (Semina Coffeae) 
wegen in fast allen tropischen Ländern im 
ausgedehntesten Masse cultivirt wird; Brasi¬ 
lien, Sumatra, Java und Ceylon produciren 
am meisten; die beste Sorte, der Mocca-Kaffee, 
wächst aber in Arabien und kommt nicht zu 
uns (oder nur in Form der kleinen Javabohne), 
ebenso vorzüglich sind auch die Colanüsse, 
aus denen der Kaffee vom Sudan bereitet wird. 
Wirksam ist das 

Coffein, Coffeinum oder Caffein, 
ein Alkaloid, das auch in den Blättern 
des chinesischen Thees und den Colanüssen 
Guineas vorkommt; Thein, Caffein (und Gua- 
ranin aus den Früchten der trinkbaren Pau- 
linia sorbilis) sind daher identische Stoffe von 
ganz derselben physiologischen Wirkung, d. h. 
sie sind bei geringer Giftigkeit von angenehm 
erregender, belebender Wirkung auf das Ner¬ 
vensystem und neben den Cocablättern und 
den Cacaosamen (mit dem Cocain und dem 
Caffein so nahe verwandten Theobromin der 
Chocolade) die beliebtesten Genussmittel der 
Menschheit, doch sind die günstigen Effecte 
nicht allein von den Alkaloiden abhängig, 
man verwendet daher am besten die betreffen¬ 
den Pflanzen selbst; insbesondere wirksam ist 
auch das aromatische Oel und die Brenz¬ 
substanzen der gebrannten Bohnen, es ist da¬ 
her noch keineswegs ausgemacht, ob Caffein 
das hauptsächlich wirksame Princip in dem 
Kaffeeinfus ist, denn Letzteres ist 3—4mal 
giftiger, als das Alkaloid allein (Haase): 
überhaupt kennt man die Wirkungen nicht 
genau, es können daher nur folgende An¬ 
gaben gemacht werden und ist dabei zu 
bemerken, dass im Ganzen dem Kaffee bei den 
nicht an seinen Genuss gewöhnten Hausthieren 
(ähnlich wie dem Alkohol) eine nicht weniger 
mächtige Einwirkung auf das Gesammt-Nerven- 
system (insbesondere aber auf das cerebrale) 
zukommt, wie beim Menschen. Hervorragend 
bei den Thieren ist jedenfalls die hochgradige 
Steigerung der Reflexerregbarkeit des Central¬ 
nervensystems, wobei in höheren Gaben stets 
Starrkrampf cintritt, wodurch Kaffee dicht an 
die Seite des Strychnins gestellt wird, nur 
bedarf es bei diesem ganz ungleich kleinerer 
Gaben; auf das Gehirn selbst findet eine leichte 
Erregung statt, die der des Morphins in kleinen 
Gaben, sowie des Alkohols gleich kommt; die 
hiezu nothwendigen Dosen sind indess schwer 
zu treffen, da einestheils der Caffelngehalt ein 
sehr variabler ist, die einzelnen Thiere anderer¬ 
seits aber sehr verschieden reagiren. Kanin¬ 
chen bekommen heftige Strychninschläge schon 
bei intravenösen Caffeingaben von 0*10, Katzen 
bei 0*15, Hunde 0*20. Erstere sterben bei 0*1, 
Hunde bei 0*05 pro Kilo Körpergewicht, es 
gewöhnen sich aber auch die Thiere an immer 
grössere Gaben bald, immer wiegt bei ihnen 
jedoch die anfängliche Erregung des Rücken¬ 
markes, die schliesslich einer Lähmung Platz 



202 


COGROSSI. — COLCATHAR. 


macht, vor, beim Menschen findet gegen¬ 
teilig erst eine vermehrte Reflexerregbarkeit 
im Gehirn statt. Was das Herz betrifft, so ist 
auffallend, dass eine gewöhnliche Gabe schwar¬ 
zen Kaffees eine erhebliche Pulssteigerung 
mit Herzklopfen nach sich zieht, der Blut¬ 
druck steigt und damit ein leichter Drang zum 
Harnen verbunden ist, was an Digitalis erin¬ 
nert: man hat daher in neuerer Zeit auch in 
der Hundepraxis vielfach Caffein an Stelle des 
Letzteren bei chronischen Herzkrankheiten 
mit Hydrops gesetzt, es hat sich jedoch als¬ 
bald gezeigt, dass das Fingerhutkraut ent¬ 
schieden zuverlässiger ist, gewiss nur aus dem 
Grunde, weil bei diesem die Gabengrösse 
besser studirt ist. Die Schlusswirkung ist 
Arrhythmie des Herzens, Sinken des Blut¬ 
druckes und Lähmung, Diastole cordis. Die 
übrigen Kaffee Wirkungen (auf die Hautaus¬ 
dünstung, die Verdauung, die Nerven u. s. w.) 
sind nur untergeordneter Art, man hat daher 
an dem Mittel bei den Hausthieren in erster 
Linie ein Medicament, das mit grosser Sicher¬ 
heit die Reflexibilität des Rückenmarkes anregt, 
in zweiter Linie die Gehirnthätigkeit leicht 
steigert; schwarzer Kaffee ist daher zuvörderst 
als ein Analeptieum der Thiere aufzufassen, 
das in kleinen Gaben auch als ein Sedativum 
bei nervösen Irritationszuständen sich gut 
verwerthen lässt; als Diureticum kann Kaffee 
nur Dienste leisten, wenn es sich dabei auch 
zugleich um Hebung des gesunkenen Blut¬ 
druckes handelt. Therapeutisch Tesultirt hier¬ 
aus, dass das Mittel an gezeigt ist bei allen 
Zuständen, in welchen das Nervensystem, wie 
man zu sagen pflegt, nicht mehr mitthun 
will, in seiner Thätigkeit bedenklich dar¬ 
nieder liegt oder bereits Collaps ein getreten 
ist und findet es sonach Verwerthung bei den 
verschiedensten Erkrankungen, insbesondere 
aber bei den so neuropathisch angelegten 
Fleischfressern, bei der Staupe derselben so 
gut, als b<rt nervösen Depressionen der anderen 
Hausthiere, z. B. der puerperalen Eklampsie 
des Rindes. Schärfere Indicationen lassen sich 
vorerst nicht aufstellen, denn es fehlt noch 
an zuverlässigen Beobachtungen, dagegen lie¬ 
gen Gegenanzeigen vor, welche die grösste 
Beachtung verdienen. Allen „nervösen u Thieren 
oder solchen, die mit sog. functionellen Nerven¬ 
krankheiten behaftet sind, schadet Kaffee auch 
in kleinen Gaben, denn es treten fast sofort 
Verschlimmerungen auf, selbst epileptoide Zu¬ 
falle, arterielle Fluxionen nach dem Gehirn, 
Herzerethismus, schwere Athemnoth u. dgl. 
Bei acuten Herzkrankheiten ist Kaffee ein 
wahres Gift, bei chronischen meist nutzlos 
und nur von Nutzen, wenn bereits Wasser¬ 
sucht ausgebildet ist: man gibt dabei Coffei¬ 
num Hunden zu 0*5—2*0 pro die, des bittern 
Geschmackes wegen in Pillen oder als 

Caffein um citri cum, vorausgesetzt, 
dass acute oder chronische Magenkrankheiten 
nicht vorliegen. Kleinste Gabe für Hunde 
0*05—0*1, Maximaldose pro die 3 0. Auf 
eine gewöhnliche Tasse guten schwarzen Kaffees 
rechnet man 13*0 geröstetes Kaffeemehl und 
ist darin et\yi 1 dg Coffein enthalten; für die 


grossen Hausthiere muss betreffe der Mengen 
versuchsweise vorgegangen werden, um jene 
Wirkungsgrade zu erzielen, die allein wohl- 
thätig sein können; Rinder erfordern beiläufig 
0 * 5 — 1 *51 im Tage (5 % Kaffeemehl). Für 
Hunde subeutan zu 0*1 —0*3 pro Spritze ver¬ 
dünnten Weingeistes; auch als Menstruum 
dient das Kaffeefiltrat für Arzneien, welche 
gerne erbrochen werden. Bei Schwächezustän¬ 
den ist ein Zusatz von Alkohol sehr zu 
empfehlen. Vogel. 

Cogrossf, geb. 1681, Professor zu Padua, 
gab 1714 eine Schrift über Rinderpest heraus. Sr. 

Cohä8ion wird in der Physik die An¬ 
ziehung benannt, welche zwischen den be¬ 
nachbarten Theilchen — Molecülen — eines 
festen Körpers stattfindet, so dass, wenn man 
dieselben durch eine äussere Kraft von ein¬ 
ander trennen will, ein gewisser Widerstand 
zu überwinden ist. Die flüssigen Körper haben 
einen geringeren Grad von Cohäsion als die 
festen, und bei den gasförmigen Körpern 
fehlt sie ganz. Adhäsion (s. d.), die Anziehung 
zwischen den Theilchen zweier verschiedener 
benachbarter Körper, geht häufig in Cohäsion 
über, z. B. geht die Adhäsion zwischen zwei 
Eisenstäben beim Zusammenschweissen in der 
Glühhitze in Cohäsion über, da beide Körper 
in einen einzigen festen Körper vereint 
wurden. Loebisck. 

Cohen, geb. 1820, Docent für landwirt¬ 
schaftliche Thierheilkunde in Rostock, schrieb 
über Schafpocken und deren Impfung, Rotz 
und Lungenseuche, und gab 1861 ein Werk 
unter dem Titel: „Veterinärpolizeiliche Memo¬ 
rabilien und Gutachten aus der thierärztlichen 
Praxis“ heraus. Semmer. 

Coitus (von coire, sich begatten), die Be¬ 
gattung. Sussdorf. 

Colatio, Coliren. Das Durchseihen, Fil- 
triren (Percolatio), d. h. Trennen des extra- 
hirten Rückstandes von Arzneimitteln von der 
Flüssigkeit, wobei die trübenden Beimengungen 
in dem Seihtuche 

Colatorium Zurückbleiben; da diese 
Colirtücher aus einem mehr oder weniger 
durchgängigen Stoffe bestehen, meist aus ge¬ 
brauchter Leinwand von verschieden weiten 
Maschen, so ist es natürlich, dass sie kleine 
Partikelchen durchlassen und ganz klare Flüs¬ 
sigkeiten nur durch Filtriren auf Papier u. s. w. 
zu erreichen sind; man giesst daher die zu¬ 
erst durchgelaufene Flüssigkeit wieder auf das 
Colatorium; im Uebrigen brauchen die meisten 
Infuse und Decocte durchaus nicht völlig 
klar zu sein und zum Seihen von dickeren 
Fluiden, schleimigen Abkochungen, Syrupen, 
Rheuminfuseu gebraucht man Flanelltücher, 
die meist in viereckigen, hölzernen Rahmen 
oder zwischen vier Nägeln aufgespannt werden 
(Tenakel). Die so gewonnene Flüssigkeit heisst 
auch auf den Recepten Colatura und die Formel 
„Detur ad colaturam“. Vogel. 

Colcathar, der bei der Darstellung der 
Schwefelsäure aus Eisenvitriol sich bildende 
Rückstand (Colcathar Vitrioli. Caput mortuum), 
der jetzt nur mehr als Farbstuff (Englisch- 
roth, Eisenoxyd) dient, von den französischen 



COLCHICIN. — COLESHILL-SCHWE1N. 


203 


Thierärzten aber als Tonicum und Adstringens 
angewendet wird. Es enthält freie H t S0 4 . VI. 

Colchicin, C l7 H 10 NO s . Das in dem 
Samen und Knollen der Herbstzeitlose (Col¬ 
chicum autumnale,s. d.) vorkommende Alcaloid. 
Zur Darstellung extrahirt man die Samen 
oder Knollen mit Alkohol, verdampft den 
Auszug zum Syrup, verdünnt mit Wasser, 
filtrirt und fällt das Filtrat mit Bleiessig. 
Das Filtrat wird durch Natriumphosphat ent¬ 
bleit und dann mit Gerbsäurelösung partiell 
efällt, wobei nur die mittleren Fractionen 
er Fällung weiter bearbeitet werden. Diese 
werden mit Bleioxyd eingetrocknet und dann 
mit Alkohol ausgezogen. Es bildet ein neu¬ 
tral reagirendes, gelbes, amorphes Pulver, 
welches sehr giftig ist. In Berührung mit 
Colchicin färbt sich .concentrirte Schwefel¬ 
säure dunkelgrün, dann gelb. Fügt man einen 
Tropfen Schwefelsäure hinzu, so wird die 
Lösung dunkelblau, violett, braun und schliess¬ 
lich wieder gelb. Loebisch. 

Das Colchicin kommt besonders reich¬ 
haltig im Samen der Herbstzeitlose vor, welche, 
wenn in grösserer Menge im Heu vorhanden, 
beim Vieh Durchfälle, Erbrechen, Magen-, 
Darmentzündungen, auch wohl Todesfälle ver¬ 
ursachen. Ziegen ist diese Giftpflanze minder 
schädlich. Pott. 

Colchicum autumnale L., Herbstzeitlose. 
Perennirendes Zwiebelgewächs aus der Fa¬ 
milie der Liliaceae mit grundständigen Blät¬ 
tern und grundständiger, langröhriger Blüthe. 
Zur Blüthezeit ist die Pflanze blattlos; die 
braune Zwiebel endigt in einer Scheide von 
braunen Schuppen, welche den Grund der 
Blüthenröhre umfassen. Die Blumenröhre hat 
einen Saum aus sechs fleischröthlichen Zipfeln. 
StaubgefÜsse sechs, Fruchtknoten unterirdisch 
aber innerhalb der Blumenröhre. Griffel drei, 
sehr lang und fadenförmig. Kapsel dreiklappig 
mit zahlreichem Samen; im nächsten Früh¬ 
jahre erscheint der Stengel mit den Blättern, 
sie umgeben die gipfelständige Kapsel. Die 
Pflanze ist auf Wiesen ein schädliches Un¬ 
kraut, das sich durch Zwiebel und Samen 
vermehrt und dem Vieh ein schädliches Futter 
ist. Zur Tilgung empfiehlt sich wenn möglich 
Bewässerung, dann Ausziehen oder Aus¬ 
stechen der Pflanzen, das aber mehrmals 
wiederholt werden muss. v. Liebenberg, 

Das wirksame Princip ist das in allen 
Theilen der Pflanzen zu 0*2% enthaltene 
Colchicin (s. d.), das zu den gefürchtetsten, 
weil schon in äusscrst kleinen Mengen wirk¬ 
samen Giften für die Omnivoren zählt, wäh¬ 
rend die Pflanzenfresser weniger heftig an¬ 
gegriffen werden. Katzen werden schon von 
0 * 005 Colchicin getödtet, Hunde 0 ■ 008—0 * 015, 
der Mensch von 0*03 und das Kaninchen erst 
bei 0*02—0’04. Mässige Dosen der Samen, 
die als 

Semen Colchici officinell sind, ver¬ 
ursachen bald Uebelkeit, Erbrechen und in 
grösseren Mengen Vergiftungserscheinungen, 
welche im Cessiren des Wiederkauens, Kolik, 
hochgradigem Laxiren mit Abgang von blu¬ 
tigem Mist (Magendarm-Entzündung) bei ver¬ 


ringerter Hamsecretion (Nierenhyperämie) be¬ 
stehen; von Seiten des Nervensystems ist charak¬ 
teristisch der Verlust des Bew usstseins und der 
Empfindung, der willkürlichen und reflectori- 
schen Bewegung und schliessliche Lähmung der 
Respiration, während das Herz bis zum Tode 
fortschlägt und Bauchvagus mit Splanchnicus 
sehr lange intact bleiben: ausserdem hat diese 
Intoxication das Eigeuthümliche, dass sie erst 
mehrere Stunden nach der Ingestion des 
Giftes hervortritt, worauf dann alsbald stür¬ 
mische, äusserst schmerzhafte und anhaltende 
Diarrhöe folgt. Somit wäre Colchicum ein 
heftiges Purgans, das jedoch viel zu gefähr¬ 
lich ist; ebenso hat man ihm diuretische 
Effecte zugeschrieben und geglaubt, dadurch 
eine Reihe dyskrasischer Zustände, insbeson¬ 
dere Gicht, Rheumatismus und Lithiasis be¬ 
kämpfen zu können, was jedoch ein Irrthum 
war, denn eine vermehrte Abscheidung von 
Ham kommt nur t heil weise und unsicher vor, 
eine solche von Harnsäure aber gar nicht, das 
Mittel verdient daher gar keine Anwendung 
und hat lediglich nur toxicologisches Interesse. 
Das beste Gegenmittel ist Tannin. Vogel. 

Coldcream (englisch: kalter Rahm) ist 
eine Mischung von Wachs, Wallrath (Cetaceum), 
Oel und Wasser, die als Deraulcens zum Ein¬ 
reiben auf empfindliche Hautstellen dient, 
auch als Unguentum emolliens oder leniens 
(Creme celeste) bekannt ist, jedoch in der 
Thierheilkunde durch das gewöhnliche Cerat 
ersetzt wird. * Vogel. 

Coleman Edward (1765—1839), erst Wund¬ 
arzt, dann Professor an der Veterinärschule 
zu London, schrieb über Function des Pferde- 
fusses und über Hufbeschlag, gab 1798—1802 
ein Werk über Anatomie und Krankheiten 
des Pferdefusses und 1800 eine Schrift über 
einen künstlichen Strahl heraus: war Ver¬ 
tretereiner gründlichen Ventilation der Pferde¬ 
ställe. Semmer. 

Coleos (6 xoXeoc, Scheide) in medicinischen 
Terminis für Vorgänge und Zustände ge¬ 
bräuchlich, welche in der Vagina ihren Sitz 
haben, z. B. 

Coleorrhexis, die Zerreissung der 
Scheide. 

Coleoptosis, der Scheiden Vorfall etc. Sf. 

Celeras John schrieb zu Ende des 
XVI. Jahrhunderts über die Zucht sämmt- 
licher Hausthiere und über die Heilung ihrer 
Krankheiten. Semmer. 

Coleehlll - Schwein. In der Grafschaft 
Berkshire, auf dem Gute des Grafen Radnor 
bei Coleshill-House wird eine Rasse gezüchtet, 
die zur Gruppe der kleineren weissen (small 
white breeds) gestellt wird und sich durch 
einen gut geformten Körper mit kleinem Kopfe, 
langem, walzenförmigen Leibe auszeichnet. 
Die Thiere dieser Rasse besitzen sehr kurze 
Beine, und es erscheint ihr Vorderkörper etwas 
höher als das Hintertheil. Fast alle Exem¬ 
plare dieser Zucht sind ziemlich reich mit 
Borsten bedeckt und stets von weisser Farbe. 
Man rühmt die grosse Fruchtbarkeit und Mast¬ 
fähigkeit der Coleshill-Schwrine: sie sollen im 
Alter von 9—10 Monaten fett sein und ein 



204 


COLICA. — COLLATERALKREISLAUF. 


sehr wohlschmeckendes Fleisch liefern. Schon 
vor langer Zeit ist diese Rasse nach dem Con- 
tinent übergeführt; man hat sowohl in der Rhein¬ 
provinz (Schmitz in Winnenthal bei Cleve), wie 
in Nord-Frankreich solche zur Zucht und 
Kreuzung verwendet. Der Professor Heuzö 
in Grignon behauptet, dass die Coleshill- 
Schweine sich sowohl zur Reinzucht, wie 
Kreuzung in Frankreich ganz .besonders gut 
eignen und empfiehlt sic zu diesem Zwecke 
.angelegentlichst. Der Graf Radnor erhielt schon 
1846 auf der grossen Ausstellung in Smith- 
field für seine fetten, erst neun Monate alten 
Schweine mehrere Preise. In der Neuzeit hört 
man in England nicht viel mehr über die 
fragliche Rasse. Frey tag. 

Colica, Kolik (von xoXixo';, Grimmdarm), 
werden alle diejenigen Krankheiten genannt, 
-die sich in hervorragender Weise durch Bauch¬ 
schmerzen zu erkennen geben und ihren Grund 
in Reizungen des Magens und Darms haben; 
seltener spricht man von einer Nierenkolik, 
wenn die kolikartigen Erscheinungen mit einer 
Reizung oder Entzündung der Nieren in cau- 
salem Connex stehen (s. Kolik). Anacker. 

Colitfo (von ydiXov, Dickdarm), Dickdarm¬ 
entzündung, Entzündung des Grimmdarmes 
■oder Colons, kommt bei Pferden häufig nach 
heftigen Erkältungen, Genuss kalten Wassers 
in erhitztem Zustande, auch bei Ueberfütte- 
rungen mit frischem Getreide (Roggen und 
Gerste), gleichzeitig mit Gasentwicklung 
verbunden und nach zu grossen oder zu 
häufigen Gaben von Aloö oder Crotonöl zu 
Stande. Die Pferde zeigen dabei heftige 
Kolikerscheinungen, Appetitlosigkeit, kleinen, 
schwachen Puls und sterben unter Collaps 
und Convulsionen. Bei der Section findet man 
die Wandungen des Colon oft bis auf einen 
halben Zoll verdickt, sulzig infiltrirt, die 
Schleimhaut dunkel-schwarzbraun, mürbe, ge¬ 
schwellt, den Darminhalt dünnflüssig, oft 
hlutig. Bei der Ruhr ist das Colon mehr oder 
weniger stark entzündet, mit diphtheritischen 
Geschwüren bedeckt. Bei Rindern kommen 
chronische Entzündungen des Dickdarms mit 
bedeutender Verdickung der Wandungen und 
Ablagerungen von Pigment und Kalksalzen 
in denselben vor (s. Darmkatarrh, Darment¬ 
zündung, Ruhr). Die Behandlung der Colitis 
besteht in Verabfolgung von schleimigen und 
adstringirenden Mitteln und Calomel, reizen¬ 
den Einreibungen an den Bauchwandungen 
(Terpentinöl, Senfteige etc.). Semmer. 

Colla (griech. yj xo'XXa),Leim, wird in man¬ 
cherlei Zusammensetzungen gebraucht, so in 

collagen = leimgebend vom Binde¬ 
gewebe. 

colloid = leimartig, gelatinös, als ein 
Mass für die Consistenz gewisser thierischer 
Substanzen. Sussdorf. 

Collagen, Leimbildner, nennt man in der 
Biochemie alle jene Substanzen, welche sich 
beim Kochen mit Wasser auflösen, wobei sie 
sich eben in Glutin, d. h. Leim um wandeln. 
Solche leimgebende, collagene Gewebe sind 
das Bindegewebe, ferner die Grundsubstanz 
des Knochens, das Ossein und die des 


Knorpels, das Chon drin. Das Glutin, der 
Leim, zählt zu den sogenannten alhuminoiden 
Körpern. Es hat eine mittlere procentische 
Zusammensetzung von Cd 0. 5 , H6.„ Ni8. 4 , 
023.* und S0.56, und ist in reinem Zustande 
eine amorphe, schwachgelbliche Substanz, 
die im kalten Wasser aufquillt, ohne sich 
zu lösen, beim Erwärmen zu einer schleimigen 
Flüssigkeit wird, die beim Erkalten selbst noch 
in starker Verdünnung zu einer Gallerte er¬ 
starrt. Auch eine Lösung von Leim in Glycerin 
erstarrt beim Erkalten zur Gallerte. Das 
Glutin ist in Alkohol und Aether unlöslich. 
An der Luft geht Leim sehr rasch in Fäulniss 
über, beim Erhitzen bläht er sich auf und 
entwickelt einen Geruch nach angebranntem 
Horn. Wenn auch das Glutin als stickstoff¬ 
haltige Substanz dem Eiweiss in seiner Zu¬ 
sammensetzung ziemlich nahe steht, so ist 
es doch kein Eiweiss; demnach kann der 
Verlust des Körpers an Eiweiss durch Leim 
in der Nahrung nicht ersetzt werden. Voit 
zeigte eben in seinen Ernährungsversuchen, 
dass Leim in der Nahrung wohl Eiweiss er¬ 
spart, d. h. das Circulationseiweiss vor Zer¬ 
setzung schützt, jedoch vermag es kein Organ- 
eiweiss zu bilden. Es wird eben sämmtlicher 
mit der Nahrung eingeführter Leim im Körper 
total zerlegt. Loebisch. 

Collaine L. V. studirte in Alfort, wollte 
den Rotz durch grosse Gaben Schwefel heilen, 
gab darüber 1880 in Paris eine Schrift heraus 
und schrieb ausserdem über Schafpocken, 
Pferderassen, Schweinezucht Semmer. 

Colla pf8Cium, Fischleim, Hausenblase 
(Ichthyocolla), aus der stark leimgebenden 
Schwimmblase besonders des Hausen, Aci- 
penser Huso und anderer Störarten bereitet 
Der Fischleim dient hauptsächlich zur Her¬ 
stellung von Pflastern (englisches Pflaster, 
Heftpflaster). Vogel. 

Collapau8 (von collabi, zusammenfallen), 
das Schwinden, Erlöschen der Kräfte. Sf. 

Collaterali8(von con mit, und latus, Seite), 
zugleich seitlich befindlich; Collateralkreislauf, 
eine sich als Ersatz der regelrechten Blut¬ 
versorgung eines Theiles ausbildende anders¬ 
artige Circulation. Sussdorf. 

Collateralkreislauf ist eine Ausgleichung 
des Blutkreislaufes bei Verengerungen, Ver¬ 
stopfungen, Verschluss, Ligaturen und Obli¬ 
terationen einzelner Blutgefässe durch die 
nebenanliegenden Gefasse, die sich dabei all- 
mälig erweitern und die Circulationsstörungen 
vollkommen ausgleichen. Der Collateralkreis¬ 
lauf wird durch die zahlreichen, unter den 
Arterien, Venen und Capillaren bestehenden 
Anastomosen ermöglicht. Die anfangs unbe¬ 
deutenden kleinen arteriellen, venösen und 
capillaren Anastomosen erweitern sich zu be¬ 
deutenden Gefässen und stellen so neue Ver¬ 
bindungsbahnen für den durch Verschluss 
einzelner Gefasse gestörten Kreislauf her. So 
z. B. stellt sich der Kreislauf nach Verschluss 
der Arteria cruralis durch die Anastomosen 
zwischen den Zweigen der Becken- und Schenkel¬ 
arterien allmälig wieder her; so können beide 
Jugularvenen nacheinander verschlossen wer- 



V OF 1 



LLAY. — COLLOIDENT ARTUNG. 


den, wobei die Vertebralvenen das Blut vom 
Kopf abfüliren. Beim Verschluss der Pfort¬ 
ader strömt das Blut durch Anastomosen von 
den Darmvenen in die hintere Hohlvene. Ja 
selbst bei Verschluss der hinteren Aorta kommt 
ein Collateralkreislauf durch die Art. Thoracica, 
epigastrica und mamaria zu Stande. Sr. 

Collay, s schottischer Schäferhund. 

Colliculua, ein anatomischer Terminus 
für niedrige Erhebungen gewisser Theile, z. B. 
Colliculus seminalis, Samenhügel, als die Ein- 
mündungsstclle der Ductus ejaculatorii in die 
Harnröhre und Colliculus germinativus, Keim- 
hügel. die hügelige Erhebung der Körnerhaut 
des Follikels, in welcher das Ei ruht Sf. 

Collfquatio (von colliquare, zugleich 
flüssig machen), die Einschmelzung, das Zer- 
fliessen. Sussdorf. 

Collod68mu8 (abgel. von colla = rj xo'XXa, 
Leim, und 6 3eajj.dc, Band), Kleister- und Leim¬ 
verband. Sussdorf. 

Collodium (Klebäther) Collodion wird eine 
Lösung von Schiessbaumwolle in einem Gemenge 
von Aether mit wenig Alkohol benannt. Taucht 
man reine entfettete Baumwolle in ein kaltes 
Gemisch von i Th. concentrirte Salpetersäure 
und 2—3 Th. concentrirte Schwefelsäure 
o—10 Minuten lang ein, wäscht dann sorg¬ 
fältig aus und trocknet bei mittlerer Tempe¬ 
ratur, so erhält man Schiessbaumwolle, Pyro¬ 
xylin. In chemischer Beziehung ist die Schiess¬ 
baumwolle eine Nitrocellulose, d. h. ein Sal¬ 
petersäureäther der Cellulose, aus welcher eben 
die Baumwolle besteht (s. Cellulose). Die 
Schiessbaumwolle verpufft bei 150—160° und 
löst sich in 3 Th. Alkohol und 18 Th. Aether. 
Diese Lösung — das Collodium — ist schwach 
opalisirend, syrupartig, sehr leicht entzündlich, 
trocknet an der Luft ein, dabei eine firniss¬ 
artige, in Wasser unlösliche Schichte zurück¬ 
lassend, welche auf der Haut ziemlich fest 
haftet und dieselbe etwas zusammenzieht. 
Das Collodium dient in der Chirurgie. In der 
Photographie wird es, mit Jodpräparaten ge¬ 
mischt, zur Darstellung von Negativen benützt. 
Die durch Ausgiessen von Collodium auf Glas¬ 
platten erzeugten Häutchen werden beim Rei¬ 
ben stark elektrisch: sie werden gefärbt zu künst¬ 
lichen Blumen verarbeitet. Gärtner verwenden 
das Collodium wie Baumwachs. Loebisch. 

Pharmacologisches. Streicht man 
Klebäther auf die Haut der Thiere, so ver¬ 
dunstet der Aetherantheil rasch und es bleibt 
nur ein hornähnliches Häutchen zurück, das 
ziemlich gut haftet, jedoch nur an zuvor gut 
abgetrockneten Stellen, und die Eigenschaft 
hat, im Moment des Erstarrens die Haut und 
damit auch ihre Capillaren zu contrahiren und 
einen Druck auszuüben, so dass das Gewebe 
leicht erblasst; Collodium hat somit die Be¬ 
deutung eines Protectivs, das zugleich zu¬ 
sammenzieht, es heisst deshalb auch 

Liquor sulfurico-aethereus constrin- 
gens. Die klebende Membran liegt anfänglich 
dicht an und hält sich unter den verschmierten 
Haaren gut, je mehr aber es sich contrahirt, 
desto mehr wird es schilferig und springt ab, 
will man aber mehrere Häutchen aufeinander 


20 * 

bilden, nachdem immer das vorhergegangene 
trocken geworden, so zieht das eine das an¬ 
dere wieder ab; diesem Uebelstande kann da¬ 
durch abgeholfen werden, dass dem Collodion 
2% des sehr elastischen Ricinusöles oder 
Glycerins beigegeben wird, wodurch das offi- 
cinelle 

Collodium elasticum oder flexile 
entsteht, das jetzt am meisten verwendet wird, 
und zwar zum Bedecken von Wunden, Adstrin- 
giren des Granulationsgewebes (mit Jodoform), 
Verkleben der Verbandstücke, besseren Fixiren 
angelegter Nähte, Erhöhung des Druckes bei 
offener Wundbehandlung, sowie um bei Ent¬ 
zündungen der Haut deren Capillaren blut¬ 
leerer zu machen, besonders beim Erysipel. 
Will man die Constriction verstärken, waa 
auf der dicken Haut der Thiere vielfach noth- 
wendig wird, so setzt man 5—10% Bleiacetat¬ 
lösung hinzu, wodurch das 

Collodium saturninum entsteht, wäh¬ 
rend man bei Blutungen Tannin oder Liquor 
Fern sesquichlorati zu 10—20% beigibt und 
so als 

Collodium stypticum das vorzüglichste 
Hämo8taticum gewinnt, das auch, wie das 
erstere, vorzügliche Dienste leistet bei Decu¬ 
bitus und Excoriationen, sowie zur Ueber 
häutung von Geschwüren, bei Verbrennungen, 
Erfrierungen u. s. w. 

Collodium jodoformiatum ist eine 
jetzt sehr beliebte Mischung von 1 Jodoform 
und 10—20 Klebäther; das Collodium jodatum 
ist nicht zweckmässig, wenig wirksam und 
sehr schmerzend; 

Collodium causticum ist eine Ver¬ 
bindung mit Sublimat 1 : 20. Man kann auch 
andere CoUodia medicata durch Mischen mit 
Borsäure, Carbolsäure, Salicylsäure, sowie mit 
Morphin, Chloroform, Cantharidin (s. Can- 
tharides) und dgl. herstellen. Sehr zweck¬ 
mässig ist ferner, wenn man, wie bei grös¬ 
seren, namentlich Schnittwunden, sich einer 
Zwischenlage von Baumwolle bedient; zu Con- 
tentiv-Verbänden taugt es aber bei Thieren 
nicht, dagegen kann es sehr vortheilhaft auch 
da verwerthet werden, wo sich ein schützen¬ 
der Verband nicht gut anbringen lässt, wie 
bei Euterentzündungen aller Hausthiere, Or¬ 
chitis, bei wunden Zitzen, Klauen, Krallen der 
Vögel u. s. w. Vogel. 

Colloidcysten, aus einem bindegewebi¬ 
gen, mit Cyhnderepithel ausgekleideten Balg^ 
und einem aus colloider Substanz bestehenden 
Inhalt zusammengesetzte Neubildungen. Die 
Colloidcysten entstehen entweder durch An¬ 
sammlung colloider Substanz in praeexistiren- 
den Hohlräumen (Graafschen Follikeln, Drü- 
senacinis, Samencanälchen) oder durch colloide 
Umwandlung und Zerfall von Zellen in Drüsen 
und Neubildungen (Sarcomen, Carcinomen). 
Colloidcysten trifft man am häufigsten an in 
vergrösserten und entarteten Ovarien, Hoden, 
Nebennieren, Schilddrüsen und Vorsteherdrü¬ 
sen (am meisten beim Hunde). Semmtr. 

Colloidentartung, besteht in Umwandlung 
des Zelleninhaltes in eine homogene farblose, 
schwachgelbe, mattglänzende, durchscheinende. 


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206 


COLLOIDE SUBSTANZEN — COLLYRIUM. 


flüssige, weiche oder halbfeste brüchige Sub¬ 
stanz, die in Wasser, Alkohol und Aether un¬ 
löslich, in ätzenden Alkalien löslich ist und 
durch Essigsäure und Jodschwefelsäure nicht 
verändert wird. Die Colloidsubstanz ist eine 
modificirte, mit Kohlenhydrat gepaarte Eiweiss¬ 
substanz oder ein raodificirter Schleimstoff. Die 
Colloidmetamorphose kommt häufig vor in der 
Schilddrüse (besonders bei Hunden) mit gleich¬ 
zeitiger Vergrösserung derselben, in den 
Schleimdrüsen, Epithelzellen, malpighischen 
Körperchen, Muskeln (bei Typhus, Tuberculose, 
Pocken, Urämie, Tetanus, Trichinosis, Erfrie¬ 
rungen, Fiebern), in Neubildungen, besonders 
Krebsen (Colloidkrebs) (s. Degenerationen). Sr. 

Colloide Substanzen werden solche Körper 
genannt, welche aus ihren Lösungen durch 
Scheidewände, bestehend aus thierischen Mem¬ 
branen oder vegetabilischem Pergament, nicht 
oder sehr schwer in andere Flüssigkeiten 
übertreten, diffundiren (s. Diffusion). Bringt 
man in einen Apparat — Dyalisator — welcher 
aus einer Flasche besteht, deren abgesprengter 
Boden durch ein wasserdicht übergebundenes 
Stück vegetabilisches Pergament ersetzt ist, 
Salzsäure, und setzt diesen Apparat in eine 
Schale, welche mit destillirtem Wasser ge¬ 
füllt ist, so wird schon nach einigen Secunden 
in diesem Wasser Salzsäure nachzuweisen 
sein, welche durch die Membran übergetreten 
ist. Setzt man nun für die Zeit, in welcher eine 
bestimmte Menge Salzsäure durch die Mem¬ 
bran diffundirt = 1, so beträgt dieselbe für 
eine gewisse Menge Chlornatrium 2*33, 
Zucker 7, Eiweiss 49 und Karamel 98. Graham 
theilt nun die Körper in solche ein, welche 
leicht durch eine Membran diffundiren, kry- 
stalloide Körper (Salze, Säuren, Alkohol) und 
in solche, welche schwer oder nicht diffun¬ 
diren; letztere nannte er colloide Substanzen; 
hieher gehören Gummi, Eiweiss, Schleimu.s. w. 
Enthält eine Eiweiss- oder Gummilösung 
Salze aufgelöst, so treten diese durch die 
Diffusionsmembran so lange in das Wasser 
über, bis die Concentration der äusseren 
wässerigen Lösung an diesen Substanzen 
ganz gleich mit der in der inneren Lösung 
ist. Wenn man nun das äussere Wasser häufig 
wechselt, so ist man hiedurch im Stande, der 
Lösung alle krystalloiden Körper zu entziehen, 
es bleiben nur die colloiden Substanzen zu¬ 
rück. Demnach wird die Dialyse zur Trennung 
der krystalloiden von den colloiden Körpern 
in verschiedenen Zweigen der Chemie benützt 
(s. Dialyse). Loebisch. 

Colionema (abgel. von iq xoXX«, Leim, und 
tö vTjjJia, Gespinnst), die Gallertgeschwulst, 
eine Colloidform nach Müller (ödematöse 
Bindegewebsgeschwulst), nach Yirchow ein 
Myxom. Sussdorf. 

Colloxyl, s. Collodium. 

Collum, der Hals, als Theil des Rumpfes 
bezeichnet, auch halsartig eingezogene Theile 
der Organe, z. B. Collum uteri. Sussdorf. 

Collutorlum oder Maulwasser, die Ver¬ 
bindung von verschiedenen Medicamenten be¬ 
hufs Erzielung örtlicher Wirkungen in der 
Maulhöhle, insbesondere bei entzündlichen, 


aphthösen, pustulösen Vorgängen. Man ver¬ 
wendet hiezu gewöhnlich kühlende, entzün¬ 
dungswidrige und gelind zusammenziehende, 
sowie namentlich desinficirende Mittel und 
hatte man früher als Hauptcollutorium bei den 
Thieren eine Verbindung des Salbeithees mit 
Essig und Honig in Anwendung gezogen. 
Auch jetzt verordnet man mit Vorliebe aro¬ 
matische Infuse mit Tincturen und wählt 
solche Adstringentien, die zugleich ausgespro¬ 
chene antimikrobische Wirkungen besitzen, 
wie insbesondere die Mineralsäuren, Alaun, 
Kalk, Tannin, essigsaure Thonerdelösung, über¬ 
mangansaures KaS, salpetersaures Silber, für 
mehr kühlende Zwecke Salpeter, Essig, Wein¬ 
geist. Man verschreibt in der Regel literweise 
und setzt von den genannten Mitteln 10% 
zu, von den Säuren 0*5—2%. Die etwas 
grössere Dosirung rechtfertigt sich dadurch, 
dass der grösste Theil der eingeführten Flüs¬ 
sigkeit wieder abläuft, es schlucken aber die 
Thiere dabei nicht ab. Die Application findet 
in der Weise statt, dass man sich entweder 
mit Einspritzen begnügt oder einen Leinwand¬ 
bausch an einen Stock befestigt und die be¬ 
treffenden Stellen betupft (aber nicht darauf 
herumfährt), bezw. den Schwamm oder Bausch 
mitten auf die Zunge bringt, wobei dann durch 
das Kauen die Flüssigkeit überall vertheilt 
wird. Es handelt sich meist um die Maul¬ 
seuche, intensive Maulkatarrhe, Maulschwämm¬ 
chen (Soor) und Diphtherie bei Kälbern, 
Stomatitis pustulosa des Pferdes oder will 
man nur die Maulschleimhaut erfrischen, 
um die Thiere eher zur Aufnahme von Nah¬ 
rung zu veranlassen. Eine Hauptbedingung 
bleibt, bei all diesen Krankheiten die Diät zu 
regeln, inan darf nur w r eiche, leicht zu 
kauende, saftige Stoffe gestatten, Grünfutter, 
zartes Heu, Grummet, Knollen und Wurzel¬ 
werk, Schlappe- und Brühfutter, bei Schweinen 
Molken mit Kleie, Buttermilch und saure Milch 
u. s. w. 

Die Pinselsäfte gehören ebenfalls hie¬ 
her und finden Anwendung auch für die klei¬ 
neren Hausthiere bei Wunden und ulcerösen 
Vorgängen in der Maulhöhle; siebestehenaus 
den bekannten Reinigungs- und Wundheilungs¬ 
mitteln und werden wie die Collutorien täg¬ 
lich mehreremal und zwar mittelst eines 
Pinsels, vielleicht auch einer Federfahne u. dgl. 
aufgetragen. Vogel. 

Collyrium, Augenwasser. Zur Application 
auf das Auge dienen verschiedene Lösungen 
und Mixturen, welche als Augenwässer, Col- 
lyria, bezeichnet werden; meist handelt es 
sich dabei um entzündungsmildernde, schmerz¬ 
stillende, adstringirende und selbst kaustische 
Stoffe, die in einem aromatischen desinficiren- 
den Aufguss, in einem Chamillen- oder 
Fenchelthee, in einer Belladonna-Abkochung, 
in Aqua salicylisata u. dgl. gelöst werden, und 
benützt man hiezu am häufigsten Zinksulfat, 
Kupfervitriol, Höllenstein (1—4%)» Tannin, 
Bleizucker, Alaun, Augenstein. Sublimat (1%); 
flir die stärkeren Mittel sind Augensälbchen 
vorzuziehen und der früher übliche Zusatz 
schleimiger Substanzen zu den Collyrien er- 



COLOBOMA OCÜLI. — COLOSTRUM. 807 


scheint völlig überflüssig, zum Rinpinseln oder 
Eintröpfeln in den Bindehautsack ist vielmehr 
gerade Dünnflüssigkeit ein Vorzug bei dieser 
Arzneiform. Vogel. 

Coloboma oculi, s. Hemmungsbildungen 
des Auge8. 

Colombo , Calumbo, Columbowurzel, 
Radix Colombo, bekanntes bitteres Schleim¬ 
mittel, s. die Stammpflanze Jateorrhiza Co- 
lumbo. Vogel. 

Colon (xö xujXov), ursprünglich jedes ge¬ 
lenkige Glied des Körpers, jetzt nach PÖn. 
Vorgang nur noch der Grimmdarm (wohl ab¬ 
leitbar von xotXos, hohl, rund), Adj. colicus. 
Auch in Zusammensetzungen gebräuchlich, so in 

Colocleisis, Grimmdarmverschluss, 
Grimmdarmverstopfung. Sussdorf 

Colophonlum, Geigenharz, ist der Rück¬ 
stand bei der Destillation des aus verschie¬ 
denen Pinusarten beim Einschneiden der Rinde 
ausfliessenden Harzes (Terpentines), wenn 
hiezu kein Wasser verwendet wird; auch ent¬ 
steht es beim Schmelzen des gekochten Ter¬ 
pentins und ist je nach dem Erhitzen bei 
seiner Darstellung blassgelb (C. album) oder 
braungelb, amorph, durchsichtig, von schwa¬ 
chem Geruch, fast geschmacklos, sehr spröde, 
spec. Gew. 1*07. unlöslich in Wasser, löslich 
in 8 Theilen 74%igem Alkohol, desgleichen 
in Aether, Benzol, in vielen fetten und flüch¬ 
tigen Oelen, schmilzt bei 100° und bei seiner 
Destillation geht nur etwas Harzöl und Harz¬ 
spiritus über. Der Hauptmasse nach besteht 
Colophonium aus Abietinsäure, welche hier 
als Anhydrid enthalten ist und mit Alkalien 
schmierige abietinsaure Salze gibt, die man 
Harzseifen nennt. 

Therapeutisch macht man jetzt nur 
mehr selten von ihm Gebrauch; es galt lange 
als hauptsächlichstes Diureticum der Thierheü- 
kunde bei Pferden und Rindern zu 15*0 bis 
30*0, ist aber durch Terpentinöl oder die 
diesbezüglichen Salze vortheilhafter zu er¬ 
setzen. Aeusserlich kann es als leicht reizendes 
Protectivum mit oder ohne Weingeist dienen, 
ist aber auch da ausser Gebrauch gekommen, 
eher ist die mechanische Wirkung bei Blu¬ 
tungen zu verwerthen, wo man es entweder 
für sich allein oder, um das Wegschwemmen 
besser zu verhüten, mit gleichen Theilen 
Gummi arabicum oder Alaun aufträgt; auch 
befeuchtet man das Pulver gerne mit etwas 
Spiritus und bedeckt dann die Stelle mit 
Werg, Baumwolle, um so die betr. Gefässe 
zu verkleben. Gegenwärtig wird für solche 
Zwecke mehr das Collodium stypticum (s. d.) 
verwendet. Vogel. 

Colostrum (schon bei Plinius für Biesmilch 
in Brauch, stammt vielleicht von dem griech. 
to xo'Xov, die Nahrung) nennt man die vor 
und kurze Zeit nach der Geburt abgesonderte 
Milch. Dieselbe unterscheidet sich in ihren 
Eigenschaften, morphotischen Bestandteilen, 
wie auch in ihrer chemischen Zusammensetzung 
vielfach von der gewöhnlichen Milch. Sie bildet 
eine dunkel- bis braungelbe, zähe Flüssigkeit. 
Ihre körperlichen Bestandteile, die sog. 
Colostrumkörperchen, sind in der Mehrzahl 


rundliche, brombeerartige Aggregate kleinster 
und grösserer Fetttröpfchen, die durch ein 
albuminös-protoplasmatisches, mehr oder we¬ 
niger durch Anilinroth färbbares Bindemittel 
zusammengehalten werden und zumTheil noch 
contractil und amöboider Bewegungen fähig 
sind. Ausser diesen kommen noch fettarme 
oder gar kein Fett enthaltende leukocyten 
ähnliche, sowie helle, nicht gekörnte, aber 
kernhaltige Zellen und spärliche eigentliche 
Milchkügelchen im Colostrum vor. Sobald das 
Säugegeschäft beginnt, nehmen die letzteren 
an Menge zu, während die ersterwähnten 
Körperchen schnell abnehmen und bis auf 
einzelne, die noch in späteren Lactations- 
perioden immer angetroffen werden, ver¬ 
schwinden. In chemischer Beziehung zeigt 
sich das Colostrum concentrirter als die Milch, 
und zwar um so reicher an festen Bestand¬ 
teilen, je früher nach der Geburt es ent¬ 
nommen wird. Sein specifisches Gewicht be¬ 
läuft sich daher für das Kuhcolostrum auf 
1046—1065. Crusius fand unmittelbar nach 
dem Kalben darin 38‘4% Trockensubstanz; 
am ersten Tage danach nur noch 30*1%, am 
dritten 15 • 3 %, am sechsten 18 • 9 % fester Sub¬ 
stanzen, womit es schon den Trockengehalt der 
Milch erreicht hatte. Das Plus in den festen Be¬ 
standteilen des Colostrums trifft insbesondere 
die Eiweissstoffe und Salze, weniger den Zucker. 
Unter den Eiweisskörpem bildet dabei den 
Hauptantheil das Albumin, nicht das Casein: 
während ersteres in der Milch nur etwa zu 0 5% 
(gegenüber 3—5 % Casein) enthalten ist, findet 
es sich im Colostrum der Kuh unmittelbar nach 
der Geburt zu 15 *5%, am ersten Tage danach 
zu 13*7%, am dritten zu 8* 6%, am sechsten 
zu 8%, am achtundzwanzigsten zu 0*7% vor 
(Crusius). Durchschnittlich sind nach Fleisch¬ 
mann 81 *3% feste Substanzen im Colostrum 
enthalten, wovon 7 * 3 % Casein,7 * 5 % Albumin. 
4*0% Fett, 1 - 5% Milchzucker, 1*0% Salze. 
Die Ansichten über die Colostrumbildung sind 
recht differente. Nach der Schilderung Rei- 
chardt’s stellen die Colostrumkörperchen eine 
Vorstufe der Milchkügelchen dar, d. h. ab- 
gestossene und unvollkommen fettig degene- 
rirte Epithelzellen der Drüse. Räuber schil¬ 
dert dieselben dem gegenüber als in fettigem 
Zerfall begriffene Lymphzellen, welche aus 
dem interstitiellen Gewebe in die Alveolar- 
epithelien und die Drüsenlumina eingewandert 
sind. Heidenhain endlich, der jene lymphoiden 
Elemente des Interstitialgewebes als Plasma- 
zellen deutet, lässt die Colostrumkörperchen 
bedeutungslos für die Morphologie der Milch- 
bildung sein und betrachtet sie nicht als in 
Fettdegeneration begriffene Epithelien, sondern 
als allerdings metamorphosirte, hell oder 
matt körnig gewordene, einen excentrischen 
Kern führende abgestossene Epithelzellen, 
welche als contractile Gebilde das Fett erst 
durch Intussusception sich einverleibt haben. 
Dieses letztere, dessen Entstehung er für das 
Colostrum nicht erklärt, müsste dann auf 
ähnliche Metamorphosen wie bei der Milch- 
bildung (s. d.) zurückgeftthrt werden, wozu 
freilich thatsächliche Anhaltspunkte zu fehlen 


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208 


COLUMBIA-HUHN. — COMBINATIONEN. 


scheinen. Die Entstehung der übrigen Be¬ 
standteile des Colostrums 8. Milch. Sf 

Columbia-Huhn, eine Kreuzung von Ma- 
layen mit Spaniern, mit schwarzem glänzen¬ 
dem Gefieder, grosser Figur, gerühmter Ab¬ 
härtung und ungewöhnlicher Fruchtbar¬ 
keit. Nach Baldamus sollen sie enorm grosse 
und sehr wohlschmeckende Eier legen. Ws. 

Columbiens Pferde. In den Ebenen von 
San Martin, zwischen den Quellen des Meta, 
Rio negro und Umadea, kommen kleine Herden 
verwilderter Pferde vor, die ungemein scheu 
und flüchtig sein sollen. Nach Fitzinger be¬ 
sitzen sie zwar keine zierliche Gestalt, sind 
aber auch nicht schwerfällig zu nennen. Sie 
ähneln den spanischen Rossen und werden wahr¬ 
scheinlich von diesen abstammen; meistens ist 
ihre Hautfarbe braun und das Deckhaar in der 
Regel sehr kurz und fein. Die Gangart der 
zahmen Pferde ist entweder Schritt, Pass oder 
Halbpass, und es wird gerade dieser letztge¬ 
nannte Gang der Pferde von den Bewohnern 
Columbiens sehr geschätzt. Alle Thiere, welche 
ira Halbpass rasch vorwärts kommen, werden 
verhältnissmässig theuer bezahlt. Freytag. 

Columbin, der Bitterstoff, der in der Co- 
lumbowurzel (Jateorrhiza palmata Miers) 
neben der Columbosäure vorkommt. Man zieht 
die Wurzel mitWeingeist aus, verdunstet, behan¬ 
delt den Rückstand mit Wasser und schüttelt 
die wässerige Lösung mit Aether aus, welcher 
das Columbin aufnimmt. Es krystallisirt in 
durchscheinenden Säulen des ortorhombischen 
Systems, ist von bitterem Geschmack und 
schmilzt bei 182° C. wie Wachs. Löslich in 
30—40 Theilen kochendem Weingeist und in 
concentrirter Essigsäure, schwerer in kaltem 
Weingeist, Aether. Aus der Lösung mit 
wässerigen Alkalien wird es durch Säuren 
wieder gefällt. Zu 01—0*2 intern beim 
Menschen ungiftig, ebenso subcutan bei Katzen 
und Kaninchen. Loebisch. 

Columblt gehört zu den salzartigen Mi¬ 
neralien und ist niobsaures Eisenoxydul (daher 
auch Niobit genannt), kommt in rhombischen 
Krystallen von schwarzer Farbe im Granit ein¬ 
geschlossen bei Tirschenreuth (Baiern), Chante- 
loube in Frankreich, Haddam in Connecticut 
u. a. O. vor, ist isomorph mit dem Tantalit 
(tantalsaures Eisenoxydul), mit dem es ge¬ 
mischt auftritt. Unschmelzbar. Loebisch. 

Columbre A. gab zu Anfang des XVI. Jahr¬ 
hunderts in Italien ein Werk über Pferde¬ 
heilkunde heraus. Semmer. 

Columelta Lucius Junius Moderatus, geb. 42 
nach Chr., schrieb in seinem Werk: .,De re 
rustica libri XII fcl im 6. und 7. Bande über 
Hausthiere und deren Behandlung im gesunden 
und kranken Zustande. (Hippiatrie, Rindvieh¬ 
krankheiten.) Semmer. 

Columella (Demin. von columna), Säul- 
chen, der technische Ausdruck für die Axe 
oder Spindel der Schnecke = Modiolus. Davon 
Adj. columellaris, säulenförmig, z. B. in dentes 
columellare8 von den Backenzähnen des 
Pferdes. Sussdorf. 

Dieser Ausdruck wird in sehr verschie¬ 
denen Fällen in der Botanik angewendet. 


Man nennt z. B. so die centrale walzenför¬ 
mige Gewebemasse, welche die Kapsel der 
meisten Moose durchzieht. Ferner bildet 
bei vielen Schleimpilzen das Capillitium 
oder ein Theil desselben eine Art von 
Mittelsäule. Ebenso kommt bei vielen Gas* 
tromyceten und bei manchen Ascomyceten 
der Fall vor, dass sich das Stroma in der 
Form einer Säule in die Gieba hinein fort¬ 
setzt. Auch hiefür wird das Wort ge¬ 
braucht. Endlich wird dasselbe häufig bei 
Mucorarten verwendet. Bei manchen der¬ 
selben ist nämlich die gonidienführende 
Blase (Peridiolura) nicht durch eine einfach 
gerade Scheidewand von der Hyphe abge¬ 
schlossen, sondern diese Scheidewand wölbt 
sich uhrglasförmig oder blasenartig-cylin- 
drisch in das Peridiolum hinein; so bei 
Rhizopus nigricans, Mucor Mucedo u. a., 
diesen Fortsatz hat man ebenfalls Colu¬ 
mella genannt. Harz. 

Columna (Nebenform von Columen), die 
Säule, z. B. C. spinalis s. vertebralis, Wirbel¬ 
säule, Rückgrat ctc. Sussdorf. 

Colutea arborescens gemeiner Blasen¬ 
strauch, Blasenschote, bekannte goldgelb 
blühende Papilionacee (L. XVII. 3). Die 
Blätter dieses Gartenzierstrauches (Blasen¬ 
senne) führen ab wie Sennesblätter, die oft 
damit verfälscht werden; die Samen sind 
leicht giftig und brechenerregend Vogel. 

Coma, richtiger Kome (griech. ^ xdjiir), 
Haupthaar), nennt Gurlt den Haarschopf des 
Pferdes. Sussdorf 

Comarum palustre, s. Adonis vernalis. 

Combinationen und Compllcationen der 

Krankheiten unter einander kommen sehr 
häufig vor. So können sich zu den chroni¬ 
schen oder lebenslänglichen meist fieberlos 
verlaufenden Leiden, wie Tuberculose, Herz¬ 
leiden, Neubildungen, Steinen, parasitären 
Leiden, veralteten chronischen Katarrhen und 
Rheumatismen, Cachexien, Anämien und Hy- 
drämien etc. stets acute fieberhafte Leiden 
hinzugesellen oder es treten oft bei gleich¬ 
zeitiger Einwirkung verschiedener Ursachen 
zwei oder mehrere acute Krankheiten gleich¬ 
zeitig neben einander auf, wie z. B. Rheu¬ 
matismus mit Pleuritis, Peritonitis oder Menin¬ 
gitis, Pneumonien und Dannkatarrhe, Darm¬ 
und Nierenentzündungen, Magen - Darm- 
katarrhe und Leberleiden etc. Andererseits 
können sich zu von vorneherein einfachen 
Krankheiten nachher eine Reihe von Com- 
plicationen hinzugesellen. So z. B. compli- 
ciren sich mit Koliken durch Gasentwicklung 
Berstungen des Magens oder Darms, mit 
Harnverhaltungen Berstungen der Blase, mit 
Typhus perforirende Darmgeschwüre, die alle 
meist zu tödtlicher Peritonitis Anlass geben. 
Tuberculose complicirt sich oft mit Pneu¬ 
monien und bei Durchbruch von Cavernen 
mit Pleuriten. Einfache Wunden und Ge 
schwüre können brandig werden und von 
denselben können Erysipele, Phlegmonen, 
Pyämie und Septicämie ihren Ausgang neh¬ 
men. Semmer . 



COMBÜSTIO. — COMMUNICATIO. 


209 


Combustio (von comburere, verbrennen), 
die Verbrennung. Sussdorf, 

Conedones (von comedere, völlig ver¬ 
zehren etc.), Mitesser nennt man jene kleinen 
Talgpfröpfe, welche mit schwarzgefärbter 
Kuppe nnd deshalb als schwärzliche Punkte 
in den Hantporen des Menschen sichtbar, 
die Ausführungsgänge der Talgdrüsen der Haut 
des Menschen verstopfen; sie sollen zu ein 
Drittel den Acarns follicnloram enthalten. Sf, 
Comforter, B o n f f e. Mittelgrosse Hunde¬ 
rasse, welche nach Fitzinger aus einer Kreu¬ 
zung des grossen Seidenhundes mit dem grossen 
Pudel entstanden sein soll. Besser wird er 
wohl als eine besondere Form aus der Gruppe 
der Pintscher betrachtet. Der Körper ist ge¬ 
drungen, die Beine mässig hoch, der Kopf 
hoch, wenig gestreckt, mit stumpfer Schnauze. 
Das Haar ist lang, ziemlich stark gekräuselt, 
es bedeckt den ganzen Körper mit Ausnahme 
des Gesichtes, das mit glatt anliegenden 
Haaren bekleidet ist. Am Schwänze bildet 
das Haar zottig gewellte Fransen. Die Fär¬ 
bung ist wei88, schwarz oder gelbbraun. Wird 
als Stubenhund gehalten. Studcr . 

Comfrei (Schwarzwurz, Wallwurz oder 
Beinwell, Symphitum asperrimum). Die Blät¬ 
ter dieser, aus dem Kaukasus stammenden 
Pflanze bilden ein sehr gut verwendbares 
Futtermittel für verschiedene Nutzungszwecke. 
Sie enthalten: 


15*0 

im Mittel 

ir#% 

Trockensubstanz 

6*8 

n n 

8-8 * 

stickstoffhaltige Stoffe 

0*5 

» n 

0-3 „ 

Fett 

6*2 


4*6 „ 

stickstofffreie Extractstoffe 

— 

» 

2'0 * 

Asche. 


Ein grosser Theil des Stickstoffes ist je¬ 
doch in Form von Amiden u. dgl. oder als 
unverdauliches Nucle'in vorhanden. Ueberdies 
sind die Blätter sehr wasserreich und sie 
werden wegen ihrer rauhen Behaarung nur 
dann vom Vieh gerne angenommen, wenn man 
sie vorher zerstampft oder anbrüht. Wegen 
ihres Wasserreichthums sind sie als Schaf- und 
Pferdefutter minder gut geeignet, lassen 
sich schwer trocknen und sie können daher 
nur durch Umwandlung in Braunheu oder 
durch Einsäuern ohne besondere Schwierig¬ 
keiten conservirt werden. Als Grünfutter für 
Milchvieh leistet der Comfrei eventuell gute 
Dienste, darf aber nicht als Hauptfutter ange¬ 
wendet werden, da sonst die Milch an Ge¬ 
halt und Geschmack einbüsst. Er hat sich auch 
als Mastfutter bewährt; sogar die Schweine 
fressen die grünen Blätter gerne. Die Ver¬ 
daulichkeit der grünen Blätter stellte sich 
nach Weiske bei einem Hammel wie folgt: 
Stickstoffhaltige Stoffe 58*3%, Fett 71 1% 
Rohfaser (?) 18 * 05 %, stickstofffreie Extractstoffe 
84*64%- — Getrocknete Beinwellblätter 
enthielten 85% Trockensubstanz, 16*9% Pro¬ 
tein, 2*3% Fett, 36 * 0 % stickstofffreie Extract¬ 
stoffe, 41*2% Holzfaser, 18*6% Asche; sie 
werden aber weniger gern gefressen. Pott. 

Commlnutio (von comminuere, zertrüm¬ 
mern), die Zertrümmerung, die Zersplitterung, 
z. B bei Knochenbrüchen. Sussdorf. 

Commi88>ren (von dem lat. committere, 
zusammenschicken, sich verbinden) nennt man 

Koch. Encyklop&die d.Thierheilkd. IL Bd. 


I. gegenseitige Verbindungen symmetrisch ge¬ 
lagerter Punkte (Ganglienzellengruppen) des 
centralen Nervensystems. Sie werden entweder 
durch Nervenfasern vermittelt (weisse Com¬ 
missuren) oder aber durch die Protoplasma¬ 
fortsätze der Zellen (graue Commissuren). 
Es existiren solche echte Commissuren im 
Gehirn: 1. Die C. maxima, der Hirnbalken, 
eine Verbindung der beiden Hemisphären 
untereinander, welche auch als mediane Partie 
des Gewölbes (Psalterium h.) zwischen den 
beiden Ammonshörnern verkehrt. 2. Die C. an¬ 
terior, eine Verbindung der beiden Tractus 
und Bulbi olfactorii, sowie der beiden Schläfen- 
lappen. Sie bildet einen rabenfederkielstarken 
Markstrang, welcher vor dem Foramen Monroi 
hinter den beiden Columnae fomicis von der 
einen zur anderen Seite des Grosshirns zieht 
3. Die C. inferior s. ventralis Gudden’s, eine 
Verbindung beider Sehhügel und Kniehöcker, 
welche am caudalen Rande der Tract. optic. 
als deutlich wahrnehmbarer, aber meist schwach 
abgesetzter Zug markirt ist. 4. Die C. mollis 
s. media, die sog. graue Commissur des Ge¬ 
hirns, bildet die mittlere Partie der grauen 
Substanz der Sehhügel und wird nur von 
wenigen Commissurfasern durchsetzt, welche 
die sog. hinteren Kerne der Thalami optici 
verbinden. Ausser diesen echten Commissuren 
finden sich noch mehrfache unechte vor, welche 
nicht die Verbindung symmetrischer Punkte 
übernehmen, sondern nur durch eine Kreuzung 
der Fasern entstehen; unter diese gehören: 
5. Die C. posterior cerebri, hintere Gehirn- 
commissur, welche an der Basis der Zirbel¬ 
drüse im Bereiche des vorderen Vierhügelpaares 
liegt. Auch 6.dieCommissuren desRückenmarkes 
können nicht als echte Verbindungen iden¬ 
tischer Theile gelten, sondern sind nur Faser¬ 
kreuzungen, mittelst deren die Fasern auf die 
entgegengesetzte Seite übertreten. Ueber die 
physiologische Bedeutung der echten Com- 
roissuren ist Exactes nicht bekannt. Es ist 
höchst wahrscheinlich, dass durch dieselben 
Reize, welche eine Körperseite treffen, auch 
auf die andere übergeleitet werden können, 
und dass auf diese Weise nach einseitiger 
Reizung doppelseitige und gleichartige Reac- 
tionen erfolgen; es ist so auch die Erklärung 
mancher reflectorischen Vorgänge gegeben. 
Die unechten Commissuren, die Decussationen, 
veranlassen anderseitige Erfolge nach Appli¬ 
cation einseitiger Reize und machen es so er¬ 
klärlich, dass Lähmungen gewisser Hirn¬ 
partien etc. mit Lähmungen der Nerven- 
thätigkeit der entgegengesetzten Körperhälfte 
Hand in Hand gehen. Vielfach kehren indessen 
die die Mittellinie gekreuzt habenden Fasern 
an anderer Stelle wieder auf die ursprüngliche 
Verlaufsseite zurück. II. Auch Verbindungen 
anderer paariger Organe mit einander werden 
als Commissuren bezeichnet, z. B. die Com¬ 
missur der Schilddrüse. Sussdorf. 

Commotio (von commovere, erschüttern), 
die Erschütterung. Sussdurf 

Communlcatfo (von communicare, mit¬ 
theilen), die Mittheilung, Uebertragung von 
Krankheiten auf andere Individuen. Sussdorf 

14 



210 


COMPENSATIO. — COMPOST. 


Compensatio (von compensare, mehrere 
Dinge gegenseitig ab wägen, resp. ausgleichen), 
als Terminn8 für das Gleichgewicht des Wachs¬ 
thums, eines von Geoffiroy und Goethe aufge¬ 
stellten Gesetzes gebräuchlich, wonach behufs 
stärkerer Ausbildung eines Organes das andere 
naturgemäss nothleiden müsse. Darwin be¬ 
zweifelt den Satz in dieser Form und führt 
die vermeintliche Sparsamkeit der Natur in 
dem Haushalte des Körpers, d. h. die stärkere 
Entwicklung eines Organes auf einen Mehr¬ 
gebrauch desselben gegenüber dem anderen 
zurück. Sussdorf\ 

Compositae, Köpfchenblüthler, Familie 
der Classe der Dicotyledonae, Kräuter mit 
wechselständigen oder gegenständigen Blät¬ 
tern ohne Nebenblätter. Die einzelnen Bltt- 
tben sind zu mehreren in ein Köpfchen zu¬ 
sammengedrängt, umgeben von einer gemein¬ 
schaftlichen Hülle. Das Ganze erscheint wie 
eine einzige Blüthe. Der Blüthenboden ist 
zwischen den einzelnen Blüthchen besetzt 
mit Deckblättchen, Haarborsten, oder er ist 
nackt. Bei den einzelnen Blüthchen ist der 
Kelch mit dem Fruchtknoten entweder völlig 
verwachsen oder tritt auf seinem Bande an 
der Spitze des letzteren hervor; häufig ver¬ 
längert er sich nach dem Verblühen zu einer 
sitzenden oder gestielten Federkrone oder er 
endigt in einen Hautrand. Die Blumenkronen 
sind entweder sämmtlich röhrig mit fünf, seltener 
vier Zähnen oder sämmtlich zungenförmig 
oder beide Formen finden sich in demselben 
Köpfchen, in der Mitte eine Scheibe aus 
Böhrenblumen, am Bande zungenförmige 
Strahlenblumen. Staubgefässe fünf, selten vier, 
die Staubbeutel zu einer Böhre vereinigt, 
durch welche der Griffel hindurchgeht. 
Fruchtknoten unterständig, mit einem faden¬ 
förmigen Griffel, der sich in zwei Schenkel 
theilt, welche am Ende die Narben tragen. 
Die Frucht ist ein kleines, trockenes, samen¬ 
ähnliches Nüs8chen (Schliessfrucht, Achaene), 
welches nackt ist oder eine Federkrone 
(Pappus) trägt. Diese sehr grosse Familie 
enthält eine Menge von Arten, deren Indi¬ 
viduen wir theils als Culturpflanzen benützen, 
theils als Unkräuter bekämpfen; bei ihrer 
Bekämpfung muss meistens der Umstand be¬ 
rücksichtigt werden, dass die Früchte in 
Folge der Federkrone verfliegen, sich daher 
die Pflanze sehr leicht verbreitet, v. Liebenberg. 

Compo8t (Mischdünger, Mengedünger, 
zusammengesetzter Dünger). Jener Dünger, 
welcher aus verschiedenen vegetabilischen, 
thierischen und mineralischen Stoffen zusam¬ 
mengesetzt wird, heisst Compost, Misch- oder 
Mengedünger. Um einen regelrechten Compost- 
haufen anzulegen, sind drei Dinge zu be¬ 
obachten: 1. Muss ein Hauptmittel vorhanden 
sein, welches gährungsfähig ist, z. B. Auswurfs¬ 
stoffe der Thiere, eingegangene kleine Thiere, 
Schlachtungsabfälle von Thieren, Horaspäne, 
Kehricht, Scheuemauswurf, Unkraut, Abtritt¬ 
dünger, Geflügelmist, Basen, Grabenauswurf, 
Torf, Moder, Holzabfälle, Sägespäne, Streu, 
Wollstaub, Gerberei- und Lederabfälle u. s. w.; 
J2. ist ein Mittel erforderlich, welches die 


Gährung befördert, besonders bei jenen Stoffen, 
welche nur schwer und langsam gähren; da¬ 
zu wählt man Mistjauche oder Gülle, Asche, 
gebrannten Kalk, Mergel, Gyps, Salze; 3. sind 
Mittel zur Unterlage, Aufnahme und Mischung 
des Compostes, wie Erde, Thon, Bauschutt, 
Mergel, Sand, Schlamm. Strassenkoth u. s. w. 
erforderlich. Diese drei Mittel werden lagen - 
weise und abwechselnd in 1—1% Meter 
hohe viereckige Haufen, und zwar derart 
geschichtet, dass man auf die festen Theile, 
wie Erde, Basen, Bauschutt, eine Schichte 
Stalldünger und dann wieder festere Theile 
folgen lässt und das Ganze öfters mit Jauche 
übergiesst. Solche Haufen müssen den Sommer 
über zwei- bis dreimal umgesetzt oder um¬ 
gestochen, d. h. alles gut miteinander ge¬ 
mengt und durchgearbeitet werden. Nach je¬ 
desmaligem Umsetzen müssen die Haufen 
wiederholt mit Jauche begossen werden. Bei 
besonders schwer in Gährung und Aufschlies¬ 
sung zu bringende Stoffe in den Compost- 
haufen ist hervorzuheben: Wenn der Com- 
ost zum Theil aus nicht völlig entsäuertem 
chlamm u. dgl. Erde (mooriger oder bruchiger 
Beschaffenheit) besteht, so muss demselben 
Aetzkalk, theils um die nöthige Erwärmung 
des Haufens zu bewirken, theils um die be¬ 
treffenden Massen zu entsäuern, beigegeben 
werden. Werden viele Horaspäne in den Com- 
osthaufen gebracht, so muss derselbe durch 
auche immer feucht gehalten werden; um die 
Verflüchtigung werthvoller Bestandtheile zu 
verhüten, wendet man Düngergyps an, welcher 
beim Umstechen des Haufens ein- und auf¬ 
gestreut wird. Die Binderhaare und Wollab- 
gänge zeichnen sich durch hohen Stickstoff¬ 
gehalt aus und liefern einen werthvollen 
Compostdünger; mit Kalk durchsetzt wirken 
dieselben sehr gut und werden in England 
häufig angekauft. Als Mittel mehrerer Ana¬ 
lysen enthielten die Haare aus Gerbereien 
6 ■ 7 Percent Stickstoffgehalt. Wird Gerberlohe 
mit Salz und Kalk vermischt und dann Pferde¬ 
dünger beigegeben und eingeschichtet, so er¬ 
hitzt sich die Masse in Bälde, geht in Gäh- 
rung über und gibt in 4 Monaten einen sehr 
guten Compost, welcher, auf Wiesen gefahren, 
mit dem besten Dünger concurrirt. Leder¬ 
abfälle werden am besten gemahlen in den 
Composthaufen gebracht, da sie sich in Form 
eines feinen Mehles am leichtesten zersetzen. 
Befindet sich im Compostdünger kein Un¬ 
krautsamen, was nicht immer der Fall ist, 
so eignet er sich zur Düngung des Acker¬ 
feldes; am besten und vortheilhaftesten wird 
er aber auf Wiesen, Klee-Luzernefelder und 
zur Düngung der Bäume verwendet, weil hier 
die Verunkrautung weniger oder nichts schadet 
und namentlich der künstliche Futterbau be¬ 
deutend gesteigert werden kann. Wenn es 
die Witterung erlaubt, so wird der Compost¬ 
dünger im Januar und Februar auf die Wiesen 
geführt, in kleinen Haufen abgeladen und im 
Februar und März verbreitet und verkleinert; 
hingegen jener, der auf die Felder zum 
künstlichen Futterbau in Verwendung kommt, 
wird vor der Bestellung der Felder im Herbste 



COMPRESSE. 

oder Frühjahre ausgeführt und mit dem. Pflug 
untergeackert. Die Wirkung des Compost- 
<lünger8 dauert auf Wiesen und Weiden öfters 
8—3 Jahre und zeigt sich besonders dadurch 
an, dass das Moos vertilgt wird, gute Wiesen¬ 
pflanzen sich einstellen und besonders das 
Boden gras sich kräftig entwickelt. Wie häufig 
sieht man noch auf dem Lande in den Ort¬ 
schaften und Einzelhöfen die Mistjauche 
aus dem Hofe in die Gossen und Dorfwege 
abfliessen und die letzteren verunreinigen, 
statt dass dieses kostbare flüssige Düngungs¬ 
mittel zur Compo8tbereitung verwendet wird, 
und wie oft kann man sehen, besonders bei 
länger anhaltender nasser Witterung, dass 
die Strassen, Gassen, Dorf- und Feldwege 
durch Unrath und thierische Auswurfstoffe 
verunreinigt sind; würden diese so nützlichen 
Düngstoffe gesammelt und auf den Compost- 
haufen gebracht, so könnte nicht nur eine 
werthvolle Düngervermehrung erzielt werden, 
sondern würde ausserdem Reinlichkeit auf 
den Orts- und Feldwegen geschaffen und zu¬ 
gleich gute gang- und fahrbare Verkehrswege 
und Strassen auf dem Lande hergestellt, was 
Alles in Zeiten der Ruhepausen, nach den 
strengen landwirtschaftlichen Arbeiten aus- 
geführt und betätigt werden könnte. A6r. 

Comprette, ein zwei- bis dreifach zu¬ 
sammengelegtes Stück Leinwand oder Baum¬ 
wollstoff, welcher als Deckmittel für kranke 
Theile gebraucht wird, einerseits als Schutz 
für dieselben gegen äussere Schädlichkeiten, 
andererseits um die leidenden Partien warm, 
kalt oder feucht zu erhalten, und endlich 
wurde sie in der früheren Zeit verwendet, um 
als Aufsaugungsmittel für die abfliessenden 
Secrete zu dienen. Man hat einfache und ge¬ 
spaltene Compressen. Letzterer bedient man sich 
namentlich bei Amputationen. Sie werden 
derart angelegt, dass der Knochen nach Durch¬ 
schneidung der Weichtheile zwischen den 
Spalt zu liegen kommt, die letzteren aber 
ganz von der Compresse bedeckt werden, wor¬ 
auf erst die Durchsägung des Knochens vor¬ 
genommen wird. Sind zwei Knochen zu durch¬ 
trennen, so verwendet man die doppelt ge* 
spaltene Compresse, wobei der mittlere Lappen 
derselben zwischen den beiden Knochen hin¬ 
durchgesteckt wird. Bayer. 

Compre88ion der Lungen kommt zustande 
durch in dem Thorax angesamraelte chronische 
Transsudate (Brustwassersucht, Hydrothorax) 
oder acute entzündliche Exsudate, durch in 
den Thorax ergossenes Blut oder von aussen 
bei penetrirenden Brustwunden oder Durch¬ 
bruch von mit Bronchien comraunicirenden 
Cavemen eingedrungene Luft (Pneumothorax), 
durch grosse an der Brustwand oder an den 
Bronchien sitzende Neubildungen (Sarcome, 
Krebse, Lipome etc.), durch Ueberfüllung des 
Magens und Darms mit Futterstoffen oder 
Gasen (bei Koliken) und Vordrängen des 
Zwerchfells in die Brusthöhle oder bei Zer- 
reissungen des Zwerchfells durch Vorlagerung 
des Magens, Darms und der Leber in die 
Brusthöhle (Zwerchfellbrüche). Je nach dem 
Grade und der Ausdehnung der Comprcssion 


— CONCHA. tli 

kommt es zu Athmungsbeschwerden, Dispnoe 
oder Asphyxie. Der Tod durch Asphyxie er¬ 
folgt bei totaler Compressidn der Lungen 
durch excessive Gasentwicklung im Magen 
und Darm, Vordrängung und Lähmung des 
Zwerchfells und bei Anfüllung des Thorax 
mit Flüssigkeiten oder Luft. (Darauf beruht 
das Tödten durch Einblasen von Luft in den 
Thorax.) Bei drohender Asphyxie durch Gas¬ 
entwicklung im Magen und Darm ist der 
Magen- oder Darmstich zu versuchen und bei 
Erstickungsgefahr durch Wasseransammlung 
im Thorax ist die Paracentesis und Ent¬ 
leerung der Flüssigkeit angezeigt. Semmer . 

Compre88or (von comprimere, zusammen¬ 
drücken), der Zusammendrücker, ein Körper, 
der durch active Thätigkeit (z. B. Contrac- 
tion) oder sein Gewicht, Spannung etc. auf 
seine Nachbarschaft drückt. Sussdarf. 

Compre88orium ist ein jedes Werkzeug 
oder Vorrichtung, welche auf ihre Unterlage 
einen Druck austtbt, somit ein jeder Druck¬ 
verband (Compresse, s. d.). Sussdorf. 

Conarium (griech. xb xiuvapiov, Deminut. 
von 6 xä>voc, Kegel), urspr. jeder kleine kegel¬ 
förmige Körper, wurde von Galen schon die 
Zirbeldrüse (s. Gehirn) genannt. Sussdorf. 

Concentrirtea Futter. Solche Trocken- 
Futtermittel, deren Trockensubstanz grossen- 
theils aus verdaulichen Stoffen (Nährstoffen) 
besteht, die also nur geringe Mengen von 
Roh- oder Holzfaser- und sonstigen unverdau¬ 
lichen (Ballast-) Stoffen enthalten; z. B. Kör¬ 
ner, getrocknete Biertreber, Oelkuchen, Kleie 
u. dgl., Fleischmehl, getrocknetes Blut. Pott. 

Conceptaculum, Perithecium oder Pyre- 
nium nennt man bei Pyrenomyceten, z. B. bei 
Claviceps die bim-, krug-, eiförmigen u. s. w. 
Behälter oder Kammern, welche die Schläuche 
enthalten. Sie laufen an ihrer Mündung (Peri- 
stomium) zuweilen in einen langen Halsfortsatz 
aus; ihre äusserste Schichte, die sogenannte 
Rinde, entwickelt manchmal eigenthümliche 
Haare und Borsten. Harz. 

Conception (von concipere), die Empfäng¬ 
nis, Befruchtung, bezeichnet den Vorgang 
des Eindringens des Spermafadens in die reife 
Eizelle, also die erfolgreiche Begattung. Sf 
Concha (griech. ij xo^X 7 )* Muschel), ein 
anatomischer Terminus für muschelähnliche 
Gebilde, z. B. C. auris, Ohrmuschel; C. nasi, 
Nasenmuschel etc. Bei Plautus auch für das 
weibliche Glied. In Zusammensetzungen wird 
es ebenfalls gefunden wie in 

Conchotomie, dasOhrencoupiren, „Mäu- 
seln u . Sussdorf 

Von den älteren Naturforschern wurde 
der Name Conchae, Muschelschale, auf 
alle zweischaligen Weichthiere und selbst 
einschalige angewendet. Linnd beschränkte 
die Bezeichnung auf die zweischaligen Mu¬ 
scheln. Deshayes wandte sie nur noch auf eine 
Familie der Blätterkiemer an, indem er unter 
diesem Namen die Gattungen Pullastra, 
Venus, Grateloupia, Cytherea, Thetis, Dosinia, 
Cyclina vereinigt. In dem gegenwärtig herr¬ 
schenden System wird der Name nicht mehr 
! angewendet, die meisten der oben genannten 

14* 


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Sit CONCHININUM. — 

Gattungen fallen in die Familie der Venus- 
muscheln, Veneridae. Studer. 

Die Muschelschalen siudin den Apo¬ 
theken vorräthig und präparirt; sie enthalten 
ähnlich wie die Krebssteine, Korallen, Tinten- 
fischschalen (Sepia), Marmor u. s. w. nur 
kohlensauren Kalk, Kreide. Vogel. 

Conchininum, s. Cinchona, ebenso Con- 
chinidinum. 

Conchiolin, von Concha, Muschel, heisst 
die Substanz, welche zum grössten Theile die 
organische Grundlage der Muschelschalen bil¬ 
det; sie ist unlöslich in Wasser, Alkohol, 
Essigsäure, verdünnten Alkalien und Mineral¬ 
säuren und enthält 46—17% Stickstoff. Beim 
Kochen mit Schwefelsäure erhält man nur 
Leucin als Spaltungsproduct, kein Glycocoll, 
kein Tyrosin und keinen Zucker. Locbisch. 

CoRCOCtio (von concoquere, verdauen), 
Verdauung. Sussdorf. 

Concomltans (pari von concomitari, abgel. 
von con und comes, resp. comitare oder comi- 
tari), begleitend, z. B. in Arteria concomi- 
tans, Begleitarterie. Sussdorf 

ConcreneRte sind stein- oder kreideartige 
Massen, die sich durch Niederschläge aus 
Flüssigkeiten in Höhlen und Canälen bilden, 
aus phosphor8aurern und kohlensaurem Kalk, 
Magnesia, Schleim, Eiweiss, Zellen und 
anderen organischen Substanzen bestehen und 
mit kleinen, Flüssigkeiten oder Luft enthal¬ 
tenden Lücken durchsetzt sind. Concremente 
bilden sich bei katarrhalischen Zuständen und 
in Folge eingedrungener fremder Körper und 
Parasiten. Concremente trifft man am häufig¬ 
sten in den erweiterten und verdickten Gallen¬ 
gängen bei der Leberegelseuche der Rinder 
und Schafe, in der Leber der Pferde und Ka- 
meele um untergegangene Echinococcusblasen, 
im Nierenbecken bei Katarrhen desselben (aus 
phosphorsaurem, harnsaurem und oxalsaurem 
Natron, Kalk, Ammoniak und Magnesiasalzen), 
in den Lungen bei chronischen Bronchial¬ 
katarrhen, in den Luftsäcken (als Chondroide) 
und in den Mandeln bei katarrhalischer Ent¬ 
zündung dieser Organe, in den Venen (Venen¬ 
steine), in Folge von Thrombose, in den Mus¬ 
keln, um untergegangene Parasiten (Trichinen, 
Finnen, Actinomyces, Aspergillus, Haplococcus 
recticulatus | ZopfJ und anderen), besonders im 
Schweinfleisch, in den weiblichen Geschlechts- 
theilen bei katarrhalischen Zuständen. Bei 
Hunden, die viel Knochen verzehren, bilden 
sich oft massenhafte, aus den ungelösten Kno- 
chcnsalzen bestehende Concremente im Mast¬ 
darm, die zuweilen unheilbare Verstopfungen 
und den Tod veranlassen können. Die Con¬ 
cremente in den schleimhäutigen Canälen geben 
oft den Ausgangspunkt zur Entwicklung von 
Steinen. Semmer. 

Concrescentia (von concrescere), Ver¬ 
wachsung, bezeichnet 1. die Verschmelzung 
(Confluenz) lebendiger Protoplasmastücke zu 
einem einzigen, wie sie bei niederen Thieren 
und während der Entwicklung der Säuger 
als Verschmelzung einzelner Segmente oder 
Metameren vorkommt; 2. die Verkittung 


CONDENSANTIA. 

der Gewebselemente miteinander durch Zell¬ 
kitt; 3. auch die organische Verbindung 
etrennter Zellen, Schichten, Organe (Bil- 
ung physiologischer Nähte), ja selbst mor~ 
hologischer Individualitäten (z. B. bei den 
chwämmen) geht unter diesem Namen. Sf. 

Concretlo (von concrescere), Verwachsung, 
Verdichtung, daher auch der Vorgang der 
Concrementbildung. Adj. concretus. Sf. 

ConcretiORen im Schweinefleisch sind ent¬ 
weder nur mikroskopisch, oder auch mit blos¬ 
sem Auge bereits sichtbare, runde, ovale oder 
strichförmige Niederschläge von Kalksalzen 
um lebende oder untergegangene Parasiten 
herum. Die im Schweinefleisch lebenden Para¬ 
siten, Finnen, Trichinen, Psorospermienschläu* 
che (Raynerische oder Miescherische Schläu¬ 
che) und Pilze (Aspergillus, Actinomyces, 
Haplococcus) kommen in frischem Zustande 
frei und ohne Kapseln vor, oder sie sind in 
Kapseln eingeschlossen, die nachher ver¬ 
kalken. Die Kalkablagerung um die einge- 
kapselte Muskeltrichine herum beginnt mit 
dem dritten und endigt mit dem zwanzigsten 
Monat nach erfolgter Einwanderung. Die ver¬ 
kalkten Kapseln der Muskeltrichine bilden 
kleine, weisse, unter der Lupe oder auch mit 
blossem Auge sichtbare Pünktchen im Muskel¬ 
fleisch und nach Auflösung der Kalkhülle durch 
Salzsäure kommt unter dem Mikroskope die 
eingekapselte Trichine zum Vorschein. Ausser 
den verkalkten Kapseln der Muskeltrichinen 
gibt es noch eine Menge von Concretionen 
in den Schweinemuskeln um untergegangene 
Parasiten herum. Theils sind es solche Para¬ 
siten, die in den Muskeln nicht recht ge¬ 
deihen, wie Echinococcusblasen, Cysticercus 
tenuicollis u. a., theils auch untergegangene 
Finnen (Cysticercus cellulosae), Psorosper- 
inienschläuchc, Pilzwucherungen, die nachher 
mit Kalksalzen incrustirt werden und kleine 
(bis stecknadelkopfgrosse) weisse oder gelbe 
Kalkknötchen bilden, in welchen der unter¬ 
gegangene Parasit oft nicht mehr nachzu¬ 
weisen ist. Semmer. 

Concussio (von concutere), Erschüt¬ 
terung. Sussdorf. 

CondeR8antia, eine Classe von Arznei¬ 
mitteln, welche jene Gase, die bei Störungen 
der Verdauung sich in excessiver Menge im 
Magen und Darm anhäufen und so recht ge¬ 
fährlich werden können, entweder mechanisch 
oder chemisch binden, sie also vermöge einer 
besonderen Verwandtschaft aufnehmem und 
auf einen kleineren Raum verdichten, con- 
densiren. Da es sich hauptsächlich um Kohlen¬ 
säure und Kohlenwasserstoffe, seltener um 
Schwefelwasserstoff u. dgl. handelt, so kommen 
hier jene Arzneimittel besonders in Betracht, 
welche diese aufzunehmen befähigt sind, also 
namentlich Kohle, Magnesia, Schwefelkalium 
und die Alkalien überhaupt, die Condensantien 
fallen daher in der Hauptsache mit den Ab- 
sorbentien zusammen, aber auch die Kälte 
in Form von kaltem Wasser (innerlich und 
äusserlich angewendet) vermag sehr die Gase 
auf ein geringeres Volumen zu reduciren, 
sie ist daher ein äusserst geschätztes Mittel 


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CONDENSATIO. — CONDITORWAAREN. 


213 


aberall da, wo es sich um Bekämpfung me- 
teoristischer Vorgänge handelt, während die 
Bitterstoffe, die Aethereo-Oleosa und Anti- 
septica die Mittel sind, die Bildung solcher 
Gase zu hintertreiben Vogel. 

CoRden8atio (von condensare), Verdich¬ 
tung als Uebergang in einen dichteren Ag¬ 
gregatzustand. Sussdorf. 

Condensirte Milch, s. Milch. 

Condensor, s. Abbö’scher Beleuchtungs¬ 
apparat. 

Condition (Conditio, condicio, Zustand, 
Beschaffenheit; condere, einrichten) wird in 
hippischer Beziehung in einer doppelten Be¬ 
deutung, u. zw. in der allgemein gebräuch¬ 
lichen für den Gesammteindruck angewendet, 
welchen ein Pferd bezüglich seines Aussehens, 
seines Nährzustandes, seiner Pflege und War¬ 
tung überhaupt und bezüglich seiner alltäg¬ 
lichen Leistungsföhigheit im Besonderen macht; 
und in der engeren und eigentlicheren Be¬ 
deutung, welche den Zustand des Pferdes für 
die Turf- und Sportseigenschaft näher kenn¬ 
zeichnet und in letzter Linie gleichsam für 
eine bestimmte Zeit und Gelegenheit das 
Summum der Leistungsfähigkeit eines Pferdes 
ausdrückt. Im alltäglichen und im sports - 
männischen Sinne soll bezüglich der Condi¬ 
tion darauf hingewirkt werden, dass ein Pferd 
entweder dauernd (Arbeits- oder Militärpferd) 
oder periodisch (Rennpferd) so gehalten und 
verwendet werde, um für die speciellen Ar¬ 
beitszwecke auf eine bestimmte Hohe der 
Leistungsfähigkeit gebracht werden zu kön¬ 
nen, was natürlich für die verschiedenen Ver¬ 
wendungen des Pferdes auch in verschie¬ 
denen Methoden zu geschehen hat. Man 
unterscheidet eine „gute“, eine „mindere“ 
und „schlechte Condition“, beziehungs¬ 
weise gebraucht man am Turfe für letztere 
Bezeichnung auch den Ausdruck „ausser Con¬ 
dition“. Alle jene Momente, die in irgend 
welcher Beziehung die Leistungsfähigkeit des 
Pferdes zu beeinträchtigen vermögen, müssen 
vermieden und daher genau gekannt sein, so¬ 
wie umgekehrt alle jene Umstände, welche 
das Leistungsvermögen zu erhöhen im Stande 
sind, wohl erwogen und methodisch in An¬ 
wendung gebracht werden sollen. Nichtent¬ 
sprechender Stallaufenthalt oder dauernder 
Weidegang, nicht zusagendes oder schlechtes, 
sowie übermässig viel oder blähendes, den 
Kreislauf beeinträchtigendes Futter, mangel¬ 
hafte Bewegung und in Folge dessen reich¬ 
licherer Fettansatz und zu massige dostige 
Entwicklung überhaupt oder überangestrengte 
Arbeiten beeinträchtigen die Condition des 
Pferdes vom leistungsfähigen Standpunkte, 
die Condition ist also dann eine schlechte; 
während dagegen angemessen beschaffener 
Stall, zusagendes und dabei substantiöses 
Futter in angepasster Menge, methodische Be¬ 
wegung und Arbeitsleistung die Thiere ent¬ 
sprechend abhärtet, deren Sehnen und Muskeln 
stählt, unnöthigen Fettansatz verhindert, den 
Athem frei, den Hinterleib leicht, die Formen 
und deren Uebergänge ebenmässiger und den 
Tritt räumiger macht, sohin, wie man im ge¬ 


wöhnlichen Leben sich ausdrückt, in „gute 
Condition“ setzt. 

In guter, d. h. für ihre Zwecke vollkommen 
leistungsfähiger Condition sollen „ständig“ 
die Arbeitspferde überhaupt und die „Militär¬ 
pferde“ und in angemessener Art auch die 
Zuchtthiere insbesondere gehalten werden. 
Am Turfe dagegen ist die Condition, vom sports- 
männischen Standpunkte aus betrachtet, sohin 
mehr für ganz specielle und temporäre Zwecke 
angestrebt, anders aufzufassen, und das Setzen 
des Pferdes in gute Condition als Renn- oder 
Traberpferd auch anders als gewöhnlich, d. h. 
durch das Training zu erzielen, weil das 
Pferd im Rennen das Beste zu leisten hat, 
was dasselbe überhaupt zu leisten fähig ist. 
In diesem Falle wird daher die Maximal¬ 
leistung des Renners (Trabers) für eine be¬ 
stimmte Zeit und für eine verhältnissmässig 
kürzere Dauer gefordert und das Thier zu 
diesem Zwecke methodisch durch das Trai¬ 
ning derart in die geforderte Condition ge¬ 
setzt, dass das Pferd für den Renntag (Renn¬ 
tage), daher am Ende des Training auch am 
Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit für die 
bestimmte Periode angelangt und so für den 
Turf in „gute Condition“ gesetzt ist. Weil es 
nicht möglich ist, ein Pferd fortdauernd in 
guter Condition im vorstehenden Sinne der 
Maximalleistung zu halten, da in kurzer Zeit 
ein auffallender Rückgang in dieser Leistung 
durch Kräfteconsumtion eintreten würde, 
muss das Training so eingerichtet werden, 
dass die sog. „gute Condition“ für den Turf 
eben rechtzeitig erreicht wird. Die gute Con¬ 
dition ist für das Rennen (Traben) das Wich¬ 
tigste, weil das beste Pferd „ausser Condition“ 
oft mit Leichtigkeit von einem minderen, 
aber ad hoc in guter Condition stehenden 
Pferde geschlagen werden kann. In der Turf¬ 
sprache unterscheidet man mehrere Arten, 
nämlich beste, gute, ausreichende, leid¬ 
liche, zu geringe und schlechte Condition; je¬ 
doch werden diese Arten in praxi sehr 
reducirt, indem man einfach sagt: Das Pferd 
ist in Condition — was so viel wie „gute 
Condition“ bedeutet — oder es ist nicht in 
Condition. Lechner. 

Conditorwaaren (hygienisch). Allgemein 
herrscht die Ansicht, dass die Conditorwaaren 
nur durch giftige Färbemittel schädlich 
werden können, doch zeigt die Erfahrung, 
dass auch die Rohmaterialien der Conditor¬ 
waaren häufig in betrügerischer Absicht mit 
minderwerthigen verdaulichen und unverdau¬ 
lichen Zusätzen versetzt werden. Die zur 
technischen Begründung des Gesetzentwurfes 
gegen die Vermischung der Nahrungs- und 
Genussmittel der deutschen Legislative im 
Jahre 1879 vorjrelegten Materialien umfassen 
folgende Artikel unter dem Titel Conditor¬ 
waaren: 1. Backwaaren: Ruthen, Torten, 
Leb- und Honigkuchen; 2 . Confect: a) Mar¬ 
zipan, candirte Früchte, Pralinöes, Choco- 
ladenplätzchen. b) aus essbarem Material 
dargestellte plastische Nachbildungen von 
allerlei Gegenständen; 3. Bonbons: Drops 
mit und ohne Füllung; 4. Fruchtsäfte: Ge- 



! 214 


CONDROZ-PFERD. — CONDYLOME. 


ldes,Limonaden; o.Liqueure; ß.Gefrornes; 
7. Pasteten* 8. Pastillen und Dragöes, 
überzuckerte Samen. — Bei den Backwaaren 
geschieht die Fälschung durch geringwerthiges 
Mehl, dem überdies Gyps, Kreide oder Schwer- 
spath zugesetzt wird. Das den Windbäckereien 
zur Lockerung des Gefüges als Backpulver zu¬ 
gesetzte kohlensaure Ammon (Hirschhornsalz) 
kommt im Haiidel häufig bleihaltig vor und 
hat auch schon zu Bleivergiftungen Anlass 
gegeben. Beim Bereiten der Honigkuchen 
wird häufig statt Honig der billige Kartoffel¬ 
zucker genommen. Die nach bitteren Mandeln 
schmeckenden Zuckerwaaren und Liqueure 
erhalten diesen Geschmack statt von Mandeln, 
Pfirsichen und Kirschsäften durch den Zu¬ 
satz von natürlichem oder künstlichem Bitter¬ 
mandelöl (s. d.), welche beide sehr giftige 
Stoffe sind. In den Bonbons wurden bis zu 
25% Zusätze von Thon oder Sand gefunden, 
die englischen Pfeffermünzzeltchen enthalten 
nach Thompson 20% Gyps. Der Geruch der¬ 
selben rührt von den künstlich dargestellten 
Fruchtäthera her, die im Uebermasse genossen 
Kopfweh verursachen. Das Gefrorne soll 
nur in Gefässen von reinem Zinn oder solchen, 
die gut emaillirt sind, bereitet werden. Der 
hohe Preis der natürlichen Fruchtsäfte hat 
ebenfalls der künstlichen Erzeugung derselben 
Vorschub geleistet. Als Färbemittel wird für 
die rothen Fruchtsäfte und Liqueure Fuchsin 
benützt, welches häufig arsenhaltig ist 
(s. Fuchsin). Bei allen Conditorwaaren ist 
die Möglichkeit der Färbung mit schädlichen 
und theilweise giftigen Substanzen gegeben. 
Trotzdem die Benützung giftiger Farben ge¬ 
setzlich verboten ist, so kommt dies doch 
theils aus Unkenntniss, theils aus Nach¬ 
lässigkeit vor. Es ist daher die Kenntniss 
der in der Conditorei benützten giftigen und 
nicht giftigen Färbemittel von sanitäts- 
polizeilichera Interesse. Man wendet an für 
Weiss, nicht giftig: Stärkemehl, feinstes 
Weizenmehl, gebrannte Magnesia, präparirte 
Austern schalen; giftig: Bleiweiss und Zink- 
weiss, Schwerspath. Für Roth, nicht gif¬ 
tig: Cochenille, Carmin, Fernämbuck, Al- 
kanawurZel, wegen seiner Unlöslichkeit auch 
Zinnobet, doöh ist dieser manchmal mit der 

Ö en Mennige gefälscht; giftig: Mennige, 
irroth und Chromroth, Florentinerlack 
(arsenhaltig). Für Gelb, nicht giftig: 
Reiner Eisenocker, Musivgold, Blattgold, Cur¬ 
cumawurzel, Saflor, Safran; giftig: Chrom¬ 
gelb, Bleiglätte, Auripigment, Schwefelcad¬ 
mium, Gummigutti und Pikrinsäure. Für Blau, 
nicht giftig: Indigo, Berlinerblau, Lack¬ 
mus, Smalte, Ultramarin (letzteres entfärbt 
sich in Berührung mit Säuren und entwickelt 
hiebei Schwefelwasserstoff, soll daher auch 
nicht benützt werden); giftig: Die kupfer¬ 
haltigen Farben, ferner arsenhaltige Smalte. 
Für Grün, nicht giftig: Die betreffenden 
Gemische der obengenannten blauen und gelben 
Farben, Spinatsaft; giftig: Grünspan, Schwein- 
furtergrün, Mischungen von Berlinerblau und 
Chromgelb, bleihaltiger grüner Zinnober. Für 
Violett, nicht giftig: Gemisch von Ber¬ 


linerblau mit Carmin, Lackmus, Cochenille 
mit Kalk wasser; giftig: Gemische aus giftigen 
rothen und blauen Farben. Ueberdies sind auch 
die gefärbten Papiere, welche zum Einwickeln 
derConditoreiwaaren gebraucht werden, häufig 
gesundheitsschädlich. Loebtsch . 

Condroz-Pferd, s. Belgisches Pferd. 

Condnctor(von conducere), Führer, Leiter, 
u. zw. in der Chirurgie, gewissermassen als 
Wegweiser für andere Instrumente (Hohlsonde 
ist der Conductor für das Messer) oder als 
Ueberträger, z. B. des elektrischen Stromes, 
von Ansteckungsstoffen etc. Sussdorf, 

Condurango, die Rinde einer Asklepiadee 
des tropischen Amerikas (Anden) von der 
Pflanzengattung Macroscepis, Gonolobus Con¬ 
durango; 

Cortex Condurango. Das Mittel ge¬ 
hört, seinen chemischen Bestandteilen zu 
Folge, die jedoch noch nicht näher bekannt 
sind, zu den schleimigen Amara’s und hat 
ähnliche Wirkungen, wie das isländische 
Moos, die Kreuzblume (Polygala amara), der 
Huflattig, Kalmus, die Cascarille, Colombo- 
wurzel u. s. w.; die seitherigen Erfahrungen 
haben dargethan, dass sie zu den besseren 
stomachischen Mitteln gerechnet werden kann, 
die der Rinde vindicirten Eigenschaften eines 
Krebsmittels aber nicht weit her sind. Thier- 
ärztliche Anwendung hat die Drogue ihres 
Preises wegen bis jetzt kaum gefunden. VI. 

Condyle = Kordyle (*} xopSoXYj), Boule, 
Tumor. Sussdorf\ 

Condylome (von xovßoXwjxa, Geschwulst), 
weiche Papillar- oder Zottengeschwülste, be¬ 
stehen aus zarten, einfachen oder verästelten 
Bindegewebsstämmchen, welche sehr reichliche 
weite Capillaren enthalten und mit einem ein- 
oder mehrschichtigen weichen, dünnen, nicht 
verhornten Pflaster- oder Cylinderepithel be¬ 
kleidet sind. Sie bilden meist kleine, breite 
oder gestielte zottige, kuglige, lappige oder 
polypöse weiche, leicht blutende Massen und 
entwickeln sich meist auf Schleimhäuten, sel¬ 
tener auf serösen Häuten. Condylome kommen 
am häufigsten vor an der Innenfläche des 
Präputiums und an der Glans penis bei Hun¬ 
den und Pferden, bei welchen letzteren sie 
häufig in Krebse übergehen; ferner in der 
Harnblase, besonders bei Rindern, wo sie leicht 
bluten und zu chronischem unheilbarem Blut¬ 
harnen Anlass geben; ausserdem trifft man Con¬ 
dylome an in den weiblichen Genitalien, be¬ 
sonders bei Hündinnen, in der Rachen- und 
Nasenhöhle, im Kehlkopf und Mastdarm (als 
Polypen), an den Lippen und an der Vulva. 
Bei Pferden finden sich oft am Peritoneum 
und dem Peritonealüberzuge der Baucheinge¬ 
weide kleine, zottige, gefässhaltige, mit Endothel 
bekleidete Wucherungen, die ihrem Bau nach 
den Schleimhautcondylomen entsprechen. Auch 
an den Gelenkflächen kommen bei chronischen 
Entzündungen fungöse Wucherungen vor, die 
Aehnlichkeit mit Condylomen besitzen. Behand¬ 
lung : Bei den zugänglichen Schleimhautcon¬ 
dylomen operative Entfernung mit nachheriger 
Aetzung der Operationsstelle. Semmer. 



C0NDYLU8. — 

CMdylus (6 xovSoXos, eigentlich die 
äussere Erhöhung der Gelenke, Gelenk selbst), 
Gelenkknopf, als ein rundlicher walsenähn¬ 
licher Gelenkfortsatz. Sussdorf. 

Conestoga-Pferd, wird in Pennsylvanien 
gezüchtet und gilt mit Hecht für eines der 
grössten nnd schwersten in Nordamerika. Die 
fragliche Rasse liefert vortreffliche Lastpferde, 
welche von der Handelswelt in den grossen 
Städten gern* gekauft und gut bezahlt werden. 
Ihre Höhe schwankt zwischen 1’75 und 1*80 
Meter. Bei guter Ernährung werden sie 15 bis 
18 Ctr. schwer. Trotz dieses grossen Ge¬ 
wichtes sind die Thiere rasch und lebendig, 
zeigen auch eine noble Haltung und sollen 
der Stolz der pennsylvanischen Viehzüchter 
sein. Meistens sind diese Pferde von brauner oder 
schwarzbrauner Farbe, doch kommen auchSchim- 
mel nicht selten unter ihnen vor. Kopf und Hals 
der Thiere sind leicht zu nennen im Vergleiche 
zu der Grösse und Stärke des Rumpfes. Be¬ 
sonders breit ist ihr Hintertheil. Mähnen- und 
Schweifhaare sind reich entwickelt, ebenso 
auch der Behang an den Unterfüssen. Ihr Huf 
ist gross und rund, wie beim englischen Kar¬ 
renpferde, von welchem sie sich aber sonst durch 
grössere Länge der Quarters und feinere Schul¬ 
tern unterscheiden. Ihre hübschen, ziemlich leich¬ 
ten Gänge lassen nichts zu wünschen übrig. Zur 
Feldarbeit verwendet der amerikanische Farmer 
gern die leichteren Pferde dieses Schlages. 
Die englischen Karrenhengste „Chester-Courty- 
Lion“ und „English Bull“ haben wahrschein¬ 
lich viel zur Verbesserung der alten Cone- 
stoga-Rasse beigetragen. Schwarznecker ver- 
muthet, dass ihre Voreltern aus Flandern oder 
Gelderland nach Amerika übergeftthrt worden 
sind. Freytag. 

Conferenz, d. i. Beratschlagung oder 
Geschäftsunterredung über irgend einen Gegen¬ 
stand von Wichtigkeit und besonderem In¬ 
teresse im Staats- oder Volksleben, wozu sich 
Regierungsbeamte, Volksvertreter oder Privat¬ 
personen an irgend einem Orte versammeln 
und über das aufgestellte Thema berathen und 
Beschluss fassen. Auf Anregung der k. k. 
österreichischen Regierung im diplomatischen 
Wege wurde vom 16. März bis 2. April 1872 in 
Wien eine internationale Veterinär-Conferenz zur 
Erzielung eines gleichförmigen Vorgehens gegen 
die „Rinderpest“ abgehalten. Die Regierungen 
von Belgien, Deutschland, Frankreich, Gross¬ 
britannien, Italien, Rumänien, Russland, Schweiz, 
Serbien, Türkei und Ungarn erklärten ihren 
Beitritt, bezeichneten ihre Delegirten, und 
wurden die weiteren Einleitungen behufs der 
Conferenzverhandlungen vom Ackerbauminister 
Johann Ritter von Chlumecky übernommen, 
welcher auch den Vorsitz bei den Plenarver¬ 
sammlungen führte. Zur Grundlage der Ver¬ 
handlungen wurden 65 Fragen, die vom k. k. 
Thierarznei-Institut in Wien entworfen worden 
sind, aufgestellt, wozu sich von den Delegirten der 
vertretenen Regierungen zwei Comitds bildeten, 
von denen das eine die Fragen der Präven¬ 
tion, das andere jene der Repression beriethen, 
um darnach an das Plenum bestimmte Anträge 
zu stellen. Der Zusammentritt der Delegirten 


CONFORMITÄT. 215 

erfolgte am 16. März und wurde in der an 
diesem Tage stattgefundenen ersten allge¬ 
meinen Sitzung beschlossen, über jede Frage 
nach Staaten abzustimmen, um darüber Klar¬ 
heit zu erlangen, welcher Staat durch seine 
Vertreter für oder wider eine Frage sich ent¬ 
scheide. Präsident des ersten Comitds war 
Professor Roll, Wien, und Schriftführer für 
dasselbe Professor C. Müller, Berlin; Prä¬ 
sident des zweiten war Professor Zangger, 
Schweiz, und Schriftführer Professor Franz 
Müller, Wien. Die Verhandlungen wurden in 
deutscher und französischer Sprache geführt, 
und auch die Protocolle in beiden Sprachen 
abgefasst. Nach Durchberathung der 65 Fra¬ 
gen wurden als Anhang zu den Conferenzver¬ 
handlungen die Grundsätze für ein inter¬ 
nationales Regulativ zur Tilgung der Rinder¬ 
pest zusammen gestellt und den verschiedenen 
Regierungen mitgetheilt, welche auch meistens 
als Grundlage zur Ein- und Durchführung von 
Gesetzen zur Tilgung und Abhaltung der Rinder¬ 
pest in den europäischen Staaten dienten. Abr. 

Conformatfo (von conformare, harmonisch 
einrichten), in der Chirurgie die Einrichtung 
gebrochener oder luxirter Knochen. Sussdorf. 

Conformität der Rassen. An allen Orten, 
wo längere Zeit mit Geschick und Aufmerk¬ 
samkeit die Züchtung von Hausthieren betrie¬ 
ben worden ist. nimmt man gewöhnlich eine 
Consolidirung aer Rasse, eine Geschlossenheit 
der Zuchten und somit auch eine Conformität 
aller Individuen der Rasse wahr. Dieses zu 
erreichen, ist das Ziel einer jeden rationellen 
Thierzucht und es wurde solches an verschie¬ 
denen namhaften Zuchtplätzen, Gestüten etc. 
bereits vor längerer Zeit errungen, oft zwar 
erst nach langjährigen Bemühungen und Dar¬ 
bringung grosser Opfer. Man unterscheidet 
mit Recht die Rassen - Consolidation und 
Herden-Conformität von dem Begriffe der Con- 
stanz. Leistungsfähigkeit ist bei den meisten 
Rassen und Zuchten unserer Hausthiere das 
Wichtigste und eine Uebereinstimmung der 
Leistungsfähigkeit aller Thiere eines Stammes 
zu erreichen, das höchste Ziel, welches sich der 
Züchter einer Rasse stecken kann. Eine äusserat 
sorgfältige Auswahl der miteinander zu paaren¬ 
den Thiere ist vor allem Andern nothwendig. 
Die Uebereinstimmung der Leistungsfähigkeit 
muss durch genaue Prüfungen festgestellt 
werden. Zweckmässige Haltung und rationelle 
Ernährung müssen eine jede Zucht unter¬ 
stützen; denn es geht bekanntlich ein Thier¬ 
stamm sehr schnell im Werthe zurück, wenn 
jene Factoren zu wirken aufhören; selbst die 
sorgfältigste Wahlzucht reicht nicht allein 
aus, eine Heerde oder Familie auf ihrer Höhe zu 
erhalten; sie muss durch zweckmässige Er¬ 
nährung etc. unterstützt werden. So z. B. wird 
man die englischen Southdown-Schafe an solchen 
Orten kaum wieder erkennen, wo sie längere 
Zeit — Generationen hindurch — unzweck¬ 
mässig ernährt und schlecht gehalten wurden, 
wenngleich man sonst bei der Auswahl der Böcke 
und Mutterthiere sehr streng zu Werke ging. 

Die Conformität der Individuen wird an 
denjenigen Plätzen am grössten sein, wo 


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216 CONFÜSÜS. — 

Wahlzucht l&ngere Zeit mit Sorgfalt betrieben 
und stets das Leistungsfähigere vereinigt wor¬ 
den ist. Die älteren Zuchten sind den jün¬ 
geren in der Regel weit überlegen. Ein Stamm 
kann nur dann zur Conformität gelangen, wenn 
demselben Zucht noch Leistung zu statten 
kommt. „Rassen - Consolidation und Herden- 
Conformität 44 gewähren an und für sich keine 
Sicherheit für das Gleichbleiben der Eigen¬ 
schaften durch Generationen, weil ganzen Zuch¬ 
ten, Stämmen, Schlägen oder Rassen eine 
potencirte Vererbungskraft niemals eigen ist, 
vielmehr die Individuen auch der ältesten 
Zucht im Durchschnitte kein stärkeres Ver¬ 
erbungsvermögen besitzen, als es den Thieren 
überhaupt von der Natur verliehen wurde (re¬ 
guläre Vererbung). Die Neigung zur Abwei¬ 
chung in Formen und Eigenschaften arbeitet 
in den jüngeren und ältesten Rassen mit 
gleichmässiger, stetiger Beharrlichkeit. Lässt 
der Kampf der Züchtung gegen diesen die 
Conformität lockernden Einfluss nach, so 
ist’s um den Vorzug der Zucht, und wäre sie 
noch so alt, geschehen. Die Abweichungen 
mehren sich, und in kurzer Zeit hat man es 
wieder mit den wechselnden Bildern uner¬ 
wünschter Eigenschaften und Eigentümlich¬ 
keiten zu thun, mit einem Unfertigen, von dem 
die Zucht einst ausging. Das lehren u. a. die 
wilden Pferde, welche in zahllosen Herden 
die Steppen Südamerikas beleben und sämmt- 
lich von wenigen im Jahre 1535 aus Spanien 
eingeführten Pferden abstammen sollen. Die 
Mannigfaltigkeit der Formen und Eigenschaften 
dieser Thiere ist so gross und die Gleich¬ 
artigkeit ihrer Stammeltern in dem Grade ver¬ 
loren gegangen, dass sich selbst bei Pferden 
desselben Gebietes aus Mangel an Conformität 
eine allgemeine Charakteristik nicht aufstellen 
lässt. (Settegatt und A. Hensel.) Für jeden 
Züchter ist es ohne Frage sehr wichtig, dass 
er bei seinem Thierstamme möglichst grosse 
Conformität der Individuen erreicht, da er 
dann auch auf Brauchbarkeit derselben zum 
Dienste und beim Verkauf (zu Zuchtzwecken) 
auf guten Absatz rechnen kann. Freytag, 
conf>$n$ (von confimdere, zusammen¬ 
giessen), verwirrt, unregelmässig, z. B. für 
Fieber und sonst typisch verlaufende Krank¬ 
heiten mit aussergewöhnlichen Zufällen. Sf, 
Congestion, Congestio, s. Fluxio (von 
congerere, zusammenführen, auf eine Stelle 
bringen; flucre, fliessen, hinströmen), d e r B1 u t- 
andrang oder die Blutwallung. Die 
Congestion besteht in einem verstärkten, aber 
bald wieder vorübergehenden Zuflusse arteriel¬ 
len Blutes zu verschiedenen Organen; der Vor¬ 
gang ist ein activer, er ist von der passiven 
Blutanhäufung in einzelnen Körpertheilen wohl 
zu unterscheiden; bei letzterer ist der Abfluss 
des Blutes aus bestimmten Ursachen erschwert, 
sie betrifft am häufigsten das venöse Blut und 
stellt die Hyperämie dar (s. „Blutfülle 41 ). 
Die Ursachen der Congestion geben Reizungs¬ 
zustände der Nervencentren und der Ge- 
fässnerven ab. Die Nervenreize bedingen 
primär eine Verengerung, secundär eine Er¬ 
schlaffung und Erweiterung der Gcfässhäute; 


CONGESTION. 

zu den erweiterten Arterien flieset das Blut 
beschleunigter hin, auch vermögen diese mehr 
Blut in sich aufzunehmen, die Folge davon 
ist ein grösserer Blutreichthum, also eine 
stärkere Röthung und Auftreibung der Gewebe, 
was mit einer erheblichen Steigerung der 
Temperatur verbunden ist. Die Andauer des 
Blutandranges ist stets eine kurze, der Zufluss 
hält nur einige Minuten oder höchstens einige 
Stunden an, um alsdann zur vollständigen 
Norm zurückzukehren und ohne wesentliche 
Alterationen in den Geweben zu hinterlassen; 
am leichtesten tritt etwas Serum in das Ge¬ 
webe aus, dasselbe wird aber stets wieder 
schnell resorbirt. In vielen Fällen bildet die 
Congestion das Initialstadium der Entzündung, 
sie führt dann zu Trans- und Exsudaten und 
mehr persistirenden Veränderungen der Gewebe. 
Aus diesem Grunde ist die Congestion in der 
Leiche nicht nachweisbar; selbst wenn man 
ein Thier während des congestionellen Anfalles 
tödten wollte, würde das Blut aus den Arte¬ 
rien in die Venen hinein gepresst werden und 
sich nur eine venöse Hyperämie nachweisen 
lassen. Recidiviren die Congestionen öfter, so 
führen sie mit der Zeit zu Gefässerschlaffiing, 
Gefässerweiterung, trägerBlutcirculation,Durch¬ 
feuchtung und Auflockerung des Gewebes, so 
dass das betreffende Organ vulnerabler, in 
seiner Widerstandskraft geschwächt wird und 
zu Gefässzcrreissung, Schlaganfallen und Ent¬ 
zündung disponirt. Sehen wir uns nach den 
ursächlichen Verhältnissen der Congestion um, 
so finden wir, dass die Menge des Blutes 
keinen Einfluss auf das Zustandekommen der¬ 
selben hat, denn eine künstliche Vermehrung 
des Blutquantums um das Doppelte vermittelst 
Transfusion vermehrt den Blutdruck nicht, er 
würde übrigens das Blut gleichmässig, wenn 
auch energischer, allen Körpertheilen zuftthren. 
Vollblütigkeit an und für sich kann somit 
keine Congestion zu Stande bringen, wohl 
aber influencirt hierauf eine ungleiche Ver¬ 
keilung des Blutes in Folge paralytischer 
Schwäche gewisser Gefässbezirke, bei welcher 
die Gefässwandun gen erschlaffen, so dass das 
Blut mit Heftigkeit in die Gefässe einströmt 
und die damit versehenen Organe in conge¬ 
stionellen Zustand versetzt. Dies beobachten 
wir ganz besonders in typhösen Krankheiten, 
in denen Congestionen nach äusseren Haut- 
districten, nach der Milz, den Gekrösdrüsen, 
der Darmschleimhaut, den Nieren etc. statt¬ 
finden; hier übt auch noch die alterirte Blut- 
composition ihren Einfluss aus, denn das theer- 
artige, mit Kohlensäure überladene Blut circulirt 
langsamer und neigt zu Stasen. Je mehr das Blut 
aber in einzelnen Theilen stagnirt, unter er¬ 
schwerenden Verhältnissen bei verstärkter Herz- 
thätigkeit und erhöhtem Seitendrucke in den 
Arterien circulirt, desto massenhafter strömt 
es anderen Theilen zu. Deshalb beobachten 
wir bei Degenerationen der organischen Ge¬ 
webe, bei Herz- und Lungenleiden Conge¬ 
stionen zum Gehirn und zu den Organen der 
Bauchhöhle, bei chronischen Leberleiden, Stö¬ 
rungen in der Verdauung, Magen- und Darm¬ 
katarrh, Kolik, Tympanitis, Darm Verstopfung etc. 


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CONGLOBATÜS. 

Flaxionen zur Lange and zu Gehirn and 
Rückenmark. Krampfhafte Contractionen der 
Maskein bedingen ebenfalls Congestionen zu 
inneren Organen, Tetanus ganz besonders nach 
den Langen. Das Zahnen verläuft stets unter 
Flaxionen zam Kopfe und Gehirn, so dass nicht 
selten das gesammte Nervensystem in Mit¬ 
leidenschaft gezogen wird. Nach der Geburt 
stellen sich gern Congestionen nach den Nerven- 
centren ein, desgleichen nach mechanischen 
Erschütterungen des ganzen Körpers, z. B. 
Niederstürzen, nach langen Transporten der 
Pferde auf der Eisenbahn, und nach heftigen 
Gemüthserregungcn. Hohe oder niedrige Luft¬ 
temperatur erhöht die Disposition zu arteriellen 
Fluxionen, heisse Sonnenstrahlen, die den Kopf 
anhaltend treffen, rufen sie nicht selten direct 
hervor, wie dies die Symptome des sogenann¬ 
ten Sonnenstichs bekunden. Rauhe, kalte, eisige 
Winde treiben das Blut aus der Haut nach 
innen; zudem gehören höhere Temperaturgradc 
innerhalb gewisser Grenzen zu den Stimulan- 
tien des Herzens. Starke Fütterung mit protein- 
reicher Nahrung (Körner- und Hülsenfrüchte, 
Fleisch, Eier etc.) und beständiger Aufenthalt in 
unreiner, verdorbener Stallluft disponirt gleich¬ 
falls zu Fluxionen, denn das Blut wird dick¬ 
flüssiger, eiweiss- und kohlensäurehaltiger und 
acquirirt die vom typhösen Blute bereits nam¬ 
haft gemachten Eigenschaften. Noch gefähr¬ 
licher werden Ueberladungen des Magens mit 
schwer verdaulicher Nahrung, bei ihnen kann 
sich die Gehirncongestion bis zur Apoplexie 
steigern. Ganz ähnlich wirken Vergiftungen 
mit Spirituosen und narkotischen Substanzen; 
hier folgen den Symptomen der arteriellen 
Flaxion zu den Meningen bald solche der Depres¬ 
sion der Gehirnthätigkeit, indem sich die arterielle 
Congestion schnell in venöse Hyperämie um¬ 
setzt. Viele und angestrengte Bewegung er¬ 
heischt auch eine höhere Thätigkeit der Lunge 
und des Herzens, verstärkte Herzthätigkeit er¬ 
leichtert aber den Blutzufluss zu den her¬ 
vorragend th&tigen Organen, die hier die 
Lungen sind. 

Symptome. Da, wo die Congestion äussere 
Theile, Haut und Schleimhäute, betrifft, beob¬ 
achten wir höhere Röthung, vermehrte Wärme 
und geringe Aufwulstung, öfter auch ein 
stärkeres Pulsiren der Arterien ohne ander- 
weite Schmerzäusserungen, weil es nicht zur 
Ablagerung entzündlicher Producte in die Ge¬ 
webe kommt, diese aber erst die Nerven 
reizen und belästigen. Der Eintritt der ge¬ 
nannten Symptome ist ein schneller, plötzlicher, 
die Andauer derselben eine kurze; in der Regel 
ist mit ihnen eine mehr oder wenige erheb¬ 
liche Aufregung des Pulses und der Respira¬ 
tion verbunden. Erfolgt die Congestion zum 
Kopfe und Gehirn, so bemerken wir Unruhe, 
ängstliches Benehmen, grosse Aufregung, höher 
geröthete Conjunctiva, glotzendes, thränendes 
Auge, stieren Blick, Fallen zur Erde, starkes 
Speicheln. Der nervösen Aufregung folgen 
gern Stumpfsinnigkeit und Betäubung. Con¬ 
gestionen zu den Meningeu des Rückenmarks 
sprechen sich durch Schwäche im Kreuz, 
wankenden Gang, mitunter durch Absatz eines 


- CONGO-SCHAF. 217 

blutigen Harnes aus, wenn die Nierengefässe, 
resp. die Nierennerven gleichzeitig erregt 
werden. Oefter stellt sich Tenesmus ein. After 
und Vagina werden hervorgepresst. Conge¬ 
stionen zu den Lungen verursachen eine alte- 
rirte, vorübergehend beschleunigte und er¬ 
schwerte Respiration, die sich bis zu asphyk- 
tischen Anfällen steigern kann. 

Therapie. Medicamentöses Einschreiten 
ist selten erforderlich und bei der Kürze der 
Anfälle auch meistens unausführbar, es kommt 
fast nur prophylactisch zur Anwendung, sei 
es, dass man auf Haut und Darmcanal ab¬ 
leitend wirken will, indem man die Haut frot- 
tirt oder mit verschiedenen Einreibungen trac- 
tirt, oder Laxanzen, Purganzen und Klystiere 
verabfolgt; sei es, dass man das Blut und den 
Gefässtonus durch Tonica und Säuren ver¬ 
bessern will. Futterabbruch ist gegebenen Falles 
ein weiteres Prophylacticum. Während der 
congestionellen Anfälle ist Ruhe, Athmen in 
reiner Luft und kühles Verhalten die Haupt¬ 
sache; bei Gehirnreizungen bewähren sich 
kalte Umschläge oder Douchen auf den Kopf. 
Gefahrdrohende Symptome, namentlich tob¬ 
süchtiges Benehmen und Dyspnoe sucht man 
durch die Venäsection zu beseitigen. Anacker. 

conglobatH8 (von conglobare), zusammen¬ 
geballt in Glandulae conglobatae, das sind 
die Drüsen, welche durch regellose Zusammen¬ 
häufung von diffusem Lymphoidgewebe und 
Lymphfollikeln entstehen (so die Lymphdrüsen 
am Zungengrunde etc.). Sussdorf. 

conglomeratus, zusammengebunden, zu- 
sammengehäaft, für zusammengesetzte nament¬ 
lich geknäuelte Drüsen. Sussdorf. 

Conglutin, ein in den Pflanzen vorkom¬ 
mender, zu den Pflanzencaselnen zählender 
Eiweisskörper; es ist ein Bestandtheil der 
Mandeln, Erbsen, Lupinen, Rettigs&men, 
Haselnüsse, aus welchen es mit Wasser oder 
0*1% Kalilauge gelöst wird. Aus der Lösung 
wird das Conglutin mit verdünnter Essig¬ 
säure ausgefällt und der Niederschlag mit 
Alkohol und Aether gewaschen. Beim Kochen 
mit Schwefelsäure liefert Conglutin Leucin 
und Tyrosin um zweimal mehr Glutaminsäure 
als Asparaginsäure. Nach Ritthausen wird das 
Conglutin aus Mandeln, Haselnüssen aus der 
Lösung in Kochsalz durch Wasser nicht ge¬ 
fällt, zum Unterschied von dem Conglutin 
der Erbsen und Lupinen. Loebisch. 

Cougc Schaf. Das Congo-Schaf ge¬ 
hört zur Gruppe des „hochbeinigen“ Schafes 
(s. d). Wir finden das Congo-Schaf vor 
allem in Nieder-Guinea vom Cap Lopez bis 
südlich zum Cap Negro, ja selbst bis zum 
Cap Frio, den Küstenländern Congo und 
Angola. Die von vielen Flüssen durchschnit¬ 
tene Küste ist flach und sumpfig, durch- 
strömt von dem Congo. Nach dem Binnen¬ 
lande zu erhebt sich das Land terrassenförmig; 
das Klima ist ein tropisches. Die Grösse des 
Congo-Schafes ist nicht unbedeutend; nach 
Daubenton: Länge in gerader Linie l*19m, 
Höhe des Vordertheiles 0 86, des Hintertheiles 
0’85; Länge des Kopfes bis an die Horn¬ 
wurzel 0*22; Länge der Ohren 0*17; Länge 


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918 


CONGREGATUS. — CONGRESS. 


des Halses 0*99; Länge der Schwanzrübe Ö*41-. 
Umfang des Leibes an der dicksten Stelle 0*84; 
Entfernung vom Ellbogen bis zum Wider¬ 
rist 0 ’ 99, Entfernung vom Ellbogen bis zum 
Boden 0*51. Es scheint darnach, als ob das 
Thier noch um einige Centimeter höher ist 
als das Bergamasker-Schaf (s. d.). Die Grund¬ 
farbe ist eine gelblichbraune. Nach Fitzinger 
sollen sich einige dunkelbraune Stellen an 
der Aussenseite der vorderen Beugegelenke 
und an den Seiten des Leibes von der helleren 
Grundfarbe abheben. Die Seiten des Kopfes, 
die Gegend oberhalb der Augen und um die 
Hörner herum, so wie der vordere Theil der 
Oberseite des Halses und das Kinn sind schwärz¬ 
lich, die Unterseite desselben und die Brust 
kastanienbraun, der Hintertheil der Brust so wie 
der Bauch gelbbraun, an manchen Stellen blasser, 
selbst ins Weissliche spielend; der Schwanz in 
seinem oberen Drittheü gelbbraun mit grau 
gemischt, die beiden letzten Drittheile schmutzig 
weiss mit einem schwachen, gelblichen Anfluge. 
In früheren Zeiten sind oft Exemplare dieser 
Rasse nach Europa in zoologische Gärten ge¬ 
bracht worden, haben aber dort, wohl des so 
sehr abweichenden Klimas wegen, nie lange aus¬ 
gehalten und sind bald ein gegangen. DerNutzen, 
welchen das in grossen Heerden in seiner Hei¬ 
mat gehaltene Thier gewährt, sind Fleisch, 
Milch und Fell, welches letztere ein sehr 
gutes Leder geben solL Von Wollnützung ist 
dabei keine Rede, da auch das Congo-Schaf, 
wie alle hochbeinigen Rassen und Schläge, 
über den ganzen Körper nur mit kurzen, steifen, 
markhaltigen Haaren bedeckt ist, unter welchen 
sich kaum eine Unterlage eigentlicher Woll- 
haare befindet. Schon in sehr früher Zeit 
scheint das Schaf, sehr bald nach der Ent¬ 
deckung Amerikas, auch nach Westindien über¬ 
geführt worden zu sein, wenigstens bringt Rei¬ 
chenbach unter dem Namen „indisches Schaf 1 
eine Zeichnung, welche sich in nichts von der 
des Congo-Schafes unterscheidet. Bo hm. 

coagreoatus (von congregare), herdenweis 
vereint, für Drüsen, die haufenweise zusammen¬ 
liegen und dadurch grössere Drüsenpakete 
bilden. Sussdorf. 

Congre88, nationaler oder internatio¬ 
naler thierärztlicher, d.h. Zusammenkunft, 
Versammlung von Thierärzten einer Nation 
oder aller Länder zur gemeinschaftlichen Be- 
rathung von Gegenständen volkswirtschaft¬ 
licher und staatlicher Bedeutung, welche ins¬ 
besondere die Seuchentilgung der Thiere, Ueber- 
wachung der animalischen Nahrungsmittel für 
den Menschen, Seuchen- und Währschaftsge- 
setzgebung, den Bildungsgang der Thier¬ 
ärzte und ihre Standesverhältnisse, sowie wis¬ 
senschaftliche Fragen betreffen. Zu diesem 
Zwecke wurden in den letzten 25 Jahren in¬ 
ternationale und nationale thierärztliche Con- 
gresse in verschiedenen Staaten Europas ab¬ 
gehalten. John Gamgee, Professor am New 
Veterinary College in Edinburgh, forderte im 
Jahre 1863 durch Circular die Professoren der 
Thierarznei-Wissenschaft und die Thierärzte 
aus allen Theilen Europas zu einer allgemei¬ 
nen Versammlung in Hamburg auf, die gleich¬ 


zeitig mit der Versammlung von Landwirthen 
stattfand, und hoffte derselbe, dass die Reprä¬ 
sentanten der Thierarzneikunde aus allen Thei¬ 
len des Continents diesen Anlass bereitwillig 
ergreifen werden, durch ihre Berathungen die 
hohe Bedeutung ihrer Wissenschaft aufs Neue 
darzulegen, und ein allen europäischen Län¬ 
dern gemeinsames System zur Verhütung der 
Seuchen vorzuschlagen. Vom 14. bis 18. Juli 
1863 wurde in der Aula des Johanneums zu 
Hamburg der erste Congress abgehalten und 
fanden sich zu demselben über 100 Theilneh- 
mer, d. i. Professoren, Beamte und praktische 
Thierärzte, u. zw. 6 Schweden, 6 Norweger, 
4 Oesterreicher, 4 Russen, 2 Engländer, 
1 Schweizer, 1 Däne, dann 78 aus allen Staa¬ 
ten Deutschlands ein ; demselben wohnten noch 
eine Anzahl von Landwirthen und Beamten 
bei. Zum ersten Präsidenten wurde Ober- 
Medicinalrath Dr. Hering in Stuttgart und 
zum zweiten Professor Dr. Gamgee aus 
Edinburgh gewählt und in 5 Sitzungen fol¬ 
gendes Material berathen und Beschluss dar¬ 
über gefasst: Genügen die bisherigen Erfah¬ 
rungen, um annehmen zu können, dass die 
Incubationsperiode der Rinderpest sich nicht 
über neun Tage erstrecke ? Durch die Mehrheit 
der Anwesenden bejahend beantwortet; auf 
diese Annahme gestützt, wurde mit derselben 
Majorität anerkannt, dass zur Verhütung der 
Einschleppung der Rinderpest, soweit sie von der 
Incubationsperiode abhängt, die 21tägige Qua- 
rantainezeit abgekürzt werden könne. „Ist es 
wünschenswerth, dahin zu wirken, dass die 
Lungenseuche allgemein unter die Hauptmän¬ 
gel aufgenommen werden soll?“ Bejaht; ebenso 
wurden die Sätze bejahend angenommen: 

1. Zur Tilgung der Lungenseuche ist das 
Schlachten der Erkrankten zu empfehlen. 

2. Alle der Ansteckung verdächtigen 
Thiere sind zu impfen. 

3. Innerhalb des ersten Jahres nach Be¬ 
endigung der Seuche ist das Vieh nur zur 
Schlachtbank zu verwenden; der Antrag aber, 
die Impfung deijenigen Rinder zu empfehlen, 
welche innerhalb 6 Monate nach dem Erlö¬ 
schen der Seuche in den Stall gebracht wer¬ 
den, wurde abgelehnt. Weiter wurde beschlos¬ 
sen, dass zur Herstellung einer Seuchenord¬ 
nung folgende ansteckende Seuchen und Krank¬ 
heiten in dieselbe aufgenommen werden: Toll- 
wuth, Milzbrand (Anthrax), Rotz und Wurm, 
Maul- und Klauenseuche, Räude, Lungenseuche, 
Rinderpest, Pocken der Schafe, bösartige 
Klauenseuche der Schafe, bösartige Beschäl- 
krankheit; dass die Staatsregierungen auf die 
Nothwendigkeit der veterinärärztlichen Ueber- 
wachung des Viehtransportes auf Eisenbahnen 
aufmerksam gemacht werden. Die Frage: „Ist die 
Nothimpfung als Mittel gegen die Verbreitung 
der Schafpocken anzuempfehlen“ wmrde beja¬ 
hend, dieselbe Frage aber hinsichtlich der 
„Schutzimpfung“ allgemein verneinend be¬ 
antwortet, zugleich aber für nothwendig er¬ 
kannt, diejenigen Herden gleichwie pockenkranke 
zu behandeln, in welchen die Schutzimpfung 
angewendet wird. Ferner wurde beschlossen, es 
möchte in allen Staaten, wo dies noch nicht 



CONGRESS. 


219 


geschieht, eine auf thierärztliche Seuchenberichte 
basirte Seuchenstatistik ausgearbeitet und ver¬ 
öffentlicht werden. Der Antrag, thierärztliche Ver- 
suehsststionen zu errichten, wurde verneint, da¬ 
gegen beschlossen, dass der über die gepflogenen 
Verhandlungen zu erstattende Bericht durch 
den Druck vervielfältigt und den Staatsregie- 
rungen zugestellt werden sollte. 

Der II. Congress fand am 21. bis 
27. August 1865 unter dem Präsidium von 
Dr. RöU und Dr. Hering im grünen Saale des 
Gebäudes der k. k. Akademie der Wissen¬ 
schaften in Wien in Anwesenheit zweier 
k. k. Ministerialräthe statt. Als Vertreter der 
thierärztlichen Wissenschaft fanden sich 74 
deutsche, 69 österreichisch-ungarische, 8 russi¬ 
sche,^ englische, 4 italienische, 2 schweizerische 
und je 1 Mitglied aus Belgien, Dänemark, Frank¬ 
reich, Norwegen, Portugal, Schweden, Walla¬ 
chei und der Türkei ein. Dem Programm ent¬ 
sprechend wurden unter Zustimmung des k. k. 
Staatsministeriums 4 Themata zur Berathung 
und Beschlussfassung aufgestellt und für jedes 
derselben ein Comite aus 5 bis 6 Mitgliedern 
zur Vorberathung gewählt, welches sich durch 
Beiziehung anderweitiger Mitglieder ver¬ 
stärken konnte. Der erste Programmpunkt be¬ 
züglich der Rinderpest führte als Fortsetzung 
der in Hamburg eingeleiteten Verhandlung 
zur endgiltigen Beschlussfassung: 

A. Abkürzung der Contumazperiode. 

I. Die Versammlung entscheidet sich dafür, 
dass die Dauer der Contumazperiode mit Rück¬ 
sicht auf die über die Incubationszeit der 
Rinderpest gewonnenen Erfahrungen für das 
aus Russland und aus den Donau-Fürstenthü- 
mem nach dem Westen Europas eintretende 
Hornvieh auf zehn Tage festzustellen, dass diese 
Periode aber fortan und unter allen Verhält¬ 
nissen des Gesundheitszustandes des Horn¬ 
viehes in dem benachbarten Auslande und 
ohne Rücksicht auf die Bestimmung und die 
Rasse des Viehes aufrecht zu erhalten wäre. 

II. Die Versammlung kann jedoch zu 
einer Herabsetzung der gegenwärtig gebräuch¬ 
lichen 21 tägigen Contumazperiode nur dann 
anrathen, wenn nachfolgende Voraussetzungen 
zur Durchführung kommen, und zwar: 

1. Wenn die Errichtung von Contumaz- 
Anstalten überall dort, wo die Anforderungen 
des Handels sie nothwendig und die Ortsver¬ 
hältnisse 8ie zulässig machen, stattgefunden 
haben wird. In letzterer Rücksicht wäre ins¬ 
besondere auch auf die Möglichkeit einer 
leichten Beistellung des Futterbedarfes, u. zw. 
nicht aus dem seuchenverdächtigen Auslande, 
und auf das Vorhandensein von Wasser zum 
Tränken und zum Reinigen der Thiere Rück¬ 
sicht zu nehmen; 

2. wenn die Contumazen derart einge¬ 
richtet sein werden, dass sie den Anforderun¬ 
gen der Veterinärpolizei und der Erhaltung 
des Gesundheitszustandes des dahin gebrach¬ 
ten Viehes entsprechen und eine gesicherte 
thierärztliche Ueberwachung gestatten werde; 

3. wenn die Anstellung einer hinreichen¬ 
den Anzahl gehörig instruirter und entspre¬ 


chend besoldeter Thierärzte in den Contumaz- 
anstalten erfolgt sein wird. Die genaue Fest¬ 
stellung aller in den Hornvieh-Quarantainen 
durchzuführenden veterinär-polizeilichen Mass- 
regeln ist Gegenstand einer Instruction. Für 
nothwendig erklärt die Versammlung weiter: 

4. Die Einführung einer Viehconscription 
in den Grenzbezirken längs der östlichen Gren¬ 
zen und die Anstellung von Thierärzten da¬ 
selbst zu diesem Zwecke und zur Ueberwa¬ 
chung des Gesundheitszustandes des dort be¬ 
findlichen Viehes; 

5. die genaueste Ueberwachung der Vieh¬ 
triebe im Innern des Landes; 

6. die Bestrafung der Uebertreter der 
Contumaz- und der die Rinderpest betreffen¬ 
den veterinär-polizeilichen Vorschriften nach 
der vollen Strenge des Strafgesetzes. 

HI. Für besonders wünschenswerth hält 
es die Versammlung, dass durch die Bildung 
eines Fonds die Mittel geboten werden, die 
Tilgung der Rinderpest durch die Tödtung 
alles kranken und verdächtigen Viehes mög¬ 
lichst rasch herbeizuführen und hiedurch die 
Verschleppungen des Contagiums nach dem 
Westen Europas zu verhindern. 

B. Behandlung der thierischen Producte. 

Die Versammlung einigt sich in folgenden 
Beschlüssen: 

1. Vollkommen trockene Rindshäute, Horn¬ 
spitzen, trockene Knochen, gesalzene und 
trockene Rinderdärme, geschmolzener Talg in 
Gefässen,Kuhhaare und Schweinsborsten,Schaf¬ 
wolle in Säcken seien frei und, ohne eine Des- 
infection einzuleiten, im Handel zuzulassen. 

2. Ganze Hörner, sowie Klauen seien mit 
concentrirter Chlorkalk- oder Kochsalzlösung 
zu behandeln. 

3. Geschmolzener Talg in Wammen sei in 
der Art zu desinficiren, dass die Emballage 
äusserlich mit concentrirter Chlorkalk- oder 
Kochsalzlösung zu waschen wäre. Ad 1, 2 und 
3. Selbstverständlich wären solche Rohproducte, 
wenn sie aus verseuchten Gegenden oder Ort¬ 
schaften stammen, unbedingt zurückzuweisen. 

4. Frische Knochen, frische Häute und 
Därme, roher Talg, rohes Fleisch, rohe Schaf¬ 
häute — auch wenn sic trocken sind — wären 
zur Zeit des Herrschens der Rinderpest, wenn 
sie aus verseuchten Ortschaften und Gegenden 
stammen, in den Handel nicht zuzulassen. 

Der zweite Programmpunkt behandelte 
die Desinfection der zum Viehtransport be¬ 
nützten Eisenbahnwagen und führte zur fol¬ 
genden Beschlussfassung: 

1. Die zura Viehtransporte verwendeten 
Waggons und Rampen sind nach jedem Ge¬ 
brauche gut zu reinigen. 

2. Transportgegenstände, welche für Thiere 
verwendet wurden, die an einer contagiösen 
Krankheit leiden, müssen desinficirt werden. 
Eine Desinfection aller Transportmittel ist auch 
nothwendig nach jedem Gebrauche in Gegen¬ 
den und zu Zeiten, wo eine bösartige con- 
tagiöse Krankheit verbreitet ist. 

3. AlsDesinfectionsmittel sind zu empfehlen 
das Reinigen mit kochendem Wasser oder 



CONGRESS. 


220 

heissen Wasserdämpfen und nachheriges sorg¬ 
fältiges Abwaschen mit heisser Lauge; die 
Waschung mit Lauge kann unmittelbar auf 
die Anwendung des heissen Wassers folgen. 
Die Wagen und Schiffe sollen erst nach voll¬ 
ständigem Austrocknen und Auslüften zu neuen 
Verladungen benützt werden. 

4. Die Desinfection der Eisenbahnwag¬ 
gons und der Schiffe erfordert eine thierärzt¬ 
liche Ueberwachung. 

Der dritte Programmpunkt betraf die 
Hundswuth, über welche beschlossen wurde: 
Feststellung der Principien einer rationellen 
Hunde-Ordnung. Vor Allem spricht sich die 
Versammlung einhellig dahin aus, dass die 
Wuth wirklich eine specifische, selbstständige 
Krankheitsform sei, bei der sich ein Contagium 
erzeuge, welches, durch Biss oder Impfung auf 
Thiere oder Menschen übertragen, im Stande 
ist, diese Krankheit zu erzeugen, und dass 
dieselbe keineswegs ein Tetanus ist. 

1. Es wäre in sämmtlichen Städten und 
Landgemeinden eines Landes eine Hundecon- 
scription, ein Hundecensus einzuführen und zu 
diesem Behufe in allen Gemeinden des ganzen 
Landes in gleichlautenden Formularen ein 
Hundecataster anzulegen. 

2. Jeder Hund soll mittelst einer Marke 
kenntlich gemacht werden. 

3. Es soll die Verminderung der Zahl der 
Hunde möglichst angestrebt werden, und das 
Comitd hält die Einführung einer möglichst 
hohen Hundesteuer für eines der vorzüglichsten 
Mittel, diesen Zweck zu erreichen. Diese Steuer 
soll für alle Hunde ohne Unterschied des Ge¬ 
schlechtes gleich sein. Dieser Steuer hätten 
alle Hunde zu unterliegen. Eine etwaige Er- 
mässigung der Steuer oder Befreiung von der¬ 
selben für Hunde, die zu gewissen Beschäfti¬ 
gungen benützt werden, soll möglichst be¬ 
schränkt werden. 

4. Es soll dafür gesorgt werden, dass das 
freie Herumtreiben der Hunde ohne Auf¬ 
sicht, ganz besonders aber das Herumlaufen 
brünstiger Hündinnen möglichst hintangehalten 
werde. 

5. Unter gewöhnlichen Verhältnissen ist 
von dem Tragen der Maulkörbe als Regel Um¬ 
gang zu nehmen. In jenen Districten, in wel¬ 
chen Wuthfälle aufgetreten sind, ist das Tragen 
der Maulkörbe unerlässlich. Die Dauer des 
Tragens der Maulkörbe wird von Seite der 
Behörden im Einvernehmen fachkundiger Thier¬ 
ärzte von Fall zu Fall mit Rücksicht auf die 
speciellen Verhältnisse bestimmt. 

6. In Staaten, in welchen bis jetzt keine 
gesetzlichen Bestimmungen in Betreff der An¬ 
zeige ansteckender Krankheiten bestehen, sollen 
alle Hunde, welche sich als wuthverdächtig 
oder wirklich wüthend zeigen, unverweilt zur 
Kenntniss der Behörde gebracht werden. 

7. Wüthende Hunde sind unbedingt zu 
vertilgen, die von denselben gebissenen und 
mit ihnen in Berührung gekommenen Hunde 
nur dann, wenn nachweisbar von denselben 
noch kein Mensch gebissen wurde; wurde je¬ 
doch von denselben Jemand gebissen, so sind 
selbe erst dann zu vertilgen, wenn der Ge¬ 


sundheitszustand derselben constatirt ist Wuth- 
verdächtige Hunde sind solange in sicherer 
Verwahrung und unter genauer Beobachtung 
zu halten, bis der Gesundheitszustand der¬ 
selben constatirt ist. Zeigen sich dieselben 
in der That wüthend, so sind sie zu 
vertilgen. Werden sie als nicht wüthend 
befunden, so können selbe ihren Eigen¬ 
tümern wieder ausgefolgt werden. Zei¬ 
gen sich bei einem wegen Wuth verdacht ge- 
tödteten Hunde auch nur die geringsten Zeichen, 
welche auf die Wuth Verdächtigkeit desselben 
hinweisen, so sind alle von demselben gebis¬ 
senen oder mit ihm in Berührung gekommenen 
Hunde zu vertilgen. Es ist selbstverständlich, 
dass bei vorkommenden Wuthföllen die not¬ 
wendigen Desinfectionsmassrcgeln durchgeftthrt 
werden müssen. 

8. Sollen alle diese Massregeln die beab¬ 
sichtigten Zwecke möglichst erreichen, so ist 
es nach der Ansicht der Versammlung not¬ 
wendig, dass selbe unter Mitwirkung fach¬ 
kundiger Veterinäre durchgeführt, und dass 
jedem Hundehalter bei Gelegenheit der Con- 
scription seines Hundes eine gedruckte, gemein- 
fassliche Belehrung über die Gesunderhaltung 
der Hunde, sowie über die Kennzeichen der 
Wuth und über die zu ihrer Vorbauung und 
Tilgung notwendigen, veterinärpolizeilichen 
Massregeln übergeben werde. 

Der vierte Prograrampunkt umfasste die 
Währschaftsgesetzgebung und hatte als Resul¬ 
tat der Beschlussfassung: 

1. Die Notwendigkeit der Beibehaltung 
der allgemeinen Haftverbindlichkeit. Gründe: 
a) die Thierheilkunde ist so weit vorgeschritten, 
dass sie im Allgemeinen im Stande ist, die 
concreten Fälle zu beurteilen; b) die Thier¬ 
heilkunde ist dagegen nicht im Stande, auch 
nur annähernd alle die Mängel aufzuführen 
und eine bestimmte Gewährszeit für dieselben 
zu normiren, welche dem Käufer einen wohl- 
begründeten Rechtsanspruch geben; c) nur die 
Beibehaltung der allgemeinen Haftverbindlich¬ 
keit macht es möglich, die sogenannten Nacht¬ 
schäden (d. h. 24stündige Garantie für alle 
Krankheiten, die sich in dieser Zeit äussern) 
wegfallen lassen zu können. 

2. Die Herabsetzung der gesetzlich 
bestehenden Verjährungsfrist höchstens auf 
% Jahr neben der allgemeinen Haftpflicht, weil 
die wissenschaftliche Beweisführung in der 
Regel nicht über diese Zeit hinausgeht 

3. Die Festsetzung einer speciellen 
Gewährszeit für gewisse Mängel, neben der 
allgemeinen Haftverbindlichkeit. 

Die Thierarten, für welche Gewährsmängel 
aufgestellt werden sollen, sind: 

A. Thiere des Pferdegeschlechtes. 

B. Rindvieh. 

C. Schafe und Ziegen. 

D. Schweine. 

Als Gewährsmittel werden von der Ver¬ 
sammlung bezeichnet: 

Ad A. Bei Thieren des Pferdegeschlechtes: 
a) Schwarzer Staar mit einer Gewährszeit von 
7 Tagen; b) c) d) Rotz, verdächtige Drüse 
und Hautwurm mit einer Gewährszeit von 



CONGRESS. *21 


14 Tagen; e) Dämpfigkeit (ohne Unterschied 
des Sitzes) mit einer Gewährszeit von 14 Tagen; 
f) Dammkoller mit einer Gewährszeit von 
21 Tagen; g) Mondblindheit (periodische 
Augenentzündung) mit einer Gewährszeit von 
28 Tagen. 

Ad B. Beim Rindvieh: a) Lungentuber- 
cnlose and Perlsacht mit einer Gewährszeit 
von 28 Tagen; b) Lungenseuche mit einer 
Gewährszeit von 42 Tagen; c) Rinderpest mit 
einer Gewährszeit von 7 Tagen. 

Ad 0. Bei Schafen und Ziegen: a) Pocken 
mit einer Gewährszeit von 7 Tagen; b) Räude 
mit einer Gewährszeit von 14 Tagen. 

Ad D. Bei Schweinen: a) Pinnen mit einer 
Gewährszeit von 14 Tagen; b) Trichinen mit 
einer Gewährszeit von 14 Tagen. 

In jenen Ländern, wo der Gegenbeweis 
durch das Gesetz nicht zugestanden ist, hätte 
der Käufer in den Fällen von Rotz, Wurm, 
Lungenseuche, Rinderpest, Schafpocken und 
Räude des Rechtes der Forderung der Ge¬ 
währleistung verlustig zu werden, wenn nach¬ 
gewiesen wird, dass die von diesen Mängeln 
ergriffenen Thiere seit der Uebemahme mit 
Thieren in Berührung standen, die mit solchen 
Krankheiten behaftet waren. Nach den sieben 
abgehaltenen Plenarsitzungen hielten noch 
Staatsrath Unterberger und Professor Ravitsch 
Vorträge über die sibirische Pest; Staatsrath 
Jessen einen solchen über die Impfung der 
Rinderpest. Der gedruckte Bericht dieses Con- 
gresses wurde in 50 Exemplaren den auswär¬ 
tigen Regierungen zugeschickt. 

Der III. Congress fand vom 2. bis 8. Septem¬ 
ber 1867 in Zürich (Schweiz) unter dem Präsi¬ 
dium der Directoren Zangger, Professor Hertwig 
in Berlin und Ravitsch aus Petersburg, nach vor¬ 
ausgegangener Einladung der verschiedenen Re¬ 
gierungen durch die schweizerischen Bundes¬ 
behörden statt. 188 Fachmänner, Landwirthe 
und Verwaltungsbeamte, und zwar 76 aus 
Deutschland, 72 aus der Schweiz, 10 aus Oester¬ 
reich und die übrigen aus Frankreich, England, 
Russland, Holland, Belgien, Norwegen, Wal¬ 
lachei und Serbien fanden sich zu dem Congresse 
ein, und es sind die Meisten als Vertreter ihrer 
Regierungen dahin beordert worden. 

Die Berathung und Beschlussfassung über 
den ersten Programmpunkt betraf wiederholt 
die „Rinderpest“ und es ergab sich gegenüber 
den früheren Verhandlungen nichts wesentlich 
Neues, sondern wurde nur der weitere Antrag 
gestellt, es sei die kaiserlich russische Regie¬ 
rung von Seite des Congresses zu ersuchen, 
alle Regierungen zur Constituirung einer inter¬ 
nationalen thierärztlichen Commission zu ver¬ 
anlassen, welche die Aufgabe hat, die Stätten 
und Ursachen der originären Entwicklung der 
Rinderpest aufzusuchen und allenfallsige andere, 
im Interesse der Erforschung der Rinderpest lie¬ 
gende Beobachtungen zu machen. Die Verwen¬ 
dung des Fleisches der Thiere aus verseuchten 
Orten etc. richtet sich nach der Ausbreitung der 
Seuche und den örtlichen Verhältnissen; deshalb 
sind den Regierungen in diesen Punkten keine 
bestimmten Vorschläge zu machen. Die Impfung 
sei von grosser Bedeutung in den Steppen und 


ergebe hier auch günstige Resultate, indem da¬ 
selbst nur 4—6% Verlust eintrete; aber auch bei 
natürlicher Ansteckung betrage hier der Ver¬ 
lust öfters nur 10%. Ausserhalb der Steppen 
fordere die Impfung eben so grosse Opfer, als 
die natürliche Ansteckung. Die Abhaltung der 
Rinderpest durch Militärcordons erfordere unge¬ 
heure Geldmittel, Quarantaineanstalten an der 
Grenze zu etabliren habe ebenfalls seine Schwie¬ 
rigkeiten, und deren Wirkung würde durch den 
dadurch provocirten Schmuggelhandel mit Vieh 
im Erfolg sehr zweifelhaft, weshalb gegebenen 
Falles die Einfuhrsverbote vorzuziehen seien. 

Der zweite Gegenstand der Berathung 
bildete die Organisation der Fleischbeschau. 
Die Mitglieder haben Beschlüsse dahin gefasst, 
dass die Beschau des Schlachtviehes und dessen 
Fleisches nothwendig ist. Die Aufgabe der 
Fleischbeschau ist, die Gefährdung des Lebens 
und der Gesundheit der Menschen zu verhüten 
und ansteckende Krankheiten unter den Haus- 
thieren zu entdecken. Die Beschau sei von den 
Veterinären auszuführen, da nur diese vermöge 
ihrer Kenntnisse im Stande sind, die Krank¬ 
heiten der Schlachtthiere zu erkennen und 
richtig zu würdigen. Die Fleischbeschau hat sich 
auf Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen zu er¬ 
strecken und eine sichernde Fleischbeschau ist 
an grösseren Orten nur durchführbar beim Vor¬ 
handensein gemeinschaftlicher Schlachthäuser; 
ferner wird die mikroskopische Fleischbeschau 
mit besonderer Rücksichtnahme auf Trichinen 
im Princip anerkannt, und sie ist, wo es mög¬ 
lich, durchzuführen: endlich wird verlangt, dass 
in jedem Schlachthause, wie bereits in Belgien, 
dem Thierarzte ein gutes Mikroskop zu Gebote 
stehen soll. 

Der dritte Programmpunkt behandelte die 
Organisation des Veterinärwesens und wurden 
darüber folgende Beschlüsse gefasst: 

1. Die Ausübung der Thierheilkunde ist 
durch ein Gesetz zu regeln. 

2. Die Thierheilkunde ist ein selbständiger 
Zweig der Medicinalverwaltung und bei den 
Unter-, Mittel- und Centralbehörden ist die 
Vertretung der Thierheilkunde durch eigene 
Sachverständige nothwendig. 

3. Zur Ausübung der Thierheilkunde sind 
nur diejenigen berechtigt, welche die vor- 
schriftsmässigen Studien absolvirt und durch 
das Examen sich das Diplom als Thierarzt 
erworben haben. Diese allein sind auch nur 
berechtigt, den Titel Thierarzt zu führen. 

Der vierte Programmpunkt umfasste das 
thierärztliche Unterrichtswesen und führte zu 
dem Beschlüsse, dass das Studium der Thier¬ 
heilkunde dieselbe wissenschaftliche Bildung 
verlange, wie das der Medicin, und dass die 
Studienzeit dem entsprechend bemessen werden 
müsste; es sei das Hauptstreben dahin zu 
richten, dieses Ziel in kürzester Zeit zu er¬ 
reichen. Da in vielen Staaten das thierärztliche 
Unterrichtswesen noch sehr im Argen liegt, 
ein plötzliches Steigern der Anforderungen sich 
dort voraussichtlich nicht leicht werde durch¬ 
führen lassen, so sei als Minimum der Vorbil¬ 
dung derjenigen, welche sich dem Studium 
der Thierheilkunde widmen wollten, die Summe 


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222 CONGRESS. 


der Kenntnisse zu erachten, die in der vor¬ 
letzten Gasse der Unterrichtsanstalten, auf 
welchen die Universitätsreife erlangt wird, er- 
erworben werden; ferner wird vorläufig als 
Minimum der Dauer der Studienzeit durch die 
Majorität drei Jahre angenommen; eine nicht 
unbedeutende Zahl der Mitglieder hält auch 
jetzt schon bei der grossen Zahl von Doc- 
trinen eine vierjährige Studienzeit für geboten. 
Endlich erachtet die Versammlung für noth- 
wendig, dass die Veterinärmedicin selbständig 
gelehrt werde. 

Der letzte Gegenstand, welcher die Mit¬ 
glieder des thierärztlichen Congresses beschäf¬ 
tigte, war dieLungenseuche.DieFrage, ob dieLun- 
genseuche ein Contagion sei, d.h. ob diese Krank¬ 
heit sich bei unserem Rindvieh nicht originär ent¬ 
wickle, wurde nach längerer Discussion da¬ 
hin normirt: Die Lungenseuche ist in polizei¬ 
licher Hinsicht als eine nur durch Ansteckung 
sich weiter verbreitende Krankheit zu betrachten. 

Auf Anregung des Professors Dr. Pflug in 
Giessen fand ein nationaler Congress deutscher 
Thierärzte am 21. bis 22. August 1872 in 
Frankfurt a. M. statt, wozu sich 98 Lehrer 
der Thierheilkunde und Thierärzte aus den 
verschiedenen deutschen Staaten und einige 
der Schweiz eingefunden haben. Es wurden 
folgende Anträge mit grosser Majorität ange¬ 
nommen: Als Mass der Vorbildung zum Stu¬ 
dium der Thierheilkunde ist die Reife für die 
Universität wie zum Studium der Medicin zu 
bezeichnen. Nur ein vierjähriges Studium ist 
genügend, sich mit den thierärztlichen Disci- 
plinen bekannt zu machen. Die thierärztlichen 
unterrichtsanstaltcn sind als integrirende, aber 
selbständige Bestandteile der Universitäten 
denselben anzuschliessen. Der Congress er¬ 
achtet es für sehr wünschenswert, an der 
deutschen Reichsuniversität Strassburg eine 
Abteilung für Thierheilkunde als selb¬ 
ständigen integrirenden Theil derselben zu 
errichten. Ausserdem wurde eine deutsche Prü¬ 
fungsordnung durchberathen und festgestellt, 
desgleichen die Bestimmungen über die Or¬ 
ganisation des deutschen Civil- und Militär- 
Veterinärwesens, incl. der Veterinärpolizei, und 
über die Frage discutirt, in wie weit es zu¬ 
lässig sei, dass auf den landwirtschaftlichen 
Lehranstalten Thierheilkunde gelehrt wird. 

Von 7. bis 10. September 1879 fand in 
Bologna (Italien) ein nationaler Congress der 
italienischen Thierärzte statt. Ein Comitü von 
Professoren der italienischen Thierarzneischulen, 
sowie von hervorragenden Thierärzten, unter 
der Präsidentschaft des Professors der Thier¬ 
arzneischule in Mailand, N. Lanzillotti-Buon- 
santi, stellte ein Programm der auf diesem Con- 
gresse zur Beratung kommenden Gegenstände 
auf, das sich teils auf die Ausbildung der 
Thierärzte, teils auf die Organisation des 
Veterinärwesens und die Stellung der Thier¬ 
ärzte, dann auf Fleischbeschau, Währschafts- 
gesetz, Taxe der Thierarzneimittel u. s. w. er¬ 
streckte, mit Bekanntgabe der Referenten für 
die einzelnen Themata der Tagesordnung. Nun¬ 
mehr wird jedes Jahr in Italien ein nationaler 
Congress ab gehalten. Bei Gelegenheit der 


Feier der 50jährigen Unabhängigkeit des König¬ 
reichs Belgien fand unter dem Protectorate 
Sr. Majestät des Königs vom 8. bis 11. Juli 
1880 in Brüssel ein nationaler Congress bel¬ 
gischer Thierärzte statt, wobei der Minister 
des Innern, Rolin-Jacquemyns, als Präsident 
fungirte. Zur Berathung kamen: 

1. Erkenntniss der Pflichten der Thierheil¬ 
kunde ; 

2. Beaufsichtigung der von Thieren stam¬ 
menden Lebensmittel; 

3. Gesetzgebung über Gewährsmängel und 

4. Organisation des Civil-Veterinärwesens. 

IV. internationaler thierärztlicher Con¬ 
gress. Die nationale Versammlung der belgi¬ 
schen Thierärzte, welche im Jahre 1880 statt¬ 
fand, hat beschlossen, dass der schon im Jahre 
1870 projectirte, aber durch verschiedene Um¬ 
stände nicht zur Ausführung gekommene vierte 
internationale Congress bei Gelegenheit der 
Feier des 50jährigen Bestehens der Brüsseler 
Thierarzneischule stattfinden solle. Am 10. Sep¬ 
tember 1883 wurde durch den Generaldirector 
des Ministeriums des Innern, Sommerhausen, der 
Congress in Brüssel eröffnet. Derselbe war von 
310 Veterinären besucht, und zwar 217 aus Bel¬ 
gien und 93 vom Auslande, wozu Frankreich das 
grössere Contingent stellte. 

Zu Präsidenten wurden gewählt: Thier¬ 
nesse (Brüssel), Bouley (Paris), Jacops (Ter- 
monde), Müller (Berlin), Röll (Graz) und 
Wirtz (Utrecht). In zehn Sitzungen kamen 
folgende Gegenstände zur Verhandlung und 
Beschlussfassung: 

1. Organisation des Veterinärdienstes, mit 
folgenden Resolutionen: „ln jedem Lande soll 
ein Veterinärdienst organisirt werden, welcher 
mit allem, was diesen Dienst anbelangt, zu 
beauftragen ist, und dessen Mitglieder, welche 
ausnahmslos Thierärzte sein müssen, als Rath¬ 
geber für die Verwaltungsbehörden in allen 
Abstufungen derselben functioniren, ausserdem 
aber auch einen Fachmann als Vertreter bei 
den Centralbehörden haben; bei den letzteren 
muss ein Thierarzt Chef des Veterinärdienstes 
sein.“ In dieser Fassung wurde die erste Resolu¬ 
tion mit allen gegen vier Stimmen angenommen. 

Zur zweiten Resolution schlägt Bouley 
vor: „Der Veterinärdienst soll eine möglichst 
grosse Anzahl von Thierärzten beschäftigen. 
Zu diesem Dienste gehören: Die Ueberwachung 
der Viehmärkte, die Fleischbeschau, die Con- 
trole der Abdeckereien, die Wahl und Beauf¬ 
sichtigung der Zuchtthiere, die Controle 
der Viehversicherungs-Gesellsehaften, der Vieh¬ 
zählungslisten. Zu demselben ist ferner zu 
rechnen der Staatsdienst, welcher international 
werden kann, und welcher namentlich betreffen 
soll die Schutz- und Tilgungsmassregeln bei 
Seuchen und ansteckenden Krankheiten, sowie 
die Controle aller sonstigen Zweige des Vete¬ 
rinärdienstes.“ In dieser Fassung wurde die 
Resolution mit grosser Majorität angenommen. 

Dritte Resolution: „Zwischen den verschie¬ 
denen Staaten, welche durch einen regel¬ 
mässigen Dienst in Bezug auf Repression und 
Prävention von Epizootien die Garantie einer 
guten Veterinär-Sanitätspolizei liefern können, 


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CONGRUENTIA. — CONI LÜPÜLI. 


2*3 


soll eine Convention abgeschlossen werden, 
welche zum Zweck hat: 1. Die anderen 
Staaten in schleunigster Weise von dem Aus¬ 
bruche der Rinderpest, der Lungenseuche, der 
Maul- und Klauenseuche (Aphtenfieber), der 
Beschälseuche, des Rotzes und der Schafräude 
zu benachrichtigen; 2. ein periodisches Sanitäts¬ 
bulletin über diese Krankheiten, ihren Stand, 
Verlauf und Ende zu veröffentlichen, welche 
Nachrichten auch dem internationalen Bulletin, 
falls ein solches vorhanden, mitzutheilen sein 
werden ; 3. diese Krankheiten durch jene Mass- 
regeln der Sanitätspolizei zu bekämpfen, 
welche als die empfehlenswerthesten discutirt 
und adoptirt wurden; 4. für die Thiere und 
die Heelden, welche durch oder ausserhalb 
des betreffenden Territoriums transportirt 
werden, nur Original-Gesnndheitscertificate von 
garantirtem administrativen Charakter verab¬ 
folgen zu lassen; 5. zur Veröffentlichung eines 
internationalen, veterinärsanitären Bulletins 
beizutragen. 41 Wurde einstimmig angenommen. 

2. Die Lungenseuche veranlasste eine 
äusserst umfangreiche und interessante De¬ 
batte (s. österr. Monatsschrift f. Thierheilkunde 
Nr. 10—12, 1883, und Nr. 1—8, 1884). 
Die Frage hierüber wurde in folgender Weise 
formulirt: „Welches sind die Kennzeichen der 
Differential-Diagnose der Lungenseuche, und 
welches sind die Mittel, die Entwicklung und 
Verbreitung dieser Krankheit zu verhindern? 44 
Ueber den ersten Theil der Frage wurden 4, 
über den zweiten 28 Punkte aufgestellt und 
in vier Sitzungen nach umfangreicher Discus- 
sion, vorgeschlagen von einer Specialcommission, 
mit einigen Abänderungen angenommen. Wich¬ 
tig in dieser Frage war der Kampf über die 
Impfung, und es kam folgende Beschluss¬ 
fassung zustande: „Die Schutzimpfung, d. h. 
die Impfung, welche gemacht wird, wenn die 
Krankheit noch nicht in einer Gegend herrscht, 
muss absolut verwarfen werden; die sog. Noth- 
impfung, d. h. diejenige, welche gebraucht 
wird, wenn die Krankheit schon in einer 
Heerde besteht, kann zugelassen, aber nicht 
vorgeschrieben werden. 

Der dritte Programmpunkt umfasste eine 
ausführliche Darlegung des „thierärztlichen Un¬ 
terrichtes 44 , und insbesondere wurden folgende 
Punkte zum Bechlusse erhoben: „Um zu den 
Studien der Thierheilkunde zugelassen zu 
werden, muss man das Baccalauriat der Wis¬ 
senschaften oder das der Sprachen bestanden, 
also die secundären Studien abgemacht haben. 44 
„Es sind mindestens vier Jahre Specialstudien 
für das vollkommene Studium der Veterinär- 
medicin nothwendig, wenn das Studium der 
Naturwissenschaften mit inbegriffen ist. 44 

Der vierte Punkt behandelt die Frage: 
„Kann man den Thierärzten das Recht unter¬ 
sagen, die Medicamtc zu verkaufen, welche 
für die ihrer Behandlung anvertrauten Thiere 
bestimmt sind? 44 Resolution: „Die Thierärzte 
aller Länder sollen das Recht haben, die für 
die kranken Thiere bestimmten Medicamente 
zu bereiten und zu verkaufen, wenigstens für 
die Thiere, die jeder Thierarzt selbst in Be¬ 
handlung hat. 44 


Der fünfte Gegenstand, „die Tuberculose 44 , 
konnte wegen der Ausdehnung, welche die 
Discussion der übrigen Gegenstände ange¬ 
nommen hatte, nicht mehr zur Debatte ge¬ 
bracht werden, sondern wurde von der Tages¬ 
ordnung abgesetzt und auf den nächsten Con- 
gress verwiesen; dagegen wurde die Tuber¬ 
culose in ihrer Beziehung zur Fleischbeschau 
zur Discussion gebracht und folgende, von 
Bouley vorgeschlagene Resolution angenom¬ 
men: „Jedes Schlachtthier, bei welchem sich 
die der Tuberculose eigentümlichen krank¬ 
haften Veränderungen vorfinden, ist als eine 
für den Genuss des Menschen durchaus un¬ 
geeignete Schlachtwaare zu conflsciren. Der 
Cadaver eines solchen Thieres muss sofort 
unschädlich gemacht werden, entweder durch 
Behandlung mit pyrogenen Mitteln, bezw. 
schwefeliger Säure, oder es ist auf der Ab¬ 
deckerei einer vollständigen Verkochung zu 
unterwerfen. 44 Obwohl viele Gegner dieser Re¬ 
solution sich der Abstimmung enthielten und 
eine grosse Minorität ohnedies gegen diese 
Fassung war, so wurde dieselbe doch als 
massgebend anerkannt. 

Endlich wurde zur nochmaligen Bera¬ 
tung der Ausbildung der Thierärzte ge¬ 
schritten, und folgende Zusatzpunkte zum Be¬ 
schlüsse erhoben: a) „Extemat und Internat 
sind facultativ für die Thierarzneischule; 44 
b) „dass die Thierazneischulen an allen Ländern 
zu den Staatsinstituten gehören sollen, ist 
wünschenswert. 44 Endlich wurde der Be¬ 
schluss gefasst, dass der nächste Congress inner¬ 
halb fünf Jahren in Paris tagen soll. 

Der vierte Congress in Brüssel war von 
grosser Bedeutung, weil die Koryphäen der 
Wissenschaft mit sympathischer Theilnahme 
des Staatsoberhauptes und der höchsten Re¬ 
gierungsbeamten hier vereint tagten und äus¬ 
serst wichtige Beschlüsse fassten. 

Die tierärztlichen internationalen und na¬ 
tionalen Congresse haben zur Entwicklung und 
Kräftigung der gesummten Thierarzneiwissen- 
schaft unleugbar Vieles beigetragen; und wenn 
auch nicht alles Angestrebte erreicht w-urde, so 
ist doch wenigstens der Anstoss gegeben und 
die Aufmerksamkeit der Landesbehörden und 
Volksvertretungen auf die Wichtigkeit dieses 
Gegenstandes im Staatsleben gelenkt, dieser 
in Erinnerung gebracht und insoweit auch be¬ 
rücksichtigt worden, als die Organe der Staats¬ 
regierungen durch den Besuch der Berathungen 
dieser Congresse ihre Theilnahme dafür ge¬ 
zeigt haben und deren Resultate wohl zu 
schätzen wussten, indem die Gesetzgebungs- 
factoren zur Grundlage und zum Aufbaue ein¬ 
schlagender Gesetze das aus den Congressen 
hervorgegangene Material nicht selten be¬ 
nützten. Ableitner. 

Congruentia (von congruere), Ueberein- 
stimmung, Harmonie, z. B. in der Form be¬ 
nachbarter Flächen (Gelenkflächen), oder in 
mannigfachen Erscheinungen einer Krank¬ 
heit. Sussdorf. 

Coni Lupuli, der kegel- oder zapfen - 
förmige Fruchtstand (die weiblichen Blüthen) 



CONIDIEN. — CONJUNCTIVA. 


224 

des bei uns cultivirten Hopfens; sie werden 
auch als Strobili oder Amenta Lnpnli (Capita 
Homnli) bezeichnet, sind aber officinell 
unter dem Namen Glandulae Lupuli (Harz¬ 
drüsen) Ph. G.; 8. die Stammpflanze Humulus 
Lupulus, Hopfen. Vogel. 

Conidien (von xovta, Staub), zweckmässi¬ 
ger jedoch Gonidien (s. d.), nennt man im 
weitesten Sinne alle Vermehrungszellen zunächst 
der Pilze und Algen, welche ungeschlechtlich, 
also weder durch vorhergegangene Copulation, 
noch durch Befruchtung entstanden sind. 
Hierher gehören die Vermehrungszellen aller 
Schimmelformen, die Dauersporen der Spalt- 
und Sprosspilze, aber auch die Sporen der 
Brand- und Bostpilze, die Tetrasporen der 
rothen Meeresalgen u. s. w. Auch die blatt¬ 
bärtigen Brutzellen mancher Lebermoose ge¬ 
hören hierher. Fast ebenso häufig wie Coni- 
dium gebrauchen viele Autoren die passendere 
Bezeichnung Gonidium. Früher hat man all¬ 
gemein auch die Algenzellen im Thallus der 
Pilze als Gonidien bezeichnet. Die in eigenen 
Behältern (Pycniden) der Ascomyceten einge¬ 
schlossenen Gonidien heissen „Pycnogonidien“, 
auch „Stylosporen“. Harz. 

Coniferin, C, e H tt O g . Ein Glycosid, welches 
sich im Safte des jungen Holzes der Nadel¬ 
bäume findet. Erhitzt man den Cambialsaft 
zum Kochen, filtrirt, dampft das Filtrat auf % 
seines Volums ein, so scheidet sich aus dem¬ 
selben das Coniferin in farblosen Krystallen 
aus. Es löst sich in Wasser, Alkohol, 
nicht in Aether; schmeckt schwach bitter 
und färbt sich, mit Carbolsäure und Salzsäure 
befeuchtet, intensiv dunkelblau. Bei Behand¬ 
lung mit Kaliumchromat und Schwefelsäure 
erhält man aus Coniferin als Oxydations- 
product Vanillin, welches vollkommen iden¬ 
tisch mit dem in den Vanilleschoten vor¬ 
kommenden wohlriechenden gleichnamigen 
Stoffe ist. Durch Einwirkung von verdünnter 
Salzsäure liefert Coniferin Traubenzucker und 
einen krystallisirenden Körper von der Zu¬ 
sammensetzung C, 0 H m O s , aus welchem dann 
durch Oxydation das Vanillin entsteht. Lh. 

Coniin. Ein im gefleckten Schierling (Co- 
nium maculatum) vorkommendes Alkaloid, wel¬ 
ches der genannten Pflanze, die häufig zwischen 
Klee vorkommt, narkotische Wirkungen ver¬ 
leiht, die letzteren sind jedoch im getrockneten 
Zustande dieser Pflanze 'nicht sehr bedenklich; 
sie ist den Ziegen ganz ungefährlich. Pott. 

Coniothecium. Corda (von xovta, Staub, 
und fl^xYj, Büchse). Diese Pilzgattung ist 
durch einen lrrthum in die medicinische Lite¬ 
ratur gerathen. Hallier nannte nämlich etwas 
nicht näher zu Definirendes so, was nach des¬ 
sen Meinung Syphilis und Gonorrhoe erzeuge. 
C. syphiliticum Hall, sollte erstere, C. gonor- 
rholcum letztere Krankheit erzeugen. Beides 
hat sich alsbald als lrrthum erwiesen. Harz. 

Conium maculatum, gefleckter Schierling, 
die bekannte giftige, in ganz Europa an 
Wegen und unbebauten Stellen wachsende 
Umbellifere (L. V. 2.). Stengel oft über 2 m 
hoch, röhrig, kahl, meist blutroth gefleckt, was 
für die Pflanze besonders charakteristisch ist: 


auch ist sie an den kerbigwellenförmigen 
Biefen der Früchtchen leicht kenntlich. Die 
untern Blätter sind dreifach gefiedert, die 
Blättchen tief fiederspaltig mit gesägten 
Zipfeln, Blüthen in Doppeldolden und weiss 
(August). Wirksam ist das widrig riechende 
Coniin (s. d.), das hinsichtlich seiner phy¬ 
siologischen Wirkungen dem Nicotin und 
Curarin am nächsten steht, denn es lähmt 
die motorischen Nervenendungen der Muskeln, 
diese selbst aber reizbar lassend und erst 
später werden auch die motorischen Centren 
im Gehirn und Bückenmark paralysirt, wo¬ 
durch dann unter Krämpfen der Erstickungstod 
eintritt, während das Herz noch am längsten 
aushält. Aber auch örtlich werden die sen¬ 
siblen Nervenenden gelähmt, auf die Haut 
eingeriebene Coniinsalben machen daher die 
Stelle unempfindlich, doch wirkt hier das 
Piperidin des Pfeifers kräftiger, Coniin ist 
daher mehr ein Lähmungsmittel der moto¬ 
rischen Sphäre, das merkwürdigerweise das 
Gehirn fast ganz ausser Spiel lässt. Lethale 
Dosis bei Kaninchen 0*02 Coniin, bei Hun¬ 
den 0*05—0*08, die Pflanze findet jedoch 
keine thierärztliche Anwendung und wäre 
jedenfalls das Curare vorzuziehen. Vogel. 

Conjugata diagonalls. Man versteht dar¬ 
unter den schiefen Beckendurchmesser, der 
von der Mitte des Promontoriums zum hinte¬ 
ren Ende der Beckenfuge geht. StreM. 

Conjugatio (von conjugare, zusammen- 
jochen, verbinden), wird für die Verbindung 
zweier Individuen behufs Erzeugung eines 
neuen Lebewesens (der gleichen Art), i. e. Be¬ 
gattung gebraucht. Die Zoologie speciell ver¬ 
steht unter Conjugatio einen Vorgang tem¬ 
porärer oder definitiver Verschmelzung zweier 
gleichartiger, resp. verschiedenartiger Indi¬ 
viduen behufs Steigerung der vitalen Energie 
der Wachsthums- und Vermehrungsfähigkeit 
durch Theilnng (also einen Verjüngungs- 
process des Protoplasmas) als Ersatz für die 
Befruchtung. Die Conjugatio kommt nur bei 
den niedersten einzelligen Wesen des Pflanzen- 
und Thierreiches vor. Sussdorf. 

Conjunctiva (Bindehaut des Auges). 
Conjunctiva nennt man das die innere Fläche 
der Augenlider und die vordere Scleral- und 
Comealpartie des Augapfels überziehende, 
schleimhautartige Gebilde. Man unterscheidet 
daher eine Conjunctiva palpebrarum und eine 
Conjunctiva bulbi; ferner auch eine Conjunc¬ 
tiva scleroticae und eine Conjunctiva corneae. 
Mikroskopisch ist die Conjunctiva folgender- 
massen gebildet: Die Grundsubstanz bildet ein 
Lymphoidzellen beherbergendes lockeres Bin¬ 
degewebe, welches am vorderen, die Augen¬ 
lidspalte umrandenden Theile viel kleinere 
Papillen hat, als an der hinteren Partie des 
Augenlides. Das Ganze wird durch ein zwei¬ 
schichtiges Epithel bedeckt und zwar oben 
durch cylinderförmige, unten durch rundliche 
Zellen. Die Conjunctiva enthält folgende Drü¬ 
sen: 1. Schweissdrüsenähnliche sog. Knäuel¬ 
drüsen (selten); 2. Meibom’sche; 3. beim 
Menschen und bei einigen Säugethieren ra- 
cemose, sog. accessorische Thränendrüsen 



CONJUNCTIVITIS. 


(Henie); ausserdem hat Meissner bei Wie¬ 
derkäuern in dem die Hornhaut umgrenzen¬ 
den Theüe innen und unten noch 6—8 knäuel¬ 
förmige Schläuche gefunden, welche den 
Schweissdrüsen sehr ähnlich sind und nach 
Manz mit kolbigem Ende münden. Ebenso 
hat Manz beim Schweine eine eigen- 
tbümlich geformte Drüse (Manz’sche Drüse) 
gefunden, welche aus einzelnen oder runden, 
mit Bindegewebe umgrenzten ovalen Säcken 
zusammengesetzt und inwendig mit Zellen 
und mit körniger Masse gefüllt ist. Man 
findet noch in der Conjunctiva des Menschen 
sowie bei sehr vielen Säugethieren und Vögeln 
die sog. Trachomdrüsen Henle’s, welche 
meistens in den inneren Augenwinkeln Vor¬ 
kommen. Beim Ochsen sind dieselben an den 
unteren Augenlidern in Haufen (Bruch’schen 
Haufen) conglomerirt, während beim Menschen 
nur wenige und zerstreut Vorkommen. Die 
Blutgefässe der Conjunctiva kommen von 
Zweigen der Augenlider und Thränengefässe 
und von solchen Zweigen, welche die vorderen 
Ciliargefässe am Rande der Hornhaut abgeben. 
Auch Lymphgefässe kommen in der Conjunc¬ 
tiva vor (Arnold, Teich mann). Die Lymph- 
gefässe umzingeln die Ränder der Hornhaut 
in zierlichen Netzen, welche in die weiten Canal¬ 
netze der Scleralconjunctiva einmünden. So¬ 
wohl die Trachomdrüsen, als auch die Bruch- 
schen Haufen haben viele Lymphgefässnetze. 
In der Conjunctiva der Augenlider sind ober¬ 
flächliche und tiefere Netze (Schmid); eben¬ 
so auch an der Peripherie der Meibom’schen 
Drüsen (Colosanti). Die Nerven der Con¬ 
junctiva sind sehr wenig bekannt. Am Lid¬ 
rande findet man Kraus e'sche Endkolben. An 
der Conjunctiva bulbi auch eben solche. Die 
Nerven gehen von der Grundsubstanz der 
Conjunctiva aus in das Epithel (Helfreich, 
Morano); nach Cohnheim und Hoyer gehen 
die Cornealnerven auch in die sog. Conjunctiva 
corneae. v. Thanhoffer . 

Conjunctivitis, Bindehautentzündung (Syn- 
desmitis). Referent hat von den in der Men¬ 
schenheilkunde unterschiedenen Arten der 
Conjunctivitis bei Thieren bloss die Conjunc¬ 
tivitis catarrhalis kennen gelernt. Diese kommt 
entweder für sich allein vor oder, was häufiger 
der Fall ist, secundär und ist dann in dem 
anatomischen oder functioneilen Verbände 
begründet, in welchem die Bindehaut mit den 
Nachbarorganen steht. Wir haben eine acute 
und eine cnronische Conjunctivitis zu unter¬ 
scheiden. Erstere zeichnet sich aus durch 
die Erscheinungen der Hyperämie, welche zu 
einer vermehrten Transsudation in die Ma¬ 
schen des conjunctivalen Gewebes und zu 
gesteigerter Absonderung eines trübschleimigen 
oder eitrigschleimigen Productes führt. Die 
Hyperämie ist sehr verschieden nach dem 
Grade und dem Stadium der Krankheit. 
Der Ton der Injectionsröthe wechselt von 
einer etwas stärkeren Einspritzung der Ge- 
fässe angefangen bis zu einer dunkelrothen, 
ja ins Violette spielenden Färbung. In manchen 
Fällen findet man sogar kleip^ Blutextravasate. 
Die Injection beschränkt sich manchmal auf 

Koch. Encyklopädie d. Thierheilkd. II Bd. 


225 

die Lidbindehaut, bei höheren Graden des 
Leidens übergreift sie aber auch auf die 
Bindehaut des Augapfels. Die Schwellung des 
Gewebes spricht sich durch das Verstreichen 
der Falten aus, welche wir bei gesunden 
Lidern finden; in hohen Graden bedecken die 
wulstförmig geschwollenen Lider den Bulbus 
vollständig. Versucht man dieselben zu öflnen, 
so drängt sich die Bindehaut in Form läng¬ 
licher, meist etwas durchscheinender Wülste 
zwischen der Lidspalte hervor. Dabei ist ihre 
Oberfläche anfangs glatt in Folge grösserer 
Prallheit, später wird die Bindehaut mehr 
schlaff und in Folge dessen faltig und zeigt 
auch deutliche Auflockerung. Die Temperatur¬ 
erhöhung, die bei Conjunctivitis jedenfalls auch 
bestehen wird, ist oojectiv wohl kaum nach¬ 
weisbar. Dass die Thiere, wenn gerade auch 
nicht Schmerz, so doch ein unangenehmes 
Gefühl, vielleicht wie der Mensch ein Jucken 
und Brennen verspüren dürften, scheint daraus 
hervorzugehen, dass sie sich häufig zu reiben 
suchen. Das Product der Entzündung ist je 
nach der Stärke des Processes sowohl der 
Menge als auch der Beschaffenheit nach sehr 
verschieden. Im Anfänge der Krankheit finden 
wir nur eine stärkere Thränensecretion, dann 
mischt sich derselben immer mehr Schleim 
bei, wodurch das Product trüber wird. Bei 
hochgradigen Leiden ist die Secretion eitrig¬ 
schleimig oder rein eitrig. Während man bei 
reinlich gehaltenen Thieren das Secret haupt¬ 
sächlich nur im inneren Augenwinkel sieht, 
findet man bei weniger gut gepflegtenPatienten 
oft dicke Krusten in der Umgebung des Auges 
und in Form eines Streifens längs der Joch¬ 
leiste sich herabziehen, nach deren Entfer¬ 
nung bei langbestehenden Entzündungen haar- 
und manchmal auch pigmentlose Stellen für 
einige Zeit Zurückbleiben. 

Bei der chronischen Form des Binde- 
hautkatarrhes ist die Schwellung der Lider 
oft ganz fehlend oder nur sehr gering, die 
Bindehaut ist schmutzig, gelblichroth, ge¬ 
färbt, von erweiterten Gefössen durchsetzt. Die 
Auflockerung derselben ist nicht zu verkennen 
und das Secret ist ein schleimiges oder 
schleimig-eitriges. Wie schon erwähnt, tritt 
die Conjunctivitis als Begleiterin vieler an¬ 
derer Erkrankungen des Auges und seiner 
Adnexa auf (Hornhautentzündung, Mondblind¬ 
heit, Katarrh des Thränensackes etc.); ebenso 
pflanzen sich aber auch Krankheiten der 
äusseren Haut auf die Bindehaut fort, z. B. 
bei Eczemen, Pocken, Maulweh etc. Bei In¬ 
fluenza vermisst man nur selten eine ver¬ 
schieden stark entwickelte Conjunctivitis. Des¬ 
gleichen bei der Staupe der Hunde. Primär 
und für sich allein bestehend, beobachtet 
man die Conjunctivitis relativ nicht häufig. 
Als Ursache müssen wir dann Schädlichkeiten 
bezeichnen, welche direct die Bindehaut ge¬ 
troffen haben, so z. B. Rauch, Staub, Abfälle 
vom Futter, besonders Grannen, Würmer 
(filarialacrymalis), Narben am Lide, sowie an der 
Gesichtshaut, durch welche das Lid entweder 
en- oder ectropionirt wird, nach einwärts ge¬ 
stellte Wimpern etc. Sehr heftige Entzündungen 

15 



226 CONNASCENTIA. — CONSERVIREN DER NAHRUNGSMITTEL. 


entstehen durch zufällig in den Bindehautsack 
gekommene scharfe Salben, oder, wie ich es 
schon wiederholt sah, durch Aetzkalk. Der 
Verlauf ist in der Regel kurz, etwa 8 bis 
14 Tage, vorausgesetzt, dass etwaige, die 
Krankheit veranlassende äussere Schädlich¬ 
keiten entfernt werden können. (Eine seuchen¬ 
artig in Slavonien enzootisch vorkommende 
Blennorrhoe und das Trachom [s.d.] wird bisher 
nur von Blazekovic beschrieben.) Bei lange 
dauernden, insbesonders chronischen Katar¬ 
rhen erweicht endlich auch der Lidknorpel, 
so dass er dem Lide nicht mehr als Stütze 
dienen kann. Dieses hebt sich dann vom Aug¬ 
apfel etwas ab und senkt sich gleichzeitig; 
es bildet sich der Anfang eines Ectropiums. 
Die Thränen und das katarrhalische Secret 
rinnen nun fortwährend über die Lid- und 
Gesichtshaut, bewirken Excoriationen, Ent¬ 
zündungen und endlich Schrumpfung der Haut, 
wodurch selbstverständlich das Ectropium 
immer stärker sich ausbildet (triefäugige 
Hunde). Die Behandlung hat mit genauer Er¬ 
forschung der Ursachen zu beginnen, die 
entfernt werden müssen, also insbesonders 
fremde Körper. Sollten dieselben nicht schon 
durch die bei der Untersuchung reichlicher 
abfliessenden Thränen herausgeschwemmt 
werden, so müsste man sie mittelst eines 
Leinwandläppchens wegwischen und in man¬ 
chen Fällen, wenn sie fest sitzen, mittelst 
einer Pincette herausziehen. Wohl nur bei 
heftigen Reizungserscheinungen werden wir 
von der Kälte als solcher Gebrauch machen, 
indem wir kalte Umschläge ordiniren, in der 
Regel werden zeitweilig vorgenommene kalte 
Waschungen des kranken Auges genügen, 
wodurch auch gleichzeitig der Reinlichkeit 
Rechnung getragen wird. Von entschiedener 
Wirksamkeit erweist sich eine locale Behand¬ 
lung durch Adstringentien und auch schwachen 
Aetzmitteln. Letztere haben den Vorzug einer 
raschen und sicheren Wirkung, sind aber bei 
Thieren nicht so leicht anwendbar. Man soll 
hiebei zuerst die Lide umstülpen und die 
Bindehaut dann mittelst eines feinen Pinsels 
mit einer 1—2% Lösung von Argentum ni- 
tricum bestreichen. Es dürfte sich daher die 
Anwendung von Augen wässern oder von Salben 
besser empfehlen; so Losungen von Zinc. 
sulfuric, Cuprum sulfur.oder Aluminat, Alumen, 
Plumb.acet (circaO’l: 100), Tannin (10:t00), 
Mercur sublim, corr. (0*03:100); Collyr. ad- 
stringens luteum, (der Pharmacop Austriae.) 
und Aq. dest. aa; von Salben wird Mercurius 
praecipit. rubr. oder alb. mit Vaselin 1 *0:20*0 
in erbsengrossen Mengen in den Bindehautsack 
gebracht. Bei Thieren, die wahrscheinlich wegen 
eines sehr heftigen Juckreizes sich fortwährend 
zu scheuern suchen und dadurch das Leiden 
verschlimmern, könnte man vielleicht mit 
Vortheil Cocain versuchen. Um die Nachtheile 
zu beseitigen, die durch das abfliessende 
Secret entstehen, empfiehlt es sich, die Lid¬ 
ränder und die umgebende Haut einzufetten. 
Hautreize, als: scharfe Salben, Fontanelle Eiter¬ 
bänder, sowie Aderlässe, die ehemals an¬ 
gewendet wurden, sind völlig nutzlos. Bei 


einwärts stehenden Wimperhaaren, bei En- 
und Ectropium als Ursache der fortdauernden 
Reizungszustände wäre nur durch Beseitigung 
dieser Leiden mittelst eines operativen Ein¬ 
griffes eine Heilung oder doch Besserung mög¬ 
lich (s. die betreffenden Capitel). Bayer. 

Conit&acentia (von connascere), eine nicht 
mehr nachweisbare Verwachsungvon ursprüng¬ 
lich getrennten Knochenstücken zu einem 
einzigen, die nur aus phylo-, resp. ontogene- 
tischen Gründen geschlossen werden kann. Sf. 

ConnatU8 (von con- und nasci), 1. ange¬ 
boren i. e. während der Trächtigkeit ohne 
Einfluss der Eltern erworben; *. zusammen¬ 
gewachsen. Sussdorf. 

Conquet-Pferd. Unter den leichten Pferden, 
welche die Bretagne liefert, ist die haupt¬ 
sächlichste Varietät jene, welche man als 
Conquet-Rasse bezeichnet. Dieser Name stammt 
von einer kleinen Seestadt im Departement 
Finistfcre, südwestlich von Brest gelegen. Die 
Grösse der in Rede stehenden Pferde über¬ 
steigt nicht 1 * 57 m. Die Haarfarbe ist fast 
stets braunroth. Der Kopf wird ziemlich leicht 
getragen und ist manchmal ein Ramskopf; 
die Halsbeuge ist wohlgestaltet, der Wider¬ 
rist sogar ziemlich scharf ausgesprochen; 
die Vorhand entbehrt nicht einer gewissen 
Eleganz. Der Körper ist häufig zu lang. Die 
Kruppe nähert sich der Horizontalen. Die 
Stellung der Beine ist oftmals fehlerhaft, 
dieselben sind schwach und in der unteren 
Region mit langen Haaren bedeckt. Das 
Conquet-Pferd ist bei der Arbeit ausdauernd, 
sehr verwendbar und von energischem Tem¬ 
perament. Ncumann. 

Gonsecutivus (von consequi. nachfolgen), 
nachfolgend, z. B. in Folgekrankheit. Sf. 

Conaerven s. Futterconserven. 

Conservfren der Nahrungsmittel. Alle 
Nahrungsmittel, sowohl in rohem als gekoch¬ 
tem Zustande, unterliegen dem Verderben, 
welches nach dem derzeitigen Standpunkt der 
Wissenschaft davon herrührt, dass in der Luft 
überall Keime von Organismen vorhanden 
sind, welche als Fäulnisserreger wirken, d. h. 
die Nahrungsmittel, auf denen sie weiter vege- 
tiren, in einer Weise zersetzen, dass hiebei je 
nach dem Grad, den diese Zersetzung erreicht 
hat, mehr weniger giftige und übelriechende 
Producte entstehen. Die Endproducte der Fäul- 
niss organischer Körper, Kohlensäure, Am¬ 
moniak, Wasserstoffgas, sind wohl nicht giftig. 
Hingegen zeigen die neueren Untersuchungen, 
dass gerade die ersten Spaltungsproducte der 
thierischen Stoffe durch Fäulnisserreger, deren 
isolirte Darstellung erst in jüngster Zeit in 
Angriff genommen wurde und zum Theil auch 
schon gelungen ist, sehr giftige Substanzen 
sind, welche ähnlich den giftigen Pflanzen¬ 
alkaloiden auf den Körper wirken, und welche 
zu jener Gruppe von Stoffen gehören, die 
unter dem Namen der Leichenalkaloide derzeit 
das Interesse der Forscher in hohem Grade 
fesseln. Um nun die Nahrungsmittel davor zu 
schützen, dass die Fäulnisserreger auf denselben 
günstige Bedingungen für ihr Gedeihen fin¬ 
den, werden schon seit den ältesten Zeiten 


Digitized by ^.ooQie 



CONSERYIRTE MILCH. — CONSONANZ. 


m 


gewisse Massregeln geübt, welche man als 
Conservirungsmethoden bezeichnet. Diese Mass¬ 
regeln bestehen im Allgemeinen in der Was¬ 
serentziehung, in der Anwendung so hoher 
Temperatur, bei welcher die Fäulnisspilze ge- 
tödtet werden, oder so niederer Temperatur¬ 
grade, dass sie sich nicht entwickeln können: 
in der Anwendung von Druck, im Versetzen 
mit gewissen Stoffen, welche faulnisswidrig 
wirken (s. Antiseptik). Um Fleisch für län¬ 
gere Zeit aufzubewahren, werden besonders 
folgende Conservirungsmethoden geübt: 1. Das 
Trocknen an der Luft; 2. die Behandlung mit 
antiseptischen Stoffen: mit Kreosot (Räuche¬ 
rung), mit schwefliger Säure, Salicylsäure, 
Holzessig; 3. die Einpöckelung, d. i. das 
Behandeln mit Kochsalz und Salpeter, hiebei 
wird dem Fleische jedoch nicht nur Wasser 
entzogen, sondern es verliert auch für die Er¬ 
nährung wichtige Salze; 4. längeres Kochen 
und Aufbewahren in luftdicht geschlossenen 
Büchsen, aus denen die Luft vollkommen ent¬ 
fernt wurde; 5. Ueberziehen mit Fett oder 
Leim; schliesslich die Anwendung von Kälte 
(s. a. Fleisch). Milch wird durch Eindampfen, 
wobei sie Wasser verliert, condensirt am sicher¬ 
sten aufbewahrt. Die condensirte Milch wird 
bereitet, indem man Milch, welcher Rohr¬ 
zucker zugesetzt wurde, bei niederer Tempera¬ 
tur im luftverdünnten Raume (Vacuum-Apparat) 
eindampft. Auch Butter kann man durch all- 
mäliges Entfernen des darin enthaltenen 
Wassers bei 60° C. haltbar machen. Eier 
conservirt man durch Einlegen in Kalk oder Kalk¬ 
wasser, durch Bestreichen mit Leim oder durch 
Tränken in einer Lösung von 10 Th. weissen 
Peches und 50 Th. siedenden Baumöles (Abhal¬ 
ten der Luft). Die Gemüse werden meistens 
in Wasser gekocht und in hermetisch ver¬ 
schlossenen Büchsen, aus denen die Luft voll¬ 
kommen entfernt wurde, aufbewahrt. Locbisch. 

Conservirte Milch, s. Milch. 

Conservlrungsflitasigkelt, s. Mikrosko¬ 
pische Technik. 

Consilium. 1 . Die Beratschlagung 
mehrerer Aerzte über einen Krankheitsfall. 
2 . Verfahren, Methode. Sussdorf. 

Consistenzveränderungen in verschie¬ 
denen Organen kommen in Folge verschie¬ 
dener pathologischer Vorgänge zu Stande. 
Eine Zunahme der Consistenz findet statt 
bei vermehrtem Blutgehalt und Infiltration 
mit festen Entzündungsproducten (z. B. bei 
Splenisation und Hepatisation der Lungen), 
bei zelligen Infiltrationen und interstitiellen 
Bindegewebswucherungen und bindegewe¬ 
bigen Entartungen parenchymatöser Organe 
(Cirrhosis der Lungen, Leber und Nieren), 
bei Infiltrationen weicher Gewebe mit Pigment 
<Pigment-Induration) und mit Kalksalzen (Ver¬ 
kalkungen, Verkreidungen der Knorpel) und 
Neubildungen (Tuberkel und Parasiten), beim 
Wasserverlust und Eintrocknen mortificirter 
Organe. Eine Abnahme der Consistenz ge¬ 
schieht bei Infiltrationen der Gewebe mit 
Luft und Gasen und wässerigen Exsudaten 
und Transsudaten (Emphysem, Oedem) durch 
brandige Erweichungen (feuchten Brand) und 


Fäulniss. ln Cadavem tritt bei beginnender 
Fäulniss meist in allen Organen und Geweben 
eine Abnahme der Consistenz ein; nur beim 
schnellen Eintrocknen derselben ohne Fäul¬ 
niss werden sie härter. Semmcr. 

Consonanz. Unter Consoniren versteht 
man in der Physik das Mitklingen oder viel¬ 
mehr Nachklingen eines Tones (nichtSchalles), 
wodurch derselbe auch entfernt von seiner 
Ursprungsstelle vernommen wird; selbst¬ 
verständlich ist der Ton hiedurch etwas ab¬ 
geschwächt worden zum Unterschied von der 
Resonanz, bei welcher der Ton durch Refle¬ 
xionen verstärkt wird, ebenso ist zum Zu¬ 
standekommen einer Consonanz nothwendig, 
dass die Substanz, welche das Nachklingen 
vermittelt, ein guter Schallleiter sei, auch 
müssen die Schwingungen sehr regelmässig 
sein und nach bestimmten harmonischen Ge¬ 
setzen erfolgen. Dies ist nur bei Tönen der 
Fall, nicht auch bei Geräuschen, wie sie 
z. B. in der Brusthöhle entstehen und deren 
Oscillationen ganz unregelmässiger Art sind. 
Experimentell kann die Consonanz am deut¬ 
lichsten dadurch hervorgerufen werden, dass 
man auf zwei leere Kistchen je eine Stimm¬ 
gabel schraubt und dann die eine Gabel an- 
Bchlägt; die Tonschwingungen sind so regel¬ 
mässig, dass nunmehr auch die andere Gabel 
„mittönt u , consonirt, auch wenn sie auf 1 m 
entfernt aufgestellt wird. In der Lehre von 
der Auscultation des Thorax spricht man nun 
häufig von consonirendem Bronchialathmen 
und consonirenden Rasselgeräuschen (Skoda), 
was sonach physikalisch nicht zu rechtfertigen 
ist, es kann daher hier blos von consonirend 
gesprochen werden, wenn mit jenen Respi- 
rationsphänornenenTöne, gewöhnlich ein helles 
Klingen, verbunden ist. Mit diesen Geräuschen 
ist aber bei den Thieren nur selten ein me¬ 
tallisches Klingen verbunden, man bekommt 
daher die wahre Consonanz nicht häufig zu 
hören, bei jenen Geräuschen daher, welche 
sich nur dem metallischen (oder auch musi¬ 
kalischen) Tone nähern, aber ebenfalls ent¬ 
fernt von ihrer Ursprungsstelle gehört werden, 
ist von Consonanz keine Rede, es sind die¬ 
selben vielmehr nur weiter geleitet worden, weil 
sie in einem Gewebe entstanden sind, dessen Um¬ 
gebung verdichtet, infiltrirt ist und nunmehr 
ein ungleich stärkeres Fortleitungsvermögen 
erhalten hat. Die Skoda’sche Consonanztheorie 
muss sonach in den Hauptpunkten umgeworfen 
werden und beschränkt sich daher nur auf 
die genannten Erscheinungen des metallischen 
Klingens, wie dies besonders bei Bronchopneu¬ 
monien und der croupösen Lungenentzündung 
vorkommt, oder w T enn an Stellen des Thorax 
metallische Töne gehört werden, wo sie nicht 
entstanden sein konnten, z. B. an solchen, 
die vollen Percussionsschall geben oder wo 
man amphorisches Athmungsgeräusch hört, 
denn am ehesten entstehen da Töne, w r o man 
es mit kleineren oder grösseren Extrava¬ 
sationen in infiltrirten Lungentheilen zu thun 
hat: wo also echte Consonanzphänomene zu 
Stande kommen, deuten diese fast ausnahms¬ 
los darauf hin, dass Höhlen vorliegen. In 

15* 



CONST ANTINUS. — CONSTANZ. 


ähnlicher Weise wie bei den metallisch klin¬ 
genden Basselgeräuschen verhält es sich auch 
mit der Consonanz bei der Bronchophonie 
und dem Bronchialathraen (s. d.). Vogel. 

Constantinus. Porphyrogenetes, griechi¬ 
scher Kaiser von 911—959, Üess ein Sammel¬ 
werk über alles auf dem Gebiete der Thier¬ 
heilkunde Geleistete anfertigen. Semmer. 

Constantirungsbock. Unter solchen ver¬ 
steht der Züchter männliche Zuchtthiere, 
welche in allen Eigenschaften, die seinem 
Zuchtzwecke entsprechen, im höchsten Grade 
vollkommen entwickelt sind, keinerlei Schwä¬ 
chen, noch viel weniger Fehler an sich tragen. 
Er verwendet sie hauptsächlich zur „homo¬ 
genen“ Paarung, d. h. zur Paarung mit solchen 
weiblichen Thieren, welche ebenso in allen 
ihren Eigenschaften dem Zuchtziele entspre¬ 
chen, höchstens noch nicht in so hohem 
Grade leistungsfähig sind, wie jenes es er¬ 
fordert, aber keinerlei Eigenschaften nach 
irgend einer Richtung hin besitzen, welche 
dem Zuchtziele widerstreben. So geeigen- 
schaftete weibliche Thiere können nun mög¬ 
licherweise aus einer heterogenen Paarung 
hervorgegangen sein, deren Eltern möglicher¬ 
weise auch einzelne dem Zuchtziele nicht ent¬ 
sprechende Eigenschaften besessen haben, 
welche bei der Zeugung der betreffenden 
Thiere durch den Vater, wenn auch nicht 
vollständig überwunden, so doch höchstens 
nur „latent“ (unerkennbar) vorhanden sind. 
Der Constantirungsbock hat die Aufgabe, in 
der Nachzucht aus solchen weiblichen Thieren, 
die eventuell noch latent vorhandenen miss¬ 
liebigen Eigenschaften derselben immer mehr 
zu überwinden, die erkennbaren, dem Zucht¬ 
ziele entsprechenden Eigenschaften immer 
sicherer zu machen, gegen Rückschlag zu 
schützen und wo möglich in quanto noch zu 
steigern. Von dem Constantirungsbock haben 
wir daher zu fordern, dass er nicht nur indi¬ 
viduell tadellos sei, sondern dass auch sein 
Stammbaum nachweist, dass er von einer 
möglichst langen Reihe von Vorfahren ab¬ 
stammt, die sowohl in männlicher wie in 
weiblicher Linie durch das Vorhandensein in 
hohem Masse nur solcher Eigenschaften sich 
hervorgethan haben, welche dem vor^esteckten 
Zuchtziele entsprechen, keinerlei andere 
diesem widerstrebende aber je vorgekommen 
sind, daher die Gefahr eines Rückschlages 
so gut wie beseitigt zu sein scheint. Am 
wichtigsten wäre es bei der Züchtung wohl, 
nur solche Constantirungsböcke in der ganzen 
Heerde zu verwenden; diese sind aber sehr 
kostbar und würde deshalb in Heerden, die 
noch keinen hohen züchterischen Werth haben, 
in Rücksicht eben auf den Kostenpunkt nicht 
durchzuführen sein. Da bedient man sich 
dann des „Corrections“-Bockes. In jeder Mutter- 
heerde wird man Thiere finden, welche, wenn 
auch in den meisten Eigenschaften — wenn 
auch noch nicht in sehr hohem Grade — 
dem Zuchtziele entsprechen, in einer Eigen¬ 
schaft aber von demselben abweichen, oder 
dasselbe nur sehr schwach vertreten. Diese 
abweichende Eigenschaft hat man nun in der 


Nachzucht zu verbessern, abzuändern, zu „corri- 
giren“, oder aber, wenn sie in nur geringem 
Masse vorhanden ist, möglichst zu steigern. 
Dazu verwendet man den „Corrections“-Bock. 
Dieser soll nicht etwa dadurch günstig wirken, 
dass er gerade die der fehlerhaften Eigen¬ 
schaft des Mutterthieres entgegengesetzte 
fehlerhafte Eigenschaft besitzt, indem man 
meint, „Ungleiches mit Ungleichem gepaart, 
gibt Ausgleichung“; er soll gerade statt der 
fehlenden oder fehlerhaften Eigenschaft die 
normale, dem Zuchtziele entsprechende, 
in möglichst hohem Grade nicht nur indi¬ 
viduell besitzen, sondern auch von seinen 
Vorfahren ererbt haben. Ein solches Vater- 
thier wird noch für das Zuchtexperiment 
genügen, wenn es die sonst für das Zuchtziel 
erforderlichen Eigenschaften nur in weniger 
vollendeter Menge besitzt, wenn diese nur 
bei den Mutterthieren in hinreichender Lei¬ 
stungsfähigkeit vorhanden sind. Solche Thiere 
sind dann auch verhältnissmässig billiger 
zu beschaffen. Bohm. 

Consi&nz, von Constantia, Beständigkeit. 
Damit bezeichnet man in der Zootechnik die 
feste und zuverlässige Uebertragung der Eigen¬ 
schaften der Eltern auf ihre Abkömmlinge. Eine 
solche Sicherheit in der Vererbung kann aber 
nur dann als Constanz aufgefasst werden, wenn 
sowohl die Gestalt und Formen sämmtlicher 
Körperbildungen und Anlagen nicht nur allein 
untereinander vollständige Harmonie zeigen, 
sondern auch mit den äusseren Naturverhält¬ 
nissen und Lebensbedingungen, wie es bei den 
natürlichen Arten der Fall ist, sich im Ein¬ 
klänge befinden, was auch eine Bedingung für 
die Echtheit der Rasse ist. Constanz ist aber 
nicht mit Unbeweglichkeit oder Unver¬ 
änderlichkeit einer Art oder Rasse zu 
verwechseln, was eine nicht ungewöhnliche 
aber höchst unwissenschaftliche Missdeutung 
dieses Begriffes ist. Im wilden Naturleben 
scheint Constanz zuweilen mit einem solchen 
Stillstände zusammenzutreffen, indem die 
äusseren Naturverhältnisse, unter welchen 
die Thiere leben, in überschaulichen Zeit¬ 
räumensich so wenig ändern, dass die möglichen 
Wirkungen der Veränderung sich der Auf¬ 
merksamkeit entziehen. Aber im Culturleben 
sind alle äusseren Verhältnisse einer unab¬ 
lässigen Veränderlichkeit unterworfen, und 
daher sind oft selbst nach kurzer Zeit in die 
Augen fallende Abänderungen der Formen 
der Hausthiere bemerkbar. Selbst unter 
Nationalitäten, welche sich innerlich mit 
überlieferten Sitten und Lebensverhältnissen 
identificirt haben (wie Kosaken und Berber), 
findet doch immer so viel Bewegung statt, 
dass die Wirkungen sich nach längeren 
Zeiträumen kundgeben. Alle Hausthierrassen 
sind daher einer steten Variabilität und Um¬ 
bildung unterworfen; sie werden aber als 
constante genannt, wenn die Verände¬ 
rungen ohne Schwankungen in einer 
bestimmten Richtung vor sich gehen. 
Vollblut, Merinos, Shorthorn haben sich auf 
diese Weise kennbar gemacht und unzweifel¬ 
haft verändert im Laufe von zwanzig bis 



CONSTANZ-THEORIE. <&9 


fünfzig und hundert Jahren, wie Abbildungen 
und Proben der Wolle es genugsam darthun; 
diese Veränderung ist aber eine regel¬ 
mässige Umbildung gewesen, und man ver¬ 
dankt es eben der Constanz, dass eine solche 
möglich sei, indem keimende Anlagen sich 
nicht wieder verlieren, sondern in lebens¬ 
kräftiger Pulle auf die Abkömmlinge über¬ 
führt werden (s. a. Constanz-Theorie). Frosch. 

Constam der Spaltpilze. Lange Zeit 
hindurch und bis vor wenigen Jahren glaubte 
man, dass die bis dahin bekannt gewordenen 
morphologisch verschiedenen Spaltpilze auch 
verschiedene Arten darstellen. Andererseits 
haben H. Karsten, Nägeli u. A. die Ansicht 
vertreten, dass alle Spaltpilzformen unter sich 
in genetischem Zusammenhänge stehen, und 
nur durch äussere Einflüsse: Ernährung, Tem¬ 
peratur u. s. w. modificirte Morphen seien, 
die unter Umständen wieder mehr oder weniger 
leicht in einander überzugehen vermögen. Die 
bis jetzt vorliegenden, namentlich durch Praz- 
mowski, Zopf, Cienkowski, Warnung, Filz und 
R. Koch zu Tage geförderten Untersuchungs¬ 
resultate lassen es jedoch unzweifelhaft er¬ 
scheinen, dass wir es hier, wie bei den höheren 
Pilzen, gleichfalls mit einer grossen Anzahl 
distincter charakteristischer und guter Arten zu 
thun haben. Von manchen derselben kennt 
man nur wenige, von anderen mehrere Ent¬ 
wicklungsformen (s. Beggiatoa unter „chro- 
mogene Spaltpilze 11 , Clathrocystis u. a). Wir 
haben es demnach hier ebenfalls mit Fällen 
von Pleomorphismus zu thun, wie bei vielen 
höheren Pilzen. Was den Einfluss des Nähr¬ 
bodens anbelangt, so steht fest, dass verschie¬ 
denartige als Nahrung dienende Substanzen 
(naturgemäss kann man fast sagen) auch ver¬ 
schiedenartige Zersetzungsproducto bedingen, 
und dass in dem Medium die eine Vegetations¬ 
form mitunter besser gedeiht, als eine andere 
in denselben Formenkreis gehörige. Manche 
saprophvstische Pilze können durch Anpassung 
gelegentlich zu Parasiten werden. Immer jedoch 
muss man die durch Emährungs- oder durch 
Temperaturverhältnisse hervorgerufenen mor¬ 
phologischen Veränderungen im Grossen und 
Ganzen als höchst unbedeutend bezeichnen. 
Es kann also die Beggiatoa roseo-persicina, 
z. B. unter gewissen Einflüssen von Ernäh¬ 
rung und Temperatur mit Vorliebe oder aus- 
schßesslich sich in der Micrococcus- oder in 
der Monasform u. s. w. vermehren, unter keiner¬ 
lei Bedingungen wird jedoch dieser Micrococ¬ 
cus sich zum Froschlaichpilz, zum Milzbrand¬ 
pilz oder zum Buttersäurepilz (Clostridium) etc. 
ausbilden, sondern er wird immer der Mi¬ 
crococcus der Beggiatoa bleiben und gelegent¬ 
lich zu deren Fäden u. s. w. auswachsen. Die 
Spaltpilze verhalten sich ebenso constant wie 
z. B. ein Eurotium, welches das eine Mal als 
Aspergillus, das andere Mai als Ascomycet, 
oder als Chlamydosporen bildendes Mycel auf- 
tritt; oder wie eine Mucorinee, welche sich 
uns als Blasenschimmel, als Copulationspilz, 
als Hefenvegetation oder als Chlamydosporen 
bildendes Mycel präsentirt. Harz. 

Constanz-Theorie. Dieselbe wurde im 


Jahre 1837 durch Wolstein, Justinus und 
andere Zootechniker begründet und später 
durch Mentzel, A. v. Weckerlin etc. weiter aus- 
gebildet und in Deutschland weiter verbreitet. 
Schon 1815 verlangte Justinus von einem guten 
Zuchtthiere erwiesene Abkunft, erwiesene Güte 
und erwiesene Nachartung, d. h. ein Zuchtthier 
könne erst dann als werthvoll gelten, wenn 
cs neben guter Abkunft und Leistungsfähig¬ 
keit sich auch in der Vererbung seiner Eigen¬ 
schaften auf die Nachzucht tüchtig, zuver¬ 
lässig zeige. Derselbe Autor sagte noch 
weiter: „Die Natur schuf Rassen mit unver- 
tilgbarer Vererbungskraft, deren Eigenschaften 
deshalb niemals wechseln und die sich ewig 
gleich bleiben. Diese Eigenschaft der Be¬ 
ständigkeit ist in der Reinheit der Abstam¬ 
mung begründet. Die Aufgabe der Thierzucht 
ist es, für die verschiedenen Gebrauchszwecke 
ähnlich beständige Rassen zu benützen und, 
wenn sie nicht vorhanden sind, zu bilden. 
Um dieses zu erreichen, muss man reine 
Rassen wählen und sie unvermischt, also in 
Reinzucht fortzüchten, denn nur die Rein¬ 
zucht liefert Producte, die sich im Besitz der 
Vollkraft des Vererbungsvermögens befinden, 
unausbleiblich durch sich selbst forterben, 
sich also gleich bleiben. Je reiner die Rasse, 
desto sicherer die Vererbung, je gemischter, 
desto unsicherer vererben die Individuen. Halb- 
blutthiere können für verschiedenen Gebrauch 
nutzbar sein, sie vermögen aber ihre Eigen¬ 
schaften nicht mit Sicherheit auf ihre Kinder 
zu übertragen. Nur durch Reinzucht unver- 
mischter Rassen gelangt man zur Selbst¬ 
ständigkeit in der Thierzucht, die uns von 
anderen fremden Stammzuchten unabhängig 
macht. Das Forterbungsvermögen bildet sich 
dann immer inniger, bleibender, unvertilg- 
barer aus.“ Die Nachfolger dieses Mannes 
gingen zum Theil noch weiter und bereicherten 
jene Theorie mit neuen Lehrsätzen; so z. B. 
sagte v. Weckerlin in Hohenheim: „Constanz, 
constant bezeichnen die durch kleinere oder 
grössere Anzahl hinter sich habender Genera¬ 
tionen von Voreltern, welche in einer einzelnen 
oder in der Gesammteigenschaft gleichartig 
waren, entstandene Fähigkeit (Potenz) der 
Thiere, ihre, ihrer Rasse oder Stammes oder 
Familie eigenthümlichen Gesammt- oder Einzel- 
eigenschal'ten mehr oder weniger sicher und ohne 
Rückschlag auf ihre Nachkommen zu ver¬ 
erben.“ An einer anderen Stelle seines Werkes 
(über die landwirtschaftliche Thierproduction) 
sagt zwar derselbe Autor: „Man muss die 
Wichtigkeit der Constanz von der praktischen 
Seite auffassen und anwenden, die Forde¬ 
rungen dabei nicht übertreiben oder gar ent¬ 
stellen. Die Eigenschaften der unmittelbar 
zur Paarung gekommenen Individuen der 
Eltern haben den grössten Vererbungseinfluss 
auf die unmittelbaren Nachkommen; der Ver¬ 
erbungseinfluss aller ihrer Voreltern zusammen 
ist nicht so gross, als jener, es bleibt immer 
noch ein Bruchtheil weniger. Der Einfluss 
der Voreltern ist grösser, je näher sie der 
jetzigen Generation stehen.“ Justinus stützt 
sich auf Wolstein, der sich jedoch nachweis- 


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230 


CONSTANZ-THEORIE. 


lieh freigehalten hat von dem Rassebegriffe, 
wie solcher von Justinus an in die neue Lehre 
hineingebracht worden ist. Der Kriegsrath 
Mentzel in Berlin sprach sich 1859 bezüglich 
der Vererbung und Constanz der Rassen u. A. 
folgendennassen ans: „Es ist als naturgemässe 
Regel anzusehen, dass Eltern und Voreltern, 
väterlicher- wie mütterlicherseits, bei der 
Vererbung gleichmässig participiren derge¬ 
stalt, dass jedes Individuum die gesaromten 
Eigenschaften seiner Vorfahren im Durch¬ 
schnitt besitzt. Gehen die Eigenschaften 
der Eltern und Voreltern gleichmässig auf 
die Jungen über, gleichen diese also jenen, 
dann nennt man den Stamm oder die Rasse 
constant. Nach dem natürlichen Gesetz der 
Vererbung concurriren bei ihr alle Eigen¬ 
schaften der Vorfahren, die guten wie die 
schlechten, u. zw. in der Regel nach dem 
Masse ihrer mehr oder weniger häufigen 
Wiederkehr und (in der absteigenden Gene¬ 
ration) erlangten Befestigung (Constanz). 14 
A. v. Weckerlin glaubte sogar, dass der Grad 
der Constanz der von Eltern auf Nachkommen 
übertragenen Eigenschaft sich mit jeder Ge¬ 
neration verdoppelte. Also wenn z. B. ein 
Widder seine (Woll-) Feinheit erster Classe 
auf seinen Sohn überträgt, so wäre, wenn 
man von allen sonstigen Einwirkungen ab- 
sehen könnte, die Constanz dieses Feinheits¬ 
grades (der Wolle), d. h. die Sicherheit seiner 
Vererbung beim Sohne doppelt so gross als 
beim Vater. Früher war man ziemlich all¬ 
gemein der festen Meinung, dass nur allein 
bei der Züchtung reiner Rassen von einer 
Constanz gesprochen werden könne und dass 
dieselbe eine höher potencirte Vererbungs¬ 
kraft und Gleichbleiben der Eigenschaften 
der bestimmten Thiergruppe verbürge. Von 
den Anhängern dieser Theorie wurde eine 
Reihe von Sätzen aufgestellt, die — in der 
Praxis befolgt — sicherlich oftmals grossen 
Schaden angerichtet haben werden. Z. B. Reines 
Blut bleibt immer gut, gemischtes Blut vor¬ 
züglich gut. Ferner: Nur eine constante 
Rasse vererbt sich sicher; jede Züchtung mit 
Thieren, welche nicht viele Generationen ho¬ 
mogener Vorfahren hinter sich haben, ist un¬ 
sicher, gefährlich. Jedes Thier reiner Rasse 
vererbt sicher, und nur Reinheit des Blutes 
ist vom Züchter zu beachten. Es wird heute 
kaum einen praktischen Züchter geben, wel¬ 
cher diesen Sätzen Glauben und Beachtung 
schenkt. Und als nun gar ausgesprochen 
wurde: Thiere gemischten Blutes vererben 
niemals die ihnen eigentümlichen Eigen¬ 
schaften in ihrem Stamme, sondern in höchst 
unsicherer Weise bald die Eigenschaften des 
Vaters, bald die der Mutter, bald die der 
Gross- und Urgrossväter, entstand unter den 
Männern der Praxis an vielen Orten Oesterreichs 
und Deutschlands eine grosse Aufregung und 
manche derselben sagten sich völlig los von der 
vielgerühmten Constanz-Theorie. Caspari war 
einer der ersten deutschen Schriftsteller, 
welcher (in v. Lengerke’s Encyklopädie der 
Landwirtschaft) sich offen gegen diese Lehre 
aussprach; auch Jeppe, Rueff und Haubner 


folgten nach, und bereits 1858 erklärte 
H. v. Nathusius: die Sicherheit oder Un¬ 
sicherheit der Vererbung dessen, was die 
Zuehtthiere selbst sind, ist nicht von der 
Reinheit oder Gemischtheit ihrer Abstammung 
abhängig, sondern die Zuehtthiere vererben 
diejenigen Eigenschaften, welche sie selbst 
besitzen, und sie thun dieses sicherer oder 
unsicherer, je nachdem die Eigenschaften des¬ 
selben durch den Organismus des Individuums 
ehoben und bei der Zeugung unterstützt wer- 
en. Nun begann ein grosser Kampf zwischen 
Weckerlin und Nathusius (1859); der erstere 
glaubte (1865) einen sehr geschickten Griff 
zu thun, als er in der vierten Auflage seiner 
Thierproduction verschiedene Citate aus Dar- 
win’s Werken in das Feld führte; allein jeder 
vorurteilsfreie Leser des Darwinschen Buches 
wird in dem Capitel über Anpassung etc. so¬ 
gleich herausfinden, dass die Darwinsche Lehre 
der Theorie von der Constanz, wie sie Justinus, 
Mentzel und v. Weckerlin aufgestellt haben, 
durchaus widerspricht, denn Darwin con- 
statirt neben der Vererbung ganz besonders 
die Anpassung an die Lebensbedingungen als 
Erklärungsmoment für das Zustandekommen 
der Erscheinungen in der Thier- und Pflan¬ 
zenwelt. 1868 bekämpfte endlich H. Settegast 
die Constanz-Theorie ungemein heftig: es 
würde uns zu weit führen, wenn wir hier 
alle Entgegnungen anführen wollten, welche 
von dieser Seite geliefert worden sind; wir 
beschränken uns darauf, hier zum Schluss 
einen Abschnitt aus der neuesten Auflage des 
vortrefflichen Werkes von Settegast über 
Thierzucht wörtlich wiederzugeben: „Könnte 
die sog. Constanz in unseren Züchtungsrassen 
je zur Wahrheit werden, so wäre sie ein 
Fluch für unser wirtschaftliches Leben, denn 
sie würde den augenblicklichen Zustand der 
Zucht verewigen und uns zum Stillstände in 
der Thierzucht verdammen. Haben die Ver¬ 
treter der Constanz-Theorie vergessen, was 
man in Deutschland und Frankreich mit dem 
Merinoblute zu Stande zu bringen vermochte, 
weil dasselbe in seiner Flexibilität den Gegen¬ 
satz zu der Eigenschaft bildet, die mit Con¬ 
stanz umschrieben werden sollte? Hat man 
vergessen, dass aus denselben spanischen 
Stämmen, die man nach jenen Ländern im- 
portirte, hier die Negretti-, dort die Elcctoral- 
Rasse, dort wieder das riesenhafte Ram¬ 
bouillet-Schaf entstand, dass die Manschamp- 
Rasse daraus hervorging, die in Formen des 
Körpers und Eigenschaften der Wolle kaum 
noch an das Merino erinnert? Bemerkt man 
nicht, dass die Rasse es gestattet, bald das 
feinste, in scharfen Einkerbungen verlaufende 
Haar und dann wieder eine überaus lange, wenn 
es sein soll, fast schlichte Wolle zu erzeugen? 
Nimmt man nicht wahr, dass der eine Typus 
in den andern leicht umgebildet werden kann 
und so häufig schon umgebildet worden ist, 
dass ferner in verschiedenen Gegenden die 
Vermischung der Merino-Rasse mit den Land¬ 
schafen conforme Stämme entstehen liess, die 
wieder als selbstständige Rassen abgeschlossen 
wurden? Verschliesst man solchen und ähn- 



CONSTATIRÜNGSBOCK. — CONSTITUTION. 


231 


liehen Vorgängen in der Thierzucht unserer 
Tage nicht das Auge, bestreitet man nicht, 
dass in diesem Fluten der Zuchtrichtungen 
ein unberechenbarer Vortheil liegt, den man 
eingebüsst hätte, wenn das eingeführte spa¬ 
nische Merinoschaf „constant“ gewesen wäre, 
dann wird man zuzugeben auch gezwungen 
sein, dass eine Constanz, wie jene Lehre sie 
im Sinne hat, ein beklagenswerther Hemm¬ 
schuh der Thierzucht wäre, den die Natur 
unserem Wirken glücklicherweise nicht ange¬ 
legt hat.“ In ähnlichem Sinne äusserten sich 
noch andere Autoritäten der Neuzeit gegen 
die Constacns-Theorie; es hatte an Opponenten 
niemals gefehlt, doch es drang ihre Stimme 
nicht immer und überall durch, und es gibt 
heute noch einige Verehrer derselben. So viel 
uns bekannt, gehört die Mehrzahl der Züchter, 
welche auf dem Gebiete der Hausthierzucht 
wirklich Hervorragendes geleistet haben, zu 
denjenigen Männern, welche der Constanz - 
Theorie keinen grossen Werth beilegen und 
erklären, dass dieselbe nur den Nutzen ge¬ 
habt hätte, jenes planlose Herüber- und Hin¬ 
überspringen von einer Rasse zu einer andern 
und ein principienloses Mischen derselben, 
wie solches zu Anfang dieses Jahrhunderts 
bei uns beliebt war, etwas einzuschränken 
oder zu verhüten. Die Erfahrung bei der 
Thierzucht hat uns gelehrt, dass, wenn über¬ 
haupt von einer Constanz der Vererbung die 
Rede sein kann, diese doch nur eine be¬ 
schränkte genannt werden musste. Die Ueber- 
tragung der Formen und Eigenschaften von 
den Grosseltern und Eltern auf die Nach¬ 
kommen findet ihr Gegengewicht in der Bild¬ 
samkeit der Rassen, ohne diese könnte man 
von einer Vervollkommnung, Verbesserung 
derselben überhaupt nicht sprechen. Freytag. 

Conatafirungsbock, s. Constantirungs- 
bock. 

Constituens heisst man in der Receptir- 
kunde dasjenige formgebende Mittel, durch 
welches die in der verschriebenen Arznei ent¬ 
haltenen Stoffe mit einander verbunden und 
in diejenige Form (Bissen, Latwerge, Pillen, 
Salbe) gebracht werden, welche zur Anwen¬ 
dung kommen soll. Solche Constituentien sind 
meist schleimige Mittel, Gummi, Honig, Roob, 
Fett, Paraffinsalbe, Harze u. s. w. Vogel. 

Constitution (von Constituere, zusam¬ 
menfügen). Mit Constitution wird jene Be¬ 
schaffenheit des Thieres benannt, welche sich 
vorzüglich auf seine Körperlichkeit oder seine 
organische Masse bezieht und von dieser 
aus auf die Art und Weise, wie dieselbe in 
Bezug auf Mischung und Form, Lagerung, 
Zusammenreihung der Organe, Apparate und 
Systeme, Menge und Beschaffenheit der Säfte 
in morphologischer und physiologischer Hin¬ 
sicht als vollkommen oder unvollkommen sich 
zeigt, und wovon die Gesundheit, der Grad 
der Leichtigkeit Stärke und Ausdauer der 
Verrichtungen abhängig ist. Daher liegt in 
ihr die Vereinigung von mehreren Einzel¬ 
heiten zu einem Ganzen, wodurch die Anlage 
im thierischen Körper zu gewissen Krank¬ 
heiten erhöht und andere in ihrem Verlaufe 


und Ausgange modificirt werden. Diese Einzel¬ 
heiten befinden sich aber theils innerhalb 
und theils ausserhalb des individuellen Or¬ 
ganismus, demgemäss unterscheidet man 
die individuelle, die enzootische und die 
epizootische Constitution. Die Eigentüm¬ 
lichkeit der individuellen Constitution hat 
ihren Grund in der Erblichkeit, in Einflüssen, 
welche während der Trächtigkeit durch die 
Muttertiere auf den Fötus wirken, in den 
verschiedenen Lebensaltern, Geschlechtern, 
Temperamenten und in solchen äusseren Ein¬ 
flüssen, welche mit geringer Intensität, aber 
eine längere Zeit hindurch auf den Organismus 
einwirken. Sie gibt sich daher durch den Bau 
des Körpers, durch das Verhältnis der ein¬ 
zelnen Theile zu einander in Hinsicht auf 
ihre Structur und ihre Verrichtung, durch den 
mehr oder weniger lebhaften Blick, die Nei¬ 
gung zu eigentümlichen Seelenstimmungen, 
durch Leidenschaften, Affecte, Temperamente 
und durch die grössere oder geringere Lebhaftig¬ 
keit und Kraft, mit welcher die verschiedenen 
Functionen vor sich gehen, auch in dem Zu¬ 
stande der Gesundheit schon kund und muss 
von der Vorherrschaft irgend eines Systems, 
des lymphatischen, venösen, arteriellen oder 
des Nervensystems abgeleitet werden. Daher 
kann man die lymphatische (skrophulöse), ve¬ 
nöse (atrabiläre), arterielle (robuste), nervöse, 
(spasmodische, psychische) Constitution als 
Grund- und Elementar-Constitution unter¬ 
scheiden, unter denen die robuste als diejenige 
angesehen wird, welche dem Ideal der Gesund¬ 
heit am nächsten steht. Die starke oder ro¬ 
buste Constitution gibt sich aber kund durch 
überwiegende Masse, also grössere Dichtigkeit 
des organischen Gefüges, oder dichten und 
festen Bau der Faser und des Zellgewebes 
(Strammheit) und gleichmässig höhere Reac- 
tionskraft in der Zusammenziehung der fest¬ 
weichen Gebilde. Ihr entgegengesetzt ist die 
schwache Constitution und zwar als eine zwei¬ 
fache: die zarte mit lockerem, zarterem 
Gefüge der festeren Theile und grösserer 
Zersetzbarkeit der organischen Substanz, die 
sich durch rege Reizempfänglichkeit und 
schnell ermattendes, ebenso schnell sich 
wieder erholendes Leben kundgibt; sodann 
die schlaffe Constitution mit lockerem Gefüge 
der festen Theile, geringer mechanischen und 
thierisch-elektrischen Spannung und daher 
auch minder reger Reizbarkeit und Empfind¬ 
lichkeit. Die enzootische Constitution findet 
ihre ursächlichen Momente in den örtlichen 
Verhältnissen der Erde, in der grösseren oder 
geringeren Feuchtigkeit oder Trockenheit, in 
Wärme oder Kälte der einzelnen Zonen, in 
der grösseren oder geringeren Höhenlage über 
der Meeresfläche und in den mannigfachen 
Bodenverhältnissen. Die epizootische Con¬ 
stitution hat ihren Ursprung in den eigen- 
thümlichen Verhältnissen, welche auf die Erde 
und den Thierkörper einwirken, in den ver¬ 
schiedenen Jahreszeiten, Winden, der täglichen 
Rotation der Erde, dem Zusammenleben 
mehrerer Thiere, überhaupt den epizootischer. 
Zeitereignissen, welche auch auf eine grössere 



m CONSTITUTION. 


Anzahl von Thieren mitunter von Einfluss 
sind. Die einzelne Krankheit ist nicht selten 
das Resultat aller dieser verschiedenen Con¬ 
stitutionen und ausserdem vieler zufällig und 
heftig auf den Thierkörper einwirkenden Um¬ 
stände, welche man Gelegenheitsursachen 
nennt. Die neuere Physiologie befasst sich 
weniger mehr mit dem Vorhandensein der 
verschiedenen constitutionellen Verhältnisse der 
Thiere, sondern begnügt sich mit der Erfor¬ 
schung des morphologischen Aufbaues, mit den 
biologischen und physiologischen Vorgängen in 
demselben und mit der chemischen Analyse der 
organischen und anorganischen Bestandtheile 
des Körpers sowohl, als der demselben zu¬ 
geführten Einnahmen an Nähr- und Er¬ 
haltungsmitteln, sowie jener Ausgaben, die 
auf dem Ueberschusse und insbesondere dem 
Stoffwechsel beruhen. Da der Körper mit 
Gesundheit, Kraft und Ausdauer in seinen 
Functionen nur auf chemischen, physikalischen, 
mechanischen und biologischen Gesetzen be¬ 
ruht und aufgebaut ist, so bleiben die Ver- 
muthungen über unbestimmbare Einflüsse und 
Einwirkungen dem Physiologen ferne liegend 
und gelten vorderhand noch als unerforsch¬ 
bar. Ableitner. 

Constitution bedeutet in exterieuri- 
stischer Beziehung die Qualität der 
elementaren Organisation der Gewebe eines 
Thieres, wie dieselbe als Ganzes rücksicht¬ 
lich des Habitus und der Leistungsfähig¬ 
keit des Thieres zu * beurtheilen ist. Dem¬ 
nach ist die Constitution in erster Linie 
etwas dem Thiere bezüglich der Gewebeorga¬ 
nisation individuell Eigentümliches und kann 
in zweiter Linie bei der Gleichartigkeit dieses 
Eigentümlichen an grösseren Mengen von 
Individuen derselben Gattung auch zum rasse¬ 
eigenen Kennzeichen werden. Dieses Rasse- 
Kennzeichen kann sich vornehmlich in der 
Qualität der Organisation bestimmter Gewebs- 
theile, z. B. der Haut, Knochen, Muskeln und 
Sehnen etc. zu erkennen geben und teils 
durch blosses Besehen und Befühlen der¬ 
selben, teils und insbesondere aber durch 
die Arbeitsleistung selbst mit Sicherheit be¬ 
urteilt werden. Es werden gewöhnlich und 
im Allgemeinen nachstehende gegensätzliche 
Arten der Constitution, u. zw. die gesunde 
und die krankhafte, die harte und die weiche 
(schlaffe), die starke und die schwache, end¬ 
lich die feine und die grobe Constitution 
unterschieden, wobei auch einige derselben ent¬ 
weder gleichzeitigvorhandensein oder ineinan-- 
der übergehen können, wie z. B. gesunde, starke 
und harte oder schwache, weiche und krank¬ 
hafte Constitution. Man spricht von einer ge¬ 
sunden — im weiteren Sinne wohl auch star¬ 
ken — Constitution, wenn auf Grundlage 
länger dauernder Beobachtungen und Erpro¬ 
bungen die Thiere gegen die schädlichen, 
äusseren, sog. krankmachenden Einflüsse eine 
bedeutende Widerstandsfähigkeit zeigen und 
sohin gesund bleiben, während andere Thiere 
derselben Gattung unter den angedeuteten 
gleichen schädlichen Einflüssen, ungünstigen 
Verhältnissen und eventuellen Arbeitsleistun¬ 


gen in verschiedener Art erkranken, d. h. 
eine krankhafte — und im weiteren Sinne eine 
schwache, weiche — Constitution besitzen. 

Hart nennen wir die Constitution eines 
Thieres, besonders des Pferdes speciell dann, 
wenn nicht nur die Widerstandsfähigkeit 
gegen die verschiedenen äusseren schädlichen 
Einflüsse, sondern auch die Leistungsfähig¬ 
keit desselben eine sehr bedeutende ist, so 
dass dieselbe gleichsam über die im All¬ 
gemeinen auf die Abstammung, den Bau und 
die Formen, sowie mitunter auch die Haltung 
(Fütterungsverhältnisse u. dgl.) dieses Thieres 
zu basirenden Leistungen hinausgeht, wäh¬ 
rend die gegensätzlichen Momente für die 
weiche (schlaffe) Constitution Geltung haben. 

Stark wird die Constitution eines Pferdes 
genannt, wenn mit einer meist ansehnlichen 
Grösse und Mächtigkeit des Thieres, besonders 
im Knochengerüste und Muskelgewebe, auch 
eine angemessene Widerstands- und sichere 
Leistungsfähigkeit desselben verbunden ist; 
wogegen unansehnliche Entwicklung, schmäch¬ 
tige Knochen und eine gleichbeschaffene Mus¬ 
kulatur, unverlässliche und mangelhafte Lei¬ 
stungen die schwache Constitution docuraen- 
tiren. Ist die starke Constitution mit der 
harten verbunden und haben dazu die Thiere 
auch noch neben der Stärke eine gewisse Fein¬ 
heit der elementaren Gewebsstructur, so sind 
das nach jeder Richtung, insbesondere bei 
den Pferden, ungemein hoch zu schätzende 
Vorzüge. 

Fein wird die Constitution bezeichnet, 
wenn der Habitus des Thieres im ganzen 
Aufbau mehr gracil und zugleich zart in der 
Textur ist, so dass derartige Pferde ein ver- 
hältnissmässig leichtes Knochengerüste, eine 
minder ausgeprägte Muskulatur und eine oft 
in die Augen fallende Zartheit im Band- und 
Sehnenapparate, dann in der Haut und in der 
Behaarung (Kurz- und Langhaare) besitzen. 
Häufig sind solche Thiere auffallend hoch und 
dünnbeinig im Vergleiche zu ihrer Breite 
und je unharmonischer der Bau ist, umso 
minder sind feine Thiere zu taxiren; und weil 
die feine Constitution so leicht in allzu feine 
Extreme (Ueberverfeinerung) ausartet, ist sie 
insbesondere mit Beziehung auf das schmäch¬ 
tige Knochengerüste, die allzu zarte Musku¬ 
latur und verminderte Leistungsfähigkeit mit 
Recht wenig geschätzt. Ist der Bau des Thieres 
dagegen mehr proportionirt, so ist dasselbe 
öfters trotz der Feinheit der Gewebe in seinen 
Leistungen recht zusagend. 

Die grobe Constitution ist der directeste 
Gegensatz, ausgeprägt in einem meist plum¬ 
pen, in seinen Contouren verschwommenen 
Habitus mit schwammig-massigen Knochen, 
rohfaseriger Muskulatur, dicker Haut und 
starker, struppiger Behaarung. Diese Thiere 
sind zumeist auch wenig leistungsfähig, er¬ 
müden leicht und schwitzen bald. Diese ver¬ 
schiedenen Arten der Constitution kommen 
nicht nur mehrfach, aber selbstverständlich 
in verwandtschaftlicher Eigenheit prägnant 
an einem Individuum (z. B. gesund, hart und 
stark oder krank, schwach und weich) vor, 


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CONSTITUTIONELLE KRANKHEITEN. 


233 


sondern finden sich auch in den verschieden¬ 
sten Graden und Uebergangsformen, ohne 
dass sich dieselben genau ausprägen können 
oder definiren lassen. Im Allgemeinen ist 
die harte und feine, wohl auch starke Con¬ 
stitution den im Blute hochstehenden Pfer¬ 
den, somit dem Voll- und Halbblute eigen; 
die Constitution in den verschiedenen Kreu- 
zungsproducten ist eine nach dem Blutgehalte 
wechselnde und die starke, grobe und weiche 
Constitution kommt mehr bei den sog. kalt¬ 
blütigen Schlägen vor, jedoch ist bei allen 
stets auch auf die Haltung und den metho¬ 
dischen Gebrauch ,der Thiere Rücksicht zu 
nehmen. Exterieuristisch pflegt man generell 
je nach dem proportionalen Habitus über¬ 
haupt und je nach der speciellen Beschaffen¬ 
heit des Knochengerüstes, der Härte und deut¬ 
lichen Zeichnung des Band- und Sehnenappa¬ 
rates besonders an den unteren Theilen der 
Extremitäten und je nach der Stärke, Derbe 
und Strammheit der Muskulatur auf die Qualität 
der Constitution und die Grösse der Leistungs¬ 
fähigkeit der Thiere zu schliessen. Ltchner. 

In zootechnischer Beziehung nennt 
man Constitution dar Hausthiere im 
Allgemeinen die Gesammtwirkung aller Organe 
eines Thieres. Man spricht von guter und 
schlechter Constitution desselben und ver¬ 
langt von jedem Individuum, welches zum 
Dienst herangezogen werden soll, dass es 
eine kräftige Constitution besitzt. Von dieser 
ist die Leistungsfähigkeit desselben grössten- 
theils abhängig. Ein Pferd kann nur dann 
schnell laufen, im Zuge Kraft entwickeln etc., 
wenn es eine gute Constitution besitzt, ebenso 
kann eine Kuh als Milchgeberin, ein Ochs 
im Maststalle nur dann befriedigen, wenn ihre 
Körperconstitution nichts zu wünschen lässt. 
In diesem Falle werden sich dergleichen Thiere 
auch widerstandsfähig gegen ungünstige Ein¬ 
flüsse des Klimas, Wetters etc. zeigen und sel¬ 
tener von Krankheiten befallen werden, als 
solche Individuen, welche eine schwächliche 
Constitution besitzen. Bei guter, kräftiger Con¬ 
stitution werden sowohl die activen, wie die 
passiven Bewegungsorgane, die Organe derBlut- 
bildung, der Athmung, Verdauung etc., über¬ 
haupt das ganze Nervensystem sich in normaler 
Verfassung befinden. Wir verlangen im All¬ 
gemeinen von unseren Hausthiercn gut ent¬ 
wickelte Muskeln, hübsch abgerundete Formen, 
eine breite, tiefe Brust, einen kräftigen Rücken, 
breites, nicht abfallendes Kreuz von guter 
Länge, regelmässige Stellung der unteren 
Gliedmassen, reine Knochen, derbe Sehnen 
und gesunde, feste Hufe von gefälliger Form. 
Die Haut darf weder zu dünn, schwach, noch 
zu dick sein und muss eine schön glänzende 
Haardecke besitzen. Das Auge soll Munterkeit 
und Gutmüthigkeit andeuten. Die Constitution 
eines Thieres wird in der Regel gut zu nennen 
sein, wenn es sich beim Fressen nicht zu 
wählerisch, sondern rasch und munter zeigt; 
die schlechten Fresser sind gewöhnlich kränk¬ 
liche oder alte Thiere; bei den letzteren ist 
die Constitution häufig ebenso mangelhaft, 
wie bei den Schwächlingen und nur aus¬ 


nahmsweise trifft man alte Exemplare, welche 
sich bei der Arbeit ausdauernd zeigen. Fg. 

Constitutionelle Krankheiten. Jeder Or¬ 
ganismus besitzt Eigenthümlichkeiten bezüg¬ 
lich seines anatomischen Aufbaues resp. der 
ihn zusammensetzenden Elemente, der Zellen 
und ihres Protoplasma, der eigentlichen Lebens¬ 
substanz. Jedes Individuum prägt besondere For¬ 
men, eine eigenartige Leibesbeschaffenheit aus, 
aus der speeifische Lebensäusserungen hervor¬ 
gehen und die wir als Constitution bezeichnen 
(v. constituere, zusammensetzen). Da Krank¬ 
sein nur in abnormen Lebensäusserungen be¬ 
steht, so wird es begreiflich, dass eine speci- 
fische Organisation auch eigenartige Krank¬ 
heiten, die sog. constitutionellen Krankheiten 
bedingt; sie beruhen auf Mängeln und Schwä¬ 
chen der constituirenden Elemente, sie be¬ 
fallen in den meisten Fällen den ganzen Or¬ 
ganismus oder ziehen ihn doch bald in Mit¬ 
leidenschaft. Aber auch einzelne Organe wer¬ 
den von constitutionellen Krankheiten befallen, 
denn wir sehen manche Thiere ungemein 
häufig an Lungenentzündung, andere an Hals¬ 
entzündung, Katarrhen, Leberleiden, Kolik, 
Scropheln, Krämpfe, Lähmung etc. erkranken, 
weil die betroffenen Organe vermöge eines 
Defects der Gewebe einen locus resistentiae 
minoris bilden, der für Reize sehr empfänglich 
ist. Ein solcher Defect macht sich nicht nur 
in bestimmten, einzelnen Organen, sondern 
auch in ganzen organischen Systemen bemerk - 
lich, z. B. im Muskelsystem, im Gefäss-, Drü¬ 
sen-, Nervensystem, im Verdauungsapparat, im 
Genitalapparat, im Haut- oder Schleimhaut¬ 
system, im Blute etc. Die Anlage zu den con¬ 
stitutionellen Krankheiten kann der Natur der 
Sache nach nur eine ererbte, von Hause aus 
in der specifischen Constitution begründete 
oder im Laufe langer Zeitperioden durch 
Klima, Lebensweise, Nahrung, Domestication 
etc. allmälig erworbene sein; die nächste Ur¬ 
sache müssen wir in dem anatomischen Cha¬ 
rakter der Zellen suchen. Am entschiedensten 
ausgeprägt finden wir die constitutionellen 
Krankheiten bei den verschiedenen Gattungen, 
sie lassen häufig eine hervorragende, wenn 
auch nicht immer ausschliessliche Anlage zu 
bestimmten Krankheiten, ganz besonders noch 
zu specifischen Ansteckungsstoffen und Giften 
erkennen; aus letzterem Grunde recrutiren sich 
am häufigsten die constitutionellen Krankheiten 
aus den infectiösen und treten seuchenartig 
auf. Wir finden primär den Rotz bei Ein¬ 
hufern, die Lungenseuche und Rinderpest bei 
Rindern, die Wuth bei Carnivoren, die An¬ 
lage zu Milzbrand vorzüglich bei Rindern, zur 
Aphthenseuche bei den Zweihufern. Schafe dis- 
poniren vermöge ihrer zarten, lymphatischen 
Constitution zu Hautkrankheiten und Hy- 
dropsie, Hunde und Katzen durch grosse Reiz¬ 
barkeit des Nervensystems zu Krämpfen und 
Paralysen, Pferde durch hohe Entwicklung der 
Irritabilität des Darmcanals und des Lympli- 
gefässsystems zu Kolik und Lymphangeitis, 
Rinder durch höhere Ausbildung der Mägen 
zu Indigestionen, durch lockeres Gefüge des 
Knochengewebes zuKnochenkrankheiten (Ostei- 



*34 


CONSTRICTOR. — CONTAG1UM. 


tis degenerativa oder Knochenbrüchigkeit und 
Actinomykose) frisch melke Kühe zu Puerperal¬ 
fieber. Das Protoplasma der Zellen vermag sich 
äusseren schädlichen Einflüssen gegenüber in 
der Form und Integrität seiner Bestandtheile 
zu behaupten und Substanzverluste durch As¬ 
similation fremdartiger, von aussen ihm zuge¬ 
führter Substanzen auszugleichen; wenn es 
der einzelnen Zelle unmöglich sein würde, 
auf die Dauer den Kampf um das Dasein zu 
bestehen, so vermag dies doch die Verbindung 
der Zellen zu einer organischen Einheit. Ar. 

Constrictor (von constringere), der Zu¬ 
sammenzieher oder Schnürer als Beiname für 
Muskeln gebräuchlich, die das Lumen eines 
Hohlraumes zu verengen vermögen, z. B. 
Mm. constrictores pharyngis, die Schlund¬ 
kopfschnürer. Sussdorf 

Consumtio (von consuroere, aufzehren), 
Aufzehrung, Verbrauch, z. B. der Kräfte. Sf 

Contactwirkungen der Arzneimittel sind 
jene, wobei der wirksame Stoff nur dann 
seinen Einfluss auf die Gewebsbestandtheile 
geltend zu machen vermag, wenn er unmittel¬ 
bar mit diesen in Berührung kommt, zum 
Unterschied Yon der entfernten Wirkung 
(Actio remota), wobei das Heilmittel erst 
nach vorheriger Aufnahme in die Blutcircu- 
lation seine Wirkung in entfernten Organen 
und Systemen, wohin es mit dem Blutstrome 
gelangt, entfalten kann. Die meisten Arznei¬ 
mitteln besitzen gleichzeitig locale und ent¬ 
fernte Wirkung, nur überwiegt constant oder 
unter bestimmten Umständen die eine die 
andere. Vogel . 

Contagienpilze nennt man die in dem 
menschlichen, thierischen und pflanzlichen 
Körper vorkommenden, schädlich wirkenden 
Pilze. Ihre Vegetationen im thierischen und 
menschlichen Körper nennt man,wenn Schimmel¬ 
pilze vorliegen, gemeinhin ,,Mykosen“, wenn 
es sich um Spaltpilze handelt, „bacteritische 
Mykosen“. Diese Pilze und die durch sie ver¬ 
ursachten Krankheiten lassen sich von erkrank¬ 
ten auf gesunde Individuen übertragen. Die 
Contagienpilze können facultative oder obli¬ 
gatorische Parasiten sein. Wahrscheinlich ge¬ 
hören die hervorragendsten hieher gehörigen 
Spaltpilze der letzteren Kategorie an. So die 
Pilze, welche Diphtheritis, Cholera, Tuberculosis, 
Pocken, Rückfalltyphus, Milzbrand, Septicämie 
hervorrufen. Im Gegensätze hievon nehmen die¬ 
jenigen Forscher, welche, wie Nägeli u. A. dio 
genetische Zusammengehörigkeit aller Spalt¬ 
pilze vertheidigen, an, dass (auch heute noch) 
alle schädlichen Pilze aus unschädlichen ent¬ 
stehen, und nur durch Anpassung dem mensch¬ 
lichen und thierischen (sowie pflanzlichen) 
Organismus gefährlich werden können. Im 
Uebrigen haben H. Karsten, Tiegel, Burdon, 
Sanderson und Nenki in scheinbar gesunden 
und normalen pflanzlichen und thierischen 
Geweben sehr häufig schon lebende Spaltpilze 
aufgefunden. Harz. 

Contagion, Ansteckung. ZahlreicheAutoren 
nehmen für viele Infectionskrankheiten keine 
selbständige oder spontane Entwicklung 
mehr an und sind der Meinung, dass diese 


Krankheiten sich gegenwärtig ausschliesslich 
durch Contagion oder Ansteckung von Thier 
auf Thier und von Ort zu Ort verbreiten. 
Zu solchen per Contagion sich erhaltenden 
Krankheiten werden gerechnet: Die Syphilis, 
die Rinderpest, die Beschälseuche, die Schaf¬ 
pocken, die Lungenseuche, Maul- und Klauen¬ 
seuche, Scharlach, Masern; auch Rotz, Milz¬ 
brand u. a. sollen ausschliesslichen Conta- 
gionen ihre Existenz und Verbreitung ver¬ 
danken. Andere Autoren dagegen nehmen 
eine spontane Selbstentwicklung auch jetzt 
noch für die meisten Infectionskrankheiten an. 
Der Streit hierüber bleibt unentschieden. Sr. 

Contagium (s. Ansteckungsstoff) ist 
das krankmachende Agens, vermittelst dessen 
die ansteckenden Krankheiten von bereits 
erkrankten auf gesunde Individuen übertragen 
werden. Die Contagien entwickeln und ver¬ 
mehren sich innerhalb des lebenden kranken 
Organismus und werden entweder vermittelst 
der Ausdünstungen durch die Luft (flüchtige 
Contagien) oder durch flüssige oder feste 
Körperbestandtheile, Secrete und Excrete, 
bei directer Berührung (fixe Contagien) auf 
Gesunde übertragen,- bei denen sie die gleiche 
Krankheit erzeugen. Ueber das Wesen der 
Contagien sind die verschiedenartigsten An¬ 
sichten nacheinander herrschend gewesen 
und der Streit darüber dauert noch immer 
fort. Nach dem neuesten Standpunkt der 
Lehre über die Contagien ist es in hohem 
Grade wahrscheinlich, dass dieselben entweder 
identisch mit niedern pflanzlichen Parasiten, 
den Spaltpilzen oder Schizomyceten oder aber 
an dieselben gebunden sind und von ihnen 
producirt werden. Die Erzeugung ansteckender 
Krankheiten durch rein cultivirte specifische 
Spaltpilze ist in neuester Zeit ohne Zweifel 
festgestellt, so z. B. beim Milzbrand, Rotz, 
Erysipel, Rothlauf der Schweine, bei der 
Hühnercholera, Tuberculose, Gonorrhoe (auch 
Rinderpest, Pocken, Lungenseuche mit ab¬ 
geschwächter Intensität der erzeugten Krank¬ 
heit) etc. Der Unterschied zwischen mias¬ 
matischen Krankheiten, deren Ursachen sich 
ausserhalb des lebenden Organismus ent¬ 
wickeln und contagiösen Krankheiten, deren 
Ursachen im lebenden Thierkörper entstehen, 
hat in letzter Zeit viel an Schärfe verloren, 
da es sich herausgestellt hat, dass die meisten 
miasmatischen Krankheiten zugleich contagiös, 
d. h. direct oder indirect von Thier auf Thier 
übertragbar sind, so z. B. die Katarrhe, die 
Influenza, Staupe, Malariafieber, Rothlauf 
der Schweine etc. So ist denn die Zahl der 
contagiösen Krankheiten eine recht beträcht¬ 
liche. Ausser den durch grössere Parasiten 
(Räudemilben und Pilzsporen) verursachten 
contagiösen Hautkrankheiten (Räude, Flech¬ 
ten, Herpes und Favus) und den indirect 
übertragbaren Wurmseuchen (Trichinosis, 
Lungenwurm, Bandwurm, Blasenwnrm und 
Leberegelseuchen) werden durch Spaltpilze 
vermittelt und sind übertragbar: Der Milz¬ 
brand, Rauschbrand, die Septicämie, das 
septische Puerperalfieber, die Tuberculose, 
der Rotz, die Lepra, Typhus, Malaria, Roth- 



CONTAMINATIO. — CONTRA1NDICATIO. 


235 


lauf der Schweine, Cholera, Dysenterie, Pest 
(durch Bacillen); Rinderpest, Lungenseuche, 
Staupe, Influenza, Drüse, Hühnercholera, 
Pocken, Maul- und Klauenseuche, die Katarrhe, 
die Diphtherie, der Croup und die croupöse 
Pneumonie und Pleuritis, Erysipel, Py&mie, 
enzootische Leberentzündung der Schweine, 
Gelbfieber (wahrscheinlich auch Scharlach, 
Masern, Syphilis, Beschälkrankheit und Hunds- 
wuth) (durch Micrococcen). Obgleich bei vielen 
Infectionskrankheiten specifische Bacillen 
auftreten, so ist doch der Micrococcus die 
Vorstufe und der Urtypus aller pathogenen 
Spaltpilze der Contagien. Semmer, 

Contaminatio (voncontaminare, besudeln), 
die Befleckung, Besudelung und die damit 
eventuell einhergehende Ansteckung. Sf 

Contentiva sind solche Heilmittel, mit¬ 
telst welcher bestimmte Körpertheile fixirt, 
d. h. in der gewünschten Lage oder Stellung 
angespannt und darin straff’ erhalten werden 
können, wie z. B. die Bruchenden von Kno¬ 
chen, luxirte Gelenke u. s. w. Derartige Con- 
tentivmittel sind Gummi, Amylum (Pappe), 
Collodiuin, gebrannter Gyps, Tripolith, kie¬ 
selsaures Natrium und Kalium (Wasser¬ 
glas), Guttapercha, Kautschuk, plastischer 
Filz u. s. w. Vogel. 

Contiguität (von contingere, berühren, an¬ 
grenzen), die Aneinanderlagerung von Theilen 
behufs gegenseitiger Verbindung,z. B. zwischen 
Knochen, daher auch die Verbindung durch 
eine falsche Naht. Sussdorf 

Contlnultät (von continere), der ununter¬ 
brochene Zusammenhang benachbarter Theile 
im Gegensätze zur Wunde, aber auch zeitlich 
für den ununterbrochenen Fortgang einer 
Handlung, eines Processes etc. Sussdorf, 

Contorsio (von contorquere, zusammen¬ 
drehen), die Verdrehung, z. B. der Wirbel¬ 
säule um ihre Längsaxe bei Missgeburten, 
des Uterus, Darmes etc. in der gleichen 
Richtung als pathologische Vorlagerung. In 
der Chirurgie auch die Verrenkung, also = 
Luxation, s. d. und Darmverdrehung. Sf 

Contraarbitrium, Gegengutachten. Ein un¬ 
vollkommenes, angez weifeltes oder für u n ri chtig 
gehaltenes bereits vorhandenes Gutachten 
bildet die Grundlage des Gegengutachtens, zu 
dessen Ausstellung ein anderer Sachverstän¬ 
diger von einer der streitenden Parteien 
oder von den Richtern aufgefordert wird. Ein 
Gutachten kann auf zweierlei W'eise an- 
gefochten werden, und zwar: 1. Es werden 
aie im Untersuchungsprotocoll angeführten 
Thatsachen selbst angezweifelt, oder für un¬ 
genügend befunden; t. die aus dem Unter¬ 
suchungsprotocoll gezogene Schlussfolgerung 
wird als unrichtig bezeichnet. Im ersteren 
Falle muss eine nochmalige genaue Unter¬ 
suchung des streitigen Objects vorgenommen 
werden mit genauer Angabe aller abweichenden 
oder weggelassenen Thatsachen, die eine Aen- 
derung des Urtheils bedingen. Im zweiten 
Falle, bei einer unrichtigen Beurtheilung der 
im ersten Gutachten angeführten Thatsachen, 


ist eine wiederholte Untersuchung des Objects 
nicht erforderlich, sondern das vorliegende 
Untersuchungsprotocoll bildet die alleinige 
Grundlage des neuen abweichenden Gutachtens, 
s. Gutachten, Arbitrium. Sommer, 

Coiltractilis (von contrahere, verkürzen, 
zusammenziehen), verkürzungsfähig, zusam¬ 
menziehungsfähig, z. B. Für das zum For¬ 
menwechsel befähigte Protoplasma gewisser 
Zellen. Sussdorf, 

Contraotio (von contrahere), die Zusam¬ 
menziehung, Verkürzung, besonders als der 
Vorgang, aber auch als Resultat einer activen 
Zusammenziehungsfähigkeit oder Contracti- 
lität. Sussdorf 

Contractur (von contrahere), eine an¬ 
dauernde, durch Verkürzung willkürlicher 
Muskel oder durch Schrumpfung und Ver¬ 
kürzung von Sehnen und Fascien bedingte 
Annäherung der Anheftungspunkte dieser 
Theile. Die Ursache kann liegen: a) In 
einer Erkrankung der betreffenden Mus¬ 
keln und sehnigen Gebilde; b) in einer Er¬ 
krankung des Nervensystems; c) im fehler¬ 
haften Bau des Skelettes. Die Contracturen 
können angeboren oder erworben sein. Zu den 
letzteren können wir die Vorbügigkeit, den 
Stelzfuss, das Schieftragen des Schweifes, die 
Verkrümmung der Halswirbelsäule etc. rech¬ 
nen. Bei der längere Zeit dauernden abnormen 
Stellung treten dann Veränderungen in .den 
Gelenken ein, insbesonders einseitiger Druck¬ 
schwund. Die Prognose ist in der Regel nicht 
sehr günstig. Bei angeborenen Contracturen 
leisten entsprechende, von Fall zu Fall con- 
struirte Bandagen, mit Zuhilfenahme von 
Schienen und eventuell von elastischen Ein¬ 
sätzen, manchmal ausserordentlich viel. Bei den 
erworbenen, durch ein Muskel- oder Sehnen¬ 
leiden hervorgerufenen Contracturen versucht 
man anfangs die Wärme (Bäder, feuchtwarme 
Umschläge, Bandagirungen, die Massage etc.): 
meist liegt jedoch nur in der Vornahme einer 
Operation (Tenotomie, Myotomie) die Möglich¬ 
keit einer Heilung. Bei Contractur in folge 
Erkrankung des Nervensystems könnte die 
Elektricität versucht werden. Contracturen, durch 
fehlerhaften Bau des Skelettes bedingt, sind 
bei Thieren unheilbar. Bayer, 

Contraextensio (von contra, gegen, und 
extendere, ausdehnen, anspannen), die Gegen¬ 
ausdehnung bei Einrichtung von Knochen¬ 
brüchen oder Luxationen. Sussdorf 

Contrafissura (von contra, gegen, und 
fissura, Spalt), wie Contrafractura (von contra 
und fractura, Bruch), bezeichnet eine Fissur 
oder Fractur traumatischen Ursprunges, 
welche sich an anderer als der Einwirkungs¬ 
stelle des Trauma findet (s. auch Fissur, resp. 
Fractur). Sussdorf, 

Contraindicatfo (von contra, gegen, und 
indicare, anzeigen), die Gegenanzeige als ein 
durch die Art der Krankheit oder der thera¬ 
peutischen Massnahmen bedingter Umstand, 
der die Anwendung der einen oder anderen 
Methode, dieser oder jener Medicationsweise 



136 CONTRAPERTURA. — CONTÜSION. 


verbietet, daher auch contraindicirt, als das, 
was nicht angezeigt ist, und contraindicans, 
als das, was die Gegenanzeige bedingt. Sf. 

Die Contraindication gegen die An¬ 
wendung eines Arzneimittels ist in all den 
Fällen vorhanden, wo das anzuwendende 
Arzneimittel Schaden bringen und den Zu¬ 
stand des Patienten statt zu bessern nur noch 
verschlimmern würde. So z. B. sind contra¬ 
indicirt Abführmittel bei grosser Schwäche 
und bereits bestehenden Durchfallen, scharfe 
und local reizend wirkende Mittel innerlich 
bei bestehenden Magen- und Darmentzün¬ 
dungen, Adstringentia bei Verstopfungen, 
Narcotica bei grosser Apathie und Erschlaf¬ 
fung und Erregungsmittel bei starker Auf¬ 
regung und Gereiztheit des Nervensystems, 
Quecksilberpräparate bei Rindern, Chloroform 
und Strychnin bei Fleischfressern, Aderlässe 
bei anämischen und hydrämischen Thieren, 
Kälte gegen bereits in Eiterung übergegangene 
Entzündungen u. dgl. m. Ssmmer. 

Contrapertura (von contra, gegen und 
apertura, Oeflnung), die Gegenöffnung (s. d.). Sf. 

Contum&z-An8talten f Quarantänen (von 
der früher üblichen vierzigtägigen Quaran¬ 
tänezeit) sind Schutzanstalten an der Grenze 
zur Abwehr der Einschleppung von Seuchen aus 
benachbarten Ländern und Ortschaften. Alles 
aus Seuchenorten stammende Vieh muss sich 
in diesen Anstalten einer Probezeit (Quaran¬ 
tänezeit) unterziehen und nur als vollkom¬ 
men gesund erprobtes Vieh wird aus den 
Contumaz-Anstalten weiter expedirt. Gleich¬ 
zeitig mit den Contumaz-Anstalten ist eine 
Sperre und Ueberwachung der ganzen Landes¬ 
grenze erforderlich, um Seuchen abzuhalten. 
Als Contumaz-Anstalten bezeichnet man auch 
mit Zäunen oder Gräben umgebene abgelegene 
Orte, in welchen beim Ausbruch einer Seuche 
die erkrankten und von den gesunden abge¬ 
trennten Thiere bis zu ihrem Tode, ihrer Ver¬ 
nichtung oder Wiedergenesung separirt und 
untergebracht werden. Auch werden dort 
mit ansteckenden Krankheiten (Pocken, Rin¬ 
derpest, Anthrax etc.) geimpfte Thiere bis zu 
ihrer vollkommenen Genesung eingestellt. Sr. 

Contu8io (von contundere), die Zertrüm¬ 
merung, chirurgisch gewöhnlich für Quet¬ 
schung (s. Contusion). Sussdorf. 

Contusion (Quetschung). Wenn ein stum¬ 
pfer Gegenstand auf den thierischen Körper 
mit einer gewissen Geschwindigkeit einwirkt, 
die nicht hinreicht, um an der von ihm ge¬ 
troffenen Stelle den Widerstand der Haut zu 
überwinden, aber doch die tieferen und weniger 
widerstandsfähigen Theile einem solchen 
Drucke unterwirft, dass in ihnen wahrnehm¬ 
bare Zusammenhangstrennungen zu Stande 
kommen, so spricht man von einer Quetschung, 
Contusion, zum Unterschiede von einer Quetsch¬ 
wunde. bei welcher die Haut gleichfalls eine 
Zusammenhangstrennung erlitten hat. Die 
Quetschungen kommen also dadurch zustande, 
dass die Weichtheile zwischen zwei feste 
Körper gepresst werden. Einer dieser festen 
Körper ist fast stets das Knochengerüst des 


thierischen Körpers, und zwar bildet es in der 
Regel den Stützpunkt; so z. B. beim Auf¬ 
fallen eines schweren oder zum kräftigen 
Schlage geführten stumpfen Gegenstandes 
(Hieb mit einem Stocke, Hufschlag). In 
leicher Weise wirkt auch ein längere Zeit 
auernder Druck durch das Geschirr, den 
Sattel, das Eisen etc. In anderen Fällen dagegen 
sind wieder die äusseren Gegenstände der 
Stützpunkt, wenn beispielsweise das Thier 
gegen einen harten Gegenstand anrennt, oder 
niederstürzt, oder längere ' Zeit liegt. Die 
nächste Folge einer Quetschung ist eine Zer- 
drückung der Weichtheile in den verschie¬ 
densten Graden; oft besteht nur eine ganz 
geringfügige Blutunterlaufung, oft ist viel 
Blut ausgetreten und hat sich in einer Höhle 
angesammelt; dann wieder kann das Gewebe 
in seiner Lebensfähigkeit so gestört sein, dass 
es abstirbt und endlich können die Theile 
schon ursprünglich zu Brei zermalmt sein 
(wobei jedoch die zelligen Elemente fast 
vollständig erhalten bleiben). Es kann weiters 
ein und dieselbe Ursache ganz verschiedene 
Wirkungen erzielen. So wird beispielsweise 
ein Hufschlag eine andere Wirkung erzeugen, 
wenn er die Hinterbacke, als wenn er das 
Schienbein trifft, und hier wird die Folge 
wieder verschieden sein, je nachdem das Pferd 
den Fuss nur lose aufgestützt hält oder fest 
auf demselben steht. Im ersten Falle braucht 
nur eine Sugillation zu entstehen, im zweiten 
vielleicht eine Beinhautentzündung und im 
dritten kann ein Beinbruch resultiren; Alles 
nur durch denselben und mit gleicher Kraft 
einwirkenden äusseren Gegenstand. Ob durch 
die einwirkende Gewalt gleichzeitig auch eine 
Wunde zu Stande kommt oder nicht, hängt 
sehr viel von der Elasticität der Haut ab und 
ob dieselbe über einer weichen nachgiebigen 
Unterlage sich vorfindet oder unmittelbar auf 
einem Knochen aufliegt. Die Elasticität der 
Haut ist oft eine kaum glaubliche; es können 
durch bedeutende Traumen die Knochen einer 
Extremität in kleinste Stücke, die Eingeweide 
des Bauches zu Brei zermalmt sein, ohne 
dass die Haut besondere Veränderungen auf¬ 
weist. Die Erscheinungen einer Quetschung 
setzen sich zusammen aus jenen von Seite 
der Nerven und Gefässe und dann aus dem 
weiteren Verlaufe der Verletzung. Die nächste 
Erscheinung an den Nerven ist der Schmerz. 
Aus der Analogie beim Menschen nach zu 
schliessen, ist der Schmerz mehr lebhaft, wenn 
die getroffene Haut unmittelbar am Knochen 
aufliegt, mehr dumpf dagegen, wenn der 
Knochen tiefer liegt. In Folge Contusion 
grosser Nervenstämme kann auch Lähmung 
der von denselben versorgten Gebilde auf- 
treten; ebenso ist es ja bekannt, dass durch 
eine heftige Contusion des Abdomens der Tod 
des Individuums reflectorisch durch Herab¬ 
setzung der Herzthätigkeit erfolgen kann; 
nicht minder gefährlich ist die Erschütterung 
des Gehirns oder des Rückenmarkes, selbst 
wenn es durch die Contusion zu keiner Ge- 
fässzerreissung und Blutung in diese Central¬ 
organe desNervensj'stems gekommen ist. Eines 


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CONTUSION. *37 


der wichtigsten Symptome der Quetschung 
ist jedoch dieGefässzerreissung und die weitere 
Folge derselben die subcutane Blutung. Diese 
ist in der Regel nicht so bedeutend, als man 
dem Kaliber des zerrissenen Gefässes nach 
vermuthen würde; es kommt nämlich hierbei 
in Betracht, dass die Gefässwundränder rauh, 
uneben und fetzig sind, für das Ausströmen 
des Blutes ein Hinderniss abgeben, so dass 
der Blutdruck die Reibung schliesslich nicht 
mehr überwinden kann, sich Faserstoff¬ 
ausscheidungen bilden, welche ihrerseits Ver¬ 
anlassung zur Thrombosenbildung abgeben; 
ausserdem kommt auch noch die Compression 
von Seite des umgebenden Gewebes dazu, 
welche dem Gefässdrucke bald das Gleich¬ 
gewicht hält. Gefährlicher wird es selbst¬ 
verständlich, wenn die Blutung in eine Leibes¬ 
höhle hinein stattfindet, wobei einerseits die 
Menge des ausgetretenen Blutes und anderer¬ 
seits die Dignität des durch das Blut zu¬ 
sammengedrückten Organs, z. B. Lunge, Ge¬ 
hirn, eine Rolle spielt. Das ausgetretene Blut 
sammelt sich entweder in den Gewebsräumen 
selbst und bildet eine hämorrhagische Infiltra¬ 
tion oder in sehr kleinen Höhlen Ecchymosen, 
Sugillationen, oder wenn mehr Blut und dieses 
rasch ausströmt, so drängt es das Gewebe aus¬ 
einander und es bildet sich eine grössere Höhle, 
die mit extravasirtem Blute ausgefüllt ist — ein 
Hämatom. Ist das Extravasat mehr nach der 
Fläche ausgebreitet, so spricht man von einer 
Suffusion. Je gefässreicher und je stärker 
ein Theil gequetscht ist, je laxer das Gewebe 
desselben ist, desto grösser wird das Extra¬ 
vasat. Die Merkmale einer Quetschung sind 
äusserst verschieden; bei nicht pigmentirter 
Haut und leichter Quetschung, z. B. am 
weissen Ballen, sieht man eine Blaufärbung 
der Haut, manchmal mit Abschürfungen, Ex- 
coriationen verbunden. Tritt mehr Blut aus, 
so kommt eine Anschwellung zu Stande, die 
verschieden sein kann, je nach der Art und 
Weise, in welcher das Blut sich angesammelt 
hat. Sind die Gewebe mit Blut infiltrirt, so 
haben wir eine derbe, gleichmässige Volums¬ 
zunahme, die anfangs nicht schmerzhaft und 
wärmer zu sein braucht und in deren Umgebung 
sich öfters ein leichtes Oedem bemerkbar 
macht. Ist das Blut in einer Höhle angesam- 
mclt, dann finden wir eine genau begrenzte 
fluctuirende Geschwulst, über deren Natur, 
wenn sie rasch und unmittelbar nach einem 
Trauma sich entwickelte, keine Zweifel ob¬ 
walten können; es kann sich dann nur um 
ein Hämatom handeln. Aber selbst wenn 
schon leichte Entzündungserscheinungen zu¬ 
gegen sind, werden wir doch nicht leicht 
zwischen der Diagnose Hämatom oder Ab- 
scess schwanken, wenn wir namentlich die 
Grösse der Geschwulst, ihr rasches Entstehen 
und die im Vergleiche zur Grösse gering¬ 
fügigen Entzündungsmerkmale betrachten. 
Verwechslungen wären noch möglich mit Cysten 
und mit Ausdehnungen von Sehnenscheiden, 
Gelenkskapseln und Schleimbeuteln. Hervor¬ 
zuheben ist, dass manchmal bei Palpation von 
Blutextravasaten ein der Crepitation sehr ähn¬ 


liches Geräusch erzeugt wird, das in Verbin¬ 
dung mit der Functionsstörung leicht eine 
Verwechslung mit einem Knochenbruche 
möglich machen könnte. Nach Zerreissung 
der Fascien kann sich der darunter gelegene 
Muskel durch die entstandene Oeffnung hervor¬ 
drängen und so eine Muskelhernie bilden. 
In Knochen kommt es durch Zerreissung der 
Gefässe zur Bildung von Blutherden in der 
Markhöhle und deren weiteren Folgen. Leicht- 
gradige und wiederholte Quetschung von Sy¬ 
novialsäcken führt in Folge Reizung oder 
Entzündung derselben zu einer Vermehrung 
des Inhalts in ihnen, welcher dann meist etwas 
blutig gefärbt erscheint, während starke 
Quetschungen zu bedeutender Blutansamralung 
in denselben, in der Regel zu nachträglicher 
Eiterung führen. Die Prognose wird sich 
selbstverständlich nach der Intensität der 
Quetschung und nach der Wichtigkeit des 
gequetschten Theiles richten; wir müssen aber 
betonen, dass manche an und für sich gering¬ 
fügige Contusionen in Folge ihres Sitzes, 
ihrer Folgezustände etc. das Leben des Thie- 
res in Frage stellende Verletzungen abgeben 
können. 

Verlauf: Bei kleinen Extravasaten ge¬ 
rinnt das ausgetretene Blut alsbald; aas 
Serum durchdringt das Bindegewebe und wird 
wieder resorbirt, selbstverständlich um so 
leichter, je weniger Gefässe durch die Con- 
tusion gelitten haben. Die Blutkörperchen 
und der Faserstoff zerfallen und werden auch 
aufgesogen; der Blutfarbestoff vertheilt sich 
im ungelösten Zustande im Gewebe und 
macht dann verschiedene Farbenwechsel durch, 
bis er schliesslich in ein Pigment umgewandelt 
wird, das nicht mehr löslich ist, das Häma¬ 
toidin, welches sich theils körnig, theils kry- 
stallinisch ausscheidet. Dieses ist in reinem 
Zustande rubinroth und dem entsprechend sind 
bei starker Anhäufung desselben die Gewebe 
dunkel orangeroth, während bei spärlicher 
Ansammlung nur eine gelbe Färbung sich 
bemerkbar macht. Bei den starken Contu¬ 
sionen kommt sehr viel auf die Beschaffen¬ 
heit der Gefässe an. Von der Erhaltung 
der Circulation hängt einzig und allein 
die Lebensfähigkeit der gequetschten Theile 
ab; denn Experimente haben gezeigt, dass 
kleine, stark gequetschte Gewebsstücke gerade 
so wie transplantirte, vollständig lebensfähig 
erhalten werden können, so dass nicht die 
Quetschung als solche das Absterben des Ge¬ 
webes bedingt, sondern nur die Aufhebung 
der Blut- und plasmatischen Circulation. Die 
Beschaffenheit der Gefässe ist weiters haupt¬ 
sächlich für die Resorption vom Belange. Je 
mehr Gefässe vorhanden sind, welche durch 
die Quetschung nicht gelitten haben, somit 
functioniren können, desto leichter findet die 
Aufsaugung statt. Ausserdem, dass viele Ge¬ 
fässe durch die Contusion functionsunfähig 
werden, kommt noch in Betracht, dass sich 
an den Wänden der Höhle ein Niederschlag, 
eine Schichte von Faserstoff aus dem geronnenen 
Blute ausscheidet, überdies durch Verdichtung 
des Bindegewebes eine Art Sack um das 


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238 


CONTÜSION. 


Blut herum sich bildet, so dass selbst die 
noch gesunden Gewebe von den zu resor- 
birenden Blute durch eine oft beträchtliche 
Zwischenschichte getrennt sind. Oft bildet 
sich auch in Folge einer consecutiven Ent¬ 
zündung, da das Hämatom auch als fremder 
Körper wirkt, ein förmlicher Balg um das 
extravasirte Blut; es kommt zur Bildung einer 
Cysto, deren Inhalt je nach dem Alter ver¬ 
schieden ist, entweder hellroth, oft auch 
fast ganz farblos, nur in Folge eines fettigen 
Zerfalles der Blutelemente etwas getrübt. 
Wird der flüssige Theil des Extravasates 
aufgesogen, so lagert sich der Faserstoff in 
concentrischen Schichten ab, es entsteht eine 
feste, derbe Geschwulst, ein Tumor fibrinosus. 

Wenn das Blut mehr in das Gewebe in- 
filtrirt, also gleichmässig zwischen den Ge- 
websbestandtheilen verbreitet ist, so kann es 
auch hier als fremder Körper eine chronische 
Entzündung erregen, es kommt zur Organisa¬ 
tion, das ursprüngliche Gewebe geht ganz 
unter; wir haben dann auch eine Art Neu¬ 
bildung, eine bindegewebige, derbe, unter dem 
Messer knirschende Geschwulst vor uns — 
ein häufiger Ausgang der Bugbeulen. Nimmt 
der Entzündungsprocess sowohl bei Infiltraten, 
als auch bei Hämatomen einen acuteren Cha¬ 
rakter an, so kommt es zur Vereiterung — 
zur Bildung eines Abscesses. Wir haben die¬ 
sen Ausgang zu gewärtigen, wenn die Ent¬ 
zündungserscheinungen, die sich in der Regel 
die ersten Tage nach der Contusion einstellen, 
nicht nur nicht abnehmen, sondern an Inten¬ 
sität zunehmen. Schliesslich, aber nur selten 
kommt es zur Verjauchung, meist nur an 
Theilen, die vollständig zermalmt oder so 
gequetscht sind, dass sie lebensunfähig wur¬ 
den, wenn Fäulnisserreger hinzutreten können. 
Man hat sich allerdings gewöhnt, jedesmal, 
so oft bei Eröffnung einer Quctschbeule eine 
braunrothe Flüssigkeit zum Vorscheine kommt, 
von Verjauchung zu sprechen, das ist jedoch 
unrichtig. Bei keiner anderen Krankheit viel¬ 
leicht wird in der Behandlung so viel gesün¬ 
digt, als gerade bei den Contusionen, d. h. 
durch ein schablonenmässiges Vorgehen mehr 
verdorben als gebessert. Ohne jedwede ge¬ 
nauere Würdigung und Berücksichtigung des 
einzelnen Falles werden gewöhnlich kalte 
Umschläge angeordnet, von der Idee geleitet, 
dass durch dieselben die weitere Blutung 
hintangehalten und einer etwa nachfolgenden 
Entzündung vorgebeugt werden solle. Wenn 
man wirklich auf diese Weise eine Blutung 
stillen will, so muss man energiscli die Kälte 
anwenden und auch dann nur wird man der 
Blutung aus kleinen Gefässen Herr. Die Contu¬ 
sionen kommen meist in unsere Behandlung, 
wenn die Blutung schon lange von selbst auf¬ 
gehört hat, einerseits in Folge der Reibung des 
Blutes an den zerrissenen Gefässenden, an¬ 
dererseits in Folge der Compression von Seite 
der umgebenden Weichtheile, wie schon früher 
erwähnt wurde; dann kommen wir eben mit 
unseren Umschlägen zum Zwecke der Ver¬ 
hinderung eines ferneren Blutaustrittes schon 
zu spät, abgesehen davon, dass die Um¬ 


schläge, selbst solche mit Eiswasser, wie auch 
meine Versuche bezüglich der Tiefenwirkung 
der Kälte gezeigt haben (s. österr. Monats¬ 
schrift f. Thierheilkd. Nr. 1 u. 2 188b), absolut 
nichts nützen würden. Ebensowenig hilft der 
Zusatz von Arnicatinctur, dem vielgerühmten 
Hausmittel, oder Bleiwasser etc. Viel zweck¬ 
mässiger wäre in dieser Hinsicht die Com¬ 
pression mittelst Binden, wo dieses möglich 
ist, und Ruhe des betroffenen Theiles. Aber 
auch gegen die sich eventuell einstellende 
Entzündung dürfen wir vor den kalten Um¬ 
schlägen nicht viel erwarten; die Entzündung 
ist die Folge der in den Geweben vorhan¬ 
denen fremden Körper, theils des ausgetre¬ 
tenen Blutes, theils der zerstörten, lebens¬ 
unfähig gewordenen Gewebselemente; diese 
sind als Reize zu betrachten. Es ist einleuch¬ 
tend, dass man durch Entfernung dieser 
Reize am zweckmässigsten einer Entzündung 
wird Vorbeugen können, aber gerade durch 
Anwendung energischer Kältemittel behindert 
man die Aufsaugung, somit die Entfernung 
dieser Fremdkörper, weil durch die Kälte 
einerseits die Gefässe zur Contraction ge¬ 
bracht werden, andererseits aber der Stoff¬ 
wechsel herabgedrückt wird. Die starke Kälte 
kann auch noch in einer anderen Hinsicht 
schädlich wirken. In Fällen nämlich, in denen 
das Gewebe stark gequetscht, dessen Lebens¬ 
fähigkeit auf ein Minimum herabgedrückt 
und nur von einer reichlichen Ernährung ab¬ 
hängig ist, wird gerade dieser Factor durch 
die Kälte ausser Thätigkeit gesetzt, da die 
Gefässe sich contrahiren, somit eine vermin¬ 
derte Circulation stattfindet; es kann auf 
diese Weise gerade durch die eingeleitete 
Behandlung der Tod der gequetschten Partie 
hervorgerufen werden. In einem solchen Falle 
wäre somit statt der Kälte Wärme angezeigt. 
Glücklicherweise verdienen aber die kalten 
Umschläge, wie sie gewöhnlich angewendet 
werden, nicht diese Bezeichnung; man legt 
in der Regel einen nassen, kalten Lappen 
auf und lässt ihn liegen, bis er warm wird, 
es wirkt da ausser der Feuchtigkeit auch 
noch die wechselnde Temperatur, durch welche 
die Gefässe bald zur Constriction, bald zur 
Dilatation gebracht werden, wodurch dieResorp- 
tion wesentlich unterstützt wird. Nun besitzen 
wir aber eine bessere Methode, durch welche die 
Aufsaugung viel rascher stattfindet, welche 
schon als altes und erprobtes Heilmittelbei Con¬ 
tusionen der Menschen, als Hausmittel bei allen 
Völkern und zu allen Zeiten in Anwendung kam 
— die Massage. Durch den hiebei angewandten 
Druck und das Streichen wird das ausgetre¬ 
tene Blut in die Maschen des umliegenden, 
unverletzten Gewebes vertheilt, dadurch die 
resorbirende Fläche vergrössert und die Auf¬ 
saugung beschleunigt, weil das Blut mit vielen 
intacten, also zur Resorption befähigten Ge¬ 
fässen in Berührung gebracht wird. Je mehr 
es uns gelingt, das Extravasat zu vertheilen, 
was insbesondere bei grossen Blutaustretungen 
von Wichtigkeit ist, desto leichter werden 
wir die Eiterung, sowie die Organisation des 
ergossenen Blutes und die vielleicht meist 



CON V ALESCENTIA. 

nur als Product einer geringgradigen, chro¬ 
nischen Entzündung des Gewebes auftretende 
Bindegewebsneubildung verhüten. Namentlich 
um diese letzteren nach Contusionen, welche 
längere Zeit mit Kälte behandelt wurden, 
zurückbleibenden Geschwülste zu besei¬ 
tigen, müssen wir erst dann später oft die 
energischesten und eingreifendsten Behand¬ 
lungsmethoden in Anwendung bringen. Wir 
verzögern also durch eine unzweckmässige 
Behandlung die Heilung. 

Es ist klar, dass sich für die Massage 
hauptsächlich die Infiltrate eignen werden, 
aber auch kleine Hämatome, etwa von der 
Grösse eines kleinen Apfels, werden wir auf 
diese Weise zur Resorption bringen können; 
dagegen wäre es vergebliches Bemühen, kopf¬ 
grosse Blutbeulen, wie solche am Unterschenkel 
und der Hinterbacke am häufigsten auftreten, 
wegmassiren zu wollen; für diese gibt es 
nur ein am raschesten zum Ziele führendes 
Mittel — das Messer. Punktiren nützt in der 
Regel nichts, die Beule füllt sich alsbald 
wieder mit Flüssigkeit, welche meiner Meinung 
nach, falls die Punktion nicht sehr früh vor¬ 
genommen wurde, nur als Transsudat aufzu¬ 
fassen ist. In manchen Fällen legen sich die 
Wandungen der Höhle nach der Incision 
aneinander und es folgt eine Art Heilung 
per prim&m, in anderen dagegen tritt Eite¬ 
rung ein. 

Hatte eine Contusion und blutige Infil¬ 
tration von Muskeln stattgefunden, so scheute 
man sich, die Thiere zu bewegen und doch 
ist wieder hier eine mässige Bewegung — ich 
betone ausdrücklich, mässige Bewegung — in 
Verbindung mit energischen Frottirungen der 
betreffenden Partie das beste resorbirende 
Mittel; man mag immerhin bei den Frotti¬ 
rungen sich auch noch eines die Haut gelinde 
reizenden Mittels, Kamphergeist etc. bedienen 
für den Fall, als die blosse Bewegung und 
das Frottiren allein dem Eigenthümer zu 
wenigerscheinen sollte; ebenso können feucht¬ 
warme Umschläge, Bähungen mit warmem 
Wasser oder einem Infusum die Cur unter¬ 
stützen. An Extremitäten können feuchtwarme 
Umschläge in Verbindung mit Druck, auch 
einer elastischen Binde und Bewegung mit 
Vortheil in Anwendung gezogen werden. 

Nehmen die Entzündungserscheinungen 
zu, so dass keine Aussicht vorhanden ist, 
die Eiterung hintanzuhalten, dann begünstige 
man dieselben meiner Meinung nach am 
besten durch feuchte Wärme, leite überhaupt 
die unter Abscess(s. d.) geschilderte Behand¬ 
lungsweise ein. Neubildungen, Cysten und 
BindegewebsgeschWülste werden auf operati¬ 
vem Wege entfernt. Erstere oft durch wie¬ 
derholte Punction und Injection von Jod- 
tinctur, Zerstörung des Balges durch Aetz- 
mittel oder des Glüheisens, oder endlich 
durch Ausschälung der ganzen Cyste. 

Bindegewebsneubildungen durch Eiter¬ 
bände zur Zertheilung bringen zu wollen, ist 
ein vergebliches Bemühen. Einführen von 
Aetzmitteln in die Geschwulst, um dadurch 
Absterben derselben zu erzielen, ist wegen 


— CONVULSIONEN. *39 

der Unsicherheit des Erfolges, und weil die 
Aetzwirkung sich auch auf gesunde und zu 
schonende Gewebe fortpflanzen kann, nicht 
sehr zu empfehlen Referent zieht unbedingt 
das Messer allen anderen Methoden vor, 
weil dadurch in radicalster und doch scho- 
nendster Weise in der allerkürzesten Zeit 
Heilung und Gebrauchsfähigkeit erzielt wer¬ 
den kann, denn Dank der antiseptischen 
Wundbehandlung haben wir nach Exstirpation 
kopfgrosser Bugbeulen, apfelgrosser Cysten 
und Stollbeulen in der Mehrzahl der Fälle 
Heilung auf dem ersten Wege erreicht. Bayer . 

Convaleacentia (von convalescere, völlig 
erstarken, genesen), die Genesung. Sussdorf. 

Convallaria majalia, Maiblume, Maililie, 
Maiglöckchen, die bekannte wohlriechendeFrüh- 
jahrspflanze unserer Waldungen (Scoilacee L. 
VI. 1.) mit wei8sem glockigem Perigon. Die sonst 
so bescheidene Blume enthält zwei heftige gly- 
kosidische Gifte, von denen das eine ein ge¬ 
fährliches Purgans ist und Convallamarin 
heisst, das andere aber — Convallarin — 
ein ähnliches Herzgift ist, wie die Digitalis 
und auch als solches in neuester Zeit vielfach 
angewendet wurde; nachdem es jedoch nicht 
jene zuverlässigen Eigenschaften besitzt, wie 
das Fingerhutkraut, ist es auch diesem weit 
unterzuordnen. In Russland ist das Maiblüm¬ 
chen ein diuretisches Volksmittel. Vogel. 

Convexus (von convehri), rings sich nei¬ 
gend als gewölbt für ellipsoidische oder ku¬ 
gelige Oberflächen. Sussdorf. 

Convolutio (von convolvere), die Ver¬ 
wickelung, Verschlingung, z. B. der Därme. Sf. 

Convolutua (von convolvere), verwickelt, 
verschlungen, daher Convolutum, das Ver¬ 
wickelte, das Knäuel. Sussdorf. 

Convolvulin, ein Glucosid, bildet den wirk¬ 
samen Bestandteil der Jalapenwurzel, d. i. 
der Wurzel von Oonvolvulus Purga Wend. 
Es bildet eine farblose, bei gewöhnlicher Tem¬ 
peratur weiche, bei 100® durch Wasserverlust 
spröde, bei 150° zur klaren Flüssigkeit schmel¬ 
zende Masse von schwach saurer Reaction. 
Das Convolvulin löst sich sehr wenig in 
Wasser, leicht in Essigsäure, nicht in Aether. 
Es wirkt schon in sehr kleinen Dosen, 0 * 1 bis 
0*2, purgirend. Loebisch 

Convolvulus = convolutio. 

Convul8ionen, Convulsiones, Zuckungen 
(v. convellere, erschüttern), sind Muskelkrämpfe. 
Irgend ein Reiz der motorischen und sensitiven 
Nerven oder der Nervencentren verursacht in 
den willkürlichen Muskeln direct oder reflec- 
torisch eine Contraction der Muskelfasern, die 
während kurzer Zeitabschnitte mit Erschlaf¬ 
fung dieser Fasern ab wechselt. Der Wille hat 
auf die Zuckungen keinen Einfluss, das Gehirn 
bleibt bei ihnen unberührt. Das Irritament 
kann in ungewöhnlicher Ein Wirkung des Lichtes, 
der Wärme, der Elektricität, in Pflanzenstoffen 
und Metallen (Narcotica, Nux vomica, Kampher. 
Bleipräparate) nach ihrem Uebergang in’s Blut, 
in unreiner, mit Kohlensäure überladener Luft, 
in heftigen Gemüthserregungen, Druck auf die 
Muskeln, Säugen der Mutterthiere, Ueber- 
ladungen des Magens, Eingeweide Würmern, 


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240 COORDINATION. — COPAL. 


anämischen Zuständen des Gehirns u. dgl. m. 
bestehen. Katarrhe und typhöse, infectiöse 
Krankheiten compliciren sich gern mit Con- 
vulsionen, bei jenen wirken das in das Schleim¬ 
hautgewebe gesetzte Transsudat und Exsudat, bei 
diesen die im Blute circulirenden Infectionsstoffe 
(Pilze, Micrococcen) als Nervenreize. Die Ner¬ 
ven erleiden hiebli Störungen in der Lagerung 
ihrer constituirendenElemente, wenn schon sich 
nicht immer anatomische Läsionen nachweisen 
lassen; als solche sind gefunden worden: 
Hyperämie der Nervenscheiden und der Nerven¬ 
fasern, Besetzung derselben mit hämorrhagi¬ 
schen Punkten, Erguss von Serum oder Blut 
um die Nervenscheide herum, und Hyperämie 
der Hirn- oder Rückenmarkshäute. 

Diagnose. Die Convulsionen sind an den 
schnell sich folgenden Zuckungen einzelner 
Muskelgruppen leicht zu erkennen, sie finden 
am häufigsten an den Muskeln der Lippen, 
Backen, des Halses, der Schultern, des Rückens 
und des Oberschenkels statt, wobei die Pupille 
erweitert, Puls und Respiration alterirt und 
die Hauttemperatur gesunken sein kann; De- 
jectionen und Secrctionen sind meistens wäh¬ 
rend der Anfälle retardirt, nach ihnen zeigen 
sich die Thiere abgespannt. Häufige Recidive 
können Hemmung der Blutcirculation, Ent¬ 
zündung und ihre Folgen veranlassen, sie 
führen auch gern zu allgemeinen Krämpfen 
und lassen auf tiefere bleibende Alterationen 
der Gewebe und Nerven zurückschliessen. An¬ 
dernfalls pflegen die Convulsionen nach eini¬ 
gen schwächer werdenden Paroxysmen wieder 
zu verschwinden. 

Behandlung. Sie entnimmt ihre Heil- 
indicationen vorzüglich den ursächlichen Ver¬ 
hältnissen und den etwaigen Complicationen, 
auf deren Beseitigung Bedacht genommen 
werden muss. Alle Sinnesreize sind fern zu 
halten oder mindestens abzustumpfen ; letzteres 
erreicht man mit der Anwendung der Narcotica 
und Antispasmodica, unter denen Opiate, 
Morphin, Atropin, Coniin, Hyoscyamus, Blau¬ 
säure, für kleine Thiere die Aqua laurocerasi, 
die Aetherarten, ätherisch-öligen Pflanzen, 
Kampher, Kalium bromatum, Zincum oxydatum 
album, Argentum nitricum, bei entzündlicher 
Spannung einzelner Theile Kälte oder feuchte 
Wärme (Cataplasmen, für kleine Thiere w'arme 
Bäder) die vorzüglichsten Heilmittel sind. Bei 
heruntergekommenen Thieren hebt man die 
Kräfte durch Restaurantia und Nutrientia. Ar. 

Coordination (von con- und ordinäre, ord¬ 
nen), die Beiordnung mit dem Begriffe des 
gleichen Ranges, der gleichen Bedeutung, 
z. B. zweier gleichzeitiger Vorgänge oder 
zweier Organe für einen gemeinsamen Zweck. 
Der Ausdruck bezieht sich physiologisch be¬ 
sonders auf die regelmässige, zweckbewusste 
Ordnung und Aufeinanderfolge in der Be¬ 
wegung, wie sie nur bei dem regelrechten 
Bestehen gewisser Theile des centralen Ner¬ 
vensystems möglich ist. Der Coordination in 
der Bewegung stehen nämlich gewisse Centra 
vor, die sogenannten Coordinationscentren, 
welche einerseits mit dem Willensorgan und 
andererseits (scheinbar durch in den Seiten¬ 


strängen des Rückenmarks verlaufende Bahnen) 
auch mit den Kernen der Nerven der ver¬ 
schiedensten Muskelgruppen in „gutleitender 44 
Verbindung zu stehen und in Thätigkeit zu 
treten scheinen, was Bowohl bei der Auslösung 
geordneter Reflexe, wie dies öei Hunden 
der Fall, deren hinteres Markende von dem 
vorderen Theile der Medulla spinalis abge¬ 
trennt ist — durch Kratzen gekitzelter Haut¬ 
stellen mit den Hinterpfoten —bei decapitirten 
Fröschen durch zweckmässige Abwehrbewe¬ 
gungen nach Einwirkung sensibler Reize etc. 
geschieht; oder nach Hermann bei den willkür¬ 
lich geordneten Bewegungen. Der genannte 
Forscher schliesst letzteres besonders aus der 
Unmöglichkeit der Innervirung aller willkür¬ 
lichen Muskeln vom Willensorgane aus. Ihren 
Sitz vermuthet man für die Coordination der 
willkürlichen Bewegung in dem Kleinhirn 
(vielleicht auch Mittel- und Zwischenhirn), 
für diejenige geordneter Reflexe auch noch 
in der Medulla oblongata und dem Rücken¬ 
mark; die Rückenmarkscentren scheinen dabei 
unter der Herrschaft des verlängerten Mark¬ 
centrums als eines zusammenfassenden, auch 
von verschiedenen Markniveaus aus eingeleitete 
Reflexe vermittelnden zu stehen Coordinirte 
Bewegungen werden erst durch Uebung erlernt, 
junge Thiere sind zu solchen noch nicht in 
vollem Masse befähigt. Man spricht auch von 
einer Coordination der Empfindung, deren 
Störung Schwindelempfindungen und damit 
sog. Zwangsbewegungen zur Folge haben soll. 
(Näheres hierüber s. Nerven-Physiologie.) Sf. 

Copa'ifera, eine zur Familie der Caesal- 
pininieen gehörige Pflanzengattung der tro¬ 
pischen Länder Südamerikas, welche den 
Copalvabalsam, 

Baisamum CopaSvae, liefert, be¬ 
stehend in einer Auflösung mehrerer Harze 
in ätherischem Oele. Durch diese Terpene 
wird der Balsam zu einem Reizmittel für die 
Harnorgane, das zugleich desinficirende Wir¬ 
kungen auf diese ausübt, indem die Harze in 
Form von gepaarten Glykuronsäuren und zum 
Theil auch als Aetherschwefelsäuren im Harn 
auftreten und diesen aseptisch machen. Es liegt 
keine Veranlassung vor, den Copaivabalsam 
bei Thieren anzuwenden. Vogel. 

Copaivabalsam, s. Copaifera. 

Copal. Ein harzartiger Körper, welcher 
sich bei verschiedenen afrikanischen und ost¬ 
indischen Bäumen (Hymenea, Trachylobium, 
Icica, Dammara) in tropfenförmigen Massen 
zwischen Rinde und Holz ausscheidet, sich 
auch unter deren Pfahlwurzeln im Boden 
ansammelt. Der Copal besitzt eine gelb¬ 
liche, seltener röthliche Farbe, ist im Innern 
meist klar und durchsichtig. Er ist spröde, von 
glasig splitterigem Bruch, ohne Geruch und 
Geschmack. Uiüöslich in wasserhaltigem Wein¬ 
geist, wenig in absolutem; durch längeres Lie¬ 
gen an der Luft, wobei er Sauerstoff aufnimmt, 
wird die Löslichkeit gesteigert. In Aether 
quillt er gallertartig auf und löst sich dann in 
Alkohol. Zur Darstellung des Copallacks dient 
der beim längeren Schmelzen des Copals blei- 


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COPULATION. - 

bende, leichter lösliche Rückstand. Copal wird 
in der Medicin zur Herstellung von Zahn- 
kitten mit Asbest benützt. Loeöisch. 

€opulation nennt man die Vereinigung 
zweier, äusserüch scheinbar gleicher Zellen 
behufs Neubildung einer ruhenden oder Dauer¬ 
spore. Es ist sonach eine Art geschlechtlichen 
Actes, von der eigentlichen Befruchtung durch 
die äu88erliche Gleichartigkeit der beiden sich 
vereinigenden Zellenindividuen verschieden. 
Die copulirenden Zellen nennt man Copulations- 
zellen oder Gameten, das Product heisst Zygo- 
spore oder Zygebe. Copulationen kommen häufig 
bei Algen und Pilzen vor. So bei allen Des- 
midiaceen und Zygnemaceen, bei den Muco- 
raceen u. s. w. (s. Mucor, Sizygites u. a.). Hart . 

Cor, cordis, s. Herz. 

Cor adiposum, das Fettherz (v. cor, 
das Herz; adeps, das Fett), ist in vielen Fällen 
eine Theilerscheinung der allgemeinen Fett¬ 
sucht, bei jungen Thieren der Fettdegeneration 
aller Muskeln (Lähme); es entsteht auch nach 
mangelhafter Ernährung des Herzmuskels bei 
einer Hypertrophie und Verengerung der Coro- 
nararterie im Verlaufe chronischer, rheuma¬ 
tischer, cachectischer und typhöser Krank¬ 
heiten, nach Intoxicationen mit Säuren, Phos¬ 
phor, Arsenik, Kohlenoxyd, Aether und Chloro¬ 
form. In Folge der fettigen Degeneration ver¬ 
lieren die Muskelfasern ihre Querstreifung 
und ihren Tonus, sie erschlaffen, werden brü¬ 
chig, leicht zerreissbar, mürbe, sie sind von 
Fettkörnchen und Fett-Tröpfchen durchsetzt und 
geben dem Blutdrucke nach, das Herz er¬ 
weitert sich und erscheint gelblich gefleckt 
oder in seiner Totalität gelbroth, die Symp¬ 
tome der passiven Herzerweiterung oder Herz¬ 
hypertrophie stellen sich ein, bestehend in Ab¬ 
normitäten der Blutcirculation, der Ernährung 
und der Respiration, beschleunigtem, kleinen 
Puls, Herzklopfen, Dyspnoe (Lungenödem), 
ängstlichem Benehmen und leichter Ermüdung. 
Bei beträchtlicher Dilatation des Herzens wird 
der Percussionston auf weiteren Flächen in der 
Herzgegend gedämpft und leer, die Ausculta- 
tion ergibt schwache oder auch schwirrende 
und blasende Geräusche, hervorgerufen durch 
angestrengtere Herzaction; schliesslich erlahmt 
die Herzkraft gänzlich, der Tod erfolgt 
durch Herzparalyse, mitunter auch durch 
Verblutung nach Herzzerreissung; am häufig¬ 
sten zerreissen die fettig entarteten und ver¬ 
dünnten Vorkammern. Zuweilen lagern sich 
Fettmassen auf den Umflächen des Herzens ab 
und bedingen eine Atrophie der Herzmusku¬ 
latur, besonders des rechten Ventrikels. Gegen 
eine weit vorgeschrittene fettige Degeneration 
des Herzens bleiben alle Heilmittel fruchtlos, 
zu versuchen wären Tonica und Amara, wie 
Plumbum acetic., Eisenpräparate, China, Brom¬ 
kalium, Jodkali, Tannin, Ergotin, Karlsbader 
und Marienbader Mineralwasser (Hunde). Am 
meisten wird auf Regelung der Diät zu halten 
sein. Vogel (Repetor. der Thierheilkunde 1884) 
empfiehlt für Hunde täglich 3 Pfund Hafer¬ 
grütze, 130 g Fett mit kochendem Wasser 
und etwas Salz angerührt, für Pferde täglich 

Koch. Eocyklopidie d. Tbierheilkd. II. Bd. 


CORDYCEPS. 241 

7 Pfund Hafer, ebensoviel Heu, 3—5 Pfund 
Stroh zu Häcksel geschnitten unter Zugabe 
von 1 Pfund Leinsamenmehl und 5% Koch¬ 
salz. Bei diesem diätetischen Regimen schwand 
das Fett beträchtlich; Fett schütze wieder vor 
Fett. Anacker. 

Coralllna offlcinalis, Korallenmoos, Wurm¬ 
moos, s. Alsidium Helminthocortus. 

Corax (von 6 xopa£, Rabe), gibt Ur¬ 
sprung einer Anzahl Termini, welche bei 
der Beschreibung und Benennung von Theilen 
benützt werden, die eine gewisse Aehnlichkeit 
mit dem Rabenschnabel haben, z. B. Pro¬ 
cessus coracoides am Schulterblatt oder Os 
coracoideum, der Rabenschnabelknochen des 
Schultergürtels; M. coraco-brachialis, Raben¬ 
schnabelarmbeinmuskel etc. Sussdorf 

Corbi&res-Schaf. Die Corbiferes-Schafe 
sind Merino-Kreuzungen, welche in allen 
Jahreszeiten auf den Höhen der Pyrenäen - 
Ausläufer verbleiben, die sich in das Departe¬ 
ment de l’Aude erstrecken. Sie sind klein oder 
mittelgross, ihr Körper ist nicht besonders 
wohlgebildet, der Kopf ermangelt häufig der 
Hörner. Die Wolle ist ziemlich fein, weich, 
in langen, hängenden, spitzigen Flocken, 
welche an der Basis glänzend sind, weshalb 
sie auch häufig mit dem Namen Seidenschafe von 
Corbifcres belegt werden. Das Vliess erstreckt 
sich über alle Körpertheile. Neumann. 

Corchorus oapsularis (olitorius und tex- 
tilis), indischer Flachs, eine Tiliacee (L. 
XHI. 1.), welche besonders in Bengalen culti- 
virt wird und neuerdings unter dem Namen 
Jute (oder Pad) einen bedeutenden Aus¬ 
fuhrartikel Südasiens bildet, weil in der tex¬ 
tilen Industrie Europas die Bastfaser einen 
eschätzten Spinnstoff liefert. Chirurgisch 
ient die flachsähnliche Jutefaser, welche 
innen hohl ist und daher ein bedeutendes 
Aufsaugungsvermögen für Flüssigkeiten be¬ 
sitzt, als ein jetzt auch in der Thierheilkunde 
beliebtes Verbandmittel, das das Werg in 
mancher Beziehung an Brauchbarkeit über¬ 
trifft, namentlich aber reiner und weicher ist 
und besser absorbirt; ausserdem kommt es, 
mit Desinficientien getränkt, namentlich als 
Carbol- und Salicyljute in Handel, es können 
jedoch diese Arzneistoffe einfacher und billiger 
unmittelbar vor der Verwendung der Jute ein¬ 
verleibt werden. Vogel. 

Cordova, Veterinärschule zweiten Ranges 
mit dreijährigem Cursus, während in der 
Schule ersten Ranges zu Madrid der Cursus 
fünf Jahre dauert. Semmer. 

Cordyoeps Fr., Link p. p. (von xopSoX-q, 
Keule, und xe<paX*rj, Kopf), Torrubia Löv. (zu 
Ehren des spanischen Mönches und Natur¬ 
forschers [1754] Josef Torrubia). Eine im 
Wesentlichen mit Claviceps (s. d.) überein¬ 
stimmende, gewöhnlich jedoch in und auf leben¬ 
den Insecten, namentlich deren Larven parasiti- 
rende Pilzgattung. Die Schlauchformen besitzen 
einen langgestreckten stielförmigen Träger 
(Stroma), der einfach, seltener getheilt, an 
der Spitze ein meist langgestrecktes, walzen¬ 
förmiges oder keuliges Receptaculum trägt, 

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242 


CORDYCEPS. 


in dessen peripherischen Kammern (Concep- 
taculis, Pyrenien oder Perithecien) sich die 
Asci befinden. Diese sind wie bei Claviceps 
beschaffen. Die acht langen federförmigen 
Ascosporen sind jedoch quer in zahlreiche 
Theilsporen zergliedert. Paraphysen fehlen. 
Die Ascosporen gelangen nun auf irgend eine 
Weise auf geeignete Insectenlarven. Auf diesen 
keimen sie unter günstigen Umstanden, dringen 
in das Innere ein, erzeugen hier, häufig unter 
Bildung yon Cylindergonidien, ein üppiges 
Mycelium, welches nun seinerseits nach dem 
Tode der Raupen Hyphen an die Oberfläche 
sendet, welche sich Strauch- oder baumförmig 
verzweigen und an ihren Aesten nach Art 
einer Botrytis oder einer Isaria die gewöhn¬ 
lich schneeweissen oder kreide weissen Gonidien 
tragen. Diese Gonidien fallen sehr leicht ab, 
bedecken die Raupen etc. wie mit Mehlstaub 
oder Kalkpulver. Ganz wie wir es bei der 
Gonidienform von Claviceps (Sphacelia) ge¬ 
sehen, vermögen auch sie in bisher noch ge¬ 
sunde Raupen, nach erfolgter Keimung, ein¬ 
zudringen und dieselbe Erscheinung hervor¬ 
zubringen. Die also befallenen Larven werden 
kurze Zeit nach dem stets eintretenden Tode 
steif und hart, sie fühlen sich korkartig an, 
indem die Hyphen des Pilzmycels sie voll¬ 
kommen ausfüllen und jetzt ein festes, mässig 
hartes Dauermycelium (Sclerotium) darstellen, 
welches genau dem sog. Mutterkorn von 
Claviceps purpurea entspricht. Bedeckt man 
diese sclerotisirten Larven leicht mit Sand, 
Erde oder Moos, so kommen aus ihnen bei 
genügender Wärme und Feuchtigkeit wiederum 
die schlauchtragenden Stromate hervor. 

Cordyceps militaris Link. (Fig.399), 
Clavaria militaris L., Torrubia militaris Tul. 
Die schlauchtragenden Früchte sind stattliche, 
orangegelbe, keulenförmige Gebilde; sie kom¬ 
men nicht selten auf Schmetterlingsraupen 
und deren Puppen vor. Die Sporen zerfallen 
kurz vor der Entleerung in die ca. 160 Theil¬ 
sporen und werden elastisch in Form eines 
glitzernden Regens aus den Schläuchen und 
nach aussen entleert. In Wasser gebracht, 
quellen sie, werden rundlich bis kugelig, zu¬ 
weilen verschmelzen sie zu zweien mitein¬ 
ander und treiben im letzteren, wie im ersteren 
Falle alsbald Keimschläuche; auf eine Raupe 
gebracht, vermögen diese Keimschläuche als¬ 
bald an beliebigen Stellen die Chitinhaut zu 
durchbohren. Diese Pilzfaden schwellen im 
Inneren der Raupen etwas an; sie haben ein 
begrenztes Wachsthum nach Art des Promy- 
celiums vieler Uredineen und Ustilagineen, 
durch Scheidewände erscheinen sie gewöhn¬ 
lich als einfache, seltener verzweigte Zell¬ 
reihen, welche nun seitlich cylindrische Goni¬ 
dien, die sog. Cylindergonidien, in mässiger 
Anzahl hervorsprossen lassen. Die Cylinder- 
gonidien trennen sich bald ab und werden 
vom Blutstrome weiter getragen; sie strecken 
sich alsbald um das Mehrfache der ursprüng¬ 
lichen Länge, bekommen nicht selten Scheide¬ 
wände und vermehren sich sprossend nach 
Art der Hefepilze, indem dabei eine grosse 
Zahl gleichartiger Zellen gebildet wird. 


Ihre Vermehrung und ihr Wachsthum ge*- 
schieht zunächst auf Kosten des Blutes, wel¬ 
ches demnach rasch abnimmt: die Raupen 
werden schlaff upd weich und sterben in 
diesem Zustande ab. Sobald der Tod- des 
Thieres eingetreten, wachsen die Hefezellen 
auf Kosten der Gewebe der Raupe zu üppigen 
Mycelfäden aus, die, meist vielfach verzweigt 
und septirt, alle Organe des todten Körpers 
durchsetzen, grösstentheils resorbiren, vor¬ 
handene Höhlungen ausfüllen u. s. w., so 
dass nach kurzer Zeit die Raupe wieder 



'Fig. 399.) Cordyceps miliUris. 1. Cordyceps militaris, 
SchUuchfrucht, einer todten Raupe entsprossend. a Stroma, 
b Receptacolnm; die kleinen punktförmigen Erhabenheiten 
rühren von den schlauch führenden Conceptakeln her. 
2. Schlftuche mit je acht Sporen. 3. Die Sporen, in zahl¬ 
reiche Theilsporen zergliedernd. 4. Sporen, nach der Kei¬ 
mung im RaupenkOrper, Hefesprossungen erzeugend. 6. Spi- 
caria&hnliehe Schimmelform, hervorgegangen ans Asco¬ 
sporen; bei a keimend; bei b tornla&hnlich. 6. Isaria fmri- 
nosa auf einem todten RanpenkOrper. 

turgescent, korkartig-schwammig und fest 
wird. Wir finden so 1—3 Tage nach dem 
Tode der Raupe diese in änsserlich scheinbar 
unveränderter Form vor, im Inneren jedoch 
sind fast sämmtliche Organe und deren Theile 
aufgezehrt und ersetzt durch das Mycelium 
des Pilzes, welches in seinem Endstadinm 
ein Dauermycelium, ein Sclerotium darstellt. 
Aus dem Mycelium des todten Raupenkörpers 
entwickeln sich nun zuweilen nach aussen 
verzweigte Hyphen, welche candelaberartig 
oder wirbelig verzweigt sind und an den 
Enden dieser Zweige einfache Ketten kugeliger 
Gonidien tragen (zuweilen ist die erste cylin- 
drisch); sie stellen sonach in dieser Form 
einen Schimmelpilz dar, den man als eine 
Tornla mit der Verzweigungsart eines Verti- 
cillium oder einer Spicaria näher zu beschreiben 
haben würde. Diese Gonidienträger treten 
vereinzelt auf, oder sie überziehen in Masse 



CORELYSIS. — CORPUS CALLOSUM, 


343 


gleichförmig die ganze Raupe, sie wie mit 
weissem Mehle bedeckend. Endlich aber 
können 4 — 2 cm hohe gestielte, nach oben 
anseinander tretende Hyphenverschmelzungen 
dieser Gonidienträger Vorkommen, die Fries 
als Isaria farinosa seinerzeit bezeichnet hat. 
Der Stiel dieser Form ist orangegelb. Besser 
wohl als Isaria würde sie als Stysanus fari- 
nosns aufzuführen sein: sie stellt eine zu¬ 
sammengesetzte Schimmelform dar, die sich 
zu der oben erwähnten einfachen etwa so 
verhält, wie Coremium zu Penicillium. Diese 
Gonidien vermögen zuvor gesunde Raupen 
ebenfalls zu innciren. Die Gonidienformen 
lassen sich theilweise leicht saprophytisch 
ernähren und vermehren; auch diese inficiren 
wieder mit Leichtigkeit gesunde Raupen. Aus 
den steif gewordenen Raupen geht unter 
günstigen Bedingungen neben der Isaria auch 
die Perithecienform, die Frucht, wieder her¬ 
vor. Aehnlich wie die vorstehende Art ver¬ 
halten sich auch andere Arten; so 

Cordyceps entomorrhiza Fr., Clavi- 
ceps entomorrhiza Dicks., welche Elater- und 
andere Käferlarven befällt. Ueber die viel¬ 
leicht hieher gehörige Botiytis Bassiana Bals. 
Crivelli, welche den echten Seidenspinner 
befällt, und die als Calcino o mal del segno 
der Italiener gefürchtete Krankheit dieses 
Insectes verursacht, s. bei „Muscardine“. Hz. 

Corelysis (von xdpiq, die Pupille, und 
Xu3t$, Lösung), bezeichnet die künstliche 
Lösung von bestehenden Verwachsungen der 
Iris mit der vorderen Linsenkapsel (Synechien) 
auf operativem Wege. Schlampp. 

Coremium Link, (von xo£>e:v, kehren), 
Besenschiminel. Entsteht aus Penicillium, in¬ 
dem die aus dem Mycei sich erhebenden 
Hyphen büschelig zusamraentreten. Coremium 
ist sonach eine Parallelform zu Graphium, 
Stysanus, Isaria u. a. 

Ceremium glaucum Lk., graugrüner 
Besenschimmel, findet sich besonders häufig 
auf geschimmelten Citronen und Apfelsinen, 
Aepfeln u. s. w. und ist nichts Anderes, als 
ein Penicillium glaucum. Hart. 

Coremorpho8is (xopYj. Pupille, und pdp- 
bezeichnet die Bildung einer künst¬ 
lichen Pupille (s. unter Iridectomie). Sp. 

Corlago, die Harthäutigkeit(v. ydptov, 
Lederhaut; ayvova:, brechen); anderweite wis¬ 
senschaftliche Bezeichnungen für Harthäutig- 
keit sind Ecedermia und Sclerodermia (v. ix, 
aus, oxXtjpos, hart; äsppa, Haut). Die Hart- 
häutigkeit geht aus Ernährungsstörungen, 
mangelhafter Ernährung und Hautpflege her¬ 
vor, die Haut wird spröde, trocken, anämisch 
und in Folge bindegewebiger Wucherung 
dicker, das Haar trocken und glanzlos. Da 
fast regelmässig Lecksucht mit ihr verbunden 
ist, siehe das Nähere darüber unter „Leck¬ 
sucht“. Anacker. 

Coriander entölter. Rückstände nach der 
Gewinnung des in den Samen des Corianders 
(Coriandrum sativum) enthaltenen ätherischen 
Öeles. Sie enthielten nach einer vorliegenden 
Analyse: 88% Trockensubstanz, 13 6% Pro¬ 
tein, 17*8% Fett, 29*8% stickstofffreie Ex- 


träetstoffe, 19*9% Holzfaser und 7*1% Ascho 
— gehören also zu den proteinärmeren 
und holzfaserreiehercn gewerblichen Ab¬ 
fällen dieser Art und sind darum auch schwerer 
verdaulich. Es ist darauf zu sehen, dass das 
ätherische Oel der Coriandersamen gründlich 
entfernt ist, da sonst die Milch der damit ge¬ 
fütterten Kühe leicht einen unangenehmen 
Beigeschmack annehmen soll. Dient als Bei¬ 
futter für Milch- und Mastvieh. Pott. 

Coriandrum sativum, gemeiner Coriander, 
eine einen wanzenartigen Geruch besitzende 
Umbellifere (L. V. 2.), welche bei uns culti- 
virt wird und deren reife bräunlichgelbe, fast 
kugelrunde, kaum pfefferkomgrosse Doppel- 
achänien den Coriander bilden, 

Fructus Coriandri (fälschlich Semina 
Coriandri). Er enthält fettes und ätherisches 
Oel, das einen angenehmen gewürzhaften, 
aber nicht brennenden Geschmack hat. Arznei¬ 
lich dient Coriander als aromatischer und die 
Darmbewegung anregender Zusatz zu Laxir- 
mitteln, kann aber ganz wohl durch den 
billigeren Kümmel oder durch Anis und Fen¬ 
chel bei den Thieren ersetzt werden, wo er 
auch als ein gutes Galactogogum gilt. Der 
Kern jener Drogue, die als Aniskügelchen 
im Handel ist, besteht aus überzuckertem 
Coriandersamen. 

Corium, s. Cutis. 

Cornaliakörperohen, nach Comalia, Pro¬ 
fessor der Zoologie zu Mailand, so genannt. 
Kleine, spaltpilzähnliche Organismen, welche 
eine gefährliche Krankheit der Seidenraupen, 
die Gattine oder Pebrine verursachen. Siehe 
Panhistophyton ovatum. Harz. 

Cornea, s. Hornhaut. 

Cornu Cervl, Hirschhorn; diente früher 
im geraspelten Zustande (Cornu Cervi raspa- 
tum) zu schleimigen, bei Diarrhöen wirk¬ 
samen Decocten, da die Geweihe der Hirsche 
und Rehe nicht aus Horn bestehen, wie die¬ 
jenigen der domesticirten Ruminantien, son¬ 
dern aus ossificirendem Bindegewebe, das sich 
beim Kochen in Glutin verwandelt Und sich 
durch grossen Gehalt an Calciumphosphat 
auszeichnet. Vogel. 

Cornu outaneum, s. Hauthom. 

Cornwall-Sohaf, s. Bergschaf. 

Coronargefässe, s. Herz und Blutgefässe. 

Corpora cavernosa, s. Geschlechtsorgane. 

Corpus Ariatum, s. Gehirn. 

Corpus oallosum (Trabs cerebri), Balken, 
bildet eine Commissur, wodurcli die beiden 
Grosshirnhemisphären mit eineinander der 
Quere nach verbunden werden. Durch Ausein¬ 
anderhalten der beiden Gehirnhemisphären, 
nach Entfernung der Hirnhäute ist dieselbe 
makroskopisch leicht zu sehen. An Längs¬ 
schnitten erlangt man keine genaue Kenntnis* 
über den Verlauf seiner Fasern, da sie zu¬ 
meist der Quere naeh getroffen werden. Der 
Balken ist vorne und hinten uragebogen. Die 
vordere Partie bildet ein Knie (Genu corporis 
callosi), die hintere einen Wulst durch ihre 
Umbiegung (Splenium corporis callosi). Die 
Fasern ziehen nicht nur seitlich in die Hemi¬ 
sphären, sondern sie spalten sieh sowohl naeh 

16* 



244 CORPUS CILIARE. 

vorne als auch nach hinten in zwei ansein¬ 
anderlaufende Stränge, welche sowohl nach vorne 
gegen den Stirnlappen als auch nach hinten 
gegen den Occipitallappen ziehen und somit 
mit der ganzen Oberfläche des Gehirnes in 
Verbindung treten. Durch das Ausstrahlen der 
Fasern nach vorne und hinten in Form von 
zangenartigen Zögen kommt es zur Bildung 
eineB Forceps anterior und Forceps posterior 
corporis callosi. Auf dem Wege ihrer Ausstrah¬ 
lung gegen das Gehirn durchkreuzen die Fa¬ 
sern des Corpus callosum die Stabkranzfasern. 
Nach dem Grade der Ausbildung der Gross¬ 
hirnhemisphären bei den verschiedenen Thieren 
ist der Balken bei den höheren Thieren bald 
stärker, bald schwächer ausgebildet. Schenk. 

Corpus ciliare, Ciliarkörper, Strahlen¬ 
körper des Auges, s. unter „Uvealtractus“. 

Corpus vitreum, Corpus hyaloideum, 
Humor vitreus; Glaskörper, Glasfeuchtigkeit. 

ot) Anatomie des Glaskörpers. 

Der Glaskörper füllt den ganzen Raum 
aus, der zwischen der Hohlkugel, welche die 
Retina bildet, und der Linse bleibt. Seine 
Gestalt lässt sich, wenn auch nicht genau 
zutreffend, doch annähernd und am verständ¬ 
lichsten mit einer vorne eingedrückten Kugel 
vergleichen. Diese vordere Vertiefung, welche 
zar Aufnahme der hinteren Fläche der Kry- 
stall-Linse bestimmt ist, führt den Namen der 
Fossa patellaris, Fossa lenticularis, Fossa 
hyaloidea oder der tellerförmigen Grube. 
In einem sanften Bogen, auf dessen äusserem 
Abhange das Corpus ciliare ruht, geht hier 
der convexe Theil der Oberfläche in den con- 
caven über. 

Am Glaskörper haben wir die Membran 
und die Glaskörpergallerte zu unterscheiden: 

1. Die Membrana hyaloidea (von 
7) 5aXo$, das Glas), M. limitans hyaloidea 
He nie, ist eine glashelle, structurlose, leicht 
Falten schlagende Membran, welche die ihrer 
Innenseite innig anhaftende Glaskörpersub¬ 
stanz gegen den Margo limitans retinae 
abgrenzt. Es existirt nur diese eine Membran, 
welche aber nicht der Netzhaut — wie Manche 
wollen — sondern dem Glaskörper zuzuzählen 
ist. Unmittelbar unter der inneren Oberfläche 
der Hyaloidea finden sich regellos über die¬ 
selbe zerstreute Zellen (subhyaloidale 
Zellen), welche in allen ihren Eigenschaften 
Leukocyten gleichen und wohl als aus den 
benachbarten Gefässen ausgewanderte farb¬ 
lose Blutzellen zu betrachten sind. In der 
Gegend der Ora serrata beginnt die Hyaloidea 
sich allmälig zu verdicken, in ihrer Textur 
zu ändern: sie wird zur Zonula ciliaris. 
Dieselbe bildet von nun an die vordere Wand 
des Petit’sehen Canal es: die hintere ist 
mit der vorderen Fläche der Glaskörper¬ 
gallerte identisch, die sich hier einfach durch 
eine verdichtete Oberfläche gegen den flüs¬ 
sigen Inhalt des Petit’schen Canales abgrenzt. 
Eine Spaltung der Zonula an der Ora serrata 
in ein äusseres Blatt, welches zur eigentlichen 
faserigen Zonula wird, und in ein inneres, 
das die Fossa patellaris auskleiden soll, 


CORPUS VITREUM. 

findet nicht statt Der Petit’sche Canal ist 
demnach als den übrigen Spalträumen in der 
Glaskörpergallerte gleichwerthig anzusehen 
2. Die Glaskörpergallerte. Der In¬ 
halt des von der Hyaloidea eingeschlossenen 
Raumes ist eine glashelle, durchsichtige 
Gallerte, deren Consistenz, Wassergehalt und 
chemische Zusammensetzung bei den ver¬ 
schiedenen Species der Säugethiere und zp 
verschiedenen Altersperioden ganz bedeutend 
variiren. Das embryonale Glaskörpergewebe 
ist fester, resistenter als jenes erwachsener 
Thiere, und es scheint die Abnahme der Con¬ 
sistenz bei letzteren wesentlich auf eine Zu* 
nähme des Wassergehaltes zurückzuführen zu 
sein. Lohmeyer fand bei der Analyse des 
Glaskörpers vom Kalbe in 100 Theilen: 


Wasser. 98*6400 

Natronalbuminat. 0 * 1360 

Fett. 0*0016 

Extractivstoffe. 0 * 3208 

Chlornatrium .. . ... 0 * 7737 

Chlorkalium. 0 * 0603 

schwefelsaures Kali. 0*1480 

phosphorsauren Kalk .. . 0*0101 

phosphorsaure Magnesia. 0*0032 

phosphorsaures Eisen. 0*0026 

Kalkerde. 0*0133 


Hiezu kommt bei einzelnen Thierclassen 
(Fischen) und beim Menschen noch das Auf¬ 
treten von Mucin, welches dem Glaskörper 
dann die eigenthümlich klebrige Beschaffen¬ 
heit gibt; dagegen steigt bei den Thieren 
mit mucinfreiem Glaskörper der Eiweissgehalt 
ziemlich bedeutend, so dass er beim Kalbe 
(s. die Tabelle) sogar 0*136% ausmacht. 

Was die Structur der Glaskörpergallerte 
betrifft, so musste die längere Zeit herrschende 
Ansicht, der Glaskörper besitze ein mem- 
branöses Stützgerüst, fallen gelassen werden, 
nachdem man sich überzeugt hatte, dass die 
Versuche, welche oin solches beweisen sollten, 
eine andere Deutung erfahren mussten. Von 
Membranen, welche den Glaskörper durch¬ 
setzen sollen, ist in frischem Zustande nie 
etwas zu sehen. Die bei Tinctionsversuchen 
am halbirten Glaskörper durch Aufträufeln 
von Farbstofflösungen hervorgerufene, haupt¬ 
sächlich in der Randzone auftretende Bildung 
concentrischer Farbenringe beweist, dass wir 
es hier mit feinen, den Glaskörper durch¬ 
ziehenden Spalträumen zu thun haben; hiefür 
spricht ferner auch die Beobachtung, dass es 
an gefrorenen Glaskörpern im Beginne des 
Aufthauens gelingt, von der Oberfläche feine, 
concentrisch zum Mittelpunkt angeordnete 
Eisscheibchen abzublättern. EineBegrenzungs- 
merabran besitzen diese Spalträume nicht, 
vielmehr werden dieselben durch ein Ausein¬ 
anderweichen und Klaffen der Glaskörper¬ 
substanz selbst gebildet. Neben diesen Spalten 
besitzt der Glaskörper noch einen grösseren 
Canal, den Canalis hyaloideus (Central¬ 
canal des Glaskörpers). Derselbe beginnt in der 
Gegend der Papilla optica mit einer leichten 
Erweiterung (Area Martegiana), deren Durch¬ 
messer dem der Sehnervenpapille entspricht, 
und durchsetzt sodann als ein etwa 2 mm weiter 


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CORPUS YITRRUM. WS 


Canal den Glaskörper bis in die Nähe der 
hinteren Linsenfläche, wo er abgerundet oder 
leicht kolbig verdickt aufhört. Im embryonalen 
lieben schliesst er die von der Arteria centralis 
retinae abzweigende Arteria hyaloidea, welche 
in ihm zur hinteren Linsenfläche gelangt, ein. 
Nach Schwund dieses Gefasses erhalten sich im 
eztranterinen Leben am Anfänge des Canales 
Reste des die Arterie begleitenden Binde¬ 
gewebes entweder als ein feiner Bindegewebs- 
meniscus oder (beim Rinde) als ein in den 
Centralcanal oft weit hineinragender Zapfen. 
Der Centralcanal wird von einer deutlichen 
Membran begrenzt, welche als Fortsetzung 
der Membrana hyaloidea anzusehen ist. 

Was die feinere histologische Structur 
des Corps, vitr. anbelangt, so erhält man den 
besten Aufschluss durch Untersuchung em¬ 
bryonaler Glaskörper. Es zeigt sich hiebei, 
dass (gleich bei Säugethieren und beim Hühn¬ 
chen) die Glaskörperbildung mit der Entstehung 
einer Einstülpung der primären Augenblase 
von unten her zusammenfällt, und dass der 
Glaskörper als ein Product des mittleren Keim¬ 
blattes aufzufassen ist. Es ist derselbe als 
eine Mesodermwucherung, als echtes embryo¬ 
nales Bindegewebe anzusehen, bei welchem in 
eine schleimig-gallertige Zwischensubstanz 
mit Ausläufern versehene Bindegcwebszellen 
zu liegen kommen. Mit der Zeit nimmt nun 
beim erwachsenen Thiere die Zwischensubstanz 
allmälig mehr und mehr Wasser auf, wird 
flüssiger, und damit werden die einzelnen Zellen 
mehr auseinandergedrängt, erscheinen spär¬ 
licher, bis sie ganz verschwinden, so dass man 
im Glaskörper eines erwachsenen Thieres von 
einem Gerüste eigentlich gar nicht mehr 
reden kann. Schwalbe hat auf experimen¬ 
tellem Wege den Nachweis geliefert, dass 
alle die im entwickelten Glaskörper Vorge¬ 
fundenen rundlichen, stem- und spindel¬ 
förmigen, mit Yacuolen versehenen oder deren 
entbehrenden Zellen eingewanderte Leukocyten 
sind, welche in einer stark mit Wasser infil- 
trirten, interfibrillären Substanz fortkriechen. 

ß) Pathologie des Glaskörpers. 

I. Glaskörpertrübungen. Als Trü¬ 
bungen bezeichnet man alle innerhalb des 
Glaskörpers mittelst des Augenspiegels auch 
bereits während des Lebens erkennbaren Ein¬ 
lagerungen und Bildungen, welche, den an¬ 
grenzenden Membranen entstammend, in den 
Glaskörper eingewandert sind oder Metamor¬ 
phosen des Glaskörpergewebes darstellen. 

Was die Diagnose der Glaskörpertrübungen 
anbelangt, so ist dieselbe durchaus keine 
schwierige, sobald nur die übrigen brechenden 
Medien des Auges rein und durchleuchtbar 
sind. Bei der Untersuchung mit dem Augen¬ 
spiegelerscheinen im hell erleuchteten Pupillar- 
gebiete — um ein möglichst weites Gesichts¬ 
feld zu haben, ist es unerlässlich, vorher zu 
atropinisiren — dunkle, verschieden geformte 
Körper, die bald das Aussehen von isolirten 
schwarzen Punkten haben können, bald sind 
es knopfartige Bildungen mit anhängenden 
grauen Fäden, graue oder schwarze strich- 


und federartig gewundene, miteinander ver¬ 
schlungene Gebilde, grössere Flocken mit 
Fortsätzen, endlich grauliche oder schwarze 
hautartige Gebilde, welche sich vorhangartig 
auf- und zusammenrollen und sich falten — 
alle diese Opacitäten sind als dem Glas¬ 
körper angehörig daran zu erkennen, dass 
sie bei Drehungen des Auges in entgegen¬ 
gesetzter Richtung sich fortbewegen. Denkt 
man sich nämlich das Auge als eine Kugel, 
so kommt der Mittel- und Drehpunkt der¬ 
selben direct hinter die Linse in die Gegend 
der tellerförmigen Grube zu liegen; bewegt 
sich nun die vordere Hälfte dieser Kugel, 
also in der Hauptsache die Cornea, nach 
irgend einer Richtung — und wenn wir 
sagen, das Auge bewegt sich rechts oder 
links, so meinen wir ja, der vordere, sicht¬ 
bare Abschnitt macht diese Bewegung — 
so ist es klar, dass die hintere Hälfte, welche 
den Glaskörper einschliesst, den entgegenge¬ 
setzten Weg einschlagen muss. Durch dieses 
Fortbewegen in entgegengesetzter Richtung 
lassen sich die Trübungen des Glaskörpers mit 
Leichtigkeit von den Opacitäten der übrigen 
brechenden Medien — Cornea, Vorderkammer, 
Linsenkapsel und Linsenkörper — unter¬ 
scheiden, welch* letztere als in der vorderen 
Kugelhälfte liegend mit der Drehung des 
Auges gleichsinnige Bewegungen ausführen. 
Ein weiteres differential-diagnostisches Merk¬ 
mal, welches den Glaskörpertrübungen zu¬ 
kommt, ist ihre eigene, selbständige Beweg¬ 
lichkeit; jeder Glaskörper, welcher von Trü¬ 
bungen durchsetzt ist, büsst mit der Zeit 
an Consistenz ein und verflüssigt sich, was 
zur Folge hat, dass eine Opacität, so¬ 
bald das Auge sich gerollt hat und wieder 
zur Ruhe zurückgekehrt ist, noch eine Zeit 
lang fortzittert und einen Theil des Glas¬ 
körpers durchläuft — sog. rückläufige Bewe¬ 
gung. Eine Ausnahme von dieser Regel machen 
nur jene selteneren Fälle, in denen die Trübung 
mit einer der Augenhäute fest verwachsen 
ist; aber auch diese machen wie alle anderen 
Glaskörperopacitäten bei Drehungen des Auges 
eine Bewegung im entgegengesetzten Sinne, 
In Glaskörpern, bei welchen die Verflüssigung 
schon ziemlich weit vorgeschritten ist, kann 
es Vorkommen, dass die vorhandenen Trü¬ 
bungen sich auf den Boden des Augengrundes 
in Folge ihrer Schwere niedersenken, und so 
kann es passiren, dass dieselben im ersten 
Augenblick bei der Spiegeluntersuchung der 
Beobachtung entgehen, bis sie nach einigen 
raschen Bewegungen des Augapfels im Pu- 
pillargebiet plötzlich herumwirbeln und so 
die Diagnose sichern. Sehr dichte Trübungen 
des Glaskörpers, welche hinter die Linse zu 
liegen kommen und flächenhaft ausgebreitet 
sich direct der hinteren Fläche der Linse 
anlegen, können schon bei Betrachtung der 
Purkinje-Sanson’schen Flammenbildchen (s. d.) 
erkannt werden: während nämlich das erste 
und zweite, von der Hornhaut und der vorderen 
Linsenkapsel herrührende, aufrechte Bildchen 
in normaler Grösse erscheint, wird das dritte, 
von der hinteren Linsenkapsel refloctirte und 


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CORPUS VITBEUM. 


24$ 

umgekehrte Flammbildchen in Folge des Bo- 
lages, welcher die Rückseite der hinteren 
Linsenkapsel deckt und gleich dem Amalgam 
eines Spiegels wirkt, viel grösser als sonst 
am gesunden Auge sich zu erkennen geben. 

Für die Untersuchung des Glaskörpers 
mittelst des Augenspiegels ist es — wie für 
Explorationen der brechenden Medien über¬ 
haupt— wichtig, sich weder einer intensiven 
Lichtquelle zu bedienen, noch besonders licht¬ 
starke — concave — Spiegel in Anwendung 
zu bringen; sobald man sich beikommen lässt, 
das Augeninnere mit.Luft gleichsam zu über- 
fluthen, ist man nicht mehr in der Lage, sehr 
feine Trübungen, die man überblendet und 
sq gleichsam auslöscht, zu erkennen und setzt 
sich auf diese Weise dann unter Umständen 
groben und in ihren Folgen oft recht schweren 
diagnostischen Irrthümern aus. Der Gebrauch 
corrigirender Gläser — convexer oder concaver 
Linsen, die zum Zwecke der Neutralisirung 
eigener Refractionsanomalien oder solcher des 
untersuchten Thieres hinter den Spiegel ge¬ 
schoben werden — ist zu widerrathen, da 
man sich hiedurch wohl in die Lage versetzt, 
den Augenhintergrund genau zu sehen, Opa- 
citäten des Glaskörpers (und der brechenden 
Medien überhaupt) von gewisser Feinheit 
aber übersehen kann. Man thut vielmehr gut, 
sich nur des Spiegels allein zu bedienen, 
durch dessen Oeffnung man das Augeninnere 
betrachtet, ohne dabei irgend ein Detail 
des Augengrundes genauer zu fixiren. 

In klinischer Beziehung kann man drei 
Hauptarten von Trübungen unterscheiden; 
1, Glaskörperstaub, 2. Flocken und Fäden 
des Corpus vitreuin und 3. die Glaskörper¬ 
membranen. 

1. Der Glaskörperstaub. Der Glas¬ 
körper kann sich von einer mehr weniger 
dichten, gleichmässigen, alle seine Bezirke 
gleichförmig anfüllenden, staubförmigen Trü¬ 
bung durchsetzt zeigen, so dass man im ersten 
Moment leicht die Verwechslung begehen 
kann, diese ziemlich gleichförmigen Trübungen 
in die Retina zu localisiren. Vor diesem Irr¬ 
thum wird man aber bewahrt, sobald sich 
durch Verschiebungen der einzelnen getrübten 
Massen des Glaskörpers, wie dies nach Be¬ 
wegungen des Auges erfolgt, ein Theil des 
Augenspiegelbildes plötzlich aufhellt und man 
den normalen Augenhintergrund bald hier, 
bald dort erblickt. 

2. Weit häufiger trifft man verschieden 
grosse Flocken und Fäden, denen sich 

3. sehr ausgebreitete meinbranöse 
Gebilde anschliessen. 

Was die Natur der einzelnen im Glas¬ 
körper vorkommenden Trübungen in patho- 
logisehTanatomischer Hinsicht betrifft, so 
können wir zwei Arten der Trübungen an¬ 
nehmen, wobei es indifferent ist, ob solche 
als idiopathisches Leiden oder consecutive 
Erscheinungen der Erkrankungen der Um¬ 
hüllungsmembranen aufzufassen sind. Diese 
sind: a) Trübungen, welche durch Einwan¬ 
derung mit nachfolgender Umgestaltung der 
immigrirten zelligen Elemente in dem Glas¬ 


körper entstanden, und b) Trübungen, welche 
als Zerfallsproducte der normalen Elemente 
des Glaskörpers anfzufassen sind. 

Am häufigsten treten Glaakörpertrübungen 
bei Erkrankungen des Aderhauttractus auf 
(Cyclitis, Chorioiditis, ganz besonders bei der 
recidivirenden Iridochorioiditis des Pferdes, 
sobald der hintere Abschnitt der Uvea am Pro- 
cesse mitbetheiligt war, und in solchen fällen 
besitzen wir in dem Auffinden von Trübungen 
im Glaskörper ein werthvolles diagnostisches 
Hilfsmittel auch in anfallsfreieil Intervallen), 
ferner bei Netzhautleiden und als Folgezu¬ 
stände abgelaufener Hyalitis. 

Die Störungen, welche Glaskörpertrü¬ 
bungen beim Sehacte hervorrufen, richten 
sich — abgesehen von jenen, welche das Grund¬ 
leiden mit sich bringt — nach ihrer Masse 
und nach der Grösse der einzelnen Opacitäten, 
sowie nach der Gegend, welche sie in der 
Netzhaut verdunkeln. Je dichter die Trübungen 
sind, je öfter ein Nachschub des Krankheits- 
processes und damit Bildung neuer Trübungen 
zu erwarten steht, desto ernster ist die 
Vorhersage. Die Therapie ist gegen das Grund¬ 
leiden zu lichten. 

II. Verflüssigung des Glaskörpers, 
Synchysis corporis vitrei (•?} ooyxöotc, 
von ooy-X® 10 ! zusammenfliessen, auflösen). Als 
Ausgang entzündlicher Zustände des Glaskör¬ 
pers und des Aderhauttractus beobachtet man 
häufig eine Verflüssigung des Glaskörper¬ 
gewebes, welches seine normale leimartige 
Consistenz verliert und sich in ein dem Serum 
ähnliches, an und für sich durchsichtiges, 
jedoch eine mehr weniger grosse Menge stän¬ 
diger Entzündungsresiduen enthaltendes Flui¬ 
dum anflöst. Eine derartige Synchysis kann 
sowohl den ganzen Glaskörper treffen oder 
sich auf einzelne Abschnitte desselben eine 
Zeit lang beschränken, um erst allmälig eine 
totale zu werden 

Die Diagnose eines solchen Zustandes 
ist keine schwierige, sie wird namentlich 
durch den Umstand erleichtert, dass ein ver¬ 
flüssigter Glaskörper gleichzeitig mit dem 
Eintritt der Consistenzänderung und als Folge 
gleicher Ursache Einlagerungen organischer 
Natur erhalten hat, dass sich gleichzeitig 
Trübungen vorfinden, welche in der Raschheit 
ihrer Bewegungen, in der Leichtigkeit, mit 
der man sie bei erleuchtetem Augengrunde 
den Glaskörperraum durchfliegen sieht, den 
Schluss zu ziehen erlauben, dass das Medium, 
in dem sie schwimmen, ein abnorm flüs¬ 
siges sei. 

Hat ein derartiges Auge längere Zeit im 
Zustande der Ruhe verharrt, so senken sich 
die relativ schwereren Trübungen zu Boden 
und erst einige rasche und energische Be¬ 
wegungen des Bulbus schütteln sie auf und 
lassen sie mit grösster Lebhaftigkeit umher¬ 
wirbeln. Ein anderes Symptom, das man lange 
Zeit hindurch als geradezu pathognoinisch 
für die Synchysis corporis vitrei aufgestellt 
hatte, bietet zwar keine so absolute Garantie 
für das Vorhandensein einer Verflüssigung, 
ist jedoch mit in Betracht zu ziehen; eine ab- 



CORPUS VITREUM. 


norme, auffallende Weichheit des Augapfel^ 
bei der Betastung. Nicht jeder Pall von Ver¬ 
flüssigung muss eine Herabsetzung der Ten¬ 
sion im Gefolge haben, aber in sehr weichen 
Augen ist wenn ausserdem das Spiegel¬ 
bild den oben angegebenen Befund zeigt — 
eine Synchysis anzunehmen. Zu diesem Sym- 
ptomencomplex tritt in manchen Fällen — 
namentlich bei der Iridochorioiditis recidiva 
des Pferdes — ein eigentümlich grüner 
Schimmer aus dem Pupillargebiete hinzu, 
welcher zu Zeiten, in welcher der Augen¬ 
spiegel uns noch nieht die weitgehendsten 
Aufschlüsse gab, zu der irrtümlichen Auf¬ 
fassung Veranlassung gab, man Jiabe es hier 
mit echtem „Glaucom“ zu tun. 

Object directer Behandlung ist dieser 
Zustand nicht. 

Anschliessend an die Verflüssigung des 
Glaskörpers soll auch gleich der Synchysis 
scintillans (von scintilla, der Funke) Er¬ 
wähnung getan werden. Es kann, besonders 
bei älteren Individuen, Vorkommen, dass man 
in einem vollständig oder teilweise verflüs¬ 
sigten Glaskörper bei der Untersuchung mit 
dem Augenspiegel den erleuchteten Augen¬ 
grund funkeln und glänzen sieht, ein Anblick, 
vergleichbar mit dem Glitzern von herum¬ 
wirbelnden krystallinischen Schneeflöckchen, 
die man bei auffallender Sonne betrachtet. 
Bei genauerem Zusehen findet man, dass der 
ganze Glaskörperraum dicht erfüllt ist mit 
kleinsten, hellglänzenden sternförmigen Kör¬ 
perchen, die bei jeder Bewegung des Aug¬ 
apfels aufwirbeln und nach eingetretener Ruhe 
des Bulbus wie alle im verflüssigten Glas¬ 
körper befindlichen Körper (Trübungen) eine 
sog. rückläufige Bewegung ausführen, wobei 
man aus dem Augeninnem ein Bild erhält, 
als ob ein feiner, staubförmiger Gold- und 
Silberregen niederfiele. Bei der anatomischen 
Untersuchung eines solchen Glaskörpers findet 
man dann als Ursache dieser Erscheinung 
eine Einlagerung zahlloser hellglänzender 
Pünktchen, die sich, unter dem Mikroskope 
betrachtet, als eine Anhäufung und Zusam¬ 
menballung von Cholestearin- und Tyro- 
sinkrystallen zu erkennen geben, wobei 
dann entweder Krystalle gleicher Art sich 
zusammengefunden oder es haben sich die 
kleinen weissen Tyrosiünadeln auf Chole- 
stearintafeln aufgelagert. Retina und Chorioi- 
dea haben dabei, falls nicht zufällig ander¬ 
weitige pathologische Zustände zugegen sind, 
ein vollständig normales Aussehen. Es ist 
wahrscheinlich, dass das Auftreten von Chole- 
stearinkrystallen in einem vollständig durch¬ 
sichtigen Glaskörper in Abhängigkeit zu 
bringen ist von verminderter Exosmose und 
fettigem Zerfall der Glaskörperelemente. Ber¬ 
lin beschreibt je einen Fall der Synchysis 
scintillans vom Pferd und von der Taube 
(„Zeitschr. f. vergleichende Augenheilkde.“, 
II. Jahrgang, 1883, pag. 117—118). 

111. Glaskörperblutungen. Blutun¬ 
gen, welche aus dem Gefässsystem der Chorioi- 
dea oder der Retina in den Glaskörper hinein 
erfolgen, gehören nicht zu den Seltenheiten. 


«47 

Gewöhnlich sind sie die Folge eines Trau¬ 
mas, welches das Auge trifft, einer Contusio 
bulbi, wobei Zerreissungen der Häute des 
Bulbus gleichzeitig vorhanden sein oder auch 
fehlen können; die Rhexis der Aderhaut- und 
Netzhautgefässe kann jedoch auch verursacht 
sein durch Erkrankungen der Gefässhäute 
oder pathologische Vorgänge in den Augen¬ 
häuten selbst. 

Bei sehr intensiven Blutungen kann es 
Vorkommen, dass der ganze Glaskörper unter 
Zertrümmerung seiner Elemente und Zerstö¬ 
rung seiner ganzen Structur in eine grosse 
Blutkugel umgewandelt wird, welche das 
Augeninnere vollständig ausfüllt. Betrachtet 
man solche Patienten auch nur oberflächlich 
und mit blossem Auge, so erhält man — vor¬ 
ausgesetzt, dass man es mit einem noch ziem¬ 
lich frischen Zustand zu thun hat — aus der 
Pupille einen eigentümlich dunkelrothen 
Reflex bei einem vollständig oder doch nahezu 
aufgehobenen Sehvermögen. Bei der Spiegel¬ 
untersuchung bekommt man entweder ein 
ebenfalls dunkelrothes, mattes Licht aus allen 
Theilen des Augenhintergrundes zurück oder 
— bei sehr intensiven Blutungen — ist das 
Augeninnere verdunkelt. Blutextravasate, wel¬ 
che nur einen Theil des Glaskörperraumes ein- 
nehmen, sind leicht dadurch zu erkennen, 
dass, während an manchen Stellen durch das 
unverändert gebliebene Glaskörperterrain hin¬ 
durch der Augenhintergrund deutlich und 
scharf gesehen werden kann, an anderen 
Orten ein röthliches licht reflcctirende Opa- 
citäten auftreten, die, verschieden in Form, 
Gestalt und Consistenz — wie ja bekanntlich 
alle Trübungen im Glaskörper — stets den 
entgegengesetzten Weg wie der vordere Ab¬ 
schnitt des Augapfels bei Rotationen machen. 
Gewöhnlich nehmen dann solche partielle 
Blutergüsse nach dem Gesetze der Schwere 
die tieferen Abschnitte des Glaskörperraumes 
ein; ab und zu kann man wohl auch beob¬ 
achten, dass eine derartige Blutung noch im 
Zusammenhänge mit jenem Netzhautgefässe ge¬ 
blieben ist, dem sie entstammt. Je nachdem die 
•Blutung vom Ciliarkörper, der hinteren Chorioi- 
dealpartie, der Netzhaut oder der Papilla op¬ 
tica herrührt, wird sie auch mehr den vor¬ 
deren oder den hinteren Theil des Glaskör¬ 
pers einnehmen. In jenen Fällen, in denen 
die Blutung nicht sehr stürmisch auftritt und 
sonstige Verhältnisse dies noch begünstigen, 
kann es stattfinden, dass die Membrana hya- 
loidea nicht eingerissen wird, vielmehr er¬ 
halten bleibt und so dem Blute das Eindrin¬ 
gen in die eigentliche Glaskörpersubstanz 
verwehrt, welches sich nun — begünstigt 
durch den äusserst losen Zusammenhang zwi¬ 
schen Membrana hyaloidea und Retina — 
einen Weg zwischen beiden Membranen sucht. 
Bei gewöhnlicher Kopfhaltung senkt sich die 
Blutmasse n&ch abwärts, man erhält bei der 
Spiegeluntersuchung je nach der Dichtigkeit 
des Extravasates einen bald etwas helleren, 
bald dunkleren rothen Reflex, welcher nach 
oben horizontal und scharf abge¬ 
schnitten ist. Hat hingegen kurz vor der 



548 CORPUS VITREUM. 


Untersuchung das Thier auf der Seite gele- 
en, so nimmt das Blut, dem Gesetze der 
chwere folgend, je die rechte oder linke 
Hälfte des Augenhintergrundes ein und grenzt 
sich mehr durch eine annähernd verticale 
Begrenzungslinie ab. Was das weitere Schick¬ 
sal des einmal ergossenen Blutes anbelangt, 
so kann auch hier, wenn anders der Erguss 
nicht allzu massenhaft gewesen und die hiezu 
berufenen Gefässe noch tauglich sind, eine 
Resorption wie in jedem anderen Gewebe 
stattfinden; jedoch erfordert es einen immer¬ 
hin langen Zeitraum, bis das Blut diejenigen 
Metamorphosen durchgemacht, nach deren 
Ablauf es der Resorption anheimfallen kann. 
Bei sehr umfangreichen Blutungen können 
dag Sehvermögen in hohem Grade beein¬ 
trächtigende Trübungen Zurückbleiben. Blu¬ 
tungen, die längere Zeit und ohne wesent¬ 
liche Fortschritte in der Resorption zu machen 
stabil bleiben, können zu Glaskörperschrum- 
en und Netzhautablösung führen. 

V. Fremde Körper im Glaskörper. 
Von Fremdkörpern, die man im Glaskörper 
zu beobachten Gelegenheit hat, sind es meist 
Metallkörper, wie Schrotkömer, Eisenspäne 
oder Stein- und Glassplitter, die ihren Weg 
durch Hornhaut, Iris und Linse, Hornhaut, 
Iris und Zonula Zinnii oder die Lederhaut, 
diese Gebilde durchschlagend, genommen 
haben und sich dann bei der Spiegelunter- 
suchung als solche erkennen lassen. Meist 
trifft man diese Dinge jedoch nicht mehr in 
der Richtung ihrer ursprünglichen Flugbahn 
an, wie man dies eigentlich vermuthen sollte, 
es kommt vielmehr in vielen Fällen vor, dass 
das Corpus alienum, sobald es die hintere 
Bulbuswand berührt und nicht mehr im Stande 
ist, bei abnehmender und geschwächter Pro- 
puisionskraft dieselbe ebenfalls zu perforiren 
und in die Orbita zu gelangen, von derselben 
abprallt und wieder in den Glaskörper zurück- 
geworfen wird. 

Die Veränderungen, welche das Ein¬ 
dringen eines solchen Körpers — was immer 
als ein ganz bedenkliches Vorkommniss an¬ 
zusehen ist — im Augeninnem hervorruft,« 
sind verschieden, einmal je nachdem man es 
mit einem mit aseptischen oder mit septischen 
Stoffen beladenen Körper zu thun hat, und 
dann werden sie sich danach richten müssen, 
ob die Wunde sich sofort schliesst oder noch 
eine Zeitlang klafft und so das Eindringen 
von septischen Stoffen ermöglicht. In jenen 
seltenen Fällen, in denen es zu bedeutenderen 
Reactionserscheinungon von Seite des Glas¬ 
körpers nicht kommt, bilden sich um das 
Corpus alienum dichte Trübungen, die es 
einhüllen und so der directen Betrachtung ent¬ 
ziehen; so kann der Zustand des Auges bei 
einem wenn auch herabgesetzten, so doch 
immerhin noch annehmbaren Sehvermögen 
sich Jahre hindurch gleich bleiben. Leider ist 
dies jedoch die Ausnahme von der Regel; in 
der Mehrzahl der Fälle bildet sich viel¬ 
mehr um den fremden Körper herum eine 
Trübung, die sich in der Richtung des Wund- 
canalcs und nach der verletzten Stelle der I 


Augenhäute zu verbreitet, die Trübung wird 
rasch dichter und massiger, es kommt zu 
einem mit hochgradigen Schmerzen einher- 
ehenden Abscess im Glaskörper. Sobald 
ieses unglückliche Ereigniss eingetreten, 
darf man wohl das Auge im Allgemeinen für 
seine Function als verloren ansehen, und die 
Sorge muss sich darauf erstrecken, einerseits 
dem Auftreten einer sog. sympathischen 
Ophthalmie des anderen Auges vorzubeu¬ 
gen, andererseits die Form des betroffenen 
Bulbus nach Thunlichkeit zu conserviren. 

Eine Enucleation des erkrankten Auges 
im Stadium florider entzündlicher Reizung 
vorzunehmen, ist eine selbst das Leben des 
Thieres gefährdende Operation, da erfahrungs- 
gemäss leicht eine Meningitis sich hinterher 
einstellen kann. Ist der Glaskörper so ziem¬ 
lich in einen Abscess umgewandelt, so ist es 
indicirt, durch Punktion denselben theilweise 
zu entleeren, wobei man dann wenigstens 
einige Hoffnung hat, die Form des Augapfels 
zu erhalten. Um eine beginnende Abscedirung 
zu beschleunigen, kann man feuchtwarme Um¬ 
schläge in der Art machen, dass in lauwarmes 
Wasser getauchte Stückchen hydrophylen Ver¬ 
bandstoffes über das Auge gelegt und mit 
Guttaperchapapier oder -Leinwand bedeckt 
werden. 

Als Corpus alienum im Glaskörper ist 
auch die dorthin entweder spontan in Folge 
von Synchysi8 corporis vitrei luxirte oder 
durch Operation oder Trauma versenkte Linse 
(Depressio s. Reclinatio Cataractae) anzusehen 
und in ihren weiteren Folgen den Fremdkör¬ 
pern gleich zu erachten. 

V. Entozoen. Von Schmarotzern kom¬ 
men im Glaskörper zwei vor; einer der Classe 
der Fadenwürmer angehörig, Filaria papillosa 
(Rudolphi)^ beim Pferde und die Vorstufe der 
Taenia soliuin hom., der Cysticercus cellu¬ 
losae, beim Schweine. Während über Zahl und 
Häufigkeit des Vorkommens, den Weg seiner 
Einwanderung in den Glaskörper von letzterem 
Parasiten beim Thiere noch keine specielleren 
Arbeiten und Untersuchungen vorliegen und 
wir nur wissen, dass er überhaupt neben den 
vielen anderen Organen, die er beim Schweine 
aufsucht, auch den Glaskörper betritt, liegen 
über das Vorkommen der Filaria papillosa 
im Corpus vitreum des Pferdes eine Reihe 
von Beobachtungen vor. 

Die Diagnose der Filaria kann nur mit¬ 
telst des Augenspiegels gestellt werden. Man 
sieht im erleuchteten Augengrunde einen ziem¬ 
lich gleichmässig breiten, vielleicht ab und 
zu an einer Stelle etwas anschwellenden, an 
anderen Orten dagegen sich einschnürenden, 
leicht geschlängelten, dunklen, bandarti¬ 
gen Körper, der — so lange der Parasit noch 
am Leben ist — selbständige wurmförmige 
Bewegungen auszuführen im Stande ist. Eine 
grosse Vorsicht in der Stellung der Diagnose 
ist jedoch stets nöthig, um nicht Verwechs¬ 
lungen mit einer nur wurmähnlich gestalteten 
membranösen Glaskörpertrübung oder einer 
I Arteria hyaloidea persistens zu begehen. 



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CORPUS VITREUM. 


Die Reizungserscheinungen, die ein sol¬ 
ches Thier, welches als fremder Körper wirkt, 
hervorrnft, sind stets schwerer Natur. 

Eine Therapie, die allein in der Extrac¬ 
tion der Filaria bestehen könnte, ist immer¬ 
hin problematisch. 

VI. Arteria hyaloidea persistens. 
Bekanntlich sind die im extrauterinen Leben 
gefässlosen Glaskörper und Linse des Auges 
während ihrer embryonalen Entwicklungs- 
periode blutgefässhaltige Theile, die durch 
einen Ast der Arteria centralis retinae ihr 
Ernährungsraaterial erhalten. Dieses Gefäss 
zieht, von der Papilla nervi optici entsprin¬ 
gend, mitten durch den Glaskörper, gibt für 
diesen einzelne Zweige ab, schiebt sicn dann 
gegen den hinteren Pol der Linse vor, wo 
es in eine Anzahl feiner und feinster Aest- 
chen zerfällt, welche die Membrana capsu- 
laris und damit die Linse selbst versorgen. 
Während es nun Regel ist, dass diese Arteria 
hyaloidea zur Zeit der Geburt oder kurze Zeit 
später, nachdem sie ihren Zweck erfüllt und 
die Ernährung des Glaskörpers und der Linse 
auf anderem Wege besorgt wird, sich zurück¬ 
bildet, um schliesslich ganz zu verschwinden 
und nur den Canalis hyaloideus als Zeichen 
ihres einstigen Verlaufes zurücklässt, kann es 
in einzelnen Fällen geschehen, dass das Ge- 
fäss um lange Zeit später oder auch gar 
nicht verschwindet, vielmehr persistiren bleibt 
und entweder als obliterirter Strang oder mit 
noch ganz oder theilweise offenem Lumen und 
blutführend beim erwachsenen Thiere gefun¬ 
den werden kann. Eine solche Anomalie lässt 
sich intra vitam bei der ophthalmoskopischen 
Untersuchung erkennen, wo dann die sog. 
Arteria hyaloidea persistens als dunkler 
— wenn obliterirt oder als leicht röthlich 
schimmernder, wenn noch blutführend — 
Strang gesehen wird, welcher, von der Papilla 
nervi optici abgehend, sich in leichter Win¬ 
dung oder Schlängelung gegen den hinteren 
Pol der Linse hinzieht, um hier meist un¬ 
deutlich sich zu verlieren. Da dieses Gebilde 
bei Bewegungen des Augapfels meist leichte 
Excursionen macht, so liefet eine Verwechs¬ 
lung mit einer Filaria papillosa (beim Pferd) 
im Bereiche der Möglichkeit, vor der man 
sich zu hüten hat. 

VII. Ablösung des Glaskörpers. Als 
Ablösung des Glaskörpers oder Abhebung der 
Hyaloidea bezeichnet man einen Zustand, bei 
welchem die normaler Weise der Retina voll¬ 
ständigst anliegende Grenzmembran, die 
Membrana hyaloidea, sich theilweise von der¬ 
selben entfernt und retrahirt. Eine solche, 
wirkliche Glaskörperablösung kann in jenen 
Fällen Vorkommen, bei welchen durch den 
rapiden Austritt eines Theiles des Contentums 
der Augenkapsel, sei er Kammerwasser, Linse 
oder Glaskörper, die Druck- und Circulations- 
verhältnisse innerhalb des Augapfels plötz¬ 
lich eine bedeutende Aenderung in dem hin¬ 
teren Augenabschnitte erleiden. 

Findet eine solche Ablösung in jenen 
Theilen des Augengrundes statt, die einer 
directen Untersuchung mittelst des Augen- 


3i9 

Spiegels zugänglich sind, so ist man auch im 
Stande, dieselbe am lebenden Thiere zu 
diagnosticiren. Da jeder Abhebung der Hya¬ 
loidea von der Retina, wie bereits oben ange¬ 
deutet, eine — meist auf traumatischem Wege 
erfolgende — Verminderung des Glaskörper¬ 
volumens vorausgeht, so wird die nun nicht 
mehr in dem früheren Masse gespannte 
Membran sich retrahiren und theilweise 
falten, und differential-diagnostisch wichtig 
ist hiebei, dass die Faltenbildung nicht immer 
die gleiche bleibt, vielmehr eine wechselnde 
ist. Gefässe kann man auf der gefalteten — 
normaler Weise schon gefässlosen — Hyaloidea 
nicht erblicken, und dieses Verhalten schützt 
vor Verwechslungen mit Netzhautablösungen, 
wo man, wenigstens bei jenen Thieren, welche 
ein ausgebreitetes, sichtbares Netzhautgefäss- 
system besitzen, die Netzhautgefässe als 
dunkle, schlangenförmige Linien über die Falten 
ziehen sieht. 

VIII. Knochenbildung im Glas¬ 
körper (Osteoma corporis vitrei). Ein 
— besonders beim Pferde — nicht allzu 
seltenes Vorkommniss ist die Neubildung von 
echtem Knochengewebe im Glaskörper. 
Meist sind es phthisische Augäpfel, deren 
Glaskörper aus irgend welcher Ursache eine 
Entzündung durchzuraachen hatte, als deren 
Folge eine Schrumpfung und fibröse Ver¬ 
dickung des Glaskörpers eintrat; in einem 
so veränderten Gewebe kann es dann ge¬ 
legentlich zur Bildung echten Knochengewebes 
dort kommen, wo normal eine schleimige, gal¬ 
lertige Masse vorhanden gewesen — hetero¬ 
plastische Knochenneubildung. Bald findet 
man eine vereinzelte, peripher entstandene, an 
die Netzhaut angelagerte Knochenschale, bald 
einen mehr central gelagerten Kern, mitunter 
ereignet es sich, dass der Glaskörper in seiner 
ganzen Masse in schwammiges Knochengewebe 
umgewandelt wird, zwischen dessen einzelnen 
Balken und Blättern sich mit gallertigem 
Gewebe angefüllte Lagunen vorfinden (Osteoraa 
spongiosum). 

Klinisch bietet diese Veränderung kein 
weiteres Interesse, da sich derVerknöcherungs- 
process, wie bereits erwähnt, nur in ge¬ 
schrumpften und atrophischen, somit völlig 
erblindeten Augäpfeln abspielt, deren Horn¬ 
haut, Linse etc. etc. schon so hochgradige 
Veränderungen erlitten haben, dass ein Ein¬ 
blick in das Innere des Auges mittelst des 
Augenspiegels nicht mehr gewonnen werden 
kann. Bei der Betastung des Bulbus kann 
nur ein in seiner ganzen Ausdehnung ver¬ 
knöcherter Glaskörper durch seine Härte auf¬ 
fallen, und auch dann kann eine Verwechslung 
mit einer ausgebreiteten schalenförmigen Ossi- 
fication der Chorioidea (s. u. Aderhaut) nicht 
immer ausgeschlossen werden, namentlich 
wenn man weiters bedenkt, welchen Wider¬ 
stand an und für sich die in phthisischen 
Augäpfeln oft enorm verdickte Sclera dem 
tastenden Finger entgegensetzt. 

Literatur: Schwalbe, Anatomie der Sinnesorgane 
in Hoffmann'j» Lehrbach der Anatomie des Menschen. 
Grafe-Slmisch, Handbuch der gedämmten Augenheil- 



250 


CORRECTIONSBOCK. — CORSISCHES RIND. 


lciM^e, Bd. I., IV. Cap. (Anatomie.) — Berlin, Zeitschrift 
iflr vergl. Augenheilkunde von Berlin. Eversbnsch, 
Bd. II, 1883 (Syncbysis scintillans). Gräfe-Simlscb, 
Handbuch der gesammten Augenheilkunde, Bd. 1Y, 2. Theil, 
pag. 871—746. (l'athologie.) Schtampp. 

Correctionsbock, s. Constantirungsbock. 

Correlation (abgel. von con- und relatio, 
Verhältniss). Als Correlation des Wachs¬ 
thums bezeichnet Darwin die gemeinsamen 
Beziehungen, welche in der qualitativen und 
quantitativen Entwicklung zwischen gewissen, 
gewöhnlich in dem Verhältnisse physiologischer 
Cooperation sich befindenden Theilen oder 
Charakteren des Organismus im Falle des 
Variirens bestehen; bei Variiren der einen 
tritt auch ein solches der anderen ein; stärkere 
Entwicklung der Geschlechtsorgane ist z. B. 
gewöhnlich vergesellschaftet mit einer solchen 
der sog. secundären Geschlechtsorgane (Milch¬ 
drüse, sexuale Kampforgane etc.). Zwischen 
den verschiedenen Organen und Charakteren 
eines Lebewesens kann aber auch das Ver¬ 
hältniss der Discorrelation bestehen, d. h. es 
kann das höhere Entwicklungsmass des einen 
eine geringere Ausbildung des anderen zur 
Folge haben; in diesem Verhältniss stehen 
z. B. Füsse und Flügel bei den Vögeln, 
Mehrgebrauch der ersteren bedingt eine 
Mehrentwicklung derselben auf Kosten der 
letzteren und umgekehrt. Endlich findet das 
Variiren eines Organes ganz unabhängig von 
dem eines anderen statt, ein Verhältniss der 
Unabhängigkeit. Sussdorf. 

Corrigentia. Es gibt Arzneimittel, welche, 
wenn sie combinirt werden, ihre Action da¬ 
durch modificiren, dass sie dann entweder 
eine ähnliche Wirkung ausüben oder aber eine 
entgegengesetzte. Im ersteren Falle summirt 
sich der Effect beider, das Eine unter¬ 
stützt also das Andere (Adjuvantia, s. d.), 
in letzterem Falle tritt eine Herabsetzung 
der Wirkung beider ein, unter Umständen 
sogar eine völlige Aufhebung der Wirkung 
des einen, was man als Antagonismus zu be¬ 
zeichnen pflegt und besonders bei Vergif¬ 
tungen verwerthet. Indessen ist diese Wir¬ 
kung nicht immer so scharf ausgesprochen, 
vielmehr erfolgt sic in bestimmten Grenzen; 
in dieser Weise kann daher ein Arzneimittel 
gewisse Nebenwirkungen eines anderen auf- 
heben und die Hauptwirkung in entschiedener 
Weise hervortreten lassen. Man nannte dies 
früher eine Conection der Wirkung und das 
Mittel, welches solche Nebenwirkungen eines 
anderen neutralisirte — Corrigens. Will man 
z. B. die metallischen Mittel, Vitriole, Theer 
u. s. w. längere Zeit fortgeben, ohne dass 
Nebenerscheinungen in den Verdauungs¬ 
organen auftreten, so corrigirt man dieselben 
durch Amara-aromaticn, und wenn man von 
dem Kalomel nur die antiplastische Action 
profitiren will, hebt ntan durch Opium die 
laxirende Nebenwirkung auf. Vogel. 

Corrosiva. Arzneimittel, welche, indem 
sie vermöge ihrer Affinität zu den Gewebs- 
eonstituentien sich mit diesen zu Verbin¬ 
dungen vereinigen oder auf eine andere 
Weise, z. B. durch Oxydation einwirken, 
erstere dergestalt verändern, dass sie ihre 


Lebensfähigkeit einbüssen und daher abge- 
stossen werden müssen, nennt mah corro- 
dirende oder Corrosivmittel. Das Nähere siehe 
bei Aetzen und Caustica. Vogel. 

Cor8i8che8 Pferd. Auf der Insel Corsica 
wird seit ältester Zeit ein kleines ponyartiges 
Pferd gezüchtet, welches dem sardinischen 
Pony, dort „Acchetta“ genannt, verwandt sein 
und wie dieses einen hübschen, zierlichen 
Gliederbau und viel Feuer besitzen soll. Diese 
Pferde wachsen in einem halbwilden Zustande 
auf, müssen sich in den ersten Jahren ihres 
Lebens, nachdem sie von der Mutterstute 
verlassen sind, ihr Futter auf den Bergen in 
der Regel selbst suchen und kommen erst 
dann in Stall, Fütterung und Pflege, wenn 
sie drei- oder vierjährig eingefangen ihren 
Besitzern Dienste leisten sollen. Der cor- 
sische Pony besitzt einen hübschen vier¬ 
eckigen Kopf mit lebendigen Augen und 
kleinen, sehr beweglichen Ohren. Ihr nicht 
zu langer Hals ist gut aufgestützt, trägt eine 
starke Mähne und schliesst sich an die gut 
gestellten Schultern hübsch an. Ihr Leibesbau 
ist meistens gedrungen; sie haben einen sehr 
kräftigen Rücken, eine abgerundete Kruppe 
mit hochangesetztcm Schweife, welcher in der 
Regel hübsch getragen wird. Die Mehrzahl 
dieser Pferdchen besitzt gute Gliedmassen 
mit festen Hufen. Die braune Haarfarbe 
herrscht vor; besonders häufig sollen Gold¬ 
braune sein. Man benützt die Thiero zum 
Reiten und Lasttragen auf ihren heimat¬ 
lichen Bergen. Alljährlich werden viele der- 
derselben nach Süd-Frankreich exportirt, und 
dort — hauptsächlich in Marseille — ver¬ 
wendet man sie zum Zuge kleiner, zierlicher 
Wägelchen. Auf Corsica fanden früher — 
vielleicht auch heute noch — ähnliche Wett¬ 
rennen (Arringu) wie auf Sardinien mit jungen 
Pferden statt, bei welchen kleine Knaben auf 
den Rücken der halbwilden Fohlen gesetzt 
wurden und mit diesen dann Wegstrecken von 
6000 m bergauf, bergab zu durchjagen hatten. Fg. 

Gordisches Rind. Man zählt auf der Insel 
Corsica ungefähr 45.000 Rinder, worunter ca. 
2600 Stiere und 14.000 Kühe. Diese Thiere 
leben zumeist in voller Freiheit in den Makis 
(Name für Gestrüpp oder Gebüsch auf Cor¬ 
sica) und vermehren sich ohne directe Inter¬ 
vention der Besitzer. Die Letzteren befassen 
sich mit den Thieren nur insofern, als sie 
dieselben in das Joch spannen, sobald sie 
sie zur Verrichtung der geringen agricolen 
Arbeiten während der Säezeit gebrauchen. 
Im reifen Alter erreicht die Grösse der Rin¬ 
der 1 • 15—l*25m. Ihre Farbe ist fast immer 
mehr oder weniger fahlroth, manchmal fast 
völlig schwarz. Nach Bellon betrug unter 
1599 Thieren (Ochsen, Kühe oder Kälber), 
welche in einem Jahre in Bastia geschlachtet 
worden, das Netto-Durchschnittsgewicht des 
Fleisches 70 kg. Das Rendement der Ochsen 
beträgt 47—48 für 100; die Milchergiebig¬ 
keit der Kühe ist wenig entwickelt; zur besten 
Zeit geben sie 6—8 1 per Tag. Am Ende des 
zweiten Monats nach dem Werfen stellen sie 
die Milchabsonderung gänzlich ein. Die Ver- 



CORSISCHES SCHAF. — COR VILLOSUM. 


«dlung dieser Rasse wird durch die Boden¬ 
besch Offenheit Corsicas stark gehindert» Das 
Band umfasst nämlich 578.000 ha unculti- 
virten und blos 85.920 ha bebauten Boden. Nn . 

Coreisches Schaf. Es gibt in Corsica 
ungefähr 255.000 Schafe etc. Die Schafe sind 
klein, grob, wiegen nicht viel mehr als 18 kg 
und liefern höchstens 8 kg Fleisch. Ihr gro¬ 
bes Vliess hat nur einen ungenügenden com- 
merciellen Werth. Sie nähern sich dem sar- 
dinischen Schafe (s. Bergschaf). Neumann. 

Cor8i8che8 Schwein. Dasselbe gehört 
zur neapolitanischen, romanischen oder iberi¬ 
schen Rasse und repräsentirt deren reinen 
Typus. Es ist nicht sehr gross, hat vortreff¬ 
liche Formen und liefert ein Fleisch erster 
Qualität Neumann . 

Cortex(v. contegere, bedecken), die Rinde, 
s. Cortices. 

Corticalsohicht, s, Knochen. 

Cortices, Rinden. Sie bestehen meist aus 
dünnwandigen, Intercellulargänge bildenden 
Zellen, die jedoch gegen die Epidermis zu 
mehr und mehr dickwandig und ganglos 
werden und dann auch keinen Saft oder keine 
Chlorophyllkörner mehr haben; man nennt 
dieses Gewebe 

Collenchy m,wie es besonders in derRinde 
der Stengel vieler Kräuter enthalten ist, und 

Sklerenchym, wenn die Zellen stark 
verdickt und verholzt sind. Bei dem Ein¬ 
sammeln für pharmaceutische Zwecke löst 
man die Rinden in der Hypoderma (Cambium- 
schicht) ab und trocknet sie; dünne, junge 
Rinden rollen sich dabei zu hohlen Cylindem 
oder Halbröhren auf (Zimmt), während sich 
die der grösseren Baumstämme nur wenig 
krümmen (Chalisayarinde). Die Aussenfläche 
ist nur bei jungen Rinden glatt, sonst mehr 
runzlig, durch Wucherung des Korkes borkig, 
leistenförmig, rissig und furchig, mehr oder 
weniger mit Flechten und Moosen bedeckt, 
auch erkennt man junge Rinden daran, dass 
sie häufig Glanz haben und heller sind, die 
älteren stets dunkler. Die Aussenrinde (Exo- 
phloeum) hat nur bei jungen Rinden Epiderm, 
denn dieses kann dem Wachsthum bald nicht 
mehr folgen, wird gesprengt und durch poly¬ 
morphen Kork ersetzt, dessen äussere Schicht 
aus Tafelzellen besteht, Platten- oder Leder¬ 
kork heisst und dessen innerste Zellschicht 
das Korkcambium (Phellogenschicht) bildet; 
die Mittelrinde ist aus den eigentlichen ver¬ 
schieden gestalteten Parenchymzellen zu¬ 
sammengesetzt und enthält auch ziemlich 
viel wirksame Bestandteile, sie ist aber 
auffallend dünn, geht rasch in die Innen¬ 
rinde oder den 

Bast (Endophloeum, Liber) über, der 
die wichtigste Partie aller Rinden darstellt 
und manche officinelle Rinden bestehen 
geradezu nur aus ihm, wie Chalisaya und 
Zimmt. Der Bast combinirt sich mit den 
Haupt- und Nebenmarkstrahlen in der ver¬ 
schiedensten Weise und setzen sich diese zu 
den Bastfasern oder Strahlen zusammen, die 
entweder ordnungslos zerstreut oder zu Faser¬ 
bündeln vereinigt sind und eben die Zusam¬ 


251 

mensetzung derselben ist es, welche für die 
Diagnostik der Rinden massgebend ist; auch 
hängt von dem Bau der Innenrinde, von der 
Art der Faservertheilung und Gruppirung, 
von ihrer Gestalt oder dem Fehlen derselben 
die Art des Querbruches der Rinden ab, 
welcher bald eben (korkartig), bald körnig, 
splitterig, faserig oder bandartig ist. Als 

Inhalt der Rinden findet man in den 
theils parenchymatösen, theils prosenchyma- 
tösen Schichten am häufigsten eine auf Gerb¬ 
stoff reagirende Substanz, ferner Stärkemehl, 
Chlorophyll in den jüngeren, andere Farbstoffe 
in den älteren Markstrahlen; ebenso sind Harze 
und ätherische Ocle, sowie Schleim häufig ent¬ 
halten, urie dies bei den einzelnen Rinden 
näher angegeben ist. Für thierärztliche Zwecke 
werden übrigens nur wenige verwendet und 
sind dieselben folgende: 

Cortex Chiüae, s. Cinchona. Cortex 
Cinn&moraae, s.Cinnamomum, Zimmt. Cor¬ 
tex Citri, Citronenschale, s. Citrus. Cortex 
Coto, s. Cotorinde. Cortex Condurango, 
s. Letzteres. Cortex Granati, s. Punica 
Granatum. Cortex Quebracho, s. Letzteres. 
Cortex Querens, Eichenrinde, s. Quercus 
pedunculata. Cortex Salicis, Weidenrinde, 
s. Salix. Vogel . 

Corti'sches Organ, Corti’sche Fasern, 
Corti’sche Membran, Corti’sche Zellen sind 
Gebilde des Canalis cochlearis im inneren 
Ohre (s. Gehörorgan). Sussdorf. 

Cor vill08um, s. cor lursutum s. c. topien- 
tosum, das Zottenherz (v. cor, das Herz; vil- 
lus, das Fell, die Zotte: hircus, der Bock; 
hirsutus, struppig; tomentosus, filzig, mit Filz 
überkleidet) entsteht im Verlaufe der Herz- 
und Herzbeutelentzündung, wenn sich auf dem 
Herzen fibrinöse Exsudatmassen ablagern und 
diese, so lange sie noch weich, geronnenem 
Eiweiss ähnlich sind, mit (lern Pericardium in 
Reibung treten. Herz und Pericardium ver¬ 
kleben locker miteinander, werden aber 6tets 
wieder bei den Herzcontractionen auseinander 
gerissen, die Umflächen des Herzens erhalten 
dadurch ein zerhacktes, höckeriges, zottiges 
und filziges Ansehen. Der zottige fibrinöse 
Ueberzug erreicht namentlich in der trauma¬ 
tischen Pericarditis und Carditis der Rinder, 
welche aus Verletzungen von Seiten ver¬ 
schluckter spitzer und in die Brusthöhle vor¬ 
gedrungener Fremdkörper hervorgeht, eine 
ansehnliche Stärke, er umhüllt das Pericardium 
wie ein Mantel. Organisirt sich das fibrinöse 
Exsudat, wobei es trockner und fester wird, 
zuweilen das Herz schwartig einkapselt, so bringt 
es den Herzmuskel zur Atrophie, das Herz 
wird kleiner und welk. DasOor villosum ver- 
räth sich, ausser den Symptomen der Herz¬ 
entzündung (s. d.), durch Reibegeräusche, 
welche nicht nur gehört, sondern öfter auch 
mit der in der Herzgegend aufgelegten Hand 
gefühlt werden können; die Herzcontractionen 
erschlaffen, Herzschlag und Puls fühlen sich 
unregelmässig, letzterer klein, öfter sinkt beim 
Herzschlag der Intercostalraum in der Herz¬ 
gegend ein. In der Regel führt das Zotten¬ 
herz zum Tode oder es bedingt, wenn die 



252 CORVINI. — COTSWOLD-SCHAF. 


exsudativen Auflagerungen nicht, sehr erheb¬ 
lich sind, chronisches Siechthum. Anacker. 

Corvini Lorenzo, war Professor an der Ve¬ 
terinärschule zu Mailand, gab die Zeitschrift: 
„II Veterinario“ heraus und schrieb über 
Impfung der Lungenseuche. Semmer. 

Coryza avium, Nasenkatarrh der 
Vögel (v. xopoCa, Schnupfen; avis, der Vogel), 
s. Katarrh der Athmungsorgane unter „Cana- 
rienvogelkrankheiten.“ Anacker. 

Co8metioa sind solche Stoffe, welche den 
ganzen Körper oder einzelne Theile desselben, 
sei es durch mechanische Beseitigung der 
Haare, des Sporns, unregelmässiger Abzeichen, 
Entfernung von Unreinlichkeiten, sei es durch 
Herstellung der natürlichen Farbe der Haare 
oder durch Verdeckung übler Gerüche u. s. w., 
in einen mehr wohlgefälligen Zustand zu 
versetzen geeignet sind, sie werden daher 
auch als Schönheitsmittel bezeichnet und 
spielen selbstverständlich beim Menschen 
eine grössere Rolle, als bei den Hausthieren, 
doch bedienen sich die Pferdehändler eben¬ 
falls solcher cosmetischer Mittel, indem sie 
durch Scheeren der Haare nachhelfen, ab¬ 
scheuliche Abzeichen färben oder ausschneiden 
lassen, innerlich durch Arzneimittel oder 
Diätetica mehr Embonpoint und Glanz der 
Haare hersteilen (roher Spiessglanz, Arsenik, 
Phosphor, extensiv nährende Futtermittel); 
ebenso können hieher gezählt werden die 
gegen Hautaus schläge gerichteten Mittel, 
Antiparasitica, die Seifen. Entfernung cariöser 
Zähne u. s. w. Vogel. 

Coso (Kuso, Kusso), Cosoblüthen, richtig 
geschrieben nach Ph. G. Koso, nach Ph. A. 
Kousso oder Kosso (Flores Brayerae anthel- 
minthicae), s. die Stammpflanze Hagenia 
Abyssinica. Vogel. 

Cotentin-Rind. Dasselbe gehört zur haupt¬ 
sächlichsten der beiden grossen Varietäten 
der normandischen Rasse (s. d.). Es erhält 
seinen Namen von der Halbinsel Cotentin, 
welche den grössten Theil des Departements 
der Manche ausmacht. Es ist gross; die Ochsen 
kommen bis auf l*80m und darüber, manch¬ 
mal sogar bis über 2 m, einige darunter sind 
wahrhafte Riesenthiere, so z. B. der Boeuf 
gras von 1846, welcher 2* 46 m hoch war. 
Die Kühe sind, selbst verhältnissmässig, viel 
kleiner, indessen erreicht ihre Grösse manch¬ 
mal l*35m. Ihr Kopf ist stark, häufig kurz, 
mit breiter Schnauze und tiefgeschlitztem 
Maul. Die Hörner sind glatt, eher kurz als 
lang, nach vorne gerichtet, sich eines gegen 
das andere wendend und die Stirne einrah¬ 
mend. Der Körper ist lang, massiv, der Bauch 
entwickelt, die Gliedmassen, das Skelett volu¬ 
minös. Die Knochenvorsprünge sind scharf 
ausgesprochen. Die Brust ist zumeist eng 
und wenig tief, der Rücken ein wenig schnei¬ 
dig; die Lenden sind lang und nicht sehr 
breit, die Hüften häufig eingeengt. Die Euter 
sind umfangreich, aber nicht selten von un¬ 
regelmässiger Form mit dicken Strichen. Ob¬ 
gleich die Haarfarbe dieser Thiere wenig 
Gleichförmigkeit hat, ist die am meisten vor- 
koramende Farbe hell- oder dunkelbraun, mit 


senkrechten, unregelmässigen braunen oder 
schwarzen Streifen durchzogen. WeisseFlecken 
sind häufig. Diese specielle Haarfarbe wird 
mit dem Namen „Bringö“ bezeichnet. Die 
Cotentin-Kühe sind sehr milchergiebig, die 
Ochsen sind als Schlachtthiere im besten 
Rufe (Weiteres siehe unter normandisches 
Rind). Neumann. 

Cotentin-Schwein. Varietät der norman¬ 
dischen Rasse, welche besonders im Departe¬ 
ment der Manche gezogen wird. Mit dem 
Augeron-Schwein verglichen, hat das von 
Cotentin dickere Haut, härtere Borsten 
und längere Schenkeln (siehe normandisches 
Schwein). Neumann. 

Cotheniu8, deutscher Arzt, Professor in 
Berlin und erster Rathgeber zur Errichtung 
einer Thierarzneischule in Deutschland im 
18. Jahrh. Er schrieb: „Pensöes sur la nöces- 
sitö d’une öcole vötörinaire. Berlin, 1768.“ Ar. 

Cotorinde, Cortex Coto, in neuerer Zeit 
wieder mehr angewendetes Antidiarrhoicum, 
welches chinaähnliche Adstringirstoffe enthält, 
ohne dass aber die Wirkung derselben mit 
der der Gerbsäure übereinstimmt. Es sind 
zwei Rinden, die Paracoto- und Cotorinde, 
beide stammen von Bäumen Bolivias, die 
botanisch noch nicht näher bekannt sind, 
wahrscheinlich aber Laurineen (L. IX) sind. 
Die wirksamen Bestandtheilc beider aroma¬ 
tisch riechenden, aber therapeutisch wegen 
Reizung des Magens nicht anzuwendenden 
Rinden sind das Coto'in, iin heissen Wasser 
leicht löslich, sowie das (der grossen Schwer¬ 
löslichkeit wegen nur in Palver zu verab¬ 
reichende) Paracotoln. Gesunden Menschen 
oder Hunden gegeben erfolgt keine Verände¬ 
rung, als Steigerung der Esslust und Ver¬ 
zögerung der Darmausscheidung, wenn öftere 
Gaben von 0 * 05—0 * 1 gegeben werden; Kanin¬ 
chen erweisen sich indifferent, selbst wenn 
1*0 gegeben wird, ebenso mittelgrosse Hunde 
auf 2*0—3*0, immer aber zeigte sich das 
Paracotoln quantitativ etwas schwächer, wäh¬ 
rend beide ohne Beschwerden gleich gut er¬ 
tragen werden, denn weder die peptische, noch 
die diastatische Verdauung wird beeinträchtigt. 
Die bis jetzt gemachten therapeutischen Er¬ 
fahrungen erstrecken sich nur auf Menschen 
und Hunde, und hat sich dabei übereinstim¬ 
mend gezeigt, dass namentlich Durchfälle 
jüngerer Subjecte recht günstig beeinflusst 
werden und nur ganz im Anfang bei Magen 
darmkatarrhen Opium vorzuziehen, bei sub- 
acutem oder chronischem Verlauf aber Cotoln 
besser sei. 

Cotolnum wird entweder als Pulver 
mit Zucker für Hunde zu 0*05—0*2 mehr¬ 
mals im Tage (vier- bis fünfmal) gegeben, 
oder mit etwas Weingeist und Syrup in Mix¬ 
turen mit Gummiemulsionen. 

Paracoto inum in etwas stärkeren Dosen 
nur als Pulvis mit Zucker. Tinctura Coto zu 
10—20 Tropfen. Vogel. 

Cot8WOld-$chaf. Der Name stammt nach 
D. Low von den Worten Cote und Would. 
Cote erklärt er mit a sheep-fold. Fold heisst 
eine Hürde, ein Pferch, ein Stall wird dann 


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COTYLEDONEN. — COUPIBEN. 


*53 


aber auch für „Schafheerde 1 gebraucht. Would 
erklärt derselbe mit a naked hill ein nackter, 
unfruchtbarer Hügel. Die Bezeichnung Cots- 
wold würde sich daher als „Schaf der nackten 
Hügel 44 wiedergeben lassen. Seinen Heimats¬ 
bezirk haben wir in einem Theile der Graf¬ 
schaft Gloucester zu suchen, der aus nicht 
sehr hohen Kalkhügeln besteht. Zum Theile 
sind dieselben noch nicht cultivirt, doch aber 
der Cultur fähig. Auf den meisten selbst 
noch uncultivirten Theilen findet man kurze, 
süsse Gräser in reichem Maasse gedeihen, die 
den Thieren eine vorzügliche Nahrung bieten. 
Schon in sehr alten Zeiten war die Wolle 
des CoUwold berühmt, schon im Jahre 1437 
wandte sich König Don Duarte von Portugal 
an den König Heinrich VI. von England mit 
der Bitte, ihm freie Ausfuhr von 60 Säcken 
Cot8woldwolle zu gestatten, um sich daraus 
für eigenen Gebrauch goldgestickte Gewänder 
in Florenz fertigen zu lassen. Stowe erzählt, 
dass König Edward IV. von England (1463 
bis 1481) mit den Königen Heinrich von Casti- 
lien und Johann von Arragonien einen Vertrag 
schloss, in welchem auch die Bedingung der 
Ausfuhrbewilligung für einige Cotswoldschafe 
eingeschlossen war; diese sollen dann in Spa¬ 
nien sich mächtig ausgewachsen und stark 
vermehrt haben. Auch Camden schildert das 
Cotswoldschaf im Anfänge des XVI. Jahr¬ 
hunderts zwar als langhalsig und vierschrötig 
von Knochen, entsprechend den ihm gebotenen 
Lebensbedingungen, dabei abermiteinerWolle, 
die so sanft und fein ist, dass sie bei allen 
Nationen in dem höchsten Ansehen steht. 
Ebenso schreibt Adam Speed im Jahre 1689: 
„Auf den sog. Cotswoldhügeln wird eine Schaf¬ 
rasse gezüchtet, welche eine so gute Wolle 
gibt, dass sie der spanischen in nichts nach¬ 
steht, aus welcher man einen so feinen Faden 
spinnen kann, wie aus Seide. 41 Das heutige 
Cotswoldschaf ist nun allerdings, namentlich 
was die Wolle betrifft, gewaltig von dem 
eben geschilderten verschieden. Es gehört zu 
den mischwolligen Rassen, welche in fast 
überschüssiger Menge ein markhaltiges Gran¬ 
nenhaar von bei zwölfmonatlichem Wüchse 
circa 20 cm Länge, dazwischen ein etwas 
feineres markfreies Wollhaar von circa 15 cm 
Länge tragen. Das Haar hat einen etwas 
seidenartigen Glanz und ist in starken Locken 
angeordnet, die sich aber mehr verlieren, je 
länger die Wolle auf dem Schafe steht. Die 
Farbe der Wolle ist durchaus weiss, mit wenig 
Fettschweiss durchsetzt. Der Bauchbesatz 
ist sehr locker, Kopf und Beine bis über 
das Knie und das Sprunggelenk hinauf mit 
kurzen weissen Haaren besetzt. Beide Ge¬ 
schlechter sind ungehörnt; auch die Grösse 
ist bedeutend, es ist das grösste Schaf aller 
Culturzuchten, wird höchstens von dem Ros- 
cornmon darin Übertroffen. Es erreicht in ge¬ 
schorenem Zustande eine Schulterhöhe von 
76 cm und darüber, im Medianschnitte von 
der Spitze des Brustbeines bis zur Spitze des 
Sitzbeines 94 cm und darüber. 

Bei solcher Grösse und vielleicht eben 
deshalb sind die Fleischformen oft nicht 


die besten. Das Knochengerüst ist fast zu 
massenhaft, der Kopf, wenn auch kurz und 
stumpf im Gesichtswinkel, schwer. Der Hals 
ist kurz und stark, der Widerrist-platt, der 
Rücken gerade, die Nierenpartie und Kruppe 
lang. Der Schwanz ist lang und dürr, reicht 
bis an den halben Unterfuss und ist buschig 
mit Wolle bewachsen. Der Spalt ist sehr häufig 
zu hoch eingesebnitten, daher die Keulen oft 
nicht genug fleischig. Auch das Fleisch ist nicht 
so gut wie bei vielen anderen Fleischzuchten. 
Bei der Mästung wird das angesetzte Fett 
eines Theiles als Netz- und Nierentalg, dann 
aber hauptsächlich zwischen Haut und Körper 
abgelagert; das Muskelfleisch bleibt mehr 
trocken, weniger mit Fett durchsetzt, nicht 
marmorirt, wie es in der Fleischersprache 
heisst. Alles dies lässt uns vermuthen, dass 
das frühere feinwollige Cotswoldschaf, wie es 
uns von den Schriftstellern des XVI. und XVII. 
Jahrhunderts geschildert wurde, vollständig un¬ 
tergegangen, durch andere Rassen, Schläge oder 
Zuchten ersetzt worden sei. Auch D. Low ist 
dieser Ansicht, er glaubt, dass die Einführung 
einer anderen mehr fleischwüchsigen Rasse u.zw. 
erst Ende des vorigen Jahrhunderts stattge¬ 
funden habe, da damals erst in jenen Gegen¬ 
den das Gemeindegut in gesonderten festen 
Besitz übergegangen sei und erst in Folge 
dessen Ackerbau und namentlich der Anbau 
künstlicher Futtermittel habe platzgreifen 
können. Jedenfalls ist die UeberfÜhrung der 
neuen Rasse aus ebenen und futterreichen Ge¬ 
genden geschehen. Die Züchter dieser neu ein¬ 
geführten Rasse scheinen sich aber auch noch 
nicht mit den Resultaten dieser neuen Zucht 
begnügt zu haben. Das Thier war ihnen nicht 
frühreif genug, man hat also schon jeden¬ 
falls in Anfänge dieses Jahrhunderts New- 
Leicester-Blut cingemischt. Das heutige Cots¬ 
woldschaf kann daher streng genommen nicht 
als Rasse, höchstens als consolidirte Kreuzungs¬ 
zucht angesehen worden. Vielfach ist das Cots¬ 
woldschaf auf dem Continente, namentlich in 
den Marschen Norddeutschland und Hollands 
mit grossem Erfolge zur Kreuzung der hei¬ 
mischen Rassen verwendet worden. Auch mit 
Merinos hat man es öfter gekreuzt, doch dort, 
wo nicht sehr kräftige Futterverhältnisse waren, 
nicht immer mit günstigem Erfolge. Bohm. 

Cotyledonen, S. Gebärmutter (der Wieder¬ 
käuer). 

Couesme, französischer Veterinär, gab 
1857 heraus „Art hippiatrique, mödicine thöo- 
retique et pratique vöterinaire reduite ä la plus 
simple expression. 44 Kock. 

Coulommier8-Kä8e sind kleine in der 
Gegend von Coulommiers (Frankreich) be¬ 
reitete Briekäse. 3 cm dick, 13 cm im Durch¬ 
messer, im Gewichte von 450 g. Fescr. 

Coupiren, Courtiren, Schweifabschlagen, 
Stutzen, Amputation des Schweifes. Wenngleich 
manche Kraukheitsprocesse an der Schweif¬ 
rübe (als: Brand. Caries der Schweifwirbel, 
Fisteln, Geschwüre, Neubildungen, Verkrüm¬ 
mungen der Schweifspitze), suwie die Verwen- 
dungsweise und gewisse Untugenden der 
Thiere (Schiffspferd«*, weiblich*' Schafe, Strang- 



COUPIRSCHERE. 


tu 

achläger, kitzliche Stuten) zur Vornahme die¬ 
ser Operation Veranlassung geben können, 
so ist dieselbe doch meist bei Pferden und 
Hunden eine Luxusoperation, durch die Mode 
bedingt, da man glaubt, den Thieren auf diese 
Weise ein schöneres, gefälligeres Aussehen zu 
geben. Der Sitz der Krankheit und der Wunsch 
des Eigentümers bestimmt die Amputations¬ 
stelle. Als Regel gilt, die Trennung zwischen 
zwei Wirbeln, also im Zwischenknorpel vorzu¬ 
nehmen. Diese Stellen sind einerseits durch 
die Beweglichkeit, anderseits durch die leichte 
Anschwellung gekennzeichnet, welche durch 
das Zusammenstossen der etwas verdickten 
Wirbelenden entsteht. Pferde werden zur Vor¬ 
nahme dieser Operation gebremst, eventuell 
denselben ein Vorderfuss aufgehoben oder die 
HinterfÜsse gespannt. An der Operationsstelle 
werden die Haare des Schweifes quer geschei¬ 
telt, die zurückbleibenden nach aufwärts ge¬ 
schlagen und dann 3—5 cm oberhalb der Ope¬ 
rationsstelle mittelst eines starken Bandes fest 
zusammengebunden. Auf diese Art wird ausser 
dem Fixiren der Haare auch noch die Blut¬ 
stillung bewirkt oder doch unterstützt. Die 
Amputation wird entweder blos mit einem 
starken scharfen Messer oder zweckmässiger 
mittelst der Coupirschere vorgenommen. Im 
ersteren Falle wird der horizontal gehaltene 
Schweif auf einen Holzblock gelegt, das 
Messer auf die obere Seite des Schweifes an 
der betreffenden Stelle aufgesetzt und durch 
den Schlag eines hölzernen Hammers duacli 
den Schweif hindurch getrieben. Da jedoch 
das Messer mitunter in den Knochen dringt 
und daselbst stecken bleibt, somit die Ope¬ 
ration nicht mit einem Schlage beendet wer¬ 
den kann, so empfiehlt es sich, eine Coupir¬ 
schere zu verwenden, da bei der grossen 
Hebelkraft des Instrumentes auch die stärke¬ 
ren Wirbeln, falls sie getroffen werden, rasch 
durchtrennt werden. Hiebei hält ein Gehilfe 
den Schweif horizontal, der Operateur legt 
das Instrument derart an, dass 
die Schweifrübe in den halb¬ 
kreisförmigen Ausschnitt der 
Schere zu liegen kommt und 
drückt dann rasch und kräftig 
die beiden langen Hebelarme 
zusammen, wodurch der schnei¬ 
dende Theil des Instrumentes 
die Trenn un g bew irkt. Die Wund - 
fläche wird ganz zweckmässig 
mittelst des Glüheisens (man 
hat hiezu eigene ringförmige, 

Fig. 400) gebrannt, wodurch 
einerseits die Blutung gestillt 
wird, anderseits aber auch durch 
die Erzeugung eines Schorfes 
der Antiseptik Rechnung getra¬ 
gen wird. Die Zertrümmerung 
der Wirbel kann oft die Ur- *oü. Ring¬ 
sache langwieriger Eiterungs- förm, f£. 8 eil f lfth ’ 
processe abgeben. Das oft er¬ 
wähnte Auftreten von Starrkrampf ist wohl 
nicht der Operation als solcher zuzuschrei¬ 
ben, sondern nur dem Umstande, dass bei der 
längere Zeit in Anspruch nehmenden Heilung 



der Wunde an einer der Besudelung so stark 
ausgesetzten Stelle auch die Möglichkeit einer 
Infection viel öfter und länger vorhanden 
ist. Bayer. 

Coupirschere, Englisirschere, ein Instru¬ 
ment, welches zur Amputation des Schweifes 
benützt wird. Sie besteht aus zwei etwa 50 cm 
langen, ein- oder zweiarmigen Hebeln, deren 
einer eine starke, gerade, convexe oder ecta- 
cave Messerklinge trägt, während der andere 
Hebelarm in der Regel zwei mit einem halb¬ 
mondförmigen Ausschnitte versehene Platten 
aus Messing oder Eisen besitzt, welche zwi¬ 
schen sich einen Spalt zur Aufnahme der 
Klinge lassen. Am Ende der Hebelarme sind 



Fig. 401. 




Fig. 403. 




COURBE. — COWPER’SCHE DRÜSEN. 235 


meist fixe oder abnehmbare hölzerne Hand¬ 
haben. Gebräuchlicher sind Coupirscheren, bei 
welchen sich das Chamier am vorderen Ende 
(Fig. 401, 402,403) als am hinteren (Fig 404) 
befindet. Instrumente, bei welchen das Messer 
und der mit dem Ausschnitte versehene Theil 
des zweiten Armes nur scherenartig neben¬ 
einander vorbeigleiten (Fig. 402), sind nicht 
zu empfehlen, weil bei der leichten seitlichen 
Verschiebbarkeit eine sichere Führung nicht 



Fig. 404. 


möglich ist. Das Instrument von Brogniez, 
bei welchem die Klinge durch eine starke Feder 
bewegt wird, so wie das Caudotom von Leblanc 
und der Ablateur de la queue von Pagnier 
finden sich wohl nur mehr in Instrumenten- 
Sammlungen. Bayer. 

Courbe, französ. krumm, gebogen, krumme 
Linie, Kurve. Benennung für die Hasenhacke, 
Rehbein (s. d.). ‘ 

Courbette, französ. Bogensprung,s.Gang- 
arten (künstliche). 

Courte8 pattes, eine Abart als Spielart 
des alten französischen Landhuhns. Das Unter¬ 
scheidende sind die sehr kurzen Beine. Das 
Huhn ist so niedrig gestellt, dass sein Leib 
nur wenig vom Boden entfernt bleibt. In Folge 
dessen ist es ihm unmöglich, zu scharren. 
Dieser Vorzug ist der einzige, den es aufzu¬ 
weisen hat, sonst bietet es nichts Besonderes 
dar, und kommt weder als Schmuckhuhn, noch 
als Gebrauchshuhn in Betracht. Abgesehen 


von den genannten Sonderheiten stimmen die 
Courtes pattes mit der Stammrasse überein. 
Gleich dem gewöhnlichen französischen Land¬ 
huhn kommt es in allen Farben vor und zeich¬ 
net sich weniger durch fleissiges Legen, als 
durch festes Brüten aus. Crampe. 

Courtioron, französischer Arzt und Schrift¬ 
steller über die ansteckende Rindviehseuche 
im XVIII. Jahrhundert. Ableitner. 

Cow-prass s. Trifolium pratense, Roth- 

klee. 

Cowper’sche Drüsen (glandulae Cowperi) 
— kleine Vorsteherdrüsen—; dieselben gehören 
zu den accessorischen Geschlechtsdrüsen des 
männlichen Thieres und sondern eine dem 
Samen bei der Begattung beigeinischte schlei¬ 
mige Flüssigkeit ab. Dem Bau nach sind es 
acinöse Drüsen mit sehr reichlicher, aus Binde¬ 
gewebe, elastischen Fasern und glatten Muskel¬ 
fasern bestehender Stützsubstanz, Welche den 
Drüsen eine ziemlich derbe Beschaffenheit ver¬ 
leiht. Die einzelnen Acini, deren Drüsenmem¬ 
bran durch die Stützsubstanz gebildet wird, 
tragen Cylinderepithel und sitzen den Anfän¬ 
gen der Ausführungsgänge auf. Die Cowper- 
schen Drüsen fehlen unter den Haussäugethieren 
nur bei dem Hunde; sie haben bei den übri¬ 
gen Haussäugethieren ihre Lage auf der oberen 
Wand des Beckenstückes der Harnröhre, unmit¬ 
telbar vor der Anheftung der Sitzbein-Ruthen¬ 
muskel und vor der Stelle, an welcher das 
Becken- in das Ruthenstück der Harnröhre 
übergeht, und werden von dem Sitzbein- 
Drüsenmuskel, einer Abtheilung des Wilson- 
schen Muskels, bedeckt (s. Geschlechtsorgane, 
Muskeln derselben). Die Zusammenziehung die¬ 
ses Muskels und der in dem gclbröthlichen 
Drüsengewebe reichlich enthaltenen Muskel¬ 
fasern pressen das Secret der Cowper’schen 
Drüsen nach der Harnröhre zu aus. Beim 
Hengst sind die Cowper’schen Drüsen eiförmig, 
bis 5 cm lang und 3 cm breit, das vordere 
Ende wendet sich etwas nach aussen, das 
hintere nach innen. Jede Drüse besitzt 6 bis 
8 Ausführungsgänge, deren enge Oeffnungen 
sich durch zwei Längsreihen von kleinen Pa¬ 
pillen dicht neben der Mittellinie auf der 
oberen Wand des Beckenstückes der Harnröhre 
bemerklich machen. Mitunter bilden die Pa¬ 
pillen eine meistens unregelmässige Längs - 
reihe in der Mittellinie. Beim Bullen sind 
die Cowper’schen Drüsen verhältnissmässig 
kleiner als beim Hengst und aussen von einer 
festen Hülle umgeben. Jede Drüse hat nur 
einen Ausführungsgang; derselbe mündet in 
einen kleinen Blindsack, welcher am hinteren 
Ende des Beckenstücks der Harnröhre durch 
eine schwache Querfaltc der Schleimhaut ge¬ 
bildet wird. Aehnlich verhalten sich die Cow- 
per’schen Drüsen des Schaf- und Ziegenbockes. 
Die betreffenden Organe erlangen bei dem 
Eber einen sehr bedeutenden Umfang, bei voll¬ 
kommen ausgewachsenen Thieren eine Länge 
von 11—13, eine Breite von 3 cm: sie haben 
eine fast dreikantige Form, das hintere Ende 
ist etwas stumpfer und breiter, als das sich 
zuspitzende vordere. Der einzige Ansführungs¬ 
gang zieht sich durch die ganze Länge jeder 


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256 COZAKEE-PFERD. 

Drüse als ein ziemlich geräumiger Canal, wel¬ 
cher bei gcschlechtsreifen Thieren mit einer 
(lickgallertartigen, glasigen Masse angefüllt 
ist. Die Ausmündung des Ausführungsganges 
verhält sich wie bei den Wiederkäuern. Die 
Cowper’schen Drüsen des Katers haben die 
Grösse einer kleinen Erbse, jede Drüse besitzt 
nur einen Ausführungsgang. Bei allen Thieren, 
welche in der Jugendzeit castrirt worden sind, 
behalten die Cowper’schen Drüsen den Um¬ 
fang, welchen sie zur 'Zeit der Castration er¬ 
langt hatten, sie bleiben klein und sind mehr 
oder weniger verkümmert. Bei den männlichen 
Vögeln fehlen accessorische Geschlechtsdrüsen 
überhaupt, es sind demgemäss auch keine 
Organe vorhanden, welche den Cowper’schen 
Drüsen der Säugethiere entsprechen würden. 
Als Cowper’schc Drüsen der weiblichen Thiere 
bezeichnet man auch wohl die Bartholinische 
oder Scheidendrüsen (s. d.). Müller. 

Cozakee-Pferd. Von den verschiedenen, 
meist kleinen zierlichen Pferderassen, welche 
in Ostindien Vorkommen, beschreibt Youatt 
das Cozakee-Pferd als ein sanftes, artiges 
Thier mit tiefem Leibe, sehr kräftiger Vor¬ 
hand, aber einem grossen Kopt mit Ramsnase. 
Die Thiere dieser Rasse sollen ungemein 
dauerhaft, dreist und für grosse Reisen als 
Pack- und Reitpferde ganz geeignet sein; sie 
vertragen den schwersten Dienst im heissen, 
ungünstigen Klima sehr gut und übertreffen 
in dieser Beziehung viele andere Rassen des 
Orients. Frey tag. 

Crachet Pierre Marie gab 1793 eine Schrift 
über die Vorbeugung und Cur des Rotzes 
heraus. Semmer. 

Crack (auf deutsch Prahler) nennen die 
Engländer nicht selten das beste Pferd eines 
Marstalles, doch meistens nur in dem Fall, 
dass es wirklich hervorragende Leistungen zeigt, 
und dabei gut gebaut ist. An einigen Orten Eng¬ 
lands versteht man unter Cracks diejenigen 
Pferde, welche für grosse Rennen engagirt 
sind. Frey tag. 

Craniocele (von xpavi'ov, Schädel, und 
xyjXyj, Bruch), der Hirnschädelbruch = Ence- 
phalocele, das Hervortreten von Gehirnmasse 
durch die Schädeldecke. Koch. 

Craniologie, die Schädellehre. Durch 
eifriges Studium der verschiedenen Menschen¬ 
rassen bildete sich allmälig dieser Zweig der 
Anthropologie, der selbstverständlich auch 
auf die prähistorischen Funde verwerthet 
wurde, aus, um hiedurch Licht in die Entwick¬ 
lungsgeschichte des Menschengeschlechtes zu 
bringen. Es wurden die Haupttypen der 
Schädelbildung unserer heutigen Menschen¬ 
rassen festgestellt, ja sogar einzelne Völker- 
stämme craniologisch zergliedert. Die Cra- 
niologic beschäftigt sich mit der Kenntniss 
des Schädelbaues in Bezug auf seine Con- 
figuration, die Form, Grösse und Anordnung 
der verschiedenen Schädelknochen, bestimmt 
auch die Capacität der Schädelhöhle, ver¬ 
gleicht die Bildung der übrigen Kopfknochen 
sammt dem Gebisse und zieht dann aus diesen 
Beobachtungen gewisse Schlüsse, welche in 


- CREAM CHEESE. 

der Anthropologie Verwerthung finden. Un¬ 
entbehrlich für die Craniologie ist die Cranio- 
metrie, oder die Messung der Schädel, welche 
den Zweck verfolgt, die Formation des Schädels 
zu bestimmen, um sie behufs weiterer Ver¬ 
gleiche in Zahlen ausdrücken zu können. 
Hiezu wurden von hervorragenden Autoren 
complicirte Apparate, die Craniometer, con- 
struirt. Mit Hilfe dieser Apparate wird das 
Verhältnis der Längenaie des Schädels zu 
seiner Queraxe festgestellt und je nach diesem 
Verhältnisse die Schädel in dolicho-, brachy- 
und mesocephale getheilt. Auch auf Thiere 
wurde eine ähnliche Cranioraetrie in Anwen¬ 
dung zu bringen versucht, um hiedurch die 
Rassenmerkmale einzelner Geschlechter zu 
fixiren. Nur wurde hier nicht der Gehirn- 
schädel, sondern das ganze Kopfskelett ge¬ 
messen und auf Grund des Verhältnisses der 
Längen- zur Queraxe ebenfalls eine Dolicho- 
und Brachycephalie (s. d.) beim Rinde und 
Pferde aufgestellt. Da jedoch bis jetzt nur 
wenige derartige Untersuchungen gepflogen 
wurden, so lässt sich der wissenschaftliche 
Werth dieser Methode noch nicht bestimmen. 
Die Craniologie selbst bildet ein sehr wich¬ 
tiges Hilfsmittel der vergleichenden Osteologie 
und wird auch mit Erfolg bei der Erforschung 
der Entwicklungsgeschichte der jetzigen Thier¬ 
welt, speciell der Säugethiere, in Anwendung 
gezogen. Koudelka. 

Cranlometrie. s. Craniologie. 

Craon-Schwein. Diese Rasse wird nach 
der kleinen Stadt Craon im Departement 
Mayenne benannt, in deren Umgebung sie 
zur höchsten Entwicklung gelangt, u. zw. in 
Folge der emsigen Obsorge, deren Gegen¬ 
stand sie ist. Diese Thiere haben einen 
mittelgrossen Kopf, kurze Schnauze, mittel- 
grosse, völlig hängende Ohren, einen langen, 
dicken, cylindrischen Körper. Die Schenkel 
sind ziemlich kurz und sehr muskulös. Die 
Haut ist fein und mit weissen, nicht dicht 
stehenden, kurzen und hängenden Borsten 
bedeckt. Diese Rasse hat seit einiger Zeit 
sehr viel an Frühreife gewonnen und man 
findet Individuen, welche in dieser Beziehung 
den englischen Schweinen nicht nachstehen. 
Sie liefert mehr Fleisch als Fett und dieses 
Fleisch ist saftig und von feinem Geschmack. 
Die Pariser Sei chwaaren-Erzeuger halten diese 
Rasse als allen anderen französischen Ras¬ 
sen überlegen. Wenn diese Schweine von 
vorneherein gut genährt werden, so erreichen 
sie in einem Alter von 12—15 Monaten ein 
Lebendgewicht, welches zwischen 150—250 kg 
variirt. A. Sanson versichert, dass sie sogar 
300 kg mit 18 Monaten überschreiten können. 
Die Craon-Rasse bietet zahlreiche Varietäten, 
welche man je nach ihrem Ursprung Ange- 
vine, Angoumaise, Bourbonnaise, Mancelle, 
Nivernaise, Poitevine (s. d. a.) nennt. A r ». 

Crau - Schaf. Mit diesem Namen werden 
häufig die arlesischen Merinos bezeichnet 
(s. Arlesienner Schaf). Neumann. 

Cream Cheese heissen in England zum 
Hausgebrauche verfertigte Rahmkäse, aus sau¬ 
rem geronnenem Rahm bereitet. Fcser. 


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CREMOMETER. — CRENOTHRIX. 


Cremoneter oder Rahmmesser dienen 
in der Milchprüfungspraxis zur Volumbestira- 
raung der bei ruhigem Stehen einer Milch 
oben ausgeschiedenen Rahmschichte. Am be¬ 
kanntesten unter denselben sind die Kro.cker¬ 
sehen Aufrahmglocken, flache Schalen mit Aus- 
flussstopsel, dann der Sehfeld t’sche Centn - 
fugal-Rahmprober, in welchem mit Milch ge¬ 
füllte graduirte Röhren der Centrifugalkraft 
ausgesetzt werden und den leichteren Rahm 
als innere Schichte absondern lassen, ferner 
die cylindrischen Rahmmesser, von denen die 
Construction von Chevalier am meisten An¬ 
wendung findet. Das Chevalier’sche Cremo- 
meter (Fig. 405) ist ein cylindrisches Glas- 
gefäss, das unten mit einem Fnss versehen 
ist und eine Höhe von 
20 cm und eine lichte 
Weite von 4 cm be¬ 
sitzt; eine mit Farbe 
aufgetragene und ein¬ 
gebrannte Scala be¬ 
ginnt in einer Höhe 
von 15 cm und lässt 
die aus einer Milch 
abgeschiedene Rahm- 
schichte in Raumpro- 
centen leicht ablesen. 

Gute Milch liefert am 
Chevalier’schen In¬ 
strument 10—15% 

Rahm, doch finden sich 
auch Sorten mit nur 
7—8% nicht selten, 
ohne dass eine vor¬ 
ausgegangene Entrah¬ 
mung stattgefunden 
hat. Die Beurtheilung 
der Güte einer Milch 
nach der Grösse der 
abgeschiedenenRahm- 
schichte ist nicht zu¬ 
verlässig, da verschiedene Milchsorten auch bei 
gleichem Fettgehalt sehr ungleich aufrahmen 
können. Eine grosse Rolle spielt hier die 
physikalische und chemische Beschaffenheit 
der Milch, denn die Rahmabscheidung einer 
Milch erfolgt um so leichter und vollständiger, 
je grösser ihre Fettkügelchen sind, je dünner 
das Milchserum ist und je geringere Zähig¬ 
keit (Viscosität) eine Milch besitzt. Letztere 
ist besonders in Betracht zu ziehen, was sich 
schon daraus ergibt, dass eine schwach mit 
Wasser versetzte Milch eine höhere Rahm¬ 
schichte absondert als die ungewässerte. Form 
und Dimensionen der zur Rahmmessung be¬ 
nützten Cremometer haben nur geringen Ein¬ 
fluss auf die Höhe der Rahmabscheidung, da¬ 
gegen übt solchen in ganz hervorragendem 
Grade die Temperatur oder der Wärmezustand 
einer Milch. Je niedriger die Temperatur wäh¬ 
rend der Aufrahmung ist, eine desto grössere 
Rahmschichte wird erhalten. Der bei niederer 
Temperatur aufgeworfene Rahm ist aber 
lockerer, milchserumreicher und deshalb fett¬ 
armer als der bei höherer Temperatur ge¬ 
wonnene Rahm. Für die Rahmmessung mit 
dem Cremometer ist eine Temperatur von 
Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkd. II. BJ. 


257 

15° C. am gebräuchlichsten. Die Rahmabschei¬ 
dung am Cremometer beginnt sofort bei ruhi¬ 
gem Stehen der Milch, sie ist nach 12, läng¬ 
stens 24 Stunden schon beendet; bei längerem 
Stehen zieht sich die Rahmschichte wieder 
zusammen und wird kleiner, ebenso wenn der 
Rahm nachträglich wärmer wird. Feser. 

Cremor Tartari, Weinsteinrahm, der nicht 
ganz von Kalk befreite Weinstein (saures, wein¬ 
saures Kalium), s. Tartarus depuratus. Vogel. 

Crenothrix Cohn (von xpYjvYj, Quelle, 
Brunnen, und fl-pc£ Haar, Borste), Brunnen- 
faden, Brunnenhaar (Cohn, Beitr. z. Biol. I., 
2., p. 130). Am unteren Ende dünnere, nach 
oben dicker werdende, gerade oder mannig¬ 
faltig gebogene, gegliederte, einfache Fäden 
von verschiedener Stärke. Bildet ausserdem 
Coccen und Stäbchen. Steht der Gattung 
Beggiatoa (s. „Chromogene Spaltpilze 44 und 
„Ophidomonas“) nahe, unterscheidet sich von 
derselben aber dadurch, dass der Inhalt der 
Fäden sich durch fortgesetzte Theilung in 
Makrococcen und Mikrococcen verwandelt, 
während in diesen Fäden gleichzeitig die 
Querscheidewände aufgelöst werden. Auf diese 
Weise stellen die betreffenden Fäden an der 
Spitze geöffnete Behälter oder Schläuche 
(Scheiden) dar, die im Momente der Reife mit 
den Sporangien der Saprolegniaceen und an¬ 
deren Aehnhchkeit haben, in Wirklichkeit je¬ 
doch nur Scheiden darstellen. 

Crenothrix Kühniana Zopf, C. poly- 
spora Cohn (Fig. 406) 1. c., Leptothrix Kühniana 



Fig. 406. Crenothrix polyspora Cohn (nach Zopf). I. Pilz¬ 
rasen. a jüngere Faden, b an der Spitze Mikrococcen, c Ma¬ 
krococcen, d Stäbchen entlassend. II Coccen znra Theil in 
Theilnng begriffen. III Aus den Coccen entstandene 
Z jogloOa. IV Kurze Faden und Stabcheu, hervorgegangen 
aus Coccen. 



17 




258 


CREOSOT. — CRETIFICATIO. 


Rabh., Hypheothrix Kühniana Rabh., Palmel- 
lina flosculosa Radlk. (Zeitschr. f. Biol. I.), 
Kühn’s Brunnenfaden. Ein ausserordentlich 
häufiger Bewohner von Brunnenwässern, 
Fabriksabwässern, auch in manchen Quellen, 
in Teichen und Seen, sowie in Flüssen beob¬ 
achtet Nicht selten macht dieser Pilz durch 
sein massiges Auftreten im Wasser das¬ 
selbe zum Trinken, zum Brauen und ande¬ 
ren technischen Zwecken völlig unbrauchbar. 
Gleich Beggiatoön und Cladothricheen ein In- 
dicator für reichlichen Gehalt eines Wassers an 
organischen Substanzen. Ueberall wo diese Or¬ 
ganismen Vorkommen, darf man sicher den 
Schluss ziehen, dass man es mit einem organisch 
stark verunreinigten Wasser zu thun hat. Ur¬ 
sprünglich ist der Pilz farblos oder weiss, in 
eisen- (und mangan-)haltigen Gewässern färben 
sich jedoch dessen Fäden rostroth bis braun- 
roth, indem sich Eisen- (und Mangan-) oxyd 
in den scheidigen Membranen ablagem. Gerb¬ 
stofflösungen färben sie dann schwarzblau 
oder schwarzgrün, Salzsäure und Kaliumeisen- 
cyanür blau. Der Pilz ist bald freischwimmend, 
dann in zahlreichen Individuen zu Flocken 
und Wolken vereint, bald festsitzend an den 
verschiedensten Gegenständen; im letzteren 
Falle ist es stets das untere verdünnte Faden- 
ende, welches aufgewachsen ist. In den Fäden 
von 1 * 3—5 Mikr. Dicke, welche an der Spitze 
oft bis zu 6—9 Mikr. anschwellen, entstehen 
theils kleine (Mikrococcen), theils grosse (Ma- 
krococcen) Coccen. Die Coccen können sich 
durch Zweitheilung vermehren und üppige 
Colonien bilden, welche gewöhnlich reichlich 
Schleim absondem und so Zoogloön darstellen. 
Auch diese färben sich mitunter roth, oliven- 
grün bis braunschwarz. Die Coccen endlich 
wachsen wieder zu Fäden aus, oder sie bilden 
zunächst gegliederte Stäbchen vom Aussehen 
und mit den eigenthüralichen Bewegungser¬ 
scheinungen einer Oscillaria. Die Crenothrix 
polyspora absorbirt sehr viel Sauerstoff: sie 
dürfte daher bei massenhaftem Auftreten ein 
Wasser für das Ausbrüten von Fischeiern 
u. dgl. geradezu untauglich machen. Harz. 

Creoaot, s. Kreosotum. 

Crepettl Luigi gab 1824 eine kleine 
Schrift über Milzbrand heraus. Semmer. 

Crepin, französischer Veterinär, war Mit¬ 
herausgeber des „Journal de Mödecine vdt. etc. u , 
publicirt von B. Clark, und 1884 Mitbe¬ 
gründer der „Central-Veterinärgesellschaft“ 
zu Paris. Koch. 

Crepitation (Reibungsgeräusch), entsteht 
durch das Bewegen zweier rauher Flächen 
über einander, speciell bezeichnet man damit 
ein Geräusch, welches durch das Uebereinander- 
gleiten der rauhen Bruchenden eines Knochens 
erzeugt wird. Es bildet mit eines der Haupt- 
8ymptome eines Knochenbruches, kann aber 
trotz der Gegenwart desselben fehlen, wenn 
die Knochenfragmente sich nicht berühren, 
weil entweder die Bruchstücke durch Muskelzug 
von einander entfernt sind (am häufigsten 
beim Bruch des äusseren Darmbeinwinkels), 
oder weil Weichtheile, Blutgerinnsel sich zwi¬ 
schen die Bruchenden eingelagert haben. 


Ebenso fehlt es bei Brüchen, welche schon 
längere Zeit bestehen, bei denen also durch 
fortwährende Bewegung der Bruchflächen über¬ 
einander ein Abschleifen der Rauhigkeiten 
stattgefunden hat, oder wo durch die Bildung 
des Callus die Erhabenheiten und Vertiefun¬ 
gen ausgeglichen und die Beweglichkeit über¬ 
haupt vermindert oder ganz aufgehoben wurde. 
Die Crepitation kann durch Fortleitung im 
Knochensysteme weit entfernt von dem Ent¬ 
stehungsorte wahrgenommen werden. Nicht 
zu vergessen ist, dass durch Blutextravasate 
mitunter ein ähnliches Geräusch erzeugt wird, 
weiters, dass auch das Sehnenknarren leicht 
mit Crepitation verwechselt werden kann. Mit 
dem Namen Crepitation bezeichnet man auch 
das Geräusch, das bei der Palpation emphy- 
sematöser Geschwülste entsteht. Bayer. 

Crepitationsgeräusche. Knistern und 
Knarren sind gleichbedeutende Ausdrücke 
mit Crepitiren, und kommen diese Geräusche 
vornehmlich in den Lungen und dem Pansen 
vor (s. Auscultation). Vogel. 

Crequy Gaspard (1715—1785) schrieb 
über die Verbreitungsweise der in Frankreich 
1745 herrschenden Rinderpest. Semmer. 

Cre8centiu8 P. schrieb im XIII. Jahr¬ 
hundert ein Werk über Ackerbau mit Bemer¬ 
kungen über Behandlung des Viehes. Sr. 

Creta, Kreide, s. Calcium carbonicum. 

Cretificatio, die Verkreidung (v. creta, 
die Kreide; facere, machen): ist Ablagerung 
von Kalk in mangelhaft ernährten, dem nor¬ 
malen Stoffwechsel entzogenen Geweben und 
Neubildungen. Man unterscheidet je nach dem 
Umfange der Kalkablagerung eine Kalkinfil¬ 
tration oder Calcification (infiltrare, hinein - 
sickern: calx, der Kalk), wenn die Ablagerung 
nur die Intercellularsubstanz betrifft, so dass 
Lückensysteme, die unverkalkten Zellen Zurück¬ 
bleiben und das Gewebe dadurch dem Knochen- 
gewebe ähnlich wird, und die eigentliche Ver¬ 
kreidung oder Versteinerung, Petrification 
(icerpos, Fels, Stein), wenn die Ablagerung 
gleichzeitig in die Zellen und Zwischensub¬ 
stanz stattgefunden hat. Immer wird in Folge der 
Ablagerung von kohlen- und phosphorsaurem 
Kalk das Gewebe steif, brüchig, mehr oder we¬ 
niger hart, weiss oder gelblich, durchscheinend 
oder undurchsichtig, ohne seine Form einzu- 
büssen, wohl aber wird es functionsunfähig. 
Eine einfache Auflagerung von Kalk auf die 
Oberfläche der Organe ist keine Verkreidung, 
sondern eine Ueberkrustung, Incrustatio (in- 
crustare, rindenförmig überziehen), das Ge¬ 
webe erscheint nur von Kalk umhüllt, wie wir 
dies so häufig in den Gallengängen der Rinder, 
an den Zähnen als sogenannten Weinstein 
antreffen, seltener in den Harncanälchen, dem 
Nierenbecken, in der Blase, in den Bronchien, 
in den Ausführungsgängen der Speicheldrüsen, 
in den Gefässen des Gehirns etc. Hingegen 
spricht man von Kalkinfarct (infarcire, voll¬ 
stopfen), wenn Kalkkörnchen in Schleim oder 
andere Secrete abgesetzt wurden und die ver¬ 
dickte, sandig sich anfühlende Masse die 
Hohlräume der Organe erfüllt. Häufig enthal¬ 
ten auch Concremente, sogenannte Steine, 



CRETISCHES SCHAF. 259 


neben andern festen Bestandteilen noch Kalk, 
nicht selten bestehen sie nur aus kohlen- und 
phosphorsaurem Kalk. Die Kalkconcremente bil¬ 
den verschieden grosse, mehr oder weniger 
harte, steinartige weisse oder gelbe Massen, 
die leicht zerbröckeln, wenn sie nur aus koh¬ 
lensaurem Kalke, der mitunter mit kohlen¬ 
saurer Magnesia vermischt ist, bestehen. Lässt 
man auf diese Masse Salzsäure oder Essig¬ 
säure einwirken, so löst sich der Kalk, die 
Kohlensäure entweicht unter Entwicklung von 
Luftblasen und das verkalkt gewesene Gerüst 
bleibt zurück. Entweichen wenig oder gar 
keine Luftblasen so hat man hauptsächlich 
phosphorsauren Kalk vor sich. Die verkalkten 
Stellen werden unter dem Mikroskope als 
helle Grundsubstanz mit schwarzen Randcon- 
turen oder als dunkle, körnige Massen gesehen. 
Wir finden die Kalkconcremente theils als 
kleine, weisse Punkte korallenschnurartig in 
den Muskelfibrillen (besonders häufig bei Hüh¬ 
nern) oder als längere und harte Massen in 
den Muskeln und Sehnen, theils als Speichel-, 
Magen-, Dann-, Harnsteine, Concrementc in 
den Hoden, in der Mamma und in den Venen, 
wo sie als Venensteine oder Phlebolithen (s. d.) 
bekannt sind. Die Verknöcherung oder Ossi- 
fication (os, der Knochen) unterscheidet sich 
von der Cretification dadurch, dass bei ihr 
zugleich eine Umbildung des ursprünglichen 
Gewebes in Knochengewebe stattgefunden hat, 
es bleibt deshalb nach der Behandlung des¬ 
selben mit Salz- oder Essigsäure das knorpe¬ 
lige, leimgebende Gerüst zurück. Ueber die 
ursächlichen Verhältnisse der Cretification ist 
Folgendes bekannt: der Kalk scheidet sich in 
die Gewebe oder Flüssigkeiten aus, die der 
regelmässigen Ernährung und dem Stoffwechsel 
entzogen sind, in denen Blut und Säfte träge 
circuliren und stagniren, so dass der darin 
enthaltene Kalk durch chemische Umsetzung 
ausgeschieden wird. Es ist mit Rindfleisch 
anzunehmen, dass der kohlen- und phosphor- 
saure Kalk in Flüssigkeiten mit freier Koh¬ 
lensäure gelöst bleibt, dagegen aus ihnen ge¬ 
fällt wird, wenn bei langsamer Circulation 
oder völliger Stagnation als Folge mangel¬ 
hafter oder gänzlich aufgehobener Resorption 
von Seiten der Lymphgefässe die freie Kohlen¬ 
säure diffundirt. Wir beobachten deshalb Ver¬ 
kalkungen an solchen Stellen, an denen Ent¬ 
zündung, chronische Katarrhe (Rotz) und 
Neubildungen, besonders degenerative Processe 
und fettige Degeneration vorausgegangen sind, 
oder welche in Folge höheren Alters des regen 
Stoffwechsels ermangeln, während die natür¬ 
liche Ausscheidung des Kalkes mit dem Harn, 
der Galle, dem Speichel und der Milch man¬ 
gelhaft ist. Es entwickelt sich hier eine Ueber- 
ladung des Bluts mit Kalksalzen, eine Kalk- 
dyskrasie, die Virchow auch in solchen Fällen 
constatiren konnte, in denen Knochengewebe 
durch krebsige, cariöse und sonstige degene¬ 
rative Processe (Rhachitis, Osteomalacie, Kno¬ 
chenbrüchigkeit) zerstört wird und der Kalk 
in die Säfte Übertritt. Ein reichlicher Gehalt 
der Nahrungsmittel und des Wassers an Kalk 
kann ebenfalls eine Kalkdyskrasie herbeiführen. 


Der Kalk wird zunächst in Form feiner, zerstreut 
liegender Pünktchen und Körnchen in das 
intercelluläre Bindegewebe und in die Zellen 
ausgeschieden, das Gewebe wird trüb, wie 
bestaubt, die Körnchen vergrössem sich durch 
Anlagerung neuer Kalksalze zu Kalkkugeln 
und Kalkkrümel, sie rücken immer näher an 
einander, schliesslich sind die Zellen ganz 
mit Kalk erfüllt oder zerstört, begrenzte Theile 
des Gewebes gleichmässig mit Kalk durch¬ 
setzt und stellen eine trockene, harte, splitte- 
rige und brüchige Masse dar, welche beim 
Einschneiden knirscht. Flüssigkeiten, nament¬ 
lich Eiter, werden hiebei trüb, milchartig, 
brei- und mörtelartig und fühlen sich sandig 
an. In den Knorpeln, z. B. der Nasenscheide¬ 
wand, des Larynx, der Trachea, der Bronchien, 
der Rippen, der Gelenke, des Hufknorpels etc. 
verkalkt zunächst das bindegewebige Gerüst 
und die Knorpelkapsel der Zellen, die Kapsel 
nimmt an Umfang zu. Oefter geht hiemit 
eine schleimige Entartung und Atrophie des 
Knorpels Hand in Hand. Cretification ist 
beobachtet worden am Bindegewebe, in Mus¬ 
keln, Sehnen, Bändern, Knorpeln, Nerven, 
Drüsen, Gefässhäuten, Neubildungen, Peri¬ 
knoten, Tuberkeln, Hydatiden, Trichinenkap¬ 
seln, Exsudaten, Fibromen, Thromben, Schleim, 
Eiter, im Lungenparenchym, in den Häuten 
der Gefässe des Magens, Darmcanals, der 
Blase, in den Nieren, in der Krystalllinse 
(grauer Staar im Alter), Meningen, Nerven, 
Haut etc. Alle Organe können der Cretification 
unterworfen sein, eine Ausnahme von dieser 
Regel machen nur die rothen Blutkörperchen 
und die Alveolen der Lunge, denn in der 
Lunge verkreidet nur das interalveoläre Binde¬ 
gewebe, die Lunge collabirt alsdann bei der 
Eröffnung der Brusthöhle nicht und ähnelt 
auf dem Durchschnitte dem Bimssteine. Die 
Bronchien enthalten ausserdem öfter unregel¬ 
mässig runde, mit Fortsätzen versehene oder 
ovale Kalkconcremente, welche aus eingedick¬ 
ten schleimigeitrigen und käsigen Massen her¬ 
vorgehen; man hat sie Lungensteine genannt. 
Aehnliche Concrementc finden sich auch im 
Euter der Kühe. Ablagerung von Kalksalzen 
in die Adergeflechte der Hirnventrikel gehören 
bei den Pferden fast zu den normalen Vor¬ 
kommnissen, fast immer findet man in ihnen eine 
Art Kalkbrei oder kleine Concremente. In den 
Arterien bildet die Verkalkung der Intima 
häutig einen secundären Zustand des athero- 
matösen Processes in der Form von platten- 
förmigen Auflagerungen. Eine Petrification der 
Gelenkkapsel beobachtete Bruckmüller öfter 
an sog. Gallen der Pferde. Selbst der Herz¬ 
muskel kann zum grossen Theile herdweise 
verkreiden und in eine starre, sich sandig 
anfühlende Masse umgew r andelt werden. In der 
Leber der Pferde leitet Bruckmüller (Patholog. 
Zootomie) die dort öfter vorfindlichen, runden, 
steinartigen, erbsen- bis haselnussgrossen Kalk- 
concretionen von eingedickter Galle in den 
Gallengängen ab; in der Leber rotziger Pferde 
möchten sie verkreidete Tuberkeln darstellen. Ar. 

Cretisches Schaf. Dasselbe gehört zu der 
Gruppe ..Zackeischaf* 1 (s. d.). 


47* 


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260 CREVANT-SCHAF. — 

Crevant-Schaf. Eine der beiden Haupt¬ 
varietäten der Berrichon-Rasse. Sie erhält 
ihren Namen von der kleinen Stadt Crevant 
im Departement Indre und unterscheidet sich 
dadurch, dass ihr Kopf häufig gefleckt, ge* 
tupft und nackt ist, ebenso wie die Beine 
und manchmal auch der Untertheil des Hal¬ 
ses; ferner durch ihren langen starken Kör¬ 
per und dicken Widerrist, durch ihre gröbere 
und härtere Wolle und durch ihre grosse 
Disposition zum Fettansatz von den echten 
Bemchon-Typen. Diese Schafe wurden häufig 
unter mehr oder weniger günstigen Ergeb¬ 
nissen mit Dishley-Schafen gekreuzt. Sie lie¬ 
fern gewöhnlich 3kg Wolle; ihr Lebend¬ 
gewicht kann bis zu 50 kg ansteigen. Nn. 

Crfcvecoeur- Huhn. Benannt nach dem 
Dorfe Crevecoeur im französischen Departe¬ 
ment Oise, ist ein grosses und stattliches 
Thier mit breiter, vorstehender Brust und 
kurzen starken Läufen. Der Kopf trägt eine 
nach hinten offene Federhaube, vor derselben 
einen breiten und zweispitzigen Kamm, Kinn- 
und Federbart, sowie Kehllappen, die beim 
Hahn lang herabhängen, bei der Henne aber 
sehr kurz sind; die kurzen Ohrlappen sind 
unter der Haube verborgen. Schnabel und 
Füs86 sind schiefergrau, das Gefieder ist tief¬ 
schwarz und glänzend, doch kommen auch 
weisse und aschgraue Farbenschläge vor. Das 
Crövecoeur-Huhn gehört zu den besten und 
frühreifsten Masthühnern Frankreichs. Auch 
zur Eierproduction sind sie empfehlenswerth, 
aber sie brüten schlecht. Die Eier sind gross 
und von weisser Schale. Das Fleisch ist vor¬ 
züglich, fein und saftig. Ausserhalb Frank¬ 
reichs sind Crfcvccoeur-Hühner noch wenig 
verbreitet, obgleich sie härter sind als die 
übrigen französischen Rassen. Wilckem. 

Cribratio, technische Bezeichnung für 
die pharmaceuti8che Operation des Beutelns 
der Pulver (s. Beuteln). Vogel . 

Crtata, die Entscheidung der Krank¬ 
heit (v. xptveiv, ausscheiden, entscheiden). 
Jede schnell eintretende Wendung der Krank¬ 
heit zum Besseren, die mit auffallenden Er¬ 
scheinungen, ganz besonders mit ungewöhn¬ 
lichen Ausscheidungen einhergeht, kann als 
Krise angesehen werden. In der Regel tritt 
die Krisis auf der Höhe der Krankheit ein, 
u. zw., wie man dies besonders beim Menschen 
beobachtet hat, an bestimmten Tagen mit un¬ 
geraden Zahlen, z. B. am 3., 7., 9., 11., 
13. Tage; dass dies ebensogut an jedem an¬ 
dern Tage stattfinden kann, unterliegt wohl 
keinem Zweifel, denn die Krisis erfolgt, so¬ 
bald sich Krankheitserreger und Krankheits- 
producte in solchen Quantitäten im Organis¬ 
mus, resp. im Blute angehäuft haben, dass sie 
die Se- und Excretionsorgane vermöge ihrer 
chemischen Affinität zu vermehrter Thätigkeit 
anregen und mit den Secreten oder Excreten 
ausgeschieden werden. Auf solche Weise wird 
der erkrankte Körper entlastet, das Blut von 
abnormen Stoffen befreit, die Organe fanc- 
tioniren mehr und mehr in gewohnter Weise, 
die Reconvalescenz beginnt. Nach den kriti¬ 
schen Ausscheidungen fallen die Körpertem- 


CROTONCHLORALUM. 

peratur und die Pulsfrequenz, es stellt sich 
bei feuchter, weicher, duftender Haut reich¬ 
licher Schweissausbruch ein, oder in dem in 
grösseren Mengen entleerten Harne werden 
harnsaure Salze so reichlich ausgeschieden, 
dass sie in ihm einen Bodensatz bilden, oder 
die bisher entzündlich gespannten Schleim¬ 
häute erschlaffen und secerniren reichlichen 
Schleim, mit den schleimigen Fäces können 
zugleich anderweite Krankheitsproducte oder die 
Krankheit unterhaltende Stoffe ausgeschieden 
werden, z. B. Croupmassen, zusammengeballte 
Kothmassen, Eingeweidewürmer, Bacterien etc. 
Im Verlaufe mancher Infectionskrankheiten 
beobachtet man nach dem Erscheinen von 
Exanthemen oder Geschwülsten in der Haut 
einen Nachlass in den Symptomen, man 
spricht in solchen Fällen von einer Crisis 
depositoria oder metastatischen Krisis, in den 
ersteren Fällen von einer ausleerenden Krise, 
Crisis evacuatoria (evacuare, ausleeren); von 
einer Crisis idiostatica (v. tSto«;, eigen; otattxo?, 
die Stellung betreffend) oder directen Ausleerung 
aber dann, wenn eine Besserung des Zustan¬ 
des nach der selbständigen Eröffnung eines 
Abscesses, Platzen einer Vomica oder eines 
Blutgefässes u. dgl. m. statt gefunden hat. Er¬ 
kältungskrankheiten und Rheumatosen ent¬ 
scheiden sich gern durch Haut oder Nieren, 
gastrische Krankheiten durch Exantheme oder 
Diarrhöe. Die Krisis war eine vollkommene 
oder perfecte, wenn sie vollständige Genesung 
im Gefolge hat, besteht aber danach noch 
Kränkeln fort, so hat man sie wohl auch eine 
unvollkommene, imperfecte oder eine Lösung, 
Lysis (v. Xoetv, lösen) genannt; hier macht 
die Besserung nur langsame Fortschritte. Die 
Lysis beobachtet man in der Regel im Ver¬ 
laufe chronischer Krankheiten mit Hinneigung 
zur Kraftlosigkeit. Anacker. 

Crocus sativus, echter Safran, Safran, 
eine in Vorderasien und Griechenland ein¬ 
heimische Iridee (Crocus officinalis, L. III.), 
deren getrocknete Blüthennarben (Stigmata 
Croci) ein stark riechendes, reichliches äthe¬ 
risches Oel enthalten, welches früher als ein 
belebendes Nervenmittel undAntispasmodicum 
medicinisch angewendet wurde und auch als 
Emmeniagogum galt; in grossen Gaben ent¬ 
faltet es ähnlich wie das Terpentinöl heftige 
narkotische Wirkungen. Jetzt dient die Pflanze 
nur mehr wegen des intensiv gelb färbenden 
Crocins (Polychroit) zum Gelbfärben ver¬ 
schiedener Otficinalformeln, z. B. der Tinctura 
Opii crocata. 

Crocus Martis ist das rotlibraune 
Eisenoxyd (Ferrihydroxyd, Ferrum oxydatum 
Fuscum Ph. G.). Vogel. 

Cros Giovanni gab 1824 in Mailand ein 
Buch über Exterieur heraus. Semmer. 

0ro88-breed, durch Kreuzung entstande¬ 
nes, also mischblütiges Vieh jeder Art. Ce. 

Crotonchloraium, Crotonchloral, ein Sur¬ 
rogat des Chloralhydrates, das zuerst als 
Chlorsubstitutionsproduct des Aldehyds der 
Crotonsäure betrachtet wurde: es entsteht 
jedoch bei Einwirkung von Chlor auf Aldehyd 
überhaupt und heisst auch 


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CROTON ELUTHERIA. — CROTON TIGLIüM. 


261 


Butylchloral, das ganz dieselben hyp¬ 
notischen Wirkungen hat wie das genannte 
Trichloraldehydhydrat, nur bedarf es weit 
höherer Dosen (s. Chloralum hydratum). VI. 

Croton Elutheria, wohlriechender Croton 
der Insel Elutheria und der Gattung Croton 
oder Clutia; verschiedene strauchartige 
Euphorbiaceen Westindiens, welche die Cas- 
canllrinde oder Schakarillrinde, 

Cortex Cascarillae, liefern und scharf- 
würzigen, bitteren Geschmack haben, her¬ 
rührend von ätherischen Harzen und Oelen, 
Oleum Cascarillae und einem krystallinischen 
Bitterstoff, Cascarillin, der jedoch kaum in 
Betracht kommt, wirksam sind vielmehr 
erstere, die Rinde wird daher nur als ver¬ 
dauungsbelebendes Mittel bei Neigungzu Er¬ 
schlaffung des Darms und Diarrhöe ange¬ 
wendet, in der Thierheilkunde jedoch den 
einheimischen Araaro-aromaticis nachgesetzt; 
indessen kann es wie Kalmus und Absinth 
gegeben werden, ist aber ziemlich theuer 
und deswegen entbehrlich. Die Rinde kann 
auch als Tonicum für die Digestionsorgane 
und den Gesammtorganismus gelten, und 
würde sie so den Uebergang von der China¬ 
rinde zum Kalmus bilden. Vogel. 

Crotonoleum, Krotonöl, s. Croton Tiglium. 

Crotonsiure, 0 4 H«0 4 , eine einbasische 
Säure, welche durch Oxydation des Crotonalde- 
hyds erhalten wird. Dieses entsteht aus dem ge¬ 
wöhnlichen Aldehyd durch Condensation unter 
Austritt von Wasser. 2 C*H 4 0 — H,0 = C 4 H e 0, 
Crotonaldehyd, welches durch Aufnahme von 
Sauerstoff zur Crotonsäure wird. Beide Ver¬ 
bindungen haben bis nun nur theoretisches In¬ 
teresse. Loebisch. 

Croton Tiflllum,Purgir-Kroton, ein kleiner 
baumähnlicher Strauch, Tiglibaum des öst¬ 
lichen Asiens, Euphorbiacee, L. XXI. 5.—10., 
mit eiförmigen Blättern und kleinen unan¬ 
sehnlichen Blüthentrauben (Tiglium officinale). 
Die Körner oder Samen sind in einer nuss¬ 
ähnlichen, dreifächerigen Kapsel eingeschlossen 
und haben eine zerbrechliche, braune, dunkel¬ 
gefleckte Schale, in der ein gelblicher öliger 
Kern von der Grösse einer Kaffeebohne ent¬ 
halten ist. Aus dem Samen wird das Crotonöl, 

Oleum Crotonis, ausgepresst, das braun¬ 
gelb, dickflüssig ist und scharfschmeckende 
Bestandtheile enthält, welche durch Schütteln 
in Weingeist und Aether löslich sind, wie 
auch das Oel. Der eigentümliche Geruch 
des fetten Crotonöls ist durch flüchtige Säuren 
bedingt, nämlich durch Essig-, Butter-, 
Baldrian- und Tiglinsäure, welche aber kaum 
1 % ausmachen und nicht präexistiren, sondern 
als Oxydationsproducte von den nicht flüch¬ 
tigen Säuren anzusehen sind; an der haut- 
und darmreizenden Wirkung haben die flüch¬ 
tigen Säuren keinen Antheil, sondern aus¬ 
schliesslich wirksam ist nur die Crotonölsäure 
(Crotonol-Säure), die der Ricinolsäure che¬ 
misch sehr nahe verwandt ist, während die 
nicht flüchtigen anderen Säuren der Reihe 
der fetten Säuren angehören und zum Theil 
als Glycerinester vorhanden sind. Der Oel- 
gehalt schwankt zwischen 30 und 60%, und 


die Fettsäuren sind Stearin-, Palmitin-, 
Myristin- und Laurinsäure. 

Auf die Haut gebracht, ist Crotonöl 
eines der heftigsten epispastischen, blasenzie¬ 
henden Mittel, das ganz nach Art des Emetins 
oder der Brechweinsteinsalbe (1: 4—6) wirkt, 
starke Schmerzen und Entzündung mit Ausgang 
in Pustelbildung (confluirende Bläschen mit 
serösem, später eitrigem Inhalte) erzeugt, 
man hat jedoch durch Verdünnung und ent¬ 
sprechende Einreibung den Grad der Haut¬ 
reizung völlig in der Hand, so dass selbst 
haarlose Stellen und Narben vermieden werden 
können; auch ist allenfallsige Resorption 
durchaus ungefährlich, die subcutane Anwen¬ 
dung aber wegen nachfolgender Exulceration 
der Haut unzulässig. 

Innerlich genommen ist Crotonöl das 
heftigste Purgans drasticum, welches schon 
in medicinalen Gaben Kolikschmerzen und 
ausgiebige, dünne Darmentleerungen veran¬ 
lasst, indem durch das Alkali der Darmsäfte 
Crotonolsäure frei wird; in höheren Gaben 
tödtet es durch Enteritis, es sind daher auch 
die Schleimhäute des Maules vor dessen Ein¬ 
wirkung zu bewahren; selbst vom Rectum 
aus erfolgt aus obigen Gründen Laxiren, je¬ 
doch erst in etwas höheren Gaben. Letale 
Dosen sind für Pferd und Rind 30—50 Tropfen, 
manchmal schon 25 Tropfen, das Mittel ist 
daher heimtückisch; bei Schweinen 20 Tropfen, 
bei Menschen und Hunden 5—10 Tropfen 
Wird es schon vom Magen resorbirt, so treten 
schwere allgemeine Vergiftungserscheinungen 
auf. Hienach erweist sich dasOel als ein durchaus 
gefährliches Mittel, das von manchen Thier¬ 
ärzten deswegen niemals angewendet wird; 
doch leistet es für bestimmte Fälle vorzügliche 
Dienste und kann daher nicht wohl entbehrt 
werden. So braucht man es insbesondere, 
wenn Aloö, wie bei kopfkranken Pferden, im 
Stiche lässt oder eine Ableitung auf den Darm 
und energische Ausleerungen desselben die 
erste Heilanzeige bilden, wie bei hartnäckigen 
Verstopfungen in Folge von Würmern, Concre- 
menten, Coprostasen und anderen mechani¬ 
schen Stenosirungen; ausserdem bestehen 
weitere Vortheilo darin, dass es ungleich 
rascher wirkt als alle anderen Eccoprotica 
und nur in ganz kleinen Mengen beigebracht 
zu werden braucht, für andere Zwecke aber, 
wie zur Beseitigung von Ex- und Trans¬ 
sudaten, puerperalen Processen lässt man es 
lieber weg und benützt für Pferde Aloe, 
für Rinder Mittelsalze und für Hunde Jalape 
oder Calomel; auch ist zu bemerken, dass 
das Fleisch geschlachteter Thiere für den 
Menschen gefährlich werden kann, wenn Cro¬ 
tonöl zuvor gegeben worden ist. Das Pulver 
der Crotonkömer, 

Pulvis Seminum Crotonis, ist noch 
heimtückischer und deswegen grundsätzlich 
zu meiden. Dosis für Pferde vom Oel 10 bis 
15 Tropfen (ä 0 05), Maximum 20; Rinder 
10—30, Schafe 5—10 Tropfen pro dosi, Schweine 
1—5 Tropfen (0‘30 pro die), bei Hunden 
ebensoviel, am besten für letztere Thiere mit 
Ricinusöl 30*0 und 1—2 Tropfen Crotonöl, 



262 CROUP. — CRUCIFERAE. 


stets jedoch in ausgehöhlten und dann mit 
Papier umwickelten Pillen: Rinder toleriren 
das Mittel besser und oft bis zu 50 Tropfen, 
und bei Pferden wird vorsichtshalber oft nur 
die halbe Dose, jedoch mit 15*0—30*0 Aloe, 
Schleim und Seife gereicht oder auch die volle 
Purgirdose gegeben, aber in zwei Pillen inner¬ 
halb drei Stunden. Hunden bringt man gerne 
3—6 Tropfen mit einem Löffel voll Salatöl in das 
Rectum, mit Schweinefett per os. — Aeusser¬ 
lich benützt man es mit grossem Vortheil, 
wo eine rasche und energische Ableitung 
absolut geboten erscheint, hauptsächlich auch 
bei hartnäckigen rheumatischen Schmerzen; 
die Wirkung tritt sehr rasch und kräftig ein, 
immer jedoch muss es verdünnt werden, u. zw. 
am besten mit einem fetten Oel, Alkohol, 
Aether oder Terpentinöl. Für Pferde i : 30 
und braucht man zu Einreibungen am Bug, 
am Hals oder dem Bauch eine kleinere Dose, 
25 Tropfen der Mischung, in grosser 40, an 
der Brust jederseits 15 Tropfen. Wohl zu be¬ 
achten ist, dass das Mittel nicht eingerieben, 
sondern mit der Hand nur eingestrichen wer¬ 
den darf, auch ist letztere immer gleich ab¬ 
zuwaschen, die Haut des Thieres aber auch, 
sobald die gewünschte Wirkung (des anderen 
Tages) eingetreten ist; dabei ist es von be¬ 
sonderem Vortheil, wenn die Blasen um diese 
Zeit angestochen und kalte Umschläge ange¬ 
ordnet werden, falls bei einem oder dem ande¬ 
ren Subjecte der Effect ausnahmsweise zu 
heftig auftritt. Bei Rindern hat eine bedeu¬ 
tende Verstärkung platzzugreifen, denn eine 
Mischung von 1:10 Fett erweist sich meist 
als nicht ausreichend, und bei Schweinen ist 
1: 2—3 nothwendig. Crotonöl greift nicht so 
tief in das Corium ein wie der Brechwein¬ 
stein. Vogel . 

Croup (schottisches Wort, von Home in 
die Medicin eingeführt, häutige Bräune). 
Laryngitis pseudo - membranacea, Kehlkopf¬ 
entzündung mit Bildung einer fibrinösen 
Pseudomembran auf der Kehlkopfschleimhaut, 
verbunden mit Fieber, beschwerlichem, schnar¬ 
chendem, pfeifendem oder rasselndem Athmen, 
trockenem Husten und in höheren Graden mit 
Dispnoö und Asphyxie. Die croupöse Kehl¬ 
kopfentzündung pflanzt sich oft auf den 
Rachen fort (s. Angina) oder geht auf 
die Trachea und Bronchien über (s. Bron¬ 
chitis). Sie tritt entweder selbständig auf 
(bei Schweinen, Rindern, Katzen und Ge¬ 
flügel) oder als Begleiterscheinung anderer 
Krankheiten, wie Influenza, Pneumonie, Pleu¬ 
ritis. bösartige Kopfkrankheit, Schafpocken, 
Pips der Hühner. Die Ursachen des Croups 
sind chemische, thermische und parasitäre, 
und zwar das Einathmen schädlicher, reizen¬ 
der Gase, wie Chlorgas, Ammoniakgas, das 
Hineingerathen von Medicamenten in die 
Luftwege, beim Einathmen sehr heisser Wasser- 
dämpfe, sehr heisser oder sehr kalter Luft 
und das Eindringen von Spaltpilzen (Mikro- 
coccen) (wie sie neuerdings auch von Salvioli, 
Zäslein, Friedländer u. A. bei der croupösen 
Pneumonie als Ursache nachgewiesen wor¬ 
den), nachdem Erkältung als prädisponirende 


Ursache vorausgegangen. Bei Hühnern ver¬ 
ursacht auch eine Milbe (Cytoleichus sarcop- 
toides) eine croupöse Entzündung der Luft¬ 
wege. Der Verlauf des Kehlkopfcroups ist 
stets ein acuter und endet in 24 Stunden 
bis zu einigen Tagen mit dem Tode durch 
Asphyxie oder in acht bis zehn Tagen mit 
vollständiger Genesung. Bei der Section 
findet man die Schleimhaut des Kehlkopfes, 
zuweilen auch den Rachen, die Luftröhre und 
Bronchien mit mehr oder weniger dicken, weiss- 
oder graugelben zusammenhängenden Mem¬ 
branen bedeckt, die sich mehr oder weniger 
leicht von der darunter gelegenen Schleim¬ 
haut ablösen lassen und nicht fest anhaften 
oder ins Schleimhautgewebe hinein drin gen, 
wie bei der Diphtherie. Oft finden sich aber 
Mischformen und Uebergänge des Croups 
in Diphtherie (s. Diphtherie). Die Croup¬ 
membranen bestehen aus Fibringerinnseln, 
zahlreichen farblosen Blutkörperchen, ein¬ 
zelnen Epithelzellen, Detritusmassen und Fett¬ 
körnchen. Unter den Croupmembranen ist 
die Schleimhaut mehr oder weniger stark 
geröthet, geschwellt, entzündet, sonst aber 
meist intact. Die Behandlung des Croups 
besteht in Anwendung von Senfteigen und 
andern scharfen Ableitungsmitteln auf die 
Haut in der Gegend des Kehlkopfes, Inhala¬ 
tionen von Theer- und Wachholderdämpfen, 
warmen Carboiwasserdämpfen, Husten und 
Niesen erregenden Mitteln, Anwendung von 
Brechmitteln (bei Schweinen), Abführmitteln, 
Aderlässen, Kali chloricum, Einspritzungen 
von Argent. nitr., Kalomel, Alaun in Pulver¬ 
form mittelst eines Blasebalges. Bei drohen¬ 
der Asphyxie die Tracheotomie und nach- 
herige Bepinselungen des Kehlkopfes mit 
Lösungen von Salzsäure, Argent. nitr., Ferrum 
sesquichloratum oder Essig, Ablösung der 
Croupmembranen. 

Literatur: Bretoneau, Delafond, Keynal. ZQndel, 
Röll» Spinola, Anacker u. A. Setnmcr. 

Croupade, s. Gangarten (künstliche). 

Croupe, Kruppe, Kreuz, s. Kruppe. 

Croupöse Entzündung (von dem engli¬ 
schen Worte „Croup“ = Bräune), inflammatio 
crouposa s. pseudomembranacea, charakteri- 
sirt sich durch Auflagerung von. faserstoffigen, 
weissgelblichen, festen, hautartigen Massen auf 
die Oberfläche der Schleimhäute. Das Exsudat 
ist hier reich an Eiweiss und Fibrin, es ge¬ 
rinnt sofort nach seiner Ausscheidung. Croup 
befällt mit Vorliebe die Schleimhäute der Luft¬ 
wege, weniger häufig die Schleimhäute des 
Verdauungscanales. Weil sich auf die ursprüng¬ 
liche Exsudatschiehte immer wieder neues Ex¬ 
sudat ablagert, so lässt die Croupmembran 
deutliche Schichtenbildungen erkennen, die in 
der Regel Eiterkörperchen einschliessen; 
ihre Farbe wird mit der Zeit eine graugelbe, 
sie löst sich auf dem Wege des eiterigen Zer¬ 
falls von der Schleimhaut ab, der sie ohnehin 
nur locker anhaftet (s. Ausschwitzung). 4r. 

Cruclferae,Kreuzblüthler, Familie derDi- 
cotyledonae, Kräuter, selten Halbsträucher mit 
abwechselnd gestellten Blättern, ohne Neben¬ 
blätter, Blüthen in endständigen Trauben die 


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CRUS. — CRUSTACEA. 


263 


beimBeginn des Blühens eine Scheintraube bil¬ 
den, später sich verlängern. Kelch einblätterig, 
Blumenblätter vier, gleichgross, oder zwei der¬ 
selben grösser. Staubgefasse sechs, deren zwei 
gewöhnlich kürzer oder selbst verkümmert, sel¬ 
ten nur zwei. Fruchtknoten einzeln,zweifächerig. 
Griffel einzeln mit kopfförmiger oder zwei- 
lappiger Narbe. Die Frucht heisst eine Schote, 
wenn sie linealisch, schliesslich wenigstens 
3—4mal länger als breit ist, Schötchen, 
wenn ihre Länge nicht das Doppelte der 
Breite übersteigt. In der Regel ist die 
Frucht durch eine dünne Längsscheidewand 
in zwei Fächer getheilt. Samen ohne Eiweiss, 
in jedem Fache abwechselnd am rechten und 
linken Rande der Scheidewand aufgehangen. 
Die Unterscheidung der zahlreichen Gattungen 
und Arten geschieht auf Grund der Form der 
Früchte und der Samen. Diese Familie 
liefert uns sowohl eine nicht unbedeutende 
Zahl von Culturpflanzen, die wir vorzugs¬ 
weise wegen ihrer ölhaltigen Samen culti- 
viren, als auch eine Reihe von sehr verbrei¬ 
teten und schädlichen Unkräutern. Lig. 

Cru8 (von curvare, beugen), der Schen¬ 
kel; Benennung von schenkelähnlichen Ge¬ 
bilden, z. B. Crura cerebelli, die Schenkel 
des kleinen Gehirns. 

Crustacea, Krebsthiere, Krustenthiere, 
Classe der Gliederthiere, Arthropoden. Die 
Crustaceen sind wasserbewohnende Glieder¬ 
thiere, welche durch besondere äussere An¬ 
hänge der Haut, die Kiemen, athmen. Der 
Körper zeigt, wie bei allen Arthropoden, eine 
äussere Gliederung, deren Elemente, die Seg¬ 
mente, an ihrer Bauchseite paarige Extremi¬ 
tätenanhänge tragen. Die allgemeine Körper¬ 
gestaltung erleidet aber dadurch in den ein¬ 
zelnen Ordnungen eine grosse Mannigfaltig¬ 
keit, dass mehr oder weniger zahlreiche Seg¬ 
mente unter einander zu einem Stück ver¬ 
schmelzen können. Gewöhnlich sind die fünf 
ersten Segmente verwachsen und bilden einen 
Kopf, welcher Träger der Sinnesorgane und 
der Mundwerkzeuge ist, der folgende Abschnitt 
kann aus freien Segmenten bestehen, oder 
seine Elemente können theilweise oder ganz 
verschmolzen sein und wieder mit dem Kopf 
zu einem Stück, dem Cephalothorax, zusam¬ 
mentreten. Dieser Theil trägt hauptsächlich 
die zur Bewegung dienenden Extremitäten 
und enthält die Geschlechtsorgane, deren Aus¬ 
mündungsöffnungen den Abschnitt nach hinten 
begrenzen. Bei den höheren Krebsen, wo sich 
immer acht Segmente in diesem Theil nach- 
weisen lassen, wird er als Pereion bezeichnet; 
er entspricht den als Thorax und Abdomen 
unterschiedenen Abschnitten des Körpers der 
luftathmenden Arthropoden. Auf das Pereion 
folgt noch ein gewöhnlich aus getrennten 
Segmenten bestehender verjüngter Abschnitt, 
der nur den Enddarm enthält, welcher an 
dem letzten Segmente ausmündet. Er kann 
der Extremitäten entbehren (Entomostraca) 
oder mit blattartigen Spaltfüssen versehen 
sein (Malacostraca); man bezeichnet ihn als 
Pleon oder Postabdomen. Bei parasitischen 
Formen kann die Gliederung des Körpers 


auch ganz verwischt werden und derselbe bei 
ungemeiner Entwicklung der Geschlechts¬ 
organe sich zu einem sackartigen Gebilde 
umgestalten. Häufig sind bei niederen Krebsen 
dorsale Hautduplicaturjen, welche, von der 
Kopfregion ausgehend, den Körper seitlich 
umgeben und schildförmige, schalen- oder 
mantelförmige Umhüllungen darstellen. Die 
Extremitäten sind gewöhnlich Spaltfüsse, die 
aus einem Basalgliede und zwei bis mehr 
gegliederten Aesten bestehen. An den Extre¬ 
mitäten des Pereion ist gewöhnlich der eine 
Ast dünnhäutig, blattartig oder schlauch- oder 
federförmig und dient als Kieme, die ent¬ 
weder frei nach aussen hängt, oder, wie bei 
den zehnfüssigen Krebsen, unter einer Dupli- 
catur des Rückenpanzers geborgen ist. Bei 
den Asseln (Isopoden) und den Stomatopoden 
sind Spaltäste der Postabdominal-Extremitäten 
zu Kiemen umgestaltet. Der Kopf trägt ge¬ 
wöhnlich zwei Paare von Antennen, die Träger 
von Sinnesorganen, Tast- und Geruchsorganen 
sind, aber auch in vielen Fällen als Bewe- 
gungs- oder Klammerorgane dienen können. 
Der Mund wird von drei Paaren Kauextremi¬ 
täten umgeben, einem Paar Oberkiefern und 
zwei Paaren Unterkiefern; wo der Kopf mit 
mehreren der folgenden Ringe zum Kopfbrust¬ 
stück verschmolzen ist, dienen auch noch die 
nächstfolgenden Beinpaare als Kauorgane, 
sog. Beikiefer, Maxillipeden, so z. B. drei bei 
den zehnfüssigen Krebsen. Die übrigen Bein¬ 
aare des Pereion sind bald Schwimm-, bald 
chreit-, bald Klammer- oder Rankenfüsse. 
Das Nervensystem besteht in einer Bauch¬ 
ganglienkette, die durch zwei vordere Com¬ 
missuren mit dem oberhalb des Oesophagus 
liegenden Hirnganglienknoten in Verbindung 
steht. Letzterer versorgt das erste Antennen¬ 
paar und die Augen, welche allgemein Vor¬ 
kommen, mit Nerven. Der Darmcanal tritt 
meist als gerades, den Körper in der Längs- 
axe durchziehendes Rohr auf, das in seinem 
mittleren Theil eine Leber aufnimmt. Je nach 
der grösseren oder geringeren Localisation 
der Athmungsorgane sind die Circulations- 
organe mehr oder weniger complicirt, doch 
ist ein im Rücken gelegenes Herz fast stets 
vorhanden. Als Excretionsorgane functioniren 
paarige Drüsenschläuche, die meist am vor¬ 
deren Theil des Körpers, bei den höheren 
Krebsen an der Basis der zweiten Antennen 
ausmünden. Die Geschlechter sind mit Aus¬ 
nahme der hermaphroditischen Rankenfässer 
getrennt. Die meisten Crustaceen legen Eier, 
die entweder nach aussen abgelegt, oder bis 
zum Ausschlüpfen der Jungen vom Weibchen 
in besonderen Eiersäcken, oder, wie bei den 
höheren Krebsen, an den Füssen des Post¬ 
abdomens herumgetragen werden. Bei der 
Entwicklung des Embryos ist ein Stadium, 
das derselbe durchläuft, für alle Crustaceen 
charakteristisch. In diesem besteht der Em¬ 
bryo nur aus drei Kopfsegmenten und 
einem Schwanzsegment und besitzt nur drei 
Extremitätenpaare. In diesem Stadium ver¬ 
lässt bei vielen Crustaceen der Embryo das 
Ei und schwimmt als freie Larvenform mit 




264 CRUSTA LABIALIS. 

drei spaltästigen Extremitätenpaaren herum. 
Man nennt diese Larve Naupliuslarve. Erst 
im freien Leben gliedert sich der Körper 
weiter und differenzirt sich in die verschie¬ 
denen Formenkreise* Bei vielen niederen 
Crustaceen, so bei Phyllopoden, kommt auch 
Parthenogenese vor. Das Weibchen legt wäh¬ 
rend der Sommermonate Eier, die, unbe¬ 
fruchtet, sich zu neuen Generationen ent¬ 
wickeln, bis im Herbste aus solchen Eiern 
auch Männchen entstehen, welche die für das 
Ueberdauern im Winter bestimmten Eier be¬ 
fruchten. Die Crustaceen leben grösstentheils 
im Wasser, sowohl im Meere, als im süssen 
Wasser, nur wenige sind durch eine eigen- 
thümliche Adaption ihrer Athmungsorgane 
auch befähigt, auf dem Lande zu leben, wie 
gewisse Isopoden, die Porcellio- und Oniscus- 
arten und kurzschwänzige Krebse, die Ge- 
carcinus, Ukaarten u. a. Viele niedere Krebse 
sind Parasiten und leben an der Haut oder 
den Kiemen anderer Thiere. Bei diesen sind 
die Mundorgane zu Saugröhren und Stiletten 
umgestaltet und die Extremitäten Klammer¬ 
organe. Man kann die Crustaceen in drei 
Hauptgruppen theilen: 

1. Die Entomostraca, kleine Crusta¬ 
ceen mit sehr verschiedener Zahl und Ver¬ 
wachsung der Leibesringe, mannigfach ge¬ 
stalteten Gliedmassen, die immer am Post¬ 
abdomen fehlen; dahin gehören die Phyllo- 
poden, Ostracoden, Copepoden und Cirri- 
pedien. 

2. Die Malacostraca, bei denen der 
Körper aus 19 Segmenten zusammengesetzt 
ist, welche alle Extremitäten tragen, mit den 
Ordnungen der Leptostraca, Arthrostraca 
(Amphipoden und Isopoden) und Thoraco- 
straca (Stomatopoden, Cumaceen und Pod- 
ophthalmen). 

3. Die Gigantostraca, grösstentheils 
in der Jetztwelt erloschene Formen mit nur 
einem Antennenpaar und meist zu Kau- 
füssen verwendeten Extremitäten. Dahin ge¬ 
hören die fossilen Ordnungen der Trilobiten und 
Merostomen und die in der Gattung Limulus 
noch in der heutigen Schöpfung vertretenen 
Xiphosuren oder Schwertschwänze. Studer. 

Crusta labialis (von crusta, Rinde), Lip¬ 
penschorf. Lippengrind, Impetigo, ein ekze¬ 
matöser Ausschlag an den Lippen der Käl¬ 
ber und Lämmer, der nachher zu Schorfen 
und Krusten eintrocknet, die sich ohne Nar¬ 
benbildung abstossen. Semmer. 

Crusta lactea, Crusta serpiginosa. Teig¬ 
maul, Maulgrind, ein Bläschenausschlag an 
der Maulschleimhaut der Saugkälber, Läm¬ 
mer, Fällen etc., der in Schorf bildung über¬ 
geht. Scmmer. 

Cryptoooccus Ktz. (von xpoato;, verbor¬ 
gen, und xoxxos, Kern), Scnleimkügelchen 
(Rabenhorst). Obsolet gewordene Gattung. 
Nach dem Autor des Namens Cryptococcus 
versteht man darunter kugelige, sehr kleine 
Zellchen, welche durch Schleim mehr oder 
weniger zu Colonien zusammengehalten wer¬ 
den. Kützing stellte dahin Formen von Spalt¬ 
pilzen, die jedoch heute sich meist nicht 


CRYPTORCHISMUS. 

genauer feststellen lassen. C. roseus dürfte 
Beggiatoa roseo-persicina in der Coccenform 
gewesen sein. Nur eine Art: C. fermentum, 
die Hefe, ist sicher das gewesen, was wir 
heute als Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae 
bezeichnen. Der Name Cryptococcus würde 
zweckmässig für diejenigen Sprosspilze Ver¬ 
wendung finden, welche in zuckerhaltiger 
Nährstofflösung alkoholische Gährung nicht 
hervorzurufen vermögen. So Cryptococcus 
glutinis u. a., während die Alkohol bildenden 
als Saccharomyces zu bezeichnen wären. Wedl 
fand häufig in der Labmagenschleimhaut der 
Wiederkäuer eine Pilzvegetation, die er, in¬ 
dessen ohne besondere Berechtigung, zu 
Cryptococcus rechnete. Ueber die Natur dieser 
Mycelbildung ist bisher etwas Sicheres nicht 
bekannt. Harz. 

Cryptologie (von xpoatos, verborgen, und 
Xofos, Wissenschaft), die Höhlenkunde, ist 
eine Disciplin der Geologie, welche beson¬ 
ders in neuester Zeit zahlreiche Förderer ge¬ 
funden hat. Wurden ehedem die Höhlen nur 
von neugierigen Touristen, meist ihres Tropf¬ 
steinschmuckes wegen, als Naturmerkwürdig¬ 
keiten besucht, so zogen sie später ob ihres 
Reichthumes an prähistorischen Schätzen die 
Aufmerksamkeit der Wissenschaft in hohem 
Grade auf sich. Der Höhlenkunde verdankt 
nicht nur die prähistorische Anthropologie 
äusserst werthvolle Daten, da ja der Mensch 
zu prähistorischen Zeiten geeignete Höhlen 
theils als Zufluchts-, Grab-, Opferstätten, 
theils zum zeitweiligen oder bleibenden Wohn¬ 
orte erwählte und darin Spuren hinterliess, 
welche auf seinen Culturzustand mit Recht 
schliessen lassen; jedoch ein nicht genug hoch 
zu schätzendes Materiale liefert die Höhlen¬ 
kunde der Paläontologie und Urgeschichte, 
da in Höhlen nebst den menschlichen Resten 
und Artefacten zugleich auch eine reich¬ 
haltige Fauna in ihren Skeletfragmenten 
vertreten ist. Die Höhlenkunde hilft das 
gegenseitige Verhältniss des Menschen zur 
damaligen Thierwelt aufklären. Die Krypto¬ 
logie zerfällt in drei Theile: 1. In den topo¬ 
graphischen, welcher sich mit der Oro- und 
Hydrographie des Höhlengebietes und der 
Beschreibung der eigentlichen Höhlen be¬ 
schäftigt; t. in den prähistorischen, dessen 
Aufgabe es ist, die in den Höhlen vorhandenen 
Ablagerungen einer genauen Durchforschung 
zu unterziehen, und 3. in den geologischen 
Theil, der mit der geologischen Formation 
des Höhlengebietes und seiner Umgebung, 
sowie mit der Entstehungsweise der Höhlen 
und der darin befindlichen Ablagerungen zu 
thun hat. Bei dem Studium der Vorgeschichte 
unserer Hausthiere werden wir uns oft an 
die Höhlenkunde wenden müssen. Koudelka. 

Cryptorchidismus, s. Cryptorchismus. 

Cryptorchi8mu8 (von xpoittsiv, verbergen, 
und opy:$, Hoden) ist ein Zustand, wo bei 
männlichen Thieren die Hoden beim Herab¬ 
steigen den Bauchring nicht passiren, um in 
das Scrotum zu gelangen, sondern in der 
Bauchhöhle Zurückbleiben. Hengste mit in 
der Bauchhöhle zurückgebliebenen Hoden 


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CRYSTALLI TARTARJ. — CÜLTURMETHODEN NIEDERER PILZE. 


m 


werden als Spitzhengste bezeichnet und mit 
Walachen verwechselt, da der Hodensack 
leer bleibt. Die geschlechtlichen Functionen 
werden durch das Zurückbleiben der Hoden 
in der Bauchhöhle meist nicht gestört Sr. 

Cry8talll Tartarl, der Weinstein, Tartarus 
depuratus oder Cremor Tartari nach der öster¬ 
reichischen Pharmakopöe (s. Tartarus). Vogel. 

Cazkonica, Begründer und Director der 
Oestüte zu Mezöhegyes und Bäbolna in Un¬ 
garn, gab 1817 eine Schrift heraus unter dem 
Titel: „Praktische Grundsätze, die Pferdezucht 
betreffend.“ Semmer. 

Cuba-Dogge, Cuba Mastiff. Eine Form 
von Doggen, welche durch Kreuzung der 
spanischen Dogge mit dem Bluthund erzeugt 
ist Aehnlich der Dogge, doch etwas kleiner, 
aber grösser als der grosse Bullenbeisser. 
Der Kopf ist gerundet, mit breitem Hinter¬ 
haupt und stark gewölbter Stirne, die zwischen 
den Augen eine Rinne zeigt. Die kurze breite 
Schnauze ist etwas aufgeworfen, die Nasen¬ 
scheidewand von einer ziemlich tiefen Längs¬ 
furche durchzogen, die schlaff herabfallenden 
Lippen unterhalb der Nasenkuppe schwach 
zurückgezogen. Die Augen stehen etwas schief 
mit schlaffen Winkeln. Der Leib ist gedrungen, 
der Hals kurz, die Beine muskulös und 
minder hoch als bei der gemeinen Dogge. 
Der Schwanz dünn. Die Ohren halb aufrecht, 
der hängende Theil ist breit, glatt und bedeckt 
die Ohrmuschel. Das Haar ist überall glatt 
anliegend, etwas grob, die Unterseite des 
Schwanzes mit etwas längeren Haaren be¬ 
setzt, die Färbung ist röthlich - fahlbraun, 
Schnauzenende, Lippen, Ende der Ohren, 
ein rundlicher Flecken jederseits über jedem 
Auge und die Füsse mattschwarz. Die Rasse, 
durch ihre Wildheit ausgezeichnet, wurde von 
den Spaniern in Westindien, namentlich in 
Cuba, erzeugt Dient zum Einfangen verwil¬ 
derter Rinder, zu Stiergefechten und nament¬ 
lich zum Aufspüren und Einfangen entlaufener 
Sclayen und Verbrecher. Studer . 

Cuba-Windhund. Verhältnissmässig schwere 
Windhundform, die nach Fitzinger aus einer 
Kreuzung des Domingo-Windhundes mit der 
Cuba-Dogge entstanden ist. An letztere er¬ 
innert der verhältnissmässig dicke Kopf, an 
dem das Hinterhaupt breit, die Stirn ge¬ 
wölbt ist, die relativ kurze Schnauze, die 
herabhängenden Lefzen. Die Ohren sind stumpf¬ 
spitzig gerundet, über der Wurzel gebrochen 
and überhängend. Die allgemeine Körper¬ 
form gleicht derjenigen der Solofängcr, nur 
sind die Beine niedriger und stärker. Die Be¬ 
haarung ist kurz, grob, beinahe ganz glatt 
anliegend. Färbung graubraun, Ohren matt- 
schwarz. Auf Cuba und St. Domingo als 
Jagdhund gehalten. Studer. 

Cucurbita Pepo L., Kürbis, Pflanze aus 
der Familie der Cucurbitaceae, XXI. CI. 9. 0., 
einjährig, Stengel sehr lang, kletternd, steif- 
haarig. Blätter herzförmig, undeutlich fünf- 
lappig. Wickelranken ästig. Blüthen gross, 
gelb, Blumenkrone bis zur Hälfte fünftheilig. 
Weibliche Blüthen mit drei verwachsenen 
Staubfäden, ohne Staubbeutel, Griffel drei¬ 


spaltig. Männliche Blüthen mit in eine Röhre 
verwachsenen Staubfäden. Frucht beerenartig, 
Samen mit einem aufgedunsenen Rande um¬ 
zogen. Blüthe Mai. Reife August. Der Kür¬ 
bis wird in verschiedenen Spielarten, die sich 
durch Grösse und Farbe von einander unter¬ 
scheiden, cultivirt. Seine Cultur gehört eigent¬ 
lich nur in das Weinklirna; er hat eine 
5% Monate währende Vegetationszeit. Er 
liebt einen milden, sonnigen Lehmboden, der 
genügend Feuchtigkeit den Pflanzen dar¬ 
bietet; seine sehr stark vertheilten langen 
Faserwurzeln verlangen ziemlich bedeutende 
Nährstoffmengen im Boden, daher eine frische 
Stallmistdüngung ihm sehr zusagend ist. Die 
Cultur des Kürbis geschieht entweder so< 
dass er das Feld allein einnimmt, oder er 
wird zwischen anderen Pflanzen, z. B. Mais, 
Kartoffel gepflanzt. Für die Rcincultur, wobei 
die Vorfrucht, wenn das Feld rein und kräftig 
ist, keine Rolle spielt, wird das im Winter 
gepflügte, im Frühjahre abgeeggte Land mit 
dem Marqueur überzogen und in Entfernun¬ 
gen von t*5—2 m je drei Samen ausgelcgt; 
mit der Saat lässt sich auch eine Lochdün¬ 
gung verbinden mit Stallmist oder Compost. 
Die Saat darf erst geschehen, wenn die Fröste 
vorbei sind, und zur Beschleunigung des 
Wachsthums quellt man die Samen vor der 
Aussaat gerne durch 24 Stunden ein. Nach 
dem Aufgehen werden die überschüssigen 
Pflanzen entfernt und nur die kräftigste an 
jeder Stelle stehen gelassen. Später werden 
die Haupt- und Nebenranken so beschnitten, 
dass jede Pflanze nur zwei Früchte entwickelt. 
Der Kürbis ist reif, wenn die Blätter trocken 
sind und er hohl klingt. Die Verfütterung 
muss bald geschehen, und wird der Kürbis 
von allen Thierarten, besonders aber von 
Schweinen gerne gefressen, u. zw. zerstampft 
und mit Häcksel gemengt. Ertrag 200—600, 
selbst bis 1000 q per Hektar, v . Licbenberg. 

Cuesta P., spanischer Veterinär, 1849 
Lehrer der damals neu errichteten Thierarz¬ 
neischule zu Zaragoza. Koch. 

Culturmethoden niederer Pilze. Für den 
Pathologen kommen drei Gruppen niederer 
Pilze in Betracht, die man gemeinhin als 
Spaltpilze, Sprosspilze und Schimmelpilze be¬ 
zeichnet. Es erscheint in sehr vielen Fällen 
dringend geboten, einen, etwa bei einer Krank¬ 
heit beobachteten, jene muthmasslich hervor¬ 
rufenden Pilz zu züchten und in reinen Cul- 
turen unter verschiedenen Lebensbedingungen 
zu cultiviren. Je nachdem man es mit einer 
der drei Gruppen von Pilzen zu thun hat, 
sind nun verschiedene Methoden einzuschla¬ 
gen, um zum gewünschten Ziele zu gelangen. 
Schimmelpilze und Sprosspilze verlangen hiebei 
im Allgemeinen eine andere Behandlungsweise 
als die Spaltpilze. Während letztere z. B. 
alkalische Nährsubstanzen vorziehen, gedeihen 
die ersteren meist in neutralen oder selbst an¬ 
gesäuerten Lösungen besser. Ist ein solcher 
Organismus gefunden, so ist zunächst zu ver¬ 
suchen, ob und unter welchen Bedingungen sich 
derselbe vermehren lässt. Bei Spaltpilzen 
stösst man in der Regel dabei auf keine gros- 



266 CULTURMETHODEN NIEDERER PILZE. 


sen Schwierigkeiten, während Spross- und 
Schimmelpilze in einzelnen Fällen solche 
wohl zu bereiten vermögen. Stets wird man 
trachten müssen, als Nährböden möglichst jene 
zu imitiren, in denen die fraglichen Organis¬ 
men aufgefunden wurden. Nicht nur die 
chemische, sondern auch die physikalische Be- 
schaflenheit, An- oder Abwesenheit von Sauer¬ 
stoff u. s. w\ sind zu beachten. Ein in con- 
centrirten Nährstoffen gewachsener Pilz wird 
häufig in einem bedeutend verdünnteren Me¬ 
dium schwieriger gedeihen. Dasselbe gilt auch 
von der Temperatur; je mehr man sich der 
bisherigen Temperatur des zu cultivirenden 
Pilzes nähert, um so eher wird derselbe zur 
Vermehrung sich geneigt zeigen. Gelingt es, 
eine Pilzform mit Sicherheit zu cultiviren, so 
handelt es sich ferner darum, den Pilz sehr 
verschiedenen Bedingungen zu unterwerfen, 
wobei sich herausstellen wird, ob er in ver¬ 
schiedenen Formen oder stets unter derselben 
Form auftritt, ob z.B. ein gefundener Micrococcus 
auch Stäbchen und Fäden, Schwärmer u. s. w. 
bilde, ob und unter welchen Bedingungen die 
eine oder die andere Form auftritt, ob Sporen 
gebildet werden u. s. w. Chromogene Pilze 
(s. d.) bilden häufig nur unter gewissen 
Verhältnissen Pigmente, während sie unter 
Umständen trotz reichlichster Vennehrung 
keinen Farbstoff produciren. Manche Hyphomy- 
ceten erzeugen im thierischen Organismus nur 
sterile Mycelien, desgleichen bei der Cultur 
unter Luftabschluss in wässerigen Medien; 
selbst Hefepilzfonnen können hiebei auftreten, 
während bei anderen Culturmethoden reichliche 
Conidien-, selbst Fruchtbildung erfolgen kann. 
So bei Mucor, Arthrococcus, theilweise auch bei 
Aspergillus. Will man demnach den ganzen 
Entwicklungsgang und Formenkreis eines 
Pilzes kennen lernen, so darf man damit nicht 
zufrieden sein, ihn überhaupt nach einem ein¬ 
zigen Verfahren zu cultiviren, sondern man 
muss ihn auf möglichst zahlreiche und ver¬ 
schiedene Weise unter den mannigfachsten 
Bedingungen züchten. Damit aber die Re¬ 
sultate tadellos und sicher ausfallen, sind: 
1. geeignete Nährsubstanzen zu wählen; 2. die¬ 
selben vor der Aussaat vollkommen zu sterili- 
siren; 3. müssen Apparate und Aussaatmetho¬ 
den nach bewährten Regeln gewählt und aus¬ 
geführt werden. Dabei ist es sehr häufig er¬ 
forderlich, bei der Aussaat von einer einzigen 
Zelle auszugehen. 

Die Nährstoffe. Die Pilze vermögen 
im Gegensätze zu den grünen Pflanzen nicht 
Kohlensäure zu assimiliren. Es ist aber nicht 
nothwendig, wenigstens nicht in allen Fällen, 
und namentlich bei der Cultur der sogenannten 
niederen Pilze, ihnen Eiweiss als Nahrung 
zu verabfolgen, vielmehr genügen sehr häufig 
Ammoniaksalze, Nitrate und andere Verbindun¬ 
gen, um ihnen das Material zur Eiweissbildung 
u. s. w. zu liefern; während v. Liebig noch der 
festen Meinung war, sie könnten ohne Eiweiss 
nicht gedeihen. Indessen ist dies keine Ent¬ 
deckung der neuesten Zeit, vielmehr war bereits 
vor circa 40 Jahren bekannt, dass Spaltpilze 
ohne Eiweiss oder Pepton gedeihen können. 


Schon Dujardin (Histoire des Infusoires, 1841, 
p. 214) hatte beobachtet, dass Bacterien sich in 
einer Lösung von Zucker mit oxalsaurem und 
phosphorsaurem Ammoniak und Kochsalz 
entwickeln; desgleichen in einer Lösung 
von 15 g Süssholzzucker, 10 g oxalsaurem 
Ammoniak und 100 g Regenwasser diese Orga¬ 
nismen sich lebhaft vermehren. Sie sind so¬ 
nach im Stande, sich Eiweiss aus den ge¬ 
nannten Verbindungen für ihren Protoplasma¬ 
leib zu bereiten. Später hat sich gezeigt, 
dass eine grosse Menge von Substanzen exi- 
stirt, in deren Lösungen Spaltpilze zu ge¬ 
deihen, sonach Eiweiss aus jenen zu bilden 
vermögen. Einerseits bedürfen die niederen 
Pilze gewisse Aschenbestandtheile, welche die 
Elemente K, Mg, Ca, P, S enthalten sollen, 
ferner Ammoniak oder noch besser organische 
stickstoffhaltige Substanzen. Es ist selbst¬ 
verständlich, dass Eiweisskörper und Peptone 
besonders günstige Substanzen für die Cultur 
niederer Pilze abgeben, aber sie können auch 
ersetzt werden durch Leucin, Tyrosin, Glu¬ 
tamin, Fleischextract. Malzextract, weinsaures 
Ammoniak u. s. w. Diese Substanzen können 
für sich gelöst oder in Verbindung mit Zucker 
angewendet und in vielfachen Variationen der 
Zusammensetzung zur Herstellung von Nähr¬ 
lösungen dienen. Stets hat man darauf zu 
achten, dass man dieselben nicht zu concen- 
trirt verwende. Fleischextract, Peptone und 
lösliche Eiweisskörper sind meist nicht stärker 
als in 0‘1—1% Lösungen zu verwenden. Mit 
mehr oder weniger gutem Erfolge sind von 
verschiedenen Forschern sog. Normallösungen 
für die Culturen empfohlen worden. So be¬ 
steht die Pasteur’sche Nährlösung für 
Bacterien aus (Ann. de Chimie et de Phys., 
T. 58, 1858); 

Destillirtem Wasser ... 100 Th. 

Candiszucker. 10 „ 

Weinsaurem Ammoniak 1 „ 

Asche von 1 Th. Hefe (deren Gewicht 
ca. 0 075 der Mischung beträgt). 

Buchholz verwendete dieselbe Nähr¬ 
lösung, aber er ersetzte die Hefenasche durch: 

Phosphorsaures Kalium.0*5 

Schwefelsaures Magnesium.0*1 

Dreibasisches Calciumphosphat .0*01 
Cohn fand für Spaltpilze diePasteur’schc 
Flüssigkeit nicht besonders geeignet, und ver¬ 
wendete hiezu besser folgende Lösung: 
100 Th. destillirtes Wasser, 1 Th. weinsaures 
Ammoniak und ca. 1 Th. Aschenbestandtheile. 

Mit Vortheil wurde von ihmdieMayer’sche 
Lösung angewendet (A. Mayer, Untersuchun¬ 
gen über die alkoholische Gährung, 1870, 
— Cohn, Beitr. z. Biol. d. Pfl., I. 1872, 
p. 195), welche besteht aus: 

0'1 g phosphorsaurem Kali, 

0*1 g schwefelsaurer krvstallis. Magnesia, 
0*2 g weinsaurem Kali, 

0*01 g dreibasisch phosphorsaurem Kalk 
20*0 g destillirtem Wasser. 

Später stellte sich bei mit Miflet gemein¬ 
sam angestellten Versuchen (Cohn, Beitr., 


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CULTÜRMETHODEN NIEDERER PILZE. 


*67 


Bd. III. 1. 1879, p. 1*3), bei welchen dieselbe 
Lösung, jedoch mit dem Unterschiede verwendet 
wurde, dass sie den dreibasisch phosphor¬ 
sauren Kalk durch Chlorcalcium ersetzten, 
heraus, dass diese Nährstofflösung für Bac- 
terien nicht besonders geeignet sei; wohl 
aber wachsen die Spaltpilze vortrefflich in 
einer 10%igen Lösung von Malzextract, sowie 
in einer einpercentigen Lösung von Liebig schem 
Fleischextract. Besser als Cohn’s Nährlösung 
haben sich Nägeli’s Substrate erwiesen. So 
gedeihen Spaltpilze sehr gut nach Nägeli 
(Niedere Pilze, München 188*, p. 64) in 
einer Flüssigkeit aus: 

Dikaliumphosphat (K t HP0 4 ) 0 * 1035 g 


Magnesiumsulfat (Mg S0 4 ).. 0 016 „ 

Kaliumsulfat (K $ S0 4 ). 0*013 ,, 

Chlorcalcium (CaCl t ). 0*0055,, 

Weinsaurem Ammoniak. 1*000 „ 

Wasser .100*000 „ 


Das Kaliumsulfat lässt sich hiebei auch durch 
(NH 4 ) $ S0 4 0*017 g ersetzen. Anstatt des 
weinsauren Ammoniaks kann auch essigsaures, 
milchsaures Ammoniak, oder auch Asparagin, 
Leucin gewählt werden. Ebensogut als vorige 
Lösungen erweist sich eine solche von fol¬ 
gender Zusammensetzung: 

Eiweisspepton oder lösliches Eiweiss . 1*00 


Kaliumdiphosphat.. 0 * *0 

Magnesiumsulfat. 0*04 

Chlorcalcium. 0*08 

Wasser..100*00 

Gleichfalls günstig wachsen die Spalt¬ 

pilze in folgender Lösung: 

Wasser. 100 

Rohrzucker . 3 

Weinsaures Ammoniak ... 1 

Mineralstoffe wie in. II. 


Besser als diese flüssigen Nährlösungen 
haben sich in vielen Fällen feste Substrate er¬ 
wiesen. So sind gekochte Kartoffel für die 
meisten Spaltpilze ein ausgezeichnetes Medium; 
ähnlich lassen sich andere Knollen und flei¬ 
schige oder mehlige Wurzeln zu Pilzaussaaten 
verwenden. Brefeld und später R. Koch haben 
sich der Nährgelatinen bedient, welche in der 
Weise dargcstellt werden, dass man geeignete 
Lösungen mit Gelatine, Carragheen, Agar- 
Agar versetzt und auf die bei gewöhnlicher 
Temperatur feste Substanz die Aussaat bewerk¬ 
stelligt (s. noch später: Cultur der Schimmel¬ 
pilze). Derartige Culturen haben den grossen 
Vorzug, dass sie mittelst des Mikroskopes vom 
Momente der Keimung an eine Spore bis zur 
vollendeten Entwicklung verfolgen lassen, was 
bei undurchsichtigen Medien unmöglich wird. 
Auch Blutserum, Humor aqueus und andere 
thierische Säfte, Hausenblasengallerte u. s. w. 
eignen sich vorzüglich zur Cultur von Bacterien. 
Ganz gut geeignete derartige feste Substrate 
sind zusammengesetzt aus: 

Gelatine. 10 Th. 

Wasser. 90 „oder 

Agar-Agar. 1—2 „ 

Wasser. 99—98 ., 

Diese werden mit demselben Volumen 


Harn, oder Heuinfus, Fleischinfus, Pepton¬ 
lösung, Weininfus, Decocten von getrockneten 
Früchten (Pflaumen, Rosinen, Feigen u. dgl.) 
gemischt. Bei stark saurer Reaction wird mit 
Soda, dann mit Dinatriumphosphat neutrali- 
sirt und schliesslich filtrirt. Im Uebrigen 
möge hier noch ausdrücklich betont werden, 
dass die festen Nährsubstanzen für Bacterien- 
culturen den flüssigen gegenüber nicht jenen 
überaus grossen Vorzug besitzen, wie R. Koch 
und seine Schule behaupten. Sie sind in vielen 
Fällen gewiss, wie bereits hervorgehoben, von 
grossem Vortheile; nichtsdestoweniger wird 
man mit der Zeit manche Spaltpilze finden, 
welche in Flüssigkeiten besser gedeihen als in 
Nährgelatinen. Hinsichtlich der Sicherheit der 
Reinculturen existirt zwischen flüssigen und 
festen Substraten ganz gewiss kein Unterschied. 
Wünscht man Pilze in und auf Nährgelatinen 
bei Brutwärme zu cultiviren, so kann man sich 
der gewöhnlichen Gelatine nicht bedienen, 
da sie sich verflüssigen würde. Hier leistet 
Serum von Rinder- oder Schafblut, sowie Agar- 
Agar vorzügliche Dienste. Letzteres bildet in 
2°/ 0 iger Lösung eine noch bei 70° C. fest 
bleibende Gallerte. Sehr günstig wirkt nach 
R. Koch die Fleischwasser-Peptongelatine. 
Sie wird dargestellt (Johne, Deutsche Zeitschr. 
f. Thiermedicin, Bd. XI, 1884, S. 96), indem 
man *50 g frisch gehacktes möglichst fettfreies 
Rindfleisch mit 500 g destillirten Wassers zu¬ 
sammenmischt, sodann über Nacht auf Eis stehen 
lässt und nach wiederholtem Umrühren durch 
ein feines Seihtuch presst. Die Colatur wird 
mit Aq. destill. auf 400 cm* gebracht, ihr 4 g 
trockenes Pepton und 2 g Kochsalz, sowie 
40 g gewöhnliche weisse Speisegelatine zu¬ 
gesetzt und Alles zusammen so lange stehen 
gelassen, bis letztere gequollen und weich ge¬ 
worden ist, was ca. % Stunde währt. Unter 
gelindem Erwärmen, so dass das Eiweiss nicht 
zur Gerinnung gelangt, wird die ganze Masse 
verflüssigt und hierauf so viel kohlensaures 
Natron (Soda) zugesetzt, dass rothes Lackmus¬ 
papier leicht gebläut wird. Die Neutralisation 
muss sehr sorgfältig ausgeführt werden, wenn 
es sich um die Cultur des Cholerapilzes han¬ 
delt, während andere Pilze theilweise nicht 
so empfindlich sind. Hierauf wird im Wasser¬ 
bade das Ganze */,—1 Stunde gekocht, wobei 
alles Eiweiss gefällt wird: endlich filtrirt 
man durch schwedisches Filtrirpapier (Falten¬ 
filter) und erhält so eine helle krystallklare, 
schwach gelbliche Gelatine, die in sterilisirte. 
mit Wattepfropf versehene Reagensgläser bis 
auf ca. % Höhe derselben eingefüllt wird. 

Selbstverständlich muss derart verfahren 
werden, dass die Gelatine beim Einfüllen den 
Rand der Reagensgläser und dadurch den 
Wattepfropfen nicht berührt, weil später beim 
WIederöflhen behufs Aussaat der Pilzkeime 
unangenehme Störungen zu Tage treten wür¬ 
den. Schliesslich wird sterilisirt. 

Für Sprosspilze eignen sich insbeson¬ 
dere Malzdecoct, Bierwürze, Most- oder Obst- 
decocte, je nach Umständen mit Trauben¬ 
zucker versetzt; wenn die Flüssigkeit etwa 
neutral reagiren sollte, fügt man zwerkmässig 



















268 CÜLTURMETHODEN NIEDERER PILZE. 


«twas Säure (am besten Wein-, Citronen- oder 
Apfelsäure) zu. Auch kann man für Sprosspilze 
alle obigen, für Spaltpilze geeigneten Lösungen 
verwenden, wenn man denselben noch etwas 
Säure und Zucker beifügt. Wie Pasteur schon 
1858 (1. c.) gezeigt, reichen neben Aschen- 
bestandtheilen weinsaures Ammoniak und Zucker 
in Lösung schon aus, um Hefe zu ernähren. 

Schimmelpilze. Diese gedeihen meist 
am besten in schwach angesäuerten Substraten. 
Nach Brefeld vor Allem ausgezeichnet auf 
dem Miste der Pflanzenfresser; sodann auf 
gekochten Pflaumen, Rosinen, Aepfeln, Kirschen 
und anderen Früchten, auf Scheiben unge¬ 
säuerten Brotes, das noch mit Decocten von 
Wurzeln, Kräutern, Heu, Früchten u. s. w. 
getränkt wurde. Alle diese Substrate werden, 
falls sie nicht schon sauer reagiren, mit 

2— 5%iger Lösung von Citronen- oder Wein¬ 
säure, oder mit 0*5—l%iger Phosphor¬ 
säure versetzt. Auch Stärkeglycerinkleister, 
mit weinsaurem Ammoniak versetzt, gibt 
häufig ein gutes Medium für Schimmelpilze, 
z. B. für Penicillium und Aspergillus. Ange¬ 
nehmer erweisen sich in den meisten Fällen 
klare, durchsichtige Substrate aus nahelie¬ 
genden Gründen. Man kann hiezu die ver¬ 
schiedensten Infusionen von Pflanzentheilen, 
zumal von Früchten, Samen, Heu, Wurzeln, 
saftigen Stengeln, Knollen u. s. w. verwenden, 
namentlich eignen sich regelmässig diejenigen 
Substanzen, auf und in welchen die betreffenden 
Pilze in der Natur gedeihen. Die Infusionen 
können warm oder kalt angesetzt werden, z. B. 
verschiedene Fruchtarten, gedörrtes Obst, geeig¬ 
nete Hölzer, auch mit Vortheil (Brefeld) Mist. 
Man lässt einige Zeit warm oder kalt stehen 
und filtrirt zuletzt klar ab. Diese gewonnenen 
Lösungen müssen jetzt selbstverständlich 
sterilisirt werden. Reagiren sie stark sauer, 
so werden sie zuvor noch mit Ammoniak 
nahezu neutralisirt. Anstatt der Lösungen 
kann man auch eingedickte Extracte von 
Honigconsistenz u. s. w. vorräthig halten. 
Auch die medicinisch angewendeten lassen 
sich theilweise mit Erfolg zu Pilzculturen 
verwenden. Z. B. habe ich mehrfach Extrac- 
tum graminis, Extr. taraxaci und E. cardui 
benedicti, ferner mit NH 3 fast neutralisirtes 
Tamarindenmus zu diesbezüglichen Culturen 
benützt. Auf 100 cm* Wasser nimmt man 

3— 5 g Extract oder Mus, sowie 0 * 5—1 % 
Pepton oder Fleischextract oder Leucin oder 
Asparagin. Die Lösung wird kalt hergestellt, 
filtrirt, sodann sterilisirt. 

Die für den Pilz geeignete, in irgend 
einer Weise gewonnene Nährsubstanz, gleich- 
giltig ob sie fest oder flüssig, klar oder un¬ 
durchsichtig ist. muss nebst den zur Cultur 
benützten Apparaten vollkommen pilzfrei ge¬ 
macht werden, was man je nach Umständen 
auf verschiedenem Wege erreichen kann. Ob¬ 
jectträger, Gläser u. s. w. werden % bis 
1% Stunden auf 150—160° C. erhitzt. 

Reinculturen, Sterilisation. Alle für 
die Culturen dienenden Lösungen, Nährböden 
und Apparate müssen vor der Aussaat voll¬ 
kommen pilzfrei gemacht werden, da sonst 


Verunreinigungen unvermeidlich und die grössten 
Täuschungen unausbleiblich sind. Unterlässt 
man die Sterilisation oder führt sie unge¬ 
nügend durch, so ereignet es sich gewöhnlich, 
dass die bereits vorhandenen Keime die künst¬ 
lich dazu gebrachten überflügeln und selbst 
ganz verdrängen. Die Reihe von jetzt folgen¬ 
den Irrthümem kann unabsehbar werden. Der¬ 
artige Vorkommnisse lassen sich aber bei 
einiger Vorsicht leicht vermeiden. Zunächst 
bewahrt man Deckgläser und Objectträger in 
8—10%iger Salzsäure auf, ebenso können 
Glasglocken, Reagensgläser u. s. w. in der¬ 
selben Weise behandelt werden. Kurz vor dem 
Gebrauche werden sie mit ausgekochtem de- 
stillirten Wasser gereinigt, sodann in einem 
Trockenschranke ca. I—2 Stunden auf 150 bis 
160° C. erhitzt. Ein dichter, langer Watte¬ 
pfropf hält beim nachherigen Abkühlen und 
Eindringen von Luft die in letzterer etwa vor¬ 
handenen Keime zurück. Messer, Nadeln, 
Scheren u. s. w. erhitzt man direct vor dem 
Gebrauche über der Spiritus- oder Gasflamme. 
Die mit den Nährlösungen beschickten Gläser 
werden am besten im Papin’schen Topfe durch 
%—1 ständiges Erhitzen auf 115° C. pilz¬ 
frei gemacht. Zur Aussaat bedient man sich 
gewöhnlich eines Platindrahtes (in einen Glas¬ 
stab eingeschmolzen), welcher direct vor dem 
jedesmaligen Gebrauche geglüht wird. Wendet 
man Kartoffeln, Rüben, Früchte u. s. w. als 
Substrat an, so werden auch diese (nachdem 
sie zuvor 10—15 Minuten in l%iger oder 
%—1 Stunde in 0'5%iger Sublimatlösung 
gelegen) im Papin’schen Topfe sterilisirt, so¬ 
dann nach dem Erkalten und Herausnehmen 
mit Sublimatlösung (1 : 2000) abgewaschen, 
auch die Hände und Instrumente mit solcher 
benetzt und gereinigt. Sie werden unter eine 
Glocke, die man mit Salzsäure oder mit 
Sublimat sorgfältig reinigte, auf gleichfalls 
mit Sublimat, Kupfervitriol, Chlorzink oder ähn¬ 
licher giftiger Substanz (in Lösung) benetztes 
Filtrirpapier gelegt. Dieses und die innen mit¬ 
telst feiner Brause überall gleichmässig be¬ 
netzte Glasglocke erhalten die Luft unter der 
Glocke feucht. Die gewöhnliche Gelatine darf 
behufs Sterilisirung im Dampftopfe nicht über 
5—10 Minuten erhitzt werden, da sie sonst 
beim Erkalten nicht mehr völlig erstarrt. 
Agar-Agar, Carragheen und Cetraria islandica 
erfordern diese Vorsicht nicht. Man kann diese 
Gallerten, ebenso andere Nährflüssigkeiten, 
sodann Blutserum auch dadurch sicher sterili- 
siren, dass man sie nach R. Koch sechs Tage 
hindurch täglich eine Stunde lang auf 58 bis 
60° C. erwärmt, sodann 7—8 Stunden lang 
auf 65—75° C. erhitzt. Serum fängt dann 
eben an zu erstarren und fest zu werden. Sehr 
viele Substanzen, insbesondere sauer reagirende, 
lassen sich auch sicher sterilisiren, wenn man 
sie 3—4 Stunden lang bei 100° C. erhält; so 
Kartoffeln, Rüben, verschiedene Früchte (ohne 
Steinkerne) u. s. w. Um sicher *die Temperatur 
von 100° C. zu erreichen, bedient man sich 
oft eines Kochsalz-, Chlorcalciums- oder Oel- 
bades. Alle sterilisirten Nährsubstanzen müs¬ 
sen vor der Anwendung auf deren Reinheit 


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CULTURMETHODEN NIEDERER PILZE. 


untersucht werden; dies geschieht, indem man 
sie längere Zeit bei 30—35° C. stehen lässt 
Mit Gelatine bereitete Substrate dürfen nur 
auf 20—25° C. erhitzt werden, weil sie sich 
sonst verflüssigen. Agar-Agar und geronnenes 
Blutserum ertragen eine Temperatur von 40 0 C., 
ohne zu erweichen. Am zweckmässigsten hält 
man sich stets einen grösseren Vorrath sterilisir- 
ter Nährsubstanzen. Hielten sich diese Wochen 
hindurch unverändert, so ist man stets ver¬ 
sichert, dass keinerlei Verunreinigungen vor¬ 
gekommen; sie sofort nach vorgenommener 
Sterilisation zu verwenden, ist immerhin ein 
gewagtes und unsicheres Verfahren. Dabei ist 
aber wohl zu beachten, dass vollkommene 
Klarheit nicht immer ein sicheres Zeichen von 
Reinheit der Lösungen ist, denn viele Spalt¬ 
pilze wachsen und vermehren sich, ohne die 
Nährflüssigkeit zu trüben. 

Reinculturen erhält man am ein¬ 
fachsten dadurch, dass bei Ausschluss aller 
fremden Keime die Aussaat mit möglichst 
wenig Zellen, am besten mit einer einzigen 
ausgeführt werde. Verschiedene Methoden 
und Wege können zur Reincultur führen. 

1. Brefeld’s Verdünnungsmethode. 
Man vermischt zu diesem Zwecke eine Flüs¬ 
sigkeit, die Pilzzellen enthält, so lange mit 
reinem Wasser oder auch mit sterilisirter 
Nährstoffflüssigkeit, bis auf einen oder zwei 
Tropfen der so hergestellten Mischung nur 
eine Pilzzelle kommt. Nun ist es leicht, auf 
beliebige Objectträger oder in beliebige Cultur- 
fltissigkeiten nur eine Spore zur Aussaat zu 
bringen. Dieser Methode kann man sich auch 
dann bedienen, wenn in einer Flüssigkeit 
zwei oder mehr verschiedene Arten von Pilz¬ 
zellen Vorkommen. Nägeli z. B. züchtete auf 
diese Weise reine Formen aus faulem Harn, 
welcher Coccen und Stäbchen enthielt, und 
von denen erstere rein gewünscht wurden. Er 
nahm einen Tropfen (ca. 0’03 cm 8 ) faulen 
Harnes, in dem ca. 500.000 Einzelindividuen 
enthalten waren, und vermischte ihn mit 
30 cm 3 Wasser. Aus dieser 1000 fach ver¬ 
dünnten Flüssigkeit wurde, nachdem sie durch 
Schütteln wohl gemischt war, wiederum ein 
Tropfen mit 30 cm 8 Wasser vermischt und 
so eine millionfache Verdünnung hergestellt, 
in welcher jeder zweite Tropfen eine Pilz¬ 
zelle enthalten musste. Bei der Beschickung 
von zehn pilzfreien Gläsern blieben vier ohne 
Vegetation, in einem bildeten sich Stäbchen 
und fünf enthielten die gewünschten Coccen. 

2. Brefeld’s Gelatinecultur. Hiezu 
wird sterilisirte Nährgelatine auf zuvor ge¬ 
glühten oder stark erhitzten Objectträgern 
ausgebreitet. Alsdann taucht man eine steri¬ 
lisirte Nadel-, am besten Platinspitze in die 
geeignet verdünnte (s. oben) spaltpilzhaltige 
Flüssigkeit und ritzt nun damit die Gelatine 
an einer oder einigen Stellen. In der Regel 
werden auf jede Ritzstelle nur ein oder wenige 
Pilzkeime kommen, die sich nun einzeln in 
ihrer charakteristischen Wachsthums weise ver¬ 
folgen lassen. Diese Methode der Cultur in 
festen Medien wurde von R. Koch in erster 
Linie bei seinen Spaltpilzculturen angewendet 


269 

und vervollkommnet. R. Koch verfährt mit 
einigen Modiffcationen fast ebenso, indem er 
sterilisirte Nährgelatine, die in einem mit 
Wattepfropf verschlossenen Reagensglas sich 
befindet, mit der pilzhaltigen Substanz (Eiter, 
Blut, Schleim u. dgl.) mischt. Auf 15 bis 
20 cm 8 Nährgelatine nimmt er dabei, je nach 
der muthmasslichen Menge darin enthaltener 
Pilzkeime, 0*5—1 Tropfen der Pilzsubstanz. 
Das Mischen muss sehr vorsichtig erfolgen. 
Darauf wird von dieser Substanz abermals 
eine geringe Menge (einige Tropfen) ver- 
wendet^. um ein Deues sterilisirtes Glas mit 
Nährgelatine zu inficiren. Nach sorgfältigem 
Mischen kann je nach Bedarf dieselbe Procedur 
abermals wiederholt werden. Ist der gewünschte 
Verdünnungsgrad erreicht, so wird die fest 
erstarrende Gelatine auf desinficirte Glas¬ 
platten ausgegossen. Man bringt sie nun in 
eine feuchte Atmosphäre, am besten unter 
eine Glasglocke, auf Teller oder Glastafeln 
und hält die Luft mittelst benetzten Lösch- 
papieres etc. in der gewöhnlichen Weise feucht. 
Schon am zweiten oder dritten Tage erhält 
man je nach dem Grade der Verdünnung, 
dichtere oder lockerer zerstreute Pilzcolonien, 
jede aus einer Zelle entstanden, die man in 
ihrer Weiterentwicklung in der Regel schon 
mit unbewaffnetem Auge zu verfolgen vermag. 
Leicht wird es jetzt, absolut reine Culturen 
aus diesen Insel-Vegetationen zu erzielen. 
Aehnlich der Brefeld’schen und Koch’schen 
Gelatinecultur, jedoch lange nicht so bewährt 
und sicher verhält es sich mit der jetzt all¬ 
gemein angewendeten Methode der Pilz- 
culturen auf gekochten, nicht mehlig gewor¬ 
denen, sog. speckigen oder Salatkartoffeln. 
Diese werden zunächst äusserlich sorgfältig 
gereinigt, sodann % — 1 Stunde in einhalb- 
bis einpercentiger Sublimatlösung gelegt.Nach- 
dem diese hierauf im Dampftopf sterilisirt 
sind, werden sie mit Vorsicht aufgeschnitten, 
wobei sie nur mit den Fingern der überdies 
mit dünner Sublimatlösung benetzten einen 
Hand berührt werden. Auch das zum Ent¬ 
zweischneiden dienende Messer soll zuvor 
eine Flamme passirt haben. Man legt sie jetzt 
auf mit einer Sublimatlösung (1:1000) be¬ 
feuchtetes Löschpapier unter die Glasglocke 
(s. oben) und nun werden sie ebenfalls mit einer 
frischgeglühten Nadel, die in die betreffenden 
pilzhaltigen Substanzen getaucht worden, an 
diversen Stellen geimpft. Man erhält so 
kleine, erst punktförmige, später sich aus¬ 
breitende Rasen, die gewöhnlich Reinculturen 
für sich darstellen und sich häufig durch 
Färbung, Art der Ausbreitung, verschiedene 
Formbildung, verschiedene Consistenz u. s. w. 
von benachbarten anderen unterscheiden lassen. 
Jedenfalls sind diese Colonien ein sehr geeig¬ 
netes Ausgangsmaterial für Reinculturen. Das¬ 
selbe Resultat wie Kartoffel geben Topinam¬ 
burknollen, Bataten, Aepfel, Birnen u. s. w., 
nur müssen letztere mit einigen Tropfen 
Ammoniakflüssigkeit zuvor neutralisirt werden. 

3. Die Methode der fractionirten 
Cultur von Klebs beruht auf der That- 
sache, dass von zwei oder mehreren Spalt- 



270 


CUM ABIN — CÜMBERLAND-SCHAF. 


pilzen, die sich in einer Nährsabstanz befin¬ 
den, zuletzt gewöhnlich die eine die andere 
oder die anderen mehr oder weniger über¬ 
wuchert, unter Umständen selbst ganz ver¬ 
drängt. Wenn man daher aus einer spaltpilz¬ 
haltigen Flüssigkeit einen Tropfen in eine 
Nährflüssigkeit A bringt, sodann nach einiger 
Zeit von A in die Nährflüssigkeit B u. s. w. 
versetzt, so wird man schliesslich einen der 
ursprünglichen Spaltpilze in Reincultur er¬ 
halten müssen. Durch verschiedene Arten von 
Nährflüssigkeiten wird man auf diese Weise 
die verschiedenen, in der Urflüssigkeit ent¬ 
haltenen Formen in Reinzuchten erhalten 
können. Es ist klar, dass diese Methode um¬ 
ständlicher und unsicherer sein wird als die 
oben angeführten Verdünnungsmethoden. 

Apparate. Will man, was in vielen 
Fällen durchaus wünschenswerth oder er¬ 
forderlich sein kann, einen einzelnen Pilz¬ 
keim von der ersten Entwicklung, d. i. Kei¬ 
mung an direct verfolgen, so benützt man 
hiezu mit Vortheil folgende Apparate: 

4. Die einfache Glasringkammer. 
Sie besteht (Fig. 407) aus einem Object- 



Fig. 407. Einfache Glasringkammer. 

träger, auf dem ein etwa 5—8 mm hoher 
Glascylinder befestigt ist, und welcher sei¬ 
nerseits durch ein Deckgläschen bedeckt 
wird. Auf die Unterseite dieses letzteren 
kann ein einziger Pilzkeim nebst der geeig¬ 
neten Nährlösung gebracht und nun von oben 
direct beobachtet werden. Um Verdunstung 
und damit Austrocknung der Culturen zu ver¬ 
meiden, kann man auf dem Grund der Kam¬ 
mer einige Wassertropfen anbringen. Noch 
besser als diese gewöhnliche Form sind Kam¬ 
mern, die Ab- und Zuleitungsrohr besitzen 
und so eine Zufuhr feuchter Luft gestatten, 
wie es Figur 408 zeigt. 



2. Die Kammer v. Recklinghau¬ 
sen (Fig. 409) besteht aus einer Glaskam¬ 
mer von Deckglasdicke, welche mit Ab- und 
Zuleitungsrohr versehen ist. Diese Kammer 
ist auf der einen Seite flach, auf der anderen 
derartig vertieft, dass in der Mitte Ober- und 
Unterseite sich an einer Stelle fast berühren und 
an dieser nun ein capillarer Tropfen hängen 
bleibt. Man saugt die Kammer voll und 
lässt darauf auslaufen. Nur der capillare 
Tropfen mit einem Keime bleibt schliesslich 


hängen und kann nun von obenher beobachtet 
werden. Diese Kammer reicht jedoch nur aus 





Fig. 409. Kammer von Recklinghausen. 

für grössere Sporen, nicht aber für Spaltpilze, 
da diese kleinen Zellen fortwährend in dem 
Tropfen ihre Lage verändern. Für diese 
Zwecke dient am besten 

3. Die Brefeld’sche Kammer. Die¬ 
selbe unterscheidet sich von voriger dadurch, 
dass sie keinen Capillarraum besitzt. Sie wird 



Fig. 410. Brefeld'sche Kammer. 


ebenfalls von feinstem, dünnstem Deckglas 
hergestellt, ist auf beiden Seiten flach und 
gestattet ein gleichmässiges, höchst feines 
Ueberziehen der Wandungen mit Nährstoff¬ 
lösungen, wobei es schliesslich leicht gelingt, 
einen Keim zu fixiren und ihn beliebig lange 
zu beobachten. Da die Nährstofflösungen in 
höchst dünner Schichte aufgetragen sind, so 
findet ein Hin- und Herbewegen derselben, 
überhaupt ein Schwanken, nicht statt. Um in¬ 
dessen die Culturflüssigkeit möglichst dünn 
und gleichmässig ausbreiten zu können, wer¬ 
den die Kammern erst mit salzsäurehältigem 
Wasser (10%) längere Zeit behandelt, sodann 
mit Alkohol, dann mit Aether und schliess¬ 
lich mit reinem Wasser abgespült, dann erst 
mit der Nährstofflösung, welche im Tropfen 
etwa einen Pilzkeim enthält, beschickt. Harz. 

Cumarin. Ein in den Tonkabohnen. im 
Waldmeister (Asperula odorata), ferner in 
mehreren Wiesenkräutern, so z. B. im 
Honigklee (Melilotus officinalis) und im Ruch¬ 
gras (Anthoxantum odoratum) vorkommendes 
ätherisches Oel, dessen aromatischer Ge¬ 
ruch, namentlich beim Welkwerden der ge¬ 
nannten Pflanzen, hervortritt. Dieser Stoff be¬ 
dingt auch den charakteristischen Geruch des 
Wiesenheues. Nach der Stärke dieses Geruches 
— wie dies von Laien öfters geschieht — die 
Güte eines Wiesenheues beurtheilen zu wollen, 
ist nicht statthaft. Das Ruchgras, welches mei¬ 
stens den Geruch gebenden Bestandteil bildet, 
gehört zu den schlechteren Futtergräsem. Pott. 

Cumberland-Schaf oder Herdwick-Schaf. 
Dasselbe ist wohl mit vollem Rechte zu 
den Bergschafen zu rechnen. Sein Heimats¬ 
bezirk ist die Grafschaft Cumberland im nord¬ 
westlichen Theile Englands an der Grenze 
von Schottland und namentlich das Cumb- 
rische Gebirge. Der eben genannte Verbrei¬ 
tungsbezirk soll seit undenklichen Zeiten 
ein Majorat der Lord Muncaster’sclien Familie 
sein und die Rasse dort seit Menschengedenken 





CUMBERLAND-SCHWEINE. 

sich befinden. Fitziuger gibt eine genaue Be¬ 
schreibung derselben. Danach ist der Kopf 
klein, die Stirne platt, der Nasenrücken fast 
gerade, die Schnauze zugespitzt und stumpf 
abgerundet: die Augen sollen mittelgross und 
lebnaft, die Öhren nicht lang, scharf zusammen¬ 
gerollt und aufrechtstehend sein. Beide Ge¬ 
schlechter sind in der Regel hornlos, nur 
ausnahmsweise kommen Hörner bei den 
Widdern vor, die dann denen des Black- 
faced ähnlich, nur kürzer und dünner sind 
und nur eine einfache Schneckenwindung be¬ 
schreiben. Der Leib soll kurz und schlank 
sein, der Rücken schmal und gerade, die 
Beine sind mässig hoch, dabei dünn, doch 
kräftig, der Schwanz von mittlerer Länge und 
mit kurzer gewellter Wolle besetzt. Der 
Rumpf trägt ein dichtes Vliess von ziemlich 
kurzer, gewellter, weder feiner noch weicher, 
etwas verfilzter Wolle, die oft mit einzelnen 
steiferen Haaren untermischt ist. Kopf und 
Beine bis über Knie und Sprunggelenk hinauf 
sind mit kurzen, glatt anliegenden Haaren 
besetzt; es finden sich oft schwarze Flecken 
auf weissem Grunde, doch sind solche dunkle 
Flecken oft sehr unbedeutend und sparsam 
vorkommend. Das Schurgewicht wird auf 
0*9—1 • 15 kg beziffert; die Ernährungsverhält¬ 
nisse für diese Rasse sind sehr dürftige. Die 
Felsen, welche von denselben bewohnt werden, 
sind zum Theile kahl, zum Theil nur mit 
dünner Erdschichte bedeckt, welche mehr 
thalwärts einige Gräser, höher hinauf nur 
Haidekraut trägt. Dies bildet die kärgliche 
Nahrung. Selbst im Winter, den sie auch bei 
Sturm und tiefem Schnee im Freien zubringen, 
erhalten sie kein Beifutter. Der rauhen Ge¬ 
birgsgegend wegen findet die Lammzeit erst 
im Monate April und noch später statt; die 
Lämmer sollen schon mit starkem Wollpelze 
versehen geboren werden. Die Mutterschafe 
werden so lange zur Zucht angehalten, als 
sie nur ein Lamm bringen können: so kommt 
es vor, dass dieselben erst in einem Alter 
von 10—15 Jahren auf die Schlachtbank kom¬ 
men. Bockzucht wird nur für den eigenen Bedarf 
getrieben; die Hammel werden in einem Alter 
von 4% Jahren ungemästet an den Schlächter 
verkauft. Das Gewicht eines solchen, aus¬ 
geschlachtet, ist nach abgezogenem Felle 16*5 
bis 80 kg, das eines Mutterschafes 11—14 *5 kg. 
In der ganzen Gegend ist diese Rasse ihrer 
harten festen Constitution wegen sehr ge¬ 
schätzt. Bohm. 

Cumberland-Schweine. Die in der eng¬ 
lischen Grafschaft Cumberland gezüchteten 
Schweine gehören grösstentheils zu den mittel- 
grossen, frühreifen Rassen (Breeds) von Gross- 
britannien, welche sich fast alle durch eine 
vortreffliche Mastfähigkeit und gute Fleisch - 
qualität auszeichnen. Früher rühmte man be¬ 
sonders die in den Berglandschaften von Cum¬ 
berland aufgezogenen Schweine als sehr durabel 
und behauptete, dass sie besser als die an¬ 
deren Rassen von Nord-England die Unbilden 
des Wetters auszuhalten vermöchten; sie wären 
zum Austrieb auf entfernte Bergweiden ge¬ 
eignet, zeigten sich daselbst sehr genügsam 


— CUMULATIVE WIRKUNG. 271 

und seien Allesfresser in des Wortes vollster 
Bedeutung. Die Engländer nannten sie „huge 
feeders“ und rühmten nebenbei die erstaunlich 
grosse Fruchtbarkeit dieser Zucht. Nach neueren 
Berichten (aus England) ist die alte Cumber- 
land-Breed kaum noch zu finden; sie hat den 
modernen veredelten Zuchten (mit grösserer 
Frühreife) Platz machen müssen, und nur ver¬ 
einzelt in abgelegenen Dorfschaften züchten 
die Kleinbauern die alte Rasse fort. Freytag . 

Cuminum Cymium, Mutterkümmel, Römi¬ 
scher oder Kreuzkümmel, einheimisch am obe¬ 
ren Nil, jetzt überall im südlichen Europa 
angepflanzt und im Handel; Umbellifere L. 
V. 2. Zum Unterschied von unserem Kümmel 
(s. Carum Carvi) sind die länglichen Samen, 
d. h. die Früchte, 

Fructus Cumini (nicht officinell), von 
beiden Seiten etwas zusamraengedrückt und 
meist in den Pericarpien nicht zerfallen; diese 
sind braun mit grünlichgelben Rippen, u. zw. 
mit fünf dünnen Haupt- und vier breiten Neben¬ 
rippen versehen und mit abgebrochenen Börst- 
chen besetzt, daher rauh. Wirksam ist das 
nicht eben angenehm riechende aromatische 
Oel (3%), das wesentlich ein Gemenge von 
Cuminol und Cymol ist und ganz dieselben 
Wirkungen besitzt wie das Carvol und Carven 
des einheimischen Kümmels; die Thierärzte 
verschreiben das Mittel nicht, es wird viel¬ 
mehr nur als Volksmittel, hauptsächlich von 
den Landleuten für sich und ihre Thiere ge¬ 
braucht (Haferküramel). Vogel. 

Cumming studirte Thierheilkunde in 
Edinburgh und war Thierarzt zu Neubraun¬ 
schweig in Nordamerika, schrieb 1854 über 
Hufbeschlag und über Bleivergiftung. Sr. 

Cumulative Wirkung. Durch längeren Ge¬ 
brauch von Arzneimitteln wird nicht selten 
dem Organismus die Fähigkeit entzogen, auf 
die Einwirkung derselben zu reagiren, es tritt 
daher eine gewisse Abstumpfung der Empfind¬ 
lichkeit, eine Toleranz gegen das Mittel 
ein, so dass dessen Gaben immer mehr ge¬ 
steigert werden müssen, und es kann dahin 
kommen, dass Thiere schliesslich durch Dosen 
stark wirkender Arzneistoffe kaum afficirt, 
während andere, daran nicht gewohnte, ge- 
tödtet werden. Dem Therapeuten kann diese 
Toleranz eine grosse Plage werden, wenn er 
längere Zeit solche Medicamente zu reichen 
gezwungen ist; man hilft sich dann am besten 
dadurch, dass man längere arzneifreie Zwi¬ 
schenräume interponirt oder mit analogen 
Mitteln eine passende Abwechslung trifft (z.B. 
statt Arsenik Spiessglanz verschreibt); vor¬ 
zugsweise schwächen sich die narkotischen 
Mittel ab, Alkohol, Tabak, Opium, Atropin 
und Kaffein und ist dasselbe in neuester Zeit 
auch beim Curare, Physostigmin und der 
Carbolsäure beobachtet worden, auch gibt es 
namentlich unter den verschiedenen Thier¬ 
gattungen gewisse Idiosynkrasien und selbst 
Immunitäten, die sich nicht weiter erklären 
lassen. So ist bekannt und jetzt auch nach¬ 
gewiesen, dass Kaninchen, Meerschweine, 
Ratten, Tauben grosse selbst für den Men¬ 
schen tödtliche Gaben von Belladonna unge- 


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373 CUMULUS. — CUPRUM SULFURICUM. 


straft zu sich nehmen kennen, und ist dasselbe 
der Fall für Tauben gegen Morphin, Hühner 
gegen Strychnin und Cantharidin, für Pferde 
gegen Arsen; dagegen sind eminent empfind¬ 
lich: Schweine gegen Pfeffer, Ziegen gegen 
Digitalis, Papageien und Mäuse gegen Peter¬ 
silie, junge Hunde gegen Hollunderbeeren, 
Fliegen gegen Quassia u. s. w. Indessen gibt 
es auch Arzneimittel, bei denen eine Gewöh¬ 
nung nicht stattfindet, sondern im Gegentheil 
nach längerem Fortgebrauche selbst kleinerer 
Gaben kommt plötzlich ein stärkerer, selbst 
toxischer Effect zum Durchbruch, so dass sich 
gleichsam die Wirkung der Einzeldosen sum- 
rairt, anhäuft, was als cumulative Wirkung 
bezeichnet und besonders bei der Digitalis 
beobachtet wird, ebenso beim Quecksilber. 
Man reicht daher von solchen Mitteln nur 
wenige Gaben, auch diese nur auf einen, 
höchstens zwei Tage und setzt dann auf 
4—5 Tage aus. Vogel. 

Cumulus (von cumulare, häufen) der 
Hügel. — C. ovigerus, der Keimhügel. 

Cupriacetat, s. Cuprum aceticum. 

Cuprum aceticum kommt in zwei Ver¬ 
bindungen vor, als 

BasischesKupferacetat, der gewöhn¬ 
liche Grünspan, Aerugo (s. d.), Viridis aeris, 
Cuprum subaceticum, basisches Cupriacetat, 
Subacetas Cupri (Ph. A.) und als 

Neutrales Kupferacetat, krystalli- 
sirter Grünspan, Cuprum aceticum, Aerugo 
crystallisata (Flores viridis aeris) mit seinen 
dunkelgrünen glänzenden Säulen; der echte 
Grünspan ist Kupferrost, der sich bei Ein¬ 
wirkung von Luft und Wasser auf Kupfer 
bildet; er ist grünes basisches Cupricarbonat, 
Cupruin subcarbonicum (liydrocarbonicum), 
kohlensaures Kupferoxyd oder Kupfergrün. 
Beide Kupferacetate finden keine Anwendung 
mehr, denn die physiologische Wirkung ist die 
des schwofeisauren Kupfers; früher wurde es 
thierärztlich als Aetzmittel gebraucht (wegen 
der grossen Affinität zu Eiweiss), und was die 
Grünspanvergiftung betrifft, so findet sich die 
Kupferintoxication in dem Artikel über Cu¬ 
prum sulfuricum. 

Unguentum aegyptiacum, Aegyptiac- 
salbe, eine Verbindung von 1 Grünspan mit 
1 Essig und 2 Honig (Tabourin, Delafond) 
zu einerdicklichen Flüssigkeit, der Name Salbe 
ist daher falsch, richtiger Linimentum Aeru- 
ginis, Grünspan-Sauerhonig, Oxymel Aeru- 
ginis. Man gebrauchte früher das Mittel 
häufiger als austrocknendes Constringens bei 
Luxuriationen, profusen Eiterungen besonders 
in den Hufen, bei Klauengeschwüren, Fisteln, 
insbesondere aber auch der eiweisscoaguliren- 
den Wirkungen wegen bei Gelenkswunden: 
jetzt ist zum Glück das mehr als 1000 Jahre 
alte Mittel antiquirt oder fast nur mehr von 
Kutschern gebraucht. Es trägt den Stempel 
der Empirie schon an der Stirne, denn der 
grösste Theil des Acetates zersetzt sich alsbald 
und gehen auch während der Aufbewahrung 
noch weitere Zersetzungen durch den Honig 
vor. Die heutige Wundbehandlung weist ganz 


andere und viel wirksamere Stoffe auf, und 
was Gelenksverletzungen betrifft, so geht die 
Heilung am besten durch Antiseptik und 
Drainage des Gelenkes vor sich, nicht aber 
durch bestimmte und veraltete Arzneimittel. VI. 

Cuprum aluminatum, Kupferalaun, dar¬ 
gestellt durch Zusammenschmelzen von je 
16 Kupfervitriol, Salpeter und Alaun mit 
1 Kampher, eine grünliche Masse, die auch 
in Stiftform wie der Höllenstein gegossen 
werden kann. Das Mittel war früher bei ent¬ 
zündlichen Affectionen des Auges, Hornhaut¬ 
geschwüren und Flecken ein ausserordentlich 
geschätztes (es hiess deswegen auch Götter- 
stein, Lapis divinus, Lapis ophthalmicus, 
Augenstein, Heiligenstein), nachdem es jedoch 
örtlich durchaus keine andere Wirkung erzielt 
als die leicht ätzende und adstringirende des 
Kupfersulfates, so zieht man jetzt allgemein 
das einfache und in seinem chemischen Be¬ 
stände auch zuverlässigere Cuprum sulfuricum 
vor. Anwendung in Substanz oder in Lösung 
zu 10% auf Wunden, in das Auge zu 0*01 
bis 1 auf 10 destillirtes Wasser. Vogel. 

Cuprum subaceticum, basisch-essigsaures 
Kupferoxyd, der gewöhnliche Grünspan, s. 
Aerugo und Cuprum aceticum. Vogel. 

Cuprum 8UlfuriGum,8chwefelsaures Kupfer¬ 
oxyd, Kupfervitriol, Vitriolum Cupri, Kupfer¬ 
sulfat oder Cuprisulfat (zum Unterschied von 
schwefelsaurem Kupferoxydul oder Cupro- 
sulfat); blauer Vitriol, Vitriolum coeruleum, 
blauer Galitzenstein, Cyprischer Vitriol (Sulfas 
Cupri crystallisatus, Ph. A.). 

Aeusserlich wird von allen Kupfer¬ 
präparaten der Vitriol nur allein mehr an- 
gewendet, u. zw. roh als Cuprum sulfuricum 
crudum. Durch seine Verbindung mit den Al- 
buminatender Secrete und Gewebe wirkt es ad- 
stringirend, austrocknend, secretionsbeschrän- 
kend, denn auch die Gefässe werden etvras 
contrahirt, wie beim Zinkvitriol und Bleiacetat, 
jedoch nicht so kräftig als beim Höllenstein, 
es lässt sich daher auch als entzündungs¬ 
widriges Mittel wie die genannten verwenden, 
hauptsächlich aber bei Conjunctiviten, wenn 
auch nur aus dem Grunde, weil es sich 
leichter in Krystallform darstellen lässt und 
so eine scharf örtlich umschriebene Application 
gestattet; erst bei längerem Touchiren oder in 
concentrirter Gabe coagulirt es so viel Eiweiss, 
dass eine Aetzung zu Stande kommt, es ist 
diese aber erheblicher als beim Zink und 
Blei; ebenso kann den Vitriolen eine leichte 
desinficirende Kraft nicht abgesprochen werden, 
doch wird die Bacterienentwicklung erst ge¬ 
stört bei 1:130. Zu Augenwässern benützt 
man Lösungen von 1:100—200 mit oder 
ohne Opiumtinctur; zu adstringirendem Wund- 
verbande sind die Lösungen meist 5%ig, zu 
kaustischen Zwecken 10 °/ 0 ig oder concentrirt, 
und sind diese noch stärker, wenn statt Wasser 
Essig genommen wird. In Substanz oder Solu¬ 
tionen dient das Mittel vornehmlich gegen 
üppige Granulationen, reichliche Eiterung. 
Kronentritt, Geschwüre, gegen Fisteln und 
Caries, diphtheritisch-croupöse Conjunctivitis 


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OUR. 173 


des Geflügels (Gregarinen), Aphthenseuche 
(3%), Strahlkrebs (1 : 2*—3 mit Theer), Horn¬ 
spalten XL. 8 . w. 

Innerlich erweisen sich kleine Gaben 
ebenfalls adstringirend, styptisch, ähnlich dem 
Blei appetitraubend und verstopfend, wenn 
sie länger fortgegeben werden; grössere Gaben 
erregen schon Ekel, Erbrechen und selbst 
Durchfall. Grosse Gaben (Hunde 1—3 g, Ziegen 
5—10 g, Pferde30—50 g) tödten durch Gastro¬ 
enteritis, auch steht der Resorption nichts 
im Wege, falls nicht erbrochen wird, es 
kommen daher bald Allgemeinerscheinungen, 
welche besonders von der Muskulatur und dem 
Herz ausgehen, indem die Muskelreizbarkeit 
geschwächt und schliesslich aufgehoben wird, 
die Sensibilität des Nervensystems aber bis 
zum Herztod fortdauert. Bei subcutaner An¬ 
wendung sterben Hunde und Kaninchen schon 
bei 0'5, bei intravenösen Einspritzungen gar 
schon auf 0*01—0*025, und ist dabei auf¬ 
fallend, dass die Wirkung erst nach mehreren | 
Stunden eintritt, ein Beweis, dass das Metall 
ungewöhnlich lange im Blute (als Kupfer- 
albuminat) zurückbleibt; ferner ist leicht die 
Bemerkung zu machen, dass die Wiederkäuer 
(wie beim Blei und Quecksilber) empfindlicher 
gegen Kupfer sind als Pferde, ebenso das 
Geflügel. Trotzdem ist nicht abzusehen, welchen 
Nutzen das Mittel in Krankheiten gewähren 
soll, denn die adstringirenden Effecte erzielt 
man mit anderen ungiftigen Stoffen ebenso 
sicher, man macht daher von ihm gegenwärtig 
keinen innerlichen Gebrauch mehr, nur bei 
den Omnivoren benützt man seine Eigentüm¬ 
lichkeit, die peripherischen Magennerven in 
der Art zu reizen, dass mit grosser Sicherheit 
Erbrechen eintritt und die Thiere nicht so 
stark mitgenommen werden, als z. B. durch 
den BrechWeinstein. Als Emeticum gibt man 
Schweinen 1*0—2*0 in lauem Wasser auf 
einmal, Hunden die Hälfte, selten ist eine 
zweite Gabe nöthig, Apomorphin aber vor¬ 
zuziehen, wenn die Verdauung nicht geregelt 
ist oder vorher schon Durchfall oder Neigung 
dazu besteht. Aetzungen des Magens sind 
der sicheren emetischen Wirkung wegen auch 
bei grösseren Gaben nicht zu befürchten, das 
Mittel wird daher auch neben dem Apo¬ 
morphin sicher seinen Platz behaupten. Als 
Gegenmittel bei acuten Vergiftungen mit 
Grünspan oder blauem Vitriol empfiehlt sich 
Eisen. Schwefel. Magnesia usta, in Nothfallen 
viel Zucker oder Milch, Eiweiss; in neuerer 
Zeit hat man auch gefunden, dass Kupfer¬ 
vitriolnichtunwirksam ist gegen Intoxicationen 
des Phosphors. Endlich kommen auch chro¬ 
nische Kupfervergiftungen bei Thieren vor, 
und kennt man die Erscheinungen jetzt ge¬ 
nauer, nachdem Ellenberger und Hofmeister 
sehr dankenswerthe Versuche bei Schafen an¬ 
gestellt haben. Bei längerer Einwirkung Yon 
Kupfersalzen (zu 0*5—3*0) zeigte sich, dass 
diese noch wochenlang nach dem Aussetzen 
der Gaben im Kothe, in der Leber, den 
Nieren und Muskeln nachweisbar sind, die 
Ausscheidung aber hauptsächlich durch die 
Galle, weniger durch den Harn geschieht, 

Koch. Encyklopadie d. Thierheilkd. II. Bd. 


wie denn überhaupt die Leber als Hauptdepot 
des Kupfers anzusehen ist; ausserdem erhält 
sie (wie der Darm auch) immer wieder durch 
Resorption das schon einmal ausgeschiedene 
Kupfer wieder, charakteristisch sind daher 
die fortwährenden Nach Vergiftungen, trotzdem 
keine Gaben mehr gegeben werden. Aehnlich, 
doch in geringerem Masse, verhält sich dies 
in den Muskeln, bei schlachtbaren Thieren 
ist jedoch Vorsicht nothwendig, da der Mensch 
ziemlich empfindlich für das Metall ist. 
Ausserdem gehören zu den Erscheinungen der 
chronischen Vergiftung (Cuprismus): Albu¬ 
minurie, Gelbsucht und schliesslich selbst 
Hämoglobinämie und Blutharnen; hiezu kommt 
noch grosse Muskelschwäche, Verstopfung, 
Abmagerung und mangelhaftes Wiederkauen, 
während das Nervensystem ziemlich intact 
bleibt. Der Tod erfolgt unter Diarrhöe (dunkler 
Mist, Cu S) und Krämpfen durch Herz¬ 
paralyse. 

Liquor Villatii, Villat’sche Flüssig¬ 
keit, besteht nach Mariage in einer Lösung 
von 1 Kupfer , 1 Zinkvitriol, 2 Bleiessig in 
16 Hausessig. Der zwar chemisch unrichtigen 
Mischung (schwefelsaures Bleioxyd ist unlös¬ 
lich) kann eine stark adstringirende, selbst 
leicht corrodirende Wirkung nicht abge¬ 
sprochen werden, sie ist daher bei oben ge¬ 
nannten Zuständen, besonders Huf- und 
Klauenleiden. Fisteln u. s. w., beliebt geworden, 
und konnten Resorptionswirkungen bei Thieren 
bis jetzt nicht beobachtet werden. Die franzö¬ 
sischen Veterinäre benützen den Liquor auch 
gegen Gallen (ebenso die Kupferacetatsalbe 
\ : 4 Fett mit etwas Honig). Vogel. 

Cir, Cura, s. Curatio (von cor, Herz; 
curare, besorgen), ist die Sorge für die Hei¬ 
lung der Krankheiten. Das Studium der 
Veterinärmedicin läuft in seinen Consequenzen 
nur darauf hinaus, der Entstehung von Thier¬ 
krankheiten vorzubeugen, oder, wenn sie vor¬ 
handen, sie möglichst schnell zu heilen. Die 
Heilung der Krankheiten setzt eine genaue 
Kenntniss des thierischen Organismus in 
seinem naturgemässen, gesunden Zustande 
und aller derjenigen Umstände voraus, 
welche in gegebenen Fällen durch ihre 
Einwirkung die Rückkehr zur Norm be¬ 
wirken. Diese Umstände werden derart zu 
Heilmitteln, die Aerzte zu Heilkünstlern oder 
Therapeuten (von ^spantouv, heilen, be¬ 
dienen). JUs Heilmittel können alle Aussen- 
dinge verwendet werden, die erfahrungs- 
gemäss die Ursachen der abnormen Function 
der Organe beseitigen. Im Laufe der Zeiten 
hat man, je nach den herrschenden Ansichten 
über Wesen und Entstehung der Krankheiten, 
auf sehr verschiedene Weisen curirt. Viele 
glaubten ihren Zweck am besten mit Wasser 
und Kälte, Andere mit Reizmitteln, Elektri- 
cität, Magnetismus, trockener Diät, metalli¬ 
schen oder vegetabilischen Präparaten u.dgl. m. 
zu erreichen, wogegen sich nichts einwenden 
lässt, so lange man nicht gegen die Princi- 
pien der Wissenschaft und Erfahrung ver- 
stösst; alsdann ist das Heilverfahren ein ver- 
nunftgemässes., rationelles, im Gegensatz zu 

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*7* CURARE. 


dem roh empirischen, pfuscherraässigen. Der 
Pfuscher oder Quacksalber gründet seine Heil¬ 
methode nur auf oberflächliche Erfahrung, er 
ist sich des Zweckes seines Handelns nie be¬ 
wusst. er arbeitet allein nach der Schablone. 
In der neuesten Zeit ist es mit Hilfe der 
Chemie und der vervollkommnten optischen 
Instrumente gelungen, die feineren anatomi¬ 
schen Veränderungen in den erkrankten Orga¬ 
nen zu beobachten, die Krankheitsursachen 
zuverlässig zu ergründen und das wirksame 
Priucip vieler Pflanzen zu isoliren. Hiedurch 
hat die Cur eine sichere Basis, die Behand¬ 
lungsmethode eine zweckmässige Verein¬ 
fachung gewonnen. Während man früher ellen¬ 
lange Recepte nach dem Grundsätze zusam¬ 
menstellte: „Viel hilft viel“, gibt man jetzt 
als Medicamente die einfachsten Pflanzenbe- 
standtheile mit viel präciseren Erfolgen. Als 
ein weiterer Fortschritt in der Therapie ist 
die subcutane Injection der gelösten Arznei 
anzusehen. Die Wirkung ist hier eine zu¬ 
verlässige und schnelle, auch vermeidet man 
bei ihr die Unannehmlichkeiten des Arznei¬ 
gebens per os bei widerspenstigen, bösartigen 
Thieren. Ebenso verspricht die Einimpfung 
der abgeschwächten Infectionsstoffe auf die 
dafür empfänglichen Thiere der Vorbauungs- 
cur oder der Prophylaxis die besten Dienste 
zu leisten. Der Therapeut hat stets die 
Radicalcur anzustreben, er muss darauf 
bedacht sein, dem Leiden die zuführenden 
Lebenswurzeln abzuschneiden, um dasselbe 
gründlich zu beseitigen. Da die nächsten 
Krankheitsursachen nicht immer sofort zu 
eruiren sind, so muss sich der Arzt öfter mit 
der symptomatischen, abwartenden oder Ex- 
spectatiycur begnügen, indem er die gefahr¬ 
drohendsten Krankheitsvorgänge bekämpft und 
den weiteren Krankheitsverlauf abwartet. Be¬ 
kämpfung der Fieberhitze, grosser Schmerzen, 
Förderung der Krisen etc. können lebens¬ 
rettend wirken. Man spricht deshalb von 
Heilanzeigen oder Indicationen, die zu 
erfüllen sind, wenn Heilung erfolgen soll. 
Gefahrlose oder typisch verlaufende Krank¬ 
heiten heilen öfter ohne Zuthun der Kunst, 
weil jedes Organ die Bedingungen zur Wieder¬ 
genesung in sich trägt, die Irritabilität durch 
gewisse fremdartige Dinge in ihm schliess¬ 
lich erlischt, die gesetzten Krankheitspro- 
ducte häufig selbst die Heilung fördern oder 
doch im allgemeinen Stoffwechsel nieder ein¬ 
geschmolzen werden. Vorurtheile von Seiten 
des Publicum8, das alles Heil nur im Medi- 
ciniren sucht, können den Arzt bewegen, zur 
sog. Scheincur überzugehen, indem er Medi¬ 
camente verabreichen lässt, welche sich zum 
Organismus ziemlich indifferent verhalten. 
Die lebensverlängernde Cur wird der 
Veterinär nur dann zur Anwendung bringen, 
wenn dem Thierbesitzer an der zeitweiligen 
Erhaltung eines Lieblingsthieres viel gelegen 
ist. Anderenfalls hat der Veterinär-Therapeut 
darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Cur- 
kosten den reellen Werth des Patienten nicht 
übersteigen, er wird dann zum Schlachtmesser 
greifen, das auch am Platze ist, wenn der 


Patient durch die Folgen der Krankheit 
seine Arbeits- oder Nutzfähigkeit verlieren 
sollte. Anacker. 

Clirare (Warara, Urari, Woorali) ist das 
aus verschiedenen Cocculus- oder Paullinia- 
arten, wahrscheinlicher jedoch aus dem Saft 
verschiedener Strychnosspecies gewonnene 
Pfeilgift der Südamerikaner (am Orinoko. 
Rio negro, Araazonenstrom), Venenum Ameri- 
canum, das jedoch bezüglich seiner Giftig¬ 
keit sehr differirt und daher erst an Fröschen 
geprüft werden soll, denn auch die Bereitungs¬ 
weise der braunen, harzartigen Masse hat 
Einfluss auf die Intensität des wirksamen 
Alkaloids Curarin (4%), das ausserdem häufig 
unrein in den Handel kommt (s. d.). 

Charakteristisch für die Wirkung des 
Curarepfeilgiftes ist, dass es schon auf minime 
Mengen bei Kalt- wie Warmblütern eine 
Lähmung der Muskelendigungen des moto¬ 
rischen Nervensystems erzeugt, wobei merk¬ 
würdigerweise die Muskelsubstanz selbst reiz¬ 
bar bleibt; mit ihm theilen nur noch wenige 
Mittel diese höchst ausgesprochene Action, 
u. zw. das Coniin des Schierlings (s. d.), das 
Conydrin, das Cynoglossin (s. Cynoglossum), 
mehrere Boragineen, das Cotamin des Opiums, 
sowie die Alkylderivate vieler Alkaloide 
(Methylstrychnin, Methylatropin, Methylchinin. 
Methylnicotin u. s. w.). Bei den Kaltblütern 
tritt die Wirkung nur langsam ein, ebenso 
je niederer überhaupt das Thiergenus steht; 
schon Gaben von 0*005—0*010 mg, also 
0*000005 g Curarin machen Frösche voll¬ 
ständig bewegungslos, wobei jedoch das Herz 
kräftig* weiterschlägt, und können dieselben 
3 —10 Tage in dieser Wirkung verharren, bis 
nach erfolgtem Uebergang des Curarins in 
den Harn Erholung eintritt. Bei den Haus- 
thieren ist dasselbe der Fall, sie fallen um, 
verlieren jede Herrschaft über ihre Skelet¬ 
muskeln, können sich auch nicht mehr rühren, 
wenn ihnen heftige Schmerzen zugefügt wer¬ 
den, denn die Empfindung, das Bewusst¬ 
sein, sowie selbst die Stämme der motorischen 
Nerven und das Gehirn sammt dem Rücken¬ 
mark sind nicht getroffen worden und das Herz 
erzeugt in dem ebenfalls wenig beeinflussten 
Gefasssystem einen nahezu normalen Blut¬ 
druck. Sonderbarerweise leiden selbst bei 
toxischen Gaben die sensiblen Nerven mit 
ihren peripheren Enden in keiner Weise noth, 
und in der vasomotorischen Sphäre tritt erst 
Lähmung ein, wenn die quergestreiften Muskel¬ 
fasern längst total paralysirt sind; gehen 
dann die Thiere zu Grunde, so geschieht dies 
lediglich dadurch, dass die zur Respiration 
nöthigen Brustmuskeln gelähmt werden, die 
Athmungsbewegungen daher wegfallen, der 
Tod ist somit ein reiner Erstickungstod und 
kann durch künstliche Respiration hintan- 
gehalten werden. Endlich kommt noch eine 
weitere Singularität hinzu, nämlich selbst 
hohe Gaben sind unschädlich, wenn sie dem 
Magen überantwortet werden, denn dieser 
resorbirt das Gift so schwierig, dass immer 
nur kleinste Mengen im Blute ankommen, 
von wo sie ausserdem ungemein rasch in den 


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CURARIN. — CURÜMBAR-SCHAF. *75 


Harn überfiltriren, die Aufsaugung kann also 
mit der Elimination nicht Schritt halten, und so 
kommt es, dass es sich stets blos um subcutane 
Anwendung dieses Giftes handeln kann und 
man eine vergiftete Wunde ohne Nachtheil mit 
dem Munde aufsaugen darf. Wie Strychnin die 
quergestreiften Muskeln krampfhaft contrahirt, 
legt Curare dieselben lahm, nichts lag daher 
n&ier, als das Mittel gegen die Wuth, gegen 
Strychninvergiftungen und solche Krankheiten 
anzuwenden, bei denenTetanus die wesentlichste 
Erscheinung ist; indessen sind diese Hoff¬ 
nungen arg getäuscht worden, denn zur Er¬ 
zielung eines sicheren Erfolges gehören 
viel zu grosse und deswegen gefährliche 
Curaredosen, auch lässt sich künstliche Re¬ 
spiration praktisch nicht ausführen. Nachdem 
nun aber das Pfeilgift keine andere Wirkung 
hat, als eben auf die motorischen Nervenenden, 
so kann auch vorerst ein therapeutischer Ge¬ 
brauch von ihm nicht gemacht werden. Meine 
schon 1878 gemachten Versuche bei Starr¬ 
krampf des Pferdes (mit 0*05—0*08 subcutan, 
die bis zu 0 5 und 0*6 gesteigert wurden) 
hatten trotz des vortrefflichen Präparates 
keinen Erfolg, ebensowenig als jene anderer 
Experimentatoren, es traten dabei wohl 
sphygmische Muskelbewegungen, selbst Er¬ 
schlaffung einzelner Muskelgruppen ein, aber 
kein Einfluss auf den Starrkrampf selbst. Bei 
Hunden beginnt man mit 0*02—0*05 pro dosi 
Curare (Curarin ist zu theuer und kaum zu 
bekommen, fällt daher weg) und steigt vor¬ 
sichtig, bis die ersten Erschlaffungs-, d. h. 
Lähmungserscheinungen zum Vorschein kom¬ 
men; eine genaue Dose ist unmöglich anzu¬ 
geben, auch erfolgt bei der leichten Aus¬ 
scheidung keine cumulative Wirkung, und 
schwere Zufälle erfolgen bei Hunden erst 
nach einigen Decigrammen. Die Auflösung 
des Mittels geschieht in Wasser, dem man der 
Zersetzlichkeit des Curarins wegen 1 Tropfen 
Salzsäure beigibt. Vogel. 

Curarin. Eine in dem Pfeilgift der Indianer 
Nord-Brasiliens — welches sie durch Ein¬ 
kochen des Saftes verschiedener Strychnos- 
arten darstellen — aufgefundene basische 
giftige Substanz, deren Reindarstellung in kry- 
stallisirter Form Preyer im Jahre 1865 ge¬ 
lungen ist. Das Curarin ist in dem Pfeilgift 
zu 3—4% enthalten, schmeckt sehr bitter, 
löst sich in Alkohol, nicht in Aether, wird an 
der Luft braun und schmierig. Es wirkt vom 
Magen aus sehr schwach, hingegen in eine 
Hautwunde gelangt oder durch Injection in 
die Venen sehr rasch durch Lähmung der 
motorischen Nerven, so dass bei vollem Be¬ 
wusstsein alle willkürlichen Bewegungen un¬ 
möglich werden. Loebisch . 

Curcuma longa, lange Kurkume Süd¬ 
asiens (Zingiberacee, L. I. 1.), deren nach 
Ingwer riechende Wurzel (Rhizoma oder Radix 
Curcumae, Gilbwurzel) einen intensiv gelb¬ 
färbenden Stoff, das Curcumin oder Curcuma¬ 
gelb enthält, welcher nur zum Färben von 
Pflastern, Salben, Liqueuren, Käse u. s. w. 
dient. Das 

Curcumapapier färbt sich durch Al¬ 


kalien braunroth, welche Färbung beim 
Trocknen in Violett übergeht und durch 
Säuren wieder in Gelb zurückgeführt wird, 
es dient daher wie Lackmus als Reagens- 
papier. Vogel. 

Curcumin, C 10 H lo 0„ ein in der Wurzel von 
Curcuma longa, zur Familie der Zingiberaceen 
gehörig, vorkommender Farbstoff. Aus der ent¬ 
fetteten Wurzel durch Alkohol ausgezogen, 
bildet das Curcumin gelbe, blau schillernde 
Krystalle, riecht vanilleartig, löst sich in 
Alkohol und Aether und gibt mit Alkalien 
rothe Lösungen. Mit Curcuminlösung gefärbtes 
Papier (Curcumapapier) wird durch Alkalien 
braunroth, durch Säuren wieder gelb gefärbt. 
Curcumin wird als nicht giftiger Farbstoff 
zum Färben von Conditorwaaren benützt, über¬ 
dies auch in der Zeugfarberei. Loebisch. 

Cureghem-Bruxelie8, Veterinärschule, ge¬ 
gründet 1833, repräsentirt mit ihren reich¬ 
haltigen Sammlungen und dem Gebäude- 
complex einen Werth von 250 Millionen Francs. 
An dieser Schule wirkten: Brogniez, Delwart, 
Thiernesse, Verheyen,Defays, Husson, Devache, 
Gerard. (Gegenwärtig: Wehenckel, Laho, De- 
give, Lorge, Dessart, Gille, Melsens.) Sr. 

Curohund. Mit diesem Namen werden 
grosse, kräftige Windhundformen bezeichnet, 
welche hauptsächlich zur Jagd auf grössere 
Thiere verwendet werden. Man unterscheidet 
einen leichten, einen schweren und einen 
langhaarigen Curshund. Der leichte Curshund, 
auch curländischer Hund, da er in Curland, 
auch in Schweden und Norwegen häufig ge¬ 
züchtet wird, hat nach Fitzinger ungefähr 
die Gestalt und Grösse des grossen dänischen 
Hundes, nur ist der Kopf länger und mehr 
flachgedrückt, die Stirn beinahe völlig fla?h, 
die Schnauze länger und schmäler. Die Ohren 
sind kürzer und schmäler und mehr aufrecht¬ 
stehend, der Hals länger und dünner, der Leib 
schlanker. Die Beine höher, schlanker und 
minder kräftig, die Behaarung kürzer und 
feiner. Färbung wie beim dänischen Hund. 
Der schwere Curshund zeichnet sich vor dem 
leichten durch den schwereren Körperbau aus, 
auch ist der Kopf grösser, kürzer und höher, 
die Stirne gewölbt, die Schnauze kürzer, 
breiter, höher und stumpfer. Die Lippen etwas, 
hängend, die Ohren breiter, der Leib weniger 
gestreckt, die Brust breiter, die Beine niederer 
und stärker. Der langhaarige Curshund gleicht 
dem leichten Curshund, nur sind die Ohren 
vollkommen hängend. Das Haar ist lang, 
zottig-gewellt und weich, nur im Gesicht 
kurz und glatt anliegend. Studer. 

Curumbar-Schaf. Es gehört zu den kurz« 
schwänzigen Schafen. Nach Buchanan gibt 
v. Nathusius im zweiten Theil seiner „Schaf- 
zucht u folgende Beschreibung: Schwach ge¬ 
hörnt, mit kurzen Ohren, grober, krauser 
Wolle, welche mit wenig Haaren untermischt 
ist Weiss mit schwarzen Köpfen. Schinz in 
seiner Monographie der Säugethiere gibt aller¬ 
dings eine andere Beschreibung, doch hat 
derselbe solches mit dem Shaymbliar-Schafe 
(s. d.) verwechselt. Bohm. 


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18* 



*7« CUSCUTA. — CUTICUL ABBILDUNGEN. 


Cutouta Flachsseide, Gattung aus der 
Familie der Convolvulaceae, enthaltend ein¬ 
jährige oder perennirende schmarotzende blatt¬ 
lose Kr&uter mit dünnen fadenförmigen 
Stengeln. Die kleinen fast kugeligen Blüthen 
bilden seitenständige Büschel oder Köpfchen. 
Kelch von gleicher Farbe wie die Blumenkrone, 
tief, 4—Stheilig. Blumenkrone mit weiter Röhre 
und vier bis fünf gewöhnlich abstehenden Zipfeln 
und ebensovielen kleinen Schuppen innerhalb 
der Röhre. Staubgefässe vier bis fünf, Kapsel 
kugelig, mit vier Samen in zwei Fächern. 
Die Samen sind auf ihrer Oberfläche papillös 
und enthalten einen spiralig gewundenen 
Embrvo. Wenn der Same keimt, so tritt 
aus demselben zuerst das Wurzelende, das 
aber keine echte Wurzel ist, heraus, erst 
später wird die Stengelspitze frei und lebt 
der Stengel, so lange er keine Nährpflanze 
gefunden hat, auf Kosten seiner älteren Theile. 
Die Spitze des Stengels macht Nutationen 
und erreicht auf diese Weise eine Nährpflanze; 
das Seidepflänzchen umschlingt dieselbe so¬ 
fort mit einigen Windungen und sendet Saug¬ 
organe, Haustorien, in das Innere derselben. 
Weiter wachsend greift der Schmarotzer eine 
Pflanze nach der anderen an und tödtet sie. 
Der Schaden, den die Seidenarten verursachen, 
ist manchmal ein sehr bedeutender. Ihre 
Bekämpfung geschieht vor allem dadurch, 
dass man nur Saatgut frei von Seidesamen 
verwendet, denn in der bei weitem grössten 
Zahl von Fällen kommt die Seide durch das 
Saatgut auf die Felder. Der Seidesamen 
lässt sich in den meisten Fällen durch Sieben 
vom Saatgut trennen. Man vermeide ferner, 
solchen Dünger, in welchem vom Futter der 
Thiere her Seidesamen enthalten sein könnte, 
auf das Feld zu bringen. Seidesamen, selbst 
wenn er durch den Verdauungsapparat der 
Thiere gegangen ist, ist noch keimfähig. Ist 
die Seide einmal vorhanden, so muss sie 
unter allen Umständen spätestens vertilgt 
werden, bevor sie Samen ansetzt, also im 
Stadium des Abblühens. Die Vertilgung ge¬ 
schieht so, dass man, wo es angeht, die Cul- 
turpflanzen mit der anhaftenden Seide aus 
dem Boden reisst, oder wo man es mit peren- 
nirenden Pflanzen, die man erhalten möchte, 
zu thun hat, indem man die Pflanzen ganz 
dicht über dem Boden absichelt oder abstösst 
und die Seide recht sorgfältig vom Felde 
entfernt; auch muss etwa 2' über die sicht¬ 
bare Grenze der Seide gegriffen werden, denn 
auf dem Boden laufen immer schon Triebe 
der Seide weiter, während die Nährpflanzen 
noch ganz frei sind: jedes auf dem Boden 
liegen gebliebene Stück der Seide erzeugt 
wieder eine neue Pflanze. Will man diese 
Methode nicht ausführen, so sticht man die 
befallenen Stellen um oder lässt sie bei 
grösseren Flächen von Schafen beweiden. 
Da manche Seidenarten Cultur- und wild¬ 
wachsenden Pflanzen gemeinschaftlich sind, 
muss man auch alle in der Nähe der Felder 
und Wiesen wildwachsenden Seidepflanzen 
zerstören. In vielen Ländern existiren heute 
schon polizeiliche Bestimmungen für die 


Vertilgung der Seidearten, was um so be¬ 
rechtigter ist, als der Samen der Seide durch 
Wind, Vögel, Hasen etc. von einem Felde 
auf das andere verschleppt werden kann. 

Es sind folgende wichtige Arten zu 
nennen: 

Cuscuta Epithymum L. Quendel¬ 
seide, mit kleinen, kugeligen, sehr gedrängten 
Blüthenköpfchen. Saumlappen der Blumen- 
kröne ebenso lang als die Röhre, aber zu¬ 
gespitzt und ausgebreitet. Die Schuppen im 
Inneren der Blumenröhre sind gegen einander 
geneigt und schliessen dabei die Röhre. 
Griffel und Staubgefässe stehen etwas hervor, 
sind aber kürzer als der Saum. Schmarotzt 
auf Quendel (Thymus Serpillum), Haidekraut 
(Calluna vulgaris), Ginster (Genista) u. s. f. 
Von manchen Autoren wird die auf den Klee- 
arten schmarotzende Seide als eine durch die 
Nährpflanze üppiger gewordene Form der 
Cuscuta Epithymum angesehen, von anderen 
als eine eigene Art Cuscuta Trifolii Babingt I. 
betrachtet. Die Kleeseide schmarotzt auf 
allen Kleearten und macht bedeutenden 
Schaden. Der Same derselben ist 0*7—1*3 mm 
im Durchmesser gross, rundlich, undeutlich 
kantig, hellgrau oder bräunlich und lässt 
sich mit Rücksicht auf seine Grösse von 
allen grösseren Kleesamenarten, wie Rotliklee. 
Luzerne, mit Sieben trennen, nicht aber von 
den kleinen Samen, z. B. vom Bastard- und 
Weissklee. Zur Reinigung der Kleearten von 
Kleeseidesamen gibt es eine Reihe vorzüglich 
arbeitender Reinigungsmaschinen. 

Cuscuta europaea. L. Grosse Flachs¬ 
seide. Ganze Pflanze hell, ziemlich weiss. 
Blüthenköpfchen grösser als die der vorigen 
Art. Kelchzipfel breit und abgerundet. 
Saumzipfeln der Blumenkrone ebenso lang 
als die Röhre. Schuppen in der Röhre auf¬ 
recht angedrückt, wenig merklich. Griffel 
und Staubgefässe gewöhnlich in der Röhre 
eingeschlossen. Der Same ist bräunlich und 
grösser als der der Kleeseide. Diese Seide 
schmarotzt auf Hopfen (Humulus lupulus), Nes¬ 
seln (Urtica), Kartoffeln (Solanum tuberosum), 
Hanf(Canabis sativa), Wicke (Vicia sativa) und 
vielen wildwachsenden Pflanzen. 

Cuscuta Epilinum Weihe. Leinseide. 
Stengel meist einfach. Blüthen grösser als bei 
den obengenannten, die Büschel enthalten 
aber nur wenig Blüthen. Saumgipfel der 
Blumenkrone halb so lang als die Blumen- 
röhre. Schuppen in der Röhre aufrecht an- 
gedrückt. Blüthen weiss. Samen haben eine 
Grösse von 1*5 mm im Durchmesser. Er 
schmarotzt auf Lein (Linum usitatissimum.) Lig. 

Cussac M. gab 1822 zu Madrid heraus: 
„Elementos de medicina practica veterinaria.“ 

Cutch, japanische Erde, Cachou, Catechu 
(s. d.). 

Cuticularbildungen sind membranartige 
Producte der Zellen, entstanden durch Secre- 
tion auf freie Flächen und Erstarrung der 
ergossenen zähen Flüssigkeiten in Folge 
chemischer Umwandlung (Chitinbildung, Kalk- 
einlagerung). Auch durch umbildende Pro- 
cesse, welche periphere Zelltheile durchmachen, 


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CUTIS. 


*77 


können Cuticnlarhäute entstehen. Das eviden¬ 
teste Beispiel solcher Cnticularbildung bietet 
die aas dem Muskelmagen der Vögel ablös¬ 
bare hornige Schichte, welche aus den Sccret- 
massen der dort befindlichen Drüsen ihre 
Entstehung nimmt. Auch die Grenzmembranen, 
sogenannte Basalmembranen zwischen Epithel 
und Bindegewebe werden von vielen Autoren 
als solche Cuticularbildungen aufgefasst. Kitt. 

Cutis, allgemeine Decke, Integument, 
Cutis in weiterem Sinne. Die äussere Haut 
ist nicht nur eine schützende Hülle des 
Körpers, welche jeweils an den natürlichen 
Körperöffnungen in die Schleimhäute über¬ 
geht, sondern sie ist auch Trägerin von 
Drüsen, Sitz verschiedener Sinnesempfindungen 
und zeigt bei den verschiedenen Thiergruppen 
wesentlicheModificationen in derGruppirung der 
sie zasammensetzenden Elemente, welche zur 
Bildung der verschiedenartigsten Einzelformen 
oder Integumentalorgane führt. Indess besteht 
im Grossen und Ganzen für alle Wirbelthiere 
ein einheitlicher Grundplan, welcher die all¬ 
gemeine Decke aus zwei Hauptschichten be¬ 
stehen lässt, einer oberen, der Epidermis, 
welche aus dem äusseren Keimblatte hervor¬ 
ging, und einer unteren, der eigentlichen 
Cutis, die sich aus dem mittleren Keimblatte 
entwickelte. Die obere Hauptschichte, die 
Epidermis im weiteren Sinne, wird lediglich 
aus Zellen gebildet, ist vollständig gefässlos, 
und diese Zellen häufen sich in mehreren 
Lagen übereinander, von denen die oberfläch¬ 
lichsten, die freie Hautfläche darstellenden 
Schichten als Stratum corneum, Hornschicht, 
eigentliche Epidermis bezeichnet werden, weil 
die sie zusammensetzenden Zellen nur flache, 
polygonale oder unregelmässig gerundete, 
trockene Schüppchen (Epidermisschüppchen, 
Homblättchen) sind, deren Kerne vollständig 
verschwunden oder nur in Resten vorhanden. 
Die tieferen Lagen der Zellen, welche noch kern¬ 
haltig, saftreich, rundlich oder würfelförmig, un¬ 
eben, gerifft erscheinen, bilden die sog. Schleim¬ 
schicht, stratum Malpighi (Fig. 411). Der 
Uebergang zwischen beiden ist ein allmäliger, 
indem eben die saftreichen Zellen der Schleim¬ 
schichte durch Vertrocknung, resp. Verhornung 
nach oben zu in Epidermiszellen sich um¬ 
wandeln und so die fortwährend regenerirende 
Matrix der obersten Lage abgeben. Die zweite 
Hauptschichte, eine derbe weisse, aus binde¬ 
gewebigen Elementen aufgebaute Membran, 
die Trägerin von Blut- und Lymphgefässen, 
Nerven und anderen Bildungen, wird als 
Corium, Lederhaut, Cutis im engeren Sinne 
bezeichnet. Auf ihr ruht die epidermoidale 
Hauptschichte, und sie selbst ist durch eine 
Art Uebergangsgewebe (Unterhautbindege¬ 
webe), das aber nicht überall vorhanden zu 
sein braucht, mit dem Körper bald lockerer, 
bald straffer verlöthet. Die Lederhaut ist nicht 
immer glatt und eben, sondern ihre Structur- 
elemente sind so angeordnet, dass grössere 
oder kleinere Erhabenheiten (Leistchen, Wärz¬ 
chen, Falten) emporragen, auf und zwischen 
welchen die unteren Epidermislagen platz¬ 
greifen. Ueberdies sind in dem Lederhaut¬ 


gewebe die verschiedensten Abkömmlinge der 
Epidermis (Haare, Borsten, Federn, Drüsen etc-) 
vertheilt. — Bei den Fischen finden wir die 
mannigfaltigsten Modificationen des Baues der 
Haut; von dem einschichtigen Epidermis- 
ra&ntel des Amphioxus, bei dessen Larve er 
noch als Erbstück von den Wirbellosen her 



K 


Pig. 411. Schnitt durch die Haut des Pferdes, nahe an 
Strahl des Hufes, a Lederhaut, b Cutisp ipille, c Malp gh. 
Stratum, d Epidermis, f Haar, g Haarbalg, lt ftussera, 
i innere Wuraelscheide, k Haarpapille, 1 Talgdrüse tob 
besonderer Grösse, eine kleinere rechts neben dem Haar«, 
m Schweissdrüse, n glatte Muskelbtlndel. 

Wimperhaare trägt, stossen wir auf mehr¬ 
schichtiges Hautepithel, dem schleimproda- 
cirende Becherzellen untermischt sind, wir 
treffen hier unpigmentirtes und pigmentirtes 
Epithel, desgleichen bei wasser- und land¬ 
bewohnenden Amphibien, bei denen theilweise 
das Pigment der Epidermis in contractions- 
fähigen Zellen (Chromatophoren) ruht. Waren 
drüsige Organe bei Fischen nur in Form ein¬ 
zelliger Drüsen vorhanden, so ist das Inte¬ 
gument der Amphibien mit rundlichen und 
schlauchförmigen Drüsen ausgestattet, welche 
in das Corium hinabgesenkt sind, deren Se- 
cret mitunter stark ätzende, selbst giftige 
Eigenschaften besitzt. Zwischen den Epidermis¬ 
zellen besteht hier ein reichverzweigtes (inter- 
celluläres) Netz von Lymphräumen. — Die 
Schuppen der Fische sind keine Epidermis¬ 
wucherungen, sondern Ossificationen der Leder¬ 
haut, dagegen entstehen die Schuppen der 
Reptilien, die Federn des Vogels, die Haare 
der Säuger nach einem Modus als Wuche¬ 
rungen der Epidermis auf entsprechenden 
Cutisfortsätzen. Die Haut der Reptilien ist 
wieder arm an Drüsen, wir finden aber wie 
überall das Stratnm corneum und mncosum, 
welch ersteres bei der Häutung abgestossen 











wird, ferner haarförmige Cuticular- und ander¬ 
weitige Epidermisbildungen (Stachel, Höcker, 
Schildplatt, Krallen etc.). Das Corium, wel¬ 
ches schon bei den Fischen leistenartige, bei 
den Amphibien papillöse Fortsätze zeigt nnd 
durch Kalkeinlagerung theilweise ossificirt, 
bei «rsteren keine Muskel besitzt, bei letz¬ 
teren durch die Existenz glatter Muskeln 
contractionsfahig wird, ist bei diesen Thier¬ 
arten und den Reptilien hauptsächlich durch 
wagrechte und senkrechte Bindegewebszüge 
hergestellt, in welchen sich Pigmentmassen 
vorfinden und welche namentlich von ausge¬ 
bildeten Lymphräumen durchzogen werden. 
Auch Knochentäfelchen finden sich in der 
Lederhaut der Reptilien. Die dünnste Leder¬ 
haut, welche zudem bis auf eine einzige, 
an der Schwanzwurzel gelegene Stelle (Bürzel¬ 
drüse) drtlsenlos, dagegen an glatten, mit 
Spuren von Querstreifung versehenen Muskel¬ 
zügen ausserordentlich reich und sehr mit 
nervösen Endorganen ausgestattet ist, kommt 
den Vögeln zu. Hier sind auch die Epider¬ 
moidalgebilde reichlich vertreten; schuppen- 
artige Bedeckungen an den Füssen, Schnabel 
und Fusssporenscheide, Krallen und endlich 
die Federformen zeigen sich als Derivate der 
oberen Hautschichte. Die Entwicklungsge¬ 
schichte der Federn weist ihre Entstehung 
aus der Schuppe reptilartiger ausgestorbener 
Formen nach. Beide sind in den ersten Em¬ 
bryonalperioden als Papillarerhebung der Cutis, 
welche mit Epidermis überdeckt ist, kaum 
zu unterscheiden; wird die Papille zur 
Schuppe, so flacht sie sich einfach ab, wird 
sie zur Feder, so tritt eine erhebliche Ver¬ 
mehrung der Schleimschichtzellen auf, welche 
sich zu Strahlen anordnen, oberflächlich ver¬ 
hornen und die verhornte Scheide wird ab¬ 
geworfen. Das eigenthümliche Aussehen, wel¬ 
ches zu solcher Zeit gewisse Hühnerarten 
zeigen, indem hier Kopf und Hals wie mit 
dicken Hornschuppen bekleidet aussieht, er¬ 
innert sehr an ein von vielleicht beschuppten 
Vorfahren ererbtes Hautkleid. Auch der den 
Vögeln zukommende periodische Feder Wechsel, 
bei welchem es analog wie bei Amphibien 
und Reptilien nur zur Abstossung der ver¬ 
hornten Epidermiszellen, nicht der Epidermis 
in toto kommt, ist dem Häutungsprocesse der 
letzteren gleichzuachten, und auch der Ver¬ 
lust des Jugendhaarkleides bei manchen Säu¬ 
gern (Pferd) mag als solche Reminiscenz 
gelten. Die Haut der Säuger folgt dem citirten 
Grundplane. Die Lederhaut, welche hier im 
Wesentlichen vom Bindegewebe und elasti¬ 
schen Fasern aufgebaut wird, von Fettgewebe 
durchwachsen, mit Blut- und Lymphgefässen 
reichlich versorgt ist, erlangt die Verbindung 
mit dem Körper durch lockeres oder strafferes 
Zellgewebe (Unterhautbindegewebe, wenn mit 
Fettmassen erfüllt = Panniculus adiposus); 
an manchen Stellen, namentlich an den 
Uebergangspartien zu Schleimhäuten, fehlt 
dieses Unterhautbindegewebe. Die untere, 
•lockere, durchbrochene Schichte der Cutis 
wird als Pars reticularis bezeichnet, die 
obere unebene als pars papillaris, weil 


hier über die ganze Körperoberflfiche hin theils 
gefässtragende, Capillaren enthaltende, theils 
mit Nervenendorganen ausgestattete Cutis¬ 
papillen entweder unregelmässig zerstreut 
oder in regelmässiger Anordnung sich vor¬ 
finden. Diese Papillen erreichen an manchen 
Körperstellen eine besondere Mächtigkeit 
(Sohlenballen der Carnivoren, des Kameels, 
Flotzraaul des Rindes, Rüsselscheibe des 
Schweines, kahle Haut der Cetaceen). An 
jenen Stellen, von welchen aus das Wachs¬ 
thum horniger Theile beginnt, sind die Pa¬ 
pillen bei unseren Haussieren mächtig ent¬ 
wickelt, und theilweise sind dieselben sogar 
in Reihen derart unter einander verwachsen, 
dass sie zur Bildung sog. Fleischblättchen 
Veranlassung geben. Die Cutis der Säuger 
besitzt eine ziemliche Zahl contractiler Faser¬ 
zellen, welche nicht nur in verschiedener 
Richtung das Lederhautgewebe durchflechten 
und so (neben den elastischen Fasern) die 
Dehnbarkeit der Haut erhöhen und temporäre 
Schrumpfung (z. B. in der Tunica Dartos) er¬ 
möglichen, sondern in besondere Beziehungen 
zu Hautdrüsen und Haaren treten (s. unten). 
Die Epidermis der Säuger, aus den erwähnten 
zwei, Schichten bestehend, zeigt in ihrer 
oberen Schichte meist schwach welligen Ver¬ 
lauf; die oberen Zellenlager sind flache, 
mannigfaltig gestaltete und gekrümmte, scharf 
contourirte, kernlose Schüppchen, die glashell 
durchscheinen oder noch Pigraentreste führen, 
allmälig gegen das Stratum Malpighi hin 
dicker werden und an der freien Oberfläche 
von der Haut abfasem. Oft ist diese Horn¬ 
schichte nur ein dünnes Häutchen, oft sind 
die Lagen der verhornten Zellen mächtig, ja 
weit dicker als die der Schleimschichte. Bei 
den mit gefärbter Haut versehenen Thieren 
führt die Schleimschichte, deren Zellen rund¬ 
lich, würfelförmig, gezackt, gerifft erscheinen 
und kernhaltig, protoplasmareich sind, in 
diesen Zellen Pigment in Form feiner gelber, 
bräunlicher oder schwarzer Körnchen und 
Körnchenhaufen. Wanderzellen (Leucocyten), 
welche im Stratum Malpighi ebenfalls an¬ 
getroffen werden, führen ebensolches Pig¬ 
ment. Die Haare der Säugerhaut sind cylin- 
drische Homgebildc, welche, da sie in früher 
Fötalzeit vom Stratum Malpighi aus in die 
Tiefe wuchern, in röhrenförmigen Vertie¬ 
fungen ihren Sitz haben. Diese sackartige 
Vertiefung repräsentirt eine vollständige Haut¬ 
einstülpung, indem sie peripher aus Le¬ 
derhautgewebe besteht (Haarbalg), auf dieses 
folgt die äussere Wurzelscheide, welche von 
dem eingestülpten Zellenlager de£ Stratum 
Malpighi hergestellt ist, und noch mehr central 
folgt die innere Wurzelscheide als continuir- 
liche Fortsetzung der eigentlichen Epidermis- 
lage. Der Haarbalg, also die Lederhauthülle, 
wird, wo er besonders ausgebildet, je nach 
der Faserrichtung der constituirenden Binde¬ 
gewebszüge in eine äussere bindegewebige 
Längsfaserschichte,eine mittlere bindegewebige 
Circulärfaserschichte und eine innere homogene 
Begrenzungsschichte (Glashaut) unterschieden. 
Auch an der inneren Wurzelscheide nimmt 



CUTIS. 


man eine äussere (Henle’sche) und eine innere 
(Huxley’sche) Schichte an. Vom Boden der 
Haartasche aus ragt in die Höhle herein ein 
kegelförmiger bindegewebiger gefässhaltiger 
Fortsatz, welcher von der Haarwurzel umfasst 
wird, die Haarpapille; das Haar, welches 
meist in schiefer Richtung in die Haut ein¬ 
gepflanzt ist, zerfällt in einen frei über die 
Hautfläche hinausragenden Theil, den Haar¬ 
schaft, und in einen innerhalb der Haartasche 
liegenden Theil, Haarwurzel. Die Haarwurzel 
ist am Grunde knopfförmig verdickt (Haar¬ 
zwiebel, Haarknopf) und von unten her, wie 
der Boden einer Weinflasche, von der auf¬ 
wärts strebenden Papille eingestülpt. Das 
Haar besteht der Hauptsache nach lediglich 
aus Epidermiszellen, die verschiedene Form 
und Schichtung zeigen und demgemäss ver¬ 
schieden bezeichnet wurden. Der Hauptsache 
nach unterscheidet man eine Rindensubstanz 
aus langgestreckten, kernhaltigen, zu Fasern 
ausgezogenen Epidermiszellen (Derivaten der 
äusseren Wurzelscheide, resp. Stratum Mal- 
pighi-Zellen, jeweils Pigmentkörner verschie¬ 
dener Farbe enthaltend), sodann eine cen¬ 
trale Markschichte, die luftbläschcnhaltdge 
Epidermiszellen birgt und eine nur am .freien 
Haartheil vorhandene oberflächliche Schichte, 
die Cuticula des Haares, aus dachziegelförmig 
über einander gelagerten, verhornten, von der 
eigentlichen Epidermis abstammenden Schüpp¬ 
chen bestehend, welche die Haaroberfläche 
beschuppt und gezähnelt erscheinen lassen. 
Die verschiedene Aneinanderlagerung dieser 
Elemente, das Vorhandensein oder Fehlen der 
centralen Markschichte ist unterschiedlich hei 
den diversen Thiergruppen, ebenso ist die 
Dicke, Länge, Grösse, Form und Farbe der Haare 
verschieden nicht nur bei den verschiedenen 
Thierspecies, sondern wechselt auch an Einzel¬ 
individuen je nach der Körperregion. Eine 
besondere Einrichtung zeigen die Tasthaare, 
indem die Haartasche durch Spaltung ihrer 
bindegewebigen Lager eine spongiöse Be¬ 
schaffenheit anniramt und so ein Schwellkörper 
um das Haar entsteht, welcher mit Blut an¬ 
gefällt ist. 

Die Hautdrüsen der Säuger zerfallen 
in zwei Hauptsorten, iu die Schweiss- und 
Talgdrüsen. 

Die Schweissdrüsen trifft man bei 
verschiedenen Thierclassen, ebenso in verschie¬ 
denen Hautregionen des Einzelindividuums in 
verschiedener Grössenentwicklung. Stets sind 
es schlauchförmige Drüsen, deren enger, ge¬ 
rade oder wellig verlaufender Ausführungs¬ 
gang auf der Hautoberfläche neben der Haar¬ 
tasche oder frei (Poren der Haut) seine Mün¬ 
dung hat, deren gewundener, aufgewickelter 
secretorischer Theil oft tief in dem Cutisge¬ 
webe, selbst im Unterhautzellgewebe placirt 
ist. Die Function der Schweissdrüsen (Knäuel¬ 
drüsen) ist eine echte Secretion, d. h. auf Zell- 
thätigkeit in Folge nervöser Erregung zurück¬ 
zuführen; in jüngster Zeit wurde eine anato¬ 
mische Veränderung (Renault) hiebei consta - 
tirt, die ruhenden Drüsenzellen (Pferd) sind 
nämlich cylindrische helle Zellen mit wand¬ 


*79 


ständigem Kerne, nach mehrstündigem Schwi¬ 
tzen aber sind sie granulirt und der Kern in 
der Mitte gelagert. Die cylindrischen, kubi¬ 
schen, seltener kegelförmigen Zellen sitzen 
in einschichtiger Lage auf der Innenfläche 
des aus Bindegewebsfibrillen gebildeten 
Drüsenschlauches; im Ausführungsgange wer¬ 
den sie allmälig zwei- oder dreischichtig, 
concav-convex gebogen und concentrisch ge¬ 
lagert. Am stärksten entwickelt und jeweils 
in der Form modificirt sind die Schweissdrüsen 
an den Sohlenballen der Fleischfresser, am 
Fleischstrahl der Einhufer, Lippenrande der 
Katze, an der Inguinalhaut des Schafes, 
Auskleidung der Ohrmuschel etc., an manchen 
Körperstellen können sie vollständig fehlen. 
(Zitze des Rindes.) 

Die Talgdrüsen (Haarbalgdrüsen, Glan¬ 
dulae sebaferae [Fig. 412]) erscheinen in ihrer 
einfacheren Form als sackige Anhänge der 
Haartasche, an deren Hals ihr verengter Aus- 
führungsgang mündet, oder als aggregirte 
acinöse Drüsen (Flotzmaul des Rindes, 
Schnauze des Hundes, Präputium etc.). Gross 
sind sie am After, Eu¬ 
ter, der Ziegen- und 
Schafzitze, Schlauche. 
Hodensack, den Augen¬ 
lidern der Hausthiere; 
gänzlich mangeln sie 
am Sohlenballen der 
Fleischfresser, der Zi¬ 
tze des Kuheuters und 
im Strahle des Pferde¬ 
hufes. Sie liegen im- 
Fig. 412. Talgdrüsen-Llpp- • j 

chen aas der Zitze eines me f in aer -Lieaeriiaut 
Schafes. und dringen nicht bis 

ins Unterhautzellge¬ 
webe vor. Die Drüsenläppchen, meist von bim¬ 
förmiger Gestalt, besitzen eine bindegewebige 
Wandung und sind gefüllt mit Zellen nach 
Art eines geschichteten Epithels, welche nur 
ein kleines, nach dem Drüsengang sich erwei¬ 
terndes Lumen frei lassen. Die Zellen sind 
polygonal mit rundem Kern und körnigem 
Protoplasma, durch Wucherung und fort¬ 
schreitenden fettigen Zerfall der Zellen wird 
das Secret gebildet; in Folge der Umsetzung 
der Albuminate in Fett erscheinen daher die 
centralen Zellen an in Alkohol gehärteten 
Schnittpräparaten durchsichtig und ihre Kerne 
geschrumpft. 

Glatte Muskelfasern findet man nicht 
blos in netzförmiger Anordnung (Scrotum) 
in der Haut vertheilt, sondern auch als regel¬ 
mässige Züge, welche einmal im obersten 
Corium entspringen und schräge zum Haar¬ 
taschenboden herabziehen, dann aber auch 
in Bündelform die Talgdrüsen umgreifen 
und an die Schweissdrüsen sich anlegen. 
Namentlich letztere sind von glatter Mus¬ 
kulatur in schräger Richtung umlagert und 
besitzen so ein oberflächlich streifiges Aus¬ 
sehen. Dies Verbaltniss bedingt eine dreifache 
Function: durch Contraction der glatten 
Muskelfasern kann erstens eine Gerudstellung 
des Haares bewirkt werden (daher der Name 
Erectores pilorum), jedoch ist dies die ge- 




*40 CUVIER. 

ringcre Leistung, welche z. B. bei wolletra¬ 
genden Thieren ganz in Wegfall kommt: 
ausserdem wird die Cutis gespannt und hie¬ 
durch eine Pression auf die Lymph- und 
Blutgefässe ausgeübt (schräge Cutisspanner, 
Unna), endlich wird durch Druck auf die 
Talgdrüsen deren Secret ausgetrieben (Haar¬ 
balgdrüsenmuskel, Expressores sebi) und auch 
die Secretbeförderung der Schweissdrüsen 
durch Zusammenraffen ihrerSchlauchabschnitte 
vermittclt(Bonnet)(Expressoresglandul.sudof.). 
Wo an derartigen Drüsen glatte Muskulatur 
fehlt, wie an den Flotzmauldrüsen, wird die 
Secretevacuirung durch die unterliegende 
(Lippen-) Muskulatur oder anderweitig, wie 
z. B. am Klauensäckchen des Schafes, durch 
die Zehenbewegung vermittelt (Bonnet). — 
Nerven als markhaltige und marklose liegen 
reichlich in dem Cutisgewebe, sie erreichen 
ihr Ende in den Papillen, theilweise auch in 
der Malpighischen Schichte, an den Haaren und 
Drüsen aer Haut und geben vielfach zur 
Bildung von sogenannten Nerven-Endorganen 
Veranlassung, welche beim Säuger als Tast¬ 
zellen, Tastflecken, Tastkörperchen, Kolben¬ 
körperchen unterschieden werden und eine 
eingehende Besprechung unter „Hautsinn“ 
erfahren. Kitt. 

Cuvier Georg Leop. Chr. Fr. Dagobert, 
Baron von Cuvier, geh. 1769 am 23. August in 
Mömpelgard, studirte in Stuttgart an der 
Militär-Akademie gleichzeitig mit Friedrich 
v. Schiller die Rechte, trieb nebenbei aber auch 
Zoologie etc., wurde 1795 Professor an der 
Pariser Centralschule, 1798 Professor der Ver¬ 
gleichenden Anatomie, trat 1800 zum College 
de France, bereiste 1811 die hanseatischen 
Departements, wurde 1813 Maitre de requötes, 
nahm 1822 seine Entlassung und lebte als 
Staatsrath und Secretär der Akademie der 
Wissenschaften in Paris. Dieser grosse For¬ 
scher verdient unseren besonderen Dank für 
die Aufstellung des sog. „natürlichen Systems“, 
mit welchem er in seiner Abhandlung „über 
die Eintheilung der Thiere“ im Jahre 1812 
hervortrat. Er brachte die früher von Linnö 
als die grössten Vereinigungsgruppen hinge¬ 
stellten sechs Classen des Thierreiches nach 
verschiedenen Grundformen bei dem Aufbau 
des ganzen Organismus, also speciell auf 
die Ergebnisse der Anatomie gestützt, in 
verschiedene, und zwar in vier Kreise oder 
Typen: Wirbelthiere, Weichthiere, Gliederthiere, 
Radiärthiere. Einen jeden dieser vier Kreise 
theilte er wieder in Classen, und spaltete 
solche dann endlich wieder in Ordnungen, 
Familien, Gattungen und Arten. Auch als prak¬ 
tischer Viehzüchter hat Cuvier mehrfach be- 
achtenswerthe Versuche angestellt, die bis auf 
den heutigen Tag Anerkennung finden. Fg. 

Cyan, CN (von xoavo's, blau), ist ein 
farbloses, sehr giftiges Gas, welches durch 
Vereinigung von 1 Atom Kohlenstoff und 
1 Atom Stickstoff entsteht. Diese Elemente 
vereinigen sich jedoch nur dann mit einander, 
wenn bei ihrem Zusammentreffen ein Körper 
vorhanden ist, mit welchem das etwa ge¬ 
bildete Cyan eine feste Verbindung zu bilden 


— CYANOSE. 

im Stande ist. So entsteht z. B. Cyankalium, 
wenn man über erhitztes Kalium Kohlen¬ 
säure und Ammoniak leitet, wobei die Kohlen¬ 
säure den Kohlenstoff, das Ammoniak den 
Stickstoff liefert und das Kalium den fixiren- 
den Körper darstellt. Auch beim Hochofen- 
■process trifft Kohlenoxyd mit dem Stickstoff 
der Luft in Gegenwart von kohlensaurem 
Kali zusammen, und man findet demgemäss 
in der Esse der Hochöfen Cyankalium in 
reichlichen Mengen. Im Flintenlauf, wo Kohle 
zu Kohlensäure oxydirt wird, diese mit dem 
Stickstoff des Salpeters und mit dem Kalium 
desselben bei hohem Druck zusammentrifft, 
bildet sich ebenfalls Cyankalium. Um das 
gasförmige Cyan darzustellen, erhitzt man 
Quecksilber oder Silbercyanid. Das sich 
entwickelnde Cyangas riecht eigenthümlich 
stechend, reizt heftig Augen und Nase; 
specifisches Gewicht 1*8. Bei —25*C. wird 
es zu einer Flüssigkeit condensirt, es ist ent¬ 
zündlich und brennt mit rother Flamme. Es 
ist löslich in Alkohol, Wasser und Aether. 
zersetzt sich jedoch in seine Lösungen, wenn 
nicht etwas Säure zugegen ist, sehr bald unter 
Bildung von oxalsaurem und kohlensaurem 
Ammoniak, von Blausäure und Harnstoff. Das 
Cyan verhält sich in seinen chemischen Ver¬ 
bindungen ähnlich dem Chlor, indem es zu¬ 
nächst mit Wasserstoff eine Säure und mit 
Metallen direct Salze bildet. Der Salzsäure, 
C1H, analog haben wir (CN)H == Cyanwasser¬ 
stoffsäure; dem Chlorkalium, C1K, entsprechend 
(CN)K = Cyankalium. Den Namen erhielt 
das Cyan von seiner Eigenschaft, mit Eisen 
blaugefarbte Verbindungen (Berlinerblau) zu 
bilden. Loebisch. 

Cyankalium, arzneilich, s. Kalium cyanatum. 

Cyanose (von xoavo's. blau), Blaufärbung 
der Gewebe in Folge von Stauungshyperämien 
und Anhäufung venösen Blutes in den Ge¬ 
weben. Die bläulichrothe Färbung bei Blut¬ 
stauungen im Venensystem tritt besonders 
deutlich an zarten, haarlosen oder wenig be¬ 
haarten Hautstellen bei hellgefärbten Thieren 
und an den sichtbaren Schleimhäuten hervor. 
Die Cyanose ist eine allgemeine und partielle. 
Die partielle Cyanose entsteht an Körpertei¬ 
len, aus denen der Abfluss des venösen Blutes 
durch Thrombose, Druck, durch Neubildungen. 
Unterbindungen, Lähmungen der Venen bei 
Erfrierungen etc. gehindert ist. Die allge¬ 
meine Cyanose erfolgt bei Respirations- und 
Circulationsstörungen, heftigem Keuchhusten, 
Lungenemphysem, Fehlern der Mitralklappen. 
Die Folgen der Cyanose sind: Indurationen, 
seröse Transsudationen, Brust-, Herzbeutel-, 
Bauch- und Hautwassersuchten, Leberleiden, 
Magen- und Darmkatarrhe, Hirnleiden. Die 
Cyanose ist oft angeboren bei angebornen 
Klappenfehlern und Offenbleiben des Ductus 
Botalli und Foramen ovale. Semmer . 

Die Cyanose der Haut ist eine Blau¬ 
färbung des Hautgewebes in Folge venöser 
Hyperämie; letztere hat ihren Grund in Cir¬ 
culationsstörungen bei entzündlichen Affec- 
tionen äusserer Theile oder in mechani¬ 
schen Hemmungen des Blutlaufes, wie sie nach 


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CYANWASSERSTOFF. — CYGAJA-SCHAF. 281 


Ligaturen grosser Geiassstämme oder Druck 
auf diese von Seiten der Neoplasinen eintreten 
können. Da die Gefässe in der Lederhaut oder 
dem Corium verlaufen, die Oberhaut oder 
Epidermis dagegen gefäss- und nervenlos ist, 
so schimmern die von Blut strotzenden Ca- 
pillaren und Venen nur bläulich durch die 
Epidermis hindurch und verleihen auf diese 
Weise der Haut eine cyanotische Färbung. Es 
kann dies aber nur der Fall sein an Stellen, 
wo die Epidermis sehr dünn und das Corium 
pigmentlos ist. Beruht die locale blaue Fär- 
gebung auf Blutungen in das Corium und in die 
Schleimschichte der Epidermis, so geht das 
Blau bald ins Braune, Grüne und Gelbe über. 
Wir treffen die Cyanose der Haut am häufig¬ 
sten bei Schweinen an, und zwar in der Umge¬ 
bung des Kehlkopfes während des Verlaufes der 
Bräune und an den Bauchdecken im Verlaufe 
der sogenannten Schweineseuche, einer seu¬ 
chenartig grassirenden Infectionskrankheit, bei 
der auch das arterielle Blut eine mehr venöse 
Beschaffenheit annimmt. Eine vollständige 
Cyanose der ganzen Haut des Körpers, also 
eine wahre Blausucht, kommt nur bei neuge- 
bomen Thieren vor, wenn, wie bei dem Fötus, 
die Lungenarterie mit der hinteren Aorta durch 
den botallischen Gang, die rechte Herzkammer 
mit der linken Herzkammer durch das eiför¬ 
mige Loch communicirt und auf diese Weise 
das arterielle Blut mit dem venösen sich ver¬ 
mischt. An Cadavem stellt sich Cyanose der 
Haut an den herabhängenden, am tiefsten ge¬ 
legenen Körperstellen ein, weil das Blut, den 
Gesetzen der Schwere folgend, nach dem Tode 
sich hier anhäuft. Anacker. 

Cyanw&ftserstoff, CNH, auch Cyanwas¬ 
serstoffsäure oder Blausäure genannt, 
ist die Wasserstoffsäure des Cyans, sie kommt 
im freien Zustande in der Natur nicht vor, 
sondern nur als Zersetzungsproduct gewisser 
complicirter Verbindungen, welche in bestimm¬ 
ten Pflanzen auftreten. In den bitteren Man¬ 
deln, Kirschlorbeerblättern findet sich Amyg¬ 
dalin (s. d.), welches durch ein Ferment 
(Emulsin) in Blausäure, Bittermandelöl und 
Zucker zerlegt wird. Cyanwasserstoff wird 
dargestellt aus dem gelben Blutlaugensalz, 
Ferrocyankalium (K 4 FeCN,), indem man dieses 
mit verdünnter Schwefelsäure destillirt. Man 
erhält hiebei eine wässerige Lösung der gas¬ 
förmigen Cyanwasserstoffsäure. Die Cyanwas¬ 
serstoffsäure ist ein farbloses Gas, welches 
sich in der Kälte zu einer farblosen Flüssig¬ 
keit verdichtet (wasserfreie Blausäure), siedet 
bei 26°C. und ist höchst giftig. Die Cyan¬ 
wasserstoffsäure ist eine Säure und tauscht 
ihren Wasserstoff leicht gegen Metalle aus. 
Die wichtigsten Salze derselben sind: Cyan¬ 
kalium, Cyansilber, Ferrocyankalium. Loebisck. 

Die arzneiliche Wirkung der Blausäure, 
Acidum hydrocyanatum, s. Aqua Amygdalarum 
amarum. Vogel. 

Cyclamen europaeum, europäische Erd¬ 
scheibe, wegen der violetten Farbe auch Alpen¬ 
veilchen genannt, prachtvolle Primulacee der 
Wälder im Hochgebirge (L. V. I). Die kuchen- 
förmigen Knollen waren lange ein Purgirmittel 


für die Hausthiere, ähnlich der Bryonia, bis 
sie von der AloÖ verdrängt wurden, auch er¬ 
kranken von ihr hie und da Schweine, welche 
sie auswühlen (Saubrot); der wirksame Stoff 
ist das Cyclamin, welches ähnlich dem Violiu 
der Veilchen, dem Asclepiadin des Vincetoxicum 
officinale sehr sichere Brechwirkungen hat, die 
selbst dem Emetin und Apomorphin nicht 
nachstehen. Vogel. 

Cydonia vulgaris, gemeiner Quittenbaum, 
unserem Apfelbaum am nächsten verwandt, 
einheimisch in Asien, bei uns überall cul- 
tivirte Pomacee, L. Xü. 2—5. Die Quitten¬ 
kerne, Semina Cydoniarum, enthalten 20% 
Pflanzenschleim und wurden früher 1 : 50 als 
Mucilago Seminum Cydoniae zu Augenwässern 
besonders verwendet: jetzt zieht man dünne, 
reine Lösungen für diese Zwecke vor. Die 
Quittenkeme sind nur in Oesterreich-Ungarn 
officinell. Vogel. 

Cygaja - Schaf. Der Heimatsbezirk des¬ 
selben ist Bessarabien. Es gehört unbedingt 
zu der grossen Gruppe der schlichtwolligen 
Schafe, welche durchweg nur und einzig 
und allein unverraischt mit jeglichem Gran¬ 
nenhaar das reine markfreie, nur leicht ge¬ 
wellte, jeglichen seidenartigen Glanzes ent¬ 
behrende Wollhaar von weisser Farbe in 
ziemlich dichtem Stande auf der Haut tragen. 
Kopf und Beine bis zum Knie und dem Sprung¬ 
gelenke hinauf sind mit kurzen, glatten, 
weissen Haaren bedeckt. Die männlichen Thiere 
sind durchweg gehörnt. Die Hörner gleichen 
vollkommen denen des Merino-Widders, sind 
nur nicht so fein gekerbt, die Ohren sind kurz. 
Die Wolle erreicht im Jahres wuchs eine Länge, 
von 8—9 cm. und hat eine solche Feinheit, dass 
man sie zu einer guten BC -Wolle rechnen 
kann, dabei ist dieselbe kräftig und hat grosse 
Widerstandskraft. Das Schurgewicht erreicht 
bei dem ausgewachsenen Widder in Schwarz¬ 
schur 2— 27* kg. Das ausgewachsene Mutter¬ 
schaf misst im Durchschnitte in der Höhe 0*60, 
in der Länge vom Scheitel bis zur Schwanz¬ 
wurzel 0*98 m, bei einer Brusttiefe von 0*30 m. 
In seinem Verbreitungsbezirke wird dasselbe 
nur, selbst im strengen WinteT, im Freien ge¬ 
halten. Stallungen kennt man dort nicht; eben¬ 
so müssen die Thiere selbst im kältesten Win¬ 
ter sich das Futter auf den Feldern suchen, 
nur bei starken Schnecfällen erhalten sie et¬ 
was Heu als Beifutter. Die Lämmer werden 
grösstentheils im März geboren, jedoch nur 
so viel Mutterlämmer aufgezogen, als zur Er¬ 
haltung der Kopfzahl der Mutterheerde nöthig 
ist. Die anderen sowie die jungen Bocklämmer, 
von denen auch nur so viel angehalten wer¬ 
den, als man zum Paarungsgeschäfte in den 
Heerden gebraucht, werden schon in einem 
Alter von 14 Tagen bis 3 Wochen entweder 
für den eignen Bedarf geschlachtet oder an 
den Schlächter für ungefähr 2 Mark das 
Stück verkauft, welcher aus den Lämmer feilen 
dann wieder ungefähr l%Mark per Stück löst. 
Diese Felle, weiss und ziemlich schlicht in der 
Wolle, sind aber bei weitem nicht so geschätzt 
als die des schwarzen Tschuschkaschafes (s. d.). 
Die Mütter, deren Lämmer geschlachtet worden 


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CYKLITIS. — CYNODON DACTYLON. 


28Ä 

sihd, werden gemolken und aus der Milch 
Käse bereitet. Die heutigen Bewohner (Rumä¬ 
nen) nehmen an, dass das Schaf zur Römer¬ 
zeit eingeführt worden sei, als Rumänien unter 
, römischer Botmässigkeit stand und gleichsam 
als Strafcolonie für römische Soldaten behan¬ 
delt wurde. Wahrscheinlicherweise wurde aber 
das Schaf bei der grossen Völkerwanderung 
mit einem indogermanischen Stamme, welcher 
sich nach Haeckel von dem grossen Strome 
abzweigte und an den nordwestlichen Küsten 
des Schwarzen Meeres sesshaft machte, schon 
eingeführt, es steht daher unzweifelhaft in 
der nächsten Verwandtschaft mit dem lang- 
und dürrschwänzigen deutschen schlichtwolligen 
Schafe, wofür auch alle Eigenschaften desselben 
sprechen. Das Thier ist dabei ziemlich schnell¬ 
wüchsig, auch wird die Güte des Fleisches 
bei leichter Mastfähigkeit von den Einwohnern 
sehr gerühmt. Bei vorschreitender Cultur jener 
Gegend dürfte gerade diesem Schlage eine 
grosse Bedeutung beigelegt werden. 

Krafft erwähnt in seiner Thierzucht 11 
eines „Zigajaschafes u unter den Schlägen 
des siebenbürgischen Zackeischafes; er zählt 
dasselbe zu den mischwolligen Schafen, soll 
aber gerade bei diesem der Flaum, d. h. das 
eigentliche markfreie Wollhaar am reichlichsten 
angeordnet sein. Jedenfalls ist dieses einer 
Rasse an gehörig, die mit der rumänischen 
nichts als den Namen gemeinsam hat. Bohtn. 

Cyklitis (6 xoxXoc, der Kreis), die Ent¬ 
zündung des Strahlenkörpers des Auges; sie 
kommt sehr selten für sich allein vor, son¬ 
dern meist in Verbindung mit Entzündungen 
im Bereiche der Iris oder der Chorioidea, 
weshalb sie im Zusammenhang mit den Er¬ 
krankungen des Aderhauttractus unter „Uveal- 
tractus“ besprochen wird. Schlampp . 

Cyklople (6 x6xX<»(J>, der Cyclop, welcher 
nach der homerischen Fabel nur Ein Auge in 
der Mitte der Stirne besessen haben soll, von 
6 xoxXos, der Kreis, und •$) cui^, das Auge) 
bezeichnet eine Missbildung, bei welcher die 
beiden Augenhöhlen unter Verkümmerung 
und Wegfall der sie normaler Weise tren¬ 
nenden Gebilde sich genähert und zu einer 
einzigen Höhle vereinigt haben (s. „Miss¬ 
bildungen des Auges u ). Schlampp . 

Cykloplegla, die Accommodationslähmung 
(8. Accommodation). Schlampp. 

Cylinderepithel, s. Epithel 

Cyilndergonidien nennt man im Allge¬ 
meinenlanggestreckte, walzenförmige Gonidien 
(Conidien). De Bary bezeichnete damit spe- 
ciell die Gonidien von Cordyceps militaris 
und Verwandten, welche aus den Mycelfäden 
im Inneren der Raupen in grosser Zahl her¬ 
vorsprossen und nach Abschnürung sich iso- 
liren, um alsbald zu keimen und neue Mycel¬ 
fäden entstehen zu lassen. Harz. 

Cylindrom, Röhrengeschwulst, Schlauch- 
•sarcom, Knorpelschlau chgeschwulst, Schleim- 
cancroid, Angioma proliferum mucosum, eine 
Neubildung, die durch Bildung cylindrischer, 
keulen-, kugel- und bauraförmiger Massen aus 
schleimigen Substanzen von gallertiger Be¬ 
schaffenheit entsteht. Die Cylindrome wurden 


zuerst von Billroth und darauf von Henle, 
Busch, Graefe, Robin, Merkel, Volkmann, 
Mayer, Weber, Friedrich, Recklingshausen, 
Böttcher, Köster, Förster, Pagenstecher, 
Birch - Hirschfeld, Sattler, Ewetzky, Neu¬ 
mann, Hechl, Rustitzky u. A. untersucht 
und beschrieben. Die Cylindrome bestehen 
aus stecknadelkopf- bis erbsengrossen Cylin- 
dern und Kugeln von meist gallertiger homo¬ 
gener, gekochtem Sago ähnlicher Beschaffen¬ 
heit, enthalten elastische Fasern und auch 
endotheliale, mit grossen Kernen versehene 
Zellenstränge und Blutgefässe. Waldeyer be¬ 
zeichnet sie als plexiforme Angiosarcome. 
Ausserdem kommen Combinationen der Cy¬ 
lindrome mit Sarcomen, Adenomen, Chondro¬ 
men etc. vor. Die Cylindrome sitzen vorzugs¬ 
weise an den Gesichtsknochen, den serösen 
Häuten (Peritoneum), Dura mater des Gehirns, 
seltener in Drüsen. Nach Extirpationen machen 
sie gern Recidive, Metastasen aber nur bei 
Combinationen mit Sarcomen. Semmer. 

Cymol. Ein aromatischer, der Benzolreihe 
zugehöriger Kohlenwasserstoff von der Formel 
Ci 0 H, 4 . Nach der herrschenden Theorie sind 
zahlreiche Kohlenwasserstoffe dieser Formel 
möglich, und man spricht daher im Allge¬ 
meinen von Cymolen, es sind auch deren 
mehrere künstlich dargestellt worden. Das in 
der Natur vorkommende Cymol findet sich im 
römischen Kümmelöl (von Cuminum cyminum) 
und in anderen ätherischen Oelen. Es ist 
nach seinem Bau Methyl-Propyl-Benzol. Auch 
aus Thymol, ferner aus Kampher wurde 
dieses Cymol gewonnen. Das C} T mol ist eine 
angenehm riechende Flüssigkeit, welche bei 
170—175° siedet, vom specifischen Gewichte 
0*873 bei 0°C. Locbisch. 

Cynanche, Bräune oder Halsentzün¬ 
dung (von xotuv, Hund; ayx cLV » zusammen¬ 
schnüren, enge machen). Durch Entzünduug 
und Schwellung der Weichtheile des Rachens, 
des Kehl- und Schlundkopfes verengen sich 
die genannten Partien der Luftwege, es 
kommt zu mehr oder weniger hochgradiger 
Dyspnoö, bei der die Menschen öfter bellende 
Laute wie der Hund hören lassen. Bereits im 
grauen Alterthume bedienten sich die griechi¬ 
schen Aerzte des Ausdruckes „Cynanche 11 für 
Bräune (s. diese). Anacker. 

Cynanchum vinoetoxioum, gemeiner Hunds¬ 
würger, Asclepiadee (L. V. 2) unserer Ge¬ 
büsche und Haine, früher als Brechmittel of- 
ficinell. Das Cynanchum Argei ist eine As¬ 
clepiadee des Sudans und wird jetzt als 
Solenostemma Argei beschrieben, deren Blätt¬ 
chen stets der alexandrinischen Senna (s. Cassia 
lenitiva) beigemengt sind (Folia Argei): sie 
zeichnen sich von den echten Sennablättern 
besonders dadurch aus, dass sie eingebogen 
oder eingerollt, beiderseits leicht behaart sind 
und keine deutlich sichtbaren Secundämerven 
besitzen. Geschmack stark bitter, hinterher 
süsslich. Vogel. 

Cynodon-Dactylon ist das hauptsächlichste 
Futtergras in Indien. Im Norden ist es unter 
dem Namen „Dhoob“, im Süden als „Bari- 
ali u und in Amerika und Australien als 


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CYNOGLOSSUM OFFICINALE. — CYNOSURUS CRISTATUS. 282 

„Couch-grass u bekannt. In Indien wächst befallen, von welchem eine Abbildung bei 

dieses Gras allenthalben und ist, wie er- Fig. 413 c gegeben ist. Das krankhafte Aus- 

w&hnt, die wichtigste Futterpflanze des Lan- sehen, welches dann die blühende Spitze, 

des. Sie ist unerreicht von irgend einer ande- deren Theile sich abwärts senken, darbietet, 

ren zu diesem Zwecke, besitzt eine fast bei- ist höchst charakteristisch. Ueber die Art und 

spiellose Lebenskraft und wächst auf jedem Weise, in welcher diese Pflanze gesammelt 

Boden. Bei halbwegs fürsorglicher Cultur ist und an die Pferde verfüttert wird, s. unter 

sie ausserordentlich productiv und kann eine Futterpflanzen. Smith. 

grosse Höhe erreichen. Sie schmiegt sich den Cynoglossam offleinale, arzneiliche oder 

jeweiligen Verhältnissen auch auf hartem und gemeine Hundszunge, eine der alkaloidhalti- 

trockenera Boden insofern an, als sie sich gen, früher offtcinellen Boragineen (L. V. 1), 

daselbst auf dem Grunde ausbreitet und durch welche dadurch ausgezeichnet ist, dass schon 

ihre Stengelausläufer wieder Wurzel fasst. in kleinsten Mengen die Muskelenden der 

Die Pferde der berittenen indischen Truppen motorischen Nerven ganz so gelähmt werden, 

werden fast ausschliesslich mit diesem Gras wie dies beim Curare angegeben worden ist. 

genährt. Eine Abbildung der blühenden Spitze Das Alkaloid ist dasselbe, wie es auch der 

zeigt Fig. 413 a, die Art des eben geschilder- Ochsenzunge (Anchusa officinalis, s. d.) "und 


\ b 



Fig. 413. Cynodon-Dactjlon. » Blähende Spitze der Pflanze, b Wachsthum derselben, c von Pilzen (Ustilago) 

befallene Pflanze. 


ten Wachsthumes dieser merkwürdigen Pflanze dem Coniin des Schierlings zukommt und 
ist anf Fig. 413 b ersichtlich. Die Höhe, bis Cynoglossin genannt wird. Vogel. 

zu welcher dieses Gras wachsen kann, hängt Cynosurus cristatus L., gemeines Kamm¬ 
vollständig von dem Klima, dem Boden und gras; perennirendes Gras III. CI. 2. 0. Halm 

der Cultur ab. Auf den dürren Ebenen von 50—60 cm hoch, Aehrchen in eine Rispenähre 

Bengalen kriecht es längs des Grundes hin; von2*5—5 cm Länge vereinigt, u.zw. in sitzen- 

die Höhe ist dort unbedeutend. Im Süden den Büscheln; das äussere unterste Aehrchen 

wird es gut einen Fuss hoch, aber bei jedes Büschels besteht aus mehreren un¬ 
guter Cultur kann es wohl eine Höhe von fruchtbaren Spelzen und bildet ein Hüllblatt, 

4—5' erreichen. Das von dieser Pflanze ge- die anderen Aehrchen sind 3—5blüthig. Die 

lieferte Futter ist sehr nahrhaft; es wird so- Spelzen enden in eine kurze Grannenspitze 

wohl das Gras als auch dessen Wurzel ver- und sind ausserdem mit kurzen, weissen Bor¬ 
füttert Dieses Nahrungsmittel ist für die sten besetzt. Blüthe: Mitte Juni bis Anfang 

Truppenpferde von so hochbedeutender Wich- Juli. Reife: Juli und August. Dieses Gras 

tigkeit, dass man sich absolut nicht vor- bildet einen dichten, sehr kleinen und niedri- 

stellen könnte, wie die Pferde in Indien ge- gen Horst, ist daher ein Bodengras für 

nährt werden sollten, falls diese Pflanze nicht Wiesen und eignet sich sehr zur Weide im 

vorhanden wäre. Leider wird dieselbe manch- Gemenge mit anderen Gräsern; es reprodu- 

mal von einem „Sraut“ genannten Ustilago cirt sich schnell und bietet je nach dem 


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384 


CYPERACEAE. — CY8TITIS. 


Boden sowohl eine Schaf- als eine Rinder¬ 
weide. Feuchtigkeit sagt dem Grase viel mehr 
zu als Dürre, es wird aber letztere von ihm 
wegen der tiefergehenden Wurzeln leichter als 
von anderen Gräsern ertragen (s. Futter¬ 
pflanzenbau). ^ v. Liebtnbsrg. 

Cyperaceae, Zypergräser. Familie aus 
der Classe der Monocotyledonen, umfassend 
zahlreiche Grasgewächse, meistens steifer und 
härter als die eigentlichen Gräser, mit dich¬ 
tem Stengel, der von den Blattscheiden um¬ 
geben ist. Blüthen in kleinen, grünen oder 
braunen Aehrchen, welche einzeln und gipfel¬ 
ständig oder zu mehreren in einem endstän¬ 
digen einfachen oder zusammengesetzten 
Büschel, einer Aehre, Spirre, Dolde oder 
Traube gruppirt sind. Jedes Aehrchen steht in 
der Achsel eines Deckblattes und besteht 
aus mehreren Spelzen, in deren Achsel sich 
je eine sitzende Blüthe befindet. Das Perigon 
fehlt entweder oder wird gebildet aus einigen 
Borsten,Haaren oder kleinen Schuppen. Staub- 
gefässe drei, seltener zwei; Fruchtknoten 
einfach, einfächerig, der Griffel mehr oder 
weniger tief getheilt in 3—3 Aeste oder seit¬ 
liche Narben. Frucht ein kleines, samenähn¬ 
liches Nüsschen. Diese Familie enthält eine 
grosse Zahl von Gattungen, wie Cyperus, 
Scirpus, Carex, deren Individuen zum gröss¬ 
ten Theile in Sümpfen und auf nassem Boden 
vegetiren. Ihr Vorkommen auf Wiesen zeigt 
immer das Vorhandensein von Nässe und die 
Nothwendigkeit der Entwässerung an. Das 
Heu wird als saures Heu bezeichnet und eig¬ 
net sich wesentlich nur für Pferde. Lig. 

Cypernkatze, häufige Varietät der Haus¬ 
katze. hellgrau mit schwarzen Streifen und 
schwarzen Sohlen. Der Name stammt daher, 
dass diese Varietät auf der Insel Cypern be¬ 
sonders rein gezüchtet wurde. Sie diente zur 
Vertilgung der Schlangen, welche sie mit 
grosser Begier aufsucht. Studcr. 

Cyrenaischer Hund, s. Algerischer Hund. 

Cyrlaoi J. C. schrieb 1817 in Coburg 
eine Schrift: „Der Vieharzt bei unreinem und 
verdorbenem Futter“ betitelt. Stmmer. 

Cyste. Manche Schwärmer und Plasmo¬ 
dien der Myxorayccten vermögen unter ge¬ 
wissen, noch nicht sicher ermittelten Bedin¬ 
gungen in einen länger oder kürzer dauern¬ 
den Ruhezustand überzugehen. Zu diesem 
Zwecke scheiden sie nach aussen eine meist 
dicke, derbe Haut, eine „Cyste“ ab. Die 
Cysten der Schwärmer sind klein, meist 
kleiner als die Sporen der betreffenden Orga¬ 
nismen; man hat sie Mikrocysten genannt. 
Die Cysten der Plasmodien sind grösser, sie 
heissen Makrocysten. Derartige Vorgänge 
werden allgemein „Encystirungen“ genannt; 
sie kommen namentlich häufig vor bei Infu¬ 
sorien, sowie bei Amöben und anderen Rhi- 
zopoden: aber auch bei Spongien u. s. w. 
Als einen Encystirungsprocess betrachte ich 
auch die sogenannte Sporenbildung vieler 
Spaltpilze, sowie mancher Heferassen (s. 
Saccharomyces). Die Bedingungen der En- 
cystirung oder Einkapselung sind: Schlechte 
Ernährung, allmäliges Austrocknen des Nähr¬ 


substrates, Abkühlung auf eine bestimmte 
Miniraalteraperatur u. s. w. — Die encystirten 
Organismen sind gleich Samen und vielen 
Sporen befähigt, längere Zeit in trockenem 
Zustande ruhend zu verharren. Bringt man 
sie in geeignete Nährflüssigkeiten, so platzen 
die Cysten und die bisher ruhenden Organis¬ 
men erwachen wieder zu neuem Leben. Harz. 

Cysten (von xootic. Blase), geschlossene, 
an der Innenfläche meist mit Epithel oder 
Endothel ausgekleidete, mit einem flüssigen 
oder breiigen Inhalt gefüllte Neubildungen 
oder Geschwülste (s. Balggeschwülste). Sr. 

Cystencaroinom. Cystenkrebs, eine aus 
einem gefässhaltigen Bindegewebsstroma und 
ein gelagerten Epithelzellenzapfen bestehende 
Neubildung (s. Krebs), die sich mit Cysten¬ 
bildungen complicirt. Diese Complication kann 
auf folgende Weise zu Stande kommen: 
1. Können sich Krebse secundär in Cysten 
oder Cystoiden entwickeln, indem die Cysten- 
w'and carcinomatös entartet oder mit zottigen 
krebsigen Wucherungen sich bedeckt (in den 
Ovarien, Hoden, im Euter). 3. Bilden sich in 
Krebsgeschwülsten durch schleimige oder 
colloide Entartung der Krebszellen steck- 
nadelkopf- bis wallnussgrosse cystenartige 
Räume, besonders in metastatischen Krebsen 
des Magens, der Leber, Lungen etc. (Carci¬ 
noma cysticum colloides.) 3. Durch schleimige 
Entartung der Zellen des Drüsenkrebses 
(Glandular carcinom, Adenoma carcinomato- 
des, schleimiges Cancroid). 4. In drüsigen 
Organen entstehen durch Krebswucherungen 
und Druck auf die Drüsengänge Stauungen des 
Drüsensecretes und Cystenbildungen um und 
zwischen den Krebsneubildungen. Semrncr. 

Cystiden nennt man seit Ldveilld auf¬ 
fallend grosse ovale, rundliche bis prisma¬ 
tische, wasserhelle Zellen, welche bei den 
Tintenpilzen (Coprinus) neben den Basidien 
und Paraphysen Vorkommen. Harz. 

Cystin. Eine bisher nur im Harn des Men¬ 
schen und in Form von Blasensteinen bei 
diesem aufgefundene Substanz, deren empi¬ 
rische Formel C g H 7 NS0, ist, und welche als 
anonnales Spaltungsproduct der Eiweisssub¬ 
stanzen aufgefasst werden muss, welches hie 
und da neben den normalen Endproducten 
des Stoffwechsels, Harnstoff, Harnsäure, Krea¬ 
tin im Harne erscheint. Das Cystin ist im 
Sedimente des Harns leicht erkennbar an 
den sechsseitigen Tafeln oder Prismen, in 
welchen es auftritt. Es ist unlöslich in 
Wasser, Alkohol und Aether, löst sich leicht 
in Aetzalkalien, Mineralsäuren und Oxalsäure. 
Aus sauren Lösungen wird es durch saures 
kohlen saures Ammon gefällt, aus alkalischen 
Lösungen durch Essigsäure und Weinsäure. 
Auf Platinblech erhitzt, verbrennt es mit 
blaugrüner Flamme unter Entwicklung eines 
an Blausäure erinnernden Geruches. Loebisch, 

Cystitis, s. Urocystitis, die Harnblasen¬ 
entzündung (v. xo3Ti$, Blase, Harnblase; oopov. 
Harn): bei ihr entzündet sich primär die 
Schleimhaut, der seröse Ueberzug der Blase 
aber, w enn eine Peritonitis, Enteritis, Nephritis 
oder Metritis auf die Blase übergeht. Das 



CYSTOIDE. 

Nähere über Cystitis s. bei Harnblase, Harn¬ 
blasenentzündung. Anacker . 

Cystoide, Kystome, Cystengeschwülste, 
sind Geschwülste, welche aus einer grosseren 
Anzahl von Cysten bestehen, die meist durch 
Proliferation aus einander hervorgehen (Proli¬ 
ferationscysten, multilobuläre Kystome). Am 
häufigsten kommen die Cystoide in den Eier- 
stOcken (bei Pferden) vor, wodurch diese oft 
zu kopfgrossen Geschwülsten heranwachsen. 
Die Kystome der Ovarien zerfallen in glan¬ 
duläre und papilläre. (Kystoma proliferans 
glanduläre et papillare). Die glandulären 
Kystome charakterisiren sich durch beständige 
Epithelwucherung und Bildung neuer Cysten 
in der Wand der älteren. Die oft grossen, 
durch dicke Bindegcwebswandungen um¬ 
grenzten cystenartigen Hohlräume sind mit in 
Fettentartung oder colloider Entartung be¬ 
griffenen Zellenmassen gefüllt. Wegen des 
mehr festen Inhalts haben die cystoid ent¬ 
arteten Ovarien Aehnlichkeit mit sarcoma- 
tösen oder drüsigen Neubildungen. Bei den 
papillären Kystomen wuchert vorzugsweise 
das Bindegewebe und bildet zahlreiche zottige 
und höckerige, mit Epithel umkleidete Vor¬ 
sprünge in den cystoiden Räumen. Ferner 
kommt häufig vor eine cystoide Entartung mit 
Bildung von Colloidcysten und Schleimcysten 
in den Schilddrüsen und Vorsteherdrüsen der 
Hunde (mit Störungen der Athmung und des 
Harnabsatzes). In den Nieren bilden sich bei 
Verschluss von Harncanälchen oft zahlreiche 
atecknadelkopf- bis apfel grosse Cysten, sog. 
Harncysten. (Cystoide Entartung der Nieren, 
auch angeboren als fötale Cystenniere.) Sr. 

Cy8t08arcom, eine aus einem gefäss- 
haltigen Bindegewebstroma mit zahlreichen 
eingelagerten Rundzellen und spindelförmigen 
Zellen (oder auch Endothelzellen) des mitt¬ 
leren Keimblattes bestehende Neubildung 
(8. Sarcom), in der sich durch partielle um¬ 
grenzte Entartung und Zerfall der Gewebe 
cystenartige Hohlräume bilden, die anfangs mit 
Detritusmassen und nach Resorption derselben 
mit seröser Flüssigkeit gefüllt sind. Auch kön¬ 
nen Kystome nachher sarcomatös entarten. Sr. 


— D., Da. 885 

Cystospasmus , Blasenkrampf (von 
xoott;, Blase; oitdv, ziehen, spannen); er gibt 
sich durch Unregelmässigkeiten in der Harn¬ 
entleerung zu erkennen. Ergreift der Krampf 
nur den Blasenhals, dann besteht periodisch 
Harnverhaltung, erstreckt er sich aber über die 
Muskulatur der ganzen Blase, dann wird der 
Harn während des Krampfanfalles unter 
Schmerzäusserungen in kleinen Mengen äbge- 
setzt (s. Blasenkrampf). Anacker. 

Cythomarga alba, s. Unicornu fossile. 

Cyti8in. Ein in der Besenpfrieme (Spartium 
scoparium L.) vorkommendes Alkaloid, welches 
purgirend wirkt. Die Besenpfrieme, ein man- 
neshoher ästiger Strauch, mit grünen kantigen 
Zweigen und grossen gelben Blüthen, dient 
meist nur zum Besenbinden und Korbflechten. 
Die Zweigspitzen bilden jedoch ein dem mitt¬ 
leren Wiesenheu gleichwerthiges Futter, wer¬ 
den in Pommern gesammelt und gerne den 
Schafen gegeben. Sie enthalten 91*7% Tro¬ 
ckensubstanz, 15’9% Protein, 5*3% Fett, 
29 o% stickstofffreie Extractstoffe, 33* 1 % 
Holzfaser, 7*9% Asche. Sie sind aber angeb¬ 
lich wegen ihrer purgirenden Wirkung be¬ 
sonders für trächtige Thiere ungeeignet Pott. 

Cyti8H8 Laburnum, gemeiner Bohnen¬ 
strauch, der als Goldregen bekannte, gelb¬ 
blühende Strauch unserer Papilionaceen (L. 
XVH. 3), dessen Samen und junge Hülsen 
hie und da Vergiftungen erzeugen, wenn nicht 
ihre brechenerregende und abführende Wirkung 
rasch zum Vorschein kommt. Vogel. 

Cytogene, Bindesubstanz, s. Bindegewebe. 

Czerkass-Pferd, s. Tscherkessisches Pferd. 

Czifferer Landschlag. Eine nach dem 
Gute Cziffer — am Ostabhange der kleinen 
Karpathen im ungarischen Comitate Press¬ 
burg gelegen — benannte Kreuzung von 
Berner, zum Theil auch von Schwyzer Rin¬ 
dern, die sich von vielen anderen derartigen 
Kreuzungen, die nicht mit einem besonderen 
Schlagnamen benannt sind, nicht wesentlich 
unterscheidet. Die genannte Kreuzung hat 
sich durch Mastfähigkeit bewährt. Wilckens. 

Czurkan-Schaf, s. Tzurkan-Schaf. 



D, ist eine in neueren ophthalmologischen 
Werken und Schriften sehr häufig gebrauchte 
Abkürzung für Dioptrie (s. d.); will man 
den Refractionszustand eines Auges kurz be¬ 
zeichnen, so bedient man sich einer Gleichung, 
bei welcher auf der einen Seite die Refractions- 
anomalie (Hypermetropie oder Myopie, die 
dann ebenfalls in der Abkürzung als H oder 
M geschrieben werden) zu stehen kommt, auf 
der anderen Seite wird der gefundene Grad 
dieser Anomalie genannt, den man durch die 
Anzahl der Dioptrien ausdrückt, welche man 
benöthigt, um das ametropische Auge zu einem 
emmetropisch sehenden zu machen, und dann 


den Buchstaben D dahinter setzt So drückt 
man z. B. eine am rechten Auge gefundene 
Uebersichtigkeit, welche durch eine Convex¬ 
linse von drei Dioptrien corrigirt werden 
kann, aus: R. A.: H = -f- 3 D, was besagen 
soll: Rechtes Auge, Hypermetropie == drei 
Dioptrien; oder eine am linken Auge consta- 
tirte Kurzsichtigkeit, welche durch eine Con- 
cavlinse von sieben Dioptrien behoben wird, 
notirt man sich als: L. A.: M = — 7 D, d. h.: 
Linkes Auge, Myopie = 7 Dioptrien. Sj>. 

d., ist in der Wollkunde als das Zeichen 
für die Tertiawolle gebräuchlich. 

D., Da, auf lateinischen Reccpten „Gib“. 


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286 


DACHS. — DACHSHUND. 


Dachs, Meies taxus Pall. Säugethier 
aus der Ordnung der Carnivora, Raubthiere, 
Familie der Mustelidae, Marder. Der Dachs 
besitzt einen gedrungenen, langgestreckten 
plumpen Körper, der auf kurzen Extremitäten 
steht. Die Füssc treten mit ganzer Sohle 
auf und sind mit starken Krallen bewaffnet, 
welche an den Vorderfüssen stärker als an 
den Hinterfüssen sind. Der Kopf ist verhält- 
nissmässig klein, mit zugespitzter, fast rüssel- 
förmig vorgezogener Schnauze, kleinen Augen 
und kurzen, dicht behaarten Ohren. Der 
Schwanz ist kurz. Das Gebiss besteht aus 
drei Schneidezähnen in jeder Kieferhälfte, 
einem Eckzahn, vier Prämolaren, einem Molar 
im Oberkiefer und zwei im Unterkiefer. Der 
obere Höckerzahn (Molar) ist sehr gross, 
mit quadratisch verbreiterter Krone, grösser 
als der Fleischzahn. Der Pelz ist lang und 
steifhaarig, die Färbung im Allgemeinen auf 
der Oberseite weisslichgrau mit Schwarz 
melirt, die Unterseite und die Füsse schwarz, 
der Kopf weiss, ein schwarzer Streifen zieht 
sich seitlich von der Schnauze über Auge 
und Ohrgegend. Die Länge des Körpers be¬ 
trägt 75—80 cm, die des Schwanzes 18—20 cm, 
die Schulterhöhe 30—32 cm. Der gemeine 
Dachs ist über Europa und den grössten 
Theil Nordasiens verbreitet. Er gräbt unter¬ 
irdische Höhlen, sogenannte Baue, welche 
aus einem Kessel und zwei bis acht Aus- 
und Eingangsröhren bestehen. In diesem Kessel 
verbringt er schlafend den Tag und den 
Winter, des Nachts geht er auf Nahrung 
aus, die in Pflanzen und Thierstoffen besteht. 
Die Paarungszeit fällt in den Juli oder Anfangs 
August. Im Februar oder März wirft das 
Weibchen 3—5 blinde Junge. Der Dachs 
wird wegen seines Fettes und seines Pelzes 
gejagt, auch das Fleisch wird gegessen. Str. 

Dachshund, Dächsel, Basset, Canis ver- 
tagus. Unter dieser Bezeichnung begreift man 
Jagdhunde von besonderer Form, die so 
niedrig gestellt sind, dass sie in unterirdi¬ 
schen Bauen lebende Jagdthiere, wie Dachse, 
Füchse in ihren Höhlen aufsuchen können. 
Der Leib der Dachshunde ist sehr lang ge¬ 
streckt, fast walzenförmig, der Rücken einge¬ 
bogen, die Beine sehr kurz, plump und stark. 
An den Vorderextremitäten meist das Hand¬ 
gelenk einwärts gebogen, während die Hand 
wieder nach auswärts gekrümmt ist. Der Kopf 
hat ganz die Form des eigentlichen Jagd¬ 
hundes, Canis sagax. Der Hirntheil schön 
gewölbt, die Schnauze ziemlich lang und 
hoch, die Lefzen etwas hängend, die Ohren 
lang und hängend. Der Schädelbau stimmt 
ganz mit dem des Jagdhundes überein. Die 
Rasse scheint aus Jagdhunden hervorgegangen 
zu sein, welche Anlage zu rhachitischer Ver¬ 
biegung der Vorderarme zeigten, indem man 
durch rationelle Zuchtwahl diese Eigenschaft 
fortpflanzte. Schon unter den Knochenresten der 
Pfahlbauten aus der Bronzezeit in der Schweiz 
findet man Vorderarmknochen vom Hund, 
welche die charakteristische Einwärtsbiegung 
der unteren Epiphyse zeigen, doch sind keine 
Anhaltspunkte vorhanden, dass diese Defor¬ 


mation schon damals zur Rassebildung ver¬ 
wendet wurde. Dagegen findet sich auf alt¬ 
ägyptischen Denkmälern in Beni Hassan die 
Darstellung einer Hündin, die durch ihre 
langgestreckte Form, die kurzen plumpen 
Extremitäten, den eingebogenen Rücken sehr 
an den Dachshund erinnert, nur hat sie lange, 
aufrechtstehende Ohren. Auf den Dachshund 
bezieht Fitzinger den Biberhund Xenophons, 
doch ist die Stelle nicht klar genug; den 
Römern scheint dagegen der Dachshund be¬ 
kannt gewesen zu sein. Bei den alten Deut* 
sehen kommt der Dachshund schon im Boji- 
schen Gesetz unter dem Namen Bibarhunt 
vor und unter derselben Benennung oder als 
Canis Bersarius, Beverarius, Bibraceo in den 
Schriften des IX.—XV. Jhdt. (Fitzinger), 
ebenso wird er zur Zeit der merovingischeu 
Könige als Bibarhunt erwähnt. Gegenwärtig 
wird der Dachshund am meisten und besten 
in Deutschland gezüchtet, in Frankreich im 
Artois, in Belgien in Flandern. Man unter¬ 
scheidet krummbeinige und geradbeinige 
Dachshunde, welche wie die Jagdhunde in 
glatthaarigen, rauhhaarigen und langhaarigen 
Varietäten Vorkommen. 

Krummbeinige Dachshunde. Glatt¬ 
haarig: Kopf lang und flach, mässig breit, 
Augenabsatz nicht zu hoch. Hinterhauptbein 
gut entwickelt. Schnauze lang und stark mit 
gut entwickelter Nase und gut passenden 
Zähnen; Fangzähne stark und etwas gebogen. 
Augen gross, feurig und klug. Ohren glatt 
am Kopfe hängend, lang, breit und weich, 
tief angesetzt. Hals lang und stark, muskulös 
mit loser Haut. Brust tief und breit. Rücken 
lang, in der Nierengegend breit und gewölbt. 
Rippenkorb lang und tief hinabreichend, Bauch 
nach hinten stark aufgezogen. Vorderbeine 
kurz und starkknochig, vom Ellbogen ab bis 
zu den Knien nach innen gestellt, so dass 
dieselben sich fast berühren. Vorderpfoten 
sehr gross, von den Knien ab auswärts gestellt 
mit starken schwarzen Klauen. Hinterläufe 
ganz gerade, Schenkel muskulös, Unterschenkel 
verkürzt, Hinterpfote kleiner als die Vorder¬ 
pfote. Ruthe lang, an der Wurzel dick, dann 
allmälig spitz zulaufend. Wird horizontal oder 
schräg auf- oder abwärts getragen. Haar 
kurz, glatt anliegend, hart an den Ohren, im 
Gesicht weich. Farbe glänzendschwarz mit 
gelben Abzeichen, rothbraun mit gelben Ab¬ 
zeichen, einfarbig gelb oder lohfarben. Rauh¬ 
haarig : Mit langer rauher, derber Behaarung, 
die dicht ist. Langhaarig: Mit langer, seiden¬ 
weicher Behaarung, welche gewellt und be¬ 
sonders lang unter dem Halse, der Unter¬ 
seite des Körpers und an der Hinterseite der 
Läufe ist. Am längsten ist das Haar an den 
Ohren und der Ruthe. Eine kleine Form des 
krummbeinigen Dachshundes wurde in Eng¬ 
land und Frankreich unter dem Namen Turn- 
spit, Toumebroche gezüchtet, die früher dazu 
verwendet wurde, den Bratspiess in der Küche 
zu drehen, gegenwärtig auch hin und wieder 
zur Kaninchenjagd gebraucht wird. Derselbe 
ist kleiner als der gewöhnliche Dachshund, 
hat etwas höhere Beine, die vorderen weniger 


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DACRYOCYSTITIS. — DÄMPFEN DES FUTTERS. 


verbogen, die Ohren sind schmäler und be¬ 
deutend kürzer. Die Behaarung ist meist gelb¬ 
lich grau oder mausfarben oder schiefergrau 
mit grösseren und kleineren schwarzen Flecken. 

Der geradbeinigc Dachshund, 
Tumbler, Basset ä jambes droites, wird besonders 
in England gezüchtet, von wo er nach Fitzinger 
seit dem XVI. Jahrhundert aufgeführt wird. 
Dieser Hund hat einen merklich kürzeren 
Kopf, etwas kürzere und minder spitze Schnauze 
als der krummbeinige Dachshund, verhält- 
nissmässig längere und breitere Ohren und 
einen längeren und dünneren Schwanz. Die 
Vorderbeine sind gerade, nur am Handgelenk 
verdickt, sonst kurz und stark wie bei der 
krummbeinigen Form. Studcr. 

' acryocystitls, s. Dakiyocystitis. 

Dadd G. H. bemühte sich 1835 um die 
Gründung einer Veterinärschule in Boston in 
Nordamerika und gab 1851 heraus: „The 
American Veterinary Journal, devoted to the 
diffusion of veterinary knowledge.“ Semmer. 

Dämpfe, arzneiliche, zum Einathmen 
(Dämpfen, Dunsten), s. Inhalationen. 

Dämpfen des Fleisches. Beim Dämpfen 
des Fleisches findet ein ähnlicher Vorgang 
wie beim Kochen statt. Hier wirkt jedoch ein 
bei weitem geringeres Quantum des Wassers 
auf das Fleisch, weshalb die im Wasser lös¬ 
lichen Stoffe (sog. Extractivstoffe) nur in 
einem verhältnissmässig geringen Masse ver¬ 
loren gehen. Immerhin findet ein grösserer 
Verlust von Nährsubstanzen als beim Braten 
statt, denn ein Theil des Fleischsaftes tröpfelt 
bei dieser Procedur herab. Die Veränderungen, 
die hiebei das Fleisch erleidet, sind folgende: 
Zuerst gerinnt an der Oberfläche das Eiweiss 
und überzieht das Fleisch mit einer festen 
Hülle. Die schnellere oder spätere Gerinnung 
hängt jedoch von der Temperatur des Dampfes 
ab; je weniger der Dampf erhitzt ist, desto 
langsamer gerinnt das Eiweiss und einen desto 
grösseren Verlust erleidet das Fleisch an 
Saft. Nach und nach dringt die Wärme auch 
in das Innere des Fleisches ein, das Fleisch 
verfärbt sich und nimmt hiebei eine dunkel¬ 
graue Farbe an. Es lockert sich zugleich das 
Bindegewebe, zum Theil wird es in Leim 
umgewandelt. In Folge der Einwirkung der 
Wärme wird auch das Fett bis zu einem 
ewissen Grade aufgelöst, mischt sich mit 
em Fleischsaft und tröpfelt herunter. Daraus 
ist ersichtlich, dass das in heissen Dämpfen 
gedämpfte Fleisch nur einen höchst geringen 
Verlust an Nährstoffen erleidet, es ist nahr¬ 
haft und wohlschmeckend und kommt in dieser 
Beziehung einem gut gebratenen Fleische 
sehr nahe, ja es übertrifft dasselbe sogar 
an Schmackhaftigkeit. Das sog. Dünsten des 
Fleisches, wie es in jeder Küche gemacht 
wird, ist ja auch nichts Anderes als ein 
Dämpfen im eigenen Saft oder in einer Sauce. 
In den grösseren Fleischconservefabriken 
Amerikas wird auch deshalb das wohlschme¬ 
ckende Beefsteakfleisch beinahe ausschliesslich 
mittelst Dämpfens zubereitet, so z. B. das 
Corned-Beef, das Texas-Beef, die Zunge u. s. w. 
Um den Verlust an Fleischsaft ad min im um 


287 

zu reduciren, verfährt man bei der Zuberei¬ 
tung des Texas-Beef folgenderart: das Fleisch 
wird in den Ofen gestellt, wo es einem Strome 
heisser Luft 3—4 Stunden lang ausgesetzt 
bleibt. Das Fleisch wird dann auf Platten 
von Eisenstäben gelegt, eines über das andere, 
und langsam durch eine Kette ohne Ende 
vom Gipfel zum Boden des Ofens getragen. 
Die Säfte von den oberen Platten tropfen auf 
das Fleisch der niederen, und wenn es den 
Boden des Ofens erreicht, hört das Tropfen 
auf und das Fleisch ist durch und durch ge¬ 
dämpft, ohne einen Bestandtheil seiner nahr¬ 
haften Masse eingebüsst zu haben. Nachdem 
dies geschehen, wird es gepresst und in Blech¬ 
büchsen verlöthet. Baranski , 

Dämpfen des Futters. Das Garkochen 
von Futterstoffen vermittelst Dampfes. Die 
Schweine gedeihen bei jeder Art von Koch¬ 
futter vortrefflich. Jene Hausthiere hingegen, 
die sich durch ein lebhaftes Temperament 
auszeichnen, körperliche oder geschlechtliche 
Arbeit verrichten müssen, sich viel im Freien 
aufhalten etc., vertragen nur ausnahmsweise 
ein so weichliches Futter wie Dämpffutter. 
Die Herstellung von Dämpffutter kommt mit¬ 
hin, ausser für Schweine, nur für Mastrinder, 
Mastschafe und Milchvieh in Betracht; sie 
gewinnt für diese Thiere um so grössere 
Taktische Bedeutung, wenn es sich darum 
andelt, gewisse minderwerthige Futterstoffe 
mundgerechter und schmackhafter zu machen 
und befallenen oder sonst irgendwie ver-^ 
dorbenen Futterstoffen etwaige gesundheits¬ 
schädliche Wirkungen zu benehmen. 

Körnerfutteru. dgl. wird fast ausnahms - 
los durch blosse Zerkleinerung (Schroten) in 
genügender Weise für eine gute Verdauung 
vorbereitet. Ganz besonders gilt dies für 
Pferde, Rinder und Schafe. Nur dumpfige, 
schimmelige, brandige (befallene) und dadurch 
gesundheitsschädlich wirkende Körner sollten 
behufs Verftitterung immer, u. zw. womöglich 
unter Hochdruck, gedämpft werden (durch 
das Kochen in Wasser werden die Körner 
ausgelaugt). Das Dämpfen unter Hochdruck 
gewährt noch den besonderen Vortheil, dass 
dadurch eine theilweise Aufschliessung des 
in den Körnern enthaltenen Stärkemehles und 
eine Vermehrung der löslichen Stickstoff-' 
haltigen Bestandteile bewirkt wird. Durch 
zu starkes Dämpfen findet aber auch eine 
Eiweisszersetzung durch Abspaltung von' 
Amidstoffen und noch in anderer Weise statt. 
Das Dämpfen darf somit nie in zu intensiver 
Weise erfolgen und nicht zu lange andauern. 
In den meisten Fällen wird eine Temperatur 
von wenig über 100* C. völlig ausreichen, und 
ist es genügend, wenn die zu dämpfenden 
Körner sich eine Stunde lang unter Hoch¬ 
druck befinden. Das Dämpfen von Körnern 
wird am besten in sog. Henzedämpfem oder 
diesen ähnlichen Apparaten vorgenommen 
und die durch Ausblasen zerkleinerten Körner 
sind im frischwarmen Zustande, mit grobem 
Häcksel vermischt, zu verfüttern. 

Kleiefutter wird am besten trocken 
oder im gekochten Zustande (in Suppenform) 



*88 


DÄMPFUNG. — DÄNEMARKS THIKRZUCHT. 


verfüttert, soll also nie gedämpft werden. 
Ungefähr dasselbe gilt von den Futterküchen, 
die nur ausnahmsweise gekocht oder gedämpft 
werden, so z. B. senfhaltige Rapskuchen, um 
das in denselben enthaltene, den Thieren unzu¬ 
trägliche Senföl auszutreiben. Ausserdem sind 
alle angeschimmelten oder dumpfig gewor¬ 
denen Futterküchen zu dämpfen oder zu kochen, 
um die in denselben enthaltenen schädlichen 
Pilzorganismen zu tödten. Zu langes Dämpfen 
unter Hochdruck ist auch hier, aus denselben 
Gründen wie beim Körnerfutter angegeben, 
zu vermeiden. 

Das Dämpfen vonRauh futterst offen 
empfiehlt sich nur dann, wenn diese sehr hart 
und grobstengelig sind und von den Thieren 
daher nicht in grösseren Mengen aufgenommen 
würden. Es wird durch das Dämpfen groben 
Rauhfutters im gehäckse lten Zustande nicht 
blos dessen Schmackhaftigkeit, sondern auch 
dessen Verdaulichkeit gesteigert; bei saurem 
Heu u. dgl. kommt noch als besonderer Vor¬ 
theil hinzu die Austreibung unangenehm 
riechender flüchtiger Stoffe, durch welche 
nicht allein der Geschmack, sondern wahr¬ 
scheinlich auch die Verdaulichkeit des Futters 
beeinträchtigt wird. Um Zersetzungen, resp. 
Nährstoffverluste zu vermeiden, dürfen aber 
auch Rauhfutterstoffe nur bei geringem Druck 
und nur kurze Zeit gedämpft werden. Ein Vor¬ 
theil des Dämpfens von Rauhfutter besteht fer¬ 
ner darin, dieses den Thieren als Hauptfutter 
warm vorlegen zu können, wodurch, besonders 
in kalter Jahreszeit, beträchtliche Futtererspar¬ 
nisse erzielt werden. Es gilt dies für alle 
Arten von Dämpffutter überhaupt. Dabei ist 
aber nicht zu übersehen, dass durch Verfüt- 
terung zu heissen Futters Indigestionen, 
Verwerfen bei trächtigen Thieren etc., zum 
mindesten eine Erschlaffung der Verdauungs¬ 
organe und schliesslich der Gesammtconsti- 
tution hervorgerufen werden. Das Dämpffutter 
darf den Thieren höchstens mit einer Tempe¬ 
ratur von 40° C. vorgelegt werden und ist zu 
diesem Behufe, wenn es dem Dämpfapparate 
entnommen, durch Ausbreiten an der Luft 
abkühlen zu lassen. Dämpffutter darf jedoch 
nie durch längere Zeit an der Luft liegen 
bleiben, weil es sonst nachtheilige Geschmacks¬ 
veränderungen und Zersetzungen erleidet. Ge¬ 
dämpftes Rauh futt er ist gemeinhin nur für 
Rindvieh gut verwendbar. Pferde sollen Dämpf¬ 
futter (Häcksel mit Hafer vermischt) nur aus 
diätetischen Rücksichten, u. zw. vorübergehend 
erhalten. So will der braunschweigische Stall¬ 
meister v. Girsewald beobachtet haben, dass 
Pferde, wenn dieselben anhaltend scharfe 
Arbeit bei „hartem“ Futter verrichteten, eine 
„Zusammenziehung ihrer Gedärme“ erleiden. 
Um die letzteren wieder „aufzuweiten“, wie 
auch um den Uebermuth der Thiere nach 
hartem Futter bei wenig Arbeit zu massigen, 
lässt v. Girsewald vorübergehend gedämpftes 
Futter verabreichen. Auch gegen die kleine 
Druse der Pferde soll nach v. Girsewald 
Dämpffutter ein vorzügliches Mittel sein. Im 
Uebrigen ist gedämpftes Rauhfutter nur für 
Mastschafe verwendbar. — Das Dämpfen des 


Rauhfutters ist unter allen Umständen drin¬ 
gend zu empfehlen, wenn es stark mit Pilzen 
oder gewissen Schraarotzerthieren besetzt ist. 
Zum Dämpfen des Rauhfutters benützt man 
cementirte, mit Holzdeckeln verschlossene Bas¬ 
sins, in deren Bodenmitte je ein Dampfrohr 
mündet. Bei Anwendung von Dampf mit etwa 
1% Atmosphären (11* —115° C.) ist das 
Dämpfen in spätestens einer Stunde beendet. 
In neuerer Zeit verwendet man auch eigens 
construirte, gut verschliessbare Dämpfapparate, 
die unter Anderem den Vortheil darbieten, dass 
sich in ihnen das Futter mindestens 48 Stun¬ 
den w'arm erhält, so dass man nur alle zwei Tage 
zu dämpfen braucht. 

Das Dämpfen von Knollen- und Wur¬ 
zelfrüchten befördert bei der Schweinefütte¬ 
rung die Verdauung dieser Futtermittel. Alle 
anderen Thiere verwerthen gedämpfte Rüben 
u. dgl. kaum besser als rohe, entsprechend 
zerkleinerte. Dessenungeachtet gibt man in der 
Praxis der Verbitterung gedämpfter Kartoffel 
an Rindvieh den Vorzug, wenn sehr grosse 
Mengen verfüttert werden müssen. Die ge¬ 
dämpften Kartoffel, Rüben u. dgl. müssen 
aber gleichfalls entweder durch Quetschen 
oder Ausblasen (Henzedämpfer) grob zerkleinert 
werden und mit Häcksel u. dgl. vermischt zur 
Verbitterung kommen. Pferde, die nur aus¬ 
nahmsweise mit Kartoffeln u. dgl. gefüttert 
werden, sollen zuweilen nach gedämpften Kar¬ 
toffeln Kolikanföile bekommen, die sich 
übrigens mitunter auch nach rohen Kartoffeln 
einstellen. Dämpfkartoffel sind für feinere 
Wollschafe ungeeignet, für andere aber ein 
gutes Mastfutter. Ausnahmslos sehr riith- 
lich ist es, kranke und gefrorene Kartoffel 
und Rüben (gefrorene, bevor sie aufthauen) 
zu dämpfen. Kann inan solches DämpfTutter 
nicht sofort verfüttern, so kann man es immer 
noch durch Einsäuem conserviren. Bei Kar¬ 
toffeln und Rüben genügt meistens ein halb¬ 
stündiges Verweilen derselben in einem Dampf¬ 
fasse, bei geringer Dampfspannung, um die¬ 
selben garzukochen. Pott . 

Dämpfung des Percussionsschalles, s. Per¬ 
cussion. 

Dänemarks Thierzucht. Bei der letzten 
Viehzählung (15. Juli 1881) besass das König¬ 
reich, ohne Faroer und Island, 347.561 Pferde, 
1,470.078 Rinder, 1.548.613 Schafe, 9331 Zie¬ 
gen und 527.417 Schweine. Dänemark — ganz 
besonders aber die Halbinsel Jütland — ist 
für die Viehzucht günstig; man trifft dort 
nicht allein einen der Hanptsitze der ganzen 
europäischen Pferdezucht, sondern auch eine 
sehr weitverbreitete und gut betriebene Rinder¬ 
zucht. Es kommen daselbst auf 1000 Ein¬ 
wohner 180 Pferde und 747 Haupt Rindvieh. 
Kein anderer Staat in Europa besitzt einen 
gleich grossen Kindviehbestand, d. h. auf die 
Einwohnerzahl berechnet, und es zeigt dieser 
Umstand ganz deutlich, dass gerade diese 
Thiergattung von grossem Nutzen für die 
dortige Landwirtschaft ist. Bereits im 
Jahre 1758 wurde in Dänemark ein Verkop¬ 
pelungsgesetz erlassen und im Jahre 1800 
war (nach Roscher) schon die Hälfte aller 



DÄNEMARKS THIERZÜCHT. 


Feldgemeinschaften beseitigt. Auch dieser Um¬ 
stand war für die Hebung der Viehzucht des 
Landes von grossem Werth. In der neueren Zeit 
hat Dänemark ebenso grosse Vortheile durch 
einen intensiv betriebenen Ackerbau, wie durch 
die Pflege der Müchwirthschaft aufzuweisen. 
Die dänische Butter wird auf dem Londoner 
Markte in der Regel am besten bezahlt, und 
man kann mit Recht sagen, dass dieselbe eine 
neue Aera für die Production jenes wichtigen 
Nährmittels eröffnet hat. 

Der Export an Pferden, Rindern und 
Schweinen ist für Dänemark sehr bedeutend. 

1880 wurden von dort 14.539 und 1881 etwa 
11.900 Pferde ausgeführt. Die Rinjierausfuhr 
ist noch ansehnlicher: 1880 wurden 99.831 
und im Jahre 1881 etwa 84.600 Rinder expor- 
tirt. Die Ausfuhr an Schweinen stellte sich 

1881 auf 253.294 Stück. Es gibt in Europa 
nur wenige Länder, in welchen eine grössere 
Anzahl von Hausthieren dieser Gattung aus¬ 
geführt wird. 

Für die Pferdezucht sind verschiedene 
Bezirke auf den dänischen Inseln, ganz be¬ 
sonders aber die östlichen und westlichen 
Küstengebiete Jütlands günstig; Klima und 
Bodenverhältnisse sagen den Pferden zu, 
und es ist daher wohl anzunehmen, dass 
, diese Thiergattung dort schon heimisch war, 
als die alten Kelten und Finnen das Land 
bewohnten. Leider fehlen uns zuverlässige 
Nachrichten über den Ursprung der dänischen 
Rasse. Es heisst, dass schon im Alterthume 
Dänemark ein zwar kleines, aber kräftiges 
Pferd und im Mittelälter ein wohlberufenes 
Streitross besessen habe. Wahrscheinlich ist, 
dass mit den Gothen von den Ländern am 
Don gute Pferde nebst anderen Hausthieren 
nach den nordeuropäischen Staaten und so 
auch nach Dänemark gekommen sind. Jetzt 
noch begegnet man im Norden manchem 
Pferde, welches in seinen Körperformen Aehn- 
lichkeit mit den tatarischen Rossen des Ostens 
zeigt. Die grossen Grundbesitzer und ver¬ 
schiedenen Klöster sollen in der christlichen 
Zeit für die Hebung der Pferdezucht fleissig 
gearbeitet haben; man scheute keine Opfer, 
um durch Ankauf edler Hengste aus dem 
Orient und Spanien die heimische Rasse zu 
veredeln. An verschiedenen Orten wurden 
grosse Gestüte eingerichtet und auf die Pflege 
und Haltung der Fohlen stets grosse Sorgfalt 
verwendet. Schon 1562 wurde in Frederiksborg 
(unweit Kopenhagen) ein Staatsgestüt ge¬ 
gründet, das sich sehr bald eines guten 
Rufes im In- und Auslande zu erfreuen hatte. 
Gegen die Mitte des XVII. Jahrhunderts — 
unter der Regierung des Königs Christian IV. 
— galt Frederiksborg für eines der best¬ 
besetzten Gestüte Europas. Die dortigen 
Rappen, sowie auch die Weissgebornen haben 
bis in die neuere Zeit viele Liebhaber und 
Verehrer gefunden; sie wurden in die Mar- 
ställe deutscher Fürsten (z. B. nach Herren¬ 
hausen bei Hannover) geführt, und es hat 
sich deren Nachzucht hier zum Theil bis auf 
den heutigen Tag erhalten. Die weissgebornen 
Carossiers wurden besonders bevorzugt, und 

Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkd. II. Bi. 


289 

sie erschienen bei allen grossen Staatsäuf- 
Zügen vor den fürstlichen Equipagen in 
prächtigem Geschirr. Leider ist das Frederiks- 
borger Gestüt vor einiger Zeit als Staats¬ 
gestüt eingegangen, und man überlässt jetzt 
auf den dänischen Inseln wie in Jütland den 
Privaten —reichen Grundbesitzern und Bauern 
— die Beschaffung der nöthigen Deckhengste 
für ihre Stuten. Bis vor Kurzem hielt man 
es kaum der Mühe werth, eine Behörde zu 
schaffen, welche das Geschäft der Pferdezucht, 
Auswahl der Beschäler etc. überwachte oder 
leitete. Erst in der allemeuesten Zeit, seit 
1878, befördert man die Zucht nach einem 
Gesetze und durch systematisch geordnete 
Schauen, Prämiirungen guter Zuchtpferde etc; 
Im Jahre 1873 bildete sich im Lande eine 
Gesellschaft von dänischen und schwedischen 
Grossgrundbesitzern und Sportsmen zu dem 
Zwecke, tüchtige Vollblutstuten in England 
anzukaufen. Diese Thiere wurden in beiden 
Ländern auf bestimmte Stationen gebracht, 
daselbst für Rechnung der Gesellschaft er¬ 
halten und deren Abkömmlinge, sobald sie 
ein Jahr alt waren, in öffentlichen Auctionen 
verkauft. Die Grundsätze und das Vorgehen 
dieser Gesellschaft fanden grossen Anklang in 
der dortigen Sportswelt, und es meldeten sich 
in kurzer Zeit so viele neue Theilnehmer zur 
Gesellschaft, dass man im Herbst 1874 schon 
20 edle Mutterstuten von den berühmtesten 
englischen Zuchtplätzen beziehen konnte. Die 
erwähnte Gesellschaft hat später ihren Ein¬ 
zug in Frederiksborg gehalten, in den Räumen 
des früheren königlichen Gestüts ihre Pferde 
untergebracht und sorgt nun hier für eine 
rationelle Aufzucht und gute Haltung der 
Fohlen etc. Auf dem für die Pferdezucht sehr 
günstigen Boden jenes Platzes, unter der 
steten Aufsicht sachverständiger Männer, er¬ 
freut sich die dortige moderne Zucht einer 
guten Entwicklung, und es steht zu hoffen, 
dass Frederiksborg sehr bald wieder den 
alten guten Ruf früherer Tage erneuern wird. 

Man unterscheidet heute noch in Däne¬ 
mark zwei Pferderassen, d. h. ohne Berück¬ 
sichtigung der oben erwähnten englischen 
Vollblutpferde. 

1. Dasjütländische Pferd ist das wich¬ 
tigste, werthvollste und beste des König¬ 
reiches, in der Regel etwas lang gebaut, 
vorn oftmals niedrig stehend, mit kräftigen, 
mittellangen Beinen, in der Regel aber mit 
guten Hufen ausgestattet. Der Kopf der Jüt- 
länder ist von angemessener Grösse, häufig 
breit, in der Stirnpartie und in der Gesichts¬ 
und Nasenlinie meistens gerade; nur aus¬ 
nahmsweise kommen jetzt noch Ramsköpfe 
unter den Jütländem vor. Die Ohren sind 
von mittlerer Länge und Stärke. Bei diesem 
Schlage sitzt der Kopf gewöhnlich an einem 
dicken, muskulösen Halse, der eine ziemlich 
starke Mähne trägt. Der Widerrist ist nicht 
hoch, der Rücken ziemlich geradlinig, das 
Kreuz bald mehr, bald weniger stark nach 
hinten geneigt, der Schweif jedoch selten zu 
tief angesetzt. Wenn man das Hintertheil 
des Jütländers mit dem des Belgiers ver- 

19 



*90 DÄNEMARKS THIERZÜCHT- 


gleicht, so wird man bei dem ersteren solches 
noch ganz hübsch nennen können, besonders 
dann, wenn der Schweif hinreichend hoch 
angesetzt ist und gut getragen wird. Die 
MuBkulatnr ist bei dem fraglichen Schlage 
in der Regel lobenswerth; ebenso besitzen 
die meisten Thiere desselben starke Knochen 
und kräftige Sehnen. Die Stellung der Glied¬ 
massen lässt nur zuweilen etwas zu wünschen 
übrig; man trifft in Jütland hin und wieder 
Pferde, deren Hinterbeine nicht genügend 
gewinkelt sind, d. h. etwas zu gerade stehen. 
Das Naturell, der Charakter der Pferde ist 
meistens zu loben; sie sind gutmüthig, willig 
bei der Arbeit und zeigen auch in der Regel 
eine grosse Ausdauer. Ihr Schritt ist ausgiebig, 
auch ihre Trabgangart befriedigend; beim Ga- 
lopiren zeigen sie jedoch keine grosse Ge¬ 
wandtheit und sollen bei allen raschen Gang¬ 
arten leichter ermüden als ihre Stammver¬ 
wandten in Schleswig und Holstein. Zum 
Reitdienst sind daher auch die Jütländer 
nicht recht geeignet; die dänische Militär¬ 
verwaltung sieht sich daher auch genöthigt, 
den Bedarf an Cavallerieremonten grössten - 
theils aus fremden Ländern (Ost-Preussen) 
zu beziehen. Für den mittelschweren Zug und 
die Arbeit im Felde sind die Jütländer aber 
sehr gut geeignet, auch zur Bespannung der 
Geschütze und Munitionswagen (Train) ver¬ 
wendet man diese Pferde sehr gern. In den 
Aemtern Thisted, Randers und Viborg werden 
die besten Pferde dieses Schlages gezüchtet. 
Der Pferdemarkt in Randers hat noch immer 
eine grosse Bedeutung; viele ausländische 
Händler finden sich dort alljährlich zum An¬ 
kauf der vierjährigen Pferde und Fohlen ein. 

2. Die Inselpferde, im Auslande auch 
wohl „Wasserdänen“ genannt, werden auf See¬ 
land, Fünen und zum Theil auf Falster und 
Laaland gezüchtet; sie stehen im Wertlie 
den Jütländem etwas nach, sind leichter und 
häufig hochbeiniger als diese. Nur in einigen 
Aemtern auf Seeland — nicht fern von 
Frederiksbor^ — trifft man die besser ge¬ 
bauten Individuen, welchen man zum Theil 
noch heute den guten Einfluss der früheren 
Verwendung edler Zuchthengste des alten 
Staatsgestüts zu Frederiksborg ansehen kann. 
Diese Pferde besitzen einen gut geschlossenen 
Rumpf, sind nicht zu lang, und mit einer 
hübsch gerundeten Kruppe und leidlich gutem 
Schwanzansatz ausgestattet. Ihr Kopf zeigt ge¬ 
fällige Formen, der Hals ist von angemessener 
Länge und Stärke, auch die Schulter- und 
Widerristpartie lassen wenig zu wünschen 
übrig, nur die unteren, häufig etwas zu langen 
Gliedmassen könnten besser sein. Manche 
dieser Thiere haben als Reitpferde einen 
mittleren Werth; für das leichte Fuhrwerk 
und die Feldarbeit sind viele Inseldänen sehr 
wohl verwendbar und werden dazu auch 
hauptsächlich benützt. Einen besonderen 
Schlag bilden auf Seeland die Pferde von 
Knapsdorf, welche in eigentümlicher Weise 
gescheckt oder getigert erscheinen; sie be¬ 
sitzen leidlich gute Formen, kräftige Glieder 
und sollen meistens gute Traber sein. Der 


fragliche Schlag stammt aus Mecklenburg, 
ihre Vorfahren sollen schon im vorigen Jahr¬ 
hundert nach Dänemark eingeführt worden sein. 
Ob die Behauptung einiger Autoren richtig ist, 
dass die Knapsdorfer Pferde mit wenigen 
Ausnahmen bösartige, eigensinnige Thiere 
wären, wissen wir nicht. Hin und wieder 
sieht man vor den Pferdebahnwagen deut¬ 
scher Städte Thiere jenes zuletzt beschriebenen 
dänischen Schlages, und sie zeigen hier in 
der Regel eine befriedigende Ausdauer. Ueber 
die kleinen ponyartigen Pferde Islands wird 
an anderer Stelle (unter Island) Einiges 
mitgetheilt. 

Rinder. Schon oben wurde angeführt, 
dass die Rindviehzucht im Königreiche Däne¬ 
mark sehr umfangreich betrieben wird. Der 
Professor Dr. Prosch in Kopenhagen liefert 
uns in seinen Werken über die dortige Vieh¬ 
zucht höchst werthvolle Beiträge. Die däni¬ 
schen Rinder gehören fast ausnahmslos zur 
Gruppe des Niederungsviehes. Von den 
14.509 Stieren des Landes (im Jahre 1876) 
gehörten 11.467 Stück der alten Landrasse, 
2680 der Angler- und 768 der englischen 
Kurzhornrasse an. Als Ayrshires wurden 
116 Stiere bezeichnet, und 18 Stück waren 
aus verschiedenartigen Kreuzungen hervor¬ 
gegangen. 

Auf den Inseln ist das Rindvieh in den 
Rassen gewöhnlich nicht rein erhalten: man 
findet dort die meisten Kreuzungsproducte 
neben vielen Angler- und Ayrshirekühen. Auf 
Fünen ist das Schleswig’sche Vieh vorherrschend, 
während auf Seeland fast eine ebenso grosse 
Zufuhr aus Jütland wie von Schleswig statt- 
efunden hat. In früherer Zeit gab es auf 
eeland eine kleine, etwas hochbeinige, schmale, 
eckige Rasse mit spitzen Hüften; die Thiere 
waren zum Theil von schwarzer oder roth- 
brauner und andemtheils von fahlgelber Farbe. 
Dieser alte Schlag scheint mit dem kleinen 
Vieh von Schonen eine eigene Rasse gebildet 
zu haben und entsprach in der Körpergestalt 
derjenigen Form, welche man in Dänemark 
„Zwergochsen 11 nannte; sie sollen auch einige 
Äehnlichkeit mit dem württembergischen Vieh 
auf der rauhen Alp gezeigt haben. Sie waren 
meistens fein gehörnt und nur selten ganz 
frei von Hörnern. Vom jütischen Rindvieh sagt 
Prosch, dass es nicht dieselbe Gleichmässig- 
keit zeigte wie das Vieh von Angeln. Auf der 
Ostseite Jütlands und im Norden vom Lymfjord 
(Venhypel), wo man am meisten Gewicht auf 
eine gute Milchwirtschaft und gutes Milch¬ 
vieh legt, ist die jütische Kuh von der Angler 
nicht wesentlich verschieden; ihr Kopf ist nur 
etwas länger, das Maul breiter, auch Hals und 
Rumpf stärker und tiefer als bei dem Angler¬ 
vieh. Das Euter ist in der Regel weniger um¬ 
fangreich entwickelt, aber immerhin nicht 
schlecht zu nennen. An der Westküste der 
Halbinsel, hauptsächlich an allen Orten, wo 
Ochsen aufgezogen werden, z. B. in Thy, 
Mors und Salling, hat das Vieh eine etwas 
andere Gestalt wie das ostländische. Dort be¬ 
sitzen die Rinder gefälligere, besser abgerun¬ 
dete Formen, ihr Rücken ist breit und gerade 


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DÄNEMARKS THIERZÜCHT. 


291 


Lenden nnd Kreuz sind gleichmässig breit, der 
Rumpf ist tief und der Rippenkorb wohl ge¬ 
rundet. IhrVorderkörper erscheint etwas schwer, 
ebenso auch der Hals, welcher durch eine 
grosse Wamme geziert wird. Der Kopf ist 
ziemlich lang und bleibt nach unten zu mässig 
breit. Die kräftigen Hörner sind mit den 
Snitzen nach vom gerichtet. Die unteren 
Gftedmassen sind muskulös und erscheinen 
zuweilen etwas grob. Das Kuheuter ist bei 
diesem Schlage nur schwach entwickelt. Die 
Qualität der Milch der Jütländer soll bei guter 
Weide stets sehr zu loben sein. Die Haut der 
Thiere ist ziemlich dick, dabei jedoch weich und 
elastisch, und sitzt lose auf dem Körper. Im 
Sommer ist das Deckhaar kurz, weich und glän¬ 
zend, wird aber im Winter meistens kraus, und 
erscheint fast gelockt. Auch das Euter der 
Kühe ist mit langen, feinen Haaren bewachsen. 
Die Jütländer Ochsen liefern ein feinfaseriges 
Fleisch, welches bei guter Mästung der Thiere 
leicht mit Fett durchwächst, wodurch das sog. 
marmorirte Aussehen entsteht und das Fleisch 
saftig und „reif“ wird. Die Farbe dieser 
Rasse ist ziemlich gleichmässig, meist schwarz¬ 
bunt; bald herrscht die weisse, bald die 
schwarze Farbe des Haares vor. Häufig geht 
auch das Schwarz in ein Grauschwarz über, 
und es werden die so gezeichneten Thiere von 
vielen Leuten höher geschätzt, als feiner be¬ 
zeichnet wie die Rinder mit dunkeln Flecken. 
Im südlichen Theile von Jütland — unweit 
Ribe — sind schwarze und blauschimmlige 
Thiere nicht selten zu finden; jedoch werden 
diese im Allgemeinen nicht so hoch geschätzt 
wie die Schecken. Das Mass eines ausgewach¬ 
senen jütländischen Stieres vom Lemving- 
stamme zeigt eine Länge von 1 * 72 m bei 
einem Brustumfänge von 2*14 m. Neben mittel- 
grossen Kühen der fraglichen Rasse sieht n^an 
an manchen Orten auch sehr kleine Thierchen, 
die nur 1*35 m lang werden und einen Brust¬ 
umfang von l*50m besitzen. Der Milchertrag 
der Kühe gewöhnlichen jütländischen Schlages 
schwankt zwischen 12—14001 im Jahre. Das 
jütische Rindvieh wird in einigen Gegenden hin 
und wieder zur Arbeit, d. h. zum Zuge benützt, 
obgleich auf diese Nutzung dort im Grossen und 
Ganzen kein besonderer Werth gelegt wird. 
Die Meiereiwirthschaft steht fast überall im 
Lande in schöner Blüthe und nimmt fort und 
fort an Bedeutung zu. Die Mästung wird 
hauptsächlich an solchen Orten betrieben, wo 
sich weitausgedehnte Wiesen- und gute Weide¬ 
flächen finden; dieselbe scheint bei der Sorg¬ 
falt und Tüchtigkeit ihrer Ausführung die 
günstigsten Aussichten für die nächste Zukunft 
zu haben, besonders da jetzt überall durch die 
Eröfftmng neuer Eisenbahnlinien und die 
directe Verschiffung der fetten Ochsen nach 
England ein befriedigender Absatz gesichert 
ist. Auch heute noch geht eine grosse Anzahl 
halbfetter Ochsen in die Schleswig’schen und 
Holstein’schen Marschen zur dortigen vollen 
Ausmästung und kommt dann endlich auf dem 
Hamburger oder Londoner Markt zum Verkauf. 
Shorthomstiere werden als Zuchtbullen jetzt 
immer mehr und mehr verwendet. 


Schafe. Die letzte Viehzählung (1881) 
wies für das Königreich Dänemark — mit 
Ausnahme von Faroer und Island — einen 
Schafviehbestand von 1,548.613 Stück nach; 
auf 1000 Einwohner entfallen daselbst 787 
Schafe. Von jenen Beständen kommen auf 
die 10 jütländischen Aemter allein schon 
1,183.204 Stück, und cs ist die jütländi- 
sche Halbinsel im Vergleich zu den übri- 

f en Provinzen des Landes ganz beson- 
ers reich an Hausthieren dieser Gattung; 
aber auch bezüglich der Qualität zeichnet 
sich Jütland durch bessere Schafrassen vor- 
theilhaft aus. Man unterscheidet daselbst drei 
verschiedene Schläge oder Rassen: das kleine 
Haidschaf, das gemeine (alte) Landschaf und 
das Marsch- oder Niederungsschaf. — Meri¬ 
nos oder merinoartige Schafe gibt es in 
Dänemark nur ganz vereinzelt auf den grös¬ 
seren Gütern des Adels. 

1. Die Haidschafe werden vorwiegend 
auf dem Mittelrücken Jütlands, in den ärme¬ 
ren Haiddörfem (fast ausschliesslich mit8and- 
und Moorboden) gehalten; kleine, zierliche 
Geschöpfe, kaum 25 kg schwer, in beiden Ge¬ 
schlechtern gehörnt, stets feingliederig und 
in der Regel kurzschwänzig und grobhaarig. 

Das Gehörn der Böcke wird bisweilen ziemlich 
stark und besitzt dieselbe Form und Windung, 
wie die Hörner der Lüneburger Haidschnucken. 

Die jütländischen Haidschafe werden, wie 
diese letzteren, als eine Abart des kurz- 
schwänzigen Schafes von Nord-Europa (Ovis 
brachyura borealis) zu bezeichnen sein. Ihre 
Behaarung ist eine doppelte: sie tragen eine 
sog. Mischwolle von weisser, grauer oder 
schwarzer Farbe; unter dem groben, ziemlich 
langen Grannenhaar wächst ein feines Flaum¬ 
haar, welches von sehr geringer Stärke ist. 

Bei zweimaliger Schur liefern diese Schafe 
kaum 1% kg Wolle im Jahre; dieselbe eignet 
sich nur zur Herstellung grober Bekleidungs¬ 
stoffe sowie auch zur Fabrication von Decken 
u. s. w. Ein grosser Theil der Wolle bleibt im 
Lande, und nur geringe Mengen werden 
exportirt. 

2. Die sog. Landschafe sind etwas 
grösser als die zuerst beschriebenen Thiere 
der Haiden; sie kommen bei guter Ernährung 
auf ein Lebendgewicht von 30—35 kg 
und liefern durchschnittlich 2 kg Wolle im 
Jahre. Ihre Behaarung ist einfach, von mitt¬ 
lerer Länge, meist weiss, selten grau gefärbt 
und ist zur Herstellung mittelfeiner Beklei¬ 
dungsstoffe etc. wohl geeignet. Unsere Mes¬ 
sungen von Wollhaaren dieser Rasse (aus 
der Gegend von Aarhuus) ergaben eine 
Stärke von 38*5—40 mikr. Vereinzelt 
kommen bei derselben gröbere Haare vor, die 
45 mikr. und darüber dick werden. Pro¬ 
fessor Prosch in Kopenhagen beschreibt 
diese Rasse folgendermassen: Die eigent¬ 
lichen Landschafe weichen nach dem Klima, 
der Fruchtbarkeit und der Feuchtigkeit des 
Bodens, auf welchem sie gehalten werden, 
mehr oder weniger ab. Sie sind von mittlerer 
Grösse, werden 20—24 Tommer hoch und 
20—30 kg schwer. Die Thiere besitzen einen 

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m DÄNISCHE DOGGE. — DAGHESTAN’SCHES RIND. 


ziemlich langen Kopf mit schwach gewölbter 
Stirn, kleinen Augen und kleinen, aufrecht- 
stehenden Ohren. Die Hörner der Böcke 
sind zierlich und leicht gebogen. Die grobe 
Wolle steht nicht besonders dicht auf dem 
Körper und ist oft gemischt mit dicken, sog. 
Hundehaaren. Meistens ist die Stirn und der 
grösste Theil der Backen sowie auch die 
Beine frei von Wolle und nur mit sehr kurzen, 
glatt anliegenden Haaren bewachsen. Der 
Hals dieser Schafe ist von verschiedener 
Länge, doch meistens ziemlich kurz, dünn 
und kahl. In der Regel sind diese Land¬ 
schafe sehr fruchtbar, bringen oft zwei Läm¬ 
mer in einem Wurfe und ernähren diese mit 
ihrer fetten Milch recht gut 

3. Die Marsch8chafe trifft man in allen 
fruchtbaren Marschdistricten in ziemlich 
grosser Anzahl und meistens auch in recht 
hübschen Exemplaren. Sie haben in der Kör¬ 
perform grosse Aehnlichkeit den holsteinischen 
und holländischen Marschschafen, tragen wie 
diese eine lange, grobe Wolle von geringem 
Glanze. Die Thiere entwickeln sich etwas 
langsam, kommen aber bei guter Weide und 
hinreichendem Stallfütter (im Winter) nicht 
selten zu einem Lebendgewicht von 60—70 kg. 
In den Marschen werden schon seit längerer 
Zeit englische Böcke mit den Marschschafen 
ekreuzt; man verwendet dazu hauptsächlich 
eicester-, Cotswold- und Romney-Marsch - 
Widder, und behauptet, dass man auf dieseWeise 
eine sehr mastfähige Nachzucht erzielte. Das 
Wollproduct der Kreuzungsproducte soll un- 
leich feiner, glänzender und länger als das 
er alten, unveredelten Marschrasse sein. 
Endlich ist noch zu erwähnen, dass die alte 
dänische wie die holländische Marschrasse 
zur Gruppe der kurzschwänzigen Schafe ge¬ 
hört. Alljährlich werden von Dänemark aus 
viele fette Schafe nach England verschifft, 
z. B. im Jahre 1881 mehr als 78.000 Stück. 
Die Einfuhr an Thieren dieser Gattung ist 
nur geringfügig und betrug in demselben 
Jahre kaum 17.000 Stück. Der grösste Theil 
der von Dänemark ausgeführten Schafe kommt 
von Jütland. Man sieht das Fleisch derselben 
auf dem Londoner Markte sehr gern, lobt 
dessen feine Faser und Wohlgeschmack und 
stellt es im Werthe dem besten Fleisch von 
Leicester Hammeln nicht nach. 

Schweine. Bei der in Dänemark sehr 
umfangreich betriebenen Meiereiwirthschaft ist 
es erklärlich, dass dort auch viele Schweine 
gehalten und gemästet werden. Der Erport 
von Schweinen aus Dänemark nach England 
hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Die alt¬ 
dänische oder jütländische Rasse scheint immer 
mehr zu verschwinden; sie hat dem englischen 
Blut das Feld räumen müssen, und man sieht 
dort fast an allen Orten schöne Exemplare der 
grossen, mittelgrossen und kleinen englischen 
Zuchten. Das kleine Fleischschwein ist in den 
Schlächtereien (Aarhuus etc.) am meisten ge¬ 
sucht und wird dort verhältnissmässig gut 
bezahlt. Man rühmt bei den jütländischen 
Sauen ihre grosse Fruchtbarkeit, aber ebenso 
auch das rasche Wachsthum der Ferkel. Wir 


haben weiter oben angegeben, dass aus Däne¬ 
mark alljährlich sehr viele fette Schweine ex- 
portirt werden; hiezu kommt aber noch die 
bedeutende Ausfuhr von Speck, Schinken, 
Würsten etc.; es sollen jährlich 7- bis 
8,000.000 kg Schweinefleischwaare an das Aus¬ 
land abgegeben werden. Freytag. 

Dänische Dogge, dänischer Hund, 
Danois, Danish Dog. Eine grosse Hundeform, 
welche in ihrer Gestalt Charaktere des Wind¬ 
hundes mit solchen der gemeinen Dogge ver¬ 
einigt und wohl ursprünglich aus einer Kreu¬ 
zung beider hervorgegangen ist Die dänische 
Dogge ist gross und hochbeinig. Der Kopf 
mässig lang gestreckt, im Hirntheil hoch, die 
Schnauze mittellang, die Lippen nicht über¬ 
hängend, Unterkiefer nicht vorstehend, Nase 
gross, nicht gespalten, Augen klein, Ohren 
hoch an gesetzt, halb stehend, Backen etwas 
dick, Hals gestreckt, nicht gedrungen; die 
Haut stramm, die Brust breit und sehr tief, 
Körper lang, Füsse lang und stark, Schwanz 
ziemlich lang, gerade und dünn auslaufend. 
Die Behaarung kurz und sehr fein. Farbe 
mäusegrau oder silbergrau einfarbig mit regel¬ 
mässiger Blässe und halbweissen Füssen. Eine 
Varietät mit weiss und schwarz oder weiss 
und grau gefleckt wurde namentlich in Süd¬ 
deutschland gezüchtet und als Ulmer Dogge 
oder Ulmer Tiger bezeichnet. Als Luxushund 
wird die dänische Dogge namentlich in Eng¬ 
land und Russland viel gehalten. Dafür, dass 
diese Rasse zuerst in Dänemark entstanden 
ist, wie der Name zu sagen scheint, fehlen 
genaue Anhaltspunkte. Studer. 

Daghestan’sches Rind. Schon in alter 
Zeit galten die Kühe und Ochsen von Da- 
ghestan für die besten in den Kaukasus¬ 
ländern. Nach den Berichten verschiedener 
Reisender wird die dortige Zucht stets rein, 
unvermischt erhalten, und hiedurch erklärt 
es sich, dass man derselben nachsagen kann, 
dass sie einen so hohen Grad von Constanz 
besässe wie kaum eine andere Rasse des 
Czarenreiches. In der Körpergrösse stehen 
die Rinder von Daghestan dem südrussischen 
Steppenvieh etwas nach; sie sind nur von 
mittlerer Höhe und werden bei guter Er¬ 
nährung per 400 kg schwer. Ihr kurzer, dicker 
Kopf mit breitem Maule und leicht gewölbter 
Stirn wird durch ein mittellanges, ziemlich 
starkes Gehörn, welches mit den Spitzen auf¬ 
recht und ein wenig nach vorn gerichtet ist, 
geziert. Ihr schwach bewammter kurzer Hals 
geht in breite, ziemlich schräg stehende 
Schultern gut über. Im Vordertheile sind 
diese, wie fast die meisten südrussischen Rinder, 
bedeutend höher, breiter und kräftiger ge¬ 
baut als im Hintertheile. Das Kreuz fallt 
nach hinten stark ab, und es bekommen gerade 
hiedurch jene Thiere ein sonderbares Aus¬ 
sehen. Die in der Regel graubraune Behaarung 
des Daghestan’sehen Viehes ist sehr stark, 
ziemlich lang, etwas gewellt und steht sehr 
dicht auf einer dicken, festen Haut. Auf diese 
Weise werden die Thiere gegen die Unbilden 
des Wetters wie gegen Insectenstiche recht 
gut geschützt. Kräftiger Knochenbau und derbe 


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DAHLIA. — DAMMABHABZ. 893 


Haut befähigen die Ochsen yon Daghestan 
zu tüchtigen Leistungen im Zuge; man rühmt 
ihre Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer 
bei der Arbeit; sie sollen nicht selten bis 
zum 15. Lebensjahre zur Feldarbeit verwendet 
werden. Wenn die Daghestan’schen Nomaden 
die Milchergiebigkeit ihrer Kühe loben, so 
machen sie sich einer Uebertreibung schuldig; 
es wird angegeben, dass die besten Milchkühe 
höchstens 10001 per Jahr lieferten. Auf den 
Genuss der Kuhmilch wird dort auch kein 
besonderer Werth gelegt; man gibt dem 
Kumys, wie der Schaf- und Ziegenmilch den 
Vorzug. Die Fleischqualität der Binder jener 
Basse ist nicht übel, sobald die Thiere im 
jugendlichen Alter zur Schlachtbank kommen. 
Die wichtigsten Lastthiere Daghestans sind 
unstreitig die Kameele oder Trampelthiere. 
Man züchtet dort hauptsächlich die zwei¬ 
höckerigen Species (Camelus bactrianus), und 
nur ausnahmsweise kommen die sog. Dromedare 
(Camelus dromedarius) vor. Diesen letzteren 
sagt das dortige Klima nicht besonders zu, 
und es soll deren Züchtung fast überall mit 
grösseren Schwierigkeiten verbunden sein. 
Nach Th. v. Lengenfeldt’s Angaben zählte 
man im Jahre 1870 im Gouvernement Astra¬ 
chan noch 26.540 Stück, in Kaukasien aber 
37.720 Kameele, welche zum nicht geringen 
Theile in jenen Ländern aufgezogen waren. In 
Tiflis, wo bekanntlich der Mittelpunkt des ganzen 
Handels von Transkaukasien und wo zugleich 
ein bedeutender Geschäftsverkehr mit Persien 
. unterhalten wird, durchziehen die schwer be¬ 
ladenen Trampelthiere von früh bis spät den 
armenischen Bazar und die sog. persische 
Karawanserai in grosser Zahl und tragen 
wesentlich dazu bei, dem dortigen Landschafts - 
bilde einen echt orientalischen Charakter zu 
verleihen. Freylag, 

Dahlia ist ein in der histologischen Tech¬ 
nik zu besonderen Tinctionszweckcn verwen¬ 
deter Farbstoff (s. mikroskopische Technik). Kt, 
Dakry, tö Saxpoov, Thräne, findet sich noch 
in mancherlei nicht mehr gebräuchlichen 
medicinischen Terminis als Componens, so in 
Dakryaden, Thränendrüse, 
Dakryosyrinx (vonxä öctxpoov, Thräne, 
und vj aopiy?, Fistel), Thränenfistel etc. Sf. 

Dakrydium (von xb $axpö$iov, Dem. von 
to Baxpoov, Thräne), die kleine Thräne, übertr. 
für Harzkörnchen, im Mittelalter auch für 
Scammonium gebräuchlich. Sussdorf, 

Dakryocystitis (tö Bdxpoov, die Thräne, 
xoatcc, die Blase), Entzündung des Thränen- 
sackes (s. u. Thränenapparat). Schlampp. 

Dakryolith (6 Xtöo$, der Stein), der Thrä- 
nenstein. Schlampp. 

Dakryops dty, das Auge), s. Thränen¬ 
apparat. Schlampp. 

Dakryorrhoea (6elv, fliessen), Epiphora, 
Stillicidium lacrymale, der Thränenfluss, das 
Thränenträufeln (s. Thränenapparat). Sp. 

Oaktylos (6 ödxtoXot), Finger, ein ge¬ 
bräuchlicher anatomischer Terminus für die 
Zehe, mit dem Abkürzungszeichen d, z. B.: 
d ni = 3. Zehe; davon eine Anzahl latinisirter 
Adjectiva und Abkürzungen, wie 


daktyliaeus, fingerdick, fingerlang, 

daktylodes, fingerähnlich. Sussdorf. 

Dalmatiner Hand, Dalmatiner Dogge, Tiger¬ 
hund, Dalmatian Dog, Chien de Dalmatie. 
Kleiner als der dänische Hund, aber ähnlich 
gebaut, nur weniger schlank mit kürzerem und 
dickerem Hals und etwas niedrigere stärkeren 
Beinen. Der Kopf ist breit und flach, die 
Schnauze spitz zulaufend, die Lippen straff, 
die Augen dunkel und klein, die Ohren hän¬ 
gend, fein und klein. Der Hals leicht gebogen, 
die Schultern kräftig und muskulös, die Brust 
breit und tief. Die Flanken eingezogen. Die 
Läufe gerade und kräftig, mit starken Kno¬ 
chen. Das Haar ist kurz, dicht anliegend und 
fein. Die Färbung weiss, mit regelmässigen 
schwarzen oder lederfarbenen Flecken. Das 
Thier wird wegen seiner Schönheit als Luxus¬ 
hund, namentlich in England, gehalten, zeigt 
aber geringe geistige Begabung. Studer. 

Dalmatinischer Hühnerhund, bengalische 
Bracke, Dalmatian hound oder Breac, Brague 
de Bengale, Bracco di Bengala, Cattunhund. 
Eine dem französischen Hühnerhunde ähn¬ 
liche Jagdhundform, welche sich aber 
durch leichteren und schlankeren Bau unter¬ 
scheidet. Der Kopf ist etwas kleiner und ge¬ 
streckter, minder hoch, die Schnauze etwas 
länger, niedriger, schmäler und weniger stumpf. 
Die Ohren kürzer und schmäler, die Augen 
relativ kleiner. Der Hals länger und dünner, 
der Leib etwas schmächtiger. Die Beine sind 
höher, der Schwanz kürzer und dicker. Die 
Färbung beständig getigert. Es sind immer 
kleine, ziemlich dichtstehende, rundliche und 
fast punktförmige Flecken von bräunlichgelber, 
dunkelbrauner oder schwarzer Farbe, welche 
über die weisse Grundfarbe verbreitet sind. 
Die Ohren und die angrenzenden Theile des 
Kopfes sind regelmässig bräunlichgelb, dunkel¬ 
braun oder schwarz. 

Wurde nach Fitzinger wahrscheinlich 
zuerst in Dalmatien gezogen, von wo er 
später nach Bengalen gebracht wurde und von 
dort wieder nach Europa kam. Kann zur Jagd 
auf Federwild benützt werden, ist aber im 
Ganzen schwer abrichtbar. Studer. 

Damalursäure. So nannte Städeler eine 
Säure, welche er aus dem sauren Destillate 
des Kuhharns darstellte, ausserdem aber auch 
im Menschen- und Pferdehame nachwies. Er 
gab ihr die Formel C T H ia O a . Sie dürfte iden¬ 
tisch sein mit einem der Phenole, deren con- 
stantes Vorkommen im Harne in der Form 
von aromatischen Aethersäuren in neuerer Zeit 
E. Baumann nachgewiesen hat (s. Harn). Lk. 

Damhirsch, s. Hirsch. 

Damm, s. Mittelfleisch. 

Dammarharz (Besina Dammar, Katzen¬ 
augeharz) fliesst aus den Einschnitten der 
Kinde von Dammara orientalis, der auf den 
Molukken und Sundainseln wachsenden Dam- 
marfichte. Es kommt im Handel in farblosen, 
gelblichen, durchsichtigen, im Bruche flach- 
muscheligen Stücken von angenehm balsami¬ 
schem Geruch vor, von spec. Gew. 1*04 bis 
1*06, erweicht bei 75° C., wird bei 150° C. 


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294 DAMMVENE. — 

dünnflüssig. Es ist unlöslich in Weingeist nnd 
Natronlauge, leicht löslic hin Aether, Schwefel¬ 
kohlenstoff, Benzol. Mit concentrirter Schwefel¬ 
säure behandelt, nimmt es eine rothe Farbe 
an. Alkohol entzieht dem Harz Dammaryl¬ 
säure, im Rückstand bleibt Sauerstoff freies in 
Aether lösliches Dammaryl, welches aber an 
der Luft ebenfalls zu Dammarylsäure oxydirt 
wird. Man benützt das Dammarharz zum Ein¬ 
schlüssen von mikroskopischen Präparaten, auch 
zur Darstellung yon feinen Firnissen. Lotbisch. 

Dammvene. Diese Vene entwickelt sich 
(bei der Kuh) aus dem hinteren starken 
Queraste der Bauchwandvene (Milchader), 
ist meist doppelt, bildet häufig ein grobes, 
weitmaschiges Netz, verläuft zwischen den 
Schenkeln nach rück- nnd aufwärts und er- 
giesst ihr Blut in die innere Schamvene. SZ. 

Damoiseau L. studirte in Alfort (1792), 
war Thierarzt im Gestüt Du Pin in der Nor¬ 
mandie, gab mehrere veterinär-medicinische 
Abhandlungen und eine Beschreibung seiner 
Beise nach Syrien, um arabische Pferde an- 
zukaufen, heraus. (Hippologische Wanderun¬ 
gen in Syrien und der Wüste. Aus dem Fran¬ 
zösischen von Heinze, 2. Th. Leipzig 1842.) Sr, 

Dampf, s. Gase. 

Dampf ist eine chronische, fieberlose 
Athembeschwerde, bei welcher die Thiere 
leicht in Schweiss gerathen, also dampfen. 
Da das Blut erschwert in den Lungen cir- 
culirt und nicht hinreichend decarbonisirt 
wird, so tritt die Haut in vicarirendc, ange¬ 
strengtere Thätigkeit Das Nähere s. unter 
Asthma. Anacker. 

Der Dampf als Gewährsmangel 
erfordert eine genaue Beobachtung des Pa¬ 
tienten während und nach dem Gebrauch 
zur Arbeit. Eine besondere Beachtung er¬ 
fordert der Bespirations- und Circulations- 
apparat, das aufgelegte Geschirr, etwaige 
Trächtigkeit, Aufblähung etc. Mittel, die im 
Pferdehandel angewandt werden, um die 
Athembeschwerden beim Dampf weniger 
auffallend zu machen, sind: Starke Aderlässe, 
Purganzen, Entziehung voluminösen Futters, 
absolutes Fasten oder Verabfolgung von Kleie, 
Schrot, Hüben mit Zusatz von Arsenik; scharfe 
Einreibungen am Halse und Beizung der 
Nasenschleimhaut, um acuten Katarrh vor- 
zutäuschen, Vermeidung jeder anstrengenden 
Bewegung vor dem Verkauf. Mittel, um den 
Dampf vorzutäuschen, und dadurch den Handel 
rückgängig zu machen, sind: Kurze scharfe Zäu- 
mung, enge Kehlriemen, enge Geschirre, enge 
Kummete, Verstopfen einer Nasenhöhle durch 
eingelegte Schwammstücke, Werg etc., Füt¬ 
terung mit blähenden Futterstoffen, Eingüsse 
von Buttermilch, Essig und anderen Säuren. 

Die Gewährszeiten für den Dampf be¬ 
tragen: 

4 Tage in Hamburg. 

9 „ „ Eisass - Lothringen und Frank- 

reich. 

14 „ „ Baden, Bayern, Hessen, Frank¬ 

furt, Hohenzollern. 

15 „ „ Oesterreich und Sachsen. 

20 ,, „ der Schweiz. 


DAMPFRINNE. 

28 Tage in Braunschweig, Bremen, Preus- 
8en, Sachsen - Gotha, Sachsen- 
Meiningen-Hildburghausen, Wal¬ 
deck. 

28 „ „ Nassau. 

31 „ „ Württemberg. 

42 „ „ Ansbach, Bayreuth, Sachsen- 

Coburg. 

84 „ „ Hildesheim. Semmer. 

Dampfbäder im eigentlichen Sinne des 
Wortes, d. h. den Körper im Ganzen so lange 
den Dünsten des sieaenden Wassers auszu¬ 
setzen, bis reichlicher, tropfbarer Schweiss der 
Haut entströmt, werden in der Thierheilkunde 
nur selten zur Anwendung gebracht, indem 
damit manche Erkältungsgefahren verbunden 
sind; sind jedoch eclatante Verkühlungen ein¬ 
getreten, so pflegen manchmal die Thierärzte 
Dampfbäder in der Art zu appliciren, dass 
man Pferde und Binder mit grossen wollenen 
Decken umhängt und unter diesen heisse 
Dämpfe entwickelt, dass entweder warmes 
Wasser auf heisse Ziegelsteine gegossen oder 
ein rothglühendes starkes Eisen (Bügel- oder 
Plätteisen z. B.) in einen unter dem Thiere 
stehenden Kübel Wasser abwechselnd einge¬ 
taucht wird, um so die Dämpfe nach Belieben 
mehr oder weniger zu erzeugen. Wie lange 
die Einwirkung derselben, welche nur in einem 

f eschlossenen Baume geschehen kann, anzu- 
auem habe, richtet sich nach dem Special¬ 
falle; man dehnt sie jedoch für gewöhnlich 
nicht über 15—20 Minuten aus, um nachher 
die Haut energisch abzureiben. Bei kalter 
Witterung erfordern derart behandelte Thiere 
grosse Vorsicht und sorgfältige Pflege, welche 
nicht immer zu haben ist. Viele ziehen daher 
vor, statt der Dampfbäder feuchtwarme Um¬ 
schläge über den ganzen Rumpf anzuwenden 
und aie Linnen mit einem wollenen Teppich 
oder noch besser mit Guttaperchapapier zu 
bedecken. Bei den kleineren Hausthieren wird 
das Verfahren in der Art modificirt, dass man 
sie auf einen Rohrstuhl setzt, die Dämpfe 
ebenfalls von unten aufsteigen lässt und die 
Thiere mit einer Decke überhängt; in neuerer 
Zeit hat man für diesen Zweck besondere mit 
Athmung8löchem versehene und innen mit 
Zinkblech ausgeschlagene Kästen construirt, 
in welche die Thiere gebracht werden, und 
können solche Apparate mit Vortheil in der 
Hundepraxis auch für Inhalationen benützt 
werden. Ueber die therapeutische Bedeutung 
dieser Bäder ist das Nöthige in den Artikeln 
„Bad“ und„Diaphoretica“jiäher angegeben. VI. 

Dampfkoohtopf in den Apotheken, s. Auto- 
clave. 

Dampfrinne. Dieselbe ist eine Theil- 
erscheinung der Dämpfigkeit oder Schwer- 
athmigkeit, Dyspnoea (von öoa, schlecht, 
rcvoiq, Athem), bei der häufig die Nasen¬ 
löcher aufgerissen, die Rippen stark gehoben 
und die Inspirationsmuskeln lebhaft bewegt 
werden, um den Brustraum möglichst zu er¬ 
weitern und eine genügende Ausdehnung der 
Lungen zu ermöglichen. Da auch die Ex¬ 
spiration unter erschwerenden Umständen 


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DANDIE DINMONT TERRIER. — DAR-FÜR-PFERDE. 


m 


Btattfindet, so treten bei ihr die accesso- 
rischen Athmangsmnskeln mit in Thätigkeit, 
sie contrahiren sich nnd treiben das Zwerchfell 
nach vorn, die Rippen nach hinten nnd innen, 
nm einen Drack auf die Langen auszuüben 
und die in ihr enthaltene Luft auszutreiben. 
Die Contraction der Athmungsmuskeln ist so 
stark, dass sich unterhalb der falschen Rippen 
eine rinnenförmige Einziehung, die sog. Dampf¬ 
rinne bildet. Anacker . 

Dandfo Dinmont Terrier. Eine kleine 
Pintscherrasse, die ursprünglich aus Schottland 
stammt, von langgestrecktem Bau, mit sehr 
niederen Extremitäten und rauhem, langem 
Haar. Der Kopf ist relativ gross und schwer, 
zwischen den Ohren breit, nach den Augen 
zu schmäler, Stirne hoch. Schnauze lang und 
kräftig, Nase breit und schwarz. Augen weit 
aus einander liegend, gross, rund, braun oder 
nussbraun. Ohren hängend, gross ca. 10 cm, 
dicht am Kopfe anliegend, nicht hoch an ge¬ 
setzt, dick und mit kurzem, weichem Haar 
besetzt. Hals ziemlich kurz, muskulös und 
kräftig. Körper sehr lang, breite Brust, Rücken 
ziemlich eingebogen, die Rippen gewölbt. Vor¬ 
derläufe gerade, kurz und stark, weit aus ein¬ 
ander stehend, Knie ein wenig einwärts ge¬ 
dreht. Hinterläufe länger, kräftig. Pfoten 
kräftig und breit mit starken schwarzen 
Klauen. Ruthe nicht zu tief angesetzt, etwas 
nach oben gekrümmt. Haare oben und am 
Nacken ziemlich hart und rauh, am übrigen 
Körper weich, am Kopfe länger, heller und 
seidenweich. Farbe senffarbig oder pfeffer- 
farbig. Nach Vero Shaw entstanden aus der 
Kreuzung eines rauhhaarigen Jagdhundes mit 
dem schottischen, stichelhaarigen Terrier. Jagt 
auf niederes Raub wild, Marder, Wiesel, Ratten; 
auch als Stubenhund geschätzt. Sinder. 

Dandolo F. gab 1728 zu Padua heraus: 
„Trattato sopra la qualitä del buon Cavallo, 
rinfermitk che loccorrono, li remedii in esse 
sperimentati. u Semmer. 

Dandolo V. gab 1806 in Padua heraus: 
„Delle malattie delle pecore, de mezzi di 
preservarle e degli indizi delle loro malattie. 41 Sr. 

Dangellauf, der Eintrieb von Schweinen 
in Eichenwaldungen, in welchen diese Thiere 
die im Herbste abgefallenen Eicheln aufsuchen 
und verzehren. In Ungarn werden so ganze 
Schweineheerden gemästet. Die Thiere müssen 
aber ausserdem noch im Stalle ein stickstoff¬ 
reiches Beifutter erhalten, weil die Eicheln zu 
arm an stickstoffhaltigen Nährstoffen sind. Pt. 

Danziger Niederungsvieh. Der Rindvieh¬ 
schlag, welcher in dem fruchtbaren Weichsel¬ 
delta vorkommt und dort fast ausschliesslich 
ezüchtet wird, hat grosse Aehnlichkeit mit 
en Kühen der holländischen Rasse, und es 
ist nicht zu bezweifeln, dass derselbe von 
Thieren abstammt, welche die holländischen 
Colonisten (Mennoniten) schon im XIII. oder 
XIV. Jahrhundert dort eingeführt haben. Die 
Danziger Rinder werden zwar nicht ganz so 
gross und schwer wie ihre Stammverwandten 
in den Niederlanden; sie besitzen aber die¬ 
selben Kopf- und Hornformen, sind meistens 
Schwarz- und Rothschecken und zeichnen 


sich durch grosse Milchergiebigkeit aus. Ihre 
Mastfähigkeit ist weniger zu loben: zum 
Zuge sind sie nicht besonders tauglich, weil 
sie im Vordertheile häufig etwas zu schwach 
gebaut sind und im Geschirr keine genügende 
Ausdauer zeigen. Der Kopf des Danziger 
Niederungsrindes ist meist leicht, die Halsung 
ohne Wamme, der Rücken ziemlich gerade, 
Schwanzansatz in derselben Höhe wie die 
Rückenlinie, zuweilen auch etwas tiefer. Die 
Breite des Kreuzes zwischen den Hüften und 
die Rippenaufwölbung häufig ungenügend. 
Man kann sie tiefleibig nennen; ihr Vorder¬ 
körper ist schwächer als das Hintertheil ent¬ 
wickelt Kuhhessige Stellung der Hinterbeine 
kommt bei dieser Rasse häufig vor. Die Milch- 
adem treten stark hervor und die übrigen 
Milchzeichen am Hintertheile sind befriedigend 
ausgebildet; die Kühe haben ein grosses, 
tiefes Euter mit langen Zitzen. Haut und 
Haare sind meistens weich und fein. Die 
Qualität der Milch jenes Viehschlages lässt 
häufig zu wünschen übrig; sie ist wässerig 
und liefert selten eine schöne, fette Butter 
und wohlschmeckenden Käse. Freytag. 

Daphne, L., Pflanzengattung zur Familie 
der Thymeleaen gehörig. Daphne striata bildet 
einen Bestandtheil des auf grossen Berghöhen 
in den Alpen wachsenden Wiesengrases (s. 
Alpengras). Pott. 

Daphne Mezereum, Seidelbast, gemei¬ 
ner Kellerhals, eine bekannte Thymeleae unserer 
Gebirge Wälder (L. VIEL 1.), ein Strauch mit 
lanzettlichen Blättern, seitenständigen, rosen- 
rothen und süsslich riechenden Blüthen und 
mennigrothen Beeren. Früher war die im Früh¬ 
ling gesammelte, brennend scharf schmeckende 
Rinde des Stammes und der Aeste als 

Cortex Mezerei, Seidelbastrinde, offici- 
nell, oft auch die Rinde der Wurzel, und wird 
sie heute noch, im Handel in aufgerollten mit 
dem Bast nach aussen gekehrten langen Bän¬ 
dern vorkommend, in lauem Wasser erweicht 
auf die Haut gebunden, wo sie den Cantha- 
riden und dem Euphorbium ähnliche, scharfe, 
blasenbildende Wirkung hat, aber zu schwach ist 
und deswegen bei Thieren durch die spanischen 
Fliegen ersetzt wird. Vogel. 

Daran-Darauf oder Handgeld, s. Angeld. 

Dar-Fur-Pferde kommen in den Nilländem 
mehrfach vor und sind — nach Rob. Hart- 
mann’s Beschreibung— zwar nicht besonders 
schön gebaut, aber harte und ausdauernde 
Thiere, welche für den Reitdienst ganz ge¬ 
eignet erscheinen, für den Zug jedoch etwas 
zu leicht sind. Sie besitzen einen kurzen, 
ziemlich breiten Kopf mit meist geradem, 
selten leicht convexem Nasenrücken. Dir ziem¬ 
lich gerader Hals ist kurz und dick; die Mähne 
ist wie der Schweif reich an langen feinen 
Haaren. Der Leib ist gut abgerundet, die 
Kruppe aber meistens etwas abschüssig. Ihr 
Körper ruht auf langen, starken Beinen, welche 
in der Regel ein sehr kräftiges Fesselgelenk 
besitzen. Bezüglich der Farbe wird angegeben, 
dass die Pferde von Dar-Fur häufig ein schönes 
Fuchshaar besässen; es kommen aber auch 
braune, schwarze und graue Thiere der frag- 



296 


DAEI. — DARM. 


liehen Rasse vor. Schimmel sollen selten nnd 
nicht beliebt sein. Die Zucht der Pferde wird 
hauptsächlich in den Gebirgslandschaften von 
Dar-Fur betrieben, und manches brauchbare 
Thier geht in die Nachbarländer Waday und 
Kordofan über. Freytag . 

Dari (Sorghum tartaricum) als Futter¬ 
mittel. Diese im Orient cultivirte Getreide- 
frucht liefert Körner, welche enthalten: 

87*4 —90*0 im Mittel 88*7% Trockensubstanz 
7*1 —10*8 „ * 9*1 „ stickstoffhaltige Stoffe 

2*9 — 61 h „ 4*1 h Bohfett 

70*4 —74*2 „ „ 72*3 „ Stickstofffreie Extractstoffe 

0*97— 1*63 „ H 1*3 „ Holzfaser 

— — „ « 2*2 „ Asche. 


Sie sind wegen ihres geringen Holzfaser¬ 
gehaltes jedenfalls ein leicht verdauliches 
Kraftfuttermittel, werden jedoch in Europa 
meistens gemälzt und auf Spiritus verarbeitet 
Gedarrtes Darimalz enthält: 92% Trocken¬ 
substanz, 10*2% stickstoffhaltige Stoffe, 4*4% 
Rohfett, 73*3% stickstofffreie Extractstoffe, 


1*8% Holzfaser, 2*1% Asche, 
ebenfalls ein leicht verdauliches 


wäre somit 
Kraftfutter- 


mittel. Es liefert einen dem Kornbranntwein 


ähnlichen Spiritus. Darisp reu enthält: 94 *3% 
Trockensubstanz, 3*9% stickstoffhaltige Stoffe, 
0*9% Rohfett, 55*7% stickstoffreie Extract¬ 
stoffe, 25*8% Holzfaser, 8*0% Asche, dürfte 
daher zu den am leichtesten verdaulichen, 
für alle Haussäugethiere verwendbaren Spreu¬ 
sorten gehören. Pott. 

Dark Horses nennt der englische Sports- 
man solche Pferde der Vollblutrasse, deren 
Leistungen auf der Rennbahn noch nicht ge¬ 
prüft, daher unbekannt, dunkel (englisch dark) 
sind. Freytag. 

Darley’s Arabian, ein berühmter Hengst 
der orientalisch-arabischen Rasse, welcher in 
früherer Zeit — neben Beyerley Turk und 
Godolphin-Barbe — dem englischen Vollblut¬ 
pferde seinen Stempel aufgedrückt und eine 
kleine Anzahl vorzüglicher Fohlen gezeugt hat, 
deren Stamm später im englischen Stamm¬ 
register mit goldenen Lettern glänzte. Jener 
Hengst wurde durch den Bruder des Besitzers 
— Darley — aus dem Orient nach England 
eingeführt und deckte in der Regel nur dessen 
eigene Stuten. Von vielen englischen Hippo¬ 
logen wird angenommen, dass der berühmte 
Hengst Flying-Childers, welcher das schnellste 
Pferd aller Zeiten war, ein Sohn jenes Darley 
Arabian gewesen ist, obgleich dieser Nach¬ 
weis nirgends mit Bestimmtheit geliefert wer¬ 
den kann. Freytag. 

Darm, Darmcanal. Anatomie. Der 
Darmcanal (tractus intestinalis s. intestinorum) 
stellt ein am Pförtner des Magens (s. d.) anfan¬ 
gendes und am After (s. d.) endendes Rohr von 
ungleicher Weite dar, welches zahlreiche 
Windungen und Schlingen in der Bauchhöhle 
bildet. Der vordere längere Theil dieses 
Rohres hat eine geringere, jedoch nahezu 
gleiche Weite und wird Dünndarm (s. d.) 
genannt, der hintere, kürzere, weitere Theil 
ist der Dickdarm (s. d.). An der Grenze 
dieser beiden Hauptabtheilungen des Darm- 
canales findet sich ein mehr oder weniger 
umfangreich entwickelter Blindsack, welcher 


zum Dickdarm gerechnet und als Blind¬ 
darm (s. Dickdarm) bezeichnet wird. Die 
Länge des ganzen Darmcanales und das Ver¬ 
hältnis der Länge des Dünndarmes zu der 
des Dickdarmes steht in einer bestimmten 
Beziehung zur Ernährungsweise der betreffen¬ 
den Thierart. Bei den Pflanzenfressern ist 
der Darmcanal im Ganzen länger und die 
Geräumigkeit des Dickdarms grösser als bei 
den Fleischfressern, bei denen namentlich der 
Blinddarm verhältnismässig klein bleibt oder 
fast verkümmert. Um einen Massstab zu ge¬ 
winnen, pflegt man die Länge des ganzen 
Darmcanales mit der Körperlänge der be¬ 
treffenden Thierart zu vergleichen. In runden 
Zahlen angegeben, beträgt dieses Verhält¬ 
nis (die Körperlänge gleich 1 gerechnet) 
beim Pferde 1:12 

„ Esel 1:11 

,, Rindvieh 1 : 20—21 
„ Schafe 1 :26—29 
bei der Ziege 1:22—26 
beim Schweine 1:15—18 
., Hunde 1: 4—6 
bei der Katze 1: 4—5 
beim Löwen 1 : 3 

,, Strauss 1: 9 

„ Huhn 1: 5—6 
„ Adler 1:3 

Nach Colin hat die Schleimhautoberfläche 
des gesammten Darmcanales im mittleren 
Durchschnitt einen Umfang: beim Pferde von 
14*55, beim Rinde von 8*06, beim Schweine 
von 2*61, beim Hund von 0*40 und bei der 
Katze von 0 10 m*. Das Verhältnis der 
Oberfläche der Haut zur Oberfläche des 
Magens und Darmcanales stellt sich beim 
Pferde auf 1:2*18, beim Rinde auf 1:2*97, 
beim Hunde auf 1:0*59. Die Capacität des 
ganzen Darmcanales beträgt beim Pferde 
193*38, beim Rinde 103*90, beim Schafe und 
der Ziege 14*60, beim Schwein 19*45, beim 
Hunde 2*62, bei der Katze 0*241. 

Die Wand des Darmcanales besteht, wie 
die aller innerhalb der Bauchhöhle gelegenen 
hohlen Eingeweide, aus einer (äusseren) serö¬ 
sen Haut, einer (mittleren) Muskelhaut und 
aus einer (inneren) Schleimhaut. 

Die äussere oder seröse Haut gehört zu 
dem visceralen Blatt des Bauchfelles (s. d.), 
sie verleiht dem ganzen Darmrohr einen glatten 
Ueberzug und ist an der Stelle, wo das Ge¬ 
kröse an die einzelnen Theile des Darm¬ 
canales tritt, lockerer, im Uebrigen sehr fest 
durch das subseröse Bindegewebe mit der 
Muskelhaut verbunden. Der seröse Ueberzug 
fehlt an denjenigen Stellen des Dickdarmes, 
welche mit der Bauchspeicheldrüse verbun¬ 
den sind und an dem ausserhalb des Bauch¬ 
fellsackes liegenden Endstück des Mastdarmes, 
bei den Pferden ausserdem an den einander 
zugewendeten Flächen des Blinddarmgrundes 
und der rechten oberen Lage des Grimm¬ 
darmes. 

Die Muskelhaut wird aus einer äusse¬ 
ren Schicht von in der Längenrichtung und 
aus einer inneren Lage von circulär verlau¬ 
fenden, glatten, unwillkürlichen Muskelfasern 


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DARM. 


*97 


zusammengesetzt. Die Längsfaserschicht be¬ 
sitzt am Danndarm eine geringe, sich gleich 
bleibende Stärke; am Dickdarm der Einhufer 
treten die Längsfasem zu starken platten 
Zügen zusammen, welche sich auch durch 
ihre hellere, fast weissliche Farbe von der 
übrigen Oberfläche des Darmcanales absetzen 
und Bandstreifen, Längsbänder oderTänien (tae- 
niae Valsalvae) genannt werden. Solche Band¬ 
streifen finden sich auch an dem Dickdarm 
der Schweine und Kaninchen, sie fehlen voll¬ 
ständig an dem der übrigen Haussäugethiere 
und bei den Vögeln. Die Schicht der circulär 
verlaufenden Fasern hat je nach der Thierart 
und je nach den einzelnen Abschnitten des 
Darmcanales eine verschiedene Stärke. Die 
Muskelhaut erlangt die bedeutendste Dicke 
am Endstücke des Mastdarmes, namentlich bei 
den Einhufern. Die submucöse Bindegewebs- 
schicht stellt eine lockere Verbindung mit 
der Schleimhaut her, so dass die letztere 
sich leicht verschieben und in Falten legen 
kann. Diese Bindegewebsschicht enthält ela¬ 
stische Fasern, ist reich an Gef&ssen und 
Nerven, von denen die letzteren zahlreiche, 
mikroskopische Ganglien einschliessende Ge¬ 
flechte bilden, und wird auch als eine beson¬ 
dere Haut des Darmcanales (Tunica nervea) 
beschrieben. 

Die weiche, im Dünndarm gelbröthliche, 
im Dickdarm graugelbe, bei Pflanzenfressern 
nicht selten gelbgrüne Schleimhaut besteht 
ihrer Hauptmasse nach — in der sog. eigent¬ 
lichen Schleimhaut (Propria mucosae) — 
aus reticulärem Bindegewebe, welches zahl¬ 
reiche, mit den Lymphkörperchen überein¬ 
stimmende zellige Gebilde einschliesst, stellen¬ 
weise jedoch dem Charakter des fibrillären 
Bindegewebes nahekommt. 

Auf der ganzen Oberfläche des Dünn¬ 
darmes finden sich in enormer Anzahl kleine, 
beim Pferde 1—l^mm lange, cylinder-, kegel- 
oder keulenförmige Hervorragungen, welche 
als Darmzotten (villi intestinales) bezeich¬ 
net werden. Sie stehen im dichtesten Ge¬ 
dränge neben einander, verleihen der Dünn¬ 
darmschleimhaut ein sammetähnliches An¬ 
sehen und werden in ihrer Gesammtheit pas¬ 
send mit einem kurzen geschorenen Rasen 
verglichen. An einem umgekehrten, in Wasser 
flottirenden- Dünndarmstück lassen sich diese 
Zotten noch eben mit dem blossen Auge, 
noch besser mit Loupenvergrösserung erkennen. 
Sie besitzen bei den Fleischfressern und 
Vögeln eine bedeutendere Länge als bei den 
pflanzenfressenden Säugethieren und bestehen 
aus derselben bindegewebigen Stützsubstanz, 
welche auch die Grundlage der eigentlichen 
Schleimhaut bildet. Jede Darmzotte enthält 
in ihrer Mitte einen kleinen Hohlraum, aus 
dessen Grund ein Lymphgefässstämmchen 
hervortritt. Nahe der Oberfläche löst sich 
die in jede Darrazotte eindringende Arterie 
zu einem dichten Capillametz auf, aus wel¬ 
chem das Blut durch eine kleine Vene fort¬ 
geführt wird. Peripher von dem centralen 
Hohlraum verlaufen zarte Züge von Muskel¬ 
fasern. Auf der Schleimhaut des Dickdarmes 


finden sich sparsam papillenartige Erhöhun¬ 
gen, jedoch keine Darmzotten. Die Schleim¬ 
haut enthält an der Grenze des submucösen 
Bindegewebes eine Schicht von grösstentheils 
in der Längenrichtung verlaufenden Muskel¬ 
fasern. Aus diesem sog. Stratum muscularis 
mucosae, welches im Mastdarm des Pferdes 
die bedeutendste Mächtigkeit erlangt, dringen 
zarte Züge von Muskelfasern in die eigent¬ 
liche Schleimhaut und am Dünndarm auch in 
die Zotten der letzteren ein. Mit Ausnahme 
der cutan gebauten und mit geschichtetem 
Pflasterepithel bekleideten Schleimhaut des 
Afters (8. d.) wird die Schleimhaut des Darm¬ 
canales von einem einschichtigen Cylinder- 
epithel bedeckt, welches auch den Dünn¬ 
darmzotten einen Ueberzug verleiht. Das dem 
Hohlraum des Darmcanales zugewendete Ende 
der Epithelzellen besitzt am Dünndarm deut¬ 
licher als am Dickdarm einen doppelt con- 
tourirten Saum. Feine Streifen an dem letz¬ 
teren werden als Porencanälchen oder als 
Stäbchen gedeutet, deren Bewegungen kleine 
Körperchen, wie z. B. Fetttröpfchen, in das 
Innere der Zellen zu bringen im Stande sind. 
An den Darmzotten soll das der Darmwand 
zugewendete offene Ende der Epithelzellen 
mit Gewebslücken der eigentlichen Schleim¬ 
haut in Verbindung stehen. 

Am nicht ausgedehnten Darmrohr liegt 
die Schleimhaut in verstreichbaren Falten; 
regelmässige Querfalten, welche den Ker- 
kring’schen des Dünndarmes der Menschen 
zu vergleichen wären, finden sich andeutungs¬ 
weise bei dem Rinde. Im Dickdarm des Pferdes, 
zum Theil auch in dem des Schweines wird 
die Schleimhautoberfläche durch starke, in 
den Hohlraum einspringende Falten ver- 
grössert. Besonders reichlich finden sich un¬ 
regelmässige Falten in dem Endstücke des 
Mastdarmes. Bei den Einhufern wird die 
Schleimhaut des letzteren bei der jedesmaligen 
Kothentleerung hervorgepresst und bildet 
dadurch die sogenannte Rose, erst bei Been¬ 
digung der Kothentleerung tritt die Schleim¬ 
haut in den After zurück. Eine Falte der 
Blinddarmschleimhaut an der Einmündungs¬ 
stelle des Hüftdarraes bei den Wiederkäuern 
und Schweinen wird als Hüft-Blinddarm- 
k lappe bezeichnet. Bei den Einhufern findet 
sich eine klappenartige Vorrichtung an der 
schlitzförmigen Oeffnung, welche aus dem 
Blinddarm in den Grimmdarra führt — Blind- 
Grimmdarmklappe —; eine starke Schleim¬ 
hautfalte begrenzt vorn die Oeffnung, an 
deren hinterem Rand die Schleimhaut in klei¬ 
neren unregelmässigen Falten liegt. 

Mit Ausnahme der drüsenlosen Schleim¬ 
haut des Afters sind in die Schleimhaut des 
Dünn- und Dickdarmes die sehr zahlreichen 
schlauchförmigen Lieb erkühn 1 sehen oder 
Galeatischen Drüsen (s. d.) eingebettet. Im 
Zwölffingerdarm, bei den Einhufern auch im 
Anfangstheil des Leerdarraes, finden sich die 
Brunner’schen Drüsen (s. d.). Auf kaum 
wahrnehmbaren kleinen Papillen der Schleim¬ 
haut des Zwölffingerdarmes münden bei den 
Wiederkäuern, Schweinen und Fleischfressern 



298 DARM. 


die Ausführungsgänge der Leber- und der 
Bauchspeicheldrüse. Bei den Einhufern wird 
die Ausmündung des Gallen- und des Wirsung- 
schen Ganges von einem fast kreisförmigen 
Schleimhautwall umgeben, welcher einen klei¬ 
nen Hohlraum — Vater’sches Divertikel 
(8. d.) — umgibt. 

Die Darmschleimhaut enthält zahlreiche 
Lymphapparate, welche als solitäre Follikel, 
beziehungsweise als Peyer’sche Haufen be¬ 
zeichnet werden. 

Die solitären Follikel stimmen im 
Wesentlichen mit dem Bau der Lymphfollikel 
(s. d.) überein und können als kleinste Lymph- 
drüschen angesehen werden. Sie haben die 
Grösse eines Hirsekornes oder sind mikro¬ 
skopisch klein, liegen in die Tiefe der eigent¬ 
lichen Schleimhaut eingebettet oder an der 
Grenze des submucösen Bindegewebes und 
finden sich in allen Abschnitten des Darm¬ 
canals mit Ausnahme der Afterschleimhaut. 
Die Zotten des Dünndarmes, sowie die Lieber- 
kühn’schen Drüsen verhalten sich an den Stellen, 
wo die solitären Follikel Vorkommen, nicht 
abweichend von den benachbarten Theilen 
der Schleimhaut. 

Die Peyer’sehen Haufen — Peyer’schen 
Platten oder Drüsen (glandulae oder insulae 
Peyeri) — sind Zusammenhäufungen von 
solitären Follikeln und finden sich im Leer- 
und Hüft-, bei Schweinen und Fleischfressern 
ausserdem auch sparsam im Zwölffingerdarm, 
und zwar stets an dem der Gekrösanheftung 

f egenüberliegenden Theil des Dünndarmes. 

ie haben bei den einzelnen Hausthieren 
eine sehr verschiedene Form und Grösse, 
sind meist oberflächlicher als die solitären Fol¬ 
likel in die Schleimhaut eingebettet, und im 
Umfange der einzelnen Follikel, aus denen 
die Haufen bestehen, fehlen Darmzotten und 
Lieberkühn’sche Drüsen. Die Follikel schwellen 
an einem in Wasser gelegten Darmstück 
durch Wasseraufnahme an, bersten schliesslich 
und entleeren ihren Inhalt; an den betreffen¬ 
den Stellen der Darmschleimhaut machen 
sich dann entsprechend der Anzahl gebor¬ 
stener Follikel kleine rundliche Grübchen 
bemerklich, d. h. die Peyer’schen Haufen 
zeigen ein gefenstertes (areolirtes) Ansehen. 
Die Peyer’schen Haufen des Pferdes sind 
zwar zahlreich vorhanden, jedoch meistens 
klein und deswegen oft schwer aufzufinden, 
bei alten Pferden zum Theil auch geschwun¬ 
den. Mitunter finden sich grössere, bis 8 cm 
lange und bis 3 cm breite Haufen im Endstück 
des Hüftdarmes. Bei den Wiederkäuern ist 
die Zahl der Haufen geringer — das Rind 
hat deren 20 bis 40, das Schaf 20 bis 25 — 
dieselben sind jedoch erheblich grösser als 
beim Pferde, sie bilden sehr oberflächlich in 
die Schleimhaut eingebettete oder dieselbe 
sogar etwas überragende Platten, welche beim 
Rinde eine Länge bis 20 cm oder noch darüber 
und eine Breite bis 2* 5 cm erlangen. Ganz 
besonders zeichnet sich eine Platte im End¬ 
stück des Hüftdarmes, welche nicht selten 
in den Blinddarm hineinragt, durch ihre be¬ 
deutende Länge aus. Beim Schwein verhalten 


sich die Peyer’schen Haufen im hinteren 
Theil des Dünndarmes ähnlich denen der 
Wiederkäuer, mitunter finden sich sogar 
ebensolche Zusammenhäufungen von Follikeln 
im Dickdarm. Im Endstück des Zwölffinger- 
und im vorderen Theil des Leerdarmes haben 
die Peyer’schen Haufen eine nur geringe 
Grösse. Der Hund hat aber 20, die Katze 
jedoch nur 5 oder 6 Peyer’sche Haufen von 
meist rundlichovaler Form, die Grösse nimmt 
in den hinteren Abschnitten des Dünndarmes 
zu, den bedeutendsten Umfang erreichen 
diese Gebilde im Hüftdarm der Katze. Die 
Haufen setzen sich meist scharf von den 
benachbarten Theilen der Darmschleimhaut ab. 

Die Lymphapparate in der Darmschleim¬ 
haut der Vögel weichen nicht wesentlich von 
denen der Säugethiere ab, jedoch sind die 
Peyer’schen Haufen klein und in geringer 
Anzahl vorhanden. 

Dem Darmcanal wird Blut durch die 
vordere und hintere Gekrösarterie, im Anfangs- 
theil des Zwölffingerdarmes auch durch die 
Bauchschlagader und in dem ausserhalb des 
Bauchfellsackes gelegenen Theil des Mast¬ 
darmes aus der inneren Schamarterie zuge¬ 
führt. Aus dem zuletzt genannten Endstück 
strömt das Blut der inneren Schamvene zu, 
alle übrigen Venen des Darmcanals tragen 
zur Zusammensetzung der Pfortader bei. 
Die Lymphgefässe vereinigen sich zu Stämmen, 
welche in den Anfangstheil des Milchbrust¬ 
ganges einmünden. Die Nerven werden von 
den Nervengeflechten der Bauchhöhle abge¬ 
geben. Müller . 

Histologie. Der Darmcanal besteht 
aus zwei in einander gesteckten Schläuchen, 
welche gegenseitig durch mehr oder weniger 
festes Bindegewebe in verschieblicher Weise 
zusammen gelöthet sind und von denen der 
äussere Schlauch von Peritonealgewebe um¬ 
hüllt erscheint. Die Peritonealhülle wirdSerosa 
(sc. membrana) des Darms, der äussere Schlauch 
die Muskelwand, Muscularis, der innere 
die Schleimhaut oder Mucosa genannt. 

Die Serosa ist also eine Endothelmembran, 
welche durch lockeres Zellgewebe (subserosa) 
der Muskel wand aufliegt, bei Wiederkäuern 
und Schweinen finden sich unter dem Endo¬ 
thelstratum oft viele Fettträubchen. 

Der Muskelschlauch des Darmes ist in 
zwei übereinander liegendeSchichten differenzirt, 
von denen die äussere als Längsfaserschichte be¬ 
zeichnet wird, weil ihre Faserrichtung parallel 
mit der Darmachse läuft, die innere Lage aber 
als Ring- oder Kreisfaserschichte unterschieden 
wird, weil sie das Darmrohr in circulären oder 
spiraligen Zügen umgreift. Die Muskelzellen 
gehören den contractüen Faserzellen an 
(= glatte Muskelfasern). Während die Ring¬ 
faserschichte die Dünn- und Dickdarmwand 
ganz gleichmässig herstellt, ist die Längs¬ 
faserlage nur am Dünndarm gleichmässig 
über die Oberfläche des Darmrohres ausge¬ 
breitet, ordnet sich hingegen beim Pferde am 
Dickdarm in besonderen bandartigen Zügen 
(Taenien) bestimmter Zahl, wodurch am Dick¬ 
darm zwischen diesen Tänien die Kreisfaser- 


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DARM. 


299 


schichte dann an die Oberfläche gelangt und 
fast unmittelbar von der Serosa überdeckt ist 

Die Mnscnlari8 besitzt an den verschie¬ 
denen Darmabschnitten verschiedene Durch¬ 
messer; nach Schaaf beträgt die Dicke 
der Muskelwand im Duodenum des Pferdes 
1%—2 mm, im Jejunum 1mm und im 
Heum 6—7 mm, im Anfänge des Heums 
2—2 % mm, die longitudinale verhält sich 
bezüglich des Dickendurchmessers zur cir- 
culären Schichte im Duodenum und Jejunum 
wie 1:2, im Deum wie 1 : 5—6. An der 
Grenze des Deum und Coecum beim Pferde 
bildet die circuläre Schicht einen 18—19 mm 
dicken Wulst (Ellenberger), in dem auch 
gekreuzte Muskelzüge neben starkem binde¬ 
gewebigen Gerüste sich vorfinden. An den 
Taenien ist die longitudinale Schichtei—iy t mm 
dick, zwischen den Taenien erscheint sie ausser¬ 
ordentlich dünn, nach Schaaf 50—60 \i. Im 
Grenzbezirke des Colon und Rectums ist die 
Muscularis 6—7 mm dick, ebenso an der 
Grenze zwischen Rectum und äusserer Haut. 
Beim Rinde ist die Vertheilung eine gleich- 
mässigere. 

Das Schleimhautrohr ist der Haupt¬ 
sache nach aus Bindegewebe in der Form 
eines dichten und zarten Zellennetzes, theil- 
weise auch Fadennetzes aufgebaut, in welchem 
sowohl reichlich lymphoide Zellen sich vor¬ 
finden (cytogenes Gewebe, Ellenberger), wel¬ 
ches weiters Träger von Blut- und Lymph- 
gefössen und Nerven ist, ferner von Drüsen 
und Lymphfollikeln durchbrochen wird, von 
einem Epithelialstratum überdeckt und gegen 
das submucöse Gewebe durch eine dünne 
Lage glatter Muskulatur abgegrenzt erscheint. 
Im Dünndarme ist das Bindegewebe (-Stütz¬ 
substanz) der Schleimhaut derart angeordnet, 
dass es bald kegelförmige, bald blattartig aus¬ 
gebreitete, bald keulenförmige meist finger¬ 
förmige Erhebungen bildet, welche man 
Darmzotten (villi intestinales) nennt; im 
Dickdarme sind die Erhebungen so kurz, dass 
sie den Namen Zotten nicht verdienen und 
man daher den Dickdarm als zottenfrei be¬ 
zeichnet Die im Dünndärme sehr dicht stehen¬ 
den Zotten erreichen bei Pferd und Rind 
eine Höhe von 1 — 2 mm. Da sich in dem 
Grundgewebe der Zotten viel glatte Muskel¬ 
fasern finden, so können diese Erhebungen 
contrahirt werden und erhalten dann ein ge¬ 
refftes Aussehen. Die freie Oberfläche der 
Zotten und die Darmschleimhaut überhaupt 
trägt allenthalben einen Besatz von dichte 
stehenden hohen, schmalen Cylinderzellen, 
welche an ihrem freien breiteren Ende eine ver¬ 
dickte membranartige Partie aufweisen, die als 
Saum oder Deckel bezeichnet wird (Fig. 414). 
Der Deckel hat ein feingestreiftes Aussehen, 
weil er aus feinen, in Reihen stehenden Proto¬ 
plasmafortsätzen zusammengesetzt erscheint 
(Thanhoffer), zwischen denen die soge¬ 
nannten Porencanälchen sich finden. Die Proto¬ 
plasmafäden des Deckelsaumes sollen durch 
amöboide Bewegung im Stande sein, kleine 
corpusculäre Theilchen (Fetttröpfchen) durch 
die Porencanälchen ins Innere der Zellen zu 



bringen. Die Cylinderzellen sitzen mit zuge¬ 
spitzten, geschwänzten oder fussplattenähn- 
lichen Fortsätzen der Zotte auf und ihr ovaler 
oder rundlicher Kern lagert nahe der Basis. 
Das Basal- oder Fussende der Zellen soll offen 
sein (Schaaf) und das Hohlraumsystem der 
Zotte mit dem Fussende der Zellen, resp. dem 
Zellleibe in ununterbro¬ 
chener Verbindung ste¬ 
hen. Zwischen dieser 
Cy linder zellenform trifft 
man in wechselnder Men¬ 
ge glocken- oder becher¬ 
förmige Gebilde, welche 
durch ihren hellen Glanz 
auffallen und nichts An¬ 
deres sind als durch 
schleimige Metamorphose 
bauchig aufgetriebene 
, Cylinderzellen.Man nennt 

Fig. 414. Dwmepitheiie«. gje Becherzellen. Ander 

Grenze der eigentlichen 
Schleimhaut (Mucosa im engeren Sinne) und 
des lockeren submucösen Gewebes, welches 
die Verbindung mit der muskulösen Darm wand 
herstellt, ist noch eine dünne Schichte glatter 
Muskelfasern den ganzen Darmcanal entlang 
ein geschoben, welche alsMuscularismucosae 
bezeichnet wird. Der Hauptsache nach ist auch 
diese beim Pferde in den verschiedenen 
Darmabschnitten 10—80 jjl (jjl= 1 Mikrom. = 
y i 000 mm) dicke Muskellage aus zwei Schich¬ 
ten, aus einer Kreis- und Längsfaserlage auf¬ 
gebaut, indess ist die Anordnung hier keine 
regelmässige, so dass theilweise nur die Ring¬ 
faserlage, theilweise nur die Längsfaserschichte, 
theilweise auch schiefe Züge vorhanden sind 
und überdies die Muscularis muc. häufig 
unterbrochen erscheint, weil Lymphfollikel oder 
Drüsenausführungsgänge der Brunner’schen 
Drüsen in den Spalten zwischen den Faser¬ 
bündeln lagern. Von dieser Muscularis zwei¬ 
gen vielfach Zellenbündel nach dem Schleim¬ 
hautstratum, insbesondere den Zotten und 
dem die Lieberkühn'sehen Drüsen umgebenden 
Gewebe ab. Die secernirenden Drüsen des 
Darms zerfallen in zwei Gruppen: Ueber den 
ganzen Darm in Unzahl verbreitet finden sich 
die Lieberkühn’schen Drüsen (Lieberkühn- 
sche Crypten), welche als schlauchartige Ver¬ 
tiefungen in die Schleimhaut ein gesenkt er¬ 
scheinen und nur kurze einfache, seltener in 
2—3 Aeste gespaltene Drüsenkörper haben, 
deren blindes Ende stets über der Muscularis 
mucosae steht. Ihre Wand wird von dem hier 
zur besonderen Membran differenzirten Schleim¬ 
hautgewebe (Propria mucosae) hergestellt 
(daher auch der Name Propriadrüsen) und ihr 
Drüsenepithel tritt in zwei Formen auf; die erste, 
in den Lieberkühn’schen Drüsen des Dünndarms 
an Zahl überwiegende Form wird durch schmale, 
cylindrische, mit ovalem, basal stehenden Kern 
ausgestattete Zellen, deren Körper eine sehr 
feine Streifung zeigt, repräsentirt, als zweite 
Form kommen die bekannten Becherzellen eben¬ 
so wie auf der Oberfläche der Zellen auch im 
Drüsenschlauche vor (Fig. 415). Die Zahl dieser 
Becherzellen ist ausserordentlich variabel. 


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300 


DARM. 


nach Heidenhain bilden sie in den Schläuchen 
des Dickdarms die Mehrzahl. Heidenhain hat 
dargethan, dass das Aussehen der die Lieber- 
kühn’schen Drüsen auskleidenden Zellen nach 
den Verdauungszuständen 
sehr wechselt, insbeson¬ 
dere bei starker Darmperi¬ 
staltik eine Entleerung des 
Mucins aus den Becher¬ 
zellen statthat. Die Lie- 
berkühn’schen Drüsen des 
Dickdarms sind vorzugs¬ 
weise schleimabsondernde 
Drüsen, während die des Fig. 415. Querschnitt 
Dünndarms auch Darmsaft Lieberkahn’schen 
bilden. Aach das Zotten- DrtUe Tom pferd - 
epithel gibt gleichartige 
morphologische Veränderungen als verschie¬ 
dene Secretionszustände zu erkennen. Die 
Länge der Lieberkühn’schen Drüse wechselt 
beim Pferde zwischen 80—100 p, die Weite an 
der Mündung zwischen 10—12, an der Basis 
zwischen 12—15 p (Schaaf). — Die zweite 
Drüsenform führt den Namen der Brun- 
ner’sche Drüsen (submucöse Drüsen) und 
nähert sich dem Baue nach dem acinösen 
Drüsentypus, d. h. sie stellen eigentlich eine 
Uebergangsform zwischen acinösen und tubu- 
lösen Drüsen dar. Sie bestehen nämlich aus 
verzweigten, vielfach geschlängelten und ge¬ 
wundenen Schläuchen, deren jeder in seitliche 
Ausstülpungen und blinde Endsäckchen aus¬ 
läuft. Diese Drüsen finden sich nur im Dünn¬ 
darm, und der Drüsenkörper steckt immer 
unter der rauscularis mucosae im submucösen 
Gewebe, der Ausführungsgang durchbohrt die 
muscularis mucosae, um zur Darmoberfläche 
zu gelangen. In dem Anfangsstücke des Dünn¬ 
darms liegen die Brunner’schen Drüsen sehr 
dicht beisammen, etwa 3 p hinter dem Py- 
lorus sind sie etwas weiter gegenseitig ent¬ 
fernt und erreichen, indem sie nach rück¬ 
wärts immer vereinzelter stehen, beim Pferde 
in einer Entfernung von 7—8 p hinter dem 
Magen ihr Ende. Bei Rind und Schwein 
reichen sie weiter in das Endstück des Dünn¬ 
darms. Das Epithel des Ausführungsganges 
hat nahezu gleiche Gestalt wie das der 
Drüsenschläuche. Nach Ellenberger ist beim 
Pferde auch bei den submucösen Drüsen 
das Ausfuhrungsgangepithel ein anderes als 
das Drüsenepithel. Die Drüsenzellen sind 
durchwegs cylindrisch-kegelförmige Gebilde, 
deren Protoplasma feingekörntes Aussehen 
zeigt und welche keine Schleimmetamorphose 
eingehen, sondern eine fermentative Rolle zu 
spielen scheinen. Das periglanduläre Binde- 
ewebe steht weit vom Drüsenkörper ab, so 
ass ein förmlicher hohler Kapselraum um 
die Drüse liegt (in welchen vielleicht das 
zur Drüsenfunction nöthige Bluttranssudat 
gelangt). Durch das Vorhandensein der als 
Zotten gegebenen Erhabenheiten und durch 
die Drüsen repräsentirten Vertiefungen wird 
eine bedeutende Vermehrung der secernirenden 
Darmoberfläche erzielt. Ellenberger hat aus¬ 
gerechnet, dass durch die Propriadrüsen des 
Pferdecoecuras (270—300 Millionen Drüsen) 


allein eine secernirende Oberfläche von circa 
25m* geschaffen wird. Lymphoide Drüsen 
kommen im Darme reichlich vor (Fig. 416); 



wo sie einzeln stehen (und dies ist zerstreut 
über die dünnen und dicken Därme hier der 
Fall), spricht man von solitären Follikeln, 
wo sie in so dichte Gruppen zusammengerückt 
erscheinen, dass die Lymphfollikelaggregate 
mikroskopisch wahrnehmbar werden, nennt 
man sie Peyer’sche Platten (plaques) oder 
Peyer’sche Drüsenhaufen (Fig. 417). Letztere 
finden sich nur im mittleren und hinteren Ab- 



Fig. 417. Schnitt durch einen Peyer’schen Haufen der Darm- 
Schleimhaut vom Hände, a Lymphfollikel, b Lieberkühn’sche 
Drüsen, c Darmzotten. 


schnitt des Dünndarms. Die zerstreuten solitä¬ 
ren Follikel sind meist von einer zotten- und 
drüsentragenden Schleimhautpartie überdeckt, 
die Follikel der Peyer’schen Platten sind aber 
so gross und dicht gedrängt, dass sie mit 
ihrem breiteren Theile vornehmlich im sub- 




DARMATHMUNG. — 

mucösen Gewebe sitzen, die muscularis mu¬ 
cosae durchbrechen und mit zugespitzten 
Ruppen frei, d. h. nur von einer Darm- 
epitheilage begrenzt, in das Darmlumen hinein¬ 
ragen. In der Zahl und Grösse der Peyer’schen 
Plaques, ihrer Vertheilung auf bestimmte 
Dannabschnitte, der Grösse der Zotten und 
Drüsen ergeben sich bei den verschiedenen 
Hausthieren entsprechende Differenzen. In der 
Darmschleimhaut finden sich namentlich in der 
Umgebung der lymphoiden Drüsen und im 
Coecum auffallend viel grosse Plasmazellen 
(Mastzellen) [Ellenberger]. Die Submucosa 
ist von einem sehr lockeren, dehnbaren Binde¬ 
gewebe, das die Verschiebung der Schleim¬ 
haut gestattet, gebildet. Dieses Bindegewebe 
besteht aus sehr zarten Fibrillenlamellen in 
netzartiger Anordnung mit in das Maschen¬ 
werk eingestreuten, kernhaltigen, feinen Binde¬ 
gewebszellen und elastischen Fasergeflechten, 
ist vorzugsweise Träger von Lymph- und Blut¬ 
gefässen und einem Nervennetze und gehen 
von diesem Bindegewebe aus nach der Schleim¬ 
haut und nach der Muskelwand feine Faser¬ 
bündel in verschiedener Gruppirung aus einan¬ 
der, wodurch dem gesammten Darme sein Stütz¬ 
gerüst geschaffen wird (Fig. 418). Die aus den 
Gekrösplatten zum Darm heran tretenden ar- 




Fig. 418. 8chematischer Längsschnitt durch die Dannwand. 
1 SerOee Maat, 2 Lingsfkserschicht, 8 Ringfaaenchicht der 
Darmmoekulator, 4 Snbmneoea, 5 ronscnlaris mncosae, 
6 Schleimhaut, 7 Dannepithel, 8 Zotte; a LieberkQhn'ache 
Drüse, b Brunner'sche Drüse, c Follikel, d centrales Lymph- 
geftse, e Arterie, welche durch die Darmwand dringt, im 
gabmucäsen Gewebe ein Netzwerk bildet und von da Aeete 
an die Drüsen, Follikel und Zotten gibt, in der Zotte zum 
Capillarnetz aufgelöst wird, aus dem die Vene (0 Ursprung 
nimmt. Das Blutgeflssnetz ist nicht ausgezeichnet und von 
Lymphgef&ssen nur der Centralcanal der Zotte angedeutet. 

teriellen Blutgefässe bilden nach Durch¬ 
bohrung der beiden muskulösen Lagen ein 
weitverzweigtes Gefässgeflecht in der Sub¬ 
raucosa, dessen in die Schleimhaut dringendes 
Astwerk die sämmtlichen Drüsenformen um¬ 
spinnt und zu den Zotten emporsteigt. Na¬ 
mentlich in diesen wird ein engmaschiges 
Capillarnetz gebildet, aus dem die venösen 
Stämmchen hervorgehen, welche dann eben¬ 
falls in der Submucosa Zusammentreffen und 
neben den Arterien durch die Darm wand 
laufen, um als Pfortaderäste im Gekröse 
weiter zu reichen. (Indess sind auch die Muskel¬ 
lagen, wie überhaupt das Darmgewebe mit 


DARMBLUTUNGEN. 301 

Capillaren versorgt.) Abgesehen davon, dass 
die zahlreichen im Bindegewebe der Schleim¬ 
haut und Submucosa vorhandenen, mit glatten 
Bindegewebszellen (Endothel) ausgelegten 
Spalten für Lymphräurae angesehen wer¬ 
den mussten, findet sich in den Darm¬ 
zotten aller Hausthiere ein centraler cylin- 
drischer Lymphraum, das Anfangsstück der 
Chylusgefässe. Von Nerven ist bei kleinen 
Thieren ein in der Submucosa liegendes 
Nervennetz (Meissner’scher Plexus) und ein 
zweites, an den Knotenpunkten viele ein¬ 
gestreute Ganglien tragendes Nervennetz 
(Auerbach’scher Plexus), das zwischen Ring- 
und Längsfaserschichte der Darmwand liegt 
und mit der erstgenannten communicirt, ge¬ 
funden worden. Wahrscheinlich bestehen beide 
auch bei den grösseren Hausthieren, indem 
hie und da Ganglienzellen und Zellgruppen 
in ihrer Darm wand gesehen wurden. Kitt 

Darmathmung. Der mit dem Futter und 
dem Getränk in den Darmcanal gelangende 
Sauerstoff der Luft wird von den Capillar- 
gefässen der Schleimhaut des Magens und 
Darmes aufgenommen und andererseits Kohlen¬ 
säure abgegeben. Dieser Gaswechsel ist jedoch 
im Verhältniss zu dem in der Haut, besonders 
in der Lunge sehr gering und hat auf den 
Gehalt des Blutes sowie des Körpergewebes 
überhaupt an Sauerstoff keinen nennenswerthen 
Einfluss. Bei den höheren Thieren hat sich 
nach dem Princip der Arbeitsteilung aus dem 
vorderen Theil des Danncanals durch Aus¬ 
stülpung ein besonderes Athmungsorgan* die 
Lunge (s. d.), gebildet. Bei den niederen 
Thierformen, wo die Arbeitsteilung im Orga¬ 
nismus noch eine mangelhafte ist, hat neben 
der Haut die Verdauungshöhle einen wesent¬ 
lichen Anteil bei der äusseren Atmung 
(s. Respiration). 

Bei abgetriebenen, alten oder sehr schwer 
leidenden, besonders lungenkranken Thieren, 
dringt bei jedem Einatmen Luft durch den 
wenig geschlossenen, meistens hohlliegenden 
After ein und ebenso beim Ausathmen wieder 
aus. Diesen Vorgang bezeichnet man als 
Afterathmen. Unseres Wissens liegen Unter¬ 
suchungen über Veränderung der Luft beim 
Afterathmen im Mastdarm nicht vor. Brümmer. 

Die Darmathmung, welche bei den 
Säugetieren für den Bluterfrischungsprocess 
ganz ausser Acht gelassen werden kann, erlangt 
dagegen für einzelne Fischspecies, wie die 
Cobitisarten, Bedeutung, indem diese besonders 
bei O-Mangel im Wasser an die Oberfläche 
aufsteigen, Luft verschlucken und dieselbe 
O-frei, aber CO,-haltig durch den After wieder 
entleeren. Sussdorf, 

Darmblutungen erfolgen bei passiven ve¬ 
nösen Stauungen durch Thrombose und Em¬ 
bolie der Darmarterien, bei Einklemmungen, 
Verschlingungen, Achsendrehungen, bei hef¬ 
tigen Entzündungen, Aetzungen, Geschwürs¬ 
bildungen, Perforationen, Verwundungen, Neu¬ 
bildungen, Polypen, Krebs, Parasiten (Anky- 
lostoma, Trichocephalus bei Hunden), bei 
Milzbrand, Septicämie, Typhus, Ruhr, Scorbut, 
Hämorrhoiden etc. Die Darmblutungen zeigen 


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302 DARMBRAND. — DARMDREHUNGEN. 


sich an durch Abgang blutiger Fäces. Je 
näher zum After die Blutungen, desto reiner 
und unverfärbter ist das den Ezcrementen 
beigemengte Blut, je näher zum Magen hin, 
desto veränderter ist es. Bei Blutungen 
im Dünndarm und Anfangstheil des Dick¬ 
darmes gehen die Fäces schwärzlich gefärbt 
ab, ohne dass man wirkliches Blut in den¬ 
selben zu erkennen im Stande ist. Bei Blu¬ 
tungen im Mastdarm fliesst fast reines Blut 
aus dem After. Bei bedeutenderen Darm¬ 
blutungen werden die Thiere bald anämisch, 
schwach, haben blasse Schleimhäute und einen 
kleinen, schwachen Puls; kleinere Darm¬ 
blutungen werden ohne bedeutende Nachtheile 
ortragen. Die Behandlung besteht in Besei¬ 
tigung der Ursachen und ist verschieden da¬ 
nach, ob Allgemeinleiden (Typhus, Milzbrand, 
Septicämie, Scorbut, Ruhr) oder Localprocesse 
vorliegen (Verwundungen, Einklemmungen, 
Parasiten, Schlingen, Hämorrhoiden etc.). Bei 
Mastdarmblutungen werden Eispillen, Tam¬ 
pons, adstringirende Klystiere, bei Blutungen 
in andern Darmtheilen innerlich Adstrin¬ 
gentia, Secale cornutum, Ferr. sesquichlorat, 
Terpentinöl, nebst weicher Nahrung und Ruhe 
angewendet. Semmer . 

Darmbrand oder brandiges Absterben 
einzelner Theile des Darms tritt ein bei auf¬ 
gehobener Circulation durch Einklemmungen 
in enge Bruchöffnungen, Darmverschlingungen, 
Umschnürungen, Axendrehungen, Invagina- 
tionen, ferner in Folge heftiger Entzündungen, 
bei Vorfällen, nach Aufnahme scharfer ätzender 
Stoffe in Substanz, durch diphtherische, typhöse 
und milzbrandige Infiltrationen. Die brandigen 
Partien nehmen eine schmutzigbraune oder 
schwarzbraune Farbe an, sind meist verdickt, 
mürbe, zerreisslich, mit blutigem Serum in- 
filtrirt, ihre Schleimhaut ist mit übelriechenden, 
blutig jauchigen, braunrothen oder chocolade- 
ähnlichen Exsudatmassen bedeckt. Der Darm¬ 
brand ist meist mit heftigen Koliken ver¬ 
bunden. Die Cur besteht in schneller Besei¬ 
tigung der Ursachen. Bei ausgesprochenem 
Darmbrand ist der Tod bei Pferden unver¬ 
meidlich, bei Hunden, Schweinen und Rindern 
können brandige Darmstücke ausgeschnitten 
und die zurückgebliebenen Därme durch die 
Darmnaht (s. d.) vereinigt werden. Semmer . 

Darmooncremente sind lockere Zusammen¬ 
ballungen anorganischer Salze, gemengt mit 
organischen Substanzen. Darmconcremente 
kommen vorzugsweise bei Hunden, die viel 
Knochen fressen, im Dickdarm vor und be¬ 
stehen vorwiegend aus Knochensalzen. Die 
Concremente (Album graecum genannt) ver¬ 
anlassen bei Hunden Verstopfungen, Erwei¬ 
terungen und Lähmungen des Dickdarms mit 
tödtlichem Ausgang. Die Behandlung besteht 
in Entziehung der Knochennahrung und Ver¬ 
abfolgung von Abführmitteln und schleimigen 
Klystieren. Semmer. 

Darmcroup, Enteritis crouposa, croupöse 
Entzündung des Darmcanals, wird verursacht 
durch Aufnahme von Lösungen solcher Mittel, 
die das Epithel zerstören, z. B. concentrirter 


Lösungen von Säuren, oder aber es wirken 
specifische Ursachen (Mikroorganismen) auf den 
Darm ein, wie sie auch beim Croup des Kehl¬ 
kopfes, Rachens und den croupösen Lungen¬ 
entzündungen nachgewiesen sind. Der Darm¬ 
croup tritt am häufigsten selbständig bei 
Schweinen auf. Die Symptome des Dann¬ 
croups sind die einer heftigen Darmentzün¬ 
dung (s. d.). Bei Sectionen findet man die 
Darmschleimhaut, besonders im Dünndarm 
mit gelben scholligen fibrinösen Pseudomem¬ 
branen vollständig ausgekleidet. Die Pseu¬ 
domembranen bestehen aus abgestossenen 
Epithelzellen, farblosen Blutkörperchen, Fi¬ 
bringerinnseln, Kernen, albuminösem und fet¬ 
tigem Detritus. Die Membranen liegen der 
Schleimhaut locker auf, und nach Entfernung 
derselben kommt die lebhaft geröthete, ent¬ 
zündete, von Epithel entblösste Schleimhaut zum 
Vorschein. Die Croupmembranen lösen sich 
oft in zusammenhängenden Massen ab und 
werden als röhrenförmige, bisweilen mehrere 
Meter lange darmähnliche Gebilde mit den 
Fäces entleert. Ausser bei Schweinen kommt 
die croupöse Darmentzündung noch häufig 
vor in Folge von Diätfehlem und Aufnahme 
schädlicher reizender Futterstoffe bei Rindern, 
Pferden, Hunden und Katzen, und bei der 
Rinderpest finden sich zuweilen den Croup¬ 
membranen ähnliche Auflagerungen auf der 
Schleimhaut des Dünndarms, die in zusammen¬ 
hängenden röhrenförmigen Stücken mit den 
Fäces abgehen und vorzugsweise aus Epithel¬ 
zellen und lymphoiden Zellen bestehen. Die 
croupösen Darmentzündungen sind oft mit 
Koliken, Appetitlosigkeit. Fieber und Ver¬ 
stopfung verbunden, worauf meist Durchfälle 
mit Entleerung zusammenhängender Croup¬ 
membranen folgen. Der Darmcroup hat meist 
einen acuten Verlauf und endet grösstentheils 
mit Genesung, nur bei Rindern wird er zu¬ 
weilen chronisch; unter den Ferkeln richtet 
die Krankheit oft grössere Verluste an. Die 
Behandlung besteht in Verabfolgung schlei¬ 
miger und narkotischer Mittel, schleimiger Kly¬ 
stiere ;Calomel, Kali chloricum,Kali carbonicum, 
Natrum sulfuricum; bei kleineren Hausthieren 
bei bestehenden Verstopfungen auch Rhabar¬ 
ber, Senna, Squilla, Ricinusül mit Aqua Lauro- 
cerasi, Opium, Morphium, aromatische und 
bittere Mittel. Beim enzootischen selbständigen 
Darmcroup empfehlen sich desinficirende Mit¬ 
tel, wie Theerwasser, Carbolsäurelösungen, 
Calomel. Die Diät muss stets in guten unver¬ 
dorbenen weichen Futterstoffen und reinem 
Trinkwasser bestehen. Im Reconvalescenz- 
stadium gibt man bittere und adstringirende 
Mittel mit gekochten Knollgewächsen und Zu¬ 
satz von Zwiebeln und Knoblauch. Semmer . 

Darmdrehungen, Axendrehungen des Darms 
kommen am häufigsten am Blinddarm vor, 
aber auch am Dünndarm nach Zerreissungen 
des Gekröses und Verwachsungen der Darm¬ 
portionen unter sich und mit der Bauchwand. 
Die Folgen der Drehungen sind Verschluss 
des Darmlumens, Compression der Darmge- 
fasse, passive Blutstauungen, Hyperämien, 
Exsudation, Blutungen, Brand. Koliken, Ver- 


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DARMDRÜSEN. — DARMEIN SCHIEBUNG. 303 


Stopfungen, Peritoniten and der Tod bei länger 
andauernden Tollständigen Axendrehungen. Sr. 

Danndrflsen, s. Brunner’sche Drüsen and 
Lieberkühn’sche Drüsen. 

Darmdrflsenblntt. Nachdem der Fur- 
changsprocess im Eichen durchgeführt ist, 
lagern sich die Elemente in Form Ton ein¬ 
zelnen Schichten, welche man als Keimblätter 
bezeichnet Die innerste Schichte oder das 
der Darmhohle zugewendete Keimblatt wurde 
von Remak als Darmdrüsenblatt bezeichnet 
Es sind dessen Elemente in erster Linie für 
die Bildung der Epithelien des Darmrohres 
bestimmt. Ferner bilden sie die auskleidenden 
Elemente der Gänge jener Drüsen, welche in 
den Darmcanal münden, und nach Remak 
liefern sie auch das Substrat für die Enchym- 
zellen der Drüsen selbst. Die Elemente des 
Darmdrüsenblattes (Entoderm) gehen direct 
in jene des Ectoderms am Urmunde (Blas- 
toporus) über. Schenk. 

Darmeinklemmung. Incarcerationen kom¬ 
men bei Darmbrüchen, Darmyorfallen und 
Darmverschlingungen za Stande. Wenn nach 
Verletzungen oder Zerreissungen der Bauch¬ 
muskeln eine Darmportion durch den Riss in 
Form eines Bruches sich vorlagert, so kann 
die in dem Bruchsack befindliche Darmschlinge 
eingeklemmt werden entweder durch nach- 
herige entzündliche Schwellung der Ränder 
der BruchOffiiung oder durch entzündliche 
Schwellung der vorgelagerten Därme, oder 
aber durch Anstauung von Inhaltmassen in 
denselben. Ebenso entstehen Einklemmungen 
von durch penetrirende Bauch wunden und natür¬ 
lich eKörperöfinung vorgefallenen Darmstücken 
in Folge nachheriger entzündlicher Schwellung 
der Wundränder oder des vorgefallenen Darms. 
Darmeinklemmungen kommen endlich zu 
Stande bei Umschlingungen einer Darmportion 
durch eine andere nach Zerreissungen des 
Gekröses oder bei Umschlingungen des Darms 
durch gestielte Neubildungen. In all den 
Fällen, wo bei incarcerirten Brüchen, Vor¬ 
fällen und Verschlingungen die Blutcirculation 
oder der Rückfluss des venösen Blutes sehr 
bedeutend gehindert oder vollständig auf¬ 
gehoben ist, erfolgt schon in einigen Stunden 
brandiges Absterben der eingeklemmten Darm¬ 
portion mit tödtlichem Ausgang. Die Darm¬ 
einklemmungen sind mit starken Kolikerschei¬ 
nungen verbunden und bei Gegenwart von 
Brüchen und Vorfällen leicht zu diagnosti- 
ciren, schwerer dagegen ist die Diagnose 
bei Darmverschlingungen innerhalb der Bauch¬ 
höhle. Die Behandlung der Darmeinklemmun- 
gen besteht in sofortiger operativer Erwei¬ 
terung der Bruch- oder Vorfallsöffnungen 
und Reponirung der vorgelagerten Darm- 
portion, Vernähen der Bauchwunde und anti¬ 
phlogistischer und antiseptischer Behand¬ 
lung derselben (Carboisäureverbände, Eisum¬ 
schläge). Eine Darmverschlingung in der 
Bauchhöhle sucht man vom Mastdarm aus 
zu lösen. Bei Rindern, Schweinen und Hunden 
kann auch der Bauchschnitt und künstliche 
Lösung der Verschlingung Anwendung finden. 
In all den Fällen aber, wo der Brand der 


eingeklemmten Darmportion schon deutlich 
ausgesprochen ist, kommt alle Hilfe zu spät, 
denn die Patienten gehen nach der Operation 
meist an jauchiger Peritonitis zu Grunde. Sr. 

Darmeinschiebung, Invaginatio, Intussus 
ceptio, Volvulus, ist eine Einstülpung einer 
Darmportion in die nächstfolgende. Die Ein¬ 
stülpung erfolgt meist von vorne nach hinten 
in der Richtung der peristaltischen Darmbewe¬ 
gung. Man kann die Darmeinschiebung nach¬ 
ahmen, indem man irgend einen ledernen 
oder Gummischlauch oder auch einen Hand¬ 
schuhfinger in seinem mittlern Theil in sich 
zurückstülpt. Die Darminvagination besteht 
stets aus drei über einander liegenden Röhren 
oder Schichten, von denen das äussere und 
innere normal mit der Serosa nach aussen, 
mit der Schleimhaut nach innen liegen, das 
mittlere Rohr aber umgestülpt mit der Schleim¬ 
haut nach aussen, der Schleimhaut des äussern 
Rohrs, mit der Serosa nach innen der Serosa 
des innem Rohrs zugekehrt liegt. Das äussere 
Rohr wird als Scheide, das innere als ein- 
tretendes und das mittlere als austretendes 
Rohr bezeichnet. Zwischen dem innem und 
mittlern Rohr befindet sich das mit hinein¬ 
gezogene Stück Gekröse. Die Blutcirculation 
ist besonders in dem umgestülpten mittlern 
Rohr mehr oder weniger gestört, es kommt 
bald zur Hyperämie, Infiltration, Entzündung. 
Exsudation, Verklebung und Verwachsung der 
invaginirten Darmstücke, zu Verengerung des 
Lumens, Störungen der Fortbewegung des 
Danninhalts, Uebergreifen der Entzündung 
auf das Peritoneum (Peritonitis) oder zum 
brandigen Absterben der invaginirten Röhren 
und zur Perforation. Ein Durchpassiren des 
Darminhaltes durch das innere Kohr ist an¬ 
fangs noch möglich, später bei erfolgter ent¬ 
zündlicher Schwellung tritt absolute Ver¬ 
stopfung mit Koliken ein. In günstigen Fällen 
löst sich die Darmeinschiebung wieder von 
selber, oder es werden die innere und mittlere 
invaginirte Schichte brandig abgestossen, nach¬ 
dem an der Eintrittsstelle eine Verwachsung 
zwischen dem äussern und innem Rohr statt¬ 
gefunden, und es erfolgt Heilung mit Hinter¬ 
lassung einer Strictur und Darmverkürzung. 
In 75 % der Fälle aber erfolgt der Tod durch 
Verstopfung, Brand, Perforation und Peri¬ 
tonitis. Darmeinschiebungen kommen bei allen 
Thieren vor, am häufigsten bei Hunden und 
Katzen, wo sie oft 1 Fuss und darüber lang 
sind und zuweilen durch den Mastdarm vor¬ 
fallen. Häufig entstehen Darmin vagin ationen 
erst in der Agonie; dieselben unterscheiden 
sich von den während des Lebens entstandenen 
durch Abwesenheit aller Entzündungserschei¬ 
nungen. Die Ursachen der Darmeinschiebungen 
sind Darmkatarrhe, vermehrte Darmperistaltik, 
polypöse Neubildungen an der Darmschleim¬ 
haut, welche durch die Peristaltik fort¬ 
geschoben werden und den Darm mit hinein¬ 
ziehen. Die Cur besteht in Anwendung des 
Bauchschnittes und künstlicher Lösung der 
Invagination und, falls diese nicht mehr mög¬ 
lich, im Ausschneiden des ganzen Volvulus und 
Anlegen der Darmnaht. Die Operation kann 


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304 


DARMENTZÜNDUNG. 


bei Hunden, Schweinen und Rindern gemacht 
werden, sobald die meist schwierige Diagnose 
auf Darmeinschiebung festgestellt ist. Bei 
Pferden ist die Operation wegen eintretender 
Peritonitis nicht ausfahrbar. Semmer. 

. Darmentzündung, Enteritis (von evtepov, 
Darm); bei ihr erstreckt sich die Entzündung 
nicht blos auf die obere Partie der Schleim¬ 
haut, wie beim Dahnkatarrh, sondern auf die 
ganze Schleimhaut, in vielen Fällen auch 
schliesslich auf die Muscularis und Serosa. 
Nach dem entzündeten Darmtheile unter¬ 
scheidet man eine Zwölffingerdarm-Entzün¬ 
dung oder Duodenitis (duodecim, zwölf; die 
Endung itis wird dem Stamme des Substan¬ 
tivs zur Bezeichnung der Entzündung ange¬ 
hängt), Hüftdarm - Entzündung oder Ileitis 
(von cXeov, Hüft- oder Krummdarm), Blind¬ 
darmentzündung oder Typhlitis (von ttxpXo'c, 
blind), Grimmdarmentzündung oder Colitis 
(von xutXov, Grimmdarm) und Mastdarm-Ent¬ 
zündung oder Proctitis (von itptoxxö«;, After). 
Ist der Magen, wie dies öfter der Fall ist, zu¬ 
gleich mitentzündet, so wird die Krankheit Ma- 
gendarmentzündung, Gastroenteritis (v. ^aoTrj<;, 
Magen) genannt. Die ursächlichen Verhältnisse 
stimmen mit denen des Darmkatarrhes völlig 
überein, ebenso die Pathogenese, weshalb wir 
nach dort verweisen. Oft genug beginnt dem¬ 
entsprechend die Enteritis mit hochgradigem 
Darmkatarrh, die Entzündung geht indess bald 
auf die Muscularis und Serosa des Darms 
über, weil die Ursachen intensivere waren als 
bei Darmkatarrh. Mechanische Reize und Er¬ 
kältungen zählen zu den gewöhnlichen Ur¬ 
sachen der primären Enteritis, am häufigsten 
beruhen sie auf diätetischen Schädlichkeiten, 
öfter auch auf scharfen oder ätzenden Be- 
standtheilen in zufällig aufgenommenen Pflan¬ 
zen, Metallen oder Arzneipräparaten. Ver¬ 
letzungen der Bauchdecke oder der Organe 
der Bauch- und Beckenhöhle, abnorme Lage¬ 
rungen des Darmcanales (Brüche, Torsionen, 
Invaginationen), mitunter auch Parasiten im 
Darmcanal (Band-, Spul-, Palissadenwürmer, 
Riesenkratzer) geben weitere Ursachen zur 
Enteritis ab. Secundär tritt die Enteritis zu 
Magen- und Bauchfellentzündung, Ruhr, 
Dysenterie, Typhus und Infectionskrankheiten 
hinzu, sie kann dann auch eine enzootische 
Ausbreitung erlangen. Die Entzündung befällt 
in der Regel nur einzelne Abschnitte des Ver- 
dauungscanales; ihre anatomischen Merkmale 
sind: starke Gefässinjectionen, Blutreichthum, 
Röthung, mehr oder weniger grosse Blut¬ 
extravasate in die Häute, Auflockerung und Ver¬ 
dickung der Häute durch serös-gallertartige 
oder eiterige Infiltration, leichte Zerreisslich- 
keit der betroffenen Darmpartie, graues oder 
gelbliches, fibrinöses Exsudat auf der Aussen- 
fläche der Serosa, Schwellung und Hyperämie 
der Dünndarmzotten, der Gekrösdrüsen, der 
Peyer’schen und Brunnerschen Drüsen (letz¬ 
tere erreichen die Grösse einer Erbse und 
können vereitern oder verkäsen mit Hinter¬ 
lassung eines kesselartigen, folliculären Ge¬ 
schwüres), schleimigeiteriger oder croupöser 
Belag der Schleimhaut, Vermischung des 


Darminhaltes mit Blut und fibrinösen oder 
jauchigen Exsudaten. Das Peritoneum trägt 
ebenfalls Zeichen der Entzündung an sich, 
während Leber, Nieren und Milz sich in 
hyperämischem Zustand präsentiren und das 
Blut dunkel und mit Kohlensäure überladen 
erscheint. 

Eine besondere katarrhalische Darment¬ 
zündung ist im Darmcroup, der Enteritis 
crouposa, gegeben, die meist junge Rinder 
und hochtragende Kühe, seltener Pferde, Hunde 
und Katzen mit faserstoff- und ei weissreichem 
Blute heimsucht, wenn sie bei rauher Früh¬ 
jahrs- oder Herbstwitterung Erkältungen und 
Diätfehlern ausgesetzt sind. In der Trächtig¬ 
keit und nach Reizungen der Lymphdrüsen 
nimmt der Faserstoffgehalt des Blutes zu, er 
wird alsdann um so leichter auf die entzündete 
Darmschleimhaut in Form weissgelber mem- 
branöser Auflagerungen abgesetzt, welche 
nicht selten in Fetzen oder als hohle Cylinder 
oder als wurst- und strangartige, compacte 
Massen per anum abgehen, letzteres dann, 
wenn die Croupmasse das Darmrohr ganz aus¬ 
füllt und sich durch eiterige Transudation von 
der Schleimhaut abgelöst hat. Als solche ist 
sie an der schichtenförmigen Zusammen¬ 
setzung, mikroskopisch an den vielfach mit 
einander verflochtenen Fibrinfäden, dem struc- 
turlosen Baue und dem Mangel irgend eines 
Blutgefässes zu erkennen, so dass Verwechs¬ 
lungen mit brandig abgelösten Darmpartien, 
mit denen die öfter mehrere Fuss langen 
Croupcylinder Aehnlichkeit haben, nicht mög¬ 
lich sind. 

Die enzootische Darmentzündung 
ist, weil bei ihr das Blut zur Zersetzung neigt 
und sie aus allgemein verbreiteten Schädlich¬ 
keiten gewisser Oertlichkeiten und mangel¬ 
hafter Nahrung hervorgeht, auch als typhöse 
Darmentzündung beschrieben worden. Sie 
gehört deshalb zu den Infectionskrankheiten, 
die nächste Krankheitsursache ist noch nicht 
klargelegt. Haubner (landw. Thierheilkunde) 
vermuthet in ihr wohl nicht mit Unrecht eine 
durch Spaltpilze hervorgerufene Darmmykose. 
In vielen Fällen mag die als enzootische 
Darmentzündung beschriebene Krankheit nichts 
anderes als Typhus gewesen sein, der sich 
vorzüglich auf der Darmschleimhaut locali- 
sirte. Da man eine mit Sepsis und gastrischen 
Complicationen einhergehende Darmentzün¬ 
dung bei Pferden, Rindern und Schafen be¬ 
obachtet hat, welche auf schlechten, unfrucht¬ 
baren, moorigen, feuchten, mit sauren Gräsern 
und harz- und gerbstoflhaltigen Sträuchern 
und Gehölz bestandenen Weiden den ganzen 
Sommer über ihre Nahrung suchen müssen, 
so hat man sie auch „Wald- oder Holzkrank- 
heit u genannt. Nicht selten werden unter 
den eben erwähnten Weideverhältnissen auch 
die Nieren entzündlich gereizt, wir haben es 
dann im Grunde genommen mit Hämaturie 
zu thun, und in der That decken sich die 
Symptome der sog. Waldkrankheit und der 
Hämaturie in vielen Beziehungen. Wir verwei¬ 
sen deshalb bezüglich der Pathogenese dieser 
Krankheit auf den Artikel „Blutharnen“ und 



DARMENTZÜNDUNG. 


305 


erwähnen an dieser Stelle noch, dass das 
Leiden mit Vorliebe bereits vom Winter her 
kärglich ernährte und in ihrer Widerstands¬ 
fähigkeit geschwächte Thiere befällt, welche 
für Witterungseinflüsse und diätetische Schäd¬ 
lichkeiten sehr empfänglich sind. Unter sol¬ 
chen Verhältnissen habe ich das Leiden selbst 
unter Hirschen und Rehen grassiren sehen. 

Die Cadaver der Gefallenen sind stets 
abgemagert und anämisch, das wässerig dünne 
Blut gerinnt nur locker und das reichlich 
darin vorhandene Serum ist vielfach in das 
subcutane Bindegewebe und in die grosseren 
Körperhöhlen ausgetreten, auch finden sich 
punktförmige und fleckige Blutaustretungen 
auf den serösen Ueberzügen der Baucheinge¬ 
weide neben stärkerer Gefässinjection und 
leichten, flockigen Exsudat-Auflagerungen auf 
der Magen- und Darmschleimhaut, bei Wieder¬ 
käuern ist auch die Schleimhaut des Psalters 
und Labmagens an verschiedenen Stellen 
entzündlich geröthet,graurothund schiefergrau 
gefärbt und aufgelockert, die Darmhäute sind 
von wä8serig-sulzigenInfiltrationen durchsetzt, 
der Darminhalt besteht in einer wässerig¬ 
schleimigen, fötiden Flüssigkeit Auch die 
Leber, Nieren und die Blase sind häufig leicht 
entzündlich afficirt, der in letzterer vorfind - 
liche Ham zeigt eine gelbröthliche Farbe. 
Gehirn und dessen Häute lassen öfter einen 
grösseren Blutreichthum erkennen. 

Symptome. Als Prodromen der Darm¬ 
entzündung sind Störungen im Allgemein¬ 
befinden und in der Verdauung za nennen, 
die Thiere sind abgeschlagen und lassen 
leichte gastrische Zufälle erkennen; der 
Appetit ist verringert, unterdrückt, die Rumi- 
nation und der Mistabsatz geschehen unregel¬ 
mässig. Alsbald stellen sich Verstopfung und 
dumpfe Kolikschmerzen ein, die unter der 
Hand periodisch stärker werden und sich mit 
Fieberanfällen verbinden. Pulse und Athem- 
züge werden beschleunigt, die Schleimhäute 
röthen sich höher, die Mastdarmtemperatur 
steigt. Da das Leiden schmerzhaft ist, stossen 
die Patienten Schmerzenslaute aus, man hört 
sie stöhnen, mit den Zähnen knirschen, sie 
schlagen mit den Füssen, sehen sich nach 
dem Hinterleibe um u. dgl. m. Das Maul 
fühlt sich trocken und heiss an, ebenso bei 
Rindern das Flotzmaul, der Hinterleib ange¬ 
füllt und mässig aufgetrieben, kräftiger 
Druck auf ihn verursacht Schmerzen; Blut¬ 
andrang zum Gehirn aber Depressionen der 
sensoriellen Functionen. Mit der Heftigkeit 
der Schmerzen und ihrer Andauer steigt auch 
die Lebensgefahr und die Frequenz des Pulses, 
er wird klein und hart, selbst aussetzend und 
unregelmässig, die Körpertemperatur wech¬ 
selnd. Der Mistabsatz erfolgt unter Tenesmus 
äusserst spärlich, der abgesetzte Mist ist 
trocken, klein geballt und mit Schleim und 
Blut umhüllt, öfter ist vollständige Versto¬ 
pfung vorhanden, weil die Darmmuskulatur 
durch entzündliche Exsudate und seröse 
Transsudate paralytisch geworden ist; man 
vermisst deshalb auch ber der Auscultation 
die Darmgeräusche, die Peristaltik liegt voll- 
Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkd. II. Bd. 


ständig darnieder. Diarrhöischer Abgang 
schleimig-blutiger Fäces kann trotz hart¬ 
näckiger Constipation vorhanden sein, wenn 
hinter der entzündeten Darmpartie Darm- 
katarrh vorhanden ist. Eine Complication der 
Darmentzündung mit Magenentzündung spricht 
sich durch heftige Schmerzen, hochgradiges 
Fieber, Gähnen, Recken, Würgen oder wirk¬ 
liches Erbrechen, Eintritt des Darmbrandes 
durch bläulichgraue, livide Färbung der Maul¬ 
schleimhaut, kleinen, leeren Puls, hohe Mast¬ 
darmtemperatur, Spannung des Hinterleibes, 
kalte Extremitäten aus; mit dem brandigen 
Absterben des entzündet gewesenen Darm- 
theiles verschwinden die Schinerzäusserungen, 
denn in der mortificirten Partie ist jede 
Nerventhätigkeit erloschen. Die nunmehr ein¬ 
tretende Ruhe ist eine trügerische, statt der 
erhofften Besserung nehmen die Kräfte schnell 
ab, der Gesichtsausdruck verfällt, der Blick wird 
stier, der Puls unfühlbar, die Extremitäten 
erkalten; die Patienten verenden unter den 
Erscheinungen von Marasmus und Stumpf¬ 
sinnigkeit oder, falls Brandjauche ins Blut 
übergetreten ist, unter solchen einer Blut¬ 
zersetzung; zuweilen erfolgt der Tod asphyk- 
tisch in Folge eines hinzutretenden Lungen¬ 
oder Glottisödems oder auch apoplektisch 
unerwartet schnell. In seltenen Fällen wird 
das brandig abgestorbene Darmstück oder 
einzelne Theile desselben, vermischt mit einer 
aashaft riechenden Jauche, nach aussen ent¬ 
leert. Mitunter tritt nach dem Darmbrand 
eine Paralyse des Sphincter ani ein, der After 
steht dann beständig offen, die Fäces gehen 
unwillkürlich ab. Der Verlauf der Darment¬ 
zündung ist acut, er ist in 1, 2—3 Tagen 
beendet, bei Rindern ist der Verlauf weniger 
schnell, er kann hier 7—14 Tage in Anspruch 
nehmen, was auch bei allen anderen Thieren 
der Fall sein kann, wenn sich die Entzün¬ 
dung allmälig aus einem Darmkatarrh ent¬ 
wickelt. Die Krankheit endet in den meisten 
Fällen mit dem Tode, jüngere Thiere erliegen 
ihr leichter als ältere. 

DerDarmcroup verläuft ebenfalls mehr 
schleichend, die Symptome der Enteritis stei¬ 
gern sich nur allmälig, gewöhnlich gehen erst 
nach 4, 5 bis 8 Tagen, nachdem zuvor eine mehr 
oder weniger hartnäckige Verstopfung vorhan¬ 
den war, cylinderförmige oder fetzige Croup- 
raassen mit einer fötiden, jauchigen Flüssig¬ 
keit per anum unter Tenesmus ab; die Cylinder 
pflegen in ihrem Innern Futter- und Koth- 
reste zu enthalten, ihr Abgang ist von einer 
zeitweiligen Besserung gefolgt, die aber nicht 
lange Stand hält, weil stets wieder neue 
Croupmembranen sich bilden. Auf diese Weise 
wechseln Remissionen und Exacerbationen 
öfter mit einander ab. Der Abgang der Croup¬ 
massen sichert allein die Diagnose; wo er 
vorhanden, ist auf Genesung zu hoffen, hin¬ 
gegen stellt hartnäckige Verstopfung das 
letale Ende in sichere Aussicht, sie beruht 
auf vollständiger Ausfüllung des Darmrohrs 
mit croupösem Exsudat, man vermag dann 
öfter den wurstförmig ausgefüllten Darmtheil 
per anum als einen festen Strang zu fühlen. 

20 



306 


DARMENTZÜNDUNG. 


Die enzootische Darmentzündung 
kennzeichnet sich durch ihren mehr schlei¬ 
chenden Verlauf und ihre Ausbreitung auf 
eine grössere Zahl von Thieren derselben 
Gegend. Dem entschiedenen, auffälligeren 
Er&anken gehen in der Regel leichtere 
Symptome eines Darmkatarrhs und gastrische 
Beschwerden 8—14Tage voraus, unter der Hand 
treten auch solche der Anämie und Adynamie 
hervor, öfter unterbrochen von leichten fe¬ 
brilen Zufällen: der Puls wird alsdann klein, 
fadenförmig, leer, die Schleimhäute nehmen 
eine blasse Farbe an und erscheinen wäs¬ 
serig aufgelockert, die Thiere benehmen 
sich kraftlos, liegen gern, die Fresslust und 
Verdauung liegen mehr und mehr darnieder, 
die Eicremente werden dünnflüssig und unter 
Afterzwang abgesetzt, sie enthalten haupt¬ 
sächlich Schleim und Blut, das ihnen ein 
dnnkles, theerartiges Ansehen verleiht. Nach 
einer Krankheitsdauer von 3—4 Wochen 
stellen sich Oedeme und öfter auch Emphy¬ 
seme ein. bei Rindern besonders gern am 
Hintertheil und in der Umgebung des Afters 
und der Genitalien. Wo Neigung des Blutes 
zur Sepsis gleich von vorneherein vorhanden, 
ist der Krankheit»verlauf ein sehr acuter: 
wir haben es dann mit der typhösen Darm¬ 
entzündung zu thun, welche die Thiere in 
4—24 Stunden, Pferde in 2—3 Tagen dahin- 
rafft. Bei ihr spielen, neben der Blutzersetzung, 
blutig-sulzige, graurothe Ergiessungen in die 
Darmhäute, Geschwüre und Verschorfungen 
auf der Darmschleimhaut und Nervenzufälle 
die Hauptrolle. Das septische, faserstoffarme 
Blut ist nicht nur in den Darminhalt, sondern 
in das Gewebe fast aller schleimhäutigen und 
serösen Auskleidungen in Form von Punkten, 
Flecken und Streifen ausgetreten, auch haben 
blutig-seröse Ergüsse in alle Körperhöhlen, 
in den Herzbeutel, in die Hirnkammern und 
in den Rückenmarkscanal stattgefunden, das 
Blut selbst weist ein Uebermass an weissen 
Blutzellen nach, wohingegen die rothen Blut¬ 
zellen grossentheils zerfallen sind; Franck 
und Leisering wiesen in ihm Stäbchenbacterien 
und Bacterienketten nach. Ausserdem finden 
sich häufig Leber, Milz, Nieren und Mesen¬ 
terialdrüsen hämorrhagisch geschwollen. Viele 
körperlicheAnstrengungemmastigeFütterungs- 
weise, verbunden mit wenig Bewegung in 
freier Luft und vielem Aufenthalt in dun¬ 
stigen, mit Kohlensäure und Fäulnissgasen 
erfüllten Stallungen, Genuss unreinen Wassers 
oder mit Pilzbildungen (Schimmel, Rost, 
Brand etc.) befallene Getreidearten disponiren 
zur typhösen Enteritis. Die Entwicklung eines 
Contagii konnte bisher nicht mit Sicherheit 
nachgewiesen werden. Die Krankheit bricht 
plötzlich unter Fieberanfällen, Ausbruch eines 
kalten Schweisses und mehr oder weniger 
heftig geäusserten Bauchschmerzen aus, wenig¬ 
stens werden die vorausgehenden Störungen 
im Allgemeinbefinden leicht übersehen. Sofort 
deuten ein kleiner, schwacher und dabei 
accelerirterPuls, der pochende Herzschlag, der 
eingenommene Kopf. Depressionen der Gehirn¬ 
functionen, taumelnde, unsichere Bewegungen, 


Convulsione» der Gesichts-und Rumpfmuskeln, 
die bleifarbigen oder ziegelrothen, mit Petechien 
und Ecchymosen besetzten Schleimhäute (letz¬ 
teres ist besonders auf der Nasenschlcim- 
haut der Fall), Dyspnoö, Krämpfe, blutig ge¬ 
färbte Dejectionen und das Auftreten von 
Geschwülsten an verschiedenen Körperstellen 
auf eine tiefe Alteration des Blut- und Nerven- 
lebens hin. Die anfänglich vorhandene Ver¬ 
stopfung des Leibes geht meistens später in 
ruhrartigen Durchfall über, der Verfall der 
Kräfte ist ein rapider, er führt die Patienten 
fast regelrecht in kurzer Zeit dem Tode zu. 

Die käsige oder scrofulöse Darm¬ 
entzündung, Enteritis caseosa s. tyro- 
tica s. scrofulosa (caseus und topo? = 
Käse; scrofula, verhärtete Drüse), kommt vor¬ 
züglich bei Ferkeln vor; sie ist zunächst 
von Roloff (Virchow’s Archiv, 36. Bd.) und 
Fürstenberg (Mittheil. a. d. thierärztl. Praxis 
in Preussen 1859—60) beobachtet worden. 
Die Krankheit verläuft chronisch, sie besteht 
anfänglich in einem Darmkatarrh, resp. in 
Durchfall, in dessen Verlauf die Darm- und 
Mesenterialdrüsen durch Aufnahme vieler 
zeitiger Elemente (weisse Blut- und Lymph- 
körperchen) sich verdicken und hyperplastisch 
vergrössern, bald aber stellenweise verfetten 
und verkäsen. Eine gleiche zeitige Infiltration 
findet auch in die sämmtlichen Häute des 
Dickdarms statt und führt auch hier, ausser 
zur Wucherungdes Bindegewebes, zur massigen 
Verdickung der Darmhäute und Einlagerung 
von trockenen, gelblichen, käseartigen Massen 
in dieselben. Man kann deshalb schon bei 
Lebzeiten den entarteten Dickdarm durch die 
Bauchdecken als knotige, knollige Wülste 
hindurch fühlen. Der schwere Darm treibt 
den Bauch nach unten hervor, während die 
Flanken einfallen und der Rücken sich spitz 
hervorwölbt. Saug- und Fresslust und All¬ 
emeinbefinden sind gewöhnlich schon längere 
eit getrübt, bevor sich Durchfall und Ab¬ 
magerung einstellt. Der Durchfall wechselt 
zu Anfang öfter mit Verstopfung ab, endlich 
hält er an. die Fäces werden wässerig und 
fötid, der Bauch zeigt sich gegen Druck sehr 
empfindlich, Fieber, Anämie und Kachexie 
steigern sich, die Conjunctiva wird blass, 
die Fresslust verliert sich gänzlich, die 
Thiere magern skeletartig ab und sterben 
nach 4—6 Wochen an allgemeiner Erschöpfung. 
Mitunter entzünden sich auch die Lungen käsig, 
alsdann treten Athembeschwerden und Husten 
prägnant hervor. Nur wenige der jungen 
Thiere entgehen dem Tode, die wenigen Re- 
convalescenten erholen sich nur äusserst lang¬ 
sam, sie gedeihen auch später selbst bei bester 
Pflege nie recht. Als nächste Ursache ist qjne 
ererbte Schwäche der Organisation anzu¬ 
sehen, die zu Verdauungsstörungen und Er¬ 
schlaffung der Darm- und Lymphgefasse dis- 
ponirt, in Folge deren leicht zellige Elemente 
in die Gewebe auswandern. Die Eltern der 
Jungen zeichnen sich in der Regel durch 
Mastfähigkeit aus, gehören mehr den edlen 
Rassen an oder sind aus nahen Verwandtschafts- 
paarungen hervorgegangen. In der Leiche 



DARMENTZÜNDUNG. 


307 


finden wir den Dickdarm bis zu i % cm ver¬ 
dickt und wulstig aufgetrieben, seine Häute 
von serös-eitrigen, blutigen und käsigen In¬ 
filtrationen durchsetzt, die Schleimhaut faltig 
aufgewulstet, geröthet, mit Extravasaten be¬ 
setzt und geschwürartig zerstört und an¬ 
genagt, weil die Drüsen sammt dem benach¬ 
barten Gewebe käsig zerfallen sind; die Serosa 
ist hyperämisch, öfter mit kleinen Extra¬ 
vasaten und schwachen Exsudaten besetzt. 
Der Darminhalt besteht in einer dünnflüssigen, 
braunrothen oder eitrig-grauen Masse. Die 
Schleimhaut des Magens und Dünndarms ist 
ebenfalls verdickt, stellenweise geröthet und 
von kleinen Blutaustretungen durchsetzt. Die 
geschwollenen Gekrösdrüsen enthalten gleich¬ 
falls käsige Einsprengungen, Leber und Nieren 
finden sich vergrössert und fettig degenerirt, 
die Muskeln blass, anämisch. 

Eine durch Gregarinen hervorgerufene 
Darmentzündung, eine Enteritis gregari- 
nosa, ist bei dem Geflügel in Gemeinschaft 
mit einem Katarrhe der Luftwege beobachtet 
worden, sie kann aber auch als selbstständiges 
Leiden unter dem Hausgeflügel auftreten. 
Die Gregarinen wandern hier mit der Nah¬ 
rung in den Körper ein und setzen sich in 
den Schleimhäuten fest. In der Darmschleim¬ 
haut bilden sie mohn- bis hanfsamengrosse 
gelbweisse Knötchen oder Auftreibungen und 
Verdickungen, letztere besonders dann, wenn 
sie sich in den Darmdrüsen angesiedelt haben. 
Das hervorstechendste Symptom der Krankheit 
ist ein Durchfall, der schnell zu völligem 
Appetitsverlust, Abmagerung, Schwäche, Fie¬ 
ber, Trauern und Erschöpfung führt und dem 
die Thiere nach einigen Tagen erliegen. Die 
gelben, flüssigen, eiterartigen, selbst mit Blut 
vermischten Excremente enthalten die nur 
mikroskopisch nachweisbaren Gregarinen oder, 
wie sie auch noch genannt worden sind, 
Psorospennien. In den Cadavern sieht man 
die Darmschleimhaut aufgelockert, blutreich, 
geröthet und blutig gefleckt, stellenweise ihres 
Epithels beraubt und von Gregarinennestern 
durchsetzt. 

Zu erwähnen ist noch eine Proctitis 
der Pferde und Hunde, die auf einer ent¬ 
zündlichen Reizung der Mastdarmschleimhaut 
beruht; die in den After eingeführte Hand 
oder der Finger fühlt die Schleimhaut mehr 
heiss und aufgetrieben, in ähnlichem entzünd¬ 
lichem Zustande werden die Afterdrüsen der 
Hunde vorgefunden, bei denen auch der Schliess- 
muskel des Afters an geschwollen und entzündet 
ist; jede Berührung des Afters verursacht 
ihnen lebhafte Schmerzen, ein damit verbun¬ 
denes Jucken veranlasst sie, den After öfter 
auf dem Boden zu reiben. Nicht selten 
gehen die Afterdrüsen in Eiterung über. Die 
Pferde setzen locker geballte Excremente und 
eine braungelbe, wässerige Flüssigkeit ab, 
welche die Hinterschenkel beschmutzt, wes¬ 
halb das Leiden von Dr. Erler (sächs. Vete¬ 
rinärbericht 1864) als falscher Durchfall 
bezeichnet wurde. Im Uebrigen benehmen sich 
die Patienten periodisch unruhig und gehen 
in ihrem Ernährungszustände zurück. Bei 


Hunden hat man sich vor Verwechslungen 
mit Hämorrhoiden zu hüten, bei ihnen fühlt 
aber der eingeführte Finger die Mastdarm¬ 
venen knotig aufgetrieben und vermischen sich 
die Fäces öfter mit Blut. Im Mastdarm vor¬ 
handene Oxyuren (Pfriemenschwänze) veran¬ 
lassen die Hunde ebenfalls zu Reibungen des 
Afters, ohne dass die anderen Symptome 
der Proctitis vorhanden wären. 

Die Therapie der eigentlichen Darm¬ 
entzündung hat die Aufgabe, die Ursachen 
möglichst zu beseitigen und die Entzündung 
durch Ableitungen auf die Haut und inner¬ 
liche Anwendung von schleimig-öligen und 
schmerzmildernden Einschütten zu bekäm¬ 
pfen. Hohe Fiebergrade indiciren den Ader¬ 
lass, Kaltwasserklystiere, kalte Douchen oder 
kalte Umschläge auf deu Hinterleib, die, 
wenn sie den Schmerz verstärken, durch 
feuchtwarme Einhüllungen zu ersetzen sind. 
Als Derivantien sind Einreibungen von Kam- 
pherspiritus, Terpentinöl mit Salmiakgeist, 
flüchtiges Liniment, Senföl, Kantharidentinctur, 
Senfteige auf die Bauchdecken und Schenkel, 
zu den Einschütten Decocte von Althea, Gerste, 
Hanf- oder Leinsamen, Mohnsamen-Emulsion, 
Oliven- oder Leinöl oder eine Mischung von 
Eiweiss und Wasser zu benützen, die bei 
heftigen Schmerzen mit Opium, Morphium, 
Bilsenkrautextract, Kirschlorbeerwasser oder 
Infusen von Kamillen und Baldrian zu ver¬ 
setzen sind. Nur bei anhaltend verzögerten 
Darmentleerungen oder Constipation des Leibes 
greife man zu den gelinderen Laxantien, z. B. 
Calomel, Natr. subsulfurosum, Kali sulfuric., 
Natr. nitr., Kali chloric., für Hunde ol. Ri- 
cini, rad. Rhei, fol. Sennae, Kali tartaricum 
mit Syrupus Althaeae, aqua Laurocerasi oder 
extr. Aconiti. Nach den neueren Beobachtungen 
regen Eserin (Physostigmin) und Pilocarpin 
die Verdauung und die Darmperistaltik ohne 
Gefahr für die Patienten bei subcutaner Anwen¬ 
dung kräftig an; man kann Pferden von dem 
Eserinum sulfuric. s. hydrochlorat 0*05—0*10 gr, 
Rindern 0*12—0*15 gr in einer l%igen wäs¬ 
serigen Lösung injiciren, um die Verstopfung 
prompt zu beseitigen. Pferde sollen das Pilocarpin 
nicht so gut vertragen wie das Eserin, wohl 
aber kann es bei den andern Thiergattungen, 
besonders Rindern, ebenfalls wirksam gegen 
subacute Verstopfungen angewendet werden; 
die Dosis ist für Pferde und Rinder 0 • 05—0 * 10, 
0*25—0*50 gr, für die mittelgrossen Thiere 
0*05, für die kleineren Thiere 0*02 gr zu 
4 * 0—5 * 0 Wasser. Zur Beruhigung der Schmer¬ 
zen dienen subcutane Injectionen von Morphium 
in ausgezeichneter Weise. Die gesunkenen 
Kräfte sucht man durch stimulirende Mittel zu 
heben, unter denen Kalmus, Amica, Angelica, 
Alant, Baldrian, Kampher, Aether, Wein, für 
Rinder ol. Terebinthinae in kleinen Dosen 
hervorzuheben sind. Die Reconvalescenten 
müssen streng diät gehalten werden, am zu¬ 
träglichsten ist ihnen schleimiges und mehl- 
haltiges Gesöff, für kleinere Thiere Milch mit 
Eiern oder Fleischbrühe. 

Die Behandlung des Darmcroups weicht 
von der vorstehend geschilderten nicht wesent- 

20* 



308 DARMERWEITERUNGEN. 


lieh ab, nur sind die genannten Abführmittel 
mit schleimlösenden Mitteln zugleich zu geben, 
z. B. mit Kali carbon., Ammonium carbon. 
s. hydrochlorat., Tartarus stib., Stibium sul- 
furat. aurant., rad. Liquiritiae, fruct. Anisi 
s. Foenic. s. Juniperi, sem. Carvi, fol. Men- 
thae piper. etc. Zur Verhütung von Recidiven 
sind bittere und tonisirende Mittel zu em¬ 
pfehlen, unter anderen metallische Säuren, 
Ferrum sulfuric., Plumb. acetic., Carbolsäure, 
Tannin, Rhabarber, Baldrian, Enzianextract, 
Saliern, für Rinder Theerwasser etc. Bei der 
Behandlung der enzootischen, schleichend ver¬ 
laufenden Enteritis ist das Hauptgewicht auf 
die Aenderung des diätetischen Regimes zu 
legen, ganz besonders dürfen die Patienten 
nicht ferner auf die unzuträglichen Weide¬ 
plätze getrieben werden. Wegen der Neigung 
zur Hydrämie und Sepsis darf die Behand¬ 
lung keine streng antiphlogistische sein, neben 
den leichteren salinischen Abführmitteln sind 
die eben genannten Stimulantien und Tonica, 
bei hydropischen Zufällen auch Diuretica zu 
verwenden. In diätetischer Hinsicht sind gutes 
Trocken- und Grünfutter, Knollen- und Rüben¬ 
gewächse zu empfehlen. Die typhöse Com- 
plication bekämpft man mit kalten Begiessungen, 
Kaltwasserklystieren und Antiseptica: Säuren, 
Carbol- und Salicylsäure, Kali chloric., Natr. 
subsulfuros., kleine Dosen der Aloö, Aether, 
Kampher, China, Salicin, ol. Terebinth. etc. 
Aufenthalt in freier Luft oder in gut venti- 
lirten, luftigen Stallungen unterstützt die Cur 
wesentlich. 

Bei der käsigen Darmentzündung der 
Schweine ist die Prophylaxis von Wichtig¬ 
keit, da Heilmittel gegen die Krankheit selbst 
wenig ausrichten und diese erblich ist. Man 
muss deshalb die bisher benützten Zucht- 
thiere ausmerzen und sie durch gesunde, 
nicht zur fettigen Degeneration hinneigende 
ersetzen oder mindestens die Zucht mit kräf¬ 
tigen Rassethieren kreuzen. Die Nachzucht 
darf nicht zu mastig gefüttert werden, sehr 
zuträglich ist ihr eine leicht verdauliche Nah¬ 
rung, reinlicher, trockener Stall und Bewe¬ 
gung in freier Luft. Als Heilmittel können 
hier ebenfalls bittere, die Verdauung bele¬ 
bende und den Tonus der Gewebe vermeh¬ 
rende Präparate versucht werden, z. B. Cal- 
mustinctur, Enzian- oder Aloö-Extract, Sali¬ 
cin, Chinoidin, Ergotin, Tannin, Brechnuss- 
extract, Wismuth, Jodkali, Plumb. acetic., 
Liquor fern sesquichlor., Argent. nitr. in Solu¬ 
tion, Säuren und Eisenpräparate. 

Die Proctitis der Pferde ist mit schwa¬ 
chen Lösungen der vegetabilischen und me¬ 
tallischen Adstringentien zu behandeln, die 
man direct in den Mastdarm mittelst Ein¬ 
spritzungen bringt; als solche können Tannin, 
Alaun, Eisenvitriol und Höllenstein benützt 
werden. Bei der Proctitis der Hunde verdienen 
lauwarme Injectionen von schleimigen De¬ 
cocten und beruhigenden narkotischen In- 
fusen in den After den Vorzug Die entzün¬ 
deten Afterdrüsen reibe man mit dem Finger 
mit Bilsenkrautöl ein; falls sie fluctuiren, 
ist der Eiter vermittelst Fmgerdruckes zu 


entleeren. Das Juckgefähl und die entzünd¬ 
liche Anschwellung des Afters mässigt man 
durch Einreibungen desselben mit Bilsen- 
krautextract versetzter Bleisalbe oder Be¬ 
feuchtungen mit schwachen Solutionen des 
Zincum sulfur. oder mit Carbolwasser. 

Die Behandlung der Enteritis gregari- 
nosa bleibt meistens erfolglos, sie hat auch 
gegebenen Falls das allgemeine croupartige 
Leiden der Schleimhäute der Luftwege zu 
berücksichtigen; Rivolta und Silvestrini em¬ 
pfehlen alsdann das Aetzen der zugänglichen 
Schleimhäute mit Lapis infernalis, das Aus¬ 
spritzen der Nase mit Solutionen von Natr. 
subsulfuros. oder von Lapis infern. oder das 
Einblasen von Sulfur, sublimatum in die Nase, 
speciell gegen die Darmentzündung eine 
Mixtur von Natr. subsulfur. und Sulf. sublim, 
zu gleichen Theilen, von der täglich t —3mal 
ein Kaffeelöffel voll gegeben werden soll. Wirk¬ 
samer fand Zürn (Krankh. des Hausgeflügels) 
ein Weidenrinden-Decoct (2*0—3*0 : 300’O 
Wasser) mit Zusatz von 1*50—3*0 Acid. car- 
bolici s. acid. salicyl., täglich 2—3mal einen 
Kaffee- bis Esslöffel voll, ferner 2—3%ige 
Solutionen von Alumen crud. oder Ferrum 
sulfuric. oder Tannin, täglich 3—4mal einen 
Esslöffel voll, besonders noch reines Gly¬ 
cerin, für den Tag einen Kaffee- bis Esslöffel 
voll. Ausserdem ist auf reinlichen, gut venti- 
lirten Aufenthalt, Trennung der Kranken von 
den Gesunden und auf Desinfection der Stall¬ 
räume Bedacht zu nehmen. Anacker. 

Darmerweiterungen zerfallen in totale und 
partielle: Eine gleichmässige Erweiterung des 
ganzen Darmcanals erfolgt bei Anhäufungen 
grosser Massen von Futterstoffen (Heubauch) 
oder Kothmassen (bei Verstopfungen) und 
durch excessive Gasentwicklung nach Genuss 
frischer Cerealien, frischen Klees etc. Die Er¬ 
weiterung durch Gasentwicklung ist ein meist 
acuter, schnell verlaufender Process und schwin¬ 
det wieder nach Entleerung oder Resorption 
der Gase, kann aber auch so weit gehen, dass 
Rupturen des Darms mit nachfolgender Peri¬ 
tonitis eintreten. Die partiellen Erweiterungen 
des Darmes entwickeln sich meist langsam und 
allmälig an solchen Stellen, wo irgend 
welche Hindernisse für die Fortbewegung des 
Danninhaltes vorliegen, wie angeborene Stric- 
turen, Narbencontracturen, Wand Verdickungen, 
Neubildungen im Darmlumen, in der Darm¬ 
wand oder am Gekröse, Steine, Brüche, Ad¬ 
häsionen mit Verzerrungen und Knickungen, 
Schrumpfungen des Mesenteriums. Die Wan¬ 
dungen der erweiterten Darmpartien bleiben 
entweder normal dick oder sie werden ver¬ 
dünnt oder verdickt. So z. B. kommen partielle 
Erweiterungen mit starker Verdickung der 
Wandungen bei chronischem Katarrh im Dick¬ 
darm des Rindes vor. Eine weitere Quelle 
für Erweiterungen bieten mehr oder weniger 
ausgedehnte Lähmungen der Dannwand, die 
besonders häufig im Mastdarm bei Hunden 
und Pferden Vorkommen. Schliesslich gehören 
noch zu den Darmerweiterungen die sack¬ 
artigen Ausbuchtungen oder Divertikel, die 
angeboren und erworben sein können und in 


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DARMFASERPLATTE. — DARMHYPERÄMIEN. 


309 


wahre Divertikel mit Ausbuchtung der ganzen 
Darmwand und falsche Divertikel mit Aus¬ 
stülpung der Darmschleimhaut durch die zer¬ 
rissene Muscularis zerfallen. Zur Beseitigung 
der totalen Darmerweiterungen werden Ab¬ 
führmittel, die Darmperistaltik belebende Mittel, 
Ausräumungen des Mastdarms und schleimige 
Klystiere angewendet, um angestaute Futter- 
und Kothmassen und Gase zu entfernen. Um 
den Heubauch zu beseitigen, werden Pferde 
mit wenig voluminösen und intensiven Futter¬ 
stoffen ernährt. Erweiterungen des Mastdarms 
in Folge von Schwäche oder Lähmung des¬ 
selben beseitigt man durch Ausräumen und 
Anwendung adstringirender und erregender 
Klystiere. Partielle Erweiterungen in Folge 
von Stricturen, Neubildungen, Steinen etc. 
in anderen Darmtheilen sind bei Pferden 
schwer zu beseitigen und führen oft zu un¬ 
heilbaren Verstopfungen und Darmlähmung. 
Bei Rindern, Schweinen und Hunden können 
verengerte Darmportionen, Einschnürungen 
und Neubildungen nach gemachtem Bauch¬ 
schnitt operativ entfernt werden. Nach Aus¬ 
schneidung des verengerten Darmstückes wird 
das hintere Ende der vorderen Darmportion 
in das vordere Ende des hintern Stückes, bei 
welchem die Serosa erst nach innen umge¬ 
stülpt wird, eingeführt und angenäht. Häufig 
erfolgt vollständige Heilung nach der Ope¬ 
ration. Semmer. 

Darmfaserplatte. Die Elemente des mitt¬ 
leren Keimblattes bilden zwei Zellenlagen, 
besonders deutlich in der Höhe des Mittel- 
darmes zu sehen, welche zu beiden Seiten der 
Urwirbel gegen die Peripherie des Embryonal¬ 
leibes sich erstrecken. Diese beiden Zellenlagen 
begrenzen eine Höhle, welche Pleuroperitoneal¬ 
höhle oder besser das Coelom genannt wird. 
Es kommt demnach während der Entwicklung 
diese Anordnung im mittleren Keimblatte nur 
den Coelomaten zu. Von den beiden erwähnten 
Zellenreihen liegt die eine dem Ectoderm an, 
während die andere dem Entoderm anliegt. 
Die letztere bildet die Darmfaserplatte. Sie 
macht die Biegungen und Krümmungen, welche 
am inneren Keimblatte zu beobachten sind, 
mit, wird von diesem durch eingeschobene 
Elemente der Urwirbelmasse getrennt, welche 
mit dem ersteren zusammen und dem Darm¬ 
drüsenblatte (Entoderm) die Darmwand bilden. 
Die Darmplatte wird auch splanchnisches Me¬ 
soplast genannt. Schenk. 

Darmfistel. Eine Oeffnung oder einen 
Canal, durch welchen der Inhalt des mit der 
Bauchdecke an einer Stelle verwachsenen 
Darmes direct nach aussen entleert wird, 
heisst man Darmfistel, Kothfistel, widernatür¬ 
lichen After. 

Als Darmfistel bezeichnet man speciell 
solche Oeffnungen, durch welche nur ein Theil 
des Darminhaltes nustritt, während der übrige 
Theil in normaler Weise weiter befördert wird; 
es besteht also hier nur eine Lücke in der 
Darmwandung. Die Bezeichnung widernatür¬ 
licher After gebraucht man für jene Fälle, in 
denen der gesammte Darminhalt durch die 
Fistel entleert wird, wo also die Continuität 


des Darm rohre s aufgehoben ist. Darmfisteln 
entstehen manchmal durch fremde Körper, 
die entweder von aussen nach innen in den 
Darm eindringen oder umgekehrt vom Darme 
her sich einen Weg nach aussen bahnen; 
manchmal sind Darmgeschwüre, dann Ab- 
scesse in den Bauchwandungen, die gegen 
den Darm und auch nach aussen sich ent¬ 
leeren, die Ursache. 

Der widernatürliche After verdankt seine 
Entstehung oft durchdringenden Bauchwunden, 
wobei der gleichzeitig verletzte Dann prola- 
birte und schliesslich einheilte, oder der Ab- 
stossung gangränöser Dannschlingen bei ein¬ 
geklemmten Brüchen, oder endlich wird er 
absichtlich angelegt. 

Bei den Dannfisteln kommt es haupt¬ 
sächlich darauf an, in welchen Theil des 
Darmtractes sie führen und wie viel von dem 
Darminhalte durch dieselben entleert wird. Je 
näher dem Magen dieselben münden, desto 
ungünstiger ist ihr Einfluss auf das Allge¬ 
meinbefinden des Thieres. Dieselben magern 
dann rasch ab und können schliesslich auch 
eingehen, während sonst die Thiere sich voll¬ 
kommen wohl befinden, gut nähren und oft 
jahrelang leben und Dienste verrichten können. 
Unangenehm bleibt allerdings die Besudelung 
des Körpers durch den abfliessenden Darm- 
inhalt. 

Die Heilung einer Darmfistel kann, falls 
das Darmrohr an der Anlöthungsstelle nicht 
stark geknickt ist, oft leicht gelingen, mit¬ 
unter genügt es schon, den Abfluss des Darm- 
inhaltes durch den Fistelgang durch einige 
Zeit hintanzuhalten, in anderen Fällen führt 
die Anlage der Naht an den angefrischten 
Fistelrändern, das Aetzen oder das Bren¬ 
nen etc. zum Ziele. Besteht dagegen eine jähe 
Knickung des Darmrohres, so bildet die mesen¬ 
teriale Wand des Darmes geradeso wie der 
Sporn beim widernatürlichen After ein Hinder¬ 
niss für die Fortbewegung des Darminhaltes. 
Es werden dann auch in der Regel alle 
Versuche, den Fistelgang zu beseitigen, schei¬ 
tern, da der Darminhalt, dem der Weg durch 
das abführende Rohr gar nicht oder nur 
schwer möglich ist, sobald ihm auch der Ab¬ 
fluss durch die Fistelöffnung verwehrt wird, 
sich staut und endlich gewaltsam durch die ver¬ 
schlossene Fistelöffnung nach aussen oder selbst 
in die Bauchhöhle einen Weg sich bahnt. Br. 

Darmhyperämlen kommen, abgesehen von 
den normalen physiologischen Verdauungs¬ 
hyperämien, häufig vor bei raschem Tempe¬ 
raturwechsel und Einwirkungen kalter Luft 
auf die erhitzte hyperämische Haut. Ferner 
treten Darmhyperämien ein nach Aufnahme 
scharfer, reizender oder verdorbener Futter¬ 
stoffe, diverser Gifte, sehr kalten Wassers in 
erhitztem Zustande und nach Verabfolgung 
scharfer Abführmittel (Aloö, Croton). Weiteren 
Anlass zu Darmhyperämien geben passive 
Blutstauungen im Pfortadersystem, bei Leber¬ 
leiden (Lebereirrhose), Herzleiden (Klappen¬ 
fehlern im rechten Ventrikel), Lungenleiden 
(Lungenentzündungen, Lungenemphysem etc.). 
Darmkatarrhe und Darmentzündungen begin- 



3t0 


DARMHYPERTROPHIEN. — DARMKATARRH. 


nen stets mit mehr oder weniger scharf aus¬ 
gesprochener Hyperämie. Eingeklemmte und 
vorgefallene Darmportionen werden in kurzer 
Zeit hochgradig hyperämisch. Schnell vor¬ 
übergehende acute Darmhyperämien haben 
meist keine nachtheiligen Folgen, während 
längere Zeit andauernde oder bleibende Hyper¬ 
ämien zu Hypertrophien, Darmblutungen, 
Darmkatarrhen, Verdauungsstörungen und 
Durchfallen Anlass geben können. Zur Be¬ 
seitigung der Darmhyperämien wendet man 
reizende Einreibungen an den Bauchwandun¬ 
gen, warme Bedeckungen und innerlich Ad¬ 
stringentia an. Alle schädlichen reizenden 
Futterstoffe müssen vermieden werden. Sind 
die Hyperämien mit Verstopfungen verbunden, 
so braucht man schleimig-ölige Abführmittel 
und Mittelsalze und nachher Adstringentia 
und Narcotica. Liegen zugleich Leber- und 
Lungenleiden vor, so sind diese erst zu be¬ 
seitigen. Semmer. 

Darmhypertrophien entwickeln sich in 
Folge von chronischen Hyperämien und chro¬ 
nischen Darmkatarrhen. Die Hypertrophie und 
Verdickung betrifft zunächst die Schleimhaut, 
im weiteren Verlaufe nimmt auch das submu- 
cöse Bindegewebe, die Muscularis und Serosa 
theil an der hypertrophischen Verdickung. 
Besonders im Dickdarm der Rinder wird die 
hypertrophische Darmwand oft einen Zoll dick 
und darüber. Neben der Verdickung kommt es 
zu partiellen Ausstülpungen und Auswüchsen 
in Form von Polypen, besonders im Mastdarm. Sr. 

Darmkatarrh, Catarrhus intestinalis, En¬ 
teritis catarrhalis (von tvTspov, Darm, und 
xata^elv, herabfliessen), leichte Darmentzün¬ 
dung, die entweder den ganzen Darm oder 
nur einzelne Abschnitte desselben böfrifft 
und acut (in 1—2 Tagen) oder chronisch 
(monatelang) verläuft. Der Darmkatarrh, wenn 
er den ganzen Darm betrifft, ist stets mit mehr 
oder weniger intensiven Durchfallen verbunden. 
Die häufig und oft unter Tenesmus entleerten 
Fäces sind mehr oder weniger dünnflüssig, 
enthalten viel unverdaute Speisereste, Schleim, 
Epithelzellen und Spaltpilze. Nur Katarrhe 
des Duodenums und Mastdarms verlaufen ohne 
Durchfalle. Verbunden mit den Durchfällen 
sind laute Darmgeräusche (Borborygmi), zu¬ 
weilen vermehrter Durst und verminderter Ap¬ 
petit. Fieber fehlt meist oder ist nur unbe¬ 
deutend. Bei chronischen Darmkatarrhen er¬ 
folgt alsbald Abmagerung, Einfallen des Hinter¬ 
leibes und allgemeine Schwäche, die beson¬ 
ders bei Säuglingen häufig mit dem Tode 
endet (s. Ruhr der Kälber, Lämmer und Fül¬ 
len). Der Harn beim Darmkatarrh reagirt 
sauer und ist reich an Phosphaten. Bei Fort¬ 
pflanzung des Katarrhs vom Darm auf den 
Gallenausführungsgang tritt ikterische Fär¬ 
bung der Gewebe ein. Intensive acute Darm¬ 
katarrhe sind auch mit Koliken verbunden 
(s. Kolik). Bei der Section findet man die 
Schleimhaut des Darms gleichmässig oder 
fleckig und streifig geröthet, injicirt, mit 
Ecchymosen bedeckt, bei chronischen Katarrhen 
.pigmentirt, graubraun, schieferfarbig, ge¬ 
schwellt, verdickt, infiltrirt, die Darmzotten, 


Follikel und Mesenterialdrüsen hyperämisch 
geschwellt, das Epithel körnig getrübt, stellen¬ 
weise abgestossen, stellenweise auch flache Ero- 
sionsgeschwürchen und polypöse Wucherungen. 
Dünndarm meist leer, die Schleimhaut mit 
gelbem Schleim bedeckt, im Dickdarm dünn- 
breiiger Inhalt. Die Cadaver abgemagert, 
anämisch. Die Ursachen des Darmkatarrhs 
sind: Ueberladungen des Magens und Darms 
mit unverdaulichen, schwerverdaulichen oder 
reizenden, verdorbenen, verschimmelten oder 
in saure Gälirung übergegangenen Futter¬ 
stoffen, Anhäufungen und Zersetzungen von 
Fäces im Dickdarm, Gegenwart grösserer 
Massen von Eingeweidewürmern (Ascariden, 
Bandwürmern, Ankylostoma etc.), heftige 
Erkältungen in erhitztem Zustande, Aufnahme 
sehr grosser Mengen sehr kalten Wassers oder 
gefrorener Futterstoffe, Verdauungsstörungen, 
Anämien oder Circulationsstörungen und pas¬ 
sive Stauungen des Blutes im Darm, Miss¬ 
brauch von Abführmitteln bei fortdauernder 
vermehrter Peristaltik. Zuweilen treten Darm¬ 
katarrhe seuchenartig auf und müssen miasma¬ 
tische Einflüsse angenommen werden (Ruhr 
der Säuglinge). Ausserdem kommen Darm¬ 
katarrhe als Begleiterscheinung vieler fieber¬ 
hafter Allgemeinleiden und Lafectionskrank- 
heiten vor, z. B. bei Influenza, Staupe, 
Hundswuth, Maulseuche, Rinderpest, Rothlauf, 
septischen Erkrankungen. Ein unvermittelter 
schneller Uebergang von Trockenfutter zu 
Grünfutter oder von Stallfütterung mit Winter¬ 
futter zu Weidegang mit üppigen Gräsern 
führt häufig zu katarrhalischen Erkrankungen 
des Darms mit Durchfällen. Säuglinge und 
junge Thiere neigen mehr zu Darmkatarrhen 
als Erwachsene. 

Die Diagnose des Darmkatarrhs ist aus 
dem meist immer vorhandenen Durchfall, den 
mit dünnflüssigen Fäces beschmutzten Hin¬ 
terschenkeln und Schwanz, der Abmagerung 
und Leere des Bauches etc. leicht zu stellen. 

Die Prognose ist bei acuten Katarrhen 
erwachsener kräftiger Thiere günstig, bei 
chronischen Katarrhen bei heruntergekomme¬ 
nen geschwächten Thieren und bei Säuglingen 
zweifelhaft oder ungünstig. 

Die Cur kann bei Ueberladung des Ma¬ 
gens und Darms mit unverdaulichen oder 
schädlichen Futterstoffen mit einem Abführ¬ 
mittel oder Brechmittel eingelcitet werden. Die 
Diät muss von vomeherein geregelt werden, 
und zwar dürfen die Patienten nur gutes, 
leicht verdauliches Futter in kleinen Quanti¬ 
täten mit Zusatz kleiner Quantitäten aroma¬ 
tischer, bitterer und adstringirender Mittel 
erhalten. Trinkwasser und Aufenthaltsort dür¬ 
fen nicht zu kalt sein. Rührt der Katarrh von 
Aufnahme reizender Substanzen her, so wer¬ 
den Narcotica mit indifferenten schleimigen 
Mitteln gegeben. Bei Erschlaffung des Darms 
und profusen Durchfällen verbindet man die 
Narcotica mit adstringirenden, bittern und aro¬ 
matischen Mitteln (Hyosciamus, Opium, Mor¬ 
phium, China, Tannin, Salicin, Colombo, Kino, 
Catechu, Argent. nitr., Rhcum, Nux vomica, 
Gentiana, Valeriana, Calmus). Bei verzögerten 



DARMKRANKHEITEN. — DARMKREBS. 


3ii 


Entleerungen Abführmittel (Kalomel, Aloe, 
Natrum sulfuricum, Rheum). Bei excessiver 
Säurebildung im Magen und Darm Alkalien 
(Natrum bicarbonicum, Magnesia usta). Hun¬ 
den und Schweinen gibt man Tannin, Katechu, 
Vino Colombo, Argent. nitr. mit Opium und 
Rhabarber. Lämmern, Kälbern und Füllen ge¬ 
kochte Milch, Rheum, Opium und Magnes. 
carbonica. Bei Rindern hat sich auch Kali 
chromicum mit Wermuth und Valeriana be¬ 
währt. Bei specifischen, durch Mikroorganismen 
verursachten Darmkatarrhen werden Desinfi- 
cientia, Lösungen von Carbolsäure, Ferrum 
sulfuricum, Terpentinöl, Kalihypermanganicum, 
Kreosot, empfohlen. Bei grosser Schwäche der 
Patienten empfiehlt sich die Anwendung von 
Spirituosen, Aether, Kampher. Bei heftigen 
acuten Darmkatarrhen mit Koliken kann die 
Cur durch Frottiren, reizende Einreibungen 
oder Sinapismen an den Bauchdecken, warme 
Bäder und warme Decken unterstützt werden. 

Literatur: Pathologie Ton Röll, Spinola, 
Anacker, Hering, Vatel, Lafosse, Benionetc. Sr. 

Darmkrankheiten basiren auf anatomi¬ 
schen Veränderungen der den Darm con- 
stituirenden Gewebe und geben sich durch 
Störungen der Darmthätigkeit, hervorstechend 
auch durch mehr oder weniger lebhaft ge- 
äusserte Leibschmerzen (Kolikanfälle) zu er¬ 
kennen, weil die Darmhäute reich an sensitiven 
Nerven sind. Die Nerven werden bei der ver¬ 
stärkten Peristaltik der Darmmuskulatur ge¬ 
reizt, die sich ungewöhnlich contrahirenden 
Muskelfasern drücken die zwischen ihnen be¬ 
findlichen Nerven, was auch der Fall ist, 
wenn entzündliche Exsudate in die Darmhäute 
abgesetzt worden sind oder massenhaft an¬ 
gehäufte Futterstoffe den Darm belästigen. 
Da der Darmcanal in directer Verbindung 
mit dem Maule, dem Schlunde und dem 
Magen steht, er auch an seinem Endpunkte, 
dem After, mit der Aussenwelt communicirt 
und beständig Nahrung in sich aufnimmt, 
die mit mancherlei belästigenden, scharfen, 
reizenden, giftigen und ätzenden Dingen ver¬ 
mischt sein kann, so gehören Erkrankungen 
des Darms mit zu den häufigsten, sie üben 
stets einen Rückschlag auf die Fresslust, die 
Verdauung, die Beschaffenheit der Fäces und 
den Modus der Kothentleerungen aus, weshalb 
man sie vielfach als gastrische Leiden, also 
als eigentliche Bauchleiden (yaorqp, Bauch, 
Magen) bezeichnet, was umsomehr gerecht¬ 
fertigt ist, als die Darmkrankheiten bald den 
Magen, die Leber, selbst das Bauchfell und 
wohl auch die übrigen Organe der Bauch- 
und Beckenhöhle in Mitleidenschaft ziehen 
und umgekehrt. Die Darmkrankheiten ver¬ 
laufen in der Regel fieberhaft, nicht selten 
veranlassen sie Gehirnreizungen, weil das in 
seiner freien Circulation innerhalb der Bauch¬ 
höhle gehemmte Blut verstärkt zum Kopfe 
und Gehirn hinströmt und das Gehirn in con- 
sensuellem Connexe mit dem Darme steht. 
Die Nahrung wirkt als Krankheitserreger 
theils mechanisch durch den Druck ihrer 
Massen, theils chemisch durch ihre Temperatur 
und eigenartigen Bestandtheile auf den Darm 


ein, nicht selten belästigen ihn Bacillen, ver¬ 
härtete Kothmassen, Steine und Concremente, 
welche sich in seinem Innern gebildet haben, 
oder Eingeweidewürmer, und verlegen den 
Fäces den freien Durchgang. Letzteres ist 
namentlich der Fall bei Lageveränderungen 
des Darmcanals, zu welchen ihn seine be¬ 
trächtliche Länge und freie Beweglichkeit in 
hohem Grade disponirt, seltener wohl auch 
eine angeborene oder erworbene Verengerung 
oder Erweiterung einzelner Partien des Darm¬ 
rohrs, beides Abnormitäten, die stets zu 
Texturveränderungen der Darmhäute, zur 
Hypertrophie oder Atrophie derselben führen. 
Aehnlich verhalten sich Ausstülpungen der 
Schleimhaut aus einem Risse der Muscularis 
des Darmes oder aller drei Darmhäute, sog. 
Divertikel. Unter den Lageveränderungen sind 
Darmbrüche (Hernien), Einklemmungen ein¬ 
zelner Darmschlingen in natürlichen oder ab¬ 
normen Oeffnungen, Einschiebungen eines 
Darmtheil8 in das Darmrohr (Invaginationen), 
Verwicklungen und Verdrehungen einzelner 
Darmabtheilungen um ihre eigene Axe und 
Vorfälle des Mastdarms aus dem After oder 
sonstiger Darmtheile aus durchdringenden 
Bauchwunden zu nennen. Auch Neubildungen 
am und im Darm werden zu Ursachen von 
Darmkrankheiten, z. B. Lipome, Sarcome, Car- 
cinome, Tuberkel etc., öfter noch jähe Ab¬ 
kühlungen des vorher erhitzten Körpers. Darm¬ 
katarrh, Darmentzündung, Darmbrand, Ver¬ 
stopfung des Leibes, Durchfall, Ruhr, Lienterie, 
Dysenterie, Aufblähung, Zerreissungen und 
Verwundungen der Darrahäute und verschiedene 
Degenerationen derselben repräsentiren die 
häufigsten Folgen der genannten Ursachen. 
Fast alle Infectionskrankheiten compliciren 
sich mit entzündlichen Vorgängen innerhalb 
des Darmcanals, auch bei der Urämie reizt 
der auf die Darmschleimhaut sich abla¬ 
gernde Harnstoff den Darm in entzündlicher 
Weise. Anacker. 

Darmkrebs, Danncarcinom, kommt unter 
allen Hausthieren am häufigsten bei Hunden 
im Mastdarm vor. Bei anderen Hausthieren 
und an anderen Darmtheilen ist der Krebs 
sehr selten. Der Darmkrebs der Hunde gehört 
zur Gruppe des Pflasterepithelkrebses und be¬ 
ginnt meist seine Entwicklung am After, von 
wo aus er sich auf die innern Theile des 
Darms fortpflanzt. Seltener kommen ring¬ 
förmige oder wandständige Cylinderepithel- 
krebse unter der Form von Zottenkrebs, Scir- 
rhus, Markschwamm, Gallert- oder Alveolarkrebs 
von den Darmdrüsen ausgehend, am Dünn¬ 
darm vor. Die Darmkrebse bilden meist flache 
um sich greifende Geschwülste und führen zu 
Stenosen, Stricturen, Verstopfungen mit Er¬ 
weiterungen vor den verengten Stellen, Ent¬ 
artungen und Verdickungen der Darmwand, 
Ulcerationen, Perforationen, Verwachsungen 
des Darmes mit benachbarten Organen, Fistel- 
bildungen(Mastdarm-Scheidenfisteln,Mastdarm- 
Blasenfisteln etc.) und machen Metastasen an 
den nächsten Lymphdrüsen. Die Cur besteht 
in zeitiger operativer Entfernung der Krebse 
(s. Krebs). Scmmer. 



312 DARMNAHT. 

Darmnaht. Behufs Vereinigung der Tren¬ 
nung des Zusammenhanges imDarmrohre wurden 
viele mitunter complicirte Methoden ersonnen, 
die in der vorantiseptischen Zeit sicherlich einen 
gewissen Werth hatten, gegenwärtig aber 
kaum je mehr geübt werden, da uns jetzt 
Nähmateriale zur Verfügung steht, welches 
wir in der Bauchhöhle zurücklassen können, 
ohne uns fürchten zu müssen, dass durch 
dasselbe Eiterungsprocesse, Peritonitis etc. er¬ 
zeugt werden. Ich führe darum auch im Fol¬ 
genden blos die am häufigsten geübten und 
am leichtesten ausführbaren Methoden an. Mag 
man für welche Naht immer sich entschlossen, 
nie darf man vergessen, dass die serösen Flä¬ 
chen des Darmrohres mit einander in Berührung 
gebracht werden müssen, wenn man eine 
adhäsive Entzündung erreichen will, und dass 
weiters die Nähte mit der peinlichsten Sorg¬ 
falt und so dicht als möglich anzulegen sind. 

Bei kleinen Quer- und bei Längswunden 
überhaupt wird die Naht von Jobert oder 
von Lembert angelegt. 

Nach Jobert werden die Ränder der sorg- 
fältigst gereinigten und desinficirten Wunde I 
nach innen in das Darmrohr hinein umge¬ 
schlagen und durch dicht stehende Nähte ver¬ 
einigt. Man durchsticht hiebei jede Wundlefze 
zweimal, einmal in einiger Entfernung von 
dem Wundende und dann nahe demselben 
(Fig. 419). Durch diese Naht werden hier als 0 



Fig. 419. Darmnaht. 


alle Darmhäute gefasst (Fig. 420). Hierin be¬ 
steht der Unterschied zwischen der Jobert- 
schen Methode und der von Lembert, welcher 
nur die Serosa und Muscularis des Darmes 
durchsticht, die Schleimhaut aber ganz unbe¬ 
rührt lässt (Fig. 421). Werden dann bei beiden 



Fig. 480. Darmnaht nach Fig. 421. Darmnaht nach 
Jobert. Lembert. 


Arten die durch gezogenen Fäden geknüpft, so 
bildet sich eine nach innen in das Dannrohr 
vorspringende Leiste, es berühren sich dann 
die beiden serösen Flächen des Darmes und 


DARMPECH. 

können durch eine adhäsive Entzündung mit 
einander verschmelzen. Die Fadenetoden wer 
den kurz abgeschnitten. 

Auch bei vollständigen queren Trennungen 
des Darmes ist die Naht nach Jobert die vor¬ 
teilhafteste. Sie wird in folgender Weise aus¬ 
geführt : Zuerst wird das Mesenterium auf 
einige Entfernung vom Wundrande abgelöst 
und die hiebei entstehende Blutung durch Un¬ 
terbindung gestillt, dann wird das obere 
Darmrohr in das untere, dessen Rand man 



Fig. 422. Darmnaht nach Jobert. 


nach rückwärts umgestülpt hat, invaginirt 
und durch die Nähte, wie Fig. 422 zeigt, 
befestigt, so dass sich auch hier die beiden 
serösen Blätter berühren. Bayer. 

Darmpech. Das Darmpech (Meconium) 
besteht vorzugsweise aus theilweise zersetzten 
Gallenbestandtheilen, hauptsächlich Gallen¬ 
stoff und Darmepithelien, ist von grünlich¬ 
gelber Färbung und von zäher, schmieriger 
Beschaffenheit. Der ganze Dickdarm des 
Jungen ist damit angefüllt, während der 
Dünndarm nur eine geringe Menge einer 
dünnen, schleimigen, gelblichen Masse ent¬ 
hält. Das Darmpech wird vom Jungen kurze 
Zeit nach der Geburt und nur unter anor¬ 
malen Verhältnissen schon vor oder während 
der Geburt abgesetzt. Letzteres ist bei im 
höheren Grade asphyktischen Früchten der 
Fall. Die Factoren dieser normalen Aus¬ 
scheidung sind bisher nicht sicher bekannt. 
Franck meint, es sei wahrscheinlich, dass 
die durch die Athmung veranlasste Ausdeh¬ 
nung der Lungen und die dadurch hervor- 
erufene Erweiterung der Brusthöhle sowie 
as Rückwärts drängen des Zwerchfelles, wo¬ 
durch in Folge des auf die Baucheingeweide 
ausgeübten Druckes eine vermehrte Darm¬ 
peristaltik herbeigeführt werde, die Ursachen 
dieser Darmpechausscheidung seien. Es 
scheint aber namentlich die Aufnahme der 
Kolostrummilch durch den Reiz, den sie auf 
Magen und Darmcanal ausübt. die Darm¬ 
peristaltik zu bethätigen und das Absetzen 
des Darmpeches zu veranlassen. Sehr schwäch¬ 
liche Junge, besonders Fohlen, vermögen oft 
das Darmpech nicht abzusetzen. Solche Thiore 
drängen, krümmen den Rücken, saugen we¬ 
nig, liegen viel, zeigen schwache Bauch¬ 
schmerzen und können, wenn nicht zweck¬ 
mässige Hilfe gebracht wird, zu Grunde ge¬ 
hen. Die Behandlung dieses Zustandes ist 
eine einfache. Man setzt den Thieren Oel- 


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DARMPERFORATIONEN. — DARMSAITEN. 


oder Seifenklystiere nnd entfernt mit Vor¬ 
theil den Torliegenden Koth vorsichtig mit 
einem gut eingeölten Finger. In einzelnen 
Fällen ist ein leichtes Abführmittel erfor¬ 
derlich und eignet sich als solches am besten 
das Ricinusöl. Strebei. 

Darmperforationen kommen meist in 
Folge tuberculöser, rotziger und typhöser 
Geschwürsbildungen und durch verschluckte 
unlösliche oder unverdaute spitze oder scharfe* 
Körper zu Stande, seltener durch krebsige 
Zerstörungen und durch Kothstauungen und 
rauhe Steine in erweiterten Darraposchen 
und Divertikeln. Die Perforationen erfolgen 
vorzugsweise von innen nach aussen durch 
langsame geschwürige Zerstörung, wobei meist 
eine Verwachsung der geschwürig afficirten 
Darmtheile unter einander mit benachbarten 
Organen (Scheide, Blase) oder mit der Bauch¬ 
wand eintritt. Beim Durchbruch nach Ver¬ 
wachsung mit der Bauchwand erfolgen Koth- 
fisteln nach aussen. Beim Durchbruche in die 
Scheide Mastdarmscheidenfisteln, beim Durch¬ 
bruche eines Darmes in einen mit ihm ver¬ 
wachsenen nebenanliegenden andern Darm 
eine Fistula bimucosa. Beim raschen Durch¬ 
bruche, bevor es zu Verwachsungen kommt, 
wie das zuweilen bei typhösen Infiltrationen 
mit brandigem Absterben im Dickdarm der 
Pferde, bei Aufnahme spitzer scharfer Körper, 
Knochensplitter etc. (bei Hunden) und beim 
Zurftckbringen in Vorfällen und incarcerirten 
Brüchen abgestorbener Darmportionen der 
Fall ist, erfolgt Kothaustritt in die Bauch¬ 
höhle und tödtliche Peritonitis. Ausser Per¬ 
forationen von innen nach aussen kommen 
auch solche von aussen nach innen vor bei 
Verwachsungen des Darms mit Abscessen in 
der Leber, Milz, Niere, der Bauchwand, wobei 
sich die Abscesse von aussen nach innen in den 
Darm hinein öffnen. Dasselbe gilt vom Durch¬ 
bruch eines Darmgeschwürs in einen neben¬ 
anliegenden verwachsenen Darm. Magen¬ 
geschwüre bei Pferden öffnen sich zuweilen 
in die Leber und von der Leber in den mit 
ihr verwachsenen Dickdarm. Communicationen 
der verwachsenen Därme unter sich sowie 
Kothfisteln an der Bauchwand und Mastdarm¬ 
scheidenfisteln sind nicht lebensgefährlich. 
Kothfisteln können aberbei Rindern, Schweinen 
und Hunden operativ beseitigt werden, indem 
man das perforirte, mit der Bauchwand ver¬ 
wachsene Darmstück ausschneidet und die 
durchschnittenen Darraenden nach den Vor¬ 
schriften der Darmnaht mit einander ver¬ 
näht. Semmer. 

Darmplatte. Die Elemente der Urwirbel 
wuchern in den Raum zwischen das innere 
Keimblatt und die Darmfaserplatte. Diese gibt 
hier das Substrat für sämmthche Gewebe der 
Darmwand mit Ausnahme des Epithels des 
Peritonäums und des auskleidenden Epithels 
der Darmwand. Diese Zellenmasse bildet die 
Darmplatte. Schenk. 

Darmpolypen, Ausstülpungen und ge¬ 
stielte Wucherungen der Dannschleimhaut und 
ihrer Drüsen, entwickeln sich am häufigsten 
bei Pferden und Hunden im Duodenum und 


313 

Rectum in Folge chronischer Katarrhe, sie 
sind meist klein und weich und veranlassen 
wenig Beschwerden. Grössere Polypen im Mast¬ 
darm hindern den Mistabsatz und geben zu¬ 
weilen Anlass zu Mastdarmvorfällen. Dieselben 
können leicht operativ entfernt werden. Sr. 

Darmrisse. Rupturen des Darms kommen 
meist in Folge übermässiger Ausdehnung 
durch Futterstoffe (Ucberfütterungen) und ex- 
cessiver Gasentwicklung im Darm (bei Auf¬ 
nahme frischer Cerealien, frischen Klees etc.) 
oder bei den Ueberfütterungs- und Wind¬ 
koliken zu Stande, wenn die Patienten dabei 
niederfallen und sich wälzen oder von Horn- 
stössen oder Hufschlägen getroffen oder auch 
ungeschickt geworfen werden. Bei Rupturen 
des Darms dringen Gase und Darminhalt in 
die Bauchhöhle und veranlassen acute tödtliche 
Peritonitis. Unter Zunahme der Kolikerschei¬ 
nungen, Ausbruch kalten Schweisses, kleinem 
frequentem, fadenförmigem, kaum fühlbarem 
Puls erfolgt oft der Tod schon einige Stunden 
nach der Darmberstung, noch bevor die Peri¬ 
tonitis einen höheren Grad erreicht hat. Hier 
muss eine Vergiftung des Blutes mit den 
ausströmenden Darmgasen und dem Darm- 
inhalt angenommen werden, die von der Peri¬ 
tonealfläche aus schnell resorbirt werden. Sr. 

Darmsaft, eine gemeinschaftliche Be¬ 
zeichnung der Secrete der Brunner’schen und 
Lieberkühn’schen Drüsen (s. Verdauung). 

Darmsaiten werden von den Darmsaiten¬ 
machern oder in besonderen Fabriken zum 
Beziehen der Geigeninstrumente, Claviere, 
Harfen, Guitarren etc. aus den dünnsten und 
elastisehesten Gedärmen der Lämmer, junger 
Gemsen, Rehe, Ziegen und Katzen durch Zu¬ 
sammendrehen mittelst des Darmhaspels und 
Seilerrades verfertigt. Die Zurichtung zu die¬ 
sem Zwecke ist sehr mühsam.* Zu den feinsten 
Violinsaiten (Quinten) werden drei, zu den 
stärksten (Quarten) sieben, zu den gröbsten 
Basssaiten 120 Därme genommen. Als erstes 
Erforderniss wird von einer guten Darm¬ 
saite verlangt: vollkommene Gleichheit 
der Stärke in ihrer ganzen Länge, welche 
aber durch sorgfältiges Gespinnst, nicht durch 
Glättung mittelst Bimsstein hergestellt sein 
darf. Die besten Darmsaiten, gewöhnlich ro¬ 
manische Saiten genannt, liefert Italien, 
namentlich Neapel. In Deutschland werden 
in verschiedenen Städten, besonders in Bayern, 
im sächsischen Voigtlande, in Hanau, Offen¬ 
bach ; in Oesterreich in Wien, Schönbach und 
Prag gute und viele Darmsaiten verfertigt, 
die zwar den besten italienischen nachstehen, 
die französischen dagegen übertreffen. Aus 
den Schafdärmen werden ferner antiseptische 
Fäden oder Stränge (s. Catgut) zum Unter¬ 
binden der Blutgefässe und zum Heften der 
blutigen Nähte verfertigt, die eigens dazu 
präparirt werden. Auch zu den Darmsaiten¬ 
hygrometern werden sie verwendet, um die 
Feuchtigkeit der Luft zu messen. 

Zur Wurstfabrication werden die Ge¬ 
därme der verschiedensten Thiere. insbeson- 
dere jedoch jene der Schafe, Ziegen und Schweine 
verwendet, nachdem sie vorher getrocknet 


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314 


DARMSCHERE. — DARMSTICH. 


und gesalzen im eingerollten Zustande als 
sog. Saitlinge in den Handel kommen und 
einen bedeutenden Handelsartikel bilden. Die 
deutschen und französischen Schweine- bo- 
wie die rassischen Schafsaitlinge sind sehr 
gesucht. Ableitner. 

Darmschere, s. Scheren. 

Darmateine, Calculi intestinales, Entero- 
lithi (von Ivxepov, Darm, und Stein), 

kommen im Darm aller Hausthiere, am häu¬ 
figsten aber im Dickdarra von Pferden vor, 
die viel Kleie geniessen (bei Müllerpferden). 
Die Darmsteine haben eine sehr verschiedene 
Gestalt, meist sind sie sphärisch, seltener 
oval, eckig oder pyramidenförmig, ihre Farbe 
ist mattweiss oder grau, bläulich, gelblich, 
bräunlich oder röthlich; sie sind meist sehr 
hart, schwer, compact, von geschichtetem, 
zwiebelschalen artigem GefQge, das auf perioden¬ 
weises Wachsthum mit Intervallen hindeutet. 
Meist findet man im Centrum der Steine 
einen Kern, bestehend aus einem Steinchen, 
Metallstückchen, Leder- oder Holzstückchen 
oder auch eine kleine Höhle, die auf einen 
unter gegangenen organischen Kern hindeutet. 
Die Anzahl der Darmsteine bei einem und dem¬ 
selben Thier ist eine sehr schwankende, meist 
finden sich nur wenige Steine; Zündel citirt 
einen Fall, wo 400, Gurlt einen, wo mehr als 
1000 Darmsteine bei einem Pferde gefunden 
wurden. Ebenso variirt die Grösse der Darm¬ 
steine. Einige von ihnen erreichen über Kopf¬ 
grösse und ein Gewicht von 12 kg. Die che¬ 
mischen Bestandtheile der Darmsteine sind: 
Phosphorsaure Ammoniak-Magnesia 70—95 %, 
Kieselsäure, phosphorsaurer und kohlensaurer 
Kalk, Chlornatrium, Chlorkalium, schwefel¬ 
saures Kali, Eisen, organische Substanzen. 
Da die Oberfläche der Darmsteine meist glatt 
ist, so verursachen die grösstentheils in erwei¬ 
terten Darmposchen eingelagerten Steine keine 
besonderen Beschwerden. Nur sehr grosse 
rauhe Steine, besonders wenn sie die er¬ 
weiterten Stellen verlassen, rufen Verstopfun¬ 
gen und Koliken hervor. Sehr schwere grosse 
Steine verursachen wohl auch Darmentzün¬ 
dungen, Darmbrand, Darmzerreissungen, hef¬ 
tige Koliken mit tödtlicher Peritonitis. 

Die Behandlung der Darmsteine besteht 
in Anwendung von Abführmitteln, Heraus¬ 
befördern der Steine durch den Mastdarm 
mit der Haud, falls sie von dort aus zu er¬ 
reichen sind, oder man schiebt grosse Steine 
in die erweiterten Poschen, die sie etwa ver¬ 
lassen haben, wieder zurück, weil sie dort 
weniger Beschwerden verursachen. Zuweilen 
trifft man im Dickdarra der Pferde incrustirte 
steinähnliche Haar- und Futterballen an, die 
sich ähnlich wie Steine verhalten. Semmer. 

Darmstich. Das Anstechen eines Darmes 
mittelst eines Troikarts wird zu dem Zwecke 
unternommen, um die in grosser Menge im 
Darme angesammelten Gase rasch zu entleeren 
und auf diese Weise die nachtheiligen Folgen 
der Auftreibung des Darmes und der Gasan¬ 
häufung in demselben entweder vollständig zu 
beseitigen oder doch zu mindern. Dass der 
Darmstich keinen Einfluss ausübt auf ein etwa 


vorhandenes schweres Darmleiden, von dem 
die Auftreibung ein Symptom bildet, ist wohl 
selbstverständlich. Die Operation wird am 
stehenden oder liegenden Pferde vorgenom¬ 
men, doch wird man • sich hüten, das Thier 
zu werfen, da beim Falle leicht eine Berstung 
der ohnehin stark gespannten Darmwandungen 
eintreten könnte. Es genügt in der Regel, die 
Bremse aufzulegen und einen Fuss aufhalten 
zu lassen. Die Einstichstelle ist gewöhnlich 
in der rechten Flankengegend, ungefähr in der 
Mitte einer Linie, die man sich vom äussern 
Darmbeinwinkel auf die letzten Rippen hin¬ 
gezogen denkt. Wenngleich die Stellen genau 
bekannt sind, an denen man eingehen müsste, 
um den Blinddarm, die verschiedenen Lagen 
des Grimmdarms etc. zu treffen, so hat dies 
doch in praktischer Beziehung wenig Werth, 
da es einerseits schwer möglich ist, bei einer 
Auftreibung sicher zu bestimmen, welcher Theil 
des Darmes gerade ausgedehnt ist, andererseits 
aber auch die Lage der Eingeweide eben durch 
diese Aufblähung oder durch ihre Ursache 
wesentlich alterirt wird. Man wählt daher am 
zweck massigsten jene Stelle in der Flanke, an 
welcher die stärkste Hervortreibung bemerkbar 
ist. Von Manchen wird auch diePunction vom 
Mastdarme aus empfohlen, doch scheint diese 
Methode nur für ganz besondere Fälle em- 
pfehlenswerth. 

Der Darmtroikart wird an der betreffen¬ 
den Stelle senkrecht auf die Haut aufgesetzt 
und mittelst eines schnellen und kräftigen 
Druckes durch die Bauchdecken hindurch in 
das Darmlumen hineingestossen, u. zw. in der 
Richtung, als wollte man am hintern Brust¬ 
beinende wieder ausstechen. Gebraucht man 
einen zweischneidigen Troikart, so sollen die 
Flächen des plattgedrückten Instrumentes seit¬ 
lich stehen oder noch besser, wie es Hering an¬ 
gibt, der Richtung der Fasern des äusseren 
schiefen Bauchmuskels entsprechen. Nur bei 
besonders dicker Haut dürfte es nothwendig 
werden, zuvor mit einem Spitzbistouri oder 
einer Lanzette einen Einstich durch die Haut 
zu machen, um das Eindringen des Troikarts 
zu erleichtern. 

Nach Entfernung des Stilets lässt man 
die Gase durch die Canule ausströmen, wobei 
man die Vorsicht gebrauchen kann, das Aus¬ 
strömen zeitweilig zu unterbrechen, um den 
Nachtheilen einer allzuraschen Circulations- 
veränderung vorzubeugen. Sollten in die Ca¬ 
nule ein gedrungene Fäcalstoffe das Lumen 
derselben verlegen, so müssten dieselben durch 
eine Sonde entfernt werden. Ist der Hinterleib 
zusammengefallen, so wird die Canule entfernt. 
Es ist gut, wenn man zuvor das Stilet wieder 
einführt, insbesondere bei gefensterten Canulen, 
um ein Austreten von Fäcalstoffen durch das 
Fenster in die Bauchhöhle unmöglich zu 
machen. Ebenso ist es unerlässlich, dass man 
beim Ausziehen des Troikarts mit den Fin¬ 
gern der andern Hand an der Einstichstelle 
einen Gegendruck ausübt. Sollte bei dem 
Thiere eine neuerliche Auftreibung den Darm¬ 
stich indiciren, so müsste der Einstich etwas 
entfernt von der früheren Stelle, oder wenn 



DARMTROIKART. — DARMVORLAGERUNGEN. 


315 


thunlich, auf der anderen Seite vorgenommen 
werden. 

Eine Nachbehandlung ist nicht nöthig, 
wenn man die Vorsicht gebraucht, die Haut 
an der Operationsstelle etwas zu verschieben, 
so dass die minimale Verletzung eigentlich 
eine subcutane ist. Ein Austritt von Darm- 
inhalt in die Bauchhöhle durch die Punctions- 
Öffnung ist nicht zu fürchten, da nach Ent¬ 
leerung der Gase der Darm sich zusammen - 
zieht und es selbst am Cadaver nur schwer 
oder gar nicht möglich ist, die Einstdchstelle 
im Darm zu linden. Nur in seltenen Fällen, 
vielleicht in Folge unreiner Instrumente, der 
Infection durch Fäcalstoffe, durch wiederholtes 
Einstechen an derselben Stolle kommt es zur 
Abscessbildung an der Operationsstelle. Ein 
Verfehlen des Darms ist nur möglich, wenn 
man den Troikart nicht senkrecht, sondern 
schief aufsetzt, wobei insbesondere ein etwas 
stumpfes Stilet an der Darm Wölbung leicht ab- 
gleitet. Verletzungen grosser Arterien gehören 
zu den Seltenheiten. Bayer. 

Darmtroikart. Man gebraucht entweder 
cylindrische oder plattgedrückte, zweischnei¬ 
dige, federnde Troikarts. Die Länge derselben 
beträgt 20 cm, wovon 4—5 cm auf den Griff 
entfallen. Das zweischneidige Stilet ist 5 mm 
breit, 3 mm dick. Der cylindri¬ 
sche Troikart hat 4 mm Durch¬ 
messer. Die Canule ist an 
ihrem vorderen Ende federnd 
(Fig. 423) und besitzt manch¬ 
mal, aber ganz unnöthiger- 
und unzweckmässigerweise seit¬ 
liche ovale Fenster; an dem 
hinteren Ende befindet sich eine 
ovale Platte. Als Vortheil des 
zweischneidigen plattgedrück¬ 
ten Troikarts wird das leich¬ 
tere Eindringen desselben her¬ 
vorgehoben, doch ist nicht zu 
vergessen, dass mit demselben 
leichter Gefasse verletzt werden 
können. Der runde Troikart 
drängt die Gewebe mehr aus¬ 
einander, die Canule desselben 
verstopft sich auch nicht so 
leicht als die des flachen. Das 
Enterotom von Brogniez, bei 
welchem durch einen etwas com- 
plicirten Mechanismus eigene 
Klappen die Darmwandung an 
die Bauchwandung andrücken 
und das nebenbei in Folge 
seiner Zusammensetzung aus 
zweierlei Metall eine galvani¬ 
sche Wirkung (?) auf den Darm ausüben 
soll, hat nur historischen Werth. Bayer. 

Darmverengerungen, Darmstenosen, En- 
terostenosis, werden veranlasst durch An¬ 
häufungen harter fester Kothmassen (Kopro- 
stais), durch Darmsteine und Parasiten, ver¬ 
schluckte fremde, unverdauliche und unlös¬ 
liche Körper, durch Narbenstricturen nach 
verheilten Darmgeschwüren (katarrhalischen, 
tuberculösen, typhösen und Rotzgeschwüren), 
durch Hypertrophien und Verdickungen der 




JL 


Fig. 423. Darm- 
troikart. 


Dannwand, Neubildungen (Sarcome, Krebse, 
Lipome, Fibrome etc.) im Darm, an der Dann¬ 
wand, im Gekröse oder andern benachbarten 
Organen, durch Lageveränderungen, innere 
und äussere Brüche, Aiendrehungen, Inva- 
ginationen, krampfhafte Contractur der Darm¬ 
muskulatur. Die Verengerungen des Darm¬ 
lumens sind stets verbunden mit gehinderter 
Fortbewegung des Darminhaltes, hartnäckigen 
Verstopfungen, periodenweisen Kolikanfällen, 
die nur energischen, drastischen Abführmitteln 
weichen. Gehen die Darmverengerungen in 
vollständigen Verschluss des Darmlumens über 
(durch Neubildungen, Aiendrehungen, Inva- 
ginationen, Verschlingungen, Incarcerationen, 
verschluckte Korke bei Hunden etc.), so erfol¬ 
gen heftige Koliken, Auftreibungen, unheilbare 
Verstopfungen, heftiges Erbrechen undderTod 
in kurzer Zeit, ein Zustand, der mit dem 
Namen Ileus (von etXetv, verschliessen), Passiv 
iliaca, Chordapsus(von x°P^» Darm, undfiTcto», 
festhalten), Miserere, bezeichnet wird und bei 
Hunden und Schweinen mit Kothbrechen ver¬ 
bunden ist. Die Prognose bei Darmveren¬ 
gerungen und Verschliessungen hängt davon 
ab, ob dieselben zu beseitigen sind oder nicht. 

Die Behandlung besteht in Beseitigung 
der Ursachen. Bei einfachen Verengerungen 
und Kothstauungen sind häufige energische 
Abführmittel, verbunden mit schleimigen und 
öligen Mitteln und schleimigen Klystieren 
anzuwenden. Die Patienten dürfen nur weiches, 
wenig voluminöses Futter erhalten, wie Mehl¬ 
tränke, Kleie, Hafer, Milch etc., verbunden 
mit gelinden Abführmitteln. Brüche sowohl, 
als Neubildungen und Steine im Mastdarm 
sind operativ zu beseitigen. Absoluter Ver¬ 
schluss des Darmes ausserhalb des Mastdarmes 
ist bei Pferden, wenn die Ursachen in der 
Bauchhöhle selbst liegen, absolut tödtlich. Bei 
andern Hausthieren kann durch Laparotomie 
und Enterotomie sowie Herausschneiden eines 
eingekeilten fremden Körpers, Lösung von Ver¬ 
schlingungen, Invaginationen, Extirpationen 
von Neubildungen, Ausschneiden eines veren¬ 
gerten oder verschlossenen Darmstückes etc. 
Heilung erzielt werden, wenn bei der Ope¬ 
ration das vorgeschriebene antiseptische Ver¬ 
fahren eingeschlagen und Peritonitis vermie¬ 
den wird. Semmer. 

Darmverwicklung, Darmverschlingung 
kommt zu Stande, wenn nach Zerreissungen 
des Gekröses sich eine Darmportion um eine 
andere herumschlingt und dieselbe vollständig 
einschnürt, oder wenn eine gestielte Neubil¬ 
dung durch einen Riss im Gekröse sich um 
eine Dünndarmportion herumschlingt und einen 
festen Knoten bildet. Derartige Darmver¬ 
schlingungen und Einschnürungen kommen 
bei Pferden (häufig durch gestielte Lipome 
am Darm) nicht selten vor und führen unter 
heftigen Koliken schnell zum Tode. Jegliche 
Cur ist erfolglos, wo ein operativer Eingriff 
nicht gemacht werden kann. Semmer. 

Darmvorlagerungen, Austritt von Darra- 
schlingen durch Risse in der Bauchmuskulatur 
mit Ausstülpung des Bauchfells in das sub- 



316 DARMWÜRMER. 

cut&ne Bindegewebe in Form eines Sackes 
(Bruchsack, s. Eingeweidebrüche). Semmer. 

Darmwürmer. Im Darm lebende Platt- 
Würmer, Platodes, Bandwürmer, Saugwürmer 
and Rand Würmer, Anneliden, Nemathelmintes, 
von denen jedes Hansthier mehrere Arten in 
seinem Darm beherbergt (s. Eingeweide¬ 
würmer). Semmer . 

Dürmwunden entstehen durch trauma¬ 
tische Einwirkungen, durch verschluckte 
scharfe und spitze Körper von innen oder 
durch Einwirkungen von aussen, durch Ge¬ 
schosse, Stiche, Hiebe, Hornstösse, Huf¬ 
schläge etc. mit oder ohne gleichzeitige Durch¬ 
trennungen der Bauchdecken. Die Darm¬ 
wunden zerfallen in durchdringende und ober¬ 
flächliche, je nachdem sie alle drei Darm¬ 
häute perforiren oder von innen nur die 
Schleimhaut und von aussen nur die Serosa 
and einen Theil der Muscularis durchtrennen. 
Der Richtung nach theilt man die Darm¬ 
wunden in Längswunden, Querwunden und 
schiefe Wunden.. Nach der Beschaffenheit des 
verletzenden Körpers unterscheidet manSchuss- 
wunden, Stichwunden, Schnittwunden, Quetsch¬ 
wunden und Darmzerreissungen. Kleine Stich¬ 
wunden und das Durchdringen kleiner Schrot¬ 
körner sind meist ohne Bedeutung und heilen 
schnell per primam intentionem ohne Austritt 
des Darminhalts und ohne Entzündung. Ebenso 
sind ganz kleine Substanzverluste und kleine 
glatte Querwunden (5 mm bei kleinen Haus¬ 
sieren bis zu i cm bei grossen) nicht ge¬ 
fährlich, weil solche Wunden schnell mit den 
nebenanliegenden Darmportionen oder mit 
der Bauchwand verkleben und verheilen, ohne 
dass es zum Austritt des Inhaltes in die 
Bauchhöhle kommt. Grössere Längswunden, 
grosse Substanzverluste und vollständige Zer- 
reissungen des Darms haben aber stets Aus¬ 
tritt des Inhaltes in die Bauchhöhle, Peri¬ 
tonitis oder wenigstens bleibende Verwach¬ 
sungen und Fistelbildungen (Anus praeter¬ 
naturalis, Fistula stercoralis) zur Folge. Die 
Diagnose der Darmwunden ist bei gleich¬ 
zeitigen Vorfällen des Darms leicht zu stellen. 
Zerreissungen des Darms kommen häufig erst 
nach dem Vorfall zu Stande, indem die 
Thiere mit den Füssen nach dem vorgefallenen 
Darm schlagen, mit dem Fuss in einer Darm¬ 
schlinge hängen bleiben und dieselbe durch- 
reissen. Die Diagnose der Darmwunden ohne 
Vorfälle ist schon schwieriger. Bei gleich¬ 
zeitig vorhandenen Bauchwunden fliesst aus 
denselben Darminhalt aus, was dann mit 
Sicherheit auf eine Darmverletzung hindeutet. 
Fehlen Bauchwunden oder befinden sich die¬ 
selben sehr weit nach oben, so lässt sich die 
Darmverletzung annähernd aus der bald ein¬ 
tretenden Peritonitis diagnosticiren, wenn 
derselben ein Hornstoss oder Schlag mit dem 
Huf vorausgegangen. Grössere Darmwunden 
ohne Vorfälle bei Pferden sind meist tödtlich. 
Wunden an vorgefallenen Darmportionen und 
grössere Darmwunden bei Rindern, Schweinen, 
Hunden können durch Anlegen der Dannnaht 
geheilt werden (s. d.). Nach dem Anlegen der 
Darmnaht und Zurückbringen des Darms in 


— DARRSUCHT. 

die Bauchhöhle und Vernähen der Bauch¬ 
wunde wendet man kalte Umschläge um den 
Bauch an, lässt die Patienten einige Tage 
fasten und gibt ihnen noch einige Zeit hin¬ 
durch leicht verdauliches, wenig voluminöses 
Futter. Semmer. 

Darmzotten, s. Darm, Histologie. 

Darreau’üCher Haken ist ein langer ge¬ 
burtshilflicher Haken. Der Haken ist nicht 
gekrümmt, sondern ist unter einem spitzen 
Winkel vom Stiele abgebogen. Er ist nicht 
besonders praktisch. Strebei. 

Darreau’acher Retroverseur ist ein com- 
plicirtes und umständliches geburtshilfliches 
Instrument, das nur in jenen Fällen von 
Uterus Verdrehungen an gewendet werden kann, 
wo man noch zum Jungen gelangen kann, 
d. h. bei Viertels-, Drittels- oder halben 
Drehungen. Das Instrument ist völlig ent¬ 
behrlich. Strebe/. 

Darreau’aoher Schllngenleiter ist ein 
sehr wenig gebräuchliches geburtshilfliches 
Instrument und steht dem Thomas’schen 
Schlingenftthrer in praktischer Beziehung 
weit nach (s. geburtshilfliches Instrumenta¬ 
rium). Strebei. 

Darrmalz als Futtermittel. Gedörrtes, 
resp. entkeimtes Gerstenmalz, wie dasselbe 
zum Bierbrauen Verwendung findet. Es enthält : 

90 *0—95'8 im Mittel 92’5 % Trockensubstanz 
8’8—10*0 „ „ 9*4 „ stickstoffhaltige Stoffe 

2*2— 2’5 „ M 2*35 „ Rohfett 

60 * 7—73*7 * „ 69’7 „ stickstofffreie Extractstoffe 

8 0— 9 ö „ „ 8’7 „ Holzfaser 

— — „ „ 2’3 „ Asche. 

Es würde wegen seiner Zusammensetzung 
zu den am leichtesten verdaulichen Kraftfutter- 
stoffen gehören, ist aber gewöhnlich zu kost¬ 
spielig, um verfüttert zu werden. Pott. 

Darr8U0ht oder Drüsenschwind¬ 
sucht, Scrofulosis, s. Tabes mesaraica 
(Scrofula, abgeleitet von sus scrofa, das 
Schwein, die verhärtete, geschwollene Drüse; 
tabere, schwinden; p.»oapatov, Gekröse) be¬ 
steht ursprünglich in einer chronischen Ent¬ 
zündung und Verkäsung der Gekrösdrüsen 
junger Thiere, zu der sich mit der Zeit eine 
gleiche Erkrankung vieler anderer Lymph- 
drüsen, besonders der Kehlgangs-, Hals-, 
Bronchial-, Achsel- und Leistendrüsen hinzu¬ 
gesellt; 9ie verläuft unter den Erscheinungen 
einer allgemeinen Abmagerung. Das Wort 
„Scrofel“ ist, wie schon angedeutet, vom 
Schweine hergeleitet worden, sei es, weil 
dasselbe zu Drüsenleiden sehr disponirt, sei 
es, da^ß der durch Drüsenschwellung ver¬ 
dickte Hals dem Halse des Schweines ähnelt. 
Von mehreren älteren Pathologen, z. B. Funke, 
Spinola, den Franzosen Martin, Grancher, 
Charcot, Brissaud, wurden Scrofulose und Tu- 
berculose identificirt, Erdt und Ravitsch 
hielten den Pferderotz für eine Form der 
Scrofulose, weil die regressiven Metamor¬ 
phosen der Scrofel und des Tuberkels inso¬ 
weit übereinstimmen, als sie häufig zur Ver¬ 
käsung führen; die Verkäsung selbst wurde 
als eine Tuberculisation, als ein specifischer 
Tuberkelprocess angesehen. Heutigentages 
wird Niemand dieser Ansicht huldigen, be- 


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DARRSUCHT. 


317 


sonders seitdem als charakterisirendes Merk¬ 
mal des Tuberkels eigenartige Bacillen ge¬ 
funden wurden, die der Scrofel fehlen. Die 
Scrofulose nimmt regelmässig den Ausgang in 
Verkäsung, sie ist eine constiiutionelle Krank¬ 
heit junger Thiere, die in ihrer körperlichen 
Entwicklung begriffen sind. Bei ihr tritt von 
Anfang an ein auf grössere Körperregionen 
ausgebreitetes Drüsenleiden in den Vorder¬ 
grund. Die Drüsen Schwellung beruht auf einer 
hyperplastischen Vermehrung der zeitigen 
Elemente, diese liegen so massenhaft und 
gedrängt bei einander, dass die Saftcirculation 
stockt und der Stoffwechsel gestört ist, die 
Zellen sterben ab und verkäsen. Wir finden 
deshalb in der scrofulösen Drüse neben kleinen, 
runden, häufig geschrumpften Zellen mit 
mässig grossen Kernen eine Menge freier 
Kerne und fettige und käsige Zerfallsmassen. 
Der Zerfall ist kein so gleichmässiger und 
umfangreicher wie bei der Tuberculose, er 
beschränkt sich auf mehr vereinzelte, ab¬ 
gegrenzte Stellen in der Form von käsigen 
Punkten. Die Scrofel bietet auf ihrer Durch¬ 
schnittsfläche ein gleichmässig weiss- oder 
grauröthliches, seltener dunkel rothbraunes, 
markiges Ansehen dar, sie ist anfangs etwas 
durchfeuchtet und fühlt sich dann weich, 
später, wenn das interfollikuläre Bindegewebe 
hypertrophisch geworden ist, fleischig oder 
sehnenartig an. Später treten in der Geschwulst 
vereinzelte, weissgelbe, trockene Punkte auf, 
die sich vergrössem und schliesslich eine 

f elbliche Farbe und krümliche, gekochtem 
iigelb ähnliche Beschaffenheit annehmen; 
in die Käsemasse lagern sich gern Kalksalze 
ein, seltener erweicht sie zu einem trüben, 
molkigen Eiter, der nach seinem Durchbruch 
das Bcrofulöse Geschwür darstellt. Bei 
Hunden können die gänseei- bis wallnuss¬ 
grossen Gekrösdrüsen zu einer gelatinösen 
Masse degeneriren. In den kranken Drüsen 
sieht man öfter nur noch Gefässe und mit 
Lymphzellen erfüllte Maschenräume. Die hu¬ 
moral-pathologische Schule sah einen sauren 
Chylus und eine Hyperalbuminose der Lymphe, 
eine sog. lymphatische Dyskrasie als Ursache 
der Drüsenschwellung an, die neueren For¬ 
schungen haben erwiesen, dass die Drüsen 
im Bereiche solcher Lymphgefässe erkranken, 
die von entzündeten Stellen der Haut oder 
der Schleimhaut herkommen und den Drüsen 
Entzündungsproducte zuführen. In der Darr¬ 
sucht ist primär die Darmschleimhaut katar¬ 
rhalisch afficirt, secundär werden die Gekrös¬ 
drüsen in Mitleidenschaft gezogen, die ge¬ 
reizten Drüsen führen dem Blute viele zellige 
Elemente zu, so dass erst später das Blut 
eine Mischungsveränderung, namentlich eine 
Einbusse an Eiweisskörpern erleidet, u. zw. 
umsomehr, wenn die Lymphdrüsen anderer 
Körperregionen ebenfalls erkranken; es stellen 
sich allgemeine Ernährungsstörungen, schliess¬ 
lich Kachexie ein. Ein Thier neigt mehr zur 
Scrofulose als das andere, weshalb man bei 
ihm von einer lymphatischen Constitution 
spricht. Virchow (die krankhaften Geschwülste) 
sucht sie in einer reichlichen Entwicklung des 


lymphatischen Systems und in einer mangel-» 
haften Einrichtung einzelner Körperregionen, 
insbesondere ihrer lymphatischen Organe. 
Diese Constitution ist meistens angeboren, 
seltener erworben, wir treffen sie vorzüglich 
im jugendlichen Alter an, am häufigsten bei 
Füllen und Ferkeln, aber auch bei Kälbern, 
Lämmern, Hunden, Katzen, Affen und Raub- 
thieren. Katarrhe, rheumatische Leiden oder 
Periostitis gehen dem Ausbruche der Darr¬ 
sucht voraus, sie fachen die lymphatische 
Constitution zur Erkrankung des Drüsen¬ 
apparates an, es müssen deshalb Erkältungen 
und diätetische Schädlichkeiten ganz besonders 
als Gelegenheitsursachen angesehen werden. 
Bei den Säuglingen hat man die Ursache oft 
in zu fetter Muttermilch gefunden, deren Ge¬ 
halt an Aschenbestandtheilen ein geringer ist; 
da dergleichen Milch schwer verdaulich ist, 
so hat sie bald Verdauungsstörungen und 
Darmkatarrh im Gefolge. Variable, nasskalte, 
rauhe Witterung hat auf die Entstehung des 
Leidens insofern einen Einfluss, als sich die 
jungen Thiere alsdann leicht erkälten. Die 
Darrsucht kann unter ungünstigen Witterungs¬ 
einflüssen eine epizootische Ausbreitung er¬ 
langen, namentlich wenn sie mit feuchten, 
dunstigen Stallungen, Mangel an frischer 
Luft, wenig Bewegung des Jungen und zu 
mastiger Ernährung derselben zusammentrifft. 

Symptome. In der Regel erkranken die 
Thiere in den ersten Monaten nach der Geburt, 
u. zw. zunächst nur unscheinbar, indem die 
Munterkeit sich verliert, die Bewegungen trag 
und unlustig werden, die Saug- und Fress- 
lust bald gut, bald schlecht, bald Verstopfung, 
bald Durchfall vorhanden ist. Am meisten 
fallen Verdauungsstörungen in die Augen, die 
Jungen bleiben in ihrer Entwicklung zurück, 
sie magern trotz zeitweilig hastigen Fressens 
mehr und mehr ab. Der Bauch erscheint an¬ 
gefüllt, aufgetrieben oder bei älteren Thieren 
aufgeschürzt, durch die Bauchdecken hindurch 
kann man die geschwollenen Mesenterialdrüsen 
als harte Massen fühlen. Zuweilen machen sich 
gelinde Kolikanfälle bemerklich. Das Haar wird 
rauh und glanzlos, die Wolle trocken, die Haut 
welk und unrein, Schwäche und Kraftlosigkeit 
nehmen zu, die Schleimhäute bekommen eine 
blasse, wässerige Farbe, Puls und Respiration 
zeigen sich accelerirt, wobei das Fieber den 
hektischen Typus annimmt. Complicationen 
mit Leiden anderer Organgruppen treten häufig 
auf, zumeist bestehen sie in katarrhalischer 
Affection der Luftwege, die sich durch Husten 
und Schleimfluss aus der Nase zu erkennen 
gibt; zuweilen steigert sich der Katarrh zu 
einer Bronchitis oder es bildet sich eine käsige 
Pneumonie mit auffälligeren Athembeschwer- 
den aus. Nicht selten ist auch die Conjunctiva 
des Auges entzündet, Schleimklümpchen sam¬ 
meln sich im innern Augenwinkel an und 
haften an den Lidrändern; die Entzündung 
kann auf die inneren Theile des Auges über¬ 
greifen, am häufigsten ist eine Iritis beob¬ 
achtet worden. Derartige secundäre Erkran¬ 
kungen verschiedener Organe mit Neigung 
zur Vereiterung oder Verkäsung hat man 



318 DARRSUCHT. 


,*Scrofuliden“ genannt. Zu ihnen gehört 
auch die käsige Darmentzündung, von 
der bereits unter dem Artikel ..Darmentzün¬ 
dung“ die Rede war. Im Verlaufe der scrofu- 
lösen Darmentzündung entzündet sich die 
Umgebung der Gekrösdrüsen, das Gekröse 
verdickt sich und bildet mit der Drüse com¬ 
pacte Massen, die sich bis an den Darm er¬ 
strecken — Periadenitis —, mit der Darm¬ 
wand verkleben und nicht selten ihre Zer¬ 
fallsmassen fistelartig in den Darm ergiessen. 
Derartige ungewöhnliche Vergrösserungen der 
Mesenterialdrüsen verursachen steife, ge¬ 
spannte Bewegungen und Haltung in der 
Lendenpartie. Bei älteren Rindern schwellen 
öfter die Lymphdrüsen im Kehlgang, am 
Halse und in den Flanken unschraerzhaft an, 
werden hart und knotig und verkäsen oder 
abscedircn; die Drüsengeschwülste erreichen 
mitunter die Grösse eines Kinderkopfes. Auch 
können sich Geschwülste mitallmäligemUeber- 
gang zur Eiterung und Verkäsung im sub- 
cutanen Bindegewebe, sog. kalte oder Lymph- 
abscesse bilden, die von Virchow häufig bei 
Kaninchen am Rumpfe angetroffen wurden; 
ich selbst habe sie bei Hasen gefunden. Exan¬ 
theme sind anderweitige Complicationen, so 
z. B. der Gesichtsgrind bei Lämmern und 
ein borkiger, schwärzlicher Ausschlag bei 
Ferkeln. Zuweilen schwellen auch nach 
mehreren Wochen einzelne Gelenke der Ex¬ 
tremitäten an, es kommt in ihnen zur Eiterung 
und Veijauchung, die Jauche bricht endlich 
an verschiedenen Stellen nach aussen durch, 
wobei die Gelenkflächen cariös zerstört 
werden, während sich in der Umgebung des 
Gelenks und im Knochen selbst, wohl auch 
im Körper der Wirbel und am untern Ende 
der Rippen kleine Abscesse gebildet haben. 
Bei dem Gelenkleiden vermeiden die Thiere 
möglichst jede Bewegung und liegen viel. Zu 
verwechseln ist die scrofulöse Arthritis nicht 
mit der ichorhämischen Arthritis oder der 
sog. Lähme (s. d.), welche die Thiere bald 
nach der Geburt befällt und mit einer eitrig¬ 
jauchigen Nabelentzündung in ursächlichem 
Zusammenhang steht; bei ihr haben wir es 
mit septicämischen Erscheinungen zu thun, 
der Verlauf ist ein acuter, während in der 
Darrsucht der Verlauf ein schleichender ist, 
der Tod erst nach 3—4 Wochen marastisch 
erfolgt. Genesen die scrofulösen Thiere, so 
gedeihen sie doch nie recht, verkrüppeln und 
bleiben zeitlebens Schwächlinge. Der grössere 
Theil der Kranken ist dem Tode verfallen, 
nur die leichter Erkrankten kommen durch. 
Der autoptische Befund ergibt sich aus den 
bereits gemachten Angaben, er besteht haupt¬ 
sächlich in Folgendem: Abmagerung und 
Anämie aller Organe. Die Lymphdrüsen finden 
sich in der geschilderten Weise degenerirt 
und selbst bis zur Grösse eines Hühnereies 
oder einer Faust angeschwollen, vornehmlich 
die Mesenterial- und Bronchialdrüsen. Meistens 
haben die Lungen und der Darmcanal er¬ 
hebliche pathologische Veränderungen erlit¬ 
ten, erstere sind von zahlreichen Käsherden 
durchsetzt, in deren Umgebung das Paren¬ 


chym hyperämisch oder entzündet und ver¬ 
dichtet erscheint: nicht selten hat sich die 
käsige Masse verflüssigt und stellt eine Ca- 
verne mit stinkender Jauche dar. Der ent¬ 
zündliche Process ist wohl auch bis zur Pleura 
vorgedrungen und hat zu Verlöthungen mit 
der Rippenwand geführt. Nicht selten ist der 
grösste Theil der Lungen zerstört. Die Darm¬ 
schleimhaut ist wulstig verdickt, sammetartig, 
excoriirt. hyperämisch, die Darmfollikel sind 
geschwollen und käsig zerfallen, öfter ist 
auch die Muscularis verdickt, serös-blutig 
infiltrirt und stellenweise käsig zerfallen; das 
Mesenterium erscheint von reichlichen Gefäss- 
netzen durchzogen; einzelne Darmschlingen 
können miteinander verklebt sein, gewöhnlich 
sind dann die Erscheinungen einer Peritonitis 
vorhanden. Leber und Nieren finden sich 
anämisch und serös infiltrirt. In der Um- 
ebung der leidenden Gelenke, vorzüglich 
es Carpal- und Tarsalgelenks, tragen die 
Knochen die Kennzeichen einer Periostitis 
an sich und enthalten in ihren Epiphysen 
kleine Eiterdepots, während die Gelenkflächen 
cariös angenagt sind. 

Therapie: Da die Disposition zur Scro- 
fulose in den meisten Fällen eine angeborene 
ist, so hat die Prophylaxe auf die Tilgung 
der Disposition hinzuwirken, indem die damit 
behafteten Zuchtthiere möglichst ausgemerzt 
oder mindestens nach den Regeln der Diätetik 
rationell verpflegt werden; in dieser Hinsicht 
ist auf die Stall- und Hautpflege zu achten, 
die tragenden Mutterthiere sind mit leicht 
verdaulichen, guten Futterstoffen zu nähren, 
schwer verdauliches, blähendes, erhitzendes 
und die Verdauungsorgane erschlaffendes Futter 
muss vermieden werden, so namentlich Hftl- 
senfrüchte und Stoffe mit reichlichem Oel-, 
Fett- und Schleimgehalt; gastrische Zustände 
sind bei ihnen ganz besonders zu beachten 
und möglichst zu verhüten, die Verdauung 
ist rege zu erhalten und zu stärken, die 
Thätigkeit der Lymphgefässe und Lymph¬ 
drüsen anzuregen durch periodisches Verab¬ 
reichen von Schwefel-, Spiessglanz- und Eisen¬ 
präparaten: vielleicht dürfte das Pilocarpin 
in subcutaner Anwendung hier gute Dienste 
leisten. Auch bei den jungen Thieren hat 
man die Verdauung zu reguliren und Diät¬ 
fehler zu meiden. Zu fette Muttermilch ver¬ 
dünne man mit Wasser oder versetze man 
mit kohlensaurem Natron; auch die leicht 
verdaulichen Milchsurrogate können vortheil- 
haft zur Anwendung kommen. Ganz besonders 
ist ein gesunder, trockener, luftiger Aufenthalt, 
hinreichende Körperbewegung, im Sommer 
Weidegang, junge Gräser, Mohrrüben etc. 
neben Anregung der Hautthätigkeit zu be¬ 
achten. In letzterer Hinsicht sind trockene 
Frictionen des Körpers und Einreibungen 
von spirituösen und flüchtigen Mitteln (Linira. 
volatile, Spir. camphor. etc.) in die Haut zu 
empfehlen, nicht minder die Massage der 
Bauchhöhle, vermittelst deren man in neuester 
Zeit sehr glückliche Heilerfolge aufzuweisen 
hat. Der mangelhaften Verdauungsthätigkeit 
ist mit ätherischöligen Bitterstoffen (Ingwer. 


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DARTMOORSCHAF. — DARWINISMUS. 


319 


Baldrian, Alant, Kümmel, Angelika, Calmus, 
Knoblauch, Senf etc.) aufzuhelfen, die Ver¬ 
stopfung durch gelinde Laxanzen von Kali 
sulfuric., Acid. tartaricum, Rad. rhei etc., der 
Durchfall durch ätherischölige Infuse mit 
Zusatz von Magnesia usta seu carbonica, Cal- 
caria phosphorica (aufgeschlossenes Knochen¬ 
mehl),Eisenpräparaten,Dower’schemPulver etc. 
zu beseitigen. Die Thätigkeit des Lymph- 
apparatsund der Verdauung befördern Schwe¬ 
fel-, Jod- und Spiessglanzpräparate, Brech¬ 
weinstein, Kali carbon., Kali acetic., Kampher, 
Stahlschwefel, kleine Dosen des Aloöextracts, 
des oleum Terebinth., extr. Nucis vomic., ol. 
jecoris aselli (löffelweise), Jodkali, salzsaures 
Baryt etc. Hervortretende Katarrhe erfordern 
schleimlösende Salze und Vegetabilien, z. B. 
Ammon, hydrochlor., Kali chloric., Stibium 
sulfuratum aurant., Sem. foenic., fruct. Lauri etc. 
Drüsenabscesse sind frühzeitig zu eröffnen, 
äusserlich gelegene Scrofeln mit zertheilenden 
Salben (Unguent. mercur. mit Kali carbon. 
oder Hydrarg. bijodat., Ol. laurin. mit Spir. 
caraphorat.) oder erwärmtem Fischthran, die 
angeschwollenen Gelenke mit denselben Salben, 
in hartnäckigen Fällen mit scharfen Einrei¬ 
bungen und dem Brenneisen zu behandeln; 
wegen des äusserst zweifelhaften Curerfolges 
ist das Abschlachten vorzuziehen, zumal weil, 
wenn die Gelenke aufbrechen, gern steife Ge¬ 
lenke Zurückbleiben. Die Homöopathen rühmen 
Opium, Schwefel und Dulcamara. Anacker. 

Dartmoorschaf. Dasselbe gehört, wie D. 
Low solches classificirt, zu den „Waldrassen“ 
Englands. England sei nämlich in früheren 
Zeiten sehr reich an Wäldern gewesen, diese 
seien aber mit der sich mehr und mehr ent¬ 
wickelnden Cultur in immer grösseren Flächen 
zu Acker- und Weideland gemacht worden. Nur 
in kleineren Parzellen habe man hin und wie¬ 
der den Wald noch stehen lassen, und hatten 
diese dann den Ackerbauern als Weideterrain 
für ihre Schafheerden gedient. Im Verlaufe 
der Zeit waren dann auch diese letzteren 
Waldüberreste gefallen und sind dadurch 
theils eine Menge Moor- und Haideland, theils 
aber auch Hügel mit kräftiger Grasvegetation 
freigelegt worden. Man hat dann auch später 
diejenigen Schafe, welche ihren Heimatsbezirk 
in solchen Gegenden bewahrt hatten, noch 
immer „Waldschafe“ genannt. Zu diesen rech¬ 
net L., wie gesagt, auch das Dartmoorschaf. 
Es findet seinen Heimatsbezirk hauptsächlich 
auf den Haidestrecken des Dartmoorwaldes 
in der nördlichen Hälfte der Grafschaft Devon, 
welcher sich von Moreton-Hampstead nach 
Tavisstock erstreckt und aus einer Kette von 
der Granitformation angehörenden Hügeln be¬ 
steht. Die Thiere sind klein, Gesicht und 
Beine weiss, mit kurzen, glatten Haaren be¬ 
setzt, die Böcke in der Regel gehörnt; sie 
leben noch heute annähernd im Stande der 
Wildheit, streifen frei und ohne Hirten auf den 
Haiden umher, sind wild und scheu. Im Winter 
werden sie, der besseren Ernährung wegen, 
ebenso um die herangewachsenen Thiere 
zu mästen, in die Niederung gebracht; im 
Frühjahre regt sich aber die nicht zu bewäl¬ 


tigende Sehnsucht nach den heimatlichen 
Weideplätzen bei ihnen, sie durchbrechen in 
gemeinsamem Drange die Umzäunungen ihrer 
Futterplätze und ziehen in ihre Bergweiden. 
Auch auf die Kreuzungen, welche schon seit 
geraumer Zeit und mit sehr glücklichem Er¬ 
folge sowohl mit New-Leicester als auch 
mit Southdown-Blute vorgenommen worden 
sind, hat sich dieser Wandertrieb vererbt. Die 
Wolle ist weiss, erreicht im Jahreswuchs eine 
Länge von ca. 15 cm, ist leicht gewellt, 
glänzend, was auf dem ungewaschenen 
Vliesse noch durch einen milden, aber ziem¬ 
lich reichlichen Fettschweiss gesteigert wird. 
Dieselbe muss unbedingt zu den Mischwollen 
gerechnet werden. Wenn diese auch grössten- 
theils aus markfreien, bündelförmig angeord¬ 
neten, nur ca. 12 cm langen Wollhaaren von 
ca. 36mikr. Durchmesser besteht, so befinden 
sich doch darunter allerdings in bedeutend 
geringerer Zahl markhaltige Grannenhaare von 
ca. 15 cm Länge und 40 mikr. Stärke, die sich 
dann in der Spitze korkzieherartig zusammen- 
drehen. Die Wolle ist dabei aber mild und 
weich. Bohm. 

Dartos (Saptoc, von äapciv, abhäuten), 
sc. tunica, resp. yctcuv nannten schon die 
griechischen Aerzte die unter der Hautbeklei¬ 
dung auftretende, an organisch-muskulösen 
Beimischungen reiche Lage des Scrotums 
(8. d.). Sussdorf. 

Darwinismus. Einer der grössten Natur¬ 
forscher unserer Zeit — Charles Robert 
Darwin — wurde am 12. Februar 1809 zu 
Shrewsbury in England geboren und ist am 
20. April 1882 auf seinem Landsitze zu Down 
bei Bromley in der Grafschaft Kent gestorben. 
Selten wohl hat ein Forscher erlebt, dass 
die von ihm aufgestellten Lehrsätze ein so 
grosses Aufsehen gemacht haben, wie die von 
Darwin in die Welt geschickten; sie haben 
gewissermassen eine Revolution hervorgerufen, 
und der sog. Darwinismus — d. i. die Dar¬ 
winsche Lehre — hat eine besondere, sehr 
reiche Literatur aufzuweisen. — Nachdem der 
junge Darwin schon frühzeitig (1825) die Uni¬ 
versität in Edinburg bezogen und später (1827) 
in Cambridge studirt hatte, betheiligte er sich 
1831 an einer grossen, zu wissenschaftlichen 
Zwecken unternommenen Weltumsegelung auf 
dem Schiffe „Beagle“. Das Darwinsche Tage¬ 
buch dieser Reise wurde veröffentlicht und 
machte sehr bald das grösste Aufsehen. Schon 
nach wenigen Jahren bezeichnete man den 
Verfasser desselben für einen der ersten 
Naturforscher Englands. Wenn schon diese 
erste Arbeit grosse Beachtung fand, so ist es 
erklärlich, dass DarwinS spätere Schriften über 
den Ursprung der Arten auf dem Wege der natür¬ 
lichen Zuchtwahl (On the origip of species by 
means of natural selection), das Variiren der 
Thiere und Pflanzen im Zustande der Domesti- 
cation (The Variation of animals and plants 
under domestication) und endlich noch: die 
Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit 
der Würmer (The formation of vegetable 
mould through the action of worms), welche 
erst von 1859—1882 unter jenen Titeln von 



320 


DARWINISMUS. 


Carus in deutscher Bearbeitung zum Theile 
in mehreren Auflagen erschienen sind, ungemein 
viele Leser gefunden haben und Darwin’s 
Namen für ewige Zeiten unter den Natur¬ 
forschern aller Länder mit goldenen Lettern 
erglänzen lassen. 

Darwin wurde der Begründer einer neuen 
Theorie, welche nach ihm „Darwinismus“ ge¬ 
nannt wurde. — Nach seiner Ansicht haben 
sich alle organischen Wesen aus einer oder 
mehreren Urformen entwickelt, d. h. während 
einer sehr langen geologischen Zeitepoche, 
u. zw. — wie er sich ausdrückte — im 
„Kampf ums Dasein“, im Wege der natür¬ 
lichen Zuchtwahl und der Anpassung an die 
gegebenen Verhältnisse. Sehr bald nach dem 
Erscheinen des fraglichen Werkes über den 
Ursprung der Arten auf dem Wege der natür¬ 
lichen Zuchtwahl fanden sich verschiedene 
Männer — hauptsächlich unter den deutschen 
Gelehrten — welche an den Ausbau der 
Darwinschen Lehre mit grossem Eifer, auch 
zum Theile in etwas eigenthümlicher Weise 
herantraten, und wir dürfen wohl mit vollem 
Rechte sagen, dass der englische Begründer der 
Lehre nicht Schuld daran gewesen ist, dass der 
Darwinismus mehrfach in crasser Weise aus¬ 
artete. Seine Anhänger haben ihn sogar 
als Waffe des Atheismus benützt. Unter Ande¬ 
rem ist man bei uns so weit gegangen, daraus 
ein System der selbständigen Fortentwicklung 
der Urzellen bis zum Menschen entstehen zu 
lassen, und es wurde sowohl hiedurch wie durch 
manche andere Folgerung der praktischen 
Thierzucht kein besonderer Nutzen geschaffen. 
Verschiedene Gegner der Darwinschen Theorie 
behaupten sogar, dass man durch solche und 
ähnliche Systeme der Praxis nur Schaden zu¬ 
gefügt hätte. — Die Darwinsche Lehre kann 
weder direct geleugnet, noch ihre Richtig¬ 
keit bewiesen werden, und wir sind der 
Meinung, dass dieselbe für die Wissenschaft 
den Werth jeder auf Inductionsbeweisen be¬ 
ruhenden Lehre besitzt. Es können auch die 
Gegner des Darwinismus nicht leugnen, dass 
diese Lehre der absoluten Wahrheit näher 
kommt, als alle anderen ihr feindlichen dualisti¬ 
schen Theorien, denn sie erklärt die Erschei¬ 
nungen der organischen Welt einheitlich oder 
monistisch. Vor Allem müssen wir aner¬ 
kennen, dass durch Darwin’s sorgfältige Unter¬ 
suchungen über den Ursprung der Art die 
alten Buffon’schen Lehrsätze, welche von einer 
Abänderungsfähigkeit der Arten durchaus 
nichts wissen wollten, einen harten Stoss er¬ 
litten haben; sie wurden sehr bald als unhalt¬ 
bar bezeichnet. Wenn man dem berühmten 
Forscher von verschiedenen Seiten den Vor¬ 
wurf machte, dass er in seinem Erklärungs¬ 
versuche für das Auftreten von Varietäten 
dem Zufalle eine bedeutende Rolle einge¬ 
räumt hätte und das ganze Gewicht auf die 
Wechsel Verkettung der Organismen im Kampfe 
ums Dasein legte, den directen Einfluss phy¬ 
sikalischer Wirkung aber auf Formenabwei¬ 
chungen unterschätzte, so that man ihm Un¬ 
recht. Darwin sagte ausdrücklich, dass „Zu¬ 
fall“ nur unsere gänzliche Unwissenheit über 


die physikalische Ursache jeder besonderen 
Abweichung bekundete. Wenn dieser Forscher 
den Lebensbedingungen für sich allein nur 
einen geringen Einfluss auf die Veränderlich¬ 
keit zuschrieb, so erkannte er doch den pri¬ 
mären Anlass zu geringen Abweichungen der 
Structur in der veränderten Beschaffenheit 
der veränderten Nahrungs- und Lebensbedin¬ 
gungen, welche aber erst durch die natürliche 
Zuchtwahl in dem Masse gehäuft werden, dass 
sie eine augenfällige Variation bewirken. 

Von den wissenschaftlichen Einwänden 
gegen die Darwinsche Theorie wollen wir 
nur die des Herrn v. Nathusius hier an¬ 
führen. Für die praktische Thierzucht ist sie voll¬ 
kommen bedeutungslos, da dieselbe eine durch 
eine neue Art zu füllende Lücke in ihren Haus- 
thieren nicht hat; die steigende Cultur, nicht 
Vereinigung in verschiedenen Arten verteilter 
Eigenschaften in einer neuen Art, sondern ab¬ 
weichende Entwicklung innerhalb der Art, 
auf vollendetere Erzeugung bestimmter Pro- 
ducte verlangt. Der mangelnde directe Beweis 
für stattgefundene Artumwandlung wird durch 
die alle historischen Zahlen verschwinden las¬ 
senden Zeiträume entschuldigt, welche der 
Darwinismus dafür annimmt. Betreffe seiner 
allgemeinen Bedeutung darf behauptet wer¬ 
den, dass er noch nicht für den Beweis seiner 
Möglichkeit kämpft. Dr. H. Settegast in 
Berlin ist ein Anhänger der Darwinschen 
Theorie (oder Hypothese); derselbe sagt in 
seinem vortrefflichen Werke, betitelt: „Die 
Thierzucht“ Folgendes über dieselbe: „Wie 
Lamarck, nahm auch Darwin an, dass den 
Thieren die Fähigkeit innewohne, zu variiren, 
in grösserem oder geringerem Grade, wenn 
auch anfangs kaum merklich, die Formen, mit 
denen die Eltern ausgestattet waren, zu än¬ 
dern und diese Aenderung auf ihre Nachkom¬ 
men zu vererben (Descendenztheorie). Variabi¬ 
lität und Vererbungsfähigkeit gehen daher 
Hand in Hand; die letztere Abweichung von 
der Stammform auf die Nachkommenschaft 
übertragend, die erstere immer neue Abwei¬ 
chungen hervorrufend. Jetzt kommt, und darin 
unterscheidet sich Darwin’s Theorie von der 
seiner Vorgänger, ein neues Moment hinzu, 
das unter Umständen veränderten Formen Vor¬ 
schub leistet und ihre schnellere Verbreitung 
unterstützt: die natürliche Auswahl (natural 
selection). In dem fortdauernden Kampfe, den 
verwandte Bildungen untereinander und gegen 
ihnen feindliche Einflüsse der Aussenwelt zur 
Behauptung ihrer Stellung in der Natur zu füh¬ 
ren gezwungen sind, siegen diejenigen Indivi¬ 
duen, welchen irgend eine durch Variabili¬ 
tät hervorgerufene Eigentümlichkeit verliehen 
wurde, durch die sie gegen ihre Concurrenten im 
Kampfe ums Dasein begünstigt werden (Se¬ 
lection stheorie). Zu solchen Vorzügen sind zu 
rechnen: Langlebigkeit, die Eigenschaft leichter 
Ernährung, die Fähigkeit, unter dem natür¬ 
lichen Schutz und der Beihilfe der Form und 
Färbung ihres Körpers (Mimicry) den Verfol¬ 
gern und anderen Gefahren leichter zu ent¬ 
gehen oder sich der Beute sicherer zu be¬ 
mächtigen. grössere Leichtigkeit, zur Begat- 



DASSELBEULEN. — DAUCUS CAROTA. 


321 


tung zu gelangen, grössere Fruchtbarkeit 
u. a. m. Die Individuen der älteren Form, 
dem Uebergewicht ihrer Mitbewerber nicht 
gewachsen, unterliegen und räumen den Platz, 
die der neueren werden herrschend und bleiben 
es so lange, bis sich aus ihrer Mitte eine 
variirte, den Verhältnissen noch besser ange¬ 
passte Form erhebt und auch sie allmälig 
verdrängt. Was der Mensch durch die Kunst 
der Züchtung, durch Wahlzucht oder Zucht 
nach Leistung bewirkt, das leistet hier die 
Natur im Grossen, indem auch sie gewisser- 
massen wählt und die vollkommenere Form 
zum Siege führt.“ Settegast tritt der Nathu- 
sius’schen Ansicht scharf entgegen und ist 
der Meinung, dass der Darwinismus zur Aus¬ 
bildung der Thierzuchtlehre wesentlich beige¬ 
tragen hat. Aehnlich äussert sich auch 
R. Hartmann in seinem Buche „Darwinismus 
und Thierproduction“ (München). Freytag. 

Dasselbeulen nennt man allmälig sich 
vergrössernde und in Eiterung übergehende, 
begrenzte Entzündungsherde, welche oft in 
grösserer Anzahl zu beiden Seiten der Rücken- 
und Lendenwirbel verschiedener Säugethiere 
im subcutanen Bindegewebe sich entwickeln. 
Am häufigsten kommen dieselben bei der 
Rindvieh- und Hirschgattung vor, selten bei 
Schafen, Pferden und Eseln. Verursacht 
werden diese Beulen durch die Brut der 
Ochsen-, resp. Rinder-Biesfliege (Oestrus, 
s. Hypoderma bovis), welche auch „Dassel¬ 
fliege“ genannt wird. Dieselbe schwärmt von 
Juni bis September. Die Weibchen legen ihre 
Eier auf die Haut jener Säugethiere. Die 
aus diesen Eiern ausschlüpfenden Embryonen 
durchbohren die Haut des Wirthes, um sich im 
subcutanen Bindegewebe einzubetten und dort 
ungefähr neun Monate zu verweilen. Während 
dieser Zeit wachsen sie zu etwa 28 mm langen 
und etwa 14 mm breiten Larven heran, indem 
sie von Lymphe und Eiter sich ernähren. Ihr 
hinteres Leibesende steckt in einer rund¬ 
lichen Oeffnung der äusseren Haut, welche 
jeder Embryo bei seinem Eintritt in das sub- 
cutane Bindegewebe angelegt hat und aus 
welcher die herangereiften Larven meist im Mai 
oder Juni, u. zw. gegen 6—8 Uhr Morgens, 
wieder nach aussen hervorkriechen, um demnach 
im Boden sich zu verpuppen und nach ca. sechs 
Wochen als vollkommen ausgebildetes Insect 
die Tonne zu verlassen. Die Hautdasselfliege 
wird nur 15—17 mm lang, ist also beträchtlich 
kleiner als ihre Larve. Letztere zerfallt nämlich 
während ihres Puppenschlafes scheinbar zu 
einem Trümmerhaufen, aus welchem das In¬ 
sect in Folge einer Reihe von Neubildungen, 
die von einigen übrig gebliebenen Zellen¬ 
elementen ausgehen, sich entwickelt. Manch¬ 
mal werden die Larven von Vögeln, nament¬ 
lich von Staaren, aus den Dasselbeulen her¬ 
vorgezogen und verspeist. Letztere verursachen 
nur dann eine nennenswerthe Beeinträchtigung 
der Ernährung ihres Wirthes und bei Melk¬ 
vieh der Milchsecretion, wenn sie in grosser 
Anzahl (50—100 Stück) bei einem Individuum 
vorhanden sind. Eine therapeutische Entfer¬ 
nung derselben ist deshalb in der Regel 

Koch. Encyklopftdic d. Thierhcillcd. II. Bd. 


nicht angezeigt. Am häufigsten und reich¬ 
lichsten pflegt Weidevieh mit feiner zarter 
Haut (namentlich gutes Melkvieh) von Dassel¬ 
beulen heimgesucht zu werden. Püt%. 

Dasselfliegen, s. Bremsenfliegen. 

dasymallus (SaoojxaXXo^, von 3ao6c, dicht 
bewachsen, und 6 Wolle) A^^wollig. 

Datollth (von Batco^a:, ab sondern), grün¬ 
liche monokline Krystalle, welche von Esmark 
wegen ihrer körnigen Absonderung mit obi¬ 
gem Namen belegt wurden. Die schönsten 
Exemplare kommen in New*Jersey vor, fer¬ 
ner im Grünsteine von Andreasberg, in den 
Achatkugeln vom Jassathal in Tirol, in Frei¬ 
burg in Baden. Er besteht aus Wasser, Cal¬ 
cium, Kieselsäure und Borsäure. Loebisch. 

Datura Stramonium, gemeiner Stech¬ 
apfel. durch ihre eiförmigen, mit Stacheln be¬ 
setzten Fruchtkapseln bekannte giftige Solanee 
(L. V. 1.) unserer Schutthaufen und Wege, 
deren zur Blüthezeit (August) gesammelte 
Blätter als 

Folia Stramonii (Herba Stramonii oder 
Folia Daturae) in den Apotheken zu haben 
sind, aber nicht mehr arzneilich verwendet 
werden, weil ihr wirksames Alkaloid (Daturin) 
identisch ist mit Atropin oder Hyoscyamin, 
daher nur mehr die Belladonna oder das Bilsen¬ 
kraut Anwendung findet. Vogel. 

Daucus Carota, gemeine Möhre, gelbe 
Rübe, Pflanze aus der Familie dejrUmbelliferen, 
aufrechtes ein- bis zweijährigesKraut,0'3—0*6 k m 
hoch mit rübenförraiger Pfahlwurzel. Blätter 
zwei- bis dreifach gefiedert. Blättchen fieder- 
spaltig mit lanzettlichen, haarspitzigen Zipfeln. 
Hülle vielblätterig, drei- oder fiederspaltig. 
Hüllchen vielblätterig, gewimpert; blühende 
Dolde flach, fruchttragend in der Mitte ver¬ 
tieft. Blüht: Juni, reift: September. Blumen¬ 
krone weiss. Frucht mit Stacheln bedeckt. Die 
cultivirte Möhre stammt von der wilden Möhre 
ab, und unterscheidet man von ihr Sorten, 
welche zum menschlichen Genuss oder zur 
Fütterung geeignet sind. Letztere zeichnen 
sich durch stärkere Entwicklung und grössere 
Ernten von den ersteren aus, welche kleiner 
und feiner im Geschmacke sind. Die Futter¬ 
möhrensorten lassen sich wieder durch die 
Farbe und ihre Vegetationszeit von einander 
unterscheiden. Sorten: Grünköpfige Riesen¬ 
möhre, blassgelbe Möhre, lange rothe Möhre, 
Altringham-Möhre u. s. f. 

Gegen das Klima ist die Möhre nicht 
empfindlich, doch zieht sie im Allgemeinen 
das kältere Klima vor. Die Ansprüche an den 
Boden sind dagegen bedeutend, sowohl was 
Dungkraft als mechanische Beschaffenheit 
betrifft. Der Boden muss tiefgründig und 
locker sein, alle schweren Boden sind daher 
von der Cultur ausgeschlossen, dagegen bringt 
sie auf gut cultivirtem Sandboden noch ent¬ 
sprechende Erträge. Die Möhre verträgt 
frische Stallmistdüngung, besser aber ist die 
Düngung zur Vorfrucht wegen der Gefahr 
des Verunkrautens des Feldes. Für treibende 
Dungmittel ist die Möhre dankbar. Als 
Vorfrucht geht ihr am besten eine Hackfrucht 
voraus, es ist das aber von weniger Wichtig- 


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322 


DAUERMYCELIUM. — DEBACON. 


keit, weil die Möhre tiefe Bodenbearbeitung 
verlangt. Nach ihr folgen Getreide oder tief 
wurzelnde Futterpflanzen. Zur Möhre muss 
das Feld im Herbste möglichst tief bearbeitet 
werden, weil sie dafür ausserordentlich dank¬ 
bar ist: sie soll daher auf dasselbe Feld erst 
wieder gebaut werden, wenn dieses wieder 
der Tiefcultur unterzogen werden soll. Zur 
Aussaat ist es nothwendig, den Samen etwas 
zu bearbeiten, damit er die kleinen Häckchen 
verliert, welche eine gleichraässige Aussaat 
unmöglich machen würden. Es wird der Samen 
in kleine Säcke gebracht, mit einem Holz ge¬ 
droschen und dann noch mit den Händen 
abgerieben. Am besten ist es, den Samen mit 
der Hand zu drillen oder zu dibbeln, allen¬ 
falls zur Erleichterung der Yertheilung etwas 
mit grobem Sand gemengt. Bei Anwendung 
von Maschinen ist die Vertheilung des Samens 
leicht eine ungleichmässige. Saatbedarf per 
Hektar =5 7 kg. Die Aussaat geschieht im 
März und April, sobald der Boden abge¬ 
trocknet ist. Den Pflanzenreihen gibt man 
mit Rücksicht auf die nothwendige spätere 
Cultur eine Entfernung von 45—50 cm. Das 
Verpflanzen der Möhren ist nicht empfehlens- 
werth. Ausserordentlich wichtig ist ein früh¬ 
zeitiges Jäten und Hacken der Möhren, weil 
sich dieselben anfangs oberirdisch nur sehr 
langsam und zuerst die Pfahlwuizeln ent¬ 
wickeln. Das erste Jäten oder Hacken ge¬ 
schieht drei bis vier Wochen nach der Aus¬ 
saat, einige Zeit darauf das Vereinzeln 
auf Entfernungen von 10—12 cm. Demselben 
folgt dann gleich nochmaliges Behacken, 
eventuell mit der Pferdehacke, worauf durch 
die schnelle Blattentwicklung das Feld sich 
schliesst und ein Aufkommen von Unkraut 
nicht mehr zu befürchten ist. Die Möhren¬ 
ernte beginnt Mitte October und muss vor¬ 
sichtig gemacht werden, weil verletzte Möhren 
sich im Winter schlecht halten. Die Auf¬ 
bewahrung geschieht am besten in Erd¬ 
mieten. Durchschnittsertrag an Möhren 400 q 
per Hektar. Die Wurzeln werden von allen 
Viehgattungen sehr gerne gefressen. Abge¬ 
sehen von den Unkräutern, leidet die Möhre 
an einigen pflanzlichen Parasiten: die Flecken¬ 
krankheit der Möhren wird durch einen Pilz, 
Polydesmus exitiosus, hervorgerufen, der auf 
dem Kraute lebt. Die Rübe wird getödtet 
durch einen Pilz, Rhyzoctonia violacea, der 
dieselbe mit einem violetten Ueberzuge be¬ 
deckt und dadurch zum Absterben bringt. 
Die Möhre theilt diesen Feind mit der Luzerne, 
Runkelrübe, Kartoffel, worauf in der Frucht¬ 
folge Rücksicht genommen werden muss. 
Thierische Feinde sind der Möhre wenig 
schädlich. v. Liebenberg. 

Dauermycelium. Regelmässige bis un¬ 
regelmässig gestaltete knollige, kugelige, 
ovoide bis langgestreckte berindete Körper 
von dunkel- bis schwarzbrauner, selten heller 
Farbe. Im Innern sind sie gewöhnlich heller 
gefärbt. Beim Durchschneiden erweisen sie 
sich fest bis hart und brüchig. Die äussere, 
sog. Rindenschichte ist härter als der 
innere Theil; sie bestehen aus einem dichten 


Geflechte (Pseudoparenchym) von Mycelfaden, 
die unter sich fest verschmolzen sind. Die 
Dauermycelien können lange Zeit, wie Samen, 
ruhen; schliesslich entwickeln sich aus ihnen 
unter geeigneten Bedingungen Pilzfrüchte 
oder wohl auch Gonidienträger. Ihrer meist 
harten Consistenz wegen werden sie ge¬ 
wöhnlich als Sclerotien bezeichnet. Siehe z. B. 
Claviceps. Harz. 

Daiiersporen oder ruhende Sporen nennt 
man einerseits alle jene Sporen und Gonidien, 
welche nach ihrer Entstehung nicht sofort 
befähigt sind, auszukeimen. Andererseits be¬ 
zeichnet man so vielfach alle zur Vermehrung 
und Fortpflanzung dienenden Keimzellen 
niederer Pflanzen, welche längere Zeit in 
trockenem Zustande ruhend verharren können, 
um schliesslich unter geeigneten Verhältnissen 
wieder zu keimen. So z. B. die Sporen vieler 
Spross- und Spaltpilze, die Chlamydosporen 
der Schimmelpilze. Harz. 

Dauw, Dau. Daub. Nach Sparrmann der 
hotten tottische Name für das Zebra, das auch 
Burchell so bezeichnet. Cuvier bezog den 
Namen Dauw irrthümlich auf das von Bur¬ 
chell in Süd-Afrika entdeckte Tigerpferd 
Equus (Hippotigris). Burchelli Gray. Seither 
wird dasselbe häufig mit diesem Namen be¬ 
zeichnet, so in Brehra's Thierleben und an 
anderen Orten. Studer. 

Das Tigerpferd Dauw Cuv. (Equus Bur¬ 
chelli) kommt — wie Quagga und Zebra — in 
Südafrika wild vor. Die Tigerpferde sind etwas 
kleiner als die Zebras, erreichen nur selten eine 
Widerristhöhe von l*30m und sind durch¬ 
schnittlich etwa l*20m hoch. Im Leibesbau 
stehen diese Thiere dem Pferde näher als dem 
Esel. Sie besitzen einen hübsch geformten, aus¬ 
drucksvollen Kopf mitmässig langen Ohren und 
grossen Nüstern. Der Rumpf ruht auf kräftigen 
Beinen; das Hintertheil (Kreuz) fällt meistens 
ziemlich stark ab. Die Grundfarbe des Deck¬ 
haares ist gelblich weiss; der Kopf. Hals 
und Rumpf sind dunkelbraun gestreift, u. zw. 
in der Weise, dass zwischen den breiten 
Hauptstreifen noch feinere, schmale auftreten 
und den Thieren ein sehr buntes Aussehen 
verleihen. Die unteren Gliedmassen sind 
regelmässig von heller Farbe. Ihre sehr dichte 
Mähne von starken Haaren steht aufrecht. Der 
Schweif ist ziemlich hoch hinauf lang behaart 
und erinnert an den Schwanz des Pferdes. Die 
Zähmung der Tigerpferde wurde mehrfach 
mit gutem Erfolge vorgenommen, und es zei¬ 
gen dieselben im Zuge ganz befriedigende Lei¬ 
stungen. Bastarde von Tigerpferd und Pferd 
oder Esel wurden an verschiedenen Orten 
beobachtet: doch wird behauptet, dass die¬ 
selben stets unfruchtbar blieben. Freytag. 

Dayot hatte Veterinärmedicin in Alfort 
studirt. schrieb 1848: .,Ueber Pustelbildung 
an den Geschlechtstheilen der Pferde“. und 
„Ueber Behandlung der Nabelbrüche mit Sal¬ 
petersäure“. Semmer. 

Debacon Bonneval, gab im Jahre 1774 
eine Abhandlung über die Beurtheilung des 
Pferdes beim Kaufe in französischer Sprache 
heraus. Kock. 



DECANTIREN. 

Decantiren, das Abgiessen, ein in der 
chemischen und pharmaceutischen Operations¬ 
technik statt des Filtrirens geübtes Verfahren, 
welches sich besonders dann anwenden lässt, 
wenn die abzuscheidenden festen Theilchen 
wegen ihrer specifischen Schwere rasch zu 
Boden sinken, so dass die darüber stehende 
klare Flüssigkeit durch Neigung des Gefasses 
•abgegossen oder mittelst Heber abgezogen 
werden kann. Manche Niederschläge können 
von den Flüssigkeiten, in welchen sie sich 
befinden, oft durch das Decantiren besser 
getrennt werden als durch das Filtriren; dies 
gilt von Niederschlägen, welche schleimig 
"oder gelatinös sind und, auf den Filter ge¬ 
bracht, die Poren desselben rasch verstopfen, 

«o dass ein vollständiges Auswaschen des 
Niederschlages auf dem Filter gar nicht 
möglich ist. Loebisck. 

Dechenlt, ein Vanadinbleierz, welches im 
bunten Sandstein von Niederschlettenbach 
bei Weissenburg in krystallinischen Massen 
Vorkommt. Loebisck. 

Decidua. Der Embryo von Säugethieren 
liegt in mehreren Hüllen innerhalb des Uterus 
geschützt. Diese Hüllen sind entweder solche, 
welche sich aus dem Substrate, das für den 
Aufbau des Embryonalleibes dient, entwickeln 
{Amnion, Chorion), oder sie gehören nach 
ihrer Abstammung dem mütterlichen Boden. 

Zu diesen gehört die Decidua. Die äusserste 
Hülle, welche man beim Eröffnen eines Uterus, 
mit einem vorgerückteren Embryo als Inhalt, 
findet, die das ganze Ei umgibt und sich noch 
über die innere Oberfläche der Uteruswand 
fortsetzt, ist die Decidua. Man unterscheidet 
«ine Decidua vera oder jenen Theil, 
welcher an der Wandung des Uterus liegt, 
und eine Decidua reflexa, die das Ei mit 
seinen fötalen Hüllen nach aussen überzieht. 
Die Decidua vera ist aus einer Umwandlung 
der Uterinschleimhaut hervorgegangen. Am 
t)s uteri internum wird die Decidua begrenzt. 
Die Decidua betheiligt sich an der Bildung 
•des Mutterkuchens, indem sie den mütterlichen 
Antheil desselben liefert. Nach Robin schwdndet 
das am normalen Uterus befindliche Flimmer- 
Epithel. In der Decidua finden sich grössere 
rundliche und besonders auffällige längliche 
Spindelzellen. Die ersteren werden als Decidua- 
zellen beschrieben. Gegen Ende der Schwanger¬ 
schaft worden beide Deciduae mit einander 
verklebt und auffällig dünn. Die Decidua be¬ 
sitzt Gefässe und Drüsen. In späteren Stadien, 
besonders gegen Ende der Schwangerschaft, 
schwinden dieselben. Schenk. 

Decimalgewicht. Das in den Recepten 
und Apotheken, überhaupt in der gesammten 
Medicin gebräuchliche Gewicht ist das metri¬ 
sche, das zehntheilige Gewicht mit der gesetz¬ 
lichen Base des Kilogramms, d. h. der Schwere 
-eines Kubikdecimcters destillirten Wassers, das 
bei seiner grössten Dichtigkeit (-f-4°C.) im 
luftleeren Raum gemessen wird: dieses letztere 
Mass bildet zugleich auch das Liter und könnte 
sonach alsbald wieder neu geschaffen werden, 
wenn das Originalmass auch verloren ginge, 
nämlich das Meter, welches ebenfalls eine 


— DECKEN. 323 

wissenschaftliche Grundlage hat, denn es ist 
der zehnmillionste Theil des Viertels eines 
Erdmeridians, dessen Normaletalon 1799 in 
Paris geschaffen wnirde, u. zw. in Form eines 
Platinstabes, der bei 0°C. die richtige Länge 
hat. Er wird in Paris aufbewahrt. Die Ein¬ 
heit des Medicinalgewichtes ist jetzt fast 
überall der tausendste Theil des Gewichtes 
eines Kubikdecimeter Wassers und hat man 
auch hiefür die französische Bezeichnung 
.,Gramm 11 angenommen, während das frühere 
Unzengewicht (der zw-ölfte Theil eines will¬ 
kürlich bemessenen Medicinalpfundes) ver¬ 
lassen werden ist. Die meisten europäischen 
Staaten führen gegenwärtig dieses Gramm¬ 
gewicht, nur Grossbritannien hält nicht allein 
an seinem Unzengewicht fest, sondern auch 
an dem Usus, Flüssigkeiten in den Apothe¬ 
ken gemessen statt gewogen zu dispensiren 
fl Kubikcentigramm = 1 Gramm,, 1 Gallone 

— 4’S Liter, 1 Pinte = der achte Theil der 

Gallone). Das Gramm, gramma = g, zerfällt 
in 10 Decigranim (dg), dieses in 10 Centi- 
gramm (cg) und das Centigramm in 10 Milli¬ 
gramm (mg). Die Bruchtheile des Gramms 
werden meist durch ein Komma, in Oesterreich- 
Ungarn durch einen Punkt angegeben: was 
also rechts von der Interpunction steht, sind 
decimale Bruchtheile, z. B. 0,06 sind 6 Centi- 
gramm, 6*5 sind sechs und ein halbes Gramm. 
Die Multiplication des Gramms geschieht mit 
griechischen Bezeichnungen, es sind daher 
1 Dekagramm 10 Gramm, ein Hektogramm 
100 und 1 Kilogramm 1000 Gramm (1 Pfund 
= 5 Hektogramm): letztere Bezeichnungen 
dürfen bei Ordinationen gesetzlich nicht ge¬ 
braucht werden, da leicht Verwechslungen, 
z. B. zwischen Decigranim und Dekagramm 
Vorkommen könnten. Für diejenigen Medicinal- 
personen, welche mit dem metrischen Gewicht 
nicht umzugehen verstehen, ist der Gebrauch 
des alten Unzengewichtes gestattet, der Apo¬ 
theker ist jedoch angewiesen, letzteres in das 
metrische Gewicht auf dem Recepte umzu- 
wandeln und danach zu dispensiren. (Oester- 
reichisches Gesetz vom 23. Juli 1871. Deut¬ 
sches Reichsgesetzblatt 1877.) Vogel. 

Decken werden theils in hygienischer, 
theils in therapeutischer Beziehung als Schutz- 
und Heilmittel bei den Hausthieren angew-en- 
det. Die Decken können aus Woll- oder Baum¬ 
wollstoffen, Leinwand, Loden, Bastfasern, Leder, 
Kautschuk oder gegerbten Häuten bestehen. 
In hygienischer Beziehung werden sie als 
Schutz gegen atmosphärische Einflüsse: Kälte 
oder Wärme, Regen, Schnee etc., angew r endet. 
Zu diesem Zwecke sind dieselben nach der 
Thiergattung verschieden und kommen in ver¬ 
schiedenen Grössen zur Anwendung. Bei Pfer¬ 
den ist die Bedeckung des Körpers mit Decken 
je nach den Veredlungsgraden und Gebrauchs¬ 
zwecken verschieden. Luxus-, Renn-, edle und 
veredelte Reitpferde werden nicht selten zum 
Schutze gegen Erkältungen über den ganzen 
Körper, den Hals, die Ohren und Gesichts- 
theile, mit Ausnahme der Augen und Nasen¬ 
löcher, förmlich in Decken eingewickelt und 
dadurch gewissermassen einer Verweichlichung 

21 * 


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324 DECKENDE MITTEL. — DECUBITUS. 


entgegengeführt. Bei Arbeitspferden sollen die 
Pferdedecken von Wolle, mit roher starker 
Leinwand gefüttert und so gross sein, dass 
sie den Körper und die oberen Theile der 
Vorder- und Hinterbeine, Schulter und Hüftge¬ 
lenk genügend bedecken. Sommerdecken sind 
nur von Drillich oder Leinwand anzufertigen. 
Am meisten erfüllen die Decken ihren Zweck, 
wenn sie nach der Form des Körpers ge¬ 
schnitten sind. Bedecken sie den Unterleib 
(den Bauch) mehr oder weniger mit, so ist 
dies ganz günstig. Kopf, Hals, Brust, Beine 
und Bauch werden von den gewöhnlichen ge¬ 
bräuchlichen Decken nicht bedeckt. Diese 
Theile müssen deshalb mit Stroh gut ab ge¬ 
rieben werden, wenn das Thier erhitzt oder 
schwitzend aus der Arbeit kam. Ochsen und 
Kühe werden in ähnlicher Weise bei oder nach 
der Arbeit manchmal mit Decken bedeckt. Bei 
Schweinen und Schafen kommt in der Regel 
die Decke* nicht zum Gebrauch, dagegen findet 
sie beim Hunde, namentlich der kleinen Ras¬ 
sen, mitunter in übertriebener und luxuriöser 
Weise ihre Anwendung. Das Bedecken der 
Pferde und anderer Thiere mit Decken ist bei 
dem gewöhnlichen Gebrauch der Arbeit in 
hygienischer Beziehung nicht erforderlich. 
Wenn jedoch die Thiere bei kalter Witterung 
arbeiten oder in kalten Stallungen, vom Dienst¬ 
ebrauch zurückkehrend, stark erhitzt sind, 
ann müssen sie so lange zugedeckt werden, 
bis sie ganz abgetrocknet sind; wenn diesel¬ 
ben durch Arbeit in Schweiss gerathen und 
plötzlich für kürzere oder längere Zeit auf 
offenen, zugigen Plätzen stille stehen, so ist 
ebenfalls wo möglich für Bedeckung zu sorgen. 
Das Zudecken bei der Arbeit ist ganz über¬ 
flüssig und sogar schädlich. In therapeutischer 
Beziehung sind passende Decken bei sämmt- 
lichen Thieren nicht selten von grossem Vor¬ 
theil. Bei Fieberkrankheiten, dem Eintritt des 
Reactionsstadiums, Kolikerkrankungen durch 
Erkältung, bei Starrkrampf, rheumatischen 
Leiden etc. ist die Anwendung in einfacher 
oder complicirter Form durch Einwicklungen 
von entschieden heilendem Einflüsse. Ueber- 
haupt ist die Decke bei den meisten inner¬ 
lichen Erkrankungen der Hausthiere ein un¬ 
entbehrliches Mittel zur Wärmeregulirung; 
zur Unterstützung der Transpiration und der 
kritischen Ausscheidungen von Krankheits¬ 
stoffen ein wohl zu schätzendes Hilfsheil¬ 
mittel. Ableitner. 

Deckende Mittel, s. Protectiva und Demul- 
centia. 

Deckgläser, s. mikroskopische Technik. 

Decoct, Decoctum, s. Abkochen. 

Decoctoinfu8um, s. Infusum. 

Decourcelles schrieb im Jahre 1799 ein 
nur 3 Bogen starkes Dictionnaire vötörinaire 
ou le MartJchal expert. Koch. 

Decrepitiren der salinischen Arzneimittel, 
s. Abknistern. 

Decubitus, von de, weg, und cubare, 
liegen. Aufliegen oder Durchliegen. Das Wort 
Decubitus wird sowohl zur Bezeichnung des 
liegenden Zustandes eines Thieres überhaupt, 
als auch der durch das Liegen erzeugten 


Quetschungen verwendet; in dieser letzteren 
Deutung wird es von den Thierärzten meistens 
gebraucht. Der Decubitus besteht zunächst, 
in einer durch Druck hervorgerufenen Er¬ 
nährungsstörung der Haut und selbst der 
unter derselben befindlichen Gewebe, und 
entsteht deshalb vorzugsweise an den weniger 
fleischigen Körpertheilen, an welchen die 
Haut über Knochenhervorragungen hinweg¬ 
zieht: so ganz besonders an der Schläfe, an 
der Schulter, an den Hüften, am Hüftgelenk 
sowie an der äusseren Fläche des Vorder- 
knies, des Sprunggelenkes und der Fesseln, 
Auch können Decubituserscheinungen an der 
Unterbrust oder an den Rippenwandungen 
wahrgenommen werden. Das Durchliegen ist 
eine unbeliebte Complication vieler Krank¬ 
heiten, insbesondere derjenigen, welche auf 
Blutentmischung beruhen. Namentlich ent¬ 
steht es bei grosser Schwäche oder auch bei 
intensivem Schmerz, weil die Thiere durch 
Scharren oder wiederholte Versuche, auf- 
zustehen, die Streu in Unordnung bringen 
und endlich auf den blossgelegten Stallboden 
zu liegen kommen. Abgesehen von der Rei¬ 
bung der Haut auf dem Boden, wodurch 
Hautschürfungen entstehen, kann auch bei 
ruhigem Liegen deren Blutcirculation durch 
einfachen, anhaltenden Druck zwischen Lager 
und Knochen so gestört sein, dass ihre Er¬ 
nährung unmöglich wird, was unter Um¬ 
ständen schon nach wenigen Stunden sich 
einstellen kann. Die auf solche Weise ge¬ 
presste Haut wird entweder Sitz einer Ent¬ 
zündung, bei welcher die Epidermis durch 
reichliche Exsudation abgestossen wird, oder es 
Rillt dieselbe der Nekrose anheim; in anderen 
Fällen scheint sie durch Schweiss, Ausdünstung 
des Bodens, nasse Streue macerirt zu sein. Die 
Nekrose der Haut kann sich auch nachträg¬ 
lich in Folge einer intensiven Hautentzündung 
einstellen; nachdem die Bildung einer Demar- 
cationslinie vor sich gegangen, löst sich das 
abgestorbene Hautstück von seiner Unterlage 
ab und wird nun abgestossen. In der Regel 
stellt sich vorher unter derselben eine Eite¬ 
rung ein, und es heilt die Wunde, wenn die 
Ursachen nicht fortwirken, durch Granulations¬ 
bildung nach kürzerer Zeit aus; ist dieses 
jedoch nicht der Fall, so können die tiefer 
liegenden Gewebe auch nekrosiren und end¬ 
lich der darunterliegende Knochen zum Vor¬ 
schein kommen. Pferde sind dem Durchliegen 
sehr ausgesetzt, und hat der Thierarzt des¬ 
halb mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. 
Die Verhütung des Decubitus muss in allen 
Fällen, bei welchen die Pferde voraussicht¬ 
lich längere Zeit liegen oder hängen sollen, 
durch alle Mittel angestrebt werden. Vor 
Allem ist für reichliches, weiches und trockenes 
Streulager zu sorgen; Pferde, welche einige 
Stunden des Tages stehen können, sucht man 
durch Hänge Vorrichtungen darin zu unter¬ 
stützen, damit sie so wenig liegen wie nur 
möglich. Können die Thiere nicht mehr zeit¬ 
weise aufgestellt werden, so werden sie, wenn 
ihr Zustand es erlaubt, alle 2—3 Stunden 
auf die andere Seite gewälzt, und wäre dieses 


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DEDELAY. — DEGENERATIONEN. 


325 


Verfahren ebenfalls unzulässig, so sucht man 
die am meisten bedrohten Punkte durch 
weiche Umhüllungen aus Charpie, Baumwolle, 
Werg, Kissen etc. so gut wie möglich zu 
schützen. Frisch gequetschte, entzündete 
Theile können mit Goulard’schem Wasser und 
Verdünnter Arnicatinctur behandelt werden. 
Nekrotische Hautstücke und Gewebstheile 
werden nach der Bildung der sog. Demar- 
cationslinie sorgfältig mit dem Messer ent¬ 
fernt und die zurückbleibenden geschwürigen 
Wunden streng antiseptisch mit Carbol oder 
Chlorzinklösung (3—4%) behandelt. Werden 
dadurch die Wunden etwas gereizt und 
schmerzhafter, so gewinnt man den Vortheil, 
dass die Thiere weniger beharrlich auf diesen 
Theilen liegen. Die antiseptische Behandlung 
solcher Wunden ist überhaupt von der grössten 
Wichtigkeit, da durch dieselben leicht Pyo- 
hämie oder Septicämie als gefährliche und 
tödtliche Complicationen des Hauptleidens 
auftreten können. Berdez. 

Dedelay d’Agier (1750—1827) gab 1778 
heraus: „Prospectus d’un cours complet 
d’Hippotomie ou anatomie du cheval et de 
Pathologie“. Semmer. 

Deerhound, s. Hirschhund. 

Defäcation. Diejenigen Bestandtheile 
der Nahrung, welche nicht resorbirt worden 
sind, inclusive gewisser Residuen der Ver- 
dauungssecrete, gelangen durch die Peristaltik 
des Darmes bis nach dem Beckenstück des 
Mastdarmes. Wenn sich eine grössere Quan¬ 
tität der Fäces daselbst angehäuft hat, stellt 
sich bei den Thieren das Bedürfniss ein, sich 
dieser im Körper nicht mehr verwendbaren 
Stoffe zu entledigen. Dieser Act wird als De¬ 
fäcation bezeichnet. Der Anus wird durch 
die tonischen Contractionen des Sphincter ani 
internus und eitemus erweitert, u. zw. zum 
Theil passiv, zum Theil activ. Die passive 
Erweiterung geschieht unter dem Druck der 
undrängenden Kothmassen, die active durch 
Contraction der in den Anus ausstrahlenden 
glatten Längsmuskelschicht des Mastdarmes, 
Welche den Anus unter Mitwirkung des levator 
ani über den Fäcalien hinwegzicht. Flüssige 
und breiige Excreraente werden durch die Con¬ 
traction der Mastdarmmuskulatur fast allein 
entfernt. Grosse Kothmengen, insbesondere 
auch harter Koth, erfordern zu ihrer Entleerung 
die Mitwirkung der Bauchmuskeln und des 
Zwerchfells, und dabei nehmen die Thiere 
Stellungen an, durch welche die Muskel- 
Wirkung unterstützt und einer Verunreinigung 
des Körpers vorgebeugt wird. Die grösseren 
Hausthiere krümmen den Rücken, strecken 
den Schweif in die Höhe, stellen die Hinter- 
füsse aus einander und athmen dabei tief ein. 
Die Fleischfresser nähern die Hinterglied¬ 
massen den vorderen und senken das Hinter- 
theil, Pferde und Wiederkäuer vermögen je¬ 
doch auch während der Bewegung Koth zu 
entleeren. Bei den ersteren drängt sich beim 
Absetzen der Excremente und namentlich nach 
demselben die lockere, faltige, röthlich gefärbte 
Schleimhaut des Mastdarines hervor, wodurch 
die Schleirahautfalten leichter von der auf- 


lagemden Kothmenge befreit werden. Die An¬ 
regung zu der Kothentleerung ist gegeben 
durch die Erregung der in der Mastdarm¬ 
schleimhaut gelegenen sensiblen Nerven, die 
Erregung verläuft nach dem im Rückenmark 
gelegenen Centruin ano-spinale, von wo aus 
reflectorisch die Contraction der angegebenen 
Muskelgruppe erfolgt. Zu demselben Resultat 
können auch in das Rectum eingeführte 
Fremdkörper und bei Erkrankung des Darms 
auch andere selbst sehr geringfügige Reize 
der Rectalschleimhaut führen. 

Wie oft täglich Darmexcremente abge¬ 
setzt werden, lässt sich nicht genau bestim¬ 
men. Es hängt dies von der Menge und Be¬ 
schaffenheit der Futterstoffe, von der Ver- 
dauungsthätigkeit des Organismus und davon 
ab, ob die Thiere im Stalle oder in Bewe¬ 
gung gehalten werden. Bei wasserreichem, 
saftigem Futter wird öfter Mist entleert als 
bei trockenem. Pflanzenfresser entleeren öfter 
Mist und in relativ grösseren Mengen als 
Fleischfresser. Pferde setzen gewöhnlich 
den Mist in Pausen von 3—5 Stunden 
und im Ganzen eine tägliche Quantität von 
15—20 kg ab. Ter eg. 

Defays F. studirte Veterinärmedicin zu 
Brüssel und war später Professor für Chirurgie 
und Hufbeschlag zu Cureghem-Bruxelles. Er 
gab heraus 1859: „Memoire sur l’encastelure“; 
1860 schrieb er über Geschichte des Huf¬ 
beschlags. 1852 erschien von ihm und Husson: 
„Manuel de mödecine vötdrinaire“. Semmer. 

Defays’sche Drahtschlingen sind zwei bei¬ 
läufig 40 cm lange Eisen- oder Messingdrähte, 
diederart um den Hals des Jungen, besonders des 
Hundes, umgeschlungen und durch Drehung 
befestigt werden, dass das Junge damit her¬ 
ausgezogen werden kann. Sie sind nicht be¬ 
sonders praktisch und stehen der einfachen 
Breulet’schen Drahtschlinge weit nach. Strebei. 

Defay8’8Che Zange ist ein ziemlich com- 
plicirtes geburtshilfliches Instrument, das zum 
Erfassen des Kopfes, namentlich beim Hunde 
dient. Das öfters im Stiche lassende Instru¬ 
ment kann ganz gut entbehrt werden. Strebei . 

Defectus (deficere, fehlen), der Mangel von 
Substanz in einem Organ oder Gewebe. Sf. 

Deflbrination des Blutes, s. Blut. Sf. 

deficiens (deficere, fehlen), fehlend, z. B. 
in Pulsus deficiens, bei Unregelmässigkeiten 
in der Pulsfolge, wenn in der Reihenfolge der 
Pulse eine Pause von der Dauer der Pause 
zwischen zwei oder mehreren Pulsschlägen 
eintritt. Sussdorf. 

Deformation (deformatio) und deformiren, 
in der Medicin gebräuchliche Ausdrücke für 
Verunstaltungen, resp. den Vorgang der Ver¬ 
unstaltung durch pathologische Processe, z. B. 
in der Definition des Spates als deformirende 
chronische Periostitis. Sussdorf 

Degen, sch warzer, ist der nichtofficinelle 
Birkentheer oder das Oleum betulinura, Oleum 
Rusci; das Mittel hat keine andere Wirkung 
als der gewöhnliche Theer, nur weniger unan¬ 
genehmen Geruch (s. Pix liquida). Vogel. 

Degenerationen (von degeneratio), Ent¬ 
artungen, Metamorphosen, Umwandlungen von 



326 DEGENERATIONEN. 


Geweben und Organen in andere Stoffe und 
Formen. Die Entartungen zerfallen in folgende 
Gruppen: 

t. Fettdegeneration, Fettmetamorphose, 
excessive Bildung von Fett aus Körperalbumi- 
naten, die in stickstoffhaltige Bestandteile 
(Harnstoff) und stickstofflose zerfallen, von 
welchen letzteren ein Theil zu Kohlensäure 
und Wasser oxydirt, den Körper verlässt, und 
ein anderer Theil in Form von Fett zurück¬ 
bleibt Unter physiologischen Verhältnissen 
finden diese Vorgänge bei der normalen Fett¬ 
bildung statt. Die Fettmetamorphose ist nicht 
zu verwechseln mit der Fettinfiltration oder 
vorübergehender Ablagerung von Fettropfen 
in die Zellen und Gewebe aus dem aufge¬ 
nommenen Nahrungsfett. Bei der pathologi¬ 
schen Fettmetamorphose werden die Körper- 
albuminate in kleine Fettmolecüle und Fett¬ 
tröpfchen umgewandelt, die sich unter dem 
Mikroskop durch starken Glanz, dunkle Con- 
touren, Nichtfärbung durch die meisten Farb¬ 
stoffe und Resistenz gegen die meisten Rea- 
gentien (mit Ausnahme von Aether) charakteri- 
siren. Die fettig entarteten Gewebe und Organe 
büssen theilweise oder ganz ihre Functions¬ 
fähigkeit ein und können schliesslich atro- 
phiren und schwinden, indem ihre Elemente 
zu einem fettigen Detritus zerfallen und resor- 
birt werden, oder das gebildete Fett geht 
in Fettsäure-Krystalle über (Margarinsäure, 
Stearinsäure, Cholestearin). Die der Fett¬ 
degeneration unterworfenen Gewebe und Organe 
nehmen erst eine gelblich graue, dann gelb¬ 
liche bis weissgelbe Farbe an. Die Fettmeta¬ 
morphose verläuft acut und chronisch; acut 
bei Phosphorvergiftungen, acuten Entzün¬ 
dungen, vielen Infectionskrankheiten. wie Milz¬ 
brand, Septicäinie, Lähme, Puerperalfieber, 
Rinderpest, Pocken etc., chronisch bei chroni¬ 
schen Anämien, Lähmungen, Altersraarasmus, 
chronischen Vergiftungen mit Alkohol, Aether, 
Chloroform, Phosphor, Arsenik, Schwefelsäure, 
Phosphorsäure, Gallensäuren u. a. und in vielen 
Neubildungen. Die Fettentartung kann Vor¬ 
kommen an fast allen normalen und patho¬ 
logischen Geweben und ist besonders häufig 
in Epithelzellen, Drüsenzellen (in der Leber 
und Niere), in ausser Function oder Ernährung 
gesetzten Nerven und Muskeln, in Arterien¬ 
häuten etc. und von Neubildungen besonders in 
Tuberkeln. Rotzknoten, Eiterherden, croupösen 
Entzündungsproducten und Infiltrationen. Bei 
nicht sehr hochgradigen Fettdegenerationen 
nach überstandenen Vergiftungen und Infections¬ 
krankheiten kann nach Resorption der Fett¬ 
moleküle und Tröpfchen vollständige Wieder¬ 
herstellung der normalen Form, Mischung und 
Function der betreffenden Organe und Gewebe 
eintreten. Bei hochgradigen Fettmetamorphosen 
lebenswichtiger Organe (Leber, Nieren, Herz) 
erfolgt der Tod. 

2. Pigmentmetamorphose oder Infiltration 
der Gewebe mit Haematoidin (Haematin, 
Haemin, Haematoin), Melanin und Gallenfarb¬ 
stoffen. Infiltrationen mit Haematoidin in Form 
krystalliniseher rhombischer Säulen oder diffuser 
Körnchen von ziegelrother Farbe finden sich 


in Zellen und Geweben, in denen vorher 
Blutungen stattgefunden haben. Das Haema¬ 
toidin ist ein Derivat des Blutfarbstoffes und 
stammt aus in die Gewebszellen eingedrungenen 
und dort aufgelösten rothen Blutkörperchen. 
Die mit Haematoidin infiltrirten Gewebe haben 
eine gelbliche oder röthliche Farbe. Das 
Haematoidin ist in Wasser, Alkohol, Aether, 
Essigsäure, verdünnten Mineralsäuren und 
Alkalien unlöslich, löst sich in concentrirten 
Mineralsäuren, Schwefelkohlenstoff, Chloro¬ 
form, wird durch Untersalpetersäure hellblau 
gefärbt und zerfällt im Laufe der Zeit in den 
Geweben in kleine Körnchen, die sich auf- 
lösen oder resorbirt werden. Haematoidin findet 
sich unter physiologischen Verhältnissen in 
den Corpora lutea der Ovarien, unter patho¬ 
logischen Verhältnissen in allen Organen und 
Geweben, in denen Blutaustritte stattgefunden, 
besonders in drüsigen Organen und im cen¬ 
tralen Nervensystem. Gallenfarbstoffe (Bili¬ 
rubin, Bilifuscin, Biliprasin, Bilihumin, Bili¬ 
verdin) werden bei Hindernissen des Gallen- 
abfiusses aus der Leber zunächst in die Leber¬ 
zellen infiltrirt, treten dann weiterhin im 
Blute auf und werden in alle Organe und Ge¬ 
webe des Körpers abgelagert (s. Cholämie und 
Icterus). Das schwarze Pigment oder Melanin 
ist nach einigen Autoren ebenfalls ein Derivat 
des Blutfarbstoffes, nach anderen entsteht es 
aber selbständig: dasselbe bildet entweder 
rhombische Tafeln oder amorphe Körnchen 
und regelmässig geformte bewegliche Kügel¬ 
chen und hat grosse Resistenz gegen die 
meisten Reagentien. Physiologisch kommt das 
Melanin vor im Rete Malpighi der Haut, im 
Auge, in der grauen Hirn- und Rückenmarks¬ 
substanz. Unter pathologischen Verhältnissen 
findet man Melanin in den Lungen der meisten 
alten Hunde (neben eingeathmeten Kohlen¬ 
partikelchen) und in den Melanosen, inelano- 
tischen Sarcomen und Krebsen. Besonderst 
häufig leiden Schimmel an Melanosen mit 
gleichzeitiger Infiltration sämmtlicher Lymph- 
drüsen mit zahllosen beweglichen mikrococcen- 
ähnlichen Pigmentkügelchen (s. Melanosen). 
Ausser den bisher genannten kommen noch 
sog. acute Pseudopigmentirungen vor, u. zw. 
Ablagerungen von Silber (Argyrie) und Blei 
in Substanz in den Geweben nach längerem 
innerlichen Gebrauch von Silber- und Blei¬ 
präparaten mit grauer oder schwärzlicher Ver¬ 
färbung der Gewebe. Bei chronischen Darm¬ 
katarrhen wird die Darmschleimhaut oft 
schieferfarbig, grau oder grauschwarz durch 
Ablagerung von Schwefeleisen, das durch Ein¬ 
wirkung von Schwefelwasserstoff auf das Eisen 
des ausgetretenen Blutes (Ecchymosen) sich 
bildet. Eine ähnliche schmutziggraue oder 
schwarzbraune Färbung tritt unter denselben 
Verhältnissen in brandig abgestorbenen, in 
fauliger Zersetzung befindlichen Körpertheilen 
ein, indem der sich dort bildende Schwefel¬ 
wasserstoff das Eisen des Blutes ausfällt. 

3. Beim Brand zerfallen die Gewebe 
zu Detritusmassen verschiedenen Charakters 
(s. Brand, Nekrose, Gangrän). 

4. Verkalkungen bestehen in Durchdrin- 


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DEGENERATIONEN. 


327 


gung und Infiltration der Gewebe mit Mole¬ 
külen, Körnchen und Krystallen von kohlen¬ 
saurem und phosphorsaurem Kalk und Mag¬ 
nesiasalzen und Natronsalzen. Unter physiolo¬ 
gischen Verhältnissen kommen Verkalkungen 
nur an Knochen vor. Pathologische Verkalkun¬ 
gen können in allen Organen und Geweben 
stattflnden und kommen besonders in höherem 
Alter an den Knorpeln, Gefässhäuten, Sehnen 
vor, seltener in verschiedenen Häuten, Mus¬ 
keln, Drüsen. Ferner sind Verkalkungen häufig 
in vielen Neubildungen, besonders Tuberkeln, 
Rotzknoten, in abgekapselten Eiterherden 
(Abscessen) und Thromben, in abgestorbenen 
Früchten, in der Bauchhöhle und im Uterus 
(Lithopädion), um eingekapselte oder abge¬ 
storbene Parasiten, Trichinen, Echinococcen. 
Die Folgen der Verkalkungen der Gewebe 
sind Verlust der Elasticität und Contracti- 
lität derselben (Knorpel, Arterien, Sehnen). 
Die Verkalkung von Neubildungen (Tuber¬ 
keln, Krebsen), Eiterherden und Thromben ist 
meist von Nutzen für den Gesammtorganis- 
mus, indem ein weiteres Wachsthum und eine 
metastatische Verbreitung dadurch verhindert 
wird. Die Ursachen der Verkalkungen sind: 
Anämien, mangelhafte Ernährung, träger Stoff¬ 
wechsel oder massenhaftes Auftreten von Kalk¬ 
salzen im Blut (Kalkmetastasen, Kalkinfarcte). 
Bei der Gicht findet eine Ablagerung harn¬ 
sauren Natrons in den Gelenkknorpeln, Harn- 
canälchen und Gefässhäuten statt. Die Ab¬ 
lagerungen von Kalk- und anderen Salzen 
geben ferner Anlass zu Concrement- und Stein- 
bildungen (s. Concremente und Steine). Die 
verkalkten Gewebe haben meist eine gelbliche 
oder weissliche Farbe und fühlen sich hart 
oder sandig an. Die Kalkkörnchen erscheinen 
unter dem Mikroskop als dunkle oder opake 
unregelmässige Schollen. 

5. Amyloiddegeneration, Speckentartung, 
Wachsentartung, hyaloide Degeneration, eine 
bei den Hausthieren selten vorkommende Ent¬ 
artung, besteht in Ablagerung besonderer albu- 
minöser Substanzen in rückgängiger Meta¬ 
morphose, sog. amyloider Substanzen in die 
Zellen und Gewebe. Die Gewebe und Organe 
werden dabei vergrössert, härter, praller oder 
teigig, blassgrau oder graubraun, auf der 
Schnittfläche trocken, glatt, speckartig glän¬ 
zend. Bei Zusatz von Jod und Schwefelsäure, 
Jod und Chlorzink, Jod und Chlorcalcium 
werden die entarteten Gewebe violett, bräun¬ 
lichgrün oder bläulich, durch verdünnte Jod- 
lösung, Jodtinctur oder Jodkaliumlösung roth- 
braun, durch Methylviolett roth gefärbt. In 
concentrirter Essigsäure quillt die Amyloid¬ 
substanz etwas auf, wird in concentrirten 
Alkalien aufgelöst, während Wasser, Alkohol 
und Aether ohne Einwirkung auf dieselbe 
sind. Nach einigen Autoren (Rindfleisch) 
kommt die amyloide Entartung durch Infil¬ 
tration mit amyloider Substanz zu Stande, 
nach anderen (Cohnheim) handelt es sich um 
eine Entartung der Gewebsalbuminate in 
rückgängiger Metamorphose zu amyloider 
Substanz, einer Mittelstufe zwischen Albumin 
und Fett. Die Corpuscula amylacea und das 


Myelin des Gehirns stehen in keiner Bezie¬ 
hung zur Amyloidentartung. Am häufigsten 
kommt die Amyloiddegeneration an den Ge- 
fässen und Drüsenzellen der Leber, Milz und 
Nieren bei Pferden als Folge chronischer 
Leiden, wie Rotz, Krebs, Knochencaries etc. 
vor. Die Folgen der Amyloidentartung sind: 
Anämie, Hyarämie, Abmagerung, Kachexie, 
Marasmus, Hydrops und der Tod. 

6. Schleimmetamorphose kommt vor in 
Zellen und Intercellularsubstanzen. Besonders 
häufig findet Schleimbildung statt in den 
Epithelzellen der Schleimhäute bei Reiz¬ 
zuständen und Katarrhen. Bei der Schleim¬ 
degeneration oder schleimigen Erweichung 
der nichtzelligen Elemente und Grundsub¬ 
stanzen findet eine Umwandlung des Colla- 
gens und Chondrogens in Mucin statt, ein 
Derivat der Albuminate, das sich von letz¬ 
teren durch geringeren Kohlenstoff- und 
Stickstoffgehalt und Mangel an Schwefel unter¬ 
scheidet. Besonders häufig kommt die Schleim¬ 
entartung an Knorpeln und verschiedenen Neu¬ 
bildungen vor, von denen einige ganz den 
Charakter des Schleimgewebes besitzen (siehe 
Myxome). Durch Zusatz von Essigsäure zu 
Schleimgewebe bilden sich fadenförmige Ge¬ 
rinnsel. 

7. Colloidmetamorphose betrifft vorzugs¬ 
weise zellige Elemente, deren Inhalt in eine 
homogene, farblose, leimähnliche Substanz, 
das Colloid, umgewandelt, wird, die sich vom 
Eiweiss durch Unlöslichkeit in Essigsäure, 
vom Schleim durch Mangel an Gerinnung in 
•Essigsäure und von der amyloiden Substanz 

durch Nichteintreten der Jodschwefelsäure¬ 
färbung unterscheidet (s. Colloidentartung. 
Colloidkrebs). 

8. Seröse Infiltration besteht in Anfül¬ 
lung der Zellen und Grundsubstanzer. mit 
einer serösen oder serös-schleimigen Flüssig¬ 
keit, wodurch eine beträchtliche Schwellung 
und Vergrösserung der Zellen und schliess¬ 
lich Berstung und Untergang derselben er¬ 
folgen kann. Diese Metamorphose kommt vor 
an den Endothelien der serösen Häute und 
Lymphgefasse, an den Epithelien der Lungen¬ 
alveolen bei Entzündungen und Oedemen. 

9. Croupöse Metamorphose besteht in 
Umwandlung des Zelleninhalts .in käsige, 
feste, geronnenem Faserstoff ähnliche Massen; 
kommt vor bei der croupösen und diphtheri- 
tischen Entzündung der Schleimhäute und 
Lungen. 

10. Combinations-Metaraorphosen. a) Kä¬ 
sige Entartung ist eine Atrophie mit Zerfall 
der Gewebe 1 in molekulären Detritus, in denen 
die Ernährung und der Stoffwechsel mangel¬ 
haft oder ganz aufgehoben ist. Die Entartung 
kann in allen Geweben und Neubildungen 
Vorkommen, besonders in zollenreichen Ge¬ 
bilden, in Tuberkeln und Eiterherden. Die 
Gewebe erlangen dabei eine gelbliche oder 
weisse Farbe, werden trocken, bröckelig, käse- 
ähnlich. Wegen ihres besonders häufigen Vor¬ 
kommens in Tuberkeln hat man die käsige 
Entartung auch tuberculöse Entartung ge¬ 
nannt. Die käsig entarteten Massen bestehen 



328 DEGLUTIONSGERAUSCHE. — DELOMORPH. 


aus Eiweiss und Fettmolekülen, Resten von 
Zellen und Kernen und in späteren Stadien 
auch aus Kalkpartikelchen. — b) Atheroma- 
töse Entartung ist eine Combination von Fett-, 
Kalk- und käsiger Entartung. Die atheroma- 
tösen Massen bestehen aus Fett und Chole- 
sterinkrystallen, Eiweisspartikelchen und Kalk¬ 
körnchen und bilden einen gelblichen, bröcke¬ 
ligen, grützeartigen, zuweilen glimmerartig 
glänzenden Brei. Die ergriffenen Gewebe gehen 
durch die atheromatöse Entartung zu Grunde. 
Am häufigsten kommt die Entartung vor in 
den Wandungen der Arterien, in einigen Neu¬ 
bildungen (Tuberkeln, Krebsen, Dermoid¬ 
cysten u. a.). 

In einigen Geschwülsten findet man zu¬ 
weilen fast alle Arten der Degenerationen 
neben einander vor. 

11. Erweichung der Knochen (s. Osteo- 
malacie). Semmer. 

Deglutionsgeräusche, Schlund- o. Schluck¬ 
geräusche. Das Auf- und Absteigen der . Bissen 
ist an der Schlundrinne des Halses bei den 
Thieren gut vernehmbar, ebenso auch das 
Verschlucken von Getränk; die diesbezüg¬ 
lichen Geräusche machen den Eindruck des 
feuchten Knisterns, gehen aber mit staunens- 
werther Geschwindigkeit an dem Ohre vorüber; 
am deutlichsten wahrnehmbar sind sie wäh¬ 
rend des Wiederkauens, praktisch verwerthbar 
jedoch nur, wenn es sich um Eruirung von 
Schlundstenosen, fremden Körpern im Oesopha¬ 
gus, Drüsengeschwülste im Mittelfell handelt. Es 
ist dabei immer die Schlundsonde einzuführen, 
deren Vordringen von aussen mittelst dei 
Ohres ebenfalls verfolgt werden kann. Die 
Deglutionsgeräusche sind bei einiger Uebung 
auch auf der Brustwand hörbar, können aber 
über die Beschaffenheit des Lungengewebes 
bei Krankheiten keinen weiteren Aufschluss 
geben. Vogel. 

Dehiscentia (subst. zu dehiscere, auf¬ 
platzen), das Bersten eines flüssigkeithaltenden 
Hohlraumes. Für den Vorgang der Follikel¬ 
entleerung im Ovarium. Sussdorf. 

Dejean S. gab 1856 zu Bordeaux heraus: 
„Traitd thdoretique et pratique de l’action 
rödhibitoire dans le commerce des animaux“. Sr. 

Dekker J. A. (1812—1859) studirte Ve- 
terinärmedicin zu Utrecht, war Thierarzt am 
zoologischen Garten in Amsterdam und ver¬ 
öffentlichte mehrere Wahrnehmungen an kranken 
Thieren des zoologischen Gartens im Reper¬ 
torium von Rienderhoff und Hekmeijer. Im 
Jahre 1853 gab er eine Pathologie und Ge¬ 
burtshilfe heraus. Semmer. 

Delacroix gab 1853 zu Limoges ein Buch 
über Hufbeschlag heraus. Semmer . 

Delafond H. M. 0., 1805—1861, Professor 
und Director der Veterinärschule zu Alfort, 
gab 1838 heraus: „Traitö sur la police sanitaire 
des animaux domestiques u , 1841 gemeinsam 
mit Lassaigne „Traitö de mattere medicale“, 
schrieb ausserdem über Seuchen, Schafpocken¬ 
impfung, Geflügelseuche, Hydrämie, Räude. 
In Gemeinschaft mit Andral und Gavarret 
veröffentlichte er eine Arbeit über das Blut. Sr. 


Delaguette V., französischer Oberthierarzt 
und Ritter der Ehrenlegion, war Mitheraus¬ 
geber des „Journal de Mödecine vdtdrinaire 
theoretiques et pratiques“ und übersetzte im 
Jahre 1823 Fachwerke. Im Jahre 1811 machte er 
dem Kriegsminister Mittheilungen über Heil¬ 
versuche des RotZfes. Im Jahre 1844 war er 
Mitbegründer der thierärztlichen Gesellschaft 
der Seine. Koch. 

deleter, gewöhnlich, aber wohl unrichtig 
deletär geschrieben (das griech. irXYjTtjpcoc, 
von OTjXstv) zerstörend, schädlich, töatlich. Sf. 

Delirien (delirare =Xnpstv, irrereden) sind 
irre, verkehrte Reden in schweren, fieberhaften 
Krankheiten mit Depressionen derintellectuellen 
Gehirnthätigkeit, wie sie bei Gehirn- und Hirn¬ 
hautentzündung, starker Blutüberfüllung des 
Gehirns im Verlaufe gastrischer und nervöser 
Fieber, bei Infectionskrankheiten, Typhus, 
Vergiftungen mit narkotischen und spirituösen 
Substanzen Vorkommen. Obschon man in den 
Krankheiten der Thiere selbstverständlich nicht 
von einem Irrereden sprechen kann, so ge¬ 
braucht man trotzdem den Ausdruck „Delirien“ 
oder „delirienhaftes Benehmen“ in einzelnen 
Krankheiten, in denen die Thiere Störungen 
ihres Bewusstseins und normalen Erkenntniss- 
vermögens deutlich ausprägen, indem sie bei 
halbgeschlossenen Augen unruhig den Kopf 
hin- und herwerfen, damit um sich schlagen, 
sich von einer Seite auf die andere wälzen, 
ohne sich ihrer bewusst zu sein, oder wenn 
sie im Stalle umhertoben, in die Krippe stei¬ 
gen, den Kopf an die Wand drängen, wenn 
Hunde unstät umher irren und Handlungen 
ausführen, welche Sinnestäuschungen verrathen, 
z. B. in die Luft nach Gegenständen schnap¬ 
pen und beissen, die gar nicht vorhanden 
sind. Wir erinnern in dieser Beziehung an den 
Koller der Pferde, an Meningitis, an Milz¬ 
brand, Kalbfieber und Hundswuth. Anacker . 

Delit680entia (abgel. von de, weg, und 
latescere, verborgen sein), das plötzliche Ver¬ 
schwinden z. B. einer Krankheit, Geschwulst; 
auch wohl gleich Latenz, Verborgensein, z. B. 
in latentes Stadium bei ansteckenden und 
Erkältungskrankheiten zur Bezeichnung des 
Stadium incubationis. Sussdorf. 

Delius, deutscher Arzt, Professor der 
Medicin in Erlangen und Schriftsteller über 
Hippo-Physiologie; im XVIII. Jahrhundert. Abr. 

Delle. Centrale Vertiefung an der Ober¬ 
fläche einer Pocke oder sonstigen Pustel, wenn 
eine solche um ein Haar oder eine Talgdrüse 
sich entwickelt. Die Vertiefung wird bedingt 
durch das feste Anhaften der Epidermis am 
Haarbalg oder der Drüsenöffnung, weswegen 
die sich im Rete Malpighi ansammelnde Lymphe 
die Epidermis um das Haar herum nicht so 
hoch abheben kann als an der Peripherie, 
wo kein solches Hinderniss vorhanden ist. Sr, 

Delomorph (abgel. von SijXos, deutlich, 
und rj pop'fyj, Form, Gestalt), mit be¬ 
stimmter Form ausgestattet. So nennt z. B. 
Rollett die Belegzellen der Fundusdrüsen im 
Gegensatz zu den adelomorpben oder Haupt¬ 
zellen als undeutlich abgegrenzteProtoplasma- 
agglomerate (s. Magen). Sussdorf. 


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DELPHIN. — DEMODICIDEN. 


329 


Delphin, Delphinus. Säugethiere aus der 
Ordnung der Natantia oder Cetacea, Fisch- 
säugethiere, Unterordnung der Cetacea Car¬ 
nivora, Familie der Delphinidae. Die Del¬ 
phine haben einen relativ kleinen Kopf mit 
langen, am Ende xugespitzten Kiefern, deren 
Ränder mit zahlreichen, spitz kegelförmigen 
Zähnen besetzt sind. Die Stirne, welche ge¬ 
wölbt ist, setzt sich scharf von der spitzen 
Scbnanze ab. Der nackte, spindelförmige 
Körper endet mit einer grossen, horizontalen 
Schwanzflosse und trägt eine deutliche Rücken¬ 
flosse. Die Delphine leben in. allen Meeren, 
ihre Nahrung besteht in Fischen und Cepha- 
lopoden. Man kennt zahlreiche Arten, worunter 
die bekannteste der gemeine Delphin, Del¬ 
phinus delphis, ist. Derselbe erreicht eine 
Länge von durchschnittlich zwei Metern, ist 
oben schwarz, auf der Unterseite weiss. Seine 
Kiefer tragen jederseits 45 —50 kleine, kegel¬ 
förmige Zähne. Meist in grösseren Schaaren 
auftretend in den Meeren der nördlichen 
Erdhälfte, namentlich auch im Mittelmeer. St. 

Delphinlum Staphlsagria, scharfer Ritter¬ 
sporn des südlichen Europas (Ranunculacee, 
L. XIII.), deren Samen die Läusekörner, 

Semina Staphidis agriae (Stephans¬ 
körner), sind, und deren Pulver auch bei 
Thieren noch gegen Läuse zwischen die Haare 

f estreut wird. Wirksam ist das scharfe, dem 
eratrin des Läusesamens (Fructus Sabadillae) 
analoge, aber weniger zuverlässige Delphinin 
(8. Veratrum album). Vogel. 

Delprato P., Director der Thierarznei¬ 
schule zu Parma, schrieb 1855 über Kuh- 
ocken und Schutzmauke und 1858 über In- 
uenza der Pferde unter dem Namen Typho- 
hömie. Semmer . 

Delwart L. V. studirte Veterinärmedicin 
in Alfort, wurde 1832 Professor an der Vete¬ 
rinärschule zu Brüssel. 1837 erschien von ihm 
zu Brüssel: „Pathologie spöciale ou descrip- 
tive des principaux animaux domestiques“. Er 
schrieb ferner über Hufkrebs, Zwanghuf, 
Dampf, Lähmung der Blase und Harnröhre, 
Hemiplegie, Milzbrand, Bruchoperationen, Tre¬ 
panation, Gebrauch des Arseniks etc. Sr. 

Delysader war seinerzeit Beschäler in dem 
nstpreussischen Hauptgestütc zu Trakehnen. 
Derselbe gehörte der orientalisch-arabischen 
Vollblutrasse an und gelangte in den Jahren 
1818—1820 mit sieben anderen Hengsten der¬ 
selben Rasse in das Gestüt. — Nach Frentzel’s 
Mittheilungen haben diese Orientalen ver* 
hältnissmässig wenig werthvolle Nachkommen 
geliefert und standen sogar dem englischen 
Halbblute bedeutend nach. Von ihren Nach¬ 
kommen waren im Ganzen nur 83 Stuten zum 
Einrangiren geeignet; die übrigen Exemplare 
der Nachzucht mussten zu verhältnissinässig 
niedrigen Preisen verkauft werden. Frey tag. 

Demarcationslinie v. franz. demarcation, 
Abgrenzung, in der Chirurgie gebräuchliche 
Benennung für die räumliche Begrenzung des 
entzündeten Gewebes von dem dasselbe umge¬ 
benden gesunden Gewebe (s. Entzündung). Kh. 

Dematlum pullulans nennt de Bary einen 
an die Sphaeriaceen sich anschliessenden Pilz 


mit braunen Zellwänden. Derselbe ist ein 
sehr häufiger Bewohner zuckerhaltiger Frucht¬ 
säfte etc.; er treibt hier lange, farblose, 
septirte, oft verzweigte Mycelfäden, aus 
welchen nun zahllose farblose, kugelige, ovale 
bis eiförmige Zellchen hervorsprossen. Diese 
trennen sich vom Mycel ab und vermehren 
sich nun durch Sprossung genau wie Hefe¬ 
zellen. In ihrer Gestalt sind sie oft von 
echter Hefe nicht zu unterscheiden. Alko¬ 
holische Gährung bewirken sie nicht. Diese 
Zellen können wieder zu Mycelfäden aus¬ 
wach sen, welche einem Mycel von Penicillium 
täuschend ähnlich sehen. Harz. 

Dementia (von de, weg, und mens, f. Sinn, 
Verstand), Sinnlosigkeit, Tobsucht für den 
erethischen Koller (s. Amentia). Sussdorf. 

Demetrius Constantinopolitanus oder D. 
Papagomenus, Leibarzt des griechischen Kaisers 
Michael Palaeologus (im XUI. Jahrhundert), 
gab ein Werk über Jagdfalken und deren 
Krankheiten heraus unter dem Titel: „Hieras- 
cosophion“. Semmer. 

Demodiclden, Balgmilben. Dieser Gat¬ 
tungsname der Acarier wurde von P. Gervais 
für einen sehr interessanten Parasiten gewählt, 
welcher die Talg- oder Haarfollikel des Men¬ 
schen und verschiedener Thiere bewohnt. Bei 
den Untersuchungen, welche Simon in Berlin 
1842 anstellte, um sich über die Natur der 
Hautkrankheit des Menschen, welche unteT 
dem Namen Acne sebacea bekannt ist, 
Rechenschaft zu geben, machte er die Ent¬ 
deckung des hier in Rede stehenden Para¬ 
siten; er fand denselben vermischt mit den 
talgartigen Absonderungen der Drüsen, welche 
sich in die Follikel der Gesichtshaare öffnen. 
Nachdem er denselben bei Cadavem gefunden, 
fand er ihn bei weiteren Forschungen auch 
bei lebenden Wesen, welche von der Acne 
befallen waren. Fast zu derselben Zeit wie 
Simon entdeckte auch Professor Henle in 
Zürich den Acarus der Haarfollikel, und bald 
darauf verlegten sich zahlreiche Gelehrte in 
England sowohl wie in Deutschland auf die 
Suche und das Studium desselben. Owen schlug 
vor, den Parasiten Demodex folliculorum zu 
benennen, und diesen Namen hat er auch, 
ungeachtet der Versuche vieler Autoren, ihm 
einen anderen zu geben, beibehalten. In dem 
Jahre, welches der Entdeckung des Demodex 
folliculorum folgte, signalisirte Topping die 
Gegenwart eines ähnlichen Parasiten bei dem 
Hunde, welchen Tulk dann auch beschrieh. 
Simon in Berlin fand ferner auch einen Demo¬ 
dex in den Meibom’schen Drüsen des Schafes. 
In letzter Zeit wurde ein ähnlicher in Amerika 
in der Haut von Rindern aufgefunden; wir 
endlich entdeckten eine kleine Abart dieses 
Demodex in dem Ohre der Katze. Die Autoren, 
welche bisher den Demodex beschrieben oder 
abgebildet haben, begingen zahlreiche Irr- 
thümer in anatomischer Hinsicht, besonders 
in Betreff des Rüssels; auch seine Verwand¬ 
lungen wurden völlig ignorirt, und wir sind 
die Ersten, welche dieselben beschrieben und 
abgebildet, die beiden Geschlechter unter¬ 
schieden, das Ei oder die fusslose Larve, 



330 


DEMO URSACHE MEMBRAN. — DENDRON. 


welche das Weibchen zur Welt bringt, nach- 
ewiesen haben. Im Nachfolgenden mögen 
ie Eigentümlichkeiten des Genus Demodex, 
welche auch gleichzeitig jene der ganzenFamilie 
der Demodiciden sind, beschrieben werden. 

Genus Demodex, Owen. Wurmförmiger 
Acarus mit sich vom Unterleib deutlich unter¬ 
scheidendem Thorax, ohne Haare oder irgend¬ 
welche Spicula. Der Thorax ist cylindrisch, 
steif, mehr zähe, die Rückenseite halb cylin- 
drisch gepanzert, nach vornehin abgeflacht, 
Unterleib weich, kegelförmig, verlängert, der 
Breite nach fein gestreift, das untere Ende 
abgerundet, nach der Häutung stark zurück¬ 
gezogen. Der Rüssel ist oben von einer 
Verlängerung des Epistome bedeckt und 
besteht: 1. aus einem Paar Maxillen, welche 
an ihrer Basis Zusammenhängen, am Ende in 
auseinandergehende Spitzen auslaufen; 2. aus 
einem Paar Maxillarpalpen mit vier Articu- 
lationen, von denen blos die drei letzten frei und 
kurz sind, die letzte mit scharfen Spitzen und 
einem starken eingebogenen Haken bewaffnet 
ist; 3. aus einem schmalen Zünglein, das 
zurückziehbar ist und über den oberen Theil 
der Kauwerkzeuge gleitet; endlich 4. aus 
einem Paar Mandibeln mit etwas divergenten 
Spitzen, die an ihrem inneren Rand Zusammen¬ 
hängen und unbeweglich sind. Das Männchen 
hat das Geschlechtsorgan vor dem Anus an 
der Grenze, welche den Abdomen vom Thorax 
trennt; die Vulva des Weibchens vereinigt 
sich mit dem Anus. Das Weibchen legt eine 
Larve oder ein weiches, fussloses Ei, das die 
Form eines Orangenkernes hat und Bewegungen 
der Contractibilität zeigt. Dieser Larve folgt 
eine etwas grössere Puppe, welche ebenfalls 
völlig weich ist, aber bereits unter der zum 
Thorax gehörigen Abtheilung drei Paar spitzige 
Papillen besitzt, deren sie sich zum Fort¬ 
bewegen bedient. Dieser Puppe folgen dann 
grössere Individuen, welche schon vier Paar 
noch papilliforme Glieder haben, und nach 
diesen kommen dann die vollkommen aus¬ 
gewachsenen und mit Geschlechtsorganen aus¬ 
gerüsteten Individuen. 

Der Genus Demodex umfasst fünf 
Arten oder Varietäten, von denen für den 
Veterinär die wichtigste jene des Hundes ist, 
welche wir auch hier zuerst anführen. 

Demodex folliculorum Owen, Var. 
caninus. Das ausgewachsene oder ei tragende 
Weibchen ist 0*25—0*30 mm lang. Von dieser 
Länge nimmt der Thorax und der Rüssel bei¬ 
läufig die Hälfte ein. Das Männchen hat eine 
Gesaramtlänge von 0 22—0*25 mm. Die Breite 
des Thorax beträgt bei beiden 0*045 mm. Diese 
Varietät der Demodex verursacht die Acarus- 
räude (s. d.) beim Hunde, welche, wenn sie 
einmal ausgebreitet ist. ungemein hartnäckig 
und sehr schwer zu heilen ist. 

Der Demodex folliculorum des Men¬ 
schen hat einen kürzeren und schmäleren Thorax 
als jener beim Hunde, aber der Abdomen ist 
länger. Diese Varietät ist weit weniger ge¬ 
fährlich als die vorher angeführte. 

Der Demodex folliculorum, welchen 
wir in dem Ohre einer Katze gefunden, gleicht 


jenem des Hundes, ist jedoch um ein Viertel 
in allen Dimensionen kleiner. Er scheint nicht 
sehr gefährlich zu sein und lebt in Gemein-' 
samkeit mit zahlreichen Chorioptes ecaudatus. 

Jene Arten, welche auf dem Schafe, oder 
jene, welche bei Rindern leben sollen, sind 
uns bisher nicht zu Gesicht gekommen. 

Literatur : Simon: Archiv f. Anat. und Physiol. 
von Müller 1842. — Owen: Ann. and Magaz. of natural 
history. London 1843. — Erasmus Wilson: Researches 
into structure and development of a new cutaneous para- 
site, in den Transactions of the Royal Society of Lon¬ 
don 1844. —E r ot: Ueber Acarus folliculorum caninus in\ 
Bull. Aead. München 1853. — Tulk: Demodex folliculorum 
caninus in den Ann. of nat. hist. 1844. — Megnin: 
Memoire sur le Demodex folliculorum Owen im Journal 
de l’Anatomie du Prof. Ch. Robin. Paria 1877. Mcgnin. 

Demours’sche Membran (Membrana 
Descemetii, Lamina elastica posterior), s. „Horn¬ 
haut“. 

Demulcentia. Unter den mechanisch wir¬ 
kenden Arzneimitteln wirkt eine grössere An¬ 
zahl einfach durch Imbibition, indem sie z. B, 
auf der Haut in die Epidermis eindringen und 
eine Volums Vermehrung und Lockerung ver¬ 
anlassen. Diese Gewebserweichung kann nicht 
allein an der gesunden Haut stattfinden, welche 
Wasser und selbst Fett aufnimmt, sondern an 
allen zugängigen Körpertheilen, und es kann 
damit, wo excessive und schmerzhafte Span¬ 
nung oder Verhärtung besteht, die normale 
Consistenz wieder hergestellt, die Spannung 
und Verdichtung gemildert, erweicht, demulcirt 
werden, die Demulcentien fallen daher mit den 
Eraollientien, den reizmildernden und decken¬ 
den Arzneimitteln zusammen. Viele derselben 
kommen nur als Träger des Wassers in Be¬ 
tracht, und indem sie in erwärmtem Zustande 
in Anwendung kommen, als Vehikel der 
feuchten Wärme: die Action ist daher 
mehr eine passive als active, und werden sio 
hauptsächlich bei Entzündungen der Haut, 
Excoriationen, Ulcerationen, Katarrhen u. s. w. 
gebraucht. Zu den Demulcentien gehören 
sämmtliche Schleime (Mucilaginosa), Oele, 
Fette, Vaseline, Glycerin u. s. w., ebenso auch 
die deckenden Mittel. Mit der Auflockerung 
ist immer auch eine Erschlaffung und Erwei¬ 
terung der Gelasse verbunden, und gehören 
hieher auch die Kataplasmen, warmen Fuss^ 
bäder (bei trockenem, sprödem Horn) und 
Dunstbäder (s. d.). Vogel, 

Demusset V. D., französischer Veterinär, 
Verfasser eines Verzeichnisses der in Frank¬ 
reich erschienenen veterinärärztlichen Schriften 
(bis 1810) mit bibliographischen Notizen, 
welches Exposö an der Alforter Bibliothek 
aufbewahrt ist. Koch. 

Dendriten sind eigentümliche, an Moos¬ 
vegetation erinnernde Zeichnungen, welche 
man ausser an verschiedenen Mineralien auch 
in der Masse und auf der Oberfläche fossiler 
Knochen beobachtet. Sie gelten als Zeichen 
eines hohen Alters der Knochen (s. fossile 
Knochen). Koudelka. 

Dendron, xi osvopov, Baum, in Ablei¬ 
tungen, wie: 

dendritisch für baumartig sich ver¬ 
zweigende Gebilde, wie Drüsengänge, zottige 
Auflagerungen etc. Sussdorf. 



DENNY. — DEPECORATION. 



Denny J., Pferdearzt, gab in England 
1802 ein Buch über Pferdekrankheiten: „A 
Treatise on the diseases of Horses u heraus. Sr. 

Densimeter, s. Araeometer. 

Dentalplatte, s. Gaumen (harter) der Rinder. 

Dentes, Zähne. Bau der Säugethierzähne. 
Der Hauptsache nach besteht das Gerüst der 
Zähne aus drei histiologisch unterscheidbaren 
Substanzen. Die bindegewebige Grundlage 
des Zahns (die Papille) wandelt sich durch 
einen Ossificationsprocess in eine harte, gelb- 
lichweissedem Knochengewebe ähnliche Masse 
um, welche den Namen Dentin (Zahnbein, 
Elfenbein, subst. eburnea, Ebur) führt, das 
Epithel, welches ursprünglich die Zahnpapille 
überdeckt, restirt entweder in Form eines 
widerstandsfähigen, aber sehr dünnen mem- 
branösen Ueberzugs, Schmelzoberhäutchen, 
Cuticula auf dem Dentinmantel, oder nur ein 
Theil des Epithels wird zum sog. Schmelz¬ 
oberhäutchen, der andere gestaltet sich zu 
einem das Dentin überdeckenden, aus ver¬ 
steinerten Prismen bestehenden Ueberzuge, 
den man Schmelz 
(Subst. vitrea, ada- 
mantina, adamas, 

Email) nennt; und 
endlich der dritte 
Bestandtheil der 
knochenartigen 
Zahnkapsel ist das 
vorzugsweise an den 
Wurzeln vorkom- 
mendeCement(s.d.) 

Von diesen Hartge¬ 
bilden eingeschlos¬ 
sen, resp. in der 
von ihnen herge¬ 
stellten centralen 
Höhle lagert die 
Matrix des Zahn¬ 
beins, das Weich¬ 
gebilde des Zahnes, 
die sog. Zahnpulpa 
(Fig. 424). Letz¬ 
tere ist der cen¬ 
trale, nicht ver¬ 
kalkte Ueberbleib- 
sel der ursprüngli 
chen Zahnpapille, 
des Zahnbeinkeims, 
das Ernährungs- 
Zahnes. Die Pulpa 


Fig. 424. Schematischer Durch¬ 
schnitt eines Fleischfresser¬ 
zahnes (Praem.). a Pulpa, bei 
b Odontoblasten, c Dentin, 
d Schmelz, e Cement. 

und Gefühlsorgan des 
besteht aus einem sehr 
succulenten, von Nerven und zahlreichen Ge- 
fässen durchsetzten Bindegewebe, die peri- 
pherste Partie der Pulpa trägt in dichter 
Anordnung zusammengereihte eigentümliche 
Zellen, die sog. Odontoblasten; diese haben 
rundlichen Körper mit rundlichem Kern und 
von dem Zelleibe gehen nach drei Dimen¬ 
sionen hin mehr oder weniger lange Fort¬ 
sätze aus, welche eine Verkettung der Zellen 
unter sich, mit dem Pulpagewebe und mit 
dem Dentin bezwecken. Die Zellen hängen 
unter sich durch die sog. seitlichen Fort¬ 
sätze, mit der Pulpa durch die sog. Pulpa¬ 
fortsätze und mit dem Zahnbein durch die 
Dentinfortsätze zusammen. Letztere stehen 


33 t 

distal radiär von der Pulpa, sind sehr lang r 
und von einer Zelle gehen oft mehrere solcher 
Fasern in das Dentin: diese Odontoblasten- 
fortsätze oder Ausläufer der Odontoblasten 
(Elfenbeinzellen), werden auch Zahnfasem 
genannt und repräscntiren eine Art Saft¬ 
fasern (ähnlich den Fortsätzen der Knochen- 
zellen in den sog. Kalkcanälchen), sie er¬ 
scheinen als zarte, vielverästelte Fäden und 
verleihen dem Zahnbein, in das sie aus¬ 
strahlen, auf Schnitten oder Schliffen ein 
streifiges Aussehen. Die erhärtete Grundsub¬ 
stanz des Dentins bildet nämlich um diese 
Zellenausläufer durch etwas dichteres Gefüge 
eine canalartige Umscheidung, die Zahnbein- 
canälchen, die entsprechend den Zellenaus- 
läufern an der Pulpagrenze beginnen und 
radiär unter vielfachen anastomotischen Ver¬ 
bindungen abgehen. An trockenen Schliffen 
sind sie, weil mit Luft gefüllt, als dunkle, 
dicht neben einander liegende Streifen gut zu 
erkennen. Nach M. Schlenker sollen die Zahn- 
beinrührchen nicht die Abgussform von einem 
oder mehreren Zellfortsätzen sein, sondern 
statt der Zellfaser eine Summe aneinander- 
gereihter Zellen (Dentinzellen) als Scheide 
umschliessen, welche Zellen dann die Säfte- 
circulation zur Oberfläche und dann auch die 
Rolle von Nervenendigungen vertreten. Der 
Schmelz, die härteste Substanz, welche wir 
am Vertebratenorganismus kennen, bildet 
als bläulichweisse Masse einen kappenartigen 
Ueberzug über die Zahnkrone, der aus ver¬ 
steinerten Cylinderepithelien aufgebaut ist; 
nur an embryonalen Zähnen ist die Zellen¬ 
natur des Schmelzes noch zu erkennen. Am 
entwickelten Zahn sieht man statt der Schmelz¬ 
zellen, wenn ein Zahndurchschnitt den Schmelz 
der Länge nach trifft, lange, cylindrisch, pris¬ 
matische, solide Gebilde, die sog. Schmelz¬ 
fasern oder Schmelzprismen; auf dem Quer¬ 
schnitte sehen sie in ihrer dichten Gruppirung 
einer Honigwabe nicht unähnlich, im schrägen 
Durchschnitt gleichen sie einem Ziegeldach. 
Es sind eben äusserst dicht stehende, total 
verkalkte lange Cylinderzellen, welche ihrer 
Genese nach der Schleiraschicht des Maul¬ 
höhlenepithels entsprechen, während das den 
Schmelz deckende Häutchen (Schmelzober¬ 
häutchen) als zur Cuticula umgebildetes 
Hornstratum des Mundhöhlenepithels gedeutet 
zu werden verdient. Ueber das Cement s. d. 
ebenso „Zähne“. Kitt. 

Dentin, s. Dentes. 

Dep., Abkürzung auf Recepten, soviel als 
depuratum, gereinigt, (zum Unterschied vom 
rohen und chemisch reinen Präparat, welch letz¬ 
teres als „purum“ (chemice purum) bezeich¬ 
net wird. Vogel. 

Depecoration. In den meisten Staaten 
Europas wurde in den letzten Jahrzehnten 
nachgewiesen, dass die Anzahl der einheimi¬ 
schen Schlachtthiere sich eher vermindert 
als zugenommen hat; höchstens kann man 
eine stationär gebliebene Production zugeben. 
Ferner hat man beobachtet, dass der für den 
Consum nothwendige Ueberschuss durch Ira- 
portation gedeckt werden musste, welche letz* 







332 DEPECORATION. 


tere bei der stetigen Vermehrung des Fleisch- 
consums sowie der unzureichenden Viehpro- 
duction von Jahr zu Jahr an Bedeutung 
gewann. 

Prof. Lambl in Prag, der sich viel und 
eingehend mit dieser ökonomischen Erschei¬ 
nung beschäftigte, gab ihr den Namen „De¬ 
pecoration“. Denn so wie man die Abnahme 
der Bevölkerung einer Gegend Depopulation 
nennt, so nennt er die Abnahme der Pro - 
ducte der Viehzucht Depecoration. 

Diese Depecoration kann sowohl eine 
absolute als eine relative sein: absolut, wenn 
die Thierprodnction eines Landes von Jahr 
zu Jahr geringer wird, wenn die Thierzucht 
desselben sich von Jahr zu Jahr vermindert. 
Dr. v. Neumann-Spallart nimmt selbst an, 
dass in der Ausbreitung des städtischen und 
industriellen Elements der letzten Jahre un¬ 
leugbar ein immer fortwirkender Anlass zur 
Einschränkung der Viehzucht in dichtbevöl¬ 
kerten Staaten liegt. Relativ ist die Depeco¬ 
ration, wenn, trotzdem dass Fortschritte in 
der Aufzucht, wie auch eine Vermehrung der 
schlachtbaren Thiere stattfinden, dennoch 
diese Vermehrung nicht Schritt hält mit der 
Zunahme der menschlichen Bevölkerung und 
dem vermehrten Bedürfniss an Hausthieren. 
Oft finden sich beide Arten der Depecoration 
gleichzeitig vor, indem sie für eine Art ab¬ 
solut, für die andere relativ ist. 

Es lässt sich nicht bestreiten, dass in 
letzter Zeit fast überall mehr Sorgfalt auf die 
Züchtung der Hausthiere verwendet wurde. 
Nur um von dem Boden einen grösseren Er¬ 
trag zu erhalten, um intensive Cultur zu be¬ 
treiben, um mehr Dünger zu produciren, wur¬ 
den bereits mehr Thiere gehalten. Viel¬ 
fältige Anspornung diente dazu, eine ver¬ 
mehrte Thierproduction und Besserung der 
Nutzthiere zu bewirken. Die beste Aufmun¬ 
terung war jedoch die grosse Steigerung im 
Werthe aller thierischen Producte, besonders 
des Fleisches. 

Alle diese Anregungen reichten jedoch 
nicht aus; cs konnte das Angebot der Nach¬ 
frage nicht Folge leisten; sie sind an den 
Schwierigkeiten gescheitert, welche die Ver¬ 
mehrung der Futterculturen mit sich bringt. 
Trotz der künstlichen und chemischen Dün¬ 
gung hat die Futterproduction immer ihre 
bestimmten Grenzen, und selbst angenommen, 
der Boden könne aus sich selbst die zu einem 
nahrhaften und guten Futter nothwendigen 
Elemente liefern, dass ihm genau alle orga¬ 
nischen und anorganischen Elemente, die ihm 
entzogen wurden, zurückgegeben würden, so 
würde man schliesslich doch wieder an einem 
Mangel, an genügender Flächenausdehnung, 
ein Hinderniss finden. 

Es sei jedoch hiemit nicht gesagt, dass 
bisher Alles gethan worden ist, um die 
grösstmögliche Anzahl von Nutzthieren zu 
produciren; eine solche Behauptung wäre für 
viele Länder Europas nicht am Platze, und 
es bleibt in diesem Specialfache noch sehr 
viel zu thun. Es soll jedoch damit ausge¬ 
drückt werden, dass die relative Depecoration 


ganz unvermeidlich ist; man wird gut reich¬ 
lich Vieh aufziehen können, immer wird der 
Zeitpunkt kommen, in welchem diese Auf¬ 
zucht nicht mehr ausgedehnt werden kann, 
in welchem dieselbe unzureichend werden wird. 
Das beste Productionsland wird von der Im- 
portation Abhilfe verlangen müssen, und es muss 
durch die umfassendsten Einrichtungen des 
internationalen Fleischhandels, namentlich mit 
Rücksicht auf die reichen transoceanischen 
Gebiete abgeholfen werden; es kann jetzt nicht 
mehr gesagt werden, dass ein grosses Land 
nicht von den fremden Ländern abhängen 
darf, wenn es sich um seine Alimentation 
handelt; es muss im Gegentheil ein Umtausch 
in den Ernährungsstoffen stattfinden, weil die 
einzelnen Länder sich nicht für sich und aus 
sich allein erhalten können: es müssen unter 
den verschiedenen Völkerschaften Verkehrs¬ 
mittel vorhanden sein, wie sie die Gesell¬ 
schaft zwischen den einzelnen Menschen ge¬ 
schaffen hat. 

Zweck dieses Artikels ist eine Feststel¬ 
lung des jetzigen Zustandes der Depecoration 
in den verschiedenen europäischen Ländern 
und der geeigneten Mittel, ihre Wirkungen zu 
bekämpfen oder unwirksam zu machen. 

In einzelnen Ländern waren die Fort¬ 
schritte in der Aufzucht der Nutzthiere grösser 
als in anderen; so hat besonders England 
seine Thierproduction in ganz bedeutender 
Weise entwickelt. Es producirt an Thieren 
ungefähr das Doppelte seiner Production an 
Vegetabilien. Für West und Mittelfrankreich 
ilt dasselbe; auch werden zur Zeit in Nord- 
eutschland und den Niederlanden sehr be¬ 
deutende Anstrengungen in dieser Beziehung 
gemacht. Geringer, manchmal nur schwach, 
waren diese Bemühungen in Süddeutschland 
und dem östlichen Frankreich: gleich Null 
waren sie in Südeuropa. War es auch nicht 
überall möglich, die Zahl der Nutzthiere zu 
vermehren, musste sogar in einzelnen Fällen 
ihre Zahl verringert werden, so ist doch ziem¬ 
lich allgemein die Qualität eine bessere ge¬ 
worden ; so sind besonders die Thiere grösser 
und geeigneter zur Schlachtung gemacht wor¬ 
den. Die früher reif gewordenen Thiere konnten 
früher auf die Schlachtbank gebracht werden 
und erlaubten somit den Besitzern, schneller 
ihre Thiere zu ersetzen; auch dienten die 
Cerealien, die, in zu grosser Menge angebaut, 
eine grosse Werth Verminderung erlitten, zur 
Ernährung der Thiere, die dadurch besser 
wurde. 

Ungeachtet dieser Fortschritte, von wel¬ 
chen leider die Statistik keine Notiz nimmt, 
hat die Vermehrung der Production anSchlacht- 
thieren nicht Schritt gehalten mit demConsum, 
und es sahen sich alle Länder genöthigt, zur 
Importation zu schreiten, welche, dank der 
Eisenbahn und Dampfschiffahrt, bis jetzt eine 
ungeahnte Ausdehnung gewonnen hat. 

Das Studium der Züchtung der schlacht¬ 
baren Hausthiere in den verschiedenen Län¬ 
dern zeigt uns, dass seit 1850 fast überall Fort¬ 
schritte in der Züchtung zu bemerken sind, 
was dem immer mehr zu Tage tretenden 


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DEPECORATION. 


333 


rationellen ond zielbewussten Zuchtgefühl 
zu danken ist. Aber in dieser Epoche wurden 
auch die Kräfte der Völker mehr und fast aus¬ 
schliesslich auf die -Industrie und den Handel 
verlegt auf diese Weise eine Vermehrung des 
öffentlichen Wohlstandes bewirkt, die einen 
stetig wachsenden Verbrauch von animali¬ 
scher Nahrung mit sich brachte. Leider hat 
bei der heutigen Krisis diese Fleischconsu- 
mation wieder abgenoramen; sie ist aber den¬ 
noch fühlbar und wird mit Unrecht von 
einigen Seiten unterschätzt. Die Production, 
und die Verwendung der Rohstoffe, besonders 
der für den Consum nothwendigsten Gegen¬ 
stände, fanden in den Augen einiger Oekono- 
misten nicht genug Werth, um in Erwägung 
gezogen zu werden. Mit dieser Zeit fingen 
auch die Eisenbahnen ihren internationalen 
Dienst an, und haben auch die diversen Völ¬ 
ker den freien Eintritt der landwirtschaft¬ 
lichen Producte in ihre Länder gestattet und 
so die rasch steigende Consumvermehrung 
und Iraportation bewirkt, an die vorher nicht 
gedacht wurde. 

Gesellte sich zu diesen Ursachen in 
einem Lande noch die Vermehrung der Be¬ 
völkerung hinzu, wie es für die meisten 
Staaten der Fall ist, so wurde der Mangel 
an Hausthieren noch viel empfindlicher, und 
es vermehrte sich die Depecoration von Jahr 
zu Jahr in beinahe geometrischer Progression. 
Natürlich vermehrte sich die Importation in 
gleicher Weise, denn es war nicht mehr die 
einfache Nachfrage, die das Angebot anzog, 
sondern die Aussicht auf einen aussergewöhn- 
lichen pecuniären Vortheil. Fand keine Impor¬ 
tation statt, weil Handel und Industrie fehlten 
oder kein Vortheil für den Importeur war, 
so trat oft die Auswanderung der Bevölkerung 
ein, wie durch Adam Smith nachgewiesen 
wurde. 

Wie bereits angedeutet, ist die Depeco¬ 
ration besonders stark in England, diesem 
Lande mit dichter Bevölkerung und grossem 
Fleischconsum. Seit sehr langer Zeit ist dieses 
Land auf Importation angewiesen. 

Die progressive Vermehrung der aus¬ 
wärtigen Alimentation in den letzten zwanzig 
Jahren ist merkwürdig, sagt de la Trehonnais; 
der Werth der eingeführten auswärtigen Cerea¬ 
lien und Fleischwaaren betrug 875 Millionen 
Francs im Jahre 1857, 1876 war er auf 
2750 Millionen gestiegen. Die verhältniss- 
mässig grösste Vermehrung war in der Im¬ 
portation der animalen Producte: lebende 
Thiere, frisches und eingesalzenes Fleisch, 
Fische, Eier, Butter und Käse; Waaren, deren 
jährlicher Werth sich in dieser Periode von 
175 Millionen Francs auf 900 Millionen 
Francs erhöht hat. Der Werth der impor- 
tirten Gegenstände entspricht ungefähr dem 
dritten Theil der einheimischen Production 
an animalischen und vegetabilischen Nah¬ 
rungsstoffen, wie aus der folgenden Tabelle 
ersichtlich ist, deren Zahlen den Veröffent¬ 
lichungen der Royal Society of Agriculture 
entnommen sind (1878). 


Einheimische Auswärtige 
Production. 

Werth der vegetabilischen Frs. Frs. 

Producte. 3-143,426.000 1.318,437.600 

Werth der animalischen Pro- 

dncte. 3.175,000.000 901,260.000 


Die einheimische Production an Fleisch 

betrug. 1.226,000.000 kg 

Die auswärtige Production. 316,000.000 „ 

Summa 1.540,000.000 kg 

Der Werth der einheimischen Fleisch- 

production beziffert sich auf_ 2.175,000.000 Frs. 

Der Werth der ausländischen auf.... 661,250.000 „ 

Summa 2.726,250.000 Frs. 


Betrachtet man die statistischen Tabellen, 
so findet man, dass in England oder viel¬ 
mehr in den britischen Inseln, weil Irland 
zugerechnet werden muss, eine absolute De¬ 
pecoration stattfindet. Man zählte nämlich: 


1871 {!!!!!’ 

... 9,429.602 

Stück Rindvieh 

... 31,348.290 

„ Schafe 

... 4,136.616 

„ Schweine 

i. 

. .. 10,221.036 Stück Rindvieh 

1874 . 

... 34,827.597 

„ Schafe 

1. 

... 3,537.354 

„ Schweine 

|. 

. . 10,162.787 

Stück Rindvieh 

1875 . 

... 33,491.948 

„ Schafe 

I. 

... 3,495.167 

„ Schweine 

1877 }!!/. 

. . . 9,697.000 

Stück Rindvieh 

... 32,157.000 

„ Schafe 

I. 

. . 3,964.000 

„ Schweine 

|. 

. . 10,637.70j 

Stück Rindvieh 

1884 1.. 

.. 30.938.194 
. . 3;881.647 

,, Schafe 
., Schweine. 

Wandelt 

man nach dem besonders durch 


Lambl und Menier angewandten System diese 
Anzahl von Thieren in Kilogramm Lebend¬ 
gewicht um, mit Annahme eines mittleren 
Gewichtes von 275 kg für 1 Stück Rindvieh 
und 30 kg für die kleineren Thiere, so findet 
man, dass England unterhielt: 

1871 ......... 3.597,800.000 kg 


1874 

1875 
1877 
1884 


3.979,500.000 

3.924,803.000 

3.750.305.000 

3.972,623.000 


Von 100 kg im Jahre 1874 fiel die An¬ 
zahl Thiere 1875 auf 98, auf 94 im Jahre 
1877, um auf 99 im Jahre 1884 wieder zu 
steigen. 

Während die animale Bevölkerung derart 
im Abnehmen begriffen war, stieg im Gegen- 
theile die menschliche Bevölkerung; so zählte 
man: 


1861 . 28,292.000 Einwohner 

1871 . 31,349.000 „ 

1874 . 32,394.000 

1875 . 32,634.000 „ 

1877 . 33,013.000 

1884 . 35,425.000 „ 


Man zählte demnach auf 1 Einwohner: 


1871 . 114-76 kg Lebendgewicht 

1874 . 122-73 „ 

1875 . 120-77 ., 

1877 . 113-60 ,. 

1884 . 112*17 ,. 



































334 


DEPECORATION. 


Die Depecoration schreitet demnach in 
besorgnisserregender Weise fort, und es kann 
deshalb nicht Wunder nehmen, wenn gewisse 
Oekonomisten und besonders englische Züchter 
den allzu starken Importationen von Vieh und 
Fleisch Hemmnisse in den Weg zu setzen 
versuchen, weil diese Einfuhr die Züchter 
durch die Concurrenz, welche sie dem ein¬ 
heimischen Thiere bietet, mehr oder minder 
entmuthigt. 

Wendet man sich von England nach 
Frankreich, so findet man einerseits eine 
weniger entwickelte Eignung der verschiedenen 
Thiere zur Schlachtung. Hier ist das Rindvieh 
noch mehr Arbeitsthier oder Milchvieh als 
Schlachtthier, und das Schaf hie und da noch 
zu sehr Wollthier; die Thiere sind sämmtlich, 
Hornthiere wie Schweine, weniger frühreif als 
in England. Bedeutende Fortschritte sind jedoch 
in den letzten 25 Jahren bezüglich der Schlacht- 
barkeit gemacht worden, wie die Ausstellung 
zu Paris 1878 genügend bewies, und dennoch, 
vielleicht gerade aus diesem Grunde, ging die 
Depecoration besonders als relative schnell 
voran. 

Die Importation von Thieren, die 1849 
fast gleich Null war, da dazumal sämmtliche 
Schlachtthiere in Frankreich auferzogen wur¬ 
den, hatte 1869 bereits einen Werth von über 
120 Millionen Francs. Die nachfolgenden 
Zahlen beweisen, wie die Importation von 
Thieren und Fleisch, letzteres sowohl frisch 
als gesalzen, einen fortwährend zunehmenden 
Gang hatte: 

Ochsen Kühe u. Kälber Schafe Fleischwa&ren 



Frs. 

Frs. 

Frs. 

Frs. 

1849 

644.000 

4.355.OjCO 

1,612.000 

256.000 

18Ö9 

9.091.000 

18.325.000 

15,994.000 

1,462.000 

1809 

3l.885.0u0 

34,141.000 

60,042.000 

7.920.000 

1876 

33,933.000 

24,432.000 

78.877.000 

15.646.000 

1861 

25.331.000 

17,325 000 

80,445. OuO 

37,953.000 


Während die Importation auf diese Weise 
in einer fast geometrischen Progression fort- 
schritt, ging die Exportation nur in einer 
«arithmetischen Progression weiter, wie die 
folgenden Zahlen angeben: 

Ochsen Kühe u. Kälber Schafe Fleischwaaren 



Frs. 

Frs. 

Frs. 

Frs. 

1849 

3,438.000 

1,192.900 

1,171.000 

769.000 

1859 

7,756.000 

4,530.000 

2,498.000 

1,025.000 

1869 

18.445.000 

4,499.000 

3,030.000 

3.847.000 

1876 

13.613.000 

14,351.000 

3,539.000 

6,853 000 

1881 

11,463.000 

10,525.000 

958.000 

10,849.000 


Nach Stückzahl gerechnet, betrug die 
Importation von lebenden Thieren: 



Rindvieh 

Schafe 

Schweine 

1835 . 

. . 43.705 

138.400 

9.300 

1846 . 

44.773 

141.900 

9.000 

1856 . 

. . 66.002 

161.600 

14.300 

1860 . 

. . 130.619 

477.900 

64.700 

1863 . 

. . 170.437 

638.500 

86.500 

1873 . 

. .. 163.000 

1,586.000 

75.000 

1877 . 

. .. 210.000 

2,500.000 

196.000 

1881 . 

... 140.600 

1.710.000 

254.000 


Diese Einfuhrzahlen sind verschiedenen 
grossen Schwankungen unterworfen, je nach 
dem Stand der Ernten inw r ärts und auswärts, 
je nach dem Stande des Handels, den Ver¬ 
lusten durch Seuchen u. s. w.: so hat Frank¬ 


reich, nachdem es 1872 153 Millionen, 1873 
133 Millionen für Thiereinfuhr bezahlte, 1874 
nur 88 Millionen dafür ausgegeben und 1881 
noch viel weniger. 

Nach Gewicht berechnet, findet man eine 
Fleischproduction von: 

1840 . 3.844,406.000 kg 

1852 . 4.994,465.000 „ 

1862 . 4.590.580.000 „ 

1866 . ... 4.410,045.000 „ 

1872 . 4.094,726.000 ., 

1876 . 4.072,018.000 „ 

Es kommt so auf 1 Einwohner: 


1840 (34,230.178 Einw.). 

110-47 kg 

1852 (35,783.170 

). 

139*68 ., 

1862 (37,386.161 

.« ). 

123*79 „ 

1866 (38,067.044 

,, ). 

115*84 „ 

1872 (36,102.921 

„ ). 

113*48 „ 

1876 (36,905.788 

„ ). 

110*82 


Es ist somit, nachdem von 1840 bis 
1852 eine Steigerung stattgefunden hatte, eine 
absolute und relative Depecoration in den 
darauffolgenden Jahren eingetreten, vereint 
mit einem grösseren Fleischconsum, indem der 
mittlere Jahresconsum von 20 kg per Ein¬ 
wohner im Jahre 1838 auf 24 kg im Jahre 
1852 und 31 kg im Jahre 1875 gestiegen war 
und eine Erhöhung des Fleisch werthes um 
mehr als 50% mit sich brachte. 

Ueber das Deutsche Reich fehlen einiger- 
massen statistische Angaben. Seitdem die rus¬ 
sischen und österreichisch-ungarischen Gren¬ 
zen jeden Augenblick gesperrt werden, ist die 
Einfuhr sehr eingeschränkt und vermindert, 
denn es kann die Thierschmuggelei, wenn 
auch noch so bedeutend, nicht in Betracht 
gezogen werden. Im Jahre 1871 wrnrden nach 
Deutschland eingeführt: 

273.393 Stück Rindvieh, 

2,300.000 Schafe. 

Ausgeführt wurden in demselben Jahre: 

235.750 Stück Rindvieh, 

1,850.000 „ Schafe. 

Im Jahre 1873 betrug der Werth der ein¬ 
geführten Thiere und der animalischen Nah¬ 
rungsmittel 450,400.000 M., während die Aus¬ 
fuhr ungefähr die Hälfte dieser Summe betrug. 

Im Jahre 1882 betrug die Einfuhr: 

114.927 Stück älteres Rindvieh. 

99.612 ,, Jungvieh. 

1,317.183 „ Schweine, 

71.781 „ Schafe. 

Die Ausfuhr dagegen: 

132.927 Stück älteres Rindvieh, 

108.923 „ Jungvieh, 

318.070 „ Schweine, 

1.452.823 „ Schafe. 

Man zählte 1871 im Deutschen Reiche: 
15,776.702 Stück Rindvieh, 
27,319.408 ,, Kleinvieh, 

7,124.088 „ Schweine. 

Zusammen 5.270,976.000 kg Lebendge¬ 
wicht. Die Bevölkerung war 41,058.792 Ein¬ 
wohner: es kamen daher 128*37 kg auf 1 Ein¬ 
wohner. 














DEPECORATION. 


335 


1874 zählte man : 

14,386.791 Stück Rindvieh, 

24,323.438 „ Kleinvieh, 

6,340.415 ,, Schweine. 

Zusammen 4.871,137.000 kg Lebendge¬ 
wicht. Bei 42.757.812 Einwohner kamen also 
auf 1 Einwohner 413*23 kg. 

Die Viehzahl betrug 1882: 

15,785.322 Stück Rindvieh. 

21,815.356 Kleinvieh. 

9,205.791 Schweine. 

Zusammen 4.634.166.720 kg Lebendge¬ 
wicht. Die Bevölkerung betrug 45,234.061 
Einwohner, wodurch auf 1 Einwohner nur noch 
102 *28kg gerechnet werden müssen., 

Nach diesen Zahlen wäre also eine ab¬ 
solute und eine relative Depecoration in Deutsch¬ 
land. Jedoch muss in Erwägung gezogen wer¬ 
den, dass im Jahre 1874 und in mehreren 
folgenden Jahren in verschiedenen Staaten 
sich der Viehstand in Folge des Futtermangels 
Verminderte. Die Depecoration ist jedoch des¬ 
halb nicht unwahrscheinlicher, da sie in den 
Verschiedenen Bundesstaaten des deutschen 
Reiches nachgewiesen wird, wobei höchstens 
Preussen eine Ausnahme macht. 

Es haben allerdings die Zahlen, die hier 
für die diversen europäischen Staaten ange¬ 
geben werden, nur einen relativen fast an¬ 
nähernden Werth, da die Viehzählungen im 
Allgemeinen in diesen Ländern seiten waren, 
in zu grossen Zwischenräumen und besonders 
in zu ungleichmässiger Weise vorgenommen 
wurden. Schliesslich findet sich nicht die Sorg¬ 
falt, mit welcher derartige Operationen hätten 
Vorgenommen werden müssen, um glaubwür¬ 
dige Resultate zu ergeben. Dennoch, wenn 
auch ein absoluter Werth bestritten werden 
kann, haben diese Zahlen ihren Werth, inso¬ 
fern sie einstimmig eine relative Verminderung 
des Viehbestandes anzeigen, welche dann das 
Raisonnement als thatsächlich beweist. 

In Skandinavien, sowmhl in Schweden als 
auch in Norwegen, ist die Depecoration sehr 
bedeutend, besonders in Folge der grossen 
Vermehrung der Bevölkerung. 

Auch in Dänemark lässt sich eine leichte 
Depecoration nachweisen. 

In Holland ist die Lage eine günstige, 
ubenso in Belgien, obwohl dieses letztere Land 
mannigfache Importation erhält. 

Ueber Spanien fehlen genaue Angaben. 

Italien, welches 1866 auf 26,798.000 Ein¬ 
wohner ein Lebendgewicht von 1.469,300.000 kg 
hatte, somit 54 79 kg auf 1 Einwohner entfielen, 
Wählte 1874 auf 27,801.000 Einwohner ein 
Lebendgewicht von 1.226,775.000 kg, also nur 
44*13 auf 1 Einwohner. Es besteht demnach 
sinesehr bedeutende Depecoration, welche haupt¬ 
sächlich der grossen Exportation nach Frank¬ 
reich zuzuschreiben ist. Wie H. Sagnier sagt, ist 
die allzugrosse Exportation von Schlachtthieren 
nicht immer ein Zeichen von Reichthum, und 
wäre viel besser für die Bevölkerung dieser 
Gegend, wenn sie selbst einen Theil des 
Fleisches essen würde, w elches sie in das Aus¬ 


land schickt. Uebrigens hat Italien nur wenig 
Fortschritte in der Aufzucht gemacht, und es ist 
in den meisten Provinzen die Anzahl der für 
die landwirtschaftlichen Betriebe ernährten 
Thiere zu gering, um den für den Cultur- 
betrieb notwendigen Dünger zu beschaffen. 

Ein gleiches Bild bietet uns Griechen¬ 
land, in welchem Lande die Züchtung nur 
die zum landwirtschaftlichen Betriebe not¬ 
wendigen Thiere bezweckt. 

Auch in der Schweiz zeigt sich einige 
Depecoration, wenn auch die Thierproduction 
in steter Vermehrung vor sich ging. Im 
Jahre 1860 w r aren auf 2,519.630 Einwohner 
297,768.700 kg Lebendgewicht, somit 118* 20kg 
auf 1 Einwohner. 1870 war die Bevölkerung 
auf 2,669.147 Einwohner gestiegen, ebenso das 
Lebendgewicht der Thiere auf 305,310.000; 
es kamen aber nur 114 39 kg auf 1 Ein¬ 
wohner. 1876 war bei 2,759.854 Einwohner 
das Lebendgewicht 317,616.000 kg, somit 
115*08 kg. auf 1 Einwohner. 

Die Schweiz importirt mehr lebende 
Thiere, als sie deren exportirt, wie die fol¬ 
genden Zahlen beweisen: 



Importation 



1860 

1865 


1877 

Stück Rindvieh 

87.848 

74.211 


189.775 

Schafe 

54.784 

57.494 1 

| 


,, Ziegen 

13.072 

9.226 


165.314 

„ Schweine 

56.060 

53.260 | 




Exportation 



* 186«) 

1805 


1877 

Stück Rindvieh 

51.538 

75.93 t 


162.872 

„ Schafe 

10.965 

17.496 j 



„ Ziegen 

3.011 

4.766 


102.896 

„ Schweine 

21.645 

28.368 1 



Für das Jahr 1877 

rechnet man, dass 


die Schweiz für mehr als 240 Millionen Francs 
über den Ertrag seiner Ausfuhren an vegeta¬ 
bilischen und animalischen Lebensmitteln ein¬ 
geführt hat. % 

In Oesterreich-Ungarn, welche Länder 
immer eine grosse Rolle in dem Thierexporte 
gespielt haben, und welchen viele Autoren eine 
grosse Zukunft für die Production von’Schlacht- 
vieh beimessen, ist doch etwas Depecoration 
vorhanden, weil Ungarn besonders sich auf 
die Cerealienproduction (Mehl) gelegt hat, 
und weil, wie wir sehen werden, dem^Viehexporte 
von Seiten Westeuropas, von Deutschland 
wie von Frankreich allzuviel Schwierigkeiten 
in den Weg gestellt werden. Da in Bezug auf 
Depecoration beide Theile des Reiches Unter¬ 
schiede zeigen, so ist die Lage derselben ge¬ 
sondert zu betrachten. Oesterreich zählte: 

Rindvieh Schafe Ziegen Schweine 

1847 5,222.876 6,473.549 — — 

1857 8,013.368 5,248.664 1,027.618 3,409.959 
1869 7,225.212 4,905.398 979.104 2,541.473 

1880 8,584.077 3,841.000 1,006.000 2,731.000 

Nach Lebendgewicht: 

1857 . 2.495,223.000 kg 

1869 . 2.209.554.000 „ 

1880 . 2.596,771.000 „ 



336 


DEPECORATION. 


Auf die jedesmalige Bevölkerung ge¬ 
rechnet findet man: 

auf 

1 Einw. 

In Ungarn zählte man: 

Rindvieh Schate Ziegen Schweine 

1847 5,638.000 — — — 

1857 5,646.954 11,281.805 430.973 4,504.905 

1869 5,279.193 15,079.697 572.951 4,443.279 

1880 5,311.378 9,839.797 333.214 4,160.127 

Für 13,769.513 Einwohner, die Ungarn 
1857 zählte, waren demnach 2.040,456.000 kg 
Lebendgewicht, also 144’69 kg auf 1 Ein¬ 
wohner; 1869 war auf 15,417.327 Einwohner das 
Lebendgewicht auf 2.054,522.000 kg gestiegen, 
also 148* 11 auf 1 Einwohner; 1880 war 
das Lebendgewicht 1.890,623.090 kg auf 
15,650.000 Einwohner, also nur noch 120*80 kg 
auf 1 Einwohner. Es fängt somit die Depecora- 
tion stark an, wahrscheinlich unter dem Ein¬ 
fluss der verminderten Einfuhr aus Russland. 

In Oesterreich-Ungarn wirdeinigerraassen 
die Viehpioduction vernachlässigt, da die Be¬ 
sitzer zu sehr für Exportzwecke züchteten, 
um nachher ihren Viehbestand aus Russland 
oder Rumänien zu vervollständigen. Deutsch¬ 
land ganz besonders lässt unter dem Vor¬ 
wand von Rinderpestgefahr, hauptsächlich 
aber um die Viehzucht in Norddeutschland 
zu schützen, gar kein Vieh aus Oesterreich- 
Ungarn importiren. Meyer schätzt, dass sich 
die Thierproduction in Oesterreich-Ungarn um 
2,000.000 Stück von 1857—1869 vermindert 
hat, trotzdem Ungarn ein Plus von 80.000 Stück 
gezüchtet oder importirt hat; auch nimmt er 
an, dass die Depecoration in den nächsten 
zehn Jahren und seitdem fortgedauert hat. 
Nur seinen natürlichen Hilfsmitteln, aber nicht 
einer intelligenten Landwirtschaft verdankt 
es Oesteneich-Ungarn, dass es noch relativ 
viel Vieh producirt; seinen Reichthum bildet 
das russische Vieh, welches iryGalizien und 
in Siebenbürgen an Qualität gewinnt und 
leicht fett wird. 

Die mittleren Zahlen der Iraportation 
und Exportation von Rindvieh nach und aus 
Oesterreich* Ungarn finden sich in der folgen¬ 
den Tabelle: 


1857 (18,224.500 Einw.) 136*92 kg) 
1869 (20,394.983 „ ) 108*34 „ 

1880 (22,130.000 „ ) 117*79 „ > 



Importation 


Exportation 

1831—1835 

145.667 Stück 

94291 

1836—1840 

169.634 

71 

94.423 

1841—1845 

169.228 

11 

124.155 

1846—1850 

125.513 

11 

90.638 

1851—1855 

149.876 

11 

93.070 

1856—1860 

130.556 

11 

99.670 

1861—1865 

108.420 

11 

138.058 

1866—1870 

131.685 

11 

139.305 

1871—1875 

179.589 

11 

145.986 

1876 

158.280 

11 

204.394 

1877 

163.645 

11 

258.945 

1881 

83.208 

11 

91.728 


Stück 


Man wird daraus ersehen, dass die Schwan¬ 
kungen in der Importation nicht so gross sind 
als in der Exportation, und dass diese in den 
Jahren 1876 und 1877 ganz aussergewöhn- 


liche Proportionen angenommen hatte. Sie be¬ 
weisen auch, dass die einheimische Production 
zugenommen haben muss, weil die Exportation 
die Importation um 50.000 und 95.000 Stück 
übertraf. Tirol allein führte an 40.000—50.000 
Stück aus (Meyer). 

Rumänien zählte: 


Rindvieh mit 
Büffeln 


Schafe und 
Ziegen 


Schweine 


1873 1,858.000 3,927.000 837.000 

1880 2,750.568 5,247.000 1,008.737 

Mit 4,424.691 Einwohner war 1873 das 
Lebendgewicht 656,872.310 kg, also 148*47 kg 
per Einwohner: im Jahre 1880 waren 5,376.000 
Einw. und das Lebendgewicht 816,077.470kg, 
also 151 *79 kg per Einwohner. Die Viehzucht 
nimmt hier zu, trotz Export nach Ungarn, der 
Türkei und selbst Aegypten. Die Einfuhr war 
1880 von 6.909 Stück Rindvieh, 23.137 Schafe 
und Ziegen und 715 Schweine: die Ausfuhr 
in demselben Jahre war 20.792 Stück Rind¬ 
vieh, 114.857 Schafe und Ziegen und 178.430 
Schweine. 

Genaue Zahlen über die animale Bevöl¬ 
kerung der andern Donaustaaten und der euro¬ 
päischen Türkei fehlen gänzlich, und es finden 
sich in den zeitweilig veröffentlichten stati¬ 
stischen Angaben solche Unterschiede von 
einem Jahre zum andern, dass es vollkommen 
unmöglich ist, dieselben eingehenden Be¬ 
rechnungen zu Grunde zu legen. 

Für Russland sind die angegebenen 
Zahlen weniger ungenau, wenn sie auch mehr 
durch Schätzung als durch eigentliche Zählung 
erhalten werden. 


Man zählte: 


Rindvieh Schafe Ziegen Schweine 

1866 20,988.000 43.770.000 2,500.000 9,285 000 

1870 22,770.000 48.132 000 1,700.000 9,800.000 

1876 28,600.000 64,500.000 1,300.000 11,000.000 

Nach Lebendgewicht: 

1866 . 7.438,370.000 kg 

1870 . 8.050,710.000 „ 

1876 .10.169,000.000 „ 


Auf die jedesmalige Bevölkerung findet 
man: 


1866 (63,659.000 Einw.) 116*85 kg 
1870 (69,500.000 „ ) 115 84 „ 
1876 (71,000.000 „ ) 143*22 „ 


auf 

1 Einw, 


Die Vermehrung ist mithin eine enorme, 
beinahe um 25%; nach Wolinieff wäre sie noch 
grösser; besonders die Anzahl der Schafe hat 
eine bedeutende Vermehrung erfahren. In 
vielen Steppen, in welchen früher Korn für 
den Odessaer Markt gebaut wurde, wurden 
ausgedehnte Luzerncrfelder angelegt, welche 
in kurzer Zeit die Anzahl von Thieren ver¬ 
doppeln werden. Auch werden die Massregeln, 
die von veterinärpolizeilicher Seite gegen die 
Thierseuchen ergriffen werden, ihrerseits viel 
dazu beitragen, die Anzahl des russischen 
Viehbestandes zu vermehren. Endlich, wenn 
eine leichte Exportation, der Verkauf nach 
dem westlichen Europa erlangt sein wird, 
wird das russische Vieh mannigfaltiger Pflege 
theilhaftig werden, die es heutzutage noch 
vollkommen vermisst. 





DEPECORATION. 


337 


Die Exportation von Russland nach dem 
westlichen Europa ist gegenwärtig sehr ge¬ 
ring und besonders sehr schwer zu berechnen, 
da die Schmuggelei mehr über die Grenze 
befördert als der regelmässige Handel. In 
den Jahren, in welchen die Ausfuhr von 
Rindvieh gestattet war, war sie im Mittel, 
laut Renning, jährlich nur 3000 Stück nach 
Preussen, 25.000 Stück nach Oesterreich- 
Ungarn vor 1867 und ist seitdem auf 
45.000 Stück jährlich und im Mittel gestie¬ 
gen. Die Exportation der Schafe war bedeu¬ 
tender, weil sie weniger Hemmungen ausge¬ 
setzt war. Die Anzahl der aus Russland direct 
nach Deutschland ausgefuhrten Schafe kann 
nicht genau angegeben werden, aber es war die 
Anzahl der Schafe, die aus Russland über Oester¬ 
reich-Ungarn und Deutschland nach Frank¬ 
reich oder England versandt wurden, fol¬ 


gende: 

Im Jahre 1872 . 81.684 

„ 1873 . 115.977 

„ 1874 72.612 

„ 1875 80.049 

„ 1876 183.725 

„ 1877 108.525 

„ 1881 . 120.226 


Bemerkt sei, dass bei dem Austritt aus 
dem deutschen Gebiete die Thiere als aus 
Deutschland kommend eingeschrieben werden, 
und dass sie in den französischen und eng¬ 
lischen Zollämtern als von deutscher Herkunft 
bezeichnet werden. 

Schweine wurden aus Russland exportirt: 


1871 . 365.180 

1881 . 530.440 


Es wird Russland niemals für sich 
allein seine Fleischproduction consumiren 
können, und es bildet somit für das übrige 
Deutschland eine Hilfsquelle, zu welcher ein¬ 
mal gegriffen werden muss, trotz aller Rinder¬ 
pestgefahren, welche die Thiere dieser Her¬ 
kunft so leicht in ihrem Gefolge haben. Es 
besteht in Russland ein Ueberschuss, der sich 
über Europa trotz aller angewandten und 
noch anzuwendenden Massregeln ergiessen 
wird. Der Preisunterschied zwischen dem 
russischen Vieh und dem des übrigen Europa 
ist zu gross und für den Schmuggel zu reizend, 
als dass dieser je unterdrückt werden könnte. 

Jedoch Russland ist nicht das einzige 
Land, welches eine werthvolle Reserve bietet, 
um die Depecoration zu bekämpfen, diese öko¬ 
nomische Erscheinung, welche die landwirt¬ 
schaftlichen Fortschritte eines jeden Landes 
zwar in ihrem Gange verlangsamen können, 
welche man aber nicht vollkommen aufheben 
kann. Eine noch sehr wenig bekannte Be¬ 
zugsquelle für Rindvieh bildet Centralasien, 
wo in den Thälem verschiedener Flüsse 
massenhaft Vieh in Heerden gehalten wird, 
dessen zoologischer Bau kaum bekannt ist. 
Zur Proviantirung der russischen Armee 
während des Krieges mit der Türkei, sowie 
kürzlich im afghanischen Feldzuge brachten 
die Tataren Vieh ohne Hörner, anderes mit 
mobilem Gehörne, u. s. w. 

Koch. Eneyklopä Ije <1. Tlii-rli.-ilkd. II. B4. 


Eine noch werthvollere Reserve als die 
der Steppen findet sich jenseits des atlantischen 
Oceans in Nord- und Südamerika, ferner in 
Australien, werthvoller, weil sie, vielleicht mit 
Unrecht, als unschädlich in veterinär-sanitäts¬ 
polizeilicher Beziehung bezeichnet wird. 

Es ist allgemein bekannt, wie sehr sich 
die aus Europa durch die spanischen Eroberer 
eingeführten Hausthiere vermehrt haben und 
wie mehr oder weniger wildlebend sie in dem 
neuen Erdtheil wurden. In den innem Pampas 
von La Plata finden sich die Rinder in 
so grosser Menge, dass man sie nur tödtet, 
um das Fell, die Hörner und das Fett zu 
gewinnen; nur in letzter Zeit kam man auf 
den Gedanken, das Fleisch zu verwerthen, 
entweder durch Trocknen oder durch Ein¬ 
salzen, schliesslich um es als das nur zu 
berühmte Liebig’sche Fleischextract in den 
Handel zu bringen. Wenn aber das Rindvieh im 
Innem von Südamerika und Mexico sozusagen 
werthlos ist, so gilt dies nicht mehr für das Vieh 
der Küstenländer und besonders nicht für das 
Vieh der Vereinigten Staaten und für Canada. 
Hier macht die Verbesserung der einheimischen 
Rindviehschläge grosse Fortschritte und zeigt 
sich besonders durch die bedeutende Ge¬ 
wichtzunahme der zu Markt geführten Thiere. 
Es sind nach Nordamerika aus England die 
besten Fleischrassen eingeftihrt worden. 


In 

den Vereinigten Staaten 

zählte man: 


Rindvieh 

Schafe 

Schweine 

1850 

17,778.907 

21,723.220 

30,354.213 

1860 

25,620.019 

22,471.275 

33,512.867 

1870 

28,820.608 

28,477.951 

25,134.569 

1883 

41,171.762 

49,237.291 

43,270.086 

1884 

42,547.307 

50.626.626 

44,200.893 


Auf die bisher angewandte Weise in 
Bezug auf die menschliche Bevölkerung 
(50,000.000 Einw.) gerechnet, findet man, dass 
im Jahre 1884 durchschnittlich 270 kg auf 
1 Einwohner kommen. 

Augenblicklich kostet in New-York oder 
Philadelphia das Fleisch halb so viel als in 
den Gressstädten Europas, und es ist wohl 
denkbar, dass in Anbetracht der grossen 
noch verfügbaren Terrainstrecken dieses noch 
so neuen Landes der Preis dieser wichtigen 
alimentären Materie nur unfühlbar in Amerika 
zunehmen wird, trotz der Exportationen, so 
stark sie auch in letzter Zeit geworden 
sind. 

Zu beachten ist, dass gerade die dünn 
bevölkerten Theile der Union den höchsten 
Viehstand und anerkannt vorzügliche Vieh¬ 
rassen, abstammend von alter spanischer Zucht 
und Kreuzungen mit Shorthorn- und Hereford- 
Stieren, besitzen: Texas, dessen Bevölkerung 
im Census von 1880 mit 1,591.750 Einwohnern 
angegeben ist, zählte nach dem Agricultur- 
Report im Jahre 1883 5 Millionen Rindvieh, 
7,900.000 Schafe und fast 2Millionen Schweine. 
Aehnliche Verhältnisse finden sich in New- 
Mexicound insbesondere in den grossen Ebenen 
von Wyoming, Nebraska, Kansas u. s. w. 
Es kommen noch dazu die niedrigen Kosten 
der Weidewirthschaft in diesen Theilen Ame- 


22 










338 


DEPECORATION. 


rikas, besonders gegenüber den Kosten der 
europäischen Viehzucht. Die ausgedehnten 
Maisfelder gestatten dem westamerikanischen 
Farmer, dieThiere in kurzer Zeit zu mästen und 
dem Fleische eine Qualität zu geben, wie sie 
auf keine andere Weise erreicht werden kann; 
man nimmt an, dass 93% des Futters in 
lebendes Fleisch umgewandelt werden. Eine 
Hauptrolle endlich spielt die Regsamkeit, mit 
welcher sich der Amerikaner diesem neuen 
Handelszweige widmet. 

Der erste Versandt lebender amerika¬ 
nischer Ochsen nach England geschah im 
September 1875, er betraf 37 Thiere; 1877 
soll der Versandt, inbegriffen die aus Canada 
versandten Thiere, 19.Ö0U Rinder, 23.000 Schafe 
und 810 Schweine betroffen haben; 1878 
52.376 Rinder, 56.784 Schafe, 15.517 Schweine 
— eine riesige Zunahme. Im Jahre 1880 
wurden 144.000 Ochsen, 85.582 Schafe und 
11.443 Schweine über den atlantischen Ocean 
nach Grossbritannien gebracht; die Mortalität 
während des Transportes war 4%%. Seit 
1881 hat jedoch der Handel mit lebendem 
Vieh bedeutend abgenommen. 

Die Mengen des frischen Fleisches, wel¬ 
ches Amerika durch mehr als hundert mit 
Eiskammem versehene Schiffe nach Europa 
befördert, sind sehr stark. Im Jahre 1877 
betrug die Menge von frischem Rindfleisch 
54.047 engl. Pfund, im Jahre 1879 84.717 
Pfund, im Jahre 1880 106.000 Pfund, um 
im Jahre 1881 wieder auf 70.000 Pfund zu 
fallen. 

Die Ausfuhr von gesalzenem Fleische, 
von Schinken, Speck und sonstigen Fleisch- 
conserven ist viel stärker als jene des frischen 
Fleisches; sie betrug im Jahre 1877 625.000 
Pfund in einem Werthe von ca. 60 Millionen 
Dollars. Im Jahre 1879 wurden 800.000 Pfund 
ausgeführt. Der New-Yorker Hafen soll 1876 
17,731.205 engl. Pfund frisches Fleisch, 1877 
42,085.337 Pfund, in den ersten drei Monaten 
des Jahres 1878 12.446.042 Pfund exportirt 
haben. Der Hafen von Philadelphia hat 1876 
blos 150.610 Pfund ausgeführt, 1877 dagegen 
12,790.870 Pfund und in den ersten drei Mo¬ 
naten 1878 2,437.000. 

Dfcle gibt ganz zuverlässige Angaben 
über die Ausfuhr des Schweinefleisches, zumal 
dieses meist in Antwerpen ausgeschifft wird. 
So betrug 1878 die Menge der in Antwerpen 
ausgeladenen Pökelwaaren 128.631 Kisten und 
9344 Fässer, was einem Gewicht von über 
30 Millionen Kilogramm entspricht. 

Die Schwierigkeiten, welche verschiedene 
europäische Staaten in Folge der Trichinen- 
efahr erhoben haben, haben in den letzten 
ahren diesem Handel grossen Schaden ge¬ 
bracht. 

Wie schon angedeutet, ist der Heerden- 
reichthum des amerikanischen Südens, be¬ 
sonders der Staaten im La Plata-Gebiete, 
noch viel grösser als in den Unionstaaten. 
Nach neuen officiellen Schriften, besonders 
von Latzina, beträgt der Viehstapel, wenn man 
nur die eigentlichen Fleischthiere anführt: 


Rinder Schafe Schweine 

in Buenon-Ayres. 4,754.410 57,838.078 155.134 

in den übrigen Provinzen der 

Argentinischen Republik 9,451.698 14,844.972 111.500 

in Uruguay . 7,326.758 20,000.000 lOU.QOO 

Zusammen 21,582.256 92,683.000 366.600 

Von den eigentlichen Fleischthieren ent¬ 
fallen also im La Plata-Gebiete ca. 7220 Rinder 
und 31.100 Schafe auf 1000 Einwohner, gegen 
nur 302 der ersteren und 568 der letzteren 
in ganz Europa. 

Die Reproductionsfahigkeit, die leichte 
Ernährung der Viehheerden und die einträg¬ 
liche Wirtschaftsweise der Estancieros zeigen 
noch weitaus günstigere Bedingungen als 
jene der Vereinigten Staaten. Bis jetzt haben 
die Versuche der Versendung von frischem 
Fleisch aus dem La Plata-Gebiete nach 
Frankreich nicht die gehofften Erfolge gehabt. 

In Australien, wo im Jahre 1872 nur 
4,700.000 Stück Rindvieh und 42,600.000 
Schafe vorhanden waren, zählte man im 
Jahre 1882: 8,500.000 St. Rindvieh. 74,500.000 
Schafe und 1 Million Schweine. Gleichwie in 
den Prairien von Amerika ist auch in dem 
dünn bevölkerten Oceanien ein reicher Vieh¬ 
stand zu finden, dessen Prodncte durch ge¬ 
eignete Transportverfahren in den Welthandel 
gebracht werden können; auch hier zeigen sich 
eine Billigkeit der Züchtung und eine Rasch¬ 
heit des Nachwuchses, welche alle analogen 
europäischen Verhältnisse weit hinter sich 
zurücklassen. 

Leider kommen da trockene Jahrgänge 
vor. wo, wie 1884, bis 20% des Viehstandes 
umstehen. 

Die Bevölkerung der sieben Colonien 
Australiens wird auf 2,700.000 Einwohner 
geschätzt; es entfallen daher auf tausend 
Einwohner in den gewöhnlichen Verhältnissen 
3000 Rinder, 27.400 Schafe und 33 Schweine. 
Es wurde versucht, das Fleisch in Büchsen 
conservirt nach Europa zu importiren; die 
englischen Consumenten zeigten jedoch Wider¬ 
stand, und jetzt geschieht die Versendung von 
in Eiskammern frisch erhaltenem Fleische. Die 
Reise wurde im Sommer 4882 auf einem 
Segelschiff in 98 Tagen ausgeführt. Andere 
Schiffe brauchten aus Sydney nach London 
nur 62 Tage, während welcher sich Ochs^n- 
wie Hammelfleisch vollkommen frisch erhielt. 

Dieses überseeische Fleisch hat sich auf 
dem Londoner Markte schon eingebürgert und 
ist bei dem consumirenden Publicum allge¬ 
mein beliebt. Auch in Frankreich und Belgien 
findet das importirte Fleisch die nöthigen 
Consumenten. Dr. v. Neumann-Spallart nimmt 
an, dass die europäischen Staaten ein regel¬ 
mässiges Deticit im Vieh- und Fleischhandel 
haben, welches im Jahre 1877 mit 345 Millionen 
Mark, im Jahre 1879 mit 522*5 Millionen 
Mark und im Jahre 1881 mit 436 9 Millionen 
Mark zu bewerthen war. 

Gegen die Depecoration kann von Seite 
der Landwirtschaft Vieles geleistet werden, 
der wahre Fortschritt besteht ja in einer 
grösseren Production des Rindviehs; jedoch 
damit ist nicht Alles abgemacht. 

Es wäre wohl angezeigt, allgemein 





DEPRESSIO CATARACTAE. — DESINFECTION. 


339 


Weniger gemeine Pferde aufztiziehen und dafür 
mehr Rinder zu produciren, auch um mit 
diesen die Feldarbeiten zu verrichten. Mit 
mehr Nutzthieren - würden die Felder auch 
mehr Dünger erhalten und würde somit 
der Ertrag bedeutend vermehrt werden. Gegen 
die Sterblichkeit der Thiere sollten Ver¬ 
sicherungen bestehen, und sollten ferner die 
Landwirthe darauf aufmerksam gemacht 
werden, dass sie durch eine bessere Gesund¬ 
heitspflege ihrer Thiere deren Leben um 
Vieles verlängern und dadurch mehr Ertrag 
erzielen. Der immer zunehmende Fleisch- 
consum wird jedoch nie durch die Landwirt¬ 
schaft gänzlich gedeckt werden, und es muss 
vom Auslande das Nöthige begehrt werden; 
es wäre gegen die natürlichen Gesetze ge¬ 
kämpft, wenn man diesen Import — sei er aus 
Russland, aus Wien, aus Amerika oder aus 
Australien — verhindern möchte. Im Gegen¬ 
teil, man muss diesen internationalen Handel 
mit Schlachtvieh durch alle möglichen Erleich¬ 
terungen begünstigen, ihn aber durch streng 
geregelte internationale veterinär-polizeiliche 
Massregeln sichern. Zundel. 

Depressio Cataractae (deprimere, nie- 
derdrücken), sive Iteclinatio cataractae 
ist die älteste, jetzt jedoch fast vollständig 
verlassene Methode der Star-Operation, 
welche darin bestand, dass man mittelst 
myrtenblattförmiger sog. Starnadel, nachdem 
man damit vorher die Hornhaut (Keratonyxis) 
oder die Sclera in nächster Nähe vom Cor- 
neoscleralrande (Scleronyxis) durchstochen 
hatte, die getrübte Linse aus dem Pupillar- 
gebiete entfernte, um den Lichtstrahlen wieder 
freien Weg zur Netzhaut zu bahnen. Die 
Linse wurde dabei in den Glaskörper hin- 
untergestossen, wo sie verweilt oder auch 
wieder aufsteigt und das Pupillargebiet von 
Neuem für Licht versperrt, so oft mehrere 
Operationen hinter einander erfordert und die 
üblen Wirkungen eines Fremdkörpers in der 
hinteren Bulbushälfte hervorruft, so dass die 
Depression der Cataract mit der Zeit ganz 
aufgegeben worden ist. Historisch ist diese 
Operation dadurch interessant, dass man sie 
schon zu einer Zeit ausführte, in der man 
über das Wesen des Stares noch schlecht unter¬ 
richtet und in tiefen Irrthümem befangen, im 
grossen Ganzen der Ansicht war, der Star ent¬ 
stehe durch ein von irgendwoher in das Auge 
niedersteigendes Wasser, welches sich in der 
Pupille zu einem Häutchen verdichte. Sp. 

Derby-Rennen. Das zu Epsom in Eng¬ 
land stattfindende grösste Rennen für drei¬ 
jährige Pferde wird nach dem Stifter des 
Preises für dieses Rennen — Lord Derby — 
so genannt, welcher Name auch in anderen 
Ländern für das Rennen von dreijährigen 
Pferden gebraucht wird (s. Rennen). Koch. 

Derivantia, derivatorische oder revulsive 
Heilmethode, s. Ableitung. Vogel. 

Derkulski sawod (ÄepKyjiLCKiö rocyaap- 
CTBeHHbiu KOHCKiü aaBoa'b), der russischen 
Krone gehörendes Gestüt für Pferde des Ar¬ 
beitsschlages, gelegen im Gouvernement Char¬ 
kow im Starobälsker Kreise. 58 km von der 


Station Tschertkowo der Woronesch-Rostow- 
schen Eisenbahn. Im Jahre 188t zählte das¬ 
selbe 13 Beschäler, unter denen ausgezeichnete 
Original-Percherons, -Ardenner und -Suffolks* 
und 98 Mutterstuten. Brandt. 

Derma, vö Bepjia (von Sspelv, abhäuten), 
die Haut. In vielen Zusammensetzungen 
wiederkehrend, z. B.: 

Derraalgia, nervöser Hautschmerz; 

Dermatiatria, die Heilung der Haut¬ 
krankheiten; 

Dermatiater, der Hautarzt; 

Dermatitis, Hautentzündung; 

Dermatologia, Lehre von den Häuten, 
insbesondere der allgemeinen Decke; 

Dermatose, Hauterkrankung, besonders 
Hautentzündung etc. etc. Sussdorf. 

Dermoidcysten bestehen aus einem ge- 
fässhaltigen, bindegewebigen Sack und einem 
halbfesten Inhalt. Der Balg entspricht in 
seinem Bau theilwcisc oder ganz der äussern 
Haut (Cutis, Derma), ist an der Innenfläche 
mit Epithel ausgekleidet, das aus einem Rete 
Malpighi und Epidermis zusammengesetzt ist, 
enthält Papillen, Haare, Talgdrüsen, seltener 
Schweissdrüsen. Der Inhalt besteht aus ab- 
gestossenen Epidermiszellen und Haaren und 
dem Secret der Talgdrüsen; er ist verschieden 
je nach dem Vorwalten des einen oder andern 
Bestandtheiles; beim Vorwalten derEpidermis- 
zellen grützbreiähnlich (Atherom), beim Vor¬ 
wiegen des- Fettes ölig (Oelcysten) und bei 
Gegenwart vieler Härchen filzig (Cirrhocystis). 
Ausserdem hat man in den Dermoidcysten 
Zähne (Odontocystis), Knochen, Knorpel, 
Nervensubstanzen und Muskel constatirt. Die 
Dermoidcysten sind angeborene Geschwülste, 
wachsen nur langsam, sind durch Extirpation 
zu entfernen und machen keine Recidive. 
Dermoidcysten kommen vor im subcutanen 
Bindegewebe, in den Ovarien, Hoden, Lungen, 
Zwerchfell, im Gehirn, Magen, an der Gallen¬ 
blase, Pleura und Zunge. Semmer. 

Desassix schrieb 1512 über die damals 
in Frankreich herrschende Viehseuche. Sr. 

Desoemetische Haut, s. Hornhaut. 

Descendenztheorie, s. Entwicklungs¬ 
theorie. 

Desclolzit, ein Vanadinbleierz, glänzende 
schwarze Kryställchen mit einem Stich ins 
Olivengrün, kommt in den La Plata-Staaten 
vor. Nach Tschermak identisch mit dem 
Dechenit. Loebisch. 

Desinfection. (Allgemeines.) Unter 
Desinfection im weitesten Sinne des Wortes 
versteht man die Summe aller Schutzmass- 
regeln, welche w f ir derzeit gegen die Weiter- 
verbreitung der Infectionskrankheiten, also 
der ansteckenden Krankheiten anzuwenden im 
Stande sind. Eine auf wissenschaftlicher 
Grundlage durchführbare Desinfection hat 
die Kenntniss von den Ursachen, der Aetiologie 
der Infectionskrankheiten zur Grundlage; nur 
so weit w r ir die Krankheitsursache selbst 
erkannt haben, sind wir im Stande, gegen 
dieselbe anzukämpfen. Angesichts der grossen 
Anzahl von Infectionskrankheiten, deren Be¬ 
kämpfung unsere Aufgabe bildet, versuchte 

22 * 



340 DESINFECTION. 


man schon früher die Infectionskrankheiten 
je nach der Art, wie die Uebertragung des 
krankmachenden Agens auf das Thierindi- 
viduum stattfindet, in Gruppen zu sondern. 
Die ältere Theorie unterschied bekanntlich 
miasmatische und contagiöse Krank¬ 
heiten. Als „Miasmen 41 wurden Ansteckungs¬ 
stoffe bezeichnet, welche nur durch Berührung 
eines Thieres mit einem bestimmten Orte zur 
Aufnahme gelangen; ein empfängliches Indivi¬ 
duum, welches nie in eine Malariagegend ver¬ 
setzt wurde, kann nie an Wechselfieber er¬ 
kranken, das Wechselfieber war daher eine 
miasmatische Krankheit: „Contagium“ nannte 
man alle Ansteckungsstoffe, welche entwe¬ 
der von einem bereits erkrankten Individuum 
auf ein zweites direct verpflanzt werden kön¬ 
nen, wie Rinderpest, Rotz, Hundswuth etc., 
oder durch Mittelglieder: wie Decken, Arbeits¬ 
und Putzgeräthe, Luft, Wasser von einem 
bereits erkrankten Thiere einem zweiten zu- 
geführt werden. Ueberdies lehrte die Erfah¬ 
rung, dass bei gewissen Krankheiten des 
Menschen — Typhus, Cholera, Pest, mög¬ 
licherweise auch beim Rauschbrand des 
Rindes — die Krankheitsursache nicht als 
solche, sondern nur als Keim vom Kranken 
producirt wird und erst dadurch zum Infec- 
tionsstoff wird, dass der genannte Keim unter 
geeigneten localen Bedingungen im Boden 
bestimmte Veränderungen durchmacht; diese 
Krankheiten wurden dann als verschleppbare 
miasmatische Krankheiten aufgezählt. Bei dem 
gegenwärtigen Stand der Forschung, durch 
welchen für die meisten Infectionskrankheiten 
niedere Organismen als Erreger der Infection 
erkannt wurden, wollte man den Gegensatz 
des miasmatischen und contagiösen Ursprungs 
fallen lassen, und Pettenkofer schlug vor, die 
specifischen Krankheitserreger in entogene 
und ektogene einzutheilen, je nachdem sich 
die niederen Organismen innerhalb oder 
ausserhalb des Thierkörpers zu bilden, zu ver¬ 
mehren und zu reproduciren im Stande sind; 
auch Wern ich versuchte eine neue Ein- 
theilung der Infectionskrankheiten auf Grund 
der Entwicklungsweise der Erreger; doch 
hat man sich bis jetzt noch nicht in der 
Aufstellung eines Eintheilungsprincipes auf 
neuer Grundlage geeinigt, und die Ausdrücke 
Miasma und Contagium in der oben ange¬ 
führten Bedeutung können bis nun in der 
Darstellung noch nicht umgangen werden. 

Halten wir daran, dass in allen Fällen, 
in denen Infection stattfindet, lebende Orga¬ 
nismen als Erreger und Träger derselben 
betrachtet werden, und dass die Desinfection 
sich die Zerstörung dieser Krankheitserreger 
zur Aufgabe machen muss, dann ergibt sich 
von selbst, dass die Grundlage der Desin- 
fectionslehre die Kenntniss von den Lebens¬ 
erscheinungen dieser Organismen, von ihrem 
Verhalten in Nährlösungen, überhaupt von 
den Bedingungen ihrer Entwicklung, Fort¬ 
pflanzung und ihres Zugrundegehens bildet. 
Um Wiederholungen zu vermeiden, verweisen 
wir in Bezug auf die Schilderung des biolo¬ 
gischen Verhaltens der pathogenen Spalt¬ 


pilze auf den Artikel „Bacterien 44 , welcher 
auch die Schilderung der wichtigsten patho¬ 
genen Bacterien enthält, und wollen hier nur 
jene Momente aus der Lebensgeschichte der 
Spaltpilze in Kürze anführen, deren Kenntniss 
die Grundlage für die Durchführung einer 
rationellen und wirksamen Desinfection bildet. 

Die Bedingungen, welche das Leben der 
Pilze beeinflussen, sind gegeben: 

1. Durch die Nährstoffe. Sämmtliche 
Pilze bedürfen zum Wachsthum und zur Ver¬ 
mehrung kohlenstoff- und stickstoffhaltige 
organische Verbindungen, wie sie haupt¬ 
sächlich in den Zersetzungsproducten der 
Eiweisskörper enthalten sind, oder stickstoff¬ 
freie Kohlenstoffverbindungen—Zucker, Wein¬ 
säure, Glycerin etc. neben Ammoniak; über¬ 
dies muss die Nährlösung auch anorganische 
Salze, u. zw. schwefelsaure und phosphor¬ 
saure Alkalien und Erden enthalten. 

2. Das Was8er dient den Pilzen als 
Träger der Nährstoffe und als Vermittler der 
chemischen Processe, u. zw. bedürfen die 
Spross- und Spaltpilze hievon mehr zum 
Leben als die Schimmelpilze. Austrocknen 
tödtet sie nicht, sondern hemmt ihre 
Lebensthätigkeit nur vorübergehend, in luft¬ 
trockenem Zustande können sie Jahrhunderte 
lang conservirt werden, analog dem trockenen 
Getreidesamen, der, in den Mumien Egyptens 
bis heutigen Tags aufbewahrt, seine Keimfähig¬ 
keit nicht eingebüsst hat. 

3. Das Verhalten der Pilze gegen freien 
Sauerstoff ist noch nicht hinreichend stu¬ 
diert (8. Aörobien). 

4. Alle zur Ernährung nicht nothwendigen 
Stoffe, welche in einer wässerigen Lösung, 
wo Pilze leben, vorhanden sind, scheinen 
durch ihre Anwesenheit die Entwicklung der¬ 
selben im ungünstigen Sinne zu beeinflussen, 
namentlich scheinen die eigenen Ausschei- 
dungs- und Zersetzungsproducte der Pilze, 
wenn sie nicht sehr flüchtig sind und ent¬ 
weichen, giftig zu wirken, und wenn sie eine 
gewisse Concentration erreicht haben, die 
weitere Zersetzungsthätigkeit und Vermehrung 
der Pilze unmöglich zu machen. Eine Venti¬ 
lation, welche die giftigen Gase abführt, aber 
nicht so kräftig ist, um eine schnelle Wasser¬ 
verdunstung zu bewirken, ist für die Pilz- 
culturen vortheilhaft. Partielles Austrocknen 
wirkt wegen der stärkeren Concentration der 
Nährlösung namentlich auf Spross- und Spalt¬ 
pilze schädlich, während Schimmelpilze unter 
diesen Verhältnissen noch weiter vegetiren. 

5. Der Einfluss der Temperatur macht 
sich dahin geltend, dass bei einer geringen 
Steigerung der für jeden einzelnen Pilz gün¬ 
stigsten Temperatur zunächst dessen zer¬ 
setzende Thätigkeit gehemmt wird, bei einer 
weiteren Steigerung das Wachsthum und die 
Vermehrung, und dass bei noch höherer 
Wärme in feuchtem Zustande und bei 
grösserer Hitze auch im trockenen Zustande 
sämmtliche Pilze getödtet werden. Die Tem¬ 
peratur des Säugethierkörpers ist für Spross- 
und Spaltpilze nahezu die günstigste. Durch 
Kälte scheint eine zeitweise Suspension der 


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DESINFECTION. 341 


Lebensthätigkeit möglich zu sein. Sowohl 
mechanische Erschütterungen als auch elek¬ 
trische Ströme wirken hemmend auf die Ent¬ 
wicklung der Culturen ein. 

Die eben geschilderten Lebensbedingungen 
der Pilze werden in eingreifender Weise 
alterirt, wenn in einer und derselben Nähr¬ 
lösung verschiedene Formen derselben leben; 
es entsteht ein Concurrenzkampf beider Pilz¬ 
gattungen. wobei sich besonders Spross- und 
Spaltpilze energisch verdrängen. Auch wird 
durch die Zersetzungsthätigkeit des einen 
Pilzes die Nährlösung soweit alterirt, dass 
sie nunmehr einen günstigen Nährboden für 
die Keime einer anderen Art von Pilzen bildet, 
welche sich darin ansiedelt. 

Ein Beispiel aus dem täglichen Leben 
illustrirt uns dies recht deutlich. Lässt man 
Traubenmost oder zuckerreichen Fruchtsaft 
offen stehen, so fallen wohl alle möglichen 
Pilzkeime hinein, doch vermehren sich zu¬ 
nächst nur die Sprosspilze und der Most ver¬ 
wandelt sich in Wein. Nach einiger Zeit hört 
die Vermehrung der Weinhefezellen auf, an¬ 
dere Keime, die bisher nicht wachsthumfähig 
waren, entwickeln sich, es tritt eine Pilzvege¬ 
tation in Form einer Kahmhaut auf, welche 
den Weingeist zu Essigsäure oxydirt. Im Essig 
tritt weiter an Stelle der Kahmhaut eine 
Schimmeldecke, deren Zersetzungsproducte die 
Essigsäure abstumpfen, die Flüssigkeit wird 
neutral, nunmehr werden die Spaltpilze existenz- 
fähig, sie dringen ein, die Flüssigkeit ist in 
Fäulniss gerathen. 

Von grosser praktischer Wichtigkeit ist 
die Frage nach der Specifität der Spaltpilze, 
die dahin lautet: Gibt es für jede Gährung (Al¬ 
kohol-, Essigsäure- und Buttersäuregährung), für 
die Fäulniss, für jede Krankheit ‘einen beson¬ 
deren Spaltpilz, der nur immer eine und die¬ 
selbe Zersetzung bewirkt, sobald er die hiefür 
geeigneten Bedingungen vorfindet, oder kommt 
eine Verwandlung des einen Pilzes in den 
anderen vor? Ist die Wirkungsweise eines 
Spaltpilzes in seiner Form ausgeprägt oder 
nicht? Die Spaltpilze könnten nämlich trotz 
des gleichen morphologischen Baues physio¬ 
logisch verschiedene Functionen haben. Der 
physiologische Unterschied einer süssen und 
bitteren Mandel ist in der Structur derselben 
nicht ausgedrückt. Auch die Möglichkeit wurde 
aufgestellt, dass es nur wenige Arten gibt, 
welche bei ihrer Entwicklung einen ziemlich 
weiten Formenkreis durchlaufen, wobei ver¬ 
schiedene Arten in analogen Formen und mit 
gleicher Wirkungsweise auftreten können. Nur 
die äusseren Verhältnisse sind es, welche das 
Auftreten von morphologisch und functioneil 
verschiedenen Formen in derselben Art be¬ 
dingen: diese äusseren Verhältnisse sind im 
Stande die eine Form in die andere umzuwan¬ 
deln, wobei die frühere Wirkungsweise ver¬ 
loren geht und eine andere erworben wird. 
Nach dieser Ansicht müsste also der nicht 
pathogene Heubacillus in den pathogenen Milz¬ 
brandbacillus umgezüchtet werden können, 
wie dies Nägeli ausgeführt haben will (s. auch 
Abschwächung des Virus). Koch vertritt 


nun diesem gegenüber die Ansicht, dass spe- 
cifisch functionirende Arten von Spaltpilzen 
bestehen, die sich zugleich durch eine be¬ 
stimmte Form kennzeichnen. Bei den Ver¬ 
suchen, welche Koch über Wundinfections- 
krankheiten anstellte, entsprach einer jeden 
Krankheit eine besondere Bacterienform, und 
diese blieb, so vielfach auch die Krankheit von 
einem Thier auf das andere übertragen wurde, 
immer dieselbe; auch wenn es gelang, die¬ 
selbe Krankheit von Neuem wieder durch fau¬ 
lende Substanzen hervorzurufen, trat nicht eine 
andere, sondern dieselbe schon früher für diese 
Krankheit als specifisch erkannte Bacterien- 
form auf. Auch sind die Unterschiede bei 
diesen Bacterienformen so gross, wie man sie 
bei Organismen von dieser Kleinheit nur er¬ 
warten kann: sie bestehen übrigens nicht 
allein in der Grösse und Gestalt der Bacterien, 
sondern auch in ihren Wachsthumverhält¬ 
nissen, die sich am besten aus der Lagerung 
und Gruppirung der Colonien ersehen lassen. 
Nachdem bisher noch kein gasförmiges Agens, 
ein Miasma etwa als Krankheitserreger che¬ 
misch charakterisirt ist, nachdem auch die un- 
organisirten Fermente, als da sind Diastase, 
Pepsin, Trypsin, bis jetzt als inficirende 
Agentien nicht betrachtet werden können, so 
können die Desinfectionsmassregeln nur gegen 
jene Organismen gerichtet sein, welche bis 
jetzt als pathogene durch das Mikroskop, die 
Züchtung und durch das Thierexperiment 
nach gewiesen wurden. 

Um daher ein sicheres Urtheil über die 
Wirksamkeit eines Desinfectionsmittels zu er¬ 
langen, müssen wir dasselbe in seiner Wirkung 
auf die pathogenen Mikroorganismen prüfen. 
Hiebei muss inan von dem Grundsätze aus- 
gehen, dass die Wirkung eines Desinfections¬ 
mittels nur dann als ausreichend betrachtet 
werden darf, wenn es nicht blos die Weiter¬ 
entwicklung oder sonstige Lebensäusserungen 
der Pilze sistirt, sondern wenn dieselben und 
die Keime, aus denen sie sich wieder ent¬ 
wickeln könnten, vollständig vernichtet wer¬ 
den. Gerade die Keime der Mikroorganismen, 
speciell die Dauersporen der Bacillen; zählen 
zu den widerstandsfähigsten Gebilden der 
gesammten Lebewelt, und eine grosse Anzahl 
der bis nun bekannten pathogenen Spaltpilze 
gehört in die Gruppe der Bacillen; wir er¬ 
innern an die Bacillen des Milzbrand, Rausch¬ 
brand, der Lepra und der Mäusesepticämie. 
Bei allen jenen Krankheiten, deren Infections- 
stoffe sicli im trockenen Zustande lange er¬ 
halten, wie Pocken und Pest, kann man eben¬ 
falls Dauersporen annehmen. Nach Koch 
(Mittheilung aus dem kais. Gesundheitsamte) 
ist bei Prüfung eines Desinfectionsmittels zu¬ 
nächst festzustellen, ob dasselbe im Stande 
ist, alle niederen Organismen und deren Keime 
zu vernichten: für gewöhnlich genügt zu die¬ 
sem Nachweise die Thatsache, dass das Mittel 
Bacillensporen — die bis nun widerstands¬ 
fähigsten Lebewesen — tödtet: hierauf wird 
das Verhalten des Desinfectionsmittels zu an¬ 
deren leichter zu tödtenden Mikroorganismen, 
als da sind Pilzsporen, Hefe, getrocknete und 


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342 


DESINFECTION. 


feuchte Baeterien, geprüft, und schliesslich 
muss das Mittel auf seine Fähigkeit, Mikro- 
Organismen in geeigneten Nährflüssigkeiten 
in der Entwicklung zu hemmen, untersucht 
werden. 

Bei der grossen sanitären und national¬ 
ökonomischen Bedeutung, welche dem Des- 
infectionsverfahren zur Begrenzung und Ver¬ 
hütung von Seuchen zukommt, ist es von 
grosser Wichtigkeit, die Resultate kennen zu ler¬ 
nen, welche die auf der oben erörterten Grund¬ 
lage durch geführten Versuche über den Werth 
der. gebräuchlichsten Desinfectionsmittel er¬ 
geben haben. 

Nur durch solche Versuche können wir 
erfahren, ob, wie und inwieweit unsere Schutz¬ 
mittel etwas zu leisten im Stande sind. Leider 
ist mit der Prüfung der Desinfectionsmittel 
bisher kaum mehr als der Anfang gemacht. 
Um den Werth derselben für einen speciellen 
Fall mit Sicherheit angeben zu können, sollten 
sie auch gegenüber dem in diesem Falle in 
Betracht kommenden Krankheitsstoff geprüft 
sein. Wir wollen daher die Ergebnisse, welche 
bei der Prüfung der gebräuchlichsten Des¬ 
infectionsmittel gefördert wurden, in Kürze 
darstellen. 

4. Schwefelige Säure. Sie wird erzeugt 
durch Verbrennen des Schwefels an der Luft 
und wirkt durch Entziehung von Sauerstoff. 
Der Schwefel ist ein sehr billiges Desinfections¬ 
mittel. Nimmt man 20 g Schwefel als hin¬ 
reichend zur Desinfection eines Kubikmeters 
an, so würde die Desinfection eines 50 m 8 
grossen Raumes ungefähr 20 kr. kosten. Um 
nun den Werth der schwefeligen Säure als 
Desinfectionsmittel beurtheilen zu können, 
sind vorerst einige Vorfragen zu erledigen. Wie 
gross kann die Menge der schwefeligen Säure in 
einem geschlossenen Raume überhaupt sein ? Da 
beim Verbrennen ein Volum Sauerstoff gerade 
ein Volum schwefelige Säure erzeugt, die Luft 
aber in 100 Raumtheilen 21 Raumtheile Sauer¬ 
stoff enthält, so könnte ein Kubikmeter Luft, in 
welchem an Stelle des Sauerstofles schwefelige 
Säure getreten ist, 210 Liter schwefelige 
Säure = 600 g enthalten. Da aber der Sauer¬ 
stoff im Raume nur zum Th eil verbraucht 
wird, wird dieses theoretische Maximum nie 
erreicht; selbst wenn man Alkohol zusetzt, um 
die Verbrennung des Schwefels zu befördern, 
ist nur auf eine Entwicklung von höchstens 
10 Volumpercent (statt 21) SO, zu rechnen. 
Man möchte nun meinen, das9 in einem Raume, 
wo 1 kg Schwefel verbrannt wurde, auch die 
entsprechende Menge schwefelige Säure = 2 kg 
(700 1) in Gasform die Atmosphäre des Raumes 
erfüllen müsste. Doch ist dies nicht der Fall. 
Ein Theil der SO, entweicht nämlich durch 
die freiwillige Ventilation des Raumes, in dem 
sie entwickelt wird. Der Wassergehalt der 
Wände setzt wohl die Durchlässigkeit der¬ 
selben gegenüber dem Gase herab, doch wird 
dies compensirt durch die Absorption des 
Gases von dem Wasser, wodurch weniger 
schwefelige Säure an den Desinfectionsobjecten 
zur Wirkung gelangt. Andererseits kommt 
jeder Verlust, welcher nicht durch Ventilation 


bedingt ist, der eigentlichen Desinfection zu 
Gute. Auch die Wände der Räume enthalten 
in ihren Spalten und Ritzen in staubförmigen 
Niederschlägen keimungsfähige Mikroorganis- 
men, deren Zerstörung bei der Desinfection 
erstrebt wird. Die Absorption der Wände wird 
noch durch Benetzen derselben gesteigert, 
auch vertrocknete Borken und Krusten werden 
durch die Befeuchtung dem Desinfectionsmittel 
zugänglicher. Doch dringt die SO, selbst bei 
grösserer Concentration und längerer Dauer 
der Einwirkung nicht tief genug in grosse 
Gegenstände, Ballen, Bünde u. s. w. ein. Solche 
Objecte sind daher bei der Desinfection aus-» 
zubreiten. 

Ueber die Frage, ob die schwefelige Säure 
die Mikroorganismen zu tödten oder unschäd¬ 
lich zu machen im Stande ist, wurden von 
Buchholtz, Mehlhausen, Wernich und 
Koch Versuche angestellt. Nach Mehl hausen 
verbürgen 20 g Schwefel per Kubikmeter und 
achtstündiger Dauer der Einwirkung der SO, 
einen sicheren Erfolg der Desinfection in 
Wohnräumen und Spitälern. Wernich hält 
das Gas bei einem Gehalt von vier Volum¬ 
percent nach sechsstündiger Dauer wirksam. 
Nach Koch tödtet das Gas Milzbrandbacillen, 
war aber auf die Sporen des Milzbrandes und 
des Kartoffelbacillus selbst nach einer Ein¬ 
wirkungsdauer von 72 Stunden ohne jede des- 
inficirende Wirkung; besser fiel das Resultat 
aus, als die Sporen vor dem Anzünden des 
Schwefels befeuchtet wurden: die Milzbrand¬ 
sporen hatten ihre Wirksamkeit eingebüsst, da¬ 
gegen waren die Sporen der Gartenerde in 
ihrer Wirksamkeit nur theilweise gehemmt. 
Wenn demnach die schwefelige Säure auch 
die Baeterien tödtet, so ist sie doch ein un¬ 
zuverlässiges’ Desinfectionsmittel für sporen¬ 
haltige Objecte. 

2. Carbolsäure, das am meisten ge¬ 
brauchte flüssige Desinfectionsmittel. Ueber 
den Wirkungswerth derselben haben die Ver¬ 
suche Koch’s genauere Aufklärung gegeben. 
Er imprägnirte Seidenfäden mit einer Milz, 
die von einer an Milzbrand verendeten Maus 
herrührte; eine solche Milz enthält nur Ba¬ 
cillen, niemals Sporen. Eine Anzahl dieser 
Fäden wurde in verdeckte Uhrgläser gelegt, 
von denen je eines 5, 4,3, 2 und 1 % wässeriger 
Carbollösung enthielt Nach 2, 5, 10, 15, 20, 
25 Minuten wurde ein Faden aus jedem Glase 
genommen und zur „Züchtung^ auf Blut¬ 
serumgelatine gelegt. Nach 24 Stunden war 
noch an keinem einzigen Faden auch nur eine 
Spur von Entwicklung zu sehen, während an 
den zur Controle auf dieselbe Nährgelatine 
gelegten Seidenfäden die Bacillen sich schon 
bedeutend verlängert hatten. An den späteren 
Tagen zeigte sich von allen mit Carbollösung 
in Berührung gewesenen nicht die geringste 
Lebensäusserung, die Bacillen waren sämmt- 
lich selbst schon durch eine zwei Mi¬ 
nutenlange Berührung mit l°/ 0 iger Car- 
bolsäurelösung getödtet. Blut von an 
Milzbrand gestorbenen Thieren, mit l%iger 
Carbollösung gemischt, konnte einem anderen 
Thiere subcutan eingespritzt werden, ohne 



DESINFECTION. 343 


dass es hiedurch inficirt wurde. Eine 0*5%ige 
Carbollösung zeigte diese Wirkungen nicht 
mehr. Hingegen zeigte sich die Carbolsäure 
bei analogen Versuchen mit sporenhältigem 
Material gegen die Dauersporen ziemlich 
machtlos, sie ist somit für alle Fälle ein 
wirksames Desinfectionsmittel, wo es gilt, die 
nicht in Dauerform befindlichen Mikroorga¬ 
nismen unschädlich zu machen. 

In Oel und Alkohol gelöst, zeigt die 
Carbolsäure nach Koch nicht die geringste 
desinficirende Wirkung. Dies wird von Wolff- 
högel und Knorr erklärt theils durch das 
grössere Lösungsvermögen des Oeles gegen¬ 
über der Carbolsäure, wodurch dieses gegen 
Wasser zurückgehalten wird, auch behindert 
das Oel oder der Weingeist die endosmotische 
Aufnahme der Carbolsäure aus der Umgebung 
der Sporen in das Plasma derselben. Carboi- 
kalk zeigte sich ebenfalls wirkungslos. 

3. Das Chlorzink bezeichnet Koch als 
Desinfectionsmittel gänzlich machtlos. Milz¬ 
brandsporen, welche ein Monat lang in 5 %iger 
Lösung desselben lagen, waren in ihrer Ent¬ 
wicklungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. 

4. Chlor, Brom, Jod. Die Versuche 
zeigten, dass wässerige Lösungen von 2% 
Brom, frisch bereitetes Chlor- und Jodwasser 
die Milzbrandbacillen schon innerhalb der 
ersten 24 Stunden tödten und auch auf die 
Sporen schnell und sicher einwirken. Gas¬ 
förmiges Brom tödtete die Sporen innerhalb 
24 Stunden, während mit Chlor dies etwas 
und mit Jod bedeutend schwieriger zu er¬ 
reichen war. Proben, ob mit Milzbrandsporen 
behaftete Gegenstände, z. B. Bretter, durch 
blosse Waschung oder Besprengung mit Brom¬ 
lösung desinficirt werden, zeigten, dass eine 
viermalige Befeuchtung mit 4%iger Brom¬ 
lösung die Keime tödtet. Nach Wern ich 
leistet das Brom, in Dampfform angewendet, 
mehr als bei Anwendung in Lösungen. Um 
Bromdämpfe darzustellen, benützt man der¬ 
zeit nach Frank’s Empfehlung mit Brom bis 
zu einem Gehalt von 8% gesättigte Kiesel - 
guhrstangen. Für einen Raum von 20 m 8 

enügen 2—3 mehrere Centimeter (3—6) lange 

tücke des geformten Kieselguhr. Man stellt 
diese in offenen Gefässen — Gläsern — an 
erhöhte Punkte des zu desinficirenden Raumes 
bei gewöhnlicher Temperatur auf. Das Brom 
dürfte sich besonders zur Desinfection von 
geschlossenen Räumen bewähren. 

5. Sublimat gehört nach Koch zu den 
wirksamsten Desinfectionsmitteln. Uro die 
Grenzen der Leistungsfähigkeit desselben 
kennen zu lernen, stellte Koch eine grosse 
Reihe von Versuchen an, bei welchen Milz¬ 
brandbacillen das Desinfectionsobject bildeten 
und nach und nach schwächere Sublimat¬ 
lösungen mit immer kürzerer Einwirkungs¬ 
dauer zur Anwendung kamen. Als Resultat 
ergab sich, dass schon durch einige wenige 
Minuten dauernde Einwirkung einer Sublimat¬ 
lösung von 1 :5000 sichere Tödtung von Milz¬ 
brandsporen erzielt wird; mit einer Lösung 
von 1 :1000 reicht schon eine vorübergehende 
Befeuchtung hin, um auch die widerstands¬ 


fähigsten Sporen zu tödten. Sehr mächtig sind 
auch die entwicklungshemmenden Eigen¬ 
schaften des Sublimates; schon in einer Ver¬ 
dünnung von mehr als 4 :1,000.000 bewirkt 
es eine deutliche Verminderung des Wachs¬ 
thums der Milzbrandbacillen, bei 1:300.000 hebt 
es die Entwicklung derselben vollständig auf. 
Somit ist also von allen bekannten Desinfections¬ 
mitteln Sublimat das einzige, weiches die 
für die Praxis der Desinfection so wichtige 
Eigenschaft besitzt, schon durch eine ein¬ 
malige Application einer sehr verdünnten 
Lösung (1 pro Mille) und in wenigen Minuten 
alle, auch die widerstandsfähigsten Keime der 
Mikroorganismen zu tödten. Selbst bei einer 
Verdünnung von 1 : 5000 würde in den 
meisten Fällen eine einmalige Anfeuchtung 
des Desinfectionsobjectes genügen. Die Ver¬ 
wendung des Sublimats als Desinfections¬ 
mittel wird durch die Giftigkeit desselben 
umsoweniger beschränkt, als es gar nicht 
nothwendig ist, das Desinfectionsmittel auf 
dem Gegenstände dauernd zu belassen; nach 
kurzer Zeit kann man es durch reichliches 
Spülen mit Wasser wieder entfernen. 

6. Bezüglich einer grossen Anzahl von 
Stoffen, welche bisher als Desinfectionsmittel 
benützt wurden, zeigten die Versuche Koch’s, 
dass sie gegen Milzbrandsporen vollkommen 
machtlos sind. Es ist von praktischem In¬ 
teresse, auch diese Stoffe zu kennen. Es konn¬ 
ten die Milzbrandsporen monatelang ohne 
Schädigung aufbewahrt werden in: Alkohol, 
Glycerin,Chlorpikrin,Aceton, Buttersäure, Oel, 
Schwefelkohlenstoff, Chloroform, Benzol, Petro¬ 
leumäther, Ammoniak, 5%iger Salmiaklösung, 
concentrirter Kochsalzlösung, 5% Chlorbarium, 

5 % Bromkalium, 5 % Jodkalium, Kalkwasser, 
3 % Schwefelsäure, 4 % Salzsäure, 5 % Essig¬ 
säure, 5 % Borsäure, 5 % Milchsäure, 5 % S a- 
licylsäure in Alkohol, 5% Zinksulfat, 
5% Eisenvitriol, 5% Tannin, 5% benzoö- 
saurem Natron, 5% Thymol in Alkohol. 
Aether tödtete die Milzbrandsporen erst am 
30. Tage, Eiaenchlorid und Chlorpikrin in 

6 Tagen, 1% salzsaures Chinin in 10 Tagen, 
5% Chlorkalk, Terpentinöl, Schwefelammon in 
6 Tagen. 

7. Die Entwicklung der Bacterien 
in Nährlösungen wird ferner gehemmt 
durch Allylalkohol 1 : 167.000. Doch tödtet 
er wegen seiner Flüchtigkeit die Milzbrand¬ 
sporen in keinem Falle. In gleicher Weise 
wirkt auch Senföl, es behindert das Wachs - 
thum der Milzbrandbacillen bei einer Ver¬ 
dünnung von 1 : 330.000, in zehnmal stärkerer 
Lösung hebt es das Wachsthum vollständig 
auf, da es aber flüchtig ist, so wachsen die¬ 
selben nach einiger Zeit wieder weiter. Das¬ 
selbe ist der Fall bei Terpentinöl 1: 75.000 
und bei Pfefferminzöl 1 : 33.000. Dämpfe von 
Schwefelkohlenstoff auf 80 • erhitzt, vernichten 
in zwei Stunden die Sporen, bei gewöhnlicher 
Temperatur übt er keine Wirkung auf die¬ 
selben aus. 

8. Schwefelwasserstoff hemmt nach 
Versuchen von Froschauer das Wachsthum 
der Hefezellen sowohl in Nährlösungen ohne 


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344 


DESINFECTION. 


als in solchen mit Zucker, ferner die Ent¬ 
wicklung von Schimmelpilzen. Mit septicämi- 
schem Blute von Maus zu Maus geimpft, 
blieben jene Mäuse, welche in mit Schwefel¬ 
wasserstoffgas gemengte Luft untergebracht 
wurden, am Leben, während die übrigen 
in dieser Zeit starben. Mit Schafpocken¬ 
lymphe geimpfte Lämmer, dem Schwefelwasser¬ 
stoff ausgesetzt, reagirten auf die Impfung 
nicht im geringsten, die Controllämmer gingen 
nach Ausbruch der allgemeinen Eruption an 
Pocken zu Grunde. Andererseits ergaben die 
Versuche an mit Milzbrandstoffen gefütterten 
Mäusen, dass der Schwefelwasserstoff die Ent¬ 
wicklung des Milzbrandes im geimpften Thiere 
befördere. 

9. Hohe Temperaturen galten schon 
früher als sichere Mittel zur Tödtung aller 
organisirten Krankheitserreger. Die neueren 
Versuche der Desinfection mittelst hoher Tem¬ 
peratur durch Koch und Wolffhügel haben 
die Verschiedenheit der Wirkung derselben 
in Form von trockener Luft und in Form von 
strömendem Dampf gezeigt und damit auch die 
richtige Verwertung dieses desinficirenden 
Agens angebahnt. Als Desinfectionsobjecte be¬ 
nützten sie theils sporenfreies Material, theils 
sporenhaltige Milzbrand-, Kartoffel-, Heuba¬ 
cillen und Gartenerde mit Bacillen und Sporen. 
Die Versuche mit heisser Luft ergaben ein auf¬ 
fallend ungünstiges Resultat: es wurden wohl 
sporenfreie Bacterien bei einer Temperatur 
von wenig über 100 0 nach 1 % Stunden gc- 
tödtet, jedoch Sporen von Schimmelpilzen er¬ 
forderten schon eine 1 %stündige Temperatur 
von 110—115° C., und Bacillensporen wurden 
sogar erst durch dreistündigen Aufenthalt in 
heisser Luft von 140° vernichtet. Ungeformte 
Fermente (Pepsin, Diastase etc.) wurden erst 
durch eine Temperatur von 170° zerstört, auch 
dringt die heisse Luft so langsam in die Des¬ 
infectionsobjecte ein, dass selbst Gegenstände 
von massiger Dimension nach 3- bis 4sttindi- 
gem Erhitzen auf 140° noch nicht desinficirt 
sind: es werden durch andauernde Tempera¬ 
turen von dieser Höhe die meisten Stoffe stark 
beschädigt. 

Viel günstiger wirkte heisser 
W a s s e r d a m p f. Im Dampfkochtopf (Papinian’s 
Digestor) genügte 10 Minuten lange Einwir¬ 
kung der Wasserdärapfe von 95°, um Milz- 
bramlsporen zu tödten, von 105°, um die 
widerstandsfähigeren Bacillensporen der Garten¬ 
erde zu vernichten. Auch drangen die hohen 
Temperaturen rascher in die Objecte ein, 
wie in heisser Luft, jedoch zeigte sich, dass 
die im Dampfkochtopf befindlichen Objecte, 
namentlich Flüssigkeiten, ebenfalls längere 
Zeit bedurften, um die Temperatur des sie 
umgebenden Dampfes anzunehmen. Ein mit 
Wasser gefüllter Literkolben zeigte, nachdem 
er 30 Minuten einem Dampf von 127° ausge¬ 
setzt war, eine Temperatur von 65° C. Die 
Resultate waren viel besser, wenn kein ge¬ 
schlossener Apparat sondern strömender 
Wasserdampf zur Desinfection verwendet 
wurde. Der hiezu benützte, sehr einfache 
Apparat bestand aus einem Blechgefass von 


beiläufig 20 cm Durchmesser zur Aufnahme 
des kochenden Wassers; mit dem Gefösse 
steht in möglichst dichter Verbindung ein 
cylinderförmiges Aufsatzrohr von 1—1% m 
Länge, welches innen Vorrichtungen hat, 
um verschiedene Objecte darin unterbringen 
zu können. Die obere Oeffnung des Cylin- 
dere trägt einen Aufsatz mit fingerdicker 
Oeffnung. Cylinder und Aufsatz sind mit 
schlechten Wärmeleitern (Filz, Asbest) um¬ 
geben. Heizt man das Kochgefass, so er¬ 
hält man bald Wasserdampf von 100°, weicher 
durch den Cylinder ausströmt. In diesen 
Cylinder wurden die verschiedensten Desinfec¬ 
tionsobjecte gebracht, wobei stets schon eine 
5—15 Minuten lange Einwirkung des Wassex- 
dampfes von 100° C. genügte, um auch Ba¬ 
cillensporen zu tödten. Bei complicirten Gegen¬ 
ständen (aufgewickelte Rolle von Packlein- 
w r and mit sporenhältigem Material inficirt) 
wurde der Effect in 30 Minuten erreicht; nach 
dieser Zeit w r ar das Maximalthermometer in 
jedem als Probe benützten Objecte auf 100° 
gestiegen. Der Desinfection mit heissem, durch¬ 
strömendem Wasserdampf gebührt demnach der 
erste Rang in allen Fällen, wo sie durch¬ 
führbar ist; keine andere Art der Hitzedes- 
infection wirkt so sicher auf die Organismen 
ein, auch ist eine relative so geringe Art der 
Beschädigung der Gebrauchsgegenstände auf 
keine andere Weise zu erzielen. Die Bemer¬ 
kung Locusteano’s (s. österr. Monatsschr. f. 
Thierheilkd., 1885 Nr. 1, thierärztliche Ver¬ 
sammlung in Bukarest), dass die Dämpfe keine 
guten Desinfectionsmittel sind, weil sie sich 
in der kleinsten Distanz schon abkühlen, 
nehmen den Angaben Koch’s nichts von 
ihrem Werthe, sie müssen uns im Gegen- 
theile anregen, solche Apparate für die Des¬ 
infection mit Wasserdampf zu construiren, dass 
ganz so wie bei Koch’s Versuchen die zu 
desinficirenden Objecte mit Wasserdampf von 
100 0 in Berührung kommen. 

Auf Grund der eben geschilderten Ver¬ 
suche wurden in neuerer Zeit die Desinfections- 
verfahren für specielle Zwecke, zur Desinfec¬ 
tion der Räume, der Utensilien, der kranken 
Thiere, der Transportmittel u. s. w., bei den 
verschiedenen Infectionskrankheiten eingerich¬ 
tet (s. weiter unten). Wie schon im Eingang 
erwähnt, bildet die Kenntniss der Nähr- und 
Vermehrungsverhältnisse der einzelnen Mikro¬ 
organismen, welche als specifische Krankheits¬ 
erreger nachgewiesen wurden, und deren Ver¬ 
halten gegenüber den Desinfectionsmitteln die 
einzige sichere Grundlage eines wirksamen Des- 
infectionsverfahrens. Aber für jeden Thierarzt, 
welcher die Lebensbedingungen der Mikro¬ 
organismen kennt, wird sich die Desinfection 
nicht nur auf die bezüglichen Massregeln 
während des Herrschens und Umsichgreifens 
einer Epizootie beschränken, sondern er wird 
dahin wirken, dass sowohl im landwirtschaft¬ 
lichen Betriebe, als während der Mästung und 
bei sämmtlichen Arten der Thierzucht alle 
jene Momente vermieden werden, welche der 
Entwicklung der Krankheitskeime oder deren 
Fortpflanzung Vorschub leisten. In dieser Be- 



DESINFECTION. 


345 


Ziehung beginnt die Verhütung der Infections- 
krankheiten mit der hygienischen Ueber- 
wachung der Hausthiere. Geräumige Stallungen, 
rechtzeitige Entfernung des Mistes, reine 
Futtermittel und reines Wasser bilden das 
beste Präservativ gegen Infectionskrankheiten. 
Die Desinfeetion während einer Epizootie 
gleicht dem Löschen während einer Feuers¬ 
brunst — ein Glück, wenn es noch möglich 
ist, Weniges zu retten. 

Literatur: R. Koch, Mittheilungeii des kaiserl. 
Gesundheitsamtes in Berlin, I. und II. Band. C. Flügge, 
Lehrbuch der hygienischen Untersuchungeg, Leipzig 1881 . 
J. Nowak. Die Infectionskrankheiten vom aetiologischen 
und hygienischen Standpunkte. Wien 1882 . Loebisch. 

Specielles. Unter Desinfeetion (von 
de, von, und inficere, eintauchen, anstecken, 
verderben) versteht man die Reinigung, Ent¬ 
giftung, Vernichtung von Ansteckungsstoffen, 
Miasmen, Contagien, Fäulnisserregern etc.; die¬ 
selbe w r ird überall da angewendet, wo sich schäd¬ 
liche inficirende Stoffe angehäuft oder festgesetzt 
haben. Der Desinfeetion werden unterworfen: 
Menschen und Thiere in lebendem und todtem 
Zustande, in und an denen Infectionsstoffe 
haften, ferner mit solchen Stoffen verunreinigte 
Kleider, Geschirre, Stallräume, Excremente, 
Thierproducte, Felle, Wolle, Haare, Borsten, 
Knochen, Hörner, Hufe, Talg, Därme, Futter¬ 
stoffe, Wasser, Luft, Weideplätze, Eisenbahn¬ 
wagen, chirurgische Instrumente und Apparate, 
verunreinigte Wunden und Geschwüre, Brunnen 
und 8tagnirende Gewässer, Abzugröhren, Cada- 
verplätze etc. Menschen, die mit besonders 
gefährlichen Ansteckungsstoffen, wie z. B. mit 
Rinderpest und Schafpocken in Berührung 

f ewesen, werden am besten durch Bäder und 
b waschen mit Seifenwasser gereinigt. Dasselbe 
gilt auch von lebenden Thieren,wo die Ausführung 
möglich ist. Weniger sicher ist das Aus¬ 
räuchern bekleideter Menschen und lebender 
Thiere mit Chlorgas, schwefligsaurem und 
Salpetersäuregas. Die Desinfeetion aller unbe¬ 
lebten Gegenstände geschieht am sichersten 
durch hohe Hitzegrade oder noch besser durch 
vollständiges Verbrennen oder Vernichten der¬ 
selben durch Feuer, und ist das Verbrennen 
wenig werthvoller Gegenstände, die mit besonders 
gefährlichen Contagien (Rinderpest) in Berüh¬ 
rung gewesen, anzuempfehlen. In vielen Fällen 
ist aber das Verbrennen nicht durchführbar 
und auch nicht nothwendig, und es kommen 
hier eine Reihe anderer Desinfectionsmittel 
in Anwendung, wie: kochendes Wasser, heisse 
Dämpfe, Lauge, Aetzkalk- und Chlorkalkmilch, 
Alkohol, Carbolsäure, Benzin, Creosot, Theer, 
Terpentinöl, Lösungen verschiedener Metall¬ 
salze, insbesondere Sublimatlösungen, Kalihyper- 
manganicum, Säuren, Alkalien, Luft, Austrock¬ 
nen, Ozon, Chlorgas, Schwefligsäuregas, Rauch, 
Theerdämpfe, Kohle etc. Kleider und Schuh¬ 
werk von Menschen werden durch kochendes 
Wasser oder Einwirkung heisser Wasserdämpfe 
(100° C.) von allen daran haftenden An¬ 
steckungsstoffen befreit. Dasselbe gilt auch von 
Geschirren, Wolle, Haaren, Borsten, Knochen, 
Hörnern, Hufen, Talg (ausgeschmolzen), In¬ 
strumenten, Eisenbahnwagen. Noch sicherer ge¬ 
schieht die Desinfeetion, wenn man dem ko¬ 


chenden Wasser Carbolsäure hinzufügt oder 
heisse Lauge anwendet. Bei der Gegenwart 
sehr flüchtiger Contagien genügt oft schon 
einfaches Auslüften oder Aushängen und Aus¬ 
stellen der Gegenstände in dem freien Luftzug 
und Wind ausgesetzten Orten (zu denen für 
das Contagium empfängliche Thiere keinen Zu¬ 
tritt haben dürfen). Sicherer als das einfache 
Lüften desinficirt die Einwirkung von heisser 
(über 100° C.) oder ozonhaltiger Luft. Schuh¬ 
werk und sonstiges Lederzeug kann auch durch 
Abwaschen mit Sublimatlösungen desinficirt 
werden. Die Desinfeetion von Cadavern an 
ansteckenden Krankheiten gefallener Thiere 

G eschieht am sichersten durch vollständiges 
erbrennen oder Auflösen derselben in Schwe¬ 
felsäure. Wo das aber nicht geschehen kann, 
müssen die Cadaver an dazu bestimmten ab¬ 
gelegenen, umzäunten Orten, nachdem man das 
Fell zerschnitten und mit Carbolsäure oder 
Petroleum übergossen (bei Rinderpest, Rotz, 
Milzbrand, Schafpocken), t —3 m tief verscharrt 
werden, nachdem man sie noch in der Grube 
mit Aetz- oder Chlorkalk bestreut hat. Bei 
vielen, auf den Menschen nicht übertragbaren 
Infectionskrankheiten können Felle, Fett und 
Knochen verwerthet werden. Die abgezogenen 
Felle sind am zweckmässigsten gleich den 
Gerbereien zu übergeben, weil durch das Einlegen 
in Gerberlohe alle Contagien ausser Milzbrand¬ 
sporen zerstört werden. Wo keine Gerbereien 
in der Nähe sind, da genügt es, die Felle 
an luftigen, abgelegenen Orten zw r ei bis drei 
Wochen lang einem vollständigen Austrocknen 
zu unterw erfen. Dabei können die Häute noch 
vorher mit Aetzkalk- oder Chlorkalkmilch, mit 
Carbolsäure oder Sublimatlösungen bestrichen 
werden. Auch die Einwirkung trockener, 
heisser Luft auf die Felle zerstört die meisten 
in denselben enthaltenen Infectionsstoffe. Das 
von den Häuten Gesagte gilt auch von den 
Hörnern, Hufen und Klauen. Ausgeschmolzenes 
Fett ist meist gefahrlos, da die Anstockungs¬ 
stoffe durch die Schmelzhitze zerstört werden: 
Knochen müssen, nachdem sie von den Weich- 
theilen befreit worden, wenigstens eine Stunde 
gründlich gekocht und dann getrocknet oder 
auch über Feuer geröstet werden, bevor sie 
in den Handel kommen. Haare, Wolle und 
Borsten werden durch Auswaschen mit Lauge 
oder Carbolsäurelösungen und gehöriges Aus¬ 
lüften und Austrocknen desinficirt. Die Des- 
infection der Stallräume ist verschieden, je 
nachdem ob Thiere mit fixen oder flüchtigen 
Contagien sich darin aufgehalten haben. Bei 
Krankheiten mit fixen Contagien (Milzbrand, 
Wuth) genügt es, den Stand des kranken 
Thieres und die an denselben angrenzenden 
zu desinficiren, bei flüchtigen Contagien da¬ 
gegen muss der ganze Stall desinficirt wer¬ 
den. Nach Beendigung der Seuche wird der 
Dünger mit Hilfe durchseuchter oder für das be¬ 
treffende Contagium nicht empfänglicher Thiere 
ausgeführt, und bei sehr gefährlichen Seuchen 
(Milzbrand, Rinderpest) gleich verbrannt oder 
verscharrt oder bei weniger gefährlichen Krank¬ 
heiten aufs Feld gebracht und in dünnen 
Schichten ausgebreitet, der Einwirkung der 



346 DESINFECTIONSMITTEL. — DESMOBACTERIA. 


Luft aufgesetzt oder auch gleicli untergepflügt. 
Vor dem Ausfuhren kann der Dünger auch noch 
mit roher Carbolsäure, Chlorkalk, schwefeliger 
Säure oder Sublimatlösung behandelt wer¬ 
den. Nach Entfernung des Düngers und bei 
Stallräumen ohne Dielen auch der obersten 
Erdschicht, werden Stände, Raufen, Krippen, 
Wände, Lage, Thüren und Fenster mit lieisser 
Lauge, Lösungen von Carbolsäure, Sublimat 
oder Kali hypermangnnicum abgewaschen und 
mit Kalkmilch oder Theer bestrichen. In Stall¬ 
räumen mit Fussböden aus Cement oder Stein 
werden diese ähnlich behandelt. Schadhatte 
Bretterdielen müssen nebst der darunter ge¬ 
legenen verunreinigten Erdschicht entfernt und 
durch neue Erde und neue Bretter ersetzt 
werden. Nach Entfernung der Thiere und Aus¬ 
führung des Düngers sind nach sorgfältigem 
Verschluss der Fenster und Thüren in ge¬ 
schlossenen Stallräumen Chlorgas oder Schwef¬ 
ligsäuregas zu entwickeln, und darauf werden 
die Ställe zwei bis drei Wochen durch Offen¬ 
halten sämmtlicher Fenster und Thüren gründ¬ 
lich ausgelüftet. Schlechte, verdorbene Luft 
bei Anhäufung von Excrementen und unge¬ 
nügender Ventilation reinigt man durch Ein¬ 
stellen von Schalen mit Salzsäure (um Am¬ 
moniak zu binden), Kali hypermanganicum (in 
Lösungen), aromatische Räucherungen (Ver¬ 
brennen von Theer, Wachholder etc.) oder 
Hineinstellen glühender Kohlen. Futterstoffe, 
die von flüchtigen Contagien durchdrungen 
sind, werden bei besonders gefährlichen Seu¬ 
chen (Rinderpest) verbrannt oder an solche 
Thiere verfüttert, die für das betreffende Con- 
tagiurn keine Empfänglichkeit besitzen, z. B. 
an Pferde bei Rinderpest, Lungenseuche, bös¬ 
artiger Kopfkrankheit. Eisenbahnwagen, in 
denen Thiere mit ansteckenden Krankheiten 
transportirt werden, müssen mit kochendem 
Wasser, heissen Wasserdämpfen, heisser Lauge 
oder mit Lösungen von Carbolsäure, Sublimat 
oder Kali hypermanganicum ausgewaschen wer¬ 
den. Instrumente und Apparate werden am 
besten mit kochendem Wasser oder mit Subli¬ 
matlösungen oder auch durch Ausglühen des- 
inficirt. Verunreinigte Brunnen und Abzugs¬ 
röhren müssen ausgereinigt und für gehörigen 
Abzug und beständigen Zufluss frischen Was¬ 
sers muss gesorgt werden. Gefährliche, sumpfige 
Niederungsweiden und stagnirende Gewässer 
werden durch Entwässerung oder aber durch 
IJeberrieselung mit fliessendem Wasser un¬ 
schädlich gemacht. Schlechtes Trinkwasser 
desinficirt man durch Filtriren durch Kohle oder 
Sand oder auch durch Zusatz von Kali hyper- 
manganicura (bis zu */,%). Mit Infections- 
stoffen verunreinigte Wunden und Geschwüre 
werden durch Ausbrennen mit dem Brenn¬ 
eisen oder durch Anwendung energischer Aetz- 
mittel (Aetzpaste, Chlorantimon, concentrirte 
Säuren und Alkalien, Carbolsäure) desinficirt. 
Frische Wunden schützt man vor Verunreini¬ 
gungen mit Fäulnisserregem und anderen In- 
fectionsstoffen durch beständige Berieselung 
mit reinem Wasser oder durch antiseptische 
Waschungen und Verbände mit Lösungen von 
Carbolsäure, Sublimat, Kali hypermangani¬ 


cum etc. Verunreinigte, mit schädlichen Aus* 
dünstungen, Gasen, Staub und niederen Orga¬ 
nismen durchsetzte Luft im Freien in warmer 
Jahreszeit und bei Windstille wird durch 
Winde und noch mehr durch fallenden Regen 
gereinigt und desinficirt. Semmer. 

Desinfectionsmittel, s. Desinficientia. 

De8lnflcientia sind die Mittel, um An¬ 
steckungsstoffe zu zerstören, d. h. die para¬ 
sitären Krankheitserreger zu tödten oder 
wenigstens ihre Entwicklung zu sistiren, 
u. zw. du^ch chemische Veränderung des 
Materiales, in welchem sie ihren Sitz aufge¬ 
schlagen haben und wuchern. Die tödtende 
Wirkung der Desinficientien hängt theils von 
directer Alteration des Protoplasmas der 
Mikrozymen ab, wie namentlich aus dem 
Verhalten des Jods, Broms, der Säuren und 
Metallsalze gegen Eiweiss klar hervorgeht, 
theils geschieht sie indirect, wenn die An¬ 
steckungserreger schon in der Luft zerstört 
werden sollen, indem einzelne Stoffe, wie die 
sog. Ozonide (z. B. Terpentinöl), den atmo¬ 
sphärischen Sauerstoff in erregten activen 
(Ozon) überführen, wodurch er ein kräftiges 
Oxydationsmittel geworden ist. Aehnliche 
Krankheitserreger finden sich auch bei der 
fauligen Zersetzung als organisirte Fermente, 
zwischen Gährung und Infection besteht 
daher eine gewisse Analogie, weswegen die 
antiseptischen Mittel mit den desinficirenden 
zusammenfallen, ebenso mit den desodo- 
risirenden, und ist eine Scheidung dieser 
Gruppe von Stoffen schon aus dem Grunde 
nicht durchführbar, weil manche gleichzeitig 
desodorisiren und desinficiren und andere 
Desinficientien auch auf das Zersetzungs¬ 
material und die Mikrozymen einzuwirken im 
Stande sind. In neuester Zeit hat man übri¬ 
gens in die Ertödtung der niedrigen Orga¬ 
nismen den Schwerpunkt der Desinfection 
elegt, und ist von derselben, wie Koch 1881 
arlegte, zu fordern, dass sie nicht bloß 
Pilze und Bacterien, sondern auch die Dauer¬ 
sporen der letzteren ihrer Lebensfähigkeit 
beraube. Geht man jedoch von diesen 
Koch’schen Aufstellungen aus, so wird man 
allerdings zu den „Desinfectionsmitteln im 
engsten Sinne“ nur Chlor, Brom und Sub¬ 
limat zu rechnen haben, doch ist nicht zu 
bezweifeln, dass für die Praxis auch eine 
Reihe von Mitteln in Betracht kommt, 
welche, obwohl den Dauersporen gegenüber 
machtlos, doch die Entwicklung von Bacillen 
zu verhüten vermögen; hieher gehört nament¬ 
lich die Carbol- und Salicylsänre u. s. w., 
welche zu den antiseptischen Stoffen zu 
zählen sind und von denen schon in dem 
Artikel „Antiseptica“ das Nähere angegeben 
worden ist. Vogel. 

Desmarest, französischer Veterinär von 
besonderer publicistischer Productivität, war 
1824 Professor in Alfort. Kock. 

Desmars gab 1764 eine UeberBetzung 
der Epidemien von Hippocrates heraus. Koch. 

Desmobacteria, Fadenbacterien, nannte 
Cohn (Beitr. z. Biol. d. Pfl. I. 1872, S. 173) 
die stabförmigen Spaltpilzformen, speciell 


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DESODORISANTIA. — DESTILLATION. 


347 


Vibrio und Bacillus. Nach dem heutigen 
Standpunkte der Spaltpilzforschungen muss 
diese Bezeichnung als überflüssig fallen ge¬ 
lassen werden. Harz. 

De80dorf8antfa, üble Gerüche zerstörende 
Mittel. Sie vermögen keine grosse Rolle zu 
spielen, denn die relativ untergeordnete Be¬ 
deutung, welche die bei Fäuinissprocessen 
sich bildenden gasförmigen Substanzen für 
die Fortpflanzung und Verbreitung anstecken¬ 
der Krankheiten haben, macht die Anwendung 
von Substanzen zu deren Beseitigung zur 
Nebensache, während sie früher, wo man 
ausschliesslich durch Räucherungen harziger 
und wohlriechender Stoffe Ansteckungskrank¬ 
heiten Widerstand zu leisten versuchte, 
Hauptsache war; sie konnten natürlich nur 
die üblen Gase maskiren, indem sie ihren 
eigenen Geruch zur Geltung brachten, jetzt 
vernichtet man die Ursachen der fauligen 
Zersetzung und sucht auf diese Weise der 
Bildung von gasigen Producten zuvorzu¬ 
kommen, worüber das Nähere schon in den 
Artikeln Antiseptica und Desinficientia gesagt 
worden ist. Vogel. 

Desplas J. B., 1758—1823. sowohl als 
Praktiker wie auch als Schriftsteller renom- 
mirter französischer Veterinär. Koch. 

De8pumatio (von Despumare), Abschäu¬ 
men, s. d. 

De88aive, Professor zu Lüttich, schrieb 
1845 ein Buch: „Les animaux domestiques consi- 
ddrös sous le rapport de leur Conservation, de 
leur amdlioration et de la gudrison de leurs 
maladies“ und beschäftigte sich viel mit der 
Lungenseuche-Impfung. Semmer. 

D688ler Fr. war Departementsthierarzt in 
Königsberg, veröffentlichte im Magazin von 
Gurlt und Hertwig mehrere Artikel, so z. B. 
über Anthrax (1838), Schafpocken (1841), 
Kuhpocken, katarrhalische Fieber, Anwendung 
des kalten Wassers (1846), Durchlöcherung des 
Pferdemagens durch Bremsenlarven, Krebs der 
Parotiden (1853) etc. Semmer. 

Destillation, eine chemische Operation, 
welche an gewendet wird, um eine flüchtige 
Flüssigkeit von nicht oder weniger flüchtigen 
Stoffen zu trennen, mit der Absicht, die flüch¬ 
tige Flüssigkeit wieder zu gewinnen. Um 
letzteres zu erreichen, muss die Flüssigkeit 
aus der Dampffonn, in welcher sie entfernt 
wurde, wieder in den tropfbar flüssigen Zu¬ 
stand zurückgeführt werden. Der hiezu be¬ 
nützte Apparat besteht demgemäss aus einem 
Gefäss, in welchem das der Destillation zu 
unterwerfende Gemisch erhitzt wird, der Re¬ 
torte, und aus einer Vorrichtung, in der die 
Dämpfe abgekühlt und wieder zur Flüssigkeit 
eondensirt werden, in der einfachsten Form 
der Retortenhals, bei complicirteren Appa¬ 
raten Kühlröhren, und schliesslich aus 
einem GefUss, in welchem sich die zur 
Flüssigkeit verdichteten Dämpfe, das Destillat, 
ansammeln, der Vorlage. Erhitzt man z. B. 
Wein in einer Retorte, so verflüchtigt sich der 
Alkohol des Weines in Dampffonn, in dem mit 
Wasser abgekühlten Retortenhals verdichtet 
sich derselbe und tropft in die Vorlage ab. 


In der Retorte bleiben sämmtliche bei der 
Siedetemperatur des Alkohols nicht flüchtigen 
Bestandtheile des Weines — Wasser, Zucker, 
weinsaure Salze, Gerbsäure — zurück. Nicht 
immer gelingt es, den flüchtigen Bestandtheil, 
welchen man durch die Destillation gewinnen 
will, auf einmal frei von Beimengungen zu 
erhalten. Destillirt man Alkohol aus einer 
wasserhaltigen Flüssigkeit, so gehen mit den 
Alkoholdämpfen auch Wasserdämpfe über. Um 
nun eine vollkommene Trennung beider zu 
erreichen, destillirt man abermals, man unter¬ 
stützt auch die Trennung des Wassers vom 
Alkohol, indem man in das Gemenge Aetzkalk 
einträgt, welcher das Wasser bindet, man er¬ 
hält auf diese Weise einen wasserfreien Alkohol. 
Diese zweite Destillation heisst Rectification. 

Wenn in einer Flüssigkeit mehrere flüch¬ 
tige Körper enthalten sind, so verflüchtigt sich 
beim Erhitzen zunächst derjenige, dessen 
Siedepunkt am niedrigsten liegt. Enthält eine 
Flüssigkeit Methylalkohol, welcher bei 66° C., 
und Aethylalkohol, welcher bei 78° C. siedet, 
und erhitzt man das Gemenge, während ein 
Thermometer in die Flüssigkeit taucht, so 
kann man beobachten, dass das Thermometer 
zunächst bis 66° C. ansteigt und so lange 
stationär bleibt, bis sämmtlicher Methylalkohol 
übergegangen ist, dann steigt es wieder rasch 
bis 78° C., bis der Aethylalkohol überdestillirt. 
Auf diese Art wird es also möglich, die ein¬ 
zelnen flüchtigen Bestandtheile eines Gemisches, 
wenn deren Siedepunkte genügend von einander 
differiren, auch von einander zu trennen. Zu 
diesem Behufe wird, sobald das Thermometer 
constant geworden, die Vorlage gewechselt 
und das entsprechende Destillat gesondert ge¬ 
sammelt. Man spricht dann von einer Trennung 
durch fractionirte Destillation. 

Als trockene Destillation bezeichnet 
man die Zersetzung organischer Stoffe durch 
Erhitzen beim Abschluss der Luft in eigens 
hiezuconstruirten Destillationsapparaten. Hiebei 
entstehen gasartige, wässerige und ölige, auch 
bei gewöhnlicher Temperatur erstarrende Pro- 
ducte, denen häufig ein brenzlicher oder theer- 
ähnlicher Geruch anhaftet; der Rückstand 
ist zumeist ein kohlenartiger Körper. Die 
trockene Destillation findet in der Technik 
häufige Anwendung, so z. B. zur Herstellung 
von Leuchtgas, Holzgeist. Loeöisch. 

In pharmakologischer Beziehung wird 
das Destilliren u. A. zur Bereitung des 
Aqua destillata geübt, wobei jedoch möglichst 
weiches Wasser, z. B. Regenwasser, das aber 
ebenfalls unrein ist und sogar Salze, flüchtige 
und bacteridische Substanzen enthält, genom¬ 
men wird (s. Aqua). Der zuerst übergehende 
und als Dampf niedergeschlagene Antheil des 
Wassers ist immer noch unrein, wird be¬ 
seitigt und erst dann das Destillat als rein 
betrachtet, wenn bei wiederholtem Ueber- 
führen gar kein Rückstand mehr bleibt. 
Letztere Operation heisst 

Rectificiren, und wenn die flüchtige 
Substanz sich nicht zu einer tropfbaren 
Flüssigkeit verdichtet, sondern sofort wieder 
feste Gestalt annimmt, so spricht man von 



348 DESTILLIRTE WÄSSER — DEUTSCHE DOGGE. 


Sublimation, und will man dabei erstere 
ebenfalls von fremden Stoffen trennen. Wird 
durch Einwirkung von Wärme aus irgend 
einem Stoffe eine flüchtige Substanz neuge- 
bildet, indem derselbe sich zersetzt, so nennt 
man die chemische Operation 

Trockene Destillation (s. Theer). 
Sind in der zu destillirenden oder abzu¬ 
ziehenden Flüssigkeit mehrere flüchtige Sub¬ 
stanzen enthalten, so geht zuerst diejenige 
über, deren Siedepunkt am niedrigsten ge¬ 
legen ist; es kann daher zugleich auch durch 
diese sog. 

Fractionirte Destillation der jewei¬ 
lige Siedepunkt aufgefunden und bestimmt 
werden, wenn an dem Apparate ein Thermo¬ 
meter angebracht ist und die einzelnen 
Substanzen für sich gesondert aufgefangen 
werden. Vogel. 

Destillirte Wässer, Aquae destillatae, sind 
Lösungen ätherischer Oele oder anderer flüch¬ 
tiger Substanzen in Wasser oder stark ge¬ 
wässertem Weingeist, welche durch Destilla¬ 
tion der betreffenden, diese Oele enthaltenden 
Pflanzenstoffe gewonnen werden und die dann 
den eigentümlichen Geruch derselben er¬ 
halten (s. Aquae aromaticae). VI. 

Detritus, Zerfallsproduct (von detero, ab¬ 
reiben), bildet sich bei aufgehobener Er¬ 
nährung der Gewebe, bei Entartungen, Zer¬ 
trümmerungen, Brand und Fäulniss. Die Ge¬ 
webe und Zellen lösen sich dabei in kleine 
Körnchen und Moleküle von verschiedener 
Beschaffenheit auf. Nach den vorwiegenden 
Bestandteilen unterscheidet man einen fet¬ 
tigen Detritus bei Fettdegenerationen, einen 
albuminösen Detritus bei albuminöser und 
käsiger Entartung, einen jauchigen Detritus 
bei fauliger Zersetzung der zerfallenden Ge- 
websmassen. Den Eiweiss- und Fettpartikelchen 
des Detritus sind oft beigemengt Kalkkörnchen 
(Verkalkung), Pigmentkörnchen (Pigment¬ 
entartung), Fettkrystalle, Cholesterinkrystalle 
(atheromatöse Entartung), Gewebstrümmer 
und niedere Organismen (Spaltpilze) bei der 
Fäulniss etc. Semmer. 

Deutochloridum Hydrargyri, eine Be¬ 
zeichnung der Pharmacopoea Austriaca für 
Hydrargyrum bichloratum (s. d.). Vogel. 

Deutojoduretum Hydrargyri Ph. Austr., 
das rothe Doppeljodquecksilber, Hydrargyrum 
bijodatum rubrum (s. d.). Vogel. 

Deutoplasma. Der Dotter im Eichen be¬ 
steht (E. van Beneden) aus einem Proto¬ 
plasma oder dem Bildungsdotter und einem 
Deutoplasma, dem Nahrungsdotter. Beide 
Theile können getrennt und nur an einander 
gelagert sein, oder sie sind mit einander ver¬ 
mengt, und es ist Protoplasma und Deuto¬ 
plasma in einem Dotter vereinigt. Sk. 

Deutsche Dogge. Altdeutsche Dogge (Strich - 
Chapel). Schon seit frühen Zeiten wurden 
in Deutschland, namentlich Süddeutschland, 
grosse Hunde schweren Schlages gezüchtet, die 
eine bedeutende Grösse, bis 81 cm Schulter¬ 
höhe, erreichten. Im Allgemeinen sind die 
Kennzeichen dieses Hundes schwer festzu¬ 


stellen. Nach Strich-Chapel gleicht derselbe 
dem dänischen Hunde, ist aber schwerer, der 
Kopf dicker, die Lippen überhängend, der 
Unterkiefer öfter ein wenig, wenn auch kaum 
merklich vorstehend, der Hals dick, die Haut 
etwas schlaff, die Füsse dick und grobknochig, 
die Lenden nicht eingezogen, die Ruthe dicker 
als beim dänischen Hund, die Farbe gelb, 
gestromt oder schwarz. In neuerer Zeit wird 
der Name deutsche Dogge als Sammelname 
für die sog. Dänischen und Ulmerdoggen ge¬ 
braucht und vom Verein zur Veredlung der 
Hunderassen für Deutschland folgende Rasse¬ 
merkmale festgestellt: Kopf raässig lang ge¬ 
streckt und eher hoch und seitlich zusammen¬ 
gedrückt erscheinend. Stirne im Profil nur 
wenig höher als der Nasenrücken und nach 
hinten schwach ansteigend; die Stirne von 
vorne gesehen nicht auffällig breiter als der 
stark entwickelte Schnauzentheil, Backen¬ 
muskeln stark ausgebildet. Nase gross, 
Nasenrücken sehr schwach gewölbt, fast ge¬ 
rade, Lippen vorn senkrecht abgestumpft, 
nicht zu stark an den Seiten überhängend, 
jedoch mit gut ausgesprochener Falte am 
Mundwinkel. Unterkiefer weder vorspringend, 
noch zurückliegend, Augen klein, rund, mit 
scharfem Ausdruck, Brauen gut entwickelt, 
Ohren mittelgross, hoch angesetzt, wenn ge¬ 
stutzt, spitz zulaufend und aufrecht stehend. 
Hals lang und kräftig, leicht gebogen, mit 
gut ausgebildetem Genickansatz, von der Brust 
bis zum Kopf sich allmälig verjüngend und 
ohne Wamme oder zu weite Kehlhaut schlank 
in den Kopf übergehend. Brust breit, Rippen¬ 
korb gut gewölbt, langgestreckt und nach 
vom tief herabgesenkt, Rücken lang, in der 
Nierengegend gewölbt, Kruppe kurz, mässig 
schräg abfallend und in schöner Linie zur 
Ruthe übergehend. Ruthe mittellang, kaum 
über das Sprunggelenk hinabreichend, an der 
Wurzel breit und stark, jedoch leicht und 
schlank auslaufend, mit schwacher Krümmung. 
Bauch nach hinten gut aufgezogen. Schulter 
schräg gestellt. Ellenbogen gut niedergelassen, 
nicht gedreht, Lauf stark und gerade, Ober¬ 
arm muskulös, von vorn gesehen nur sehr 
schwach gebogen, der ganze Lauf stark und 
im Profil völlig gerade bis zum Fuss herunter. 
An den Hinterläufen die Keulen muskulös, 
Unterschenkel lang und stark, im windhund¬ 
artigen Winkel zu der kurzen Fusswurzel 
stehend. Füsse rundlich, weder nach innen 
noch nach aussen gedreht: Zehen gut ge¬ 
wölbt und geschlossen. Nägel sehr stark und 
gekrümmt. Haar sehr kurz, dicht, fein, an 
der Unterseite der Ruthe nicht verlängert. 
Farbe: a) geflammt. Grundfarbe: goldbraun, 
gelb, schiefergrau, eisen- oder hellaschgrau 
mit schwarzen oder doch dunklen unregel¬ 
mässigen Querstreifen geflammt: b) einfarbig: 
gelb, schiefergrau, aschgrau, hellsilbergrau, 
ganz einfarbig oder mit leichtem schwärz¬ 
lichen Anfluge an Schnauze, Augen und dem 
Rückenstrang. Ferner einfarbig schwarz. Nase 
beigeflammten und einfarbigen immer schwarz. 
Augen und Nägel dunkel; c) gefleckte oder 
Tigerdoggen. Grundfarbe w’eiss oder liell- 


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DEUTSCHLANDS THIERZUCHT. 349 


silbergrau mit unregelmässigen zerrissenen 
und vertheilten Flecken. Im Allgemeinen wird 
verlangt: Bedeutende Grösse bei kräftiger, 
doch eleganter Bauart. Weiter Schritt und 
stolze Haltung. Kopf und Hals hoch, Ruthe 
meist abwärts oder horizontal getragen mit 
möglichst schwacher Krümmung. Studer. 

Deutschlands Thierzucht. Ueber den Vieh¬ 
bestand des Deutschen Reiches besitzen wir 
erst seit dem 10. Jänner 1873 genauere Kennt- 
niss. Die letzte Viehzählung am 10. Jänner 
1883 hat uns bezüglich des Verhältnisses des 
Viehstandes zu Areal und Bevölkerung höchst 
beachtenswerthe Daten geliefert und den Nach¬ 
weis geführt, dass fast bei sämmtlichen Haus¬ 
thiergattungen — nur die Schafe ausgenom¬ 
men — eine nicht unerhebliche Zunahme, 
sowie auch an den meisten Orten eine wesent¬ 
liche Verbesserung der Zuchten stattgefunden 
hat. Im ganzen Deutschen Reiche fanden sich 
am 10. Jänner 1883 folgende Bestände: 
3,522.316 Pferde überhaupt, darunter waren 
2,962.921 Stück dreijährige und ältere Thiere 
dieser Gattung; 15,785.322 Haupt Rindvieh 
überhaupt, darunter befanden sich 10,717.136 
Stück zweijährige und ältere Thiere; ferner 
19,185.362 Schafe, 9,205.791 Schweine und 
2,639.994 Ziegen. 

Die Zunahme und Abnahme des Vieh¬ 
standes in der Zeit vom 10. Jänner 1873 
bis zum 10. Jänner 1883 stellte sich, in Per- 
centen ausgedrückt, folgenderraassen: Pferde 
(überhaupt) 5*07 Zunahme, Rindvieh (über¬ 
haupt) 0*05 Zunahme, Schafe: 23 26 Ab¬ 
nahme, Schweine: 29*22 Zunahme, Ziegen: 
13*79 Zunahme, Ziegen: 13*79 Zunahme. 
Auf 1*9 km* entfallen im Deutschen Reiche: 
6*5 Pferde, 29*2 Rinder, 35*5 Schafe, 
17*0 Schweine und 4*9 Ziegen. Das Verhält- 
niss des Viehstandes zur Bevölkerung stellte 
sich bei der letzten Zählung folgendermassen: 
Auf 100 Einwohner des Reiches entfallen 
7*7 Pferde, 34*5 Rinder, 41*9 Schafe, 
20* 1 Schweine und 5 *8 Ziegen. Ueber den Vieh¬ 
stand der einzelnen deutschen Staaten s. d. 

Die Pferdezucht hat an verschiedenen 
Orten des Deutschen Reiches an Ausdehnung 
bedeutend zugenommen, und nur vereinzelt ist 
eine Beschränkung derselben bemerkbar ge¬ 
worden. Besonders auffällig erscheint die 
Zunahme dieses Zuchtzweiges in den König¬ 
reichen Preussen und Sachsen, im Grossherzog¬ 
thum Sachsen-Weimar, in den thüringischen 
Herzog- und Fürstentümern und im Herzog¬ 
thum Braunschweig. Im Königreich Württem¬ 
berg und im Grossherzogthume Baden hat 
die Pferdezucht einige Einbusse erlitten. 

In den zuerst genannten Staaten hat neben 
der Züchtung des leichteren Soldatenpferdes 
die Aufzucht schwerer Arbeitsschläge nicht 
unerheblich zugenommen, aber dessenunge¬ 
achtet werden auch nach Deutschland alljähr¬ 
lich noch viele schwere Zugpferde aus Bel¬ 
gien, Holland, Frankreich, England und Däne¬ 
mark ein geführt. Im Jahre 1881 gelangten in 
das deutsche Zollgebiet 54.857 Pferde, und es 
stellte sich die Ausfuhr in demselben Jahre 
nur auf 18.883 Stück. Diese letzteren einge¬ 


führten Pferde gehörten grösstentheils den leich¬ 
teren Reit- und Kutschschlägen an. Die Provin¬ 
zen Ost- und Westpreussen, auch Hannover und 
Posen liefern viele brauchbare Pferde der letzt¬ 
genannten Schläge auf den Markt. Ebenso ge¬ 
langt aus Mecklenburg und Oldenburg eine 
verhältnissmässig grosse Zahl von statt¬ 
lichen Kutschpferden in den Handel, welche 
gut bezahlt werden. Die Rindviehrassen 
und Schläge des Reiches haben ebenfalls 
eine Besserung erfahren; sie sind zum nicht 
geringen Theile in der neueren Zeit etwas 
grösser und schwerer geworden. Die Milch¬ 
ergiebigkeit der Kühe hat sich an vielen Orten 
gebessert, ebenso sind auch die Molkereipro- 
ducte in Folge einer sorgfältigeren Herstellung 
von Butter und Käse etwas theurer als zehn 
Jahre früher bezahlt worden. Die Leistungen 
der Arbeitsochsen (von Süd- und Mitteldeutsch¬ 
land) sind befriedigend; auch werden neuer¬ 
dings viele gut gemästete schwere Ochsen auf 
den Markt geführt, deren Preise aber leider 
in der allemeuesten Zeit nicht mehr im rich¬ 
tigen Verhältnisse zu dem mageren Vieh zu 
stehen scheinen und zu niedrig genannt werden 
können. Die Fütterung und Pflege der Rinder 
ist besser geworden; die Grossgrundbesitzer 
und Domänenpächter gehen mit gutem Bei¬ 
spiel voran, und die Bauern folgen nach. 
Durch eine zweckmässige Verwendung (Zu¬ 
gabe) von sog. Kraftfuttermitteln ist an den 
meisten Orten die Rindviehfütterung eine ra¬ 
tionellere geworden. 

Alljährlich werden aus dem deutschen 
Zollgebiete viel mehr Rinder aus- als einge¬ 
führt; im Jahre 1881 betrug die Einfuhr 
152.376 Haupt, gegen 239.269 Stück, welche an 
das Ausland abgegeben wurden. Aus den nord¬ 
deutschen Ländern und Provinzen, hauptsäch¬ 
lich aus Schleswig-Holstein, gehen viele fette 
Rinder nach England. 

Die Schafzucht und Wollproduction 
hat in der neueren Zeit ganz erheblich abge¬ 
nommen; die schlechten Preise für edle 
(Merino) Wollproducte haben wesentlich dazu 
beigetragen, eine Reduction der Schafheerden 
eintreten zu lassen, ebenso hat auch neuer¬ 
dings ein Sinken des Preises von fettem 
Schafvieh mitgewirkt, die Mästung der Schafe 
und Hammel einzuschränken. Die Ausfuhr an 
Thieren dieser Gattung ist jedoch immerhin 
noch grösser als die Einfuhr; 1881 wurden 
1,250.808 Stück aus- und nur 56.291 Stück 
eingeführt. Zur Verbesserung der Zuchten be¬ 
nützt man jetzt an vielen Orten englische 
FlSsch schaf- und französische Kammwoll- 
merinoböcke. Die fast kostenlose Production 
der Wolle in den überseeischen Ländern hat 
der deutschen Schafzucht erheblichen Schaden 
zugefügt und wohl hauptsächlich eine Be¬ 
schränkung derselben herbeigeführt. Aus dieser 
Ursache und in Folge der durch eine inten¬ 
sivere Wirtschaftsweise sich ergebenden Ab¬ 
nahme der Weiden (Brache) verminderte sich 
die Zahl der Schafe in allen deutschen Län¬ 
dern in der Zeit von 1873 bis 1883 um 
5,814.044 Stück, wogegen die Rindviehzucht 
an den meisten Orten etwas zugenommen hat. 


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350 DEVONRIND. 

In den östlichen und zum Tlieil auch in den 
norddeutschen Provinzen und Ländern dürfte 
sich die Zucht edler Wollträger in der Zukunft 
wieder etwas lohnender gestalten: der günstige 
Einfluss des Einfuhrzolles auf ausländische Wolle 
wird sich bald bemerkbar machen, und ebenso 
wird auch an manchen Orten durch rationellere 
Züchtung und Haltung der Fleischschafrassen, 
namentlich auf den Gütern mit technischen 
Gewerben, der Ertrag aus diesem Zweige der 
Viehzucht eine Besserung erfahren. 

Die Schweinezucht hat in den letzten 
10—12 Jahren bedeutend zugenommen. Die 
Schweine sind von 1873 bis 1883 um 2,081.703 
Stück zahlreicher geworden, und ganz beson¬ 
ders die Qualität der Rassen hat eine wesentliche 
Besserung erfahren. Die alten unveredelten Land¬ 
schläge, welche sich noch vor 15 Jahren in den 
meisten bäuerlichen Wirtschaften hauptsächlich 
vorfanden, haben den besseren englischen und 
amerikanischen (Poland-China) Rassen weichen 
müssen. Hiedurch hat sich auch die Qualität des 
Fleisches verbessert; dasselbe ist an vielen Orten 
feinfaseriger und wohlschmeckender geworden. 
Im Königreiche Preussen hat die Schweine¬ 
zucht in der Neuzeit um 35*48% zugenommen, 
in Oldenburg sogar um 70 * 42%, auch im König¬ 
reiche Bayern ist die Zunahme erheblich, sie be¬ 
trägt hier 19 *06%, und ähnlich gross ist die 
Vermehrung der Schweine in Sachsen, Thüringen 
und den norddeutschen Ländern. Der fünfte 
Jahrgang (1884) des statistischen Jahrbuches 
für das deutsche Reich liefert den beachtens¬ 
werten Nachweis, dass in keinem Theile 
Deutschlands eine Abnahme an Schweinen 
in dem Zeiträume von 1873 bis 1883 vorge¬ 
kommen ist. Endlich wäre noch zu erwäh¬ 
nen, dass auch die Ziegenzucht Deutsch¬ 
lands eine Zunahme und Besserung erfahren 
hat. An verschiedenen Orten ist durch die 
Verwendung besserer Zuchtböcke von auslän¬ 
dischen Rassen eine Vergrösserung der alten 
Landschläge ins Werk gesetzt; das Haar- 
product hat sich verbessert, ist weicher ge¬ 
worden, und der Milchertrag der Ziegen hat 
sich in Folge sorgfältigerer Haltung und 
Fütterung etwas vermehrt, obgleich derselbe 
noch immer nicht so gross ist wie bei vielen 
Ziegen der südeuropäischen Staaten. Die Zu¬ 
nahme an Ziegen stellt sich besonders gün¬ 
stig im Königreich Württemberg (43*26%), 
in Oldenburg (33*2%) und im Fürsten¬ 
thum Lippe-Schaumburg, hier auf 23*26%. 
In Hohenzollern betrug dieselbe sogar 
49*75%. Freytag . 

Devon-Rind. Dieser von den Engländern 
zu ihren mittelhornigen Rassen gerechnete 
Rindviehschlag ist überall in England ver¬ 
breitet, aber sein besonderes Zuchtgebiet liegt 
auf dem Nordabhange der englischen Graf¬ 
schaft Devon, jenseits des Flusses Exe. Der 
Körper der Devons ist gedrungen und kräftig 
gebaut, aber nur von mittlerer Grösse und 
von 500—550 kg Lebendgewicht; der Kopf 
ist ähnlich dem der kurzköpfigen Rassen (der 
Duxer, Zillerthaler, Eger- und Voigtländer) 
des europäischen Festlandes, d. h. er ist fast 
so kurz, aber etwas schmäler und zuweilen 


— DEXTER. 

spitzer als der Kopf dieser Rassen. Die Beine 
sind kurz und feinknochig. Die Haarfarbe ist 
rothbraun ohne weUse Abzeichen, der Stirn¬ 
schopf, der Haarsaum um das hellrothe Flotz- 
maul und die Flotzhaare der Ohren sind 
orangeroth. Die mittellangen Hörner sind 
fein und aufwärts gerichtet. Die Haut ist dick, 
weich und fettreich. Das Devonrind ist vor¬ 
wiegend zur Mastproduction geeignet, das 
Fleisch ist zart und saftig, das Fett hat eine 
gelbliche Farbe. Die Milchproduction ist eine 
mittlere, aber die Milch ist sehr fett. Ws. 

Devonshire-Schaf. In der Grafschaft De- 
vonshire finden wir nach Youatt zwei eine 
lange Mischwolle tragende Schläge, welche 
in ihren Eigenschaften sich ziemlich scharf 
von einander abheben. Während die Graf¬ 
schaft im Ganzen bergig ist, finden sich ira 
Süden, dem Canal de la Manche zu, viele 
fruchtbare Thäler und herrscht dort ein sehr 
mildes Klima. Hier finden wir 

das ungehörnte Southdam-Schaf. 
Dasselbe hat viel Aehnlichkeit mit dem Kent- 
oder Romney-marsh-Schaf und mag zwischen 
beiden wohl eine verwandtschaftliche Ab¬ 
stammung stattfinden, doch sind im Gegen¬ 
sätze des bei dem Kent-Schafe weiss ge¬ 
färbten Kopfes hier Kopf sowohl wie Extre¬ 
mitäten braun gefärbt, wie solches wenigstens 
von früheren Schriftstellern geschildert wird. 
Nach diesen war dies Schaf krumm im Rücken, 
flach in den Seiten und grob in den Knochen, 
trug ein langwolliges Vliess, die Wolle war 
aber bei einem Schurgewicht von 4*0— 4*5 kg 
mürbe, ohne Nerv. Neuerer Zeit, schon seit 
Beginn dieses Jahrhundertcs, ist vielfach New- 
Leicester Blut eingemischt und so das alte 
ziemlich werthlose Schaf derart verbessert 
und umgeformt worden, dass selbst die braune 
Farbe am Kopf und Extremitäten verschwunden 
ist. Der nördliche Theil von Devonshire an 
de:* Grenze von Somcrsetshire besteht 
grösstentheils aus Hochebenen und unbewal¬ 
detem Hügellande. Hier finden wir: 

Das Bamp ton - Schaf, so genannt nach 
dem Städtchen Bampton im nordöstlichen 
Theile der Grafschaft. Nach einem von Youatt 
angeführten älteren Schriftsteller war es die 
beste Rasse in Devonshire. Ein fettes Mutter¬ 
schaf erreichte an Schlachtgewicht pro Vier- 
theil 9 kg, ein Zuchthammel ein solches von 
13*50—16 kg. Die Rasse ist auch am Kopf 
und Gesicht weiss gefärbt und dem Leicester- 
schafe ähnlicher wie jede andere, doch hat 
sie gröbere Knochen, ist hochbeiniger und 
gestreckten Leibes, dabei nicht so breitrückig 
wie jenes. Von einem Widder, der 18 kg 
pro Viertheil Schlachtgewicht ergab, hatte 
man 8 kg einer ziemlich schweren Wolle 
geschoren. Früher ist die Rasse, doch nicht 
zu ihrem Vortheile, vielfach mit Wiltshire- 
Schafen gekreuzt worden. Seit Beginn dieses 
Jahrhunderts hat eine lebhafte Kreuzung 
mit New-Leicester Blut stattgefunden und 
steht seitdem das Bampton-Schaf auf ziemlich 
gleicher Werthhöhe mit jenem. ßohm. 

Dexter war einer der berühmtesten Trotter 
oder Traber Nordamerikas, wurde 1858 in 


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DEXTRIN. - 

der Orange County im Stalle Mr. Jonathan 
Hawkin’s geboren. Das Thier war hässlich ge¬ 
zeichnet und wurde aus diesem Grunde sehr 
billig — für 400 Dollars — an Mr. G. B. 
Alley verkauft. Beim Zureiten zeigte es sich 
anfänglich sehr unbändig, störrisch und über- 
raüthig, wurde aber später von dem berühm¬ 
ten Trainer Hiram Woodruff folgsam gemacht 
und zu tüchtigen Leistungen gebracht. Dexter 
durchlief schon vieijährig die englische Meile 
(im Sulky) in 2 Minuten und 32 Secunden. 
— 1864 gewann dieser tüchtige Traber sein 
erstes Rennen auf dem Fashion-Course, wo er 
den Stonewal Jackson von New-York, ferner 
Grantl und Lady-Collins aus dem Felde schlug. 
1865 besiegte jener Hengst sogar den General 
Butter auf dem Fashion-Course und lief das 
dritte Heat in 2 Minuten und 24 % Se¬ 
cunden. Später ist Dexter noch aus vielen 
grossen Rennen siegreich hervorgegangen. Sein 
Besitzer wettete 1000 gegen 5000 Dollars, 
dass er die englische Meile unter 2 Minuten 
19 Secunden zu durchlaufen im Stande sei, 
und gewann bei der Gelegenheit eines der 
interessantesten Rennen jener Zeit, indem er 
in 2 Minuten 18% Secunden den Pfosten 
passirte. Seine grösste Leistung zeigte Dexter am 
21. Juni 1867, als er auf dem Fashion-Course 
gegen Ethan Allen fünf Heats zu je einer 
Meile zu laufen hatte. Er durchlief hier die 
englische Meile einmal in 2 Minuten 15 Se¬ 
cunden und das anderemal in 2 Minuten 
16 Secunden. Dexter hat in 4 Jahren 39 Rennen 
gewonnen; er ist im Wagen niemals geschlagen 
worden und war unstreitig bezüglich der 
Leistungsfähigkeit und Ausdauer das beste 
Pferd seiner Zeit. Freytag. 

Dextrin (Stärkegummi, Gommeline) ist ein 
Kohlehydrat von der Zusammensetzung C Ä H, 0 0 4 
und steht nach seinen chemischen Eigen¬ 
schaften als Zwischenstufe zwischen Stärke und 
Zucker. Es entsteht leicht aus Stärkemehl 
beim Kochen desselben mit verdünnter Schwe¬ 
felsäure und wird bei weiterer Einwirkung 
der Schwefelsäure sehr leicht in Trauben¬ 
zucker umgewandelt. Dextrin bildet sich auch 
beim Erhitzen der Stärke auf 160—200° C. 
und findet sich demgemäss reichlich in der 
Brotrinde vor; es ist ferner sehr verbreitet im 
lebenden Pflanzenkörper. Schon beim Keimen 
der Pflanzen bildet sich aus der Stärke des 
Samenkorns durch Einwirkung eines Fermen¬ 
tes der Diastase Dextrin, demgemäss finden wir 
im Malze, also in der gekeimten und dann ge¬ 
dörrten Gerste, reichlich Dextrin. Beim Maisch- 
process in der Brauerei und auch in der 
Branntweinbrennerei wird theils Stärke in 
Dextrin, theils Dextrin in Traubenzucker um¬ 
gewandelt. Auch das fertige Bier enthält noch 
reichlich Dextrin. Die physiologische Bedeu¬ 
tung des Dextrins gegenüber der Stärke ist 
durch die Löslichkeit des ersteren in Wasser 
bedingt, während Stärke darin unlöslich ist, 
es muss daher sämmtliche Stärke der Nah¬ 
rung im Thierkörper, um resorptionsfähig zu 
werden, in Dextrin und Zucker um gewandelt 
werden. Auch enthält der Thierkörper in 
seinen Gewebselementen, in den Zellen, in den 


DIABETES. 351 

Muskeln, in der Leber einen dextrinähnlichen 
Körper — das Glykogen (s. d.). Im reinen 
Zustande ist das Dextrin eine weisse amorphe 
Masse ohne Geruch und Geschmack, in Was¬ 
ser sich zu einer klebrigen Flüssigkeit lösend, 
in Alkohol unlöslich; durch Jod wird Dextrin 
weinroth gefärbt. Die Lösung des Dextrins 
dreht die Ebene des polarisirten Lichtes stark 
nach rechts, daher der Name (dexter = rechts). 
Alkalische Kupferlösung wird durch concen- 
trirte Dextrinlösungen erst nach sehr langem 
Kochen, durch verdünnte Lösungen gar nicht 
reducirt. Das Dextrin ist direct nicht gäh- 
rungsfähig, doch zerfällt es in einer gähren- 
den Flüssigkeit neben Zucker ebenfalls in 
Alkohol und Kohlensäure. Beim Kochen mit 
Salpetersäure liefert es Oxalsäure. Das Dextrin 
findet in der Industrie Anwendung als Sur¬ 
rogat des arabischen Gummi, zum Beizen, 
AppTetiren in der Zeugdruckerei, ferner als 
Zusatz zu Arznei-Extracten, zu Backwerk. 
Dextrin als Nährstoff, s. u. Fütterung. Lh. 

Diabas, Grünstein. Ein gemengtes kry- 
stallinisches Massengestein, dessen vorwaltende 
Bestandtheile als Feldspath der Plagioklas 
mit Augit, in der Regel mit bedeutenden 
Mengen von Magnesit bilden. Daran reihen 
sich in einzelnen Vorkommnissen Quarz* 
Olivin, Apatit u. a. Der Diabas zeigt eine 
fein- bis grobkörnige Structur, zuweilen sind 
in der Gesteinsmassc grössere Krystalle aus¬ 
geschieden, wodurch das Gestein ein porphyr¬ 
artiges Ansehen gewinnt. Solche Gesteine 
werden als Diabasporphyre bezeichnet. 
Die Diabase treten als Lagen zwischen den 
Sedimentgesteinen der paläo- und mesozoi¬ 
schen Periode auf und finden sich im Thüringer¬ 
wald. im Harz, in Norwegen und Nord¬ 
amerika. Loebisch. 

Diabetes (von SiaßYjTYjs), die Harnruhr, 
zerfällt in 1. den Diabetes mellitus, Melli- 
tämie, Glykosurie, Meliiturie, Zuckerharnruhr; 
2. den Diabetes inositus mit Ausscheidung 
von Inosit oder Muskelzucker durch den Harn, 
und 3. in den Diabetes insipidus oder wässe¬ 
rige Harnruhr ohne Zucker im Harn. 

Der Diabetes mellitus, die Zucker¬ 
harnruhr, ist eine meist chronische Krankheit, 
die sich durch Auftreten grösserer Mengen 
von Zucker im Blut und Harn, durch bedeutende 
Vermehrung der ausgeschiedenen Harnmengen 
und aller Harnbestandtheile mit vermehrtem 
Durst und Appetit, Abmagerung, Marasmus 
und häufigen Ausgang in den Tod charakteri- 
sirt. Der Zuckergehalt der Diabeteskranken 
steigt auf 4—8°/ 0 . Der Appetit und Durst 
der Patienten ist ums Dreifache gesteigert. 
Die Harnmenge ist stark vermehrt, der Harn 
ist relativ ärmer an Harnstoff und Salzen, aber 
die absolute Menge derselben übertrifft die 
normale ums Zwei- bis Dreifache. Der Harn 
ist blass, klar, gelblich, klebrig, von süss- 
lichem Geschmack, frei von Sedimenten, rea- 
girt sauer und besitzt ein hohes specifisches 
Gewicht: dasselbe schwankt aber zwischen 
1*01 und 1*06. Es treten im Harn Harn¬ 
säure, Hippursäurc. Kreatin und Kalisalze 
in grösserer Menge auf. Auch Diacetsäure, 


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352 


DIABETES. 


Aceton und Alkohol sind bei Diabetespatienten 
im Harn nachgewiesen worden. Ausser im 
Harn tritt noch Zucker im Blute in allen 
Secreten und Excreten (Speichel, Schweiss, 
Thränen, Schleim, Excrementen) auf. Die Sauer- 
stoffaufnahmc und Kohlensäureabgabe der Dia¬ 
betiker ist nicht vermehrt, wohl aber der 
Eiweisszerfall im Organismus. Der durch den 
Harn ausgeschiedene Stickstoffgehalt ist fast 
immer grösser als das durch die Nahrung 
aufgenommene Quantum. Der Ueberschuss 
des Stickstoffs im Harn wird durch Zerfall 
der Körperalburainate geliefert und daher die 
Abmagerung und der schliesslich zum Tode 
führendeMarasmus trotz gesteigerter Nahrungs- 
aufnahme und normaler Verdauung. Das Fett 
schwindet, die Muskeln und Drüsen werden 
atrophisch, es tritt Impotenz und Sterilität, 
Schwäche des Nervensystems, Neigung zu 
Entzündungen, Eiterungen und Brand ein. 
Die Haut wird trocken, die Haare verlieren 
ihren Glanz, zuletzt tritt auch Eiweiss im 
Harn auf und unter zunehmender Schwäche 
und Decubitus gehen die Patienten schliess¬ 
lich zu Grunde. Abgesehen von dem vorüber¬ 
gehenden Diabetes nach Verletzungen der 
Medulla oblongata, des Hirns und Kücken¬ 
marks, Leberleiden, Vergiftungen mit Kohlen¬ 
oxyd, Curare, Sublimat, Milchsäure, Am¬ 
moniak, Nitrobenzol, Aether, Chloroform, 
Salpetersäure, Kochsalz, Terpentin, ausge¬ 
dehnten Verbrennungen, Ueberffrnissen der 
Haut etc. dauert der Diabetes mellitus meist 
monate-, ja jahrelang an und endet schliesslich 
mit dem Tode durch Marasmus. Die Section 
bietet keine besonders für den Diabetes typi¬ 
schen Veränderungen. Meist findet man die 
Leber vergrössert, hyperämisch, glykogen¬ 
haltig, die Leberzellen geschwellt, zuweilen 
in Entartung begriffen; die Nieren gross, derb, 
hyperämisch, zuweilen auch pathologische 
Veränderungen im Nervensystem; die Cadaver 
abgemagert, Muskulatur, Speicheldrüsen, Pan- 
creas, Hoden, Euter atrophisch und in Fett- 
metaraorphose begriffen. Alle Flüssigkeiten 
und Gewebe zuckerhaltig. Als Ursachen des 
Diabetes mellitus werden beschuldigt: ver¬ 
dorbenes, schimmliges, saures, an Amylum 
oder an giftigen Pflanzen reiches Futter, Er¬ 
kältungen und Ueberanstrengungen. Ueber 
die Quellen des Zuckers, der bei Diabetes in 
abnorm vermehrter Menge im Blute und Harn 
auftritt, hat man verschiedene Theorien auf¬ 
gestellt: Nach Pettenkofer, Voit und Huppert 
beruht die Zuckerharnruhr auf Störungen der 
Ernährung und des Stoffwechsels, auf ver¬ 
mehrtem Zerfall der Eiweisskörper und Blut¬ 
körperchen. mangelhafter Sauerstoffaufnahme, 
ungenügender Oxydation des gebildeten Zuckers 
und Ausscheidung desselben durch die Nieren. 
Nach Schiff geht der Zucker in den Ham 
über, sobald die Menge desselben im Blute 
mehr als 0*5% beträgt. Nach Bernard, Bock, 
Hoffinann beruht der Diabetes auf vermehrter 
Zuckerbildungin der Leber. Winegradoff nimmt 
eine verminderte Zerstörung des in der Leber 
gebildeten Zuckers an, Haraack undTscherinoff 
behaupten eine gehinderte Umwandlung des 


der Leber zugeführten Zuckers in Glykogen 
und weitere Verwerthunrg desselben. Die Leber 
erzeugt unter normalen Verhältnissen keinen 
Zucker. Der aus dem Dann stammende Zucker 
geht in der Leber in Glykogen und Galle über. 
Wird nun aber nicht aller Pfortaderzucker 
in Glykogen umgewandelt, so geht ein Theil 
des Zuckers ins Blut über. Bei gestörter 
Gallenabsonderung geht auch Glykogen ins 
Blut und wird dort durch ein Ferment wieder 
in Zucker umgewandelt. Nach Bernard erfolgt 
bei Verletzungen und pathologischen Ver¬ 
änderungen des Bodens des vierten Ventrikels 
Zuckerharnruhr. Eckhard erzeugte durch Bei¬ 
zung des zweiten Lappens des Wurmes im 
Kleinhirn den Diabetes, ebenso nach Zer¬ 
störung des untern Halstheils, des Brust- 
und Lendentheils des Kückenmarks. Graefe, 
Hensen, Eckhard betrachten den N. Splanch- 
nicus als Erreger der Zuckerkrankheit. Nach 
Cyon und Aladoff bewirkt Ausschneidung des 
unteren Hals- und oberen Brustganglions 
Diabetes durch Lähmung der vasomotorischen 
Nerven. Nach Skoda, Recklinghausen, Köhler, 
Bright, Frerichs, Bouchardat u. A. entsteht 
Diabetes bei verminderter Secretion des Pan^ 
creas, verminderter Zufuhr von Fettsäuren 
und Glycerin zur Leber und Uebergang des 
Glykogens der Leber in Zucker. 

Rollo, Bouchardat, Gregor u. A. haben 
die Gastro-intestinal-Theorie aufgestellt, nach 
welcher eine vermehrte Zuckerbildung im 
Darm mit Uebergang des Zuckers ins Blut 
und von da in den Harn stattfinden soll, 
Schulzen führt den Diabetes auf gestörte Fer¬ 
mentwirkung und gehinderte Spaltung des 
Zuckers im Blute zurück; ähnlicher Ansicht 
ist Cohnheim, nach welchem Glykogen in 
allen Organen des Körpers, besonders in den 
Muskeln, gebildet wirc^, und der Diabetes 
mellitus darauf beruht, dass der aufgenom¬ 
mene Zucker und das gebildete Glykogen aus 
Mangel eines Ferments nicht weiter zersetzt 
wird. Der Stoffwechsel und Eiweisszerfall der 
Diabetiker ist sehr gesteigert, und es wird 
sehr viel Glykogen abgespalten. Keine der 
angeführten Theorien des Diabetes hat sich 
bisher allgemeine Geltung verschaffen können. 

Die Prognose beim chronischen Dia¬ 
betes mellitus ist in den meisten Fällen un¬ 
günstig zu stellen. Die Behandlung besteht 
in Aenderung des Futters, Ersetzen schimm¬ 
ligen oder multerigen Hafers und Heues durch 
frisches, unverdorbenes Futter, Buhe oder 
massiger Bewegung und nicht zu schwerer 
Arbeit, Verabfolgung von Ferrum sulfuri- 
cum, Ferrum sesquichloratum und anderen 
Adstringentien, Aromatica, Wachholderbeeren, 
doppeltkohlensauren Natrons. Von einigen 
Autoren werden auch Opium, Digitalis, Kan- 
thariden, Jodpräparate, Frottirungen, Dampf¬ 
bäder empfohlen. Als Diabetes inositus wird 
der Diabetes bezeichnet, wenn statt des Trau¬ 
benzuckers der nicht gährungsfähige Muskel¬ 
zucker oder Inosit im Ham auftritt. 

Wesentlich verschieden vom Diabetes 
mellitus und inositus ist der Diabetes insi- 
pidus, die wässerige Harnruhr oder Polyurie. 



DIABETESSTICH. — DIAGNOSE. 


3*3 


Bei der Polyurie werden sehr reichliche 
Mengen Harns entleert, der aber keinen Zocker 
enthält. Die acnten, vorübergehenden Poly¬ 
urien sind ohne Bedeotong. Dauert die Krank¬ 
heit längere Zeit an, so stellen sich auch 
hier, bei sehr stark gesteigertem Durst (das 
täglich aufgenommene Wasserquantum steigt 
auf 70—901) und Appetit, Abmagerung, Mattig¬ 
keit, Verdauungsstörungen und nervöse Er¬ 
scheinungen ein und oft der Ausgang in den 
Tod, wenn auch nicht so häufig als beim Dia¬ 
betes mellitus. Cagnat beobachtete dreimal 
enzootisches Auftreten von Polyurie bei Pfer¬ 
den in der Umgebung von Paris, die reines 
Wasser aus der Seine und gutes Futter er¬ 
hielten. Die Cur bestand in Verabfolgung 
guter, reichlicher Nahrung mit Zusatz toni- 
sirender Mittel und Beschränkung der täg¬ 
lichen Wasserration auf 201 pro Kopf. Die 
meisten Patienten genasen in drei Wochen. 
Cagnat constatirte dabei, dass die Krankheit 
durch kranke Pferde in gesunde Ställe ein- 
geschleppt wurde, und nimmt ein Contagium 
oder Miasma als Ursache derselben an. 

Literatur: Vatel, Rychner, Veith, Mialhe, Contour, 
Reynose, Hering, Bouchardat, Bemard, John, Leblanc, 
Thieraesse, Gallois, RuefF, Lafosse, Röli, Weheneckel, 
St. Cyr, Zündel, Schlampp, Cagnat, Rollo, Traube, Schiff, 
Eckhard, Pettenkofer, Voit, Huppert u. A. Summer. 

Diabetesstich, Zuckerstich, ein phy¬ 
siologisches Experiment, welches mittelst 
einer Nadel an einer Stelle am Boden der 
vierten Hirnkammer vor dem Lebensknoten 
ausgeführt wird und das Phänomen einer 
bedeutenden Steigerung der Zuckerbildung 
zur Folge hat. Der Zucker kann schon nach 
kurzer Zeit im Harne nachgewiesen werden, 
verschwindet jedoch nach 6-—7 Stunden voll¬ 
ständig. Man erklärt diese Erscheinung 
damit, dass durch die Verletzung der be¬ 
treffenden Hirnstelle die Hemmungen sistirt 
werden, welche die Einwirkung der Lebens¬ 
fermente auf das Glykogen im normalen 
Zustande wesentlich beeinträchtigen. Koch. 

Diät. Der Gesundheit zuträgliche Ernäh¬ 
rung und Pflege der Thiere, resp. die Vermeidung 
solcher durch die Haltung und Ernährung der 
Thiere bedingten Umstände, welche die Ge¬ 
sundung erkrankter und die Gesunderhaltung 
der nicht kranken Thiere erschweren. Pott. 

Diätetik. Die Diätetik (vom griechischen 
Statxa, Art zu leben, sich zu ernähren) bildet 
einen wesentlichen Theil der Gesundheits¬ 
pflege. Während letztere sich mit allen ge¬ 
sundheitswidrigen Momenten und deren Ab¬ 
stellung beschäftigt, befasst sich die Diätetik 
vorzugsweise mit den Vorschriften einer pas¬ 
senden, den verschiedenen Lebensverhältuissen 
entsprechenden Lebensweise in Bezug auf 
Fütterung und Körperpflege zum Zwecke so¬ 
wohl, die Gesundheit der Thiere zu erhalten 
und zu kräftigen, als auch die Herstellung 
kranker Individuen zu fördern. Sie lehrt 
namentlich, wie die jungen Thiere, die Zucht- 
thiere, die Mutterthiere während und -nach 
der Geburt, wie die Arbeitsthiere und wie 
besonders die kranken Thiere zweckmässig 
gepflegt und gefüttert werden müssen. Die 
Diätetik der landwirtschaftlichen Haussäuge- 


thiere bildet daher einen sehr wichtigen Theil 
der Thierheilkunde und erfordert die Kenntniss 
vieler sowohl naturwissenschaftlicher als spe- 
cieller veterinärmedicinischer Disciplinen. Sl. 

Diätetische Schädlichkeiten unterliegen 
in gerichtlicher Beziehung der Begutachtung 
der Thierärzte. Verletzungen und Schädigungen 
der Hausthiere auf diätetischem Wege können 
eintreten durch ungenügende Fütterung und 
Hunger, wenn nämlich das verabfolgte Futter- 
uantum den Bedarf des Organismus nicht 
eckt. Es kommt dabei bald zu Abmagerung, 
Schwäche, Beeinträchtigung der Gebrauchs¬ 
fähigkeit, der Arbeitskraft, des Fleisch-, Woll* 
und Milchertrages. Verhungerte Thiere sind 
im hohen Grade abgemagert, blass, anämisch, 
ihre Verdauungsorgane sind fast ganz leer 
und hyperämisch. — Weitere Schädigungen 
der Thiere können erfolgen durch Ueber- 
fütterungen mit schwerverdaulichen, blähenden 
Futterstoffen (frischen Cerealien, grünem 
Klee), wobei in Folge von Koliken und Tym- 
panitis oft der Tod eintritt. Bei Fütterungen 
mit verdorbenen und schädlichen Futterstoffen 
zeigen sich die nachtheiligen Folgen meist 
erst nach längere Zeit fortgesetzten Fütte¬ 
rungen und bestehen in Störungen der Ver¬ 
dauung und Blutbildung, Nierenleiden, Harn¬ 
ruhr, Dämpfigkeit etc. Besonders nachtheilig 
sind verdorbene Futterstoffe, die viel Protein, 
Fett und Fettsäuren, niedere Organismen, 
Pilze, Schizomyceten und Ptomaine enthalten. 
Das Trinkwasser kann ebenfalls durch zu viel 
und zu wenig, durch seine Temperatur und 
Verunreinigungen schaden. Zu kaltes Wasser 
verursacht oft Entzündungen des Rachens, 
Kehlkopfs, der Lungen, des Brustfells, des 
Magens und Darms. An organischen Verun¬ 
reinigungen reiches Wasser aus stagnirenden 
Teichen, Gräben und sumpfigen Niederungen, 
aus Brunnen in der Nähe von Stallräumen 
und Cadaverplätzen erzeugt nicht selten 
Typhus und Milzbrand, Verdauungsstörungen, 
Darmkatarrhe etc. Eine mikroskopische und 
chemische Analyse des Trinkwassers ist oft 
erforderlich und gibt Aufschluss über manche 
enzootisch auftretende Krankheiten. Stallräume 
schaden durch zu hohe und zu niedere Tem¬ 
peraturen, durch zu viel oder zu wenig Licht 
und Luft, zu wenig Raum, Anhäufungen von 
Mist, Mistjauche etc. — Die Weiden können 
nachtheilig werden durch unebenes Terrain, 
zu nassen oder zu trockenen Boden, zu spär¬ 
lichen oder zu üppigen Pflanzenwuchs, zu 
frühes Auftreiben, Gegenwart der Embryonen 
verschiedener Parasiten (Leberegel, Band¬ 
würmer, Rundwürmer) und schädlicher giftiger 
Pflanzen. — Zu den diätetisch-ökonomischen 
Schädigungen gehören noch vernachlässigte 
Wartung und Pflege, Ueberanstrengung, atmo¬ 
sphärische Einflüsse etc. (s. Beschädigungen 
der Hausthiere). Semmer. 

Diagnose (von 8ca, durch, yvujacg, Er¬ 
kenntnis) ist die Erkennung der Krankheiten 
vermittelst des Vorberichts oder der Anamnese 
und der Untersuchung des erkrankten Thieres. 
Von welcher Bedeutung die Erforschung aller 
der Krankheit vorhergegangenen Umstände 


Koch. EncyTtlopädie d. Thierlipilkd. II. Bd. 


jitizecUby 


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354 


DIAGNOSTIK. — DIAMAGNETISM US. 


für die Diagnose ist, wurde bereits unter 
dem Artikel „Anamnese 1 * erörtert; sie gibt 
dem Arzte Anhaltspunkte für die richtige 
Beurtheilung der Krankheitserscheinungen und 
leitet auf die Untersuchung bestimmter Or¬ 
gane als dem vermuthlichen Sitze des Leidens 
hin. Massgebend für die Stellung der Diagnose 
bleibt stets das an den Kranken selbst Be¬ 
obachtete; zu diesem Behufe müssen diese 
einer genauen Untersuchung unterworfen wer¬ 
den. Da das Thier der Sprache ermangelt, 
erhält der Veterinär den Aufschluss über den 
Sitz der Krankheiten nur durch deren Symp¬ 
tome. Der Arzt hat somit alle Aufmerksam¬ 
keit darauf zu verwenden, dass ihm keine 
der ungewöhnlichen, abnormen Lebensäusse¬ 
rungen entgehe, er muss alle seine Sinne zu 
Hilfe nehmen, um sich einen Einblick in die 
Beschaffenheit der Organe zu verschaffen, sei 
es vermittelst des Gesichts, des Gehörs oder 
Gefühls, unter Umständen selbst des Geruchs 
und Geschmacks. Das Sehen wird durch die 
Uebung geschärft, sie verschafft dem Arzte 
den praktischen Blick, der schon aus der 
äusseren Erscheinung des Patienten, aus des¬ 
sen Gang, Benehmen, Gesichtsausdruck, Ha¬ 
bitus, aus der Art und Weise der Respiration 
u. dgl. m. das Richtige zu finden weiss. Zu 
beachten sind ferner die Beschaffenheit der 
Schleimhaut, der Haut und der Ausscheidun¬ 
gen. Wo das unbewaffnete Auge nicht aus¬ 
reicht, müssen Loupe und Mikroskop Aufschluss 
über die feineren Bestandtheiie der Krank- 
heitsproducte geben und die chemische Ana¬ 
lyse deren Natur feststellen. Dunkle, von 
aussen her der Untersuchung zugängliche 
Körperhöhlen werden vermittelst reflectirten 
Lichtes, resp. der verschiedenen Spiegel be¬ 
leuchtet, die in den grossen Körperhöhlen 
wahrnehmbaren Geräusche durch Anlegen des 
Ohrs unter Zuhilfenahme des Stethoskops 
und des Plessimeters ermittelt (Auscultation 
und Percussion). Das Gefühl lässt die Qualität 
des Pulses und Herzschlages, etwaiger An¬ 
schwellungen an der Peripherie des Körpers, 
die Temperaturunterschiede einzelner Körper- 
theile etc. erkennen, während das in Mast¬ 
darm oder Vagina eingeführte Thermometer 
die Körpertemperatur genau bestimmt. Alle 
in dieser Weise ergründeten Erscheinungen 
sind ihrer Art nach zu würdigen, die wesent¬ 
lichen von den unwesentlichen auszuscheiden 
und die ersteren alsdann auf ihre Ursache 
zurückzuführen. Die unwesentlichen Symptome 
haben viele Krankheiten mit einander gemein, 
nur die Cardinalsymptome gehören bestimm¬ 
ten Krankheiten an und lassen sie von an¬ 
dern ähnlichen Leiden unterscheiden; wir be¬ 
greifen diese Unterscheidung als Differen¬ 
tialdiagnose. 

Wir ersehen aus alledem, dass ein tüch¬ 
tiger Diagnostiker mit gesunden Sinnen und 
scharfer Beobachtungsgabe ausgestattet sein 
muss; seine Untersuchungen hat er ohne vor¬ 
gefasste Meinung auszuführen, wenn er nicht 
irregeleitet werden will, denn nur zu leicht 
glaubt man, gefunden zu haben, was man 
gern finden möchte. Bestehen Zweifel in der 


Diagnose, so ist die Krankenuntersuchung 
zu wiederholen, denn nicht immer ist es dem 
Arzte möglich, sofort eine bestimmte Ant¬ 
wort auf die Frage zu geben: Was fehlt dem 
Thiere? Erneute Untersuchungen lassen oft 
erst feststellen, ob gewisse Symptome Bestand 
haben und demzufolge zu den essentiellen 
und pathognomonischen gehören; es empfiehlt 
sich, sie zu verschiedenen Tageszeiten vor¬ 
zunehmen, weil bei ihnen Schwankungen in 
der Intensität der Erscheinungen stattfinden. 
Die Diagnose ist wohldurchdacht zu stellen, 
denn Schwankungen in der Erkenntniss der 
Krankheiten untergraben das Vertrauen zum 
Arzte. Anacker . 

Diagnostik, physikalische. Nicht immer 
treten bei den Thieren die Krankheitserschei¬ 
nungen prägnant genug hervor, um mit den 
gewöhnlichen Untersuchungsmitteln eine Dia¬ 
gnose stellen zu können; es müssen vielmehr 
häufig, um letztere zu präcisiren, noch weitere 
Explorationsmittel herbeigezogen werden, von 
denen auch die physikalischen eine Rolle 
spielen, namentlich wenn es sich um Einge¬ 
weide handelt, die einer anderen Untersuchung 
unzugänglich sind. Diese physikalischen Hilfs¬ 
mittel erlangen daher eine besondere Be¬ 
deutung in der Diagnostik der Krankheiten 
der Athmungs- und Hinterleibsorgane, des 
Kreislaufapparates n. s. w. Zu den physikali¬ 
schen Untersuchungsmethoden im engeren 
Sinne zählt man vornehmlich die Percussion 
und Auscultation, im weiteren Sinne ist es 
aber auch die Inspection, Palpation und Men- 
suration (s. die betreffenden Artikel). Vogel. 

Dlaheddin Abdallah ben Achmet (Ebu 
Beithar) schrieb im XIII. Jahrhundert zu Kairo 
ein Werk über Pferdearzneikunde. Semmer. 

Diallag, ein mit dem Augit isomorphes, 
graues oder verschieden braunes zu den wasser¬ 
freien Amphoterolithen gehörendes Mineral, 
welches als Gemengtheil im Serpentin, im 
Olivin und im Gabbro vorkommt. Lh. 


Diamagneti8tnu8. Der berühmte englische 
Chemiker und Physiker Faraday machte zu 
Anfang dieses Jahrhunderts die Entdeckung 
des Vermögens im Magnet, elektrische Ströme 
zu erregen. In den Jahren 1845—1850 hat 
derselbe durch sorgfältig geführte Unter¬ 
suchungen zuerst entschieden nachgewiesen, 
was Coulomb schon ein paar Jahrzehnte vor¬ 
her als höchst wahrscheinlich aufstellte, dass 
viele Körper vom Magnet zwar entschieden 
gerichtet würden, aber nicht in der Verlän¬ 
gerung von Pol zu Pol, wie Eisen, so wie 
die eingeschaltete Figur zeigt. 


N Eisen 


sondern querüber dargestellt, dass nicht die 
drei Stäbe wie oben, d. h. die beiden Magnete 
und das dazwischen liegende Stäbchen in eine 
Linie fallen, sondern dass das so angezogene 
Metall sich querüber stellt wie folgt: 


E 

49 

5 



DIAMANT. 


355 


Diejenigen Körper, welche sich so stellen, 
nennt man diamagnetische, während man die¬ 
jenigen, welche* sich in die Verbindungslinie 
der beiden Magnete stellen, paramagnetische 
nennt Die Richtung, welche die paramagne¬ 
tischen Körper unter dem Einflüsse des Elektro¬ 
magnetismus einnehmen, bezeichnet man als 
axiäe, die der diamagnetischen Körper da¬ 
gegen als äquatoriale. Das entgegengesetzte 
Verhalten der paramagnetischen und dia- 
magnetischen Körper erldärt sich daraus, dass 
jene in der Nähe eines Magnetpoles durch 
Vertheilung ungleichnamig, diese dagegen 
gleichnamig werden. Zu den diamagnetischen 
Körpern, welche sich also äquatorial richten, 
gehören Wismuth, Antimon, Silber, Zink, Blei, 
Phosphor, Steinsalz, Elfenbein, Holz, Leder etc. 
Auch Flüssigkeiten, welche man in Uhrglä¬ 
sern zwischen die beiden Pole bringt, ver¬ 
halten sich ähnlich, indem die einen sich 
gegen die Pole hin, die anderen von den¬ 
selben weg bewegen. Alle Gasarten sind, mit 
Ausnahme von Sauerstoff, diamagnetisch. Bringt 
man Sauerstoffgas in eine dünne Glasröhre 
und hängt sie horizontal zwischen die Pole 
eines sehr kräftigen Elektroraagnets auf, so 
stellt es sich paramagnetisch wie Eisen, axial. 
Die axiale Richtung wird sowohl durch Ver¬ 
dünnung (wie in den oberen Theilen der 
Atmosphäre) als auch durch Erwärmung oder 
Erkältung modificirt, was bei allen anderen 
Gasarten nicht der Fall ist. Diesen beiden 
höchst wichtigen Umständen (axiale Richtung 
und Schwächung derselben durch Erwärmung, 
Stärkung durch Abkühlung) schreibt Faraday 
einen grossen Theil der Variationen zu, weiche 
die Magnetnadel auf der Erde erleidet, indem 
er sagt, dass die Sauerstoffhülle die Erde in 
der Art und Wirkung einer Hohlkugel von 
Eisenblech umgebe. Die Hälfte dieser grossen 
Kugel, welche der Sonne zugekehrt ist, wird 
weniger magnetisch als die Nachtseite der¬ 
selben; ist dieses auch für ein einzelnes Stück 
Eisen vielleicht gar nicht durch Experimente 
nachzuweisen, so wird es doch bei einem so 
ungeheuren Dome, wie die ganze Atmosphäre 
ist, sehr bemerkbar, und da dieser Dom sich 
mit der Erde um die Axe derselben dreht und 
folglich seine erwärmte Seite sich fortwährend 
ändert, so wird die Wirkung auf die Magnet¬ 
nadel sehr deutlich wahrnehmbar. Gilt das 
oben ausgesprochene Gesetz vom Diaraagne- 
tismus nun vollends nicht für das Sauerstoff¬ 
gas, sondern für den Sauerstoff, welcher viel¬ 
leicht die Hälfte aller Stoffe der Erde bildet 
(in den Erden und Oxyden), so dürfte hierin 
eine vollständig genügende Erklärung aller 
Variationen des Magnetismus gefunden sein. 
Ob und wie der Diamagnetismus auf die 
Thierwelt von Einfluss ist, ist noch nicht er¬ 
forscht. 

Literatur: Humboldt’* Kosmos. — Zimmer- 
tnann's Physische Geographie. Ableitner. 

Diamant (vom griechischen Adamas „der 
Unbezwingliche“, woraus Aimant und Demant). 
Der Diamant, ein seltenes Mineral, besteht aus 
reinem Kohlenstoff. Dieser kommt eben in 
drei Modificationen vor, krystallisirt als Dia¬ 


mant und als Graphit, ferner amorph als 
Kohle. Der Diamant krystallisirt im regulären 
System, mit vielen Flächen und gekrümmten 
Kanten (Pyramidenoktaöder). Der ganz reine 
Diamant ist farblos, durchsichtig, von bedeu¬ 
tendem Glanze und sehr starkem Lichtbre- 
chungsvennögen, wegen des letzteren zeigen die 
geschliffenen Facetten das lebhafteste Farben¬ 
spiel. Er ist von allen Steinen der härteste, 
u. zw. gelten die ostindischen für härter als 
die Brasilianer. Der Diamant lässt sich nur 
mit seinem eigenen Pulver schleifen. Die 
Agraffe des kaiserlichen Mantels Karl’s des 
Grossen ist noch mit ungeschliffenen Diaman¬ 
ten besetzt. Im Jahre 1456 begann man in 
Flandern Tafelsteine zu schleifen, d. h. man 
stumpfte die ostindischen Oktaeder an zwei 
entgegengesetzten Enden mehr oder weniger 
ab. 1520 kamen die Rosetten (Rautensteine) 
auf; sie sind unten flach und laufen nach oben 
in eine Spitze zusammen, was durch drei Reihen 
Facetten geschieht, deren zwei am Um¬ 
fange des Steines umherlaufen und die dritte 
Reihe in der Mitte des Steines die Tafel über¬ 
baut. Brillanten liess zuerst Cardinal Ma- 
zarin schleifen. Ihr Schliff richtet sich nach 
der oktaedrischen Stellung; der flachere Ober- 
theil (Krone) endigt mit einer geraden Fläche 
(Würfelfläche), darunter folgen 8 + 8 + 8 oder 
8+8 + 16 Facetten; der spitzere Untertheil 
ist durch eine ganz feine Endfläche (Culasse) 
abgestumpft, beide Theile trennt der Gürtel 
(Rand) von einander, welcher gerade in der 
Fassung steckt und dazu dient, mit mög¬ 
lichst wenig Aufwand von Metall den Stein 
so zu befestigen, dass man recht viel von 
seiner Masse sieht (ä jour - Fassung). Das 
spec. Gew. des Diamantes ist 3*5 (genau das 
des Topases). Der Diamant ist sehr spröde und 
pulverisirbar, er wird weder durch Säuren 
noch durch Alkalien verändert : erhitzt man 
ihn bei Luftabschluss sehr stark, so verwandelt 
er sich in eine schwarze, undurchsichtige 
Masse, im Sauerstoff zur Rothglut erhitzt, 
verbrennt er zu Kohlensäure. 

Der älteste Fundort des Diamantes ist 
Vorderindien, wo er im tertiären Diamanten¬ 
sandstein oder im lockeren Diluvialgebirge, 
begleitet von Gold, Topas, Turmalin vor¬ 
kommt und durch Waschen der Geschiebe und 
durch Pochen des harten Gesteines müh¬ 
selig gewonnen wird; seit 1727 wird er auch 
in Brasilien gefunden, hier kommt er in einem 
Quarz enthaltenden Glimmerschiefer — Itaco- 
lurait — vor. Ueber das Cap der guten Hoff¬ 
nung kommen seit 1867 vom Oranje-Fluss¬ 
gebiet Afrikas die gelblichen Capdiamanten 
in den Handel. Im Ural wurden bis nun nur 
sehr kleine Diamanten gefunden, in Australien 
sollen sie an mehreren Punkten im Gerolle 
mit Korund (Rubin, Saphir) Vorkommen. 

Der Preis des Diamantes hängt von der 
Grösse, Reinheit, Farbe und Art des Schliffes 
ab. Man rechnet nach Karat = 205*5 mg, 
deren 72 auf 1 Loth gehen. 1 Karat Brillant 
kostet 200—300 Franken, über ein Karat 
steigt der Werth nach der Quadratzahl. Ein 
Brillant von 49 Karat würde daher 49*.300 

23 * 



356 


DIAPHORESIS. — DIAPHORETICA. 


= 720.300 Francs kosten. Steine von 12 
bis 20 Karat gehören schon zu den schönen, 
darüber bereits zu den Seltenheiten. Der Re¬ 
genten der französischen Krone der schönste 
Brillant unter den grossen, wiegt 136% Karat; 
der österreichische Schatz enthält einen 
von 139% Florentiner Karat (ä 197*3 rag) 
mit einem Stich ins Weingelbe. Der preus- 
sische Kronschatz besitzt einen Brillant von 
34 Karat, welchen Napoleon bei Waterloo 
verlor. Der grösste Diamant findet sich unter 
den Schätzen des Rajah von Multan auf 
Borneo, er wiegt 367 Karat; der K o h - i - n o o r 
(Berg des Lichtes) des Grossmoguls von Delhi 
wiegt 280 Karat. 

Das Problem der künstlichen Darstel¬ 
lung des Diamantes ist in theoretischer Bezie¬ 
hung gelöst, d. h. es sind schon Bedingungen 
gefunden, unter denen Kohlenstoff aus seinen 
Verbindungen in regulären Krystallen abge¬ 
schieden wird. So z. B. scheidet sich Kohlen¬ 
stoff in der Krystallform des Diamantes aus, 
wenn man in einer starken verschlossenen 
Eisenröhre eine Mischung von Paraffinen nebst 
10% Knochenöl mit einem Alkalimetall zum 
Glühen erhitzt Die Paraffine sind Kohlen¬ 
wasserstoffe, das Knochenöl enthält stickstoff¬ 
haltige Basen; bei Gegenwart von Alkali ver¬ 
einigt sich nun in der Rothglut ein Theil 
des Kohlenstoffes mit dem N zu Cyan¬ 
metall, der Rest des Kohlenstoffes scheidet sich 
bei Abwesenheit von Sauerstoff in kleinen 
glänzenden Oktaödern aus. Loebisch. 

Diaphoresis (v. 8id, aus, und <popv)o:c, 
tragen — 8ca<popscv, zerstreuen, ausdünsten), 
die vermehrte Hautthätigkeit, Hautausdtin- 
stung. Koch. 

Diaphoretica. Stoffe, welche auf die 
Secretion der äusseren Haut und insbesondere 
auf den Schweiss vermehrend einwirken, nennt 
man diaphoretische Mittel und hat diejenigen, 
welchen man eine vorzugsweise Wirkung auf 
die Scliweissdrüsen selbst beilegt, unter die 
Bezeichnung schweisstreibende Mittel, Sudo- 
rifica, Hydrotica, im Gegensatz zu den auf 
die Perspiratio invisibilis vermehrend wir¬ 
kenden, die man mit dem Namen Diapnoica 
belegte, gestellt. Pharmakodynamisch und 
therapeutisch lassen sich beide Abtheilungen 
jedoch nicht trennen, denn eine Steigerung 
der Hautausdünstung (Diaphoresis) lässt sich 
bei den einzelnen Hausthiergattungen in sehr 
verschiedenem Grade erzielen, insoferne z. B. 
die Carnivoren zum Schwitzen gar nicht ge¬ 
bracht werden können und die Pferde und 
Ruminantien nur schwierig und unter gewissen 
Umständen. Bei den Hausthieren kann es 
sich überhaupt um Provocirung von Schweiss¬ 
ausbrüchen in dem Sinne, wie dies bei dem 
Menschen unter Bettdecken oder in Dampf¬ 
bädern ermöglicht ist, nicht handeln, sondern 
lediglich um kräftige Anregung oder Reacti- 
virung der unsichtbaren Hautausdünstung 
(Diapnoe), um die in Folge sog. Erkältung 
entstandene Störung der perspiratorischen 
Hautfunction zu beseitigen. Die sog. Sudo- 
rifera sind hier mehr als Diapnoica auf¬ 
zufassen, obwohl, wenn nöthig, auch ein 


tropfbar flüssiger Schweiss durch innere und 
äussere Mittel hervorgebracht werden kann, 
jedoch nur bei Pferden, die von allen Haus- 
thieren am ehesten zum Schwitzen geneigt 
sind. Die Anregung der Hautthätigkeit für 
therapeutische Zwecke kann in verschiedener 
Weise zu Stande gebracht werden, die Art 
und Weise ist jedoch noch nicht völlig auf* 
geklärt; immerhin kann angenommen werden, 
dass jene Stoffe, namentlich gasförmige, welche 
mit Vorliebe den Körper durch die Haut 
wieder verlassen, gelegentlich dieser Elimi¬ 
nation einen reizenden Einfluss auf die secre- 
torischen, in der Cutis eingebetteten Drüsen 
austiben, und gewinnt diese Hypothese des¬ 
wegen an Wahrscheinlichkeit, weil z. B. durch 
die Ammoniakalien es gelingt, wenigstens 
eine örtliche schweisstreibende Wirkung her¬ 
vorzubringen. Aber auch das in der Medulla 
oblongata gelegene sog. Schweisscentrum 
muss zur Erklärung der diapnoischen Wirkung 
herbeigezogen werden, denn in der neuesten 
Zeit ist eine gewisse Beziehung der Schweiss* 
secretion zu demselben sowie zu bestimmten 
Nerven (Luchsinger) nachgewiesen worden, 
u. zw. für die meisten ätherischen Oele, 
namentlich den Kampher, def dieses Centrum 
zu erregen in der That befähigt ist; ebenso 
gibt es bestimmte Arzneistoffe, wie z. B. das 
Pilocarpin, welche nicht blos eine derartige 
Wirkung vom Schweisscentrum aus zur Folge 
haben, sondern auch von der Körperoberflftche 
her, u. zw. von den peripheren Schweiss- 
nerven aus. In dieser Weise wirken offenbar 
auch jene flüssigen Arzneimittel, die seither 
im Gerüche diaphoretischer Arzneimittel ge¬ 
standen sind, z. B. die Fliederblumen, Linden- 
und Kamillenblüthen, deren ätherisches Oel 
ausschliesslich durch die Veränderungen in 
der Blutcirculation in der angedeuteten Rich¬ 
tung wirken sollte, so lange man von 
„Schweissnervchen“ nichts wusste. Nun können 
aber diese ätherischen Oele für sich allein 
unmöglich das schweisstreibende Moment selbst 
sein, denn sie sind gerade in diesen Pflanzen¬ 
stoffen in viel zu geringer Menge vorhanden; 
es ia£ vielmehr aas Menstruum derselben, 
nämlich die grösseren Mengen warmen Wassers, 
wodurch die Blutmasse nicht blos stärker er¬ 
wärmt, sondern der Blutdruck nothwendig 
auch gesteigert und die Circulationsgeschwin- 
digkeit erhöht wird. Ein mehr wässeriges Blut 
erzeugt nun auch mehr wässerige Absonde¬ 
rungen im Körper, u. zw. sowohl in der Haut 
als selbstverständlich auch in den Nieren, wo 
jede Blutverdünnung und Steigerung des 
arteriellen Druckes ohnedies sofort verspürt 
wird; es muss daher durch warme Bedeckung 
der Haut die Fluxion dorthin begünstigt 
werden, um die Ausdünstung zu vermehren, 
im anderen Falle besteht die Action dieser 
sog. Schweissmittel blos in einer Vermehrung 
der Diurese. Es muss somit die die Haut 
umgebende Luft möglichst warm sein, um 
zugleich auch eine Erweiterung des Capillar- 
gefässystems der Haut und der Schweiss- 
drüsen zu ermöglichen, und wenn das die Haut 
umgebende Medium mit heissenWasserdämpfen 



DIAPHRAGMA. 

geschwängert ist, so kommt es selbst bei den 
Thieren auf der Haut zu einem Niederschlag 
in tropfbar flüssiger Form, wenn auch keine 
ätherisch-öligen Stoffe mitwirken. Zu den 
diapnoetischen Mitteln zählt man ausäer 
letzteren und den Ammoniakalien auch den 
Alkohol, Brechweinstein, Schwefel, Spiess- 
glanz und gewissermassen auch die Brech¬ 
mittel, insbesondere Veratrum, und als wesent¬ 
liche Adjuvantien, die bei Thieren oft sogar 
massgebend sind, müssen Frottirungen der 
Haut mit mechanisch oder dynamisch haut¬ 
reizenden Mitteln (rauhe Lappen, Strohwische, 
Kamphergeist, Salmiakgeist, Terpentinöl), 
Bowie rasche Körperbewegungen unter dichten 
Hüllen, Einpacken der Thiere in feuchte 
Tücher und wasserdichte Bedeckung (Gutta¬ 
perchapapier, Diaplasmata), Erhöhung der 
Stalltemperatur u. s. w. angesehen werden. VI. 

Diaphragma, Sia^payjjLa (v. 5ca<ppayvujjL:, 
abgrenzen), das Zwerchfell (s. d.). 

Diaphysis, i] S'dtpoztg (v. StacpoEiv, da¬ 
zwischenwachsen), nennt der Anatom das 
Mittelstück, Corpus, der Röhrenknochen. Es 
zeichnet sich am ausgewachsenen Knochen 
regelmässig durch das Vorhandensein einer 
mehr oder weniger umfänglichen Markhöhle 
zur Aufnahme der Hauptmasse des Knochen¬ 
markes aus. Spongiöse Knochensubstanz kommt 
höchstens noch an seinen Enden vor. Sussdorf. 

Diaplasis, rj ^idnXaatg (v. S'.aitXaooecv, 
formen), die Einrichtung eines gebrochenen 
Theiles. Sussdorf. 

Dlapnoe, Diapnoia, rj SiaitvoV), SictTcvoia 
(v. 8taTcv66iv,durchwehen).die Hautausdünstung 
r= Perspiratio insensibilis, die Ausathmung 
= Expiratio. Adj. Diapnoica sc. remedia, 
Mittel, welche die Hautausdünstung be¬ 
fördern. Sussdorf 

DiaptOüiü, vj 5iaicxa>a'5(v. 8:<x- und ici'tctecv, 
fallen), der Zwischenfall, Complication einer 
Krankheit durch ungewöhnliche Zufalle. Sf 
Dlapyetna, to 8tair6v||i.a (iiaituEtv, ver¬ 
eitern), durchbrechende Eiterung, auch Eiter¬ 
ansammlung in der Brust (Empyema). Sf 
Diarrhöe oder Durchfall besteht in 
häufiger Entleerung dünner Excremente, s. 
Darmkatarrh. Anacker. 

Diarthrosis, -fr 8:apfl-p(i>3:c, bezeichnet 
ganz allgemein die bewegliche Verbindung der 
Knochen unter Gelenkbildung im Gegensatz 
zur Synarthrosis oder unbeweglichen Knochen¬ 
verbindung. Sussdorf 

Diaspor (von Siasitupetv, zerstreuen), ein 
zu den wasserhaltigen Erden zählendes 
Mineral, nach seiner chemischen Zusammen¬ 
setzung aus Thonerde und Wasser bestehend, 
krystallisirt rhombisch, gewöhnlich derb, auch 
in faserigen Aggregaten als Begleiter des 
Schmirgels, farblos, gelblichweiss, auch grün¬ 
lich und blau. Fundorte: Ural, Schemnitz in 
Ungarn, Ephesus in Kleinasien, Naxos (als 
Begleiter des Schmirgels), Unionville in 
Pennsylvanien. Loebisch. 

Diastasis, ä (v. ä'.aarrjvou), die 

8paltung, gewöhnlich für den durch das 
Keimen der Getreidesamen (Gerste etc.) in 


— DIASTOLE. 357 

diesen entstehenden, übrigens nicht näher ge¬ 
kannten Stoff („ungeformtes Ferment“), welcher 
Stärkemehl in Zucker und Dextrin überführt, 
resp. spaltet: unter dem Namen der vege¬ 
tabilischen oder pflanzlichen Diastase unter¬ 
scheidet man ihn von dem ursprünglich im 
Mund- und Bauchspeichel vorkommenden 
gleich wirken den „amylolytischen Ferment“ 
oder der animalischen Diastase, einem durch 
die Resorption im Darm auch in fast alle 
Organe des Thierkörpers übertretenden Stoff. 
(Näheres über sein Vorkommen im Pferde¬ 
körper vgl. u. a. „Ellenberger, Verbreitung 
des 8accharificirenden Fermentes im Pferde¬ 
körper“, Arch. f. wiss. u. prakt. Thierheilkunde, 
VIII. 1882, 91.) Sussdorf. 

Diastole (>} S'.aotoXT, Ausdehnung, von 
itaoTfXXuv, öffnen, ausaehnen), technischer 
Ausdruck für die Erschlaffung des Herzens, be¬ 
zeichnet diejenige Phase eines Herzschlages, 
welche den contrahirt gewesenen Herzmuskel 
sich wieder erweitern und so zur Aufnahme 
neuer Biutmassen vorbereiten lässt. Sie er¬ 
folgt regelmässig, so dass zunächst die Atrien, 
dann die Ventrikel dilatiren. Die mit der 
Zusammenziehung (Systole) der Kammern 
beginnende Diastole der Vorkammern erreicht 
ihr Ende mit dem Beginn der Kammerdiastole, 
sie erstreckt sich also Über die Kammersy¬ 
stole -f- Anfang der Karamerdiastole; während 
dieser sind somit Atrien und Ventrikel er¬ 
weitert (Pause). Die Kammerdiastole endet 
mit dem Uebertritt des Blutes aus dem Vor¬ 
hofe in den Ventrikel, sie besteht somit 
während der Pause und der Systole atriorura. 
— Die Form des diastolischen Herzens ist 
die des schlaffen exenterirten Organes: das¬ 
selbe besitzt eine mit grösserem sagittal und 
kleinerem quergestellten Durchmesser ausge¬ 
stattete elliptische Basis, ein etwas grösseres 
Volumen als das systolische Herz, und zeigt 
auch eine andere Lage seiner einzelnen Theile; 
Querfurche und Spitze sind weiter von ein¬ 
ander entfernt, die erstere höher, die letztere 
tiefer als ain contrahirten Organ. Der Er¬ 
schlaffung des Herzens entspricht die Ruhe¬ 
lage der Brustwand und damit der absteigende 
Schenkel oder wenigstens ein Theil desselben 
(Klug) in dem Kardiogramm. — Die Dauer 
der Diastole übertrifft diejenige der Systole 
um etwa % der Gesammtdauer eines Herz¬ 
pulses und wird somit nach Versuchen von 
Marey und Chauveau auf % dieser Zeit ver¬ 
anschlagt. — Durch die mit der Diastole des 
Herzens Hand in Hand gehende Erweiterung 
der Herzräume ist man in hohem Grade ver¬ 
sucht, in das Herz eine diastolische Saug¬ 
kraft zu verlegen, welche den Zufluss des 
Blutes aus den grossen Venen befördere. 
Zahlreiche Autoren der älteren und neueren 
Periode, unter den letzteren besonders auch 
noch Goltz und Gaule, welche manometrisch 
eine bedeutende Druckabnahme beim Hunde 
(auf —23*5, resp. —52 mm Hg) nachweisen 
zu können glaubten, traten für diese Ansicht 
ein. Ihnen ist jedoch Moens und im Anschluss 
daran auch Rollett entgegengetreten: unter 
Correction der Schlüsse, welche Goltz und 


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358 DIASTOLISCHER HERZTON. — DICHTE. 


Gaule aus ihren Versuchen ziehen, weisen sie 
die Annahme einer selbständigen diastolischen 
Saugkraft des Herzens zurück. (Näheres siehe 
Kreislauf.) Sussdorf. 

Diastolischer Herzton, s. Auscultation des 
Herzens. 

Diatherman. Die Wärmestrahlen werden 
ebenso wie die Lichtstrahlen durch die 
Medien, auf welche sie auffallen oder durch 
welche sie durchgehen, reflectirt, gebrochen 
und polarisirt. In Bezug auf das Durchlässen 
der Wärmestrahlen verhalten sich nun einige 
krystallisirte Körper sehr verschiedenartig, 
so z. B. lässt Steinsalz die Wärmestrahlen 
bei weitem besser durch als der klarste Berg- 
krystall, es ist also für Wärmestrahlen voll¬ 
kommen durchgängig, man bezeichnet es als 
diatherman; Alaun und Eis lassen nur 
wenige Wärmestrahlen durch, sie sind 
atherman. Loebisch. 

Diattl68i8, rj Üiad-Bais (v. Statififtva:), die 
Anlage zu Krankheiten, s. Dispositio. V- 

Dlatomaceae, Spaltalgen (Stückelalgen) 
mit Kieselschalen, s. Bacillarien. 

0iatre8i8, t) dtaxpyjaic (von StaTixpäv, 
durchbohren), die Durchbohrung, Eröffnung, 
z. B. des Anus bei Atresia ani etc. Sussdorf. 

Diaz M. gab 1495 in Saragossa heraus: 
„Libro de Albeyteria“ (eine Compilation italie¬ 
nischer Schrifsteller über Hippiatrik). Semmer. 

Dib. Canis lupaster Ehbg. Wolfsschakal, 
ägyptischer Schakal. Ein Wildhund, welcher 
in Aegypten, Nubien und Nordafrika bis an die 
Westküste vorkomrat. Nach der Schilderung 
Cretschmar’s ist der Dib grösser als der Fuchs, 
aber kleiner als der Wolf, mit dem er in der Fär¬ 
bung viele Aehnlichkeit hat. Der Kopf ist ver- 
hältnissmässig dick, zwar dabei lang, aber 
nicht so fuchsartig zugespitzt. Die Ohren sind 
kurz und gleichsam spitz zugeschnitten. Die 
Stichelhaare des Oberleibs sind rauh, kaum 
11"' lang, an der Wurzel schmutzigweiss; 
sie enden mit weisslichen oder schwarzen oder 
ockerfarbigen Ringen, weshalb das Fell ein 
aus Schwarz, Weiss, Gelblich und Röthlich ge¬ 
mischtes Ansehen erlangt. Die Wollhaare sind 
rothbraun, an den Seiten lichter. Der Kopf und 
die Aussenseite der Ohren sind mit weissen, 
bräunlichen und schwarzen Haaren bedeckt. 
Lippen, Kehle und Unterhals sind schmutzig¬ 
weiss; vor der Brust ein schwarzer Ring. Die 
Gliedmassen sind ockerfarbig mit rothbraunem 
Ueberzug, Nägel und Sohlen schwarz. Der 
Schwanz in seinem ersten Drittheil unten 
ockerfarbig, oben mit rothbraunem Fleck und 
schwarzen Längsstreifen, die letzten zwei 
Drittheile des Schwanzes sind ringsum glän¬ 
zend schwarz. Länge bis zum After 2' 3%", 
des Schwanzes 1' Schulterhöhe 1' 3". Der 
Dib findet sich schon auf altägyptischen Denk¬ 
mälern häufig abgebildet. Ehrenberg hebt die 
Aehnlichkeit des Thieres mit einzelnen zahmen 
ägyptischen Hunden hervor. Jeitteles leitet von 
der zarteren Varietät des Dib die Windhunde 
Afrikas ab, von der gewöhnlichen Form soll 
der ägyptische Pariahhund abstammen. Studer. 

Dichlore88ig8äure, ihre Wirkungen, siehe 
Acidum aceticum. 


Dichobune ist ein von Cuvier aufgestellte» 
Subgenus von Anoplotherium, mit welchem 
es auch bezüglich der Zahl und gleichen 
Höhe der Zähne 9owie im Mangel an Zahn¬ 
lücken übereinstimmt. Unterschieden wird es 
von demselben durch die Bildung der Schmelz¬ 
falten der Backenzähne, in Folge welcher der 
Zahnbau lebhaft an die Wiederkäuer erinnert, 
ferner durch die Schneidezähne und durch 
zwei Afterzehen. Der Zahncharakter sowie 
die Extremitätenbildung erinnern immer mehr 
an die Wiederkäuer, und es lässt sich an einer 
Reihe von fossilen Repräsentanten der all- 
rnälige Uebergang von Dichobune zu der jetzt 
lebenden Familie der Moschusthiere verfolgen. 
Vogt nennt die Zwischenglieder Dichodon 
aus dem oberen Eocän von England, Mikro- 
therium aus deD Miocän von Weissenau bei 
Mainz und Amphytragulus aus der Auvergne. 
Von Dichobune sind 3—4 Arten von der 
Grösse der Hasen und Kaninchen bekannt; 
sie stammen hauptsächlich aus dem Tertiär- 
gyps von Paris. Kouddka. 

Dichotomia, rj äixoxofxia (v. St/a, in zwei 
Theile, und xejjiveiv, theilen), Doppeltheilig¬ 
keit, für jede Zweitheilung. Davon als adj, 
dichotomus, zweitheilig. Sussdorf. 

Dichroit. Ein zur Classe der Hornblenden 
zählendes Mineral, als Zierstein unter dem 
Namen Saphir d’eau, Luchssaphir bekannt; 
es ist durch seinen Dichroismus berühmt. 
Parallel der einen Axe erscheint er im 
schönsten Blau, parallel der anderen Axe 
besehen schwindet das Blau, der Krystall 
erscheint schmutziggelb oder farblos. Der 
Dichroit absorbirt das polarisirte Licht ebenso 
wie der Turmalin gänzlich, besteht aus 
Magnesia, Thonerde und Kieselsäure. Härte 
7—8. Violblau, grün bis farblos, muscheliger 
Bruch. Fundorte: Im Bodenmais im bayri¬ 
schen Walde, bei Abo in Finnland im Kupfer¬ 
kies, im Granat von Grönland. Loebisch. 

Dichte, Dichtigkeit. Unter der Dichte 
eines Körpers versteht man in physikalischer 
Beziehung das Verhältnis der Masse zum 
Volumen desselben. Ist M die Masse, V das 
Volumen, so ist D = y“, ist m die Masse 
eines zweiten Körpers, v dessen Volumen, so 
ist d = t- D : d =-£ : V == v, so ist 

D : d = M : m; M : m aber bei gleichem Vo¬ 
lumen = S : s (wenn S und s die specifischen 
Gewichte beider Körper sind) also auch 
D : d = S : s. Die Dichten zweier Körper 
verhalten sich also bei gleichem Volumen 
wie ihre Massen und wie ihre specifischen 
Gewichte. Dichte, Masse und specifisches 
Gewicht sind also proportionale Grössen. Je 
grösser bei gleichem Volumen die Masse, um 
so grösser die Dichte, um so grösser das 
specifische Gewicht. Wärme bewirkt vermöge 
ihrer ausdehnenden Eigenschaft Verminderung, 
Kälte Vermehrung der Dichtigkeit, wie sich 
denn z. B. die Dichte des reinen Wassers 
beim Gefrierpunkt zur Dichte desselben beim 
Siedepunkte verhält wie 100:96. Wenn das 
Wasser gefriert, so dehnt es sich aus, sein 
Volumen wird grösser, die Masse bleibt die- 


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DICK. — DICKDARM. 


359 


selbe; also ist das gefrorene Wasser bei 0° 
nicht so dicht wie das noch flüssige. Je 
tiefer aber die Temperatur unter 0° sinkt, 
desto kleiner wird das Volumen, so dass die 
Dichte wieder grösser und grösser wird. 
Ausserdem verändert sich die Dichte der 
Körper mit dem Volumen durch mechanischen 
Druck, Zug, Krystallisation etc. Zu den dichten 
Körpern, welche bei gleichem Volumen mehr 
Masse enthalten als andere, rechnet man die 
Metalle, die Gläser und viele Steinarten. Die 
dichteren Körper sind sehr nützlich als 
Material zu Gefassen, um andere Körper ein- 
zuschliessen, die wenig Cohäsion besitzen. 
Platin, Gold, Silber, Kupfer, Messing, Eisen 
und Zinn haben in dieser Hinsicht den Vor¬ 
zug vor Glas, Porzellan und Stein, dagegen 
letztere den der Unauflöslichkeit behaupten. 
Diejenigen Körper, welche ihren Raum sehr 
unterbrochen ausfüllen, viele Zwischenräume 
und weniger Masse als andere Körper bei 
gleichem Umfange enthalten, nennt man 
lockere Körper. Man unterscheidet zwei Arten 
derselben nach dem äusseren Ansehen und 
ihrem Gebrauche. Wenn die Dichtigkeit der 
einzelnen Theile an lockeren Körpern sehr 
ungleichförmig ist, dass grosse Zwischenräume 
mit dichten Theilgruppen abwechseln, wenn 
überhaupt grosse Zwischenräume zwischen 
den Molekülen oder Theilen des Körpers sich 
befinden, so sind die ersteren schon mit 
blossem Auge zu erkennen. Man nennt solche 
Körper löcherig, porös, auch wohl nach der 
Gestalt der Zwischenräume röhrig, blasig, 
schwammig, zellig. Sandstein, gebrannter 
Thon, Holz, Leder und Pappe sind von dieser 
Art. Ihr Gebrauch zu Gelassen wird durch 
die Porosität sehr eingeschränkt, man müsste 
sie denn mit dichten Körpern bekleiden, wie 
z. B. Thon mit Glasur, Holz, Leder und 
Pappe durch Lackiren. Dagegen gewähren 
die löcherigen Körper ihren besonderen 
Nutzen, indem sie feintheilige Körper durch¬ 
gehen lassen, die gröberen Theile aber zurück¬ 
halten. Darauf beruht die Sonderung des 
Groben vom Feinen, fester Körper durch 
Siebe, Durchschlage, Beuteltuch, Haarsäcke 
und Körbe. Schlägt man lose Körper durch 
immer feinere Löcher, so bewirkt man dadurch 
die technisch so wichtige Sortirung nach dem 
Korn, zu welchem Behufe man Schrotsiebe, 
Graupensiebe, Pulversiebe, Griessiebe, Korn¬ 
siebe, Mehlbeutel, Pudersiebe und Smalte- 
siebe von allen Graden der Feinheit gebraucht 
und mit Nummern bezeichnet. Löcherige 
Körper von mittlerer Grösse der Zwischen¬ 
räume werden der Industrie, Pharmacie und 
Medicin gemeinnützig dadurch, dass sie flüs¬ 
sige Körper durchlassen, die darin schwim¬ 
menden festen Theile aber zurückhalten. Man 
gebraucht sie zum Durchseihen, Filtriren, 
und nennt sie Seiher, Filtra: dergleichen 
sind Fliesspapier, Baumwolle, Kattun, Bar¬ 
chent, Holzmehl, Flanell, Filz, Kohlenstaub, 
Glaspulver, Sand, Filtrirstein, mit Salz ge¬ 
brannter Thon u. s. w. Man wählt das Fil- 
trum nach der Feinheit der abzusondernden 
Theile, vornehmlich ein solches, das von der 


Flüssigkeit nicht angegriffen wird. Zu lockere 
Seiher verdoppelt man; auch wird das Zuerst¬ 
ablaufende zurückgegossen und die Arbeit 
wiederholt. Ableitner. 

Dick studierte Thierarzneikunde in London 
(unter Coleman) und gründete die Veterinär¬ 
schule in Edinburg im Jahre 1825. Sr. 

Dickdarm. Der Dickdarm (intestinum 
crassum), die hintere kürzere Abtheilung des 
Darmcanals, wird in den Blinddarm, 
Grimmdarm und Mastdarm eingetheilt. 
Die genannten drei Abschnitte setzen sich 
bei den Einhufern schärfer als bei den übri¬ 
gen Haussäugethieren von einander ab und 
zeichnen sich ferner dadurch aus, dass die 
Wand an den meisten Stellen des Dickdarms 
keine ebene Oberfläche besitzt, sondern mehr 
oder minder weite, durch tiefere oder seichtere 
Einstülpungen getrennte Ausbuchtungen — 
Po sehen (haustra) — bildet. Den Einstül¬ 
pungen entsprechen in das Innere des Darmes 
einspringende Schleimhautfalten. Zur Poschen- 
bildung geben die als Längsbänder, Band¬ 
streifen oder Tänien (s. Darmcanal, Muskel¬ 
haut) bezeichneten Zusammenhäufungen von 
Längsfasem der Muskelhaut Veranlassung, 
welche kürzer als die Darmabschnitte sind, 
an denen sie verlaufen. Werden die Band¬ 
streifen durchschnitten, so verlängert sich das 
Darmstück, und die Poschen verschwinden. 

Der B1 i n d d arm (coecum, intestinum coe- 
cum) der Einhufer (Fig. 425, B) unterscheidet 
sich von dem der übrigen Haussäugethiere auf¬ 
fällig durch seine Form und seine bedeutende 
Grösse, ferner dadurch, dass er einen zwischen 
Dünndarm und Grimmdarm eingeschobenen 
Sack darstellt, aus welchem der Grimmdarm 
seitlich hervortritt. Er hat die Gestalt eines 
0*75—1 *25 m langen, in der Mitte bei massi¬ 
ger Ausdehnung 20—25 cm breiten Kegels, 
welcher in der rechten Untenrippengegend 
liegt und mit seinem hinteren Ende bis in 
die rechte Flankengegend reicht. Man unter¬ 
scheidet an dem Blinddarm den Grund, das 
Mittelstück und die Spitze. Der Grund 
(Fig. 425,1) ist der am weitesten nach hinten 
und oben an den letzten Rippen der rechten 
Seite unter den ersten Lendenwirbeln ge¬ 
legene Theil des Blinddarms, dessen Form 
einige Aehnlichkeit mit der des Magens be¬ 
sitzt. Die beiden Flächen, von denen die 
äussere an die Bauchwandung, den rechten 
Lappen der Leber und das Zwerchfell, die 
innere an das Endstück des Grimmdarras 
grenzt, mit welchem sie sich durch Binde¬ 
gewebe locker verbindet, stossen mit zwei 
Krümmungen oder Bogen zusammen. Die 
grössere — convexe — Krümmung ist nach 
hinten und oben, die kleinere — concave — 
nach vorn gerichtet; an der concaven Krüm¬ 
mung findet sich links und oben die Ein¬ 
mündung des Hüftdanns, rechts und unten 
die nach dem Grimmdarm führende Oeffnung. 
Das vordere Ende bildet einen abgerundeten 
Blindsack, das hintere Ende geht in das 
Mittelstück über. An der concaven Krüm¬ 
mung verlaufen zwei scharf abgesetzte und 
am vorderen Theil der grossen Krümmung 



360 


DICKDARM. 


ein undeutlicher Bandstreifen. Der Grund be¬ 
sitzt nur wenige und flache Poschen, er ver¬ 
bindet sich durch lockeres Bindegewebe oben 
mit dem rechten Lappen der Bauchspeichel¬ 
drüse und mit der rechten Niere, links mit 
der rechten oberen Lage des Grimmdarms. 
Das Mittelstück oder der Körper des Blind¬ 
darms (Fig. 426,2) zieht sich von dem Grunde 
an den Knorpeln der rechtsseitigen falschen 
Rippen entlang schräg nach unten, vom und 
nach der Mitte des Körpers, so dass dasselbe 
auf der unteren Bauchwandung zwischen den 
rechten und linken Lagen des Grimmdarms 
ruht. Durch vier Bandstreifen (Fig. 425 b), 
von denen einer in seinem ganzen Verlauf 
freiliegt, werden an dem nach vorn sich 
zuspitzenden Mittelstück ebensoviele Reihen 


Der Grimmdarm (colon, intestinum 
colon) der Pferde (Fig. 425 G) hat eine Länge 
von 3—3*5 m und bildet eine sehr umfangreiche 
Doppelschlinge, welche auf der unteren Bauch- 
wand zu etwa ein Drittel in der rechten, zu 
etwa zwei Drittel in der linken Hälfte der 
Bauchhöhle seine Lage hat. Beide Schlingen 
werden durch das Grimmdarmgekröse (meso- 
colon [Fig. 425,14]) verbunden und ordnen sich 
in vier Lagen, von denen die beiden linken 
an Länge die rechten ttbertreffen, derartig an, 
dass Anfangs- und Endtheil des Grimmdarms 
benachbart sind. 

Die rechte untere Lage des Grimmdarms 
(Fig. 425, 6) tritt an der rechten (äusseren) 
Seite aus der kleinen Krümmung des Blind¬ 
darms (Fig. 425,5), läuft über dem Mittelstück 



Fig. 425. Blind- und Grimmdarm des Pferdes, von rechts gesehen. B Blinddarm, 1 Grund, 2 Körper, 3 Spitze des 
Blinddarms, 4 Bliud-Grimmdarmgekröse. G Grimmdarra, 6 Ursprung, 6 rechte uutere Lage des Grimmdarms, 7 untere« 
Quercolon, 8 linke untere Lage, 9 Beckenflexur, 10 linke obere Lage des Grimmdarms, 11 oberes Quercolon, 12 rechte 
obere Lage, 13 magenfthnliche Erweiterung des Grimmdarms, 14 ‘Grimmdarmgekröse, b Bandstreifen. M Mastd&m, 

15 Maatdarmgekröse. 


von Poschen gebildet. Ein Bandstreifen wird 
durch das Dünndarm-, ein zweiter durch das 
Hüft-Blinddarm-, der vierte durch das Blind- 
Grimmdarmgekröse(Fig.425, 4) verdeckt. Letz¬ 
teres verbindet den Blinddarm mit der rechten 
unteren Lage des Grimmdarms; es reicht 
nicht bis zur Spitze des Blinddarms und 
schliesst Bündel von Muskelfasern ein, welche 
zwischen den entsprechenden Bandstreifen 
beider Darmabschnitte verlaufen. Die Spitze 
des Blinddarms (Fig. 425,3) stellt einen 
stumpfen, am Schaufelknorpel des Brustbeins 
auf der unteren Bauchwand ruhenden Blind¬ 
sack dar. Da die Bandstreifen gegen das vor¬ 
dere Ende des Mittelstückes allmälig ver¬ 
schwinden, macht sich die Poschenbildung an 
der Spitze des Blinddarms nicht mehr be- 
merklich. 


bis zur Spitze des Blinddarms in der rechten 
Unterrippengegend nach vom bis zum Zwerch¬ 
fell und biegt sich hinter dem letzteren in dem 
unteren Quercolon (Fig. 425, 7) in der unteren 
vorderen Krümmung nach der linken Seite 
hinüber, um in die linke untere Lage (Fig. 425, 8) 
überzugehen, welche sich in der linken Unter¬ 
rippen- und Flankengegend bis zum Becken 
entlang zieht. An dem Austritt aus dem Blind¬ 
darmgrund (Fig. 425,5) ist der Grimmdarm auf 
einer kurzen Strecke sehr eng, die dicken Wände 
bilden nur flache, undeutliche Poschen. Dann 
erweitert sich das Darmrohr beutelförmig auf 
einige Centiraeter Länge, zieht sich hierauf 
wieder zusammen und erhält dann den er¬ 
heblichen Durchmesser, welchen beide unteren 
Lagen in ihrem ganzen weiteren Verlaufe be¬ 
halten. An den gleichweiten Theilen beider 




DICKDARM. 


361 


unteren Lagen verlaufen vier Bandstreifen 
(Fig. 425 b), durch welche ebenso viele Reihen 
von Poschen gebildet werden. Ein Randstreifen 
ist in seinem ganzen Verlaufe durch das 
Grimmdarm-, ein zweiter an der rechten 
unteren Lage durch das Grimm-Blinddarm- 
gekröse verdeckt; im Uebrigen liegen die 
Bandstreifen frei. Im Becken geht die linke 
untere Lage, indem sie sich stark verengt, 
durch die Beckenflexur (Fig. 425, 9) — hintere 
Krümmung — in die linke obere Lage 
(Fig. 425,10) über, welche in der linken Flan¬ 
ken- und Unterrippengegend über der linken 
unteren Lage nach vorn bis zum Zwerchfell 
läuft, wo sie das obere Quercolon (Fig. 425,11) 
— die vordere obere Krümmung — bildet, 
welches das untere Quercolon etwas nach vorn 
überragt. Durch das obere Quercolon schlägt 
sich die linke obere in die rechte obere Lage 
•(Fig. 425,12) um, welche sich über der rechten 
unteren in der rechten Unterrippengegend 
nach hinten bis zum Grunde des Blinddarms 
'entlang zieht, um an letzterem in den Mast¬ 
darm überzugehen. Die Beckenflexur hat kaum 
die Hälfte des Durchmessers der linken unteren 
Lage und besitzt nur einen Bandstreifen, 
welcher durch die Gekrösanheftung verdeckt 
wird. Die linke obere Lage behält in ihrer 
hinteren Hälfte die Weite der Beckenflexur 
oder verengt sich noch mehr und hat auch 
nur einen die Gekrösanheftung begleitenden 
Bandstreifen, besitzt daher, ebenso wie die 
Beckenflexur, keine Poschen. Die Weite des 
Grimmdarms nimmt am oberen Quercolon 
und in der rechten oberen Lage so stark zu, 
dass an letzterer der Durchmesser bedeutender 
als an irgend einer anderen Stelle des Darm¬ 
canals wird. Dieser als magenähnliche Er¬ 
weiterung des Grimmdarms (Fig. 425,13) be- 
zeichnete Abschnitt der rechten oberen Lage 
verengert sich plötzlich sehr erheblich an der 
Stelle, an welcher der Grimmdarm in den 
Mastdarm übergeht. An der vorderen Hälfte 
der linken oberen, an der rechten oberen 
Lage und am oberen Quercolon finden sich 
ausser dem durch die Gekrösanheftung ver¬ 
deckten noch zwei, jedoch weniger deutlich 
abgesetzte Bandstreifen, so dass dieser Theil 
des Grimmdarras drei Reihen von grossen, 
flachen Poschen bildet. Das Grimmdarmgekröse 
(Fig. 425,14) ist zwischen den beiden rechten 
Lagen des Griramdarms kurz, schliesst jedoch 
starke Muskelbündel ein, welche zwischen den 
einander zugewendeten, von der Gekrösanhef¬ 
tung verdeckten Bandstreifen der oberen und 
unteren Lage verlaufen und in ihrer Gesaramt- 
heit als Quermuskel des Grimmdarras bezeich¬ 
net worden sind. Das Gekröse erlangt an der 
Beckenflexur die bedeutendste Breite, welche 
an den beiden linken Lagen wieder abnimmt. 
Die rechte obere Lage des Grimmdarms ver¬ 
bindet sich durch lockeres Bindegewebe mit 
der Bauchspeicheldrüse und mit dem Grund 
des Blinddarms. 

Der Mastdarm der Einhufer zerfällt in 
den Bauch- oder Gekröstheil und in da9 
Beckenstück. 

Der Bauchtheil (Fig. 426M) hat beim 


Pferde eine Länge von 3 bis 3'5m und in 
seinem ganzen Verlaufe die gleiche Weite, 
welche etwa das Doppelte von der des Dünn¬ 
darms beträgt. Er liegt zum grössten Theil 
in der linken Flankengegend auf den linken 
Lagen des Grimmdarms oder zwischen den 



Fig. 426. Endstück des Mastdarmes mit dem After und den 
Muskeln des letzteren, von rechts gesehen. Bkf Becken fuge 
(durchgesftgt), Ht äussere Haut der Scheide und des Afters, 
M Bauchportion des Mastdannes, GdM Gekröse des Mast- 
darraes, A After, 1 Beckenportion des Mastdarme«, 2 Bündel 
der Muskelhaut, welche das After-Sehweifband bilden, 
2‘ Anheftung des letzteren am ersten Schweifwirbel, 3 untere 
Mastdarraschleife, 4 Äusserer Schliessmuskel des Afters, 
4' vordere Portion desselben, 5 Heber des Afters (vom 
Kreuz-Sitzbeinbande abgeschnitten), G Gebärmutter, Sch 
Scheide, V Vorhof der Scheide, Schm Scham, 6 Schnürer 
der Scham, 7 strahliger Muskel, b Harnblase, H Harnröhre, 
umgeben vom Wilson’schen Muskel, 8 Befestigung der 
Harnröhre an der Beckenfuge, 9 Harnleiter, 10 hinterer 
Abschluss des Bauchfelles, ll Mastdarm-Geb&rmutter- 
Ausbuchtung, 12 Hamblasen-Gebarmutter-Ausbuchtung 
des Bauchfelles, 13 Kitzler. 

letzteren und der linken Bauchwand. Wie der 
Dünndarm hängt der Bauchtheil des Mastdarms 
an einem langen Gekröse — Mastdarmgekröse 
(mesorectum, Fig. 425, 15, u. 426) — welches 
oben von den Lendenwirbeln und dem Kreuz¬ 
bein herabsteigt, die hintere Gekrösarterie 
mit ihren Aesten einschliesst — hintere 
Gekröswurzel — und nach hinten immer 
niedriger wird. Mit Ausnahme des hinteren 
fast gerade unter der Wirbelsäule verlaufenden 
Endes liegt der Bauchtheil des Mastdarms 
in Schlingen, welche sich ähnlich wie die 
des Dünndarms verhalten, jedoch etwas grösser 
als die letzteren sind. Die Längenfasern der 
Muskelhaut bilden zwei breite Bandstreifen, 
von denen der obere durch die Gekrösan¬ 
heftung verdeckt wird, der untere gegenüber 
der letzteren verläuft. Durch die Bandstreifen 
entstehen zwei Reihen von Poschen. 

Das ausserhalb des Bauchfellsackes ge¬ 
legene Beckenstück oder der gekrüslose Theil 
des Mastdarmes (Fig. 426, 1) entspricht dem 
Mastdarm (rectum, intestinum rectum) des 
Menschen und bildet einen weiten, sehr 
ausdehnungsfähigen, 20 bis 30 cm langen, 
flaschenförmigen Behälter, in welchem sich die 
Kothbälle vor der Entleerung anhäufen. Das 



362 


DICKDARM. 


Beckenstück verläuft in gerader Linie unter 
dem Kreuzbein, an welches dasselbe durch 
lockeres Bindegewebe angeheftet ist, nach 
hinten bis zum After, grenzt unten bei weib¬ 
lichen Thieren an die Scheide, bei männlichen 
an die Harnblase, das Beckenstück der Harn¬ 
röhre, die Samenleiter und accessorischen Ge¬ 
schlechtsdrüsen und besteht aus der Muskel- 
und aus der Schleimhaut. Die Längen fasern 
der dicken Muskelhaut legen sich zu groben 
Bündeln zusammen, welche durch starke 
Bindegewebszüge von einander getrennt wer¬ 
den. Die aus der Auflösung des unteren Band¬ 
streifens hervorgegangenen Längenfasern bil¬ 
den an der rechten und linken Seite je ein 
breites nach oben und hinten verlaufendes 
Muskelband (Fig. 426, 2), welches sich an der 
unteren Fläche des ersten (Fig. 426 2') Schweif¬ 
wirbels anheftet und als After-Sch weif¬ 
band das hauptsächlichste Befestigungsmittel 
des Mastdarmes abgibt. Bündel des rechten 
und linken Muskelbandes überkreuzen sich 
über dem Mastdarm und stellen, sich unter 
einander verbindend, die obere Mastdarm¬ 
schleife dar. Die untere Mastdarmschleife (Auf¬ 
hängeband des Afters [Fig. 426, 3]), sowie 
der aus den Kreisfasern der Muskelhaut des 
Mastdarms gebildete innere Schliessmuskel des 
Afters sind in dem Artikel After bereits ab- 
gehandelt worden. 

Der Dickdarm der Wiederkäuer besitzt 
keine Bandstreifen und bildet in Folge dessen 


keine Poschen. Die Weite ist am Blinddarm 
die grösste und nimmt im Grimmdarm derart 
ab, dass sie in den hinteren Theilen des 
letzteren und im Mastdarm, namentlich bei 
den Schafen und Ziegen, die des Dünndarms 
nicht bedeutend übertrifft. Die Länge des 
Dickdarms von der Spitze des Blinddarms bis 
zum After beträgt beim Rinde 9 bis 12, bei 
den kleinen Hauswiederkäuern 4 bis 6 m. Der 
last cylindrische Blinddarm (Fig. 427. 4) ver¬ 
läuft am oberen Rand der Darmscheibe, das 
nach hinten gewendete blinde Ende (Fig. 427. 4') I 


liegt jedoch vollkommen frei. Vorn geht der 
Blinddarm ohne scharfe Grenze in den Grimm¬ 
darm über, dessen S-förmig gekrümmte An¬ 
fangsschlinge (Fig. 427,50 sich nach hinten 
umbiegt und dann nach der Mitte des ge¬ 
meinschaftlichen Gekröses läuft, in welchem 
der Grimmdarm ein aus schneckenförmigen 
Windungen bestehendes rundes Convolut — 
Grimmdarm-Labyrinth (Fig.427, 5)— bil¬ 
det. Die in fast derselben Ebene verlaufenden 
Windungen des letzteren sind an der linken 
(unteren) Fläche der Darmscheibe, wo diesel¬ 
ben das gemeinschaftliche Gekröse überragen, 
deutlicher zu übersehen als an der rechten 
oberen Fläche und zeigen bei dem Rinde und 
bei den kleinen Hauswiederkäuern einige Ver¬ 
schiedenheiten in der Zahl und im Verlauf. 
Das Griramdarmconvolut des Rindes besteht 
aus 1 '/ % oder aus 2 concentrischen (Fig. 427 a) 
und ebensovielen excentrischen (Fig. 427 b) 
Windungen, welche dicht neben einander ver¬ 
laufen, die letzte excentrische bildet die Peri¬ 
pherie, die Umbiegung der letzten concentri¬ 
schen in den Anfang der ersten excentrischen 
Windung liegt in der Mitte des Convolutes. 
Bei dem Schafe und bei der Ziege sind drei 
concentrische und ebensoviele excentrische 
Windungen vorhanden, die letzte excentrische 
verläuft nicht an der Peripherie des Convolu¬ 
tes, sondern in einem grossen Bogen nahe dem 
Dünndarm durch das Gekröse. Entsprechend 
dieser Anordnung zählt man von oben nach unten 
bei dem Rinde sechs oder 
acht, bei dem Schafe und 
der Ziege zwölf Bogen 
des Grimmdarms. Die 
letzte excentrische Win-, 
düng geht ohne scharfe 
Grenze in den Mastdarm 
(Fig. 427, 6) über, dessen 
Anfangsschlingen nahe 
dem Blinddarm noch im 
gemeinschaftlichen Ge¬ 
kröse liegen, während der 
übrige, meist mit vielem 
Fett umhüllte Theil, an 
einem besonderen, jedoch 
nur kurzen Gekröse hän¬ 
gend, in gerader Linie 
und ohne Schlingen zu 
bilden nach hinten bis 
zum Abschluss des Bauch¬ 
fellsackes verläuft. Das 
Beckenstück hat eine 
verhältnissmässig schwä¬ 
chere Muskelhaut, bildet 
beim Schafe und bei der Ziege keine deutliche 
flaschenförmige Erweiterung und weicht im 
Uebrigen nicht wesentlich von dem entspre¬ 
chenden Darmabschnitt des Pferdes ab. 

Der Dickdarm des Schweines ist in 
seinem ganzen Verlauf erheblich weiter als 
der Dünndarm und in seiner Gesammtheit 
etwa 4 m lang. Der Blinddarm (Fig. 428, 2) hat 
drei Bandstreifen und ebensoviele Reihen von 
Poschen, verhält sich sonst jedoch im Wesent¬ 
lichen wie bei den Wiederkäuern. Der Grimm- 
darrn (Fig. 428, 3) bildet ebenfalls ein labyrinth- 



Fig. 427. Darmscheibe <1**9 Rindes, von links und unten gesehen. 1 Zwölffingerdarm, 
2 Leerdarm, 3 Hüftdarm, 4 Blinddarm, 4' Spitze des Blinddarms, 6 G’riramdarinlabyrintb, 
a concentrische, b excentrische Windungen des Griraradarmlabyrinthes, 5' Anfangsschlinge 
des Griinmdarms, d^Mastdarm. 



DICKDARM. 


363 


artiges Convolut, dessen schneckenförmige 
Windungen jedoch nicht, wie bei den Wieder¬ 
käuern, in einer Ebene liegen, sondern spiralig 
verlaufen und in ihrer Gesarnmtheit einen ab- 
estumpften Cy linder darstellen. Die nach der 
pitze des letzteren verlaufenden 3 oder 
3% concentrischen (absteigenden) Windungen 
(Fig. 428 aaa) besitzen zwei Bandstreifen, 
demgemäss zwei Reihen von Poschen, und 
sind weiter als die 3 oder 3 % excentrischen 



Fig. 428. Blind- und Griromdarra des Schweines. 1 Hüfl- 
darm, 2 Blinddarm, 3 Grimmdarm, a a a concentrische, 
b b b ejccentrische Windungen, 4 Maatdurm. 

(aufsteigenden) Windungen (Fig. 428 bbb), 
an denen Bandstreifen und Poschen immer un¬ 
deutlicher werden und schliesslich ganz ver¬ 
schwinden. Die excentrischen Windungen wickeln 
sich innerhalb der concentrischen spiralig so 
in die Höhe, dass nur die erste excentrische 
Windung an dem Grimmdarmconvolute aussen 
sichtbar ist, während die beiden letzten excen¬ 
trischen Windungen von den beiden ersten 
concentrischen vollständig verdeckt werden. 
Legt man die einzelnen Windungen ausein¬ 
ander, so macht sich das kurze Gekröse be- 
raerklich, welches dieselben zusammenhält. Der 
aus dem Convolut tretende Grimmdann läuft 
noch enger werdend in der Nachbarschaft des 
Zwölffingerdarms nach vorn bis zum Magen und 
geht hier in einer grossen Schlinge und ohne 
scharfe Grenze in den Mastdarm (Fig. 428, 4) 
über, welcher sich im Wesentlichen wie der 
gerade nach hinten verlaufende Theil desselben 
bei den Wiederkäuern verhält. 

Der Dickdarrn der Fleischfresser ist 
kurz, er hat bei Hunden von mittlerer Grösse 
60 bis 75, bei Katzen 30 bis 35 cm Länge, 
Bandstreifen und Poschen fehlen gänzlich. Der 
Blinddarm des Hundes (Fig. 429, 2) stellt einen 
etwas spiralig um seine Längenachse gedrehten 
divertikelartigen Blindsack dar, welcher dicht 
hinter der Einmündung des Hüftdanns sich 


in den Grimmdarm öffnet und bei den ein-* 
zelnen Individuen eine verschiedene Weite und 
Länge besitzt. Der Blinddarm der Katze 



Fig. 429. Blind- und Grimmdarm des Hundes. 1 Htlftdarm, 
2 Blinddarm, 3 Grimmdann, 4 Gekröse des Blinddarmes 



Fig. 430. Blind- und Grimmdann der Katze. 1 Hüftdarm, 
2 Blinddarm, 3 Grimmdann. 


(Fig. 430, 2) wird durch eine 2—3 cm lange, 
mit der stumpfen Spitze nach vorn gerichtete, 
hakenförmig gekrümmte Ausbuchtung des 
Grimmdarms angedeutet. Der Grimmdarm 
(Fig. 429 u. 430, 3) ist erheblich weiter als der 
Dünndarm und hängt an einem kurzen Gekröse. 
Er läuft zunächst in der rechten Hälfte der 
Bauchhöhle links vom Zwölffingerdarm nach 
vom bis zum Magen — aufsteigender Grimm¬ 
darm (colon ascendens des Menschen) — und 
dann, sich mit einer Krümmung — Quercolon 
(colon transversum des Menschen) — umbie¬ 
gend, in gerader Linie etwas links von der 
Medianebene nach hinten — absteigender 
Grimmdarm (colon descendens des Menschen) 
— bis zum Abschluss des Bauchfellsackes. 
Eine bestimmte Grenze zwischen Grimmdann 
und Mastdarm lässt sich nicht angeben, man 
kann jedoch das ausserhalb des Bauchfell¬ 
sackes liegende Beckenstück des Darms als 
Mastdarm ansprechen. 

Der Dickdarm der Vögel ist sehr kurz, 
am vorderen Ende desselben unmittelbar hin¬ 
ter der Einmündung des Dünndarmes finden 
sich fast durchweg zwei Blinddärme, deren 
bei den einzelnen Arten sehr verschiedene 
Länge und Weite in einem bestimmten Ver- 
hältniss zur Ernährungsweise steht und bei 
den Pflanzenfressern fast durchweg am be¬ 
deutendsten ist. Nur wenige Vögel (z. B. die 
Reiher) haben einen einfachen Blinddarm. 
Unter den Hausvögeln besitzen die Tauben 
zwei sehr kurze Blinddärme, dieselben errei¬ 
chen bei den Hühner- und Schwimmvögeln 
eine Länge von 15 bis 25, beim Pfau von 30 
bis 35 cm. Die durch ein kurzes Gekröse mit 





364 DICKDARMDRÜSEN. — DIFFERENTIALDIAGNOSE. 


dem Dünndarm verbundenen Blinddärme sind 
eng, nur das nach vorn gerichtete blinde Ende 
derselben zeigt in der Regel eine mehr oder 
minder starke, mitunter fast kugelförmige Auf¬ 
treibung. Der eigentliche Dickdarm verläuft 
von dem Ursprung der Blinddärme unter der 
Wirbelsäule in gerader Linie nach hinten und 
mündet in die Cloake (s. d.) ein. 

Ueber denBau des Dickdarms s.Darm- 
canal. Müller. 

Dickdarmdrüsen, s. Liebcrkühn’sche 
Drüsen. 

Diokhäuter, Pachydermata. Ordnung der 
Säugethiere in dem Systeme Cuvier’s. Derselbe 
vereinigt darunter sämmtliche Hufthiere, welche 
nicht Wiederkauen und mehr als zwei oder 
weniger als zwei Zehen tragen. Die Familien, 
welche in diese Ordnung fallen, sind die der 
Proboscidier oder Elephanten, derHippopotamen, 
der Schweine, der Rhinoceronten, der Tapire 
und der Einhufer. Im heutigen System wurde 
nach dem Vorgänge Owen’s die Ordnung der 
Pachydermata aufgelöst, nachdem namentlich 
die Untersuchung der fossilen Hufthierreste 
die wahre Verwandtschaft der Hufthiere unter 
einander aufgeklärt hatte. So werden die Pro¬ 
boscidier als eigene Ordnung der Säugethiere 
betrachtet, die Hippopotaraen und Schweine mit 
den Wiederkäuern in der Ordnung derArtio- 
dactyla oder paarzehigen Hufthiere vereinigt 
und die Rhinoceronten, Tapire und Pferde 
mit zahlreichen Formen der Tertiärzeit in 
der Ordnung der Perissodactyla oder unpaar- 
zehigen Hufthiere begriffen. Artiodactylen und 
Perissodactylen scheiden sich schon in der 
Eocänzeit von einander und bilden diver- 
girendc Entwicklungsreihen. Studer. 

Dickhornschaf. 0. montana. Es wird auch 
amerikanisches Argali, Rocky-mountains-sheep 
(Schaf der Felsengebirge) oder schlechtweg 
amerikanisches Bergschaf, von den Canadiern 
Culbane genannt. Es gehört zu den Wild¬ 
schafen und findet seinen Heimatsbezirk, 
wie ja schon sein Name Rocky-mountains- 
sheep bezeichnet, in dem sich an der West¬ 
küste Nordamerikas von Canada bis nach 
Mexico erstreckenden Felsengebirge, eben 
den Rocky mountains. Dasselbe hat eine solche 
Aehnlichkeit mit dem asiatischen Argali, dass 
es als wohl unbedingt von demselben ab¬ 
stammend anzunehmen ist, und ist wahr¬ 
scheinlich über die Eisfelder der Behrings¬ 
strasse von Asien her eingewandert Es ist 
bedeutend kleiner als der asiatische Argali, 
misst vom Widerrist bis zur Sohle ca. 75 bis 
76 cm, während jenes ein solches Mass von 
110 cm. hat. Der Hauptunterschied zeigt 
sich in der Bildung des Horns. Dasselbe ist, 
im Verhältnisse zum Grössenunterschied, 
noch stärker, namentlich an dem unteren 
Theile dicker, daher der Name „Dickhorn“; 
auch ist dasselbe zu einem fast vollen 
Kreise gebogen. Die Farbe des kurzen straffen 
Haarkleides ist am Kopfe, an den Hinterbacken 
und unteren Bauchpartien mehr ins Weiss- 
liche spielend, an den übrigen Theilen des 
Rumpfes hellbraun. Die männlichen Thiere 
zeigen an der unteren Seite des Halses ein 


ziemlich langes, mähnenartiges, mehr dunkel¬ 
gefärbtes Haar. Die Thiere leben in grösseren 
Rudeln von 20—30 Stück, sind sehr flüchtig 
und scheu. Bokm. 

Dickkopf, Aitel, Alten, Döbel, Aalet, 
Squalius cephalus L. Süss wasserfisch aus der 
Unterlasse der Knochenfische, Teleostei, Ord¬ 
nung der Physostomen, Familie der Cyprinidae 
(Karpfen), Gattung Squalius Bonap. Mit walzi- 
gem, 30—60 cm langem Körper, breitem Kopf, 
niedergedrückter Schnauze und endständiger, 
weit nach hinten gespaltener Mundöflhung. Die 
Analflosse hat 7—9 Strahlen, ihr Unterrand 
ist convex. Die Schuppen sind relativ gross. 
Die Färbung ist auf dem Rücken grünlich 
oder bräunlich, die Seiten silberglänzend, die 
Schuppen mit schwarzen Punkten gesäumt. 
Die Flossen sind röthlich, die Dorsal- und 
Caudalflosse schwärzlich getrübt bis schwarz. 
Der Dickkopf lebt in ganz Europa und Nord¬ 
asien in fliessenden Gewässern und in Seen 
meist gesellig. Die Laichzeit fällt in die Mo¬ 
nate Mai und Juni. Das Fleisch wird wenig 
geschätzt, da es weich und sehr grätig ist. Sir. 

Diootyledoneae, jene Pflanzen des Braun- 
Hanstein’schen Systems der Phanerogamen, 
deren Keimlinge mit zwei gegenständigen 
Samenlappen (Kotyledonen) versehen sind und 
zu denen eine Reihe wichtiger Nahrungs- und 
Arzneimittel gehören, wie z. B. die Legu¬ 
minosen, Umbellifloren, Oleraceen, Terebin- 
thineen, Amentaceen u. s. w. Vogel . 

Dicotyles labiatus und torquatus Cuv., 
s. Bisamschwein und Pekari. 

Dldymu8, Gelehrter des IV. Jahrhunderts 
in Alexandrien, dessen Abhandlungen über 
Pferdekrankheiten in die constantinische Samm¬ 
lung aufgenommen wurden. Semmer. 

Dietrichs J. Fr. Ch. (1792—1858) stu- 
dirte Thierarzneikunde in Berlin, besuchte 
Alfort und das Gestüt zu Mezöhegyes und 
war nachher Professor an der Berliner Thier¬ 
arzneischule. Dietrichs gab heraus: Ein Lehr¬ 
buch der Chirurgie 1822, Pathologie und 
Therapie 1837, Arzneimittellehre 1825, Vete- 
rinär-Akiurgie 184?, Geburtshilfe 1845; ausser¬ 
dem schrieb Dietrichs über Lungenseuche, 
die er für nicht ansteckend erklärte, Beiträge 
zur Veterinärchirurgie und Akiurgie, über 
periodische Augenentzündung, über Hilfe bei 
plötzlichen Erkrankungen und über Behand¬ 
lung ansteckender Krankheiten. Semmer . 

Dieulafoy’8Cher Aspirateur, s. Säugpumpe. 

Ditferentialdiagnose (von differre, aus¬ 
einandertragen ; differentialis, den Unterschied 
betreffend, 8:ayv iooxsiv, erkennen). Sie bildet 
einen Theil der Diagnose oder der Kunst, den 
Sitz der Krankheit zu erkennen, sie befähigt 
uns, die Krankheiten von ähnlichen zu unter¬ 
scheiden. Viele Krankheiten haben bestimmte 
Erscheinungen mit einander gemein, hingegen 
weisen wieder andere specifische Erscheinungen 
auf das erkrankte Organ hin, man nennt sie 
deshalb auch die Cardinal- oder pathogno- 
monischen Symptome, weil sie die Erkennung 
der Krankheit ermöglichen. Sache der Diffe¬ 
rentialdiagnose ist es nun, alle Merkmale 
hervorzuheben, welche einer gegebenen Krank- 


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DIFFICIL. - 

heit eigenthümlich sind und ihr allein ange¬ 
boren, sie lehrt uns somit, die wesentlichen 
Symptome von den unwesentlichen zu scheiden 
und jedes Symptom seinem Werthe nach zu 
beurtheilen. Die Diagnose wird dem Thierarzte 
dadurch erschwert, dass ihm nur die objec- 
tiven Symptome zugänglich sind, während ihm 
die subjectiven Symptome verborgen bleiben; 
er muss deshalb mit um so grösserer Umsicht 
und Scharfsinnigkeit die Abhängigkeit der 
Krankheitserscheinungen von den abnormen Ver¬ 
richtungen der Organe ergründen (s. „Dia¬ 
gnose“). Anacker. 

DifAoil (lat. difficilis), schwer, beschwerlich 

— in übertragener Bedeutung auf Thiere: 
schwierig zu behandeln, unfolgsam, rauh — 
ist ein in hippologicis selten gebrauchter Aus¬ 
druck. Diese Bezeichnung ist daher allenfalls 
für höchst widerspenstige Pferde statthaft, 
welche namentlich den Hilfen des Reiters 
nicht Folge leisten, sondern denselben sogar 
noch Widerstand entgegensetzen. Aehnliches 
gilt von Pferden in Gespannen gegenüber den 
billigen Anforderungen von Seite des das Ge¬ 
fährte leitenden Fahrers. Difficile Eigenschaften 
des Reit-, bezw. auch des Wagenpferdes sind 
insbesondere das Steigen, das Bocken, Aus¬ 
schlagen, Widerstreben bei dem Aufsitzen, 
Zungenstrecken, das Fassen nach der Stange, 
stätiges Betragen überhaupt, sowie Scheuen 
und Durchgehen. Damenpferae dürfen niemals 
difficil, sondern müssen vollkommen in der 
Dressur, im Erkennen von Hilfen und Strafen 
und sohin von unbedingtem Gehorsam sein. Lr. 

Diffusion. Schichtet man zwei verschie¬ 
dene Gase, z. B. Kohlensäure und Wasser¬ 
stoffgas über einander, indem man die beiden 
mit Gas gefüllten Gefasse senkrecht über 
einander aufstellt, so kann man beobachten, 
dass selbst bei vollständiger Ruhe, und wenn 
auch das specifisch schwerere Gas — Kohlen¬ 
säure — im unteren, das specifisch leichtere Gas 

— Wasserstoff — im oberen Gefässe enthalten 
ist, allmälig eine vollkommene Mischung 
beider Gase stattfindet, so dass nach einiger 
Zeit das entstandene Gasgemenge überall die 
gleiche Zusammensetzung zeigt. Diese Er¬ 
scheinung wird als freie Gasdiffusion be¬ 
zeichnet, ihr verdanken wir es, dass auch die 
atmosphärische Luft, in welcher zwei Gase 
von verschiedenem specifischen Gewicht, nämlich 
Sauerstoff und Stickstoff, mit einander gemengt 
sind, in allen Höhenschichten der Atmosphäre 
eine gleiche percentische Zusammensetzung 
zeigt. Hiebei ist jedoch zu bemerken, dass die 
Mischung zweier Gase immerhin nur langsam 
erfolgt. Als Diffusion der Gase im engeren 
Sinne des Wortes bezeichnet man die Mischung 
zweier Gase, welche von einander durch eine 
poröse Scheidewand, z. B. durch eine dünne 
Platte aus unglasirtem, gebranntem Thon, 
Gyps, Graphit u. s. w. getrennt sind. Hiebei 
durchdringen jedoch die beiden Gase die poröse 
Scheidewand mit ungleicher Geschwindigkeit. 
Nach den Versuchen von Graham verhalten 
sich die in einer Zeiteinheit durch die poröse 
Platte durch gegangenen Volumina der Gase um¬ 
gekehrt proportional den Quadratwurzeln aus 


DIFFUSION. 365 

dem specifischen Gewichte derselben, oder kürzer 
ausgedrückt, die Diffusionsgeschwindig¬ 
keit ist den Quadratwurzeln aus dem 
specifischen Gewichte der Gase um¬ 
gekehrt proportional. Ein mit Wasser¬ 
stoffgas gefüllter Kautschukballon verkleinert 
seinen Umfang an der Luft zusehends, indem 
der Wasserstoff (das leichteste Gas) rascher 
durch die Kautschukhülle hinaus diffundirt, 
als Luft hereindiffundirt; umgekehrt bläht sich 
derselbe Kautschukbailon mit Luft gefüllt auf, 
wenn er in eine Wasserstoffatmosphäre ge¬ 
bracht wird. Auch glühende Metalle, wie 
glühendes Platin und Eisen, sind permeabel für 
Gase, jedoch ist bis nun nur für Wasserstoffgas 

— als Gas von geringstem specifischen Gewicht 

— die Diffusion durch glühende Metalle nach¬ 
gewiesen, während Sauerstoff, Stickstoff, Kohlen¬ 
säure u. s. w. nicht diflundirten. 

Sind Gase in einer Flüssigkeit gelöst, 
so zeigen dieselben die Erscheinungen der 
Flüssigkeitsdiffusion, der sog. Dialyse, 
(hierüber weiter unten). Hier muss nur noch 
erwähnt werden, dass sowohl Pflanzen als 
Thiere in ihren Respirationsapparaten den 
Austausch der Gase durch zarte Hüllen und 
Membranen hindurch bewerkstelligen, welche 
die Körperflüssigkeiten von der Atmosphäre 
trennen. Diese Membranen sind feucht und 
bilden nun als feuchte Membranen möglicher¬ 
weise ein Hinderniss für den Durchtritt der 
Gase — bis zu welchem Grade, ist bis nun 
experimentell noch nicht festgestellt. Nach 
den Versuchen von Einer an Seifenblasen 
ist die Geschwindigkeit der Diffusion der 
Gase, auch der Dämpfe, durch Flüssigkeits¬ 
lamellen dem Absorptionscoöfficienten der¬ 
selben für diese Flüssigkeit direct und den 
Quadratwurzeln aus den specifischen Ge¬ 
wichten dieser Gase umgekehrt proportional. 
Es wird demnach bei der Diffusion der Gase 
durch feuchte Membranen auch die Absorp¬ 
tionsfähigkeit der die Membran einhüllenden 
Flüssigkeit für die einzelnen Gase in Be¬ 
tracht kommen. 

Auch die Flüssigkeiten strömen in ein¬ 
ander über. Giesst man z. B. in einem Gefäss 
auf Wasser mit grosser Vorsicht Alkohol in 
der Weise, dass sich beide Flüssigkeiten 
nicht mit einander mischen, und lässt das 
Gefass ruhig stehen, so diffundiren beide 
Flüssigkeiten in einander, sie sind nach einiger 
Zeit vollkommen gemischt. Dasselbe geschieht, 
wenn man eine concentrirte Salzlösung mit 
destillirtem Wasser überschichtet, oder wenn 
man wie bei der Dialyse die beiden Flüssig¬ 
keiten durch eine poröse Membran, welche sie zu 
durchdringen vermögen, z.B. Pergamentpapier 
oder eine Thierblase, von einander trennt. 
Doch findet nie ein blosser Uebergang des 
Wassers zur Salzlösung, sondern stets gleich¬ 
zeitig ein Uebertritt des Salzes zum Wasser 
statt, bis schliesslich die Lösung auf beiden 
Seiten der Membran gleiche Concentration 
besitzt. Wie schon unter „Colloide Substan¬ 
zen“ (s. d.) erwähnt wurde, ist die Diffusions¬ 
geschwindigkeit für verschiedene Stoffe eine 
ungleiche, d. h. die Zeit, in welcher eine 


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366 


DIFFUSIONSRÜCKSTlNDE. 


vollkommene Mischung zwischen zwei Lo¬ 
sungen ungleicher Concentration durch eine 
Membran hindurch stattfindet, ist verschieden 
je nach den Stoffen, welche in der Lösung 
enthalten sind. Die gleichzeitigen und ent¬ 
gegengesetzten Strömungen, welche in Flüssig¬ 
keiten verschiedener Concentration und von 
verschiedener chemischer Zusammensetzung, 
die durch eine poröse Membran von einander 
getrennt sind, entstehen, bezeichneteDutrochet 
als Endosmose und Exosmose, die man 
jetzt mit einer Bezeichnung als Osmose 
zusammenfasst. Diese bildet einen speciellen 
Fall der Diffusion der Flüssigkeiten, welcher 
für den Austausch der Säfte und für die Auf¬ 
nahme von Nahrungsbestandtheilen in den 
Zellen des Pflanzen und Thierkörpers von 
grösster Wichtigkeit ist. Loebisch. 

Diffusionsrückstände oder Diffu¬ 
sionsschnitzel als Futtermittel. Diebei 
der Rübenzuckerfabrication nach dem sog. 
Diffusionsverfahren resultirenden ausgesüssten 
Rtibenschnitzel. Sie sind schmackhaft, ebenso 
leicht verdaulich wie Zuckerrüben, aber noch 
wässeriger wie diese und sehr aschearm, weshalb 
deren Verfütterung nur mit gewissen Be¬ 
schränkungen rathsam ist. Sie enthalten im 
frischen Zustande: 

7*0 —14*4 im Mittel 10 2 % Trockensubstanz 

0'6 — 1*3 - „ 0*9 - stickstoffhaltige Stoffe 

0 03— 0*1 - - 0 05 * Rohfett 

4*3 — 8'9 ., * 6'3 * stickstofffreie Extractstoffe 

1*7 — 3*3 - r 2’4 „ Holzfaser 

— — , _ 0*6 „ Asche. 

An Rindvieh und Schweine kann man bis 
zu 100 kg frischor Schnitzel pro 1000 kg 
Lebendgewicht verfüttern. Noch grössere 
Mengen vertragen nur schnell aufzumästende 
Thiere. Starke Schnitzelfütterung verringert 
aber in der Regel die Fleisch- und Fettqualität 
und bei milchenden Thieren die Beschaffenheit 
der Milch. Das Butterfett wird nach starker 
Schnitzelfütterung talgartig, welchem Uebel- 
stande nur theilweise durch Mitverfütterung 
gewisser Oelkuchensorten oder von Maisschrot 
abgeholfen werden kann. Auch hochtragende 
Thiere dürfen nicht zu grosse Schnitzel- 
mengen erhalten: dasselbe gilt für Kühe und 
Schweinemütter während der Saugezeit. Die 
Schnitzel sind eben ein zu wässeriges und 
aschearmes Futtermittel und daher auch nur in 
ganz kleinen Rationen verwendbar für Jung¬ 
vieh. Die Zugochsen werden durch starke 
Schnitzelfütterung zu schlaff und arbeitsun¬ 
lustig. Auch für Schafe ist dieses Futtermittel 
minder gut geeignet, ausgenommen für Mast¬ 
schafe mit grober Wolle, die davon verhält- 
nissmässig ebensoviel wie Milchkühe vertragen. 
Pferden darf man nur in Ruheperioden geringe 
Mengen (10—20 kg pr. Haupt) geben; grössere 
Quantitäten würden die Leistungsfähigkeit dieser 
Thiere dauernd beeinträchtigen. Die Schnitzel 
dürfen nur in ganz frischem oder gut conser- 
virtem Zustande verfüttert werden. Essigsäure 
oder sogar angefaulte Schnitzel wirken höchst 
gesundheitsschädlich. Bei geringgradigem Ver¬ 
dorbensein können die Schnitzel bestenfalls nur 
durch Auslaugen mit Wasser und nachheriges 
Dämpfen noch als Futtermittel Verwendung 


finden, ein Zubereitungsverfahren, das sich 
aber meistens nicht verlohnen dürfte. Zur Ver¬ 
minderung des Wassergehaltes werden die 
frischen Schnitzel neuestens gepresst. Sie halten 
aber das Wasser so fest zurück, dass es be¬ 
sonderer Massnahmen bedarf, um eine bemer- 
kenswerthe Entwässerung zu erzielen. Zu letz¬ 
terem Behufe dient das Märcker’sche (paten- 
tirte) Verfahren, nach welchem die Schnitzel 
mit %—1 1 /,% Kalkmilch versetzt und dann 
auf besonderen Pressen ausgequetscht werden. 
Man erzielt so Schnitzel bis zu 30% Tro¬ 
ckensubstanzgehalt, die indessen nicht mehr 
durch Einsäuern conservirt werden können, 
weil der zugesetzte Kalk die sich beim Ein- 
säuem bildenden, gew'issermassen antiseptisch 
wirkenden freien Säuren neutralisirt. Es bilden 
sich zwar neue Säuremengen nach, wodurch 
jedoch die beim Einsäuern ohnedies unvermeid¬ 
lichen grossen Nährstoffverluste erheblich ver¬ 
mehrt werden; in Folge des verzögerten Ein- 
säuerungsprocesses gehen die Schnitzel leicht 
in faulige Zersetzung über. Um so zweckdien¬ 
licher ist das Märcker’sche Verfahren als Vor¬ 
bereitung zur künstlichen Trocknung der 
Schnitzel. Die mit Kalk versetzten und dann 
ausgepressten Schnitzel können nämlich an 
der Sonne oder in einem mässig warmen 
Locale an der Luft getrocknet werden: oder 
man verwandelt sie in eigenen Trockenapparaten 
in ein ohne besondere Vorkehrungen, ebenso 
w ie Wiesenheu u. dgl., aufbew r ahrungsfähiges 
Trockenfutter. Der gegen das Märcker’sche Ver¬ 
fahren erhobene Einwand, dass mit dem Press¬ 
wasser grosse Nährstoffmengen abflössen, ist 
nicht stichhaltig, indem sich die in letzterer 
Weise resultirenden Abgänge nur auf ca. 6% 
Trockensubstanz und ebensoviele Stickstoff- 
percente belaufen, während z. B. die durch 
das Einsäuern der Schnitzel entstehenden 
Gährverluste viel bedeutender sind. Der Kalk - 
zusatz, welcher den Kalkgehalt der ge¬ 
trockneten Schnitzel nach Märcker’s Ermitt¬ 
lungen auf 4—5 % erhöht, ist, wie durch 
umfassende Fütterungsversuche constatirt 
wurde, völlig unbedenklich. Getrocknete Dif¬ 
fusionsschnitzel enthalten: 

84 4—93'9 im Mittel 90*2 % Trockensubstanz 

7*6— 8*0 „ „ 7*8 * stickstoffhaltige Stoffe 

1*0— 1*5 - ,. 1*3 „ Aetherextract (Rohfett?) 

49*7—58*4 - - 64*0 „ stickstofffreie Extractstoffe 

18'2—20*0 . ,. 19*0 - Holzfaser 

— — „ „ 7'9 r Asche. 

Sie bilden ein Kraftfutter, das den frischen 
Schnitzeln gegenüber um so werthvoller ist, 
als mit diesen grosse Wassermengen in den 
Thierkörper gelangen, deren Wegschaffung 
aus dem letzteren eiuen erhöhten Nährstoff¬ 
verbrauch bedingt. Die getrockneten Schnitzel 
haben sich zur Fütterung von Milchkühen, 
Mastochsen,Hammeln, Lämmern und Schweinen 
gut bewährt; in geeigneten Futtermischungen 
sind sie wahrscheinlich auch als Pferdefutter 
verwendbar. Die Herstellung von Trocken¬ 
schnitzeln ist uin so empfehlensw’erther, als 
durch das bisher allgemein übliche Conser- 
virungsverfahren, die sog. Einsäuerung, nicht 
blos grössere Substanzverluste entstehen, 
sondern ausserdem der Wassergehalt der 



DIGERIREN. 

Schnitzel sich wenig oder gar nicht vermin¬ 
dert und die Gedeihlichkeit derselben als 
Futtermittel eher ab- als zunimmt. Im Mittel 
von 15 durch Märcker mitgetheilten Ver¬ 
suchen nahm die Trockensubstanz cinge- 
s&uerter Schnitzel bei meist 4—Ömonatlicher 
Lagerzeit um 37 9% (auf ascliefreie Substanz 
bezogen) ab. Eingesäuerte Schnitzel enthalten: 

6'8 —16.8 im Mittel 12*0% Trockensubstanz 
0*6 — 2*2 * * 1*2 „ stickstoffhaltige ötoffe 

0*03— 0*3 „ „ 01, Rohfett 

3*9 — 8 7 * , 6 9 * stickstofffreie Extractstoffe 

1*7 — 6*8 , , 29, Holzfaser 

— — * , 10, Asche. 

Gut eingesäuerte Schnitzel haben sich 
wohl als Mastfuttermittel für Rinder gut be¬ 
währt; ausserdem werden dieselben als ein 
gutes Milchfutterraittel bezeichnet. In der 
That bewirken sie unter gewissen Umständen 
«ine geringe Milchvermehrung, ertheilen 
aber, wenn in grösseren Mengen verfüttert, 
der Kuhmilch einen unangenehmen Geschmack, 
«ine gewisse Prädisposition zum Sauerwerden, 
verursachen eine Abnahme des Fettgehaltes 
und eine talgartige Beschaffenheit der Butter. 
Die Verfütterung der sauren Schnitzel setzt 
daher unter allen Umständen eine gewisse 
Vorsicht voraus. Man wird gut daran thun, 
von sauren Schnitzeln höchstens die Hälfte 
jener Mengen zu verfüttern, wie oben für 
frische Schnitzel angegeben. Weniger empfind¬ 
lich sind auch hier Mastthiere, die schnell 
fettgemacht und verkauft werden. Für hoch¬ 
tragende Thiere, ebenso für Mutterthiere 
während der Saugezeit, sind saure Schnitzel 
nicht empfehlenswerth. Besonders grosse Vor¬ 
sicht ist geboten, wenn die zu verfütternden 
eingesäuerten Schnitzel nicht ganz tadellos 
sind, nämlich Schimmelstellen oder durch den 
Geruch wahrnehmbare grössere Essigsäure¬ 
mengen enthalten. Pott. 

Digeriren heisst pharmaceutisch eine 
feste, meist gepulverte Substanz der Ein¬ 
wirkung einer Flüssigkeit bei einer mässigen 
Hitze aussetzen, um sie dadurch zu erweichen 
und aufzulösen, gleichsam zu verdauen. Es 
geschieht im Digerirofen und wird besonders 
aur Darstellung von Elixiren, Essenzen und 
Tincturen angewendet. Maceriren ist dem 
Digeriren entgegengesetzt, indem es bei ge¬ 
wöhnlicher Temperatur der Luft geschieht. VI. 

Digestio, Digeriren (von digerere). 
1. Die Verkeilung der Nahrungsmittel im 
Leibe, die VerdauuDg; 2. die Zertheilung, 
Verflüssigung, Auflösung, eiterige Einschmel- 
aung, Bildung von Abscessen: 3. die Erwei¬ 
chung von Arzneimitteln bei 35—40° C. be¬ 
hufs Extraction derselben. Am häufigsten ge¬ 
braucht in Digestionsapparat = Verdauungs¬ 
apparat. Daher auch das adj. digestivus. Sf. 

Digest! va, V erdauungsmittel, Magenmittel, 
&. Amara, Stomachica. 

Digestivmittel sind jene Arzneimittel, 
welche je nach Beschaffenheit der Wund¬ 
oder Geschwürfläche die Granulation und 
Eiterung befördern, den Heiltrieb steigern 
und zugleich die Wunden reinigen und in 
gutartige umwandeln sollen. Dahin gehören 
aunächst das Carbol- und Subliraatwasser, die 


— DIGITALIS. 367 

| jetzt alle anderen überflüssig machen, wie 
z. B. das frühere Hauptdigestivmittel, den 
dicken Terpentin und das Terpentinöl; dann 
zählen hieher die übrigen harzigen Mittel, 
namentlich Aloö und Myrrhe mit ihren Tinc¬ 
turen, die Wundbalsame (eine Mischung der 
letzteren Tincturen mit Asanttinctur und 
Terpentinöl zu gleichen Theilen), sowie 

das Unguentum digestivum, be¬ 
stehend aus Terpentinöl, Terpentin und gelbem 
Wachs ana 1 Theil oder aus dickem Terpentin 
1 und Eigelb 2 (oder Honig, Fett je 2). Die 
antiseptische Digestivsalbe besteht aus Carbol- 
säure oder rothem Quecksilberpräcipitat 1 und 
obiger Digestivsalbe 4—8 ; 

das Digestivwasser (nach Haubner) 
aus dickem Terpentin 15, einem Eigelb und 
120 Kalkwasser oder Sublimat 1 und 100 Kalk¬ 
wasser oder Carbolsäure 1, Myrrhentinctur 15 
und Wasser 60. Man sieht, die Digestivmittel 
der Chirurgie fallen in der Hauptsache mit den 
heutigen antiseptischen Mitteln zusammen. VI. 

Digestivsalz ist nicht das Kochsalz oder 
das Glaubersalz, wie vielfach angegeben wird, 
sondern das thierärztlich nicht verwendete 
Chlorkalium. Vogel. 

Digestor, pharmaceutischer Kochtopf, 
s. ^utoclave. 

Digestorium ist die pharmaceutische Be¬ 
zeichnung für die Trockenkammer (s. Apo¬ 
theke). Vogel. 

Digitalis purpurea, rother Fingerhut, 
eine bei uns, namentlich in Bergwaldungen 
wachsende krautige Scrophluariacee (L. XIV. 2). 
Die Pflanze ist ausgezeichnet durch die pracht¬ 
vollen purpurnen, fingerhutförmigen Blüthen 
und durch die eifönnigen dunkelgrünen Blätter, 
welche zugespitzt, am Rande gesägt und an 
der Unterfläche mit graulichen Haaren besetzt 
sind; durch letztere Eigenschaft sowie durch 
den bitteren, widrigen Geschmack und Geruch 
unterscheiden sie sich von ähnlichen 'grünen 
Blättern verschiedener Verbascumarten, Sym- 
phytum, Inula u. s. w. Als das wirksame Princip 
der als 

Folia Digitalis officinellen Blätter sind 
verschiedene stickstofffreie und meist glyko- 
sidisehe Stoffe anzusehen, von denen das Di¬ 
gitalin, Digitalein und Digitoxin die wichtig¬ 
sten sind. Von diesen drei berühmten Herz¬ 
giften ist letzteres das stärkste, es wird 
jedocli verlangt, dass alle drei von Blättern 
wildwachsender Pflanzen stammen; die Wir¬ 
kung derselben ist nur graduell verschieden 
und am zuverlässigsten, wenn die genannten 
Hauptbestandtheile mit einander verabreicht 
werden, also das Arzneimittel in Form der 
gepulverten Blätter zur Anwendung kommt. 
Herzgift wird die Digitalis deswegen genannt, 
weil sie in höchst auffälliger Weise und vor 
Allem es auf den Herzmuskel abgesehen hat, 
der in grossen Gaben gelähmt, in mittleren 
Gaben gestärkt wird, ohne dass andere Mus¬ 
keln in ähnlicher Weise beeinflusst würden; 
es finden daher ganz specifische Verän¬ 
derungen der Elasticitätsverhältnisse des Herz¬ 
muskels statt, und zwar in so zuverlässiger 
Weise, wie bei keinem andern Arzneimittel. 


DigitizecU)y 


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368 DIGITALISSTOFFE. 


Als nächst« Folge dieser Veränderung lässt 
sich bei den Thieren eine Steigerung der 
Energie der Herzcontractionen nachweisen, 
wodurch mehr Blut in die Arterien getrieben, 
der Blutdruck daher unter allen Umständen 
gesteigert wird, am meisten aber, wenn er 
zuvor gesunken war. Gleichzeitig findet eine 
auffallende Verlangsamung des Pulses statt, 
und ist diese nebst der Drucksteigerung die 
wichtigste Digitaliswirkung, denn es ist ihr 
am meisten therapeutische Bedeutung bei den 
Säugethieren beizumessen; die dritte Wirkung 
ist die diuretische, die jedoch nur eine Con- 
sequenz der zweiten ist, und die vierte, näm¬ 
lich die in Folge des Einflusses auf den 
Wänneregulirungsapparat entstehende Min¬ 
derung der Blutwärme, ist zu gering, als dass 
sie verwerthet werden könnte. Beide erstere 
Digitalisactionen verdankt man einer (primären) 
Reizung des Hemmungsapparates des Herzens, 
von der sowohl der Stamm des Vagus als 
seine peripherischen Herzendigungen betroffen 
werden, und die nur auf mittlere, also medi- 
cinale Gaben erfolgt; geht man dagegen mit 
diesen höher, so werden die Hemmungsvor¬ 
richtungen des Herzmuskels überreizt, ver¬ 
lieren ihre Erregbarkeit, und es muffc so zu 
einer beschleunigten und dabei unregelmässigen 
Pulsfrequenz kommen, die stets das erste 
Zeichen der Digitalis Vergiftung ist; das letzte 
ist systolischer Herzstillstand, nachdem schwere 
Erscheinungen von Kohlensäureüberladung des 
Blutes vorhergegangen sind (schwarzes Blut, 
theerige Imbibition des Endocardiums, Ent¬ 
zündung desselben Enteritis). 

Hienach ergibt sich die Anzeige des 
Fingerhutkrautes ganz von selbst und wird es 
die besten Dienste leisten müssen, wenn der 
Puls eine bedeutende Steigerung erlitten und 
gleichzeitig der Blutdruck gesunken ist, also 
bei allen fieberhaften Erkrankungen, voraus¬ 
gesetzt, dass die Beschaffenheit des Pulses 
auf einen geringen Blutgehalt der Arterien 
hindeutet. Da eine Herabsetzung der Tem¬ 
peratur nur unter sehr starken, also toxi¬ 
schen Gaben erfolgt, kann die Digitalis nur 
in mittleren Dosen Anwendung finden und 
muss ihr bei hoher Biutwärme durch kalte 
Einwicklungen nachgeholfen werden. In dieser 
Weise verfährt man bei heftigen Congestionen 
und Entzündungen des Gehirns, der Lungen 
und Pleura u. s. w., namentlich also, wenn 
Herzschwäche, kleiner Puls, drohender Collaps, 
feuchte Knistergeräusche in den Lungen einge¬ 
treten; in den letzteren Fällen kann man sich 
übrigens auf das Mittel nicht immer verlassen, 
die einzelnen Thiere reagiren verschieden, 
und die richtigen Gaben sind schwer zu treffen; 
um daher einer gefährlichen Herzschwäche zu¬ 
vorzukommen, greift man jetzt besser zu dem 
leichter dosirbaren und zugleich ungleich 
rascher wirkenden Kampher oder Wein und 
verwendet das Fingerhutkraut blos bei Fiebern 
mit kaum fühlbarem leeren Puls, unterlässt 
jedoch niemals, zu gleicher Zeit auch den 
übrigen antipyretischen und roborirenden 
Apparat in Bewegung zu setzen, u. zw. schon 
um deswillen, weil von der Digitalis immer 


nur wenige Gaben (am besten 2—3 nicht zu 
schwache) gereicht werden dürfen; sie hat 
nämlich auch cumulative Wirkungen, indem 
die schwerer löslichen Giftstoffe langsam und 
ungleich resorbirt werden, ist daher eines der 
gefährlichsten Arzneimittel, wenn man mit 
ihr nicht umzugehen weiss. Gegenanzeigen 
sind namentlich Reizungen der Nieren und 
des gastrischen Systems. Im Ganzen wird das 
Mittel nicht häufig angewendet, am meisten 
noch in der Hundepraxis, wo es nicht selten 
gilt, die Triebkraft des Herzens zu steigern, 
insbesondere wenn dieses Organ selbst er¬ 
krankt ist oder Wassersüchten nachfolgen, 
bei denen jede Drucksteigerung im Blute ein 
reichlicheres Harnen veranlasst. Aus dem 

f leichen Grunde bewirkt Digitalis auch eine 
erminderung der Eiweissausscheidung, indem 
die Filtration des Albumins durch tierische 
Membranen mit dem Steigen des Blutdruckes 
regelmässig abnimmt und umgekehrt. Dosis 
für Pferde 3 * 0—6 * 0, Rinder 5 * 0—10 * 0, Hunde 
0 • 05—0 2 (täglich bis 1 * 0) 2—3mal im Tage 
als Pulver, Pillen oder im Aufguss. 

Tinctura Digitalis für Pferde 10 *0 bis 
30 * 0 (namentlich auch tracheal zu 5 * 0—20 * 0); 
Hunde 0 5—3*0 (1*0—5*0 pro die). Das 
Extractum Digitalis ist nicht zuverlässig 
bei Thieren und ganz wegzulassen. Der Di¬ 
gitalis ähnliche Wirkungen, die aber thier¬ 
ärztlich kaum benützt werden, kommen den 
Glykosiden zu, wie sie in folgenden Pflanzen 
enthalten sind: Antiaris toxicaria, Convallaria 
majalis, Adonis vernalis, Scilla maritima, 
Helleborus viridis, niger und fötidus (s. d.). VI. 

Digltalisstoffe werden jene Körper be¬ 
nannt, welche man aus den Blättern des rothen 
Fingerhutes bis jetzt darstellte. Hieher zählt 
zunächst das Digital in, ein amorphes, gelb¬ 
liches, sehr bitteres Pulver, welches jedoch 
keine reine Substanz ist, sondern nach seiner 
chemischen Bezugsquelle verschiedene Eigen¬ 
schaften zeigt; das französische Präparat soll 
in Wasser löslich, das englische in Wasser un¬ 
löslich, hingegen in Alkohol löslich sein. Nach 
Schmiedeberg sind alle bis nun dargestellten 
Digitaline Gemenge von wirksamen und un¬ 
wirksamen Bestandteilen der Digitalispflanze; 
er isolirte aus ihnen folgende reine Bestand¬ 
teile : 

1. Digitalein, ein amorphes, geruch¬ 
loses, intensiv bitter schmeckendes Glykosid, 
löslich in Wasser und Alkohol, unlöslich in 
Aether; dieser Körper ist der wirksame Be¬ 
standteil der in Wasser löslichen Digitaline 
des Handels und besitzt alle charakteristischen 
Eigenschaften der Folia Digital, purp. 

2. Digitalin, ein schwer krystallisir- 
bares Glykosid von der Zusammensetzung 
C 5 H 8 0 a , kaum löslich in kaltem Wasser, 
leicht löslich in einem Gemisch von Alkohol 
und Chloroform. 

3. Digitoxin, auch ein Glykosid, perl¬ 
mutterartig glänzende Nadeln von der Formel 
C ai H a8 0 7 , ganz unlöslich in Wasser, leicht 
löslich in Alkohol und Chloroform; es wirkt 
am stärksten, beim Menschen schon zu 0 * 002 
toxisch. Auch ein mit dem Saponin aus 


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DIGITALPERCUSSION. — DIL AT ATI ONS APPARAT. 369 


Saponaria officinalis sehr verwandter Körper, 
das Digitoxin, wurde in den Blättern des 
rothen Fingerhutes gefunden, doch enthalten 
sie kein Alkaloid. Die reinen Digitalis¬ 
stoffe sind bis jetzt in der Praxis nicht ver- 
werthet. Loeöisch. 

Digitalpercussion, s. Percussion. 

Digitoxin, s. Digitalisstoffe. 

Digitus« Finger, und Digitus pedis, 
Zehe, ein anatomischer Terminus zur Be¬ 
zeichnung des untersten, im Allgemeinen aus 
3 Gliedern (Phalangen) bestehenden Ab¬ 
schnittes der Hand, resp. des Fusses (s. d.). 
Die Finger werden von dem medialen Rande 
der Hand gezählt, daher ist d 1 der Daumen, 
d v der kleine Finger. Die Zahl der Finger 
ist bei unseren Haussäugethieren nicht die 
gleiche; bei dem Pferde, dessen Voreltern 
noch 5 Finger zum Theil (d 1 ) nur in Rudi¬ 
menten besassen, ist nur die 3. Zehe, bei 
den Wiederkäuern nur die 3. und 4. Zehe, 
beim Schweine die 2.—5. und endlich beim 
Hunde vorne die 1.—5., hinten meist nur die 
2.—5. Zehe entwickelt. Der Ausdruck ist 
auch in Zusammensetzungen gebräuchlich, 
so in: 

Digitigrada (von digitus und gradi, 
schreiten, gehen), also Zehengänger (viele 
Fleischfresser), im Gegensatz zu den Planti- 
graden (Mensch, Affe) und Phalangigraden 
(unsere Hufthiere). Sussdorf, 

Dikamali ist die harzige Ausschwitzung 
verschiedener Gardenia-Arten (Bäume von der 
Ordnung Cinchonaceae). Diese Drogue wird 
in Indien, wo der Baum wild wächst, ausser¬ 
ordentlich häufig benutzt. Sie besitzt einen wi¬ 
derlichen Geruch. Innerlich angewendet ist sie 
ein krampfstillendes Mittel; zumeist wird sie 
jedoch äusserlich angewendet, um Fliegen und 
sonstige Insecten von Wunden oder offenen 
Hautstellen abzuhalten. Die gepulverte und mit 
Oel vermengte Wurzel ist zu dem erwähnten 
Zwecke vortrefflich geeignet. Smith. 

Dikiatria (abgel. v. ^ Si'xtj, Recht, und 
•fj laxpei'ot, Heilung, Heilkunde), die gericht¬ 
liche Medicin, so auch Dikiatros, der Ge¬ 
richtsarzt. Sussdorf. 

Diklidoatoaia (abgel. V. ij iZ o$, 

Doppelthüre, Klappe, und x b ootsov, Knochen), 
Klappenverknöcherung. Sussdorf. 

Dikrotie (v. 5i'xpoxos sc. a<pDfp.os, abgel. 
v. Si's, zweifach, doppelt, und xpoxstv, klopfen, 
schlagen), die Doppelschlägigkeit des Pulses, 
bestellt in dem Auftreten eines dem eigent¬ 
lichen Pulse folgenden Nachschlages, welcher 
auf kräftige Rückstoss - Elevation der Gefäss- 
wand in Folge verminderter Spannung, aber 
bei fortbestehender Elasticität im arteriellen 
Systeme zurückzuführen ist. Er wird besonders 
im Fieber beobachtet und ist da die Folge 
einer wenig ergiebigen Herzsystole und des 
durch verminderte Gefässpannung langsamer 
erfolgenden Anpralles des Blutstromes gegen 
die Aortenklappen. Sussdorf. 

Dilatationaapparat. Im Hufbeschlage und 
im weiteren Sinne jede Vorrichtung, durch 


welche Zwanghufe auf mechanische Weise 
erweitert werden. Im engeren Sinne ist es 
eine Maschine, welche Erweiterungsschraube 
genannt wird, vermittelst deren Zwanghufe 
unter Zuhilfenahme besonders construirter 
Hufeisen (Erweiterungseisen s.d.,Eisen mitEck- 
strebenaufzügen, sog. Strebeneisen) auseinan¬ 
dergeschraubt, erweitert werden. Es gibt 
verschiedene Dilatationsapparate, und schon 
im XVI. Jahrhundert waren solche bekannt. 
Eine gewisse Bedeutung erlangten die Dilata¬ 
tionsapparate jedoch erst mit der 1859 erfolg¬ 
ten Publication der von Defays erfundenen. 
Hier soll auch nur von Dilatationsapparaten 
im engeren Sinne die Rede sein. 

1. Der Defays’sche Dilatationsapparat 
(Fig. 431) besteht aus zwei an einer Schrauben¬ 
spindel a beweglichen Backen b und c. Der 
Backen c, welcher am Ende der Schrauben- 




Fig. 431. Dilatationaapparat von Defays. 


spindel beweglich befestigt ist, enthält eine 
im rechten Winkel gebogene, nach der ent¬ 
gegengesetzten Richtung verlaufende Stange d 
mit Millimetergraden. Backen b bewegt sich 
bei Umdrehung der Schraubenspindel an dieser 
hin und her und besitzt eine schleifenartige 
Verlängerung, deren Ende die Stange d um¬ 
fasst, an dieser gleitet und somit den jewei¬ 
ligen Abstand beider Backen von einander in 
Millimeter angibt. 

2. Der Hartmann’sche Dilatationsapparat 
(Fig. 432) ist etwas einfacher. Die Schrauben¬ 
spindel a ist mit linkem und rechtem Gewinde 
versehen; es bewegen sich die beiden Backen 
b und c gleichzeitig aus einander, bezw. gegen 
einander. Backen b hat eine mit einem Heft 
versehene Verlängerung, die als Griff oder 
Handhabe d dient; vor letzterer ist eine vier¬ 
kantige Eisenstange e eingenietet, welche in 


Kocli. Encyklopäditf d. Tbierludlkd. II. Bd. 


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370 DILL. — DILLSAMEN. 

der im Backen c befindlichen Führung gleitet. I der Backen, d. i. parallel mit dem zu erwei- 


Die Schraubenspindel besitzt in f einen vier¬ 
kantigen Ansatz, an welchen der Schlüssel g 
passt. 



Fig. 432. Dilatationsapparat von Uartinann. 


3. Der Jovard’sche Dilatationsapparat 
(Fig. 433) ist noch einfacher. Zwei Backen 
bewegen sich an einer mit linkem und rechtem 
Gewinde versehenen Schraubenspindel, die in 
der Mitte eine ringartige Verdickung besitzt, 
in welcher zwei runde ira Centrum sich kreu¬ 
zende Löcher sich befinden. In letztere steckt 
man einen runden Dom, mit welchem man die 
Umdrehung der Schraubenspindel bewirkt. 



Fig. 433. Dilatationsapparat von Jovard. 


4. Der Marti nak’sche Dilatationsapparat 
(Fig. 434) ist wieder complicirter, aber am 
sichersten und bequemsten zu handhaben. Die 
Backen b und c werden durch zwei Fixations¬ 
schienen d und e, wovon d als Führung dient, 
in der Lage erhalten. Die Schraubenspindel d 
ist an einem Ende mit zweifach durchbohrtem 
Kopfe f, der zur Aufnahme des Hebels dient, 
versehen. Die beiden Enden der Spindel sind 
mit den Fixationsschienen mittelst Hülsen g 
derart verbunden, dass eine ungehinderte Be¬ 
wegung der Schraube erfolgen kann. Die 
Handhabe h befindet sich an der Fixations¬ 
schiene e und steht senkrecht zur Richtung 


ternden Hufeisen. 

Die Anwendung geschieht in der Weise, 
dass man die Backen am aufgehobenen Fusse 



Fig. 434. Dilatationsapparat von Martinak. 


und von der Bodenfläche des Eisens her zwi¬ 
schen die Schenkelenden des letzteren bringt 
und durch Umdrehung der Schraubenspindel 
auseinanderschraubt, wodurch das Eisen er¬ 
weitert wird, und da der Huf dem Eisen folgt, 
so muss selbstverständlich der Huf sich auch 
erweitern. Wie weit der Huf vermittelst des 
Dilatationsapparates durch das Eisen auf einmal 
erweitert werden kann und wie oft das Erweitern 
erfolgen soll, hängt theils von dem krankhaften 
Zustande des Hufes, theils vom Alter des Pferdes 
ab, worüber unter Zwanghuf nachzulesen ist. 

Der wahre Werth der Dilatationsapparate 
ist ein unbedeutender, denn die vortrefflichen 
in die Augen springenden guten Wirkungen, 
welche bei der Behandlung des Zwanghufes 
mit dem Dilatationsapparate erzielt worden 
sind, stehen ziemlich vereinzelt da. Der Dila¬ 
tationsapparat ist ferner kein Werkzeug für 
die Hand der Hufschmiede, sondern nur in 
Hufkrankheiten erfahrenen Thierärzten zu 
empfehlen. Mit Rücksicht darauf, dass der 
Zwanghuf in der Mehrzahl der Fälle ganz 
allmälig sich ausbildet, soll und kann auch 
nur allmälig seine Heilung erfolgen, welch 
letztere dann auch ohne Dilatator sicher durch 
andere Mittel erreicht werden kann. Zs. 

Dill, s. Anethum graveolens. 

Dille, D i 1 lenk ante, s. Schnabel derVögel. 

Dillenburg, vereinigtes Landgestüt von 
Waldeck und Hessen-Kassel. Nach L. Hoff- 
mann (Taschenlexikon der Pferdekunde) be¬ 
finden sich daselbst circa HO Hengste. Die 
Pferdezucht wird meistens von Bauern be¬ 
trieben, und werden sehr edle Fohlen pro- 
ducirt, die gerne von den Remonte-Com- 
missionen gekauft werden. Koch. 

Dillsamen, dem Kümmel ähnliches Arznei¬ 
mittel (s. Anethum graveolens). Das Dillkraut 
wird ebenso verwendet. 


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DILUVIALFAUNA. — DINGO. 


371 


Diluviaifauna ist die Thierwelt jener 
geologischen Periode, welche unmittelbar der 
Tertiärzeit folgte (weshalb auch quaternäre 
Periode genannt) und die allmälig in die 
Jetztzeit überging (Alluvium). Ablagerungen 
aus dieser Zeit, welche man als Diluvium be¬ 
zeichnet, enthalten zahlreiche Reste einer 
reichvertretenen Fauna, und wirfinden darunter 
hebst manchen schon ausgestorbenen Thier¬ 
arten auch die Vertreter unserer sämmtlichen 
Haussäugethiere. Es wird demnach die Dilu¬ 
vialfauna eines Jeden Interesse in hohem 
Grade in Anspruch nehmen, der sich mit der 
Vorgeschichte unserer Hausthiere vertraut 
machen will. Obzwar die Säuger während der 
Diluvialzeit noch im wilden Zustande Europa 
bevölkerten und der Mensch nur auf der Jagd 
nach Beute mit ihnen in Berührung trat, da 
erst gegen Ende der Diluvialepoche die Zäh¬ 
mung einzelner Arten fällt, so finden wir an 
den oft sehr gut erhaltenen Skeletresten 
meist nur wenig charakteristische Unter¬ 
schiede von der heutigen Thierwelt. Es lebte 
schon damals das Pferd in mehreren Arten 
in Europa, ferner der Ur, der Bison, das 
Renn, der wilde Hund etc. Während der 
Diluvialzeit änderten sich sowohl die klima¬ 
tischen Verhältnisse als auch die Landschafts¬ 
charaktere Europas mannigfach und wesent¬ 
lich, und diesen localen Bedingungen ent¬ 
sprechend variirten auch die Faunen. Für 
Mitteleuropa wurden in jüngster Zeit beson¬ 
ders von Nehring und Woldrich die nach¬ 
stehenden vier einander folgenden Faunen 
sichergestellt: die Glacial-, Steppen-, Weide- 
und Waldfauna. Die Glacialfauna wird durch 
Thiere vertreten, von denen die meisten noch 
heutzutage theils in den nördlichen Gegenden 
Europas, theils in den Hochgebirgen an der 
Schneegrenze hausen, wie Arvicola gregalis, 
Arvicola nivalis, Capra Ibex, Foetorius Ermi- 
nea, Lagopus albus, Lagopus alpinus, Lepus 
Variabilis, Myodes lemmus, Myodes torquatus, 
Nictea nivea, Rangifer Tarandus etc.; die 
Steppenfauna mit ihren Arvicolen, Foeteriden 
und Vulpiden, dem kleinen Steppenpferd und 
dem Esel wird durch die typischen Steppen- 
thiere des jetzigen östlichen Russlands und 
Asiens, nämlich: Alactaga jaculus, Cricctus 
phaeus und Spermophilus rufescens, unwider¬ 
leglich als solche charakterisirt. Die Weide¬ 
fauna, welche dem Zeiträume angehört, der 
mit dem allmäligen Uebergang der Steppen¬ 
landschaft in eine Wiesen* und theilweise 
Waldlandschaft beginnt und während dieser 
Parklandschaft bis zur echten Waldlandschaft 
dauert, charakterisiren Bos priscus, Elephas 
primigenius, Equus fossilis, Rangifer Taran¬ 
dus, Rhinocerus tichorrhinus, eine kleine Ovis- 
und Susform, der Hund etc. Die Waldfauna, 
die in Mitteleuropa gegen Ende der Diluvial¬ 
zeit vorherrschte, umfasst die Feliden, Ursus 
arctos,Sciurus, Myoxus, Sus scropha, Alces pal- 
matus,Cervus elaphus, Tetrao urogallus, Tetrao 
tetrix, Gallus etc. 

Literatur: Die diluvialen Fauneu Mitteleuropas etc. 
Von Dr. Joh. Ncp. Woldrieh. — Mitth. d. Anthrop. Ges. in 
Wien, ßd. XI., Heft 3 und i, W'ien 1332. Koudcl/.a. 


Dimorphin zählt zu den geschwefelten 
Metallen und besteht aus einer Verbindung 
von 4 Atomen Arsen und 3 Atomen Schwefel, 
As 4 S 8 , auch als rothes Rauschgelb, Rubin¬ 
schwefel bekannt. Das Dimorphin kommt in 
eiben, sehr zerbrechlichen Krystallen auf 
en Realgarkrystallen vor, die man in den 
feinen Spalten der Fumarolen des Vesuvs 
findet. Loebisch, 

Dimorphismus (v. S t>op<po;. zweigestaltig), 
Zweigestaltung, ein in der Biologie viel ge¬ 
brauchter Ausdruck, der sich auf Verschieden¬ 
heiten in der Form der beiden Geschlechter 
sowie innerhalb eines Geschlechtes (z. B. der 
weiblichen Thiere), ferner auf verschiedene 
Entwicklungszustände eines Thieres und end¬ 
lich auf die Verschiedenheit der Individuen 
eines Individuenstockes bezüglich des Lebens¬ 
zweckes etc. (z. B. Kopf und Proglottiden 
des Bandwurmes) beziehen kann. Sussdorf, 

D i m o rp hi s m u s ist auch die Eigenschaft 
gewisser chemischer Individuen, in zweierlei 
Systemen zu krvstallisiren. Der Kohlenstoff 
krystallisirt als Diamant und als Graphit 
nach zwei verschiedenen Systemen. Der ge¬ 
diegene Schwefel tritt in rhombischen Kry¬ 
stallen auf, schmilzt man ihn jedoch und 
lässt ihn langsam erkalten, so scheidet er 
sich nunmehr in prismatischen Krystallen 
aus. Der als Mineral auftretende kohlensaure 
Kalk erscheint in zwei verschiedenen Ge¬ 
stalten, als Aragonit in Form von geraden 
rhombischen Säulen und in Form von hexa¬ 
gonalen Rhomboedern als Kalkspath. Auch 
die arsenige Säure, Antimonoxyd, Salpeter 
zeigen Dimorphismus. Loebisch . 

Dingo, Canis Dingo L.. W r ildhund Austra¬ 
liens, von Grösse und Verhältnissen eines 
Schäferhundes mit mässig dickem Körper, star¬ 
ken und kräftigen Beinen. Der Kopf ist hinten 
breit, vorn in eine kurze, zugespitzte Schnauze 
zulaufend. Die Ohren kurz, spitz, aufrecht und 
gewöhnlich vorwärts gerichtet. Der Schwanz 
ist ziemlich lang, buschig, und wird im Laufe 
aufgerichtet oder horizontal ausgestreckt ge¬ 
tragen. Der Pelz ist lang, straff und dicht. 
Die Farbe oben falb, an den Seiten blasser, 
unten, auf der Innenseite der Beine und an 
der Schnauze fast weiss. Es kommen auch 
dunklere bis schwarz gefärbte Individuen vor. 
Der Dingo findet .sich in Australien wild, lebt 
in dichten Wäldern und Buschgegenden in 
kleinen Trupps. Er jagt lebende Thiere, Kän¬ 
guruhs, Schafe, frisst auch Aas. Halbgezähmt 
findet er sich auch in Begleitung der Einge- 
bornen, die ihn zur Jagd verwenden. Er kreuzt 
sich mit zahmen Hunden und liefert frucht¬ 
bare Nachkommen. Dafür, dass der Dingo kein 
in Australien einheimisches Thier, sondern erst 
vielleicht in Begleitung des Menschen auf diesen 
Continent gelangt sei. sprechen verschiedene 
Umstände. Der Dingo ist ein wahrer Hund, 
zunächst verwandt mit dem europäischen 
Sehäferhund, welcher cineder primitivsten Haus¬ 
hundrassen repräsentirt; er ist das einzige Rauh¬ 
thier Australiens, das zu den plaeentalen Süugc- 
thieren gehört — mit Ausnahme einiger Nager 
und Flederthiere bringt Australien nur ajdacen- 

24* 



372 DINKA. — DIPHTHERIEPILZE. 


tale Säugethiere hervor. Die Einwanderung 
des Dingo müsste aber vor sehr langer Zeit 
geschehen sein, da man seine Reste mit denen 
aus gestorbener Beutelthiere zusammen fand. Sir. 

Dinka oder Mähnenschaf. 0. africana. 
Die erste Beschreibung dieser Gruppe bringt 
Linnö in seinem Syst. nat. ad XII, Tome I, 
PI. I, p. 97. Von späteren Schriftstellern 
wird dasselbe, aber wohl nicht ganz correct, 
wie solches aus der nachstehenden Beschrei¬ 
bung von Schweinfurth in seinem „Herzen 
von Afrika“ hervorgeht, zu den „hochbeinigen 
Schafen“ gerechnet. Die Haupteigenschaft des 
Dinka besteht nach demselben in einem 
mähnenartigen Besätze der Schultern, der 
Brust- und Halsgegend, während der ganze 
übrige Körper nur mit kurzen, glatt anliegenden 
Haaren besetzt ist, ebenso der dürre Schwanz, 
der aber nur bis auf die Sprungelenke herab¬ 
reicht (Fig. 435). Schweinfurth schildert diese 
Rasse als von plumper Leibesbeschaffenheit 



Fig. 435. Dinka oder M&hnenschaf. 


und dabei kurzen Beinen. Danach kann 
dieselbe aber nicht zu den hochbeinigen ge¬ 
hören. Die Farbe der Thiere ist nach seiner 
Angabe meist weiss, seltener braun oder 
schwarzweiss gefleckt, nur in vereinzelten 
Fällen einfach rothbraun. Dieses Schaf soll, 
wie er uns mittheilt, sich nur bei den Dinka, 
Nuör und Schilluk finden, als dessen Heimats¬ 
bezirk nimmt er daher den östlichen Sudan 
an; er sagt, dass tiefer hinein in das äqua¬ 
toriale Afrika das Schaf ein nicht einmal dem 
Namen nach bekanntes Thier sei. Bohm. 

Dinkel oder Spelz (Triticum spelta) als 
Futtermittel. In einzelnen Districten Oester¬ 
reichs, Preussens, Bayerns, Württembergs, 
Dänemarks und Spaniens cultivirte Weizen¬ 
varietät, deren Körner mit so fest anschlies¬ 
senden Spelzen umgeben sind, dass diese nur 
durch Schälen entfernt werden können. Dem 
gewöhnlichen Weizen sehr ähnlich, gilt über 
die Dinkelkömer auch das über den Weizen 
als Futtermittel Gesagte, obgleich die Dinkel¬ 
kömer gemeinhin ein gedeihlicheres, wegen 
ihres höheren Rohfasergehaltes minder weich¬ 
liches (vielleicht auch weil fetthaltigeres) 
Futtermittel sind. Die Dinkelkörner enthalten: 

84 "1 —93 0 im Mittel 87 9 0 /,, Trockensubstanz 


9-1—145 „ 

110 ., 

stickstoffhaltige Stoffe 

1-4— 30 .. 

2 3 . 

Rohfett 

52 p—6$ 2 .. 

63'9 . 

stickstofffreie Extractstoffe 

2'3—17 0 .. 

7 7.. 

Holzfaser 

— — 

3-0 " 

, Asche 


Aus unreifem geschälten Dinkel, der 
graupenförmig bearbeitet wird, erhält man 
die als Suppengemüse bekannten Grünköraer 
(Grünkern). Der hiebei entstehende Abfall, die 
sog. Grünkernspreu, enthielt 90*2% Trocken¬ 
substanz, 2 3% stickstoffhaltige Stoffe, 1*5% 
Rohfett, 50’5% stickstofffreie Extractstoffe, 
29*2% Holzfaser, 6 6% Asche und bildet 
ein gut verwendbares Nebenfuttermittel für 
alle landwirtschaftlichen Thierkategorien. 

Dinkel8troh enthielt 85*7% Trocken¬ 
substanz, 2 • 5% stickstoffhaltige Stoffe, 1*4% 
Rohfett, 31*8% stickstofffreie Extractstoffe, 
45 0% Holzfaser, 5*0% Asche und gehört 
zu den geringerwertigen Getreidestrohsorten, 
Dasselbe gilt von der Dinkelspreu, welche 
nämlich enthält: 

— — im Mittel 85’7*/» Trockensubstanz 

2*9— 35 „ „ 3*2 stickstoffhaltige Stoffe 

— — „ „ r 6 „ Rohfett 

31 1 5—82 9 „ „ 32 1 „ stickstofffreie Extractstoffe 

40- 0—41-5 „ „ 40'7 „ Holzfaser 

— — „ „ 8*3 ., Asche Pott. 

Dlo, griechischer Veterinär des IV. Jahr- 
hundertes, schrieb einen Brief über Hoden¬ 
sackdarmbrüche. Koch. 

Dionysius Cassius von Utica schrieb im 
letzten Jahrhundert v. Chr. ein Werk über 
Landwirtschaft (Uebersetzung des Cartha- 
giniensers Mago) und über Thierheilkunde. Sr. 

Dioptas, ein wasserhaltiges Silicat, wel¬ 
ches als metallischen Bestandteil Kupfer 
enthält, daher auch der deutsche Name 
Kupfer-Smaragd. Dunkel-smaragdgrün. Fund¬ 
orte: Zwischen Ural und Altai, in den sibi¬ 
rischen Goldlagern am Obi. Krystallisirt in 
Rhomboedern und strahlt in einer bestimmten 
Axe ein starkes Licht aus, daher der Name. Lh. 

Diorlt, eine körnige Gesteinsart, deren 
wesentliche Gemengtheile Plagioklas mit 
Hornblende bilden, zu denen sich in der Regel 
schwarzer Glimmer, Chlorit, Apatit und in 
geringen Mengen Augit gesellt. Die Farbe 
ist meist dunkelgrau bis grün. Kommt im 
Thüringerwald, im Erzgebirge, im Ural in 
Gängen oder Stücken, in Granit und Gneiss 
und in den krystallinischen Schiefern der 
paläozoischen Formationen vor; durch streifen¬ 
weise Vertheilung geht es in Dioritschiefer 
über. Loebisch. 

Diphtheriepilze. Als Erzeuger der Diph¬ 
therie entdeckte zuerst Oertel einen 0*35 bis 
11 mikr. messenden ei-kugeligen bis schwach 
ellipsoidischen Micrococcus, welcher theils in 
isolirter Coccusform, theils als Diplococcus, 
noch häufiger aber als Streptococcus auftritt. 
Er bildet in und auf den erkrankten Mem¬ 
branen und Geweben bei Menschen und 
Thieren oft lineale, kugelige bis streifen¬ 
förmige Colonien und Gruppen. Durch den 
Athmungsprocess gelangen die in der Luft 
etwa vorhandenen Pilzzellen in der Regel 
zuerst auf die Schleimhäute der Trachea, 
Von hier aus verbreiten sich die sich rasch 
vermehrenden, überdies auch schwännfähigen 
Coccen radienartig durch den ganzen Körper. 
Sie finden sich in allen Geweben und Organen, 
namentlich auch in den Lymphgefässen, im 
Blute, in den Harncanälchen, in den Mal* 


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DIPHTHERITIS. 373 


pighi’schen Canälen der Nieren. Oft findet 
man die Capillaren durch seine Colonien ver¬ 
stopft. Nach den Untersuchungen Oertel’s 
werden alle vom Pilze hochgradig befallenen 
Organe, Muskel-, Bindegewebe u. s. w. dege- 
nerirt und zerstört. In günstig verlaufenden 
Fällen werden die Mikrococcen mit dem Harn 
entleert und so nach und nach der Körper 
von ihnen völlig befreit. Noch ist es indessen 
nicht als zweifellos feststehend zu betrachten, 
dass dieser Oertel’sche Micrococcus sicher den 
Diphtheriepilz darstellt. 

Schon Oertel selbst constatirte, dass 
neben seinem Micrococcus bei der Diphtherie 
gleichzeitig noch andere Spaltpilze beobachtet 
werden. R. Koch (Mittheil, aus dem Gesund¬ 
heitsamte, Photogr. 66) fand bei einem tödt- 
lich verlaufenden Falle von Blasendiphtheritis 
in den Blutgefässen der Nieren sehr viele 
gleichartige Spaltpilze, die keine Mikrococcen, 
sondern Bacterien (Kurzstäbchen) waren. 

Ebenso gelang es Emmerich, aus diphthe- 
ritischen Belegen ein Bacterium zu isoliren 
Und in Reinculturen zu vermehren. Es bestand 
aus länglichen Coccen und kurzen plumpen 
Stäbchen, zwei- bis dreimal so lang als breit. 
Reinculturen auf Nährgelatine sowie auf 
gekochten Kartoffelscheiben bewirkten nach 
Ueberimpfung auf Tauben, Mäuse und Ka¬ 
ninchen typische Diphtherie. 

Endlich ist nach Löffler ein Bacillus 
(diphtheriticus) die Ursache dieser Krankheit. 
Die Stäbchen sind etwa so lang als die des 
Tuberkelbacillus, aber doppelt so dick, auf 
Blutserum bilden sie oft lange gerade oder 
gekrümmte, nicht schwärmfähige Stäbchen, 
welche in Masse sich als weissliche Colonien 
präsentiren. Die langen Stäbchen sind ge¬ 
gliedert und an den Gliedstellen oft schwach 
knotig verdickt. Häufig sind die beiden End¬ 
glieder eines Fadens stark angeschwollen. Hz. 

Diphtheritis, besser Diphtherie (von 
Stfttepa, Fell, Leder), ist eine durch Ansied¬ 
lung des Diphtheriepilzes, Mikrococcus diph¬ 
theriticus, entstandene Schleimhautentzündung 
mit brandigem Zerfall des Gewebes. Das Wort 
Diphtheritis wurde von dem .französischen 
Arzte Bretonneau im Jahre 1818 in die medi- 
cinische Nomenclatur eingeführt, nachdem 
bereits 1771 das Leiden von Dr. Bond be¬ 
obachtet worden war. Buhl wies zuerst die 
Diphtheriemikrococcen im diphtheritischen Be¬ 
lage und im Blute nach, später Oertel, der 
auch Ueberimpfungen auf Thiere vornahm und 
bei ihnen den Uebergang in die Lymphe, das 
Blut, in die Lymphdrüsen und die inneren Or- 
ane eruirte. Nassiloff und Classen bestätigen 
ie Beobachtungen OerteTs. Letzerich fand 
neben den Coccen auch Pilzmycelien und Pilz¬ 
fäden. Eberth sah die Pilze zuerst auf dem 
Epithel der Schleimhäute und auf Wunden 
sich ansiedeln, sich hier vermehren und in die 
tieferen Gewebsschichten, sogar in die Capilla¬ 
ren der innem Organe eindringen, wo sie 
embolische Zufälle veranlassen. Den Mikro¬ 
coccus fanden ferner Hüter, Thomasi, v. Reck¬ 
linghausen, Waldeyer, Birch-Hirschfeld, Cohn 
und Klotzsch. Hallier nannte den Pilz Diplospo- 


riura fuscum. Nach den Angaben Zürn's (die 
Schmarotzer) sind es bewegliche, körnchen¬ 
förmige, eirunde Kugelbacterien, die einzeln 
auftreten, zu 2—6 sich aneinanderreihen oder 
kugel- und streifenförmige Ballen bilden. Sie 
vermehren sich in den Geweben in solchen 
Massen, dass die Ernährung derselben aufge¬ 
hoben wird und Zerfall erfolgt, sie dringen 
von der Einwanderungsstelle aus, den Gewebs- 
spalten und Lymphgefassen folgend, in das 
Blut, in die Nieren, Leber, das Herz, selbst 
bis in die Knochen vor und zerstören die Or¬ 
gane. Auf Thiere übertragen, erzeugen sie 
ebenfalls die nämliche Krankheit. Während die 
croupösen Membranen leicht von der Schleim¬ 
hautoberfläche ablösbar sind, infiltrirt das diph- 
thcritische Exsudat die Mucosa und wandelt 
sie in eine derbe, graue oder missfarbige, 
lederartige Masse um, die aus einem Fibrin¬ 
netz, weissen Blutkörperchen und Mikrococcen 
besteht und das Gewebe nach Weigert auf 
dem Wege der Coagulationsnekrose zerstört. 
Das Exsudat ist so fest mit der Schleimhaut 
verschmolzen, dass es sich nur gewaltsam mit 
der Schleimhaut abreissen lässt. Die schmierig¬ 
käsigen Zerfallsmassen hinterlassen kleine Sub¬ 
stanzverluste mit zackigen, wulstigen, rothen 
Rändern und hochrothem Grunde, die diph¬ 
theritischen Geschwüre. Weigert und Schwe- 
ninger (cfr. medicin. Centrlbl. 1878) sehen den 
Diphtheriepilz nicht als Krankheitserreger an, 
weil dieser gewöhnlich nur im Epithelstratum 
des Rachens liegt und öfter in der Leiche 
erst bei Fäulniss der abgestossenen Gewebs- 
partien gefunden wird, und die auf andere 
Thiere übertragenen Massen niemals den gan¬ 
zen Complex der Erscheinungen der Diph¬ 
therie zu Stande bringen sollen. Indess ist es 
Dr. Emmerich in München (Vortrag auf dem 
fünften CongressfÜr Hygiene im Haag) gelungen, 
charakteristische Pilze aus den Krankheits- 
producten der Diphtherie durch künstliche 
Cultur zu isoliren und zu cultiviren und durch 
Verimpfung der Culturen auf Tauben, Kanin¬ 
chen, Mäuse und andere Thiere Diph¬ 
therie zu erzeugen; er fand dieselben Pilze 
bei Tauben, welche an der natürlichen Diph¬ 
therie litten; sie gehören zu den Bacterien, 
sind meist doppelt so lang als breit, variiren 
in der Grösse um das Zwei- bis Dreifache, 
die längeren zeigen eine leichte Einschnürung. 
Einige Beobachtungen sprechen dafür, dass 
sie sich in morastigem Grund, unter den 
Dielen oder in feuchtem Mauerwerk ansiedeln. 
Nach den Beobachtungen von Wood und Fer- 
mad (Medicin. Centralblatt 1882) verlieren die 
virulentesten Diphtheriemembranen die Con- 
tagiosität, wenn man sie längere Zeit dem 
freien Luftzutritte aussetzt, auch ist es wahr¬ 
scheinlich, dass die unschuldigen Mikrococcen 
oberflächlicher Katarrhe durch die begünsti¬ 
genden Momente der Anzüchtung ihren Ueber¬ 
gang in maligne nehmen können. Einzelne 
Aerzte halten die Diphtherie für identisch mit 
Croup, z. B. Dr. Aufrecht (Vers, deutscher 
Aerzte in Magdeburg) und Prof. Rindfleisch. 
Die Auswanderung der weissen Blutkörperchen 
begünstigt die Ansiedlung von Infectionsstoffen. 


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374 DIPHTHERITIS. 


Erscheinungen. Bei Thieren sind erst 
wenige zuverlässige Fälle von Diphtherie be¬ 
obachtet worden. Haubner, Spinola, Naczynski 
und Zürn sehen in dem bösartigen Katarrhal¬ 
fieber des Pferdes und des Rindes eine diph- 
theritische Affection. Eberth fand bei einem 
Rind mit Diphtherie der Nase in den Pseudo¬ 
membranen eine Menge Pilze. Dammann be¬ 
schreibt im 3. Bande der Zeitschrift für Thier- 
medicin eine wahre Diphtherie der Kälber, 
er fand hier in den diphtheritischen Ein¬ 
lagerungen Haufen von Mikrococcen. Diese 
rufen örtlich folgende Symptome hervor: Die 
betroffenen Schleimhautpajftien treiben hyper- 
ämisch auf und trüben 4h, es machen sich 
viele kleine grauweisse Punkte bemerklich, 
die sich von dem gerötheten Grunde deutlich 
abheben; zuweilen ist ein solcher Punkt insel¬ 
artig von einer blutigen Infiltration umgeben. 
Die grauen oder gelben, linsenförmigen Flecke 
greifen nach seitwärts und nach der Tiefe um 
sich, verschmelzen mit benachbarten und mor- 
tificiren das Schleimhautgewebe. Die Schleim¬ 
haut sieht hier wie angeätzt aus und bedeckt 
sich mit einer weissgrauen, öfter röthlich oder 
grünlich nuancirten, derben, filzigen, promini- 
renden Haut, nach deren Entfernung sich der 
Substanzverlust als ulcus diphtheriticum prä- 
sentirt. Das Geschwür kommt häufig zur Ver¬ 
narbung. Der Schorf löst sich übrigens von 
selbst auf dem Wege der Eiterung ab. ln der 
Umgebung der Geschwüre erscheint dieSchleim- 
haut beträchtlich geschwollen, üdematös, und 
eiterig-zeilig infiltrirt und erisypelatös ent¬ 
zündet. Die Schleimhaut der Nase, der Rachen¬ 
höhle und des Darmcanals wird zunächst von 
der Diphtherie befallen, von dort aus wandern 
die Mikrococcen in die Blut- und Lymph- 
gefasse. Die Krankheit tritt plötzlich unter 
starken febrilen Zufällen und Abgeschlagen- 
heit auf; häufig schwellen die Augenlider an. 
Nach 24—48 Stunden steigt die Pulsfrequenz 
erheblich, die Körpertemperatur auf 40—42°, 
Kopf und Maulhöhle hitzen, die Nasen- und 
Maulschleimhaut röthet sich und lässt die 
oben geschilderten Abnormitäten erkennen. 
Mit dem Erkranken verliert sich die Fress¬ 
lust mehr und mehr, der Durst steigert 
sich, die Dejectionen der Fäces werden ver¬ 
zögert. Der anfänglich schleimige Ausfluss aus 
der Nase wird bräunlich, jaucheartig, blutig und 
stinkend, mit Zunahme der Entartung der 
Schleimhaut die Respiration schnaufend und 
erschwert, das Abschlucken beschwerlich, wenn 
sich der diphtheritische Process von der Maul¬ 
schleimhaut aus bis auf den Kehlkopf und die 
Luftröhre erstreckt.Hiezu gesellen sich Schwäche, 
Hinfälligkeit, Depression der Gehirnfunctionen, 
öfter auch Convulsionen. 

Das Ergriffensein der Schleimhäute der 
Rachenhöhle und des Kehlkopfes bedingt die 
Erscheinungen der Bräune, alsdann ist die 
Respiration sehr erschwert und beschleunigt, 
sie wird pfeifend und suffocativ bei hochgra¬ 
digem Fieber. Der stinkende Nasenausfluss ist 
mit abgestossenen Schleimhautfetzen vermischt. 
Auf der Nasen Schleimhaut bemerkt man Pete¬ 
chien und Ecchymosen, auf der Rachenschleiin¬ 


haut geschwürige Zerstörungen. Als Erschei¬ 
nungen der typhösen Blutbeschaffenheit sind 
ödematöse Anschwellungen des Kopfes, der 
Brust, des Halses und der Extremitäten, bei 
Pferden auch Anschwellung der Submaxillar- 
drüsen zu nennen. Der Verlauf ist acut, die 
Patienten sterben oft schon nach 2—3, gewöhn¬ 
lich nach 10—12 Tagen. In der Diphtherie der 
Kälber beobachtet man die geschilderten Ver¬ 
änderungen zuerst auf der Backenschleimhaut, 
bald auf dem Gaumen und auf der Zunge, die 
Kälber sind sehr hinfällig, haben spärlichen Na¬ 
senausfluss, speicheln hingegen stark; schmerz¬ 
haft wird der Husten bei Affectionen des 
Larynx und der Trachea, hingegen führt ein Mit¬ 
leiden der Darmschleimhaut zu diarrhöischen 
Entleerungen. Werden diphtheritische Zerfalls¬ 
massen aspirirt, so erzeugen sie eine lobuläre 
Pneumonie, kommen sie mit den Klauen in 
Berührung, dann ein geschwürartiges, brandi¬ 
ges Absterben der Haut des Klauenspaltes. 
Da die Diphtherie einen Ansteckungsstoff ent¬ 
wickelt, so erkranken in der Regel alle Saug¬ 
kälber eines Stalles zugleich oder in Zwi¬ 
schenräumen von 3—5 Tagen. Die Krank¬ 
heitsdauer beträgt hier 4—5 Tage oder 2 bis 
3 Wochen, wenn die Kraftlosigkeit keine so 
schnellen Fortschritte macht. Die Reconvale- 
scenten bedürfen 3—5 Wochen, bevor sich die 
abgestossenen Schicimhautpartien regeneriren 
und die Kräfte zurückkehren. 

Auch unter dem Hausgeflügel vermag die 
Diphtherie grosse Verheerungen anzurichten, 
besonders wenn sie seuchenhaft auftritt. Nach 
Rivolta’s Beobachtungen (Giornale di Ana¬ 
tom. etc. 1884) ist die Hühnerdiphtherie oder 
Hühnerseuche eine chronische Erkrankung, 
welche von dem Pilze Epitheliomyces croupo- 
genus erzeugt wird, der sich nur in dem 
Epithel der Haut und der Schleimhäute ent¬ 
wickelt und verschieden von dem Diphtherie¬ 
pilze ist. Die Diphtherie des Geflügels befällt 
theils die Rachenhöhle und die Respirations¬ 
organe, theils die Digestionsorgane und die 
Nieren; Coecum und Rectum werden am häu¬ 
figsten heimgesucht. Im ersteren Falle gleichen 
die Symptome denen des sog. Pipses. Zuweilen 
sterben die Vögel schnell nach 2—3 Anfällen 
von Schüttelfrost, so dass eine Vergiftung 
unterstellt wird. Oefter entzünden sich unter 
Schwellung der Augenlider die Augen, sie 
werden geschlossen gehalten und thränen, 
die Conjunctiva zerfällt diphtheritisch, sie ist 
mit einer weissgelben membranösen oder kä¬ 
sigen, fötiden Masse bedeckt. Die Kranken 
niesen, husten, haben schleimig-serösen und 
eitrigen Ausfluss aus Nase und Maul, athmen 
beschwerlich unter pfeifenden und rasselnden 
Geräuschen, sperren den Schnabel auf; dio 
Rachenhöhle und Zunge sind mit diphtheriti- 
schem Exsudate bedeckt, es stellt sich bei 
Affectionen der Darmschleimhaut Durchfall 
ein, die Dejectionen werden flockig, röth¬ 
lich oder bräunlich und übelriechend. Da¬ 
bei nimmt Mattigkeit, Fieber und Abma¬ 
gerung schnell zu, der Tod macht öfter schon 
nach einigen Stunden den Beschluss, sonst 
aber in 2—3 Wochen; leiden die Augen allein, 


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DIPLASMATICUS. — DISCONTINÜITÄT. 


375 


so genesen die meisten nach 2—3 Wochen, 
während sonst 80% erliegen. Kurz vor dem 
Tode fällt die Temperatur ca. 2° unter die 
Normale. Mitunter bilden sich diphtheritische 
Processe auch an den Maulwinkeln und in 
deren Umgebung auf der Haut, dann auch in 
den Unteraugenhöhlenzellen, in welchem Falle 
sich auf jeder Seite unter dem innem Augen¬ 
winkel eine Geschwulst vorfindet, aus der sich 
durch Druck ein eiteriger Schleim aus der 
Nase entleeren lässt; ist die Geschwulst weich, 
dann ist sie mit dem Messer zu eröflhen. Die 
geschwollenen Conjunctivalgefasse verdrängen 
den Augapfel, auch können sie ihn zur 
Atrophie bringen. Die entzündete Nickhaut 
verklebt zuweilen mit dem Augapfel. Trübun¬ 
gen der Hornhaut entstehen öfter. 

In den erkrankten Geweben sind theils 
Gregarinen, theils Stäbchen- und fadenförmige 
Bacillen und Mikrococcen gefunden worden. 
(Yergl. Siedamgrotzki, sächs. Veter.-Ber. pro 
1872; Monatsschr. österr. Thierärzte 1878; 
Friedberger, Zeitschr. für Thiermed. 1879; 
Zürn, Krankh. des Hausgeflügels 1882; Rivolta, 
dei parasiti veget. 1873.) 

Die Diphtherie befällt mit Vorliebe ka¬ 
tarrhalisch afficirte oder wunde und mit Ver¬ 
wundungen versehene Schleimhäute, auf denen 
Pilze und Fäulnisstoffe, sofern sie mit der 
Schleimhaut in Berührung kommen, leicht 
haften. Deshalb gehen Erkältungen, greller 
Wittenm gsWechsel und rauhes Wetter dem 
Ausbruche der Diphtherie häufig vorher und 
sind, ebenso wie verdorbenes, mit Pilzen be¬ 
fallenes Futter, unreines Trinkwasser und 
schlechte Stalluft, als Ursachen derselben be¬ 
schuldigt worden. Einmal entstanden, gibt der 
an die Dejectionen gebundene Ansteckungs- 
Btoff vielfache Gelegenheit zur Weiterver¬ 
breitung. 

Behandlung. Zur Verhinderung der An¬ 
steckung sind die Kranken von den Gesunden 
sofort zu trennen und die Dejectionen zu be¬ 
seitigen und zu desinficiren. Zur innerlichen 
Anwendung eignen sich antiparasitäre und die 
Kräfte hebende Mittel, z. B. Metallsäuren im 
Getränk, acid. arsenicos., die Solutio arsenic, 
Fowl., Kalium jodat., Kal. bromatum, Kali 
chloric., Ammonium carbon., China, Camphor, 
Aether, ol. Terebinth., Liqu. Ammonii caust. etc. 
Das Kali chloric. ist sowohl in gesättigter Lösung 
innerlich zu geben, als auch zum Ausspritzen 
der kranken Nasen- und Maulhöhle vorteil¬ 
haft zu benützen. Inhalationen von Dämpfen 
aus dem mit Terpentinöl versetzten Wasser 
lösen nach den Erfahrungen Taube’s die Exsu¬ 
date und mässigen das Fieber, sie sollen alle 
Stunden 10 Minuten lang wiederholt werden. 
Letzerich rühmt eine Solution des Natrum 
benzoicum im Wasser zum innerlichen Ge¬ 
brauch, das Pulver davon zum Aufstreuen auf 
die Schleimhaut oder zum Einblasen. In glei¬ 
cher Weise kann eine 3—6 %ige Neurinlösung 
und das acidum carbolic. Verwendung finden; 
zu den Bepinselungen der Schleimhaut oder 
zu den Ausspritzungen nehme man 15*0 acid. 
carbol. crystall. auf 300 *0 aquae, oder zu den 
Auspinselungen auch Lösungen von Subli¬ 


mat (0*02—0*05, 0 10 :100*0), Lapis infer- 
nalis in Wasser, von Chininum Hydrochlor. 
(0*01) mit Natr. bicarbon. (0*015) in Wasser 
oder Gummischleim oder Kalkwasser. Die Be¬ 
pinselungen sind täglich 4—6mal zu wieder¬ 
holen. Bei Vögeln sind Abscesse an den 
Augen zu öflnen, die Exsudatmassen mit Gly¬ 
cerin oder Vaseline zu erweichen, alsdann mit 
der Pincette vorsichtig zu entfernen, ohne sie 
gewaltsam abzureissen, und schliesslich die 
kranken Stellen mit den genannten Solutionen 
auszupinseln oder mit Höllenstein, Kupfer-, 
Zinkvitriol, Alaun, Jodtinctur etc. zu ätzen. 
Das Trinkwasser kann bis zu %% mit Car¬ 
bol- oder Salicylsäure, mit Alaun (3*0 auf 
11 W.) oder Eisenvitriol (1 :50) versetzt wer¬ 
den. Zürn hat die besten Heilerfolge von der 
Richard’schen Diphtheritistinctur gehabt, es 
sollen damit täglich dreimal die kranken 
Stellen des Rachens und der Nase ausgepinselt 
und täglich zweimal je ein Kaffeelöffel voll ein¬ 
gegeben w r erden. 

Nach dem Erlöschen der Krankheit sind 
stets die Stallräume, die Tränkeimer etc. zu 
desinficiren. Anacker. 

diplasmaticus (abgel. v. biq, zweifach, 
und zb rcXdop.a, das Gebildete), aus zweifach 
verschiedenen Stoffen bestehend, z. B. für 
Zellen, welche neben dem gewöhnlichen Zell¬ 
protoplasma noch eine andere Substanz, wie 
Mucin, Fett etc., enthalten. Sussdorf. 

Diplococcus nennt man jene Formen von 
Spaltpilzen, bei welchen mehr oder weniger 
constant je zwei Coccen (Mikro- oder Makro- 
coccen) verbunden Vorkommen. Es können 
sehr verschiedene Spaltpilzarten in der Diplo- 
coccusform auftreten. Harz. 

Diploä (yj SiitXoT], von ätirXoo*;, doppelt), 
schon von Hippokrates, Galen etc. für die Höhlung 
in den (platten) Knochen gebraucht, bezeichnet 
nach neuerem Gebrauch nur die in derselben 
befindliche spongiöse Knochensubstanz. Sf. 

Dippei’s Oel, ätherisches Thieröl, s. Oleum 
animale. 

Dirk van Setten studirte zu Utrecht Thier¬ 
heilkunde, war praktischer Thierarzt, schrieb 
über Impfungen der Maul- und Klauenseuche 
(1842), über Schweineseuche (1852), über 
Trächtigkeit bei einem viermonatlichem Kalbe, 
über Abtreiben der Kälber etc. Scmmcr. 

Disci83io Cataraotae (dis-scindere, zer¬ 
schneiden), eine Methode der Staroperation, 
bei welcher man nach vorherigem Durch- 
stossen der Hornhaut mit einer Nadel (sog. 
Discissionsnadel) diese auf die vordere Kapsel 
der starig degenerirten Linse aufsetzt und 
letztere mittelst eines einfachen oder Kreuz¬ 
schnittes durchschneidet, so dass die Linsen¬ 
substanz mit dem vorderen Kammerwasser in 
Berührung tritt, in Folge dessen zuerst auf¬ 
quillt und schliesslich resorbirt und auf diese 
Weise das Pupillargebiet wieder frei wird 
(s. „Cataracta“). Schlampp. 

Di8C0ntlnuität bezeichnet ganz allgemein 
eine Zusammenhangstrennung. Götte versteht 
unter Discontinuität des Lebens die von ihm 
aufgestellte Lehre von der Entstehung der 
Eier (überhaupt der Keime) aus leblosem 



376 


DISCUS. — DISLOCATION. 


Materiale, das erst zu bestimmten Momenten 
(wann?) belebt werde. G. Jäger stellt ihm 
die Continuität des Lebens gegenüber, wonach 
zwar das Material zur Ei- und Samenbildung 
als „reservirtes Keimprotoplasma“ in Folge 
seiner centralen Lage zu einer gewissen 
„Lebenslatenz“ verurtheilt sei, aber nie auf¬ 
höre, „lebendig zu sein“. Sussdorf. 

Discos (6 8toxo?, die Wurfscheibe), die 
Scheibe, scheibenartige Bildung, für flach¬ 
runde Gebilde aller Art, z. B. D. proligerus 
s. oophorus, der Keimhügel des Graafschen 
Follikels, welcher das Ei trägt, und in Zu¬ 
sammensetzungen wie Discomycetes, Scheiben¬ 
pilze etc., adj. discodes, scheibenförmig. Sf 

Disdiaklasten (abgel. von 8t?, zweimal, 
doppelt, und StaxXaetv, zerbrechen, also doppelt 
brechen) nennt Brücke jene hypotheti¬ 
schen kleinen doppelt-lichtbrechenden prisma¬ 
tischen Körperchen, welche er durch Neben¬ 
einanderlagerung die dunklen Querscheiben 
der quergestreiften Muskelfaser bilden lässt, 
und welche unter regelmässigem Alterniren 
mit der einfach brechenden Substanz in der 
Richtung der Muskelfaser die Muskelfibrille 
bilden sollen. Sussdorf 

Dishley-Sohaf, s. Leicester-Schaf. 

Dislocation, von dis, auseinander, und 
locare, stellen. Die Dislocation bezeichnet 
im Allgemeinen eine abnorme Lage Veränderung 
und wurde deshalb auch schon im Sinne von 
„Verrenkung“ gebraucht; es wird jedoch dieser 
Ausdruck jetzt mehr zur Bezeichnung von 
Lageveränderungen der Muskeln und Sehnen 
verwendet. Die Dislocationen von Muskeln 
und Sehnen sind im Allgemeinen selten, in¬ 
dem diese Gebilde in der Regel in ihrer Lage 
durch verschiedene Vorrichtungen, wie Kno- 
chenhervorragungen, Rinnen, Bänder etc. ge¬ 
sichert werden. 

Einzig beim Rinde kommt eine eigen- 
thümliche Dislocation des äusseren 
Kreuzsitzbeinmuskels des Schenkels 
nicht so ganz selten vor; dieselbe wird auch 
als Verrenkung des vorderen Kreuzsitz - 
schenkelbeinmuskel8 (Deviation du muscle 
ischio-tibial externe, Myotase crurale) be¬ 
zeichnet. 

Die anatomischen Verhältnisse der 
Kruppen- und Schenkelmuskulatur sind bei 
Wiederkäuern von denjenigen des Pferdes 
wesentlich abweichend und müssen daher bei 
der Beschreibung dieser chirurgischen Krank¬ 
heit näher erörtert werden. Beim Rinde fehlt 
der sog. „untere Umdreherfortsatz“ an der 
lateralen Fläche des Oberschenkelbeines, so 
dass der äussere Kruppenmuskel (Muse, glu- 
taeus max.) sich an demselben wie beim 
Pferde nicht befestigen kann und in zwei 
Portionen, eine laterale und eine mediale 
zerfällt. Die laterale Portion bildet eine breite 
Aponeurose, welche nach vorne sich mit dem 
Spanner der breiten Schenkelbinde (M. tensor 
fasciae latae [Fig. 436 a]), nach hinten mit 
dem vorderen Bande des äusseren (vorderen) 
Kreuzsitzbeinmuskels des Schenkels verbindet 
(Fig. 436 b), während die mediale Portion 


vollständig mit dem letzteren verwachsen ist 
und kaum von ihm unterschieden werden 
kann (Fig. 436 c). 



Fig. 436. Oberflächliche Muskulatur der hinteren Glied¬ 
masse beim Rinde, a Spanner der breiten Schenkelbinde, 
b laterale Portion des äusseren Kruppenmuskels, c mediale 
Portion des äusseren Kruppenmuskels, d d' äusserer Kreuz¬ 
sitzbeinmuskel des Schenkels, e hinterer Kreuzsitzbein¬ 
muskel des Schenkels, f grosser Gesässbackbeinmuskel. 

Der vordere oder äussere Kreuz- 
sitzbeinrauskel des Schenkels (M. bi- 
ceps feraoris, dreiköpfiger Muskel der Hinter¬ 
backen, Ischio-tibial externe [Fig. 436 d]) 
besitzt beim Rinde besonders an seinem 
vorderen Rande einen sehnigen Zug; in der 
Höhe der Mitte des Oberschenkelbeines, da 
wo sich der Muskel hinter demselben be¬ 
findet, sind ebenfalls mehrere starke Sehnen¬ 
züge zugegen. Der Trochanterfortsatz wird 
etwa handbreit durch den dünneren Theil dea 
Muskels bedeckt. 

Die Dislocation dieses Muskels besteht 
darin, dass in Folge Ruptur oder Dehnung 
der Aponeurose der lateralen Portion des 
äusseren Kruppenmuskels der vordere Rand 
des äusseren Kreuzsitzschenkelbeinmuskels bei 
starker Streckung des Hüftgelenkes hinter 
dem hakenförmig gekrümmten Trochanter ein¬ 
fällt und besonders bei weniger gut genährten 
Thieren dort hängen bleibt. In Folge dieses 
Vorganges kann dann die Gliedmasse nur in 
beschränktem Masse nach vorwärts bewegt 
werden. Diese Dislocation kann eine unvoll¬ 
ständige, von Zeit zu Zeit sich einstellende, 
odereine vollständige, immer andauernde 
sein. Im ersteren Falle entsteht eine Lahm¬ 
heit, bei welcher, wenn die Thiere bewegt 
werden, der dislocirte Muskel von Zeit zu 
Zeit (manchmal sogar bei jedem Schritte) 
von selbst heraustritt, um bald wieder hinter 
dem Trochanter unter Erzeugung eines 
knackenden Geräusches (battre du nerf) ein- 



DISLOCATION. 


377 


«uschnappen. Die Thiere bringen die nach 
hinten gestreckte Gliedmasse mühsam etwas 
vor, der Muskel springt endlich über den 
Trochanter und wird dann der Rest der Vor¬ 
wärtsbewegung rasch und leicht bewerkstelligt 
(Fig. 437). 



Fig. 437. Dislocation des aasseren Kreuzsitzbeinmuskels des 
Schenkels beim Binde. & Spanner der breiten Schenkelbindc, 
b laterale Portion des äusseren Kruppenmuskels, c me¬ 
diale Portion des ausseren Kruppenmuskels, d dislocirter 
Äusserer Kreuzsitzbeinmuskel des Schenkels, e hinterer 
Kreuzsitzbeinmuskel des Schenkels, f grosser Oesassback¬ 
beinmuskel, g Trochanterfortsatz des Oberschenkelbeines. 

Das Einspringen des Muskels hinter dem 
Trochanter geschieht bei der Streckung, das 
Heraustreten bei der Vorwärtsbewegung der 
Gliedmasse; in manchen Fällen wird hiebei 
ein knackendes Geräusch und eine eigen¬ 
tümliche zuckende Bewegung der Haut über 
dem Trochanter wahrgenommen. Sind diese 
pathognomischen Erscheinungen nicht deut¬ 
lich, so braucht man nur während des Vor- 
wärtsschreitens des Thieres die flache Hand 
auf das Hüftgelenk anzulegen, um das Ein- 
und Austreten des Muskelrandes deutlich 
wahrzunehmen. 

Ist die Dislocation eine vollständige, so 
bleibt die Gliedmasse andauernd gestreckt 
Und kann dieselbe nur mühsam nachgeschleppt 
werden. Besteht die Lage Veränderung schon 
lange, so bildet sich hinter dem Trochanter 
eine deutliche Rinne in der Haut (Fig. 438 b). 
In Folge der Dislocation ist die Muskulatur 
sowie das umliegende Bindegewebe aber häufig 
Sitz einer Entzündung, bei welcher durch 
sulzige Infiltration die erwähnte Rinne weniger 
deutlich hervortritt. 

Die unvollständige oder intermit- 
tirende Dislocation des äusseren Kreuz¬ 
sitzschenkelbeinmuskels kann Wochen, Monate, 
selbst Jahre lang andauern und ohne Be¬ 
handlung wieder für einige Zeit oder selbst 
für immer verschwinden, wie dies schon öfters 
beobachtet wurde. Bei Stallvieh können ge¬ 
ringere Grade der Dislocation keine wesent¬ 
lichen Nachtheile hervorrufen und soll die 


Behandlung darin bestehen, dass die Er¬ 
nährungsverhältnisse des Thieres besser ge¬ 
stellt werden; bei stärkeren Graden, bei Ein¬ 
tritt von Atrophie der Muskulatur, heftigeren 
Schmerzen und Erschwerung des Stehens, 
sowie beim Vorkommen dieses Leidens bei 
Arbeitsvieh ist die operative Behandlung in 
gleicher Weise wie bei der vollständigen 
Dislocation angezeigt. Obschon die Reposition 
des dislocirten Muskels keine allzu grosse 
Schwierigkeit bietet, wird sie jedoch nur 
selten von bleibendem Nutzen sein. Um sie 
auszuführen, was versuchsweise geschehen 
kann, streckt man die betreffende Gliedmasse 
nach rückwärts, bis das Oberschenkelbein 
mit dem vorderen Rande des äusseren Kreuz- 
sitzschenkelbeinmuskels völlig parallel steht 
dann sucht man die Gliedmasse in dieser 
gestreckten Stellung stark nach aussen zu 
ziehen, worauf dieselbe nach vorne bewegt 
wird. Es gleitet auf diese Weise der Tro¬ 
chanter unter den Muskelrand, und kann die 
zuletzt erwähnte Bewegung nach vorne erst 
dann ausgeführt werden, wenn dieses ge¬ 
schehen. Leider stellt sich die Dislocation 
in der Regel früher oder später wieder ein, 
so dass dennoch zur blutigen Operation ge¬ 
schritten werden muss, wenn der Zustand 
bleibend gehoben werden soll. Diese Operation 
bietet den grossen Vortheil einer leichten 
Ausführbarkeit und eines sofortigen Resul¬ 
tates; sie kann am stehenden (nach Castex) 
ebenso gut und sicher wie am liegenden 
Thiere ausgeführt werden. Der erforderliche 
kleine, nicht ganz 3 cm lange verticale Haut¬ 
schnitt wird am unteren Theile der gebildeten 
Rinne (Fig. 438 b) handbreit unterhalb des 



Fig. 438. Stellung der Gliedmasse bei der Dislocation des 
ausseren Kreuzsitzbeinmuskels des Schenkels beim Rinde, 
a Hüftgelenk, b Hautschnittstelle bei der Durchschnei¬ 
dung des dislocirten ausseren Kreuzsitzbeinmuskels des 
Schenkel*. 

Trochanters mit dem geballten Bistouri, 
welches ca. t cm tief eingestochen wird, er¬ 
zeugt. Dieser Einstich wird zwischen dem 
vorderen Rande des dislocirten Muskels und 





378 


DISPENSATORIUM. — DISPOSITION. 


der hinteren Oberschenkelbeinfläche gemacht, 
und begreift derselbe die Haut und die 
darunter liegende Schenkelaponeurose. Sehr 
zu empfehlen ist es, vor der Vornahme der 
Operation die Hüftgegend des Thieres rein¬ 
zuwaschen und zu desinficiren. Ist der Haut¬ 
schnitt erzeugt, so führt man den vorher in 
Carbolwasser eingetauchten Zeigefinger (bei 
Dislocation links den linken; bei Dislocation 
rechts den rechten) in die kaum blutende 
Einstichwunde zwischen den Muskel und der 
hinteren Fläche des Backbeines senkrecht 
unter bohrenden Bewegungen bis zur ersten 
Phalanx ein. Hierauf führt man zwischen 
Finger und dem sehnigen Muskeltheil eine 
schmales, langes, aber starkes, concaves Knopf¬ 
bistouri oderMyotom ca. 6—8 cm tief ein, dreht 
dasselbe gegen den Muskel und schneidet dessen 
sehnige Portion durch schaukelnde Bewe¬ 
gungen stufenweise ein. Um das Schneiden 
zu erleichtern, lässt man das Thier langsam 
vorwärtsschreiten oder (wenn es liegt) bringt 
dessen Gliedmasse nach vorne: dadurch 
werden namentlich die sehnigen Fasern des 
Muskels straff angespannt und nur so weit 
nöthig durchgeschnitten. Kann die Glied¬ 
masse in der normalen Ausdehnung bewegt 
werden, so ist die Operation beendigt und 
wird in die Wunde etwas Carbolspiritus oder 
Wasser gespritzt und auf dieselbe ein kleines 
lockeres Carbolwattebäuschchen aufgedrückt. 
Neben diesem Verfahren, welches von Cruzel, 
Bresque und Winkler mit geringeren 
Varianten schon früher ausgeführt wurde, 
sind noch folgende zu erwähnen: 

Dorfeuille operirte am liegenden Thiere 
und zog den vorderen Muskelrand mittelst 
eines Gemsenhornes an die erzeugte Haut¬ 
wunde heran und schnitt denselben quer durch. 

Bernard wandte die subcutane Me¬ 
thode an. 

Ringuet, Lafosse, SerresundHering 
führten die Operation bei nicht dislocirtem 
Muskel aus und wichen deshalb von dem 
zuerst beschriebenen Verfahren ab. Nach 
denselben wird die Haut ca. 6 cm unter und 
vor dem Trochanter durchgeschnitten und 
durch die erzeugte Wunde eine Hohlsonde 
unter den Muskelrand gestossen, worauf der¬ 
selbe mittelst eines Bistouris quergeschnitten 
wird. Indem hiebei die Auffindung des be¬ 
treffenden Muskelrandes nicht immer leicht 
ist und überhaupt bei nicht reponirtem 
Muskel, da derselbe hinter dem Backbeine 
eingekeilt, von der angegebenen Stelle nicht 
erreicht werden könnte, bietet dieses Ver¬ 
fahren nicht die erwünschte technische Sicher¬ 
heit wie das erstere. Eine Nachbehandlung 
ist sehr einfach und besteht lediglich in 
Reinhaltung der Wunde und in ruhigem Ver¬ 
halten des operirten Thieres. 

Literatur : Cast ex, Röcueil de Med. v6t. 1824. 

— Cruzel Journal pratique. l»2s.— Bresque, Journal 
pratique 1830. — Sorithon, Bauerl 1831. — Brogniez, 
Traite d** Chirurgie. — Bernard, Journal des vet. du 
midi 1837. — Carriere, Journal des vet. du midi 1848. 

— Serres, Journal des vet. du midi 1857. — Cruzel, 
Traite pratique des maladies de l'Espece bovine 1609. 

— Förster, Hering, Operationslehre. — Winkler, 

PützVche Zeitschrift 1673. ßerdez. 


Dispensatorium ist derjenige Raum in 
den Apotheken, in welchem die Recepte 
zubereitet und verabfolgt werden (s. Apo¬ 
theke). Vogel . 

Dispensirkunst, s. Arzneimittellehre. 

Dispepsie, s. u. Appetitlosigkeit. 

Disposition ist die Anlage zu Krank¬ 
heiten (von dis, auseinander, positio, die 
Lage, dispositio, Einrichtung, Anlage = 
Diathesis). Jeder Organismus trägt vermöge 
der Reizerapfänglichkeit seiner Organe für 
Ausseneinflüsse die Anlage zum Erkranken 
in sich. Von einer Disposition zu Krank¬ 
heiten spricht man aber nur dann, wenn ein¬ 
zelne Organe oder bestimmte organische 
Systeme ungewöhnlich stark auf Reize rea- 
giren und in Folge dessen abnorm functioniren 
und häufig erkranken. Die Ursache hievon 
ist in einem Defect des anatomischen Baues, 
also seiner histologischen Verhältnisse zu 
suchen, der eine verminderte Widerstands¬ 
fähigkeit gegen die einwirkenden Schädlich¬ 
keiten der Aussenwelt bedingt. Je häufiger 
und vielfältiger ein Organ mit der Aussen¬ 
welt in Berührung tritt, desto mehr entwickelt 
sich die Anlage zum Erkranken unter Con- 
currenz der Lebens- und Gebrauchsweise der 
Thiere, des Klimas und der Bodenverhältnisse. 
Eine derartig zu Stande gekommene Dispo¬ 
sition ist eine erworbene, eine Dispositio 
acquisita, im Gegensätze zu der angeborenen 
und ererbten. Die Eltern übertragen ihre 
Eigenschaften und Mängel in dem Aufbaue 
der Organe auf ihre Nachkommen; die von 
den Eltern auf die Jungen übertragene An¬ 
lage zu Krankheiten ist mithin eine ange¬ 
borene, eine Dispositio connata s. congenita, 
sie wird zur erblichen Anlage, Dispositio. 
hereditaria, wenn sie sich mehrere Generationen 
hindurch erhalten hat. Wir finden die Erb¬ 
anlage deshalb in bestimmten Rassen und 
Familien, die aus ihr hervorgegangenenKrank- 
heiten sind vererbbar, z. B. die Tuberculose, 
die Scrofulose etc. Jede Gattung der Thiere 
disponirt in hervorragender Weise zu be¬ 
stimmten Krankheiten, weil in ihnen gewisse 
organische Systeme zu einer höheren Ent¬ 
wicklung gelangt oder zarter constituirt sind 
als bei einer andern. So finden wir beim 
Pferde eine Gattungsanlage zur Druse, beim 
Rind zu gastrischen Krankheiten und Milz¬ 
brand, beim Schaf zu hydropischen und ka- 
chektischen Krankheiten, beim Hund zur Wuth 
und zu Exanthemen. Auch die verschiedenen 
Lebensalter bedingen besondere Anlagen, die 
man deshalb auch vorübergehende, Dispo- 
sitiones transitoriae, genannt hat. In der 
Jugend, während der Entwicklungsperiode, 
in welcher der Körper noch sozusagen sich 
im unfertigen Zustande befindet, ebenso im 
Alter, mit dessen Voranschreiten die Organe 
immer mehr abgenützt werden, ist die Anlage 
zum Erkranken eine viel grössere als bei 
ausgewachsenen Thieren. Die Tilgung der 
Anlage kann durch Abhärtung gegen äussere 
Schädlichkeiten, durch Aenderung der diäte¬ 
tischen Verhältnisse, durch Kreuzung der 
Rassen mit anderen, gesunden Thieren und 



DISSEMINATION. — DISTANZIRT. 


379 


durch Einimpfung des modificirten Conta- 
giums öfters erzielt werden. Anacker. 

Dissemination (v. dis-seminare, aussäen, 
ausstreuen) nennt man eine durch zellige 
Elemente verursachte Infection, wie es z. B. 
bei sog. „infectiösen“ Neubildungen der Fall 
ist, welche die zunächstgelegenen Lymph- 
drtisen und verschiedenen anderen Organe in 
den Neubildungsprocess mit hineinziehen. Kh. 

Dissepimentum (v. dissepire, abgrenzen), 
Scheidewand, daher auch für das Zwerchfell. Sf 

Dissimulation, Verbergen von Fehlem und 
Mängeln ira Thierhandel (s. Betrügereien). Sr. 

Dissociation bedeutet die Zersetzung einer 
chemischen Verbindung durch Wärme, doch 
nur in jenen Fällen, wenn hiebei Wärme ver¬ 
braucht wird, und wenn die Bestandteile der 
Verbindung nach Entziehen der Wärme sich 
wieder zur früheren Verbindung vereinigen. 
So wird z. B. Wasser durch eine Temperatur 
von 3000° C. in Wasserstoff und Sauerstoff 
zerlegt, beim Sinken der Temperatur vereini¬ 
gen sich die beiden Gase wieder zu Wasser; 
auch der Salmiak dissociirt bei hoher Tempe¬ 
ratur in Salzsäure und Ammoniak, welche sich 
beim Abkühlen wieder vereinigen. Die Disso¬ 
ciation ist demnach von jenen durch die Wärme 
hervorgerufenen Zersetzungen chemischer Ver¬ 
bindungen zu unterscheiden, bei denen Wärme 
nicht gebunden, sondern entwickelt wird. 
Wird chlorsaues Kali erhitzt, so bildet sich 
Chlorkalium und Sauerstoff, hiebei wird aber 
auch Wärme entwickelt, und lässt man er¬ 
kalten, nachdem man das Entfernen des Sauer¬ 
stoffes verhindert hat, so bildet sich chlor¬ 
saures Kali nicht wieder zurück. Da gewisse 
Verbindungen nur bei sehr hohen Tempera¬ 
turen sich zersetzen, so hat man die Dissocia¬ 
tion zur Construction von Pyrometern ver¬ 
wertet, d. h. von Apparaten, mit welchen man 
sehr hohe Temperaturen messen kann. LA. 

Distal. Der Ausdruck „distal u wird haupt¬ 
sächlich — im Gegensatz zu proximal — 
bei Beschreibungen von Theilen der Glied¬ 
massen, mitunter, obgleich seltener, von Thei¬ 
len des Rumpfes gebraucht, um zu bezeich¬ 
nen, dass eine bestimmte Stelle vom Rumpfe, 
bezw. von der Wirbelsäule oder dem Kopfe, 
am weitesten entfernt ist, z. B. distales Ende 
des Armbeines. Müller. 

Distanz (lat. distare, auseinanderstehen, 
entfernt sein) ist der bei jeder Art Rennen 
ebräuchliche Ausdruck oder Bezeichnung für 
ie von den Concurrirenden zurückzulegende 
Wegstrecke. Die Grösse der Distanz ist selbst¬ 
verständlich von Wichtigkeit, weil z. B. bei 
einem Rennen von kurzer Distanz zunächst 
nur die grösste überhaupt mögliche Schnellig¬ 
keit eines Pferdes unter sehr kurz dauernder 
Kraftanstrengung gefordert wird, während bei 
einem Rennen über eine weite Distanz neben 
angemessen grosser Schnelligkeit insbesondere 
auch ausdauernde Kraftentfaltung nothwendig 
ist, wozu selbstverständlich in erster Linie 
guter Athera vorhanden sein muss. 

Die Distanzen bei den Pferderennen 
variiren nur wenig in den verschiedenen 
Staaten, und weisen die diversen Rennen 


800—6400 m, d. i. %—4 englische Meilen aus. 
Für Rennen zweijähriger Pferde werden nur 
kurze, 800—1200 m betragende Distanzen an¬ 
gesetzt, wogegen die grösseren Distanzen per 
2400 m für dreijährige, 3200 m für vierjährige 
und endlich 4000—6400 m für ältere Pferde 
festgesetzt werden. \ % englische Meilen oder 
2400 m ist die Distanz für das Derby. 

Auch bei dem Trabrennen ist die Distanz 
verschieden und wechselt von 1600—3600 m. 
Die am häufigsten angesetzte Distanz beträgt 
2400 m, während die Minimaldistanz von 
1600 m bei den dreijährigen Pferden und dem 
grossen Heatfahren gebräuchlich ist; bei den 
grossen internationalen Fahren dagegen ist die 
Distanz 3600 m. Die gleichsam international 
möglichst einheitlichen Distanzen bei den 
Rennen haben einen ungemein grossen Vor¬ 
theil sowohl für das Training der Pferde 
selbst als auch für die exacte Beurtheilung 
und Vergleichung der Leistungen der Renn¬ 
pferde. Sehr verschieden sind die Distanzen 
bei denBicycle-Rennen, welche zwischen 1 und 
100 englischen Meilen wechseln. Im Rudersport 
sind gewöhnlich Distanzen von 1000—6000 m, 
im Mittel 2000—3000 m zurückzulegen. 

In England sind bei den Amateurregatten 
zumeist %—1% Meilen angesetzt und bei 
dem Rennen der Professionals 3—5 Meilen 
zurückzulegen. Der grösste und allseitig 
beliebteste Ruder-Renncurs in England ist 
der „Champions-Curs“ auf der Themse in 
London von beiläufig 8000 m Distanz. Die 
Verschiedenheit der Distanzen beim Wett¬ 
laufen und Gehen (athletische Rennen) ist 
sehr gross, und wird diese Art Rennen 
namentlich in Amerika mannigfach geübt, 
wobei die Distanz von 90 Yards (englischen 
Ellen) = 82 1 / 4 m aufwärts bis 440 Yards, 
ja sogar bis zu 600 Meilen = 548% km 
ausgedehnt wurde. Letztere enorme Distanz 
ist von amerikanischen Laufern schon wieder¬ 
holt innerhalb sechs Tage zurückgelegt 
worden. Bei vielen Sportzweigen, namentlich 
aber bei den Trabrennen, Bicycle-Rennen, 
beim Laufen, Rudern etc. werden mittelst 
Verschiedenheit der Distanz für einzelne Con- 
currenten die Handicaps bewerkstelligt. Distanz 
nennt man am Turf auch das letzte Stück 
der Rennbahn in einer Ausdehnung von 200 m 
vor dem Ziele, und steht in dieser Entfernung 
von der Richterloge ein Pfosten, „Distanz¬ 
pfosten“ genannt, welchen alle concurrirenden 
Pferde schon erreicht haben sollen, wenn der 
Sieger durch das Ziel geht (s. „distanzirt“). 
In der Turnkunst kommt die Distanz haupt¬ 
sächlich ira Weitsprung und im Wurfe in 
Betracht, und schliesslich hat die Distanz 
bei der Feuerwaffe als „Tragweite des respec- 
tiven Geschosses“ eine hochwichtige Be¬ 
deutung. Lechner. 

Distanzirt ist ein Pferd im Rennen, wenn 
dasselbe in dem Augenblicke, in welchem 
der Sieger durch das Ziel geht, noch nicht 
am Distanzpfosten, sohin 200 m vor dem 
Ziele angelangt ist. Aber auch durch das 
Urtheil des Schiedsgerichtes kann ein Pferd 
— gleichmütig auf welchem Platze es einkommt 



380 


DISTANZVORGABE. — DISTOMATOSIS HEPATICA. 


— distanzirt werden, wenn sich sein Reiter 
oder Fahrer während des Rennens eine Unge- 
bührlichkeit zu Schulden kommen liess, die 
gegen das Renn-Reglement verstösst, und 
ein Mitconcurrent in Folge dessen gegen 
denselben Protest eingelegt hat. Derartige 
Unregelmässigkeiten während des Rennens 
sind z. B. das Ausdrängen oder das Kreuzen 
eines Mitconcurrenten, das Umreiten oder 
Umfahren einer Flagge, Aufhaben unrichtigen 
Gewichtes, ferner wenn der Jockey mit dem 
Pferde die Richterloge nicht zurückpassirt 
oder an einem anderen Platze als vor der 
Wage absattelt u. s. w. Bei dem Trab fahren 
wird ein Pferd auch ohne Protest distanzirt, 
wenn es eine bestimmte Strecke weit, etwa 
50 m, ununterbrochen galopirt, oder wenn es 
im Galop durch das Ziel geht. Auch in den 
meisten der unter „Distanz“ schon genannten 
Sportzweige kann wegen Ungehörigkeiten 
während des Rennens die Distanzirung aus¬ 
gesprochen werden. Der distanzirte Concurrent 
wird so betrachtet, als wenn er als Letzter 
ein gekommen wäre, und hat daher unter gar 
keinen Umständen Anspruch auf einen Preis. Lr. 

Distanzvorgabe erhalten im Handicap bei 
Trabrennen, bei Bicycle-Rennen u. s. w., die 
schwächeren Concurrenten vor den stärkeren. 
Der Beste der Concurrenten wird beim Start¬ 
punkte aufgestellt, während die anderen je 
nach ihrem Können vom Handicapper in 

g rösseren oder kleineren Distanzen vor dem 
esten postirt werden, daher sie vor dem 
Besten im Momente des Starts einen jedem 
einzelnen bestimmt zugesprochenen Vorsprung 
besitzen. Die Frage, was richtiger ist, Distanz¬ 
vorgabe zu gewähren oder Distanzznlage auf¬ 
zulegen (s. d.), wurde schon vielseitig ventilirt, 
und ist in England und in Amerika nur die 
Distanzvorgabe, bei welcher nur der Beste die 
ganze Distanz zurückzulegen hat, während 
alle anderen vor ihm Vorgaben erhalten, üblich, 
welches System zumeist auch bei uns ge¬ 
bräuchlich ist. Ltchncr. 

Distanzzulage erhalten bei Trabrennen 
und anderen Sportzweigen die besseren Con¬ 
currenten im Handicap auferlegt. Hiebei wird 
der Schwächste bei dem Startpunkte (Start¬ 
pfosten), die anderen aber in entsprechenden 
Abständen hinter ihm aufgestellt, so dass die¬ 
selben ihrer grösseren Leistungsfähigkeit an¬ 
gemessene weitere Distanzen bis zum Ziele 
zurückzulegen haben. Lechner. 

Distel (Ackerdistel), Cirsium arvense, 
bildet im jugendlichen Zustande ein allen 
landwirtschaftlichen Haustieren gedeih¬ 
liches, gerne gefressenes Futtermittel. Sie 
enthält: 

— — im Mittel 13'8% Trockensubstanz 

1*5— 2*9 „ 2 2 „ stickstoflFhaltige Stoffe 

0 4- 1*2 .. .. 0*8 „ Rohfett 

6*1— 7*8 .. 7*0 „ stickstofffreie Extractstoflfe 

— — t , „ 1*4 „ Holzfaser 

— — „ „ 1*9 „ Asche 

Man rühmt ihr nach, dass sie blutreinigend 
wirke, und Werden daher in vielen norddeut¬ 
schen Wirtschaften die jungen Distclpflanzen 
im Frühjahre ausgestochen und sorgfältig ge¬ 
sammelt, um allen Thieren, besonders aber 


den Pferden und Schweinen, etwas davon zu 
geben. Im älteren, mit ausgebildeten Dornen 
besetzten Zustande sind sie als Futtermittel 
unbrauchbar. Pott. 

Distomatosis hepatica, die Leberegel¬ 
krankheit. Die Bezeichnung „Distomatosis“, 
abgeleitet von Distomum, das Doppelloch oder 
die Leberegel, wurde von Anacker (cfr. dessen 
spec. PathoL und Therapie 1879) in die 
Veterinär-Nomenclatur eingeführt. Die Krank¬ 
heit entsteht durch die Aufnahme der Leber- 
egel-Cercarien mit dem Wasser oder der 
Nahrung in den Körper der Thiere. In den 
meisten Fällen ist dies bei Schafen und Rin¬ 
dern der Fall, welche auf feuchten Plätzen 
weiden, so dass bei ihnen die Distomenkrank- 
heit eine grössere Ausbreitung gewinnt. Pferde, 
Ziegen und Schweine leiden seltener an ihr, 
selbstverständlich können sich alle Pflanzen¬ 
fresser mit Distomen inficiren. Die Leberegeln 
bedürfen zu ihrer Entwicklung feuchter Plätze 
und des Wassers. Zur geschlechtlichen Reife 
gelangen sie nur in der Leber der Warm¬ 
blüter, resp. der Hausthiere, aus der sie 
bereits im Herbst und Winter in die Gallen¬ 
blase und in den Dünndarm auswandern; im 
Darm sterben sie ab, nur die Eier gelangen 
zum Frühjahr und Sommer hin mit den Ex- 
crementen ins Freie. In Wassertümpeln 
schlüpft aus dem Ei ein gewimperter Embryo; 
als solcher wandert er den Ermittlungen von 
Thomas (cfr. Zeitschr. f. Thiermedicin, 10. Bd.) 
zufolge vermittelst seines Bohrorganes in 
eine Wasserschnecke, oder die Leberegeleier 
werden von ihr verschluckt, im Darme werden 
die Embryonen frei und bohren sich durch 
dessen Wandung in den Leib der Schnecke 
ein. Im Sommer wandelt sich der Embryo in 
ihr innerhalb 14 Tagen, im Winter in 3 bis 
4 Wochen in eine Sporocyste um, er bildet 
sich in ihr innerhalb eines Keim- oder Ammen¬ 
schlauches, sog. Redien, zur geschwänzten 
Cercarie aus, welche das Wohnthier abermals 
verlässt, um später auf Wasserpflanzen 
und feuchtem Grase die Kugelform anzu¬ 
nehmen, den Schwanz zu verlieren und sich 
einzukapseln. Als Wirthe des Distomum 
hepaticum und Distomum lanceolatum, der 
grossen und lanzettförmigen Leberegel, er¬ 
kannte Leuckart nicht die Nacktschnecken, 
sondern die schalen tragenden, kleinen Limnäen, 
u. zw. Limnaeus pereger, besonders aber Lim- 
naeus truncatulus. Limnaeus truncatulus be¬ 
herbergt öfter 50 Embryonen. Die kleinen 
weissen Kapseln gelangen mit den Pflanzen 
bei dem Be weiden feuchter, mit stagnirendem 
Wasser versehener Districte in den Magen 
der Hausthiere, demnächst beziehen die frei¬ 
ewordenen Cercarien vom Duodenum aus 
urch den Gallengang die Leber und setzen 
sich in den Gallengängen fest, sie dringen 
bis zur Peripherie der Leber vor und durch¬ 
bohren selbst deren serösen Ueberzug, so 
dass sie mit dem Kopfe aus kleinen spalt¬ 
förmigen Oeffnungen über die Leber hervor¬ 
ragen und schliesslich wohl auch in die 
Bauchhöhle Vordringen. Friedberger fand 
Distomen im serösen Transsudate der Bauch- 




DISTOMATOSIS HEPATICA. 


381 


höhle; sie durchbohren aber auch mitunter 
die Gefässhäute der Lebervenen und werden 
dann mit dem Blute anderen Organen zuge- 
führt. So fand man sie in den Zweigen der 
Lungenarterie. Hedby (the Veterin. 1881) fand 
an der Oberfläche der Lunge zweier Kühe 
eine Distoraenkapsel oder einen sog. Disto- 
menabscess mit einer sandigen, gelblichen, 
klebrigen Flüssigkeit und einem Distomum. 
Mdgnin (Annales de mdd. vdt. 1882) sah in 
der Lunge einer kachektischen Kuh tuberkel¬ 
ähnliche Tumoren mit dicken, unebenen, 
fibrösen Wandungen, die einen dunkelbraunen 
Eiter und Distomen enthielten. Rivolta be¬ 
obachtete das Gleiche in der Lunge eines 
Ochsen (il medico veter. 1868), auch fand er 
eine neue Distomenart in der Leber der 
Katzen und Hunde (Distoma felinum), die 
die Gallengänge nur oberflächlich reizt. In 
den Muskelfasern des Zwerchfells fanden die 
Thierärzte Lcunis, Dunker und Junge, ebenso 
Professor Leuckart bei Schweinen Distomen-, 
resp. Cercarienkapseln; für das Eindringen 
von den Blutgefässen aus sprach der Um¬ 
stand, dass das betreffende Muskel- und Fett¬ 
gewebe feine rothe Aderknötchen enthielt, die 
als leere Kapseln erkannt wurden. In allen 
diesen Fällen beherbergte auch die Leber 
Distomen; diese können zu verschiedenen 
Zeiten in ein und dasselbe Thier einwandern, 
wie dies die verschiedenen Entwicklungs¬ 
stufen der Distoraen in der Leber der Schafe 
beweisen. In den Gallengängen rufen die da¬ 
selbst in grosser Zahl hausenden Egel ka¬ 
tarrhalische Reizungen, in der Leber selbst 
hyperämische und entzündliche Zustände her¬ 
vor, beim Vordringen bis zu den Umflächen 
der Leber kommt es zu einer chronischen 
Perihepatitis und Peritonitis mit serös-fibri¬ 
nösen und hämorrhagischen Ergüssen in die 
Bauchhöhle. Mit der Zeit verdicken sich 
die Lebergallengänge durch bindegewebige 
Wucherung ganz erheblich, man sieht sie als 
dicke, sehnige, öfter knorpelartige Stränge 
die Leber durchziehen und die Schleimhaut 
derselben mit kalkigen Incrustationen, schol¬ 
ligen, steinharten, von Gallenpigmenten grün¬ 
lich gefärbten Massen und einem zähen, öfter 
blutigen und mit Galle vermischten Schleim 
bedeckt, das dazwischen liegende Leber¬ 
parenchym atrophirt, fest, graubraun, stellen¬ 
weise gelbroth, sofern der Infarct zerfallen 
ist. Kleine Hohlräume enthalten ein zu roth- 
braunem oder grauem Brei zerfallenes Leber¬ 
parenchym (Friedberger) mit unentwickelten 
Distomen. In den ersten Stadien erscheint 
die Leber in Folge von Hyperämie und 
seröser Infiltration aufgetrieben, ihre Ober¬ 
fläche zeigt öfter, ausser den feinen, vom 
entzündlichen Hofe und kleinen Blutaus- 
tretungen umgebenen Spalten, Unebenheiten 
und hautartige Auflagerungen von Faserstoff¬ 
exsudaten. Die Pfortaderverzweigungen ent¬ 
halten öfter Thromben, die Intima derselben 
ist dann entzündet. Alle diese Abnormitäten 
führen endlich zu Störungen in der Verdauung 
und Ernährung, zu Kachexie und Hydräraie, 
namentlich complicirt sich die Distomatose 


bei den Schafen gern mit Hydropsie, wenn 
sie ihre Nahrung auf gehaltlosen, feuchten, 
sumpfigen und morastigen Weiden suchen 
müssen, weshalb man früher das Leiden 
„Fäule“ nannte, ein Ausdruck, unter dem 
man eine durch das seröse Transsudat zu 
Stande gebrachte Anämie, Lockerung und 
Erweichung der organischen Gewebe verstand. 

Ausser Distomum hepaticum und lanceo- 
latum hat man in den Lebergallengängen der 
Katze Distomum Conus angetroffen. Verschie¬ 
dene andere Arten der Distomen hausen im 
Schlund, Darmcanal und in dem Eileiter des 
Geflügels. 

Die Distomen werden gewöhnlich im 
Spätsommer und Herbst von den Thieren 
acquirirt. Nach Thomas verträgt der inficirte 
Limnaeus truncatulus mitunter eine sechs¬ 
wöchentliche Eintrocknung, der nächste Regen 
lässt ihn sofort wieder auf leben; in ihm kön¬ 
nen die Redien noch Tochterredien bilden, 
ein einziges Leberegelei kann auf diese Weise 
über 1000 Cercarien hervorbringen. Diese 
leben nach ihrer Auswanderung aus der 
Schnecke noch eine Zeitlang frei im Wasser, 
kapseln sich aber bald auf den Pflanzen ein. 
Der Aufenthalt der Leberegeln in den Haus- 
thieren kann ein Jahr, nach Thomas sogar 
sechs Jahre betragen. 

Symptome. Die ersten Krankheitser¬ 
scheinungen machen sich einige Monate nach 
der Aufnahme der Distomen in grösserer 
Anzahl im Laufe des Winters und Frühjahrs 
beraerklich; sie bestehen hauptsächlich in 
Fieberparoxysraen, gastrischen Zuständen 
(Darmkatarrh), Nachlass in der Fresslust und 
Rumination, Trauern, Mattigkeit und Ab¬ 
magerung. Zuweilen erscheint die Leber¬ 
gegend etwas aufgetrieben, sie zeigt dann 
eine grössere Empfindlichkeit gegen Druck, 
auch nimmt die Conjunctiva öfter anfänglich 
eine gelbliche, ikterische Färbung an, mit der 
Zunahme der Hydrämie und Kachexie wird 
sie blass und aufgedunsen, es stellen sich 
wohl auch Oedeme im Kehlgang oder an den 
Extremitäten und mit ihnen die Zeichen der 
Bauchwassersucht ein, was besonders von 
Schafen gilt. Mitunter lassen sich unter dem 
Mikroskope Distoineneier in den diarrhöischen 
Fäces nachweisen, Sicherheit in der Diagnose 
vermag meistens nur das Abschlachten eines 
Patienten zu geben. Erst nach einer Krank¬ 
heitsdauer von mehreren Monaten gehen die 
Thiere marastisch ein, nur die weniger er¬ 
krankten und kräftigen, gut genährten Thiere 
genesen mit dem Eintritte einer constanten 
trockenen Sommerwitterung und bleiben noch 
lange Schwächlinge, was aus den in der 
Leber gesetzten pathologischen Veränderungen 
erklärlich wird, die sehr langsam, zum Theil 
gar nicht zum normalen Zustande zurück¬ 
kehren. 

Behandlung. Die Distomatose ist nur 
auf dem Wege der Naturheilkraft zu besei¬ 
tigen, wir besitzen keine Mittel, welche die 
Leberschmarotzer ohne Schaden für das Wohn- 
thier tödten könnten. Mit ihrer Auswanderung 
ist die Möglichkeit der Wiedergenesung ge- 



382 


DISTORSION. — DIURETICA. 


geben, die Therapie kann sich nur auf die 
möglichste Beseitigung der Folgezustände be¬ 
schränken. Die Verdauung und die Kräfte 
sind durch Verabreichung von bitteren und 
erregenden Mitteln (Eisenpräparate, Calmus, 
Enzian, China, Absynth, Ingwer, Pfeffer, Wall¬ 
nussblätter, Angelica, Alant) und von Körner¬ 
und Hülsenfrtichten, überhaupt von einer 
proteinreichen Nahrung zu heben. Gegen 
hydropische Complicationen sind Adstringen- 
tien und Diuretica in Gebrauch zu ziehen, 
wie Kali carbon., kleine Gaben von Salz, 
ol. Terebinth., bacc. Juniperi etc. Bruckm. 
(Wiener Vierteljahrsschr. 1865) empfiehlt das 
Benzin, Perroncito, eine Mischung von Salz 
(97% Th.), Kohlenpulver und Eisenoxyd 
(ä % Th.) und Enzianpulver (2 Th.). Gras- 
sirt die Krankheit stark in einer Heerde, so 
schützt man sich am besten durch frühzeitiges 
Abschlachten der kränkelnden Thiere Yor 
rösseren Verlusten. Bei der Unheilbarkeit 
es Leidens hat *die Prophylaxis eine um 
so grössere Bedeutung; man meide das Be- 
weiden feuchter Plätze gänzlich oder minde¬ 
stens von Ende Juni ab, in welcher Zeit er- 
fahrungsmässig die feuchten Weiden den 
Schafen am verderblichsten werden; erst an¬ 
haltende starke Nachtfröste tödten die 
Schnecken mit ihren Schmarotzern. Vortheil- 
haft ist es, die feuchten Weiden trockenzu¬ 
legen. Anacker. 

Distorsion. Verstauchung. Unter Distor¬ 
sion verstehen wir eine unvollkommene und 
vorübergehende Abweichung zweier Gelenks¬ 
enden von einander. Hiebei werden die Ge¬ 
lenksbänder und selbst die Kapsel entweder 
nur im hohen Grade gedehnt, oder wirklich 
eingerissen, ja in einzelnen Fällen wird an 
der Ansatzstelle der Bänder ein Stückchen 
des Knochens herausgerissen. Gewöhnlich 
findet in Folge dieser Verletzungen auch ein 
Blutaustritt, theils in die Gelenkshöhle, theils 
in das umliegende Gewebe statt Ver¬ 
stauchungen kommen an Chamiergelenken 
häufiger vor, im Gegensätze zu den Luxa¬ 
tionen, den Verrenkungen, welche wieder an 
freien Gelenken viel öfter beobachtet werden. 
Sie werden um so leichter zu Stande 
kommen können, je schlaffer die Bänder des 
Gelenkes sind, daher auch die häufigen Reci- 
diven, weil ja schon durch die erste Verstau¬ 
chung die Bänder zum mindesten überdehnt 
sind und daher ihre normale Elasticität und 
Festigkeit in der Regel nicht mehr besitzen. 
Die nächsten Ursachen der Distorsion liegen 
meist in Fehltritten, jähen Wendungen und 
Pariren etc. Disponirend können fehlerhafte 
Stellungen der Extremitäten, schlechtes Be¬ 
schneiden der Hufe, fehlerhafter Beschlag 
u. s. w. wirken; letzteres gilt namentlich in 
Rücksicht der so häufigen Verstauchung des 
Fesselgelenkes. 

Unmittelbar nach der Distorsion gehen 
die Thiere oft in hohem Grade lahm, doch 
gibt sich dies manchmal schon nach weni¬ 
gen Schritten, vorausgesetzt, dass keine be¬ 
sonders starken Läsionen stattgefunden haben. 
Nach einiger Zeit der Ruhe tritt die Lahm¬ 


heit jedoch oft wieder ziemlich heftig auf; 
dann findet man auch in den der Unter¬ 
suchung allseitig zugänglichen Gelenken die 
Folgen, nämlich eine das Gelenk umfassende, 
etwas wärmere und schmerzhafte Geschwulst, 
bedingt durch das ausgetretene Blut und 
manchmal, obwohl selten, durch eine seröse 
Gelenksentzündung, Schmerzhaftigkeit der Be¬ 
wegungen im Gelenke, sowohl der activen 
wie der passiven, welch letztere manchmal 
in Folge der Geschwulst im geringeren Grade, 
meist jedoch in ausgiebiger Weise und selbst 
in einer für das betreffende Gelenk abnormen 
Richtung möglich sind. Etwaige losgerissene 
Knochensttickchen könnten, weil dann manch¬ 
mal Crepitation wahrzunehmen ist, zur Diagnose 
Knochenbruch und somit zu einer wesentlich 
anderen, ungünstigeren Prognose führen. 

Leichtgradige Verstauchungen können 
insbesondere an Gelenken, welche der Be¬ 
handlung leicht zugänglich sind, unter einer 
zweckmässigen Obsorge vollständig heilen. Da 
jedoch die Grundbedingungen für eine exacte 
Heilung meist nicht eingehalten werden, blei¬ 
ben hier auch in der Regel gewisse Folge¬ 
zustände zurück, wie dies bei gröberen Ver¬ 
letzungen und oftmals sich wiederholenden 
Distorsion stets der Fall ist. So sehen wir in 
erster Linie eine grosse Lockerheit im Ge¬ 
lenke auftreten, manchmal dagegen wieder 
in Folge der Periarthritis Ausbildung einer 
sog. Schale und dadurch Ankylose des Ge¬ 
lenkes, weiters treten Gelenksentzündungen, 
Beinhautentzündungen, Knochenneubildungen 
etc. auf. Die Behandlung hat in erster Linie 
dafür Sorge zu tragen, dass die Läsionen des 
bändrigen Apparates zur Heilung gelangen, 
weiters dass Extravasate und das eventuell 
später in Folge einer Entzündung auftretende 
Exsudat fortgeschafft werden. Wir werden 
daher die grösste Ruhe des Gelenkes an¬ 
ordnen, dasselbe, wenn möglich, durch Binden 
oder Verbände so viel als thunlich immo- 
bilisiren und ausserdem durch Frottiren und 
insbesondere durch Massiren für eine raschere 
Aufsaugung Sorge tragen. Hiezu kann man 
gleichzeitig leicht reizende Mittel gebrauchen, 
sowie die feuchte Wärme mit den Bandagi- 
rungen verbinden. Gegen allenfallsige zurück- 
bleibende Verbildungen um das Gelenk herum 
ist die jeweilig entsprechende Behandlung 
einzuleiten. Bayer. 

Dittmarscher Schaf, s. Marschschaf. 

Dittweiler W. studirte Thierheilkunde in 
Karlsruhe und war nachher Professor dort- 
selbst; schrieb 1846 eine Botanik für Thier¬ 
ärzte, 1850 eine Anleitung zur thierärztlichen 
Krankenuntersuchung und Behandlung. Sr. 

Diuretica, harntreibende Mittel. Die Aus¬ 
scheidung durch die Nieren kann durch ge¬ 
wisse Arzneimittel gesteigert werden, u. zw. 
auf verschiedene Weise, denn cs erfahren da¬ 
bei nicht blos das Wasser und die darin ent¬ 
haltenen Salze des Harns eine stärkere Excre- 
tion, sondern auch jene Stoffe, welche als das 
Endproduct der regressiven Stoffmetamorphose 
zu betrachten sind: in welcher Art dies je¬ 
doch geschieht, bedarf zum Theil noch näherer 



DIVERGENZ. — DOBRÜCA-VIEHZUCHT. 


383 


Aufklärung. Man hat zweierlei diuretische 
Mittel, kühlende und scharfe Stoffe. Zu den 
ersteren gehören zunächst die Salze, und 

f laubt man, dass besonders in der grossen 
'iltrations^eschwindigkeit das Moment ge¬ 
legen sei, m dem die harntreibende Wirkung 
beruhe; hieher zählen die kohlensauren, 
salpetersauren, schwefelsauren und essigsauren 
Natrium- und Kaliumsalze, insbesondere die 
letzteren, bei denen auch die Wirkung auf 
das Herz und den Blutdruck in Betracht 
kommt, denn darüber kann jetzt keine Frage 
mehr sein, dass in jeder Drucksteigerung 
innerhalb der arteriellen Sphäre auch eine 
Vennehrung der Diurese gelegen ist; auch 
hat Voit für das Chlornatrium nachgewiesen, 
dass es nicht blos eine stärkere Saftströmung 
veranlasst, sondern auch zu seiner Ausschei¬ 
dung eine grössere Menge Wasser braucht. 
Anders verhält es sich mit den stärkeren er¬ 
hitzenden Diureticis, den ätherisch-öligen 
Stoffen, welche zwar ebenfalls stärkere Con- 
tractioncn des Herzmuskels auslösen können, 
aber offenbar auch einen directen Reiz in 
den Nieren erzeugen (Nephritica). Hieher ge¬ 
hören z. B. die Wachholderbeeren, Fichten¬ 
sprossen, Hopfen, Petersilie, Sabina, das Ter¬ 
pentinöl; ausserdem sind scharfe Diuretica: 
Digitalis, Meerzwiebel, Colchicum, Kanthari- 
den u. s. w. Der Hauptnutzen besteht zu¬ 
nächst darin, dass dem Blute viel Wasser 
entzogen, dadurch eine vermehrte Aufsaugung 
flüssiger Stoffe im ganzen Körper erzielt wird, 
wodurch seröse Exsudate, hydropische Er¬ 
güsse u. dgl. zum Verschwinden kommen 
können; vielleicht ist es auch möglich, dass 
die verminderte Harnausscheidung dadurch 
beseitigt wird, dass gerinnbare Substanzen, 
welche die Harncanälchen zu verstopfen ge¬ 
eignet sind, zur Lösung und Ausscheidung 
gelangen. Vogel. 

Divergenz (abgel.- V. dis, und vergere, 
ähnlich wie in divergium, die Flusscheide), 
die Abspaltung einer Stammform in zwei 
oder mehrere Abzweigungen. Dieselbe erfolgt 
1. durch Annahme verschiedener Lebensweise 
(biologische Divergenz); 2. unter gleichzeitiger 
Aufsuchung eines anderen Lebensortes oder 
Mediums (vom Land ins Wasser), einer 
anderen Nahrung etc. (Divergenz mit „geo¬ 
graphischer Sonderung“, biologische Migra¬ 
tion.) Die Divergenz führt zur „Spaltung 
einer Thierform in zwei oder mehrere biolo¬ 
gisch -vicaTiirende Formen“. Sussdorf. 

Divergenz der Charaktere nennt Dar¬ 
win das Auseinandergehen der Individuen und 
Gruppen in ihren anatomischen und morpho¬ 
logischen Eigenschaften. Aus der Geologie 
lernen wir, dass die Erde, namentlich die 
Erdoberfläche, worauf es hier hauptsächlich 
ankommt, in einer wenn auch sehr allmäligen, 
doch steten Wandlung begriffen ist, dass die 
jedesmalige Constitution der Erdoberfläche — 
als Resultate dieser Wandlung — nicht überall 
auf allen Punkten derselben eine gleiche, 
sondern nach den local wirkenden Ursachen 
auch eine local verschiedene sei. Je nach 
dieser local verschiedenen Abänderung werden 


auch die Lebensbedingungen verschiedene, 
welche sie dabei der auf ihr lebenden Thier¬ 
welt entgegen trägt, und hiedurch hervor¬ 
gerufen werden auch die Abänderungen, 
welche dadurch eben die Thierwelt erfährt, 
hier andere wie dort sein, die Thiere werden 
mit einem Worte in einer für ihren Verbrei¬ 
tungsbezirk passenden Weise allmälig mehr 
oder weniger verschieden abgeändert. Diese 
Abänderungen ihrer bis dahin besessenen 
Eigenschaften treten selbstverständlich zu¬ 
nächst bei einzelnen Individuen und nur erst 
nach Generationen dann deutlich erkennbar 
auf, wenn schon eine Häufung derselben 
stattgefunden hat. Diese Häufung wird durch 
die geschlechtliche Vermischung gleichmässig 
abgeänderter Thiere in ihrer Nachzucht be¬ 
wirkt. Je mehr geographisch — durch breite 
Ströme, durch schroffe Gebirge u. s. w. — 
getrennt schon vorher eine Thiergruppe ihren 
Verbreitungsbezirk begrenzt fand, desto rascher 
und vollkommener werden- sich diese nütz¬ 
lichen Abänderungen zur Geltung bringen. 
Diejenigen Individuen, welche am raschesten 
günstig abgeändert werden, werden die lebens¬ 
fähigeren sein, die nicht so begünstigten bei 
dem Kampfe ums Dasein und somit die mög¬ 
lichen Zwischenformen untergehen; sich zu¬ 
nächst local abgegrenzte Varietäten, oder 
wie es in der Züchtersprache heisst, Rassen 
bilden, diese dann eben durch die fort¬ 
schreitende Divergenz der Charaktere 
sich zunächst in angehende, dann distincte 
Arten umbilden, welche mit einander nur noch 
einzelne Merkmale gemeinsam haben, so 
dass man noch berechtigt ist, sie zu dem¬ 
selben „Geschlechte u zu rechnen. ßokm. 

Divertikel, sack- oder taschenförmige Aus¬ 
stülpungen der Wandungen oder einzelner 
Wandschichten an Canälen und Hohlorganen, 
kommen am häufigsten am Schlund, Magen, 
Darm und Harnblase vor und sind entweder 
angeboren oder erworben. Die Ursachen der 
nach der Geburt entstandenen Divertikel sind 
Verengerungen, Stenosen im Schlund oder 
Darm, vor welchen durch Stauungen der 
Futterstoffe Erweiterungen erfolgen, ferner 
Einlagerungen fremder Körper und Neubil¬ 
dungen (Steine im Darm und der Blase). Ber¬ 
stungen der Muscularis und passive Aus¬ 
stülpungen der Mucosa und Serosa durch ein¬ 
dringenden Inhalt (am Muskelmagen der Vögel 
häufig). Durch Zersetzung des in den Diver¬ 
tikeln eingelagerten Inhaltes kommt es zu 
Entzündungen in denselben mit Geschwür¬ 
bildungen und Perforationen, die zu Schlund¬ 
fisteln (am Halse), Peritoniten und Pleuriten 
führen. Die Schlunddivertikel am Halstheil 
können operativ beseitigt werden. Scmmer. 

Dobruöa-Viehzucht. Die Dobruca, früher 
zu Bulgarien gehörig, seit dem letzten russisch - 
türkischen Kriege mit dem Königreich Ru¬ 
mänien vereinigt, besitzt einen stark undulirten 
Boden, und es wechseln daselbst Buckel, 
Gräben, Rücken, Mulden fortwährend mit 
einander ab: aber trotzdem darf man jene 
Landschaft als Steppe in demselben Sinne 
bezeichnen wie die bessarabischen oder nord- 



384 


DOCKE. — DOLMEN. 


politischen Gebiete. Oft sieht man meilenweit 
keinen Baum, und Quellbrunnen gehören zu 
den grössten Seltenheiten. Kanitz meint, dass 
die Bewohner dieser trockenen Gebiete sicher 
sehr glücklich sein würden, wenn die reichen 
Wasserflächen wirklich existirten, mit welchen 
unsere Kartographen sie so freigiebig be¬ 
schenkten. Es ist nicht zu bezweifeln, dass 
dort einstmals viele Bäche hinab zum Ister 
und Meere, flössen; ihre leicht erkennbaren, 
tief eingeschnittenen Bette sollen aber heute 
nahezu vollständig trocken liegen. In manchen 
derselben netzt beim Durchreiten kein Wasser 
den Huf des Pferdes, ja es sind sogar'viele 
derselben seit Jahren in reichtragende, frucht¬ 
bare Felder umgewandelt, wo Getreide und 
Gemüse cultivirt wird. Ausser zahlreichen 
Dörfern, Weilern und Windmühlen unter¬ 
brechen nur magere Birken- und Eichen¬ 
bestände nebst einigen Tumali die reizlose 
Fläche. Dieser totale Wassermangel erschwert 
selbstverständlich sehr die Cultur des in 
besonders feuchten Jahren trefflichen Acker¬ 
bodens. In seinen Alluvial- und unterlagernden 
Kalkschichten versickert der niederfallende 
Regen ziemlich rasch, und alle Culturen müssen 
Früh und Abends künstlich begossen werden. 
Das Wasser wird mittelst von Pferden und 
Ochsen getriebenen Paternosterwerken aus 20 
bis 60 Koloß Tiefe emporgehoben. Wie viel 
ein Koloß misst, erklärte unserem grossen Rei¬ 
senden — F. Kanitz in Wien — ein Land¬ 
mann, indem er seine Arme so weit als möglich 
ausspannte und auf die Spitzen der Mittel¬ 
finger wies. Solche Quellbrunnen, deren müh¬ 
same Grabung stets das ganze Dorf unter¬ 
nimmt, stehen manchmal auf Weideplätzen, 
meistens muss aber alles Gross- und Klein¬ 
vieh Mittags und Abends in die Ortschaften 
zur Tränke getrieben werden. 

Der Viehzucht wird in der Dobrußa die 
grösste Sorgfalt zugewendet, denn schon zum 
Betriebe der Feldarbeiten braucht dort jedes 
Haus 6 Paar Ochsen. Rinder, Büffel und Pferde 
von schönem Schlage, namentlich aber 
grosse Schafheerden, bilden nebst zahllosen 
Bienenstöcken den Reichthum seines in wahrhaft 
patriarchalischen Verhältnissen lebenden Völker¬ 
gemenges. Die Wollproduction allein wird in 
jenem Gebiete an der unteren Donau auf 
4,000.000 englische Pfund geschätzt. Weitaus 
der grösste Theil dieser Wolle geht nach 
England, und nur ein kleiner Theil kommt zu 
uns nach Oesterreich und Deutschland. 

Die Dobrußa ist seit ältester Zeit das Land 
gewesen, welches die Nomadenvölker mit ihren 
Heerden periodisch aufgesucht haben; so lange 
sie dort für ihre Thiere hinreichend Futter 
fanden, haben sie es nicht verlassen. Vor der 
letzten Tataren- und Tscherkessenansiedlung, 
also vor etwa 25 Jahren, zogen noch sieben- 
bürgische Mokanen von den Karpathen durch 
Rumänien in die Dobruca, hauptsächlich um 
für ihre Schafe und Rinder während der 
Winterszeit gute Nahrung zu finden. 

Bis zum Jahre 1840 zahlten die Sieben¬ 
bürger für die Erlaubniss des Weiderechts an 
den Pascha von Tulca 4 Para per Kopf ihrer | 


Heerden und überdies noch jedes 50ßte Stück 
derselben. Der Verlust dieser Dobrußaweiden 
wurde im März 1865 von einem siebenbürgi- 
schen Abgeordneten im österreichischen Reichs- 
rathe lebhaft beklagt. Freytag. 

Docke, Benennung für ein Mutterschwein. 

Dodekadaktylon (v. 8u»o*xa, zwölf, und 
6 ddxtoXos, Finger) = Duodenum. Sussdorf. 

Doebel, s. Dickkopf. 

Doeveren W. van, Professor zu Groningen 
und Leyden, schrieb 1769 über die damals in 
Holland herrschende Rinderpest. Semmer. 

Doggen. Molossi. Unter diesem Sammel¬ 
namen begreift man im Allgemeinen grosse 
Hunde mit stark entwickeltem breitem Kopfe, 
mit abgestumpfter, hoher Schnauze, grossen, 
meist überhängenden Lefzen, zuweilen gespal¬ 
tener oder mit einer Längsfurche versehener 
Nase, halbhängenden Ohren, sehr kräftigem 
Körper, breiter Brust, muskulösen Extremi¬ 
täten und meist glatter, grober Behaarung. 
Durchschnittlich sind die Doggen entsprechend 
ihrer Stärke muthig, energisch, doch häufig 
bösartig. Zu der Gruppe der Doggen rechnet 
man die Formen der Bullenbeisser, Bulldoggen 
und ihre nächsten Verwandten, die spanischen 
und Cubadoggen, die englischen Doggen oder 
Mastiffs, Bordeauxdoggen u. a. Etwas ab¬ 
weichende Formen bilden die Thibetdoggen, 
die sich durch die längere Behaarung aus¬ 
zeichnen, und die Zwergform der Doggen, 
der Mops. Nach den Windhunden kommen, die 
als deutsche oder dänische Doggen und als 
dalmatinische Doggen bezeichneten Hunde, 
bei denen die eigentlichen Doggencharaktero 
mehr oder weniger verwischt sind. 

Dogge von Bordeaux. Diese Dogge 
steht der Bulldogge am nächsten, nur ist sie 
bedeutend grösser und hat den Unterkiefer 
nicht oder doch kaum merklich vorstehend. 
Die Behaarung ist glatt anliegend, etwas 
grob, die Farbe weiss oder weiss und schwarz 
oder röthlichgelb. Bis jetzt nur in Frankreich 
verbreitet Studer. 

Doguin, s. Mops. 

Dolerit (SoXep&s, trügerisch), ein krystal- 
linisch körniges Gestein, welches im Basalte 
von Hessen vorkommt; es besteht aus einem Ge¬ 
menge von Augit und glasigem Labrador mit 
schlackigem Magneteisen und zeigt im Aeus- 
seren grosse Aehnlichkeit mit dem Diorit, mit 
dem es leicht verwechselt werden kann, daher 
der Name. Loebisch . 

Dolmen. Man versteht unter diesem 
Namen eigentümliche, mitunter grossartige 
Steinbauten, welche der prähistorischen 
Zeit angehören und Begräbnisstätten dar¬ 
stellen, die durch ein Steindenkmal gekenn¬ 
zeichnet wurden. Sie bestehen aus einer oder 
mehreren, oft riesigen, roh behauenen Stein¬ 
platten, welche durch mitunter hohe Fels¬ 
blöcke in horizontaler Lage erhalten werden. 
Die Dolmen liegen entweder offen zu Tage 
oder sie sind von einem aufgeworfenen Erd¬ 
hügel (Tumulus) bedeckt. Derartige Stein- 
denkmale aus der prähistorischen Zeit 
wurden fast in ganz Europa sowie in Nord¬ 
afrika entdeckt. Bonstetten glaubt, dass es 



DOLOMIT. — DOLORES. 


385 


Begräbnisstätten eines- und desselben Volkes 
seien, welches, von der Malabarküste seinen 
Ursprung nehmend, den Kaukasus überschritt 
und sich von der Krim aus sowohl in Europa 
als auch in Nordafrika ausbreitete. Diesen 
Volkszug verfolgt er, an der Hand der 
Dolmenfunde, vom Baltischen Meere längs 
der Westküste Europas bis nach Algier. Die 
Dolmen schliessen in ihren Gräbern ausser 
den Knochenresten ihrer Erbauer, deren 
Werkzeuge und Waffen sowie zahlreiche 
Thierreste ein. Die Errichtung der Dolmen 
reicht in die Steinzeit, nur in wenigen wurden 
Metallreste, wie Gegenstände aus Gold und 
Bronze entdeckt. Unter den Thierresten finden 
sich nebst Knochen des Wildes auch jene 
unserer jetzigen Haussäugethiere, so des 
Pferdes, Rindes, Schafes, Hundes, und man 
glaubt aus dem Charakter dieser Funde so¬ 
wie aus der Anhäufung der Begräbnisstätten 
an den Meeresküsten und längs der grossen 
Wasserläufe schliessen zu können, dass die 
Erbauer der Dolmen ein Hirtenvolk waren, 
welches nebst der Jagd und dem Fischfang 
sich hauptsächlich von den Producten seiner 
Heerden ernährte und demnach in der Lebens¬ 
weise den nomadisirenden Scythen und 
Hebräern glich. 

Literatur: A. de Ponstetten, Essai snr les dolmens. 
Genöve, 1866. Koudclkm. 

Dolomit. Eine Felsart, welche zuerst von 
dem Mineralogen Dolomieu hervorgehoben 
wurde, der darunter weisse Gebirgsarten von 
feinem, sandartigem Korn, in denen Streifen 
grünen Talks verlaufen, verstand. Ira Allge¬ 
meinen bezeichnet man als Dolomite jene Ge¬ 
steinsart, welche aus Dolomitspath — d. h. aus 
Calcium- und Magnesiumcarbonat, in verschie¬ 
denen Verhältnissen gemengt — besteht. Die 
Dolomite sind wegen der leichteren Löslich¬ 
keit des Calciumcarbonates gegenüber dem 
Magnesiumcarbonat häufig von Höhlen durch¬ 
zogen, indem das erstere vom Wasser aus¬ 
gelaugt wird; aus gleichem Grunde bilden 
die Dolomitfelsen malerische Gebirgsformen, 
gleichsam Erosionspräparate. Berühmte Dolo¬ 
mite sind im Fassathal in Südtirol, ferner im 
Dolomitpass von Pancorbo in Spanien, der 
aus dem Ebro- in das Duerogebiet führt. LA. 

Dolores, Wehen, Geburtswehen. Der Uterus 
mit seinen Längs- und Kreismuskelfasem 
bildet bei unseren Haussäugethieren ein sehr 
stark contractiles Organ, und es bilden, dessen 
wurmförmige, periodische Contractionen die 
vorzüglichste Kraft, die Frucht auszutreiben. 
Da diese Contractionen für das Mutterthier 
immer schmerzhaft sind, so werden sie kurz¬ 
weg Wehen genannt. Die Geburtswehen be¬ 
ginnen mit einer Contraction der Muskulatur 
der breiten Beckenbänder, wodurch der Frucht- 
hälter etwas gehoben und zugleich etwas 
gegen das Becken gezogen wird. Es contra- 
hiren sich sodann, am Grunde des Uterus- 
hornes beginnend, zuerst die Längs- und so¬ 
dann die Kreismuskelfasern zum Zwecke, das 
Junge gegen den Gebärmutterhals hinzudrängen 
und dadurch dessen Eröffnung einzuleiten. In 
gewissen Fällen, wo die Austreibung des 
Koch. Eneyklopadio d. Thierheilkd. IT. Bd. 


Jungen sehr stark erschwert ist, kann eine 
gleichzeitige, allgemeine Zusammenziehung der 
gesammten Fruchthältermuskulatur stattfinden: 
allgemeiner Krampf. 

Die Wehen werden gemeiniglich in Er- 
öffnungs-, in austreibende oder Geburts¬ 
und in Nachgeburtswehen unterschieden. 
Die eigentlichen Geburtswehen zeichnen sich 
durch ihre Periodicität aus. Die anfänglichen 
oder Eröffnungswehen sind noch schwach, 
haben lange Pausen und führen unter allmä- 
liger Steigerung die Eröflhungswehen des 
Gebärmutterhalses herbei, erreichen als eigent¬ 
liche Geburts- oder austreibende, sich immer 
rascher wiederholende Wehen den höchsten 
Punkt und sind mit heftigem Mitdrängen ver¬ 
bunden. Während ihres Höhepunktes erreichen 
die Wehen eine bedeutende Kraft—nament¬ 
lich dann, wenn in Folge von mechanischen 
Missverhältnissen der Frucht dieselbe nicht 
geboren werden kann. — An die Austreibe- 
wehen schliessen sich fast immer peristaltische 
Contractionen der Scheide an. Bei starker 
Ausdehnung des Uterus, wie dies bei Wasser¬ 
kälbern, Eihautwassersucht und in der Regel 
auch bei Zwillingsgeburten (Kuh und Pferd) 
der Fall ist, sind die Wehen wesentlich 
schwächer als unter normalen Verhältnissen. 
Nach der Ausstossung der Frucht hören die 
Wehen für einige Zeit, die bei den verschie¬ 
denen Thieren verschieden lang ist, gänzlich 
auf. Nach Ablauf dieses Zeitraumes stellen 
sich zum Zwecke der Ausstossung der noch 
im Uterus befindlichen Fruchthüllen (Nach¬ 
geburt) aufs Neue mehr oder minder starke 
Wehen ein, die, sobald die Ausstossung statt¬ 
gefunden, wieder aufhören. Bios bei heftiger 
Reizung und entzündlichen Zuständen des 
Uterus, sowie bei stattgefundener Einstülpung 
des Endes des Uterushornes in dieses bestehen 
auch nach der Ausstossung der Nachgeburt 
noch während längerer Zeit, d. h. bis diese 
Zustände gehoben sind, schwache, im letzteren 
Falle selbst starke Nachwehen fort. 

Die Wehen verhalten sich bei den multi- 
paren Thieren im Wesentlichen wie bei den 
uniparen. Auch bei jenen beginnt die eigent¬ 
liche Geburtswehe am Gebärmutterhals, von 
wo aus sie als antiperistaltische Wehe über 
die hinterste Ampulle hinweg bis zu deren 
vorderer Grenze geht, worauf sich die ganze 
Ampulle zusammenzieht und in Folge der 
nun eintretenden peristaltischen Bewegung 
die hinterste Frucht gegen die Geburtswege 
hingedrängt wird. 

Neben den normalen Wehen constatirt 
man mitunter, namentlich bei Kühen, seltener 
bei Stuten, sog. falsche oder besser zu 
frühzeitige Wehen. Diese Wehen stellen 
sich t —8 Tage vor der Geburt ein, erlangen 
aber, wenn die Thiere ruhig gelassen werden, 
nur höchst selten einen höheren Grad. Bei 
Kühen beobachtet man selbst nach der voll¬ 
endeten halben Trächtigkeitsdauer leichtere, 
bald vorübergehende Wehen. 

Symptome. Die Thiere werden unruhig 
trippeln hin und her, bewegen lebhaft den 
Schweif, setzen öfters Mist und Harn ab, 

55 



386 


DOMBESPFERD. — DOMESTICATION. 


scharren mit den Füssen, sehen sich nach 
dem Bauche um, legen eich nieder, kurz be¬ 
nehmen sich, als litten sie an Kolik. Diese 
Erscheinungen gehen das eine Mai rasch vor¬ 
über, dauern das andere Mal länger, einige 
Stunden an und steigern sich selbst derart, 
dass man glauben sollte, das Thier könne 
irgend eines Hindernisses wegen nicht gebären. 
Eine genauere Untersuchung gibt jedoch über 
den vorliegenden Zustand bald sicheren Auf¬ 
schluss. Die in die Scheide eingeführte Hand 
findet den Muttermund geschlossen, derb, 
etwas in die Scheide vorstehend und mit 
dicklichem Schleim verklebt oder bedeckt. 
Das Euter ist noch schlaff die Milch fehlt 
noch. Die breiten Beckenbänder sind 
nach nicht eingesunken. Dieser Zustand wird 
häufig von 4 Unkundigen für Krampf der Gebär¬ 
mutter, ja*selbst als Verwachsung derselben 
gehalten. Die Ursachen der zu frühzeitigen 
Wehen sind noch nicht bekannt, immerhin muss 
Alles als Ursache angesehen werden, was eine 
krankhafte Reizung auf den Uterus ausübt 
und dadurch diesen zu Contractionen veran¬ 
lasst. 

Behandlung. Die Behandlung ist die 
rein zuwartende; man lasse das Thier mög¬ 
lichst ruhig, vermeide daher alles Zugreifen, 
sehe ebenso von allen Einspritzungen in die 
Scheide, sowie vom Einreiben des Mutter¬ 
mundes mit Fett oder sonst irgend einem 
Stoffe ab. Eine innerliche Behandlung ist 
überflüssig. Das Thier beruhigt sich bald 
wieder und nach Verlauf von t —4, längstens 
10 Tagen stellen sich die ersten Wehen ein. St. 

Dombea-Pferd. Man legt diesen Namen 
der Franche-Comtö-Rasse im Departement de 
PAin bei. Diese Gruppe hat ausser ihrem Namen 
wenig Eigentümliches aufzuweisen (s. Hoch¬ 
burgunder Pferd). Neumann. 

Dombe8-Rind. Dieser Name wird einer 
Varietät der Bressanerasse gegeben, welche in 
densumpfigen Landstrichen des Departements 
Ain, die den Namen Dombes führen, aufge¬ 
zogen wird. Ihre Körperbildung entspricht 
ihrer dürftigen Lebensweise. Der Körper ist 
klein, der Unterleib dick, die Brust eng, 
Hüften und Kruppe dünn, der Hals lang, 
schmal, der Kopf ebenfalls schmal und lang, das 
Haarkleid zumeist strohgelb. Die Tliiere dieser 
Rasse sind verhältnissmässig milchergiebig. 
Im Uebrigen hat sie durch mannigfache Kreu¬ 
zungen mit benachbarten Rassen, z. B. jenen 
von Charolais, der Schweiz und Franche- 
Comte, viel von ihrer Ursprünglichkeit einge- 
gebüsst. Neumann. 

Domeatioation nennt man die Ueber- 
führung wild lebender Thiere in den Haus¬ 
stand des Menschen. Verschiedene Autoren 
nennen domesticirte Thiere diejenigen, welche 
zwar in unsere Wirtschaften und Thiergärten 
Übergegangen sind, aber sich in denselben 
nicht oder nur ganz vereinzelt fortpflanzen, 
z. B. die Elephanten. Die Engländer verstehen 
unter domesticirten Thieren alle Haustiere, 
gleichgiltig, ob sie sich in der Gefangen¬ 
schaft fortpflanzen oder Neigung zur Begat¬ 
tung gar nicht zeigen. Bei verschiedenen 


domesticirten Thieren bemerkt man in der 
Gefangenschaft eine Beeinträchtigung ihrer 
sonstigen Fruchtarkeit, und diese haben als 
Haustiere in der Regel nur geringen Werth. 
K. Hartmann zählt als domesticirte Thiere 
— ausser Elephant, Tapir, Paca, Aguti — fol¬ 
gende auf: Ichneumon (Herpetes, Pharamis), 
Marder (Mettela subpalmata), Gepard (Cynae- 
lerus jubatus), Chinchillas (Eriomys), Igel 
(Masteta agilis), Pinselohrschwein (Potomo- 
choerus penicillatus), Steppenhund (Canis 
pictus), endlich die Moschusente (Anae mo- 
Bch a ta ). Freytag. 

Die Domestication ist eine sowohl für 
den Anthropologen als auch für den Thierarzt 
äusserst interessante, weil mit der Abstammung 
und Zähmung unserer Haustiere sich beschäfti¬ 
gende Frage. Schon früher beschäftigten sich 
mit ihrer Lösung Gelehrte und Laien und 
suchten zu ergründen, ivann und wo sich der 
Mensch mit diesen für seinen Unterhalt auf die 
Dauer unentbehrlichen Gefährten umgeben. 
Besonders in alten Zeiten bezeichnete man 
unsere Haustiere als werthvolle Geschenke 
der Götter, wie dies namentlich in der Mytho¬ 
logie der alten Griechen und Römer ausge¬ 
sprochen ist. Neuere Theologen und thcologi- 
sirende Naturforscher haben sie wenigstens 
als prädestinirte Ausstattung des Menschen¬ 
geschlechtes gedeutet. — Man ist allmälig 
zur Einsicht gekommen, dass nur einzig der 
Besitz der Haustiere den Menschen eine 
so hohe Stufenleiter der Cultur emporklimmen 
liess. Naturvölker, welche weit hinter un¬ 
serer Zeit zurückblieben, besitzen nur wenige 
oder fast gar keine Haustiere. Der Ursprung 
der Domestication unserer Haustiere ist 
ziemlich dunkel, und erst die urgeschicht- 
lichen Forschungen der Neuzeit haben er¬ 
geben, dass der Mensch schon auf der nieder¬ 
sten Stufe der Gesittung begann, Thiere 
einzufangen und zu zähmen; dieser Vorgang 
gehört demnach gänzlich der Prähistorie 
an. Entsprechende Untersuchungen haben 
erwiesen, dass zumindest unsere grossen 
Haussäugethiere keineswegs einzeln abgefan¬ 
gen und durch Aufzucht in den Ansiedlungen 
des vorgeschichtlichen Menschen zu Haus¬ 
tieren wurden. Es kann in den Uranfängen 
von einer Domestication im eigentlichen Sinne 
des Wortes keine Rede sein, da der Mensch 
damals, als er sich mit Nutzthieren zu ver¬ 
sehen begann, noch kein Haus nach unseren 
Begriffen besass. Als wandernder Jäger, wie 
wir ihn zur Diluvialzeit und noch später in 
Europa antreffen, nährte er sich ausser von 
vegetabilischer Kost, welche ihm die Natur 
in ihrem wilden Zustande bot, von der Beute 
seiner Waffe und seiner Jagdlist. Er jagte 
das Mammut, das wilde Pferd, Renn, den 
Ur.etc. Boten ihm die beherrschten Jagd- 
gründe nicht mehr genügendes Material, so 
zog er weiter und fristete auf diese Weise 
ein ziemlich kümmerliches Dasein. Mit der 
Zeit mochten aber seine Lebensbedingungen 
immer härter geworden sein, und er musste 
sich auf einen Vorrat in der Noth umsehen. 
Mit wachsamen Augen verfolgte er Heerden 



DOMINIK-HUHN. — 

der Pflanzenfresser und nahm vorsorglich 
Bedacht auf ihre Erhaltung bei der Stillung 
seiner wichtigsten Lebensbedürfnisse. Die 
wilden Thiere mussten sich nothgedrungen 
dieser Ueberwachung fügen, die dem Menschen 
sein erster Begleiter, der Hund, erleichterte. 
Halb und halb gewöhnten sie sich an ihre 
Freiheitsbeschränkung, und es entstanden die 
halbwilden Heerden von Pferden, Rennthieren 
und Rindern, aus denen der Mensch seine 
Opfer wählte. Reste dieser letzteren finden 
wir in Hülle und Fülle in den zahlreichen 
Höhlenstationen Europas, so in Frankreich, 
Belgien, Deutschland, England, Oesterreich, 
Russland etc. Wir finden hier den Faden 
eines Ueberganges vom Jagd- zum Hirtenvolk. 
Eret nach und nach wurde das Domestications- 
verhältniss ein engeres und bildeten sich 
unter dem Einflüsse der Züchtang unsere 
jetzigen Hausthiere aus der Classe der Pflan¬ 
zenfresser aus. Von ungeheurem Einflüsse 
musste die Stallfütterung sein. Obzwar von 
Vielen bestritten wird, dass die Zähmung in 
Europa geschah, da die meisten Gelehrten 
bezüglich unserer Hausthiere dieselbe nach 
Asien verlegen, so widersprechen dem nicht 
ohne Grund Andere, indem sie eine theilweise 
Domestication auch in Europa behaupten. 
Eingehende Forschungen müssen hierüber die 
nöthige Aufklärung verschaffen. Einzelne 
Hausthiere wurden von Fachgelehrten zu 
einem Specialstudium erwählt und in ihrer 
Entwicklung bis in die geologischen Perioden 
verfolgt. Dass wichtige und äusserst interes¬ 
sante Resultate erzielt wurden, liegt auf der 
Hand. Das Meiste in dieser Beziehung wissen wir 
vom Hund, und es. waren vorzüglich Jeitteles, 
Woldrich, Stader, Stobel u. A. m., welche die 
Lösung dieser „Hundefrage“ energisch in 
Angriff nahmen. Mit der Abstammung und 
Domestication des Rindes beschäftigten sich 
hauptsächlich Owen, Nilsson, Rütimeyer, 
Wilckens u. A. m., mit jener des Pferdes 
Sanson, Nehring, Woldrich etc. 

Literatur: Archiv ftlr Anthropologie, I. Band. 
Rütimeyer, Ueber Art und Basse des zahmen euro¬ 
päischen Rindes, III. Bd. Darwin, Animais and plante 
nnder Domestication. Referat von Rütimeyer, VIII. Bd. 
Naumann, Fauna der Pfahlbauten im Starnberger See, 

X. Bd. Frantzius, die Urheimat des europäischen 
Hausrindes, XII. Bd. Studer, Beiträge zur Kenntniss 
der Hunderassen in Pfahlbauten, XV. Bd. II tesehio del 
porco delle Mariere, Strobel etc. Ferner Rütiraeyer’s 
Untersuchungen der Thierreste aus den Pfahlbauten der 
Schweiz (Mittheilg. der antiquarischen Gesellschaft in 
Zürich, XIII.). Dr. Räuber, Urgeschichte des Menschen, 

1. Thl. Realien, Leipzig 1884, sub „Hausthiere“. Koudelka. 

Dominik-Huhn. Eine in Nordamerika 
gezüchtete Rasse, die nach Baldamus aus 
Kreuzungen von Kukuks-Dorkings oder schot¬ 
tischen Grauen mit Cochins hervorgegangen 
und mit der Zeit befestigt sein soU. Die 
Figur der Dominiks (Dominiques) ist ähnlich 
der hochaufgerichteten Figur des spanischen 
Huhnes, aber der Kopf der ersteren ist etwas 
kleiner und der Schnabel kürzer. Der Kamm 
hat die Form des Rosenkammes, wie bei den 
Dorkings und Hamburgern. Kehl- und Ohr¬ 
lappen sind roth, Schnabel und Füsse gelb, 
Augen roth oder gelb. Das Gefieder hat eine 
bläulichgraue Grundfarbe, und die Federn 


DONGOLA-PFERD. 387 

sind dunkelgrau gebändert. Nach Wriglit 
sind die Dominiks ausgezeichnete Leger, sehr 
dauerhaft und hart, von vortrefflichem 
Fleisch, schnellem Wachsthum, leichter und 
schneller Federung. Wilckens. 

Dongola-Pferd. Von den verschiedenen 
Pferdeschlägen und Rassen Nubiens haben seit 
ältester Zeit die Thiere von Alt-Dongola in be¬ 
sonders gutem Rufe gestanden, und noch heute 
zählt man dieselben zu den besten, kräftigsten 
und schnellsten Pferden des Orients. Mehrere 
Hippologen sprachen die Ansicht aus, dass die 
Dongola-Pferde ihren Ursprung der arabischen 
Rasse zu verdanken hätten und erst später durch 
Einmischung des andalusisch-spanischen Blutes 
etwas umgebildet worden wären. Zur Zeit der 
Kreuzzüge sollen nach jener nubischen Land¬ 
schaft sehr schöne, starke Hengste aus Spanien 
gekommen und diese mit dem dort schon vor¬ 
handenen guten Stutenmaterial gepaart wor¬ 
den sein. Die Nachzucht, welche aus dieser 
Kreuzung hervorging, sei schnell und kräftig, 
zum Kriegsdienste besonders tauglich gewesen, 
hätte in manchem Punkt sogar die Vollblut¬ 
araber übertroffen. Aus den Kriegsberichten 
neuerer Zeit geht hervor, dass die Engländer 
Behr gern Dongola-Pferde gekauft und ge¬ 
ritten haben, da sich dieselben im Dienste 
fast ausnahmslos ungemein rasch, gewandt 
und sicher zeigten. Im letzten Krieg der 
Engländer gegen die Zulus sollen die Don¬ 
gola-Pferde mehrfach die besten englischen 
Pferde an Schnelligkeit und Ausdauer über¬ 
troffen haben. Die fragliche Rasse besitzt in 
der Regel einen etwas langen, schmalen und 
trockenen Kopf, welcher in der Nasenlinie 
häufig stark gebogen erscheint, ähnlich 
wie bei den Pferden von Alt-Castilien, die 
meistens einen sog. Ramskopf gehabt haben 
sollen. Gewöhnlich besitzen die Dongola- 
Pferde ein schönes, grosses Auge und ziem¬ 
lich lange, sehr bewegliche Ohren. Ihr Hals 
ist lang, von mittlerer Stärke, gut aufgesetzt, 
und bildet oftmals einen sog. Schwanenhals. 
Der Widerrist ist hoch, breit und voll und 
geht in einen hübsch geformten Rücken gut 
über. Auch ihr Leib besitzt gute Formen. 
Die kräftigen Schultern dieser Rasse sind 
häufig etwas zu gerade, wodurch die langen 
Beine dann meistens etwas zu weit nach vorne 
gestellt erscheinen und ihre Brust leicht zu 
schmal wird. Die Kruppe ist breit, ziemlich lang, 
melonenartig geformt, etwas abgeschliffen, und 
der Schweif nicht immer hübsch angesetzt; 
dieser wird in der Regel nicht besonders gut 
getragen. Viele dieser Pferde erscheinen etwas 
hochbeinig und lang gefesselt. Zarte Haut 
und feine, seidenglänzende Behaarung soll 
bei der fraglichen Rasse ganz allgemein zu 
finden sein. Mähnen- und Schweifhaare wer¬ 
den sehr lang. Die Farbe der Thiere soll in 
der Regel ein schönes Kohlschwarz sein, nur 
der Vorderkopf und die Beine wären häufig 
weisshaarig. Ihre Grösse ist befriedigend; die 
ausgewachsenen Hengste werden nicht selten 
1*65—l*70m hoch: die Stuten bleiben aber 
meistens viel kleiner. Der Nubier reitet mit 
Vorliebe Hengste, und es soll dort das Ver- 

25* 


Digitized by v^ooQie 



33* DONISCHE KOSAKEN-HAUSTHIERE. 


schneiden derselben nnr höchst se t te ir tw- 
kommen. Fütterung, Haltung und Pflege der 
Pferde in der Umgegend von Dongola wird 
von den Reisenden gelobt; man reicht den 
Fohlen sehr häufig Kameel- oder Kuhmilch, 
um sie zu einer raschen Körperentwicklung 
zu bringen. Das Körnerfutter besteht aus 
Durra (einer Mohnhirse), ferner aus Gerste und 
Stroh, Heu bekommen die Pferde nur ausnahms¬ 
weise. Das Stroh wird den Thieren im klein¬ 
gehackten Zustande vorgelegt. Man rühmt 
ihre Genügsamkeit und behauptet, dass sie 
längere Zeit den Durst ohne Nachtheil zu 
ertragen vermöchten. Bisher sind nur ganz 
vereinzelt Pferde dieser Rasse nach Europa 
gekommen, und erst in der allerneuesten Zeit 
sollen einige gute Dongola-Pferde in England 
erschienen sein, die von den englischen Offi- 
cieren aus Nubien mitgebracht worden sind. 
Ham. Smith hat früher eine Beschreibung 
dieser Rasse geliefert, nach welcher der 
Werth derselben sehr hoch geschätzt werden 
muss. Freytag. 

Donisohe Kosaken-Hausthiere. Die Pro¬ 
vinz des donischen Heeres, auch wohl das 
Land der donischen Kosaken genannt, um¬ 
fasst 2913 Quadratmeilen mit 1,010.135 Ein¬ 
wohnern , d. h. einschliesslich der daselbst 
nomadisirenden ppr. 21.000 Kalmücken. Das 
fragl. Land wird von der unteren Hälfte des 
Don und Donez, aber auch von der Medwediza, 
dem Choper, Tschir, der Kalitwa und dem 
Sal durchflossen. Ein gutes Drittheil der 
ganzen Provinz besteht aus fruchtbarem Nie¬ 
derungsboden, welcher besonders in den Fluss- 
thälern sehr reiche Getreide- und Futterernten 
liefert. Drei Fünftel des Landes bestehen aus 
Wiesengründen, welche vorzügliche Gras- 
und Heuernten liefern. 2 # / 4 % der Provinz wer¬ 
den als permanente Weiden für die Pferde, 
Rinder, Schafe und Schweine benützt; 2'2% 
sind Wald und an den meisten Orten recht gut 
bestanden. Etwa ein Zehntel des Kosakenge¬ 
bietes wird von den Eingebornen jener Ge- 
end als Urland bezeichnet. Die Russen nennen 
as Klima dieser Provinz — trotz der meist 
sehr strengen, langen Winterzeit und der 
dort häufig vorkommenden Stürme — ein 
mildes und angenehmes; sie behaupten, 
dass der vom Czaren Peter dem Grossen am 
Donez eingeführte Weinbau von grösstem 
Werth für das Land geworden sei und 
im Durchschnitte der letzten zehn Jahre 
14.600 Eimer Wein von guter Qualität per 
anno geliefert habe. In den strengsten Win¬ 
tern ist der Don vom November bis Mitte 
März mit Eis bedeckt; doch rechnet man im 
Allgemeinen auf die Dauer des dortigen Win¬ 
ters nur drei bis dreieinhalb Monate. Die mei¬ 
sten Bewohner des Kosakengebietes betreiben 
die Züchtung ihrer Hausthiere mit Geschick 
und ziemlich grosser Sorgfalt; sie zeigen eine 
ganz besondere Vorliebe für das Pferd und 
Rind, und beide Gattungen werden von ihnen 
in grosser Zahl gehalten. Die Viehzucht bildet 
für das ganze Land die Haupteinnahmequelle, 
und die Erträge aus dem Ackerland werden 
nur an einigen Orten besonders hochgeschätzt. 


Ihl Gebiete des Don ist unstreitig die Vieh¬ 
zucht der wic h ti gs te Theil des landwirt¬ 
schaftlichen Betriebes, wohingegew die Be¬ 
zirke von Choper und Ust-Medwediza als dfe 
eigentlichen Ackerbauregionen der Provinz be¬ 
zeichnet werden. Hier trifft man an manchen 
Orten auch recht gut betriebenen Obst- und 
Gartenbau. Nach Th. v. Lengefeldt’s Angaben 
sind die südlichen Gouvernements des rus¬ 
sischen Kaiserreichs die viehreichsten, und es 
steht unter denselben das Land der Kosaken 
obenan; man rechnet daselbst auf 1000 Ein¬ 
wohner 1118 Haupt Rindvieh; dazu kommt 
noch eine doppelt so grosse Zahl von Schafen 
der verschiedensten Rassen und eine nicht ge¬ 
ringe Anzahl von Ziegen. Die Züchtung und 
Haltung von Schweinen scheint dort im Ver¬ 
gleich zur Rindvieh- und Schafzucht weder 
bedeutend noch besonders einträglich zu sein. 

Das Kosakenpferd, welches nicht allein 
von den dort heimischen gemeinen Kosaken 
(Bauern), sondern auch von den im Lande 
nomadisirenden Kalmücken gezüchtet wird, 
gehört einer ziemlich primitiven Rasse an, 
welche daselbst seit ältester Zeit heimisch 
sein soll und nur vereinzelt — bei verschiede¬ 
nen Grossgrundbesitzern — eine Veredlung 
erfahren hat. Diese Pferde sind von kleiner, 
nicht besonders schöner Gestalt; sie besitzen 
einen mittellangen, ziemlich breiten und 
schweren Kopf, welcher an den leidlich feinen, 
mittellangen Hals nicht gerade schön ange¬ 
setzt ist. Die Mähne auf dem Kamme des 
Halses ist dick und ziemlich lang, wird aber 
in der Regel von den Leuten nicht sehr 
sauber gehalten. Der Widerrist der Thiere ist 
hoch, stark nach hinten geneigt und der 
Rücken gerade. Besonders kräftig sind ihre 
Lenden entwickelt, wodurch die Thiere zum 
Tragen grosser Gewichte befähigt werden. 
In Folge des vortheilhaften Rückenbaues 
können die Kosakenpferde verhältnissmässig 
grosse Lasten auf langen Reisen sicher fort¬ 
bringen und ermüden nicht so leicht wie 
manche andere Pferde des Orients. Die 
massig abschüssige Kruppe jener Thiere ist 
breit und ihr starker Schweif nicht zu tief 
angesetzt. Die unteren Gliedmassen sind vorne 
und hinten kräftig gebaut, von fester Kno¬ 
chensubstanz und mit starken Muskeln und 
derben Sehnen auf das beste ausgestattet; 
auch ihre Hufe sind von fester Hornsubstanz, 
aber häufig etwas breit und nicht immer 
schön geformt. Wenn das Kosakenpferd auf 
den uns vorgeführten Bildern oftmals einen 
traurigen, abgeschlagenen Eindruck macht, so 
erklärt sich dieses gewöhnlich durch den Um¬ 
stand, dass der Künstler — mit oder ohne 
Absicht — schlechte, elende Typen dieser 
Rasse als Modell gewählt hat. Die besseren 
Individuen dieses Schlages müssen von allen 
sachverständigen Hippologen richtig gewürdigt 
und ihre erstaunlichen Leistungen voll aner¬ 
kannt werden. Sobald das junge Kosakenross 
rechtzeitig von geschickter Hand an den 
Zügel gewöhnt und gut zugeritten wird, lässt 
es sich später ziemlich leicht regieren und 
zeigt bis in das hohe Alter im Dienste die 


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DONISCHE KOSAKEN-HAUSTHIERE. 


389 


grösste Ausdauer. Dabei begnügen sich diese 
Pferde mit dem bescheidensten Futter und 
können selbst bei knapper Ernährung noch 
verhältnissmässig viel leisten. 

Zum Ziehen schwerer Lasten werden die 
Kosakenpferde nur ausnahmsweise benützt; 
sie leisten bekanntlich im Zuge nicht recht 
Befriedigendes; ihre Brust ist zu schmal und 
die Schultern sind nicht kräftig genug ent¬ 
wickelt. Nur die grösseren und stärkeren 
Pferde der fraglichen Rasse, welche mehr als 
l*5m hoch sind und jetzt in einigen Di- 
stricten am Don gezüchtet werden, sollen 
sich als Spannpferde für den schweren Zug 
leidlich gut eignen. Die Gangarten der 
Kosakenpferde sind im Allgemeinen rasch, 
sie zeigen eine grosse Gewandtheit der Thiere, 
und es würden die kühnen Reiter ohne diese 
lobenswerthen Eigenschaften ihrer Pferde 
sicher nicht das zu leisten vermögen, was 
man so oft schon bei ihnen bewundert hat. 
Sie springen und klettern vorzüglich gut und 
stehen in diesem Punkte den Gebirgspferden 
des Kaukasus kaum nach. Wenngleich die 
Kosakenpferde im Rennlauf nicht ganz so 
rasch wie die englischen Vollblutpferde sind, 
so leisten sie doch immerhin wohl Beach- 
tenswerthes bezüglich der Ausdauer; so z. B. 
durchläuft ein Pferd guten Schlages eine 
Wegstrecke von 6 Werst (etwa so viel 
wie 6 km) in 9 Minuten, d. h. voraus¬ 
gesetzt, dass der Reiter ein Gewicht von 
nur ppr. 4 Puds (gleich 65—66 kg) in den 
Sattel bringt. Bei grösserem Gewicht lassen 
ihre Leistungen im Rennlauf etwas nach. Die 
Kosakenpferde sind dauerhaft; es wird be¬ 
hauptet, dass sie bis zum zwanzigsten Lebens¬ 
jahre ihren oft sehr schweren Dienst im 
Regimente gut verrichten können und bei 
nur einigermasBen guter Fütterung und ordent¬ 
licher Pflege ein hohes Alter erreichen. Be¬ 
züglich der Haarfarbe dieser Thiere wird 
angegeben, dass die hellgefärbten Pferde be¬ 
vorzugt würden, dass aber alle Farben des 
Deckhaares bei ihnen vorkämen. Die Rappen 
sollen nicht recht beliebt sein. Im Winter 
wird das Haar aller Kosakenpferde ziemlich 
lang, und es erscheint bei weniger guter 
Haltung und in schlechten, kalten Ställen 
oftmals zottig und rauh. Die Sinne dieser 
Thiere sind in der Regel gut entwickelt; sie 
wittern ihre Feinde — die Wölfe und Bären 
— schon aus grösserer Entfernung und wissen 
sich gegen die kleineren dieser Raubthiere 
meist recht gut zu vertheidigen. Nur die 
schwachen, kranken Individuen sowie die 
Fohlen werden eine Beute derselben. In der 
neueren Zeit sind in verschiedenen Stanizen 
(Kosakendörfern) mehrere grosse Gestüte 
eingerichtet, in welchen sehr edle Pferde 
gezogen werden. Man verwendet daselbst 
englische, orientalische und Traberhengste 
der Orlow’schen Rasse als Beschäler und 
hat auf diese Weise eine vorzügliche Nach¬ 
zucht erhalten. 

Die Grafen von Plotow und der General 
Martinow sollen für die Veredlung des alten, 
gemeinen Kosakenpferdes bedeutende Opfer 


gebracht und mit grossem Geschick in ihren 
Gestüten gearbeitet haben. 

Rinder. Die nomadisirenden Kalmücken 
und zum Theil auch die Kosaken am unteren 
Don züchten eine Rindviehrasse, welche unter 
dem Namen „Kalmückische“ oder „Ordüns- 
kische“ verschiedene lobenswerthe Eigen¬ 
schaften besitzen soll und von ihren heimat¬ 
lichen Steppen aus ziemlich weit nach Westen 
und Norden vorgedrungen ist. Die Rindvieh¬ 
züchtung wird am umfangreichsten in der 
Gegend von Zarizyn betrieben; dort sollen 
mehr als 100.000 Rinder auf den Weiden 
gehalten werden. Das Kosakenrind bildet 
gewissermassen ein Mittelglied zwischen der 
ukrainischen Steppenrasse und dem gemeinen 
altrussischen Landvieh. In der Haarfärbung 
steht es dem podolischen Steppenrinde näher 
als jenem letzteren. Die Thiere sind meistens 
dunkelgrau oder graubraun gefärbt; nur hin 
und wieder besitzen sie weisse Abzeichen 
am Kopfe und an den unteren Gliedmassen. 
Obgleich das Kosakenrind von kleiner, zier¬ 
licher Gestalt ist, so widersteht es doch der 
Ungunst des Wetters ganz vorzüglich. Die 
Thiere sind in der Regel muskulös und derb- 
häutig; im Sommer halten sie die grösste 
Hitze und im Winter arge Kälte gut aus. 
An vielen Orten bleiben sie das ganze Jahr 
auf der Weide und müssen sich oftmals ihr 
Futter unter dem Schnee hervorkratzen. Die 
kleinen, meist etwas dickköpfigen Kühe mit 
einem mittellangen, ziemlich starken Gehörn 
sind als Milchvieh nicht besonders zu loben; 
sie liefern kaum 6001 Milch im Jahre; doch 
soll diese ungemein fett und von sehr guter 
Qualität sein. Man fertigt in jener Land¬ 
schaft die eigentümliche Schmalzbutter, der 
man gewöhnlich auch etwas Hammeltalg zu¬ 
setzt. Ein Theil dieses donischen Meierei- 
productes kommt in den Grosshandel, geht 
ins Ausland, bis nach der Türkei und 
Griechenland. Die Ochsen jener Rasse sind 
für schwere Arbeitsleistungen ganz besonders 
tauglich; sie ziehen vor den plumpen Last¬ 
wägen grosse Lasten willig fort und zeigen 
stets eine lobenswerthe Ausdauer und Genüg¬ 
samkeit. 

Bezüglich der Mastfähigkeit wird ange¬ 
führt, dass diese beim Kosakenvieh nicht 
besonders gross sei; dessenungeachtet aber 
kommen viele halbfette Ochsen von dort in 
den Handel, auf die Märkte von Moskau und 
St. Petersburg. Ihre Fleischqualität soll nicht 
schlecht sein. 

Schafe. Bei der letzten Viehzählung 
besass die Provinz des donischen Heeres 
neben vielen grobwolligen Landschafen etwa 
1,700.000 Merinos; die ersteren sind überall 
auf den Weiden zu finden, wohingegen die 
letztgenannte Rasse hauptsächlich in dem 
indu8triösen Bezirke von Mins gehalten wird. 
Ihre Züchtung betreiben fast ausschliesslich 
die dortigen Grossgrundbesitzer, u. zw. mit 
genügender Sorgfalt. Unter den gemeinen 
Landschafen der Kosaken und Kalmücken 
finden sich sowohl Fettsteiss-wie Fettschwanz¬ 
schafe; beide sind von stattlicher Grösse und 



390 


DONNERSBERGER VIEH. — DORKING-HÜHN. 


kommen nicht selten zu einem Gewicht von 
80 kg. Alljährlich werden von dort viele 
Schaf- und Lammfelle auf den Markt ge¬ 
bracht; manche derselben kommen auch zu 
uns nach Oesterreich und Deutschland auf die 
Leipziger Messe, u. zw. unter dem Namen 
„Breitschwänze“; sie liefern hier das sog. 
Astrachanpelzwerk, welches stets gut bezahlt 
wird. Freytag. 

Donnersberger Vieh. Ein im Alsenz- 
thale der bayrischen Rheinpfalz einheimischer 
Viehschlag, der aber über den ganzen Pfälzer 
Weststrich bis östlich an das Hardtgebirge 
verbreitet ist. Das Donnersberger Vieh ist 
nahe verwandt mit dem Glaner und wie 
dieses durch Kreuzung einer vielleicht alten 
Landrasse mit Berner Rindern entstanden, 
denen es in besseren Zuchten in der Körper¬ 
form ähnlich ist. Die Haarfarbe ist einfärbig 
gelb bis gelbroth. Die als Milcherinnen nur 
mittelmässigen Kühe haben ein durchschnitt¬ 
liches Lebendgewicht von etwa 400 kg, die 
zum Zugdienst ausgezeichneten Ochsen ein 
solches von etwa 600 kg; die Mastfähigkeit 
dieses Schlages ist gering. Wilckens. 

Donnersteine, wohl zu unterscheiden von 
„Donnerkeile“ (Belemniten), sind eigentüm¬ 
liche Reste aus prähistorischer Zeit, welche 
sich bei fast allen Völkern Europas und 
Asiens bis auf den heutigen Tag erhielten. 
Man versteht darunter meist Aexte, Hämmer, 
Keile etc., entweder durchbohrt oder nicht 
durchbohrt, welche, aus Stein verfertigt (aus 
harten krystallinischen Urgesteinen, wie 
Granit, Syenit, Diorit, Amphibolit, Serpentin, 
Nephrit, Jadeit etc.), geschliffen und polirt, 
zu prähistorischen Zeiten (der sog. neolithi- 
schen Periode, oder dem Zeitalter geschlif¬ 
fener Steinwerkzeuge) von dem Menschen 
als Waffe oder Werkzeug verwendet wurden. 
Ihr wahrer Ursprung ist den jetzigen Völkern 
längst schon unbekannt, und so wie alle ihnen 
einen mit dem „Donner“ zusammenhängenden 
Namen geben, ebenso knüpfen sie an die¬ 
selben die Vorstellung ihrer Bildung durch 
Blitz und Donner. Auch dieselben abergläu¬ 
bischen und magischen Kräfte werden sowohl 
vom Deutschen den „Donnersteinen“, als 
auch vom Franzosen den „pierres de ton- 
nerre“, von dem Italiener den „Fulmini“, 
von den Südslaven ihren „strele“, von den 
Czechen ihrem „hromov^ kämen“, von den 
heutigen Griechen ihrer „aotpoTreXe^a“, von 
dem Birmanen seinem „Mo-gio“ etc. etc. 
beigelegt, und es bildet der Donnerstein kein 
geringes Vorbeuge- und Heilmittel bei ver¬ 
schiedenen Krankheiten der Menschen und 
Hausthiere. Der Kranke wird entweder an 
dem afficirten Theile mit dem Steine berührt 
oder bekommt etwas von dem abgeschabten 
Pulver desselben innerlich. Bei den Deutschen 
und Slaven verwendet das Volk die Donner¬ 
steine in Bezug auf Thierkrankheiten haupt¬ 
sächlich zur Entfernung verschiedener Ge¬ 
schwülste, namentlich von Warzen bei Pferden, 
zur Erzielung guter und reichlicher Milch 
beim Rinde, gegen die mannigfachen Milch¬ 
fehler desselben, wie Versiegen der Milch, 


leicht gerinnende Milch, blaue oder mit 
Blut gemischte Milch etc. 

Literatur: Globus XIX. Bd.; W. Baer, der vor- 
eschichtliche Mensch von Fr. v. Hellwald, 1880; äusser¬ 
em siehe: Rieh. Andrde: Die prähistorischen Stein- 
gerftthe im Volksglauben (Mittheilungen der anthropolog. 
Gesellschaft in Wien, XII. Bd., Wien 1882), sowie Florian 
Koudelka: Die Donnersteine als Medicin bei den m&hr. 
Slaven (ebendaselbst). Koudelka . 

Doppelpony. Mit diesem Namen wurde in 
früherer Zeit ein schwedischer Pferdeschlag 
benannt, der sich durch einen kleinen, aber 
gedrungenen Leibesbau und besonders kräf¬ 
tigen Rücken auszeichnete. Die Thiere waren 
meistens semmelfarben mit Aalstreifen auf 
dem Rücken und hatten dunkle Ringe an den 
Vorderbeinen; sie besassen auch zuweilen 
Schulterstreifen wie die Esel. Noch heute 
findet man diesen Pferdeschlag an vielen Orten 
in Norwegen und Schweden. Zum Tragen von 
Lasten im gebirgigen Terrain werden die 
Doppelponies sehr gesucht; ihre Kraft, Sicher¬ 
heit, Ruhe und Ausdauer im Gange hat sie be¬ 
sonders beliebt gemacht und ihre Zucht auch 
auf andere Länder des nördlichen Europa ver 
breitet. Heute nennt man „Doppelpony“ ge¬ 
wöhnlich alle grösseren kräftigen Pferdchen, 
welche die Schulterhöho von 1*50 m nicht 
überschreiten und imStande sind, einen schwe¬ 
ren Reiter oder eine Last von mehr als 100 kg 
sicher über das Terrain zu bringen, auch zur 
Jagd geeignet, überhaupt zu den verschieden¬ 
artigsten Diensten verwendbar sind. In einigen 
englischen Grafschaften nennt man in der Regel 
jedes Pferd „Pony“ oder „Doppelpony“, wel¬ 
ches unter l*65m misst. Die Doppelponies 
sind ohne Frage äusserst nützliche Thiere, 
da sie bei verhältnissmässig wenig Futter in 
der Regel noch Befriedigendes zu leisten ver¬ 
mögen, dazu auch ein gutes Temperament 
besitzen und meistens kräftige Beine und 
feste Hufe haben. Die Galloway-Ponies in 
Schottland erfreuten sich stets eines beson¬ 
ders guten Namens, weil sie bei hinreichender 
Grösse sehr kräftig und sicher waren. Fg. 

Doppel8&tz ist das schwefelsaure Kali, 
s. Kalium sulfuricum. 

Doppelschlägigkeit des Pulses, s. Dikrotie. 

Dorema Ammoniacum, eine in den Step¬ 
pen von Iran und Turan wachsende hohe Um- 
bellifere, aus deren Stengeln ein (geringe Men¬ 
gen ätherischen Oeles mit sich führendes) 
Gummiharz exsudirt, das nach den Ph. A. und 
Ph. G. unter dem Namen Ammoniacum offi- 
cinell ist und auch schon unter „Ammoniacum“ 
besprochen worden ist. Vogel. 

Dorking-Huhn. Eine nach dem Orte 
Dorking in der englischen Grafschaft Surrey 
benannte Hühnerrasse von schwerer, gedrun¬ 
gen gebauter Figur. Der Kopf ist ziemlich 
gross, der Hals kurz, die Brust sehr breit 
und vorstehend, der Rücken fast gerade, der 
Schwanz hoch und breit und beim Hahn mit 
grossen Sichelfedern besetzt. Die Läufe sind 
kurz und sie besitzen je fünf Zehen. Der 
Kamm ist entweder aufrechtstehend mit tief¬ 
gezacktem Rande, oder er hat die Form 
des Rosenkammes, der, breit an der Stirn, 
in einer etwas aufgerichteten Spitze endigt. 



DORNFLOSSER. — DORSET-SOHAF. 


391 


Man unterscheidet von den Dorkings folgende 
Farbenschläge: Graue mit weissen, 
strohgelben, schwarzen, grauen, röthlichen 
Federn, schwarzem grünglänzenden Spiegel 
und dunkelgrüner Brust beim Hahn, mit 
bläulichgrauen und schwarzen Federn und 
lachsrother Brust bei der Henne; silber¬ 
graue, weisse und kukuksfarbige 
(Kukukssperber), die letzteren sind auf grauem 
oder blaugrauem Grunde mit dunklerem Grau 
oder Graublau gebändert oder gesprenkelt. 
Bei allen Farbenschlägen der Dorkings sind 
der Kamm sowie die kleinen Kehl- und 
Ohrlappen roth, die Füsse röthlichgrau. Die 
Dorkings sind in erster Linie Masthühner, 
deren Fleisch von ausgezeichneter Qualität 
ist; dann empfehlen sie sich als Brüter und 
Führer, sind aber als Eierleger von geringerem 
Werthe. Aehnlich den Dorkings sind die 
schottischen Kukukssperber (s. d.). Ws. 

Dornflosser, s. Stachelflosser. 

Dorpat, Veterinär-Institut, gegründet 1848, 
reorganisirt 1873. An demselben wirkten 
Jessen (Director), F. Unterberger (Director), 
A. Unterberger, Braueil. (Gegenwärtig Rau- 
pach, Rosenberg, E.Semmer, A. Seramer, Gut¬ 
mann, Kundsin, Klever, Grosmann.) Die Hilfs¬ 
fächer werden von Professoren der Univer¬ 
sität gelesen. Semmtr . 

Dorsal. Die Bezeichnung ...dorsal“ bei 
anatomischen Beschreibungen soll ausdrücken, 
dass die betreffenden Flächen, Ränder u.s.w. 
nach dem Rücken zu gelegen sind, stimmt 
demgemäss im Allgemeinen mit der Be¬ 
zeichnung „oben“ überein, ist jedoch der letz¬ 
teren in vielen Fällen aus den Gründen vor¬ 
zuziehen, welche bereits in dem Artikel 
caudal (s. d.) näher erörtert worden sind. Mr. 

Dorsch, Kabeljau, Gadus morrhua L. 
Fisch aus der Unterclasse der Knochenfische, 
Ordnung der Weichflosser, Familie der Schell¬ 
fische, Gadidae. Mit langgestrecktem Körper, 
der nicht ganz viermal so lang als hoch ist, 
kleinen Schuppen, drei Rückenflossen und 
zwei Afterflossen und einem kleinen Bart¬ 
faden am Kinn. Die voipie abgerundete 
Schnauze steht etwas über die Kiefer vor, 
der After liegt senkrecht unter den ersten 
Strahlen der zweiten Rückenflosse. Die Fär¬ 
bung ist sehr veränderlich, olivengrün oder 
braun, mit zahlreichen kleinen dunkleren 
Flecken. Der Bauch weisslich, ungefleckt. 
Findet sich in der Ostsee und im nord¬ 
atlantischen Ocean, von den Küsten des nörd¬ 
lichen Eismeeres bis in die Breiten von New- 
York und Bordeaux. Die die Ostsee bewoh¬ 
nenden Dorsche sind kleiner und wurden von 
Linnö unter dem Namen Gadus callarias, 
Dorsch, gegenüber der atlantischen Form, 
dem Kabeljau, Gadus morrhua, unterschieden. 
Beide werden jetzt als Varietäten einer Art, 
Gadus morrhua, betrachtet. Der Dorsch er¬ 
reicht im atlantischen Ocean eine Länge von 
80—150 cm, in der Ostsee beträgt die mitt¬ 
lere Grösse 40—50 cm. Die Laichzeit ist 
in der Ostsee vom Jänner bis Mitte März, 
bei Gothland im April. Der Dorsch erscheint 
im Meere zu gewissen Zeiten in grossen 


Schaaren, meist den Häringszügen folgend. Er 
bildet ein Hauptobject für die Fischerei. Sein 
Fleisch wird theils frisch genossen, theils 
gesalzen, als Laberdan, getrocknet, als Stock¬ 
fisch. Aus der Leber wird der Leberthran, 
Fischthran, Oleum jecoris aselli, gewonnen. Sfr. 

Dorsche, s. Kohlrübe. 

Dorset-Schaf. Dasselbe ist eines der ge¬ 
hörnten schlichtwolligen Schläge Englands. 
Der Verbreitungsbezirk ist, wie schon der 
Name sagt, die Grafschaft Dorset; diese liegt 
ungefähr in der Mitte der südlichen Küste 
Englands, grenzt daher gegen Süden an den 
Canal La Manche mit den Grafschaften Hamp¬ 
shire im Osten, Wilts und Somerset im 
Norden, Devon im Westen. Das im Norden 
und Westen mehr hügelige Land wird 
nach Süden und Osten hin eben, hat mildes 
Klima, ist sehr fruchtbar, trägt namentlich 
eine reiche Flora an wildem Feldkümmel und 
anderen aromatischen Pflanzen. Was die äus¬ 
seren Formen des Schafes anbetrifft, so ist 
es dem Merinoschafe am ähnlichsten. Beide 
Geschlechter sind gehörnt; der Engländer 
nennt sie deshalb auch Dorset-horned. Bei 
den Böcken sind die Hörner stark entwickelt, 
stehen auf breiter Basis dicht aneinander, 
erheben sich, in Spiralwindung nach hinten 
verlaufend, wenig über den Scheitel, machen 
dann reichlich \ % Spiralwindungen und endi¬ 
gen in stumpfer Spitze unterhalb des Auges. 
Der Kopf ist an der Stirne breit, buchtet 
sich von dieser nach dem Nasenbeine stark 
ein, und dieses verläuft in starker Wölbung 
in eine schmale, spitze Schnauze. Die Schul¬ 
tern sind niedrig aber breit, die Brust tief, 
der Rücken gerade, die Lendenpartie gut, das 
Knochengerüst eher etwas zu stark entwickelt. 
Gesicht sowie Beine bis über das Knie und 
Sprunggelenk hinauf sind mit weissen, kurzen, 
glatt anliegenden Haaren besetzt. Stirn, Hals, 
sowie der ganze Rumpf sind in recht dichtem 
Stande auf der faltenlosen Haut mit einer 
aus reinem, markfreiem Wollhaar bestehenden, 
ziemlich stark gewellten (ca. 2% Bogen auf 
1 cm), 31 mikr. im Durchmesser starken, 
etwas glänzenden weissen Wolle von ca. 12 cm 
Länge im Jahreswuchs besetzt. Dieselbe hat 
im Ganzen nicht allzu starke Krimpkraft* und 
wird hauptsächlich zu groben Tuchen ver¬ 
arbeitet. Der Schwanz trägt eine bedeutend 
längere Wolle, erscheint in Folge dessen 
buschig und reicht mit der Wolle bis über 
den halben Unterfuss. Das Schurgewicht des 
gewaschenen Vliesses beträgt ungefähr 1 *50 kg. 
Die Schafe besitzen nur Mittelgrösse, ein ge¬ 
mästeter dreijähriger Hammel hat ungefähr 
32 kg Schlachtgewicht. Die Thiere sind sehr 
abgehärtet, ernähren sich leicht und sind dabei 
genügsam; das Fleisch soll ein recht gutes 
sein. Der Hauptertrag aus diesen Heerden ist 
der Verkauf gemästeter Lämmer. Die Frucht¬ 
barkeit der Thiere ist sehr gross. Die Schaf¬ 
mütter nehmen den Bock schon bald nach der 
Geburt des Lammes wieder an, lammen daher 
sehr häufig in einem Jahre zweimal, ernähren 
das während der neuen Trächtigkeit saugende 
Lamm dabei aber vollständig. Neuerer Zeit ist 



392 DOESÜM. 

dieser Schlag — und es frägt sich, ob mit 
Vortheil — fast durchgehends mit dem New- 
Leicester-Blut gemischt worden. Bohm. 

Dor8um (v. de orsum, abwärts [abschüs¬ 
siger Verlauf des Rückens beim aufrecht¬ 
gehenden Thiere], oder von tö 8epa<;, Hals), 
der Rücken, bezeichnet als anatomischer 
Terminus die von dem Ende des Halses bis 
zum Anfang der Lende laufende Partie des 
oberen (hinteren) Abschnittes des Stammes, 
dessen Grundlage von den Brust- oder Rücken¬ 
wirbeln gebildet wird. Der Ausdruck wird 
auch für tergurn, die Rückseite (opp. frons), 
und so zur Bezeichnung aller solchen Theile, 
Flächen, Ränder etc. gebraucht, welche dem 
dorsum zugewendet sind. Das dies bezeich¬ 
nende adj. lautet dorsal (s. d.), richtiger 
dorsual, da die allerdings auch nachclassische 
lateinische Sprache nur dorsualis, nicht dor- 
salis kennt. (Gegensatz: ventral, bauchwärts.) 
So spricht man von 

Dorsum linguae, Zungenrücken; 

Dorsum penis, Rückfläche, resp. oberer 
Rand der Ruthe etc. Sussdorf. 

Dosimetrie, s. Apotheken. 

D08l8, fj Boa:<; (v. 8»8ovai, geben), die 
Gabe als einzelne Arzneiportion, auch in 
Compositionen, wie 

Dosiologia, die Gabenlehre = Poso- 
logia. Sussdorf 

Dosis ist die Menge, in welcher Arznei¬ 
mittel zur Anwendung kommen, um eine Heil¬ 
wirkung unter gewöhnlichen Umständen zu 
entfalten; man nennt solche Mengen auch 
Mittelgaben oder die medicinale Dosis, denn 
zu kleine Gaben bleiben ohne Einwirkung und 
grössere können schädliche, selbst tödtliche 
Folgen nach sich ziehen; ausserdem bewirkt 
die Dose nicht nur quantitative, sondern auch 
qualitative Veränderungen der Wirkung eines 
Medicamentes, wenn verschiedene chemische 
Bestandtheile von differenter Wirksamkeit ent¬ 
halten sind, obwohl auch chemisch einfache 
Substanzen in verschiedener Dosis verschieden 
einwirken. So wirkt der Brechweinstein in 
kleiner Dosis auf die Circulation, die Haut und 
die Mucosen, in grosser emetisch, bei der 
Rhabarberwurzel kommen die abführenden 
Wirkungen erst bei grossen Mengen, bei kleinen 
nur der Bitterstoff und die Gerbsäure zur Geltung. 
Auch ist es durchaus nicht gleichgiltig, ob man 
ein Arzneimittel in einer einzigen Gabe dar¬ 
reicht oder dieselbe Menge auf verschiedene 
kleinere Dosen vertheilt; im Allgemeinen lässt 
sich nur soviel sagen, dass, wenn man prompte 
Effecte beabsichtigt, dies durch wenige, aber 
herzhafte Dosen am besten geschieht, die auch 
häufig ebenso anhaltend wirken, als längere 
Zeit gereichte kleinere Mengen, obwohl dies 
nicht bei allen Arzneimitteln zutrifft. Vogel. 

Dosologie, s. Apotheken. 

Dosten, gemeiner. Die stark riechenden 
Blüthenstände werden ähnlich wie die Ka¬ 
millen zu Umschlägen und Kräuterkissen als 
Volksmittel häufig benützt, s. Origanum 
vulgare. Vogel. 

Dotter. Mit diesem Namen bezeichnet 
man in einem jeden Ei das Materiale, aus 


DOUCHE. 

dem sich der künftige Embryo aufbaut. Dieses 
kann entweder direct zur Bildung des Embryos 
verwendet werden und wird in den Furchungs- 
process einbezogen, oder es kann ein Theil, 
zumeist der grössere, als Nahrung während 
der Entwicklung dienen. Der Dotter, welcher 
zum Aufbau des Embryos verwendet wird, 
führt den Namen Bildungsdotter (s. d.). 
während der andere als Nahrungsdotter 
bezeichnet wird. Der Bildungsdotter besteht 
aus einem feinkörnigen Protoplasma, während 
der Nahrungsdotter aus abgerundeten Stücken 
oder aus Plättchen mit krystallinischen Formen 
besteht. Fettröpfchen kommen in denselben 
constant vor. Bezüglich der chemischen Zu¬ 
sammensetzung des Dotters ist im Allge¬ 
meinen hervorzuheben, dass sowohl stickstoff¬ 
haltige als auch stickstofflose Körper in ihm 
Vorkommen. Es sind Eiweisskörper, Zucker¬ 
arten, Fette, Farbstoffe etc. und anorganische 
Salze in demselben enthalten. Schenk. 

Dotterblatt, s. u, Archiblast. 

Dotterhaut, s. Eierstock der Vögel. 

Dottersaok. Bei den Meroblasten um¬ 
wächst ein Theil der Bildungsmasse den 
Dotter. Es ist dies jene Bildungsmasse, 
welche auch die Darmwand bildet. Der um¬ 
wachsende Theil bildet den Dottersack. Der 
verbindende Gang zwischen dem Dottersack 
und dem Darralumen ist der Dottergang 
(Ductus omphalo-moseraicu8). Ist derselbe 
länger geworden, wie dies bei den Haifischen 
und den Rochen geschieht, dann wird er 
auch Dotterstrang genannt. Dieser enthält 
aber nicht nur das Bildungsmateriale der 
Darmwand, sondern sämmtliche Lagen des 
Embryos gehen in seine Wandung über. Im 
Dottergange und Dotterstrange ist das Epithel 
des Communicationsweges ein Cylinderepi 
thel. Schenk. 

Douars-Hund. Grosser Schäferhund der 
nomadisirenden Araber von Algerien, bemer- 
kenswerth durch seine Wildheit und den In- 
stinct, der es ihm ermöglicht, die Thiere sei¬ 
nes „Douars“ von allen anderen zu unter¬ 
scheiden und zu erkennen. Er hat langes 
Haar, das bis zur Hälfte der Beine gekräuselt 
ist, eine spitze Nase, kurze, aufrechtstehende 
Ohren, eine tiefe Brust. Der Körper ist kurz, 
der Schweif dick und hängend. Neumann . 

Douche oder die Bespülung des äusseren 
Muttermundes mit warmem und auch mit 
kaltem Wasser bildet ein Mittel für die Herbei¬ 
führung der künstlichen Frühgeburt. Es kann 
aber dieses Mittel bei Kühen und den kleineren 
Hausthieren zur Hervorrufung von neuen 
Wehen auch da angewendet werden, wo die 
reife Frucht, die trotz der bestandenen Wehen 
irgend eines Hindernisses wegen nicht geboren 
werden konnte, abgestorben ist und in Folge 
dessen die Wehen wieder verschwunden sind. 
Es war der deutsche Arzt Kivisch, der diese 
Frühgeburtsmethode im Jahre 4848 zuerst in 
die menschliche Geburtshilfe einführte. Seither 
hat dieselbe eine ziemlich allgemeine Verbrei¬ 
tung erlangt. Die Bespülung des äusseren 
Muttermundes mit warmem Wasser leitet mit¬ 
telst Hervorrufung von Wehen, mittelst Er- 


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DOUGLASSCHE FALTEN. — DOWNSCHAF. 393 


weichung oder Erschlaffung des Gebärmutter- 
halses die Frühgeburt auf die möglichst 
schonende Weise ein. Das Verfahren ist ein 
sehr leichtes, erfordert wenig Zeit und macht 
jede andere vorbereitende Behandlung über¬ 
flüssig. Seine. Wirkung kann nach Belieben 
vom Geburtshelfer verstärkt oder verringert 
werden, denn er kann nach Gutfinden und 
zufolge den vorliegenden Umständen die Zeit¬ 
dauer der Bespülung verlängern oder abkürzen, 
sowie die Temperatur des Wassers erhöhen 
oder vermindern. Durch dieses Abortivmittel 
können zudem die Geschlechtstheile niemals 
verletzt werden. 

Verfahren. Das anzuwendende Wasser 
hat eine Temperatur von 39—41° C. Dasselbe 
wird mittelst einer Clysopumpe oder noch 
besser mittelst eines hinlänglich langen und 
weiten Kautschukschlauches, dessen eines Ende 
an einem hinreichend erhöht stehenden, das 
Wasser enthaltenden Gefäss, z. B. an einem grös¬ 
seren Kübel, Waschzuber oder Fässlein, ange¬ 
bracht und an dessen anderem Ende die gut 
abgestumpfte Canüle einer gewöhnlichen Klystir- 
spritze eingesetzt ist, in die Scheide, u. zw. 
möglichst direct in den äusseren Muttermund 
ein geführt. Das mit der Canüle versehene 
Schlauchende wird mit der Hand zum Mutter¬ 
mund hingeführt. Man lässt die Douchen 
10, 15—$0 Minuten und selbst noch länger 
ohne Unterbrechung andauern und nach Er- 
fordemiss nach kürzeren und längeren Inter¬ 
vallen wiederholen, bis sich Wehen und Er¬ 
öffnung des Gebärmutterhalses einstellen. Diese 
Douchen eignen sich ferner auch bei hoch¬ 
gradiger Ripidität des Uterushalses. Der 
Lyoner Thierarzt Quivogne war der erste, 
der die Bespülung des Muttermundes mit 
warmem Wasser bei der Kuh und zwei Ziegen 
anwandte, u. zw. mit bestem Erfolge. Die 
Wirkung der kalten Douchen ist unsicherer 
und nebstdem nicht so gefahrlos, als diejenige 
der Douchen mit warmem Wasser. Strebei 

Douglas’sche Falten. Das Bauchfell (s. d.) 
bildet bei dem Uebergange von der Gebär¬ 
mutter der weiblichen, bezw. von der Harn¬ 
blase der männlichen Thiere zum Mastdarm 
zwei Falten, welche als Falten des Douglas 
oder Douglas’sche Falten bezeichnet werden. 
Dieselben haben bei den männlichen Thieren 
einen bedeutenden Umfang und schliessen, zu 
einer halbmondförmigen Platte verschmelzend, 
das Endstück der Samenleiter, den männlichen 
Uterus und die Samenblasen ein. Müller . 

Oover’8Che8 Pulver. Das bekannte schlaf¬ 
erzeugende und bei den Hausthieren haupt¬ 
sächlich gegen Diarrhöe und Husten verwen¬ 
dete Mittel besteht nach der deutschen und 
österreichischen Pharmakopöa aus Opium und 
Brechwurzel je 1 Theil, Zucker 8 Theilen; in 
10 Theilen ist somit 1 Theil Opium enthalten. 
Das Mittel heisst auch Pulvis Ipecacuanhae 
opiatus (Ph. G.) oder Pulvis Ipecacuanhae cum 
Opio (Ph. A.). Dosis als Sedativ und Stopfungs¬ 
mittel für Hunde 0 5—1*0, nötigenfalls 
mehrmals bis zur Wirkung. Früher war statt 
des Zuckers Kaliumsulfat enthalten und diente 


auch zur Verhütung von Obstipationen bei 
Hunden. Vogel. 

0owR8Chaf. Sämmtliche Schläge des eng¬ 
lischen Downschafes gehören zu der grossen 
Gruppe des schlichtwolligen Schafes, welches 
als Haarkleid das wenig gewellte, vollständig 
markfreie, in der Haut bündelartig ange¬ 
ordnete Wollhaar ohne jede Einmischung von 
Grannenhaar trägt. Die Farbe der Wolle ist 
durchgehends. mit wenigen Ausnahmen, weiss, 
die Farbe der kurzen, straff anliegenden Haare 
dagegen, welche Gesicht und den Unterfuss 
oft bis über das Knie und Sprunggelenk hinauf 
bedecken, ist durchwegs dunkelfarbig. Die 
Thiere — selbst die männlichen — sind durch¬ 
wegs, mit höchst seltenen Ausnahmen, unge¬ 
hörnt; wo sich solche finden sollten, treten 
sie nur in verkümmerter Form auf. Die Thiere 
zeigen in allen verschiedenen Schlägen eine 
grosse Frühreife und hohe Futterverwerthung. 
Das englische Wort „down“ heisst auf deutsch 
„niedrig“; mau könnte sich daher veranlasst 
fühlen „Down sheep“ mit „Niederungs- oder 
Marschschaf“ zu übersetzen. Das wäre aber in 
keiner Weise richtig; die Lebensbedingungen, 
welche diesen Thieren geboten werden, sind 
in keiner Weise gleichartig denen, welche wir 
bei den deutschen „Marschschafen“ zu finden 
gewohnt sind. England ist von einer Menge 
weniger eigentlichen Gebirge als vielmehr 
Hügelketten durchzogen, zwischen denen sehr 
fruchtbare Ebenen, die man fast Hochebenen 
nennen könnte, sich ausbreiten; diese werden 
Down genannt und bilden hauptsächlich die 
Ernährungsflächen der Downschafe. Sie haben, 
wie gesagt, verschiedene Schläge. Als die 
hervorragendsten Culturzuchten sind die South - 
down, die Shropshiredown, die Hampshiredown 
zu nennen, denen in neuerer Zeit sich noch das 
Suffolkdown anreiht. Ausserdem haben wir 
noch das Oxfordshiredown. Dieses ist zwar 
aus einer erst in den Dreissigeijahren dieses 
Jahrhunderts vorgenommenen Kreuzung von 
Böcken des Cotswoldschafes mit Mutter- 
thieren theils des Southdown-, theils des 
Hampshiredownschlages hervorgegangen, ist 
aber seitdem zur constantirten Zucht heran- 
gebildet. Neben anderen abweichenden 
Eigentümlichkeiten zeichnet sich dasselbe 
namentlich durch den besonderen Charakter 
seines Haarkleides aus, der uns nicht ge¬ 
stattet, es zu den „schlichtwolligen“ Schafen 
zu rechnen; das Oxfordshiredown dürfte also 
streng genommen nicht zu den Downschafen 
zu zählen sein. 

Das Southdown- oder Sussex-Schaf. 
Dasselbe findet seinen Heimatsbezirk auf den 
Kalkhügeln des südlichen Theiles der öst¬ 
lichen Tiefebene Englands, der Grafschaft 
Sussex. Dieselbe wird von zwei der Kreide- 
forraation angehörigen Hügelketten durch¬ 
zogen, einer nördlichen, den Mendip Hills, 
welche die Halbinsel Norfolk bilden, und einer 
südlichen, welche sich wieder in zwei ziem¬ 
lich parallel mit einander verlaufende Hügel¬ 
ketten (Downs) theilt, die nördliche (North 
down) und die südliche (South down). Diese 
letztere nun mit ihren reichen Getreidefeldern 



UNIVERSIT' ) 


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394 


DOWNSCHAF. 


und Wiesen ist die engere Heimat unseres 
nach ihr benannten Schafes. Die Hügelzüge 
der South down erheben sich 195 bis höch¬ 
stens 325 m über die Meeresfläche, haben 
eine Länge von 100 km, eine Breite von 
höchstens 10 km. Schon seit den ältesten 
Zeiten sind die hier heimischen Schafe durch 
ihre Wolle berühmt, und es ist wahrschein¬ 
lich, dass die von den Römern zu Winchester 
angelegten Tuchwebereien hauptsächlich die 
Wolle dieses Schlages verarbeiteten. Das 
Southdownschaf ist wohl die älteste Cultur- 
zucht Englands, begründet 1780 auf seiner 
Farm Glynde bei Lewes in Sussex durch den 
so intelligenten Züchter John Ellman; er 
verstand es, aus dem Vorgefundenen Material 
ohne jegliche Einmischung fremden Blutes 
ein Thier von grosser Frühreife und hoher 
Mastfähigkeit heranzuzüchten, wobei er den 
Wohlgeschmack des Fleisches noch steigerte, 
die Wolle an ihrem Werthe und guten 
Charakter nichts einbüssen liess. Vor Ellman 
war dasselbe nichts weniger als das in seinen 
Formen so vollendete Fleischschaf. Arthur 
Young schildert dasselbe noch zwei Jahre 
vorher, 1778, als mit einem dünnen Rück¬ 
grat, einem niedrigen Vordertheil, einem 
hohen Hintertheil ausgestattet. Ellman selbst 
— er starb 1832 — sagt von ihm: Früher 
war das Schaf klein, von keineswegs ein¬ 
nehmender Gestalt; Hals lang und dünn, 
hohe Schultern, hinter diesen eingeschnitten, 
hohe Lenden, niedere Hüften, tief angesetzten 
Schwanz; der hintere Theil des Beckens eckig 
und abgeschlagen, die Rippen flach, das 
Vordertheil schmal, bei alledem noch grob¬ 
knochig. Er theilt uns dann weiter mit, dass 
zu seiner Zeit schon — also wohl gegen das 
Ende seines Lebens, wahrscheinlich zu Ende 
der Zwanzigerjahre — dasselbe im Knochen¬ 
bau feiner, aber nicht zu weichlich geworden 
sei und sich ganz dafür eignete, auch weitere 
Weiden zu begehen. Auch rühmt er die be¬ 
deutende Mastfähigkeit der Thiere, welche 
er dadurch bezeichnen will, dass er anführt, 
wie man die Thiere höchst selten nach dem 
vierten Lebensjahre, in der Regel schon in 
einem Alter von zwei Jahren mäste; für 
unsere heutigen Ansprüche dürfte solches 
allerdings kein sonderlicher Beweis von 
Frühreife sein. Auch Youatt, welcher zehn 
Jahre später als Ellman schrieb, rühmt die 
Frühreife und leichte Mästungsfähigkeit, ver¬ 
bunden mit noch genügender Marschfähigkeit, 
und nennt die Wolle von der nützlichsten 
Qualität. Seit jener Zeit ist die Cultur dieses 
Schlages immer mehr vorgeschritten, leider 
aber auch vielseitig überbildet worden. Roloff 
hat durch sehr exacte Messungen nachge¬ 
wiesen, dass namentlich gerade bei dieser 
Zucht der Brustkasten kleiner ist als bei 
anderen Rassen, die sich weniger für Fett- 
Bildung eignen. Schon hiedurch wird die 
Thätigkeit der Lunge beschränkt, das Schaf 
daher für motorische Thätigkeit, für Marsch¬ 
fertigkeit weniger tauglich gemacht. Bei einer 
Unzahl von Heerden finden wir im höchsten 
Grade überbildete Köpfe, ein allzu feines 


Knochengerüst, oft auch schon spitze For¬ 
men in der Beckenpartie; dabei sind die 
Thiere immer kleiner geworden, gewähren 
daher nicht mehr den Nutzen, welchen dem 
Züchter die anderen gleich zu besprechenden 
Downschläge bieten. Einer der hervorragend¬ 
sten Widder aus der Zucht des Sir Wm. 
Throckmorton mass drei Jahre alt in Galgen- 
mass vom Widerrist bis zur Sohle 0*75, von 
der Spitze des Brustbeines bis zur Spitze der 
Sitzbeine 0*90m. Wenn früher, wie auch 
Youatt vermuthet, dieser Schlag gehörnt ge¬ 
wesen sein mag, so kommt solches jetzt selbst 
bei den männlichen Thiere gar nicht mehr, 
höchstens einmal ausnahmsweise vor, und 
sind dann die Hörner doch nur stark ver¬ 
kümmert. Die Farbe des Gesichtes und der 
Beine, so weit solche mit kurzen, straff an¬ 
liegenden Haaren besetzt sind, ist eine 
gleichmässige ganz hell chocoladeartige; die 
Wolle ist weiss von Farbe, steht nicht allzu 
dicht auf der Haut, ist wenig gewellt, hat 
ungefähr 25 mikr. Durchmesser, ist vollständig 
und durchweg markfrei, erreicht im Jahres¬ 
wuchs ungefähr eine Länge von 7—8 cm. 

Das Shropshiredown - Schaf. Der 
Heimatsbezirk desselben ist die Grafschaft 
Shrop oder Salop. Als Culturzucht ist das¬ 
selbe erst seit Ende der Sechzigerjahre auf 
dem Continente bekannt geworden. Aeltere 
englische Schriftsteller theilen mit, dass das 
Shropshireschaf gehörnt und im Gesicht und 
an den Beinen schwarz oder gesprenkelt ge¬ 
wesen sei, dass es ungefähr die Grösse des 
Southdown gehabt habe, aber mit längerem 
Halse ausgestattet und nicht so gedrungen 
gewesen sei. Dabei wird seine harte Consti¬ 
tution gerühmt, auch wird mitgetheilt, dass 
es früher häufig mit dem gehörnten weiss¬ 
köpfigen Dorsetschafe gekreuzt worden sei. 
Das heutige Shropshireschaf, wie es uns als 
Culturzucht entgegentritt, ist ganz zweifels¬ 
ohne aus einer Mischung verschiedener Down¬ 
schläge hervorgegangen. Es steht in seiner 
Grösse zwischen dem Southdown und dem 
Hampshiredown, ist stets ungehörnt und zeigt 
eine befriedigende Frühreife und gute Futter- 
verwerthung. Die Wolle ist länger, 9—10 cm 
im Jahreswuchs, und gröber — 22—36 mikr. 
— als die der Southdown, von welchen ganz 
unbezweifelt ein guter Bluttheil in demselben 
steckt. Der jährliche Durchschnittsschurertrag 
ist auf ca. 2 % kg zu schätzen. Die Farbe des Ge¬ 
sichtes ist schon mehr dunkelchocoladeartig, 
oft aber noch weiss gefleckt. Das Knochen¬ 
gerüst ist befriedigend stark, der Rücken der 
Thiere im Ganzen noch nicht lang genug. In 
Deutschland hat es erst in den letzten Jahren, 
dank der Verbesserung, welche es durch 
intelligente Zucht erfahren hat, mehr Eingang 
gefunden. 

Das Hampshiredown-Schaf. Der Hei¬ 
matsbezirk desselben ist die Grafschaft Hamps 
oder Hants, auch nach ihrer Hafenstadt 
Southampton genannt; sie liegt ebenfalls an 
der Südküste Englands und grenzt im Osten an 
die Grafschaft Sussex, den Heimatsbezirk des 
Southdownschafes. Auch hier sehen wir das 



DOWNSCHAF. 


395 


an sich wellenförmige Land durch zwei Ketten 
von Kalkhügeln durchzogen; bei sonst mildem 
und gesundem Klima soll der Boden aber 
nicht so fruchtbar sein wie die Ebenen von 
Sussex. Nach früheren Autoren, wie Youatt u. A., 
soll die in alten Zeiten hier gehaltene Rasse 
anz untergegangen sein, und sind dieselben 
er Ansicht, dass das zu ihrer Zeit, in den 
Vierzigeijahren, daselbst gepflegte Schaf 
wohl aus einer Kreuzung — doch liesse sich 
nicht nachweisen, mit welchen Rassen und zu 
welcher Zeit — hervor gegangen sei; sie nen¬ 
nen es ein „kurzbeiniges, rundleibiges Thier“. 
Nach Moll und Gayot soll dasselbe aus einer 
zu Anfang dieses Jahrhunderts stattgefun¬ 
denen Kreuzung des Wiltshireschafes mit den 
Berkshire-Notts entstanden sein. Diese beiden 
Rassen waren aber gehörnt, das erstere weiss¬ 
köpfig, das letztere hatte schwarzgefürbten 
Kopf und Extremitäten, wie noch heute das 
Hampshiredownschaf. Nach Wilson soll es aus 
einer ebenso alten Kreuzung des Southdown- 
schafes mit dem alten Hampshire- und Wilt- 
shireschafe hervorgegangen sein und habe durch 
rationelles Fortkreuzen gegenwärtig die be¬ 
sonderen Charaktereigenschaften dieser Rassen 
vereinigt. Dem mag nun sein, wie ihm wolle, 
heute ist es eine in sich durchaus con- 
stantirte Zucht von selten hoher Vererbungs¬ 
kraft. Mit vollstem Rechte zählt man es zu 
den englischen Downschlägen, welche ja 
sämmtlich zu den kurzwolligen Zuchten Eng¬ 
lands gehören. Es trägt eine— nach englischen 
Begriffen wenigstens — kurze, recht dicht auf 
der Haut stehende, sanft gewellte, aus reinem 
Wollhaare ohne jegliche Beimischung von 
Grannenhaar aufgebaute weisse Wolle. Oft 
werden die Lämmer schwarzscheckig geboren, 
verlieren dann aber die schwarzen Flecken, 
doch kommen mitunter auch ganz schwarz- 
gefärbte vor, welche diese Farbe behalten. Die 
Wolle ist etwas länger, ca. 11 bis 12 cm im 
Jahreswuchs, auch wohl etwas stärkeren Quer¬ 
durchmessers — ca. 30 mikr. — als die des 
Southdownschafes, auch der Besatz des Bauches 
ist oft schon ein recht befriedigender. Mit¬ 
unter allerdings finden sich noch Thiere, 
welche eine mehr harte, dann auch längere und 
gröbere Glanzwolle tragen. Kopf sowie Ex¬ 
tremitäten sind durchwegs einfarbig, wenn 
auch nicht vollständig schwarz, so doch 
schwarzbraun. Als Durchschnittsschurgewicht 
dürfte per Jahr und Kopf 2’3 kg anzu¬ 
nehmen sein. Das Thier hat einen sehr lang¬ 
gestreckten tiefen Körper und steht dabei auf 
verhältnissmässig kurzen Beinen; der Rumpf 
ist walzenförmig, das Knochengerüst ist im 
Ganzen stark, nicht selten sogar zu stark, der 
Kopf zu schwer, was wohl auf die Kalk- 
fonnation des Heimatslandes zurückzuführen 
ist, die ja der Knochenentwicklung so sehr 
günstig ist. Namentlich zeichnet sich diese Zucht 
durch einen sehr langen Rücken aus. Man macht 
derselben oft den Vorwurf, dass die Thiere sehr 
häufig einen „hohen“ Rücken hätten und hinter 
den Schulterblättern stark eingeschnitten seien. 
Beides ist nicht ganz ungerechtfertigt. Was den 
ersten Vorwurf, den hohen Rücken betrifft, so 


dürfte derselbe bei der ganzen Anordnung des 
Skeletbaues nicht zu sehr zu tadeln sein, wenn 
er dabei nur kein Karpfenrücken, d. h. gleich¬ 
zeitig schmal ist. Bei der so grossen Länge 
der Kücken- und Lendenwirbelsäule scheint 
es fast nothwendig, dass die einzelnen Wirbel 
sich der Form von Bausteinen nähern, wie 
solche zu flachen Gewölben verwendet werden, 
die ganz wagrechte Säule würde sie sonst 
kaum tragen. Das Eingeschnittensein hinter 
den Schulterblättern ist allerdings ein Fehler, 
welchen wir an englischen Originalthieren oft 
zu beobachten Gelegenheit haben, welchem 
jedoch der intelligente Züchter des Continents 
schon mit sehr erfreulichen Resultaten glücklich 
entgegengearbeitet hat. Die Thiere sind sehr 
kräftiger Constitution, vertragen Kälte und 
feuchtes Klima, doch beanspruchen sie zu ihrer 
normalen Existenz einen fruchtbaren, gesunden, 
hochgelegenen Boden. 

Das Suffolkdown-Schaf. Die Graf¬ 
schaft Suffolk in dem südöstlichen Theile 
Englands, nach Osten zu an die Nordsee 
stossend, südlich von der Grafschaft Essex 
begrenzt, ist in ihrem Küstenstriche sandig, 
in dem übrigen, dem high Suffolk oder the 
Woodlands dagegen, wie schon der Name 
besagt, höher gelegen und reich an Waldungen, 
nach Nordwesten in allerdings wieder zu weit 
sich erstreckenden Sümpfen vertieft. Auf den 
trockener gelegenen Thälern sehen wir das 
Suffolkdownschaf heimisch; ganz den ihm 
gebotenen Lebensbedingungen entsprechend, 
hat dasselbe ein feines Knochengerüst, erreicht 
kaum die Grösse des Shropshire, überragt 
wenig die des Southdownschafes, hat einen 
zarten, feinen Kopf mit spitz auslaufender 
Schnauze, dabei aber einen langgestreckten 
Körper mit befriedigender Frühreife. Gesicht 
und Extremitäten sind mit kurzen, glänzend¬ 
schwarzen Haaren bedeckt. Hals und Rumpf 
tragen eine dem Haarkleide des Southdown wohl 
kaum an Feinheit nachstehende Wolle von 
ziemlich gleicher Länge. 

Das Oxfordshire-Schaf. Wir sahen 
schon vorhin, dass dasselbe aus einer ver¬ 
hältnissmässig noch jungen, erst in den 
Dreissigeijahren begonnenen Kreuzung von 
Cotswoldvaterthieren und theils Southdown-, 
theils Hampshiredown-Müttem hervorgegangen 
sei, wir nannten es aber wohl mit Recht eine 
schon constantirte Zucht, in der sich zwar 
weder das reine Downblut noch das Cotswold- 
blut ganz hat unterdrücken lassen. Der 
Heimatsbezirk ist die Grafschaft Oxfordshire, 
ein Binnenland im Süden Englands; sie ist 
im Süden von den Chiltern Hills, einer Kalk- 
hügelkette von unbedeutender Höhe, durch¬ 
zogen, welcher nach Norden, sich mehr und 
mehr verflachend, fruchtbare Ebenen und 
Thäler bildet. Das Oxfordshiredownschaf ist 
das grösste und schwerste aller Downschafe 
und verdankt dies dem väterlichen Cotswold- 
blute. Das Knochengerüst ist nicht allzu stark, 
auch der Kopf nur mitunter zu schwer, die 
Form des Rumpfes befriedigend, doch steht es 
mitunter noch auf etwas zu hohen Beinen. Die 
Frühreife des Thieres ist befriedigend, doch 



396 


DRACHENBLUT. — DRAHTWURM. 


nicht so gross wie bei den vorhergenannten; 
hingegen eignet es sich besser für das Be¬ 
gehen weiterer Weiden. Die Futterverwerthung 
ist eine hohe. Auf dem europäischen Conti- 
nente wird es mit Vorliebe zur Kreuzung 
mit dem Merinosschafe verwendet, und dort 
gewiss mit vollem Rechte, wo es sich darum 
handelt, die ganze junge Nachzucht, auch 
die weibliche, auf die Schlachtbank zu liefern 
und letztere nicht zu weiterer Kreuzung 
zu verwenden. Das hindernde Moment für 
letzteres ist die Wolle. Das Cotswoldschaf hat, 
wie bekannt, eine sehr starke, weisse Misch¬ 
wolle, in welcher das markhaltige Grannen¬ 
haar meist so stark überwiegt, dass die 
Wolle noch zu den harten Glanzwollen zu 
rechnen ist. In den meisten Oxfordshiredown- 
heerden sehen wir denn auch dieses Glanzhaar 
noch in starker Zahl vertreten. Es besteht zwar 
in manchen reinblütigen Heerden schon das 
Streben, alle mit solcher Glanzmischwolle aus¬ 
gestatteten Thiere von der Zucht auszu- 
schliessen, und zeigen die günstigen Erfolge, 
dass solches nach einer nicht zu langen Reihe 
von Generationen bei consequentem Verfahren 
vollständig gelingen dürfte. Von dem mütter¬ 
lichen Blute hat das Oxfordshiredownschaf die 
dunkle Färbung des Gesichtes und der Ex¬ 
tremitäten ererbt, das väterliche Blut hat aber 
doch bewirkt, dass bei der überwiegenden Zahl 
der Thiere Gesicht und Beine mehr oder 
weniger weiss gefleckt auf chocoladefarbigem 
Grunde erscheinen. In Heerden, wo das 
Streben schon zum guten Theil erreicht ist, 
das markhaltige Glanzgrannenhaar zu über¬ 
winden, scheint sich auch die einheitliche 
chocoladeartig dunkle Färbung mehr und mehr 
zur Geltung zu bringen, ohne dass dadurch 
die Körpergrösse beeinträchtigt wird. Wo es 
gelungen ist, die Glanz wolle vollständig zu 
überwinden, wo das Haarkleid nur aus mark¬ 
freiem eigentlichen Wollhaare besteht, erreicht 
die Wolle im Jahreswuchs ca. 16 cm Länge 
bei einem Durchmesser von 34—36 mikr., wo 
dagegen noch die Glanzwolle vorherrscht, die 
dann aber bedeutend undichter auf der Haut 
steht, erreicht dieselbe eine Länge von 22 cm 
und darüber in zwölfmonatlicher Schur; die 
Stärke der einzelnen Haare aber ist eine sehr von 
einander abweichende, von 30—50 mikr. Bm. 

Drachenblut (Resina Draconis, Sangnis 
Draconis), das ausschwitzende Harz einer ost¬ 
indischen Palme, Calamus Draco (Smilaceae, 
L. VL), das blutroth ist und jetzt nur mehr 
als Färbemittel dient. Vogel. 

Drachenkopf, Scorpaena Cuv. Val., 
Knochenfische aus der Ordnung der Stachel- 
flosser, Acanthopterygii, Familie der Scor- 
paenidae. Der Körper der Fische dieser 
Gattung ist seitlich zusammen gedrückt, mit 
mässig grossen Schuppen bedeckt, der Kopf 
gross, leicht comprimirt, mit einer quer ge¬ 
richteten Einsenkung auf dem Hinterhaupt. 
Die Kopfknochen tragen Stacheln und häufig 
häutige Tentakeln. Das Maul ist gross, die 
Kiefer und der Vomer sind mit borstenartigen 
Zähnen besetzt. Eine Rückenflosse mit 12 bis 
13 Stachelstrahlen und 9 weichen Strahlen. 


Die Anale mit drei Stachel- und fünf weichen 
Strahlen. Die Brustflossen sind gross und 
abgerundet. Keine Schwimmblase. 

Man kennt von dieser Gattung 40 Species, 
welche meist die tropischen und subtropischen 
Meere bewohnen. Ihr Fleisch ist schmackhaft, 
die Stacheln in den Flossen können empfindlich 
verletzen. 

In den europäischen Meeren leben zwei 
Arten, Sc. porcusL., der Meereber, und Sc. scrofa, 
die Meersau, letztere bis 80 cm lang. Sluder. 

Draco mitigatuo, alte Bezeichnung für 
das Quecksilberchlorür (Kalomel). Vogel. 

Draco volans, soviel als Quecksilber¬ 
sublimat. 

Drahtwurm, der Jugendzustand des Saat¬ 
schnellkäfers (Elater [Agriotes] lineatus L. 
oder segetis). Er hat einen langgestreckten 
(18—20 mm), drehrunden, strohgelben, harten 
Körper mit drei Paar Brustbeinen. Der Kopf 
ist oben und unten abgeplattet und mit kräf¬ 
tigen Mund Werkzeugen versehen. Das Fühler¬ 
paar ist dreigliedrig. Das letzte Körperglied 
läuft in ein kurzes braunes Spitzchen aus. 
Alle Glieder sind an ihrem äussersten Ende 
mit feinen Streifen versehen. Der Drahtwurm 
hat sehr viel Aehnlichkeit mit den bekannten 
Mehlwürmern (s. d. Larven des Müllers, 
Tenebrio molitor), mit denen er von Laien 
gewöhnlich verwechselt wird. Die Larven¬ 
zustände der anderen Arten der Familie der 
Schnellkäfer unterscheiden sich im Aeussern 
von dem eigentlichen Drahtwurm immer durch 
eine andere Form des letzten Körpergliedes, 
einige auch durch mehr abgeplatteten Körper 
und röthlichere Färbung. Die Drahtwürmer 
brauchen 3—5 Jahre zur Entwicklung zum 
Käfer; sie werden während dieser langen 
Zeit, ausgeschlossen die Verpuppungsperiode, 
sehr nachtheilig durch Vernichten von Feld- 
und Wiesenpflanzen, wenngleich sie unter 
Umständen auch mit verwesenden Pflanzen¬ 
stoffen fürlieb nehmen. Die Puppe des Saat¬ 
schnellkäfers istweiss, 7 mm lang, hat schwarze 
Augen, und ihr letztes Glied endigt in zwei 
Spitzen. Der eigentliche Drahtwurm, der 
durch sein häufiges Auftreten dem Land- 
wirthe als gefährlicher Feind bekannt ist, 
wird im Frühjahr am schädlichsten auf Hafer¬ 
feldern durch Anfressen oder Durchbeissen 
des unterirdischen Stengeltheils der jungen 
Pflänzchen; auch die jungen Rübenpflanzen, 
Erbsen, Salat u. s. w. haben zu leiden. Im 
September und October verwüstet er die 
Wintersaaten. Vergilbte Pflanzen in einem 
sonst gesund aussehenden Bestand von 
Winter- und Sommerfrüchten deuten meistens 
auf diesen Schädling oder den Engerling hin. 
Will man ihn fangen, muss man Pflanzen 
ausziehen, welche erst im Beginn des Kränkeins 
sind, die vergilbten hat er bereits verlassen. 
Ein Drahtwurm zerstört bis 20 Halme, und 
es werden zuweilen 10 Individuen auf einem 
Quadratmeter gefunden. Er zieht mehr leichten, 
trockenen, tief und gut cultivirten Boden schwe¬ 
rem, nassem und vernachlässigtem Acker vor. 

Gegenmittel. Weil er omnivor ist und 
in der Erde lebt, ist seine Vertilgung eine 



DRAINAGE, — DRAINAGE DER WIESEN. 


397 


schwierige. Als Ködermittel bedient man sich 
des Aussteckens von Salat, da er dessen 
Wurzel sehr gern frisst und sich an dem¬ 
selben in vielen Exemplaren versammelt. 
Nach Versuchen in Ungarisch-Altenburg sollen 
Kartoffelstückchen gute Köder sein. Ver¬ 
dorbene Rapskuchen, die als Viehfutter keine 
Verwendung mehr finden, in Stückchen von 
Hasehuissgrösse zerschlagen und der Acker¬ 
krume beigemischt, in welcher Drahtwürmer 
hausen, sollen dieselben nicht blos anziehen, 
sondern sie durch den Genuss tödten. Nach 
dreijähriger Anwendung dieses Mittels sollen 
alle Drahtwürmer verschwunden gewesen 
sein. Tritt der Drahtwurm in solchen Mengen 
auf, dass die Saat gefährdet wird, so ist es 
am besten, dieselbe zum Grünfüttern abzu¬ 
mähen und das Feld von Neuem mit einer 
schnell wachsenden Grünfutterpflanze, wie 
Wicken, weisser Senf, Incarnatklee zu be¬ 
stellen, eventuell eine solche Bestellung in 
demselben Jahre nochmals zu wiederholen und 
erst im folgenden Jahre eine reifende Frucht, 
am liebsten eine solche, welche ihm nicht 
schmeckt, wie Pferdebohnen, anzubauen. Die 
genannten Grünfutterpflanzen munden ihm 
nicht besonders und setzen andererseits den 
Landwirth in dieLage, das Land öfter zu ackern, 
wodurch der Drahtwurm den insectenfres- 
senden, auf sie sehr erpichten Vögeln zu¬ 
gänglich wird. Die Brachhaltung, welche 
auch als Mittel vorgeschlagen worden ist, 
halten wir hiezu für zu kostspielig. Vergleiche 
Agriotes und Elater. Brümmer. 

Drainage, drainagiren = trockenlcgen, 
bedeutet in aer Chirurgie das Ableiten von 
Flüssigkeiten aus Körperhöhlen, Abscessen, 
Wunden nach aussen. Wiewohl schon den Alten 
die Gefährlichkeit der Retention des Wund- 
secretes bekannt war und sie einer frühen 
Verschliessung der äusseren Oeffnung durch 
Einlegen von Charpiewicken, Leinwandstreifen, 
Eiterbändcm etc. entgegenzuwirken suchten, 
so datirt die eigentliche Drainage doch erst 
seit der Zeit, als Chassaignac die Anwen¬ 
dung von Röhrchen aus Kautschuk empfahl, da 
der Gebrauch der von einzelnen älteren 
Chirurgen angewendeten Röhrchen aus Silber 
oder Messing ziemlich in Vergessenheit ge- 
rathen war. Die ausgedehnteste Verwendung 
findet die Drainage aber bei der antiseptischen 
Wundbehandlung. Hier handelt es sich darum, 
die Wundsecrete sofort nach ihrem Entstehen 
zu entfernen. Es werden daher, bevor die 
Wunde geschlossen wird, an allen Stellen, wo 
möglicherweise eine Nische oder Tasche sich 
bilden könnte, Drains eingelegt und durch die 
schon bestehende Trennung des Zusammen¬ 
hanges nach aussen geführt, eventuell selbst 
neue, für den Abfluss des Secretes besser 
gelegene und speciell für die Aufnahme der 
Röhrchen bestimmte Oeffnungen geschaffen. 
Um rascher diese Gegenöffnungen anlegen 
und gleichzeitig das Drainagerohr einführen 
zu können, wurden eigene Instrumente con- 
struirt, die aber durchaus nicht absolut noth- 
wendigsind und durch ein Spitzmesser, Korn¬ 
zange etc. vollständig ersetzt werden können. 



Fig. 439 stellt ein solches dar, wie es auf Bill- 
roth’s Klinik in Verwendung ist: eine grössere 
Kornzange, von deren breitgedrückten Bran¬ 
chen die eine lanzenförmig ausläuft und etwas 
entfernt von dem schneidenden Theile vertieft 
ist, in welche Vertiefung die zweite Branche 
genau hineinpasst, so dass bei geschlossenem 
Instrumente keine Her- 
vorragungbesteht. Das¬ 
selbe wird geschlossen 
von der entsprechenden 
Stelle der Wundhöhle 
aus durch die Weich- 
theile und die Haut 
nach aussen durchge- 
stossen, dann geöffnet, 
das Drainagerohr er¬ 
fasst und so letzteres 
beim Zurückziehen der 
Zange bis in die zu 
drainirende Höhle ein¬ 
geführt. 

Die zur Einlage ver¬ 
wendeten, gut desin- 
ficirten (am besten zuvor 
in Carbollösung aufbe¬ 
wahrten) Kautschuk¬ 
röhrchen werden behufs 
Abführung der Flüssig¬ 
keiten mit seitlichen 
Oeffnungen (Fenstern) 
versehen und das Ende derselben schief abge¬ 
schnitten, um sie bei dem später nöthig wer¬ 
denden Reinigen derselben leichter wieder ein¬ 
führen zu können. Damit die Drains nicht in die 
Höhle hineinschlüpfen können, werden aussen 
Sicherheitsnadeln durch dieselben gesteckt. 
Das Herausfallen hindert der Verband oder das 
Anbinden derselben mittelst eines durch die 
Haut gezogenen Fadens. Statt der Kautschuk¬ 
röhrchen verwendete man auch decalcinirte 
und desinficirte hohle Knochen, welche bis 
auf das aus der äusseren Wunde hervor¬ 
ragende Ende vollständig resorbirt werden. 
Doch konnten weder diese noch die Glas¬ 
oder Metalldrains die Kautschukröhrchen ver¬ 
drängen. 

Die Wunde schliesst sich bei gelungener 
Heilung bis an das Röhrchen hinan, so dass 
eigentlich nur ein von demselben ausgefüllter, 
mit glatten granulirenden Wandungen ver¬ 
sehener Canal übrig bleibt, der nach Ent¬ 
fernung der Röhrchen sich rasch schliesst. 
Bleiben Höhlungen zurück, so ermöglicht das 
Drainrohr einerseits den Abfluss der Secrete, 
andererseits, wenn nöthig, die Ausspülung 
und Desinfection der Tasche. Auch die 
Röhrchen müssen öfter herausgenommen, 

f ut gereinigt, desinficirt, und entsprechend 
er fortschreitenden Verklebung der Wund¬ 
flächen auch verkürzt werden. 

Wer ein Freund von raschen Heilungen 
grosser und tiefer Wunden ist, kann auch 
in der Thierheilkunde der Drainage nicht 
entbehren. Bayer. 

Drainage der Wiesen. Künstliche Ent¬ 
wässerung vermittelst Thonröhren. In Folge 
der dadurch bewirkten Regelung der Feuchtig- 



398 DRASTICA. — DREHKRANKHEIT. 


keitsverhältnisse gewinnen die besseren, vor¬ 
nehmlich die sog. süssen Gräser, Kleepflanzen 
und andere nährstoffreiche Futterpflanzen die 
Oberhand (s. unter Wiesenheu). Pott. 

Drastica, heftig wirkende Arzneimittel 
mit besonderer Beziehung auf die Abführmittel 
(Purgantia drastica), welche zum Unterschied 
von den gewöhnlichen Laxirmitteln (Eccopro- 
tica oder Lenitiva) schon in verhältnissmässig 
sehr kleinen Gaben flüssige Darmentleerungen 
schaffen, wie CrotonöL, Jalape, Gummigutti, 
Kalomel, Podophyllin, Elaterin. Die Abführ¬ 
mittel im Allgemeinen heissen Purgantia oder 
Cathartica. Vogel. 

Dreeschland, Grundstück, welches ab¬ 
wechselnd als Wiese oder Weide und als 
Ackerland benützt wird. Pott. 

Drehkrankheit, Hydatidosis, cerebri 
s. Hydatidocephalus (von öäiüp, Wasser; 

Wasserbläschen, cerebrum, Gehirn; 
xe<paXiQ, Kopf), ist eine durch die Ansiedlung 
des Coenurus cerebralis oder der sog. Gehirn- 
quese im Gehirn hervorgerufene Störung in 
den Gehirnfunctionen und in der Bewegung. 
Coenurus cerebralis ist die Hydatide oder die 
geschlechtslose Vorstufe des Hundebandwur¬ 
mes Taenia Coenurus. Küchenmeister wies im 
Jahre 1853 nach, dass jeder Bandwurm in 
einer geschlechtslosen Jugendform als Wasser¬ 
blase oder Hydatide in einem Wohnthiere 
schmarotzt, aus der sich der vollständige 
Bandwurm erst entwickelt, wenn die Hydatide 
von einem anderen Thiere mit der Nahrung 
aufgenommen wird. Als Bandwurm wohnt 
Taenia Coenurus in Hunden und Füchsen, als 
Hydatide in Wiederkäuern und Pferden, am 
häufigsten in Schafen; bei diesen Thieren ent¬ 
wickelt sie sich vorzüglich im Gehirn, selten 
im Rückenmark, nicht aber immer vollständig, 
sie kann verkümmern. Hering beschreibt im 
Repertor. Jahrg. 1862 eine drehkranke Gans, 
welche einen erbsengrossen Knoten im lin¬ 
ken Lappen des grossen Gehirns besass. Ueber 
die Entwicklung der Coenurusblasen haben die 
Versuche von Küchenmeister, Haubner, May, 
Gerlach, Leuckart, van Beneden, Eschricht, 
Röll und Fürstenberg Folgendes gelehrt : 

Hunde und Füchse setzen mit ihren Ex¬ 
crementen reife Bandwurmglieder, welche Eier 
enthalten, auf die Pflanzen der Weiden ab ; sie 
gelangen mit den Pflanzen in den Verdauungs¬ 
canal der genannten Thiere. Der Magensaft 
löst die Eischale auf, der freigewordene Embryo 
wandert in den Darm, durchbohrt die Dann¬ 
häute, um seine Wanderung in die Schädel¬ 
oder Rückenmarkshöhle auszuführen; er folgt 
hiebei dem Laufe grösserer Gefäss- und Ner- 
venstämme. Als Spuren seiner Wanderung hin¬ 
terlässt er öfter auf den betretenen Geweben 
hyperämische und leichte, entzündliche Ver¬ 
änderungen in Form weissgelber Streifen. Ver¬ 
irrungen sind hiebei nicht ausgeschlossen, die 
Embryonen gerathen mitunter in die Darm¬ 
venen, in die Pfortader, in das Herz und in 
die Lungen und führen zur Thrombose und 
Zerreissung feiner Gelasse. Nach 12—21 Tagen 
hat der Embryo sich auf dem Gehirne fest¬ 
gesetzt und zu einem hirsekom- bis hanf¬ 


samengrossen Cysticercus 'oder Blasenwurm 
herangebildet, wobei die Pia sehr blutreich 
wird, weshalb sich auch in dieser Zeit Symp¬ 
tome der Gehirnreizung zuerst bemerklicli 
machen. 14 Tage später beträgt die Grösse 
der Hydatide die einer Erbse, nach weiteren 
14—20 Tagen die einer Haselnuss, in dieser 
Zeit bemerkt man auch die Entwicklung des 
Bandwurmkopfes an der Innenfläche der Bla¬ 
senmembran als kleine, railchweisse Pünkt¬ 
chen, dein noch die Haken fehlen; zwei bis 
drei Monate nach der Einwanderung ist die 
Blase wallnuss- bis eigross und der Kopf voll¬ 
ständig entwickelt. Die runde oder ovale Blase 
ist mit klarem Serum angefüllt, sie ist mit 
der Pia durch ein gelbliches Exsudat locker 
verbunden und bringt in ihrer Umgebung 
die Gehirnsubstanz, selbst den Schädel zum 
Schwinden; man trifft sie am häufigsten an der 
Oberfläche des Gehirns, seltener an der Basis 
desselben oder im Gehirn selbst an, u. zw. in 
mehr oder weniger grosser Anzahl, auch wohl 
vereinzelt an den verschiedenen Organen der 
Brust- und Bauchhöhle, unter der Pleura oder 
dem Peritonäum, am seltensten in der Hals¬ 
oder Lendenportion des Rückenmarks; zwischen 
den Meningen hat sich hier Serum ange¬ 
sammelt. Bei längerer Andauer gehen die 
Dreher anämisch und kachektisch unter Hinzu* 
tritt einer Gehirnparalyse ein, zuweilen macht 
ein apoplektischer Anfall dem Leben schnell 
ein Ende. 

Junge Thiere disponiren vermöge ihrer 
zarten, nachgiebigen Gewebe zur Drehkrank¬ 
heit, Schafe werden in der Regel im Alter 
von 1, Rinder von 2—7 Jahren davon be¬ 
fallen ; älteren Thieren mit strammem Faserbau 
schadet meistens die Infection mit Tänien- 
embryonen nicht, die letzteren gehen hier 
zu Grunde. 

Symptome. Diese kennzeichnen sich als 
solche der Gehirnreizung resp. einer localen 
Meningitis, bei Zunahme des Umfanges der 
Cönurusblase als solche der Gehirndepression 
und schliesslich als solche der Kachäxie. Leichte 
Trübungen des Allgemeinbefindens pflegen der 
Hirnreizung vorherzugehen, namentlich fällt 
eine gewisse Trägheit in den Bewegungen auf. 
Die Heftigkeit des Erkrankens hängt von der 
Menge der in die Schädelhöhe vorgedrungeneu 
Cönuren ab, mit ihrer Ansiedlung auf der Pia 
bemerken wir an den Patienten ein Tiefhalten 
des Kopfes und Schütteln mit demselben, 
periodisch benehmen sie sich unruhig, aufge¬ 
regt, springen und laufen unstät umher, die 
Conjunctiva röthet sich, der Kopf fühlt sich 
wärmer an, der Puls aufgeregt. Schwindel¬ 
und Krampfanfälle oder Convulsionen treten 
nicht selten ein, während solcher Anfalle hört 
man die Thiere mit den Zähnen knirschen, 
der Speichel wird zu Schaum gekaut, die 
Augen werden verdreht. In den meisten Fällen 
lassen die genannten Symptome allmälig in¬ 
nerhalb 4—6 Tagen nach, die Patienten wer¬ 
den scheinbar wieder gesund, bis sich mit der 
Zunahme der Cönurusblasen nach einigen Mo¬ 
naten, seltener schon nach 8—14 Tagen plötz¬ 
lich die Gehirndepression bemerklich macht 


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DREHKRANKHEIT. 


399 


Nunmehr markirt sich Stumpfsinmgkeit unter 
Abnahme der Fresslust, verzögertem Absatz 
der Darmexcremente und Fieber. Das Fressen 
geschieht unregelmässig und mit Unterbre¬ 
chung, die Kranken sind wie betäubt, gehen 
beschwerlich, wanken hin und her mit ge¬ 
senktem oder gehobenem Kopfe; sie drängen 
nach einer Seite, gehen im Kreise, drehen sich 
auf festgestelltem Hinter- oder Vorderfusse um 
sich selbst, wenn die Hydatiden ihren Sitz 
auf den Lappen der einen oder andern Hemi¬ 
sphäre des Grosshirns haben; das Drehen 
findet nach der Seite statt, auf welcher die 
Blasen sitzen. Gehen die Thiere mit hochge¬ 
streckter Nase taumelnd und fallen sie dabei 
nach rückwärts oder seitwärts um, so sitzt 
die Blase mehr in der Mitte des hinteren 
Theiles des Grosshirns oder im kleinen Ge¬ 
hirn — traben sie mit gesenktem Kopfe und 
überstürzen sich dabei nach vorn, so lässt 
dies den Sitz der Blase in der Mitte des vor¬ 
deren Theiles des Grosshirns vermuthen. Der 
Sitz der Blase im Rückenmark verrüth sich 
durch Schwäche im Kreuz, wackeligen Gang 
mit dem Hintertheile und völliger Paralyse 
desselben. Oefter entdeckt man an der atro- 
phirten Stelle des Schädels eine Verdünnung 
und Nachgiebigkeit des Knochens; drückt man 
fest auf diese Stelle, so verfallen die Kranken 
in Convulsionen. Die meisten von ihnen ver¬ 
enden nach mehrmonatlicher Dauer bei Zu- 
und Abnahme der Symptome in Folge Ab¬ 
nahme der Kräfte und der Hirnparalyse, ein¬ 
zelne schon in den ersten 6—8 Tagen des 
Stadiums der Gehirndepression. 

Differentialdiagnose. Andere Ge- 
himkrankheiten, besonders schleichend verlau¬ 
fende Gehirnentzündungen mit Erguss von 
Serum oder Blut in die Meningen oder Hirn- 
ventrikel können mit der Hydatidosis ver¬ 
wechselt werden, sie bedingen aber einen 
schnelleren Verlauf und eine Stetigkeit der 
Symptome, ohne prägnante Zeichen einer Ge¬ 
hirnreizung. 

Oestruslarven in den Kopfhöhlen ver¬ 
ursachen mitunter ähnliche Erscheinungen wie 
die Drehkrankheit, weshalb man sie auch 
unter dem Namen „falsche Drehkrankheit“ zu¬ 
sammengefasst hat; eigentliches Drehen wird 
hiebei selten beobachtet, sondern mehr ein 
Schleudern mit dem Kopfe bei häufigem Pru¬ 
sten und Niesen, wobei mitunter Larven aus- 
goworfen werden. 

Schwindel und Epilepsie haben tau¬ 
melnden Gang und Fallen auf die Erde ge¬ 
mein, ihre Anfalle sind aber von kurzer Dauer, 
nach ihrem Vorübergange sind die Thiere 
wieder gesund und munter. Blinde Lämmer 
sind für Dreher gehalten worden, sie rennen 
indes gegen alle Gegenstände, was Dreher 
nicht thun. Die Untersuchung der Augen gibt 
hier richtigen Aufschluss über die Ursache des 
abnormen Ganges der Lämmer. 

Schleim- oder Eiteransammlung in 
den Kieferhöhlen verursacht Schiefhalten 
des Kopfes und Drängen nach der Seite. Die 
Zeichen eines chronischen Katarrhs und Auf¬ 


treibung der Kieferknochen schützen vor Ver¬ 
wechslungen. 

Behandlung. Sie richtet in der Regel 
wenig aus, weil die Entwicklung der Cönurus- 
blasen durch Anwendung innerlicher Mittel 
nicht aufgehalten werden kann: selbst nach der 
operativen Entfernung der Blasenwürmer blei¬ 
ben Abnormitäten im Gehirn zurück, welche 
eine vollständige Heilung sehr problematisch 
machen. Kreuzdreher sind unheilbar, man 
schlachtet sie je früher desto besser. Von den 
operirten Schafen genesen im günstigsten Falle 
der dritte Theil, der bei weitem grösste Theil 
geht an den Folgen der Operation in einigen 
Stunden oder Tagen zu Grunde oder bleibt 
drehkrank, w r eil an der Stelle der Blase 
sich wieder Serum ansammelt oder sich Eiter 
bildet. Die Beseitigung der Cönurusblasen hat 
man auf verschiedene Weisen zu bewerkstel¬ 
ligen gesucht. Das Anstechen der Blasen mit 
dem sog. „Himdurchsucher“ hat man in 
neuerer Zeit ganz aufgegeben, w’eil es völlig 
dem Zufall anheimgegeben ist, ob man die 
Blase trifft. Man führte nämlich einen dünnen 
Draht durch die Nasenlöcher und das Sieb¬ 
bein ein und stiess ihn nach verschiedenen 
Richtungen in die Hirnhöhle hinein. Ratio¬ 
neller ist das Anstechen der Blase mit einem 
federkieldicken Troicart an der dem Finger¬ 
drucke nachgebenden Stelle des Schädels und 
das Aussaugen des Serums mit einer Spritze, 
oder die Trepanation. Als Operationsstelle wählt 
man den Theil des Schädels, welcher etw r a 
einen Finger breit hinter oder nach der Me¬ 
dianlinie zu neben den Hörnern, resp. Horn¬ 
ansätzen liegt, oder die Mitte der Stirn, was 
insofern vortheilhafter ist, als man von der 
Mitte aus den dünnen Troicart zum Anstechen 
der Blase nach Erforderniss nach rechts und 
links in verschiedenen Richtungen einführen 
kann, während man sonst Gefahr läuft, die 
Blase nicht zu treffen und die Operation wieder¬ 
holen zu müssen, was erst 1—3 Wochen 
später geschehen kann, wenn man nachtheilige 
Folgen sicher vermeiden will. Wo der Schädel¬ 
knochen atrophisch geworden ist, kann man 
ihn mit dem Messer anschneiden. Ausser dem 
Serum ist auch die Blasenmembran mit der 
Spritze anzusaugen und herauszuziehen oder 
mittelst Haken und Pincette herauszunehmen, 
die zurückbleibenden Theile derselben werden 
nicht resorbirt, sondern schrumpfen nur ein 
und bleiben als Fremdkörper im Gehirn liegen. 

Bezüglich der Ausführung der Trepanation 
ist nach den Regeln der Akiurgie zu verfahren. 

Das Durchbrennen der geschwundenen 
Stelle des Schädels mit dem Glüheisen nach der 
Vorschrift Neyrac’s und Vilmorin’s ist als un¬ 
praktisch ganz verlassen worden. 

Drehkranke Rinder müssen der Stärke der 
Knochen wegen immer trepanirt werden. Die 
Operationsstelle sucht man durch die Percus¬ 
sion zu ermitteln; ein dumpfer, matter Ton 
oder grössere Empfindlichkeit zeigt den Sitz 
der Blase an. 

Prophylaktisch empfiehlt sich das Ausmer¬ 
zen der mit Bandwürmern behafteten Schäfer¬ 
hunde oder das Abtreiben der Bandw ürmer. Anr. 



400 


DREIBLATT. — DREIVIERTELBLUT. 


Die Drehkrankheit kommt beim Rinde 
seltener vor al9 beim Schafe und wird beim 
Rinde ebenso wie beim Schafe durch den Hirn- 
blasenwurm (Coenurus cerebraliß), der beim 
Rinde Hühnereigrösse erlangt, verursacht. 
Die Krankheitserscheinungen beim Rinde sind 
Betäubung, Schwindel, schwankender Gang, 
Zurseitehalten des Kopfes, Drehbewegungen 
zur Seite oder im Kreise. Die Thiere fallen 
wohl auch nieder, das Auge wird starr, die 
Pupille erweitert, Appetit und Wiederkäuen 
vermindert, Athmen beschleunigt, beschwer¬ 
lich, es erfolgt Abmagerung und Milchverlust 
und schliesslich der Tod durch Lähmung. 
Das Alter der Krankheit lässt sich auch hier 
wie beim Schaf nach der Grösse des Blasen¬ 
wurmes berechnen. 20—30 Tage alte Blasen 
haben Mohnsamen- bis Erbsengrösse, und 
hühnereigrosse Blasen sind meistens drei 
Monate alt. Die Drehkrankheit des Rindes 
gilt in einigen Ländern als Gewährsmangel 
mit einer Gewährsfrist von 14—39 Tagen; 
diese Frist genügt aber nicht, da die ersten 
Krankheitserscheinungen meist erst einige 
Monate nach Einwanderung des Wurmes auf- 
treten. 12—18 Tage nach der Aufnahme der 
Eier oder Proglottiden der Taenia coenurus 
des Hundes sind die Embryonen des Coenurus 
bis ins Hirn der Schafe oder Rinder vorge¬ 
drungen. 

Beim Schafe beginnen die ersten Hirn¬ 
erscheinungen 22—30 Tage nach der Auf¬ 
nahme, und sind die Bläschen mohn- bis 
erbsengross, 50 Tage nach dem Verzehren der 
Eier findet man haselnussgrosse Blasen im 
Gehirn, und nach drei Monaten haben die 
Blasen Taubenei- bis Wallnussgrösse erreicht. 
Danach ist das Alter der Blasen und die Zeit 
der Einwanderung zu bestimmen. Die Dreh¬ 
krankheit gilt nur in einigen Ländern als 
Gewährsmangel mit einer Gewährszeit von 

14 Tagen in Nassau und Thurgau; 

15 » im Canton St. Gallen; 

31 „ „ „ Schaffhausen. 

Diese Gewährsfristen sind aber offenbar 
zu kurz angenommen worden, da die deutlich 
ausgesprochene Krankheit erst nach vollkom¬ 
mener Entwicklung der Blase im Gehirn, also 
erst einige Monate nach erfolgter Aufnahme 
der Bandwurmeier auftritt. Scmmer . 

Dreiblatt oder Fieberklee, bekannte Gen- 
tianee (früher Bitterklee, Trifolium fibrinum), 
s. Menyanthes trifoliata. 

Dreieckiger Körper der Harnblase, siehe 
Harnblase. 

Dreieckkrabben. Oxyrhyncha Edw. Ma- 
jacea de Haan. Eine Familie der kurz- 
schwänzigen decapoden Krebse oder Krabben 
aus der Classe der Crustacea, Unterclasse 
der Malacostraca, Ordnung der Decapoda, 
Unterordnung der Decapoda Brachyura, Familie 
der Oxyrhyncha s. Majacea. Die Dreieck- 
krabben haben einen dreieckigen, hinten 
verbreiterten, nach vorne spitzen Kopfbrust¬ 
schild, der häufig in einen spitzen Stim- 
schnabei auslftuft. Die Beine sind meist lang, 
cylindrisch, niemals Schwimrabeine. Der Mund¬ 
rahmen viereckig, die äusseren Antennen immer 


weit von einander getrennt. Die Dreieck¬ 
krabben sind träge, langsam sich bewegende 
Thiere, die sich am Grunde des Meeres oft in 
grossen Tiefen aufhalten. 

Man kennt gegenwärtig 116 Gattungen, 
welche von Miers in 4 Familien gesondert 
werden. 

1. Die Inachidae ohne besondere Augen¬ 
höhlen, in welchen die Augen geborgen werden 
können. 

2. Die Majidae. Mit besonderen Augen¬ 
höhlen, die aber meist nach unten eine Spalte 
zeigen oder sonst unvollständig sind. 

3. Die Periceridae. Mit vollkommenen 
Augenhöhlen, die einen durchwegs vollkom¬ 
menen Rand zeigen. 

4. Die Parthen opidae mit stark seitlich 
verbreitertem Kopfbrustschild, unter dessen 
Seitenränder sich die Beine bei einzelnen Gat¬ 
tungen zurückziehen können, mit kleiner, aber 
gut entwickelter Augenhöhle und sehr schlanken 
Antennen, deren erstes Glied dünn und klein 
ist und den Stirnrand nicht erreicht. 

Typische Dreieckkrabben stellen die sog. 
Seespinnen, Maja squinado, dar, welche an den 
Mittelmeerküsten häufig gefangen und gegessen 
werden. Sie haben einen stacheligen Kopf¬ 
brustschild, der nach vorne in zwei Hörner aus¬ 
läuft, und lange, cylindrische Extremitäten. Str. 

Dreiläufer werden junge Hasen genannt, 
welche drei Vierttheile ihres Wachsthumes er¬ 
reicht haben. Koch, 

Dreischlag, auch Antritt oder Halbgalop, 
Halbpass genannt, ist eine unregelmässige 
Gangart, bei welcher die Pferde zwei verschie¬ 
dene Bewegungsarten während der Abwicklung 
eines einmaligen Bewegungsmomentes aller 
vier Extremitäten vollführen, z. B. vorne Galop, 
hinten Trab oder Pass, sowie theilweise auch 
umgekehrt, wodurch eben eine ganz verworrene 
Bewegung entsteht. Dieser Dreischlag ist 
entweder die Folge von Uebereilung bei sehr 
temperamentösen feurigen Pferden, oder er 
tritt bei sehr ermüdeten und insbesondere in 
einer bestimmten Gangart, z. B. im Trabe 
überangestrengten Pferden namentlich dann 
auf, wenn dieselben zu einem noch rascheren 
Tempo in dieser Gangart angetrieben werden. 
Geht ein Traberpferd auf der Rennbahn über 
eine gewisse Strecke im Dreischlag, so wird 
dasselbe distanzirt. Leckncr. 

Dreiviertelblut. In der Zootechnik nennt 
man seit alter Zeit diejenigen Thiere, welche 
als Producte eines zweiten Kreuzungsgrades 
mit Vollblut bezeichnet werden können, „Drei- 
viertelblutthiere“. Deren Mütter stammen von 
einem edlen (Vollblut-) Vater und einer Mutter 
gemeinen Schlages. In der Neuzeit scheint 
die Bezeichnung „Dreiviertelblut“ mehr und 
mehr zu verschwinden. Es hat auch in der 
That dieselbe nur so lange Bedeutung, als es 
sich bei einem Viehstamme oder einer Familie 
um Einführung eines neuen Blutes handelt. 
Man will kurz damit andeuten, wie gross oder 
stark die Einmischung des Vollblutes bei 
einem einzelnen Thiere oder auch bei einer 
Familie gewesen ist. Die späteren Bruchtheile, 
die durch solche Kreuzungen von edlen und 



DREIVIERTELEISEN. — DRENTHER RINDVIEHSCHLAG. 


401 


veredelten Thieren (% mit % nur % Blut) 
entstehen, werden neuerdings in der Praxis 
nur noch selten in Gebrauch genommen, man 
begnügt sich gewöhnlich mit den Bezeich¬ 
nungen % Blut, % Blut und sehr veredelten 
Thieren. Frey tag, 

Dreivierteleisen. Ein Hufeisen, gewöhn¬ 
lich ohne Stollen und Griff, an dessen einem, 
meist innerem Schenkel, deijenige Theil fehlt, 
welcher auf den Trachtentragrand zu liegen 
kommt. Das Dreivierteleisen kann aus jedem 
gewöhnlichen stollenlosen Eisen durch Ab¬ 
hauen (Verkürzen) des einen Schenkels her¬ 
gestellt werden. Der Hieb (Schnittfläche) wird 
von der Huffläche nach der Bodenfläche zu 
ausgeführt und die scharfen Ecken und Kanten 
werden mit der Feile abgerundet (Fig. 440). 



Fig. 440. Dreivierteleisen. 


Es kann und wird 1. mit Vortheil bei Hufen 
mit veralteten SteingaUen und 2. bei krank¬ 
haft schiefen Hufen verwendet. 

1. Bei Hufen mit veralteten Steingallen 
ist es angezeigt, wenn die Verbindung zwi¬ 
schen Hornwand und Hornsohle intact und 
der Hornstrahl kräftig entwickelt ist. Auf 
letzteren Umstand ist besonders bei Hufen 
der bodenweiten Stellung zu achten. Dadurch, 
dass die kranke Stelle am Hufe gegen jeg¬ 
lichen Eisendruck bewahrt bleibt, erklärt sich 
seine wohlthätige Wirkung. Am Eisen selbst 
sind die Nagellöcher möglichst gleichraässig 
über den Zehentheil zu vertheilen, am inneren 
Schenkel genügen zwei und am äusseren 
drei Nagellöcher. Am Dreivierteleisen für 
Hufe der bodenweiten Stellung ist eine 
kleine Seitenkappe am äusseren Schenkel 
zweckmässig. 

2. Wird das Dreivierteleisen gegen 
krankhaft schiefe (namentlich Fohlen-) Hufe 
angewendet; es zeigt sich hier gar nicht selten 
als ein hervorragendes Correctiv. Es ist in 
allen denjenigen Fällen am Platze, in denen 
in Folge des schiefen und zuweilen auch 
krummen Hufes ein seitliches Ueberkippen 
droht. Das zu benützende Eisen weicht je¬ 
doch vom vorigen in der Art ab, dass es 
ungleich dick ist Der volle, unverkürzte, auf 
die eingezogene Wand zu liegen kommende 

Kocb. EncyklopiUüo d. Thiprh**ilk<l. IT. B<1. 


Schenkel wird stark gelassen, über den 
Zehentheil nach dem anderen Schenkel muss 
das Eisen allmälig an Dicke abnehmen und 
am verkürzten Schenkel schwach enden. Auf 
diese Weise wird die Last von der eingezo- 
genen Wand auf die entgegengesetzte Huf¬ 
hälfte verlegt. Der starke Eisenschenkel muss, 
wenn die Wirkung des Beschlages offenkundig 
zu Tage treten soll, so weit auf den Huf 
gepasst werden, dass eine vom Trachten¬ 
tragrande gefällte Lothrechte den Eisenrand 
trifft. Der gegenüberliegende Eisenschenkel 
dagegen ist so eng als möglich zu richten. 
(Vergl. schiefer Huf.) Zuweilen werden auch 
Dreivierteleisen dann gebraucht, wenn ein 
Theil der Hornwand durch Operation entfernt 
wurde, das Pferd aber vor der vollständigen 
Heilung transportirt werden muss. 

3. Das sog. geschlossene Drei¬ 
vierte leisen ist ein geschlossenes Eisen, 
an welchem, in der Regel am inneren Schenkel 
das dem Seiten- oder Trachtentragrande 
oder beiden zugleich entsprechende Stück 
herausgehauen ist. Es wird mit Vortheil 
stets gegen veraltete Steingallen und nach 
der Javartoperation dann angewendet, wenn 
die Huflederhaut sich mit Horn bedeckt hat 
und das betreffende Pferd wieder zum Dienst 
verwendet werden soll. Lungwitz, 

Drenther Rlndviehschlaa. Unter den ver¬ 
schiedenen Viehschlägen Hollands nimmt das 
Drenther Rind zwar keinen der ersten Plätze 
ein, verdient aber immerhin nach unseren Er¬ 
fahrungen grössere Beachtung, als ihm bisher 
in Deutschland zutheil geworden ist. Die 
Provinz Drenthe grenzt bekanntlich an Han¬ 
nover und liegt zwischen Friesland, Oberyssel 
und Gröningen nahezu in der Mitte; fast die 
ganze Landschaft eignet sich vortrefflich 
zur Züchtung von Rindern, und es wird da¬ 
selbst auch Jahr für Jahr eine ansehnlich 
grosse Zahl von Thieren dieser Gattung auf¬ 
gezogen. Mit vollem Recht darf man das 
meiste Drenther Vieh feinknochig und zierlich 
nennen, nur im centralen Theile der Provinz, 
in der Umgegend von Assen, Laag, Wester¬ 
bork, auch bei Dwingelow, Kainen und dem 
Kainerwalde bei Meppel wird der fragliche 
Schlag etwas schwerer und knochiger. Das 
Lebendgewicht der ausgewachsenen Kühe 
dieser Landschaft schwankt zwischen 600 und 
700 kg; nur vereinzelt trifft man daselbst grös¬ 
sere und schwerere Exemplare. Man findet in 
Drenthe sowohl Schwarzschecken wie Thiere 
von rothbunter und fahlbunter Haarfarbe. 
An der Grenze von Oberyssel kommen in der 
Regel nur rothbunte Kühe vor; diese wie 
die meisten anderen Rinder der genannten 
Provinz zeigen in der Körpergestalt eine grosse 
Aehnlichkeit mit dem schottischen Rinde von 
Ayrshire, und es ist nicht unwahrscheinlich, 
dass solches mit jenem holländischen Schlage 
von Drenthe verwandt ist. Bezüglich der 
Aufzucht und Haltung der Rinder in dieser 
Landschaft dürfte noch Manches zu verbessern 
sein; in dem ersten Lebensjahre erhalten die 
Rinder gewöhnlich ein sehr knappes, durch¬ 
aus nicht hinreichendes Futter; auch lässt 

26 



402 


DRESDEN. — DROHNE. 


man die Thiere häufig zu früh zum Stier, wo¬ 
durch ihr Wachsthum sehr beeinträchtigt 
wird. Die jungen Kühe liefern im ersten Jahre 
nach dem Kalben etwa 20001 Milch; später 
—wenn sie in gutenStällen hinreichend ernährt 
werden — geben sie 2500—30001 jährlich. 
Man rühmt sowohl die Mastfähigkeit wie die 
gute Qualität des Fleisches der Drenther 
Ochsen; letzteres soll äusserst zart und schmack¬ 
haft sein. Ein besonderer Vorzug des frag¬ 
lichen Schlages ist dessen Widerstandsfähig¬ 
keit gegen Krankheiten; man nennt ihn wohl 
mit Recht den gesundesten und kräftigsten 
in den Niederlanden. Es dürfte dieser Um¬ 
stand bei der Auswahl des holländischen 
Viehes für den Export mit Recht Beachtung 
verdienen. In der neueren Zeit ist das Drenther 
Vieh häufig für deutsche Wirthschaften der 
minder fruchtbaren Gegenden gern gekauft 
worden; dasselbe ist in der Heimat nicht 
verwöhnt und liefert hier bei einigermassen 
guter Haltung ganz befriedigende Milch¬ 
erträge. Auf unseren besseren Bodenarten 
wird das Drenther Vieh schon in der zweiten 
Generation ungleich schwerer und in den 
Milcherträgnissen viel besser, als die einge¬ 
führten Originalthiere zu sein pflegen. Die 
Provinz Drenthe steht in der Pferdezucht 
ebenso hoch wie in der Rinderzüchtung; der 
dortige Schlag besitzt recht gute Formen, 
zeigt tüchtige Leistungen, besonders im Trabe, 
und dabei eine lobenswerthc Ausdauer. Die 
Harttraber dieser Landschaft werden meistens 
sehr gut bezahlt. Freytag. 

Dresden, Thierarzneischule, gegründet 
1776. An derselben wirkten: Weber, Rumpelt, 
Wenzel, Hirsch, Reutter, Tennecker, Prinz, 
Seiler, Haubner (gegenwärtig Leisering, Sie- 
damgrotzky, Hofmeister, Sussdorf, Haubner, 
Ellenberger, Johne, Lungwitz). Aus der 
Dresdner Schule gingen hervor: Funke, Bau¬ 
meister, Tannenhauer, Neuschild, Weber, 
Böhme, Prinz, Trautvetter, Bräuer, Bene¬ 
dict u. A. m. Semtfier. 

Dressiren, Dressur, Einübung (s. a. 
Abrichtung). Darunter begreift man im All¬ 
gemeinen die Zähmung, Abrichtung und Ein¬ 
übung eines Haus- oder wilden Thieres zu 
irgend einem Gebrauchszwecke. Die grösseren 
HauBthiere werden zum Reiten, Lastentragen, 
Fahren, Ziehen, Früchteaustreten etc. ver¬ 
wendet, wie z. B. die Pferde, Rinder, Kameele, 
Elephanten, Giraffen etc., und die kleineren 
zur Jagd, zur Belustigung und zum Vergnügen 
der Menschen abgerichtet, wie z. B. die Hunde 
zu den verschiedenen Jagden, auch zum Ziehen 
von Lasten, zum Bewachen der Viehheerden, 
zum Schutz der Menschen und Wohnungs¬ 
gelasse und zum Vergnügen: die wilden 
Thiere, wie Löwen, Leoparden etc. zu Schau¬ 
stellungen: die Vögel theils zur Jagd und 
theils zu Volksbelustigungen etc. Die Pferde¬ 
dressur ist nicht nur eine manuelle Fertigkeit, 
sondern eine wirkliche Kunst. Die Praxis des 
Dresseurs verlangt ausser theoretischen Kennt¬ 
nissen über Anatomie und Physiologie des 
Pferdes auch mathematische Kenntnisse, damit 
er aus der Proportionslehre des Körperbaues, 


der Organisation im Ganzen und Einzelnen 
die Abrichtungsfähigkeit beurtheilen kann. 
Ferner muss er auch die Gesetze und Regeln 
der Mechanik kennen, um aus der Hebel¬ 
wirkung und Winkelbildung die Stellung und 
Bewegungsthätigkeit des Thieres bemessen 
und bemeistem zu können. Nur wer mit diesen 
Kenntnissen ausgerüstet, ist fähig, die Dressur 
eines Pferdes wissenschaftlich und kunst¬ 
gerecht zu leiten. Ableitner . 

Driver war seinerzeit ein berühmter Be¬ 
schäler der englischen Halbblutrasse im 
königlich preussischen Hauptgestüte zu Tra¬ 
kehnern In den Jahren 1818—1820 kamen 
dorthin vier ausgezeichnete Hengste der eng¬ 
lischen Vollblutrasse (Blackmoor, Serapell, 
Amber und Mungo), dieselben lieferten in 
ihrer Nachzucht für das Gestüt 110 Mutter¬ 
stuten und drei höcht werthvolle Hengste: 
Driver, Trafalgar und Pretender, welche sich 
alle durch hervorragende Leistungen auszeich¬ 
neten und nach Frentzel’s Mittheilungen dem 
Gestüte Trakehnen eine viel bessere Nachzucht 
geliefert haben als die ziemlich gleichzeitig 
benützten orientalisch-arabischen Hengste Bag- 
dadli, Teheran, Eminlik, Kiurd-Arab, Oglan, 
Delisadehr, Kaseh und Altin. Diese haben 
im Ganzen nur 83 zum Einrangiren geeignete 
Zuchtstuten gezeugt, welche inSumma 729 Jahre 
benützt worden sind. Frey tag. 

Drogenlehre, s. Arzneimittellehre. 

Drohne, Drahne, Holmbiene und 
Helmbiene genannt, ist das Bienenmännchen. 
Es unterscheidet sich von der Königin und der 
Arbeitsbiene durch einen dickeren, plumperen 
Körper, welcher hinten nicht spitz zulaufend, 
sondern breit abgerundet ist und hat aucli 
einen grösseren, runderen Kopf. Ihr ganzes 
Wesen ist mehr langsam und träge als das 
der Arbeitsbienen. Ihren Namen hat sie von 
ihrem Flugtone, welcher mehr dröhnend oder 
brausend als bei den weiblichen Bienen ist. 
Im normalen Zustande des Bienenvolkes legt 
die befruchtete Königin auch die Drohneneier. 
Da aber die Drohneneier keiner Befruchtung 
bedürfen, um sich zum Leben zu entwickeln, 
sondern uranfänglich den Lebenskeim in sich 
tragen, so können auch unbefruchtet gebliebene 
Königinnen (alte Jungfern), ja selbst Arbeits¬ 
bienen ausnahmsweise Drohneneier legen, die 
sich ebenfalls zu innerlich vollkommenen, mithin 
begattungsfähigen Drohnen entwickeln können. 
Nur ihre äussere Grösse ist eine geringere, 
jedoch die Gestalt im Uebrigen dieselbe wie 
bei den grossen, von befruchteten Königinnen 
stammenden Drohnen. Die Entwicklung der 
Drohnen, vom Ei ab gerechnet, dauert ungefähr 
24 Tage, wovon, wie bei der Arbeitsbiene, 
drei Tage auf die Entwicklung und etwa 
sechs Tage auf den Larvenzustand kommen, 
während der Puppenzustand in der bedeckelten 
Zelle vier Tage länger als bei der Arbeits¬ 
biene, ungefähr 15 Tage dauert. 

Während bei den meisten Thiergattungen 
das Männchen das stärkere Geschlecht und 
vorzugsweise mit Arbeitskräften und den 
Mitteln zum Schutze seiner selbst und der 
Seinigen ausgerüstet ist, entbehrt die Drohne 



DROHNENGESCHLECHT. 


403 


aller Thatkraft und Schutzmittel. Sie ist mit 
keinem Stachel versehen und weiss sich nicht 
einmal mit ihren Kiefern zu wehren. Sie 
nimmt an keiner Arbeit theil, weder innerhalb 
noch ausserhalb des Stockes. Sie hat weiter 
keinen Zweck und Nutzen, als den, die junge 
Königin zu befrachten. 

Obgleich die Königin zur Verhängung 
nur einer Drohne bedarf, so erzeugt ein 
sch wärmlustiges Volk, dem man freien Willen 
lässt, doch eine sehr grosse Anzahl derselben. 
Es geschieht dies aus dem instinctmässigen 
Grunde, dass die Königin bei ihrem Ausfluge 
um so leichter eine Drohne auffinden und um 
so sicherer und früher befruchtet werden soll. 
Im Naturzustände leben die Bienenvölker 
vereinzelt, und naturtriebsmässig siedelt sich 
jeder Schwarm entfernt vom Mutterstocke an. 
Diese Einzelexistenz der Bienenvölker bedingt 
denn auch eine grössere Anzahl Drohnen für 
das einzelne Volk, um die Befruchtung der 
Königin zu erleichtern und sicherzustellen. 
Je weniger Drohnen, desto öfter muss die 
Königin zur Befruchtung ausfliegen und desto 
grösser ist die Gefahr, dass sie dabei um¬ 
kommt und dadurch das Volk zu Grunde geht. 
Um dieser Gefahr zu begegnen, opfert das 
Volk eine grosse Menge Honig zur Erziehung 
und Erhaltung vieler Drohnen. 

Dagegen verhält sich die Sache anders, 
wo die Bienenvölker gezüchtet werden und 
demnach in grösserer Anzahl beisammen 
stehen. Da hier die Drohnen aus allen Stöcken 
und selbst von den benachbarten Ständen 
der Königin zur Verhängung dienen können, 
so ist eine grosse Anzahl derselben im ein¬ 
zelnen Stocke nicht nöthig. Da ferner die 
Drohnen keinen Honig eintragen und auch 
nicht durch sonstige Arbeiten sich nützlich 
erweisen, sondern nur gefrässige Honigzehrer 
sind, so ist unter gewöhnlichen Verhältnissen 
eine grosse Anzahl derselben der Zucht sehr 
nachtneilig. Der Züchter handelt deshalb nur 
in seinem Interesse und dem Bedürfnisse der 
Bienen entsprechend, wenn er die Drohnen¬ 
brut nach Kräften beschränkt, indem er im 
Brutraume der Bienen das Bauen von Drohnen¬ 
wachs zu verhindern sucht, so lange dieses 
mit Drohnenbrut besetzt wird, oder er zer¬ 
stört die Drohnenbrut. Ableitner. 

Drohnengesohleoht. Dasselbe bilden die 
männlichen Bienen oder Drohnen, die nur zu 
dem Zeitpunkte im Volke ein Bedürfnis 
werden, wenn eine junge Königin befruchtet 
werden soll. Ist die Königin befruchtet, so ist 
der Zweck der Drohnen erfüllt, und sie werden 
von den Arbeitsbienen wieder vertrieben. Die 
Entwicklung und Ausführung des befruchteten 
Samens betreffend vergl. u. Bienen. 

In den Hoden der Drohne (Fig. 441 aa) 
bildet sich der männliche Same, u. zw. schon 
ehe sich die Drohne vollständig entwickelt hat, 
während sie sich noch als Puppe oder Nymphe 
in der bedcckelten Zelle befindet. Dieser Same 
ist, mit blossen Augen betrachtet, eine dicke, 
weisse Flüssigkeit. Unter dem Mikroskop er¬ 
kennt man jedoch, dass er aus einer er¬ 
staunlich grossen Menge kleiner, beweglicher, 


also lebender Fädchen, früher Samenthier- 
chen genannt, besteht. Diese Samenfädchen 
geben dem weiblichen Geschlechte der Bienen 
das Leben, u. zw. nur diesem Geschlechte, 


Fig. 441. Geschlechtsorgane der Drohne. 



indem sie die im Ei liegenden Keime des 
weiblichen Geschlechtes zur Entwicklung brin¬ 
gen. Diese einseitige Kraft des männlichen 
Samens hat sehr wahrscheinlich ihren Grund 
darin, dass die Drohne aus einem rein weib¬ 
lichen oder Jungfernei entstanden, also ein 
einseitig weibliches Erzeugniss ist. Wenn die 
Drohne sich vollständig entwickelt und die 
Zelle verlassen hat, tritt der Same in den 
doppelten Samengang b b. Diese beiden Samen¬ 
canäle haben bei c c eine Erweiterung, wo der 
Same sich vorläufig ansammelt. Da, wo sich 
dieselben zu einem Canal vereinigen, befinden 
sich zwei sackförmige Drüsen, Anhangs¬ 
drüsen genannt, d d, welche ebenfalls in den 
einfachen Canal e münden und einen weissen 
Schleim absondern. Dieser Schleim hat die Be¬ 
stimmung, die aus c c in den einfachen Canal e 
übertretenden Samenfädchen zu umhüllen und 
zu einem sogenannten Samenpfropf (Sper¬ 
matophora) am Anfang des Penis f zu ver¬ 
binden, wodurch der Anfangstheil desselben 
(Peniszwiebel) bimförmig anschwillt. In dieser 
Umhüllung wird der Same bei der Begattung 
in die Scheide der Königin übergeführt. Bei 
einer eben von der Befruchtung heinikeh¬ 
renden Königin kann man oft diesen Schleim 
als Zeichen der geschehenen Befruchtung 
wahrnehmen. Das männliche Begattungsglied 
besteht aus mehreren Theilen. Es beginnt 
mit der schon erwähnten bimförmigen An- 


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404 


DROHNENMÜTTER. — DROSSELN. 


Schwellung oder der Peniszwiebel f, welche an 
der Rückseite von zwei Homschuppen g ein- 
eschlossen wird. Am Ende der Ruthe be- 
nden sich neben derselben die beiden sog. 
Hörnchen k, welche orangenfarbige, zipfelsack- 
förmige Schläuche sind und vermuthlich bei 
der Begattung zum Festhalten dienen. Bei 
der Verhängung der Drohne mit der Königin 
stülpt sich die Ruthe bis zur Peniszwiebel f 
nach aussen und dringt während des Um- 
stülpens in die Scheide der Königin, wodurch 
der Samenpfropf in die letztere eingebracht 
und der Same in die Samentasche der Königin 
über geführt wird. Man kann sich dieses Um- 
stülpen der Ruthe ungefähr veranschaulichen, 
wenn man eine Drohne am Bruststück nach 
dem Hinterleibe zu drückt. Es treten dann die 
beiden Hörnchen sich umstülpend am Hinter¬ 
leibe der Drohne heraus, und zwischen diesen 
springt die Ruthe hervor, welche in gebogener 
Richtung nach oben schnellt. Das Umstülpen 
des Peni6 hat den sofortigen Tod der Drohne 
zur Folge, die ohnedies zu keiner zweiten Be¬ 
fruchtung mehr dienen könnte, und der um¬ 
gestülpte Penis hängt mittelst widerstrebender 
Borsten und Schuppen so fest in der Scheide, 
dass beim Trennen der Königin von der 
todten Drohne in der Regel ein Theil der 
männlichen Geschlechtstheile abreisst und in 
der Scheide stecken bleibt. Bei der Rückkehr 
der Königin nach erfolgter Befruchtung sieht 
man oft diese abgerissenen Theile wie einen 
kleinen weissen Faden am Hinterleib derselben 
hängen oder die Scheide durch dieselben 
klaffend getrennt, was ebenfalls als Befruch¬ 
tungszeichen anzusehen ist. 

Da die Drohnen nur den Zweck haben, 
junge Königinnen zu befruchten, so werden sie 
von den Bienen erst dann erbrütet, wenn diese 
beabsichtigen, zu schwärmen und zu dem 
Ende junge Königinnen zu erziehen. So lange 
diese Schwärmlust währt, gewöhnlich bis 
zum Ende der Haupttracht im Sommer, dulden 
sie die Drohnen. Geben sie aber den Schwärm- 
trieb auf, so werden die Drohnen vertrieben. 
Man nennt diese Zeit die Drohnenzeit und 
das Vertreiben der Drohnen die Drohnen¬ 
schlacht. Nur solche Völker, welche keine 
befruchtete Königin besitzen, dulden die 
Drohnen ausser der Drohnenzeit. 

Literatur: G. Dathe's Lehrbuch der Bienen- 
zxicht. Ableitner. 

Drohnenmütter, auch Afterköniginnen 
(falsche Königinnen), stammen von den Eiern 
der Arbeitsbienen ab. In solchen Bienenstöcken, 
welche längere Zeit keine befruchtete oder 
gar keine Königin haben, also weisellos sind, 
kommt es nicht selten vor, dass eine oder 
mehrere Arbeitsbienen Eier legen. Zu diesem 
Zwecke bekommen jene Bienen, deren Eier¬ 
stock etwas mehr entwickelt ist, königliche 
Nahrung, indem sie mit geläutertem Futter¬ 
brei von den übrigen Bienen versorgt werden, 
während die sonstigen Arbeitsbienen rohen 
Honig und Pollen bekommen. Der Eierstock 
wird dadurch zur Eibildung gereizt und be¬ 
fähigt, und sie sind nun im Stande, Eier ab¬ 
zusetzen. Diese Eier sind aber blos Jungfern¬ 


oder Drohneneier (Parthenogenese), aus denen 
sich wieder nur Drohnen entwickeln können. Aör. 

Dropax, frühere Bezeichnung für Pech¬ 
pflaster. 

Drossel ist die Benennung für die Luft¬ 
röhre, Drosselknopf für den Kehlkopf beim 
Wilde in der Jägersprache. Koch. 

Drosselader, Vena jugularis, ist nach 
Hyrtl nicht von erdrosseln, jugulare, sondern 
von droza, dem altdeutschen Ausdruck für die 
vordere Halsgegend, abzuleiten. Sussdorf. 

Drosseln, Turdidae, bilden im weiteren 
Sinne eine Familie der sperlingsartigen Vögel 
oder Passeres. Es sind kräftig gebaute Vögel mit 
starker Brust und ziemlich grossem Kopfe, ge¬ 
radem, seitlich zusammen gedrücktem Schnabel 
von mittlerer Länge, der zuweilen vor der 
Mitte seicht ein gekerbt ist. Mit mittellangen 
Flügeln, die zehn Handschwingen tragen, von 
denen dLie erste verkürzt ist. Mit hohen Läufen, 
die vorne mit einer zusammenhängenden Horn- 
platte (Stiefel) oder grossen Hornschildern 
bedeckt sind. Die Drosseln sind über die ganze 
Erde verbreitet; sie nähren sich von Insecten 
und deren Larven, daneben auch von Beeren. 
Die Männchen sind meist vorzügliche Sänger. 

Von einheimischen Vögeln werden zu den 
Drosseln gerechnet die Arten der Gattungen: 
Luscinia (Nachtigall), Cyanecula (Blau¬ 
kehlchen), Dan dal us (Rothkehlchen), Ruti- 
cilla (Rothschwanz), Monticola (Steindros¬ 
sel), Saxicola (Steinschmätzer), Pratincola 
(Wiesenschmätzer), Turdus (Drossel) und 
Cinclus (Wasserschmätzer); von aussereuro- 
päischen Vögeln die amerikanischen Gattungen 
Mimus (Spottdrosseln), Galeoscoptes u. A. 

Als Unterfamilie der Turdinae, Drosseln 
im engeren Sinne, werden diejenigen Turdidae 
vereinigt, deren spitzer, am Ende seitlich 
comprimirter Schnabel eine leichte Einkerbung 
vor der Spitze zeigt, und an deren mittellangen 
Flügeln die erste Schwinge sehr klein, die 
dritte und vierte die längsten sind, und bei 
welchen der Lauf vorne mit breiten Tafeln 
bedeckt ist. Dahin rechnet man die Gattungen 
Turdus, Oreocincla, Turdulus und Geo- 
cichla. Die artenreichste Gattung ist Turdus 
mit 112 Arten, die über die ganze Erde ver¬ 
breitet sind. In Mitteleuropa kommen sechs 
Arten häufiger vor. Von diesen brüten in 
unseren Regionen die Misteldrossel, Turdus 
viscivorus L.; die Singdrossel, Turdus musi- 
cus L.; die Amsel, Turdus merula, und die 
Ringdrossel, Turdus torquatus L. Auf dem 
Zuge besucht Mitteleuropa regelmässig die 
ira Norden brütende Weindrossel, Turdus 
iliacus L., während die Wachholderdrossel, 
der Krametsvogel, Turdus pilaris L., aus dem 
Norden kommend in Mitteleuropa überwintert. 
Die Drosseln nähren sich namentlich während 
der Brütezeit von Insecten und deren Larven, 
mit denen auch die Jungen aufgefüttert werden, 
im Herbste dagegen von Früchten und Beeren; 
zu dieser Zeit sind die meisten den Wein- 
culturen schädlich. Andererseits nimmt aber 
dann das Fleisch einen feinen Geschmack an, 
was einige Arten, namentlich die Mistel¬ 
drossel, Weindrossel und besonders den 



DRUCKSCHADEN. — DRÜSEN. 405 


Krametsvogel, welcher im Winter von Wach¬ 
holderbeeren lebt, zu einer sehr geschätzten 
Speise macht. Studcr. 

Druckschäden, s. Quetschungen. 

Druckverband, s. Verbände. 

Drücken ist eine Untugend der Jagd¬ 
hunde, die auf fehlerhafter Dressur beruht, 
indem sie das erlegte Wild, ehe sie es auf¬ 
nehmen, rupfen, drücken, bald aufnehmen und 
bald wieder fahren lassen. Um dies zu ver¬ 
hüten, muss man die Hunde bei der Dressur 
an die Leine nehmen und sobald sie stehen, 
mit dem Fuss auf dieselbe treten, und darf 
sie, wenn das Wild fällt, nicht fortlassen. Man 
muss sie vielmehr langsam an der Leine her¬ 
anführen und nicht eher apportiren lassen, 
bis der Eifer erkaltet ist. Wenn man das 
einigemale wiederholt, wird das sog. Drücken 
und Beschädigen des Wildes, welches einzig 
und allein dem Uebereifer des Hundes zuzu¬ 
schreiben ist, bald aufhören. Die angeführte 
Methode ist sicherer und zweckmässiger als 
jene von einigen Jägern gebrauchte, welche 
darin besteht, ein Federwild oder einen Federball 
kreuzweise mit eisernen Stacheln zu durch¬ 
stechen und den Hund apportiren zu lassen, 
wodurch derselbe zwar vom begierigen Zufassen 
abgehalten, aber auch gewöhnlich feige und 
apathisch gemacht und oft vom Apportiren 
ganz und gar abgeschreckt wird. Ableitner. 

In der Jägersprache wird das Wort 
„Drücken“ auch gebraucht, wenn sich Wild 
oder wilde Thiere auf die Erde oder über 
einen Ast herstrecken, um sich vor ihren Ver¬ 
folgern zu verbergen. Verbergen sich die 
Thiere aber im Gebüsche, so nennt man das 
„Stecken“. Koch. 

Drüse, verdächtige, bedenkliche, auch 
Steindrüse, Druse (s.d.) eine Krankheit der Pferde 
mit chronischem, einseitigem oder beiderseitigem 
Nasenausfluss, Schwellung der Lymphdrüsen, 
besonders der Kehlgangsdrüsen und trockenem, 
dumpfem Husten. Unter verdächtiger Drüse 
wird von einigen Thierärzten eine chronisch 
gewordene Drüse, von andern eine besondere 
Krankheit, von noch andern ein Uebergangs- 
stadium zwischen Drüse und Rotz und von 
einigen (Gerlach) das erste zweifelhafte Stadium 
des Rotzes verstanden (auch Chabert und 
Wollstein). Die Drüse als solche hat mit dem 
Rotz nichts Gemeinsames und geht auch nie 
direct in den Rotz über, kann aber bei chro¬ 
nischem Verlauf eine besondere Prädisposition 
für den Rotz verleihen. Sobald sich zum chro¬ 
nischen Nasenausfluss, mit Schwellung der 
Kehlgangsdrüsen, Knötchen und Geschwürchen 
in der Nase oder Beulen und Geschwüre in 
der Haut hinzugesellen, handelt es sich um 
ausgesprochenen Rotz oder Wurm. Bei lang- 
dauernden zweifelhaften Fällen verdächtiger 
Drüse mit Fehlen von Knötchen und Geschwür¬ 
chen in der Nasenhöhle (Lungenrotz) ent¬ 
scheidet meist die Probeimpfung auf junge 
Hunde, Meerschweinchen, alte Pferde und Esel 
mit dem Nasenausfluss oder der Drüsensub¬ 
stanz aus den geschwellten Lymphdrüsen, in 
14 Tagen die Frage, ob es sicli um Rotz 


handelt oder nicht. Die sogenannte verdäch¬ 
tige Drüse gilt in vielen Ländern als Gewährs¬ 
mangel mit einer Gewährsfrist von 15 Tagen. Sr. 

Drüsen (Anatomie). Als Drüsen (glandulae) 
bezeichnet man diejenigen Organe, welche 
bestimmt sind, Bestandtheile des Blutes auf¬ 
zunehmen und dieselben verändert oder unver¬ 
ändert auf eine freie Oberfläche des Körpers 
gelangen zu lassen. Sie sind demgemäss in 
erster Linie Absonderungs- oder Secre- 
tionsorgane, und die von denselben gebil¬ 
deten, auf eine freie Oberfläche des Körpers 
ergossenen Producte werden Absonderungs- 
producte oder Secrete (s. d.) genannt. Die 
theils mikroskopisch kleinen, theils umfang¬ 
reiche Organe darstellenden Drüsen stimmen 
darin überein, dass sie kleine Hohlräume ein- 
schliessen, deren gesammte Oberfläche im 
Verhältnis zum Volumen der ganzen Drüse 
sehr gross ist, und dass sie einen oder mehrere 
Ausführungsgänge besitzen, welche sich direct 
oder indirect in einen Schleimhautcanal oder 
auf die äussere Haut öffnen. Die Drüsen können 
daher schliesslich auf eine Einstülpung der 
Schleimhaut oder der äusseren Haut zurück¬ 
geführt werden und entwickeln sich entweder 
aus dem Hornblatt oder dem Darmdrüsenblatt 
der Fruchtanlage. 

Die Hohlräume der Drüse werden von 
einer zarten, meist structurlosen Membran — 
Drüsenhaut, Drüsenmembran (tunica 
propria, glandilemma) — gebildet; die dem 
Hohlraum zugewendete Fläche der letzteren 
bedeckt ein Epithel — Drüsenepithel — 
dessen Zellen zwar im Allgemeinen den Cha¬ 
rakter des Cylinder- oder Pflaster-, sehr selten 
den des Flimmerepithels an sich tragen, jedoch 
in den einzelnen Drüsen, oft auch in den ver¬ 
schiedenen Theilen der letzteren, oder je nach 
dem Zustande der Thätigkeit oder Unthätigkeit 
dieser Organe mannigfache Eigentümlich¬ 
keiten zeigen. Die absondernde Thätigkeit der 
Drüsen ist von den Zellen des Drüsenepithels, 
welche mitunter den ganzen Hohlraum der 
Drüsen ausfüllen, abhängig. Die Drüsenzellen 
bilden durch ihre Thätigkeit die im Blute 
nicht vorhandenen Bestandtheile der Secrete, 
oder die letzteren entstehen durch eine Modi- 
fication, bezw. einen Zerfall der Drüsenzellen 
selbst. Nach aussen von der Drüsenmembran 
umspinnt ein bald eng-, bald mehr weitma¬ 
schiges Netz von Blutcapillaren die kleinen 
Hohlräume, ebenso verlaufen in den Drüsen 
zahlreiche Lymphgefässe. Die Nerven gehören 
zum grössten Tlieil dem sympathischen System 
an, ihre peripherischen Enden sind noch wenig 
bekannt. 

Die Ausführungsgänge der Drüsen 
stellen einen Schleimhautcanal dar, dessen 
innere Oberfläche ein Epithel von sehr ver¬ 
schiedener Beschaffenheit bedeckt. Nach aussen 
von dem Schleimhautrohr liegt eine Schicht 
von Bindegewebe, nicht selten auch — z. B. 
im Gallengang, Harnleiter — von Muskelfasern. 
Die Schleimhaut kann ausserdem klappen- 
artige Falten bilden, welche den Abfluss der 
Secrete nur nach einer bestimmten Richtung 
gestatten. 


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406 


DRÜSEN. 


Nach der Form ihrer Hohlräume unter¬ 
scheidet man schlauch- oder röhrenför¬ 
mige (tubulöse) und bläschenförmige, 
traubige oder traubenförmige (acinöse) 
und in jeder dieser Abtheilungen wieder ein¬ 
fache und zusammengesetzte Drüsen. 

Die einfachen tubulösen Drüsen sind 
an dem einen Ende offene, an dem anderen 
blinde Schläuche oder Röhren, welche ent¬ 
weder ganz ungetheilt bleiben oder sich am 
blinden Ende in wenige kurze Aeste spalten. 
Zu diesen Drüsen gehören die des Magens 
(s. d.), der Gebärmutter (s. d.) und die 
Lieberkühn’schen Drüsen des Darmcanals 
(s. d.). Denselben an die Seite zu stellen sind die 
Knäueldrüsen, bei denen der Schlauch 
eine bedeutende Länge erlangt und das blinde 
Ende desselben sich zu einem Knäuel zu¬ 
sammenwickelt. Das charakteristische Beispiel 
dieser Form geben die Schweissdrüsen 
(s. d.) ab. 

Die einfachen acinösen Drüsen stellen 
runde, ovale oder flaschenförmige Bläschen 
(acini) dar, deren Wand entweder glatt ist 
oder kleine rundliche Ausbuchtungen erkennen 
lässt. Diese Grundformen zeigen die Talg¬ 
drüsen der Haut (s. d.) und die meisten 
Schleimdrüsen. 

Die zusammengesetzten Drüsen 
werden von zahlreichen entweder tubulösen 
oder acinösen Hohlräumen gebildet. Die ein¬ 
zelnen Schläuche, bezw. Bläschen, d. h. die 
eigentlichen Drüsenelemente verbinden sich 
durch eine bindegewebige Stützsubstanz, welche 
reichlicher oder spärlicher vorhanden sein 
kann und häufig auch Muskelfasern einschliesst, 
zu deutlich abgegrenzten, mitunter aussen 
noch von besonderen Häuten überzogenen 
Organen. 

Zu den zusammengesetzten tubu¬ 
lösen Drüsen gehören die Nieren (s.d.) und 
die Hoden (s.d.), bei denersteren theilensich 
die röhrenförmigen Drttsenelemente vielfach 
gabelig, bei den letzteren stehen dieselben 
in einem netzförmigen Zusammenhang, dem¬ 
gemäss ist die durch die Hoden repräsentirte 
Form der Drüsen auch als die der netzför¬ 
migen Drüsen bezeichnet worden. 

Die zusammengesetzten acinösen 
Drüsen zeichnen sich dadurch aus, dass die 
Endbläschen (acini) der Drüse sich zunächst 
zu Gruppen vereinigen, welche Drüsen¬ 
läppchen genannt werden. Aus jedem Drüsen¬ 
läppchen tritt ein Ausführungsgang, dessen 
Endverzweigungen mit den Hohlräumen der 
Drüse in Verbindung stehen, um sich mit 
dem Ausführungsgang eines anderen Läpp¬ 
chens zu verbinden. Die einzelnen Läpp¬ 
chen vereinigen sich durch Bindegewebe locker 
oder fest zur Gesammtheit der Drüse, ebenso 
wie die Ausführungsgänge der einzelnen 
Läppchen zu denen der ganzen Drüse zu¬ 
sammentreten. Man pflegt die zusammenge¬ 
setzten acinösen Drüsen passend mit einer 
Weintraube zu vergleichen, deren Beeren die 
aus den verschmolzenen Acini bestehenden 
Läppchen, deren Beerenstieie die Ausführungs¬ 
gänge der letzteren repräsentiren, während 


der Traubenstiel dem Ausführungsgang der 
ganzen Drüse au die Seite gestellt wird. Zu 
den zusammengesetzt acinösen Drüsen werden 
die Speicheldrüsen (s. d.), die Bauch¬ 
speicheldrüse (s.d.), die Thränendrüse 
(s.d.), die Har de rische Drüse (s.d.), die 
Cowperische Drüse (s.d.), die Vorste¬ 
herdrüse (s.d.) und bei den Wiederkäuern 
und Schweinen ausserdem die Samenblasen 
(s. d.) gerechnet. Auch die Lungen (s. d.) 
sind im Wesentlichen nach dem Typus der 
zusammengesetzten acinösen Drüsen gebaut. 

Uebergänge zwischen den genannten ver¬ 
schiedenen Formen der Drüsen kommen in so 
eigentümlicher Weise vor, dass manche 
Drüsen, wie z. B. die Bauchspeicheldrüse, die 
Brunnerisehen Drüsen, von manchen Histologen 
als eigentümlich modificirte Knäueldrüsen 
angesehen und zu den tubulösen Drüsen ge¬ 
rechnet werden, während dieselben Drüsen 
früher ganz allgemein zu den acinösen gestellt 
wurden. 

Die Leber (s.d.), die grösste Drüse des 
Körpers, unterscheidet sich von den zusammen¬ 
gesetzten acinösen Drüsen wesentlich dadurch, 
dass ihre Acini keine eigentlichen Hohlräume 
umschlies8en, mit denen die Anfänge des Aus¬ 
führungsganges in offener Verbindung stehen. 

Die Eierstöcke (s.d.) stellen eine be¬ 
sondere Form der Drüsen insofern dar, als 
die Hohlräume derselben allseitig vollständig 
geschlossen sind und deren Inhalt nur durch 
Platzen der Hohlraumwandung frei werden 
und in den Ausführungsgang gelangen kann, 
als welchen man den Eileiter ansprechen muss. 

Vielfach ist es gebräuchlich, als falsche 
Drüsen gewisse Organe zu bezeichnen, welche 
keine Absonderungsproducte liefern, sondern 
entweder zu der Bildung von Formelementen 
des Blutes in Beziehung stehen und dem¬ 
gemäss auch Blutdrüsen genannt werden, 
oder eine noch unbekannte, bezw. bisher nicht 
sicher festgestellte Function zu erfüllen haben. 
Sie schliessen, wie die eigentlichen Drüsen, 
kleine Hohlräume ein, welche meistens mit 
zeiligen Elementen gefüllt sind, besitzen je¬ 
doch niemals einen Ausführungsgang, stehen 
daher auch in keinem Falle mit irgend einer 
freien Oberfläche des Körpers in Verbindung 
und entwickeln sich aus dem mittleren Keim¬ 
blatt Zu den falschen Drüsen rechnet man: 
die Lymphdrüsen (s. d.), die Lymph- 
follikel (s. d.) und diejenigen Gebilde, 
welche, wie die solitären Follikel und 
P eye rischen Haufen (s. Darmcanal), die 
Mandeln (s.d.)und Trachomfollikel (s.d.), 
den Lymphfollikeln an die Seite zu stellen 
sind, ferner Milz (s.d.), Schilddrüse (s.d.), 
Brustdrüse (s.d.), Nebennieren (s.d.) 
und Gehirnanhang (s.d.). Da die genannten 
Organe mit den eigentlichen Drüsen that- 
sächlieh keine nähere oder entferntere Ver¬ 
wandtschaft haben, wäre es wünschenswerth, 
die Bezeichnung „falsche Drüsen“, welche nur 
Verwirrung erzeugen kann, ganz fallen zu 
lassen. Müller. 

Histologie. Unter echten, wahren Drüsen 
versteht man Organe, welche archiblastischen Ur- 



DRÜSEN. 407 


sprungs sind, morphologisch sich dadurch aus¬ 
zeichnen, dass die zum Aufbau verwendeten 
Gewebe Hohlräume formiren, welche mit 
epithelioiden Zellen austapeziert erscheinen, und 
denen die Function zukommt, gewisse Stoffe 
aus dem Organismus abzuscheiden, welche 
für ihn unbrauchbar sind (Excrete) oder noch 
weitere Bedeutung haben (Secrete). Zur Ab¬ 
führung dieser Pröducte der Drüsenthätigkeit 
besitzen die wahren Drüsen verschiedene For¬ 
men von Ausführungswegen. 

Zum Unterschiede von diesen wahren 
Drüsen trennte man früher als falsche oder 
unechte Drüsen eine Gruppe von Organen, 
welche parabiastischen Ursprungs sind und 
keine Ausführungsgängc besitzen, welche zur 
Körper- oder Schleimhautoberfläche in Bezie¬ 
hung treten, sondern bei der Blut- und Lymphe¬ 
bildung eine Rolle spielen (Lymphdrüsen, 
Milz, Thymusdrüse etc.). 

Die äussere Form der im thierischen 
Körper vorkommenden ausgebildeten Drüsen¬ 
arten ist eine sehr mannigfaltige (Fig. 442). 



4 . 


Fifj. 442. Schema von Drüsen. 1. Einfach tubulöse Drüse. 
2. Einfach acinöse Drüse. 3. Zusammengesetzte tubulöse 

Drüse. 4. Zusammengesetzte acinöse Drüse. 

Die einfachste Form wird durch eine einzelne 
Zelle repräsentirt, welche ihr Secret auf der 
freien Oberfläche ihres Leibes abstösst (Becher¬ 
zelle). Wenn die secernirenden Zellen in 
schlauchartigen, cylindrischen Hohlräumen 
stecken, spricht man von schlauchförmigen, 
tubulösen Drüsen — wenn sie in kugeligen, 
bläschenförmigen Hohlräumen sitzen, nennt 
man die Drüsen acinöse. 

Diese acinöse und die tubulöse Grund¬ 
form oder Primärform tritt nun in den ver¬ 
schiedensten Variationen an den entwickelten 
Drüsen zur Schau. 

Einfach schlauchförmige Drüsen können 
verschieden tief sein, verschiedene Weite am 
oberen oder unteren Ende zeigen, sich schlän¬ 
geln, oder der sehr lange Schlauch kann 
knäuelartig aufgewickelt erscheinen. Die tubu¬ 
lösen Drüsen können weiters Sprossen treiben, 
dendritische Verzweigung bieten und werden 
dann als zusammengesetzte schlauchförmige 
Drüsen angesehen. Ebenso kommen neben den 
einfachen acinösen Drüsen auch zusammen¬ 
gesetzt acinöse vor, bei denen die runden, 
ovalen, elliptischen oder eckigen Bläschen zu 
secundären, tertiären Läppchen vereinigt sind 
und bäum- oder strauchartig von dem Aus¬ 
führungsgange abzweigen (s. auch unter 
acinöse Drüsen). Bei den acinösen Drüsen 
kommen auch Formen vor, dass die Bläschen 
derart verschmelzen, dass sie nur als seitliche 
Ausbuchtungen eines grösseren Hohlraumes 
erscheinen. Endlich kommen noch Combina- 


tionen zwischen acinösen und tubulösen Drüsen 
vor, sog. gemischte Drüsen. 

Die Wandung der meisten Drüsen besteht 
aus einem differenzirten Bindegewebe, der 
Membrana propria, einer zarten, elastischen, 
structurlosen Haut, die hie und da zellig oder 
faserig erscheint, bei gewissen Drüsen durch 
Zusammenlagerung eigentümlicher gebogener 
Zellen und deren Fortsätze nach Art eines 
Körbchens gebildet wird. Nach aussen ist die 
Membrana propria durch fibrilläres elastisches 
oder zelliges Bindegewebe, Muskelelemente etc. 
verstärkt und besetzt und von Lymphräumen, 
Capillarnetzen, Nervengeflechten umgeben. 

Die Membrana propria ist nach innen 
austapeziert von den Drüsenzellen, welche im 
Allgemeinen epithelialen Charakters sind, ihrer 
Gestalt, Structur, Schichtung und ihren phy¬ 
siologischen Eigenschaften nach aber ausser¬ 
ordentliche Unterschiede zeigen, selbst in einer 
und der nämlichen Drüse, je nachdem sich 
diese in Thätigkeit befindet oder nicht, ein 
verschiedenes Aussehen besitzen. 

Die Drüsenepithelien kommen in Form 
von einschichtigem und mehrschichtigem 
Plattenepithel (Lungen, Talgdrüsen), Cylinder- 
epithel (Darmdrüsen und die Mehrzahl der 
acinösen und tubulösen Drüsen), Flimmer¬ 
epithel (Uterindrüsen), kubischen, polygo¬ 
nalen etc. Zellen vor (s. die einzelnen Drüsen 
unter den bez. Stichwörtern). Die Ausführungs¬ 
gänge der Drüsen bieten sich als verschieden 
lange Canäle dar, welche entweder als directe 
Fortsetzung des Drüsenschlauches erscheinen 
oder denen die Bläschen oder Schläuche 
seitlich aufsitzen, oder mit kürzeren Gängen 
verbunden sind. Namentlich bei den zusam¬ 
mengesetzt acinösen Drüsen verästeln und 
verzweigen sich die Ausführungsgänge ent¬ 
sprechend der Bläschengruppenzahl mannig¬ 
faltig (Verzweigung, Abzweigung, strauch¬ 
artiges Verhalten, E lienberger), woraus die 
Bildung von Primär-, Secundär-, Tertiär¬ 
läppchen resultirt. Manchmal sind die Gänge 
sehr lang, geschlängelt oder wie bei den 
HufstTahldrüsen des Pferdes korkzieherartig 
gewunden. Die Wand der Ausführungsgänge 
ist von Bindegewebe hergestellt, die Innen¬ 
fläche mit Epithel ausgekleidet, das von sehr 
wechselnder Form bei den verschiedenen 
Drüsen ist (platt, kubisch, cylindrisch; ein¬ 
schichtig oder mehrschichtig); die grossen 
Ausführungsgänge grosser Drüsenlappen und 
Drüsen (z. B. Gallengän^e) bauen sich aus 
einer vollständigen Schleimhaut auf und be¬ 
kommen noch Muskelelemente und eine binde¬ 
gewebige Adventitia. Nicht blos manche 
Drüsen (Prostata, Talgdrüsen) und die grossen 
Ausführungsgänge, sondern auch kleine Gänge 
(SchweisBdrüsen) sind oft von glatten Muskel¬ 
fasern umhüllt, durch deren Contraction als¬ 
dann die Weiterbeförderung des Secrets statt¬ 
hat. Eine Ausnahmestellung unter den Drüsen 
nimmt der Eierstock ein (s. d.). Die Drüsen, 
ihre Lappen und Läppchen und ihre Aus¬ 
führungsgänge sind durch bindegewebige Um¬ 
hüllungen umgeben und von einander ge¬ 
schieden. Diese Bindegewebsformation nennt 


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408 


DRÜSENGESCHWULST. — DRÜSENKRANKHEIT DES RINDES. 


man kurzweg interstitielles (interglanduläres) 
Bindegewebe). Die Menge desselben ist 
sehr verschieden. Blutgefässe, Lymphgefässe, 
Nerven und Muskelzüge haben in demselben 
ihren Sitz. Die Blutgefässe gehen in unmittel¬ 
barer Nähe der Drüsen feinste Verästelungen 
ein, deren capilläre Endzweige die Bläschen 
und Schläuche umspinnen (functioneile und 
nutritive Capillarnetze), von denen die einen 
die zur Thätigkeit der Drüsen nöthigen 
Stoffe liefern, die andern das interstitielle und 
das Drüsengewebe ernähren. Die Lymphgefässe 
nehmen in nächster Nähe der Drüsen wand 
Ursprung (in den periacinösen Spalten). Ueber 
die Nervenendigung ist noch nichts Sicheres 
bekannt. Die Function der Drüsen ist eine 
sehr mannigfaltige sowohl was die Qualität 
als die Quantität und das zeitliche Verhältnis 
der Production anbelangt. Die Lungen z. B. 
functioniren beständig, die Leber, Speichel¬ 
drüsen nur zu besonderer Zeit. Wo das Secret 
von den Drüsenzellen selbst gebildet wird, ist 
die Veränderung mikroskopisch abzusehen, da 
solche Zellen ihre Form ändern, ganz oder 
theilweise zu Grunde gehen (z.B. Talgdrüsen, 
s. Cutis, Becherzellen, Schleimdrüsen); in 
anderen Fällen werden die Bestandtheile des 
Blutes einfach abfiltrirt (Niere). Die Fort¬ 
schaffung des Secrets erfolgt unter dem 
Blutdrucke, durch Capillarität oder durch 
Muskelthäiigkeit. 

Literatur: Ellenbergör, Histologie der Haus- 
thiere. Kitt. 

Drüsengeschwulst, Adenom, eine aus 
einem gefässhaltigen Bindegewebsstroraa und 
in drüsiger Anordnung eingelagerten Zellen 
bestehende Neubildung, die entweder selb¬ 
ständig auftritt oder an präexistirenden Drüsen 
in Form umgrenzter Hypertrophien wuchert 
(s. Adenome, Neubildungen). Setnmcr. 

Drüsenkrankheit des Rindes. Diese Be¬ 
zeichnung wird häufig als Synonym für Perl¬ 
sucht gebraucht, weil bei dieser Krankheit 
die Lymphdrüsen secundär mitleiden, schwel¬ 
len und verkäsen. Es kommt aber auch ein 
selbständiges Erkranken der Lymphdrüsen 
der Rachenhöhle, des Kehlganges, in der 
Ohrdrüsengegend, an den Seiten des Halses, 
in der Leisten- und Flankengegend bei Rin¬ 
dern analog der Scrofulose junger Thiere vor, 
welches namentlich in den Gegenden an der 
Elbe und Nordsee und im Schleswig-Holsteini¬ 
schen häufig von den Thierärzten beobachtet 
worden ist, auf das namentlich Harms auf¬ 
merksam machte (vergl. Jahresberichte der 
Thierarzneischule zu Hannover pro 1871 und 
1872 und Mittheil, aus der thierärztl. Praxis 
in Preussen pro 1871/72). Harms beschrieb 
das Leiden als Rachen- undOhrdrüsenlymphom, 
letzteres ist in den genannten Gegenden als 
„Igel“- oder „Ihlenkropf 11 bekannt: bei ihm 
schwellen die Drüsen entzündlich an, ohne 
sich zu zertheilen, sie hypertrophiren viel¬ 
mehr und induriren oder verjauchen unter 
Respirationsbeschwerden und bedeutender Ab¬ 
magerung. Respirations- und Schlingbeschwer¬ 
den mit Husten sind vorhanden, wenn die 
Drüsen in der Umgebung des Schlund- und 


Kehlkopfes erkranken, das Athmcn wird mit 
der Zeit schnarchend und röchelnd; der Husten 
tritt gern beim Abschlucken ein, wobei die 
Zunge weit vorgestreckt wird; suffocative 
Anfälle sind nicht selten, auch das Fressen 
ist öfter kaum noch möglich, wenn die Ge¬ 
schwulst in der vorderen Partie der Rachen¬ 
höhle ihre Lage hat. Bei gestrecktem Kopfe 
und Halse kann man sie fühlen, wenn man 
die Finger neben dem Kehlkopfe zur Rachen¬ 
höhle hin auf beiden Seiten Vordringen lässt 
oder durch das Maul bis zur Rachenhöhle 
hin einführt. Die Drüsengeschwulst unter der 
Ohrdrüse, der sog. Igelkropf, hat die Grösse 
eines Hühner- bis Gänseeies, ist hart, un¬ 
schmerzhaft und verschiebbar, nach Wochen 
und Monaten wird sie grösser und verwächst 
mit der Umgebung, endlich macht sich Fluc- 
tuation bemerklich, die Geschwulst bricht auf, 
es entleert sich eine gelbe, lymphatische, mit 
Flocken vermischte Flüssigkeit oder ein gelb- 
grauer Eiter. Es tritt selten Verheilung mit 
retrahirter Narbe und zurückbleibender Ver¬ 
härtung ein, u.zw. dann, wenn das gesammte 
Drüsengewebe verkäst ist und nur ein ein¬ 
facher Balg zurückbleibt. Mitunter erfolgen 
nach erfolgter Vernarbung noch einige Absce- 
dirungen in der Geschwulst. In vielen Fällen 
stellt sich nach der natürlichen oder künst¬ 
lichen Eröffnung des Abscesses eine granulöse, 
leicht blutende Wucherung aus der Wunde ein, 
die theils glatt, theils höckerig und mit zapfen- 
förmiger Hervorragung verheilt. In gleicher 
Weise können sich am Grunde des Ohres meh¬ 
rere Geschwulstknoten bilden und durch Ver¬ 
eiterung zusammenfliessen. Sind an mehreren 
anderen Körpersteilen scrofulöse Geschwülste 
vorhanden, so magern die Rinder in Folge 
allgemeiner Scrofulose ab. In den afficirten 
Drüsen vollzieht sich zunächst eine markige 
Schwellung, später Vereiterung und Ver¬ 
käsung des Drüsengewebes, so dass erst kleine 
mit Unebenheiten und Vorsprüngen versehene 
Hohlräurae entstehen, schliesslich aber nur 
der Balg übrig bleibt. Die Zerfallsmassen 
bestehen aus fettigem Detritus und Lymph- 
zellen. 

Bezüglich des pathologischen Vorgangs 
in den Drüsen und der ursächlichen Verhält¬ 
nisse muss auf den Artikel „Darrsucht“ ver¬ 
wiesen werden: bemerkt sei noch, dass man 
als Ursache des Drüscnleidens der Rinder 
einen starken Soda- und Salzgehalt des Futters 
und Trinkwassers, wohl auch eine besondere 
Bodenbeschaffenheit ansieht. 

Die Behandlung besteht in zertheilen- 
den und scharfen Einreibungen (Salben von 
Hydrarg. bijodatum, Auripigment oder Subli¬ 
mat), Eröffnung der Abscesse mit nachheri- 
gem Ausbrennen der Abscesshöhle, am vor- 
theilhaftesten aber in der Exstirpation der 
verhärteten und verkästen Drüsen. Zu diesem 
Zwecke wirft Harms die Patienten, stellt zur 
Exstirpation der Rachenhöhlendrüsen den 
Kopf auf das Genick, durchschneidet die Haut 
in der Mitte unterhalb des Kehlkopfes in dem 
Umfange, dass die Hand bequem eingeführt 
werden kann, trennt die über dem Kehlkopfe 



DRÜSENMAGEN. — DRÜSE DER PFERDE. 409 


liegenden Weichtheile, um mit der Hand bis 
zur Geschwulst vorzudringen und diese ent¬ 
weder abzudrehen und mit den Nägeln abzü- 
kratzen, oder, falls sie sich nicht drehen 
lässt, sie abzuziehen und mit den Nägeln 
abzulösen. Ausser nicht gefahrdrohender Blu¬ 
tung hat das scheinbar rohe Verfahren keine 
üblen Folgen, als für die nächsten Tage zu¬ 
nehmende Schwellung. Die Wunde ist nach 
allgemeinen Regeln zu behandeln. Maver 
operirt am liegenden Thicre von der Maul¬ 
höhle aus nur mit der Hand bei auf das Ge¬ 
nick gestelltem Kopfe und eingelegtem Maul¬ 
gitter; er sucht theils den Abscess mit dem 
Finger zu durchstossen und den Inhalt zu 
entleeren, theils die Geschwulst zu erfassen 
und in kurzen Zügen abzureissen, wenn sie 
nur locker angeheftet ist, oder abzukratzen, 
wenn sie festsitzt. Recidive erfordern Nach¬ 
operationen. Meistens läuft die Operation gut 
ab, cs können aber auch Rinder an ihren 
Folgen verenden. 

Auf ganz gleiche Weise werden die Ge¬ 
schwülste unterhalb des Ohres exstirpirt, 
u. zw. nach gemachtem Hautschnitt parallel 
mit dem. Verlaufe des Brustkinnbackenmuskels 
und unmittelbar oberhalb desselben, vorzüg¬ 
lich mit den Fingern, und nur wo dies nicht 
möglich ist, mit Messer oder Scheere; hier 
würde sich auch vortheilhaft der scharfe 
Löffel verwenden lassen. Anacker. 

Drüdenmagen. Als Drüsenraagen bezeich¬ 
net man in der Regel nur den Vormagen 
oder eigentlichen Verdauungsmagen der Vögel 
(s. Magen der Vögel): derselbe Name wird 
jedoch mitunter auch für die rechte oder 
Pförtnerhälfte des Pferdemagens gebraucht 
(s. Magen des Pferdes). Müllei-. 

Drüsenneubildungen kommen vor als Re¬ 
generation verbrauchter oder verlorengegan¬ 
gener Drüscnzellen, als Hypertrophien oder 
Hyperplasien des Drüsengewebes und als 
Drüsengeschwülste, Adenome. Hypertrophien 
von Drüsengewebe kommen unter physiologi¬ 
schen Verhältnissen periodenweise während 
der Trächtigkeit und Lactationsperiode an 
der Milchdrüse, und die Hypertrophie einer 
Niere bei Entartung, Schwund oder Verlust 
der andern vor. Unter pathologischen Ver¬ 
hältnissen können Hypertrophien an allen 
Drüsen Vorkommen und werden am häufigsten 
angetroffen an den Lymphdrüsen, der Milz, 
Leber, den Schilddrüsen. Ovarien, Hoden. 
Drüsengeschwülste als selbständige Neubil¬ 
dungen können an den meisten präexistiren- 
den Drüsen oder auch getrennt von denselben 
sich entwickeln (s. Adenome). Semmer. 

Drüsenscrofel. eine Hyperplasie, zellige 
Infiltration, Schwellung und käsige Entartung 
der Lymphdrüsen, ist nichts Anderes als eine 
Vorstufe oder Form der Tuberculose und 
kommt am häufigsten bei Schweinen vor. Die 
Lymphdrüsen werden dabei nuss- bis faust¬ 
gross, entarten käsig, die Thiere magern da¬ 
bei ab und gehen zuletzt an allgemeiner 
Tuberculose zu Grunde. Nächst den Schwei¬ 
nen kommt eine scrofulöse Drüsenentartung 


als Vorstufe oder Begleiterscheinung der Perl¬ 
sucht bei Rindern vor. Impfungen mit scrofu- 
lösen Drüsensubstanzen erzeugen oft Tubercu¬ 
lose, und umgekehrt ruft Verimpfung tuber- 
culöser Massen zuweilen Scrofulose hervor. 
Beim Rotz der Pferde dagegen tritt einfache 
Hypertrophie der Lymphdrüsen ohne käsige 
Entartung ein. Alle Therapie gegen tubercu- 
löse Drüsenscrofel ist erfolglos (s. Scrofu- 
losis). Gewöhnlich bezeichnet man eine jede 
chronische Drüsenschwellung, wie sie bei 
vielen chronischen Krankheiten, Entzündungen, 
Katarrhen. Krebs etc. in der Nähe der ent¬ 
zündeten Organe (Bronchialdrüsen bei Lun¬ 
genleiden. Mesenterialdrüsen bei Darmleiden 
etc.) vorko mmen, mit dem Namen Drüsenscrofel. 
Durch Vereiterung der Lymphdrüsen erfolgt 
oft der Tod durch Metastasen und Pyämie. 
Die Cur besteht hier in Beseitigung der Ur¬ 
sachen (Entzündungen, Katarrhe, Neubildun¬ 
gen, Eiterungen) und in Verabfolgung von 
Jod- und Brompräparaten, Chinin und den 
Stoffwechsel belebenden Mitteln. Semmer. 

Druse der Pferde, Adenitis equorum, 
Catarrhus glandulosus (von <&8 t)v, Drüse, 
xaia^pctv, herabfliessen, 'glandula, die Drüse), 
ist ein infectiöser, fieberhafter Nasenkatarrh 
mit secundärer Affection der Submaxillar- 
drüsen. Dementsprechend wickelt sich in der 
Druse derselbe pathologische Process auf der 
Nasenschleirahaut ab, wie er bei dem Katarrh 
erörtert wurde (s. Katarrh): er besteht in der 
Hauptsache in Hyperämie, Auflockerung, 
Schwellung und vermehrter Absonderung eines 
anfänglich wässerigen, später mehr consisten- 
ten Schleims, der zur Nase abfliesst, unter 
der Hand eine gewisse Schärfe annimmt und 
alsdann, von den Saftcanälehen und den 
Lymphgefassen der Schleimhaut aufgenomraen 
und den Drüsen zugeführt. zunächst die Sub- 
maxillardrüsen reizt und zur Schwellung 
bringt. Worin die Schärfe des Schleimes, 
resp. die Infectiosität desselben besteht, ist 
noch nicht erwiesen, sie kann möglicherweise 
auf dem jauchigen Zerfalle der im Schleime 
enthaltenen Lymph- und Blutkörperchen be¬ 
ruhen. Der Lymphapparat ist beim Pferde 
sehr entwickelt und reizbar, wir sehen ihn 
deshalb im weiteren Verlaufe der Krankheit in 
grösserer Ausdehnung erkranken, namentlich 
kommt es in den Lymphdrüsen in der Um¬ 
gebung des Schlund- und Kehlkopfes gern zu 
einer Adenitis. wie denn überhaupt die Ra¬ 
chenhöhlenschleimhaut immer, die Schleimhaut 
der Kopfhöhlen und der Luftsäcke öfters in 
Mitleidenschaft gezogen wird. Die Nasen¬ 
schleimhaut enthält ferner ein stark ent¬ 
wickeltes Venennetz: in ihm bilden sich bei 
entzündlicher Reizung seiner Gefässhäute 
Thromben, welche zerfallen, so dass Trümmer 
derselben in den Capillaren der verschiedenen 
Eingeweide stecken bleiben, nachdem sie zu¬ 
vor mit dem Blutstrome dorthin getragen 
wurden: die Emboli erzeugen in ihnen Ent¬ 
zündung und Knotcnbildung. In diesem Sinne 
hat man von einer wandernden, versetzten 
oder metastatischen Druse gesprochen. Die 
Metastasen kommen also per continuitatem 


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410 


DRUSE DER PFERDE. 


der Gewebe und auf embolisehem Wege zu 
Stande; ein Theil der Knotenbildungen in der 
Haut ist wohl auf Rechnung der Leukämie zu 
setzen, die bei der Druse stets zu constatiren 
und die Folge der Drüsenreizung ist; ein an¬ 
derer Theil mag aus zufälligen Verletzungen 
des leicht reizbaren Hautgewebes und aus 
einer Infection der Wunde mit Ausflussmaterien 
hervorgehen. Die in ungewöhnlich grosser 
Zahl im Blute enthaltenen weissen Blutkör¬ 
perchen werden gern unter Knotenbildung in 
der Haut ab gesetzt. 

Köhne (allgera. Pathologie) hält die 
Druse für eine Scrofulosis equina, zu der die 
jungen Pferde eine Prädilection besitzen; die 
serofulöse Diathese beschränke sich in der 
Regel auf die ersten Luftwege, sie könne sich 
aber auch auf den Darmcanal erstrecken. 
Eine Transportation eines specifischen Drusen¬ 
stofles im alten Sinne existirt nicht. Bei 
jungen Pferden ist meistens die Ablagerung 
zelliger Elemente in den Kehlgangsdrtisen so 
reichlich, dass sie dicht gedrängt an einander 
liegen und zerfallen, es entsteht alsdann in 
ihnen Eiterung, während sich die Adenitis bei 
älteren Pferden nur auf trübe und markige 
Schwellung beschränkt und wieder zur Norm 
zurückbildet. Auch die retropharyngealen 
Lymphdrüsen können abscediren und ihren 
Eiter in die Luftröhre und Lungen ergiessen 
und daselbst eine Freradkörperpneumonie mit 
meist tödtlichem Ausgange veranlassen, was 
auch der Fall ist, wenn im Verlaufe der 
Schluckbeschwerden Futterpartikel in die 
Lunge eindringen. Jenner beobachtete bei der 
Druse einen pustulösen Ausschlag in der Um¬ 
gebung der Lippen, ebenso Lafosse und Bouley, 
den sie für die eigentliche Pferdepocke hielten. 
Jenner nannte ihn „grease“ oder „soreheels“, 
Bouley „Horse-pox u . Auch Trasbot halt die 
Druse für Pocken, er glaubt, dass sie durch 
Impfung zu tilgen sei, ihr richtiger Name sei 
Variola; das Exanthem werde nie bei der Druse 
vermisst, wohl aber öfters übersehen. Mit 
Recht bekämpft Leblanc diese Ansicht vieler 
französischer Thierärzte, denn der Bläschen¬ 
ausschlag ist in vielen Fällen gar nicht vor¬ 
handen, er entbehrt auch der Charaktere der 
Pocke; Leblanc impfte junge Hunde mit der 
Blasenlymphe, er erhielt aber keine Pocken, 
sondern nur Blasen, die Geimpften erkrankten 
auch nicht an Staupe, die ebenfalls eine 
Pockenkrankheit sein soll; auf der andern 
Seite erzeugte die Impfung junger Pferde mit 
Vaccine keine Druse, die Impfung mit Aus¬ 
flussmaterien der Druse keine Pusteleruption, 
ebensowenig die Impfung einer jungen Eselin 
und einer Kuh. Zuweilen treten jauchige Zer¬ 
fallsmassen ins Blut über, wonach eine letale 
Ichorhämie entsteht. 

Als entferntere Ursachen der Druse sind 
anzusehen: Starke Hautverkühlungen bei un¬ 
beständiger, rauher, regnerischer und stürmi¬ 
scher Herbst- oder Frühjahrswitterung; Er¬ 
schlaffung der Haut und Schleimhaut durch 
Aufenthalt in dunstigen, warmen Stallungen, 
die auf äussere Schädlichkeiten leicht reagirt; 
Verfüttern staubigen, multrigen, mit Schimmel¬ 


pilzen besetzten oder frisch geernteten Heues 
oder Hafers, verunreinigtes Trinkwasser, Ein- 
athmen von vielem Staub und feinem Sand, 
plötzlicher Uebergang von Trocken- zur Grün¬ 
fütterung oder zum Weidegang, sowie Verän¬ 
derung der Fütterung und Gebrauchsweise 
überhaupt. 

Als einer weitem Ursache ist noch der 
Ansteckung zu gedenken. Einmal in einem 
Stalle ausgebrochen, sieht man nicht selten 
die Druse von einem Pferd auf das an¬ 
dere übergehen; gewöhnlich sind die inficirten 
Pferde die jüngeren bis zum Alter von 5 Jahren, 
die älteren bleiben häufig davon verschont, 
ohne jedoch eine völlige Immunität gegen das 
Contagium zu behaupten, die auch nicht 
immer durch einmaliges Ueberstehen der 
Krankheit erworben wird. Dieses Factum ist 
von der Erfahrung festgestellt Die Contagio- 
sität wurde experimentell von Viborg, Reynal, 
Toggia u. A. erwiesen. Das Contagium haftet 
in erster Linie an den Effluvien, es scheint 
aber auch in die Luft übertreten zu können; 
in der Regel erfolgt die Ansteckung von Thier 
zu Thier. 

Erscheinungen. Die Erscheinungen 
der Druse hat man bisher in verschiedene 
Abtheilungen gebracht und danach verschie¬ 
dene Arten unterschieden, z. B. gut- und bös¬ 
artige, wandernde und verdächtige Druse. Die 
Druse an und für sich behauptet stets einen 
gutartigen Charakter, der bösartige Charakter 
und das Wandern nach anderen Organen 
hängt von den Complicationen ab; das Wort 
„verdächtige Drüse“ soll ganz ausgemerzt 
werden, denn die Druse hat nichts Verdäch¬ 
tiges an sich, man gebrauchte es nur in der 
Voraussetzung, Druse könne in Rotz über¬ 
gehen. Diese Voraussetzung muss bei dem 
Stande unseres heutigen Wissens von der 
Natur der Tuberculose und des Rotzes zurück¬ 
gewiesen werden; der Rotz hat in den Tuber¬ 
kelbacillen eine Specifität, die der Druse fehlt, 
es ist deshalb auch unmöglich, dass Druse in 
Rotz übergehen kann, es sei denn, dass eine 
Rotzinfection stattgefunden hätte, zu der die 
kranken Schleimhäute ohnehin mehr disponiren 
als gesunde. Dann hat man wohl auch ver¬ 
dächtige Druse diagnosticirt, wenn Nasenfluss 
und Drüsenschwellung im Kehlgange einseitig, 
ersterer auch missfarbig wurde; aber in diesem 
Falle haben wir es nicht mit Druse zu thun, 
sondern mit andern krankhaften Zuständen, 
auf die bei der Differentialdiagnose näher ein- 
gegangen werden wird. Wir unterscheiden dem¬ 
nach eine einfache und complicirte Druse. 

Die einfacheDruse fängt mit Trübungen 
des Allgemeinbefindens und schwachem Fieber 
an, die Schleimhäute des Kopfes röthen sich 
höher und lockern auf, einige Tage später 
fliesst ein wässeriger, bald mehr uick und 
weiss werdender Schleim zur Nase ab, der bei 
häufigem Prusten oder kräftigem Husten in 
grösseren Mengen ausgestossen wird. Etwas 
später entzünden sich die Lymphdrüsen im 
Kehlgange, sie schwellen in Folge zelliger 
Infiltration und ödematöser Durchfeuchtung 
gleiehmässig an, fühlen sich weich und 



DRUSE DER PFERDE. 


411 


lappig an, auch das umgebende Bindegewebe 
participirt häufig an der zelligen Infiltration, 
so dass der Kehlgang mehr oder weniger von 
der Geschwulst ausgefüllt wird, sie greift mit¬ 
unter auf die Backen, Lippen und Ohrdrüsen 
über, wobei dann das Athmen erschwert wird. 
Nach mehreren Tageq gehen die Kehlgangs¬ 
drüsen junger Pferde gern in Eiterung über 
und brechen auf. Erschwertes Abschlucken 
der Nahrung zeigt ein Uebergreifen der Ent¬ 
zündung auf die Schleimhäute der Rachen- 
höhle an. Pustelbildung auf der Haut in der 
Umgebung der Lippen oder auf den Backen 
und sonstigen Körperstellen wird selten beob¬ 
achtet; die Bläschen platzen, stellen nunmehr 
seichte Erosionen dar, welche unter Schorf¬ 
bildung abheilen. Zu den Bläschen gesellt sich 
wohl auch eine leichte entzündliche Schwellung 
(3er Haut und der Lymphgefässe, was auf 
eine lnfection durch Aufnahme der Nasen¬ 
seerete • schliessen lässt. Ebenfalls nur selten 
bilden sich kleine gelbliche Bläschen auf der 
Nasenscheidewand, welche nach dem Bersten 
seichte, runde Anätzungen, sog. Erosionen 
oder Folliculargesehwüre darstellen und nach 
einigen Tagen unter Schorfbildung verheilen, 
ohne weitere Defecte zu hinterlassen. Aus¬ 
nahmsweise führen diese lymphatischen Infil¬ 
trationen ausser zur Zerstörung des Epithels 
auch noch zum Zerfalle der oberen Schichte des 
Schleimhautgewebes, sie verheilen alsdann mit 
unregelmässig geformten, dickwulstigen, gelben 
Narben, welche in ihrer Totalität schmale, 
aufgewulstete, unregelmässig verlaufende Strei¬ 
fen mit gelblich tingirten Rändern bilden, 
sich in der Folge wieder mehr zurückbilden, 
bei älteren Pferden aber noch lange zu er¬ 
kennen sind; ihnen geht das glänzende, stern¬ 
förmige Ansehen der Rotznarben und die 
sichelförmige Gestalt der von Verletzungen 
mit den Fingernägeln herrührenden Narben ab. 

Hurabert (Recueil de möd. vöt. 1880) 
fand bei seinen thermometrischen Unter¬ 
suchungen in der Druse, dass die Temperatur 
in den verschiedenen Krankheitsstadien sehr 
schwankt; bei regelmässigem Verlauf fällt sie 
allmälig ab, bei Verschlimmerungen und un¬ 
günstigen Ausgängen steigt sie schnell, u. zw. 
kurz vor dem Tode bis über 41°, oder sie 
fällt schnell auf 37° herab; schon 41° während 
einiger Tage bedrohen das Leben. Hinzutre¬ 
tende Pneumonie oder typhöses Fieber halten 
die Temperatur constant auf abnormer Höhe; 
wichtige Complicationen mit meistens letalem 
Ausgange geben sich durch Nichtüberein¬ 
stimmung der Temperaturhöhe mit der Puls¬ 
frequenz zu erkennen. Mit der Abscedirung 
der Drüsen steigt die Temperatur, um nach 
der Eröffnung des Abscesses wieder zu fallen. 
Die einfache Druse führt unter allmäligem 
Nachlass der Symptome nach 14 Tagen bis 
drei Wochen in der Regel wieder zur Ge¬ 
sundheit 

Die complicirte Druse. Schädliche 
Einflüsse von aussen bei geschwächter, zarter 
Constitution vermögen den gutartigen Verlauf 
der Druse zu stören und Complicationen her¬ 
beizuführen. Sehr ungünstig wirken in dieser 


Beziehung rauhe, veränderliche Witterung, 
zugige, feuchte, mit Pferden übersetzte Stal¬ 
lungen, strapaziöse Arbeitsleistungen und 
schlechte Qualität der Futterstoffe. 

Der Nasenkatarrh greift hier öfter auf 
die Schleimhäute der Kopfhöhlen, der Luft¬ 
säcke und der Bronchien über, wobei sich die 
Lymphdrüsen neben dem Schlund- und Kehl¬ 
kopfe, selbst die Hals-, Brust- und Bronchial¬ 
drüsen entzünden. Das Fieber wird alsdann 
hochgradiger, Husten und Dyspnoe treten 
stärker hervor, der Ausfluss aus der Nase ist 
in der Regel auf einer Seite stärker, weil die 
Stirn- und Kieferhöhlenentzündung meistens 
nur einseitig besteht, er nimmt bald eine 
eiterige, klümperige Beschaffenheit und einen 
üblen Geruch an und verstärkt sich beim 
Niederbeugen des Kopfes, wenn die Luftsäcke 
mitleiden; die Respiration wird schnaufend 
und röchelnd, die Ohrdrüsengegend erscheint 
aufgetrieben und gegen Druck empfindlicher, 
das Percutiren der katarrhalisch erkrankten 
Kopfhöhle ergibt einen matten Ton. Mit dem 
Abschwellen der Schleimhäute und Lvmph- 
drüsen lassen die Symptome nach, ganz beson¬ 
ders wenn sich Lymphdrüseneiter nach aussen 
entleert hat: das Fieber fällt nunmehr, das 
Athmen wird freier, der Husten kräftiger, die 
Pulszähl geringer. Folgt der Besserung nach 
kurzer Zeit ein plötzliches Ansteigen des 
Fiebers unter Schüttelfrost und eine Beschleuni¬ 
gung der Respiration, so spricht dies dafür, dass 
Eiter aus den retropharyngealen Drüsen durch 
Kehlkopf und Luftröhre in die Bronchien ge- 
rathen ist; gleichzeitig macht sich Hinfällig¬ 
keit und Apathie bemerklich bei pochendem 
Herzschlag und kleinem Pulse, es währt nicht 
lange und wir haben alle Erscheinungen einer 
hochgradigen Pneumonie vor uns. Die Pneu¬ 
monie präsentirt sich in gleicher Weise, wenn 
Futterstoffe in die Luftröhre und Bronchien 
ein gedrungen sind. Mit dem Eintritte einer 
Freradkörperpneumonie schwindet die Aus¬ 
sicht auf Genesung, die Patienten sind 
meistens nicht mehr zu retten. Das Gleiche 
gilt, wenn jauchigentzündliche Producte ins 
Blut übergetreten sind und als Folge dieses 
Vorganges sich Septikämie ausbildet, erkenn¬ 
bar durch Verfall der Kräfte, fadenförmigen, 
sehr frequenten Puls, Dyspnoe, missfarbigen, 
fötiden Ausfluss, Anschwellung des Kopfes 
und der Schenkel, Verjauchung der Drüsen, 
Petechien und brandige Zerstörung des Epi¬ 
thels und derobem Schichten der Nasenschleim¬ 
haut, Vereiterung und Veijauchung des Carpal-, 
Tarsal- oder Coxa-Femoral-Gelenks bei schmerz¬ 
hafter Anschwellung dieser Gelenke und Fistel¬ 
bildung in ihnen. Häufig erfolgt alsdann der 
Tod schon nach 3—7 Tagen. 

Mitunter treten die Erscheinungen des 
Nasenkatarrhs mehr zurück, wohingegen sich 
Anschwellungen am Kopfe, Halse, an Brust, 
Widerrist und den Schenkeln einstellen, 
die gewöhnlich in Eiterung übergehen, aber 
einen serösen Eiter liefern. Derartige Ge¬ 
schwülste verschwinden.es brechen aber wieder 
neue an anderen Körperstellen hervor; dieses 
Wandern spricht ebenfalls für eine lnfection 



412 DRUSE DER PFERDE. 


der Nachbarschaft auf dem Wege der Saft¬ 
canäle der Haut. 

Zuweilen tritt zur Druse noch ein Magen- 
und Darmkatarrh mit Schwellung und Ver¬ 
käsung der Mesenterialdrüsen hinzu, dessen 
Cardinalsymptome völliges Verschwinden der 
Fresslust, aufgeschürzter Hinterleib, Wechsel 
zwischen Verstopfung und Diarrhöe, dumpfe 
Leibschmerzen etc. sind; der Katarrh kann 
sich bis zur Enteritis und Peritonitis steigern. 
Gehirnentzündung bildet selten eine Compli- 
cation der Druse, häufiger werden bei ihr 
Congestionen nach dem Gehirn (eingenom¬ 
mener Kopf, Senken desselben, Schwindel¬ 
anfälle) beobachtet. 

Endlich kann der Nasen- und Lungen¬ 
katarrh chronisch werden, er führt dann unter 
kachektischen Erscheinungen nach mehr oder 
weniger langer Andauer zum Tode oder hinter¬ 
lässt chronische Athembcschwerden und chro¬ 
nische Entzündung der Kopfhöhlen oder der 
Nasenmuscheln, wobei mit derZeit die Gesichts¬ 
knochen einer Seite aufgetrieben werden und die 
Schleimhaut sich erheblich verdickt. Die Nasen¬ 
muscheln hat man in einzelnen Fällen ungemein 
vergrössert vorgefunden, an der Hypertrophie 
participirte selbst das Knochengewebe. Die 
Schleimhaut verdickt sich durch Wucherung 
ihres Bindegewebes, sie ist mit Blutaustre- 
tungen, öfter auch mit warzigen, polypösen 
Auswüchsen versehen, die Kopfknochen atro- 
phiren mit der Zeit durch den Druck des 
in den Kiefer- und Stirnbeinhöhlen massen¬ 
haft angehäuften, zähflüssigen, mörtelartigen 
Schleims, der auch die Nasenmuscheln und 
Siebbeinzellen zum Schwinden gebracht haben 
kann. Die Lymphdrüsen finden sich von Ab- 
scessen oder käsigen Punkten durchsetzt, die 
Lymphgefässe verdickt, knotig aufgetrieben, 
durch Gefässinjection geröthet und mit einer 
gelatinösen oder eiterigen Flüssigkeit erfüllt, 
das umgebende Bindegewebe eitrig-gelatinös 
infiltrirt. Die Lungen enthalten häufig käsige 
Herde und Abscesse, desgleichen die Leber, 
Milz und Nieren. 

Differentialdiagnose. Man hüte sich, 
den Rotz mit der sog. verdächtigen Druse zu 
identificiren. Sobald der Zustand fieberlos, die 
Nasenschleimhaut mit gelben oder rothen 
Tupfen besetzt ist, der Ausfluss nur aus 
einem Nasenloche kommt und missfarbig, 
klebrig und klüraperig wird, so dass er an 
den Nasenrändern zu missfarbigen Borken 
eintrocknet, die Kehlgangsdrüsen nur auf der¬ 
selben Seite hart, unempfindlich, kugelig oder 
strickförmig angeschwollen sind und dem 
Unterkiefer fest anliegen und die Pferde da¬ 
bei scheinbar munter und gesund erscheinen, 
ist der Verdacht auf Rotz begründet und in 
der Regel auch vorhanden. Polypen in der 
Nasenhöhle, einseitiger chronischer Katarrh 
der Kopfhöhlen, osteophytische Auftreibung 
der Kopfknochen und cariöse Zähne können 
ähnliche Erscheinungen hervorrufen, der Aus¬ 
fluss ist hier sehr stinkend, bei cariösen 
Zähnen von specifisch cariösem Gerüche, das 
Athmen auf der leidenden Seite schnaufend, 
auch lassen sich durch die locale Untersu¬ 


chung die veranlassenden Abnormitäten nach- 
weisen, zu deren Ausführung die Trepanation 
der Oberkieferhöhlen nöthi^ werden kann. 

Behandlung. Die einfache Druse er¬ 
fordert kaum ein medicamentöses Einschreiten, 
es genügt, die Patienten vor Erkältungen zu 
schützen, sie bei ungünstiger Witterung im 
Stalle zu lassen; der Stall selbst ist gut zu 
lüften und reinzuhalten, zur Arbeit sind die 
Thiere nur mässig zu verwenden, bei ernst¬ 
licherem Kranksein gönne man ihnen völlige 
Ruhe. Aufenthalt im Freien übt einen gün¬ 
stigen Einfluss auf die Krankheit, weshalb 
auch der Weidegang zu empfehlen ist. Die 
geschwollenen Drüsen sind warm einzuhüllen, 
weil die Wärme zertheilend wirkt oder den 
Uebergang in Eiterung erleichtert. Ist Nei¬ 
gung zur Eiterung vorhanden, so kann man 
warmes Fett oder mildes Oel in die Drüsen¬ 
geschwulst einreiben; ist die Spannung und 
der Schmerz bedeutend, dann sind warme 
Breiumschläge von Gersten- oder Leinsamen- 
decoct, Aufschläge, Mehlbrei mit ausgebra¬ 
tenen Zwiebeln und Honig, Einreibungen von 
Schmierseife, Lorbeeröl etc. angezeigt; in 
hartnäckigen Fällen befördert das unguentum 
Cantharidum die Eiterung, die Zertheilung 
der Geschwulst hingegen begünstigen Ein¬ 
reibungen von Mercurial-, Quecksilberjodür- 
salbe, auch eine Mischung von adip. suill. 30*0, 
Ammon, hydrochlor. 1*0 und Camphor 0 12. 
Als Futtermittel sind die leichtverdaulichen 
und schleimlösenden Nahrungsmittelzu empfeh¬ 
len, so Grünfutter, Rüben, besonders Mohr¬ 
rüben, Malz, Malzkeime. Mehl mit Kleien¬ 
geschlapp etc. Die Schleimabsonderung er¬ 
leichtern Einathmungen von heissen Wasser¬ 
dämpfen, Joddämpfen^ der Dämpfe von aro¬ 
matischen Infusen oder schleimigen Decocten; 
dem heissen Wasser kann ein wenig Carbol- 
säure oder Terpentinöl zugesetzt werden. Als 
schleimlösende Mittel finden Ammon, hydro¬ 
chlor., Tart. stib., Kali chloricum, Natr. nitr., 
Stib. sulfurat. aur., Sulfur, sublim, etc. in Ver¬ 
bindung mit Wachholderbeeren. Alant, Süss¬ 
holzwurzel, Fenchel, Anis, etc. Verwendung, 
besonders bei ernstlicherem Kranksein. Die 
Drüsenabscesse sind rechtzeitig zu öffnen und 
nach dem Oeffnen reinzuhalten. 

Zieht sich die Schleiraabsonderung zu 
sehr in die Länge, oder wird sie zu copiös, 
dann kommen Adstringentien, Tonica und 
Restaurantien zu passender Verwendung, z.B. 
Tannin, Salicin. Decoct von Wallnussblättern * 
Weidenrinde, China, Ferrum sulfur., Plumb. 
acet., Katechu etc. innerlich, ferner Wach- 
holder-, Theer- und Carbolsäure-Räucherungen, 
Ausspritzungen der Nase mit schwachen So¬ 
lutionen des Kali hvpermangan., des Kali 
chloric., Alumen, Lapis infern., Zinc. seu Cupr. 
sulfuric., Einblasen von Kohlenpulver in die 
Nase. Katarrh der Kopf höhlen erheischt nach 
längerem Bestehen deren Trepanation, um 
von der Trepanationswunde aus die oben ge¬ 
nannten Metallpräparate in stärkeren, mehr 
ätzend wirkenden Solutionen örtlich auf die 
Schleimhaut einwirken lassen zu können. Aus 
gleichem Grunde kann die Eröffnung der 


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DRÜSENÖL. 

Luftsäcke, bei grosser Athemnotk die Tracheo¬ 
tomie nöthig werden. 

Die anderweitigen Complicationen sind 
ihrer Art nach zu bekämpfen. Bei der Affec- 
tion innerer Organe sind Ableitungen nach 
der Haut durch Reizmittel nicht zu versäumen. 
Hohe Fiebergrade, grosse Hinfälligkeit unter 
ichorhämischen Erscheinungen erfordern zur 
innerlichen Anwendung Roborantien und Anti* 
septica, z. B. China, Salicin, Terpentinöl, 
Salmiakgeist, Kampher, Alant, Angelica, 
Metallsäuren, Tannin, Carbolsäure, Ammon, 
pyrocarbonic., Arsenik, Sublimat u. dgl. m. 
Arthritische Zufälle sind nach den Regeln 
der Chirurgie zu behandeln. Zur Zerstörung 
des Ansteckungsstoffcs innerhalb der Ställe 
empfehlen sich Chlor- oder Carboisäure- 
Räucherungen, auch wird man gut thun, die 
Kranken von den Gesunden abzusondern. — 
Die Homöopathen gebrauchen zunächst 
Dulcamara und Aconitum, in hartnäckigeren 
Fällen Kalium sulfurat., Opium, Arsenicum 
und Baryta carbonica, gegen Geschwülste an 
äusseren Theilen Belladonna, bei missfarbigem 
Nasenausfluss Pulsatilla und Sulfur. Anacker. 

Drusenöl (Weinbeeröl, Weinöl) ist ein in 
geringer Menge im Weine vorkommender 
Aether-Oenanthäther, welcher den allen Weinen 
eigenthümlichen Geruch bedingt, der je¬ 
doch von der Blume des Weines zu unter¬ 
scheiden ist. Das Drusenöl kommt in grösserer 
Menge in der Weinhefe (Druse, Trebern) vor, 
aus dieser wird es nach dem Abpressen, nach 
Zusatz von Wasser und etwas Schwefelsäure, 
durcli Destillation als farblose, betäubend wein- 
artig riechende Flüssigkeit gewonnen. Versetzt 
man reinen Spiritus mit einer sehr geringen 
Menge von Drusenöl, so ertheilt es jenem den 
Geruch und Geschmack des Cognac, es dient 
auch zur Nachahmung desselben — daher 
auch Cognacöl genannt — ferner zur Fäl¬ 
schung von Weinsorten, namentlich Bordeaux¬ 
weinen. Loebisch. 

Drusenpulver, in den meisten Apotheken 
(oft nach eigener Wahl der Apotheker) vor- 
räthig gehalten und dort als „Pulvis Equorum“ 
signirt. Sehr unzuverlässig und gewöhnlich aus 
altem Material zusammengesetzt, das für men¬ 
schenärztliche Zwecke nicht mehr tauglich ist. 
Die thierärztlich verschriebenen Drusenpulver 
bestehen aus Brechweinstein, Salpeter, Salmiak, 
Anis, Fenchel, Süssholz, Schleim, Schwefel, 
Spiessglanz, Theer u. dgl. Vogel. 

Dschiggetai, Kiang., Halbesel, Asinus 
hemionus, Pall. Eine wilde Pferdeart aus 
Centralasien, aus der Ordnung der Perisso- 
dactyla, unpaarzehige Hufthiere, Familie der 
Equidae, Pferde. Der Dschiggetai zeigt in der 
allgemeinen Körpergestalt Charaktere des 
Pferdes und des Esels, daher auch der Name 
Hemionus, ovo?, Halbesel, den ihm schon 
Aristoteles gab. Mit dem Esel hat er gemein 
das Fehlen der Kastanien an den Hinter¬ 
füssen, den nur an der Spitze quastenartig 
behaarten Schwanz. Dagegen sind die Ohren 
bedeutend kürzer als beim Esel, wenn auch 
länger als beim Pferde, der Körper mehr 
pferdeartig und der Hals mit einer weich- 


— DUCTUS. 413 

haarigen aufrechtstehenden Mähne geziert. 
Die Grösse kommt ungefähr derjenigen eines 
Maulthieres gleich. Die Färbung ist isabell- 
gelb mit braunschwarzem Rückenstreif, die 
Mähne ist schwärzlich. Der Aufenthaltsort 
dieser Art ist die Mongolei und Tibet, so¬ 
wohl das Steppengebiet wie das Gebirge, wo 
sie heerdenweise vorkommt. Das Thier wird 
von den Mongolen und Steppentungusen des 
Fleisches wegen gejagt. In europäischen Thier¬ 
gärten gelang schon seine Kreuzung mit Esel, 
Quagga, Zebra und dem Pferd. Studer. 

Dschugara, eine in Centralasien ange¬ 
baute Grünfutterpflanze. Liefert auch als 
Pferdefutter beliebte Körner und gutes Futter¬ 
stroh. Versuchsweise, aber ohne Erfolg in 
Polen angebaut. Pott. 

Dubroca D. studirte Veterinärmedicin in 
Alfort, gab 1844 heraus: Cours d’Hippologie 
und 1846 ein Mömoire sur les chevaux arden- 
nais; ging 1849 nach Constantinopel, um die 
dortige Veterinärschule zu gründen. Sr. 

Dubuisson gab 1838 ein Buch heraus 
unter dem Titel: De Phämite, ou thöorie 
medicale nouvelle appliquöe ä beaucoup de 
maladies des animaux etc. Semmer. 

Ductus (v. ducere, führen). Gang, Röhre, 
ein selbständiger Gang (opp. canalis, ein in 
andere Theile [Knochen etc.] eingegrabener 
Gang); vielfach als anatomischer Terminus 
gebräuchlich, so in 

Duct. Arantii s. venosus, der venöse 
Gang, welcher beim Rinds- und Carnivoren- 
fötus die Nabelvene mit der hinteren Hohl¬ 
vene verbindet (s. Blutgefässe); 

Duct. Bartholinianus, s. Sublingual¬ 
drüse ; 

Duct. Botalli s. arteriosus, der 
Verbindungsgang der Pulmonalarterie mit 
der Aorta (später Ligament. Botalli); 

D n c t. b i 1 i a r i i, die interlobulären Gallen 
gänge; 

Duct. choledochus, der gemeinsame 
Gallengang (s. Leber); 

Duct. cochlearis, Schneckencanal (s. 
Gehörorgan); 

Duct. cysticus, der Blasengallengang; 

Duct. deferens =Vas deferens = Duct. 
spermaticus, Samenleiter; 

Duct. ejaculatorius s. excretorius 
spermatis, der Ausspritzungsgang als ge¬ 
meinsamer Ausführungsweg des Samenleiters, 
Samenbläschens, eventuell auch männlichen 
Uterus; 

Duct. lacrymales, Thränendrüsen- 
ausführungsgänge (s. Thränendrüse); 

Duct. hepatico-cystici, Leberblasen¬ 
gänge (s. Leber); 

Duct. hepaticus, Lebergallengang (s. 
Leber); 

Duct. lactiferi s. galactophori. 
Milchgänge des Euters; 

Duct. naso - lacrymaiis, Thränen- 
Nasengang, Thränencanal; 

Duct. Nuckiani, Nuck’sche Gänge (s. 
Orbitaldrüse des Hundes); 

Duct. omphalo - entericus s. mesa- 
raicus, Nabelblasendarmgang, Dottergang: 


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414 


DUCTUS VENOSUS ARANTII. — DÜNGER. 


Duct. pancreaticus (major und minor), 
Bauchspeicheldrüsengang; 

Duct. Ri viani, Rivin’sche Gänge der 
Sublingualdrüse; 

Duct. Santorinianus = Duct. pan- 
creatic. minor; 

Duct. spermaticus, Samenleiter: 

Duct. Stenonianus, Ausführungsgang 
der Ohrspeicheldrüse (s. d.); 

Duct. thoracicus, Milchbrustgang (s. 
Lymphgefässe); 

Duct. venosus, s. D. Arantii; 

Duct. vitello-intestin alis, Nabel¬ 
blasendarmgang == Dottergang; 

Duct. Whartonianus, Ausführungs¬ 
gang der Submaxillardrüse (s. d.); 

Duct. Wirsungianus = D. pancreatic. 
major. Sussdorf. 

Duotus venosus Arantii. Während der 
Ausbildung der Leber gehen gleichzeitig im 
Gefassysteme Veränderungen vor sich, welche 
in Beziehung zur Leber stehen. Die rechte 
Nabelvene schwindet und das Blut, zieht zur 
Leber und zum Herzen nur durch die linke 
Nabelvene allein. Später wird ein Venenast, 
die Vena hepatica-advehens, kleiner, und die 
Aeste der Vena omphalo-meseraica werden 
mächtiger und gestalten sich zur Vena Porta 
und münden in die rechte Vena hepatica- 
advehens der Umbilicalvene ein. Während der 
Embryonalzeit bleibt ein Ast zwischen beiden 
Aesten der Venen der Leber und führt den 
Namen Ductus venosus Arantii. Schenk . 

Dünger. Jene Stoffe, welche die Pflanze 
zu ihrem Wachstum nothwcndig hat und die 
ihr aus der atmosphärischen Luft, dem Boden 
und den drei Naturreichen von dem Menschen 
zugeführt werden, können als Dünger be¬ 
trachtet werden. Da aber die Pflanze nur 
flüssige oder gasförmige Stoffe in ihren Wur¬ 
zeln, Stengeln und Blättern aufnehmen kann, 
so muss jeder Dünger in lösliche und gas¬ 
förmige Stoffe zerfallen können oder schon 
in solcher Form gegeben sein. Die Pflanze 
erhält, ohne Mithilfe des Menschen, Nahrung 
auf dem Wege der natürlichen Düngung in 
Form von Meteor-, Quell- und Bodenwasser, 
von Kohlensäure, Ammoniak und Salpeter¬ 
säure in Luft, Wasser und Boden, von ver¬ 
wesenden Pflanzen- und Thierresten, von Ex¬ 
crementen und verendeten Thieren und von 
verwitterten Mineralbestandtheilen, welch letz¬ 
tere im verkleinerten Zustande und (durch das 
Wasser zugeführt werden oder im Bodenbe- 
stande schon vorhanden sind. Auch Pflanzen, 
die selbst bei vollkommener Ausbildung an 
Ort und Stelle bleiben und dort verwesen, 
machen den Boden reicher an Pflanzennähr¬ 
stoffen, wenn er nicht durch Wasser ausge¬ 
laugt oder abgeschwemmt worden ist. Wenn 
man aber dem Boden Ernten nimmt und 
dennoch nachhaltig gesteigerte Erträge er¬ 
halten will, so muss die künstliche Düngung 
eintreten und die der Erde entführten Boden- 
bestandtheile wieder ersetzen, ja vermehren, 
und ausserdem die natürliche Düngung wirk¬ 
samer machen. Allgemeiner oder General¬ 
dünger ist jeder Dünger, welcher alle Nähr¬ 


stoffe zu liefern vermag, Specialdünger solcher, 
welcher nur einzelne Nährstoffe enthält und 
nur bestimmte Wirkungen auf bestimmte Pflan¬ 
zen äussern kann oder soll. Man unterscheidet 
organischen — pflanzlichen und thierischen — 
und mineralischen — festen und flüssigen —, 
gemischten oder einfachen Stalldünger und 
Kunst- oder Handelsdünger, Gründünger u. s. w. 

Düngung nennt man das Verfahren, 
mittelst dessen die durch Ausdünstung, Fäul- 
niss, Gährung oder irgend eine Art des Ver¬ 
brauches oder der Zerstörung der organischen 
Wesen entschwundenen Stoffe aufs neue der 
Erde, der Pflanze und der Vegetation zugeführt 
werden. Man versteht daher darunter alle jene 
Operationen, mittelst deren man die Nahrungs¬ 
zufuhr zu den Pflanzen zu steigern vermag. 
Man unterscheidet nach derAnwendung starke, 
mittlere und schwache Düngung, Ueberdün- 
gung oder Kopfdüngung, Beidüngung, frische 
und alte Düngung (Dungkraft). Vollständig 
ist die Düngung, wenn mittelst derselben 
alle der Pflanze nothwendigen Nährstoffe in 
hinlänglicher Menge gegeben — unvollständig, 
wenn nicht alle oder die einzelnen nicht im 
erforderlichen Masse dargeboten werden. Von 
der Düngung des cultivirten Bodens hängt 
immer das Emteerträgniss ab, es mag nun 
den Körner- oder Futterbau, die Wurzel oder 
andere Gewächse betreffen; wo gut, richtig 
und der Bodenbeschaffenheit entsprechend 
gedüngt wird, da bleibt die Ernteergiebigkeit 
nicht aus. Am häufigsten wird aber mit der 
Düngung des Futterbaues, der einzigen und 
wichtigsten Ernährungsweise des Viehstandes, 
gefehlt und gesündigt, indem bei Weiden 
und Wiesen meistens verabsäumt wird, 
ihnen den erforderlichen Dünger zuzuführen; 
besser steht es mit der Düngung des künst¬ 
lichen Futterbaues auf Feldern, denn man sieht, 
dass, wenn die Düngung ausbleibt, sofort der 
darauf folgende Getreidebau nothleidet und 
weniger an Körnern geerntet werden kann. Es 
ist dies ein in der Landwirtschaft verfehltes 
und nicht zu rechtfertigendes Verfahren, 
u. zw. aus dem einfachen Grunde, weil die 
Haltung und Zucht des Viehstandes sowie 
die von demselben erzeugten Producte, als 
Fleisch, Knochen, Horn, Fett, Milch, Haare 
und Dünger diejenigen Mittel sind, die in 
Folge des erlangten Werthes und Preises 
allein die entsprechende Rente abwerfen und 
die Landwirtschaft ertragsfähig zu machen 
im Stande sind. 

Bezüglich der Düngstoffe ist zu be¬ 
merken, dass dieselben entweder aus dem 
Pflanzenreich (vegetabilische), dem Thier¬ 
reich (animalische), oder aus dem Mineral¬ 
reich (anorganische) stammen, oder sie sind 
gemischter Zusammensetzung (Compost). 

Unter den vegetabilischen Düngstoffen 
steht die Gründüngung obenan; die Pflanzen, 
welche man zu dieser anbaut, sollen folgende 
Eigenschaften haben: 4. müssen sie sehr 
rasch wachsen, damit sie das Feld nicht zu 
lange einnehmen; 2. sollen sie viel Masse 
haben und ihre Nahrung mehr aus der Luft 
als aus dem Boden ziehen: 3. darf der Same 



DÜNGER. 415 


nicht theuer und schwer zu gewinnen sein; 
4. sollen sie, wo möglich, sehr stickstoffhaltig 
sein. Zu diesen gehören Wicken, Erbsen, 
Wolfs- und Schweinsbohnen, Spörgel, Buch¬ 
weizen, Reps, Weissrüben, die Blätter von 
Runkel- und Kohlrüben, sowie Kartoffel¬ 
stengel und Blätter, Senf, Lupine, Ginster, 
Topinambur, Kleearten und mehrere grüne 
Saaten. Andere vegetabilische Düngstoffe 
sind: alle Unkräuter, Stoppeln und Pflanzen¬ 
abfälle, Algen, Flachs- und Schwingstaub, 
Tennen ab fälle, Malzkeime, Obsttrester, leinene 
Lumpen, Oelkuchen, Branntweinschlempe, 
Russ, Hobel- und Sägespäne, Tang, Stroh- 
und Strohpapierfabricationsabfälle, Seeschlick, 
Moorerde, Torf, Weintrester, Wurzelrück¬ 
stände, Abfall von Handelsgewächsen, z. B. 
von Hopfen, Tabak, Weberkarden, Baumlaub, 
Haidekraut, Farrenkraut, Schilf. Zu den 
Düngstoffen aus dem Thierreich (animalische) 
sind als vorzüglich zu rechnen: die Auswürfe 
(Excremente) der Thiere, u. zw. von den 
Rindern, Schafen, Pferden, Schweinen und 
dem Geflügel. Dabei ist zu berücksichtigen, 
dass, je besser und reichlicher die Nahrung 
der Thiere ist, je weniger Wasser sie enthält, 
und je feiner die Futterstoffe gekaut sind, desto 
kräftiger sind die Auswurfsstoffe: die Excre¬ 
mente der Mastthiere sind besser als jene 
der ungemästeten Rinder; jene Thiere, welche 
Körnerfutter bekommen, geben besseren Mist 
als jene, welche blos Heu und Stroh erhalten. 
Ferner ist nach den Thiergattungen auch 
die Qualität ihrer Auswurfsstoffe als Dünger 
verschieden, indem die Düngstoffe der Rinder, 
Schafe, Ziegen und des Geflügels denen der 
Pferde und Schweine vorzuziehen sind. Ausser 
diesen Thierauswurfsstoffen sind als noch 
wirksamere Düngstoffe die Fäcalien vom 
Menschen in Betracht zu ziehen, die aber leider 
am meisten vernachlässigt und am wenigsten 
beachtet und berücksichtigt werden. Ferner 
sind vorzügliche Düngstoffe: Peruguano, auf¬ 
geschlossener Guano der verschiedensten Art, 
Fledermausguano, Fischguano, Fleischextract- 
fabricationsrückstände, schwefelsaurer Am¬ 
moniak, ammoniakalisches Superphosphat, 
thierische Knochen, entweder ausgekocht oder 
aufgeschlossen, Knochenmehl, fein gemahlenes 
und gedämpftes Leimmehl, Leimdünger, Aas, 
Hornspäne, Hufe, Klauen, Haare, Borsten, 
Federn, Abfälle von Gerbereien und Leim¬ 
siedereien, Maikäfer, Mäuse, Wolldünger, 
Woliabfälle der Garnspinnereien und Tuch¬ 
fabriken, stickstoffreiche oder compostirte 
Thranabfälle etc. Hieher gehört auch die Mist¬ 
jauche oder Gülle als vortreffliches Düngungs¬ 
mittel, welche leider nicht immer die richtige 
und nützliche Anwendung findet und viel¬ 
fältig gänzlich verloren geht; auch das Woll- 
waschwasser ist als Düngstoff zu verwenden. 
Die aus dem Mineralreich stammenden Düng¬ 
stoffe (anorganische) sind zwar von hoher 
Wichtigkeit, aber dennoch nicht immer Düng¬ 
mittel, welche die Bodenkraft mit nährenden 
Bestandtheilen vermehren, sondern sie dienen 
häufig als Reizmittel, um den im Boden vor¬ 
handenen Dünger schneller aufzulösen. Dahin 


gehören der Gpps, welcher bei allen Klee¬ 
arten, Hülsenfrüchten und natürlichen Wiesen 
angewendet wird; gebrannter Kalk, ausge¬ 
laugte Holzasche, roher und gebrannter 
Mergel, Braun- und Steinkohlenasche, Chili¬ 
salpeter, Düngesalz, Gaskalk und Gaswasser, 
Feldspath, Kainit, Magnesia, Kali-Superphos¬ 
phat, Moorkalk. Natron-Kalisalpeter, Pfauen- 
stein, Salzasche, Strassenkoth, Bauschutt, 
Teichschlamm, fossile Phosphate, Phosphorite 
und Koprolithen, Russ, Schlempekohle, Erfurter 
Steinsalz, die schwefelsaure Strontianerde, 
der kalkhaltige Seesand, Torfkohle, Ueber- 
tragung von fruchtbarer Erde auf unfrucht¬ 
baren Boden. Die Compost- (s. d.) oder zu¬ 
sammengesetzten Düngstoffe sind theils organi¬ 
scher und theils mineralischer Natur. Künst¬ 
liche Düngstoffe sind solche, die zum Theil 
der Landwirth ohne Kosten in seinem Wirth- 
schaftsbetriebe sich selbst verschaffen kann, 
zum Theil aber auch zukaufen muss, und 
haben dieselben zum rationellen Betriebe des 
Feld-, Wiesen-, Garten- und Weinbaues 
grossen Werth, wenn sie am rechten Orte 
und zur rechten Zeit angewendet werden. 
Bei der Anfertigung und Anwendung dieser 
Stoffe ist besonders auf das Vorhandensein 
von Stickstoff, Phosphorsäure und Alkalien 
Rücksicht zu nehmen, weil diese Substanzen 
einestheils die wesentlichen Nährstoffe der 
Pflanzen bilden, und anderntheils, wenn sie 
auch höher im Preise als andere Nährmittel 
stellen, sich doch am sichersten und besten 
bezahlt machen. Zur Bereitung der künst¬ 
lichen Düngmittel können am wohlfeilsten 
die Haushaltungs- und landwirtschaftlichen 
Abfälle gesammelt werden, wie der Kloaken- 
dünger, Ham, Blut und andere Abfälle von 
Schlachtthieren, gefallenen Thieren (Maikäfer, 
Mäuse, Hunde, Katzen), Leim-, Küchen- und 
Lederabfälle, Kehricht, alte Lumpen etc. 

Die zuzukaufenden künstlichen Düngstoffe 
stammen aus den Lagern der phosphorsauren 
und kalireichen Gesteine, den Lagern von 
Kalk, Talk und löslicher Kieselerde, den Ab¬ 
fällen der Leuchtgasfabriken, Gerbereien, Leim¬ 
siedereien, Wasenmeistereien, Fischabfällen etc. 
Speciell gehören hieher der Rohammoniak, 
salpetersaure Ammoniak, das schwefelsaure 
Ammoniak-Superphosphat, gedämpftes Fleisch¬ 
mehl, künstlicher Guano, salpetersaures Kali, 
künstliche Phosphate, phosphorsaurer Kalk als 
Nebenproduct der Leimfabrication, Super¬ 
phosphate, die verschiedenen Poudretteberei- 
tungen, der künstliche Wolldünger etc. Haupt¬ 
sächlich kommt es darauf an, wie alle diese 
Düngstoffe zubereitet und angewendet werden, 
ob sie der Bodenbeschaffenheit entsprechen, 
ob sie für die Culturverhältnisse des Landes 
passend und ob sie dem Anbau der verschie¬ 
denen Gewächse den möglichst hohen Grad an 
Nährstoffen zu geben im Stande sind. Der 
Werth der Düngstoffe ist durch ihre Wirkung, 
den Preis und die Grösse des zu ihrer 
Anwendung erforderlichen Kostenaufwandes 
bedingt. So z. B. verträgt der Roggen jede 
Düngung und nimmt mit dem frischen Mist 
ebenso vorlieb wie mit dem verwitterten. Auf 


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416 DÜNNDARM. 


gebundenem und schwerem Boden düngt man 
stärker als auf lockerem und leichtem. In 
manchen Gegenden wird Jauche oder Grün¬ 
düngung angewendet: ebenso entspricht dem 
Roggen die Düngung mit Schaf- und Pferde¬ 
mist, dann Kalk-, Mergel- und Aschendüngung, 
was aber immer wieder die dazu geeignete 
Bodenbeschaffenheit voraussetzt. Dagegen soll 
beim Gerstenbaue weder Pferd- noch Schaf¬ 
dünger an gewendet und muss überhaupt zu 
starke Düngung vermieden werden. Jeder 
Boden und jede Getreideart, wie auch der 
Futterbau und die sonstige Pflanzenproduction 
verlangen die specielle Berücksichtigung der 
Anwendung von den dazu geeigneten Düng¬ 
stoffen. Dies zu bestimmen ist allerdings für 
den Landwirth eine schwierige Aufgabe, weil 
er die Beschaffenheit und Qualitätsverhältnisse 
seiner Bodenarten — vom physikalisch-chemi¬ 
schen Standpunkte aus beurtheilt — zu wenig 
kennt und kennen kann, sondern dieses nur 
durch die Analyse der Chemiker zu ermitteln 
ist; ebenso verhält es sich mit den verschie¬ 
denen Düngerarten. Es bleibt ihm daher nichts 
Anderes übrig, als nach der praktischen Er¬ 
fahrung zu handeln; er kann aber die Wissen¬ 
schaft insoferne dabei berücksichtigen und 
benützen, als er den Rathschlägen derselben 
Folge leistet, wo sie durch die Versuchs¬ 
stationen bisher Positives geleistet und zu 
Tage gefördert hat. AbUitner . 

Dünndarm. Der Dünndarm oder enge 
Darm (intestinum tenue s. angustum) ist ein 
fast gleichweites, cylindrisches Rohr, welches 
am Pförtner des Magens beginnt und am 
Blinddarm endigt Man pflegt den Dünndarm 
in drei Abschnitte einzutheilen, welche als 
Zwölffinger-, Leer- und Hüftdarm be¬ 
zeichnet werden, obgleich sich scharfe Grenzen 
zwischen diesen Abschnitten, namentlich 
zwischen dem Leer- und Hüftdarm, nicht 
angeben lassen. 

Bei dem Pferde besitzt der Dünndarm 
eine Länge von 24—22 m und in nicht aus¬ 
gedehntem Zustande eine Weite von 4—6 cm. 

Der Zwölffingerdarm (intestinum 
duodenum) — Gallendarm — ist das etwa 
1—1 5 m lange Anfangsstück des Darmcanals. 
Er bildet an seinem Ursprung, welcher sich 
durch eine deutliche Einschnürung vom 
rechten Ende des Magens absetzt, indem er 
an der hinteren Leberfläche in der rechten 
Unterrippen gegen d nach oben und vorne läuft 
— rechte vordere Krümmung des Zwölffinger¬ 
darms — eine 10—12 cm lange bimförmige 
Erweiterung, welche gleichzeitig den weitesten 
Theil des ganzen Dünndarms darstellt. Hierauf 
wendet sich der Zwölffingerdarm, nachdem 
er sich zuerst etwas verengert und dann 
wieder erweitert hat, über dem Grund des 
Blinddarms nach hinten bis zur rechten 
Niere und bildet auf diese Weise die rechte 
hintere Krümmung, in deren nach unten ge¬ 
richtete Concavität sich der Kopf der Bauch¬ 
speicheldrüse einschiebt. Von der rechten 
Niere tritt der Zwölffingerdarm über dem 
Grimmdarm, zwischen dem Dünndarm- und 


Mastdarmgekröse, quer durch die Bauchhöhle 
nach links — hintere Krümmung — und geht 
unter der linken Niere in den Leerdarm über. 
An dieser Stelle erlangt das kurze Gekröse, 
welches den Zwölffingerdarm in der Lage 
erhält, plötzlich eine bedeutende Länge und 
springt eine Bauchfellfalte von dem Zwölf¬ 
fingerdarm zum Anfangstheil des Mastdarms 
hinüber — Zwölffingerdarm-Mastdarmband 
(lig. recto-duodenale). Der Theil des Gekröses, 
welcher von der Leber und von der rechten 
Niere an den Zwölffingerdarm tritt, wird als 
Leber-, bezw. Nieren-Zwölffingerdarmband 
(lig. hepato et reno-duodenale) bezeichnet. 
Ausserdem verbindet sich dieser Anfangs¬ 
theil des Dünndarms durch Bauchfellfalten 
mit der kleinen Curvatur des Magens — 
Magen-Zwölffingerdarmband (lig. gastro-duo- 
denale) — und mit dem Grund des Blind¬ 
darms. 

Der Leerdarm (intestinum jejunura) 
wird durch das lange, von der Wirbelsäule 
herabsteigende Dünndarmgekröse, dessen Ur¬ 
sprungsstelle die vordere Gekrösarterie um¬ 
fasst und als vordere Gekröswurzel bezeichnet 
wird, in der Lage erhalten. Da das Gekröse 
kürzer ist als der Leer- und Hüftdarm, legen 
sich diese beiden Abtheilungen des Dünn¬ 
darms in zahlreiche bogenförmige Windungen 

— Schlingen (ansae) — an deren Concavität 
das Gekröse tritt. Die Schlingen nehmen 
ohne bestimmte Anordnung in der linken 
Unterrippen- und Flankengegend den Raum 
auf und zwischen den Bogen des Dick¬ 
darms ein. 

Der Hüftdarm (intestinum ileum) — 
Krummdarm — geht ohne bestimmte Grenze 
in der linken Flankengegend aus dem Leer¬ 
darm hervor, von welchem sich das etwa 1 m 
lange Endstück des Hüftdarms durch die 
bedeutende Wandstärke und dadurch unter¬ 
scheidet, dass gegenüber von dem Dünn¬ 
darmgekröse, welches sich im Uebrigen wie 
am Leerdarm verhält, eine Bauchfeljduplicatur 

— Hüft-Blinddarragckröse — zur inneren 
Fläche des Blinddarms hinüberspringt. Der 
Hüftdarm läuft von der linken Flankengegend 
nach rechts und oben: das Endstück, welches 
sich wegen der Stärke der Muskelhaut hart 
anfühlt und einige Aehnlichkeit mit der Brust¬ 
portion des Schlundes hat, mündet in den 
Grund des Blinddarms an dessen kleiner 
Curvatur. Der Hüftdarm enthält meistens 
etwas Futtermassen, während der übrige 
Theil des Dünndarms leer von Futter ist. 

Der Darmcanal der Wiederkäuer 
(Fig. 443) bildet im ausgebreiteten Zustande 
zusammen mit dem gemeinschaftlichen Ge¬ 
kröse eine rundliche, gegen das vordere Ende 
etwas schmäler werdende Scheibe; ausserhalb 
derselben verlaufen nur der Zwölffingerdarm 
und der grössere Theil des Mastdarms. Am 
oberen Rande dieser Scheibe, welche auf dem 
rechten Wanstsack ruht, geht das die ver¬ 
schiedenen Theile des Darmcanals verbin¬ 
dende Gekröse in das Wandblatt des Bauch¬ 
fells über. 


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DÜNNDARMDRÜSEN. — DÜPPEL. 


417 


Der Dünndarm ist erheblich länger, je¬ 
doch verhältnissmässig enger als beim Pferde. 
Pie Länge beträgt bei dem Rinde und bei 
den kleinen Hauswiederkäuern 35—45, bezw. 
20—23 m, die Weite 5—6, bezw. 2 cm. 


Der Zwölffingerdarm (Fig. 443,1) steigt 
vom Pförtner des Labmagens an der letzten 
rechtsseitigen Rippe nach oben zur hinteren 
Fläche der Leber und zur rechten Niere in 
die Höhe. Er bildet unter der letzteren eine 
Doppelschlinge, an welcher drei kurze Lagen 
des Darms unmittelbar über einander ange¬ 
ordnet sind. Hierauf tritt der Zwölffingerdarm, 
dessen Gekröse mit dem grossen und kleinen 
Netz zusammenhängt, nach hinten verlaufend 
zwischen die ausserhalb der Darmscheibe 
befindlichen Lagen des Mastdarms und geht 
an der Stelle, wo er den unteren Rand 
der Darmscheibe erreicht, in den Leerdarm 
(Fig. 443, 2) über. Letzterer verläuft am unteren 
Ende der Darmscheibe, u. zw. wegen Kürze 
des Gekröses in sehr zahlreichen, kurzen, 
dichjt aneinander gedrängten Schlingen, deren 
Gesammtheit man mit einer gefalteten Man¬ 
schette oder Halskrause zu vergleichen pflegt. 
Der aus dem hinteren Ende der Darmscheibe 
hervortretende Hüftdarm (Fig. 443, 3) wendet 
sich im gemeinschaftlichen Gekröse schräg 
nach oben und vorn und mündet in den 
Blinddarm, das Endstück des Dünndarms 
zeichnet sich nicht, wie beim Pferde, durch 
die bedeutende Wandstärke aus. 

Der Darmcanal des Schweines bildet 
zusammen mit dem gemeinschaftlichen Ge¬ 
kröse ebenfalls eine Scheibe, an deren unte¬ 
rem Rande der Leerdarm ähnlich wie bei den 
Wiederkäuern verläuft; die Wand des Hüft- 
darms ist etwas stärker als die des Leerdarmes, 
der Verlauf desselben nicht wesentlich von dem 
der Wiederkäuer abweichend (vgl. unter Dick¬ 
darm Fig. 428). Das Gekröse des vom rechten 
Ende des Magens nach oben und hinten zur 
rechten Niere verlaufenden Zwölffingerdarms 
ist 5—6 cm lang, der genannte Darmab- 

Koch. Encyklop&dio <3. Thierlieilkd. TT. IM. 


schnitt tritt unter der rechten Niere in das 
gemeinschaftliche Gekröse, wo er dicht neben 
dem ausserhalb der Scheibe verraufenden 
Theil des Mastdarms seine Lage hat und sich 
mit dem Blinddarm sowie, mit den oberen 
Lagen des Grimmdar¬ 
mes verbindet. Der Dünn¬ 
darm ist verhältnissmäs¬ 
sig etwas weiter als bei 
den Wiederkäuern und 
bei erwachsenen Thieren 
17—19 m lang. 

Der Dünndarm der 
Fleischfresser, hat 
eine nur geringe Länge, 
welche bei Hunden von 
mittlerer Grösse 3—3*50, 
bei Katzen 1 * 50—1 * 70 m 
beträgt; derselbe er¬ 
scheint —namentlich bei 
den Katzen — stark 
zusammengezogen und 
fühlt sich härtlich an. 

Der Zwölffingerdarm 
läuft vom rechten Ma¬ 
genende zuerst nach oben 
und hinten, dann fast bis 
zum Beckeneingang ge¬ 
rade nach hinten, wen¬ 
det sich hierauf fast unter einem rechten 
Winkel nach der linken Seite der Bauch¬ 
höhle und geht in den Leerdarm über. Letz¬ 
terer wird durch ein Gekröse in der Lage 
erhalten, welches sich im Wesentlichen wie 
beim Pferde verhält, jedoch verhältnissmässig 
kürzer ist. Der Hüftdarm, welcher sich 
nicht deutlich vonv Leerdarm absetzt, geht so 
continuirüch in den Dickdarm über, dass 
sich die Grenze beider Abschnitte des Darm¬ 
canals nur durch die Verschiedenheit der 
Weite markirt (vgl. unter Dickdarm Fig. 429 
und 430). 

Bei den Vögeln beginnt der an der 
rechten Seite aus dem Muskelmagen hervor¬ 
tretende Dünndarm mit einer langen Schleife, 
welche dem Zwölffingerdarm der Säugethiere 
entspricht. Die beiden parallel dicht neben 
einander bis zum Becken verlaufenden Schenkel 
dieser Schleife schliessen die Bauchspeichel¬ 
drüse zwischen sich ein. -Der übrige Theil des 
Dünndarms wird in dicht aneinander ge¬ 
drängten Schlingen durch ein langes Gekröse 
in der Lage erhalten und nimmt den Raum 
zwischen den grossen Luftsäcken in der Mitte 
der Körperhöhle ein. 

Ueber den Bau des Dünndarms s. 
Darmcanal. Müller. 

Dünndarmdrüsen, s. Brunner*sche und 
Lieberkühn’sche Drüsen. 

Dünndarmgekröse, s. Dünndarm und 
Gekröse. 

Düppel. Privatgestüt weil. Prinz Friedrich 
Karls vonPreussen, liegt im Kreise Tettow,Re¬ 
gierungsbezirk Potsdam, Provinz Brandenburg, 
wurde 1865 zum Rittergute erhoben und von 
der Feldmark Neu-Zehlendorf abgetrennt. Das 
Gestüt wurde 1860 zu dein Zwecke gegründet, 
den nöthigen Bedarf an Reit- und Wagen - 

27 



"Fig. 443- Darmscheibe des Rindes, von links und unten gesehen, 1 Zwölffingerdarm, 
2 Leerdarm, 3 Hüftdarm, 4 Blinddarm, 4' Spitze des Blinddarms, 6 Grimmdarmlabyrinth, 
a concentrieche, b excentrische Windungen dos Grimmdarmlabyrinthes, 5' Anfangsschlinge 
des Grimmdarms, (} Mastdarm. 




41* DÜRRHEU. — DÜSSELTHALER SCHWEINE. 


pferden für den Marstall des oben genannten 
Prinzen zu flecken; es soll aber bei der Zucht 
ganz besonders berücksichtigt werden, dass die 
Gespanne des genannten Marstalles nur durch 
Füchse completirt, werden dürfen. Anfänglich 
kaufte man für Düppel ausschliesslich hannove¬ 
rische Absatzfohlen weiblichen Geschlechts, die 
yonbewährten Vollbluthengsten tfhd veredelten 
Landstuten abstaminten. Später kamen auch 
einige Vollblut- und Halbblutstuten aus dem 
königlichen Marstalle zu Berlin in das Gestüt, 
welche ebenso wie die herangewachsenen 
hannoverischen Stuten grösstentheils von 
Hengsten aus dem Friedrich “Wilhelm-Gestüte 
zu Neustadt belegt wurden. Nur vereinzelt 
kamen die Stuten zura Belegen nach Han¬ 
nover (Celle). Zur Zeit sind drei Vollblut- 
Beschäler in Düppel. Da früher keine be¬ 
sonderen Weideflächen auf dem Gestüte vor¬ 
handen waren, so wurden mehrere je 6 * 83 a 
grosse Paddocks angelegt, deren Ställe im 
Sommer Tag und Nacht offen gehalten, im 
Winter nur am Tage geöffnet werden. — Sehr 
zu loben ist das dort übliche Verfahren, die 
Stuten nur während der ersten sechs Monate 
ihrer Tragezeit zur Arbeit heranzuziehen, und 
sie später frei in den Paddocks gehen zu 
lassen. 

Die Fütterung der Zuchtpferde und Foh¬ 
len istdn Düppel eine ganz zweckmässige; 
man gibt ersteren neben Hafer, Heu und 
Stroh auch etwas Mohrrüben und Erbsen. 
Im Sommer erhalten die Thiere reichlich 
Grünfutter. Im Alter von 3% Jahren lässt 
man die jungen Pferde leicht anreiten oder 
anfahren, dressiren, und im Alter von vier 
Jahren kommen dieselben entweder in den 
Marstall des Prinzen oder werden an die 
Remontencommissionen und Privatleute ver¬ 
kauft. 

Der gegenwärtige Bestand repräsentirt 
eine Durchschnittsgrösse von l*70m und ein 
Durchschnittsalter von 13 Jahren. Stuten 
von Füchsen sieht man jetzt in Düppel vor¬ 
wiegend, aber auch Braune und Schimmel 
kommen daselbst vor. Ein Gestütsbrand existirt 
nicht. • Frey tag. 

Diirrheu. Alle Arten von Grünfutter, die 
auf irgendwelche Weise derartig getrocknet 
worden sind, dass sie ohne besondere Vor¬ 
kehrungen in Scheuern, Mieten oder auf 
Böden aufbewahrt werden können. Bei der 
Dürrheugewinnung handelt es sich also nur 
um eine entsprechende Verringerung des 
Wassergehaltes der grünen, saftigen Futter¬ 
pflanzen. Für etwaige sonstige Veränderungen 
des Nährstoffgehaltes der in Dürrheu umzu¬ 
wandeln den Futterstoffe kommt vor Allem in 
Betracht: Das Erntewetter, indem durch 
Beregnen der abgemähten Futterpflanzen 
eine Auslaugung derselben erfolgt, von welcher 
vornehmlich die stickstofffreien, ausserdem 
die stickstoffhaltigen und die mineralischen 
Bestandtheile, in erster Linie alle leichtlös¬ 
lichen, leichtverdaulichen Stoffe betroffen 
werden. Durch den Trockenprocess selbst 
wird der Nährstoffgehalt und die Gedeihlich¬ 
keit der Futtermittel nicht vermindert, 


höchstens etwa in geringem Grade die Ver¬ 
daulichkeit. Bei den meistüblichen Dürrheu¬ 
bereitungsverfahren werden jedoch mehr oder, 
weniger werthvolle Pflanzentheile (Blätter, 
Blüthen) abgestossen und verstreut und tritt 
hiedurch eine wesentliche Verringerung der 
Gesammtausbeute an leichtverdaulichen Nähr¬ 
stoffen ein. Das beste praktische Trocken¬ 
verfahren, um die letztbezeichneten Verluste 
möglichst zu vermeiden, bildet das Trocknen 
auf Pyramiden, Reutern u. dgl. Ebenso em- 
pfehlenswerth ist die Trocknung des schwach 
abgewelkten thaufreien Grünfutters auf Lat¬ 
tenrosten, die sich in luftigen Dachräumen 
befinden, nimmt jedoch zu viel Raum in An¬ 
spruch. Gleichfalls beachtenswerth ist das 
in Frankreich übliche Verfahren, nach 
welchem das frischgemähte, nicht bethaute 
Grünfutter mit den Blüthen nach oben auf¬ 
gepuppt und erst nachdem es in diesen 
kleinen, durch Strohseile zusammengehaltenen 
Puppen ziemlich trocken geworden, zu grossen 
Haufen vereinigt wird. Nur bei sehr wasser¬ 
reichen Futterstoffen muss noch vorher eine 
geringe Ueberarbeitung stattfinden, die aber 
mit wenig oder keinen Verlusten verknüpft 
ist, nachdem die Blätter u.dgl. in den Puppen 
nicht ganz trocken werden, sondern „klamm“ 
bleiben, in welchem Zustande sie nicht leicht 
abgestossen werden. Zu erwähnen wäre noch 
das Neilson’sche Verfahren, nach welchem 
das halbwelke Grünfutter in Mieten gebracht 
wird, die verticale Luftschächte und mit den¬ 
selben communicirende, am Boden verlaufende, 
nach aussen mündende Dunstcanäle aus 
Thonröhren haben. An den Mündungen der 
Dunstcanäle wird ein Saugventilator aufgestellt 
und vermittelst desselben Luft durch die 
Miete gesaugt, sowie man in dieser eine 
merkliche Erwärmung durch Selbsterhitzung 
der zu trocknenden Futtennasse wahrnimmt. 
Die Kosten des Ventilirens, das bei feuchten 
Futterpflanzungen sehr lange fortgesetzt 
werden muss, stellen sich leider so hoch, dass 
dieses rationelle Verfahren nur für Ausnahms¬ 
fälle als rentabel gelten kann. — Auch durch 
Anwendung künstlicher Wärme ver¬ 
mittelst besonderer Apparate lassen sich die 
sonst mit der Dürrheubereitung verknüpften 
Substanzverluste mehr oder weniger gänzlich 
vermeiden. Es fehlt leider bisher an einem ge¬ 
eigneten, resp. nicht zu kostspieligen Trocken¬ 
apparat. Gutes, haltbares, nicht durch Selbst¬ 
erhitzung gefährdetes (dem Dumpfig- und 
Schimmelwerden nicht ausgesetztes) Dürrheu 
darf wenig mehr als 15% Feuchtigkeit ent¬ 
halten. Behufs besserer Haltbarkeit, erleich¬ 
terter Aufbewahrung und bequemeren Trans¬ 
portes wird dasselbe gepresst (s. Pressheu). Pt. 

Dii88elth&ler Schweine. Im preussischen 
Regierungsbezirk Düsseldorf (Rheinprovinz) 
und in den angrenzenden Theilen des alten 
Herzogthums Cleve, ganz besonders aber in 
Düsseithal — ehemals ein Trappistenkloster 
und jetzt eine vom Grafen von der Recko ge¬ 
gründete Erziehungsanstalt für arme, sittlich 
verwahrloste Kinder — wird die Schweine¬ 
zucht seit geraumer Zeit recht gut und um- 


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DUGES. — DUMMKOLLER DER PFERDE. 419 


fangreich betrieben. Das alte Landschwein 
4 jener Gegend zeichnete sich vor den meisten 
anderen Schlägen im nordwestlichen Deutsch¬ 
land durch eine bedeutende Grösse, ganz be¬ 
sonders aber — bei zweckmässiger Fütterung 
— durch Lieferung eines sehr befriedigenden 
Schlachtgewichtes aus; nicht selten erreich¬ 
ten die voll ausgewachsenen Exemplare dieses 
Schlages ein Körpergewicht 300—350 kg. Die 
' Entwicklung der Thiere ging aber in der 
Regel sehr langsam von statten, und sie 
waren meistens erst im vierten Lebensjahre 
ausgewachsen. Um dieses zu verbessern, ent¬ 
schloss sich der Graf von der Recke, eine 
Kreuzung zwischen englischen und den in 
jener Gegend heimischen Schweinen einzu¬ 
leiten. Der Versuch fiel günstig aus; und schon 
nach kurzer Zeit machten sich die Vorzüge 
der Kreuzungsproducte zur Zucht bemerkbar, 
und sie wurden bald weit und breit beliebt. 
Ihre Nachzucht' entwickelte sich ungleich 
rascher als die alten unveredelten des Land¬ 
schlages. Fest typirt ist dieser Stamm wahr¬ 
scheinlich niemals gewesen. Nach den Angaben 
dortiger Landwirthe hat man in jener Gegend 
früher schon portugiesisches und chinesisches 
Blut zur Verbesserung der Schweinezucht ver¬ 
wendet. Die jetzt in der Rheinprovinz und in 
Süddeutschland vorkommenden Schweine unter 
dem obigen Namen haben weit grössere Aehn- 
lichkeit mit den Schweinen der portugiesischen 
Rassfc als mit den Thieren der alten, gross- 
ohrigen Species (Sus scrofa makrotis). Ihr 
kleiner Kopf ist ziemlich kurz mit nahezu 
aufrechtstehender Stirn und ziemlich feinem 
Rüssel. Die Ohren sind kurz und hängen nur 
etwas nach vorne herunter. Ihr kurzer dicker 
Hals geht recht gut in den breitschulteri¬ 
gen Mittelkörper über. In der Regel sind 
die Schweine der jetzt modernen Zucht 
nicljt mehr so langleibig als der alte unver¬ 
edelte Schlag gewesen sein soll, dagegen sind 
sie jetzt breiter und tiefer im Rumpf gewor¬ 
den. Die mittelstarken Beine sind eher kurz 
als lang zu nennen; besonders muskulös er¬ 
scheinen ihre Hinterschenkel, und sie liefern 
daher auch schöne Schinken. Ihre Fleisch¬ 
qualität wird sehr gerühmt. — Wenngleich 
die Düsselthaler Schweine jetzt nicht mehr zu 
* einem so grossen Schlachtgewicht kommen 
wie der alte Landschlag, so ist doch dabei 
zu berücksichtigen, dass bei der modernen 
Zucht die Thiere viel zeitiger in den Mast¬ 
stall und auf die Schlachtbank geführt wer¬ 
den können; die meisten derselben können 
schon im Alter von 1%—2 Jahren geschlachtet 
werden. Nach Weiss lieferten zwei 11 Monate 
alte Düsselthaler Schweine beim Schlachten 
folgendes Ergebniss: 

Männliches Weibliches 
Thier Thier 


Todt. 205 kg 148 kg 

Blut und Eingeweide. 19% w 16% „ 
Reines Schlachtgewicht 185% kg 131%kg 

Das Temperament der 'fraglichen Rasse 
wird gelobt; die Thiere verhalten sich im 
Stalle wie auf der Weide sehr ruhig und 
zeigen sich niemals bösartig. Freytag . 


Duges A. gab 1837 in Montpellier heraus: 
Trait<3 de Physiologie comparöe de Thomme 
et des animaux. Semmer. 

Dulcamara, Bittersüss, eine bekannte bei 
uns überall wachsende Solanacec, Solanum 
Dulcamara (L. V. 1), nach der Ph. A. offi- 
cinell -in ihren Stengeln. Sie findet keine . 
thierärztliche Anwendung. Vogel . 

Dummheit, Fatuitas s. amentia (von 
fatuus, blödsinnig, a = ohne, mens, Verstand), 
bezeichnet einen geringen Grad von intellec- 
tuellen Fähigkeiten. Das Grosshirn ist der 
Sitz der Psyche, der geistigen und der sen¬ 
soriellen Thätigkeit. Je weniger das Gross¬ 
hirn entwickelt ist, auf einer desto niedri¬ 
geren Stufe der Intelligenz stehen die Thiere; 
so sind die Gans, das Schaf und der Esel als 
Sinnbild der Dummheit hingestellt worden. 
Alle Mikrocephalen sind geistig wenig be¬ 
fähigt, denn der kleine Schädel hat sich pro¬ 
portioneil der Grössenverhältnisse des Gehirns 
entwickelt. Da der Sitz der Psyche auf die 
gesammte Grosshirnrinde vertheilt und das 
Grosshirn zugleich auch der Sitz der höheren 
Sinnesthätigkeit ist, so muss jede Läsion des 
Grosshirns die geistigen und sinnlichen Ver¬ 
richtungen herabdrücken. Diese Läsionen be¬ 
ruhen nicht immer auf traumatischen Ver¬ 
letzungen, sondern häufig auf Druck seitens 
des zu reichlich in das Hirn einströmenden 
Blutes nach Störungen der Blutcirculation in 
den Organen der Brust- oder Bauchhöhle, 
oder der in den Hirnkammern sich abnorm 
ansammelnden Flüssigkeiten, oder auch ver¬ 
schiedener im Grosshirn und der Schädel¬ 
höhle sich entwickelnder Neubildungen. In 
solchen Fällen prägt schon das Auge Stumpf¬ 
sinnigkeit aus, der Kopf erscheint eingenom¬ 
men, alle Handlungen und Bewegungen las¬ 
sen die Zweckmässigkeit mehr oder weniger . 
vermissen, sie sind oft geradezu verkehrte, 
der Organismus reagirt nur unvollkommen 
auf Sinneseindrücke. Der Dummheit begegnen 
wir im sog. Dummkoller der Pferde (s. d.) 
und in der Drehkrankheit der Schafe und 
Rinder (s. d.), weshalb auch diese Krank¬ 
heiten öfter unter der Bezeichnung „Dumm¬ 
heit 11 cursiren. Anacfyr. 

Dummkoller der Pferde, amentia seu 
fatuitas (von a = ohne; mens, Verstand; 
fatuus, blödsinnig), ist eine chronische, fieber¬ 
lose Störung der Gehirnfunctionen, namentlich 
der intelletuellen, sensuellen und sensiblem 
Fähigkeiten. Wir haben es hier mit einer 
Gehirnkrankheit zu thun, denn das Gehirn in 
seiner Totalität, d. li. das grosse, kleine und 
Mittelhirn und das verlängerte Mark, ist der 
Sitz der genannten Fähigkeiten. Im Grosshim 
haben wir den Sitz der höheren Nerventhätigkeit, 
der willkürlichen Bewegungen und der Sinnes¬ 
eindrücke zu suchen, u. zw. in dessen Rinden¬ 
substanz: die Marksubstanz ist nur der Ver¬ 
mittler der Nerventhätigkeit; Empfindung, 
Bewusstsein, Gedäehtniss, Urteilskraft, die 
geistige, intellectuelle Thätigkeit gehen vom 
Grosshirn aus. Das Mittel- und kleine Gehirn 
sehen wir beim Dummkoller ebenfalls bethei¬ 
ligt, sie ordnen und reguliren die Bewegungen, 


27* 


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420 


DUMMKOLLER DER PFERDE. 


die wir in dieser Krankheit sehr häufig in 
abnormer Weise abgeändert sehen, ebenso wie" 
die Herzthätigkeit, die nicht selten herabge- 
drückt ist; im letzteren Falle müssen wir auf 
ein Mitleiden der Medulla oblongata schliessen, 
denn .in ihr liegen die Centren für Athmung, 
- Herzhemmung, ferner auch fyr die Scliling- 
und Kaubewegungen, die wir bei dummkol- 
lerigen Pferden fast regelrecht alterirt finden. 
Wo der Puls retardirt ist, da spielen auch Vagus 
und Sympathicus eine Rolle mit — ersterer 
ist bekanntlich für 'das Herz HemTnungsnerv, 
letzterer Erregungsnerv; — es scheint hier 
der Sympathicus. seine Innervationskraft theil- 
weise eingebüsst zu haben. Die Störungen 
der Gehirnfunctionen müssen unbedingt von 
anatomischen Veränderungen der Gehirn¬ 
substanz, von einer Aenderung des moleculären 
Zustandes der Nervenfasern ausgehen, jedoch 
frägt es sich, worin besteht diese Abnormität ? 

Da man beim Dummkoller in den meisten 
Fällen seröses Transsudat in ungewöhnlicher 
Menge in den Himventrikeln vorfindet und er 
somit ein Hydrocephalus internus chronicus, 
chronische Gehirnkammerwassersucht ist, so 
kann es nicht ausbleiben, dass das Transsudat 
die umgebenden Nervenfasern und Nervenzellen 
erweicht und* ihre Molecüle verschiebt oder 
ar auflöst. Ausserdem wird diese Verschiebung 
er Molecüle noch durch den Druck des 
Transsudates auf die Hirnsubstanz verstärkt, 
ein Theil derselben, der dem Drucke unmit¬ 
telbar ausgesetzt ist, atrophirt und degenerirt. 
Gehirnanämie kann bei Dummkoller nicht 
unterstellt werden, denn unter solchen Ver¬ 
hältnissen würden tetanische Krämpfe eintre- 
ten. Pathologischer Hirridruck durch Fremd¬ 
körper an der Oberfläche des Gehirnes existirt 
nach Adamkiewicz (Wiener Klinik 1884) nicht, 

, die davon abhängig gemachten Symptome 
seien Wirkungen von Himreizungen, bei vor¬ 
handenen Tumoren, wie dies Experimente an 
Kaninchen erläuterten, Femwirkungen, u. zw. 
Entzündung’ der Pia, Dilatation und Neubil¬ 
dung von Blutgefässen im comprimirten Hirn¬ 
gewebe, Hypertrophie dieses Gewebes, sog. 
Condensationshjpertrophie, bei Compression 
der pberfläche des Gehirnes der Kaninchen 
Krämpfe, später Hemiplegie und Paraplegie; 
die pathologischen Processe beruhen auf Rei¬ 
zung und Lähmung der Hirnsubstanz. Stau¬ 
ungspapille im Auge wurde bei den Versuchen 
an Kaninchen nicht beobachtet, es ist jedoch 
hiebei zu beachten, dass es sich bei den Ver¬ 
suchen* um einen intracraniellen, nicht um 
einen intracerebralen Hirndruck handelte. Bei 
Hydrocephalus internus ist Hyperämie und 
Auftreibung der Papilla optica und der an¬ 
grenzenden Retinalgefässe des Auges constatirt 
worden, so auch von Prof. Dr. Lustig (Jahres¬ 
bericht der Thierarzneischule zu Hannover 
1880) bei dummkollerigen Pferden die sog. 
Stauungspapille, weshalb er hier als diagno¬ 
stisches Hilfsmittel die Untersuchung des 
Auges mit dem Augenspiegel empfiehlt. Alles 
was die Blutcirculation in den Blutleitern und 
Gehimarterien erschwert, muss als nächste, 
Alles was nachhaltige Congestionen nach dem 


Gehirn verursacht, als entferntere Ursache des 
Kollers angesehen worden, so die Ernährung 
mit proteinreichen Stoffen, besonders Körner¬ 
früchten und Leguminosen, warme, dunstige 
Stallungen, hohe Xufttemperatur, plötzlicher 
Temperaturwechsel, Erkältungen, körperliche 
Anstrengungen, gastrische Leiden, Schnell¬ 
dressur, Eisenbahn- und Schifftransport, 
Schädelverletzungen, phlegmatisches Tempe¬ 
rament, schlaffe Organisation (Marsch- und * 
Niederungsrassen), Vererbung und höheres 
Alter. Aus dem träge cursirenden Blute tritt 
das Serum gern aus, es sammelt sich in den 
Ventrikeln an, übt einen Druck auf die 
Nervenfasern aus und deprimirt deren Func¬ 
tionen. Mitunter wird ein intracranieller Druck 
auf das Gehirn ausgeübt durch Neubildungen ^ 
(Cholesteatome, Fibrome im Gehirn), Hydatiden ^ 
auf der Pia, Exostosen an der Innenfläche des * 
Schädels, Auftreibung des Keilbeines, Katarrh 
der Keilbeinhöhlen etc. Im „TIfierarzt“ von 1881 
ist ein vom Thierarzte v. Heil in Xanten be¬ 
obachteter Fall verzeichnet, in dem Strongylus 
armatus zwischen Dura raater und Gehirn 
eines Pferdes Anfälle von rasendem Koller 
verursachte. Veränderung der Lebens- und 
Fütterungsweise, sowie in der Umgebung, 
Wechsel des Stalles und Eigenthümers vermag 
die Pferde zuweilen innerhalb .weniger Tage 
hochgradig dummkollerig fcu machen; bringt 
man sie wieder in ihre alten Verhältnisse und 
Gewohnheiten zurück, so verlieren sich 'Mit¬ 
unter die Erscheinungen der Gehirndepression. 

Es mögen in solchen Fällen leidenschaftliche 
Gemüthserregungen leicht nervös erregbarer 
Pferde, wie Traurigkeit, Heimweh, Furcht, 
Angst, Schreck, Zorn etc., die Ursache sein. In 
diesen Fällen scheinen die geistigen Störungen 
von dem Reflexorgane, dem verlängerten Marke 
auszugehen, das auch die meisten Gehirnnerven 
entsendet; diese übertragen die Erregung ^uf - 
das Gehirn, der eine Erschlaffung der Gefässe 
folgt. Nach der subacuten Gehirnentzündung 
können die Symptome des Dummkollers sich * 
schon nach 4—14—21 Tagen einstellen, sonst 
erfolgt dieser Uebergang oft auch erst nach 
Jahr und Tag unter Recidiven, immer aber 
treten alsdann die Symptome nicht so präg¬ 
nant hervor wie bei ausgebildeter chronischer 
Hydrocephalie. Bei dieser findet sich Wasser ' 
in den Hirnventrikeln und Hirnödem, minde¬ 
stens sind die Hirnfasern in der Umgebung 
der Ventrikel serös durchfeuchtet und er¬ 
weicht. Das vorfindliche Serum ist meistens 
hell und klar, seltener getrübt, u. zw. dann, 
wenn kurz zuvor Gehirnreizungen mit Tob- 
und Rasereianfällen stattgefunden hatten; bei 
ihnen wird die Arachnoidea und das Gehirn 
hyperämisch, die aufgetriebenen Gefässe reizen 
die Nervenfasern und die Ganglien. Das 
Serum hät in der Regel die Hirnkammern 
und die Geruchskolben erweitert und die 
nächstgelegene Hirnsubstanz atrophirt, die 
Sehhügel verflacht. 

Symptome und Verlauf. In der Regel 
entwickelt sich der Koller langsam, er macht 
in seinen Erscheinungen allmälige Fort¬ 
schritte von kaum merkbaren Geistesstörungen 



DUMMKOLLER DER PFERDE. 4*1 


bis zu völliger Stumpfsinnigkeit und Passi¬ 
vität im Bereiche des Empfindungs-, Erkennt¬ 
nis- und Bewegungsvermögens. Die von den 
peripherischen Nerven ausgehende Empfin¬ 
dung kommt im Gehirn entweder nur unvoll- 
ständig-oder gar nicht zum Bewusstsein. Den 
dummkollerigen Pferden fehlt das Verständ¬ 
nis für die "Zweckmässigkeit ihrer Hand¬ 
lungen und für das, was man von ihnen 
verlangt, ihre Handlungen lassen etwas Ver¬ 
kehrtes, Widersinniges erkennen: solcheThiere 
zeigen sich stumpfsinnig, öfter schlafsüchtig, 
und verhalten sich passiv, sie müssen erst 
durch äusseren Antrieb zur Thätigkeit ange¬ 
regt werden. Von Pferden, die kaum merk-* 
bare Störungen in den Gehirn Verrichtungen 
erkennen lassen, sagt man wohl, sie hätten 
„einen Stich“, wie man von überspannten 
Menschen sagt, sie hätten „einen Sparren“. 
Nachlässe und Verschlimmerungen in den 
dummkollerigen Erscheinungen machen sich 
sehr häufig bemerklich, nie verschwinden sie 
gänzlich, sie behaupten selbst in abge¬ 
schwächten Graden eine Permanenz; ent¬ 
gegengesetzt können sie sich bis zur Dienst* 
untauglichkeit steigern. Dergleichen Exacer¬ 
bationen verschulden Congestionen zum Ge¬ 
hirn bei hcisser Temperatur, Aufenthalt in 
dunstigen Stallungen, bei schwerer Arbeit und 
•Kummetdruck auf die Halsgefasse, schwer ver¬ 
daulicher Nahrung und daraus hervorgehender 
träger Verdauung und Verstopfung des Leibes. 
Remissionen hängen von einer theilweisen 
Resorption des Transsudats in den Ventrikeln 
und leichteren Blutcirculation im Hinterleibe 
ab; wir bemerken sie in kälteren Jahreszeiten, 
bei ruhigem Verhalten, bei Grünfütterung, 
nach Aderlässen und Purganzen. Mitunter 
treten die Symptome im Stalle fast bis zur 
Unmerklichkeit zurück, man sieht dann erst 
nach forcirtem, bis zum Schweissausbruche 
fortgesetzten Dienstgebrauch, wess Geistes 
Kind der Patient ist. Die Diagnose ist je 
nach den Umständen bald leicht,, bald 
schwieriger, nie aber übereile man sich in 
seinem Ausspruche, besonders nicht, wenn 
es sich um Feststellung des Durninkollers 
pro foro handelt; die Patienten sind wieder¬ 
holt in längeren Zwischenpausen, unter ver¬ 
schiedenen Verhältnissen und zu verschiedenen 
Tageszeiten zu untersuchen. Bleibt die Dia- 
nose trotzdem zweifelhaft, so kann dieTödtung 
es streitigen Pferdes verlangt werden, damit 
die Section die nöthigen Aufschlüsse gibt 
Acute, fieberhafte Leiden, namentlich Druse, 
Pulsfrequenz, erhöhte Mastdarmtemperatur, 
jugendliches Alter, die Dentitionsperiode und 
Rossigsein (Brunst) schliessen die Diagnose 
auf Dumrakoller aus, sie kann erst nach 
dem Vorübergang dieser Zustände gestellt 
werden und hat sich mit auf eine glaub¬ 
würdige Anamnese zu stützen, denn es ist 
wichtig, zu wissen, ob die Symptome der 
Hirndepression schon lange bestanden haben 
oder nicht. Der Verlauf des Kollers ist chro¬ 
nisch, er besteht für das ganze Leben und 
ist unheilbar, die Zufälle können wohl ge¬ 
mässigt, aber nie radical beseitigt werden. 


Nach jahrelanger Dauer ,kann der Koller 
endlich in Folge des Hydrocephalus durch 
Hirnlähmung, ausserdem auch durch Lungen¬ 
ödem oder entzündliche Brustleiden tödten. 
Als specielle Symptome sind die folgenden zu 
nennen: verzögerte Kreislaufbewegungen (nicht 
constant), weicher Puls, etwas herabgesetzte 
Athemfrequenz mit tiefer Inspiration, träge 
Verdauung und Defäcation, abgestumpfte 
Sensibilität, so dass Nadelstiche in die Haut, 
das Treten mit dem Fusse auf die Hufkrone, 
das Greifen in die Ohren, das Klopfen auf 
die Stirn, Peitschenschläge, die Manipulationen 
mit Zügeln. und Gebiss, die Schenkelhilfen 
des Reiters entweder gar nicht oder nur un¬ 
genügend empfunden werden, die-Pferde beim 
Fahren oder Reiten zur Seite oder rückwärts 
drängen, sich überschlagen oder nicht vom 
Platze zu bringen sind, nach dem Wagen 
schlagen, die Zugstränge zerreissen u. dgl. m. 
In Ausnahmefällen zeigen sich die Thiere 
nervös aufgeregt, sie benehmen sich ängst¬ 
lich, zittern und erschrecken bei jedem 
Geräusch, bekunden einen ängstlichen, un- 
stäten Blick, was für eine grosse Reflex¬ 
empfänglichkeit von Seiten des Rückenmarks 
und der von ihm abgehenden sensitiven Nerven 
spricht; mitunter treten während des Ge¬ 
brauches in Folge Hyperämie in den Meningen 
Rasereianfälle ein, in denen das Geschirr 
zerrissen, das Gefährt zertrümmert wird, die 
Pferde in die Höhe steigen, sich bäumen, 
schlagen, drängen und nicht selten durch¬ 
gehen. Der krankhaft gesteigerten Erregung 
pflegt ein Stadium grosser Apathie und Tor- 
pidität zu folgen. Der ganze Ausdruck im Ge¬ 
sicht und der Habitus des Thieres prägt 
Dummheit und Theilnahmslosigkeit für alle 
Vorgänge der Aussenwelt aus, der Blick ist todt 
und schläfrig, das Ohrenspiel wenig lebhaft, 
das eine Ohr wird nach vorne, das andere 
nach rückwärts bewegt, das Selbstbewusst¬ 
sein ist getrübt, die Begriffe sind perverse. 
Die Haltung ist eine schläfrige, der Kopf 
wird aufgestützt oder tief herabgesenkt, wobei 
wirklicher schlafsüchtiger Zustand eintreten 
kann, die Augen geschlossen gehalten werden; 
während des Fressens schlafen die Thiere 
förmlich ein, hören auf zu kauen, behalten 
das Futter längere Zeit im Maule, bis sie wie 
aus einem Traume erwachen und dann wie¬ 
der periodisch einige Kaubew egungCn maohen. 
Mitunter geschieht das Fressen mit ungewöhn¬ 
licher Hast schubweise und wählend. Dabei 
drohen die Patienten umzufallen, sie stellen 
wohl auch die Füsse weit unter den Leib oder 
kreuzweise über einander, verharren auch öfter 
längere Zeit in derartigen abnormen Stellun¬ 
gen, die man ihnen absichtlich gegeben hat. 
Das Herum- oder Zurücktreten wird tölpiscli 
und schwerfällig ausgeführt, der Gang ist 
öfter ein tappender mit hochgehobenen Füs¬ 
sen, bei den Bewegungen werden selbst die 
Füsse in verkehrter Reihenfolge gebraucht. 
Beim Tränken sieht man nicht selten die Nase 
tief ins Wasser stecken, das Wasser mehr 
gekaut als" getrunken werden. Am liebsten 
wird das Futter von der Erde aufgenommen, 


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422 


DUMPFEJR SCHALL. — DUNST. 


während es in der Raufe und Krippe liegen 
bleibt. Der Zuruf zum Herumtreten im Stalle 
bleibt häufig unbeachtet. 

Differentialdiagnose. Zahnende, alte, 
heruntergekommene, strapazirte, phlegmatische, 
torpide, taube, blinde und brünstige Pferde 
können auf den ersten Blick für dumme ge¬ 
halten werden, bald aber wird man sich über¬ 
zeugen, dass das Nervensystem in normaler 
Weise functionirt, die Empfindung nur wenig 
alterirt ist, Vorstellungen und Handlungen 
keine perversen sind. Bei zahnenden Pferden 
gehen die vermeintlichen Erscheinungen des 
Kollers nach 8—14 Tagen vorüber. Blinde 
Pferde haben einen tappenden, unsicheren, zur 
Seite drängenden Gang, taube Pferde hören 
nicht auf Zuruf und werden von umgebenden 
Geräuschen nicht alterirt, sie lassen aber keine 
anderweitigen Störungen in der sensiblen und 
geistigen Sphäre erkennen. 

Am leichtesten kann Amentia mit der 
subacuten Gehirnentzündung und ihren Fol¬ 
gen, dem acuten Hydrocephalus, verwechselt 
werden; für ihn sind pathognomonische Merk¬ 
male: höhere Mastdanntemperatur, ganz auf¬ 
gehobene oder mangelhafte Fresslust, grössere 
Athemfrequenz, Schmerzäusserung beim Drucke 
auf den Nacken, paralytische Zufalle, beson¬ 
ders . Schlingbeschwerden und constante, mit 
Tobsucht abwechselnde Schlummersucht. Als 
diagnostische Merkmale für Koller sind zu 
beachten: normale oder etwas herabgesetzte 
Körpertemperatur und Pulsfrequenz, regel¬ 
mässige Fresslust, normale Schleimhäute, blei¬ 
bende und deutlich ausgeprägte Störungen in 
den Sinnesverrichtungen, Stauungspapille im 
Auge. 

Behandlung. Die Cur kann nur eine 
palliative sein; als solche hat sie ins Auge 
zu fassen massige Bewegung, kühle, gut 
ventilirte Stallung, im Sommer Aufenthalt 
im Freien, leichtverdauliche Nahrung (Grün¬ 
lütter, Knollengewächse, Rüben), offenen Leib 
(Klystiere, abführende Salze, Purganzen), bei 
Congestionen Aderlass, kalte Douchen, Eis¬ 
beutel auf den Schädel und ausgedehnte 
scharfe Einreibungen in die Seitenflächen des 
Halses, gegen den Hydrocephalus das Anste¬ 
chen der Siebbeinplatte nach Hayne oder die 
Perforation der Stirnplatten des Siebbeines 
mit dem Troicart, Trepan oder einem stilet- 
förmigen Draht von den Nasenhöhlen aus. Die 
Resorption des Serums in den Ventrikeln sucht 
man durch innere Medication mit Salzen in 
Verbindung mit Juniperus, Digitalis, ol. Tere- 
binth., Nux vomiea etc. zu befördern; hervor¬ 
zuheben sind noch in dieser Beziehung das 
Hydrarg. bichlor. corrosivum, subcutane In- 
jectioneu einer Strychnin- oder Pilocarpin¬ 
solution und die intravenöse Injection der 
tinctura Veratri albi. 

Die Homöopathen benutzen gegen Koller 
Kamillen mit Sulfur und Nux vom. oder 
Veratrum und Pulsatilla, bei längerer An¬ 
dauer Belladonna alternirend mit Hyoscyamus 
und Nux vom., bei starkem Sopor Opium, bei 
Tobanfallen Belladonna, nach einigen Stunden 


Verätr. albutn. Sulfur wird als Nachcur ge¬ 
geben. Anacker. 

Der Dummkoller als Gewährsfehler 
erfordert zur Feststellung vor Gericht eine 
genaue und wiederholte Untersuchung, da die 
einzelnen Anfälle nicht immer deutlich zum 
Vorschein kommen und periodenweise Bes¬ 
serungen der Krankheit, besönders in kalter 
Jahreszeit eintreten. Mittel, um im Pferde¬ 
handel den Koller zu verbergen, sind: starke 
Aderlässe, scharfe Abführmittel und Haut¬ 
reize, kühler Aufenthalt, beschränktes, leicht 
verdauliches Futter, Anwendung der Peitsche, 
Sporen und des Pfeifers beim Vorführen, 
Kopfscheumachen des Thieres, Ausscheeren 
der Ohren, Stechen der Krone mit Nadeln, 
um sie empfindlicher zu machen. Mittel, um 
den Koller zu simuliren, sind: Verabfolgung 
narkotischer Mittel, starker Gebrauch bis zur 
vollständigen Erschöpfung. Die Gewährsfristen 
beim Dummkoller betragen: 


4 Tage in Hamburg; 


9 

n 

ft 

Frankreich undElsass-Lothringen: 

14 

n 

ft 

Belgien; 

15 

ft 

ft 

Sachsen: 

20 

n 

ft 

der Schweiz; 

21 

ft 

■n 

Baden, Bayern, Kurhessen, Frank¬ 
furt, Hohenzollern; 

28 

ft 

ft 

Preussen, Lübeck, Hessen, Sach¬ 
sen - Meiningen - Hildburghausen; 

30 

v 

ft 

Oesterreich; 

31 

r> 

ft 

Württemberg und Fulda; 

42 

ft 

ft 

Sachsen-Coburg-Gotha; 

84 

n 

ft 

Hannover und Hildesheim. Sr. 


Dumpfer Schall, s. Percussion. 

Dumpfiges Futter, Futtermittel, welche 
in Folge von Feuchtigkeit eine gelinde Selbst¬ 
erhitzung, verbunden mit gewissen Zer¬ 
setzungen durchgemacht haben. Die Producte 
der letzteren verleihen demselben einen dum¬ 
pfigen Geruch. Dumpfig riechende Futter¬ 
mittel sind häufig mehr oder weniger gesund¬ 
heitsschädlich, namentlich dann, wenn sie, 
was oft der Fall ist, auch Schimmel ange¬ 
setzt haben oder andere Pilzwucherungen 
enthalten. Man muss sie vorsichtshalber 
kochen oder dämpfen, bevor man sie ver¬ 
füttert. Pott. 

Dumpi68, eine in Schottland einheimische 
Hühnerrasse (auch Bakies, Go-laighs, Dachs¬ 
hühner, Krüper genannt), die sich auszeichnet 
durch ihre sehr kurzen Läufe (die oft kaum 
4 cm lang sind) bei grossem Körper. Ihr 
Gefieder ist kukuksfarbig, der Kamm ist ein¬ 
fach und aufrechtstehend, der Schwanz ziem¬ 
lich gross und beim Hahn mit grossen 
Siclielfedern besetzt. Die Durapies sind nach 
B a 1 d am u s und W r i ght abgehärtet und vor¬ 
treffliche Tafelhühner, sollen aber eine im 
Aussterben begriffene Rasse sein; jedenfalls 
kommen sie auf englischen Ausstellungen nur 
noch höchst selten vor. Wtlckens. 

Dunst und Dampf werden häufig gleich¬ 
bedeutend gebraucht; den ersten Ausdruck 
vermeidet man in der Physik im Allgemeinen, 
spricht jedoch von verdunsten, Verdunstung 
und Dunstgestalt der Luft. Unter letzterer 
versteht man in der Regel die Form, unter 



DUNST. 


423 


welcher der Wasserdampt in der Luft er¬ 
scheint. Der Uebergang eines Körpers vom - 
festen oder flüssigen Aggregatzustand in den 
gasförmigen von seiner Oberfläche* aus heisst 
Verdunstung, und man sagt, ein Körper, 
welcher ohne Zufuhr freier Wärme von aussen 
her von seiner Oberfläche aus gasförmig 
wird, verdunstet. Manche nennen nun den in 
den gasförmigen Zustand übergegangenen 
Theil des Körpers Dunst. Das allgemeinste 
Merkmal bei diesem Vorgang ist die Abnahme 
des Gewichtes des verdunsteten Körpers. 
Nicht blos flüssige, sondern auch feste Körper 
verdunsten, z. B. Eis auf der Wage nimmt 
selbst bei grosser Kälte, ohne zuvor zu 
schmelzen, an Gewicht immer mehr ab; ebenso 
verdunsten Kampher, Moschus, kohlensaures 
Ammonium etc. Ueber die Verdunstung von 
Flüssigkeiten gelten folgende Gesetze: 

1. Sie findet bei jeder Temperatur statt. 
Reif und Schnee verschwinden bei anhaltend 
trockenem Winde; gefrorene Wäsche trocknet. 
Selbst Quecksilber verdunstet bei gewöhn¬ 
licher Temperatur, was man an den Queck¬ 
silberkügelchen erkennen kann, die sich an 
dem leeren Theil der BarometerTöhre an¬ 
setzen. 

2. Die Verdunstungsmenge ist direct 
proportional der Verdunstungsfläche; ausge¬ 
breitete Gegenstände trocknen schneller, 
während Flüssigkeiten in enghalsigen Flaschen 
nur langsam verdunsten. 

3. Die Verdunstungsmenge ist direct 
proportional dem Unterschiede der Spann¬ 
kräfte des sich aus der Flüssigkeit ent¬ 
wickelnden und des in dem Verdunstungs¬ 
raum schon vorhandenen Dampfes. Aus diesem 
Gesetze erklärt es sich, dass die Verdunstung 
des Wassers in trockener Luft leichter erfolgt 
als in feuchter. 

4. Die Verdunstungsmenge ist umgekehrt 
proportional der Spannkraft der umgehenden 
Luft. Im luftleeren Raume erfolgt die Ver¬ 
dunstung plötzlich, im lufterfüllten um so 
langsamer, je dichter die Luft ist. 

5. Die Verdunstung wird durch Bewe¬ 
gung der Luft befördert, indem durch Be¬ 
wegung die gebildeten Dämpfe fortgeführt 
werden und somit der Spannungsunterschied 
des sich bildenden und des schon vorhandenen 
Dampfes denselben Werth behält. 

6. Bezeichnet man daher mit a die 
Flüssigkeitsmenge, welche auf der Fläche 1 
beim Spannungsunterschiede 1 des sich bil¬ 
denden und des schon vorhandenen Dampfes 
und beim Barometerstände 1 in einer gewissen 
Zeit verdunstet, so ergibt sich für die Flüssig¬ 
keit W, welche in derselben Zeit auf der 
Fläche F bei der Spannung p des sich bil¬ 
denden und der Spannung p' des schon vor¬ 
handenen Dampfes und beim Barometerstände 
b verdunstet, die Formel: W = a F (p—p'): b. 
Wenn eine Flüssigkeit verdunstet, ohne von 
aussen erwärmt zu werden, so wird ein Theil 
ihrer, Wärme zur Darapfbildung verbraucht. 
Dadurch entsteht Temperaturerniedrigung, 
welche Verdunstungskälte genannt wird; die¬ 
selbe ist um so grösser, je mehr Flüssigkeit 


in einer gewissen Zeit verdunstet. Die Ver¬ 
dunstungskälte wird zur künstlichen Eis¬ 
bereitung benützt (s. Eismaschinen). — Die 
Verdunstungsproducte vieler Körper und 
die Producte chemischer Processe, die man 
im gewöhnlichen Leben Dünste oder auch 
Dämpfe nennt, wie z. B. Kohlendunst, Oel- 
dünste, Schwefeldünste, Kalkdünste, Blei¬ 
dünste, Kupferdünste, Arsenikdünste, Queck¬ 
silberdünste, Keller-, Brunnen- und Grubenluft, 
Sumpfluft etc., die Dünste aus Werkstätten, 
Krankenzimmern und Viehställen sind, weil 
sie gasförmig sind und leicht eingeathmet 
werden können, schädlich; sie Beeinträchtigen 
sehr oft die Gesundheit der Menschen und 
Thiere. Geht ein flüssiger Körper, meist 
durch fortgesetzte Wärmezufuhr, durch seine 
ganze Masse hindurch in den gasförmigen 
Zustand über, so sagt man, er siedet oder 
verdampft. Häufig wird jedoch mit Verdampfen 
sowohl das Verdunsten als auch das Sieden 
bezeichnet. Die Siedetemperatur der Körper 
ist verschieden. (Flüssige Metalle sind noch 
nicht zum Sieden gebracht worden, da der 
Siedepunkt nicht erreicht werden kann.) Die 
Siedetemperatur bleibt so lange constant, bis 
die ganze Flüssigkeitsmasse in den gas¬ 
förmigen Zustand übergeführt ist; es wird 
also Wärme gebunden. Die Siedetemperatur 
ändert sich schon bei gewöhnlichen Luft¬ 
druckveränderungen; man kann also von der 
Siedetemperatur eines flüssigen Körpers nur 
für einen bestimmten Luftdruck reden; der 
Siedepunkt liegt um so höher, je grösser der 
Druck ist. Im luftleeren Raume siedet das 
Wasser; das Sieden ist also nichts Anderes 
als eine Ueberwindung des Luftdruckes. Zwei 
Barometerrühren werden mit Quecksilber 
gefüllt und luftleer gemacht; die erste wird 
unter Quecksilber umgedreht; danh wird die 
Quecksilbersäule eine Höhe erreichen, dass 
sie dem äusseren Luftdruck das Gleichgewicht 
hält. Auf die zweite Quecksilbersäule giesst 
man etwas Wasser find dreht dann ebenfalls 
unter Quecksilber um, so steigt, das Wasser 
in die Höhe und verdampft plötzlich bis auf 
einen kleinen Theil im luftleeren Raum. Der 
Wasserdampf wirkt dann dem Luftdruck 
entgegen und drückt die Quecksilbersäule 
abwärts. Wird die Toricellische Xeere ver- 
rössert oder die Temperatur erhöht, so ver- 
arapft neuerdings ein Theil der Flüssigkeit. 
Es ergibt sich das Gesetz: In einem gegebenen 
Raume kann sich bei einer bestimmten Tem¬ 
peratur blos eine ganz bestimmte Menge 
Flüssigkeit in den gasförmigen Zustand ver¬ 
wandeln. Modificirte man den letzten Ver¬ 
such so, dass man Tropfen für Tropfen 
Flüssigkeit in der Quecksilbersäule aufsteigen 
lässt, so würde die Quecksilbersäule successive 
herabgedrückt, die Spannkraft der Dämpfe 
also immer grösser, bis ein Tropfen nicht 
mehr verdunstet;- dann sind die Dämpfe im 
Maximum der Spannkraft angekommen und 
heissen gesättigte, während solche, die noch 
nicht im Maximum der Spannkraft sich be¬ 
finden, überhitzte heissen. Die Spannkraft 
gesättigter Dämpfe lässt sich leicht berechnen. 



424 


DUNST. 


indem man von der Höhe der Baromoter- 
quecksilbersäule die Höhe der Quecksilber¬ 
säule subtrahirt, auf welche die gesättigten 
Dämpfe wirken. 

Dunstgehalt der Luft. Das Wasser 
verdunstet im grossen Umfange jahraus jahr¬ 
ein auf der ganzen Erdoberfläche; selbst im 
Winter, wenn es zu Schnee und Eis krystalli- 
sirt ist. In dem Zustande der Verdunstung 
ist das Wasser völlig unsichtbar; von seiner 
Anwesenheit Überzeugt man sich durch Ueber- 
führen desselben in' flüssigen Zustand durch 
Erkältung, Druck und Verdichtung, durch 
Affinität, Adhäsion, sowie durch ein eigen¬ 
tümliches Verhalten gewisser Körper, die 
man hygroskopische nennt. Je höher die 
Temperatur ist, desto mehr Wasser wird ver¬ 
dunsten, und dia Luft enthält daher gerade 
dann verhältnismässig viel Wasserdampf, 
wenn die Temperatur sehr hoch ist. Um die 
Menge der Feuchtigkeit bemessen zu können, 
werden solche hygroskopische Substanzen, wie 
Hobelspäne, Fischbein, Darmsaiten, Frauen¬ 
haare etc. benützt, welche durch ihre Ver¬ 
kürzung bei der Aufnahme von Feuchtigkeit den 
Grad der in der*Luft vorhandenen Feuchtigkeit 
angeben (s. Hygrometer). Die Elasticität der 
Luft wird durch Verdunstung des Wassers 
nicht vermindert, vielleicht sogar vermehrt, 
wie die schnellere Schallverbreitung in 
tropischen Gegenden vermuthen lässt. Die 
Verdunstung findet nicht ununterbrochen statt, 
wie die Verdampfung bei stetem Wärmezu¬ 
fluss, sondern hat bestimmte Grenzen und 
hört auf, wenn die Luft mit Wasserdampf 
gesättigt ist. Der Wassergehalt der Atmo¬ 
sphäre^ nimmt an jedem Orte der Erde wäh¬ 
rend des Tages zu und ab, und die Gesetze, 
nach welchen dies geschieht, sind durch 
Ne über in Apenrade (Holstein), Kupffea 
in Petersburg und Kämtz in Halle möglichst 
genau ermittelt worden. Im Sommer hat die 
Wassermenge täglich zwei Maxima und zwei 
Minima. Wenn nach Sonnenaufgang die Tem¬ 
peratur steift, so wird auch die Menge des 
Wasserdampfes in der Luft grösser, was un¬ 
gefähr bis 9 Uhr dauert; von da ab hört 
zwar die Entwicklung des Wasserdampfcs aus 
Erde, Wasser, Pflanzen u. s. w. nicht auf, im 
Gegentheil, sie wird mit der steigenden Wärme 
stärker; aber wie nun die Sonne auch die 
Luft und den Boden durchwärmt, so hebt 
sich von diesem* ein Strom warmer Luft 
empor, welcher die Feuchtigkeit mit sich hin¬ 
wegführt, was von da ab in immer höherem 
Masse geschieht, obwohl immer mehr Dampf 
entwickelt wird. Von 9 Uhr an sinkt also die in 
der Luft vorhandene Dampfmenge immer mehr, 
bis sie gegen 4 Uhr Nachmittags ihr Minimum 
erreicht hat. Von da nimmt nunmehr wieder 
der aufsteigende Luftstrom ab, und die Ent¬ 
wicklung der Dampfmenge aus dem erwärmten 
Boden dauert fort; der nicht mehr hinweg¬ 
geführte Dampf sammelt sich also in der 
Luft an, und er erreicht ein zweites Maximum 
ungefähr um 9 Uhr Abends (natürlich sind nach 
den Monaten die Stunden verschieden; die hier 
angegebenen gelten für den Juli und August; 


früher und später rucken die beiden höchsten 
Punkte näher nach der wärmsten Stunde des 
Tages zu, so dass der erste um 10, der 
zweite um 8 Uhr Abends, dann um 11 und 
um 7 Uhr u. s. w. eintritt). Von da ab ver¬ 
mindert sich die Dampfmenge wieder bis gegen 
Sonnenaufgang hin, aber aus einem .anderen 
Grunde, * als es . zu Mittag geschieht. Der 
Dampf wird nicht durch einen warmen Luft¬ 
strom entführt, sondern durch allmälige Er¬ 
niedrigung der Temperatur niedergeschlagen, 
was bis zum Erscheinen Yon Nebel, bk zur 
Wolkenbildung geht, dahin jedoch, wie be¬ 
greiflich, durch verschiedene, den Temperatur¬ 
gang störende meteorologische Erscheinungen, 
kalte Luftströrae u. s. w., auch bei Tage ge¬ 
langen kann. Wenn die Maxiraa der Feuchtig¬ 
keit immer näher zu der wärmsten Stunde 
rücken, wie man sich dem Frühling oder 
dem Herbst zuwendet, so kann man schtiessen, 
dass, wenn die beiden Punkte der Frühlings¬ 
und Herbstzeit überschritten sind, sie viel¬ 
leicht beide im Winter zusammenfallen wefden, 
so dass es nur einen höchsten Stand der 
Feuchtigkeit in 24 Stunden gibt, und- dies 
ist wirklich der Fall. Die Sonnenstrahlen, im 
Winter weniger intensiv, entwickeln zwar aus 
allem Flüssigen, ja sogar aus Schnee und Eis 
Dämpfe, können jedoch den Boden nicht so 
durchwärmen, dass sie einen aufsteigenden 
Luftstrom veranlassen. Die entwickelten 
Dämpfe haben daher ihr Maximum bald nach 
der wärmsten Stunde des Tages, im Jänner 
nach 2 Uhr, das Minimum fällt, wie immer, 
auf die Stunde des Sonnenaufganges. Auf 
Bergen yon bedeutender Höhe verhalten sich 
das Maximum und das Minimum anders als 
in der Ebene oder als in den am Fusse der 
Berge gelegenen Gegenden. Hier hat man 
aus natürlichen Gründen während des Som¬ 
mers zwei Maxima und zwei Minima, aus 
denselben Gründen hat man auf den Gebirgen 
nie mehr als.ein Maximum und ein Minimum. 
Wie nach der Tageszeit, so variirt der Stand 
der Feuchtigkeit auch nach der Jahreszeit. 
Die Menge des Wasserdampfes ist bei uns im 
Juli und August am grössten, im December 
und Jänner am geringsten; dagegen ist der 
Sättigungsgrad der Luft im December am 
grössten und im August am geringsten. Des¬ 
halb findet im December viel häufiger Nieder¬ 
schlag gtatt als im August; aus diesöra Grund« 
ist ein Regen im Sommer so ergiebig, dass 
er innerhalb einer Viertelstunde eine ganze 
Stadt zu überschwemmen vermag, indes ein 
vier Wochen lang anhaltender Winterregen 
wohl unerträglich viel Koth auf den Strassen 
anhäuft, allein aus keinem Rinnstein einen 
Bach zu machen im Stande ist; die Tröpfchen 
sind unsichtbar klein, die Tropfen eines tüch¬ 
tigen Sommerregens erbsen-, ja haselnuss¬ 
gross. 

Die beiden Factoren, auf welche es vor¬ 
zugsweise hier ankommt, sind Wärme und 
Wasser. Ist der Wasservorrath unbegrenzt, 
so werden sich über demselben um so mehr 
Dämpfe entwickeln, je wärmer es ist; daher 
ist die Menge des Wasserdampfes über den 



DUNST. 


425 


tropischen Meeren am grössten, und sie nimmt 
über dem Meere immer mehr ab, je weiter 
man sich vom Aequator nach den Polen hin 
entfernt, obschon es dem Auge nicht so 
erscheint, weil der wolkenlose Himmel der 
Aequatorialregion Trockenheit ankündigt und 
der ewig bewölkte Himmel der Polarregion 
die grösstmögliche Feuchtigkeit zeigt. Allein 
was* für den 70. Grad nördlicher Breite die 
grösstmögliche Feuchtigkeit ist, das ist es 
noch lange nicht für die Tropen. 

Der Thau entsteht aus dem Wasserdampf 
in der unteren Luftschicht, welcher sich wäh¬ 
rend des Tages und der Nacht bildet in 
Folge der Temperaturerniedrigung der Erd¬ 
oberfläche und der sie bedeckenden Gräser 
durch Ausstrahlung derselben, wobei er 9ich 
an diesen, zu Wassertröpfchen condensirt, 
niederschlägt. Unter gleichen Umständen bildet 
sich zwischen Sonnenuntergang und Mitter¬ 
nacht weniger Thau als zwischen Mitternacht 
und Sonnenaufgang; bei bedecktem Himmel 
und bei bewegter Luft thaut es niemals; 
gegen den ersteren findet keine Ausstrahlung, 
oder es findet vielmehr von demselben eine 
Rückstrahlung statt, ein gegenseitiger Aus¬ 
tausch der eigenen Temperaturen, denn nur 
wenn der Rasen kälter ist als die Luft, kann 
Thau fallen; der Wind würde bei klarem 
Himmel allerdings die Ausstrahlung nicht 
hindern, allein er hindert die Erniedrigung 
der Temperatur des strahlenden Körpers, in¬ 
dem er ihm seine eigene Wärme immer wieder 
zuführt, und er verhindert die Abkühlung 
der den ausstrahlenden Körper umgeben¬ 
den Luft, ohne welche diese ihre Feuchtig¬ 
keit nicht abgeben kann; der Wind verhindert 
sie dadurch, dass er stets neue warme Luft 
dahin führt, wo die vorhandene sich ab- 
kühlen soll. Der Thau spielt in der Natur 
eine wichtige Rolle, denn er erhält in der 
heissen Zone fast allein die Ueppigkeit des 
Pflanzenwuchses. 

Reif ist gefromer Thau und entsteht aus 
derselben Ursache wie der Thau, wenn die 
Temperatur unter Null sinkt. 

Der Nobel besteht aus einer unendlichen 
Menge sehr kleiner Wasserbläschen und ist 
so im Grunde dasselbe wie die Dämpfe, welche 
kochendem Wasser entweichen und mit kalter 
Luft in Berührung kommen, oder wie die 
Wolken. Nebel entstehen, wenn die Luft mit 
Feuchtigkeit gesättigt ist und die Wasser¬ 
dämpfe sich nicht durch Berührung mit kalten, 
festen Körpern verdichten, sondern durch 
Windströmungen an kalte Orte geführt oder 
mit kalten Luftmassen gemengt werden, wo¬ 
durch Verdichtung eintritt, sobald sie unter 
ihrem Thaupunkt erkaltet sind, d. h. unter 
derjenigen Temperatur, für welche die Ver¬ 
dichtung des Wasserdampfes gerade beginnt. 
Der Nebel wird in seiner ganzen Masse durch 
einen aufsteigenden Luftstrom gehoben, und 
so wie er von d$r Erde hinweg ist, heisst er 
Wolke. Dass auf diesen Vorgang Regen folgen 
kann, häufig auch folgen wird, ist begreiflich. 
Andererseits, wenn der Nebel sich gleich auf 
dem Boden verdichtet, an Pflanzen, Sand 


und Steinen niederschlägt, verschwindet, ohne 
in die oberen Luftschichten zu steigen, wird 
kein Regen folgen. Nach dem ersteren Phä¬ 
nomen kann es regnen; nothwendige Folge 
ist dies aber keineswegs. Wird der auf¬ 
steigende Nebel in einen wärmeren Luftstrom 
geführt, so wird derselbe aufgelöst, er wird 
völlig verschwinden, und obgleich dieselbe 
Menge Feuchtigkeit in der Luft ist wie früher, 
so wird doch der Himmel klar werden (die 
Luft war bei der Temperatur, welche sie 
unten hatte, auf dem Sättigungspunkte mit 
Wasserdampf, und ist es jetzt in dem wär¬ 
meren Zustande nicht mehr). Ein anderer 
Fall tritt ein, wenn die Temperatur der 
oberen Schichten zwar nicht höher ist als die¬ 
jenige, aus welcher der Nebel aufsteigt, wenn 
sie aber irgend einen starken Zug hat. Nach 
welcher Himmelsgegend dieser gerichtet ist, 
dorthin wird die Wolke ziehen, und nicht wo 
sie aufstieg, sondern dort, 4 wo sie hinzieht, 
wird sie als Regen herabfallen. Solches ge¬ 
schieht z.B., wenn langgestreckte Gebirgszüge 
der Windrichtung im Wege stehen. Ausser der 
Entstehung der Wolken durch den Nebel auf 
der Erde, bilden sich dieselben unendlich viel 
öfter gleich oben in den höheren Regionen, 
und es wird nur zu den Ausnahmefällen ge¬ 
hören, dass eine Wolke vorher an der Erde 
lagernder Nebel war. Man unterscheidet drei 
Hauptformen von Wolken, u. zw.: die Feder¬ 
wolke (Cirrhus), Strichwolke (Stratus) und 
Haufenwolke (Cumulus). Die ersten sind die 
höchstgelegenen kleinen Wölkchen, auch 
Lämmerwölkchen, Schäfchen genannt. * Sie 
sollen nach Humboldt wenigstens eine Meile 
hoch schweben. Die Strichwolken sind die¬ 
jenigen fast immer weissen, leichten und halb- 
durchsichtigen Wolken, welche in langen 
Strichen äusserst langsam und kaum merk¬ 
lich über den Himmelsraum ziehen, jedoch 
in so grosser Höhe, dass noch immer zwei, 
drei und mehr Wolkenschichten darunter und 
Wolkenzüge unter ihnen Platz haben, welche 
man auch deutlich, vom Winde bewegt, in 
verschiedenen Richtungen unter einander fort¬ 
ziehen sieht. Die Haufcnwolke bildet mehren- 
theils eine grosse, schwere Masse von dunkler 
Färbung, in der Form ähnlich ungeheuren 
Gebirgsmassen. Dass die Wolken am Regen 
den meisten Antheil haben, unterliegt keinem 
Zweifel. Der Tropfen des Regens, bildet sich 
in äusserster Kleinheit in der Wolke selbst, 
u. zw. aus den noch kleineren Dunstbläschen, 
welche grösser werden, Zusammenflüssen und 
so schwerer werden und zur Erde fallen. 

Hagel ist gefrorner Regen und seine Er¬ 
zeugung und Vergrösserung ganz der des 
Regens ähnlich. Bei der Hagelbildung ist 
aber immer die Elektricität mit thätig, indem 
es höchst selten hagelt ohne Gewitter. 

Eine weitere Form des atmosphärischen 
Niederschlages ist der Schnee. Derselbe ist 
nicht gefromer Regen, Sondern er entsteht 
durch Krystallisation, u. zw. lange vor der 
Tropfenbildung. 

Aus dem Dunstgehalte der Luft entstehen, 
wie man sieht, verschiedene meteorologische 



426 


DUNSTBADER. — DURA MATER. 


Erscheinungen, als: Nebel, Thau, Reif,Wolken, 
Regen, Hagel und Schnee, welche, wenn sie 
regelmässig und zeitgemäss auftreten, mit 
Ausnahme des Hagels, eine Wohlthat für die 
Pflanzen- und Thierwelt sind. Treten sie 
jedoch zur Unrechten Zeit, am Unrechten 
Orte und in zu grosser Quantität in die Er¬ 
scheinung, so können sie von grossem Nach¬ 
theil für die organischen Geschöpfe werden 
und selbst die Gesundheit und das Leben von 
Pflanze, Thier und Mensch beeinträchtigen, 
untergraben und zerstören. Wie die Wärme 
das belebende, so ist die Feuchtigkeit (Nässe) 
das ernährende Princip aller organischen 
Wesen. Der Wasserdampf gehört zu den 
wichtigsten bewegenden Kräften, die uns zu 
Gebote stehen. Aber auch als medicinisches 
Thierheilmittel werden die Dämpfe nicht 
selten bei katarrhalischen Respirations- und 
Drüsenleiden in Anwendung gebracht. 

Literatur: Ziinmormann’ii „Physische Geo¬ 
graphie“, Humboldt's „Kosmos“, Schmieder, „Natur¬ 
lehre“. Ableitner. 

Dunstbäder, s. Inhalationen. 

Dun8tkälber. Ist in Folge fehlerhafter 
Lagen oder Haltungen, oder in Folge von 
Unwegsamkeit der Geburtswege die Ausstos- 
sung der reifen oder fast reifen Frucht unmög¬ 
lich geworden, stirbt dieselbe ab, war oder ist 
der Gebärmutterhals geöffnet, traten oder 
treten Fäulnisserreger mit der Frucht in Be¬ 
rührung, so geht dieselbe in Fäulniss über. 
Es sammeln sich in der Folge Fäulnissgase 
in den Eingeweiden und unter der Haut an. 
Derartig faulende, durch Gase aufgedunsene 
Kälber werden als Dunstkälber bezeichnet. 
Sie bilden meist ein sehr ernstes, hin und 
wieder selbst ein unüberwindliches Geburts- 
hinderniss und veranlassen beim Mutterthier 
sehr häufig eine septische Infection und Ent¬ 
zündung des Uterus, welche Folgezustände 
sehr gerne den Tod des Mutterthieres her¬ 
beiführen. Um die Extraction solcher Dunst¬ 
kälber zu erleichtern, werden die meist 
trockenen und gerötheten Geburtswege behufs 
deren Schlüpfrigmachung reichlich mit Oelen, 
Schweinefett oder Butter bestrichen und 
selbst Einspritzungen von Leinsamendecocten 
in den Uterus gemacht Ist die Aufdun- 
sung eine starke, so macht man Scarifi- 
cationen, die Exenteration prakticirt selbst 
das Aus-der-Haut-ziehen der Gliedmassen 
(s. diese Operationen). Oeftcrs reissen beim 
Anziehen des Fötus Theile desselben los, und 
muss man mitunter Stück für Stück von 
demselben ausziehen. Nach Entfernung des 
Jungen muss der Uterus zuerst gut mit lau¬ 
warmem und nachher mit carbolisirtem Wasser 
ausgespült werden. Die Ausspülungen letzterer 
Art sind fleissig zu wiederholen, namentlich 
dann, wenn das Mutterthier schon sichtbar 
erkrankt ist. Der Geburtshelfer muss bei 
solchen Geburtsfallen, um sich vor putriden 
Infectionen bestmöglich zu schützen, Hände 
und Arme gut desinficiren. Strebei. 

Duodeniti8 ist die Entzündung des Zwölf¬ 
fingerdarms (von duodenum, Zwölffingerdarm, 
itis = Entzündung); wir treffen sie in der 


Regel gleichzeitig mit einer Entzündung des 
übrigen Dünndarms oder doch grösserer Ab¬ 
theilungen desselben an, so namentlich auch 
bei Infectionskrankheiten, in denen das Duo¬ 
denum häufig am meisten lädirt erscheint. 
Auch Parasiten, unter ihnen vornehmlich 
Bremsenlarven und Bandwürmer, hausen gern 
im Duodenum und können es in Entzündung 
versetzen, ebenso Gifte. Symptome und Be¬ 
handlung s. bei Darmentzündung. Anacker . 

Duodenum (abgel. v. duodecim, zwölf), 
Zwölffingerdarm, als der beim Menschen an 
Länge 12 Querfingern gleichkommende erste 
Dünndarmabschnitt. Sussdorf '. 

Dupont veröffentlichte zahlreiche Artikel 
und Beobachtungen aus der Praxis in den 
Brüsseler Annalen. Semmer. 

Dupuy A. C. (1775—1829) studirte Ve- 
terinärmedicin in Alfort, wurde später Pro¬ 
fessor daselbst und nachher Director der 
Veterinärschule zu Toulouse, aus welcher 
Stellung er 1832 ausgetreten ist. Dupuy 
veröffentlichte zahlreiche Schriften, unter 
anderen: Sur les abefcs ou tumeurs purulentes 
en göneral 1805; De l’affection tuberculeuse, 
vulgairement appelöe morve 1817; Traitd 
historique et pratique sur les maladies öpi- 
zootiques des betes ä corne et ä laine etc., 
und gab gemeinschaftlich mit Vatel von 1826 
bis 1831 das Journal pratique de medecine 
vötörinaire heraus. Semmer. 

Dupuy’scher Brack. Grosser Hühnerhund 
von weisser und kastanienbrauner, auch weisser 
und schwarzer Farbe. Wurde im Jahre 1815 
von M. Dupuy im Poitou gezogen, nach welchem 
Züchter er auch benannt wurde. Dieser Brack 
hat eine lange Schnauze, kleine, hoch am 
Kopfe angesetzte Ohren, hängende und schlaffe 
Lippen, kleine Augen, lange und schmale 
Stirne, breites Brustblatt und kräftige Füsse. 
Er sucht im Schritt mit erhobenem Kopf und 
wittert das Wild auf grosse Distanzen, das 
er dann — wie der Jäger in jener Gegend 
sich ausdrückt — „wie ein Pfahl stellt“. Bei 
einigen Abkömmlingen sind die Formen 
schlank, die Schnauze noch länger geworden, 
was zu der Behauptung Anlass gab, dass 
Dupuy diese Rasse durch die Kreuzung einer 
Jagdhündin vom Haut-Poitou mit einem 
Windhund zu Stande gebracht habe. Jedoch 
ist der Bildungsvorgang dieser sehr be¬ 
liebten v und verbreiteten Rasse nicht näher 
bekannt. Neumann. 

Dura mater, meninx fibrosa, Pachymeninx, 
harte Hirnhaut. Die Etymologie der verschie¬ 
denen Synonyma für die äusserste der Hüllen 
des cerebrospinalen Nervensystems erklärt 
den Namen mater nach Spigelius aus der 
mütterlichen Fürsorge, mit welcher die Hirn¬ 
häute überhaupt schützend für das Gehirn 
eintreten; das in den anderen Namen ge¬ 
brauchte meninx ist das griech. ^ jiYjv:y 5 , 
die Haut, besonders Gehirnhaut. Die betref¬ 
fenden Beiworte dienen zur Unterscheidung 
von den übrigen Häuten; Pachymeninx ent¬ 
hält das adj. * 076 s, dick. Die nähere Be¬ 
sprechung s.Nervencentralorgane, Sussdorf. 



DURCHBRECHEN. — DURCHGEHEN DER PFERDE. 


427 


Durchbrechen. Wenn Hochwild durch die 
Reihen der Treiber dringt, so nennt dies der 
Jäger durchbrechen. Koch. 

Durchfall, Diarrhö a (von ota£petv,durch- 
fliessen), heisst jede öfter als gewöhnlich 
wiederkehrende Darmentleerung von bald 
mehr wässeriger, bald mehr schleimiger Be¬ 
schaffenheit, welche auf einem Flächenkatarrh 
des Darmcanals beruht. Bei dem wässerigen 
Durchfall tiberwiegt die seröse Transsudation 
aus den Capillaren des Schleimhautgewebes, 
bei dem schleimigen Durchfall sind haupt¬ 
sächlich die Schleimfollikel betheiligt. Immer 
ist zugleich das Resorptionsvermögen des 
Darmtractus herabgedrückt und die Peristaltik 
eiqe vermehrte, so dass das Transsudat nicht 
genügend aufgesogen und schneller ausge¬ 
schieden wird. (S. auch Darmkatarrh.) Anr. 

Durchgehen der Pferde. Die Untugend 
des Durchgehens der Pferde im Reiten und 
Fahren ist häufig nur durch falsche Behand¬ 
lung vom Reiter oder Fahrer herbeigeführt 
worden. Wie nun durch falsche Erziehung, 
unrichtige Dressur und verfehlte Angewöhnung 
zur Arbeit der Hang zum Durchgehen allmälig 
entstanden ist, so muss diese schlechte Ge¬ 
wohnheit den Thieren wieder nach und nach 
abgewöhnt werden, und mit Geduld, sanfter 
Behandlung und namentlich richtiger Erkennt¬ 
nis der Temperamente und Naturellsanlage 
des Pferdes wird jeder derartige Versuch von 
gutem Erfolg begleitet sein. Grösstentheils 
sind solche Pferde mit einem sanguinischen 
oder cholerischen Temperamente behaftet, 
wobei sie aus Furcht, Erschrecken oder roher 
Behandlung, selten aus Bosheit durchgehen. 
Ist das jedoch der Fall, so nimmt der Durch¬ 
gänger, sobald die Ursache des Durchgehens 
bei ihm eintritt, das Gebiss fest zwischen die 
Zähne, wirft die Nase in die Höhe, macht 
den Hals und die Ganaschen steif, wodurch 
die Einwirkung der Zügel aus der Hand des 
Fahrenden vollständig wirkungslos wird. Reit¬ 
pferde biegen den Kopf ab, fassen das auf 
den Laden liegende Stangengebiss mit den 
ersten Backenzähnen, drücken es nieder und 
machen so die Zügelführung wirkungslos. 

Es ist nun allerdings eine schwierige 
Aufgabe, solche durchgehende Pferde zu re- 
dressiren und sie von dieser Untugend, die 
sie einmal angenommen haben, zu heilen. 
Mit vielem Fleiss kann durch fortgesetzte 
ruhige Behandlung mittelst wiederholten täg¬ 
lichen Longirens im Schritt und Trabe eine 
8—14 Tage lang währende Besserung oder 
selbst Heilung erzielt werden, wenn die Thiere 
nebenbei an das Knallen der Peitsche und 
an jeden nur ausführbaren Lärm durch die 
beruhigende Stimme des Menschen gewöhnt 
werden; selbst ein leichter Schlag mit der 
Peitsche über den Rücken darf das Pferd 
nicht aus dem Tempo bringen. Mit einem 
Wort, das Pferd muss vollständiges Vertrauen 
zu dem es leitenden Menschen bekommen. 

Da aber den Menschen häufig die Geduld 
fehlt, solche Redressirproben auszuführen, und 
das' Durchgehen der Pferde doch nicht selten 


verkommt, so hat man auf alle möglichen 
Mittel und Behelfe sich verlegt, um das Durch¬ 
gehen während der Action zu verhindern und 
die Pferde zum Stillstehen zu zwingen. Zu 
diesem Zwecke hat man durch mechanische 
Vorrichtungen bald die Augen geblendet, 
bald die Nasenlöcher zusammengedrückt, dann 
wieder Vorrichtungen an den Wagendeichseln 
angebracht, um die Köpfe zu fixiren, ferner 
an der Bespannung Abänderung getroffen, um 
die Pferde sofort loslösen und freilassen zu 
können u. s. w. 

Einige neuere Erfindungen, welche das 
Durchgehen der Pferde verhindern sollen, 
mögen hier erwähnt werden. 

Nach dem „Vereinsblatt für Ostfriesland“ 
wurde nachstehend beschriebene einfache Auf- 
haltevorrichtung mit Erfolg angewendet. Man 
lässt um die Wagendeichsel, ungefähr zwei 
Fuss von der Spitze entfernt, vom Schmied 
einen eisernen Ring legen, welcher obenauf 
eine starke Oese hat, in der ein zweiter Ring 
sich quer mit der Deichsel spielend bewegt. 
Die mit Lederzunge und Schnalle versehenen 
beiden Enden einer starken hänfenen Noth- 
leine werden nun, je eine, in den inneren 
Ring der Trense der beiden Pferde einge¬ 
schnallt, die Leine wird doppelt durch den 
Ring an der Deichsel gezogen und vom Fahrer 
neben sich am Kutschbock lose, aber mög¬ 
lichst gleichmässig befestigt. Sobald die Pferde 
unruhig werden und Anstalt zum Durchgehen 
machen, wird die Nothleine so kräftig wie 
möglich mit einem Ruck angezogen, wodurch 
die Köpfe der Pferde heftig zusammengedrückt 
und nach rückwärts verhalten werden. Die ver¬ 
mittelst des Durchziehens durch den Deichsel¬ 
ring ausserordentlich gesteigerte Kraft und 
Wirkung der Nothleine und die dadurch 
herbeigeführte unbequeme Kopfstellung der 
beiden Pferde bewirkt ein augenblickliches 
Stillstehen, und nun lässt man die Peitsche 
tüchtig strafen. Einigemale wiederholt, bessert 
dieses Verfahren die unartigsten Thiere. 

J. S. Ledere in Paris hat eine neue Vor¬ 
richtung gegen das Durchgehen der Pferde 
erfunden, und sagt derselbe: Es ist bekannt, 
dass, wenn ein Pferd durchgehen will und 
ihm auf seinem Wege Jemand entgegenkommt, 
der kaltes Blut und Energie genug besitzt, 
um ihm in die Nasenlöcher zu greifen und 
diese stark zusammenzudrücken, das Thier 
fast augenblicklich steht. Hierauf fussend, hat 
Ledere seine Vorrichtung hergestellt. Die¬ 
selbe besteht aus einem runden, l’20m 
langen Riemen, an dessen einem Ende ein 
Ring und an dem anderen Ende eine Schnalle 
befestigt ist. Man steckt das Ende, wo sich 
die Schnalle befindet, in den Ring und macht 
eine Art Schlinge, welche um das Maul des 
Pferdes unmittelbar unter dem Gebiss herum¬ 
führt, indem man dafür sorgt, dass sich der 
Ring unter der Ganasche befindet. Die 
Schleife wird an dem bezeichneten Platze 
durch einen zweiten dünnen Riemen gehalten, 
welcher neben dem Zaumzeug über den Kopf 
läuft. In der Schnalle, in welche die Schleife 
endet, befindet sich ein Paar Zügel, welche 



428 


DURCHSCHWITZEN. 


der Fahrer in der Hand hat. Sobald das Pferd 
nun nicht mehr, der Führung durch das Ge¬ 
biss folgen will, wird, indem man die Hilfs¬ 
zügel anzieht, die Schleife genügend zusam¬ 
mengezogen, um die Wildheit des Pferdes zu 
bändigen; durch das Schnaufen und die Be¬ 
wegungen des Maules wird später die Schleife 
wieder geöflhet, und .das Pferd erlangt seine 
freie Bewegung wieder! — Sattler Hablützel in 
Zürich hat. nach dem Schweizer Archiv für 
Thierheilkunde 1883 eine Art Sicherheits¬ 
bremse gegen das Durchgehen der Pferde 
erfunden, welche zur Grundlage einen Nasen¬ 
riemen hat, der an allen Zäumen, wo ein 
Nasenriemen vorkommt, eingeschaltet werden 
kann und der die Stelle des letzteren ver¬ 
tritt. An diesem Nasenriemen sind zwei 
löffelförmige steife Leder angebracht, welche 
seitlich dem Nasenrücken zu liegen kommen. 
Der breitere Theil ist nach abwärts gerichtet 
und trägt auf seiner unteren Seite je einen 
halbeigrossen Polster, welcher unmittelbar 
oberhalb des Naseneinganges auf das falsche 
Nasenloch (zwischen Nasen- und Kleinkiefer¬ 
bein) zu liegen kommt. Diese beiden Polster 
werden durch einen quer über die Nase 
gehenden Riemen, welcher auf den löffel- 
förmigen Lederstreifen durch Schnaufen in 
seiner Lage erhalten ist, im Nothfall gegen 
die Nasenhöhlen angedrückt, wobei ganz be¬ 
sonders der innere Nasenflügel mit nach ab¬ 
wärts gezerrt wird. Dieser Riemen endigt 
nämlich etwa in der Höhe der Lippen in 
zwei Ringen oder Krampen. Durch diese 
Ringe lauft ein weiterer runder Riemen 
unter dem Hinterkiefer durch, und seine 
Enden eiuigen sich, um in einen Zügel 
auszulaufen. Der Zügel passirt erst einen 
Ring in der Martingal oder — beim einge¬ 
spannten Pferd — den Schlussring des Kum¬ 
mets, um in der Mittellinie zu bleiben, und 
erst von da aus gelangt er in die Hand des 
Lenkers. Wird nun dieser Zügel angezogen, 
so werden nicht nur die Klappen über den 
Nüstern angedrückt, sondern es erfolgt auch 
ein Gegendruck vom Kinnwinkel her durch 
den zweiten Riemen: die Wirkung lässt sich 
a priori ersehen. Den Pferden wird der Nasen¬ 
eingang theilweise verstopft, die Athmung 
wird verhindert, sie werden gezwungen, zu 
pariren. Einige wenige Versuche bestätigten 
das Gesagte; die Pferde standen sofort beim 
Anziehen oder setzten sich wohl auch auf die 
Hinterbacken. Ableitner. 

Durchschwitzen, Transsudatio s. dia- 
pedesis (von trans, hinüber, hindurch; sudare, 
schwitzen; SiaTojSäv, durchspringen, durch- 
sickern), beruht auf dem Austritte abnormer 
Mengen flüssiger Blutbestandtheile aus den 
unverletzten Blut- und Lymphgefässen unter 
erhöhtem Blutdrucke. Je mehr Blutserum die 
durchgeschwitzte Flüssigkeit, das sog. Trans¬ 
sudat, enthält, desto heller, dünner und wäs¬ 
seriger ist es; je mehr feste Blutbestandtheile, 
namentlich Blutkörperchen und Fibrin, in das 
Transsudat übertreten, desto dichter, trüber, 
molkiger und gefärbter wird es. Acute Trans¬ 
sudate sind immer trüb und mit Fibrinflocken 


vermischt, auch meistens röthlich, weil rothe 
Blutkörperchen durch die erschlafften Gefass-- 
häute mit hindurchtreten. 

Eine reichlichere Beimischung von farb¬ 
losen Blutkörperchen und Lymphzellen macht 
das Transsudat molkig und eiterärtig, zu seiner 
Trübung tragen auch abgestossene Epithelien, 
homogene Körnchenkugeln, Fettropfen, die 
.Kerne zerfallener Epithel- und Blutzellen und 
Pigmente (Cholesterinkrystalle) in Form von 
Streifen oder körnigen Humpen bei. Mit der 
Zeit wird der Farbstoff der zerfallenen Blut¬ 
körperchen aufgesaugt und damit das Trans¬ 
sudat farbloser, ebenso gelangen die fettig 
zerfallenen zelligen Elemente und Fibrinflocken 
zur Resorption, wodurch ein Klarwerden des 
Transsudates zu Stande kommt; es kann nach 
einer Dauer von 25—30 Tagen ganz hell 
sein. Jedoch entscheidet die Farbe nicht über 
das Alter des Transsudates, denn erneute, 
periodisch eintretende entzündliche Nachschübe 
färben es blutigroth, bei längerer Andauer 
laugt die Flüssigkeit das umspülte bluthaltige 
Gewebe aus und erhält durch Beimischung 
des gelösten Hämatoidins eine röthliche oder 
gelbliche Farbe. Ist fibrinogene Substanz in 
ihm enthalten, so gerinnt es an der Luft zu 
einer lockeren, gallertartigen Substanz, tritt 
Blut in Substanz in dasselbe über, wie dies 
bei Zerreissungen der überfüllten. Capillaren 
der Fall ist, so nimmt es eine blutige Be¬ 
schaffenheit an und wird, im Gegensätze zu 
dem hellen, dünnen, serösen Transsudat, 
hämorrhagisches genannt, während man das 
trübe, molkige wohl auch als purulentes Trans¬ 
sudat unterscheidet. Ansammlung der trans- 
sudirten Flüssigkeit in das subcutane Binde¬ 
gewebe begrenzter Körperstellen sind unsjds 
Oedeme, eine solche im Bindegewebe der 
Haut und zwischen den Muskelfasern des 
ganzen Körpers als Bindegewebswasser¬ 
sucht oder Anasarka, eine solche in ge¬ 
schlossenen Körperhöhlen als Wassersucht 
oderHydropsie bekannt. Bei allen katarrha¬ 
lischen Leiden treffen wir zu Anfang' ein 
seröses Transsudat an, das erst später den 
schleimigen Charakter annimmt^ wenn es sich 
mit dem in abnormer Menge abgesonderten 
Product der Schleimdrüsen vermischt. 

Ein dünnes, wässeriges Blut, Ernährungs¬ 
störungen, kachektische Leiden, Inanition, 
Blut- und Säfteverluste, typhöse, mit Blutzer¬ 
setzung einhergehende Zustände, Hindernisse 
in der Blut- und Säftecirculation, Blutstauungen 
im venösen System und in der rechten Herz¬ 
kammer, geschwächte Herzthätigkeit, Herz- und 
Herzklappenfehler (Dilatation, Atrophie, Ste¬ 
nosen etc.) begünstigen das Zustandekommen 
der Transsudation. In den meisten Fällen ist 
sie eine Theilerscheinung acuter oder chro¬ 
nischer Entzündungsvorgänge an Schleim¬ 
oder serösen Häuten. 

Die Folgen, welche das gesetzte Trans¬ 
sudat nach sich zieht, sind bald mehr, bald 
weniger erheblich, es hängt dies theils von 
der Wichtigkeit des betroffenen Organes, 
theils von' der Menge des Transsudates und 
der Andauer der Transsudation ab. Seröses 



DURCHTRETEN. — DUTTENHOFER. 


429 


Transsudat in * den Stimmbändern des Kehl¬ 
kopfes (<^as Glottisödera), in den Nervencentren 
(Himapoplexie) und in den Lungen (Lungen¬ 
ödem) fuhrt meistens schnell den Tod herbei. 
Ausserdem wirkt das Transsudat durch Druck, 
Verdrängung aus der natürlichen Lage, Er¬ 
weichung und Durchfeuchtung der Gewebe 
mit nachfolgender paralytischer Schwäche 
nachtheilig auf die umspülten Organe ein, 
während es gleichzeitig dem Körper Ernährungs- 
material (Salze und Eiweisstoffe) entzieht. 

Die Behandlung der Transsudate ist bei 
den einzelnen Krankheiten angegeben. (S. auch 
unter Ausschwitzung.) Anacker. 

Dumhtreten ist die Bezeichnung für die 
nach rück- und abwärts gerichtete' Neigung 
des Fesselbeines während der Streckaction 
für den Augenblick der Bewegung oder auch 
im Stande der Ruhe, in welchem die Maximal¬ 
belastung der vom Ellbogengelenke bis zum 
Fesselgelenke oder an dem Hinterfusse vom 
Sprunggelenkshöcker an der hinteren Seite 
bis zum Fesselgelenke senkrecht gestellten 
Extremität stattfindet. Das Durchtreten im 
Fessel kann schwächer oder stärker erfolgen, 
und hat auf den Grad des Durchtretens neben 
der Grösse der Belastung und der Schnellig¬ 
keit der Bewegung insbesondere die Länge 
des Fesselbeines und die Festigkeit des Ge¬ 
lenkes an sich, sowie weiters auch der Gleich¬ 
beinbänder und Sehnenapparat (Strecker und 
Beuger) einen sehr bedeutenden Einfluss. Das 
Durchtreten kann bei ruhigem Stehen und 
bei den verschiedenen Bewegungsarten in an¬ 
gemessener Weise, d. h. weder zu stark noch 
zu wenig erfolgen, und bezeichnet man das 
Durchtreten,bezw. die Fesselstellung insbeson¬ 
dere dann als normal, wenn während des ruhigen 
Stehens des Pferdes die Richtung der Fessel¬ 
neigung der Verlaufsrichtung der Zehenwand¬ 
mitte des betreffenden gutgeformten Hufes 
entspricht. Ist jedoch die Neigung des Fessel¬ 
beins gegen den Boden zu stark, so treten 
die Thiere zu weich, sie sind bärenfüssig, 
bärentatzig (s. d.), oder aber das Durchtreten 
erfolgt im Fessel zu wenig, dann sind die 
Thiere im Fessel zu steil gestellt oder gar 
stelzfüssig (s. d.). Das Durchtreten im Fessel, 
bezw. die Fesselstellung hat im Vereine mit 
der Stellung des Kronenbeines den massge- 
bendsten Einfluss auf die Formen der Hufe. Lr. 

Durham-Bretagner Rind. Es sind nun¬ 
mehr 30 Jahre, dass Rieffel die Kreuzung der 
bretonischen Kuh mit dem Durhamstier ins 
Werk gesetzt hat, und heutigentags wird sein 
Beispiel an vielen Orten der betreffenden Ge¬ 
genden befolgt. Die Durhara-Bretoner Misch¬ 
linge haben ihre schätzbaren, milchergiebigen 
Eigenschaften bewahrt und liefern ein wohl¬ 
schmeckendes Fleisch in reichlichem Masse. 
Man hat auch die'Kreuzung der bretonischen 
Rasse mit jener von Ayr allein oder in Ver¬ 
bindung mit Durliams versucht, jedoch bald 
hievon Abstand genommen und sich auf die 
Durhamkreuzung beschränkt. Neumann. 

Durham-Pferd. In der etwa 47% Quadrat¬ 
meilen grossen englischen Grafschaft Durhain 


des alten Königreiches Northumberland, beson¬ 
ders an den Abhängen des Cheviotgeb*irges, 
wurde in früherer Zeit die Pferdezüchtung xiem- 
lich umfangreich und an manchen Orten auch 
recht sorgfältig betrieben. Der dortige mittel- 
grosse Pferdeschlag erfreute sich eines guten 
Namens und stand im Werthe den Pferden von 
Yorkshire nur wenig nach; er lieferte besonders 
gute, sichere Traber, die sowohl vor dem 
Kutschwagen wie unter dem schweren Reiter 
tüchtige Dienste leisten konnten. Das dunkel¬ 
braune Haar war bei dem Durham-Pferde 
vorherrschend,, und andere Färbungen waren 
wenig beliebt. Ihre Höhe schwankte zwischen 
1*60 und l-75m„ und nur in den ärmeren 
Dorfschaften des Nordens, an den Abhängen 
des Cheviotgebirges waren die Pferde- kleiner, 
kaum l*50m hoch; diese letzteren wurden 
als Ponies bezeichnet. Bei diesem kleineren 
Schlage kam es weniger auf Styl und Eleganz 
in Form, Haltung und Bewegung, als auf 
Ausdauer im Dienste und Genügsamkeit im 
Stalle an; derselbe eignete sich als Reitpferd 
für den weniger bemittelten Farmer ganz gut. 
In der neueren Zeit hat das Durham-Pferd von 
seinem alten guten Rufe etwas verloren. Durch 
mehrfache, zum Theil sehr unzweckmässige 
Kreuzungen mit Vollblut sind viele hochbeinige 
Geschöpfe zum Vorschein gekommen, die als 
Hack oder Hackney durchaus nicht beliebt 
sind. Freytag. 

Durham-Rind, s. Sborthorn-Rind. 

Durra, s. Hirse. 

Durst, ein Gemeingefühl, das sich meist 
durch die Empfindung von Trockenheit und 
Brennen im Rachen und Schlunde ausspricht 
und durch localen oder allgemeinen Wasser¬ 
mangel erzeugt wird. Ersterer tritt besonders 
bei Eintrocknung der Gaumen- und Rachen¬ 
schleimhaut in Folge von Einwirkung trockener 
Luft, letzterer bei reichlicher Wasserab¬ 
fuhr ohne entsprechenden Ersatz (expessive 
Schweissen, Harnausscheidung, Durchfällen) 
auf. Es resultirt daraus eine Eindickung der 
Säfte und Störungen in der Circulation des 
Blutes. Locale Anfeuchtung, Getränkaufnahme, 
und weil im Wassermangel des Blutes der 
Durst seine erste Ursache hat, so beseitigt 
ihn auch eine intravenöse Wasserinjection. Die 
Empfindungsnerven von Rachen und Gaumen 
(Trigeminus, Glossopharyngeus und Vagus) 
sollen das Durstgefühl vermitteln. Sussdorf. 

Dut8 gab zu Lüttich und Mastricht heraus 
zwei Schriften über Pferdekrankheiten und 
über Vorsichtsmassregeln und Betrügereien 
im Pferdehandel 1773. Semmer. 

Duttenhofer Dr. F. M. studirte auch 
Thierheilkunde in Berlin und war von 1835 
bis 1839 Professor an der Thierarzneisohule 
in Stuttgart. Duttenhofer schrieb 1846 in 
seiner ökonomischen Naturproductkunde über 
Erziehung und Pflege der Hausthiere, 1847 
eine Anleitung zur Erkenntniss und Heilung 
der Krankheiten der Hausthiere. Mit Bau¬ 
meister gemeinschaftlich gab er heraus: Ge¬ 
meinfassliches Handbuch der gesammten 
Thierheilkunde mit 278 Holzschnitten, Stutt¬ 
gart 1844. Semmer. 



430 DUVERNEY’SCHE DRÜSEN. — DYSENTERIA. 


Duverney’sohe Drusen, s. BartholinPsche 
Drüsen. 

Duwock oder Scheuerkraut (Equisetum 
palustre, auch Sumpfschachtelhalm genannt). 
Ein in schlechten (sauren) Wiesenheusorten 
und auf nassen Weiden oft in ziemlich beträcht¬ 
licher Menge vorkommendes Unkraut, das 
namentlich dem Rindvieh sehr schädlich ist. 
Es verursacht Lähmungen, Zehrfieber, Blut¬ 
harnen, Abnahme der Milchproduction. Pferde 
verfallen nach anhaltendem Genuss grösserer 
Mengen sogar dem Tode. Als wahrscheinliche 
Ursachen der schädlichen Wirkungen sind der 
hohe Kieselerdegehalt sowie das meist starke 
Befallensein dieser Pflanzen mit schädlichen 
Pilzen anzusehen. Der Ackerschachtel¬ 
halm (E. arvense) gilt als unschädlich. Pott. 

Duxer Vieh. Ein zur kurzköpfigen Alpen¬ 
rasse gehöriger Viehschlag, der im Tiroler 
Duxer (oder Tuxer) Thale sowie in den öst¬ 
lichen Seitenthälern des Unterinnthales ein¬ 
heimisch ist. Der mit mittellangen, rundlichen 
und seitlich gestellten Hörnern besetzte Kopf 
des Duxer Rindes ist sehr kurz und breit, 
der Hals kurz und dick, und der stämmige 
Rumpf wird von kurzen, verhältnissmässig 
feinknochigen Füssen getragen. Der gedrun¬ 
gen gebaute und muskelkräftige Körper, an 
dem besonders das Hintertheil sehr schön 
entwickelt und die Hosenmuskeln stark vor¬ 
gewölbt sind, lässt ein kräftiges Zug- und 
gutes Fleischthier erkennen. In der That 
gehört das Duxer Vieh zu den besten Mast¬ 
rassen Oesterreichs, dagegen ist die Milch¬ 
ergiebigkeit der Kühe nur eine mittelmässige 
(kaum 15001 jährlich). DieHaarfarbe des Duxer 
Viehes ist schwarzbraun mit hellbraunen 
Rückenstreifen und gleichfarbigem Stirnschopf; 
die Schwanzwurzel ist meistens weiss, übrigens 
sind weisse Abzeichen selten. Die Hörner 
sind gelblich am Grunde, schwarz an den 
Spitzen, das Flotzmaul, die Zungenoberfläche, 
die Wurfschleimhaut und die Klauen sind 
schiefergrau gefärbt. Das Duxer Vieh ist die 
Stammform zahlreicher Schläge gewesen, zu 
denen die Zillerthaler, die Pusterthaler, die 
Pinzgauer, die Egerländer und Kuhländer 
gehören, doch ist die Zucht der Duxer in 
Tirol gegenwärtig im Rückgänge. Die schön¬ 
sten und grössten Formen von Duxer Vieh 
werden im Wattensthale gezüchtet. Wilckens. 

Dys, Boa—, eine unabtrennbare Vorsilbe, 
die nach Art des un- oder miss- das Schlimme, 
Schlechte, Ueble, Krankhafte etc. einer Sache 
bezeichnet, opp. s’j—, so auch in zahlreichen 
medicinisch gebrauchten Termini, z. B.: 

Dysaimia, Blutverderbniss; 

Dysarthrosis, fehlerhafte Gelenk¬ 
bildung; 

Dyschezia, Beschwerde in der De- 
facation; 

Dyscholia, fehlerhafte Gallenbereitung; 

Dyschylia, krankhafte Speisebreibe¬ 
reitung; 

Dyskrasia, die krankhafte Mischung 
der Säfte; 

Dysmorphe, 1. Missgestalt, Deformität; 
2. das ungleichartige Gebilde, Heteroplasma: 


3. angeborene Fehler in der Körperbildung 
(Hemmungsbildung); 

Dyspepsia, Verdauungsschwäche, Ver¬ 
dauungsstörung; 

Dysphagia, Schlingbeschwerde: 

D y s t h e r a p eu s i s x die erschwerte Heilung 
einer Krankheit; 

Dyßtresia, Mangelhaftigkeit, Unvoll¬ 
kommenheit der Afteröffhung; 

Dystrophia, mangelhafte Ernährung; 

Dysuria, erschwerter Harnabgang,Harn¬ 
zwang. Sussdorf. 

Dysenteria, die Ruhr (von .Bus, übel, 
svtepov,Darm). Während es sichin der Diarrhöe 
nur um ein entzündliches, oberflächliches Lei¬ 
den der Darmschleimhaut handelt, sind in der 
Dysenterie die Darmhäute in höherem Grade 
afficirt und degenerirt, so dass also der Darm 
im wahren Sinne des Wortes eine üble Be¬ 
schaffenheit angenommen hat und das Darm¬ 
leiden eine viel erheblichere und tiefer grei¬ 
fende Rückwirkung auf den Gesammtorganis- 
mus äussert als bei der einfachen Diarrhöe. 
Die vermehrte Peristaltik macht eine völlige' 
Ausnützung der Nährstoffe unmöglich, ein 
grosser Theil derselben geht der Ernährung 
verloren und geht unverdaut mit den nicht 
resorbirten Salzen in den Fäces ab. Diesen 
Vorgang hat man noch speciell „Lienteria“ 
(von /.aivos, glatt) genannt und diese Be¬ 
zeichnung für die Ruhr neugeborner Thiere 
(Lienteria s.Dysenteria neonatorum)gebraucht.- 
Man unterscheidet auch eine weisse und rothe 
Dysenterie oder Ruhr, je nachdem die Fäces 
eine weisse oder rothe Farbe zeigen. Die 
weisse Farbe schreibt man einem Gallen¬ 
mangel zu, der dadurch zu Stande kommt, 
dass die Galle in den katarrhalisch ge¬ 
schwellten Gallengängen zurückgehalten wird, 
während die rothe Farbe durch Blutungen in 
das Darmrohr verursacht wird. Die Darm¬ 
schleimhaut findet man hier besonders im 
Dickdarm (Colon) stark verdickt, serös-eiterig 
infiltrirt, runzelig aufgewulstet, hyperämisch, 
blutig gefleckt (Hämorrhagien), geschwürartig 
zerstört und verschorft, leicht zerstörbar, 
zerfallen und erweicht, das submucöse Binde¬ 
gewebe blutig und sulzig infiltrirt, die Solitar- 
follikel bläschenartig geschwollen und exul- 
cerirt, von einem Injectionshofe umgeben, 
die Muskulatur verdickt, missfarbig, die Serosa 
injicirt, wohl auch mit dünnen Exsudat¬ 
schichten beschlagen, den Darminhalt blutig, 
chocoladefarbig oder schwärzlich, jauchig, 
stinkend und mit Epithelien und Schleim¬ 
hautfetzenvermischt. Wo es zur Heilung kommt, 
vernarben die dunkelrothen, zottigen Schleim- 
hautdefecte langsam unter Zurücklassung von 
Stricturen und Ablagerung von Pigment in 
das Schleimhautgewebe. Andernfalls kommt 
es zum eiterigen und brandigen Zerfall der 
Schleimhaut und zu einer Peritonitis .mit 
tödtlichem Ausgange. Die Gekrösdrüsen sind 
hiebei regelrecht vergrössert, sehr blutreich 
und von Hämorrhagien durchsetzt. Ausser bei 
neugebornen und jungen Thieren trifft man 
die Dysenterie noch bei den 4n der Gefangen¬ 
schaft lebenden Raubthieren und bei Hühnern 


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DYSKRASJA. - 

als Hühnerpest an. Nicht selten erweisen sich 
die Dejectionen infectiös, die Dysenterie kann 
alsdann eine seuchenartige Ausbreitung er¬ 
langen. Franck glaubt, das Contagium an 
Bacterien, Mikrococcen und an Sarcina ven- 
triculi (Colonienhefe) gebunden (cfr. Mittheil, 
der Münchener Thierarzneischule 1865 und 
Zeitschr. für Thiermedicin, 3. Band), auch 
Zürn (die Schmarotzer) entdeckte Sarcine 
in den ruhrartigen Dejectionen der Ferkel* 
Die Hauptursache scheint hier in einem 
Stallmiasma zu liegen (Roloff). (Siehe auch 
unter Darmkatarrh, Darmentzündung und 
Ruhr.) Anacker. 

Dyskrasia, die fehlerhafte Blutmischung 
(von o'js, schlecht, xpdats, Mischung), spielte 
in früheren Zeiten die Hauptrolle bei der 
Entstehung der Krankheiten, namentlich waren 
es die Humoralpathologen, welche jede Krank¬ 
heit auf eine abnorme Mischung der Säfte 
und des Blutes mit Prävalanz des alkalischen 
Princips zurückführten; sie suchten den pri¬ 
mären Sitz der Krankheit in der Lymphe 
und im Blute, häufig unterstellten sie fremde 
Stoffe und gewisse Schärfen, acrimoniae, im 
Blute, die in den Organen abgelagert wer¬ 
den und dort eine abnorme Reizung hervor- 
rufen sollten. Man theilte die Schärfen ein in 
alkalische, saure und salzige; für bösartige 
Neubildungen unterstellte man specifische 
Dyskrasien, z. B. eine krebsige, tuberculöse, 
rotzige, warzige etc. Neuerdings bekämpfte 
Yirchow die Ansicht der Humoralpathologen, 
er wies nach, dass das Blut erst secundär 
Abänderungen in seiner Zusammensetzung er¬ 
leidet, nachdem ihm von local erkrankten 
Stellen des Körpers aus heterogene Stoffe 
zugeführt worden sind. Aber auch bei den 
malignen Neubildungen geht der Anstoss nicht 
primär vom Blute aus, sondern die Nachbar¬ 
schaft wird durch specifische Gewebselemente 
oder Pilzkeime inficirt, welche auf dem Wege 
der Saftströmung daselbst deponirt werden. 
Thatsächlich ändert sich die Blutcomposition 
im Verlaufe aller Krankheiten, ganz beson¬ 
ders aber wenn sie die Organe heimsuchen, 
welche zur Blutbildung in naher Beziehung 
stehen, wie dies bei den Se- und Excretions- 
organen und den Lymphdrüsen dei Fall ist; 
es bleiben hier Stoffe im Blute zurück oder 
werden von ihm aufgenoramen, die deletär 
auf die Blutbestandtheile zurückwirken und 
eine Dyskrasie bedingen. Wir erinnern in 
dieser Hinsicht an die Ueberladung des Blutes 
mit Kohlensäure im Verlauf von Lungenleiden 
oder anderen Krankheiten, welche zur Dyspnoe 
führen, an Cholaemia oder Uebertritt der 
Gallenpigmente und Gallensäuren ins Blut 
bei Leberleiden, an Diabetes mellitus und 
Glycosurie, wo das Blut ungewöhnlich reich 
an Zucker ist, an Uraemia bei Nieren- und 
Blasenleiden in Folge Anhäufung des Harn¬ 
stoffes im Blute, an Hydrämie, bei der der 
Serumgehalt des Blutes ein ungewöhnlich 
grosser, an Ichorhämie nach dem Uebertritte 
von Jauche ins Blut, an Septikämie nach 
Aufnahme des Micrococcus septicus ins Blut. 
Deutlich ist die Dyskrasie in allen Infections- 


DYSPEPSIA. 431 

krankheiten ausgeprägt; liier tritt unter der 
Form von Spaltpilzen (Baqterien, Bacillen) 
ein Contagium vivum in die Blutmasse ein, 
welches sich in ihm massenhaft vermehrt, die 
Capillaren verstopft und durch seine Aus¬ 
scheidungsstoffe zerstörend und lähmend auf 
die Blutkörperchen einwirkt, so dass das Blut 
zur Zersetzung neigt und die rothen Blut¬ 
körper die Fähigkeit verlieren, Sauerstoff auf¬ 
zunehmen; sie erscheinen ebenso wie die 
weissen Blutkörper granulirt und enthalten 
Kugelbacterien, sind unregelmässig ausge¬ 
zackt und zerfallen, das Blut wird schwarz, 
zähflüssig, theerartig, verliert seine Gerin¬ 
nungsfähigkeit und tritt gern in die Gewebe 
aus. Letztere selbst degeneriren, es stellen 
sich Affectionen des Nervensystems. Fieber, 
Diarrhöe, Milz-, Nieren- und Leberschwellung 
ein. Sind die secundären Veränderungen in 
den Organen und Geweben nicht sehr be¬ 
deutend, so erfolgt nach Ausscheidung der 
Bacterien und Mikrococcen durch Haut, Lun¬ 
gen, Darm und Nieren Genesung, sonst der 
Tod unter schnellem Verfall der Kräfte und 
starker Abmagerung. (S. auch Blutfäule.) Anr. 

Dy8ly8in, C 48 H 36 0 e , ist ein Derivat der 
Cholalsäure, aus welcher sich bei der Fäul- 
niss der Galle oder durch Erhitzen auf 200° C. 
durch Abgabe von 1 Molekül H,0 zunächst 
Choloidinsäure von der Formel: C* 8 H a8 0 8 
bildet. Wird nun die Choloidinsäure mit Salz¬ 
säure gekocht oder auf 295°C. erhitzt, so gibt 
sie ebenfalls 1 Molekül H,0 ab, und es entsteht 
Dyslysin von der oben angegebenen Zusam¬ 
mensetzung. Das Dyslysin entsteht übrigens 
auch direct durch längeres Kochen der Galle. 
Es ist ein in Alkohol und Wasser unlösliches, 
in Aether wenig lösliches, neutrales Harz. Mit 
Zucker und concentrirter Schwefelsäure färbt 
es sich purpurviolett und dann kirschroth 
(s. Gallenreaction). Lotbisch. 

Dyspepsia, Verdauungsschwäche (von 
schlecht; Verdauung; TCercetv, 

kochen). Eine regelrechte Verdauung hat die 
Absonderung eines normalen Magensaftes zur 
Grundlage, dessen wirksame Bestandteile 
hauptsächlich durch das in ihm enthaltene 
Pepsin und Chlorwasserstoffsäure repräsentirt 
werden. Der Magen- oder Labsaft wird von 
den Labdrüsen der Magenschleimhaut unter 
dem Einflüsse der diese Drüsen erregenden 
Magennerven abgesondert, die Nerven aber 
selbst werden durch die genossene Nahrung 
zur Thätigkeit angespornt. Dem Pepsin fällt 
die wichtige Aufgabe zu, die Eiweisstoffe 
der Nahrung in lösliche Verbindungen tiber¬ 
zuführen (Peptone) und sie auf diese Weise 
zur Erhaltung des Körpers zu verwerten. 
Wird nun der Labdrüsensaft in zu geringer 
Menge und von schlechter Qualität abge¬ 
sondert, so haben wir es mit einer Dyspepsie 
zu thun, die verdauende Kraft des Magen¬ 
saftes hat abgenommen, der Appetit verliert 
sich mehr und mehr, die Thiere gehen in 
ihrem Ernährungszustände zurück und werden 
kraftlos. In der Regel geht die Unthätigkeit 
der Labdrüsen mit einem chronischen Leiden 
der Magen- und Darmschleimhaut Hand in 


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432 


DYSPEPTON. — DYSPHAGIA. 


Hand, man bedient sich deshalb statt des Verhärtung oder sonstige Degeneration der' 

Ausdruckes „Dyspepsie 44 in der Regel der Zunge, Entzündung und Vereiterung der Ton- 

Ausdrücke „Magen- und Darmkatarrh 44 oder sillen oder der retropharyngealen Lymph- 

„Gastricismus 44 , unter welcher Bezeichnung drüsen (vergl. Drüsenkrankheit der Rinder), 

auch die Symptome undürsachen der Dyspepsie Entzündung der Rachenhöhle, des Schlund¬ 
näher erörtert und nachzulesen sind. In und Kehlkopfes (s. Bräune), ^Verengerung und 

allen fieberhaften Krankheiten ist die Nerven- Erweiterung des Schlundes nach Druck von 

thätigkeit geschwächt und verstimmt, es wird vergrösserten Lymphdrüsen oder Neoplasmen 

in ihnen deshalb auch zu wenig Labsaft in deiy'Umgebung des Schlundes oder durch 

abgesondert und der Appetit vermindert. Stricturen der Schleimhaut desselben, durch 

Wir treffen die Dyspepsie ausserdem bei im Schlunde steckengcbliebene Fremdkörper, 

Thieren an, welche durch“ Krankheiten oder in ihm vorhandene Neubildungen oder Para- 

ÜbermässigeAnstrengungenheruntergekommen siten (Psorospermien, Spiroptera sanguino- 

sind oder andauernd mit schwer verdaulichen lenta, Cysticercus cellulosae), Hypertrophie 

oder gehaltlosen, faden,.heiss zubereiteten der Muscularis des Schlundes oder krampf- 

und verfütterten, an wässerigen, schleimigen,' hafte Zusammenziehung derselben, die sog. 
spirituösen und scharfen, reizenden Bestand- Dysphagia spasmodica darstellend, wel¬ 
theilen reichen Nahrungsmitteln ernährt eher die Dysphagia paralytica, dieLäh- 

werden, denn sie erschlaffen die secretorische mung der Schlingmuskeln und des Schlundes, 

Thätigkeit der Labdrüsen, so dass sie mit gegenübersteht; bei letzterer ist der Schlund 

der Zeit atrophiren, womit die atonische erweitert, was auch der Fall ist; wenn der 

Dyspepsie (von a, ohne, tovoc, Spannung) Schlund in der Zwerchfellsöffhung comprimirt 

gegeben ist. Da auch im Alter die Thätigkeit wird. Die paralytische Dysphagie ist nach 

der Magennerven sich abstumpft und die Ab- starken Erkältungen, Körpererschfitterungen, 

Sonderung des Labsaftes abnimmt, so hat man Schlaganfällen und Erkrankung der Nerven- 

die daraus resultirende Verdauungsschwäche centren beobachtet worden. Auch locale Aus- 

„mar an tische Dyspepsie 44 (von p.apouvetv, buchtungen der Schleimhaut nach Zerreissung 

welk werden, schwächen) genannt. Der im der Muscularis, sog. Schlunddivertikel, geben 

Magenkatarrh in grossen Mengen abgesonderte zur Dysphagie Veranlassung. Die Schlund- 

Schleim neutralisirt den Magensaft, er ver- erweiterung kann partiell oder äuch generell 

daut alsdann nicht mehr. Der der Magen- vorhanden sein, meist sind bei ihr die Häute 

wand anhaftende Schleim verhindert auch verdünnt, seltener verdickt, 

die Berührung zwischen Wand und Magen- Symptome. Bei der aus entzündlichen 

inhalt, die sonst die secretorische Thätigkeit Zuständen der Zunge und der Rachenhöhle 
der Lab- und Darmdrüsen anregt; es wird hervorgegangenen Dysphagie sind beim Drucke 
mithin zu wenig Pepsin abgesondert. Anr. auf die entzündeten Partien Fieber, Athem- 
Dyipepton. Eine Substanz, welche aus beschwerden und Schmerz zu constatiren und 

dem Verdauungsproduct isolirt wurde, das ihre Erscheinungen sind diejenigen einer 

durch die Einwirkung von Magensaft oder Zungenentzündung oder der Bräune; während 

von Pepsin in salzsaurer Lösung auf die Ei- jedoch bei der Bräune Kopf und Hals ffe- 

weisskörper entsteht. Während man gegen- streckt gehalten werden, sehen wir bei der 

wärtig das Endproduct der Umwandlung der Erweiterung des Schlundes oder bei der 

Eiweisstoffe im Allgemeinen als Pepton Dysphagia paralytica den Kopf an den Hals 

bezeichnet, unterschied man früher verschie- herangedrtickt, die Zunge hervorgestreckt, 

dene Verdauungsgrade des Pepton, die sich die Hinterfüsse öfter unter den Leib gestellt, 

von einander durch chemische Reactionen das Abschlucken geschieht äusserst erschwert 

trennen lassen sollten, nämlich das a-, b- und und unter ungewöhnlichen Anstrengungen und 

c-Pepton, oder, wie sie auch genannt wurden, Kaubewegungen, ohne dass die Körper- 

Para-, Meta- und Dvspepton. Letzteres sollte temperatur gesteigert oder der Appetit alterirt 

mit Salpetersäure keinen, jedoch mit Ferro- wäre. Futter und Getränk werden gern auf 

cyankalium in saurer Lösung einen volumi- genommen, aber letzteres fliesst wieder zum 

nösen Niederschlag geben (s. Pepton). Loeöisch. Maule hervor, ersteres bleibt in der Rachen- 

Dysphagia, Schlingbeschwerden (von höhle liegen und verursacht suffocative Zu- 

übel; <p a T 6 ‘ v , essen), beruhen auf Ab- fälle, wenn der Schlundkopf pavalysirt ist, 

normitäten der beim Abschlucken des Bissens oder das Genossene läuft unter Klucken und 

thätigen Organe und Muskeln; zu ihnen Kollern den Schlund hinab, wenn allein die 

gehören die Zunge mit ihren Muskeln, der Muskulatur des Oesophagus gelähmt ist, der 

Kehldeckel, die Rachenhöhle, das Gaumen- alsdann als ein schlaffer, wulstiger Körper 

segel, der Schlundkopf und der Schlund. Der zu fühlen ist. Die Erscheinungen der Dysphagia 

Schlingact steht unter dem Einflüsse des paralytica treten meistens plötzlich ein, ebenso 

Nervensystems, sein Centrum befindet sich die der Dysphagia spasmodica; hier ist das 

in der Medulla oblongata, von dem aus die Schlingen ganz unmöglich oder doch sehr 

ihm von dem Glossopharyngeus und den erschwert, das Genossene wird sofort wieder, 

Rachenästen des Vagus überbrachte Erregung mit Schleim und Speichel vermischt., aus- 

reflectorisch auf die motorischen Fasern der geworfen, der Schlund fühlt sich contrahirt 

Nerven der Schlingmuskeln übertragen wird. und strangartig an, die Thiere benehmen sich 

Als Abnormitäten, welche das Schlingen er- unruhig und verrathen Schmerz, der Puls 

schweren, sind zu nennen: Entzündung und fühlt sich klein; die Krampfanfälle repetiren 


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DYSPLASTICA. — DYSURIA, ‘ * 433 


in mehr oder,weniger grossen Zeitintervallen. 
Bei Schlundverengerungen häuft sich das 
Futter vor derverengten Stelle an, es kann bei 
geringen Stenosen allmälig den Schlund pas- 
siren, mit der Zeit dehnt es aber die Häute 
des Schlundes mehr und mehr aus und -bleibt 
in der sackförmigen Erweiterung längere Zeit 
liegen, um alsdann durch Maul und Nase 
wieder ausgeworfen zu werden. Die ausge¬ 
worfenen Massen sind nur durch Schleif und 
Speichel erweicht, sie riechen nicht sauer, 
wohl aber öfter faulig. Druck auf die dilatirte 
Schlundportion mit der Hand ruft Aufstossen 
und Auswerfen der zurückgehaitenen Contenta 
hervor, zuweilen auch schaumigen Ausfluss 
aus Maul und Nase, häufig aber Husten; die 
Contenta können sogar in den Kehlkopf, in 
die Luftröhre und in die Bronchien gelangen, 
sie veranlassen dann eine Fremdkörperpneu¬ 
monie, sie können aber auch die Schlund¬ 
häute erweichen und so ausdehnen, dass sie 
zerrissen. Die Folge davon sind Schlund¬ 
fisteln und Jaucheversenkungen am Halse 
oder eine hochgradige Pleuritis. Die Stric- 
turen des Schlundes sind vermittelst der 
Schlundsonde zu eruiren. In der Regel erfolgt 
der Tod in verhältnissraässig kurzer Zeit bei 
Abmagerung und Kräfteverfall, öfter schon 
in drei bis .acht Tagen, er kann unverhofft 
und schnell durch Erstickung eintreten. Nur 
die Dysphagia spasmodica lässt mit Zuversicht 
die Reconvalescenz erhoffen. 

Die Therapie bietet wenig Aussicht 
auf Erfolg. Das Schlingen erleichtere man 
durch Verabreichen einer mehr flüssigen 
Nahrung, durch Kneten und Drücken auf die 
dilatirten Stellen der Halsportion des Schlun¬ 
des und durch schleimig-ölige und narkotische 
Eingüsse. Den Tonus der Schlundmuskulatur 
suche’ man durch kalte Umschläge, flüchtige 
Einreibungen und innerliche Anwendung von 
Arnica, Kampher r Strychnin, Seöalc cornutum, 
Tannin, Katechu etc. zu heben. Gegen den 
Schlundkrampf gehe man mit flüchtigen Ein¬ 
reibungen längs des Schlundes (Kampher- 
spiritus, Chloroform), innerlich mit krampf¬ 
stillenden Mitteln und subcutanen Injectionen 
von Morphium und Atropin vor. Anacker. 

Dysplaötica. Wie es Arzneimittel gibt, 
welche bestehende Schwächezustände zu be¬ 
seitigen, die gesunkene Ernährung zu heben 
im Stande sind, wie z. B. die Nahrungsmittel 
bei längerem Gebrauche oder Eisen, Leber- 
thran u. s. w. (Plastica, Euplastica), gibt es 
auch solche, welche die Ernährung und damit 
auch die Köfperkraft herabsetzen, die Bil¬ 
dungsfälligkeit der Säfte vermindern — Dys- 
plastica. Diese letzteren fallen, wenn sie 
therapeutische Anwendung finden, mit den 
entzündungswidrigen Mitteln in der Haupt¬ 
sache zusammen und sind schon unter An- 
tiphlogistica besprochen worden. (S. auch An- 
tidyskratica.) Vogel. 

Dyspnoe, D y s p n o i a (ij 8 do:tvo:a), Sch wer- 
athmigkeit, Athraungsbeschwerde, ein Zustand, 
bei welchem in Folge von Hindernissen in 
dem Gasaustausch zwischen Blut und atmo¬ 
sphärischer Luft durch abgeäiulerte, einen 
Koch. Encyklopälie il. Tliiorhoilkd. II. Bd. 


häufigeren Luftwechsel in der Lunge be¬ 
zweckende Athembewegungen eine Ausglei¬ 
chung des Gasgehaltes angestrebt wird. Sie 
ist somit ein compensatorischer Vorgang, 
welcher seine Ursache in einer Alteration des 
Gasgehaltes des Blutes (Mangel an 0- oder 
Ueberhäufung mit CO a oder in beidem zu¬ 
sammen) hat. Indirect wird dieselbe durch 
mannigfache Umstände bedingt, insbesondere 
durch Verengerungen der luftzuleitenden Wege, 
Verlegung der den Gasaustausch vermittelnden 
Oberfläche, OirculationssChwäche und Störungen, 
Ungleichmässigkeit in dem O-Verbrauch und 
der 0*^u-, resp. CQ*-Abfuhr. Die Alteration 
des Gasgehaltes ist meist eine allgemeine, 
künstlich kann durch Unterbrechung der Cir- 
eulation (Unterbindung der blutzu- oder ab¬ 
führenden Bahnen etc.) auch eine ' locale 
Dyspnoe erzeugt werden. Die letztere ist, 
wenn sie im Hirn ihren Sitz hat, von grösstem 
Einfluss auf den Athmungsvorgang, sie ist der 
gewöhnliche Reiz * und Unterhalter sowohl 
einer normalen Athmung, wie sie auch bei 
übermässig gesteigerter Venosität des Blutes 
die „dyspnoisehen u abnormen Anstrengungen 
des Respirationsapparates veranlasst. Diese 
Erscheinungen der Dyspnoe bestehen entweder 
in einer Abflachung und Beschleunigung der 
Athmung oder in einer Vertiefung derselben 
unter gleichzeitiger Mitwirkung der sog. 
accessorischen Athmungsmuskeln. JPührt dieser 
regulatorische Act zum Ziel, d. h. zur Be¬ 
seitigung der Venosität des Blutes, dann kehrt 
die Athmung zur Norm zurück; gelingt das 
nicht, und bestehen der O-Mangel, reSp. die 
CO a -Anhäufung im Blute in vermehrtem Grade 
fort, dann erfolgt unter allgemeinen klonischen 
und tetanischen Krämpfen (Erstickungskrämpfe 
durch Reizung der in der Medulla gelegenen 
Krampfcentren), unter central angeregtem Ge- 
fässkrampf und Pupillenerweiterung ein Zu¬ 
stand allgemeiner, durch Ueberreizung der 
Hirncentra veranlasster Paralyse, der zum Tode 
durch Erstickung (Asphyxie, Suffocation) führt. 
Auch die Ursache des ersten Athemzuges nach 
dem Austritt der Frucht aus dem Muttetleibe 
ist auf Dyspnoe zurückzuführen und durch 
die Compression des Nabelstranges und somit 
auch derNabelgefässe bei der Geburt, also durch 
Störungen in dem Placentarkreislauf zu er¬ 
klären. Sussdorf. 

Dysuria, Harnzwang (von 80 ?, schlecht, 
oopov, Harn), wird jede erschwerte und mit 
Schmerzen verbundene Entleerung des Harns 
genannt. Die Ursachen des abnormen Harn- 
absatzes liegen meistentheils in den Nieren 
oder in der Blase, u. zw. in einer Ent¬ 
zündung des Nierenbeckens (s. „Nierenent¬ 
zündung“), in dem Vorhandensein von Nieren- 
und Blasensteinen (s. „Blasensteine“), in einem 
Krampfe des Blasenhalses (s. „Blasenkrampf“), 
welcher die Dysuria spastica bedingt, in 
einer lähmungsartigen Schwäche der Blase. 
Dysuria paralytica (s. Blasenlähmung), in Neu¬ 
bildungen auf der Schleimhaut der Harnblase 
— Markschwamm, Zottenkrebs, Polypen —oder 
in Entzündung der Harnblase. In der Dysurie 
erfolgt der Harnabsatz unter heftigem Drängen 


*28 


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434 DZIERZON. - 

uod Pressen, öfter auch unter Stöhnen und 
und sonstigen Scbmerzäusserungen, wie z. B. 
unruhiges Hin- und Hertrippeln, Niederwerfen 
und Schlagen mit den Füssen. Wird der Harn 
nur in kleinen Mengen oder tropfenweise und 
in kurzen Intervallen entleert, so bezeichnet 
man den Zustand wohl auch als Stranguria 
(von otpay?, hervorgepressten Tropfen). Als 
weitere Ursachen der Strangurie sind noch 
zu nennen: Peritonitis, Druck auf die Harn¬ 
röhre durch Geschwülste oder an gesammelte 
Kothmassen, Verengerungen des Lumens der 
Harnröhre durch Fremdkörper, Neubildungen 
oder Stricturen, Vorhautentzündung (nament¬ 
lich bei Ochsen), Ansammlung von ver¬ 
härtetem Talg in der Eichelgrube des Pferdes 
oder im Präputium anderer Thiere, Ver : 
engerung des Präputium, bei Schweinen Vor¬ 
hautsteine im sog. Nabelbeutel. Anacker. 

Dzierzon Johann, Bienenzüchter, geboren 
am 11. Jänner 1811 zu Lobkowitz in Ober¬ 
schlesien, studierte in Breslau Theologie, 
wurde 1834 Caplan in Schalkowitz und 183a 
Pfarrer zu Karlsmarkt bei Brieg in Ober¬ 
schlesien. Schon in seiner Jugend beobachtete 
und pflegte er die ihm lieb gewordenen Bienen, 
errichtete grössere Bienenstände in und um 
Karlsmarkt und förderte die Bienenzucht in 
wissenschaftlicher und praktischer Beziehung. 
Seine geistliche Behörde nahm aber an seinen 
wissenschaftlichen Forschungen Anstand und 
emeritirte ihn. Bereits vor einem halben Jahr¬ 
hundert erschienen seine ersten Artikel über 
Bienenzucht in den Frauendorfer Blättern, 
wurden aber nicht sehr beachtet, da sie nur 
wenigen Imkern zu Gesichte kamen. Erst mit 
dem Eintritte unter die Zahl der Mitarbeiter 
der „Eichstädter Bienenzeitung“, des Organs 
deutscher Bienenzüchter, 1840, beginnt der 
Zeitpunkt seiner bedeutungsvollen Einwirkung 
auf deutsche und ausserdeutsche Bienen¬ 
züchter. Gleich in dem ersten Aufsatz, mit 
welchem er in der Bienenzeitung auftrat, gab 
er die Grundlage seiner später vollkommen 
entwickelten Theorie und Praxis: Es gibt drei 
Bienengattungen im Stocke: Drohnen (Männ¬ 
chen), die Königin (vollkommenes Weibchen) 


EBULLITIO. 

und Arbeitsbienen (unentwickelte Weibchen). 
Unter besonderen Verhältnissen können Arbeits¬ 
bienen zum Legen von Eiern ohne Befruchtung 
befähigt werden, aus welchen sich aber nur 
Drohnen entwickeln. Die Königin ist in der 
Regel die einzige Eierlegerin in einem Stocke 
und legt die Eier zu allen Bienenindividuen. 
Dazu wird sie durch die Begattung mit der 
Drohne tüchtig gemacht. Ohne Begattung 
kann sie wohl Eier legen, es entstehen aus 
denselben aber nur Drohnen. Damit war die 
Lehre von der Parthenogenesis (der jungfräu¬ 
lichen Zeugung) aufgestellt, die von allen 
Seiten, von Bienenzüchtern und Physiologen, 
angefochten und verspottet wurde, bis sie 
endlich durch kraftvolle Unterstützung von 
Seiten v. BerlepsclTs, Kleine’s, v. Siebold’s 
und Leuckarfs zur vollsten Anerkennung ge¬ 
langte. Ebenso gab Dzierzon in diesem seinem 
ersten Artikel bereits die Andeutung zu seiner 
neuen Bienenwohnung, dem Stocke mit be¬ 
weglichem Bau, der einen so wesentlichen 
Umschwung in der praktischen Bienenzucht 
veranlasste. Ausser in der Bienenzeitung und 
auf den Wanderversammlungen deutscher 
Bienenzüchter suchte er für seine Lehren auch 
in einer Reihe von selbständigen Schriften zu 
wirken, die sämmtlich für die Bienenwirth- 
scliaft von höchster Bedeutung sind. Ein an¬ 
deres wesentliches Verdienst hat sich Dzierzon 
durch die 1853 erfolgte Einführung der 
italienischen Biene in Deutschland erworben. 
Dieselbe trug wesentlich mit zur Entscheidung 
der bitteren Kämpfe bei. Er schreibt: Ich 
w r erde vorzugsweise die Reinerhaltung, Ver¬ 
mehrung und Verbreitung der schönen gelben, 
fleissigen und sanften italienischen Biene, 
dieser jedenfalls edelsten unter allen Bienen¬ 
rassen, mir zum Zweck setzen, um mir das 
Zeugniss geben zu können, eine neue Theorie 
begründet, eine neue Behandlungsart herbei¬ 
geführt, sowie auch eine neue Bienenart 
heimisch gemacht zu haben. 

Literarisch behandelte er: „Theorie und Praxis des 
neuen Bienonfreundes“ (Berlin 1848; Nachtrag Nördlingen 
1852), „Rationelle Bienenzucht“ (Brieg 1861), und seit 
1854 gibt er die Zeitschrift „Der BienenfVeund aus 
Schlesien“ heraus. Ableitner. 


E. 


E die Quartasorte der Wolle bei den 
Wollsortirern. Sussdorf. 

Eaux aux jambes (wörtlich: Wasser in 
den Beinen), Mauke, Straubfuss. Sussdorf. 

Eber, Benennung für ein männliches 
Schwein, besonders Wildschwein (s. d.). 

Eberhard H., Kreisthierarzt in Fulda, ver¬ 
öffentlichte zahlreiche Mittheilungen aus der 
Praxis in Gurlt und Hertwig’s Magazin. Sr. 

Eberhard J. G., Dr. med., schrieb 1790 
über Geburtshilfe bei Kühen und bekam für 
seine Schrift die goldene Medaille der Acker¬ 
baugesellschaft zu Amsterdam. Semmer. 

Eberraute, das dem Wermut oder den Schaf¬ 
garben ganz ähnlich wirkende Kraut der in 
Südeuropa und Kleinasien einheimischen, bei 


uns vielfach cultivirten Artemisia Abrotanura 
(Herba Abrothani [s. auch Artemisia]). VI. 

Eberwurzel, Radix Carlinae, s.die Stamm¬ 
pflanze Carlina acaulis. 

Ebriantia heissen auch diejenigen Arznei¬ 
mittel, welche einen rauschähnlichen Zustand 
hervorrufen, wie die Alkohole und deren Ab¬ 
kömmlinge. Opium und Cannabis gehören 
ebenfalls zu den berauschenden Mitteln (siehe 
Narcotica). Vogel. 

Ebullitio (v. ebullire, aufkochen), das Auf¬ 
wallen, Blasenwerfen in E. benigna (Haubner), 
der Frühlingsausschlag der Rinder. Sussdorf. 

Ebullition nennt man eine jener Formen 
des Auszuges wirksamer Bestandtheile aus 
Arzneimitteln, welche darin besteht, dass man 


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EBUR. — ECLIPSE. 


435 


letztere weder rollig kochen lässt noch auch 
blos mit siedendem Wasser infundirt, sondern 
nur ganz kurz aufkochen lässt; die Ebullition 
ist daher ein Zwischenglied zwischen Decoct und 
Aufguss und wird nur für solche Proguen in 
Anspruch genommen, welche durch längeres 
Kocnen einen unangenehmen, kratzenden Ge¬ 
schmack annehmen würden, wie, z. B. die 
Alth&awurzel nnd das Süssholz. Früher wurde 
die Auszugsform dem Apotheker vorge¬ 
schrieben, wie z. B. Infunde c. aqua calida 
q. 8. ebulliat paullisper, cola u. s. w., jetzt 
sind derartige Formeln auf den Recepten 
verschwunden, weil man die pharmaceutische 
Zubereitung solcher Arzneistoffe besser dem 
Apotheker überlässt, da derselbe überhaupt 
näher darüber instrüirt ist, wie -lange be¬ 
stimmte Arzneimittel kochen dürfen, als die 
Aerzte. Vogel. 

Ebur (aus dem Sanskrit ibhas, Elephant), 
Elfenbein, Elfenbeinsubstanz des Zahns (Den- 
tine). Davon als adj. eburneus und 

Eburnatio, die elfenbeinartige Verdich¬ 
tung des Knochens. 

Ebur fossile,Mammutzähne,s.Unicornu 
fossile.' * Sussdorf. 

Ecart (v. ecarter, abwenden, entfernen), 
Schulterlahmheit. Sussdorf. 

ecaudatus (abgel. v. e, ex, aus, und cauda, 
Schwanz), schwanzlos. Sussdorf. 

Ecbolica heissen jene Arzneimittel, welche 
eine anregende Wirkung auf die Centren für 
die Uterusbewegung auszuüben befähigt sind. 
Die Physiologie hat uns aber über diese Mittel 
{zu denen vorerst blos das Secale cornutum 
gehört [s.d.]) und deren Wirkungsmechanismus 
nähere Auskunft bis jetzt noch nicht gegeben; 
wir wissen nur, dass sie uns beim Nachlassen 
der natürlichen Wehenthätigkeit bei Geburten 
dadurch behilflich werden können, dass sie 
die Contractionen der Muskelhaut des Trag¬ 
sackes steigern und so eine raschere Aus¬ 
treibung des Fötus und später der Eihäute 
(Nachgeburt) bezwecken. Hiemit ist übrigens 
ihr Nutzen noch nicht erschöpft, denn sonst 
wäre dieser ein geringer, weil bei den grösseren 
Hausthieren die praktischen Thierärzte sich 
nicht auf die Wehen verlassen, sondern die 
Geburt durch Anlegen von Stricken (mecha¬ 
nische Extraction) befördern — solche wehen¬ 
treibende Mittel (Amblotica, Parturefacientia) 
finden daher fast nur Anwendung in der 
Geburtshilfe bei Hunden und den kleineren 
Hausthieren überhaupt —; vielmehr können die 
ecbolischen Mittel auch sehr zweckmässig 
zur Stillung von Uterinblutungen verwerthet 
werden, wo sie theils zur Herbeiführung von 
stärkeren Contractionen der Muskelfasern, 
theils durch directe Verengerung der Lichtung 
der blutenden Uteringefässe gute und sichere 
Dienste leisten können (s. auch Amblotica). VI. 

Eccoprotica, eine Abtheilung derjenigen 
Abführmittel, bei deren Anwendung es haupt¬ 
sächlich auf Entleerung grosser Mengen von 
Darmkoth abgesehen ist, zum Unterschied 
von den drastischen Abführmitteln, welche 
schon in sehr kleinen Dosen ebenfalls abführen, 
jedoch den Darm stark reizen, erhitzen und 


so flüssige Defäcationen veranlassen. Die 
eccoprotischen Abführmittel gehen sehr milde 
vor, wie z. B. das Ricinusöl, gebrannte Ma¬ 
gnesia, weinsaures (saures) Kalium, Manna, 
Schwefel, Tamarinde etc.;sie heissen deswegen 
auch Lenitiva. Sie verursachen keine Bauch¬ 
schmerzen, auch können sie 'bei katarrhali¬ 
schen Verdauungsleiden angewendet 'werden, 
olme schädlich zu wirken (s. auch Cathartica). F?. 

echecollus, iyexoXXo; (v. lysiv, enthalten, 
und i] xo'XXa, Leim), leimhaltig, klebend, 
haftend, daher auch echcöolla sc. remedia, 
Klebmittel, Pflaster. Sussdorf. 

Echegaray J., Lehrer an der Thierarznei¬ 
schule in Madrid, gab 1852 heraus: „Tratado 
de agricultura aplicada ä la Veterinaria“. Sr. 
Echinofcooous, s. u. Bandwürmer. 

Echinos, 6 £yTvos, Igel; wegen der stache¬ 
ligen Beschaffenheit auch der 3. (?> Magen der 
Wiederkäuer. In vielen Zusammensetzungen 
gebräuchlich, so in Echinococcus, Echino- 
rhynchus etc. Davon das adj. echinodes, igel¬ 
stachelig. Sussdorf. 

Echolalie (abgel. v. yj f^ytu, Wiederhall, 

und XaXsIv, schwatzen), Echosprache als ge¬ 
dankenloses Nachsprechen des Vorgesagten, 
bei Geisteskranken, Hypnotisirten etc. Sf 
Echo8kope, Echoskopia (abgel. v. tö 
vjos, Ton, und j axorcq, Untersuchung), Unter¬ 
suchung eines Tones, Auscultation; das dazu 
dienende Instrument ist das Echoskop = 
Stethoskop. Sussdorf 

Eohthy8terokye8i8 (abgel. v. Ixto's, aussen, 
yj uoxepa, Gebärmutter, und rj xoyjoss), die 
extrauterine Schwangerschaft. Sussdorf. 

Eokel G. T., Dr. med., studirte Thierheil¬ 
kunde am Thierarznei-Institut zu Wien, wurde 
1826 Seuchenlehrer an der Universität zu 
Lemberg und 1834 Director des Thierarznei- 
instituts in Wien,- schrieb über den Nutzen 
und die Wichtigkeit der Thierarzneiwissen¬ 
schaft, ferner Artikel über die pathologische 
Anatomie der Rinderpest, über die Hundswuth, 
über Degeneration der Schutzpockenlymphe, 
über Benützung des Pferdefleisches etc. Sr. 

Eckert P. hatte Thierarzneikunde in Carls- 
ruhe studirt, gab 1832 eine" Abhandlung über 
die Heilung des acuten und chronischen 
Kollers heraus. Scmmcr . 

Eckstreben, s. Hornkapsel. 

Eclampsia, s. Eklampsia. 

Eclip86. Ein Fuchshengst der englischen 
Vollblufrasse, welcher im Jahre 1764 zur 
Zeit einer grossen Sonnenfinsterniss — aus 
der Spiletta vom Marsk — geboren wurde und 
ohne Frage das beste Rennpferd Englands 
gewesen ist. Eclipse ist dem berühmten 
Stamme des Darley Arabian entsprossen, 
welcher sich durch grösste Schnelligkeit aus¬ 
zeichnete. Dieser Hengst übersprang in jeder 
Secunde 58*/ f Fuss und wurde niemals ge¬ 
schlagen: er kommt im Stammbaume fast 
aller englischen Vollblutpferde vor. und „glück¬ 
lich“ nannte man in England früher alle Be¬ 
sitzer von Pferden, die nur einen Tropfen 
Blut vom Eclipse besassen. Er gilt mit Recht 
für den besten, werthvollsten Repräsentanten 
des Darley Arabian-Stamraes, und man sagte 


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436 


ECRASEUR. 


ihm nach, dass die Umgestaltung des orienta¬ 
lischen Typus in den englischen, die Ver- 
grösserung und Streckung von Formen und 
Verhältnissen des Pferdekörpers sich durch 
ihn in bester Weise vollzogen habe. Es darf 
wohl an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, 
dass in dem Stammbaum der berühmtesten 
Nachkommen der englischen Rennpferde — 
so auch des Eclipse — sich eine grössere 
Anzahl unbekannter Stuten vorfindet. Ohne 
Frage haben mehrfach Beimischungen von 
nordischem Blut Stattgefunden, so «dass wir 
nicht berechtigt sind, das englische Vollblut¬ 
pferd als absolut reinblütig- hinzustellen. Un¬ 
streitig hat jedoch* die orientalisch-arabische 
Rasse den grössten Einfluss auf die Bildung 
des englischen Rennpferdes ausgeübt. „ Fg . 

Ecra8eur. Er besteht . dem Wesen nach 
in einer Schlinge aus Metall, welche allmälig 
verkleinert werden kann, so dass dadurch ein 
Gewebe, welches innerhalb der Schlinge sich 
befindet, durchgequetscht wird. Das Instrument 
wurde von Chassaignac erfunden und zuerst 
von Mathieu und Luer ausgeführt. 

Der Ecraseur von Mathieu (Fig. 444) 
besteht aus einer Scheide aus Metall, innerhalb 



Fig. 444. Ecraseur von Fig. 445. Ecraseur 

h Mathieu. von Luer. 


welcher sich zwei, ameinander etwas bewegbare, 
seitlich gezähnte Metallstäbe befinden. An dem 
oberen Ende dieser Stäbe wird eine Kette vonbis- 
euitförmigen oder ovalen Gliedern ans Stahl 
befestigt, an dem unteren Ende dagegen ist ein 
Querbalken, in dessen Mitte die beiden Stäbe 
um kleine Achsen in geringem Grade beweglich 
eingefügt sind. Will man nun die Schlinge 


verkleinern, so braucht man blös an dem Quer¬ 
balken kleine hebelartige Bewegungen * auszu¬ 
führen, wodurch bald der eine, bald der andere 
Stab und mit ihnen auch die Kette immer 
tiefer und tjefer in die Hülse hineingezogen 
wird. Damit aber diese erzielte Verengerung 
der Schlinge nicht wieder verloren geht, sind 
an «dem unseren Theile der Hülse über dem 
Griffe zwei starke federnde Haken, welche in 
die Zähne- an den Stangen eingreifen und das 
Zurückgehen derselben verhindern. 

Bei dem Instrumente von Luer (Fig. 445) 
läuft in der Hülse .statt der beiden Metall¬ 
stäbe blos ein einziger mit feinen Schrauben¬ 
windungen versehener Stab, welcher durch eine 
. seitlich angebrachte Schraube allmälig herab¬ 
gezogen wird und gleichzeitig damit auch die 
an ihm befestigte Kette. 

Der Ecraseur von Charrier (Fig. 446) 
unterscheidet sifch von dem Luer’schen nur 
dadurch, dass die Kette nicht in einer Hülse, 
sondern frei läuft und an einem Metallstabe 
befestigt ist, dessen oberes Ende eine kleine 
Krücke darstellt. 

Chassaignac empfahl nun, Neubildungen 
oder krankes Gewebe mittelst dieses Instru¬ 
mentes auf unblutige Weise 
durch allmäliges Zerquet¬ 
schen abzutragen, und nannte 
diese Operationsmethode das 
Ecrasement lindaire, 
die lineare Abquetschung. 
Durch die Wirkung der Kette 
werden die Weichtheile s? 
zusammen gedrückt und an 
einander gepresst, dass auch 
schon dadurch ein Verschluss 
der Gefässlumina zu Stande 
kommt, abgesehen davon, 
dass bei den Gelassen zuerst 
die innerste elastische Haut 
zerreist, sich faltet, umrollt 
und so das Gefass verstopft, 
während die anderen Ge- 
fässhäute unter einander ver¬ 
kleben. Es findet also bei 
dieser Operationsmethode der 
Verschluss der Gefasse schon 
vor der völligen Durchquet¬ 
schung derselben statt,- nur 
muss man selbstverständlich 
die Vorsicht gebrauchen, das 
Abquetschen sehr langsam 
vorzunchmen, etwa jede halbe 
Minute um einen Zahn oder um 
eine Drehung der Schraube, 
weil sonst an der Trennungs- 
’ fläche eine ebensolche Blu- 



Fig. 446. Eernstnir 
von Charrier.' 


tung entstände wie -nach 
einem Schnitte, und der 


Zweck dieser Operationsmethode nicht erreicht 
würde.‘Sollte der Theil, welcher abzuquetschen 
ist T zu massig sein, so kann man die Kette 
durch denselben hindurchziehen,* die Masse 
also in zwei oder mehreren Portionen ab¬ 
quetschen. Wenngleich der Ecraseur nicht jene 
übertriebenen Vorzüge aufweist, die man ihm 
seinerzeit zugeschrieben hat, so ist doch nicht 


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ECTOGENE INFECTIONSERREGER. — EFFLORBSCENTIA. 


437 


zu leugnen, dass namentlich in der vorantisep¬ 
tischen Zeit durch diese Methode ganz schöne 
Heilresultate erzielt wurden. 

Die Entfernung des Gewebes geschah 
auf unblutige Weise, nur musste man die 
Wundfläche unberührt lassen, da leicht durch 
Betupfen derselben mit einem Schwamm eine 
Blutung liervorgerufen werden würde; die 
Wundfläche war klein, bedeckte sich bald mit 
einem Schorfe, unter welchem die Heilung rasch 
und in der Regel aseptisch vor sich ging. 
Es erklärt -sich dies wohl dadurch, dass 
man die Wunde unberührt lassen musste, 
dieselbe also nicht so leicht inficirt wurde, 
und auch während der späteren Heilung das 
Eindringen von Infectionserregern weniger 
leicht möglich war, da die Gelasse, sowohl 
Blut- als Lympligefässe, beim Durchquetschen 
geschlossen wurden und sich überdies, wie 
erwähnt, rasch ein die Wundfläche bedeckender 
Schorf bildete. Doch gab es immerhin Fälle, 
in welchen Wunderkrankungen auftraten. 

Der Ecraseur wurde auch in der Thier¬ 
heilkunde angewendet behufs Entfernung von 
Neubildungen, besonders gesielten, z. B. 
Polypen in der Scheide, dem Mastdarme etc., 
ferners bei der Castration hauptsächlich weib¬ 
licher Thiere, zur Amputation der Ruthe etc. 
Einet allgemeinen Anwendung stand der etwas 
hohe Preis des Instrumentes entgegen, sowie 
der Umstand, dass die Operation selbst sehr 
lange Zeit in Anspruch nimmt. Bayer . 

Ectogene Infectionserreger nennt man 
solche Krankheitskeime, die sich ausserhalb 
des thierischen Körpers entwickeln, u. zw. im 
Boden, Wasser, Dünger, in Stallräumen, 
Sümpfen, stehenden Gewässern etc. Krank¬ 
heiten, die durch solche Keime veranlasst 
werden, die ausschliesslich ausserhalb des 
lebenden Organismus sich entwickeln und mit 
der Athmungsluft, dem Futter und Getränk 
in den Körper gelangen und^ Krankheiten er¬ 
zeugen, nennt man miasmatische und die 
Krankheitserreger selbst Miasmen. Zu den rein 
miasmatischen Krankheiten gehören: Sumpf¬ 
fieber, Wechselfieber, Malariafieber, Kopf¬ 
krankheit, Cerebrospinalmeningitis, Rheuma¬ 
tismus. Seminer. 

Ectoparasitica, Arzneimittel, um die auf 
den Thieren lebenden Schmarotzer zu tödten, 
gleichviel ob sie thierischer oder pflanzlicher 
Abkunft sind (s. Antiparasitica). Vogel. 

Eczem. Das Eczem ist eine Hautkrankheit, 
wie Pityriasis, Psoriasis und Lichen (su d.). 
Das Eczem ist sogar häufig die erste Phase 
des Lichen und selbst der Pityriasis und geht 
in diesem Falle zumeist unbemerkt vorüber. 
Aber bei dem Pferde kommt ein Eczem vor, 
welches weder durch Pityriasis noch durch 
Lichen endigt, von lebhaftem Jucken begleitet 
ist und mit hartnäckiger Beständigkeit wieder¬ 
kehrt, sobald die Zeit des Haarwechsels vor 
der grossen Hitze eintritt. Bei diesem Leiden 
sind die localen Läsionen fast unbedeutend: 
kaum dass man an dem Haarboden, welchen 
man mit der Fingerspitze befühlt, kleine 
Krusten gewahr wird, welche von einem 
Tropfen vertrockneter Flüssigkeit herrühren 


und durch w r elche das vorherige Vorhanden¬ 
sein von kleinen Bläschen gckennzeichne- 
wird. Das Gefühl des Kitzelns ist sehr heftig 
und leicht mit der Fingerspitze zu bewirken. 
Der Lieblingssitz des chronischen Eczems 
ist die Nachbarschaft der Fesseln, der Rücken, 
die Flanken, die Hüften, die beiden Seiten 
der Halsbeuge. Dieser Sitz und das lebhafte 
Jucken, welches diese Hautkrankheit be¬ 
gleitet, machen es möglich, dass sie sehr 
leicht mit der Sarcopteskrätze verwechselt 
wird, von welcher sie thatsächlich blos die 
Abwesenheit des Parasiten und der Mangel der_ 
Ansteckungsfähigkeit unterscheiden, ebenso 
auch die periodische -Wiederkehr beim Saison¬ 
wechsel. 

Die Behandlung des chronischen 
Eczems der Pferde soll eine innerliche und 
äusserliche zugleich sein. Für die innerliche 
Behandlung ist Arsenik das Specificum; man 
verabreicht täglich ein Gramm arsenige Säure 
in* Pulverform, innigst gemengt in einem 
Tränkchen, und dies einige Monate hindurch. 
Local macht man Lotionen, sei es mit einer 
Lösung von Chloralhydrat (30 g für den Liter 
Wasser), sei es mit einer solchen von weissem 
Sublimat [Quecksilberchlorid] (4 g per Liter 
Wasser), sei es endlich mit. einer Lösung von 
schwefelsaurem Zinkoxjd (10 g per Liter). 

Wir haben bei einem Rind einen Fall 
von chronischem Eczem beobachtet, welches 
die Mittellinie des Rückens einnahm und mehr 
oder weniger tief ah den Seiten des Rumpfes 
. hinabzog, indem es speciell jene Theile der 
Haut einnahm, welche kein Pigment besassen, 
d. h. jene, welche mit-weissen Haaren bedeckt 
waren, und die mit rothen Haaren bedeckten 
Stellen vermied. Die kranke Oberfläche war 
mit granulösen Krusten bedeckt, welche 
mit blätterigen Krusten gemengt waren. In 
«jedem Frühjahr erfolgte ein heftiger Aus¬ 
bruch, und man konnte an der Schlachtbank 
► beobachten, dass diese Ausschläge eine*Rück- 
wirkung auf die Ernährung im Allgemeinen 
und auf jene der Knochen im Speciellen aus¬ 
übten, denn bei dem transversalen Durch¬ 
schneiden derselben konnte man concentrische 
dunkle Zonen gewahr werden, die ebenso 
zahlreich waren als cTie Eczem-Ausschläge, 
welche das Rind während seines Leberfs 
befallen hatten. Meguin . 

edentafus (abgel. v. e, aus [einen Mangel 
andeutend], und dens, Zahn), zahnlos, zahn¬ 
arm; daher edentata, die Ordnung der Zahn- 
lücker (Bradypoda etc.). Sussdorf. 

Edinburg, Veterinärschule, gegründet 
1823 von William Dick. 

Efrervesciren, Aufbrausen, die lebhafte 
Entwicklung von Gasen aus einer Flüssigkeit, 
wie z. B. bei den Brausepulvern. Vogel. 

Efflore8Centia (efflorescere), Hauterup¬ 
tionen der verschiedensten Art, welche klei¬ 
nere, circumscripte Hautveränderungen von be¬ 
stimmter Entwicklungs- und Verlaufsweise etc. 
setzen (z, B. maculae, Flecken; papulae, Knöt¬ 
chen; urticae, Quaddeln; vesiculae, Bläschen; 
bullae, Blasen; pustulae, Pusteln). Sussdorf. 



438 


EFFLUVIUM. — EI. 


Effloresciren, Ausblühen, das Empor¬ 
steigen eines krystallisirenden Salzes aus 
^seiner Lösung an den Wandungen des Ge- 
fässes. Vogel . 

Effluvium (v. effluere, schnell ab fallen), 
der abnorm reichliche Haarausfall bei unge¬ 
nügendem Nachwuchs, also eine Form der Kahl¬ 
heit (Calvities). Sussdorf, 

Egelkrankheit oder Egelseuche ist eine 
Kachexie, welche sich nach der massenhaften 
Einwanderung der Leberegeln oder Distomen 
in die Leber der Hausthiere ausbildet; bei 
Schafen tritt sie häufig als Heerdekrankheit 
und Seuche auf. Das Nähere hierüber s. u. 
Distoraatosis. * Anacker. 

Egelkrankheit, Leberegelseuche, Fäule, 
Tabes hepatico-verminosa, Cachexia ictero- 
verminosa, Cachexie aqueuse, pourriture, 
distomatose, phthisie vermineuse du foie, 
Cachexie ictero-vermineuse, drospy, biscinola, 
gehört zu den Gewährsmängeln, da sie in 
nassen Jahrgängen besonders unter den 
Schafen grosse Verheerungen anrichten kann. 
In streitigen Fällen ist es von besonderer 
Wichtigkeit, den Zeitpunkt der Einwanderung 
der Leberegel festzustellen und zu bestimmen, 
ob dieselbe vor oder nach dem Kauf statt¬ 
fand. Die Einwanderung findet nur im Sommer 
und Herbst auf der 'Weide statt, und 6 bis 
12 Wochen nach der Aufnahme der Cercarien 
beginnen die ersten Krankheitserscheinungen. 
Hiebei muss berücksichtigt werden, ob die 
gekauften Thiere nach dem Ankauf noch auf 
die Weide getrieben oder gleich auf Stall¬ 
fütterung gesetzt wurden, und ob beim Ver¬ 
käufer Niederungsweiden und Leberegeler¬ 
krankungen vorhanden sind oder nicht. Die 
Gewährszeit für die Egelseuche beträgt: 

44 Tage in Baden, Bayern, Hohenzollern, 
Württemberg und Thurgau; 


15 

T? 

im Canton Basel; 

28 

n 

im Grossherzogthum Hessen; 

30 

n 

in Sachsen; 

31 

n 

in Schaffhausen; 

42 

n 

in Frankfurt; 

60 

r> 

in Oesterreich. 


Da die ersten Krankheitserscheinungen 
aber kaum vor 6 Wochen nach der Aufnahme 
der Würmer sich zeigöh, so ist die Gewährs¬ 
zeit von weniger als 2 Monaten eine zu 
kurze. Semrncr. 

Egerländer Vieh, s. u. „Böhmische Vieh¬ 
zucht 11 . 

Egersis (*f) eyepois, v. eY et P elv » erwecken), 
Aufreizung; davon adj. egertica sc. remedia, 
belebende Mittel. Sussdorf. 

Ei. Bei allen Individuen, deren Organismus 
aus einer Summe von Zellen aufgebaut ist, 
erscheint das Ei nur als eine mehr oder 
weniger metamorphosirte Zelle von gewisser 
Selbständigkeit, welche in ihrer ursprüng¬ 
lichen Form eine abgerundete Gestalt besitzt, 
bei vielen Organismen indes mannigfaltig 
umgestaltet wird, je nachdem das Ei mit 
accessorischen Hüllen und Vorrichtungen aus¬ 
gestattet erscheint. 

Jedes Ei repräsentirt demnach in der 
ersten Anlage eine Einzelzelle, an welcher 


sich bei allen Geschöpfen unterscheiden lässt 
entsprechend dem Bau der Zelle: der Proto¬ 
plasmaleib, der Kern, das oder die Kernkörper¬ 
chen [diese Theile führen aber hier den Namen 
Dotter (Yitellus), Keimbläschen (Vesi- 
cula germinativa, Purkinje’sches Bläschen)], 
der oder die Keimflecken (Macula germi¬ 
nativa, Wagner’scher Fleck). Hiezu kommen 
aber noch je nach der Zeit und Altersperiode 
verschiedene Adnexa, wonach man wohl auch 
Primordialeier, reife Eierstockseier und die 
mit den Eileiterhüllen versehenen Eier unter¬ 
scheidet. Die Umhüllung ist der Hauptsache 
nach entweder eine einfache Dotterhaut 
(Membrana vitellina), welche vom Ei selbst 
erzeugt wird, oder eine sog. äussere Ei¬ 
haut (Chorion, Tunica adventitia), eine Mem¬ 
bran, welche von der Umgehung des Eies 
(Eisäckchen) zugebildet wird; auch beide 
Eihüllenformen können gleichzeitig neben 
einander bestehen. 

Es gibt Eier, bei denen die gesammtc 
Dottermasse zum Aufbau des embryonalen 
Keims verwendet wird — diese nennt man 
holo blas tische, bei anderen Eiern wird 
nur ein Theil der Dottermasse unmittelbar 
zur Anlage verwendet, der übrige Inhalt wird 
gewissennassen nur als Nährmaterial benützt. 
Demgemäss unterscheidet man Bildungs¬ 
und Nahrungsd otter und nennt die letzt 
rubricirten Eier, welche beide Dotterarten 
besitzen, meroblastische. Nach der Be¬ 
fruchtung sind die holoblastischen Eier dadurch 
charakterisirt, dass ihr Gesammtdotter dem 
sog. Furchungsprocesse unterliegt (totale 
Furchung), während bei den meroblastischen 
Eiern nur der Bildungsdotter eine Zerklüftung 
erleidet (partielle Furchung). Uebergangs- 
formen zwischen meroblastischen und holo¬ 
blastischen Eiern gibt es ebenfalls. 

Das Säugethier ei (Fig. 447) gehört zum 
Typus der holoblastischen und besitzt unter 
allen Eiformen der Wirbelthiere die geringste 
Grösse, obwohl es in 
Beziehung zu den Zel¬ 
len des Säugethier¬ 
körpers die grösste 
Zelle des Einzelindi¬ 
viduums darstellt; 
es misst hei den 
grösseren Säugethie- 
ren durchschnittlich 
0*2 mm, bei Schwein, 
Hund und Katze 
0*17 mm, bei Meer¬ 
schweinchen, Ratte, 
Maus 0*12 mm. Die 
Umhüllungsmembran 
des Säugethiereies, 
welche die Bedeutung 
einer Adventitia hat wird Zona pellucida 
genannt und stellt sich als eine veriialtniss- 
mässig dicke, glashelle, scharf contourirte La¬ 
melle dar. In Form feinster radiärer Streifen 
zeigt sie Andeutungen von Porencanälchen. 
Der Dotter bietet eine Zusammensetzung aus 
zum Theil mehr homogenem flüssigen Proto¬ 
plasma, zum Theil körnigen Massen in Form 



Fig. 447. Halbschematisclie 
Zeichnung eines Säugethier¬ 
eis. a Aeussere Eihaut (Zona 
pellucida) mit Andeutung von 
Porencanälchen, b Dotter, 
c Keimbläschen mit Keim¬ 
fleck. 




blasser feinster und dunkler grösserer Kügel¬ 
chen, welche von einem feinen Fadengerüst 
getragen zu werden scheinen. Wenn die 
dunklen Körner zahlreicher sind, erscheint 
der Dotter weisslich (Kuh, Katze), ist ihre 
Menge geringer, so werden die Eier heller 
durchscheinend (Mensch). Auch andere zellen- 
und kernartige Elemente werden in manchen 
Eidottern (Hund, Kaninchen, Schaf) beob¬ 
achtet (Bonnet), welche Elemente von aussen 
her in das Ei drangen. Das Keimbläschen 
erscheint als ein innerhalb des Dotters nicht 
ganz in der Mitte gelegenes, scharf berandetes, 
kugelrundes Bläschen von 40—50 p Durch¬ 
messer, welches dem Bau nach einem Zell¬ 
kerne gleichkommt, d. h. aus einem Kern¬ 
fadennetze besteht, in welchem ein dunkles 
festeres Korn von 5—7 p. Durchmesser ein¬ 
gelagert ist, der Keim fl eck (= Kern¬ 
körperchen). Ausser den Säugern besitzen 
noch holoblastische Eier die Amphibien, 
Störe, Neunaugen, Amphioxus, die einfachen 
Kruster und Arachniden, die Brachiopoden, die 
niederen Mollusken, die meisten Würmer, die 
Strahlthiere und Schwämme. Als merobla¬ 
stische Eier treten uns die Eier der Vögel, 
Reptilien, Plagiostomen, Teleostier, höheren 
Kruster, höheren Arachniden und Cephalo- 
poden zu Gesichte. 

Das Hühnerei z. B., welches in der 
ersten Anlage sich in keiner Weise vom 
Säugethierei unterscheidet, ist später (schon 
am Eierstock) noch mit einer aussergewöhn- 
lichen Dottermasse ausgestattet, so zwar 
dass der frühere Haupttheil der Zelle mit 
seinem Keimbläschen oder Kern ganz an die 
Peripherie gedrängt wird. Die gelben kugeligen 
Gebilde, welche wir, ähnlich wie die Beeren 
einerTraube zusammengruppirt, am Eierstocke 
des Vogels bemerken, sind die Eisäckchen 
mit den in ihnen enthaltenen Eiern. In der 
verschiedensten Grösse vom kaum sichtbaren 
Punkte bis zum Ausmasse einer Erbse und 
bis zum Umfange der Dotterkugel des gelegten 
Eises sind die Eier am Eierstocke anzutreffen 
und mit demselben durch die Eisäckchen, 
welche als blutgefässhaltige dünne Membranen 
jedes Ei umschliessen, verbunden. Diese gefass- 
führcnden Hüllen haben eine Bedeutung für 
die Ernährung und das Wachsthum des Eier¬ 
stockseies, indem die ursprüngliche Zelle aus 
den umspinnenden Blutgefässen des Eisäck¬ 
chens Stoffe in sich aufnimmt, die zu den 
sog. Dotterkörnern umgebildet werden. Ist 
das Ei zu seiner bestimmten Grösse heran- 
gewachsen, mit einem Worte reif geworden, 
so platzt das Eisäckchen und die Dotter¬ 
kugel fällt in den Eileiter. Bei genauer Be¬ 
trachtung eines grösseren Eisäckchens können 
wir nämlich eine kreisförmig das beerenähn¬ 
liche Gebilde umgreifende Stelle bemerken, 
die blutgefässlos ist, eine Art Narbe; an 
dieser Stelle reisst das Eisäckchen ein, weil 
es hier in Folge der Gefässarmutk des Theiles 
weniger widerstandsfähig ist und von der 
wachsenden Dotterkugel auseinandergedrängt 
wird. Jede zur Ablösung vom Eierstocke 
bereite Dotterkugel wird aber von dem oberen 


sehr weiten Theile des Eileiters umfasst und 
eingeschluckt. In diesem trichterförmigen 
Theile des Eileiters finden sich nun von der 
Begattung durch das männliche Thier her 
stets Samenfäden, die hier in den Dotter 
eindringen und das Ei befruchten. In dem 
mittleren und unteren Theile des Eileiters, 
resp. Eihalters (Uterus) erhält dann die 
Dotterkugel ihre accessorischen Hüllen. Zu¬ 
nächst wird das Ei durch Contraction der 
muskulösen Eileiterwand und durch Windungen 
und Bewegungen des ganzen Schlauches immer 
weiter nach abwärts befördert. Bei dieser Art 
Rotation schlägt sich das Eiweiss auf der 
Oberfläche der Dotterkugel nieder. Das Innere 
des Eileiterschlauches ist nämlich von einer 
sehr weichen, blutgefässreichen Schleimhaut 
hergestellt, welche nach tausenden zählende 
Drüschen enthält. Die Berührung der durch 
den Schlauch passirenden Dotterkugel reizt 
diese Drüsen zur Secretion an, das Secret 
ist Eiweissmasse, das Eierklar, welches all- 
mälig in immer dickerer Schichtung um den 
Dotter herumgegossen wird. Dies geschieht 
so lange als der Dotter in rotirender Bewe¬ 
gung fortgeschobeu wird und erfolgt demnach 
auch die Ablagerung der Eiweisschichten 
der Drehung entsprechend, wodurch dieselben 
an zwei entgegengesetzten Stellen in dichtere 
gewundene Schnüre zusammengedreht werden, 
andererseits in Spiralen den Dotter umgeben, 
wie man dies leicht ersieht, wenn man ver¬ 
sucht, an hartgesottenen Eiern das Eiweiss 
abzublättern. In dem weiteren Theile des 
Eileiters angekommen, bleibt der Dotter auf 
einige Stunden ruhig liegen, und die ober¬ 
flächliche Eiweisslage beginnt dann lediglich 
durch Eintrocknung und Gerinnung eine weisse 
lederartige Haut zu bilden, die Schalenhaut. 
(Von der Berstung des Eisäckchens an bis 
zur Fertigstellung der Schalenhaut, verweilt 
der Dotter in dem ca. 36 cm langen Eileiter 
des Huhns ca. 6 Stunden, wovon die Hälfte 
Zeit auf die Bildung der Schalenhaut trifft.) 
Mit dieser hätte es jenen Zustand erreicht, 
auf dem die einer Kalkschale entbehrenden 
Eier mancher niedriger Wirbelthiere, z. B. 
der Schildkröten, stehen bleiben; aber eine 
höhere Vervollkommnung, ein dauerhafteres, 
schützenderes Gehäuse ist für das Vogelei 
ausersehen. Ganz im untersten Abschnitte 
des Eileiters, seiner Weite wegen und weil 
vor der Eiablage das Geschlechtsproduct des 
weiblichen Vogels lang hier aufbewahrt wird, 
auch Eihalter genannt, erfolgt die Bildung 
der Schale. Im Eihalter ergiesst sich näm¬ 
lich eine kalkmilchähnliche Flüssigkeit aus 
den hiezu befähigten Schleimhautzotten; die 
unorganischen Bestandtheile derselben, vor¬ 
wiegend Kalksalze, schlagen sich auf der 
Oberfläche der Schalenhaut nieder, sie kry- 
stallisiren förmlich aus und bedecken so, 
nachdem in ca. 12 — 24 Stunden die Er¬ 
härtung erfolgt, als Schale das nun vollen¬ 
dete Ei. 

Soweit wäre in Kürze die Bildung der ac¬ 
cessorischen Theile des Vogeleies und die Wan¬ 
derung desselben durch die Geschlechtsgänge 



440 ' EI. 


dargethan (über die Entwicklung des Säuge¬ 
thiereies s. Eierstock). 

Was die weitere Structur des Vogeleies an¬ 
belangt, so wird der Durchschnitt eines durch 
Kochen erhärteten Hühnereies uns theilweise 
hierüber und über die Lagerung der einzelnen 
Eitheile Aufklärung verschaffen (Fig. 448). Am 
frischgelfegtenEi ist alles Eiweiss, mit Ausnahme 



Fig. 44$. Schematischer Durchschnitt des Hühnereis, 
a Kalkschale, b Luftkammer, c Schalenhaut, d Eiweiss, 
e Hagelschnur, f gelbfer Nahrungsdotter, g weisser Bil- 
, dungsdotter, h Keimscheibe, i Dotterhaut. 

jener gewundenen Schnüre, der Hagelschnüre 
(Chalazae), flüssig, und in seinem Innern hält 
sich der Dotter in Schwebe: die beiden Hagel¬ 
schnüre, welche von beiden Polen des Dotters 
zu den gegenüberstehenden Enden des Eies 
sich hinziehen, haben hiebei eine ähnliche 
Wirkung wie elastische Polster. Der Dotter 
selbst wird von einer durchsichtigen, bei Be¬ 
rührung und Bewegung sehr leicht sich fal¬ 
tenden und runzelnden Membran, der Dotter¬ 
haut, vor dem Ausfliessen geschützt. Diese 
7 p. dicke, aus feinen, netzförmigen Fäserchen 
bestehende Dotterhaut ist gleichbedeutend 
einer Tunica adventitia (Zona pellucida) und 
umhüllt den Eileib schon, so lange derselbe 
noch am Eierstock im Follikel, respective 
Eisäckchcn hängt. 

Man mag das Ei drehen, wie man will, 
man kann es sammt dem Eiweiss in Wasser 
giessen, immer wird unter der Dotterhaut 
eine nach oben sehende kleine weissliche 
Scheibe von ungefähr 3—4 mm Durchmesser 
sich dem Auge entgegenstellen: dies ist die 
Keimscheibe oder Keimschichte (Cicatricula, 
stratum oder Discus proligerus), im Volksmunde 
Hahnentritt oder Narbe genannt, das be¬ 
deutungsvollste Gebilde des Eies für das 
künftige Vögelchen. Am unreifen Ei war hier 
das Keimbläschen, am reifen ist es dicht unter 
die Dotterhaut gerückt. Der Grund dafür, dass 
die Keimscheibe stets obenauf schwimmt, ist 
in der eigenthünüichen Bauart des Dotters zu 
suchen. Während dieser als frisches Object dem 
blossen Auge als eine durchwegs gelbe Masse 
erscheint, zeigt uns ein Durchschnitt des hart¬ 
gesottenen Eies, dass neben dem gelb gefärbten 
harten Dotter ein Theil von weisslicher Farbe 
und mehr flüssiger Natur gerade unter der 


Keimscheibe in flaschenförmiger Gestalt seine 
Lage. hat, das ist der sog. weisse Dotter (das 
Dotterweiss). Die weisse Doftermasse ist nicht 
nur als zapfenartiger Anhang unter der Keim- 
scheibe, sondern aucli in einer Weise zwischen 
dem gelben Dotter vertheilt, dass eine Art 
abwechselnder concentrischer Schichtung zwi¬ 
schen beiden Substanzen besteht. Auch der 
feine, reifähnliche graue Belag auf der Ober¬ 
fläche des hartgesottenen Dotters besteht aus 
weissem Dotter: da aber die Hauptmenge des¬ 
selben unter der Keimscheibe ihren Stand-hal 
und sich verbreitend bis ins Centrum der 
Dotterkugel als Pfropf reicht und viel leichter 
als der umgebende Dotter ist, so sieht die 
dem Propfe* auf liegende Partie stets der - Luft 
entgegen. Durch die Vermehrung und Ver- 
grösserung der die Keimscheibe zusammen¬ 
setzenden Zellen, d. h. durch den Process 
der Furchung (s.- d.) des weissen Dotters, 
bei der Bebrütung kommt der Aufbau eines 
neuen Organismus zu Stande: deshalb heisst 
der weisse Dotter „Bildungsdotter“. Der 
ganze übrige Dotter nimmt an dem directen 
Aufbau des künftigen Vogels keinen Antheil, 
er repräsentirt dem Lebenskeime nur eine Art 
Speisevorrath, von der Natur dem Embryo 
mitgegeben als Behelf für die mangelhafte 
Ausbildung innerhalb des Mutterthieres, und 
wird Nahrungsdotter genannt. Seiner 
chemischen Zusammensetzung nach hat jeden¬ 
falls auch das Eiweiss, neben der Function, als 
elastisches Kissen den Dotter mit dem Vogöl- 
keime vor äusseren Einflüssen zu schützen, 
die Bedeutung eines Nährvorrathes: haupt¬ 
sächlich sein Wassergehalt (86%), dann aber 
auch die Proteinstoffe und Salze (Chlorkalium, 
Chlornatrium, Sulphate und Phosphate) mögen 
für den wachsenden Embryo in Rechnung zu 
bringen sein. 

Die Kalkschalc und Schalenttaut 
sind die Schutzhüllen des Eies: beide liegen 
einander dicht an. Da jedoch die Schalenbaut * 
aus zwei Blättern besteht und die Kalkschale 
porös ist, so tritt* bei längerem Liegen, vor¬ 
nehmlich beim Bebrüten der Eier, in Folgc^ 
der Schrumpfung der Eiweissmasse durch* 
Wasserverdunstung Luft zwischen die beiden 
Blätter, welche sich am stumpfen Ende des 
Eies ansammelt und zur Bildung der sog. 
Luftkamnier Veranlassung gibt. Aus dieser 
Luftkammer erhält das dem Ausschlüpfen 
nahe Hühnchen die Luft für seine ersten 
Athemzüge, nachdem mit der Reife des Em¬ 
bryos das Bedürfnis.? nacli Lungenathmung 
sich kundgibt. Zieht man die Schalenhaut 
von der Kalkschale ab und hält ein Stück der 
letzteren gegen das Licht, so erkennt man 
hellere durchsichtige und dunklere undurch¬ 
sichtige Stellen in derselben. Wird ein solches 
Stückchen überdies durch Anfertigung dünner 
Schliffe der mikroskopischen Beobachtung zu¬ 
gänglich gemacht, so gewinnt man die Ueber- 
zeugung, dass alle hellen Fleckchen der Aus¬ 
druck von feinen, die Kalkschale von aassen 
nach innen senkrecht durchbohrenden Canälen 
sind, durch welche der Austausch von Luft 
zwischen dem Ei-Innern und der Aussenwelt- 


Digitized by ^.ooQie 



EIBENBAUM. — EICHELN. 


441 


ermöglicht wird..Diese Art Ventilation ist für 
die Entwicklungsfähigkeit der Eier von höchster 
Wichtigkeit. So lange die Schale trocken ist, 
geht die Lüftung gut von statten, und der 
brütende Vogel begünstigt diese für den 
wachsenden Embryo so nothwendige Bedingniss 
durch häufiges Aufstehen und durch Lage¬ 
veränderung der Eier, ja die Porosität ist eine 
so ausgedehnte, dass bei Aufbewahrung von 
Eiern in trockener, sehr warmer Luft (z.jB. im 
Sommer auf Dachböden) der Ei-Inhalt voll¬ 
ständigvertrocknen kann. Andererseits wiederum 
ist es interessant zu wissen, dass die nach 
aussen stehenden Mündungen der Canälchen 
bei Berührung mit Flüssigkeiten sich ver- 
schliessen. Die Wandung der Poren ist eben wie 
die Schale überhaupt von einem Gemenge einer 
organischen, quellbaren, mit einer anorgani¬ 
schen, vornehmlich aus Kalksalzen bestehenden 
Masse hergestellt, und wenn sich Bedingungen 
finden, die das Quellen jener Substanz hervor- 
rufen' so werden die Poren wie durch Pfröpfe 
verschlossen. Deshalb dringt z. B. durch ein 
hartgesottenes Ei, trotzdem hier das gerinnende 
Eiweiss stark schrumpft, kein Wasser ein, und 
umgekehrt lässt die Schale selbst Flüssigkeiten 
durch, wenn man die oberste Schichte abschabt. 
Die Existenz der Poren spielt eine grosse 
Rolle für die Entwicklung des Embryos, für 
die Fäulniss der Eier, die Conservirung der 
Eier durch Luftabsperrung und selbst für die 
Entstehung mancher Missgeburten von Vögeln. 

Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, 
dass das gelegte Ei sich wesentlich von dem 
Eierstocksei unterscheidet. Die auffallendste 
Veränderung hat es durch die ümscheidung 
mit den im Eileiter und Uterus abgesonderten 
Hüllen (Eiweiss, Schalenhaut, Schale) und 
durch die Befruchtung, welche nach dem 
Eintritte des Eies in den Eileiter sich vollzog, 
erlitten. 

In Folge der Befruchtung wird der 
Furthungsprocess eingeleitet, durch wel¬ 
chen Keimbläschen und * Bildungsdotter eine 
bedeutende Umgestaltung erfahren und so das 
gelegte Hühnerei nicht mehr als einzelne Zelle 
aufgefasst werden kann, sondern nach Umbil¬ 
dung zur Keimhaut schon einen Zellen- 
compiex darstellt, dessen Entstehung noch 
andere Veränderungen nach sich zieht. 

Auch das befruchtete Säugethierei unter¬ 
scheidet sich wesentlich von dem reifen Eier¬ 
stocksei, wie in dem Capitel über Furchung 
des Näheren auseinandergesetzt werden soll. 

Literatur: Grundriss der Entwicklungsgeschichte 
d. M. u. d. höheren Thiere v. A. Köl liker 1884. — Das 
Vogelei von Dr. E. B o n n e t, Deutsche Zeitschr. f. Thiermed. 
1883. — Stricker’» Gewebelehre, Cap. Eierstock. — 
Hermann’s Handbuch d. Physiol., Cap. Zeugung. Kitt. 

Eibenbaum (Taxus baccata, s. d.). Enthält 
in seinen Nadeln ein für alle Thiere gefahr¬ 
bringendes narkotisches Gift. Die Thiere ver¬ 
fallen danach, oft in nicht längerer Zeit als 
einer Stunde nach dem Genuss, dem Tode, 
können sich aber auch langsam daran ge¬ 
wöhnen, in welchem Falle die Nadeln sogar 
den Fettansatz befördern sollen. Auch die 
Eibenwurzeln enthalten ein heftiges Gift. Pott. 

Eibisch, s. Althaea. 


Eichel, Eicheigrube, s. Männliches Glied. 
Eichel des Kitzlers, s. Kitzler. 

Eicheln als Futtermittel. Die nussähn¬ 
lichen Früchte der verschiedenen Eichenarten 
(Quercus pedunculata und sessiliflora etp.). 
Sie enthalten im frischen Zustande: 


44*0—58*5 im 

Mittel 49*3 % Trockensubstanz 

2*0— 2 6 „ 

„ 2“2 „ stickstoffhaltige Stoffe 

1-5— 2*3 „ 

,, 2*0 „ Roh fett 

33 4—36*5 „ 

* * 34*7 „ stickstofffreie Extractstoffe 

4‘3—19*4 

„ 9*4 „ Holzfaser 

— — „ 

„ 1*0 „ Asche 


und sind nach Weiske bei Versuchen mit 
Hammeln verdaulich gewesen: 83*3% der 
stickstoffhaltigen, 97*4% der stickstofffreien 
Extractstoffe und 87*5% des Rohfettes. Sie 
sind also ein stickstoffarmes, aber leicht ver¬ 
dauliches Futtermittel, und wenn man sie inl 
getrockneten Zustande verfüttert als ein 
sehr concentrirtes Futtermittel zu bezeichnen. 

Getrocknete Eicheln enthalten: 

77*2—85 7 im Mittel 81*5% Trockensubstanz 


4*5— 6*9 „ 

„ 6*5 „ 

stickstoffhaltige Stoffe 

3*6— 4*6 „ 

„ 4*0 „ 

Rohfett 

58*4—62*1 „ 

.. 61*0 „ 

stickstofffreie Extractstoffe 

• 6*5—12*2 „ 

, 90 „ 

Holzfaser 


„ 2*0 „ 

Asche. 


Jedenfalls ist die VerfÜtterung der Eicheln 
im getrockneten Zustande am rathsamsten. 
Man sammelt die Eicheln im Herbste und 
schüttet sie auf luftigen Böden in'dünnen 
Schichten aus, wonach sie bald lufttrocken 
werden. Schüttet man sie zu hoch auf, befinden 
sich unter ihnen viele unreife Eicheln, oder 
ist der Aufbewahrungsort feucht, so werden 
sie leicht dumpfig und schimmlig, in welchem 
Zustande sie nicht verfütterbar sind, ohne 
vorher gekocht zu werden (s. unter dumpfiges 
und schimmliges Futter). Vielfach ist es auch 
Üblich, die Eicheln behufs VerfÜtterung zu 
schälen, zu welchem Behufe sie vorher gedörrt 
und dann gedroschen werden müssen. Dieses 
Verfahren ist recht beachten s werth* weil die 
Eichelhülsen5—10% Gerbsäure enthalten, die 
bekanntlich verstopfend wirkt und die Ver¬ 
fÜtterung grösserer Quantitäten an Milchvieh, 
an tragende und säugende Thiere unthunlich 
macht. Zudem sind die geschälten Eicheln 
vermuthlich noch leichter verdaulich,'und die¬ 
selben werden von allen Thieren lieber ge- 
gefressen. 

Getrocknete und geschälte Eicheln 
enthalten: 

80’0—88'6 im Mittel 85*6% Trockensubstanz 
6 0— 6 3 „ 6‘6 „ stickstoffhaltige Stoffe 

3 6— 5-4 „ .. 4’1 „ Rohfett 

64”8—72*0 „ „ 69 "2 * stickstofffreie Extractstoffe 

4 6— 5*0 ,. 5*1 „ Holzfaser 

— — „ „ 1*6 „ Asche. 

Von den geschälten Eicheln dürfen 
übrigens, wegen ihres zu hohen Stärkegehaltes 
(nach König im natürlichen Zustande 20 bis 
36%, ausserdem 3—6% Zucker), der leicht 
die Verdauung der übrigen Futternährstoffe 
beeinträchtigt, ebensowenig wie von den 
ungeschälten, grosse Quantitäten pro Haupt 
verfüttert werden. Am besten sind die Eicheln 
als Mastfutter für Ochsen und Schweine 
geeignet, und vertragen die ersteren sogar von 
den ungeschälten Eicheln 2—3 kg pro 
1000 kg Lebendgewicht. Während jedoch die 








EICHELSTEINE. — EIDERSTÄDTER VIEHZUCHT. 


442 

Einen behaupten, dass die Eichelmast einen 
festen, kernigen Speck liefert, wollen Andere 
beobachtet haben, dass danach das Fleisch 
hart und abschmeckig werde. Zu grosse 
Quantitäten sind also auch bei der Mästung 
nicht rathsam, obgleich die Eichelmast ver¬ 
mittelst Austriebes der Schweine in die Eichen¬ 
wälder (s. unter Dangellauf) oft vorwiegend 
auf dem Verzehr von Eicheln beruht. Immerhin 
thut man gut daran, besonders wenn nicht 
ge sch alte Eicheln verfüttert werden, leicht¬ 
abführende Substanzen, wie junges Grün¬ 
futter, Hackfrüchte, Rübenschnitzel n. dgl., 
Kleie etc. mit zu verfüttern, um Verstopfungen 
bei den Thieren zu vermeiden. Ein Theil der 
in den Eicheln (namentlich in den Hülsen) 
enthaltenen bitteren Extractstoffe kann wohl 
durch Kochen beseitigt werden, wodurch aber 
zugleich eine Auslaugung von Nährstoffen 
erfolgt. Den Schweinen muss man übrigens 
die Eicheln stets im gekochten Zustande 
geben, während es sonst meist genügt, die¬ 
selben grob zu schroten. Für Hühner werden 
die gedörrten Eicheln gemahlen, aus dem 
Mehl handgrosse Brote geformt und diese an 
der Luft getrocknet. Das so conservirte Eichel¬ 
mehl soll die Eierproduction befördern. Ueber 
sonstige specifische Wirkungen dieses Futter¬ 
mittels ist nichts Sicheres bekannt. Pott. 

Eiohelsteine, auch Vorhautsteine, Präpu¬ 
tialsteine, sind Steine, die sich im Schlauch 
bei Schweinen, Ochsen und Pferden ent¬ 
wickeln. Bei Pferden sind sie rundlich, braun, 
rauh, mit Spitzen und Fortsätzen versehen, 
werden oft bis zu 30 g schwer und haben einen 
sedimentartigen Kern. Die Präputialsteine des 
Schweines erreichen Wallnuss- bis Hühnerei¬ 
grösse, sind rund oder oval, von weisser oder 
gelblichweisser Farbe und geschichtetem Bau. 
Im Schlauch der Ochsen, die beim Harnen 
nicht gehörig ausschachten, kommen sediment¬ 
artige kleine Sternchen vor. Die operative 
Entfernung der Vorhautsteine ist eine leichte 
(s. Steine, Calculi urinarii praeputiales). Sr. 

Eicheltripper, s. Tripper. 

Eichelwulst, s. Männliches Glied des 
Hundes. 

Eichelzwiebel, s. Männliches Glied des 
Hundes. 

Eichenblätter als Futtermittel, siehe 
Baumlaub. 

Eichenrinde, deren Pulver ein vielfach 
gebrauchtes Adstringens darstellt (s. Quer- 
cus). Vogel. 

Eichhof, Vorwerk der Farm Callen¬ 
berg (s. d.). 

Eid, Juramentum, wird in den streitigen 
Fällen als Beweismittel verlangt und von der 
einen oder anderen Partei geleistet, wo die 
sonst beigebrachten Beweise von den Richtern 
als nicht genügend befunden werden, um ein 
entscheidendes Urtheil zu fällen. Der Eid 
kann aber auch von der einen oder anderen 
der streitenden Parteien für sich (als Ent¬ 
lastungseid) verlangt oder der Gegenpartei 
zugeschoben werden. Die Eidesleistung kann 
von den Parteien oder Zeugen angenommen 
oder zurückgewiesen werden. 


Eid als Beweismittel wird in Thierpro¬ 
cessen in solchen Fällen gebraucht, wo die 
Beweise und Gegenbeweise von den streitenden 
Parteien unsicher und zweifelhaft bleiben. 
Die Entscheidung wird dann von der Eides¬ 
leistung abhängig gemacht, und kann letztere 
entweder vom Richter oder von einer oder 
beiden Parteien verlangt, ihre Zulässigkeit 
muss aber vom Richter stets geprüft werden. 
Die Eidesleistung kann aber auch von der 
einen oder anderen Partei zurückgewiesen 
werden, falls sichere Anhaltspunkte für den Eid 
fehlen. Der einmal geleistete Eid gilt aber als 
unürastösslicher Beweis für den Richter. Sr. 

Eiderstädter Viehzucht. Die in der Pro¬ 
vinz Schleswig-Holstein gelegene Landschaft 
Eiderstadt bildet eine der sog. Seemarschen 
mit äusserst fruchtbarem Boden, welcher all¬ 
jährlich reiche Futterernten und die üppigsten 
Weidekoppeln liefert. Die fragliche Marsch 
grenzt in nordwestlicher Richtung an Dith- 
marsch und liegt zwischen der Nordsee und den 
Flüssen Eider und Hever. Die daselbst vorkom¬ 
mende Rindviehrasse gehört zur Gruppe des 
norddeutschen Niederungsviehes und liefert in 
der Regel sehr schöne, grosse Repräsentanten 
derselben. Die alte Rasse jener Landschaft 
hatte in der Körpergestalt und Zeichnung 
einige Aehnlichkeit mit dem Wilstermarsch¬ 
vieh; durch das neuerdings stark einge¬ 
mischte Shorthorn-Blut ist das Eiderstädter 
Rind zwar breiter und schwerer geworden, 
hat aber etwas Yon seiner früheren guten 
Milchergiebigkeit verloren. Die rasche Ent¬ 
wicklungsfähigkeit sowie auch die Tauglich¬ 
keit zur Mästung ist dadurch zwar wesentlich 
verbessert worden. Die Eiderstädter Kühe 
erscheinen häufig etwas kurzköpfig mit ziem¬ 
lich kurzem Gehörn; ihr Hals ist mittellang, 
stark bewammt, die Brust breit und kräftig; 
ihre Schultern sind fleischig, aber der Leib 
ist nicht so lang wie beim Holländer Vieh. 
Besonders gut entwickelt ist ihr Hintertheil; 
sie haben ein breites Kreuz, welches mit der 
Rückenlinie nahezu eine gerade Linie bildet. 
Früher sah man im Eiderstädtischen viele 
Schwarzschecken, jetzt aber trifft man meistens 
dieselben Färbungen, welche die Shorthoms 
auszeichnen. Ihr Lebendgewicht beträgt 550 
bis 750 kg. Die fetten Ochsen liefern nicht 
selten ein Schlachtgewicht von 500 kg nebst 
80—100 kg Talg. Eine grosse Anzahl der 
letzteren geht Jahr für Jahr über Tönning 
nach London, und es sind daselbst die Eider¬ 
städter ihrer guten Fleischqualität wegen 
sehr beliebt. Die Fettgräsung der Rinder 
bildet in den dortigen Marschen den wich¬ 
tigsten Zweig des ganzen landwirtschaft¬ 
lichen Betriebes. 

Schafe. Die alte kurz- und kahlschwänzige 
Marschschafrasse, welche an vielen Orten des 
westlichen Holstein hauptsächlich vorkam, 
scheint im Aussterben begriffen zu sein; man 
sieht dieselbe nur noch ganz vereinzelt auf 
kleinen Bauernhöfen. Fast überall hat man 
in den Marschen — und so auch im Eider- 
städtischen mit den grossen weissköpfigen 
Rassen Englands, mit Kent-, Lincoln- und 


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EIER. 


443 


Leicesterschafen gekreuzt und daraus eine 
Nachzueht erhalten, welche zwar frühreifer 
und mastfähiger, aber auch häufiger Krank¬ 
heiten unterworfen ist als die alte, unver¬ 
edelte Marschrasse war. Das Wollproduct der 
jetzigen Schafe ist etwas länger undminer 
ira Haar geworden, besitzt auch einen höheren 
Glanz als das früher von der alten Rasse 
gelieferte Product. Die Milchergiebigkeit und 
auch die Fruchtbarkeit sollen durch jene 
Kreuzungen etwas beeinträchtigt sein; Dril¬ 
lingsgeburten, die früher häufig waren, sollen 
jetzt nur höchst selten Vorkommen. Die 
Futteransprüche der dortigen Schafe sind 
nicht geringe; sie fordern im Sommer reiche, 
üppige Weiden und im Winter ein gutes 
Stallfutter, welches hauptsächlich aus Heu 
und einigen Hafergarben besteht. Freytag. 

Eier. Die Eier gehören zu den wichtigsten 
Nahrungsmitteln des Menschen, nicht nur 
wegen der besonderen Nährfähigkeit, die man 
ihnen zuschreibt, und welche sie auch allge¬ 
mein besitzen, sondern auch ihrer Schmack¬ 
haftigkeit wegen, welche sie für sich und in 
Verbindung mit anderen Speisen besitzen. 

Die Eier vieler Vogelarten sowie auch 
einiger Amphibien und Fische dienen dem 
.Menschen als Speise. Als Nahrungsmittel 
können die Eier sämrntlicher Vögel gebraucht 
werden; den ersten Rang nehmen jedoch die 
Hühnereier ein; dann folgen die Eier der 
anderen hühnerartigen Vögel, der Enten und 
Gänse. Die Polarvölker essen die Eier von 
Möven, in den Küstenländern werden die der 
Seevögel genossen, und die Neger und Kaffem 
verspeisen Strausseneier. Am Amazonenstrom 
isst man die Eier vom Kaiman und von 
Schildkröten. Es dienen zu Ernährungs¬ 
zwecken in manchen Ländern die Eier gewisser 
Fische, die dieselben Bestandtheile wie die 
Vogeleier enthalten. Der Rogen des Lachses 
und Kabeljaus wird im getrockneten Zu¬ 
stande vielfach verbraucht, während der Rogen 
des Störes-und verwandter Fische gesalzen 
als Caviar verzehrt wird. Auch von Forellen-, 
Karpfen-, Hechtendem macht die Küche Ge¬ 
brauch als Einlage in die Suppen. Im süd¬ 
östlichen Europa wird der Rogen einiger 
Fische gepresst und getrocknet und eine Art 
von Käse daraus bereitet. 

Die Hühnereier erscheinen gegenwärtig 
im Handel nach Grössen mit verschiedenen 
Preisen sortirt. Die kleineren Eier wiegen etwa 
45—50 g, die von mittlerer Grösse etwa 55 
bis 60 und die der grösseren 70—80 g und 
darüber per Stück. Diese schwereren Eier 
sind ein Erfolg der Fortschritte in der Ge¬ 
flügelzucht und werden nur von den verbes¬ 
serten Hühnerrassen geliefert; die Eier der fran¬ 
zösischen Crevecoeurs-, Lafleche- und Houdan- 
Hühner wiegen durchschnittlich 80 g, die der 
Spanier durchschnittlich 75 und die der 
Italiener wiegen 7! g. Die Eier der sonst so 
schweren Cochins kommen nur auf 65. Es 
ist demnach begreiflich, dass es ein dringender 
Wunsch der Geflügelzüchter ist, dass der 
Handel der Eier nach dem Gewichte und 
nicht mehr nach der Zahl stattfinde (Dutzend 


oder Hunderte); es würde dies zur Hebung 
der Hühnerzucht viel beitragen. Die Enten¬ 
eier sind durchschnittlich 50 g schwer, und 
die Eier der Gans wiegen zwischen 160 und 
200 g; es gibt indes auch noch schwerere. 

Beim Hühnerei beträgt die Schale nach 
Pront etwa 10% des Gesammtgewichtes (bei 
den kleinen etwas mehr), und das Eiweiss 
steht zum Dotter ungefähr in dem Verhältnis 
von 67 zu 33 oder 2 zu 1. Die chemische 
Zusammensetzung des Hühnereies in toto ist: 

Asche. 1*0% 

Eiweiss. 14*2 „ 

Fett. 10*9 „ 

Wasser. 73*9 „ 

Nach Voit finden sich im Eiweiss 

85*9 Wasser und 14*1 feste Stoffe, wovon 
13*3 Eiweisstoffe; im Dotter 54 Wasser und 
46 feste Stoffe, wovon 15*4 Eiweiss und 
28*8 Fett und ähnliche Stoffe; in der Schale 
sind 6*3 Eiweisstoffe und 4*9 Fett. 

Im Caviar fand Payer 37*5 Wasser und 
62*5 Trockensubstanz, wovon 28 Eiweiss¬ 

stoffe, 16 Fett und 9 Salze. 

Im Fischrogenkäse fand Kletzinsky 19 *4 
Wasser und 80*6 Trockensubstanz, wovon 
34*8 Eiweisstoffe, 28*9 Fett und 10*6 Salze. 

Die Eier haben einen hohen Nährwerth, 
es hängt dies aber ganz von der Aufschliess- 
barkeit ab. Die Verdaulichkeit der Eier richtet 
sich wesentlich nach dem Zustande, in welchem 
sich der Hauptbestandteil, das Eiweiss, be¬ 
findet. Geronnen und hartgesotten sind die 
Eier schwer verdaulich und geben ein Sätti¬ 
gungsgefühl, welches nicht im Einklänge mit 
der Quantität der Nahrung steht; sie erfor¬ 
dern eine stärkere Speichelabsonderung und 
brauchen längere Zeit als andere thierische 
Nahrungsmittel, um im menschlichen Darme 
ausgenützt zn werden. Geronnen und zer¬ 
rieben, wie im Pfannkuchen, bieten sie diese 
Schwierigkeiten nicht. Rohe Eier sind unter 
allen Verhältnissen leichter zu verdauen; da 
jedoch die dichte, gallertartige Masse der 
Albuminate in unlöslichen Zellen einge¬ 
schlossen ist, so wird es leicht erklärlich, 
warum die gründlich gequirlten Eier leicht 
zu verdauen sind, so leicht, dass sie manchmal 
bei den schwersten Magenkrankheiten noch 
die einzige Speise abgeben, welche lediglich 
ertragen wird. Auch nur halbgeronnene, weich¬ 
gesottene, sog. wachsharte Eier sind leichter 
zu verdauen, weil die Zellen durch das Kochen 
zerreissen. Da die Eier eine sehr concentrirte 
Albuminatlösung bilden, so wird man ihre 
Verdaulichkeit erhöhen, wenn man sie mit einer 
nicht bis zum Gerinnungspunkte des Eiweiss 
gewärmten Fleischbrühe verdünnt. Bekannt¬ 
lich trägt eine schwache Ansäuerung eben¬ 
falls zur Verdaulichkeit bei; es ist deshalb 
die Beigabe gesottener Eier zu Salaten eine 
ebenso rationelle als für den Geschmacksinn 
zusagende Combination. Der Zusatz von Koch¬ 
salz, schon durch den etwas faden Geschmack 
geboten, fördert ebenfalls die Verdaulichkeit 
der Eier. Auch der Caviar hat einen* sehr be¬ 
deutenden Nährwerth; schaden kann er nur 







444 


EIER. 


in grösseren Quantitäten, hauptsächlich durch 
seinen grossen Salzgehalt. 

Die Quantität Eier, welche ein Huhn 
jährlich legt, ist sehr verschieden; sie hängt 
ab von der guten Besorgung,, warmen Ställen, 
saftiger Fütterung und auch von der Rasse. 
Darum unterscheidet man die Rassen, welche 
sich durch reichliches Eierlegen auszeichnen, 
und nennt sie Leghühner, von den anderen, 
die sich durch Fjeischproduction auszeichnen; 
als ausgezeichnete Leghühner gelten die 
Italiener und Spanier, welche durchschnittlich 
im Jahre 200 Eier legen und bisweilen mehr; 
die Tonkins und Brahmas hingegen bringen 
es kaum auf 400, höchstens 120. Bei den 
Enten gibt es Rassen, welche 120—150 Eier 
per Jahr liefern: die meisten bleiben unter 
dieser Zahl. 

Im Jahre 1868 schätzte man die Production 
von Hühnereiern in Frankreich auf 3 Milliarden 
Stück; im Jahre 1882rechnete manöOMillionen 
mehr, welche einen Geldwerth von 183,500.000 
Francs haben. Von diesen Eiern gehen mehr 
denn 100 Millionen nach England; Paris con- 
sumirte im Jahre 1850 170 Millionen Eier, 
im Jahre 1860 260 Millionen, im Jahre 1872 
287 Millionen, im Jahre 1882 nahe bei 
300Millionen, im Gewichte von 17,160.000 kg: 
es wurden 21 Millionen Kilogramm in Paris 
eingeführt, von diesen aber wieder 4 Millionen 
weiter spedirt; der Preis hat sich von 50 Frcs. 
das Tausend auf 82 Frcs. erhoben. Italien ex- 
portirte im Jahre 1875 nur 45.000kg Eier; 
im Jahre 1878 152.000 kg und seit Eröffnung 
der Gotthardbahn ca. 400.000 kg. Deutschland 
sollte nach Baldamus rund 1 Million Kilo¬ 
gramm von Eiern mehr produciren ; es würde 
diese Zahl jedoch den Bedarf nicht decken, 
denn es werden nur 1.784,000.000 Stück pro- 
ducirt und von 10 zu 13 Millionen Kilogramm 
mehr eingeführt als ausgeführt, also von 200 
bis 2q0 Millionen Stück. 

In der Nähe der Städte hat sich seit 
einigen Jahren ein ziemlich lebhafter und 
vortheilhafter Verkauf von frischgelegtenEiern 
entwickelt; solche Eier sind von grösserem 
Wohlgeschmack als ältere und werden gern 
mit höheren Preisen bezahlt. Es wird durch 
gute Pflege der Hühner erreicht, dass diese 
selbst in den späteren Herbstmonaten und 
* imWinter legen, besonders bei gewissen Rassen 
(Italiener, Spanier, Houdans u. s. w.), und so 
machen die Züchter ein gutes Geschäft. Für 
den gewöhnlichen Verbrauch der Küche würden 
andere frische Wkitereier zu theuer und nicht 
zu beschaffen sein. Man hat deshalb von 
altersher nach Mitteln gesucht, um die 
Sommereier für den Winterverbrauch gut zu 
erhalten, zu conserviren. 

Da die Eier in der geschlossenen und 
im Allgemeinen schwer durchdringlichen 
Schale sich befinden, so verlieren sie beim 
aufbewahren, durch Verdunsten des Wassers, 
Aohl an Gewicht, von 20—40 mg im Tage; 
wllein sie erleiden hiebei, wenn sie unver¬ 
sehrt sind, nur langsam Veränderungen, welche 
bei ande'ren thierischen Substanzen rasch ein- 
treten. Die Schalenhaut der Eier hat zwei 


Blätter, und zwischen diesen bildet sich beim 
Aufbewahren des Eies an dessen dickem Theile 
ein lufterfüllter hohler Raum. Frisch ge¬ 
legte Eier haben noch keinen Luftraum, und 
diese;; entsteht erst später und vergrössert 
sich, je älter das Ei wird. Diese Luft dringt 
von aussen in das Ei und enthält die gleichen 
Mikroorganismen wie die äussere Luff, und 
unter dem Einfluss der Luft dieses Raumes 
tritt mit der Zeit das Faulen des Eies ein. 
Die Fäulniss der Eier macht dieselben als¬ 
bald ungeniessbar, da sich dabei aus dem 
Eiweiss sofort Schwefelalkali abspaltet, aus 
welchem durch die im Dotter freiwerdende 
Phosphorsäure und fetten Säuren sodann 
stinkendes Schwefelwasserstoffgas * abge¬ 
schieden wird. Der leitende Gedanke bei der 
Conservirung der Eier wird demnach sein, 
möglichst zu verhindern, dass Luft durch die 
Poren der Schale eindringt: dies geschieht, 
indem man die Eier einhüllt in Kalk, Lehm, 
Del u. s. w. Das Einlegen in Kalk ist sehr 
häufig gebraucht: allein das Eiweiss der auf 
diese Weise conservirten Eier lässt sich nicht 
zu dem in der Küche oft so nöthigen Schaum 
schlagen, und die Schalen springen gern im 
kochenden Wasser. Besser ist die Einhüllung 
der Eier in Lehm, von welchem man mit 
Wasser einen dünnen Brei macht, die Eier 
hinein taucht und sie dann trocknen» lässt. 
Das Einlegen der Eier in Asche, Sägespäne, 
Spreu und Aehnliches hilft auch zur Conser¬ 
virung, aber die Eier trocknen ein und halten 
sich nicht so lange. Das Einreiben der Eier 
mit fein gepulvertem Kochsalz und dann 
während 3 Stunden in Salzwasser liegen lassen 
ist ein lang erprobtes Mittel und erhält den 
Eiern ihren Wohlgeschmack. Das Einlegen 
der Eier in eine 5%ige Lösung von Salicyl- 
säure hat sich auch als gut erwiesen. Das 
Einfachste und Sicherste ist der Ueberzug 
der Eier mit einer Ofelschichte oder mit ge¬ 
schmolzenem Paraffin. Die Eier werden dann 
in ihrer natürlichen Lagö oder mit dem 
stumpfen Ende nach oben und ohne jegliche 
Unterlage in Kästen, Töpfe u. s. w. gelegt, 
welche in trockene, kühle, aber frostfreie 
Räume zu stellen sind. Am besten halten sich 
die Frühsommereier, sie sind zugleich die 
billigsten: auch müssen so viel wie möglich 
die hartschaligen ausgesucht werden. Für 
technische Zwecke wird oft das Ei-Albumin 
ein getrocknet; da dies nur bei sorgfäftiger 
Bereitung geschieht, durch Eintrocknen unter 
60° C., so werden diese Präparate auch für 
die Küche und namentlich für die Kuchen¬ 
bäckerei gebraucht, wo man selbst den Dotter 
als Conserve eintrocknet; der conservirte Ei¬ 
dotter enthält nur noch 4*75% Wasser, das 
Eiweiss 7%. Die Eier haben einen unschätz¬ 
baren Vorzug vor den meisten Nahrungsmitteln 
darin, dass sie nicht verfälscht werden. Es 
hat also die Controle des Eiermarktes wenig 
zu thun und nur verdorbene* Eier auszu¬ 
scheiden. Man erkennt frische Eier daran, 
dass sie transparent sind, was man mit der 
Lichtprobe ira dunklen Raume erkennt; dass 
sfe specifisch schwerer als Wasser sind und 



EIER ALS FUTTERMITTEL. — EIERSTOCK. 445 


nicht schwimmen (was bei seit einiger 
Zeit conservirten der Fall ist); dass sie nicht 
schwappen. Der Geruch der faulen Eier lässt 
sich durch die Schale nicht bemerken. 

Erfrorene Eier sind nicht ganz zu ver¬ 
werfen; man legt sie in Schnee o’der kaltes 
Wasser, bis sich der Frost, wie man sagt, 
herausgezogen hat, bis sie langsam aufge- 
thaut sind. Dann darf man sie nicht lange 
aufhebe»,-da sie leicht und schnell verderben. 
Sie haben jedoch an Geschmack verloren und 
können, wenn sie starkem Froste länger aus¬ 
gesetzt waren, für die Köche unbrauchbar 
werden. 

Im Innern der Eier werden in seltenen 
Fällen lebende pflanzliche und thierische 
Organismen aufgefunden; doch ist nicht be¬ 
kannt, dass durch den Genuss von Eiern 
Krankheitserreger auf den Menschen über¬ 
tragen worden wären. Zundel. 

Erer als Futtermittel. Mit der Schale 
zerdrückt und zerrieben, dienen die Hühner¬ 
eier gelegentlich zur Fütterung der Kälber 
und von Zuchthengsten. Nach König setzt 
sich das Hühnerei durchschnittlich aus 
14% Schalen, 54% Eiweiss und 32% Eigelb 
zusammen. Der Gesammtinhalt (Eiweiss und 
Eigelb) besteht im Mittel aus 73*67% Wasser, 
12*55% stickstoffhaltigenStoffen, 12*11%Fett, 
0*55% sonstigen stickstofffreien Stoffen und 
112% Asche. Die Eierschalen enthalten 89 
bis 97% kohlensaures Calcium, 0—2%kohlen¬ 
saure Magnesia, 0*5—5% Magnesium- und 
Calciumphosphat und 2—5% organische Sub¬ 
stanzen. Der Geschmack wie auch die Zu¬ 
sammensetzung der Eier richten sich wesent¬ 
lich nach dem Futter der eierlegenden Thiere. 
Alle Vogeleier sind aber einander sehr ähn¬ 
lich zusammengesetzt und bilden im unver¬ 
dorbenen Zustünde ein ebenso schmackhaftes 
als leichtverdauliches und sehr nahrhaftes, 
leider aber wohl meist zu kostspieliges Futter¬ 
mittel. Am nährstoffreichsten ist das Eigelb, 
welches auch vorwiegend phosphorsaure Salze 
enthält, während sich in dem viel wasser¬ 
reicheren und fettarmen Eiweiss vornehmlich 
an Chlor gebundenes Kalium und Natrium 
vorfinden. 

Mastkälbern gibt man pro Kopf und 
Tag 3—6 Stück zerdrückte, in der Futter¬ 
milch verrührte Eier, wonach dieselben ein 
besonders wohlschmeckendes Fleisch liefern. 
Zuchthengsten gibt man in derselben 
Weise 10—15 Stück, wenn dieselben als Be¬ 
schäler sehr stark in Anspruch genommen 
wurden; sie sollen sieh mit einem solchen 
Beifutter um so schneller erholen. Polt. 

Eierhacke, Piephacke, Capelet wer¬ 
den als gleichbedeutend für verschiedene 
Arten von Geschwülsten gebraucht, welche 
an demFersenbeinhöckeroderin dessennächster 
Nähe vorkomfnen. Diese können bedingt sein 
durch Quetschung,. Entzündung, Sclerose der 
Haut und des Unterhautbindegewebes, Hy- 
gromen des aU dieser Stelle vorfindlichen 
Stfhleimbeutels, Entzündung und Ausdehnung 
der Scheide der Achillessehne, Entzündung 
und Verdickung der Achillessehne, Knochen¬ 


neubildung am Fersenbeinhöcker. Sache des 
behandelnden Thierarztes ist es, in jedem 
Falle die richtige wissenschaftliche Diagnose 
»u stellen. Da unter diesen Worten so viele 
ganz verschiedenartige Processe subsumirt 
sind, ist es auch nicht Thöglich, ein für alle 
Fälle passendes Bild zu entwerfen. Auch die 
Prognose wird sich entsprechend der Dignität 
des jeweiligen Leidens ganz verschieden ge-* 
stalten. Insolange Entzündungserscheinungen 
an der Geschwulst -vorhanden sind, mag 
diese nun *in welchem Theile immer ihren 
Sitz haben, werden Functionsstörungen wahr¬ 
zunehmen sein, nämlich Behinderung in der 
Bewegung des Sprunggelenkes; sonst stellen 
die Eierhacken in der Regel nur Schönheits¬ 
fehler dar. Sie verdanken ihr Entstehen meist 
mechanischen Einwirkungen, wiederholtem 
Anschlägen mit dem Fersenbeinhöcker gegen 
feste Gegenstände: sie finden sich daher auch 
häufig bei boshaften Pferden (Schlagern). 
Auch die Behandlung wird sich nach den 
verschiedenen Processen und den Stadien, 
in welchen sie sich befinden/ richten müssen 
— Antiphlogose, resorbirende, scharfe Mittel. 
Es muss aber hervorgehoben werden, dass 
alle derartigen Geschwülste meist jeder Be¬ 
handlung trotzen, ja dass oft in Folge der¬ 
selben die Sache noch schlechter wird; es 
gilt dies besonders von operativen Eingriffen, 
zu welchen man sich nur äusserst selten ent¬ 
schlossen dürfte. Bayer. 

Eierstock. Anatomie. Die Eierstöcke 
(ovaria), die keimbereitenden und demge¬ 
mäss wichtigsten Organe des weiblichen 
Geschlechtsapparates, sind den Hoden der 
männlichen Thiere an die Seite zu stellen und 
daher auch wohl als weibliche Hoden 
(testes muliebres) bezeichnet worden. Sie 
stellen bei allen Säugethieren, mit Ausnahme 
der Cloakenthiere (Monotremen), paarige Or¬ 
gane dar, welche stets innerhalb der Bauch¬ 
höhle hinter und unter den Nieren in der 
Lendengegend, liegen und durch das breite 
Mutterband sowie durch besondere Bauchfell¬ 
falten mit dem vorderen Ende der Gebär- 
mutterhömer (Fig. 449 Gh) verbunden werden. 

Die Eierstöcke der Einhufer unter¬ 
scheiden sich in mannigfacher Beziehung* von 
denen der Wiederkäuer, Schweine und Fleisch¬ 
fresser, zeigen auch auffallende Verschieden¬ 
heiten in der frühesten Jugendzeit und im 
späteren Lebensalter diesefThiere. Sie besitzen 
schon während der letzten Zeit der fötalen 
Entwicklung dieselbe Grösse wie beim erwach¬ 
senen Thier und stellen zu dieser Zeit und 
in den ersten Monaten des extrauterinen 
Lebens eiförmige, seitlich etwas zusammen¬ 
gedrückte Organe von Weicher Consistenz und 
dunkelbrauner Farbe dar. An dem längeren, 
stark convexen Rand befestigt sich das breite 
Mutterband, durch welches der Eierstock aufge¬ 
hängt wird. Dieser Rand heisst, weil die Ge- 
fässe an demselben in den Eierstock treten, 
der Gefässrand; er wird ebenso wie die 
ans tossenden Theile der Seitenflächen von 
dem Epithel des Bauchfelles bedeckt. An das 
vordere Ende des Randes heftet sich die 


iti ^-by 


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446 


EIERSTOCK. 


Franse des Eileiters, an das hintere das Eier¬ 
stocksband an. Den gegenüberliegenden, 
unteren, kürzeren, schwächer convex gekrümm¬ 
ten Rand bekleidet ein Epithel, welches 
sich auch auf die benachbarten Theile der 
Seitenflächen fortsetzt und sich deutlioh von 
dem glänzenderen Epithel des Bauchfelles 
durch das mattgraue, feingrubige, sammet¬ 
ähnliche Ansehen absetzt. Das zuletzt be¬ 
schriebene Epithel besteht aus hohen cylin- 
drischen Zellen und hat den Namen Keim¬ 
epithelerhalten, der von demselben bedeckte 
Theil des Eierstockes wird als Keimplatte 
bezeichnet. 

Auf Durchschnitten des Eierstockes sieht 
man, dass das Organ aus zwei verschiedenen 
Gewebsschichten besteht. Der Keimplatte ent¬ 
spricht die Rindenschicht, Rindenzone 
oder Parenchymzone, während der übrige 
Theil des Eierstockes durch die Markzone, 
Gefässzone oder das Keim lag er gebildet 
wird und im Wesentlichen aus Bindegewebs- 
strängen, Bündeln von organischen Muskel¬ 
fasern und zahlreichen Gemssen besteht. 

Diese Beschaffenheit behalten die Eier¬ 
stöcke der Einhufer meistens bis zur zweiten 
Hälfte des ersten Lebensjahres; sie ent¬ 
spricht derjenigen, welche die Eierstöcke der 
übrigen Haussäugethiere die ganze Lebenszeit 
hindurch erkennen lassen. Bald etwas früher, 
bald etwas später ändern die Eierstöcke der 
Einhufer (Fig. 449 E) während des ersten 
Lebensjahres ihre Form; sie krümmen sich 
derartig, dass das hintere Ende sich dem 



Fig. 440. Rechter Eierstock und Eileiter der Stute von 
unten und aussen gesehen. E Eierstock, Eil Eileiter, 
Elf Eileiterfalte, Eb Eierstocksband, Et Eierstockstasche, 
Gh Gebannutterhorn, b>[ breites Mutterband, rM rundes 
Mutterband, 1 Einschnitt des Eierstockes, 2 Emissions¬ 
grube des Eierstocks. ?, Eierstocksfranse, 4 Isthmus des 
Eileiters, f» Ampulle des Eileiters, 6 Fransen des Eileiters, 
7 Raucht.ffriung des Eileiters (in derselben steckt die 
Sonde a b). 


vorderen nähert, und dass der Rand, wel¬ 
cher der Keimplatte entspricht, einen tiefen 
Einschnitt (Fig. 449,1) bildet. Nach dem letz¬ 
teren rückt der Bauchfellüberzug weiter vor, 
so dass derselbe, indem er sich gleichzeitig 
bedeutend * verdickt, schliesslich einen Sack 
darstellt, welcher den ganzen Eierstock um¬ 
hüllt bis auf eine sehr enge Oeffnung oder 
Grube an der tiefsten Stelle des vorhin ge¬ 
nannten Einschnittes. Die Kennplatte nimmt 
in dem Masse, in welchem diese Veränderungen 
eintreten, an Umfang ab, an Dicke dagegen zu 
und wandelt sich, indem sie die Gefässzone 
verdrängt, allmälig in die Masse des reifen 
Eierstockes — in das Stroma desselben — um. 

Der Eierstock behält nunmehr für die 
übrige Zeit des Lebens eine bohnenförmige Ge¬ 
stalt; man kann an demselben eine äussere und 
innere gewölbte Seitenfläche, einen unteren 
stark convexen und einen oberen tief einge¬ 
schnittenen Rand sowie ein vorderes und hin¬ 
teres abgerundetes Ende unterscheiden. Nur 
in der Tiefe des eingeschnittenen Randes 
bleibt die Oberfläche des Eierstockes unbe¬ 
deckt von dem festen und stark verdickten 
Bauchfellüberzuge. mit welchem sie sich im 
Uebrigen durch Bindegewebe ziemlich fest 
vereinigt. 

Auf Durchschnitten des reifen Eierstockes 
lassen sich die beiden oben genannten, als 
Rinden-, bezw. Gefässzone bezeichneten ver¬ 
schiedenen Gewebe nicht mehr unterscheiden. 
Der Eierstock besteht nunmehr aus einer 
gleichmässigen, festen, hellgelblichen Masse 

— dem Stroma — und aus meist sehr zahl¬ 
reichen, in die letztere eingebetteten Bläschen 

— den Graafschen Follikeln oder Ei¬ 
follikeln. 

Das Stroma wird durch \Bindegewebs- 
züge, welche sich vom concaven Rande aus 
strahlenförmig und unter vielfachen Thei- 
lungen in das Innere hineinziehen, aus orga¬ 
nischen Muskelfasern und aus Blutgefässen 
gebildet, von denen die stärkeren spiralig 
gedreht oder geschlängelt verlaufen. 

Die Graafschen Follikel sind theils 
mikroskopisch klein, theils erreichen sie eine 
bedeutende Grösse, selbst die einer starken 
Erbse oder noch darüber. Die kleineren finden 
sich im Innern, die grösseren mehr an der 
Oberfläche des Eierstockes, über welche sie 
nicht selten sogar hervorragen. Jeder Graaf- 
sche Follikel wird von einer festen binde¬ 
gewebigen Membran (theca folliculi) um¬ 
schlossen, an welcher man zwei verschiedene 
Schichten unterscheiden kann,, und enthält 
eine klare, hellgelbe, eiweisshaltige Flüssig¬ 
keit (liquor folliculi), welche den Follikel 
derartig an füllt, dass die Wand desselben 
stets prall erscheint. Die äussere Fläche 
der Follikelmembran ist mit dem Stroma 
des Eierstockes verbunden, die innere wird 
von einem geschichteten Epithel bedeckt, 
welches in seiner Gesammtheit die Körner¬ 
haut (membrana granulosa) zusammensetzt. 
Die letztere wuchert an einer Stelle in Gestalt 
eines kleinen Vorsprunges in das Innere des 




EIERSTOCK. 


447 


Follikels hinein und bildet auf diese Weise 
den Keimhügel oder die Keimscheibe 
(cumulus s. discus ovigerus, oophorus s. pro- 
ligerus), welcher das Ei (ovulum [s. d.]) ein- 
schliesst. 

Die Eier können nur durch Bersten der 
Graafschen Follikel frei werden und in den 
Eileiter gelangen (s. Ovulation). Da die Eier¬ 
stöcke der geschlechtsreifen Einhufer, wie 
oben erwähnt, bis auf die kleine Grube in 
der Tiefe des concaven Randes von der Bauch¬ 
haut eingeschlossen sind, so liegt es auf der 
Hand, dass der Austritt der Eier nur durch die 
Oeffnung in derTiefe jener Grube erfolgen kann, 
welche demgemäss als Emissionsgrube 
(Leisering), Keimplattengrube (Franck) 
oder Ovulationsgrube (Born) (Fig. 449, i)' 
bezeichnet worden ist. 

Das Bersten der Graafschen Follikel ist 
bei den Einhufern mit einem Bluterguss ver¬ 
bunden, welcher die Höhlung des geplatzten 
Follikels ausfüllt. Von der Innenfläche der 
Follikel wand geht sodann eine Wucherung 
aus, welche die durch das Bersten entstan¬ 
dene Lücke mit einer weichen braunrothen, 
oft recht umfangreichen, nicht selten durch 
die Emissionsgrube nach aussen hervor¬ 
ragenden Masse schliesst. Diese Masse zieht 
sich allmälig immer stärker zusammen, be¬ 
kommt eine gelbgraue oder röthlichgelbe Farbe 
und eine festere Consistenz; sie stellt nun¬ 
mehr einen gelben Körper (corpus luteum) 
des Eierstockes dar, als dessen letzte Spur 
eine grauschwärzliche Stelle übrig bleibt. Die 
gelben Körper sind daher im Wesentlichen 
als Narben anzusprechen, welche die durch 
das* Bersten der Graafschen Follikel entstan¬ 
denen Substanzverluste wieder ausgleichen. 
Der genannte Process der Narbenbildung geht, 
wenn das beim Bersten der Graafschen Follikel 
freigewordene Ei befruchtet wurde, langsamer 
von statten als unter entgegengesetzten Ver¬ 
hältnissen. Hienach hat man wahre und falsche 
gelbe Körper unterschieden. 

Am vorderen Ende des Einschnittes, in 
dessen Tiefe sich die Emissionsgrube des 
Eierstockes befindet, heftet sich die am Rande 
ein'gekerbte Platte an, welche die Bauch- 
öffnung des Eileiters enthält — Eierstocks¬ 
franse (Fimbria ovarii, Fig.44 9,3). Der Eileiter 
selbst wird von einer Bauchfellduplicatur — 
der Eileiterfalte (Fig.449 Elf) — einge¬ 
schlossen, welche von der Eierstocksfranse bis 
zur Spitze des Gebärmutterhorns (Fig. 449 Gh) 
derselben Seite verläuft oder noch eine Strecke 
weiter nach hinten am convexen Rande des 
Hornes verfolgt werden kann; sie geht all¬ 
mälig in die untere Fläche des breiten Mutter¬ 
bandes (Fig. 449 bM) über. Vom hinteren Ende 
des Eierstockes läuft eine zweite Bauchfellfalte, 
welche namentlich in der Nähe des freien 
Randes starke Züge von organischen Muskel¬ 
fasern einschliesst und Eierstocksband 
(ligamentum ovarii [Fig. 449 Eb]) genannt 
wird, zum vorderen Ende des entsprechen¬ 
den Gebärmutterhomes, an dessen concavem 
Rande sie sich in der oberen Fläche des breiten 
Mutterbandes verliert. Zwischen diesen beiden 


Bauchfellfalten bleibt eine tiefe dreieckige, 
nach unten, offene Grube, die Eierstocks¬ 
tasche (Fig. 449 Et), welche aussen von 
der Eileiterfalte, innen von dem Eierstocks¬ 
band, oben durch den Eierstock selbst be* 
grenzt wird. 

Die Eierstöcke der Wiederkäuer, 
Schweine und Fleischfresser unter¬ 
scheiden sich von denen der Einhufer dadurch, 
dass sich der Bauchfellüberzug oder vielmehr 
das Bauchfellepithel nicht Über den ganzen 
Eierstock erstreckt, sondern auf die nächste 
Nähe des Randes beschränkt bleibt, an 
welchem sich das breite Mutterband anheftet. 
Das Keimepithel bedeckt die ganze übrige 
Oberfläche des Eierstockes, dieselbe erhält 
häufig durch die Graafschen Follikel, welche 
die Oberfläche überragen, und durch die gelben 
Körper ein unebenes, höckeriges, bezw. nar¬ 
biges Ansehen. Die mit Keim- und die mit 
Bauchfellepithel bekleideten Stellen der Ober¬ 
fläche unterscheiden sich schon für das blosse 
Auge durch die . Verschiedenartigkeit des 
Glanzes und setzen sich an einer meist mehr 
oder minder ausgezackten Linie deutlich von 
einander ab. Bei einer derartigen Einrichtung 
kann selbstverständlich die Lösung der Eier 
vom Eierstock an dem ganzen Theil der Eier¬ 
stocksoberfläche erfolgen, welche vom Keim¬ 
epithel bedeckt wird. 

Die Eierstöcke der Kuh (s. Fig. 450 und 
Abbildung bei dem Artikel Gebärmutter) 
sind im Verhältniss zu denen der Stute kleine 
Organe (Fig. 450 O) von ovaler Form, ohne 
Einschnitt an beiden convexen Rändern, und 
so plattgedrückt, dass sie einen nur gerin¬ 
gen Dickendurchmesser besitzen. Sie liegen 



Fig. 450. Rechter Eierstock und Eileiter der Kuh. 0 Eier¬ 
stock, U Gebärrautterhorn, S Eierstocksband, R Falte des 
Bauchfelles, L breites MutterbamL, 1/ vorderer Rand des 
breiten Mutterbandes, A Eierstocksarterie, V Eierstocks- 
veno, T Ampulle des Eileiters, I Isthmus des Eileiters, 
X Bauchöffnung, des Eileiter-, Z EinmQnduug des Ei¬ 
leiters in das Cfebärrnutterhorn, P Franse des Eileiters. 








448 


EIERSTOCK. 


nahe der Spitze des entsprechenden Gebär¬ 
mutterhorns (Pig. 450 U); das kurze, aber 
starke Eierstocksband (Fig. 450 L) und die 
Eileiterfalte begrenzen eine breite, jedoch 
flache Eierstockstasche. Bei dem Schafe 
und bei der Ziege sind die verhältniss- 
mässig grösseren Eierstöcke weniger platt¬ 
gedrückt, fast rundlich, • verhalten sich im 
Uebrigen jedoch ähnlich denen des Rindviehs. 

Die Eierstöcke des Schweines (Fig. 
451 aa) habeh eine Form ähnlich der bei den 
kleinen Wiederkäuern, besitzen jedoch eine 
unebene, höckerige Oberfläche, erscheinen 
sogar mitunter lappig. Sie werden beinahe 
vollständig von der stark entwickelten Eier¬ 
stockstasche eingeschlossen. 



Bei den Fleischfressern liegen die 
Eierstöcke dicht hinter den Nieren ganz 
versteckt in einer Tasche, welche bei der 
Hündin meist, stark von Fett umhüllt wird 
und sich durch eine engere, bei der Katze 
durch eine weitere Spalte nach unten öffnet. 
Von der Spalte zieht sich eine stark ent¬ 
wickelte bandartige Bauchfellfalte nach hinten 
bis zur Spitze der Gebärmutterhörner, nach 
vorne noch deutlicher abgesetzt bis zu den 
Nieren. Die Eierstöcke selbst sind länglich¬ 
rund und erhalten durch die Graafschen 
Follikel, welche die Oberfläche überragen, 
nicht selten ein höckeriges Ansehen. 

Charakteristisch für den weiblichen Ge¬ 
schlechtsapparat der Vögel ist, dass zwar 
ursprünglich die Anlage zu paarigen Eier¬ 
stöcken vorhanden ist, dass jedoch der rechte 
Eierstock mit seinem Eileiter im Verlauf der 
weiteren Entwicklung so vollständig ver¬ 
kümmert, dass oft nicht die geringste Spur 
von demselben übrigbleibt. Nur sehr wenige 
Arten der Raubvögel besitzen einen rechts¬ 
seitigen Eierstock und Eileiter oder rudi¬ 
mentäre Andeutungen von solchen, und das 
letztere ist auch bei einigen Papagei-Arten 
der Fall. Der linke Eierstock (Fig. 452 e) 
erlangt eine verhältnissmässig bedeutende 
Grösse und besteht im Wesentlichen aus einer 


Platte,*an welcher man zwei derGefäss-und der 
Rindenzone des Säugethifer- Eiersteckes ent¬ 
sprechende Schichten unterscheiden kann. 
Die Gefässzone hat zahlreiche Fortsätze, 
welche der Oberfläche des Eierstockes ein 
gefaltetes Ansehen verleihen und von der 
Rindenzone bedeckt werden. An diesen Fort¬ 
sätzen hängen zahlreiche Eier, welche den 
Graafschen Follikeln entsprechen, in sehr 



Fig. 452. Eieratock und Eileiter des Huhnes, e linker Eier¬ 
stock, e' Narbe, o" Kelch, e"' Ei in Gestalt einer grossen 
Dotterkugel, f Bauchöffnung des linken Eileiters, ff Ei- 
h&lten, f" Eileiter, f'" Einmündüng des Eileiters in die 
Cloake, g Gekröse des Eileiters, h Cloake, a Schlund, 
b Luftröhre, c c Lungen, verdeckt durch d das rudimen¬ 
täre Zwerchfell. 

verschiedenen Zuständen der Entwicklung wie 
die Beeren an einer Traube. Die Eier stellen 
theils kleine weis^liche Bläschen, theils klei¬ 
nere oder grössere gelbe Dotterkugeln dar, 
von denen die grösseren am stärksten in 
die Körperhöhle hineinragen. Jedes Ei wird 
zunächst von einer zarten Haut — Dotter¬ 
haut — und nach aussen noch von einer 
festeren Membran umhüllt,’ beide Häute sind 
gefässreich. An der äusseren Umhüllungs¬ 
membran markjrt sich gegenüber dem Stiel, 
welcher die Verbindung mit dem Eierstock 
herstellt, eine kreis- oder bogenförmig ver¬ 
laufende Linie — die Narbe (stigma [Fig. 
452 e']). An der letzteren reisst die Umhül¬ 
lungsmembran, um das reif gewordene, noch 
von der Dotterhaut eingeschlossene Ei aus*- 
treten zu lassen; die leer gewordene Hülle 
bildet dann eine am Eierstock haftende 
becherförmige Höhle— Kelch (calyx — 
[Fig. 452 ee"]), welcher nach und nach ver¬ 
schwindet. Müller . 






I 


EIERSTOCK. 


449 


Hist olo gie. Hinsichtlich der Textur eines 
entwickelten Säugethier-Eierstockes (Fig. 453) 
unterscheidet man folgende Hauptbestand¬ 
teile: Die äusserste Partie, die freie und so¬ 
weit nicht von der Bauchfellserosa über¬ 
zogene Oberfläche des Organes, sog. Keim¬ 
platte wird von einer einschichtigen Lage 
Cylinderepithelien gebildet (Keimepithel); 
unter dieser Schichte liegt eine verschieden 
breite, aus sehr zellreichem Bindegewebe her- 
gestellte Zone (Rindenschicht, Parenchym¬ 
zone), in welcher die Eier und die Graaf- 



Fig. 453. Schnitt durch den Eierstock eines jungen 
Schweines, a Stroma (Parenchymzone), b Keimepithel, 
c Primordialfollikel mit Primordialei, d entwickeltes Ei 
in einem reifen Follikel von Grauulosazellen umhüllt, 
e Follikel mit Ei im Discus proligerus, f Membrana granu¬ 
löse, g Hilusstrpma (Gefässzone), h Theca folliculi. Im 
Stroma weitere Follikel verschiedenen Alters. 

sehen Follikel zerstreut eingelagert sind, und 
centralwärts und dem Hilus des Eierstockes 
zugewandt ist eine ei- und follikelfreie Partie, 
welche vorzugsweise von zahlreichen Blut¬ 
gefässen gebildet ist (Hilusstroma, Gefäss¬ 
zone, zona va8culosa, Marksubstanz). Das ge- 
sammte Bindegewebe, welches in etwas radiärer 
dichter Anordnung seiner Faserzüge theils 
die Follikel umgibt, theils in lockeren Bün¬ 
deln und durchsponnen von elastischen Fasern 
die korkzieherartig gewundenen Arterien und 
weiten Venenconvolute und Follikel umschei¬ 
det, wird Stroma genannt, und jene Partie 
des Ovarialstromas, welche sich am reifen 
Eierstock als gefassärmere periphere Binde- 
gewebsschichte zwischen Keimplatte und Ei¬ 
follikel hineinschiebt, und welche Ursache 
der Trennung des Keimepithels ist und damit 
Sistirung der Primordialeibildung herbeiführt, 
wirdAlbuginea genannt. In demOvarialstroma, 
besonders in der centralen Partie, kommen auch 
glatte Muskelfasern vor (reichlich sind solche 
vorhanden an den Eierstöcken der Amphibien 
und Knochenfische); es sind dies Muskel¬ 
bündel, welche von dem Eierstocksbande 
her einstrahlen. Auch Lymphgefässe, welche 
namentlich die Follikel schalenartig umgeben, 
und weiters Nerven finden sich im Stroma 
vor. (Beim Vogel ist das Stroma nur mangel¬ 
haft entwickelt, daher die lappige, traubige 
Form des Eierstockes; ebenso beim Schwein.) 
Am jugendlichenEierstocke trifft man ausserdem 
al9 Reste des Wolffschen Körpers sehr grosse 
rundliche Zellen, die meist in schlauchartigen 

Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkl. II. Bd. 


Gruppen im Stroma stehen; man nennt sie 
Parenchymzellen, Hiluszellen. 

In der.Parenchymschichte des Eierstockes 
haben die Graafsehen Follikel und die 
Eier ihren Standplatz. Die Follikel, welche 
sehr verschieden zerstreut stehen,repräsentiren 
Bläschen von mikroskopischer Kleinheit bis 
zu solcher Grösse, dass sie dem unbewaffneten 
Auge leicht auffallen. Die kleineren (sog. 
Primordialfollikel), welche namentlich peripher 
liegen, bestehen aus einem einfachen Stratum 
niedriger oder cylindrischer Epithelien und 
einem Ei, welches das Centrum einnimmt und 
die vom Epithel gebildete Höhle vollständig 
ausfüllt. Ei und Follikelepithel ist nichts 
Anderes als differenzirtes Keimepithel. Zur 
embryonalen Epoche wachsen die auf der 
Oberfläche befindlichen Keimepithelien zapfen¬ 
förmig in die Tiefe der Rindenzone ein 
(Ovarialschläuche). Das gefasshaltige Stroma 
durchwächst diese Zellzapfen und trennt sie 
in kleinere Zellgruppen. Innerhalb der kleinen 
Zellhaufen gedeiht eine Keimepithelzelle in 
besonderer Grössenzunahme und wird zum 
Primordialei, während die übrigen Keim¬ 
epithelien des Häufchens klein bleiben und 
die grössere, d. h. die entstandene Eizelle 
cemiren. Durch die Einwucherung des Binde- 
gewebsstromas zwischen und in die Zellstränge 
werden letztere in so viele Zellhaufen abge¬ 
schnürt, bis jeder Zellhaufen nur eine centrale 
grössere, d. h. primäre Eizelle enthält. In der 
Regel ist diese Primordialei- und Primordial¬ 
follikelbildung mit der Geburt des Thieres 
beendet, es mag aber auch Vorkommen, dass 
in höheren Lebensaltern noch Epithelein¬ 
senkungen und neue Follikel sich bilden. Die 
Eier sind also nichts Anderes als besonders 
entwickelte Keimepithelien. Nur selten kommen 
in einem Follikel zwei Eier vor. Die Primor¬ 
dialfollikel beginnen sich alsdann zu ver- 
grössern, indem die Follikelzellen sich ver¬ 
mehren und daher der Wandbesatz der vom 
Epithel gebildeten Höhle dicker wird. 

Wenn der Wandbesatz dann aus mehreren 
Zellenlagen besteht und so eine membranöse 
Auskleidung der im Bindegewebe gegebenen 
Lücke bildet, spricht man von Membrana 
granulosa und nennt die ursprünglichen Keim¬ 
epithelien, jetzigen Follikelepithelien, Granu- 
losazellen. Dieses Follikelepithel vermehrt 
sich nicht nur, sondern führt auch dem Ei 
Nährstoffe zu und scheidet eine Art cuticularer 
Hülle um dasselbe ab (die zona pellucida, 
welche dann einen Bestandtheil des Eies 
selbst bildet). An einer Seite des Eies sam¬ 
melt sich zwischen den auseinanderweichenden 
Granulosazellen Flüssigkeit in allmälig zu¬ 
nehmender Menge an (der Liquor folliculi), 
wodurch die Follikelhöhle immer grösser und 
so successive für das Ei der Weg zur Eier¬ 
stocksoberfläche gebahnt wird. Wenn diese 
Flüssigkeitshäufung beginnt, werden die Fol¬ 
likel dem blossen Auge sichtbar. Das Ei 
selbst liegt excentrisch in der Höhle und 
bleibt von Granulosazellen umschlossen, dieser 
Haufen Granulosazellen inclusive des in seiner 
Mitte steckenden Eies bildet so eine hügelige, 


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450 


EIERSTOCKBAND. — EIERSTOCKCYSTEN. 


in den Hohlraum des Follikels vorspringende 
Scheibe am Wandbesatz* (Discus oder cumulus 
proligerus). 

Wenn durch die Liquor-Anhäufung der 
Follikel zum Bläschen gereift ist, nennt man 
ihn Graafsches Bläschen nach dem Entdecker, 
und haben die Bläschen dann rundliche, später 
ovale Gestalt, schliesslich, wenn sie der Ober¬ 
fläche des Eierstockes durch Grössenzunahme 
näher rücken, ragen sie sogar buckelförmig 
über dieselbe empor. Das den Follikel un¬ 
mittelbar begrenzende Bindegewebe wird Theca 
folliculi genannt, dessen innere den Granulosa- 
zellen anliegende Schicht wird als Tunica 
propria, dessen periphere dicht fibrilläre 
Schichte als Tunica fibrosa unterschieden. 
Durch die reichliche Gefass- und Lymphnetz- 
entwicklung, welche während . des Follikel- 
entstehens in nächster Nähe der Theca statt¬ 
hat, scheidet sich die Theca schärfer vom 
übrigen Stroma und kann deshalb bei manchen 
Thieren der ganze Follikel leicht aus dem 
Eierstocke geschält werden. 

Nur an der Partie des Follikels, welche 
frei auf die Eierstocksoberfläche vorragt, findet 
keine Gefässentwicklung statt, sondern bleibt 
eine gefasslose, stark verdünnte Theca (Macula 
pellucida folliculi); an diesem Flecke platzt 
bei der Reife der Follikel. Neben Primordial- 
und reifen Follikeln findet man auch öfters 
rückgebildete, nicht zum Platzen gekommene 
Follikel im Eierstocksstroma, welche als ge¬ 
faltete mit degenerirenden Granulosazellen 
gefüllte Räume oder Cysten sich darstellen. Es 

f eht sogar die grösste Zahl der Eier innerhalb 
er Ovarien wieder zu Grunde, und obliteriren 
die bezüglichen Follikel. Wenn der Follikel 
seine physiologische Entleerung eingegangen, 
so kommt eine Neubildung zu Stande, welche 
als falscher und wahrer gelber Körper (Corpus 
luteum spurium und verum) unterschieden 
wird. Letzterer bildet sich nur, wenn das Ei 
befruchtet wurde und sich zum Embryo weiter¬ 
gestaltet, und erreicht eine sehr erhebliche 
Grösse, der falsche gelbe Körper, der bei steril 
bleibendem Ei nach dessen Abgang sich ent¬ 
wickelt, bleibt so klein wie der Follikel war 
und verschwindet bald. wieder. Vermehrte 
Ernährung in Folge der physiologischen 
Hyperämie bei Beginn der Trächtigkeit ist 
Ursache der Ausbildung des wahren gelben 
Körpers. 

Wenn bei der durch die Vermehrung des 
Follikelinhaltes herbeigeführten Ruptur der 
Theca keine Blutung erfolgt, so füllt sich die 
Höhle mit einer gelatinösen Masse; gewöhnlich 
tritt aber eine mehr oder weniger ergiebige 
Blutung ein, das Lumen füllt sich mit gerin¬ 
nendem Blute, welches später Pigmentum¬ 
wandlung und Farbeänderungen eingeht, und 
kommt dann eine aus grosszelligem Keim¬ 
gewebe sich bildende Füllmasse zu Stande, 
durch welche der gelbe Körper repräsentirt ist. 

Dieses junge Keimgewebe entsteht aus 
einwandemden weissen, sich zu Fibroblasten 
umwandelnden Blutzellen, die durch solche 
Umwandlung sich als grosskernige gelbpig- 
mcntirte Zellen dem Beobachter darbieten. 


Nach anderen Autoren soll das Keimgewebe 
aus den zurückgebliebenen Granulosazellen 
oder Thecabindegewebszellen sich entwickeln. 
Nach Ablauf der Trächtigkeit geht das Keim¬ 
gewebe eine Rückbildung ein, indem sich 
eine fibröse Umwandlung der Zellen geltend 
macht, wonach eine zellarme homogene Binde- 
gewebsmasse restirt (Corpus fibrosum albicans). 
Bei Nichtbefruchtung der abgegangenen Eier 
erfolgt diese Rückbildung viel rascher. War 
zur Zeit des Eiabgangs eine Blutung aufge¬ 
treten“(Pferd, Schwein, Fleischfresser), so findet 
sich noch gelbes und bräunet Pigment in dem 
vernarbten Follikel und dessen Umgebung, 
namentlich den Lymphräumen. 

Nach Rückbildung der gelben Körper 
erhält bei einigen Thierarten die Eierstocks¬ 
oberfläche ein unebenes Aussehen durch die 
narbigen Einziehungen; bei eierlegenden Thieren 
kommen keine gelben Körper, d. h. keine Ge¬ 
websneubildung zu Stande, sondern die Folfikel- 
wände erhalten sich eine Zeit als offene 
becherförmige Anhänge, verkleinern sich suc- 
cessive und schrumpfen schliesslich ganz ein. 

Das Keimepithel, welches in der Zeit der 
Geburt am ausgebildetsten ist, ebenso wie 
die Zahl der Eifollikel um diese Periode das 
Maximum erreicht, geht während des extra¬ 
uterinen Lebens eine Verkümmerung ein; beim 
Pferd sch windet es völlig, durch das Z wischen- 
wachsen der gefässarmen Albuginea wird die 
spätere Absenkung von Ovarialschläuchen dann 
behindert. Zuweilen mögen noch nachträglich 
Epithelabschnürungen stattfinden. Näheres über 
Eiabgang s. Physiolog. Theil. Kitt. 

Eierstockband, s. Eingeweidebänder und 
Eierstock. 

Eierstockblutungen kommen besonders 
zur Zeit der Brunst verbunden mit Hyper¬ 
ämien der Ovarien, bei Ablösungen der Ovula 
und Berstung der Graaf sehen. Follikel vor. 
Das Blut wird meist in die Follikel ergossen „ 
und nach erfolgtem molekularen Zerfall mit 
Hinterlassung eines Pigmentfleckes resorbirt, 
oder es bildet sich nach Resorption des Blutes 
in dem erweiterten Follikel eine seröse Cyste. 

In anderen Fällen ergiesst sich das Blut 
nach Berstung der Follikelwand in die Bauch¬ 
höhle. Seltener sind Blutungen ins Ovarial- 
parönchym mit blutiger Infiltration des ganzen 
Eierstocks. Die Eierstockblutungen sind meist 
unbedeutend und gefahrlos. Nur bei Castrationen 
erwachsener weiblicher Hausthiere zur Zeit der 
Brunst kann es zu lebensgefährlichen Blutungen 
aus den Ovarialgefassen kommen. Ausserdem 
werden in der Literatur (Bouley, Lafosse, 
Renault, Kund) Fälle citirt, wo bei Stuten 
und Kühen tödtliche spontane Blutungen aus 
den Ovarien erfolgten mit Bildung grosser 
Blutcysten, die 24—28 8* schwer waren, oder 
mit Erguss von Blut frei in die Bauchhöhle. Sr. 

Eierstockcysten zerfallen in drei Gruppen 
u. zw.: 1. seröse Follicularcystcn, 2. Proli- 
ferirende Myxoidcystome und 3. Dermoid¬ 
cysten. Die Foilicularcysten entstehen ent¬ 
weder in Folge von Blutungen in die Graaf- 
schen Follikel oder aus den Corpora lutea 
oder einfach durch Ansammlung seröser, 



EIERSTOCKENTARTUNGEN. — EIERSTOCKENTZÜNDUNG. * 451 


Flüssigkeit oder Hydrops der Graaf’schen 
Follikel. Die Follicularcysten werden bohnen- 
bis hühnereigross und noclr grösser, sind an 
ihrer Innenfläche mit einem abgeflachten 
•Cylinderepithel ausgekleidet und enthalten 
eine klare, seröse Flüssigkeit; seltener ist 
der Inhalt röthlich, .trübe, flockig, eitrig oder 
eingedickt. Durch Schwand der Scheidewände 
confluiren oft nebeneinanderliegende Cysten, 
und das ganze Ovarium entartet zu einem 
grossen, mit seröser Flüssigkeit gefüllten Balg. 
Durch derartige cystoide Entartungen werden 
die Ovarien (besonders bei Stuten) 10—15# 
schwer und füllen einen grossen Theil der 
Bauchhöhle aus. Seltener kommen bei den 
Hausthieren die proiiferirenden Cystome vor. 
Dieselben zerfallen in Drüsen- und Zotten- 
cystome (Cystoma proliferum glanduläre und 
papillare) und gehen durch Proliferation aus 
den Drüsenschläuchen des Ovariums hervor. 
Sie bilden oft kopfgrosse Geschwülste und 
bestehen aus einer dicken äusseren Kapsel, 
die zahlreiche Scheidewände ins Innere hinein¬ 
schickt und so secundäre, tertiäre etc. Cysten 
bildet. Ihre Wandung ist mit einem Cylinder- 
oder Plattenepithel ausgekleidet, der Inhalt 
schleimig oder breiig, zellenreich, oft fettig 
oder atheromatös entartet oder theilweise 
verkalkt. Die entarteten Ovarien hängen meist 
durch Mnen dünnen Stiel mit dem Uterus 
zusammen, reissen wohl auch ganz ab und 
liegen dann frei in der Bauchhöhle. Ebenso 
sind Dermoidcysten in den Eierstöcken bei 
den Hausthieren selten. Dieselben enthalten 
einen haarigen Brei, wohl auch Knochen und 
Zähne, und erreichen zuweilen eine beträchtliche 
Grösse. Nur sehr zahlreiche und sehr grosse 
EierstockcYsten verursachen Störungen des 
Wohlbefindens, Verdauungsstörungen, Ath- 
raungsstörungen, Umschnürungen des Darms, 
mit nachfolgenden Berstungen und Entzün¬ 
dungen wohl auch Peritonitis. 

Die Behandlung der Eierstockcysten 
besteht in operativer Entfernung derselben 
durch Ovariotomie (s. d.), Zerquetschung und 
Abreissen derselben vom Mastdann aus oder 
Injectionen von Jod. Scmmer. 

Eierstockentartungen bestehen bei den 
Hausthieren am häutigsten in cystoider und 
fibröser Degeneration (Pferd) und in tuber- 
culöser Entartung bei Rindern mit nach¬ 
folgender Unfruchtbarkeit, häufig wieder¬ 
holter Brunst, Stiersucht, Monatreiterei, ver¬ 
bunden mit allgemeiner Tuberculose. Sr. 

Eier8tockentziindung, Oophoritis. Sie zer¬ 
fällt in eine parenchymatöse (folliculäre) und 
interstitielle und dem Charakter nach in eine 
seröse (Oophoritis serosa) und eitrige (Oopho¬ 
ritis suppurativa). Die Entzündung beginnt 
mit lebhafter Injection. Röthung, Schwellung, 
dann folgt seröse oder eitrige Exsudation, 
das Ovarium vergrössert sich um das Zwei- bis 
Dreifache seines nonnalen Volumens und wird 
schmerzhaft. Die Thiere zeigen einen gespann¬ 
ten Gang mit den Hinterfüssen und Schmerzen 
beim Druck auf die Flanken. Durch den Mast¬ 
darm lässt sich das vergrösserte schmerzhafte 


Ovarium leicht durchfühlen. Meist ist die 
Eierstockentzündung mit Fieber, vermindertem 
Appetit, Anfällen von Schwindel und Brunst, 
und wohl auch mit Schwellungen des Euters 
verbunden. Der Verlauf der Oophoritis ist 
acut oder chronisch, der Ausgang Genesung 
oder bleibende Hypertrophie, Verdickung, 
Cystenbildung oder-Eiterung und Abscess- 
bildung. Die Abscesse können mit den benach¬ 
barten Organen, mit der Bauchwand, dem Darm, 
der Harnblase, den Tuben, dem Uterus, der 
Vagina verwachsen mit Durchbruch in diese 
Organe oder Durchbruch frei in die. Bauch¬ 
höhle mit Eitererguss in dieselbe und nach¬ 
folgender Peritonitis. Die Ursachen der Eier¬ 
stockentzündung sind selten traumatische, 
meist entsteht die Entzündung nach der Ge¬ 
burt oder nach Abortus und als Complication 
der Entzündungen des Uterus und der Tuben, 
des Peritoneums und anderer benachbarter 
Organe. Sem/^r. 

Die Eierstockentzündung ist eine 
bei Thieren nicht häufige, fast nur bei 
Stutern und Kühen auftretende, sozusagen 
immer chronisch verlaufende Krankheit, die 
primär oder secundär sich ausbildet. Die 
primäre Eierstock entzündung ist selten und 
hängt mit den weiblichen Geschlechtsfunc¬ 
tionen, namentlich mit der Ovulationsperiode, 
in welcher die Eierstöcke sich in einem mehr 
oder minder starken «jcongestiven, mehr oder 
minder gereizten Zustande befinden, zusammen. 
Die secundäre Ovaritis ist meistens die Be¬ 
gleiterin einer Bauchfell- oder einer Frucht- 
hälterentzündung. Bei den Kühen üben die 
auf dem Bauchfelle und den Baucheingewciden 
sitzenden Perlknoten mitunter einen Reiz auf 
die Eierstöcke aus, der dann zu einer chro¬ 
nischen Entzündung derselben führt. Oft, be¬ 
rührt die Entzündung nur einen Eierstock. 

Folgen der Ovariti9 sind: Hauptsäch¬ 
lich cystoide Entartung der Eierstöcke, 
namentlich bei der Stute und der Kuh; die 
Graafschen Follikel wandeln sich 'zu ver¬ 
schieden grossen Blasen um; bei der Kuh 
erlangen dieselben oft einen sehr grossen 
Umfang; der Eierstock findet sich zu einer 
kugeligen, mit einer blutig-serösen Flüssig¬ 
keit gefüllten Cyste umgewandelt; solch ent¬ 
artete Eierstöcke fühlen sich, vom Mastdarme 
aus als bedeutende Geschwülste an. Dann 
wieder in Folge von Berstung kleiner Blut¬ 
gefässe verschieden grosse Blutcysten auf 
der Aussenfläche der Ovarien; ferner durch 
Wucherung des Stromas Hypertrophie des 
Bindegewebes und Atrophie des Ovarijims, 
sowie auch wieder Abscessbildung und bei 
Durchbrechung der Abscesse in die Bauch¬ 
höhle eine tödtliche Entzündung des "Bauch¬ 
felles. Bei Entzündung und Entartung beider 
Eierstöcke sind und bleiben die Thiere, weil 
bei solchen Zuständen die Entwicklung der 
Eichen unmöglich wird, unfruchtbar. 

Prognose. Diese ist eine ungünstige, 
zwar nicht so sehr wegen der directen Lebens- 
gefahrdung als wegen der durch die Ent¬ 
zündung und deren Folgezustände bedingten 
Sterilität'. 


29* 


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452 


EIERSTOCKFRANSE. — EIGENWÄRME. 


Symptom«. Die fast ausnahmslos chro¬ 
nisch verlaufende Eierstockentzündung mani- 
festirt sich äusserlich durch einen gesteigerten 
Geschlechtstrieb, der bei der Kuh mit dem 
Namen Stiersucht, Nymphomanie, bezeichnet 
wird. Die Thiere sind mehr oder minder heftig 
aufgeregt, benehmen sich unbändig; die 
Stuten sind bei jeder. Berührung kitzlich, 
schreien, spritzen Schleim und Häm aus der 
Vulva, sind, wie man sagt, beständig rossig. Die 
Kühe stampfen mit den Füssen, brüllen fast wie 
Stiere, steigen auf andere Thiere, woher die 
Namen brüllig, Brüllerkrankheit und Stier¬ 
sucht. Bei solchen Kühen besteht durchwegs 
ein Einsenken der breiten Beckenbänder, ein 
Eingefallensein des Kreuzes zu beiden Seiten 
der Schweifwurzel. 

Behandlung. Diese ist theils eine 
palliative, theils eine radicale. Die erstere 
besteht in der Abhaltung aller irgendwie 
reizenden, aufregenden äusseren Einflüsse, 
so z. B. Abhaltung des Lichtes, Absonderung 
von Thieren der gleichen Gattung, Ausschlies¬ 
sung stark nährender, reizender Alimente. 
Bei Eierstockcysten sucht man nach Zangger 
die Cysten durch die in den Mastdarm ein¬ 
geführte Hand zu zersprengen. Eine eigent¬ 
liche Radicalheilung der Nymphomanie ver¬ 
schafft jedoch nur die Ovariotomie, d. h. die 
Castration (s. d.). Strebei. 

Eierstockfranse, s. Eierstock. 

Eierstockgeschwüfete. Ausser Cysten und 
cystoider Entartung kommen noch in den Eier¬ 
stöcken vor: Fibroide, Sarcome, Carcinome 
und Tuberkel, letztere bei tuberculösen Rin¬ 
dern sehr häufig. Kleinere Geschwülste sind 
ohne besondere Bedeutung, grössere dagegen 
bedingen Lageveränderungen, Zerrungen der 
Mutterbänder, der Uterushörner, Darmum¬ 
schlingungen und andere Störungen und ver¬ 
langen operative Beseitigung durch Ovario- 
toraie. Semmer. 

Eierstockschwangerschaft ist eine sehr 
selten vorkommende Form der Trächtigkeit. 
Das schon im Eierstocke nach der Berstung 
des Follikels befruchtete Ei bleibt, statt zu 
seiner weiteren, vollen Entwicklung in die 
üterushöhle einzuwandern, in der leeren 
Follikclhöhle zurück, wo es aber in Folge 
Mangels an dem nothwendigen Ernährungs- 
material keine weitere Entwicklung erlangt, 
sondern abortiv zu Grunde geht. Strebei. 

EifeUchwein. In der Rheinprovinz findet 
sich ein kleines, hochbeiniges, schwarzweiss¬ 
geflecktes Schwein vor, welches so genannt 
wird und weniger zur Mast als zur Fleisch¬ 
nützung geeignet ist. Koch. 

Eigenthum8recht ist das Recht eines jeden 
wirklichen und alleinigen Eigenthümers einer 
unbeweglichen oder beweglichen Habe, nach 
Belieben frei darüber zu verfügen und fremde 
Einmischungen und Eingriffe zurückzuweisen. 
Das Eigenthumsrecht an ein Object geht 
durch zufälliges Verlieren oder durch an dem¬ 
selben ausgeübten Raub und Diebstahl nicht 
verloren. Das verlorene, geraubte oder ge¬ 
stohlene Gut kann vom Eigenthümer durch 
die Eigenthumsklage (rei vindicatio) zurück¬ 


gefordert werden. Das Eigenthumsrecht an 
irgend einem Object geht nur durch wirkliche 
freiwillige Uebergabe oder Tradition durch 
Schenkung, Kauf, Tausch etc. von dem bis¬ 
herigen Eigenthümer auf einen andern über» 
Der bisherige Besitzer des Objects muss aber 
nachweisen, dass er wirklicher und alleiniger 
Eigenthümer und nicht blos zufälliger Besitzer 
oder Theilhaber an demselben ist. Vor erfolgter 
Uebergabe oder Tradition ist der Käufer noch 
nicht Eigenthümer. Durch den Vertrag (Con- 
tractus,Pactio,Conventio) erwachsen noch keine 
Eigenthumsrechte, sondern blos Forderungs¬ 
rechte auf die Tradition. Semmer. 

Eigenwärme, besser specifisch e Wärm e T 
s. Wärme (physikalisch). ■ - 

Als thierische Eigenwärme be¬ 
zeichnet man bei warmblütigen Thieren und 
beim Menschen die Eigenwärme des Körpers, 
welche durch physiologische Einflüsse und 
auch durch pathologische Processe innerhalb 
enger Grenzen Schwankungen erfährt. Als 
physiologische Einflüsse machen sich das 
Klima und der Stoffwechsel geltend. 
In den tropischen Gegenden ist die Körper¬ 
wärme um 0 5° C. höher als in der gemäs¬ 
sigten Zone; hier ist sie während sehr kalter 
Wintertage um 0*1—0*3°C. geringer als zur 
heißsen Sommerszeit. 

Dass durch den Stoffwechsel die' Eigen¬ 
wärme der Thiere beeinflusst werden muss, 
ergibt sich schon daraus, dass die einge¬ 
nommenen Nahrungsmittel in erster Linie 
dazu dienen, gleichsam als Heizmaterial die 
thierische Wanne zu erhalten. Die normale 
Temperatur des Menschen und der warm¬ 
blütigen Thiere ist, wie bald gezeigt wird, 
stets höher als die der sie umgebenden Luft, 
in Folge dessen gibt der Körper stets mehr 
oder weniger Wärme durch Strahlung an die 
kältere Luft ab; auch bei der Verdunstung 
des Wassers durch die Haut und durch den 
Athem wird eine grosse Menge Wärme ge¬ 
bunden. Nun sind aber sämmtliche warm¬ 
blütigen Thiere so organisirt, dass ihre 
Blutwärme eonstant bleiben muss, daher 
heissen sie auch eonstant temperirte, Homoio- 
therme, im Gegensatz zu den kaltblütigen 
Thieren mit variabler Eigenwärme — 
Poikilotherme, deren Blutwärme je nach der 
Temperatur des umgebenden Mediums (Luft 
oder Wasser) gesteigert oder herabgesetzt wird. 

Wir sehen bei den warmblütigen Thieren 
durch Fasten die Eigenwärme des Körpere 
geringer werden, als sie bei normaler Er¬ 
nährung ist, sie sinkt während des Hungerns 
in den ersten Tagen beträchtlich, bleibt dann 
längere Zeit hindurch eonstant und fällt in 
den letzten Tagen noch um ein Bedeutendes. 
Schmidt fand die Temperatur einer Katze, 
die er verhungern liess, am 15. Tage mit 
38*6°C., am 16. Tage 38‘3°C., am 17. Tage 
37*64°C., am 18. Tage 35*8°C. und am 
19. Tag (Todestag) 33*0°C. Bei den Hunger¬ 
versuchen, welche Chossat an Säugethieren 
und Vögeln ausführte, sank die Temperatur 
am Tag des Absterbens um 16° C. unter das 
Normale. 



EIGENWÄRME. 


453 


Von Wichtigkeit für die Praxis sind die 
normalen Schwankungen, welche die Eigen¬ 
wärme der Thiere in den verschiedenen 
Tageszeiten erfährt und 0*5—1*5° C. stei¬ 
gend oder . sinkend betragen können, und 
welche auch in den Remissionen und Exa¬ 
cerbationen derFebris continua ihren Ausdruck 
finden, indem die höchste Fiebertemperatur 
gewöhnlich in jene Zeit fällt, in welcher auch 
im normalen Zustande die höchste Tages¬ 
temperatur eintritt. Die normale Temperatur 
ist nämlich bei Thieren am höchsten gegen 
4 Uhr Nachmittags, und das Maximum erhält 
sich bis gegen Abend, von 9 Uhr Abends 
bis nach Mitternacht vermindert sich die 
Temperatur, um Mitternacht das Minimum 
erreichend, von hier ab steigert sie sich bis 
zum Morgen, ohne jedoch die Höhe der abend¬ 
lichen zu erreichen, von da an bis Mittag 
sinkt und dann steigt sie wieder bis zum 
Maximum um 4 Uhr Nachmittags. Th an¬ 
hoffe r theilt in den „Grundzügen der ver¬ 
gleichenden Physiologie“ (Stuttgart 1885) 
nach den Untersuchungen von Liska von 
der Klinik des Professor Azary die nach¬ 
stehende tabellarische Uebersicht von Maximal- 
undMinimaltemperaturwerthen einzelner Haus- 
thiere zu verschiedenen Tageszeiten mit: 


Thier (genährt) 

Temperatur 

5 Uhr 
Morgens 

1 Uhr 
Mittags 

7 Uhr 
Abends 

Minimum 

ß 

9 

B 

*S 

cs 

s 

Minimum 

Maximum 

Minimum 

Maximum 

Diophantus 3y a jähr. Hengst 

37 6 

379 

37-7 

37*9 

37-6 

38-0 

Mtyostoso 3 „ * 

37*7 

38-0 

37'8 

38*2 

37-7 

38*2 

Orange 3 

37*7 

38’1 

37*9 

38-1 

379 

38-2 

Machbet 3 „ „ 

37*7 

38*3 

37-9 

38’3 

379 

384 

Allgäuer Stier 9 Monate alt 

37*9 

38-1 

38-2 

386 

38'2 

38-5 

Ferkel 4 Monate alt. 

33 3 

38-6 

38*4 

38*6 

384 

386 

* 6 „ * . 

38*4 

38-7 

38*5 

386 

00 

CO 

38-7 


Diese Schwankungen der Temperatur 
hängen wohl zumeist mit der Ernährung 
zusammen; dass diese jedoch nicht die ein¬ 
zige Ursache derselben ist, zeigt sich schon 
dadurch, dass auch an hungernden Thieren 
in den entsprechenden Tageszeiten die 
Schwankungen in gleicher Richtung, wenn 
auch innerhalb engerer Grenzen beobachtet 
wurden, überdies auch durch die obenerwähnten 
Schwankungen während des Fiebers, bei 
welchem das Thier ebenfalls kein Futter 
annimmt. Aehnliche Schwankungen der Tages¬ 
temperatur (um + 1° C.) sind auch beim 
Menschen constatirt. 

Von Einfluss auf die Eigenwärme des 
Körpers sind: 1. DieKörpergrösse; grössere 
Thiere verlieren relativ weniger Wärme als 
kleinere, u. zw. weil die Körperoberfläche der 
ersteren im Verhältnis zum Volumen des 
Thieres relativ geringer ist als bei letzteren. 
2. Das Lebensalter. Beim Menschen ist 
die Eigenwärme des ungebornen Kindes etwas 
höher als die des Uterus der Mutter. Nach 


der Geburt zeigt das Kind eine Temperatur 
von 37*5—37*8% welche nach dem ersten 
Bade auf 37*0° fällt; bis zur Pubertät sinkt 
die Eigenwärme um 0*2°, von da an bis zum 
50. Jahre abermals um das Nämliche, nach 
dem 60. Jahre steigt die Temperatur wieder, 
um beim 80jährigen diejenige desNeugebornen 
zu erreichen. 3. Das Geschlecht übt nach¬ 
weislich keinen Einfluss auf die Eigen¬ 
wärme aus. 

Von äusseren Einflüssen wären hervor¬ 
zuheben grosse Blutverluste als die Tem¬ 
peratur herabsetzend. Aderlässe vermindern 
dieselbe um 1—2°C. Die Eigenwärme des 
Hundes kann nach langdauernden Blutver¬ 
lusten um 6—8° unter das Normale sinken. 
Alkohol, Chloroform, Digitalis, Nicotin und 
die bekannten antifebrilen Medicamente wirken 
ebenfalls erniedrigend auf die Eigenwärme 
des Körpers. (Leichtes Erfrieren der Be¬ 
trunkenen.) 

Bei künstlicher Steigerung der 
Eigenwärme durch warme Bäder oder heisse 
Luft fand man, dass Thiere, welche constant 
einer Temperatur von 40° C. ausgesetzt waren, 
keine Wärme mehr an ihre Umgebung ab- 
gaben, sondern dieselbe im Körper anhäuften. 
Hiebei sinkt erst die Eigenwärme, um dann 
zu steigen. Erreicht die Temperatur 4—6° 
über das Normale, so treten frequente Respi¬ 
ration und schneller, unregelmässiger Puls 
auf, später grosse Schwäche und Krämpfe, 
und das Thier stirbt nach 6—8 Stunden. In 
einer Temperatur von 100° C. stirbt ein Säuge¬ 
thier nach 15—20 Minuten ab. Das Fieber 
ist ebenfalls durch Erhöhung der Blutwärme 
gefährlich (s. Fieber); bei 42*6° soll das Blut 
nach Weikart bereits in den Gefässen 
gerinnen. Kaltblütige Thiere vertragen eine 
höhere Temperatur von 6—10° C. auch nur 
für kurze Zeit. Das Froschherz steht schon 
bei 40° C. still. Es ist also das Leben der 
Kaltblüter an niedrigere Temperaturgrenzen 
gebunden als das der Warmblüter. 

Die künstliche Herabsetzung der 
Eigenwärme wirkt bei warmblütigen Thieren 
in folgender Weise. Bringt man Kaninchen 
durch eine Kältemischung auf die Temperatur 
von 18° C., so werden sie sehr abgeschlagen, 
der Puls fällt von 100—150 auf 20 in der 
Minute, die Respiration wird oberflächlich, 
der Blutdruck sinkt auf einige Millimeter. 
Diesen Zustand hält das Thier 12 Stunden 
aus, dann folgt Tod unter Krämpfen durch 
Erstickung. Ein auf 18° C. abgekühltes Thier 
kann durch Wärmezufuhr und künstliche 
Respiration noch zum Leben gebracht werden, 
wenn der scheintodte Zustand nicht über 
40 Minuten gedauert hat. Es gelang übrigens, 
ausgewachsene Thiere auf 9° C., junge auf 
5° C. abzukühlen und sie dann wieder zum 
Leben zu bringen. Bei Winterschläfern sinkt 
die Eigenwärme im Winter nur 1—2° unter 
die der Somraerluft. Hingegen können Frösche 
auf 0° abgekühlt werden, ja so weit, dass ihr 
Blut gefriert und sich in der Bauchhöhle 
Eisstücke bilden, und man kann sie nachher 
wieder zum Leben erwecken. Nach Schenk 






,454 - „ EIHALTER. 

können gefrorene Hühnereier noch ausgebrütet 
werden. Auch durch Firnissen der Haut 
wird die Eigenwärme der Thiere herabgesetzt 
(s. Respiration). * Loebisch. 

Eihälter, s. Eileiter der Vögel. 

Eihäute bei den verschiedenen Haus¬ 
sieren. Man begreift darunter eine Reihe von 
Häuten, welche den Fötus einschliessen, die, 
zum Theil mit Flüssigkeit gefüllt, den Uterus 
gleichförmig ausfüllen und den Zweck haben, 
einerseits das Junge vor Quetschungen und 
Druck von der Umgebung zu sichern, anderer¬ 
seits dasselbe mit der Mutter in mittelbare 
Verbindung zu bringen. Diese Häute heissen: 
1. das Chorion; 2. die Allantöi§ oder Harnhaut; 
3 die Schafhaut (Amnion); 4. der Nabelstrang; 
5. das Nabelbläschen (vgl. u. Allantois, Fig. 43). 
* 1. Das Chorion ist die äusserste Hülle 

der Frucht und bildet den wichtigsten Theil 
der Eihäute namentlich in geburtshilflicher 
Beziehung. Es stellt einen .geräumigen, je 
. nach der Thiergattung etwas verschieden 
gestalteten, sämmtliche Theile der Frucht 
vollständig umgebenden Sack dar und trägt 
auf seiner äusseren Oberfläche mit Gefäss- 
"capillaren versehene Zotten — die Frucht¬ 
kuchen — die bei den Einhufern in drüsen¬ 
ähnliche, gleichfalls mit Gefässcapillaren ver¬ 
sehene, während der Trächtigkeit sich bildende 
Vertiefungen der Uterusschleimhaut, bei den 
Wiederkäuern in die Vertiefungen der vorge¬ 
bildeten, gegenüberliegenden Fruchtwarzen 
hineinragen, durch welche Anordnung an 
diesen Stellen zwischen den Gefässen der 
Mutter und der Frucht ein mittelbarer Aus¬ 
tausch von Flüssigkeit stattfindet. — Bei den 
Einhufern bildet das Chorion einen grossen, 
zweihömigen Sack, dessen äussere Fläche 
gänzlich mit röthlichen, sehr kurzen Gefäss- 
papillen bedeckt ist. Die Verbindung dieser 
Wärzchen mit der Uterinschleimhaut ist eine 
nur schwache. Zwischen diesen Zotten und 
der Uterinschleimhaut findet sich eine geringe 
Menge einer bräunlichen Flüssigkeit vor. Die 
innere Chorionfl^che ist äusserst locker mit 
dem äusseren Blatte der Allantois verbunden. 
— Bei den Wiederkäuern stellt das 
Chorion einen langen, zweihörnigen Sack dar, 
der die beiden Uterushörner und den ver¬ 
kleinerten Fruchthälterkörper durchzieht* Es 
besteht bei diesen wie bei den Einhufern 
aus zwei Schichten: aus einer bindegewebigen 
äusseren und einer inneren, von der Allantois 
abstammenden Gefässchichte. Die innere 
Fläche des Chorions wird in der Regel an 
den beiden Enden oder Polen von der Allan¬ 
tois durchwachsen. Diese Fläche trägt auch 
die zahlreichen Gefässverästelungen, durch 
welche das uterine Ende des Nabelstranges 
endigt. An der ganzen Oberfläche des Chorions 
sprossen in gewisser Distanz von einander 
während der fötalen Entwicklung gefässreiche 
Zöttchen hervor, die gleichmässig mit dem 
Wachsthum der Fruchthälterwarzen — Koty¬ 
ledonen — in welche sie hineinragen, an- 
wachsen und die Fruchtkuchen bilden, deren 
«s ebensoviele als vorgebildete Tragsack¬ 
warzen gibt; es besteht daher bei den Wieder- 


- EIHÄUTE. 

käuern eine multiple Placenta. Die ellipti- 
formen, verschieden grossen Fruchtkuchen 
(die grösseren befinden sich im mittleren 
Choriontheile) bestehen aus einer Masse von 
konischen, 10—:15mm langen,, stark ver¬ 
ästelten Gefässzöttchen. Der Stiel jedes Zotten¬ 
bäumchens hat nur eine Arterie und eine Vene, 
von denen aus die ganze reiche Gefässver- 
zweigung desselben ausgeht (Birnbaum). Die 
grössten Fruchtkuchen erreichen eine Länge 
von 15 cm und eine Breite von 5—6 cm. Beim 
Rinde sind die Fruchtkuchen concav, beim 
Schaf und der Ziege convex. Die in den 
Zwischenräumen der eigentlichen Frucht¬ 
kuchen auf dem Chorion aufsitzenden, nur 
in den selteneren Fällen sich weiter ent¬ 
wickelnden Zöttchen können als accessorische 
Placenten betrachtet werden. In den Fällen 
nun, wo in Folge von Fruchthälterentzün- 
dung die Karunkeln veröden oder in Folge 
dieser oder jener Ursache sich von der Uterus¬ 
schleimhaut lostrennen oder auch ausgerissen 
werden, scheinen diese accessorischen Pla¬ 
centen die Function der verödeten oder ver¬ 
lorengegangenen Fruchthälterwarzen zu ver¬ 
richten. — Beim Schweine bildet das 
Chorion einen langen Sack, dessen Endtheile 
bedeutend über diejenigen des Fötus hinaus- 
ragen und, ohne mit einander zu verwachsen, 
mit den Eisackpolen der benachbarten Früchte 
zusammenstossen und sich in sich selbst ein¬ 
stülpen. An beiden Polen wird das Chorion 
von der Allantois durchwachsen und bildet 
an der Durchwachsungsstelle einen narbigen 
Ring. Nie geht ein Theil des Eisackes von 
einem Horn in das andere. Die Verbindungs¬ 
verhältnisse der inneren Chorionfläche sind 
dieselben wie bei den Wiederkäuern. Die 
Oberfläche trägt, statt der genau umschrie¬ 
benen Placenten bei der Kuh und beim Schafe, 
viel kleinere und zahlreichere Zöttchengruppen. 
Die Zöttchen sind klein, erreichen kaum die 
Länge von 3 mm und stehen in querverlaü- 
fenden Reihen. Daneben bestehen rundliche, 
durchscheinende Knötchen mit Capillarnetzen 
in ihrem Innern. In Folge der Sicheinstülpung 
und Functions Unfähigkeit der Eisackpole 
findet sich das Chorion nur in der Mitte des 
Eies und beschränkt sich auf etwa ein Drittel 
der gesammten Oberfläche desselben. — Beim 
Hunde und der .Katze stellt das Chorion 
einen elliptischen Sack ^dar, dessen abge¬ 
rundete Pole beim Vorhandensein mehrerer 
Früchte gleichwie beim Schweine mit den¬ 
jenigen der benachbarten Früchte zusammen- 
stosseu, allein nicht mit einander verwachsen. 
Die Oberfläche des Chorions ist in seiner 
grössten Ausdehnung glatt und hat ausser an 
der mit dem Fruchtkuchen correspondirenden 
Stelle keine Verbindung mit dem Uterus. Der 
Fruchtkuchen ist einfach und stellt einen um 
den Aequator des Eies herumlaufenden, 4 bis 
5 cm breiten und einige Millimeter dicken, 
etwas schmutzigröthlichen Gürtel dar, dessen 
Ränder bei der Hündin stark grünlich gefärbt 
sind. Er besteht — gleichwie bei den Wieder¬ 
käuern — aus vielfachen, langen, verästelten" 
Gefässpapillen, deren Spitze in die auf der 


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EIHAUTE. 455 


Uterusschleimhaut - neugebildeten Follikel 
hineinragt. Wegen der zahlreichen Querver¬ 
bindungen können bei der Hündin die Zotten 
des Fruchtkuchens nicht ohne Verletzungen 
aus dem Mutterkuchen herausgezogen werden. 
Am Bande des Fruchtkuchens laufen die Haupt- 
gefässäste, namentlich zwei stärkere Venen. 

2. Allantois. Diese stellt eine grosse, 
ausserhalb der Bauchhöhle des Fötus ge¬ 
legene Harnblase dar und steht durch einen 
im Nabelstrang eingeschlossenen Canal (Ura- 
chus) mit dem Scheitel der fötalen Harnblase 
in Verbindung. Die Harnhaut zerfällt in ein 
äusseres Blatt, das sich mit dem Chorion ver¬ 
bindet, und ein inneres Blatt, das sich, mit 
Ausnahme bei den Einhufern, locker auf 
die Schafhaut auflegt. Bei den Einhufern ver¬ 
einigen sich die Blätter der Allantois innig 
mit den Wänden der Schafhaut und des 
Chorions. Bei den Fleischfressern ist die Ver¬ 
bindung des äusseren Blattes mit dem Chorion 
eine weniger intime als bei den Einhufern. 
Mit der Harnhaut laufen die Nabelgefässe 
zum Chorion hin; die Hauptaufgabe der Ham- 
haut besteht darin, die Gefässe vom Fötus zum 
Chorion hinauszutragen und damit eine mittel¬ 
bare Gefässverbindung zwischen Mutter und 
Frucht herzustellen. 

Beim Pferde bildet die Allantois einen 
die ganze Schafhaut umgebenden Hohlraum, 
bei den Wiederkäuern dagegen einen zwei- 
hömigen Sack, dessen Hörner die Hörner des 
Chorions gänzlich ausfüllen. In Folge des 
starken Anwachsens der Allantois durchwächst 
dieselbe das Chorion an dessen beiden Polen, 
wodurch sich die sog. Allantoisanhänge oder 
die Harnsackzipfel ausbilden, welche in Folge 
ihrer Abschnürung vom Chorion mehr oder 
minder veröden. Der Urachus, der vom mitt¬ 
leren Theile der Allantois aus zum Fötus 
zieht, ist bei den Wiederkäuern zur Zeit der 
Geburt noch für Flüssigkeit wegsam. — Beim 
Schweine stellt die Allantois gleichfalls 
einen zweihörnigen, der Schafhaut rechts an¬ 
liegenden Sack vor, während beim Fleisch¬ 
fresser sich dieselbe wie beim Pferde verhält. 

Die Allantoisflüssigkeit ist beim 
Pferde im Anfänge der Trächtigkeit klar, bern¬ 
steinfarbig, wird später trübe und schmutzig- 
bräunlich. Sie reagirt, gleich dem Harn der 
Fleischfresser, schwach sauer, und nimmt 
deren Menge mit fortschreitender Trächtigkeit 
beständig zu, so dass dieselbe bei der Geburt 
eine beträchtliche ist. Im Harnsacke des 
Pferdes findet man häufig freiliegende, platte, 
olivenförmige, grünliche oder bräunliche 
Körper. Es sind dies das sog. Fohlengift, 
Fohlenbrot oder Hipporaanes. Diese 
Gebilde sind nichts Anderes, als abgeschnürte 
und verödete Theile der äusseren Fruchthülle. 
Mitunter finden sich dieselben, statt frei in 
der Allantoisflüssigkeit schwimmend, mittelst 
eines, gewöhnlich dünnen Stieles mit der 
äusseren Fruchthülle verbunden (gestieltes 
Hippomanes). Bei den Wiederkäuern stellt 
die Allantoisflüssigkeit eine weissgelbliche, 
trübe, leicht schäumende Flüssigkeit von neu¬ 
traler Reaction dar. 


3. Die Schafhaut oder das Amnion. 
Die von der Umgebung des Nabels aus¬ 
gehende Schafhaut bildet die innerste Eihülle - 
und stellt bei sämmtlichen Thieren einen 
geschlossenen; nierenförmigen Sack dar, der, . 
je nach der Trächtigkeitsperiode, mit einer 
mehr oder minder beträchtlichen Flüssigkeit, 
dem sog. Schafwasser, in welchem das Junge 
sich frei bewegt, erfüllt ist. -Die Schafhaut 
umhüllt den Nabelstrang und bildet hier die 
Nabelstrangscheide. Bei den Wiederkäuern 
und dem Schweine steht die Schafhaut mit 
ihrer Aussenfläche zugleich mit der Allantois 
und dem Chorion in Berührung, während bei 
den Einhufern und den Fleischfressern diese 
gleiche Fläche gänzlich von einem Blatte der 
Ailantois überzogen ist. Die Innenfläche ist 
beim Pferde von einem blassen Epithel be-, 
deckt und findet sich regelmässig mit mehr 
oder minder zahlreichen halbkugeligen oder 
abgeplatteten, mohükorngrossen Knötchen mit 
brännlichem Kern und heller, gelblicher Rinde 
besetzt. Bei den Wiederkäuern ist die Innen¬ 
fläche mit einer Menge, meistens zerstreuter, 
platter, weisslicher oder gelblicher, hervor¬ 
stechender Plaquen versehen. Diese stellen 
vollkommen gefässlose, massige Anhäufungen 
von dem die innere Amnionsfläche ausklei¬ 
denden Epithel dar und bilden an der Nabel¬ 
strangscheide die sog. Nabelstrangzotten. 

Die durch die Schafhautwandungen aus¬ 
geschwitzte oder ausgehauchte Amnionflüssig¬ 
keit hat offenbar den Zweck, das Junge vor 
Beleidigungen zu schützen, dessen Bewe¬ 
gungen, namentlich die Blutbewegung in den 
Gefassen des Nabelstranges zu erleichtern, 
sowie auch durch sein Abfliessen dm Mo¬ 
mente der Geburt die Geburtswege schlüpfrig 
zu machen und dadurch den Durchgang des 
Jungen zu erleichtern. Bei der Stute stellt 
das Schafwasser gegen das Ende der Trächtig¬ 
keit eine gelbliche oder bräunliche, trübe, 
Harnstoff und etwas Schleim enthaltende 
Flüssigkeit von neutraler Reaction dar. In 
demselben findet sich mitunter etwas abge¬ 
setztes Darmpech, sowie auch Theile der 
dicken und weichen, die Fussohle bedecken¬ 
den Epidermis vor. Bei den Wiederkäuern 
stellt das Schafwasser in der ersten Hälfte 
der Trächtigkeit eine gelbliche, aber klare 
und durchsichtige Flüssigkeit von alkalischer 
Reaction dar. Dasselbe wird beiläufig von 
der Mitte der Trächtigkeit an schleimig und 
bildet am Ende der Trächtigkeit eine weiss- 
liche, opalescirende, stark schleimige, in 
langen Schnüren auslaufende Flüssigkeit. Bei 
den kleinen Wiederkäuern wird sie weniger 
schleimig als beim Rinde. Kurz vor der Mitte 
der Trächtigkeit ist die Menge des Schaf¬ 
wassers äm grössten, bei der Geburt hat sie 
wieder wesentlich abgenommen. Im Schaf¬ 
wasser des Rindes finden sich zuweilen mit¬ 
unter sehr zahlreiche, rundliche, spindel¬ 
förmige, abgeplattete, aus den Haaren des 
Jungen gebildete Haarballen vor. 

4. Der Nabel sträng stellt den Weg 
für die vom Fötus zur Placenta und von dieser 
zum Fötus führenden Gefässe dar. Er besteht 



456 EIHAUTLÖSUN G. — EIHAUTWASSERSUCHT. 


aus folgenden Gebilden: a) aus zwei Nabel¬ 
arterien bei allen Hausthieren; b) aus der 
Nabelvene, die bei den Wiederkäuern und 
den Fleischfressern bis zum Nabelringe eine 
doppelte ist; c) aus der Harn- und Blasen¬ 
schnur (Urachus), einer zwischen den beiden 
Nabelarterien gelegenen häutigen Röhre, die 
vom Scheitel der fötalen Harnblase in den 
Hohlraum der Harnhaut führt und beide mit 
einander verbindet; d) aus den obliterirten 
Resten der Nabelgekrösgefässe und dem Stiel 
des Nabelbläschens; e)der Nabelstrangscheide. 
Die sämmtlichen Theile sind durch eine 
reichliche gallertartige Masse, der sog. War- 
thoniseben Sülze, mit einander vereinigt. Der 
Nabelstrang zerfällt beim Pferde in zwei 
Abtheilungen, in den fötalen, bis zur Schaf¬ 
haut reichenden Theil, und in den peripheri¬ 
schen, im Harnhautsacke gelegenen Theil. 
Am Anfänge dieser Portion findet sich die 
Mündung des Urachus (Urachustrichter). Bei 
den Wiederkäuern und den Fleisch¬ 
fressern ist der Nabelstrang viel kürzer als 
beim Pferde. Derselbe besitzt bei den Wieder¬ 
käuern, dem Schweine und den Fleischfres¬ 
sern nur eine fötale Portion. Beim Schweine 
ist die Nabelvene, wie beim Pferde, eine ein¬ 
fache. Der Nabelstrang des Hundes enthält 
noch den deutlichen Stiel des Nabelbläschens 
sowie der Nabelgekrösarterie und -Vene. Beim 
Hunde und dem Schweine ist der Urachus 
bei der Geburt gewöhnlich ohliterirt. Beim 
Rinde verhält sich die Länge des Nabel¬ 
stranges zur Länge des Körpers des Jungen 
wie 1:4'3, bei Schaf und Ziege wie 1: 5*8, 
beim Hunde wie 1: 2'4, bei der Katze wie 
1:31, beim Fohlen wie 1:1. Am relativ 
längsten ist der Nabelstrang beim Schweine. 

5. Das Nabelbläschen. Dasselbe ist 
ursprünglich durch die extrafötale Portion des 
inneren Blattes der Keimblase gebildet, steht 
durch den Nabelblasengang unmittelbar mit 
dem Darme in Höhlencommunication und ent¬ 
hält im Anfänge die ganze zur ersten Ent¬ 
wicklung des Eikernes bestimmte Dotter¬ 
masse. Während der ersten auf die Befruch¬ 
tung folgenden Tage wächst es rasch; mit 
dem Hervorsprossen der Allantois und dein 
Sicheinstellen des placentaren Kreislaufes 
fängt es aber an zu atrophiren und ver¬ 
schwindet endlich vollständig, wie bei den 
Wiederkäuern, oder schrumpft blos zusammen, 
wie beim Pferde, oder es erhält sich bis zur 
Geburt, wie beim Hunde. Beim vier- bis fünf¬ 
monatlichen Pferdefötus stellt das Nabel¬ 
bläschen einen bimförmigen, röthlichen, runz- 
lichen Körper, bei den Wiederkäuern einen 
bald wieder verschwindenden zweihürnigen 
und beim Schweine einen zweizipfeligen Sack 
dar. Das Nabelbläschen, resp. der Dotter¬ 
sack hat den Zweck, den Fötus während seiner 
embryonären Periode zu ernähren. Strebei. 

Eihautlösung, s. Chorion, Lösung des¬ 
selben. 

Eihautödem. Diese placentare Erkrankung 
kommt fast nur mit Eihautwassersucht oder 
im Gefolge von Asphyxie der Frucht vor; sie 


macht sich, so lange die Eihüllen im Uterus ver¬ 
weilen, durch keine Symptome erkenntlich. Sl. 

Eihautstich. Durch diese Operation be¬ 
zweckt man, sowohl das Abfliessenlassen des 
zu reichlich vorhandenen Fruchtwassers als 
auch eine künstliche Frühgeburt einzuleiten. 
Der Eihautstich empfiehlt sich fast nur für 
Kühe und besteht darin, dass man mit einem 
geeigneten stumpfen Instrumente, am besten 
mit einer Sonde, in den Gebärrautterhals ein¬ 
geht und sodann durch Vorwärtsstossen des 
Instrumentes die Eihäute durchbohrt. Beim 
Gebrauche der Sonde dringt man mit dem 
Finger in den Muttermund ein und schiebt 
sodann diese neben ersterem vorbei und 
stosst die Eihäute durch, worauf das Frucht¬ 
wasser abfliesst und in der Regel nach 1 bis 
2 Tagen die Frühgeburt eintritt. Die Vornahme 
des Eihautstiches durch die Flanke ist ganz 
verwerflich. Strebei. 

Eihautwassersucht besteht in einer über¬ 
mässigen Absonderung und Ansammlung der 
Fruchtwasser, namentlich des Schafwassers, 
in den Eihäuten, bildet eine meist gefähr¬ 
liche Complication der Trächtigkeit und kommt 
vorzugsweise bei Kühen, dann bei Schafen 
und Ziegen und nur selten bei der Stute vor. 

Aetiologie. Ueber dieselbe herrscht 
noch ziemliches Dunkel. Die Eihautwasser¬ 
sucht trifft häufig mit allgemeiner Wasser¬ 
sucht des Fötus, dann auch wieder mit 
Höhlenwassersucht des Mutterthieres zusam¬ 
men. In ersterem Falle bilden wohl fötale 
Kreislaufsstörungen und fötale Nierenerkran¬ 
kungen, namentlich hypertrophirte Nieren 
die Ursachen sowohl der fötalen als der Ei¬ 
hautwassersucht. 

Die Prognose ist für das Junge absolut 
ungünstig; dasselbe wird entweder, u. zw. meist 
todt geboren oder stirbt unmittelbar nach der 
Geburt. Auch für das Mutterthier ist dieselbe 
im Ganzen eine ungünstige; es gehen wohl 
die Hälfte der erkrankten Thiere zu Grunde, 
bezw. müssen als unheilbar geschlachtet 
werden. Einige, die davonkommen, erholen 
sich nur langsam. Die Folgen für das Mutter¬ 
thier sind um so ernster, je länger mit der 
Hilfeleistung zugewartet wird. 

Symptome. Das auffallendste Symptom 
bildet die starke Ausdehnung des Leibes, die 
besonders im letzten Viertel der Trächtigkeit 
in auffallender Weise stark hervortritt. Die 
Ausdehnung des Leibes nimmt rasch und 
beiderseitig zu. Das Junge lässt sich von der 
Bauchwand aus meist nur sehr schwer fühlen. 
Die Percussion des Bauches ergibt einen 
dumpfen Schenkelton. Das Athmen wird er¬ 
schwert, besonders beim Bergabgehen und 
beim Liegen; die Dispnoe steigert sich von 
Tag zu Tag. Es stellen sich Verdauungs¬ 
störungen, Meteorismus, verminderte Fress¬ 
lust, unregelmässiges Wiederkauen, starke 
Abmagerung, sowie grosse Entkräftung ein; 
die Thiere vermögen oft kaum mehr einige 
Schritte zu gehen. In Folge der übermässigen 
Ausdehnung der Bauchdecken reissen diese 
mitunter, und es entstehen dann öfters enorme 
Bruchsäcke, die in einigen Fällen fast bis 


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EILAMIDES. 

auf den Boden reichen. Bei der Unter¬ 
suchung durch den Mastdarm fühlt man an 
Stelle des Fruchthälters eine enorm ausge¬ 
dehnte, fluctuirende Blase, in welcher sich 
das Junge schwer, ja häufig nicht durchfühlen 
lässt. Der Gebärmutterhals findet sich meist 
verwischt und stark in die Bauchhöhle hinein¬ 
gezogen; er ist in hochgradigen Fällen ver¬ 
kürzt und vom Uterus aus trichterförmig 
erweitert. Auch der äussere Muttermund ist 
meist etwas geöffnet. In den hochgradigen 
Fällen tragen die Thiere sehr selten aus: die 
Kühe verwerfen meist im siebenten oder 
achten Monate, die Stuten selbst schon 
früher. Die Jungen, die ausgetragen werden, 
sind selbst meist wassersüchtig, wenn dies 
nicht, so doch stark verkümmert. Durch die 
manuelle Untersuchung durch den Mastdarm 
lässt sich die Eihautwassersucht deutlich von 
der Bauchwassersucht des Mutterthieres unter¬ 
scheiden. 

Sectionsergebnisse. Bei an Eihaut¬ 
wassersucht gestorbenen oder geschlachteten 
Thieren findet man den Fruchthälter ausser¬ 
ordentlich ausgedehnt und dessen Wandung 
sehr verdünnt und von blasser Färbung. Die 
Eihäute sind bald verdickt, hart und wider¬ 
standsfest, bald wieder verdünnt und sehr 
zerreissbar. Zuweilen sind sie ödematös. Die 
Schafhaut (oder Harnhaut) ist durch eine 
enorme Menge — bisweilen von 120—1501 
— einer bald klaren, durchsichtigen, gelb- 
röthlichen (Hydrallantois), bald von einer 
opalescirenden, schleimigzügigen Flüssigkeit 
(Hydramnios) erfüllt. Bisweilen enthalten 
die Allantoisanhänge eine beträchtliche Menge 
Flüssigkeit. Häufig sind auch die Jungen und 
die Mutterthiere hydropisch. 

Die Behandlung hat zur Hauptaufgabe 
die Entleerung des stark ausgedehnten Frucht¬ 
hälters. Diese, d. h. die künstliche Frühgeburt 
soll bei einmal festgestellter Diagnose unge¬ 
säumt, bevor die Krankheitserscheinungen 
einen zu hohen Grad erreicht haben, vorge¬ 
nommen werden. Behufs Einleitung der Früh¬ 
geburt öffnet man mit dem Finger den Mutter¬ 
mund und erweitert denselben, indem man 
nach und nach mit zwei, dann mit drei 
Fingern und endlich mit der ganzen Hand 
in denselben eindringt, möglichst weit, worauf 
man den Eisack mittelst des Fingers oder eines 
geeigneten stumpfen Instrumentes — einer 
Sonde — öffnet. Nach dem theilweisen Ab¬ 
flüsse der Fruchtwässer ist es am besten, 
den Fruchtabgang zu befördern, was selten 
mit grösseren Schwierigkeiten verbunden ist. 
Zum vollständigen Abflüsse der Frucht¬ 
wässer bringt man das Mutterthier in die 
Rückenlage. Diese Lage ist auch erforderlich 
in jenen Fällen, wo dem Gebärmutterhalse 
schwer oder nicht beizukommen ist. Die 
künstliche Erweiterung des Gebärmutterhalses 
mittelst eines Presschwammes geht zu 
langsam, selbst unzureichend von statten, und 
ist daher diese Methode zu verbannen. Ganz 
verwerflich ist sodann die Eröffnung des 
Uterus mittelst Punction von der rechten 
Flanke oder von der weissen Linie aus. Nach 


— EILEITER. 457 

dem Wasserabflüsse thut man gut, die schlaff¬ 
werdenden Bauchdecken mittelst über dem 
Rücken zusammengenähter Binden oder Lein¬ 
tücher zu unterstützen. Den Thieren lässt 
man gute, kräftige, jedoch nicht zu voluminöse 
Nahrungsmittel verabfolgen. Strebei. 

Eilamide8(vj eikju'?, v. etXeTv, umwickeln), 
Hirnhäute. Sussdorf. 

Eileiter. Anat omie. Die Eileiter, Mut¬ 
tertrompeten, Fallopische Trompeten 
oderRöhren (oviductus, tubae uterinae s.Fallo- 
pianae) stellen die Ausführungsgänge der Eier¬ 
stöcke dar, durch welche das von den letzteren 
frei gewordene Ei nach der Gebärmutter, ausser¬ 
dem aber auch der bei der Begattung in den 
weiblichen Geschlechtscanal gespritzte Samen 
nach den Eierstöcken gelangt. Der rechte und 
der linke Eileiter bildet demgemäss eine am 
rechten, bezw. linken Eierstock anfangende und 
am vorderen Ende des entsprechenden Gebär - 
rautterhornes endende, zwischen die Platten 
der als Eileiterfalte bezeichneten Bauchfell¬ 
verdoppelung eingeschlossene Röhre. Jeder 
Eileiter besteht aus der Muskelhaut, an welcher 
man eine äussere Schicht von spärlich vor¬ 
handenen Längsfasern und eine innere, stärkere 
Schicht von Kreisfasern unterscheiden kann, 
und aus der Schleimhaut. Letztere trägt ein 
Flimmerepithcl und besitzt zahlreiche kleine 
faltenartigeHervorragungen und zwischen diesen 
seichte Vertiefungen. Die Eileiter stellen die 
einzige offene Communication zwischen einem 
serösen Sack und den äusseren Körper¬ 
öffnungen dar. 

Bei den Einhufern verlaufen die Eileiter 
(s. Fig. 449, Eil) stark geschlängelt in kurzen 
Windungen, welche gegen die Gebärmutter hin 
allmälig sich mehr in die Länge strecken 
und undeutlicher werden — Isthmus der 
Eileiter (s.Fig. 449, 4). Die beidenOeffhungen 
werden als Bauch Öffnung (ostium abdo¬ 
minale (s. Fig. 449, 7) und als Gebärmutter¬ 
öffnung (ostium uterinum) bezeichnet. Die 
Bauchöffhung kann einen schwachen Gänse¬ 
federkiel aufnehmen, führt in den weitesten Theil 

— Ampulle des Eileiters (s. Fig. 449, 5) 

— und wird von einer Platte — den Fransen 
desE i 1 e i te r s (s Fig. 449,6) — umgeben, welche 
sich durch die Eierstocksfranse mit dem nach 
der Emissionsgrube führenden Einschnitt des 
Eierstockes verbindet. Die Platte besteht aus 
einer Schleimhaut, an welcher sich die Bauch¬ 
öffnung des Eileiters befindet, und aus dem 
Bauchfell; zwischen diese beiden Häute strahlen 
sparsame Längsfasern von der Muskelhaut 
des Eileiters ein, welche jedoch nicht bis zu 
dem Rande der Platte verfolgt werden können, 
an letzterem grenzen vielmehr Schleimhaut 
und seröse Haut unmittelbar an einander. Die 
Schleimhaut der Platte liegt in zahlreichen 
niedrigen, radiär verlaufenden Falten, welche 
zum grossen Theil den Rand der Platte über¬ 
ragen und demselben ein zackiges, ausgenagtes 
Ansehen verleihen (morsus diaboli h.).Nahe dem 
Rande finden sich häufig eine oder einige ge¬ 
stielte, erbsen- bis bohnengrosse runde Bläschen 
als Ueberreste einer fötalen Bildung — des 
Ganges vom Wolffschen Körper — welche als 


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458 


EILEITER. 


Morgagnische Endhydatiden bezeichnet 
werden. Die Gebärmutteröflhung des Eileiters 
ist so eng, dass sich kaum ein feines Haar in 
dieselbe einbringen lässt; sie findet sich auf 
einer kleinen, kegelförmigen, härtlichen Papille 
der Schleimhaut am vorderen Ende der Gebär- 
inutterhömer. 

Die Eileiter der Wiederkäuer (siehe 
Pig. 450 und „Gebärmutter“) sind ver- 
hältnissmässig länger und weiter; sie ver¬ 
laufen weniger geschlängelt als die der Ein¬ 
hufer, behalten namentlich auch nahe den • 
Gebärmutterhörnern, in deren Spitze sie ohne 
scharfe Grenze übergehen, einen grösseren 
Durchmesser. Die Bauchöflhung ist trichter¬ 
förmig, die Gebärmutteröflhung markirt sich 
nicht durch eine Papille der Schleimhaut. 

Bei den Schweinen verhalten sich die 
Eileiter (s. Fig. 451) im Wesentlichen wie bei 
den Wiederkäuern, sie verlaufen jedoch noch 
weniger geschlängelt, Windungen fehlen fast 
ganz, der trichter- oder ampullenförmige Theil 
in der Nähe der Bauchöffhung ist sehr dünn¬ 
wandig. 

Die meist mit einer reichlichen Fettlage 
umhüllten Eileiter der .Fleischfresser ver¬ 
laufen ganz versteckt in der Eierstockstasche 
und bilden, ohne Windungen zu machen, einen 
nach vorne convexen Bogen. Sie sind sehr eng, 
die Gebärmutteröflhung markirt sich durch 
eine kleine Papille. 

Bei den Vögeln (s. Fig. 452) ist ent¬ 
sprechend der Verkümmerung des rechten Eier¬ 
stockes nur der linksseitige Eileiter vorhanden. 
Er stellt ein langes, weites, sehr ausdehnbares, 
geschlängelt verlaufendes Rohr dar, welches an 
einem kurzen, dem breiten Mutterbande entspre¬ 
chenden Gekröse (Mesenterium) hängt und 
aus einer serösen, einer Muskel- und einer 
Schleimhaut besteht. Das vordere Ende des 
Rohres, welches dem Eileiter der Säugethiere 
entspricht, besitzt dicht hinter dem Eierstock 
eine schlitzförmige Oeffnung, welche die vom 
Eierstock sich lösenden Eier aufnimmt und 
zunächst in einen dünnwandigen Behälter — 
in den Trichter (infundibulum) — führt. Der 
vordere Theil verengt sich im Verlaufe nach 
hinten etwas und geht, sich plötzlich erweiternd, 
in den Eihälter über, welcher dickwandiger 
und mit der Gebärmutter der Säugethiere zu ver¬ 
gleichen ist. Der hintere wieder enger werdende 
Theil ist der Scheide der Säugethiere an die 
Seite zu stellen; derselbe öflhet sich durch eine 
sehr erweiterungsfähige Spalte in die Cloake 
nach aussen von dem linksseitigen Harnleiter. 
Die Schleimhaut des vorderen und mittleren Ab¬ 
schnittes — des Eileiters und des Eihälters — 
besitzt zahlreiche geschlängelte, bezw. blatt¬ 
förmige Falten; sie sondert in dem Eileiter 
die den Dotter umhüllende Eiweisschicht ab, 
während die Kalkschale des Eies erst in dem 
Eihälter gebildet wird. Der Eileiter der Vögel 
ist demgemäss nicht blos als Ausführungsgang 
des Eierstockes anzusehen, sondern als ein 
Organ, in welchem sehr wesentliche Bestand¬ 
teile des Eies — Eiweisschicht und Kalk¬ 
schale — gebildet werden. tifiillcr. 

Histologie. Der Eileiter ist aussen von der 


Serosa des Bauchfelles überzogen (Fig. 454) und . 
besteht der Hauptsache nafh aus einem Muskel- 
rohrb und einem Schleimhautrohre. Unter dem 
Endothelbelage der Serosa ist zunächst ein von 
ausserordentlich vielen Gefässzweigen durch¬ 
setztes lockeres Bindegewebe (Adventitia), die - 
Muskelwand besteht aus einer mächtigen 
Schichte von glatten Muskelringen, spärlich sind 
zwischen und peripher von der Ringmuskel¬ 
schichte auch longitudinale Muskelzüge enthal¬ 
ten, welche in die Fimbrien ausstrahlen. Die 
bindegewebige Schleimhaut bietet auf dem Quer¬ 
schnitt ein zierliches sternförmiges Aussehen* 
weil sie zahlreiche Falten gegen das Lumen 



Fig. 4ö4. Querschnitt durch die Eileiterwand (vom 
Schwein), a Ringmuskelscliicht, b Serosa, c gefhssreiches 
subseröses Bindegewebe, d Schleimhaut. 


bildet, welche von blattförmiger, kegelförmiger 
und viel verzweigt er Gestalt sind und das Lumen 
sehr nischenreich gestalten. Namentlich in der 
Ampulle des Oviducts sind die Falten sehr 
complicirt. Die Schleimhaut ist aus fibrillärem 
und zelligem, sehr gefässreichem Bindegewebe 
aufgebaut, in welches auch glatte Muskelfasern 
eintreten, sie ist durchwegs von einem der 
Uterusöflnung zu wimpernden Cylinderepithel 
überzogen. Am Rande der Eierstocksfransen 
ist die einzige Steile des Thierkörpers, an der 
eine Serosa und eine Schleimhaut direct 
Zusammentreffen. Die Cilienbewegung der 
Flimmerepithelien spielt nicht nur eine Rolle 
für Fortschaffung des Eies durch die Tube, son¬ 
dern auch für die Adaption der Fimbrien an 
den Eierstock, resp. an dem zum Platzen reifen 
Follikel. Kitt. 

Die Krankheiten der Eileiter bestehen 
in Lageveränderuhgen, Verengerungen und 
Verschluss, Hydrops, Circulationsstörungen, 
Blutungen, Entzündungen, Neubildungen, Ent¬ 
wicklung der Frucht in denselben. 

Lage Veränderungen werden bedingt 
durch Lageveränderungen der entarteten und 
vergrösserten Ovarien, durch welche auch 
Axendrehungen an den Tuben veranlasst 
werden, durch Hernien und Vorfälle der 
Ovarien und Uterushörner. 

Verengerungen und Verschluss der 
Eileiter ist ein partieller oder totaler und 
betrifft meist die Mitte oder auch die Enden 
und wird bewirkt durch entzündliche Zustände, 



EILEITERFALTE. — EINÄSCHERN. 


459 


Neubildungen, Ansammlungen von Schleim und 
Eiter, Knickungen, Zerrungen, Adhäsionen. 

Die Erweiterung der Tuben ist eine 
sackartige oder gleichmässige und entsteht 
meist oberhalb verengerter oder verschlossener 
Stellen durch Ansammlungen von Schleim, 
Blut, Eiter oder seröser Flüssigkeit (als 
Hydrops tubarum). Durch mehrere partielle 
Ausbuchtungen und Erweiterungen erlangen 
die Eileiter zuweilen eine rosenkranzähnliche 
Gestalt. 

Rupturen und Zerreissungen der Tuben 
werden verursacht durch Ansammlungen von 
Blut, Schleim, Eiter, seröser Flüssigkeiten, 
durch das Durchpassiren sehr grosser Eier 
beim Geflügel und durch die Tubarschwanger- 
schaft. 

Hyperämien der Tubarschleimhaut 
kommen unter normalen Verhältnissen wäh¬ 
rend der Brunst vor. Ferner als Begleit¬ 
erscheinung von Circulationsstörungen in dem 
hinteren Hohlvenensystem und bei Entzün¬ 
dungen des Uterus und der Ovarien. 

Blutergüsse in die Tuben finden statt bei 
der Brunst und bei entzündlichen Zuständen 
und Rupturen. Die Blutergüsse können bei 
gleichzeitigen Verengerungen oder Oblitera¬ 
tionen zu bedeutenden Ausdehnungen und 
Auftreibungen, zur Bildung der Haematome 
der Tuben oder des Haematosalpinx führen. 
Das an gehäufte Blut bildet gleichmässige 
oder geschichtete Gerinnsel. 

Die Entzündung der Tuben, Salpingitis, 
zerfällt in eine katarrhalische und eine eiterige. 
Die katarrhalische Entzündung verläuft acut 
und chronisch und ist meist verbunden mit 
gleichzeitigem Katarrh des Uterus und der 
Vagina. Die Schleimhaut der Tuben erscheint 
geröthet bis graubraun, geschwellt, verdickt, 
die Tuben mit Schleim angefüllt. 

Die eiterige Entzündung der Tuben ent¬ 
steht meist nach der Geburt bei gleichzeitiger 
Entzündung des Uterus und führt zu Eiter¬ 
ansammlungen in den Tuben (Pyosalpinx). 
Die Entzündung führt häufig zu Geschwür¬ 
bildungen, Absccssen, Obliterationen, Perfora¬ 
tionen mit nachfolgender Peritonitis. 

Von Neubildungen werden in den 
Tuben angetroffen: Cysten, Fibroide, Sarcome, 
Carcinome, am häufigsten aber Tuberkel (bei 
Rindern). 

Tubarschwangerschaft erfolgt,wenn 
das Ovulum in den Tuben sitzen bleibt, dort 
befruchtet wird und sich bis zu einem gewissen 
Grade entwickelt. Nachher erfolgt Ruptur der 
Tuben, Hineinfallen der Frucht in die Bauch¬ 
höhle mit Verjauchung des Fötus und nach¬ 
folgender Peritonitis, oder die Frucht trocknet 
ein, wird zu einem Lithopädion und bleibt in 
der Bauchhöhle liegen. 

Die Behandlung der Krankheiten der 
Eileiter fällt zusammen mit der Behandlung 
der Krankheiten des Uterus. Semmer. 

Eileiterfalte, s. Eierstock. 

Eileiterschwangerschaft. Diese Art von 
extrauteriner Trächtigkeit ist bisher höchst 
selten bei den Hausthieren beobachtet worden. 
Das vom Eierstocke losgelöste befruchtete Ei 


wird aus irgend einer Ursache aufseinerWande- 
rung durch den Eileiter in diesem angehalten, 
wo es aber mangels an Raum und dem noth- 
wendigen Ernährungsmaterial nicht zur Reife 
gedeiht, sondern schon frühzeitig zu Grunde 
geht. Strcbel. 

Eilema {xb zTkr^a) = Heus. .Sussdorf. 

Einäschern (veraschen) wird eine bei 
der chemischen Analyse organischer Körper 
zur Anwendung kommende Operation genannt, 
durch welche bezweckt wird, die in den orga¬ 
nischen Körpern etwa vorhandenen minerali¬ 
schen Bestandteile behufs weiterer Prüfung 
zu gewinnen. Dies wird erreicht, wenn man 
die betreffenden Substanzen durch hohe Hitze¬ 
grade zersetzt, hiebei wird Alles, was eine 
organische Verbindung darstellt, verbrannt, 
und im Rückstand verbleiben die minerali¬ 
schen feuerbeständigen Salze in Form der 
Asche (s. d.). Die Zusammensetzung einer 
solchen .Asche lässt aber nicht immer dar¬ 
auf schliessen, in welcher Weise die ein¬ 
zelnen Bestandteile derselben in der organi¬ 
schen Substanz enthalten waren. Wenn man 
z. B. in der Asche von Blut Kalium, Na¬ 
trium, Phosphorsäure und Salzsäure findet, 
so wird damit noch nicht gesagt, dass das 
phosphorsaure Kali in den Blutkörperchen, 
das Chlornatrium im Blutserum enthalten 
war, dies könnte man erst durch specielle 
Versuche erfahren; überdies werden durch 
die Oxydationsvorgänge, welche beim Ein¬ 
äschern der organischen Körper stattfinden, 
wobei häufig der organisch gebundene Schwefel 
und Phosphor zu Schwefelsäure, bezw. Phos¬ 
phorsäure oxydirt wird, die mineralischen 
Bestandteile in der Asche in einer anderen 
chemischen Form gefunden, als sie in der 
ursprünglichen Substanz vorhanden waren. 
Das Einäschern wird entweder in einem 
Platintiegel oder in einem Porzellan-Glas¬ 
schälchen vorgenommen. Bei phosphorhaltigen 
Körpern, auch bei solchen, welche phosphor- 
saure Salze enthalten — tierische Stoffe, 
Pflanzensamen, Mehl — werden die Platin¬ 
tiegel leicht zerstört, indem die Kohle der 
verbrennenden Substanz leicht die Phosphor¬ 
säure zu Phosphor reducirt, wobei sich leicht 
flüssiges Phosphorplatin bildet. Es werden 
daher phosphor- und phosphorsäurehaltige 
organische Substanzen zweckmässig in Por¬ 
zellantiegeln verascht. 

Das EinäSchem muss, um vor Verlusten 
an gewissen Aschenbestandtheilen, die leicht 
flüchtig oder zersetzbar sind, geschützt zu 
sein, bei genauen Analysen sehr vorsichtig 
ausgeführt werden. Wegen der Flüchtigkeit 
der Alkalichloride (Chlorkalium und Chlor¬ 
natrium) in der Rothgluthitze, auch wegen 
der reducirenden Wirkung der Kohle auf die 
Schwefelsäure, wobei Schwefel entsteht, welcher 
später zum Theil zu schwefeliger Säure oxy- 
dirt wird, die jedoch flüchtig ist — verfährt 
man J>ei der Veraschung thierischer und 
pflanzlicher Stoffe in der Weise, dass man 
die getrocknete Sübstanz zunächst bei mässiger 
Hitze nur verkohlt. Man befreit nun die 
Kohle durch Auslaugen mit heissem Wasser 



460 


EINATHMUNGEN. — EINFUHR. 


von den löslichen Salzen (Chloralkalien, 
phosphorsaure und schwefelsaure Alkalien) 
und äschert erst die nun ruckbleibende voll¬ 
ständig ein. In der nun resultirenden Asche 
findet man die in Wasser unlöslichen Salze, 
namentlich in der thierischcn Asche die 
Erdphosphate, Eisenoxyd und in der P fl an z e n- 
asche kieselsauren, kohlensauren, phosphor¬ 
sauren Kalk und Magnesia, Eisenoxyd und 
Manganoxyd. Loebisch. 

Einathmungen medicamentöser Stoffe (s. 
Inhalationen). 

Einbalsamiren. Das Verfahren, welches 
man anwendet, um Leichname vor Verwesung 
zu schützen. Schon die Assyrer, Scythen und 
Perser hatten hiefür verschiedene Methoden, 
doch am meisten entwickelt wurde diese Kunst 
von den alten Aegyptern, bei denen alle Leichen 
und viele Thiere einbalsamirt wurden. Die 
vollkommenste Methode der Aegypter bestand 
in Entleerung der Kopfhöhle und Ersatz des 
Gehirns durch aromatische Substanzen,Heraus¬ 
nahme der Eingeweide, Imprägnirung der¬ 
selben mit aromatischen Stoffen und Aus¬ 
füllung der Bauchhöhle mit wohlriechenden 
Harzen oder Asphalt; ferner in Einweichen 
des ganzen Cadavers in Auflösungen von 
Natronsalzen, und schliesslich in luftdichter 
Einwicklung des ganzen Leichnams in mit 
aromatischen Stoffen getränkte Binden. Wie 
der Anblick der Mumien lehrt, wurde durch 
dieses Verfahren nur eine Verlangsamung des 
Verwesungsprocesses erzielt. Manche süd¬ 
amerikanische wilde Stämme conserviren ihre 
Leichen durch Austrocknen an der Luft. In 
neuerer Zeit wird, um die Leiche, besonders zur 
Sommerszeit, für grössere Entfernungen trans¬ 
portfähig zu machen, folgende Prä parirung 
der Leiche vorgenommen: Man eröffnet die 
drei Körperhöhlen, nimmt die Eingeweide 
heraus und reinigt diese sowie die Körper¬ 
höhlen von dem ausgetretenen Blute: hierauf 
werden die Eingeweide, nachdem zuvor noch 
insbesondere der Magen und die Gedärme 
von ihrem Inhalte befreit und in Wasser ge¬ 
waschen wurden, in eine alkoholische Subli¬ 
matlösung gelegt und mit derselben Lösung 
die ganze innere und äussere Oberfläche des 
Körpers mittelst Pinseln oder Schwämmen 
gewaschen und getränkt. Dieses Verfahren 
liat wenigstens eine halbe Stunde zu dauern. 
Die Eingeweide werden nun wieder in die 
entsprechende Körperhöhle gelegt, die hierauf 
sorgfältig zusammengenäht wird, worauf die 
Leiche in den theilweise mit Sägespänen oder 
Häckerling gefüllten Sarg gebracht, und dieser 
hierauf fest verschlossen und verpicht wird. 

Das Einbalsamiren wird gegenwärtig 
nicht nur geübt, um die Leichen in Särgen 
zu conserviren, beziehungsweise deren Fäulniss 
zu verlangsamen, sondern auch um dieselben 
für das anatomische Studium auf längere Zeit 
hinaus brauchbar zu erhalten. Für beide 
Zwecke ist ein wesentlicher Fortschritt der 
Methodik durch die von Franchina zuerst 
geübte und von Gannal (Paris 1841) popu- 
larisirte Art der Einbalsamirung mittelst In- 
jection von antiseptischen Flüssigkeiten durch 


die Carotis erreicht worden. Gannal zeigte, 
dass Thonerdesalze (Aluminiumsulfat, Kali¬ 
alaun), in die Gewebe injicirt, eine solche 
Verbindung der Thonerde mit den Geweben 
des Körpers bewirken, wodurch der natürliche 
Turgor und die Form aller Theile ziemlich 
lange unverändert bleibt, zugleich auch die 
Fäulniss lange hinausgeschoben wird. Später 
empfahl Sucquet eine Auflösung von Chlor¬ 
zink zur Injection in die Gefässe. Die Stoffe, 
welche zu Gefässinjectionen bisher verwendet 
wurden, sind entwederdirect fäulnisshemmende 
oder wasserentziehende Stoffe, auch Gemische 
beider: Sublimat, Chlorzink, Arsenik, Essig¬ 
säure, Thonerde, Gerbsäure, Mischung von 
Schwefelsäure, Alaun und Salpeter, Carbol- 
säure, Alkohol, Holzgeist, Carbolsäure-Glycerin- 
Spiritus-Mischung. Es lässt sich leicht berech¬ 
nen, dass, wenn den Gebrauch der Einbalsa¬ 
mirung der Leichen die ganze Menschheit 
üben würde, binnen 3000 Jahren die Leben¬ 
digen durch die Todten von der Erde ver¬ 
drängt werden möchten. Loebisch. 

Einbettungsmethoden, s. mikroskopische 
Technik. 

Einbiss ist die Bezeichnung für die 
äussere, am besten von der Seite abzusehende 
Form der bleibenden Eckzähne des Ober¬ 
kiefers in bestimmten Altersperioden des 
Pferdes. 

Das Wesen des Einbisses besteht in einem 
mehr oder weniger deutlich ausgeprägten 
dreieckigen über das Niveau der Reibefläche 
der übrigen Schneidezähne und der vorderen 
zwei Drittheile der Eckzähne des Oberkiefers 
nach abwärts vorragenden Keile der Zahn¬ 
masse. Diese keilförmige Verlängerung des 
Eckzahnes kommt dadurch zu Stande, dass 
die in gewissen Jahren erfolgende bedeutendere 
Streckung des Körpers vom Unterkiefer gegen¬ 
über den die Schneidezähne tragenden Zwi¬ 
schenkieferbeinen das letzte Drittel der Eck¬ 
zähne des Oberkiefers ausser Reibung gesetzt 
wird und hiedurch sich nach abwärts ver¬ 
längern muss. In dem Grade als die Streckung 
des Bogens der Zwischenkieferbeine jener 
des Unterkiefers nachfolgt, verschwindet der 
Einbiss allmälig wieder. Der Einbiss, welcher 
an Grösse und deutlicher Ausprägung variirt, 
kommt zum erstenmale mit neun und zum 
zweitenmale mit fünfzehn Jahren am deut¬ 
lichsten vor. Ausnahmsweise sieht man auch 
zwischen 21 und 24 Jahren einen dritten Ein¬ 
biss entstehen. Mitunter kommt der Einbiss 
auch schon früher als in den erstgenannten 
zwei Perioden vor, und muss derselbe dann 
mit den anderweitigen Formabweichungen der 
Zähne in Einklang gesetzt werden (s.Alters- 
beurtheilung der Hausthiere). Lechner . 

Einfarbiges Gebirgsvieh, s. Gebirgsvieh. 

Einfuhr von Vieh und Beschränkungen 
derselben. Es ist eine bekannte Thatsache, 
dass solche Länder, deren Fleischconsum 
durch die einheimische Viehproduction voll¬ 
kommen gedeckt wird, seltener von Seuchen 
heimgesucht werden, falls sie nicht selbst 
Heimatländer von Seuchen sind oder durch 
den Transit-Viehhandel zu leiden haben. Von 



EINGEBEN VON ARZNEIMITTELN. — EINGESATTELT. 


461 


den europäischen Ländern haben Schweden, 
Norwegen, Dänemark, Irland, Spanien und 
Portugal am wenigsten von Viehseuchen zu 
leiden gehabt, weil ihr Viehimport ein ge¬ 
ringer ist und ein Transithandel mit Vieh in 
denselben nicht stattfindet. England wurde, 
so lange das Vieheinfuhrverbot dort aufrecht 
erhalten wurde, nicht häufig von grossen 
Seucheninvasionen heimgesucht. Die Lungen¬ 
seuche und die Schafpocken kamen z. B. erst 
nach Aufhebung des Einfuhrverbots (1842) 
dorthin; bis dahin waren diese Seuchen in 
England unbekannt. Gegenwärtig existiren 
in den meisten Ländern Europas Verbote 
gegen die Einfuhr russischen Viehs wegen der 
in Südrussland ununterbrochen herrschenden 
Rinderpest. In der That wird eine Verschlep¬ 
pung der Rinderpest durch russisches Vieh 
in andere Länder Europas durch Einfuhrver¬ 
bote sicher verhütet. Verbote aber gegen die 
Einfuhr von Kleinvieh, wie sie wegen der 
Trichinen, Finnen, Schafpocken etc. erlassen 
werden, sind vollkommen unnütz, da diese 
Krankheiten über die ganze Erde verbreitet 
Vorkommen und Trichinosis unter Menschen 
nur da herrscht, wo rohes Schweinefleisch 
genossen wird. Einfuhrverbote sind nur da 
zeitweilig aufrecht zu erhalten, wo besonders 
gefährliche Seuchen in den Nachbarländern 
herrschen. Semmer . 

Eingeben von Arzneimitteln hat bei den 
Thieren viele Schwierigkeiten, indem ihnen 
meist Zwang angethan werden muss; es kommt 
übrigens viel darauf an, in welcher Form die 
Verabreichung geschehen soll. Am einfachsten 
gestaltet sich das Eingeben von Pillen, das 
sehr beliebt ist, da das Beibringen flüssiger 
Arzneien gefährlich ist und die Pulver nicht 
immer im Futter angenommen werden. Die 
Application geschieht entweder mit der Hand 
oder mit dem Pillenstock. Im ersteren Falle 
zieht man die Zunge bei Pferden und Rindern 
mit der linken Hand erst ziemlich weit aus 
dem Maul heraus, sucht mit den Fingern 
einen Stützpunkt an dem Unterkiefer, um bei 
unerwarteten Bewegungen des Thieres keine 
Zerrung oder gar Zerreissung zu veranlassen, 
und schiebt dann mit der rechten Hand die 
Pille über den Zungengrund hinweg, von 
welcher Stelle aus dann unwillkürlich abge¬ 
schlungen werden muss. Beim Eingeben mit 
dem Pillenstock verfährt man bei dem ersten 
Acte in derselben Weise, nur steckt man die 
Pille auf das konisch zugespitzte Ende eines 
Stockes, schiebt dasselbe ebenfalls über den 
Zungengrund hinweg und zieht dann den Stock 
unter Anpressen an die Zunge mit einem 
Ruck zurück, um das gefasste Organ daun 
alsbald fahren zu lassen. Weniger gebräuch¬ 
lich, aber bequem ist der Pillenstock, an dessen 
Ende eine Höhlung zum Einlegen der Pille 
angebracht ist, welch letztere dann durch 
eine Springfeder in die Rachenhöhle geschnellt 
wird. Die Latwerge können in ganz ähn¬ 
licher Weise eingegeben werden, wenn man sie 
pillenähnlich formt, weichere, schieckenartige 
Arzneiformen werden dagegen mit einem spatel¬ 
ähnlichen Holze auf den Zungenrücken einge¬ 


schoben und hier abgestreift. Selbstverständlich 
ist, dass man Vorsicht üben muss, um keine Ver¬ 
letzungen der Schleimhaut zuwege zu bringen. 
Um Flüssigkeiten bei Pferden einzugeben, 
zieht man am besten mit einer Strickschlinge 
den Oberkiefer in die Höhe oder verwendet 
hiezu besondere Eingebezäume, vermeidet aber 
ein zu starkes Erheben des Kopfes, da sonst 
die festangespannten Brustzungenbein- und 
Brustschild muskeln das Abschlingen er¬ 
schweren; die Zunge darf selbstverständlich 4 ' 
wenn die Flüssigkeit in der Maulhöhle ange- 
kommen, nicht festgehalten werden, und sobald 
das Thier hustet, muss sofort der Kopf frei¬ 
gegeben und das Einschütten sistirt werden. 
Bei Rindern ist das Geschäft einfacher, denn 
man zieht ihnen das Maul durch kräftiges 
Fassen und Herabziehen der Hörner in die 
Höhe, öffnet die Maulspalte und giesst aus der 
Flasche ein, u. zw, nicht in ununterbrochenem 
Strahle, sondern in einzelnen. Portionen und 
ist dabei zugleich darauf zu sehen, dass den 
Thieren der Kopf nicht nach einer Seite ver¬ 
dreht wird. Hunde und Schafe nimmt man 
zwischen die Beine, hebt den Kopf hoch und 
giesst mit einer Flasche oder einem Löffel ein. 
Schweine fasst man zu diesem Zwecke an den 
Ohren, öflhet mit einem Stück Holz das Maul 
und giesst mit grosser Vorsicht langsam ein, 
denn diese Thiere verschlucken sich sehr leicht, 
und es ist schon vorgekommen, dass sie unter 
dem Eingeben erstickten, wie denn auch bei 
den anderen Thieren alles Ein geben flüssiger 
Arzneien als gefährlich bezeichnet werden 
muss und alljährlich eine grosse Menge Pferde 
dadurch zu Grunde geht. Die Todesursache 
ist meist eine mechanische Lungenentzündung 
(Schluckpneumonie), welche nur die Rinder zu 
überstehen pflegen; vor jedem Einschütten ist 
daher nicht nur die Arznei gut zu seihen, 
sondern auch die Maulhöhle sorgfältig aus¬ 
zuspritzen, damit hier sich aufhaltende Futter¬ 
partikel nicht unter den Kehldeckel kommen 
können. Die heutige Therapie hat das Ein¬ 
schütten ganz wesentlich beschränkt, da auch 
bei aller Vorsicht ein Todesfall eintreten kann, 
und ganz unterlassen muss es werden bei hohen 
Fiebern, beschleunigtem Athmen, Störungen des 
Bewusstseins und jenen Erkrankungen, welche 
ohnedies schon mit nervöser Aufregung ver¬ 
knüpft sind, insbesondere aber bei dem Starr¬ 
krampf. Bei manchen acuten Leiden sind 
freilich Einschütte nicht wohl zu entbehren, 
wie z. B. bei Magen- und Darmentzündungen, 
hartnäckigen Verstopfungen, einzelnen Koliken, 
Löserdürre, Harnverhaltung u. s. w. Auch sind 
unter Umständen die Thiere durchaus nicht 
zum Schlucken zu bringen, keinesfalls darf 
aber geduldet werden, dass ihnen die Flüssigkeit 
durch die Nase eingegossen wird oder die 
Nasenlöcher zugehalten werden. Vogel. 

Das Ein geben von Arzneimitteln gibt, 
wenn es nicht nach den vorschriftsmässigen 
Regeln erfolgt, Anlass zu gerichtlichen Klage¬ 
fällen (s. u. Beschädigungen). Semmer . 

Eingesattelt — eingesattelter Rücken — 
ist derjenige, welcher hinter dem Widerriste 
zu beiden Seiten des Rückens in Folge des 



— EINGEWEIDEBÄNDER. 


462 EINGESTREUTE HAARE. 

Druckes vom Sattel oder einem andereü Ge¬ 
schirre Schwund der Muskulatur aufweist. 
Der Schwund der Muskulatur ist bald mehr, 
bald weniger ausgeprägt, und an diesen Stellen 
findet man auch immer gröbere und theils 
weisse oder graue Haare sowie eine weniger 
schöne Haarlage vor. Die Form des Rückens 
kommt hiebei durchaus nicht in Betracht, 
weil jeder Rücken „eingesattelt“ sein kann, 
und es ist daher nicht richtig, den einge- 
sattelteji Rücken dem Wesen nach mit dem 
Senkrücken (s. cL) zu identificiren. Kommen 
Pferde mit ein ge sattelten Rücken in Dienstes¬ 
verhältnisse, in denen sie nicht mehr unter 
der früheren Beschirrungsart stehen, so bessert' 
sich -mitunter dieser Zustand insbesondere 
dann etwas, wenn den Thieren nebstbei Weide¬ 
gang gestattet wird. Lcchncr. 

Eingestreute Haare, s. Haarfarben. 

Eingeweide. Im gewöhnlichen Leben 
werden zu den Eingeweiden sämmtliche Organe 
gerechnet, welche.in den verschiedenen Höhlen 
des thierischen Körpers ihre Lage haben. In 
der Anatomie ist es jedoch gebräuchlich, als 
Eingeweide (viscera) nur diejenigen in den 
verschiedenen Körperhöhlen gelegenen Organe 
zu bezeichnen, welche durch die natürlichen 
Körperöffuungen direct oder indirect mit dem 
das Thier umgebenden Medium in Verbindung 
stehen; inithin die Organe des Athmungs-, 
Geschlechts-, Ham- und Verdauungsapparates. 
Dagegen zählt die Anatomie Gehirn, Rücken¬ 
mark und Herz, obgleich diese Organe in 
Körperhöhlen liegen, nicht zu den Eingeweiden, 
denn dieselben communiciren weder direct 
noch indirect mit der Ausseuwelt. Müller. 

Eingeweidebänder, Ligamenta viscerum, 
nennt man jene Gewebszüge, welche bestimmt 
sind, die Eingeweide in ihrer Lage zu erhalten. 
Sie bestehen meistens aus fibrillärem Binde¬ 
gewebe, welchem elastische Fasern und häufig 
auch organische Muskeln beigemengt sind. So 
weit sie in den Körperhöhlen liegen, werden 
sie von der Auskleidung derselben, den serösen 
Häuten, Pleura und Peritoneum gebildet. Diese 
letzteren treten von derKörperwand aus in Form 
einer Falte zu den Organen und schliessen 
sie ein, so zwar dass die Organe in die Falte 
hinein zu lifegen kommen. Zwischen den beiden 
für gewöhnlich an einander liegenden Blättern 
dieser Serosafalte oder Duplicatur verlaufen 
fast regelmässig die für die Organe be¬ 
stimmten Gefässe und Nerven und tragen so 
zur Festigkeit der Bänder wesentlich bei. 
Diese letzteren kommen meistens vom Zwerch¬ 
fell oder von der oberen Körperwand, treten 
aber nicht selten auch von Organ zu Organ. 

Man gruppirt die Eingeweidebänder am 
besten nach den Körperhöhlen und dann nach 
den Organen, welche sie fixiren. In der Brust¬ 
höhle ist es das Mittelfell, Mediastinum, 
welchem die Hauptbandwirkung zukommt. 
Als Lungen-Zwerclifellband, Ligamentum 
pulmonalis h., wird eine Brustfellduplicatur 
bezeichnet, welche je vom medialen Th eile 
des oberen scharfen Lungenrandes, an das 
Mittelfell und an den Schlund angrenzend, 


zum Zwerchfellspiegel verläuft. In* der Bauch¬ 
höhle gehen vorab eine Reihe von Bändern 
vom Zwerchfell aus an die angrenzenden Or¬ 
gane Leber, Magen und Milz. Die Leborbänder 
verhalten sich bei allen Thieren annähernd 
gleich. Ein starker Bandzug, das Kranz¬ 
band der Leber, Ligamentum coronarinm, 
verläuft vom oberen Drittheil des Zwerch¬ 
felles, dasselbe traversirend, direct zum oberen 
Leberrand. Seine beiden Enden sind stärker 
und länger als das Mittelstück und werden 
wohl auch als rechtes und linkes Seiten¬ 
band der Leber, Ligamentum hepatis 
dextrum et sinistrum bezeichnet. Ein zweiter 
Bandzug beginnt etwa in der Mitte des Kranz- 
band^s und zieht sich von da aus in sagit- 
taler Richtung über den Zwerchfellspiegel 
abwärts, indem seine kurzen Fasern sich an 
der Vorderfläche der Leber anheften: es ist 
das Aufhängeband der Leber,' Liga¬ 
mentum Suspensorium hepatis. Dasselbe 
schliesst die hintere.Hohlvene an ihrer Durch- 
bruchstelle durch das Zwerchfell ein und setzt 
sich von der sog. Nabelgrube der Leber an 
direct fort in der obliterirten Nabelvene, welch 
letztere unter dem Namen rundes Band 
der Leber, Ligamentum teres hepatis, als 
eine ca. zwei Finger breite, nach rückwärts 
allmälig verschwindende Bauchfellfalte bis in 
die Nabelgegend zu verfolgen ist. Beide 
Bänder zusammen werden wohl auch sicheL 
förmiges Band der Leber geheissen. Das 
Leber - Nierenband, Ligamentum hepato- 
renale, ist eine von der rechten Niere auf den 
dicht anliegenden oberen Leberrand über¬ 
springende Bauchfellduplicatur. 

Auf den Magen geht das bindende Bauch¬ 
fell über theils von dem Zwerchfell aus, 
Zwerchfell - Magenband, Ligamentum 
phrenico-gastricum, theils von der Leber her, 
Leber-Magenband, Ligamentum hepato- 
gastricum. Ersteres geht links und rechts 
den Schlund entlang an den kleinen Bogen 
des Magens; letzteres tritt von der Leber¬ 
pforte aus an die rechte Hälfte der kleinen 
Curvatur. Das Rind besitzt eine ähnliche Band¬ 
anordnung für seine Mägen. Das wesentlichste 
Haftband kommt den Schlund entlang vom 
Zwerchfell her. Es inserirt sich in grösserer 
Ausdehnung an der oberen vorderen Fläche 
des linken Pansensackes. Die einzelnen Magen¬ 
abtheilungen sind unter sich durch den die 
Einschnürungen überbrückenden Peritoneal¬ 
überzug verbunden. 

An die Milz geht vom linken Zwerch¬ 
fellpfeiler und der linken Niere aus das Auf¬ 
hängeband der Milz, Ligamentum Suspen¬ 
sorium lienis. Dann bindet das Magen- 
Milzband, Ligamentum gastro-lineale, den 
concaven Milzrand an die grosse Curvatur 
der linken Magenhälfte; dieses letztere ist 
bei den Fleischfressern recht lang, dagegen 
bei den Wiederkäuern, woselbst die Milz 
der linken oberen Pansenfläche flach und 
dicht anliegt, nur durch kurzes Bindegewebe 
vertreten. Die Zwölffingerdarmbänder bilden 
mehr oder weniger ein Continuum (Zwölf¬ 
fingerdarmgekröse). Eine kleine Bauchfell- 


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EINÖEWEIDEBLATT. - 

falte, welche vom kleinen Magenbogen zum 
Zwölffingerdarm hinzieht, wird Mage n-Z wölf- 
fingerdarmband, Ligamentum gaströ-duo- 
denale, geheissen. Dann geht ein Band von 
der Leberpforte aus, den Gallengang bergend; 
gewissermassen ah Fortsetzung des Leber- 
magenUandes zum Zwölffingerdarm: Leber- 
Zwölffingerdarmband, Ligamentum he- 
pato-duodenale. Daran reiht sich unmittelbar 
das Nieren-Zwölffingerdarmband, Liga¬ 
mentum reno-duodenale, von der rechten Niere 
aus. Wo das DuQdenura unter der Wirbel¬ 
brücke nach rückwärts verläuft, wird es durch 
kurze.Bandmassen an den Mastdarm und an 
die obere ’Grimmdarralage ' (beim Pferd) — 
Mastdarm-Zwölffingerdarm band — und 
weiter rückwärts von dem vorderen Gekröse 
fixirt. Beim Wiederkäuer ist wegen der tieferen 
Lage des Duodenum das Leber-Zwölffinger- 
darmband länger und stärker, dagegen ist der 
unter der Wirbelsäule verlaufende Theil nur 
durch kurzes Bindegewebe an den Mastdarm 
und an die Wirbelkörper befestigt. Beim 
Schwein und den Fleischfressern sind die 
Leber- und Nierenbänder des Duodenum lang 
und werden kurzweg als Zwölffingerdarm¬ 
gekröse bezeichnet. Das Aufhängeband des 
übrigen Dünndarmes ist das vordere Ge¬ 
kröse, Mesenterium, welches, an den ersten 
■Lendenwirbeln entspringend, als lange, fächer¬ 
förmige Peritonealfalte zum concaven Bogen 
des Darmes hinzietit. 

Beim Rinde liegen zwischen den Blättern 
dieses Gekröses noch die Windungen des 
Grimmdarmes; das Ganze wird als Darm¬ 
scheibe bezeichnet. Vom Leerdarm, springt 
eine Bauchfellduplicatur zum Blinddarm über, 
welche beim Pferd recht ansehnlich wird und, 
der Form entsprechend, sichelförmiges 
Band genannt wird. Eine breite Peritoneal¬ 
falte, welche die Blutgefässe begleitet und 
zum Grund des Blinddarms geht,'* sowie eine 
Bauchfellduplicatur, welche vom Blinddarm 
zum Anfang des Griramdarms überspringt, 
wird als* Blinddarmgekröse, Mesocoecum 
bezeichnet. Die Bauchfellblätter, welche beim- 
Pferde und Schweine den Grimmdarm Zu¬ 
sammenhalten, indem sie von einer Lage auf 
die andere überspringen, heissen Grimm¬ 
darmgekröse, Mesocolon. Sie enthalten 
beim Pferd organische Muskeln. Das hintere 
oder Mastdarmgekröse, Mesorectum, ist 
eine beim Pferde lange, bei den übrigen 
Thieren kurze Bauchfellduplicatur und geht 
von den Körpern der Lenden- und Kreuz¬ 
wirbel zum kleinen Bogen des Mastdarmes. 
Der flaschenförmige Theil des Mastdarmes 
wird theils durch das Zellgewebe des Beckens, 
theils * durch die Aftermuskeln und haupt¬ 
sächlich durch die After-Schweifbänder 
(Gurlt) in seiner Lage erhalten. Die fetzteren 
sind die untere Tänie des Mastdarmes, welche, 
sich theilend, links uud rechts neben dem 
After emporsteigt und sich an den ersten 
Schweifwirbeln anheftet. 

Weitere Bänder in der Lenden- und 
Beckengegend gehören der Blase, dem männ¬ 
lichen und weiblichen Geschlechtsapparat an. 


■EINGEWEIDEBRÜCHE. 463 

Von den Seitenwandungen des Beckens gehen 
seitlich zur Blase bis zu deren Grund die sog. 
Seitenbänder der Blase,Ligamentavesico- 
umbilicalia lateralia h. Ihr vorderer freier 
Rand hält die obliterirten Nabelarterien ein¬ 
geschlossen (runde Bänder, Gurlt). Das mitt¬ 
lere Blasenband, Ligamentum vesico-um- 
bilicale medium h., geht vom Grunde der 
Blase aus und zieht sich in der Mittel- * 
linie des Bauches als schmale, allmälig ver- 
schwindende Bauchfellfalte gegen die Nabel¬ 
gegend hin. Es enthält den verkümmerten 
Urachus. Als ringförmiges Band der 
Blase beschreibt Leisering das sich in der 
Nähe des Blasenhalses zurückschiagende 
Bauchfell (Diaphragma pelvis). Das Band 
des Blasenhalses, Ligamentum pubo-vesi 
cale h., ist ein mit organischen Muskelbündeln 
durchsetzter, beim Rind ziemlich 'starker 
Faserzug, welcher den Blascnhals an die 
vordere Abtheilung der Beckenfuge fixirt. 

, Für den Hoden muss der Samenstrang 
mit der besonderen Scheidenhaut und der 
Cremaster externus als Aufhängeband ange¬ 
sehen werden. Ein eigentliches Band mit 
kurzen, zähen Fasern heftet den Nebenhoden- 
schweif an den Testikel: Band des Neben¬ 
hodens, Ligamentum epididymidis. Es möge 
hier nur noch das seitliche Aufhängehand 
des Penis, Ligamentum Suspensorium penis 
laterale, erwähnt sein. Dasselbe geht vom 
hinteren Ausschnitt des Gesässbeines seitlich 
an den cavernösen Körper der Ruthe, den 
Sitzbein-Ruthenmuskel ergänzend. 

Die weiblichen Geschlechtsorgane werden 
in der Bauchhöhle vorzugsweise durch die 
zwei gekrösartigen, starken breiten Mutter¬ 
bänder, Ligamenta uteri lata, in ihrer Lage 
gehalten. Dieselben sind ebenfalls Bauchfell- 
duplicaturen, welche von der Lendengegend 
herkommen und sowohl die Gebärmutter als 
die Eileiter und Ovarien umfassen. An ihrer 
äusseren Fläche ist je ein falten artiges «An¬ 
hängsel, welches in der Nähe des vorderen 
Beckenrandes allmälig beginnt und in der 
Höhe der Gebärmutterhörner als abgerundeter 
Zipfel endigt: das runde Mutterband, 
Ligamentum uteri rotundum. In ihm verläuft 
ein kleiner Muskel, der dem Cremaster exter¬ 
nus der männlichen Thiere entspricht. Von 
der Spitze des Gebärmutterhomes zieht sich 
eine Bauchfellfalte gegen den entsprechenden 
Eierstock hin, so zwar dass ein Rand des 
Bandes frei, der andere, obere dagegen mit 
dem breiten Mutterband verwachsen ish es 
ist dies das sog. Eierstockband, Ligamen¬ 
tum ovarii. Zschokke. 

Eingeweideblatt, s. Bauchfell und Brustfell. 

Ei ngeweldebrüche. Unter B r u c h, H e r n i e, 
verstehen wir eine angeborene oder erwor¬ 
bene Lageveränderung eines Eingeweides, 
bei welcher dasselbe sich nicht in der Leibes¬ 
höhle befindet, innerhalb welcher sein nor¬ 
maler Platz ist, sondern entweder ganz oder 
nur theilweise durch eine Oeffnung hindurch 
unter die allgemeine Decke oder in eine 
benachbarte Höhle ausgetreten ist. Dadurch, 
dass die Eingeweide von der äusseren Haut 




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464 


EINGEWEIDEBRCCHE. 


bedeckt sind, unterscheidet sich dieses Leiden 
von dem Vorfälle, Prolapsus, bei welchem 
eine derartige Bedeckung nicht stattfindet,* die 
aus der Leibeshöhle ansgetretenen Einge¬ 
weide vielmehr der Luft ausgesetzt sind. 

In dem angegebenen Sinne sprechen wir 
von Gehirn-, Lungenbruch, von Brüchen der 
verschiedenen Baucheingeweide. 

Man gebraucht auch die Bezeichnung 
Hernie, Bruch, wo es sich um Organe handelt, 
die in keiner Körperhöhle gelagert sind, so 
z. B. wenn man von Muskelhernien spricht, 
wobei man also blos das Durchtreten des 
Muskels aus seiner Umhüllung im Auge hat. 
Endlich werden auch Ausstülpungen von 
Synovial-Membranen als Hernien bezeichnet. 

Gebraucht man das Wort Hernie schlecht¬ 
weg, so meint man damit stets Bruch der 
Baucheingeweide, und auf dieses bezieht sich 
auch die folgende Erläuterung, da Hirn- und 
Lungenbrüche bei Thieren zu den äussersten 
Seltenheiten gehören. 

Der früher gegebenen Definition nach 
muss also irgend ein in der Bauchhöhle be¬ 
findliches Organ durch eine Lücke in der 
Wandung austreten. Dies geschieht entweder 
durch eine zufällige, in Folge eines Traumas 
entstandene Oeflhung oder viel häufiger an ganz 
bestimmten Stellen, welche schon vorgebildet 
oder doch morphologisch angedeutet sind, 
und welche Gefässen, Nerven und anderen 
Organen zum Ein- oder Austritt dienen; auf 
diesem Wege treten dann auch die Einge¬ 
weide aus der Bauchhöhle. 

Diese Oeffnungen in der Bauchwand 
bezeichnet man als Bruchpforte (eventuell 
Bruchcanal). Indem wir die Hernien nach 
den Bruchpforten benennen, schaffen wir uns 
eine sehr bezeichnende Terminologie: Nabel¬ 
bruch, wenn der Nabelring; Leistenbruch, wenn 
der Leistenring die Austrittsstelle darstellt; 
Schenkelbruch, wenn die Eingeweide unter 
dem Poupart’schen oder dem Schenkelbande 
durchtreten; Flankenbruch heissen wir einen 
solchen, der in der Flankengegend auftritt, 
während wir als Bauchbrüchc alle jene be¬ 
zeichnen, welche an irgend einer anderen 
als den genannten Stellen des Bauches ent¬ 
stehen. In manchen Fällen ist die Bruch¬ 
pforte nicht genau zu bestimmen, wir bezeichnen 
dann den Bruch nach denjenigen Theilen, die 
ihn von aussen umgeben. So wird z. B. die 
Scheide, der Mastdarm, das Mittelfleisch durch 
austretende Eingeweide hervorgedrängt, und 
man nennt solche Brüche demgemäss Scheiden-, 
Mastdarm-, Mittelfleischbruch. 

Alle diese Brüche nennt man auch, weil 
sie äusserlich bemerkbar sind — äussere, 
zum Unterschiede von den inneren, äusser¬ 
lich nicht bemerkbaren Brüchen, wozu die 
Zwerchfellbrüche (Austritt der Baucheinge¬ 
weide. in die Brusthöhle durch eine in Folge 
Verwundung oder Zerreissung entstandene 
Oeffnung im Zwerchfell), der Ueberwurf bei 
Ochsen u. s. w. gehören. 

Durch die Bruchpforte muss nun ein Ein¬ 
geweide des Hinterleibes austreten. Da aber 
diese im Cavum peritoneale liegen, so wird das 


Hervortreten derselben nur nach Ausstülpung 
des Bauchfelles möglich werden, es müsste 
denn sein, dass sie in ein normales Divertikel 
der Peritonealhöhle, z. B. durch den Leisten¬ 
canal in den Hodensack herabsteigen, oder 
dass das Bauchfell durch das Trauma, welches 
die Trennung in der Bauchwand erzeugt, 
gleichfalls mitzerrissen wurde. Das sackförmig 
hervorgestülpte Bauchfell bezeichnet man als 
Bruchsack. Aber auch in dem Falle, wenn 
die Eingeweide durch das zerrissene Bauch¬ 
fell ausgetreten sind, bildet sich alsbald ein 
Bindegewebssack mit innerer glatter Wan¬ 
dung, für welchen man gleichfalls den Namen 
Bruchsack angenommen hat. Am Bruchsacke 
unterscheidet man die Mündung, jene Stelle, 
wo *das Bauchfell in den Bruchsack übergeht, 
ihr entgegengesetzt ist der Grund, und der 
dazwischen liegende Theil ist der Körper. 
Der Theil, welcher innerhalb der Bruchpforte 
liegt, heisst Bruchsackhals. Die Mündung 
des Bruchsackes kann verschieden gestaltet 
sein, rundlich, länglich,, spaltförraig u. s. w., 
ebenso verschieden ist ihre Weite, oft kaum 
für einen Finger durchgängig, oft dagegen 
für die ganze Hand passirbar. Da das Bauch¬ 
fell durch andrängende Eingeweide eigentlich 
nicht so sehr ausgedehnt, als vielmehr von 
allen Seiten herbeigezogen wird, so sehen 
wir in Folge dessen an der Bruchpforte 
radienförmige Falten auftreten, welche bei 
länger dauerndem Bruche in Folge eines Ent- 
zündungsprocesses verwachsen und dann 
radienförmig derbe Leisten darstellen. Schon 
dadurch, noch mehr aber durch die Ver¬ 
dickung des subserü8en Bindegewebes wird 
die Bruchpforte zu einem derben, resistenten 
Ringe. Ist die Mündung des Bruchsackes 
derart enge, dass kein Eingeweide in den¬ 
selben eindringen kann, so entstehen die 
Leerbruchsäcke. Es ist weiters möglich, 
dass sich oberhalb dieses Leerbruchsackes 
ein neuer bildet, wodurch dann der sanduhr¬ 
förmige Bruchsack entsteht; wiederholt sich 
dieser Vorgang mehrmals, so kommt es zur 
Bildung des rosenkranzförmigen Bruch- 
sackcs, eine bei Thieren — meines Wissens — 
noch nicht gekannte Form. Dagegen sind 
Bruchsäcke mit Divertikeln beschrieben, 
welche entstehen, indem sich an dem Bruch - 
sack eine oder mehrere Nebenhöhlen aus¬ 
bilden. 

Im Bruchsack findet man häufig etwas 
seröse Flüssigkeit, das Bruchwasser. Bei 
dem Heraustreten des Bruchsackes durch die 
Bruchpforte drängt derselbe aber immer auch 
Bindegewebe, manchmal auch Muskelschichten 
gleichsam als Umhüllung vor sich her, die 
bei frischen Brüchen ganz gut kenntlich sind, 
bei alten aber durch den Entzündungsprocess 
verschmelzen und eine verschieden dicke 
Membran bilden, welche wie eine Kapsel den 
Bruchsack umgibt — diefascia propria 
hern iae. 

Nach den Theilen, welche sich im Bruch¬ 
sack finden, unterscheiden wir D a r m -, N e t z-, 
Darmn*etz-, Magen-, Leber-, Gebär¬ 
mutter-, Eierstock-, Blasenbrüche. 



' EINGEWEIDEBRÜCHE. 


465 


Die Eingeweide sind anfangs unverändert; 
nach und nach bilden sich aber sowohl am 
Darme wie am Netze Veränderungen aus, die 
auf Störung im Kreisläufe, beim Darme auch 
auf Hindernisse in der Fortbewegung des 
Darminhaltes zurückzuführen sind. So er- ■ 
scheint der vorgelagerte Darm dicker, flei¬ 
schiger in Folge Hypertrophie der Muskel¬ 
schichte, da der Darm .behufs Fortschaffung 
der Fäcalstoffe energischer arbeiten muss, ßei 
noch längerer Dauer dagegen, wenn er diese 
Massen nicht überwältigen kann und in Folge 
dessen ausgedehnt bleibt, erscheint die Mus- ’ 
kulatur atrophisch. Die Circulatiousstörungen 
betreffen hauptsächlich den venösen Kreis¬ 
lauf, die Schleimhaut wird hyperämisch, die 
ganze Wandung serös durchfeuchtet, aufge- 
Jockert. Das Netz kann anschwellen, die Falten 
desselben können mit einander verwachsen und 
so eine rundliche, kugelförmige Anschwellung 
bilden. Endlich kann Verwachsung dieser 
Theile mit dem Bruchsacke eintreten. Bezüglich 
der Zeit des Entstehens unterscheiden wir an¬ 
geborene und erworbene Brüche. Die Be¬ 
zeichnung „angeborene“ ist nicht im strengsten 
Sinne des: Wortes zu nehmen, denn der Fall, 
dass ein Thier mit einem Bruch zur Welt 
kommt, ist nicht häufig; wir rechnen hieher ' 
auch alle Brüche, welche bald, einige Tage 
nach der Geburt entstehen, während die 
Brüche, welche in späterer Lebenszeit auf- 
treten, als erworbene aufgefasst werden. Bei 
den letzteren macht man manchmal einen 
Unterschied zwischen spontanen und trau¬ 
matischen; letztere sind solche, welche 
nach einer subcutanen Zerreissung der Bauch¬ 
decken oder nach Verheilung eii^er Bauch¬ 
deckenwunde durch ailmälige Ausdehnung der 
Narbe entstehen. 

Mit Rücksicht auf die Dauer der Brüche 
haben wir frische und alte zu unter¬ 
scheiden. f 

So lange sich die im Bruche befindlichen 
Eingeweide leicht in die Bauchhöhle Zurück- 
Schieben lassen, heisst der Bruch ein freier, 
beweglicher, reponibler; ist das Zurück¬ 
bringen derselben nicht möglich, dann wird 
der Bruch ein unbeweglicher, irrepo- 
niblei* genannt. Die Ursache des letzteren 
kann in der Verwachsung der Eingeweide 
unter einander oder mit dem Bruchsack liegen 
oder in der Einklemmung, Einschnürung 
der vorgelagerten Theile. 

Was die Einklemmung anbelangt, so 
war und ist noch hie ■ und da die Ansicht 
verbreitet, dass der Bruchring direct als 
solcher durch seine Verkleinerung, ^Zusam- 
menziehung diese Einschnürung bedinge. Dies 
ist in der Mehrzahl der Fälle nicht zutreffend, 
da die Bruchpforte gewöhnlich einen derben, 
fibrösen Ring darstellt, der keiner Contraction 
fähig.ist; das wäre nur dann denkbar, wenn 
wir eine plötzlich entstehende Hernie an¬ 
nehmen, wobei z. B. eine Darmschlinge oder 
ein Stück Netz durch die in Folge einer hef¬ 
tigen Druckwirkung momentan etwas, ausge¬ 
dehnte Bruchpforte tritt, worauf der Bruch¬ 
ring sich Sofort wieder zusammenzieht (ela- 
Koch. Encyklopädie <1. Thierheilkd. II. Bd. 


stische Einklemmung), oder bei traumatischen 
Hernien, wenn die iWundränder der nament¬ 
lich in der Richtung ihrer Fasern zerrissenen 
Muskulatur nach der Verletzung oder in Folge 
einer später eintretenden Entzündung sich eng 
an die herausgetretenen Theile anlegen und 
dadurch Circulationsstörungen und ihre wei¬ 
teren Folgen veranlasse^. Für die übrigen 
Fälle, wo bei meist sehr weitem Bruchringe In- 
carcerationserscheinungen auftreten, müssen 
wii* andere Ursachen beschuldigen. Zur Auf¬ 
klärung der hiebei stattfindenden Vorkomm¬ 
nisse vAirden zahlreiche Experimente sowohl • 
am ausgeschnittenen Darme als auch am 
lebenden Thiere vorgenommen, und es ergab 
sich die Thatsache, dass eine Einklemmung * 
durch verschiedene Ursachen bedingt werden 
könne. Meist war es der Darminhalt, welcher 
den Vetschluss des Darmrohres bewirkte; es 
mögen auch solche Fälle Vorkommen, wo der 
erste Anstoss durch veränderte Blutcirculation 
gegeben ist. Wir bezeichnen die erstere Form 
als Kotheinklemmung, wobei aber nicht immer 
wirkliche Kothmassen, *8ondern auch Flüssig¬ 
keit und Gase in Betracht kompaen. Es. kann 
hiebei der Verschluss des Darmrohres durch 
Aufblähung des zuführenden Schenkels des¬ 
selben zu Stande kommen, wobei sich der¬ 
selbe aufrichtet und die Bruchpforte voll¬ 
ständig ausfüllt, so dass der abführende 
Schenkel gan? comprimirt und sein Lumen 
verschlossen wird; es ist aber auch möglich 
(wie Busch gezeigt hat), dass die durch den 
Bauchring getretene Darmsehlinge durch das 
Eintreiben von Flüssigkeit oder, Gasen an 
allen Punkten eine Bewegung in der Rich¬ 
tung der Krümmungsradien macht. Weil in 
Folge dessen auf die convexen Wände ein 
grösserer Druck ausgeübt wird als auf die 
mesenterialen, so wird von dem oberhalb der 
BrucHpforte gelegenen Theil des abführenden 
Schenkels ein Stück, soweit es das Gekröse 
erlaubt, in den Bruchring gezogen. Sowie 
sich ein Hinderniss für diese Bewegung er¬ 
gibt, wird die* Darmschlinge sofort abgeknickt. 
Weiter sind Fälle bekannt und experimentell 
erzeugt worden, wo d{is zuführende Rohr 
schon vor der Bruchpforte durch Aufblähung 
geknickt wurde. 

Der Verschluss eines Darmstückes kann, 
wenn dasselbe durch eine enge Oeffnung Ijin- 
durchgetreten ist, auch dadurch zu Stande 
kommen, dass bei rasch auftretender Blähung 
die Wandung aus dem ßtenosirten Theile des 
Datmes herbeigezogen wird, wobei sich Falten * 
am Rohre bilden, durch welche ein vollkommener 
Verschluss erzeugt wird, der um so fester wird, 
je stärker die Bl^iung ist. Eihe Compression 
beider Schfenkel ist durch eine. Einkeilung 
von Netz zwischen dieselben denkbar, und 
endlich wurden Fälle beobachtet, wo der vor¬ 
gelagerte Schenkel eine Drehung vollführt hat. 

In folge der Blähung des Darmes treten 
noch andere wichtige Veränderungen in dem- 
- selben auf, durch welche cii\e Verschlimmerung 
des Zustandes erzeugt wird. In* dem ausge¬ 
tretenen Darmstück hört nämlich die peri¬ 
staltische Bewegung vollkommen auf; dieser 

30 ? 



466 . EINGEWEIDEBRÜCHE* 


Zustand bleibt auch nach Entfernung der 
Einklemmung verschieden lange Zeit bestehen, 
gleicht sich aber, vorausgesetzt, dass keine 
intensiven Circulationsstörungen bestehen, 
vollkommen aus. Die acute Aufblähung lähmt 
also den Darm. 

Zu denCirculationshindernissendesDarm- 
inhaltes in Folge* der Blähung und der Läh¬ 
mung der Peristaltik treten noch Störung der 
Blutcirculation, venöse Stauungserscheinungen 
im Darmrohr mit Gefässzerreissung und Blu¬ 
tung in die Darmwände und das Darmlumen, 
seröse und schleimige Transsudation duf, wo¬ 
durch das Volum der eingeklemmten Schlinge 
und das Missverhältnis zwischen ihr und dem 
Ringe.noch vermehrt werden muss. Bei höheren 
Graden bewirken diese Circulationsstörungen 
auch Brand. Dieselben sind wohl nicht alle 
durchwegs auf die Blähung allein zürückzu- 
führen, sondern meist auf die Compression 
der Gefässe durch die einklemraende Stelle 
oder durch Knickung der Gefasse. 

In Folge dieser Circulationsstörungen er¬ 
scheint die vorgelagerteDarmschlinge oft roth- 
kastanienbrauf), bläulich roth oder endlich 
ganz schwarzroth gefärbt; es entstehen Blu¬ 
tungen in die Gewebe der Schlinge in Form 
von schwarzen, hämorrhagischen Flecken. Ge¬ 
wöhnlich tritt an Stelle dieser Flecken oder 
dort, wo die Schlinge gegen den. scharfen 
Einklemmungsring gepresst wird* die Gangrän 
zuerst auf. Diese Stellen werden grau, glanz¬ 
los, locker, zerreisslich; auch das Bruchwasser 
verändert sich bei länger bestehenden incar- 
cerirten Hernien, es wird trübe und verschieden 
nuancirt roth. 

In dem eingeklemmten Netz treten die 
pathologischen Veränderungen viel langsamer 
und später auf als im Darme. 

Die Erscheinungen des Bruches sind 
verschieden, je nachdem der Bruch beweglich 
oder unbeweglich, oder incarcerirt ist und 
je nach dem Eingeweide, das er enthält. Wir 
finden meist in der Gegend der ermähnten natür¬ 
lichen Oeffnungen eine weiche, rundliche Ge¬ 
schwulst, deren Grösse je nach der Fütterung 
und Stellung des Thieres wechselt. Hat das Thier 
eine solche Stellung, dass die Last der Ein¬ 
geweide gegen die Ursprungsstelle der Ge¬ 
schwulst hindräpgt, so wird letztere in der 
Regel grösser: dasselbe geschieht beim Husten 
oder bei Anwendung der Bauchpresse; wird 
das Thier derart gelagert, dass die Einge¬ 
weide in die Bauchhöhle zurücksinken können, 
dann wird die Geschwulst kleiner werden oder 
ganz verschwinden (bewegliche Brüche voraus¬ 
gesetzt), und man wird die Oeffnung in der 
Bauchwandung deutlich füllen können. 

Sind die vorgelagerten Theile Darm¬ 
partien, so ist die Geschwulst sehr elastisch, 
und die Percussion ergibt Darmtöne, auch 
sind mitunter Darmgeräusche bemerkbar; wird 
die Schlinge reponirt, so geschieht dies oft 
unter einem eigentümlich gurgelnden Ge¬ 
räusche. 

Das vorgelagerte Netz fühlt sich mehr 
teigig, höckerig, derb an. Die sichere Diagnose 
der in äusserst seltenen Fällen vorgefallenen 


anderen Organe des Hinterleibes, Gebärmutter, 
Harnblase etc., dürfte wohl häufig Schwierig¬ 
keiten begegnen. Die Bestimmung des Inhaltes 
ist auch manchmal dadurch erschwert, dass 
die allgemeine Decke über dem Bruche in 
Folge äusserer Einwirkungen, Entzündungs- 
processe u. dgl. geschwollen oder verdickt 
ist. Bei grossen Thieren unterstützt die Unter¬ 
suchung durch den Mastdarm wesentlich die 
Diagnose. 

Bei eingeklemmten Brüchen zeigen die 
Thiere sofort I^olikerscheinungen, bei Hunden 
und Schweinen tritt auch Erbrechen ein. An 
dem Bruch selbst treten mit Ausnahme des 
Umstandes, dass der Inhalt nicht mehr repo- 
nibel ist, anfangs in der Regel keine beson¬ 
deren Veränderungen auf: meist vermisste 
ich, wenigstens bei Hodensackbrüchen der 
Hengste, die oft angeführte Schmerzhaftigkeit. 
Bei länger dauernden Incarcerationen tritt in 
der Umgebung des Bruches manchmal Oedem 
auf. Die übrigen Erscheinungen, die das Thier 
bietet, sind dieselben, wie sie so häufig bei 
Koliken in Folge Lageveränderung der Ein¬ 
geweide enstehen. Bei Einklemmung von Netz 
sind die Erscheinungen weniger intensiv. 

Die Entzündung des Bruchsackes ist ein 
sehr seltenes Vorkommniss und durch trau¬ 
matische Einwirkungen, Druck, Stoss u. s. w. 
bedingt. Dass sie aber vorkommt, dafür spre¬ 
chen ausser directen Beobachtungen auch die 
oft in bedeutender Ausdehnung bestehenden 
Verwachsungen des Bruchinhaltes mit dem 
Bruchsacke. 

Wenn wir die Ursache der Hernien in 
Betracht Riehen, so müssen wir in erster 
Linie eine gewisse Disposition erwähnen, 
insofern nämlich, als die vorgebildete wenig 
widerstandsfähige Stelle der Bauchwandung 
eine besondere Grösse aufweist nnd in Folge 
dessen das Austreton der Eingeweide leichter 
ermöglicht. Mit Rücksicht aufdiesen Umstand 
können wir auch von einer Erblichkeit der 
Brüche sprechen, nicht in dem Sinne, al£ 
würden die Brüche als solche vererbt, sondern 
es wird nur die Grösse der Bruchpforte von 
dem alten Thier auf das Junge übertragen. 

Die traumatischen Hernien entstehen, 
wie ja schon der Name besagt, in Folge 
irgend einer gewaltsamen, mechanischen Ein¬ 
wirkung, durch welche die Bauchwandungen 
mit Ausnahme der Haut durchgetrennt werden. 
Es kommt dies häufig durch Anfahren oder 
Anrennen an vorstehende stumpfe Gegen¬ 
stände oder durch Fallen auf solche zu Stande. 
Diese ßrüche besonders können bei ober¬ 
flächlicher Untersuchung mit Quetschbeulen, 
Hämatomen, mit Abscessen, aber auch mit 
Muskelhernien verwechselt werden. Begün¬ 
stigend auf das Entstehen der Brüche wirken 
alle Umstände, welche ein stärkeres Andringen 
der Eingeweide gegen die Bauchwandung 
erzeugen, möge dies von Seite der Eingeweide 
selbst ausgehen oder von Seite der Baüch- 
wandung unter Wirkung der Bauchpresse; 
also blähendes Futter, anstrengendes Ziehen, 
schwere Geburt, erschwerter Mistabsatz, das 


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EINGEWEIDELEHRE. — EINGEWEIDEWÜRMER. 


467 


Werfen und Fesseln der Thiere, das Auf¬ 
steigen bei Beschälern u. s. w. 

Die Brüche sind einer Selbstheilung 
durch Obliteration des Bruchsackes oder der 
Bruchpforte fähig, bestehen aber in über¬ 
wiegender Mehrzahl, besonders wenn sie in 
späterer Lebenszeit aufgetreten sind, unter 
zunehmendem Wachsthume das ganze Leben 
hindurch. Die Rückbildung, spontane Heilung, 
sehen wir wohl nur bei jungen Thieren, wenn 
der Bruchinhalt dauernd zurückgehalten wird, 
sei es z. B. durch Bruchbänder, durch ent¬ 
zündliche Processe in der Umgebung dÄs 
Bruches, durch adhäsive Entzündung der in 
Berührung gekommenen serösen Fläche des 
Bruchsackes, durch Narbenbildung an der 
allgemeinen Decke u. s. w. Einzelne dieser 
angeführteh Ursachen benützen wir selbst bei 
der Behandlung der Brüche. 

Nach jStockfleth kommen die Brüche am 
häufigsten beim Schweine und Rinde vor, 
Nabelbrüche am häufigsten beim Hunde und 
Pferde, Hodensackbrüche beim Hengst und 
Eber, während beim Schaf Brüche nur sehr 
selten Vorkommen sollen. Die Brüche, selbst 
ziemlich grosse, beeinträchtigen das allge¬ 
meine Befihden meist nicht, sie bilden aber, 
abgesehen von dem Schönheitsfehler, stets 
eine Gefahr für das Individuum, insofern 
jeden Augenblick selbst bei weiter Bruch¬ 
pforte eine Einklemmung auftreten kann, 
deren weitere Folgen nie bestimmbar sind, 
indem selbst bei entsprechender Hilfeleistung 
doch mitunter der Tod unabwendbar ist. Wir 
müssen auch in Betracht ziehen, dass die 
Folgen der Einschnürung bei dem Thiere und 
insbesondere beim Pferde viel rascher und 
heftiger auftreten als beim Menschen, da wir 
selten in der Lage sind, die Erscheinungen 
der Anlöthung der Darmschlinge an die 
Bruchpforte, die Perforation der Eingeweide 
und die Bildung eines widernatürlichen Afters, 
also eine Naturheilung beobachten zu können, 
weil die Thiere gewöhnlich innerhalb 24 Stun¬ 
den nach der Einklemmung eingehen. 

Die Aufgabe des Thierarztes ist in erster 
Linie, frisch entstandene traumatische sowie 
Hernien bei jungen Thieren der radicalen 
Heilung zuzuführen, da bekanntennassen hier 
am meisten Erfolge erzielt werden können, 
indem, wie schon erwähnt, in solchen Fällen 
durch blosses Verhindern des Austrittes der Ein¬ 
geweide, durch zweckentsprechende Bandagen 
eine Verkleinerung, ja vollständige Verschlies- 
sung der Bruch pforte ein treten kann. Bei längere 
Zeit bestehenden, grösseren Hernien wird die 
Behandlung darauf gerichtet sein, eine Ver- 
grösserung des Bruches und das Eintreten 
üblej Zufälle zu verhüten. Man wird jede 
starke Anstrengung des Thieres vermeiden, 
ihm wo möglich eine solche Stellung geben, 
dass die Eingeweide sich von der Bruchpforte 
entfernen, ferner nur wenig und leicht ver¬ 
dauliche, nicht blähende Nahrungsmittel ver¬ 
abreichen. Sollte die Beseitigung des Bruches 
aus irgend einem Grunde gewünscht werden, 
so wird man hier in der Regel behufs Heilung 
nur zur palliativen Behandlung schreiten, 


d. h. man wird trachten, in der Umgebung 
der Bruchpforte eine Entzündung der zunächst 
liegenden Gebilde hervorzurufen, um dadurch 
die Bruchpforte zu verlegen, da das radicale 
Vorgehen, welches den vollständigen •Ver¬ 
schluss der Bruchpforte anstrebt, immer ein 
sehr riskirtes, das Leben des Thieres in Frage 
stellendes Unternehmen ist. 

Bei eingeklemmten Brüchen versuche • 
man in erster Linie die Taxis, das Zurück¬ 
bringen der Eingeweide durch mechanische 
Hilfsmittel, durch“Kneten, Drücken, oft schon 
durch zweckmässige Lagerung der Thiere, 
derart dass das übrige Eingeweide einen Zug 
auf die vorgelagerte Darmschlinge ausübt, 
oder bei grossen Thieren durch directes Er¬ 
greifen und Ziehen an dem ausgetretenen 
Theile der Darmschlinge vom Mastdarme aus. 
Hiebei kann die Narkose von Vortheil sein, 
nicht in dem Sinne, wie man früher glaubte, 
dass dadurch der Bruchring erschlafft, wes¬ 
halb man auch locale Anästhesirung durch 
Aetherzerstäubung versuchte, sondern nur 
dadurch, dass die Wirkung der Bauchpresse 
aufgehoben wird. Gelingt die Reposition auf 
diese Weise nicht, dann muss man zur Her- 
niotomie, dem Bruchschnitt, der blutigen Er¬ 
weiterung der einklemmenden Stelle schreiten, 
mit welcher man in der Regel gleichzeitig 
die Palliativ-, selten eine Radicalbehändlung 
verbindet. In Fällen, in welchen die vorge¬ 
lagerten Eingeweide sich bereits gangränös 
oder doch schon nahezu brandig zeigen, bliebe 
nur die Anlage eines widernatürlichen Afters 
übrig; ein jedenfalls seltenes Ereigniss. 

(Ueber die Ausführung der einzelnen 
Operationen s. unter Nabel-Loistenbruch.) Br. 

Eingeweidelehre, Splanchnologie (splan- 
chnologia), ist deijenige Abschnitt der Anatomie, 
welcher von den Eingeweideti im anatomischen 
Sinne des Wortes (s. Eingeweide) handelt; 
sie beschreibt mithin die Organe des Atlimungs-, 
Geschlechts-, Harn- und Verdauungsapparates 
inclusive der natürlichen Körperöffnungen, 
welche zu diesen Organen führen, und solcher 
Theile der betreffenden Apparate, welche, wie 
z.B. das männliche Glied, ausserhalb der Körper¬ 
höhlen liegen. Müller. 

Eingeweidewürmer (Helminthes). Die Hel¬ 
minthen sind thierische Schmarotzer, die zum 
Typus der Würmer gehören, indem sie eine 
endopleure Körperform (bilaterale Sym¬ 
metrie) aufweisen. Sie zeigen eine sehr wech¬ 
selnde Gestalt, bald bandförmig, bald blasen¬ 
förmig, lorbeerblattähnlich oder lanzettlich, 
bald cylindrisch; die meisten jedoch haben 
eine längliche Form. Allen fehlt ein Athmungs- 
apparat; dagegen besitzen sie grösstentheils 
ein um den Mund angeordnetes gangliöses 
Nervensystem mit grossen oder rudimentären 
Nervenzellen und mit einem einfachen ven¬ 
tralen oder zwei seitlichen Nervensträngen 
oder -Schnüren, welche oft mit dem Speise¬ 
röhrengürtel Zusammenhängen. Bei vielen 
Helmir^thenarten und ihren Larvenformen aber 
ist es bis jetzt nicht gelungen, ein solches 
mehr oder weniger entwickeltes Nervensystem 
nachzuweisen. 


30 * 



468 


EINGEWEIDEWÜRMER. 


Die Haut besteht aus drei Schichten, 
welche einen muskulös-häutigen Ueberzug 
bilden, der bei den Plathelminthen direct mit 
dem Körperparenchym Zusammenhänge bei 
den Rundwürmern dagegen eine allgemeine 
Leibeshöhle umschliesst. 

f Die innerste muskulöse Schicht ist von 
grosser Wichtigkeit. Mit starken Muskeln 
»versehen, die in verschiedenen Richtungen 
angeordnet sind und sich an der Lederschicht 
und folglich mittelbar auch an der Cuticula 
festsetzen, ersetzt sie die sefost fehlenden be¬ 
sonderen Locomotionsorgane. So sind die 

B A 


Helminthen oft zu mehr oder weniger leb¬ 
haften, zuweilen sogar sehr raschen Bewegungen 
befähigt. 

Die mittlere oder Lederschicht wird durch 
das Derma gebildet. Sie besteht aus körnigem 
Protoplasma, in welchem vereinzelte Kerne? 
enthalten sind. . , 

Die äussere oder Oberhautschicht besteht 
aus der Cuticula (Fig. 455), einer festen, starken, 
hyalinen, durchscheinenden, oft geschichteten, 
lamellösen Membran. Die Cuticula ist ein Pro¬ 
duct des Derma: durch ihren Chitingehalt bildet 
sib bei den Würmern ein wahres Skelet und 
trägt zur Entwicklung der Lar¬ 
vencysten oder -Kapseln bei. 
Bei den Cestoden und den 
Trematoden ist sie dünn: bei 
den Nematoden und denAcanto- 
cephalen dagegen dick. 

DerVerdauungsapparat (Fig. 
456 u. 457) ist nicht constant 
und wechselt sehr an Form und 
Entwicklung. .So haben z. B. die 
Nemathelminthen in der Regel 
ein weites, im Körper freies Nah¬ 
rungsrohr, welches vom Munde 
ausgeht und im After endigt. 
Viele besitzen auch einen Kau¬ 
apparat. Dem Echinorhynchus 
Gigas dagegen fehlt, obgleich er 
auch ein Rundwurm ist, ein Ver¬ 
dauungsrohr gänzlich, und ist 
seine innere Körperhöhle durch 
den Geschlechtsapparat und die 
Nährflüssigkeit eingenommen. 






Unter den Blattwürmern 
zeigen die Distomen (Fig. 466 
und 467) einen • verzweigten, 
blind endenden und mit dem 
Körperparenchym verschmolze¬ 
nen Verdauungsapparat. ' Die 
Cestoden dagegen besitzen kei¬ 
nen wahren Nahrungscanal, und 
es scheint, dass ihre Ernährung¬ 
hauptsächlich auf endosmoti¬ 
schem Wege stattfinde. 

Das Kreislaufsystem ist 
durch einfache oder verzweigte 
wasserführende Gefasse vertra¬ 
ten, die zuweilen mit einem Aus¬ 
führungscanal versehen sind. 
Pulsirende Gefasse fehlen. 


——jL 




Fig. 456. A Kopf und Vordortheil des Körpers von Docli- 
mius duodenalis, . woran die Qöerstreifang der Cuticula 
zu sehen ist. B Weibchen von Dochmius duodenalis, eben¬ 
falls 'die Qnerstroifung der Cuticula zeigend. Man sieht 
*in a den Schlundkppf, in d> den Cuticularschlaucb, der 
zur Aufnahme des Endstückes vom Eileiter bestimmt ist; 
in c das hinterste Ende vom Verdauungscanal. C Bau der 
Cuticula bei starker Vergrösserung. —- (Nach der Natur 
• gezeichnet von Dr. Caritst.) 


Die Helminthen leben, we¬ 
nigstens in einer gewissen Pe¬ 
riode ihres Daseins, parasitär 
in 'verschiedenen Körperorga¬ 
nen des Menschen und der 
Thiere. Im Allgemeinen .ver¬ 
steht man unter Helminthen 
Würmer, welche den Darmcanal 
bewohnen. Doch nicht alle 
hab^n diesen Wohnsitz. Wite wir 
sehen werden, gibt es solche, 
die im Blute leben, und an¬ 
dere, welche die Lungen, die 
Leber, die Nieren, das Ge¬ 
hirn u. s. w. bewohnen. 





EINGEWEIDEWÜRMER. 


469 




Sie hatten schon im grauen Alterthume 
die Aufmerksamkeit der Aerzte und der 
Naturforscher auf sich gezogen: doch erst 
seit dem XVII. Jahrhundert wurden sie zum 
Gegenstände eines ernsten Studiums. 

Die alten Aerzte und Naturforscher be¬ 
schränkten sich darauf, einige im mensch¬ 
lichen Körper wohnende 
Arten zu erwähnen oder zu 
beschreiben. So findet man 
z. B. in ihren Schriften eine 
Erwähnung der As c ari¬ 
des, der Lumbrici te re¬ 
de s, der Lumbrici lati, 
der Taenia lata, der V e r- 
mos cucurbitini u. s. w. 

Der Hilfsmittel entbehrend, 
welche erst die Frucht der 
viel später in den chemi¬ 
schen und physikalischen 
Wissenschaften vollzogenen 
Fortschritte sind, konnten 
sie die parasitäre Natur 
mancher Krankheiten nur 
vermuthen. Sporadische, en¬ 
demische und epidemische 
Krankheiten, als deren Ur¬ 
sache in diesem Jahrhun¬ 
derte die Gegenwart von 
Helminthen erkannt worden 
ist, wurden häufig auf ima¬ 
ginäre Ursachen bezogen, 
uud wurde öfters das Auf¬ 
treten von Helminthen als 
eine Folge der Krankheit 
angesehen. So wurde z. B. 
eine fehlerhafte Verdauung 
der Nahrungsstoffe oft als 
Ursache der Entstehung vor- W/ 

sehiedener Helminthenarten J 

im Darme des Menschen .. , 

und der I liiere betrachtet, desDochmius trigono- 
Auch hat man vielfach pa- cepimius vom Hunde, 
rasitäre Cysten mit evstösen '' er K r y ssert » u '“ d,ü 

. . - . Anordnung derhingo- 

Geschwulsten anderer Art w< dde, namentlich de* 


Verdauungsrohres, der 
Ovarialrohren und Ei- 
leiter, unschaulicli 


verwechselt. 

Eine wissenschaftliche. . . , . 

, ...... _ T , Unter, unschaulicli zu 

Grundlage erhielt die Hel- machen. - (Nach der 
minthologie im XVII. Jahr- Natur gezeichnet von 
hundert durch Ke di, Leib- Dr C:,ritiU 
arzt des Herzogs von Toscana, Cosimo III. 
Redi war der erste, welcher Thiere secirte, 
um Eingeweidewürmer aufzusuchen, und er 
wird daher mit Recht als der Begründer der 
Helminthologie angesehen. Uebrigens be- 
schränkte er sicli darauf, die Würmer in dem 
Masse, als er sie bei Thieren vorfand, zu be¬ 
schreiben und abzubilden; eine methodische 
Classification derselben stellte er nicht auf. 

Malpighi, Hartmann und Vallisnicri 
haben ebenfalls eine Anzahl Helminthenarten 
beschrieben. Doch nach diesen hervorragenden 
Naturforschern blieb die Helminthologie wieder 
lange Zeit hindurch vernachlässigt, und hat 
sich nach Bremser während jener Zeit 
ausser Leonard Frisch Niemand sonst mit 
helminthologischcrt Fragen beschäftigt. Leo¬ 
nard Frisch soll in den Miscellunca Be ro- 


linensia mehrere Aufsätze über Eingeweide¬ 
würmer veröffentlicht haben, 

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahr¬ 
hunderts haben sieb dagegen Pallas, Otto 
Fried., Müller und Otto Fabricius 
wiederum mit Vorliebe mit Helminthen bc- 




Kig. 457. Verdauungscanal von Hochmut 
duodenalis. a Vojn Munde bis zum After 
ende des Darmes, b Ein Stack vom Pha¬ 
rynx mit der inneren Bewaffnung, und einn 
Portion vom Magen und vom Darme, stark 
vergrössert. — (Nach der Natur gezeichnet 
, von Dr. Canti.) 


schäftigt und haben mehrere lesenswerthe 
Arbeiten hierüber hinterlassen. 

Doch ihre Bemühungen waren haupt¬ 
sächlich auf die zoologische Beschreibung der 
parasitären Arten gerichtet. Eingehendere 
Studien wurden erst viel später unternommen. 

Man hat lange über den Ursprung der 
Eingeweidewürmer gestritten, und noch in 
diesem Jahrhunderte gab es Helminthologen 
von unbestrittenem Verdienste, welche,- der 
Lehre des Aristoteles folgend, zur Erklärung 
der Gegenwart der Würmer im thierischen 
Organismus eine generatio spontane a 
annahme/i. Danach sollten im thierischen 


















470 


EINGEWEIDEWÜRMER. 


Körper unter günstigen Bedingungen unab¬ 
hängig von der Einfuhr von Eiern oder 
Embryonen Helminthen entstehen. Zu Gunsten 
dieser Annahme sprachen sich Needham, 
Vrisbcrg, 0. Fried. Müller, Ingen- 
hous, Treviranus, Bremser u. A. aus. 
Es wäre überflüssig, noch heutzutage die 
Generatio spontanea oder aequivoca wider¬ 
legen zu wollen. Die von Spallanzani, 
Therechowski, Vallisnieri, Siebold 
u. v. A. vorgebrachten Thatsachen sind mehr 
als genügend hiezu. Der Harvey’sche Satz: 
„Omne vivum ex ovo“ hat sich in den 
Oken'schen Ausspruch: „Omne vivum ex 
vivo“ und später in den Virchow’sqhen 
Satz „Omnis cellula e cellula“ ver¬ 
wandelt. So können wir mit Vallisnieri 
wiederholen, dass, wenn „parva licet compo- 
nere magnis, so wie aus einem Taubenei keine 
Schlange hervorgeht, aus einem Schlangenei 
keine Ratte und von einer Ratte kein Fisch 
geboren wird, ebenso ganz untrüglich aus 
einem Schmetterlingei kein Käfer und aus 
einem Käferei keine Squilla entschlüpft“. Es 
ist dies ein feststehendes Naturgesetz, dass 
Gleiches sein Gleiches erzeugt. Sic canibus 
catulos. similes, sic matribus haedos 
(Virgil. Eclog. 1). 

Die Helminthen dringen immer von aussen 
in den thierischen Organismus ein, und sind 
die Fälle sehr selten, wo eine direct here¬ 
ditäre Zeugung nicht absolut in Abrede ge¬ 
stellt werden kann. Sie vermehren sich durch 
Eier und unterliegen sämmtlich einem Ge¬ 
nerationswechsel, indem sie bei ihrer 
Entwicklung meistens eine Reihe eigentüm¬ 
licher Phasen durchlaufen, die sich als ebenso 
viele ungleiche Generationen präsentiren. Die 
Eier werden im mütterlichen Uterus oder 
direct in den Eierstöcken befruchtet, welche 
mit der Reife sich zuweilen zu uterinen Ver¬ 
zweigungen oder Anhängseln verwandeln. 

Die Befruchtung geschieht durch die Be¬ 
rührung der Eier mit dem Sperma, welches 
durch den männlichen Geschlechtsapparat 
abgesondert wird. 

Die befruchteten Eier (Fig.458—462) ent¬ 
wickeln sich entweder innerhalb des Uterus 
oder aber werden ausgestossen, um die Furchung 
und Entwicklung des Embryo ausserhalb des 
mütterlichen Körpers durchzumachen. Die 
innerhalb des Uterus sich weiter entwickelnden 
Eier öffnen sich entweder noch im mütter¬ 
lichen Leibe, wie bei der Filaria medi- 
nensis, der Filaria lacrymalis, den 
Trichinen u. a. m., oder werden mit dem 
in der Eischale eingeschlossenen Embryo aus¬ 
gestossen, wie es bei den Protoscolices der 
Bandwürmer der Fall ist, oder endlich 
werden die Eier auf verschiedenen Stufen 
der Furchung gelegt und Embryonen auf ver¬ 
schiedener Entwicklungsstufe bis zu der von 
freigewordenen und lebensfähigen Larven ge¬ 
boren, wie es bei dem Rhabdonema stron- 
gyloides (Fig. 464) des Menschen sowohl 
als vieler Thiere (des Pferdes, des Schafes, 
des Schweines, des Rindes, des Kaninchens 
u. s. w.) beobachtet wird. 


Die von ihren Müttern geborenen Em¬ 
bryonen werden entweder mit den Fäces des 
Nährthieres entleert oder ernähren sich und 
wachsen in dem Darme desselben, um erst 
nach kürzerer oder längerer Zeit mit den 
Excrementen auszutreten, wie es bei der 
erwähnten Rh ab donema-Art der Fall ist, 
oder gehen in das Blut über, um dort das 
Stadium der Einkapselung und der Reifung 
durchzumachen oder sich einfachzu derLarven- 
reifung vorzubereiten, wie dies bei der Filaria 
sanguinis ho'minis und der Filaria 
immitis des Hundes geschieht, oder wandern 
durch die Darmwandungen hinaus in die 
Gewebe verschiedener Körpertheile, um die 
Larvenperiode in dem Nährthiere ihrer Eltern 
zu vollenden, wie dies bei der Trichina 
spiralis beobachtet wird. — Die Eier, die 
mit dem vollkommen entwickelten, aber in 
seiner Schale eingeschlossenen Protoscolex 
gelegt werden (Fig. 458 und 459), verlassen 
in der Regel das Nährthier ihrer Mutter und 



Fig. 468. Eior von Taenia solinra, den Protosooler ent¬ 
haltend. — (Nach der Natur gezeichnet von Dr. Caritä.) 

warten, bis sie von einem anderen Thiere der 
selben oder einer anderen Art mit der Nah¬ 
rung oder dem Getränke verschlungen werden» 
um (als D e u t o s c o 1 i c e 8) ein weiteres Stadium 



Protoscoler enthal- Fig. 460. Ei von Tri- 

tend. ehocephalus dispar. 

(Nach der Natur gezeichnet von Dr. CarittL) 

ihrer Entwicklung durchzumachen oder ihre 
definitive Gestalt zu erlangen. Es scheint, 
dass kein Protoscolex den Zustand eines voll¬ 
kommenen Wurmes erreichen kann, ohne die 
successiven Phasen des Larvenlebens in ver¬ 
schiedenen Individuen zu durchlaufen. Auch die 
vor dem Beginne des Furchungsprocesses oder 
gleich nach der Einleitung desselben gelegten 
Eier können nicht in dem Körper des Nähr¬ 
thieres der reifen Parasiten ihre Entwicklung 
vollbringen. Ein Hinderniss hiefür gibt 
namentlich die hohe Temperatur des Darmes 
ab. Die Eier müssen entleert werden und 


EINGEWEIDEWÜRMER. ’ . 411 


eine gewisse Periode in einem für die Ent¬ 
wicklung des Embryo günstigen Medinm ver¬ 
bringen, woselbst aus den Eiern Larven ent¬ 
schlüpfen, welche bestimmt sind, kürzere oder 
längere Zeit ein. freies Leben zu führen, bis 
sie einen solchen Grad von Larvenreife er- 
j reichen, dass, nachdem sie erst in den Körper 




Fig. 461. Eier von OxyuriB 
vermicularis. 


Fig. 462. Befruchtetes Ei 
von Bothryocephalua latus. 


(Nach der Natur gezeichnet von Dr. Caritä.) 


anderer Thiere gelangt sind, sie zuletzt wieder 
zu Parasiten jener Thierart, welche von ihrem 
Mutterthiere bewohnt wird, werden können 
und im Körper derselben- ihre vollkommene 
Ausbildung erlangen. 

Die Eier, die Embryonen u. s. w. müssen 
demnach, um von einem Nährthiere in ein 
anderes überzugehen und diö successiven 
Metamorphosen bis zum Zustande des voll¬ 
kommenen Wurmes durchzumacheh, kürzere 
oder längere Zeit, sei es auch nur eine ganz 
kurze Weile, ausserhalb des thierischen Orga¬ 
nismus verbleiben, der zu ihrem neuen Wirthe 
werden soll. Bel der 
Nothwendigkeit, diese 
successiven Phasen zu 
durchlaufen, um ihre 
definitive Form zu er¬ 
reichen, ist es begreif¬ 
lich, dass viele Eier 
oder Embryonen gar 
nicht zur Reife gelan¬ 
gen, indem ihre Meta¬ 
morphosen und Wande¬ 
rungen oft auf Schwie¬ 
rigkeiten stossen oder 
geradezu unmöglich 
werden. 

Bemerkenswerth ist 
die Erscheinung der 
Einkapselung oder En- 
cystirung, welcher die 
reifen Larven der mei 
sten Helminthen inner- 
oder ausserhalb des 
thierischen Organismus 
unterworfen sind. Wie 
bereits meisterhaft von 
Leuckart im Artikel 
,,Band Würmer“ (s.d.) 
beschrieben wurde, 
wird bei vielen Cestoden 
ein solches Verhalten 
beobachtet, dass das 
Ei mit dem wehrlosen 
Embryo, nachdem es 
mit den Fäces entleert und von einer geeig¬ 
neten Thierart verschlungen worden, sich im 
Darme der letzteren öffnet, worauf der Proto- 



Fig. 463. Larve von Doch- 
mins duodenalis im ersten 
Stadium ihres freien Le¬ 
bens nach der Geburt. — 
(Nach der Natur gezeich¬ 
net von Dr. Caritäu) 


scolex auswandert und sich an irgend einen 
Punkt des Organismus, in den Geweben oder 
Körperhöhlen begibt, um sich daselbst zu 
entwickeln und das Stadium der Larvenreife 
(als Blasenwurm oder als Cysticercoid) unter 
der Form der Encystirung zu erreichen. Das 
Ei des Distoma hepaticum erschliesst 



Fig. 464. Larve von Peeudorhabditie stercoralis Rhabdo- 
nema strongyloides im ersten Stadium ihres freien Lebens. 

(Nach der Natur gezeichnet von Dr. CariU.) 

sich ausserhalb des Körpers. Der rundherum 
mit Cilien versehene und im Wasser schwim¬ 
mende Embryo bildet beim Lhnneus rainu- 
tus sog. Redien und Sporocysten, aus welchen 
später die Cercarien hervorgehen, welche sich 
auf den Gräsern u. dgl. einkapseln, um her¬ 
nach in den Körper derjenigen Thiere über¬ 
zugehen, innerhalb deren sich die vollkom¬ 
menen Distomen entwickeln. Bei der Tri- 
china spiralis wändert der Embryo, so¬ 
bald er aus dem Ei entschlüpft ist, aus dem 
Darme aus und begibt sich in das Muskel¬ 
oder Bindegewebe, um sich zu entwickeln 
und das Stadium des vollkommene^ Larven¬ 
lebens zu erreichen, welches auch hier in der 
Einkapselung oder Encystirung besteht. 

Bei der Filaria sanguinis hominis 
erreichen die in das Blut gelangten Embryo¬ 
nen ihre vollkommene Larvenentwicklung 
und encystiren sich oder kapseln sich ein, 
um in dem .Magen tropischer Mücken ihre 
Puppenausbildung zu vervollkommnen und 
alsdann zu dem Zustande der Filaria 
Bancrofti zu gelangen 



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47* ‘ • . ' EINGEWEIDEWÜRMER. 


Beim Rhabdonema strongyloides 
gibt es höchst wahrscheinlich Larven, welche, 
ohne den Darm zu verlassen, zur Reife ge¬ 
langen; ferner andere, welche mit den Fäces 
entleert werden, nur das Stadium der Ein¬ 
kapselung oder Larvenreife erreichen und 
dann warten, bis sie in den menschlichen 
Organismus zurückkehren, um ihre weitere 
Entwicklung zu vollenden, und endlich noch 
andere, welche aussethalb des Körpers reifen 
(Pseudorhabditls stercoralis), so dass 
die neue Generation im Zustande des freien 
Lebens nur die Periode der Larvenreife oder 
der Einkapselung, erreicht (Fig. 464). 

Beim Dochmius des ^Menschen und der 
Thiere (vgl. Tafel XI u. XII) kbimt das Er ausser¬ 
halb des Körpers in Berührung mit der Luft; die 
neugebome Larve (Fig. 463> durchläuft die 
rhabditisartige Entwicklung in freiem Leben; 
hierauf bildet sich durch Hautsecretion eine 
chitinoide Hül'se, Kapsel oder 
Cyste, welche später verkalkt, 

. und innerhalb diese* vollen¬ 
det das Thier seine Larven - 
Periode und wartet, bis es in den 
menschlichen Organismus oder 
in den eines anderen Thieres, 
das ihm einen geeigneten Wohn¬ 
ort und Nährboden gewährt, 
gelangt, um die weiteren Phasen 
seines Schmarotzerlebens fort¬ 
zusetzen und die £rtfortzupf\an- 
zen (Fig 465). Diese Einkapse¬ 
lung oderEncystirung, die eini- 
germassen mit der Puppenbil- 
dt^ng der In'secten vergleichbar 
ist, stellt demnach ein Verbin¬ 
dungsglied zwischen den ver- * 
schiedenen Ordnungen der Hel¬ 
minthen sowie zwischen den 
Würmern überhaupt und den 
Insecten her; auch dient sie 
uns zur Erklärung der Art und 
Weise, wie sich die verschie¬ 
denen Helminthenarten im 
menschlichen # und im thieri- 
schen Organismus vermehren. 

(Perroncito: „Osservazioni 
elmiqtologiche relative 
all’ endemia svoltasi tra- 
gli operai del Gottardo. 

Roma, 1880.) 

Bis auf die neuest^ Zeit 
galt es als eine erwiesene That- 
sache, dass den Schmarotzern 
eine ausserordentliche Lebens- Zf 
Zähigkeit»zukommt. So glaubte 
man, dass die Eier der Disto- ws. Eins«- 
men,- der Bandwürmer, des Bo- DocS 
thriocephalus, des Strongylus duodenaii«, mi$ 
sich sehr lange lebendig erhal- zerrissener Kap- 
ten, sogar in den in Zersetzung ^“plJnkte" - 
begriffenen organischen Sub- (Nach der Natur 
.stanzen und in*fauligem Wasser, gezeichnet von 
Hingegen wurde von neueren * r * CanU,) 
Beobachtern und insbesondere von mir nach¬ 
gewiesen, dass die Fäukiiss auf die Eier auf 
jeder Stufe des Furchungsprocesses und der 


embryonalen Entwicklung verderblich wirkt; 
dass die auch nur ganz kurz dauernde Xus¬ 
trocknung die Eier des Bothriocephalus, des 
Distoma und der Strongylus-Arten tödtet, dass 
die wenn auch nur kurze Einwirkung einer 
starken Kälte ebenfalls den Tod der Eier und 
Larven vieler Helminthen (Cysticerken, Coe- 
nurus-Arten, Muskeltrichinen, Eier und Larven 
der jAnguillula- und der Ankylostoma-Arten) 
herbeiführt. Wenn man beobachtet hat, dass 
Embryone von.Filaria- und Strongylus-Arten 
einer mehrtägigen Austrocknung widerstehen, 
so ist es nicht minder wahr, dass die - Eier 
und die Larven der betreffenden Helminthen 
söwie die reifen Thiere selbst ganz bestimmt 
bei einer Temperatur von 48—50° C. sterben, 
wenn sie derselben auch nur fünf Minuten 
lang ausgesetzt werden. , 4 

•Und das scheint auch nothwendig für. 
die Erhaltung des Gleichgewichts bei diesen 
Schmarotzerarten. Wären die Angaben der¬ 
jenigen begründet, welche den thierischen 
Schmarotzern eintf ausserordentliche Wider¬ 
standsfähigkeit gegen die Hitze und die Kälte 
zuschrieben, so wäre das ungemeine Zeugungs¬ 
vermögen dieser Thiere der relativ geringen 
Zahl der vollkommen entwickelten Individuen 
gegenüber geradezu unerklärlich. So erzeugen 
z. B. die Taenia-Arten, der Bothriocephalus, 
das Distoma, die Spulwürmer, die Anky- 
lostomen u. s. w. Millionen von Eiern, und 
doch existiren die betreffenden Heljninthen in 
Verhältnissenässig nur geringer Anzahl. Woher 
kommt das? Hauptsächlich beruht dies auf 
der Reihe von Phaspn. welche die Embryonen 
in oft verschiedenen Organismen zu durch¬ 
laufen haben; dann auf der fehlenden Gelegen¬ 
heit zur Entwicklung, auf dem Kampfe, welchen 
der Mensch gegen diese Thiere auf dem Wege 
hygienischer Massregeln führt, und endlich 
darauf, dass ihre Tenacität verhältnipsmässig 
keine sehr grosse ist. 

Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts 
schlug Bloch die erste systematische Ein- 
theilung der Eingeweidewürmer vor. Er theilte 
(in den Jahren 1779—178*) dieselben in zwei 
Ordnungen ein: in die breiten oder platten 
und in die runden Würmer. Pastor Goeze 
dagegen begnügte sich mit der Aufstellung 
von Gattungen, ohne eine allgemeine Classi¬ 
fication zu unternehmen? Dasselbe thaten in 
den Jahren *1787 und 1788 0. F. Müller 
und Franz Päul Schrank, welche genaue 
Abbildungen aller bis dahin bekannten Ein¬ 
geweidewürmer gaben. 

Zeder theilte die Eingeweidewürmer 
in fünf Classen, welche er in seinem Hand¬ 
buche auf Rudolphi’s Rath Familien 
nannte. Diepe Familien wurden in Gattungen 
und letztere in Arten eingetheilt. 

Die systematische Eintheilung Zederis 
•wurde vpn Rudplphi in seinem grossen 
helminthologischen Werke (Entozoorum 
sive vermium intestinalium historia 
naturalis) angenommen und beibehalten. 
Rudolphi führte darin nur sehr wenige 
Aenderungen ein, so dass bis zu den letzten 
Jahren die Eintheilung der Helminthen in 




EINGEWEIDEWÜRMER. 


473 


■ Tafel XI. 


Zur Anatomie der Eingeweidewürmer.' 



Muskefbündol und ihre verschieden»* Auorduung 
; im Körper des Dochmius duodenalis. 




Körperabscbnitt, der die äussere Mündung des weib¬ 
lichen Geschlechtsapparates von Dochmius duodenalis 
enthält, a Cuticula, b Lederhaut, c Darm, d Eierstock¬ 
rohr, e weiblicher Geschlechtsapparat, f dessen äussere 
Mündung, 

sowie Hintortheil des Körpers eines >Veibchens von 
Dochmius duodenalis, mit dem* Caudalstachel, Rectum 
und After von der Seite zu s»»hen. 


Spiroptera striiinosa, die unter der Epithelialbrücke des 
31agons eines Maulwurfes Kindurghzioht. — (Nach der 
Natur gezeichnet v/>n Bambury.) • 


TremaUdenlarve von einer Limite». 



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474 EINGEWEIDEWÜRMER. 

Tafel XII. 

Zur Anatomie der Eingeweidewürmer. 



stoekröhren und Ei- Grenze des vordersten Sechs- Vordertheil der Filaria 

leiter im Umkreise tels des Körpers von Doch- roicrostoma. — (Nach 

des Darmes von Doch- uiius duodenalis angebracht der Natur gezeichnet 


inius duodenalis. sind. von Dr. Caritä.) 



Vordertheil des Körpers von Doelimius trigono- Spiroptera strnmosit, die unter dor Epithelialbr&cke 

eephalus, mit der Mundkapsel. des Magens eines Maulwurfes hindurchzieht. 


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EINGEWEIDEWÜRMER. 


475 


Nematoden, Acanthocephalen, Trema¬ 
tod en, Cestoden und Cystica aufrecht 
blieb. 

Zu der Ordnung der Nematoden zählt 
man noch immer alle stielrunden Würmer von 
länglicher Form, deren Verdauungscanal mit 
dem Munde anfängt und im After endigt. In die¬ 
ser Ordnung sind die Individuen sämmtlich 
eingeschlechtlich. Als Beispiele nennen wir 
die Ascaris megalocephala der Pferde 
und die bei Kindern so häutige Ascaris 
lumbricoides. 

Unter den Acantocephalen fasst man 
Würmer zusammen, deren Kopf mit einem 
vor- und zurückziehbaren Rüssel versehen ist, 
besetzt mit vielen, sämmtlich nach hinten 
gerichteten Haken. Meistens fehlt ein Ver¬ 
dauungscanal. Beispiel: Echinorhynchus 
gigas. 

Die Trematoden sind saugende Wür¬ 
mer mit plattgedrücktem Körper, mit einem 
oder mehreren Saugnäpfen und mit einem blind 
endenden Verdauungscanal versehen, folglich 
ohne After (Fig. 466 und 467). Mit der einzigen 
Ausnahme derBilharzia haematobia (s.d.) 
sind alle zu dieser Ordnung gehörenden Gattun¬ 
gen Zwitter. Beispiel: Distoma hepaticum. 



(Nach der Natur gezeichnet von Dr. Caritft.) 


Zu der vierten Ordnung oder zu den 
Cestoden wurden die bandförmigen, d. h. 
mit abgeplattetem und mehr oder weniger ver¬ 
längertem Körper versehenen Würmer ge¬ 
rechnet. Die Cestoden besitzen keinen eigent¬ 
lichen Verdauungsapparat, sind aber mit Saug¬ 
näpfen und einem sehr deutlichen Systeme 
wasserführender Gefässe versehen. Sie sind 
sämmtlich Zwitter. Beispiele: T ae n i a s o 1 i um, 
T. m e d i o c an e 11 a t a, T. ex p an s a u. s. w. 


Die fünfte Ordnung, Cystica, begriff die 
blasenförmigen, mit seröser Flüssigkeit an¬ 
gefüllten und eines Verdauungs- sowohl 
als eines Geschlechtsapparates entbehrenden 
Würmer. 

Diese von Rudolphi angenommene Ein- 
theilung wurde aber bald als sehr unvollkom¬ 
men erkannt, wie dies bereits von Leuckart, 
Küchenmeister, Ercolani hervorgehoben 
wurde, denn man hatte seitdem erfahren, dass 
die zu der letzten Ordnung gestellten Blasen- 
würmer nur ein Larvenstadium der Cestoden 
darstellen. So waren die fünf Ordnungen auf 
vier zurückgeführt. Ferner erkannte man. 
dass die Acanthocephalen richtiger den Nema¬ 
toden an die Seite zu stellen seien; erstens 
weil sie einen eylindrischen oder konischen 
Körper haben, zweitens weil einige voit ihnen 
einen Darmcanal besitzen, der im Kopfe an¬ 
fängt und am entgegengesetzten Körperende, 
d. h. im After endet. Auch sind die Acantho¬ 
cephalen eingeschlechtlich. 

Vogt kehrte daher auf Grund der auf 
die Helminthologie angewandten neuen Er¬ 
rungenschaften der vergleichenden Anatomie 
mit wenigen Abänderungen zu der von Bloch 
eingeführten Eintheilung zurück; er theilte 
nämlich die Eingeweidewürmer in zwei Ord¬ 
nungen ein: in die der Plato den oder Plat- 
helminthen und die der Nematoden oder 
Nemathelminthen. Diese rationelle Ein- 
theilung wurde mit einigen geringen Abände¬ 
rungen von Yirchow, Küchenmeister, 
Leuckart, Cobbold, Zürn angenommen. 

Danach begreifen die Plathelminthen die 
Cestoden und die Trematoden; die Ncmat- 
helminthen alle runden Würmer. Die Acanto¬ 
cephalen werden als Unterordnung derNemat- 
helminthen betrachtet und als solche den 
Nematoden (Fadenwürmern) gegenüberstellt, 
wie aus folgender synoptischer Zusammen¬ 
stellung ersichtlich ist. 



1. Unterordnung 

C e :s t. o d e s 


2. Unterordnung 
Trematoden 


(bewa ft'nete 
I wehrlose 
ßothriocephalus 
Monostoiua 
Distorua 
Amplii stoma 
Holostoma. 


(Gattung Taenia 


r JE I 1. Uliterordn. 
}J!n e ni atod e s 


1. Gruppe 


2. Unterordnung 
Aeautoeephali 


| Gattung Eustrongylus 
J . Ascaris 

| « Filaria 

( . Oxyuris 

p Sclerostoma 

p Dochrains 

( T Strongylus 
* Khabdonema 

i _ Trichina 

* . Trichocephalus 

. Echinorhynebns. 


Die Unterordnung der Cestoden (s. 
Bandwürmer) umfasst also die Gattungen 
T a e n i a und B o t h ri o c ep h al u s. Die T a e n i a- 
Arten werden in bewaffnete und wehr¬ 
lose eingetheilt. Unter den bewaffneten 
Taenia-Arten sind zu nennen: die T. sulium 
mit dem entsprechenden Cysticercus, die 
T. tenella, die T. nana und der Cysti¬ 
cercus acanthotriu s. welche sämmtlich 



EINGUSS. — EINGUSSVORRICHTUNGEN. 


476 

dem Menschen eigen sind; dann die T. echi- 
nococcu8 und die Echinokokken; die 
T. coenurus und dör entsprechende Coenu-, 
rus centralis, die T. marginata und der 
Cysticercus tenuicollis, die T.serrata 
und der Cysticercus pisiformis, die 
T. cucumerina und das Cysticercoid, 
die T. crassicollis und der Cysticercus 
faecicularis, die T. infundibilif ormis, 
die T. lanceolata, die T. sinuosa, die 
T. malleus, die proglottida, der Cysti- 
bercus fistularis der Pferde. 

Unbewaffnet sind die T. medioca- 
nellata, die T. flavo-punctata, die T. lo- 
phosoma, die T. plicata, die T. perfo- 
liata, die T. mamillana, die T. expansa, 
die T. denticulata, die T. globipunctata, 
die T. # ovipunctata, die T. centripunc- 
tata, die T. alba, die T. ovilla, die T. acu- 
leuta und die T. pectinata. 

Die Gattung Bothryocephalus umfasst 
die Arten: B. latus, B. cordiformis, B. cri- 
status, B. reticulatus, B. dubius und 
B. felis. 

Di« Unterordnung der T r e m a t o d e n (s. d.) 
umfasst die Gattungen Monostoma, Di- 
stoma, Amphistjoma und Holostoma. 

Zu der Gattung Monostoma gehören 
die Arten: M. faba, M. lentis, M. leporis 
und M. mutabilis. 

Die Gattung Distoma enthält die Arten: 
D. hepaticum, D. lanceolatum, D. mag* 
num, D. truncatum, D. campanulatum 
und D. conjunctum. 

Die Gattung Amphistoma die Arten: 
A. conicum und A: truncatum. 

Die Gattung Holostoma die Arten: 
H. alatum, H. ornigerum und Gastro- 
discus sonsinonis. 

Die erste Gruppe des Nematoden (s.d.) 
umfasst die Genera Eustrongylus, Ascaris 
und Filaria. 

Die Gattung Eustrongylus enthält nur 
die eine Art; E. gigas. 

Die Gattung Ascaris enthält die Arten: 
A. lumbricoides, A. megalocephala, 
A. mistax, A. inflexa, A. vesicularis, 

. A. maculosa u. a. m. 

Zu der Gattung Filaria gehören die 
Arten: F. papillosa, F. immitis, F. la- 
biato-papillosa, F. lacrymalis, F. micro- 
stoma, F. nyegalostoma, F. sanguinu- 
lenta, F. strongylina, F. scutata oeso- 
phagea bovis, F. cincinnata, F. ocuii 
equi, F. mütipapillo6a, F. medinensis, 
F. trispinulosa, F. Loa, F. bronchialis 
hominis, F.Bancroffi, F. lentis. 

Die zweite Gruppe der Nematoden um¬ 
fasst die Gattungen Cxyuris, Sclerostoma, 
Dochmius, Strongylus, Rhabdonema. 

Die Gattung Oxyuris enthält die Arten: 
ö. vermicularis, 0. curvula, 0. arabigua 
und 0. vivipara. 

Die Gattung Sclerostoma begreift die 
Arten: S. armatum und S. tctracantlium. 

Die Gattung Dochmius oder Anky- 
1 ostoma die Arten D. duodenalis, D. Bai 
sami felis, D. trigonocephalus, D. ca- 


ninus, D. hypostomus, D. cernuus, D. ra 
diatus und D. dentatus. 

Die Gattung Strongylus (im engeren 
Sinne, denn die Arten Sclerostoma, Doch¬ 
mius und Strongylus werden auch als Unter¬ 
gattungen des Genus Strongylus im weiteren 
Sinne angesehen) die Arten: S. in flatus, 
S. venulosus, S. ventricosus,S.fificollis, 
S. contortus, S. vasorum, S. strigosus, 
S. micrurus, S. paradoxus, S. filaria, 
S. bronchialis, S. minutissimus, S. pul- 
monalis und S. trachealis. 

Die Gattung Rhabdonema enthält nqr 
die eine Art R. stronygloides (= An-, 
guillula intestinalis) des Menschen, des 
Kaninchens, des Schweines, des Schafes und 
des, Pferdes, sammt der Pseudorhabditis 
stercoralisj welche wohl nur eine Ent¬ 
wicklungsstufe des Rhabdonema darstellt. * 

Die dritte Gruppe der Nematoden ent¬ 
hält die Gattungen Trichina und Tricho- 
cephalus. 

Die Gattung Trichina besitzt nur die 
eine Art: T. spiralis; die Gattung Triclio- 
cephalus umfasst Arten: T. dispay, T. crc- 
natus, T. affinis und T. depressiusculus. 

Die Unterordnung der Acantocephalen 
enthält nur die Gattung Echinorhfynchms 
mit den Arten: E. gigas, E. cuniculi und 
E. c an i 8 . Perroncito . 

EH1QU88 nennt man die den Thieren zu 
verabfolgenden Arzneien in flüssiger Form; 
auch Einschütte ist eine gebräuchliche Be¬ 
zeichnung hiefür. Koch. 

Ei ngu88Vorrichtungen. Wenn den Thieren 
(gross oder klein) bei Erkrankung flüssige 
Arzneimittel durch das Maul verabreicht 
werden, so sind gewisse Manipulationen, 
mechanische Vorrichtungen und entsprechende 
Gefasse erforderlich, um die Flüssigkeiten 
regelrecht beibringen zu können. Jeder Prak¬ 
tiker wird leider viele Fälle zu beobachten 
Gelegenheit gehabt haben, dass r wenn von 
ungeschickten Händen mit ungeeigneten Werk¬ 
zeugen und am Unrechten Orte solche Ein-* 
güsse applicirt wurden, die eingegebene Arznei 
einen falschen Weg nahm, in die Luftröhre 
gelangte, die Bronchien und Lunge irritirte, 
entzündete und selbst tödtliche Folgen her¬ 
vorgebracht hat. Die mit Gewalt beizubrin¬ 
genden Eingüsse oder Tränke werden deshalb 
immer mehr verlassen und durch Latwerge, 
Pillen u.dgl. ersetzt, bei welchen die erwähnte 
Gefahr fast gleich Null ist. Wenn man die 
Athmungs- und Schlingorgane betrachtet, so 
muss man berücksichtigen, dass, wenn Kopf 
und Hals horizontal ausgedehnt w.erden, die 
Luftwege im Gesicht und im vorderen Theil 
des Kopfes oben liegen; im hinteren Theil 
des Kopfes und im Hals aber die Futterwege 
oder der Schlund unten liegen. Es ist somit 
klar, dass diese zwei Wege sich kreuzen 
müssen, was am Pharynx der Fall ist. Man 
kann dieses Kreuzen mit einem liegenden X 

C 

vergleichen h ^A c , — a soll das MauL b die 

fl«* a 

Nase, c den Schlund, d die Luftröhre, e die 
Höhle des Pharynx anzeigen, in welche sich 



EINGUSSVORRICHTUNGEN. 


477 


die Luft- und Futterwcgc öffnen; es geht 
also durch »den letzteren das Futter und die 
Luft Nun ist begreiflich, dass, wenn zu 
gleicher Zeit geathmet und geschluckt wird, 
sich dip Nahrungsstoffe mit der Luft ver¬ 
mischen, Husten und Erstickungsanfälle sich 
einstellen; die Natur hat jedoch solchen 
Uebelständen dadurch vorgebeugt, dass die 
Stimmritze in dem Kehlkopf mit einer äusserst 
empfindlichen Schleimhaut versehen uhd ein 
Kehldeckel angebracht ist. Eine andere Vor¬ 
richtung, durch welche die Thiere willkürlich 
dem Eintritt aller Arten von Stoffen in den 
Pharynx während des Athmens Vorbeugen 
• können, besteht in dem Gaumensegel, welches 
die Maulhöhle von dem Pharynx trennt. Bei 
Thieren, welche nicht durch das Maul athmen, 
wie Pferde und Ochsen, ist es sehr lang, so 
dass diese Thiere während des Kauens des 
Futters durch die Nase frei athmen können. 
Endlich ist noch von Wichtigkeit, dass die 
Thiere, namentlich die pflanzenfressenden, im 
freien Zustande fressen und saufen, während 
sie den Kopf hinabhängen lassen, so dass 
keine Stoffe ohne den Willen derselben, oder 
wenn diese Organe nicht dazu vorbereitet 
sind, von den Schlingorganen aufgenommen 
werden. 

Um . daher nachtheilige Folgen beim 
Einschütten zu vermeiden, muss mafi den 
Kopf, namentlich beim Rinde, nur so viel 
über die .horizontale Richtung erheben, als 
nothwendig ist, dass die Flüssigkeit in den 
hinteren Theil des Maules fliesse. Bei dieser 
Vorsicht hat das Thier über die Schling¬ 
organe Gewalt, was nicht der Fall ist, wenn 
man den Kopf hoch emporhebt; ausserdem 
soll das Athmen durch die Nase ganz unge¬ 
hindert von statten gehen können und wo 
möglich die Bewegung der Zunge und des 
Unterkiefers nicht beeinträchtigt werden. Um 
seinen Zweck zu erreichen, kann man ver¬ 
schieden verfahren. Man bringt entweder die 
Hand in, das Maul, drückt mit dem Finger 
gegen den Oberkiefer, während der Kopf 
zwischen den Arm und Schenkel gedrückt 
wird, oder es wird der Hals des Unterkiefers 
mit der Hand gefasst, während der Daumen 
im Maul unmittelbar hinter den Schneide¬ 
zähnen und unter der Zunge liegt. Bei wider¬ 
spenstigen oder durch Krankheit aufgeregten 
Thieren, Bullen u. a. muss man noch andere 
Massregeln treffen, durch Spannen mit 
Stricken u. s. f. Niemals aber sollte man den 
Kopf der Wiederkäuer, wie es bisweilen von 
unwissenden Leuten geschieht, in der Höhe 
an Ringen, Balken etc, festmachen, weil da¬ 
durch die Erleichterung, welche das Thier 
durch Hinabhängen des Kopfes und durch 
Husten sich verschafft, unmöglich gemacht 
wird; auch ist es nutzlos, an dem Hals mit 
der Hand zu streieflen und zu drücken. Be¬ 
hält ein Thier einen Theil des Trankes hart¬ 
näckig ;m Maul, so wird es dadurch, dass 
man den Unterkiefer und die Zunge bewegt, 
zum Schlucken veranlasst, was auf die Art 
geschieht, dass man den Finger in den Maul¬ 
winkel bringt und* das Thier zum Kauen 


reizt, oder dass man den Grund der Zunge 
drückt oder reibt. 

Hält man also den Kopf so wenig wie 
möglich in die Höhe, lässt man das Thier 
frei durch die Nase athmen und den Unter¬ 
kiefer und die Zunge sich hinlänglich be¬ 
wegen, so wird dasselbe selten husten oder 
Erstickungsanfälle bekommen, sollte es aber 
.der Fall sein, so läss\ man den Kopf sogleich 
los und die Theile sich erholen, ehe man von 
Neuem mifrder Operation beginnt, wendet aber 
nachher grosse Vorsicht beim Eingeben an. 

Bei Pferden, die in der Regel den Kopf 
hoch'tragen, ist das Einschütten von flüssigen 
Arzneien schwieriger und kaum möglich ohne 
mechanische Hilfsmittel, wozu Stricke, Trensen, 
lederne Riemen etc. verwendet und um* den 
Oberkiefer geschlungen werden, womit durch 
Aufziehen dieses mit dem Kopfe über einen 
Balken oder durch einen Rihg das Maul ge¬ 
öffnet wird. Die Erhöhung des Kopfes soll 
aber die Horizontallinie nicht überschreiten. 

Um das, Eingiessen oder Beibringen d^r 
flüssigen Arzneimittel zu ermöglichen, hat man 
verschiedene Vorrichtungen und Gefasse er¬ 
funden und angewendet, so z. B. hat man das 
Mundstück einer Einguss'-Trense von Eisen als 
hohlen Cylinder, der an einem Ende geschlossen 
ist und in seiner Mitte eine Oeffhung besitzt,’ 
verfertigt und angewendet; an dem anderen 
Ende ist ein kleiner Trichter von Blech be¬ 
festigt, in welchen die Arzneien gegossen 
werden, die dann in das Rohr und durch die 
ovale Oeffhung desselben in das Maul des 
Thieres fliessen. Um das bei den Bewegungen 
des Kopfes erfolgende Verschütten zu ver¬ 
hüten, brachte Ruef eine 3 Schuh lange 
und % Zoll weite Kautschukröhre, welche an 
einem Ende einen kleinen Blechtrichter trägt, 
mit einem 5 Zoll langen Stücke eines Flinten¬ 
laufes, der das hohle Mundstück einer Ein- t 
schütt-Trense bildet, mittelst eines hölzernen, 
konischen Röhrchens in Verbindung. Wenn 
nun bei der Anwendung der Trichter festge¬ 
halten wird, so soll von der Flüssigkeit 
nichts verloren gehen, weil die Bewegungen 
des Thieres wegen des elastischen Schlauches 
beim Eingiessen nicht, hinderlich sind. 
Gourdon beschreibt einen Apparat, der aus 
einem länglich viereckigen mit einem Deckel 
versehenen Reservoir besteht und an das 
Mundstück angeschraubt wird; an dem einen 
Ende des letzteren ist ein Hahn befindlich,* 
durch dessen Drehung sich der Abfluss der 
Flüssigkeit reguliren oder ganz unterbrechen 
lässt, wodurch eine geringere oder grössere 
Menge des Eingusses in das Maul des Thieres 
gelangen kann. Diesen künstlichen oder mehr 
coipplicirten Einghssvorrichtungen stehen die 
einfachen und am meisten angewendeten, aus 
Eingussflaschen oder Trichtern bestehenden 
gegenüber. Diese Eingussflaschen oder Trich¬ 
ter werden am besten aus Metallblechen,, 
Zink oder verzinntem Eisenblech gefertigt, 
oder aus Horn, ähnlich den Jagdhörnern, 
dann mit verlängerten, gebogenen Röhren ver¬ 
sehen gemacht; als minder gute, aber beim 
Mangel anderer sind wohl die am häufigsten 


t 


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478 EINHAUEN. 


angewendeten Glasflaschen (Bouteillen) im Ge¬ 
brauch, obwohl sie die gefährlichsten sind, 
da sie sehr leicht mittelst der Backenzähne 
zertrümmert und die Glasstücke von den 
Thieren verschluckt werden können; daher 
sollten zu diesem Zwecke nur starke Cham¬ 
pagnerflaschen zur Verwendung kommen. 

Bei kleinen Thieren, Kälbern, Schafen, 
Hunden, beziehen sich die Eingussvorrich- * 
tungen nur auf das Fixiren des Kopfes, und 
die Beibringung der Arzneien kann durch 
Kannen oder meistens durch Esslöffel ge¬ 
schehen. Schwieriger ist es schon bei Schwei¬ 
nen, und hat in dieser Beziehung Knoll in 
Ulm seinerzeit folgende sich bewährt habende 
Methode angewendet. 

Meine Methode ist einfach folgende: Wenn 
ich ein krankes Schwein zu behandeln habe 
und die zu gebende Arznei zur Hand ist, so 
nehme ich einen guten Strick, schleife den¬ 
selben am Oberkiefer fest über den Rüssel, 
ziehe den Strang, wenn er so angelegt ist, 
durch einen Ring oder sonst einen anderen 
Gegenstand; darauf fängt das Schwein an zu 
schreien, zieht zurück, setzt sich auf das 
Hintertheil und sperrt das Maul dabei weit auf. 

Während dieser Zeit bleibe ich ruhig 
neben dem Schweine stehen, gebe ihm zu 
erkennen, dass ich ihm nichts Böses thun 
will, streichle es am Hals mit der Hand, bis 
es endlich ruhig wird. 

Bemerkt es, dass es von seiner Fessel 
im Maul nicht los werden kann, so nimmt 
es ihein Streicheln endlich ruhig an; sobald 
cs nicht mehr schreit, so gebe ich in aller 
Ruhe die Arznei mit derselben Zuverlässig¬ 
keit wie jedem anderen Thiere. Es versteht 
sich, dass, sobald dasselbe aufs Neue un¬ 
ruhig wird und wieder schreit, wieder aus¬ 
gesetzt werden muss. 

Bei dieser Methode ist mir noch kein 
Unfall vorgekommen, und ich habe sie immer 
mit dem besten Erfolg ausgeführt. Ablcitntr. 

Einhauen. Unter Einhauen (auch Greifen, 
in die Eisen klappen, Schmieden genannt) 
versteht man diejenige unregelmässigeGangart 
des Pferdes, bei welcher dasselbe während 
der Trabbewegung mit den Zehen der Hinter¬ 
hufe an die Vorderfüsse anschlägt. 

Die Kennzeichen des Einhauens sind 
bei beschlagenen Pferden das unangenehme 
Geklapper, welches dadurch entsteht, dass 
das Pferd mit den Zehentheilen (Schuss) der 
Eisen an den Hinterfüssen an die Stollen 
oder an die untere Fläche der Eisen an den 
Vorderhufen, im Momente des Aufhebens der 
Vorderfüsse, anschlägt, resp. anklappt. In 
diesem Falle wird man vermittelst des Gehörs 
auf diesen Fehler aufmerksam. In anderen 
Fällen hört man nichts, dann geschieht das , 
Einhauen nicht an die Vordereisen, sondern 
entweder an die Sohlenfläche oder an die 
Ballen der Vorderhufe, es kann sogar Vor¬ 
kommen, dass sich Pferde an die Beugesehnen 
der Vorderfüsse hauen. An den Eisen der 
Vorderhufe ist ausser kleinen Eindrücken 
nichts wahrzunehmen. Hauen sich Pferde an i 


die Ballen, so kommt es zuweilen zu einer 
Quetschungsentzündung mit theilweiser Lösung i 
des Ballenhornes, selten zu offenbarer Ver¬ 
wundung der Ballen mit Verletzung der Huf¬ 
knorpel, noch seltener zu Verletzungen (Quet¬ 
schungen, Verwundungen) der Beugesehnen. 
An den Hinterhufen nutzen sich in Folge des 
Einhauens zuweilen die Zehen nicht unbe¬ 
deutend ab. Von der Seite her betrachtet, ist 
dann der gestreckte, naturgemässe Verlauf 
der Zehenhornwand nur biä zum unteren 
Drittheil vorhanden, von da ab ist die Wand 
zuweilen bis auf die Blättchenschicht durch- 
gestossen. 

Die Ursachen des Einhauens sind ver¬ 
schieden, sie liegen in der Hauptsache ent¬ 
weder in fehlerhaftem Beschläge oder in 
fehlerhaftem Körperbaue, alsdann in Ermü¬ 
dung und schlechter Führung seitens des 
Geschirrleiters oder des Reiters. Es hauen 
demnach gern Pferde ein mit verhältniss- 
mässig kurzem Körper und hohen Beinen, 
ferner Pferde, die mit den Füssen unter dem 
Leibe stehen, und überbaute Pferde. Von den 
Beschlagsfehlern sind zu nennen zu lange 
Zehen an den Vorder- und zuweilen auch an 
den Hinterhufen und zu lange und schwere 
Hufeisen. Das Einhauen kann nur dann be¬ 
seitigt werden, wenn es möglich ist, die ver¬ 
anlassenden Ursachen abzustellen und dauernd 
abzuhalten, das ist aber nur möglich, wenn 
es durch fehlerhaften Beschlag, Er¬ 

müdung und schlechte Führung herbeige¬ 
führt war. 

Beschlag. Gewöhnlich werden sog. Hau¬ 
eisen oder Einhaueisen verwendet. Die Zu¬ 
bereitung der Hufe richtet sich nach den 
allgemein gütigen Regeln. 

Auf die Vorderhufe legt man Eisen auf, 
\£elche weder länger noch Weiter als der Huf 
sein dürfen, d. h. dieselben dürfen weder 
nach hinten noch nach den Seiten über die 
Trachtenwände vorstehen. Sind Stollen er¬ 
forderlich, so müssen deren hintere Flächen 
schräg von der Bodenfläche nach der Huffläche 
gemäss der Richtung der hinteren Begren¬ 
zungslinie der Trachten von der Seite gesehen 
verlaufen. Schraubstollen setzt man etwas 
weiter als gewöhnlich vom Schenkelende ein. 
Das stollenlose und das Stolleneisen gegen 
Einhauen für Vorderhufe soll gleichsam mit 
dem Hufe einen Guss bilden und somit nur 
eine Fortsetzung der Wand nach unten und 
vorne darstellen. Die Bodenfläche der Vorder¬ 
eisen dacht man, um die Zehen der Hinter¬ 
hufe zu schonen, nicht selten ab. 

Wenn es die Bodenverhältnisse, der Dienst 
der Pferde und die Qualität der Hufe ge¬ 
statten, lassen sich auch halbmondförmige 
Eisen mit gutem Erfolge verwenden. 

Die für die Hinterhufe bestimmten Eisen, 
gleichviel ob ohne oder mit Stollen oder mit 
Streichschenkeln, bekommen anstatt der Zehen¬ 
kappe zwei seitliche Zehenkappen. Der Zehen¬ 
theil dieser Eisen wird um so viel zurück¬ 
geschmiedet, abgehauen oder zurtickgerichtet, 
als die Stärke der Zehenhornwand beträgt, 
denn letztere soll und muäs Über den vorderen 


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EINHORN. — EINMAISCHEN DES FUTTERS. 


479 


Rand des Hufeisens überstehen. Um Beschä¬ 
digungen der Vorderfüsse zu vermeiden, ist 
ferner erforderlich, die vordere untere Eisen - 
kante gut abzurunden, und wenn Griffe benützt 
werden, so sollen diese schräg nach rück¬ 
wärts unter das Eisen stehen; desgleichen 
darf der über den Zehentheil des Eisens vor¬ 
stehende Rand der Zehenhornwand nicht 
scharfkantig bleiben, sondern muss ebenfalls 
abgerundet werden. Lungwitz. 

Einhorn, Unicornus, ist ein schon von 
Aristoteles erwähntes, fabelhaftes Thier von 
Pferdegestalt mit einem langen Home auf der 
Stirne, von wildem, unbändigem Charakter, als 
dessen Vaterland bald Indien, bald Afrika 
bezeichnet wird. Der gelehrte Botaniker 
Dr. A. Lonicerus erzählt in seinem 1557 er¬ 
schienenen Kräuterbuche (weitere Ausgaben 
dieses Werkes stammen aus Nürnberg 1678, 
Ulm 1770, Augsburg 1783), dass das Einhorn 
in den dichten Waldungen Ostindiens hause. 
Der Gestalt nach gleiche es dem Pferde, der 
Kopf ähnle jenem eines Hirschen; ausser einem 
gelben Fell besitze es eine gleichfalls gelbe,, 
lange Mähne, ferner Elephantenfüsse und einen 
Eberschweif. Den Frauen gegenüber benehme 
sich das Einhorn äusserst galant. Weiter er¬ 
wähnt noch Lonicer, dass zwei Hörner dieses 
Thieres in Venedig und ein besonders starkes 
und langes, bogenförmig gekrümmtes in 
Strassburg aufbewahrt werden. Sowohl den 
Knochen, als auch besonders dem Home dieses 
Thieres schrieb man seit altersher eine ge- 
heimnis8volle Kraft zu, und noch zu Anfang 
dieses Jahrhunderts musste jeder Apotheker 
das „EinhcPm“, unicomu fossile (s. d.), in 
Vorrath halten. Viele Gelehrten waren der 
Meinung, dass das Einhorn m der Sündflut 
umgekommen sei, da es nicht in Noö’s Arche 
aufgenommen war, und versuchten aus riesigen, 
ausgegrabenen Knochen sein Skelet zu recon- 
struiren. So stellte Leibniz (f 1716) einen zwei¬ 
beinigen Koloss zusammen, dem er einen 
Stosszahn des Maramuth an der Stirne an¬ 
brachte, und bildete ihn auf der XII. Tafel 
seiner Protogaea ab. Es braucht wohl nicht 
besonders erwähnt zu werden, dass es Knochen 
ausgestorbener Thierarten, besondere Maramuth- 
knochen waren, welche die damalige Gelehrten¬ 
welt für Reste des Einhorns hielt. 

Literatur : Leibniz, Protogaea sive de prima 
facie telloris et antiquissimae historiae ventigiis in ipsis 
natnrae monamentis dissertatio ex schedis mannscriptis 
riri illnstris in lucem edita a Cb. L. Scheidio. Göttingen 
1749. Koudelka. 

Einhüftig nennt man jenen Defect an 
der Kruppe aller Hausthiere, bei welchen der 
äussere Darmbeinwinkel einer Seite (zumeist 
mehr links als rechts) in verschieden grossem 
Umfange abgebrochen und durch den Spanner 
der breiten Schenkelbinde nach rück- und 
abwärts gezogen und in dislocirter Stelle 
meistentheils durch Verwachsung fest ange¬ 
lagert ist; mitunter bleibt der abgestossene 
äussere Darmbeinwinkel an seiner dislocirten 
Stelle etwas beweglich. Die Kruppe dieser 
Seite ist nach vorne» zu gerundeter und 
schmäler als die intacte andere Hälfte, manch¬ 
mal ist die Kruppe an dieser Stelle selbst 


leicht eingesunken. Durch Knochencaries am 
äusseren Darmbeinwinkel entsteht gleichfalls 
Einhüftigkeit, und sind in diesem Falle selbst¬ 
verständlich auch Narben im Hautgewebe 
dieser Region zugegen. Die minderen Grade 
der Einhüftigkeit verursachen kaum eine 
Functionsstörung, während bedeutendere Grade 
und bedeutende Dislocation jdes abgebrochenen 
Darmbeinwinkelstückes einen kürzeren Tritt 
und in schnellerer Gangart deutliches Hinken 
durch kürzeren Schritt verursachen. Selbst 
die leichteren Grade der Einhüftigkeit sind 
schon höchst unliebsame Schönheitsfehler 
(s. Hüfte). Lechncr. 

Einhüllende Mittel sollen dadurch nützen, 
dass sie Theile, welche ihres natürlichen* 
Schutzes beraubt sind, künstlich decken und 
vor ungünstigen Einwirkungen bewahren, oder 
Gifte, starkwirkende, scharfe, ätzende Stoffe 
umgeben, einhüllen, um sie unschädlich zu 
machen, bezw. die Resorption möglichst zu ver¬ 
zögern; diese Art von Arzneimitteln wird auch 
mit dem Namen Involventia oder Obte- 
gentia bezeichnet, und gehören »zu ihr alle 
Schleime, fette Oele, Fette, Seifen, Gly¬ 
cerin- u. 8. w. Vogel. 

Einhufer (Solidun^ula), Ordnung der 
Säugethiere mit der Gattung Pferd, s. Equidae. 

Einhudge Schweine, eine Anomalie der 
Klauen, welche nach Guido Krafft bisweilen 
bei ungarischen Schweinen an getroffen wird; 
dieselben gehören dem Typus der schwalben- 
bäuchigen Mongolicza-Söhweine an, welche 
diese Anomalie constant vererben. Nach dem¬ 
selben Autor waren einhufige Schweine schon 
zur Zeit des Aristoteles bekannt Auch Plinius 
erwähnt derselben als illyrischer, päonischer, 
bulgarischer Schweine. Nach Demetrius K^n- 
tenius kommen sie auch in der Moldau, im 
ochesischen Gebiete vor. 

Literatur : Dr. Gnido Krafft, Landwirtschaftliches 
Lexikon 1884. Koch. 

Einmaischen des Futters. Eine Zuberei¬ 
tungsmethode des Futters, welcher nur stärke¬ 
reiche Materialien unterworfen werden, wie 
z. B. Kartoffeln, und die namentlich die Um¬ 
wandlung des Futterstärkemehls in Zucker 
bezweckt. Zu gleicher Zeil unterliegen aller¬ 
dings die eingeraaischten Materialien einer 
gründlichen mechanischen Veränderung (Zer¬ 
kleinerung undEinweichung)^ und werden die¬ 
selben um jene Nährstoffe, welche in dem 
beim Maischen zugesetzten Malze enthalten 
sind, bereichert Kartoffeln u. dgl. werden 
durch Einmaischen in ein besonders schmack¬ 
haftes und leicht verdauliches Futter umge¬ 
wandelt. Die Zubereitungskosten sind aber so 
bedeutend, dass sich dieses Verfahren höch- * 
stens dann rentirt, wenn die Kartoffeln krank 
sind und wenn sie an Schweine verfüttert 
werden sollen, die ja überhaupt bei Kochfutter 
besonders gut gedeihen. Die Kartoffeln werden 
gedämpft, dann unter Zusatz von heissem 
Wasser mit Malzschrot versetzt, resp. mit 
diesem gründlich vermischt. Die ganze Masse 
soll dickbreiig, nicht etwa flüssig werden, 
darf also 'nicht zu viel Wasser zuges^t er¬ 
halten. Um eine gründliche Verzuckerung 



480 


EINPARKIREN. 


i 


des Stärkemehls zu erzielen, muss die Masse 
gut durchgerührt werden, zu welchem Be* 
hufe eigene Maischapparate existiren. Pro 
Hektoliter Kartoffeln benöthigt man 3% bis 
4 Pfd. Grünmalz, das mindestens drei Stunden 
lang auf den Kartoffelbrei einwirken muss; 
gleichzeitig muss ununterbrochen durchge¬ 
rührt werden. Die fertige Maische wird lauwarm, 
eventuell mit Wasser verdünnt, ver¬ 
füttert, mundet den meisten Thieren 
vortrefflich, ist .aber für gewöhnlich 
ein zu fcostspieliges, zudem für fei¬ 
nere Schafe und Pferde ein zu weich¬ 
lichem Putter. — Eine Art von Ein- 
maischung ist auch das von A. Stöck- 
•hardt empfohlene Verfahren, Getreide¬ 
kleie aufzuschliessen, und welches 
darin besteht, Getreidekleie u.‘ dgl. 
successive erst mit gesäuertem und 
dann mit alkalischem Wasser zu ko¬ 
chen. Man nimmt als Zusätze des 
Kochwassers Salzsäute und Soda in 
solchen Mengen, dass sich dieselben 
neutralisirem und Kochsalz bilden, 
wenn man die Kochwässer zusammen¬ 
giesst. Bei der Vermischung des sauren 
mit dem alkalischen Kleieauszug findet zwar 
eine partielle Ausscheidung der gelösten Stoffe 
statt, was Stöckhardt jedoch für gegenstandslos 
hielt, indem er meinte, dass die im gallert¬ 
artigen Zustande ausfeeschiedenen Stoffe nicht 
vied schwerer assiminrbar seien als im völlig 
gelösten Zustande. Gegen das Stöckhardt’sche 
Verfahren spricht vor Allem der Umstand, dass 
mit demselben wahrscheinlich Zersetzungsvor¬ 
gänge verknüpft sind, durch welche ein Theil 
der (stickstoffhaltigen) Kleienährstoffe mehr 
od$r weniger entwerthet wird; ferner die zu 
grosse Umständlichkeit und Kostspieligkeit. 
Bei mangelhafter Abstumpfung der Salzsäure — 
was immerhin bei Unachtsamkeit leicht vor¬ 
kommt — könnte überdies das resultirende 
Futter sehr gesundheitsschädlich wirken, denn 
unsere Hausthiere sind gegen freie Mineral¬ 
säuren ira Futter sehr empfindlich. Bei Ver¬ 
dauungsversuchen mit Weizenkleie, nachStöck- 
hardUschem Verfahren zubereitet, resultirte bei 
Ochsen ein zu weicher Darmkoth und eine ver¬ 
minderte Verdauung der stickstoffhaltigen 
Nährstoffe. Die Verdauung der stickstofffreien 
Nährstoffe hatte allerdings zugenommen, wel¬ 
cher geringe Vortheil den obenerwähnten zahl¬ 
reichen Nachtheilen gegenüber aber nicht ins 
Gewicht fällt. Pott. 

Einparkiren. .Bekanntlich müssen zum 
Transport der Thiere bei dem gegenwärtigen 
und weitverbreiteten Verkehrswesen durch die 
Eisenbahnen Waggons verwendet werden, wo 
namentlich Pferde und Rinder auf Rampen in 
die geschlossenen Wagen zu bringen sind, und 
es nicht selten vorkommt, dass diese Thiere 
aus Furcht oder Bosheit sich aufs äusserste 
widersetzen, somit durch Menschenhände nicht 
bewältigt werden können. Um das Einladen 
daher zu erleichtern, bezw. überhaupt mit¬ 
unter möglich zu machen, ist von Anton Gaus¬ 
rapp in München ein sog. Einparkirungs- 
riemen construirt worden, dessen Abbildung 


in Fig. 468 gegeben wird. Das Prineip des¬ 
selben beruht auf der Arretirung der beiden 
Sprunggelenke des Pferdes im Augenblicke 
seiner Widerspenstigkeit bei der Einparkirung. 
Die Bestandteile sind: 

1. Der Haupt- oder Langriemen, welcher 
von der Brust des Pferdes auf der einen 
Seite, um dasselbe herum und bis zu den 


Sprunggelenken herunterhängend, auf der 
anderen Seite wieder bis zur Brust vorgeht 
und an den beiden Enden mit je einem festen, 
eisernen, ovalen Handgriffe, der das bequeme 
Einlegen aucli der grössten Hand gestattet, ver¬ 
sehen ist. Ungefähr 30 cm von beiden Hand»- 
griffen entfernt befinden sich am Hauptriemen 
zwei kleine Eisenringe, welche zur Befestigung 
der Zügel dienen. Der Hauptriemen, welcher, 
wie auch die Nebenriemen, aus Leier besteht, 
ist, soweit er auf die Sprunggelenke einzu¬ 
wirken und anzifliegen hat, auf eine successive 
Breite von 10—IX cm gestellt und an jener 
Stelle, wo er beim Anziehen an den Sprung¬ 
gelenken fest anliegt, gut gepolstert, um die 
Haut des Pferdes vor jeder möglichen Reibung 
zu verschonen. 

X. Der Halsriemen, welcher den Haupt¬ 
riemen am Pferde hält und am Ende des 
Halses, gegen die beiden Vorderfüsse herab¬ 
hängend, rechts und links am Hauptriemen 
befestigt und an einer Seite mit einer Schnalle 
zum Zwecke der Verlängerung oder Verkür¬ 
zung versehen ist, während über das iflnter- 
theil des Pferdes ' 

3. der Regulirriemen angebracht ist. 
Dieser Regulirriemen hat ebenfalls auf einer 
Seite eine Schnalle, um das Hinauf- oder 
Herunterlassen, also das Anpassen des Ein- 
parkirungsriemens an die Sprunggelenke zu 
ermöglichen. 

4. Die Reservehandgriffe, welche mittelst 
ganz kurzer Riemen am Hauptriemen rechts 
und links an der Bauchseite des Pferdes be¬ 
festigt sind, so dass ein ganz ausserordent¬ 
lich störriges und wildgewordenes Thier durch 

vier Männer bemeistert werden kann, was 
übrigens selten Vorkommen wird. 

Beim Gebrauche des Einparkirungsriemens 
wird derselbe auf das Pferd gelegt und darauf 
gesehen, dass der gepolsterte Theil des Haupt¬ 
riemens auf den Sprunggelenken aufliege, 



Fig. 4(58. (Jausrapp’H Eiiiparkirungsmethodt». 




EINQUELLEN DES FUTTERS. — EINREIBUNGEN DER ARZNEIMITTEL. 481 


eventuell durch den Regulirriemen rasch hin¬ 
auf oder herabgelassen werde. Inzwischen soll 
das Pferd mit den Zügeln an die kleinen 
Ringe gebunden werden, u. zw. mit dem Kopfe 
so tief herunter, dass ein Aufschnellen des 
Kopfes und daher ein Anstossen mit dem¬ 
selben beim Beschreiten des Waggons un¬ 
möglich wird. Auch können die Zügel einst¬ 
weilen nur durch die Ringe gezogen werden, 
wo sie dann von einem Manne festgehalten 
und jer nach Bedarf angezogen oder nachge¬ 
lassen werden können. 

Rasch soll nun an den beiden Handgriffen, 
jedoch ohne alles Zerren und Reissen, ange¬ 
zogen werden. Bei besonders reizbaren Pferden, 
welche sich durch das Aufliegen des Einpar- 
kirungsriemens auf den Sprunggelenken etwas 
irritirt zeigen, empfiehlt es sich, den Haupt¬ 
riemen an dieser Stelle so lange in die Höhe 
zu .halten, bis die 'Zügel in den kleinen 
Eisenringen am Hauptriemen befestigt und 
die übrigen Vorkehrungen getroffen sind, um 
dann denselben auf die Sprunggelenke hinab¬ 
zulassen, dann aber auch sofort die Arre- 
tirung derselben vorzunehmen. # 

Das Pferd wird, sobald an dessen Hinter¬ 
füssen die Sprunggelenke einmal arretirt sind, 
unfähig nach rückwärts] zu gehen oder gar 
auszuschlagen; es wird naturgemäss, sobald 
es den Halt mit den Hinterfüssen durch das 
immer stärker werdende Anziehen des Haupt¬ 
riemens verliert, denselben durch Vorsetzen dej- 
Vorderfüsse immer wieder zu gewinnen suchen 
und auf diese Weise den Waggon ohne- 
weiters nehmen. Ableitner. 

Einquellen oder Einweichen des Futters. 
Das gründliche Durchfeuchten der "Futterstoffe 
mit Wasser oder anderen wässerigen Flüssig¬ 
keiten (Molken, Branntweinschlempe u. dgl.), 
wodurch manche Futtermittel mundgerechter 
und schmackhafter gemacht werden; es gilt 
im Uebrigen als nahezu wirkungslos. 

Das Einqucllen von Körnern em¬ 
pfiehlt sich nur dann, wenn diese im natür¬ 
lichen Zustande zu schwer kaubar sind und 
wenn sie aus irgendwelchem Grunde nicht zer¬ 
kleinert werden können. Man wird also nur 
hartschalige Körner, wie Mais, Erbsen, Bohhen 
u. dgl. einquellen, die ja auch, wenn unzer- 
kleinert verschluckt, im Magen der Thiere (be* 
sonders der Pferde) aufquellen und dadurch 
Verdauungsbeschwerden verursachen können. 
Dasselbe ist häufig beim Roggen der Fall. Die 
mechanische Zerkleinerung (grobes Schroten) 
der bezeichneten harten Körner ist jedoch 
meist vorzuziehen, weil fast alle Thiere, na¬ 
mentlich die Pferde, sich bei solchem Trocken¬ 
futter besser ernähren. Es scheint, dass die 
aufgequollenen weichen Körner, weil wenig 
oder gar nicht durchgekaut, mangelhaft einge- 
speichelt werden, sich wahrscheinlich auch 
kürzer im Pansen der Wiederkäuer aufhalten 
und daher weniger gut verdaut werden. Dem 
kann nur dadurch begegnet werden, dass man 
die aufgequollenen Körner mit grobem (trocke¬ 
nem) Häcksel u. dgl. vermengt zur Verfütte- 
rung bringt. Behufs Ausführung des Einwei¬ 
chens werden die Körner 12—24 Stunden lang 
Koch. Eneyklopätliü <1. Thierhollkil. II. BU. 


unmittelbar vor ihrer Verwendung in einem 
Fasse oder Bottich mit so viel Flüssigkeit 
überschüttet gehalten, dass sie von dieser 
eben bedeckt sind. Mehr Flüssigkeit zu ver¬ 
wenden, würde eine Auslaugung der Körner 
herbeiführen, wodurch dieselben namentlich 
an Ei weisstoffen und an Aschebestandtheilen 
verarmen. Etwa nach dem Einquellen erübri¬ 
gendes, von den Körnern nicht aufgesogenes 
Wasser ist daher stets mitzuverfüttern. Gut 
eingeweichte Körner müssen beim geringsten 
Drucke aufplatzen. 

Das Einweichen von Kleie u. dgl. ist 
sogar zuweilen nachtheilig, zum mindesten 
aber zwecklos, indem trockene Kleie, mit an¬ 
derem Kurzfutter vermengt, ebenso gut ver¬ 
daut wird. 

Das Einweichen von Futterküchen 
u. dgl. ist, wie bei den hartschaligen Körnern, 
nur dann zweckmässig, wenn aus irgendwel¬ 
chem Grunde eine mechaniscHe Zerkleinerung 
nicht durchführbar ist. Am besten ausgenützt 
werden Futterküchen, wenn man sie grob zer¬ 
kleinert und mit Häcksel u. dgl. vennengt, 
trocken fressen lässt. Futterkuchensuppen 
u. dgl. herzustellen, ist nur dann empfehlens- 
werth< wenn damit grobe, wenig beliebte, 
gehäckselte RauhfutterStoffe u: dgl. durch 
Uebergiessen schmackhafter gemacht werden 
sollen. Umsoweniger wird man zum Einweichen 
schreiten bei Thieren, die kein zu wässeriges 
Futter vertragen, wie die Schafe und Pferde. 
Nur Leinkuchen werden den Pferdeü aus¬ 
nahmsweise zuweilen aus diätetischen Rück¬ 
sichten in Suppenform verabreicht; es wird 
hiedurch der Absatz der Excremente und 
der Harnwechsel befördert. 

Das Einweichen von Rauhfutter¬ 
stoffen ist nur dann nützlich, wenn-die¬ 
selben sehr hart und gröbsten gelig sind und 
also leichter aufnehmbar, eventuell durch An¬ 
wendung von Suppen, Schlempe u. dgl. auch 
schmackhafter gemacht werden sollen. Derart 
ein geweichtes Rauh futter vertragen aber in 
grösseren Mengen nur das Rindvieh und Mast- 
senafe; es ist für andere Thiere viel zu 
weichlich. Dem Rindvieh verabreicht Inan auch 
wohl danrf eingeweichtes Rauhfutter, wenn 
der Entzug des Grünfutters, resp. der Ueber- 
gang zur Trockenfütterung im Herbste nicht 
allinälig erfolgen kann. Dass wir die Ver¬ 
daulichkeit der Rauhfutterstoffe durch blosses 
Einweichen nicht zu steigern vermögen, kann 
als festgestellt gelten. Eher denkbar wäre eine 
Verdaulichkeitssteigerung bei der Anwendung 
kochender Flüssigkeiten zum Einweichen. Ein¬ 
zuweichendes Rauhfutter wird grob gehäckselt 
und im Uebrigen nach denselben Prineipien 
behandelt, wie bei den Körnern angegeben. 

Das Einweichen von Knollen- und 
Wurzelfrüchten ist meist völlig zwecklos. 
Längere Zeit in Wasser gelegte Kartoffeln 
verlieren zwar ihre etwaige Schärfe und 
Bitterkeit; man erreicht dies aber gründlicher 
und sicherer durch Beruhen, Kochen oder 
Dämpfen. Pott. 

Einreibungen der Arzneimittel haben ver¬ 
schiedentlich zu geschehen, je nachdem man 

31 



482 


EINSÄUERN DES FUTTERS. 


es mit krankhaften Zuständen zu thun hat. 

. Beim Einreiben von Salben, Oelen, Lini¬ 
menten u. dgl. auf sehr schmerzende Körper¬ 
stellen darf die Hand nicht fest angedrückt, 
auch nicht zu rasch gerieben werden, weil der 
hiedurch erzeugte Reiz das Uebel nothwendig 
steigern müsste, während in allen anderen 
Fällen die einzureibende Masse gründlich in 
die Haut einziehen soll und nicht in den 
Haaren sitzen bleiben darf. Vogel. 

Einsäuern des Futters. Das dichte Zusam¬ 
menpressen entsprechend feuchter (saftiger) 
Futtermittel in luftdicht abgeschlossenen Be¬ 
hältern, in welchen jene gewisse Gährungs- 
processe (Milchsäure-, Buttersäure-, Alkohol- 
und Sumpfgasgährung) durchmachen, unter 
denen die Milchsäuregährung vorwiegt (s. a. 
Aufschliessen des Futters). Bei Luftzutritt 
nehmen diese Gährungsprocesse zu grosse 
Dimensionen an; die Milchsäuregährung 
tritt in den Hintergrund, und es bilden 
sich im Futter grössere Mengen gesundheits¬ 
schädlicher Stoffe, wie Essigsäure, Ammoniak, 
Sumpfgas, Buttersäure etc. Das Futter wird 
dumpfig, schimmlig oder faulig. Die durch 
eine gut gelungene Einsäuerung zu erzielenden 
Vortheile bestehen namentlich darin, dass die 
Schmackhaftigkeit gewisser, wenig beliebter 
Futtermittel erhöht wird und dass für schwer 
trocknende, wenig concentrirte (wässerige) 
Futtermittel dieselbe das einfachste und am 
wenigsten kostspielige Conscrvirungsverfahren 
ist. Zur Einsäuerung besonders gut geeignet 
sind daher Rübenblätter, saures Wiesengras, 
Kartoffelkraut, Grünmais, Lupinen, Rüben¬ 
schnitzel, Kartoffelpülpe, Weizenstärketrebern 
u. dgl., endlich auch befallene (rostige und 
brandige) Futterstoffe, da die den Thieren 
schädlichen Rost- und Brandpilze durch das 
Einsäuern getödtet werden. Gut eingesäuerte, 
in dicht verschlossenen Gruben eingestampfte 
Futterstoffe halten sich jahrelang in ver¬ 
fütterbarem Zustande. Leider aber verfallen 
den erwähnten Gährungsprocessen nicht unbe¬ 
trächtliche Mengen von Nährstoffen, indem 
dieselben beim Einsäuern vornehmlich in 
Kohlensäure, Milchsäure, Buttersäure und in 
Essigsäure, Sumpfgas, Alkohol etc. umge¬ 
wandelt werden. Sogar ein Theil der in 
den vegetabilischen Futtermitteln enthaltenen 
Holzfaser wird beim Einsäuern zerstört. 
(J. Kühn schreibt die Zerstörung der Holz¬ 
faser einem Spaltpilz [Clostridium butyrrum 
Prazraowski] zu, welcher die Umwandlung der 
Milchsäure in Buttersäure unter gleichzeitiger 
Entwicklung von Kohlensäure und Wasser¬ 
stoff bewirkt und zugleich ein Ferment ab- 
scheiden soll, welches den Zellstoff löst. Bei 
der Zersetzung der Holzfaser wird ausser 
Essigsäure und einem buttersäureähnlichen 
Stoff reichlich Sumpfgas entwickelt.) Nur 
der Rohfettgehalt (Aetherextract) der einge¬ 
säuerten Substanz erfährt meist eine Ver¬ 
mehrung, indem sich in Aether lösliche Stoffe 
(Verbindungen von niederen Fettsäuren) bil¬ 
den. Um die mit der Einsäuerung verbundenen 
Gährungsverluste möglichst zu beschränken, 
dürfen die betreffenden Futtermittel nicht zu 


feucht sein (60 bis höchstens 80% Wasserge¬ 
halt), müssen die Einsäuerungsbehälter luft- 
und wasserdicht sein und muss nach den Unter¬ 
suchungen Dr. Kellner’s in Tokio (Japan) 
die Temperatur der gährenden Futtermittel 
niedrig bleiben, was am besten dadurch er¬ 
reicht wird, wenn die Behälter (Erdgruben 
oder dgl.) möglichst schmal — aber tief und 
lang — sind, also eine möglichst grosse 
Aussenflache haben. Die Wandungen der Be¬ 
hälter sollen senkrecht und glatt sein oder 
sich nach unten etwas verengen, damit sich 
das vergährende Futter gleichmässig setzt. 
Zu. demselben Behufe sind die Ecken vier¬ 
eckiger Gruben abzurunden und ist die Futter¬ 
masse wo möglich von oben durch auf Bretter 
gelegte Steine zu belasten. Die Behälter be¬ 
stehen am besten aus Erdgruben, die mit 
cementirten Backsteinen ausgekleidet sind, 
oder aus Bruchsteinen, »die mit Cement yer- 
putzt wurden. Ausserdem sind zum Einsäuern 
Steingrände, dichte Holzbottiche, geölte Fässer 
u. dgl. verwendbar. Nur im Nothfalle soll 
man sich mit nackten Erdgruben behelfen, 
weil bei diesen grössere Substanzverluste um¬ 
soweniger vermeidlich sind, je durchlässiger 
der betreffende Boden ist. Ganz schlecht sind 
solche Erdgruben, wenn sie nicht grund- 
wasserfrei sind, weil in diesen nicht blos 
Nährstoffverluste durch Vcrgälirung und Ab¬ 
sickern, sondern sogar durch Auslaugung 
erfolgen können. Nicht ausgemauert^ Erd¬ 
gruben stampfe man wo möglich mit Lehm 
aus, verkleide sie ausserdem mit Brettern oder 
benütze behufs Ausfütterung eine Mischung 
von Steinkohlenasche, Kalk und Sand. Bei 
lockerem Erdreich müssen die Grubenwände 
eine schwache Böschung erhalten. Werden 
sehr wässerige Materialien (Rübenschnitzel, 
Stärketrebern u. dgl.) in Erdgruben einge¬ 
säuert, so belege man die Grubensohle mit 
einer 20—30 cm starken Häcksel-, Spreu- oder 
Sägespäneschichte, die, als Aufsaugungs¬ 
material dienend, mit verfüttert wird. Man 
macht in neuerer Zeit übrigens mit Recht 
auch in hygienischer Beziehung Einwendungen 
gegen die Benützung undichter Sauergruben 
geltend, weil dieselben zur Verunreinigung 
von Brunnen Veranlassung geben können. 

Das mitunter empfohlene Auskleiden der 
Sauergrubenwände mit Stroh hat zu unter¬ 
bleiben, weil dadurch das in der gefüllten 
Grube verbleibende, das gute Gelingen in 
Frage stellende Luftvolumen vergrössert wird. 
Aus demselben Grunde darf auch das Sauer¬ 
futter nicht mit Stroh bedeckt werden, und 
ist dasselbe vor dem Einfüllen eventuell zu 
zerkleinern, damit es um so dichter zusammen¬ 
gepresst werden kann. 

Werden die bezeichneten Bedingungen 
nicht gewissenhaft erfüllt und die Sauergruben 
nicht bis zur Verfütterung ihres Inhaltes 
dicht verschlossen gehalten, so betragen die 
eintretenden Gährungsverluste bis zu 50% 
des ursprünglichen Nährstoffgehaltes, ganz 
abgesehen davon, dass das Futter ganz oder 
theilweise verdirbt. Auf einen Substanz¬ 
verlust von ca. 20% muss man übrigens 



EINSAUERN DES FUTTERS. 


483 


auch unter den denkbar günstigsten 
Umständenin derPraxis gefasst sein. 
Die G&hrverluste werden begreiflicherweise 
um so grösser, je länger die Einsäuerung 
dauert, und betreffen nach den vorliegenden 
Untersuchungen vornehmlich einen grossen 
Theil der stickstofffreien Extractstoffe und 
4er EiweiSstoffe: die letzteren werden theils 
in Peptone, theils in Amide und in Ammoniak 
umgewandelt. Böhmer fand in Sauermais 
50% Araidstoffe (Asparagin, Leucin, Tyrosin) 
und darüber. Bei 15, auf Professor Märcker’s 
Veranlassung in der Provinz Sachsen ausge- 
führten Einsäuerungsversuchen mit Rüben¬ 
schnitzeln im Grossen resultirten Gewichts¬ 
verluste von 17’7—62 1%; von der Trocken¬ 
substanz gingen 13*8—56*9% verloren. In 
zehn genauer untersuchten Fällen stellten 
sich die folgenden Nährstoffverluste heraus: 

14*6—56 ‘ 6 iin Mittel 37*8% stickstofffreie Extractstoffe 
4*5—39 7 „ „ 24*5 „ Protein 

3*9—51*8 ,*, * 29‘6 „ Holzfaser. 

Von Liebscher ausgeführte Versuche, 
4ie Gährverluste beim Einsäuern durch Zu¬ 
mischung eines Conservesalzes (Borax oder 
Salicyl?äure) zu vermindern, ergaben grossen- 
theils negative Resultate, nämlich vermehrte 
Verluste und ein theilweises Missrathen des 
Sauerfutters. Stutzer constatirte, dass bei 
ungesäuertem schwedischen Klee vom leicht 
verdaulichen Eiweiss 45*83%, von den stick¬ 
stofffreien Extractstoffen 34*67% (von den 
leicht löslichen Kohlehydraten sogar 81*25%), 
von der Gesammttrockensubstanz 20*74% 
verloren gingen, während sich der Wasser¬ 
gehalt um 0*36% und der Aetherextract um 
46 *47% vermehrten. 

Die erheblichen Verluste an Nährstoffen 
beim Einsäuern, u. zw. besonders an leicht¬ 
verdaulichen Stoffen, lassen es nicht räthlich 
erscheinen, solche Grünfutterstoffe, die leicht 
in Dürrheu umgewandelt werden können, ein- 
zusäuem. Die Gewinnung von Dürrheu be¬ 
reitet überdies geringere Kosten, und gutes 
Dürrheu ist ein viel gedeihlicheres Futter für 
Wiederkäuer und Pferde als das bestbereitete 
Sauerfutter. Freilich äussert das Sauerfutter 
zum Theil dein Grünfutter ähnliche Wirkun¬ 
gen und wirkt wie dieses, wenn man zu ihm 
von der Trockenfütterung übergeht, oft günstig 
auf die Milchproduction und den Butterertrag. 
Gut bereitetes Sauerfutter wird auch vom 
Rindvieh mit Begierde gefressen. Der sauer¬ 
krautartige, etwas penetrante Geruch desselben 
ist den Rindern meist sehr sympathisch. Die 
anhaltende Verabreichung grosser Mengen von 
Sauerfutter wirkt aber meist erschlaffend auf 
4en thierischen Organismus. Ferner hat man 
nach der Verfütterung anscheinend unver¬ 
dorbenen Sauerfutters eine abnorme Gährung 
des bereiteten Käses beobachtet; auf öster¬ 
reichischen Gütern erwies sich die nach Sauer¬ 
futter erhaltene Milch zur Herstellung von 
Handkäsen als ungeeignet. Siedamgrotzky und 
Hofmeister fanden bei Versuchen über die 
Wirkungen andauernder Milchsäurefütte¬ 
rung auf Ziegen und Schafe, dass die be- 
zeichnete, im Sauerfutter in beträchtlicher 


Menge vorkommende Säure (nach VTeiske 
enthielten normal eingesäuerte Lupinen 
2*38% Milchsäure und 3*58% Buttersäure; 
Mais 3*47% Milchsäure und 7*45% Butter¬ 
säure. Liebscher fand in sauren Rübenschni¬ 
tzeln 0*53—1*26% Milchsäure; Sievert in 
eingesäuerten Kartoffeln 0*08—0*35% Essig¬ 
säure und 2*21—2*74% nicht flüchtige Säu¬ 
ren, auf Buttersäure berechnet) eine nicht zu 
verkennende lösende Wirkung auf die Knochen 
ausübt, n. zw. stärker bei jungen wachsen¬ 
den als bei ausgewachsenen Thieren. Gelöst 
werden hauptsächlich Kalk und Phosphorsäure, 
während die Magnesia fast unberührt bleibt. 
Die organische Knochengrundlage wird ver¬ 
mehrt, es nehmen ferner der Wasser- und der 
Fettgehalt etwas zu, so dass das niedrigere 
specifische Gewicht als Masstab für die Ver¬ 
armung der Knochen an Mineralsubstanzen 
gelten kann. Diese Beobachtungen nöthigen 
unbedingt zur möglichsten Beschränkung 
der Verabreichung von Sauerfutter an 
Jungvieh. Thieren, welche zu Knochenkrank¬ 
heiten incliniren, gebe man vorsichtshalber 
kein Sauerfutter. Ueber günstige diätetische 
Wirkungen eing'esäuerten Grünfutters berichtet 
Pratt. Derselbe will beobachtet haben, dass 
das Sauerfutter den Leib offen hält und hie¬ 
durch fieberhafte Erregungen abschwächt, bei 
den Kühen das Milchfieber verhütet. Zweifels¬ 
ohne ist gut bereitetes Sauerheu u. dgl. ein 
besonders für Milchvieh schätzenswerthes 
Futtermittel; pro 1000 Pfd. Lebendgewicht 
40 Pfd. zu verabreichen, muss aber schon als 
Maximum gelten. Saure Rübenschnitzel werden 
zwar in Zuckerfabrikswirthschaften an Milch¬ 
vieh und Mastrinder oft in viel grösseren 
Mengen verfüttert, was aber auch häutig 
Magenverstimmungen, Darmkatarrhe, mangel¬ 
hafte Milch, Schwächung der Gesammtcon- 
stitution der Thiere zur Folge hat. Einge¬ 
säuerte Rübenblätter, die specifisch abführende 
Wirkungen äussern, dürfen nicht einmal in den 
oben angegebenen Mengen an Milchkühe ver¬ 
abreicht werden; man hat überhaupt ziemlich* 
allgemein beobachtet, dass auch das beste 
Sauerfutter sich nur dann als gutes Milch¬ 
futter bewährt, wenn es in nicht zu grossen 
Mengen, neben gutem Dürrheu verfüttert wird. 

Als Futter für Schafe sind eingesäuerte 
Substanzen weniger gut verwendbar, weil 
diese Thiere mit geringen Ausnahmen keine 
wässerigen Futterstoffe lieben. Geringe Gaben 
guten Sauerheues leisten dessenungeachtet als 
Nebenfutter für Mastschafe gute Dienste; 
ebenso für Mutterschafe der Fleischrassen 
(vor und nach dem Ablammen), indem hiedurch 
die Milchsecretion befördert wird. 3—4 Pfd. 
pro 100Pfd.Lebendgewicht gelten alsMaximal- 
ration. *Eingesäuerte Rübenblätter u. dgl. sind 
für Schafe ungeeignet. 

Schweine verzehren eingesäuerte Futter¬ 
stoffe, wenn diese, von Haus aus geeignet 
sind, gerne und meist mit günstigem Erfolg. 
Nur bei trächtigen Muttersäuen und Säuen 
mit Ferkeln hat man mitunter nachtheilige 
Wirkungen beobachtet, weil jene Thiere gegen 
jede Säure im Futter sehr empfindlich sind, 

31 ♦ 



484 EINSALZEN DES FLEISCHES. 


insoferne nämlich, als danach die säugenden 
Ferkel leicht an Durchfällen leiden. 

Alle Sauerfuttermittel sind zur Pferde¬ 
fütterung ungeeignet, obgleich sie von ein¬ 
zelnen Pferden gerne verzehrt werden. Sie 
üben auf das Pferd eine erschlaffende Wir¬ 
kung aus. 

Verdorbenes (dumpfiges, schimmliges, 
fauliges, stark nach Essigsäure riechendes) 
Sauerfutter sollte niemals verfüttert werden; es 
wirkt gesundheitsschädlich, zuweilen sogar 
todbringend. Essigsäurcreiches Futter bewirkt 
beim Milchvieh eine namhafte Depression der 
Milch- und Buttererträge. Nicht zu empfehlen 
ist esj beim Einsäuern der Futtermittel Salz 
einzustreuen, weil hiedurch die HJilchsäure- 
gährung verlangsamt und die purgirende Wir¬ 
kung der Sauerfuttermittel eventuell nur be¬ 
fördert wird. Dagegen kann man die stark 
purgirende Wirkung der eingesäuerten Rüben¬ 
blätter abschwächen, wenn man diese mit 
Schlemmkreide (50 gr auf 100 kg) ein¬ 
stampft. ' 

Nimmt man regelmässig Einsäuerungen 
vor, so thut man gut daran, permanente 
Cementgruben herzustellen, die etwa 3—4 in 
tief, 1—2 m breit und beliebig lang gemacht 
werden. Die einzusäuernden Massen werden 
schichtenweise in die Gruben gebracht und 
festgestampft. Hohlräume dürfen in der Futter- 
massq nirgends bleiben. Die gefüllten Gruben 
werden, nachdem der Inhalt sich gesetzt hat, 
1 m hoch «nit Erde beschüttet und in dieser 
entstehende Erdrisse 'stets sofort und sorg¬ 
fältig verstopft. In sechs bis aejit Wochen 
ist die Einsäuerung meist so weit gediehen, 
dass die Gruben geöffnet und deren Inhalt 
verfüttert werden kann. Die Futterentnahme 
wird durch senkrechtes Abstechen des von Tag 
zu Tag erforderlichen Quantums in möglichst 
schmalen Streifen bewirkt. Bei grösserem und 
regelmässigem Sauerfutterverbrauch mache 
man die Gruben so gross, dass deren Inhalt 
in wenigen Tagen verfüttert werden kann. 

* Das in neuerer Zeit viel genannte Gof- 
fart’sche Verfahren (Ensilage), das beson¬ 
ders für die Conservirung von Grünmais 
berechnet ist, gehört ebenfalls zu den Ein¬ 
säuerungsverfahren und zeichnet sich nur 
dadurch aus,-dass bei demselben nach unten 
sich verengende (elliptische) Gruben zur An¬ 
wendung kommen, dass das geliäckselte Futter 
successive eingetragen und schliesslich durch 
mit Steinen beschwerte Bretter belastet wird, 
um eine möglichst dichte Lagerung zu erzielen. 
Es gibt noch verschiedene andere, in neuerer 
Zeit gelegentlich als „die besten“ empfohlene 
Methoden, welche angeblich sogar die „Frisch- 
und Süsserhaltung des Grünfutters“ ermög¬ 
lichen — die aber insgesammt nichts Anderes 
wie in irgend welcher Weise modificirte Ein¬ 
säuerungsverfahren sind und auf denselben 
— den Erfindern allerdings nicht immer ganz 
klaren — Principien beruhen (so z. B. die in 
England übliche Frv'sche Methode). Pott. 

Einsätzen des Fleisches. Das Einsalzen 
'»der Pökeln des Fleisches ist die älteste 
Methode der Fleischconservirung: sie bezweckt 


die Entwässerung des Fleisches herbeizuführen. 
Man kann deshalb behaupten, dass das Pökel¬ 
fleisch nichts Anderes als ein auf chemischem 
Wege ausgetrocknetes Fleisch darstellt. Das ein¬ 
gesalzene Fleisch bildet einen bedeutenden In¬ 
dustriezweig, besonders in den Seestädten, da die 
1 Verproviantirung der Seeschiffe zum grössten 
Theile aus solchem Fleisch besteht.'Aber auch 
in den Haushaltungen, besonders auf dem 
Lande, wird das Schweine- und Rindfleisch sehr 
. häufig gepökelt, nachdem diese Conservirungs- 
methode wohl die billigste und bequemste ist. 
Hiezu braucht man eine genügende Menge von 
Salz, mit welchem die Fleischstücke gehörig 
eingerieben werden. Die Selcher gebrauchen 
ausser Salz auch den Salpeter, um dem 
Fleische eine schöne rosenrothe Farbe zu ver¬ 
leihen. Da das Kochsalz (ebenso der Salpeter) 
ein äusserst hygroskopischer Körper ist, so 
entzieht es dem Fleische grosse Mengen des 
Fleischwassers, wodurch die sog. Lake ent¬ 
steht. Hat sich die Lake gebifdet, dann 
erfolgt ein Diffusionsverkehr zwischen der 
Lake und dem-Fleische; aus der Lake geht 
das Kochsalz in das Fleisch über, und aus dem 
letzteren treten viele lösliche Fleischstoffe in 
die Lake über. Hiebei wird das Fleisch aus- 
gelaugi, hart und trocken. Das Pökelfleisch 
besitzt daher einen bei weitem geringeren 
Nährwerth als das frische Fleisch, es ist dabei 
hart, schwer verdaulich, mit Balz überladen, 
und wird nach mehrmaligem Genuss nur mit 
Widerwillen genommen. Am stärksten wird das 
Rindfleisch ausgelaugt, da es den grössten 
Theil des Fleischsaftes und löslicher Substanzen 
verliert; viel besser dagegen lässt sich das’ 
Schweinefleisch pökeln, da es weit weniger 
aus gelaugt wird als das Rindfleisch. Das 
Schweinefleisch ist nämlich feinfaserig und 
enthält viel Fett, diese Fettmassen setzen der 
eindringenden Lake einen erheblichen Wider¬ 
stand entgegen und schützen es vor allzu starker 
Entwässerung. Die Zubereitung der Schinken 
beruht ebenfalls auf dieser Methode. Soll sich • 
das Pökelfleisch halten, so muss es unter der Salz¬ 
lake liegen oder mit derselben fleissig begossen 
und je nach der Grösse des Fleischstückes 
1—3 Wochen in der Lake liegen gelassen 
werden. Wird dies nicht beobachtet und das 
Fleisch der Einwirkung der Luft ausgesetzt, 
so bedeckt sich die Lake mit Blasen und 
weissem Schaume, wobei sich auf dem Fleische 
ein halbröthlicher Niederschlag schleimiger Be¬ 
schaffenheit bildet—bald erhält der Niederschlag 
einegelbröthliche Farbe, die Fleischfaser verliert 
dagegen an Farbe, wird grünlich und bekommt 
einen faden Geschmack; es ist verdorben und 
darf zum menschlichen Genüsse nicht zugelassen 
werden. Wurde zum Einsalzen ein von krankem • 
Vieh stammendes oder irgend ein ungeniess- 
bares Fleisch verwendet, so ist die Erkenntniss 
des Betruges in vielen Fällen äusserst schwierig, 
ja häufig gar nicht zu eonstatiren. Bei Versandt 
des Pökelfleisches soll daher das Fleisch durch 
einen Beschauzettel gedeckt sein; überhaupt 
ist mit dieser Fleischeonserve bezüglich der 
Controle auf dieselbe Art und Weise vorzu¬ 
gehen wie mit dem frischen Fleische. ■ Ei. 


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EINSALZEN DES FUTTERS — EINSTREU. 


m 


Einsalzen des Futters. Das Bestreuen der* 
Futtermittel mit gepulvertem Viehsalz wird 
meist zu dem Zweck angewendet, dumpfigem 
Dörrheu u. dgl. etwaige schädliche Wirkungen 
zu benehmen und dasselbe vor dem Verderben 
zu bewahren. Der beabsichtigte Zweck wird 
in keinem Falle erreicht. Die Thiere* erlangen 
überdies bei diesem Verfahren leicht Gelegen¬ 
heit, zu viel Salz aufzunehmen, was ihnen nicht 
zuträglich ist. Das den Thieren zu gebende Salz 
kann zwar auch in genau abzumessenden 
Portionen über das vorgelegte Kurzfutter ge¬ 
streut w-erden. Das Auslegen oder Aufhängen 
von Lecksteinen ist empfehlenswerther. (Ueber 
4as Einsalzen des Sauerfutters s. unter Ein¬ 
säuern des Futters.) Pott. 

Einschlagen der Hufe, s. Anfeuchten der 
Hufe. 

Einschleppung ansteckender Krankheiten 
geschieht durch lebendes gesundes und krankes 
Vieh und durch Viehproducte. Lebendes Vieh 
kann ansteckende Krankheiten einschleppen, 
an denen es selber zur Zeit leidet, oder aber 
es ist noch scheinbar gesund, ist aber bereits 
inficirt und befindet sich im Incubations- 
stadium einer ansteckenden Krankheit, oder 
es hat die Krankheit bereits überstanden, 
der Ansteckungsstoff haftet nur noch an 
seinem Fell oder an den Hufen, Klauen, 
Hörnern etc. und wird so weithin verschleppt. 
Von Thierproducten sind besonders gefährlich: 
frisches Fleisch, frische Milch, frische, noch 
feuchte Felle, Gedärme, Hufe, Klauen, Hörner, 
Wolle, Haare, Borsten, Knochen, an denen 
einige Ansteckungsstoffe in feuchtem Zustande 
mehrere Wochen hindurch sich wirksam erhal¬ 
ten können. Auch gesalzene -Thierproducte 
vermitteln zuweilen die Einschleppung von 
Seuchen, da Kochsalz die wenigsten Conta- 
gien zerstört. Weitere Quellen für Verbreitung 
von Seuchen bieten frischer Dünger, Stroh, 
Heu und andere Futterstoffe aus Seuchen¬ 
ställen. Gefahrlos dagegen sind alle voll¬ 
kommen ausgetrockneten, ausgelüfteten oder 
ausgekochten Gegenstände, da die meisten 
Ansteckungsstoffe durch Austrocknung und 
Siedehitze zerstört werden; auch geräucherte 
Schinken und sonstige Fleischwaaren sind — 
mit Ausnahme für Trichinose — meist gefahr¬ 
los. Nur Milzbrandsporen widerstehen dem 
Austrocknen und Räuchern, und sind daher 
Milzbrandcadavcr und Producte von anthrax- 
kranken Thieren stets zu vernichten. Semmer. 

Ein8chlie$$en mikroskopischer Präparate, 

s. mikroskopische Technik. 

Einschfltten von Arzneimitteln, s. Ein¬ 
gehen derselben. 

Einspeicheln des Futters. Als Einspeiche- 
lung bezeichnet man denjenigen Vorgang, 
mittelst dessen die Durchmischung der Nah¬ 
rung beim Kauen mit Mundflüssigkeit ge¬ 
schieht (s. u. Verdauung und Fütterung). 

Einspringen, in der Jägersprache das 
Heraustreiben der Hühner durch den Hund. Kh. 

Einspritzung, s. Injcction. 

Einstreu ist dasjenige Mittel, welches den 
Thieren ein für die Hautpflege sowie für die 
körperliche Ruhe nöthiges trockenes und rein¬ 


liches, weiches und im Winter warmes Lager 
bietet, damit dieselben sich niederlegen, er¬ 
holen-, ausruhen und schlafen können; nebst- 
dem hat aber die Einstreu den Zweck, die 
festen und flüssigen thierischen Auswurfstoffe 
aufzunehmen, wodurch deren Wegschaffung 
und Verwendung, als Dünger im Felde am 
leichtesten ermöglicht wird. Die rationell 
wirthschaftenden Landwirtbe verlangen aber, 
dass selbst das Streumittel ein solches sei, 
welches den Werth des Düngers erhöht, oder 
welches durch seine physikalische Beschaffen¬ 
heit oder chemischen Bestandteile eine gün¬ 
stige Wirkung auf Erhöhung der Fruchtbar¬ 
keit des Bodens ausübt. 

Die Einstreu in Stallungen kann aus 
verschiedenen Stoffen des Pflanzen- und Mi¬ 
neralreiches bestehen. Als allgemein gütiges 
Einstreumittel steht das Stroh obenan; es saugt 
die Jauche ziemlich auf, hält die Auswurf¬ 
stoffe zusammen, bildet dann ein voluminöses 
und doch gut vertheilbares Düngerraaterial, 
das besonders bodcnlockernd wirkt. Stroh als 
Streu und hiedurch als Düngererzeugungs¬ 
material hat noch eine Menge anderer Vor¬ 
theile, und gegenwärtig ist noch kein Streu¬ 
ersatz für dasselbe bekannt, der sich, billige 
Production oder Ankauf vorausgesetzt, dem 
Stroh gleichwertig an die Seite setzen kann. 

Bei der Streuverwendung zeigen sich nur 
zwei Fehler; nämlich es wird entweder un- 
mässig viel Stroh gestreut, oder es wird in 
einer Form gestreut, die nicht ökonomisch für 
den wichtigsten Streuzweck, sowie unpraktisch 
für die Düngerverwendung im Felde ist. In 
erster Hinsicht glauben viele Landwirtlie, dass, 
wenn sie nur viel einstreuen, auch viel Dünger 
wird, und nicht selten sieht aus dem Stroh¬ 
haufen (dem vermeintlichen Düngerhaufen) 
doch der schlechte Futter- und Düngerwirth 
heraus. Stroh selbst hat ja einen geringen 
Düngerwerth, und in Folge verschwenderi¬ 
scher Verwendung von Stroh wird dem 
Landwirthe kein Vortheil erwachsen. Stroh 
in die Jauchenpfützen oder auf den Dünger¬ 
haufen zu werfen, um Dünger zu machen, 
ist eine Unwirthschaft; denn es ist auch bei 
sparsamer Verwendung möglich, alle Auswurf¬ 
stoffe auf dem Düngerhaufen beisammen zu 
haben und auch beisammen zu halten. Um 
Stroh zu sparen sowie doch allen Streuzwecken 
nachzukommen, empfiehlt sich zweitens die 
Zerkleinerung des Strohes, d. h. das Hacken 
in kurze Stücke mit einem alten Beile oder 
einem Sensenstumpfe; schon in solcher Form, 
also z. B. drei- bis viermal der Länge nach 
zerhackt, wird es mehr Jauche aufsaugen, 
die Düngerwegschaffung erleichtern, und der 
Dünger wird sich hauptsächlich gut unter¬ 
ackern lassen. 

Die Streu ist entweder eine halbe oder 
eine ganze und in letzterem Falle eine per¬ 
manente oder nicht permanente. Die per¬ 
manente Streu, d. Ti. diejenige, welche den 
Thieren auch den Tag über belassen wird, ist 
besonders zu empfehlen, wo das Stroh wohlfeil 
und in genügender Menge zu haben ist: die 
Thiere können das saftigste und beste Stroh 



486 


EINSTÜLPUNG DER LIDER. — EIS. 


zur Nahrung auswählen und werden dadurch 
von manchen üblen Gewohnheiten abgehalten, 
sie ruhen den Tag über besser aus, selbst 
wenn sie nicht liegen, Verstauchungen der 
Gelenke und Gelenksentzündungen kommen 
seltener vor und treten weniger heftig auf, 
ebenso Stollbeulen und öderaatöse Anschwel¬ 
lungen der Füsse; die Temperatur in den 
Stallungen wird milder und kann zu allen 
Jahreszeiten gleichmässiger erhalten werden, 
die Luft bleibt reiner und die Ventilation ist 
wirksamer. In Privatstallungen, wo nicht die 
Ordnung und Reinlichkeit wie in grösseren 
Stallungen, z. B. beim Militär, herrscht, 
namentlich aber in solchen, die nicht geräumig 
genug sind und nicht gehörig gelüftet werden 
können, ist die nicht permanente Streu vor¬ 
zuziehen. Eine halbe Streu, d. h. eine solche, 
wo den Thieren nur eine dünne Schichte Stroh 
den Tag über unterbreitet wird, hat mancherlei 
Nachtheile; die Thiere haben keinen guten 
Stand, besonders wenn der Boden zum Theil 
ausgetreten ist, sie werden mehr durch 
Insecten und durch die Streu selbst an den 
Füssen belästigt, stampfen dann fortwährend, 
wodurch die Fesselgelenke leiden und der 
Beschlag schadhaft wird; die geringe Stroh¬ 
schichte ist nicht ira Stande, alle excrementellen 
Stoffe zu absorbiren, die Thiere beschmutzen 
sich daher stark beim Niederlegen, der Harn 
sammelt sich in den Unebenheiten des Bodens, 
zersetzt sich und verdirbt die Luft. Eine con- 
cave Streu, d. h. eine solche, wo das meiste 
Stroh hinten zu beiden Seiten des Standes 
aufgestreut ist, ist nur Nachts zweckmässig. 

Wo Strohmangel herrscht, d. h. wo Stroh, 
es sei Roggen-, Weizen-, Dinkel- oder Fesen- 
stroh als die am häufigsten verwendeten Stroh¬ 
arten fehlen, da treten Streu Surrogate an deren 
Stelle, wozu Laub, Nadeln, Rohr, Schilf, 
Wiesenstreu, Haidekraut, Erde, Rasenplaggen, 
Torf, Sand, Sägespäne gehören und verwendet 
werden. Die Benützung der Waldstreu (Laub, 
Nadeln, Moos) soll so viel wie möglich ver¬ 
mieden werden, denn der Wald darf durch 
die fortwährende Streuentnahme nicht zu 
Grunde gehen, und es unterliegt keinem 
Zweifel, dass dieselbe durch die anderen 
Surrogate ersetzt werden kann. Als solche 
sind zu nennen die Erde; man kann jede Erde 
dazu benützen, nur darf sie nicht zu thonig 
sein und muss stets in so trockenem Zustande 
und in solcher Menge in den Ställen ver¬ 
wendet werden, dass aller Harn aufgesaugt 
wird. Die Erde darf nicht dünnbreiig werden 
und ist die grösste Reinlichkeit dabei zu be¬ 
obachten. Erde gibt es nun überall, aber wo 
Torf zu haben ist, da hat man ein noch bes¬ 
seres Streumittel und hiebei ein ausgezeich¬ 
netes Düngemittel. Torfabraura, Torfklein oder 
Mull saugen im trockenen Zustande sehr viel, 
ja unter allen Streumitteln die meiste Jauche 
auf und sind ein werthvolles, für Bodenver¬ 
besserung und Pflanzenernährung geeignetes 
Material. Wo einmal die Torfstreu Eingang 
gefunden, welcher Landwirth die Erfolge nach 
derselben schätzen gelernt hat, der wird selbst 
bei Streustrohverwendung immer noch etwas 


Torfmaterial benutzen oder wenigstens seinen 
Düngerhaufen damit bedecken. 

Auch Sand, der im trockenen Zustande, 
nicht kiesig ist, kann als Streusurrogat ver¬ 
wendet werden, ebenso Sägespäne in Form 
gesiebten, holzsplitterfreien Sägemehles. 
Wiesenstreu, Schilf und Rohr sind sehr gute 
Streumaterialien, wenn sie richtig zubereitet 
werden. 

Die Einstreu in Stallungen richtet sich 
auch nach den verschiedenen Thiergattungen, 
Gebrauchs- und Productionszwecken derselben. 
Die Luxus-, Gestüts- und Zuchtpferde er¬ 
halten in der Regel nur Strohstreu und wird 
dieselbe Tag und Nacht beibehalten. Die 
Militärpferde erhalten entweder die bleibende 
(Matratzen-) Streu, oder es wird denselben 
nur Nachts die Strohstreu gelassen, wobei 
die erstere oft Monate lang liegen bleibt. Den 
übrigen Arbeitspferden wird meistens nur zur 
Ruhezeit eingestreut. 

Zuchtstuten, welche nahe der Geburt 
sind, müssen eine ergiebige, weiche, trockene, 
reingehaltene und täglich frisch zu gebende 
Strohstreu erhalten, ebenso die jungen Fohlen. 

Die Rinder, als: Kälber, Jungvieh, Kühe, 
Zug- und Mastochsen erhalten häufig, wenn 
Strohmangel vorhanden ist, Streusurrogate. 
Wer nun diese Mittel in hinreichender Menge 
besitzt, der muss schon aus Rücksicht der 
Düngergewinnung Tag und Nacht in seinen 
Ställen einstreuen; wo dies nicht der Fall 
ist, da kann beim Arbeits- und Milchvieh den 
Tag über allerdings die Einstreu wegbleiben, 
dagegen soll den Kälbern,Kälberkühen und den 
Mastthieren fortwährend Streu, wenn möglich 
aus Stroh, gegeben werden. Den Schafen 
kann man täglich oder in Zwischenzeiten ein¬ 
streuen und bleibt Streu mit Dünger in der 
Regel den Winter über in den Ställen liegen. 

Den Schweinen ist die Strohstreu am 
angemessensten, und soll dieselbe, wenn nicht 
täglich, doch so oft erneuert werden, als sie 
verunreinigt, nass und schmutzig oder zer¬ 
knittert, zerbissen und zusammengetreten 
worden ist. Ableitner . 

Einstülpung der Lider, s. Entropium. 

Eintreten fremder Körper, s. Nageltritt. 

Einwärtskehrung der Lider, s. Entro¬ 
pium. 

Einwanderung nennt man die Ueber- 
siedlung ganzer Thierarten in neue Wohn¬ 
gebiete behufs Sicherung ihrer Existenz. Für 
das glückliche Gelingen derselben kommen 
zahlreiche Umstände in Betracht. Von Einfluss 
darauf sind zunächst die Wanderungsfahigkeit 
(fliegende Thiere siedeln leichter über als 
laufende) und die Transportmittel, ferner die 
Accomraodationsfahigkeit der Einwanderer an 
die bestehenden Verhältnisse (Klima, Boden, 
Nahrung etc.). Dieselben Verhältnisse bedingen 
auch eventuell Abänderungen in den Eigen¬ 
schaften etc. der Arten, wodurch neue Varie¬ 
täten, selbst Arten entstehen können. Sf 

Einweichen des Futters, s. „Einquellen“ 
und „Anbrühen 11 des Futters. 

Eis ist die feste Aggregationsform des 
Wassers H0 2 ; das Wasser ist flüssig über 



EISANTHEMA. — EISBALLEN. 


487 


0° C. und wird unterhalb dieser Temperatur 
fest Das feste Wasser tritt entweder als an¬ 
scheinend homogene Masse auf, wie das Eis 
auf der Oberfläche eines Teiches,, oder in der 
Form von krystallinischen Gruppen, welche 
regelmässige Agglomerate kleiner Krystalle 
darstellen, die dem hexagonalen Systeme an¬ 
gehören. Das Eis ist durch Aneinanderlage¬ 
rung vonKrystallen entstanden, welche sämmt- 
lich in der gleichen Richtung gelagert sind; 
es scheint wohl sehr spröde, doch ist es bis 
zu einem gewissen Grade plastisch, indem es 
unter einem sich allmälig steigernden starken 
Druck in verschiedene Formen übergeführt 
werden kann. So lässt sich z. B. ein schmaler 
cylindrischer Eisblock durch Druck in eine 
Scheibe verwandeln. Bringt man zwei Eis¬ 
stücke bei einer Temperatur unter 0° an ein¬ 
ander und übt einen Druck auf dieselben aus, 
so vereinigen sie sich an den Berührungs¬ 
flächen, und man erhält einen einzigen Block, 
an dem keine Spur der Trennung sichtbar 
ist. Diese Erscheinung wird als Recongelation 
(Wiedererfrierung) des Eises bezeichnet. 

Das Eis ist gleichsam als Gestein auch am 
Aufbau unserer Erdfeste betheiligt und tritt 
hier in zwei Formen auf, welche in Bezug 
auf Entstehung und Structur verschieden 
sind: Schnee-Eis und Wasser-Eis. Das 
Schnee-Eis erscheint in drei Modificationen 
als Schnee, Firn und Gletschereis. In den 
Hochgebirgen und Polargegenden bilden die 
zu sechsseitigen Sternen gruppirten Eis- 
krystalle ausgedehnte Schnee-Ablagerungen. 
Diese wandeln sich nun durch den Einfluss 
der warmen Sonnenstrahlen auf Hochgebirgen 
von etwa 3300m abwärts zu Firn (Firneis, 
Körnerschnee) um. Der Firn besteht aus rund¬ 
lichen Eiskörnchen, welche entweder lose 
neben einander liegen oder durch gefrontes 
Wasser verkittet sind. Aus dem ‘Firn geht in 
tieferen Regionen — etwa 2500 m —das eigent¬ 
liche Gletschereis hervor, welches aus 
unmittelbar mit einander verschmolzenen 
Firneiskörnern besteht, die gegen das untere 
Ende des Gletschers immer grössere Dimen¬ 
sionen zeigen. Das Gletschereis zeigt in 
grösseren Massen eine bläuliche Farbe, auch 
eine Art von Schichtung, welche von weissen 
luftblasenreichen und von blauen luftblasen- 
armen Bändern durchsetzt wird. 

Wasser-Eis, welches durch Abkühlung 
der Gewässer an ihrer Oberfläche entsteht, 
ist specifisch leichter als Wasser (0*918 bei 
0° C.) und schwimmt auf diesem. Beim Frieren 
dehnt sich das Wasser um 0*07 seines Vo¬ 
lumens aus, hiebei wird eine Menge Wärme 
frei, welche für 1 g 79 Calorien ausmacht. 
Auch das Wassereis zeigt meist deutliche 
Schichtung senkrecht zur Oberfläche, es ist 
durchsichtig, in grösseren Massen grünlich. 
Das Grundeis ist ein schwammiges aus Eis- 
nädelchen bestehendes Eis, welches sich auf 
dem Grunde der Gewässer bildet; es ist, 
mit gand und Geschieben verunreinigt, von 
schmutziggrauer Farbe. Lotbisch. 

Eisantheaa (abgel. v. s:V, hinein, und 


•cb ävib)|xoc, Hautausschlag), ein Schleimhaut¬ 
exanthem. Sussdorf. 

Eisballen werden nach Günther („Be- 
urtheilungslehre des Pferdes 14 , 1859) in den 
Züchtungsgegenden, wo man edle Pferdezucht 
treibt, Anschwellungen in den Muskeln der 
Hinterschenkel genannt, die besonders im 
Bereich der Sitzbeine und der Kruppe sich 
in einzelnen Jahren bei Saugfüllen nicht 
selten einfinden. Die kranken Stellen sind 
in den Muskeln mehr oder weniger aus¬ 
gedehnt, sie bestehen in einer eigentüm¬ 
lichen Degeneration der Muskelfibrillen und 
sind, wenn das Thier ganz ruhig ist, weich, 
sobald aber die geringste Aufregung eintritt 
oder der kranke Muskel durch den geringsten 
Schlag, sei es auch nur durch einen sog. 
Nasenstüber, gereizt wird, treten die kranken 
Stellen in Contractur, stehen dann markirt 
vor und sind hart. Füllen der Art werden 
stets steiler in den Fesseln, verkümmern und 
verkrümmen. Ist das Uebel bedeutend, so 
ist es unheilbar, es verschlimmert sich mehr 
und mehr und wird so stark, dass die 
Füllen, selbst jährig geworden, sobald sie in 
rascheren Gängen erschrecken, durch den 
starken, unwillkürlichen Muskelzug umge¬ 
worfen werden und momentan fest liegen. 
Füllen der Art sind werthlos. In gelindem 
Grad verschwindet das Uebel einzeln hei 
äusserst kräftiger Ernährung und Warmhal¬ 
tung der jungen Thiere, selten ganz. Zurück¬ 
bleibende geringe Reste findet man einzeln 
bei erwachsenen, selbst älteren Pferden; sie 
pflegen sich hier nicht mehr durch beson¬ 
deren Nachtheil bemerklich zu machen: Zur 
Zucht benützt man solche Pferde am liebsten 
nicht, obgleich eine Erblichkeit in erster 
Generation nicht gerade immer nachgewiesen 
werden kann; einzelne hochedle Hengste 
scheinen ihren Producten besondere Neigung 
zu diesem Uebel mitzugeben. Die Section 
ergibt nach einjährigem Bestehen des Uebels: 
degenerirte Muskelfibrillen, die durch ver¬ 
dicktes Zellgewebe eingeschlossen sind und 
nur einzelne Unterbrechungen aufweisen; der 
ganze kranke Muskeltheil ist .derb, zähe, 
glänzt nicht auf der dem Laufe seiner Fibern 
parallelen Schnittfläche; seine Farbe variirt 
von blassrosenroth zu blassgrauroth, selbst 
grau, auf anderen Stellen ist er durchschei¬ 
nend wie frisches Fischfleisch und hat über¬ 
haupt im Querschnitt mit diesem viel Aehn- 
lichkeit, auf anderen Stellen erscheint er im 
Querschnitt körnig. Bei getödteten, noch 
lebend warmen Thieren springt er im Quer¬ 
schnitt nicht zurück, schwillt aber sofort so¬ 
weit auf, wie die kranke Stelle reicht. In 
dem Nervensystem wurden pathologische Zu¬ 
stände nicht aufgefunden. Hat dieses Bild 
mit dem der Muskelentzündung auch manche 
Aehnlichkeit, so kann sie doch mit dieser, 
wie solche bei Pferden und Füllen sonst ge¬ 
sehen wird, nicht für identisch gehalten 
werden, es stellt vielmehr eine besondere Art 
der Muskelerkrankungen dar. 

Wir haben in unseren Schuljahren selbst 
zwei mit schwachen Eisballen behaftete Pferde 



488 


EISELE. — EISEN. 


wiederholt geritten und erinnern uns noch, 
dass dieselben schnell ermüdeten. Brümmer . 

Etaele G., 1801—1859, studirte Thierarznei¬ 
kunde in Stuttgart, wurde 1847 Landesthier¬ 
arzt, gab 1836 eine Schrift heraus über Krank¬ 
heiten der Gliedmassen des Pferdes, schrieb 
ferner über Alterslehre und über Verhütung und 
Heilung des Kälber- oder Milchfiebers. Sr. 

Eisen und dessen Verb in düngen. Das 
Eisen, Fe, Atomgewicht 56, ist wegen seiner 
physiologischen Bedeutung* als Bestandtheil 
des thierischen und pflanzlichen Organismus, 
ferner wegen seiner grossen Verwerthbarkeit 
in der Industrie das wichtigste aller Metalle 
und nach dem Sauerstoff, Silicium, Aluminium 
das verbreitetste Element. Im Thier reiche 
findet sich das Eisen reichlich im rothen 
Farbstoffe des Blutes der Wirbelthiere, in 
geringerer Menge in der Galle, während die 
übrigen thierischen Flüssigkeiten: Harn, Spei¬ 
chel und die Gewebe, nur Spuren davon ent¬ 
halten. In der Pflanze kommt es vornehm¬ 
lich in den Blattorganen angehäuft vor. Im 
gediegenen Zustande findet sich das Eisen nur 
im Meteoreisen und Basalt,. hingegen bilden 
dessen Verbindungen mit Sauerstoff und mit 
Schwefel eine grosse Menge von Mineralien, 
welche in Form von mächtigen Lagern einen 
Theil der Erdrinde ausmachen. Die wichtigsten 
Eiscnmineralien sind: Der Magneteisen¬ 
stein, eine Verbindung von Eisenoxydul (FeO) 
mit Eisenoxyd (Fe,O a ) von der Formel Fe 3 0*, 
die verschiedenen Varietäten des Rotheisen¬ 
ste ins — Eisenglanz, Blutstein, Glaskopf 
— nach ihrer Zusammensetzung .Eisenoxyd 
Fe*Oä, der Spath eis enstein, kohlensaures 
Eisenoxydul FeC0 3 , der Brauneisenstein, 
eine Verbindung von Eisenoxyd und Eisen¬ 
hydroxyd Fe t 0 8 + Fe t (OH) e . Diese Minera¬ 
lien sind es in erster Linie, welche zur Ge¬ 
winnung des Eisens aus seinen Erzen ver¬ 
wendet werden. Wohl kommt das Eisen auch 
in Verbindungen mit Schwefel als Eisenbisulfid 
Fe S* im Pyrit, ferner als Ferroferrisulfid 
6 FeS + Fe*S* im Magnetkies vor, jedoch 
müssen die Schwefelverbindungen, um daraus 
metallisches* Eisen darzustellen, behufs Ent¬ 
fernung des Schwefels früher geröstet werden, 
wobei sie in Eisenoxydverbindungen überge¬ 
führt werden. 

Das Eisen kommt in drei Formen in den 
Handel, als Roh- oder Gussbisen, als Stahl 
und als Stab- oder Schmiedeeisen, welche 
sich von einander durch die Menge von Kohlen¬ 
stoff unterscheiden, welche sie enthalten. 

Das Roheisen enthält 3—6% Kohlen¬ 
stoff theils chemisch gebunden, theils als 
Graphit mechanisch beigeraengt. Durch rasches 
Abkühlen des geschmolzenen Eisens erhält 
man das weisse Roheisen, wobei der 
Kohlenstoff mit dem Eisen in chemischer 
Bindung bleibt; es zeigt eine grosskörnige 
krystallinische Structur, ist sehr hart und 
spröde, spec. Gew. 7*1, schmilzt bei 1200° C. 
und zieht sich beim Erkalten unregelmässig 
zusammen, ist daher zum Giessen unbrauch¬ 
bar, hingegen wird es wegen der leichten 
Oxydirbarkeit des darin enthaltenen Kohlen¬ 


stoffes zur Darstellung von Stahl und Schmiede¬ 
eisen benützt. Beim langsamen Abkühlen des 
geschmolzenen Eisens entsteht das graue 
Roheisen, dabei scheidet sich ein Theil des 
Kohlenstoffs' in Form von kleinen jGraphit- 
plättchen aus. Es ist weniger spröde und 
leichter schmelzbar als das weisse Roheisen 
und wird deshalb zujr Darstellung von Guss- 
waaren benützt. 

Der Strahl enthält 0*3—1*8% Kohlen¬ 
stoff, zeigt eine eigenthümliche graue Fär-. 
bung, von sehr feinkörnigem Gefüge, spec.Gew. 
7*6—8 0, schmilzt leichter als das Schmiede¬ 
eisen, bei 1700 —1900° C. Kühlt man ge¬ 
schmolzenen Stahl durch Eintauchen in Wasser 
rasch ab, so wird er spröde und so hart, dass 
er Glas ritzt, lässt man ihn langsam abkühlen, 
so wird er biegsam und sehr gut hämmerbar. 

Das Stab- oder Schmiedeeisen ent¬ 
hält die geringste Menge Kohlenstoff, 0*1 bis 
0*5%, von hellgrauer Farbe, spec. Gew*. 7 6, 
schmilzt bei 2000; es ist von allen Eisen¬ 
sorten am weichsten. Bei einem Kohlenstoff¬ 
gehalt bis zu 0*3% hat es ein faseriges, 
bei höherem Gqhalt ein-feinkörniges Gefüge. 
Ersteres ist widerstandsfähiger gegen den 
Bruch, wird es aber häufigen Erschütterungen 
ausgesetzt (Eisenbahnachsen), so geht es in 
den krystallinisch körnigen Zustand über, 
wobei es spröde wird und leicht bricht. Man 
verwendet daher gegenwärtig zur Anfertigung 
von Gegenständen, die andauernden Erschütte¬ 
rungen ausgesetzt sind, den Stahl. 

Die verschiedenen Eisensorten des Han¬ 
dels enthalten sämmtlich ausser dem Kohlen¬ 
stoff auch noch andere fremde Bestandtheile: 
zunächst mehr oder minder grosse Mengen von 
Mangan (bis zu 30%), überdies in geringeren 
Mengen bis Spuren auch Silicium, Schwefel, 
Phosphor, Stickstoff, Kobalt, Nickel und Titan. 

Chemisch reines Eisen erhält .man 
in Pulverform, w*enn man reines Eisenoxyd 
im Wasserstoffstrom erhitzt; man kann das¬ 
selbe in einer Wasserstoffatmosphäre aufbe¬ 
wahren, bringt im*n cs aber an die Luft, so 
geräth es von selbst in Glühen — pyrophores 
Eisen — w r obei es zu Oxyd verbrennt. Wird 
das redücirte Eisen jedoch sehr stark erhitzt, 
dann entzündet es sich an der Luft nicht 
mehr von selbst; man erhält auf letztere Weise 
das Ferrum reductum der Pharmacopöe. 
In zusammenhängenden Massen wird es er¬ 
halten durch Zusammenschmelzen von rein¬ 
stem Schmiedeeisen (feiner Clavierdraht) mit 
Eisenoxyd in einem verschlossenen Tiegel; 
hiebei nimmt das Oxyd die im Metall ent¬ 
haltenen Verunreinigungen auf. und es schei¬ 
det sich ein Kern von reinem Eisen ab. Das 
aus Eisensulfat mittelst Elektrolyse abge¬ 
schiedene metallische Eisen enthält noch 
immer geringe Mengen von Wasserstoff. 

Das chemisch reine Eisen ist von w’eiss- 
grauer Farbe, ist weich, spec. Gew. 7*78, es 
schmilzt bei 1800° C. und ist in trockener 
Luft unveränderlich, an feuchter Luft bedeckt 
es sich bald mit einer Schichte von Kisen- 
oxydhydrat (Rost), an der Luft geglüht über¬ 
zieht es sich*mit einer sehwarzen Schichte 



EISEN. 


489 


von Eisenoxyduloxyd Fe 3 0 4 (Hammerschlag), 
im Sauerstoff erhitzt verbrennt es unter leb¬ 
haftem Glühen zu Eisenoxyd Fe 4 0 8 . In Be¬ 
rührung mit einem Magneten wird das chemisch 
reine Eisen ebenfalls magnetisch, jedoch ver¬ 
liert es diese Eigenschaft, sobald man den 
Magnet entfernt, hingegen wird kohlehaltiges 
Eisen (Stahl) durch Bestreichen mit einem 
Magnet dauerhaft magnetisch. Bei Rothglut 
zersetzt das Eisen das Wasser, indem es sich 
mit dem Sauerstoff desselben verbindet, hiebei 
wird »Wasserstoff frei nach der, Gleichung 
3 Fe-f 4 H 3 0 =.Fe a 04 + 4H a . Das Eisen 
löst sich in den meisten verdünnten Säuren 
unter Entwicklung von Wasserstoff auf, in con- 
centrirter Schwefelsäure löst es sich unter Ent¬ 
wicklung von schwefeliger Säure. Taucht man 
metallisches Eisen in kalte conecntrirte Sal¬ 
petersäure und wäscht es schnell ab, so wird 
es passiv, das heisst es hat nun die Eigen¬ 
schaft, dass es von Salpetersäure nicht nvehr 
angegriffen wird und auch aus Kupfersalzen 
das Kupfer nicht anehr abscheidet. Diese 
Passivität des Eisens rührt höchst wahr¬ 
scheinlich von der Bildung «einer Schichte 
Eisenoxyd auf demselben her. 

IXe Gewinnung des Roheisens, welches 
das Material für die Darstellung der anderen 
Eiöensorten bildet, aus den Mineralien oder 
Erzen, in denen es vorkommt, beruht im 
Wesentlichen auf einer Reduction der Eisen¬ 
oxyde durch Kohle. Indem die Kohle in der 
Rothglut dem Eisenoxyd Sauerstoff entzieht, 
bleibt metallisches Eisen zurück. Das metallur¬ 
gische Verfahren,-welches hiebei derzeit zur An¬ 
wendung kommt, wird als Hochofenprocess 
bezeichnet und ist in Kürze folgendes. Die 
sauerstoffhaltigen Verbindungen des Eisens 
werden der Verwitterung ausgesetzt und ge¬ 
röstet, um sie zu lockern und Eisenoxydul in 
Eisenoxyd zu überführen. Da die Eisenerze 
stets Thon und Sand enthalten, welche un¬ 
schmelzbar sind und eine Vereinigung der 
geschmolzenen Eisentheilchcn hindern würden, 
so setzt man den Erzen vor dem Ausschmelzen 
des Eisens solche Stoffe zu, welche mit Thon 
oder Sand leichtflüssige Schmelzen (Schlacke) 
bilden. Ist z. B.-den Erzen viel Thon bei¬ 
gemengt und setzt man Kalk hinzu, so bildet 
sich leichtflüssiger kieselsaurer Kalk. Man 
mischt daher die Erze früher mit den schlacke-, 
bildenden Massen (Zuschlag), dann mit Coaks 
oder Holzkohlen und schüttet die Mischung 
in den zum TJieil mit glühenden Kohlen ge¬ 
füllten Hochofen, welcher bis 15 Meter hoch 
ist, ein. Die sich bildende Schlacke bewirkt 
aber, nicht nur das Zusammenflüssen der ge¬ 
schmolzenen Eise^theilchen, sie schützt auch 
das gebildete Roheisen vor der oxydirenden 
Wirkung der Gebläseluft; da nämlich die 
Eisenerze erst bei sehr hoher Temperatur 
reducirt werden, so muss eine lebhafte Ver¬ 
brennung durch einen starken, mittelst Ge¬ 
bläse erzeugten Luftzug unterhalten werden. 
Das Brennmaterial verbrennt nun im Ofen 
durch die eingeblasene heisse Luft zu Kohlei*- 
säure, welche, indem sie durch 1 die höher 
liegenden Kohlenschichten streicht, zu Kohlen¬ 


oxyd reducirt wird: dieses Kohlenoxyd 
entzieht nun dem Eisenerz den Sauer¬ 
stoff, und es bildet sich metallisches 
Eisen, welches sich am Boden des Ofens 
sammelt und hier abgelassen wird. 

Verbindungen des Eisens. Das Eisen 
bildet zwei Reihen von Verbindungen, welche 
nach den allgemeinen Formeln Fe X t und 
Fe a X 6 zusammengesetzt sind. Die Verbin¬ 
dungen nach der Formel FeX, werden Eisen¬ 
oxydul- oder Ferroverbindungen genannt, die 
nach der Formel Fe t X 6 Eisenoxyd- oder 
Ferriverbindungen. Eine dritte Rnihe von Ver¬ 
bindungen lässt sich von der Eisensäur^ 
H, Fe 0 4 ableiten, welche ebenso wie die 
Mangansäure sehr unbeständig ist. 

a) Eisenoxycjul- 0 der Ferroverbin¬ 
dungen. In diesen functionirt das Elisen als 
zweiwerthiges Metall. Man erhält sie beim Auf¬ 
lösen Von Eisen in einigen Säuren, oder wenn 
man die entsprechenden Eisenoxydverbindun¬ 
gen reducirt. Die wasserhaltigen Salze der 1 
selben sowie ihre Lösungen haben eine grüne 
Farbe, sie färben auch das Glas grün: im 
wasserfreien Zustande sind sie weiss. Ver¬ 
setzt man eine Lösung eines Ferrosalzes mit 
Alkalien, so erhält man einen weissen Nieder¬ 
schlag von Eisenoxydulhydrat Fe (0H) 4 , wel¬ 
cher sich an der Luft durch Oxydation rasch 
schmutziggrün, später rothbraun verfärbt. Die 
wichtigsten. Ferroverbindungen sind: 

E i s e n c h 1 0 r ü r, Ferrum chloratum, FeCl a . 
Man erhält es durch Ueberlciten von trockenem 
Chlorwasserstoffgas über erhitzte Eisenfeil¬ 
späne als eine weisse flüchtige Masse. Löst 
man Eisen in Salzsäure auf und dampft die 
Lösung bei Abschluss von Luft ab, so drhält 
man hellgrüne zerfliessliche monocline Pris¬ 
men von der Zusammensetzung FeCl 4 -f* 4H t O, 
weiche früher als Ferrum chloratum officinell 
waren. Die wässerige Lösung derselben, welche 
10% Eisen enthält, w r ird als Liquor ferri 
chlorati, die weingeistige Lösung als Tinctura 
ferri chlorati verordnet. 

Eisenjodür, Ferrum jodatum, FeJ t .— 
Verreibt man gepulvertes Eisen unter Zusatz 
von Wasser mit der entsprechenden Menge 
Jod, so erhält man eine grünliche Lösung, 
aus der sich beim Verdampfen Krystalle von 
der Zusammensetzung FeJ 4 -f-4H,0 abschei¬ 
den. Dieses Salz zersetzt sich an der Luft 
leicht unter Bildung von Eisenoxyd und Ab¬ 
scheidung von freiem * Jod, die Zersetzung 
wird durch Zusatz von Zucker sehr verlang¬ 
samt, Es wird daher das Präparat in der 
Phannacie entweder mit Milchzucker ver¬ 
rieben {Ferrum jodatum saccharatum) oder in 
Lösung mit Zucker versetzt (Syrupus ferri 
jodatus) aufbewahrt. 

Eisenoxydul, FeO, kommt im freien 
Zustande in der Natdr nicht vor, hingegen 
gelöst in Mineralwässern, welche den Gehalt 
an Eisen auch durch einen zusammenziehen¬ 
den tintenartigen Geschmack verrathen. Man 
erhält es als sammtschwarzes Pulver, wenn 
man oxalsaures Eisen bei Abschluss von Luft 
glühhend macht, oder über auf 300° C. er¬ 
hitztes Eisenoxvd Wasserstoff leitet. Es zieht 

• 


Digitized b 


y-Google 



490 EISEN. 


an der Luft begierig Sauerstoff an, ist unlös¬ 
lich in Wasser leicht löslich in Säuren, mit 
denen es die Eisenoxydulsalze bildet. 

Sch wo fei saures Eisen oxydul, Ferro¬ 
sulfat,Eisenvitriol, grünerVitriolFeS0 4 +7H,0, 
monocline Krystalle. Das wichtigste Eisensalz, 
kommt in den Bergwerken als Melanterit 
vor. Man erhält es durch Auflösen von Eisen¬ 
abfällen in verdünnter Schwefelsäure oder 
durch langsame Oxydation von geröstetem 
Eisenkies FeS, an der Luft; der Eisenkies 
verliert beim Rösten die Hälfte des Schwefels, 
das zurückhleibende Ferrosulfid (Fe S) nimmt 
bei Gegenwart von Wasser Sauerstoff auf, 
wobei es sich zu Eisenvitriol oxydirt, man 
laugt die Masse mit Wasser aus und lässt sie 
krystallisiren. Der Eisenvitriol findet ausge¬ 
dehnte Anwendung in der Industrie zur Be¬ 
reitung von Tinte und Farben, zur Darstellung 
der Nordhauser Schwefelsäure (s. Schwefel¬ 
säure). Mit den Alkalisulfaten bildet es Doppel¬ 
salze, welche mit 6 Krystallwasser krystalli¬ 
siren und welche an der Luft viel weniger 
leicht oxydiren als Eisenvitriol. Das ge¬ 
bräuchlichste dieser Doppelsalze ist das 
schwefel saure Eisenoxydul ammoniak 
FeS0 4 + (NH4) t S0 4 +6H a 0. Giesst man eine 
Lösung von reinem Ferrosulfat in Alkohol, so 
erhält man ein krystallinisches Pulver — 
Ferrum sulfuricuin purum. Das Ferrum 
sulfuricum siccum der Pharmacopöe er¬ 
hält man, wenn man Ferrosulfat im Wasser¬ 
bad so lange erhitzt, bis es nur mehr 15% 
Wasser enthält. 

Kohlensaures Eisenoxydul, Ferro- 
carbonat, Ferrum carbonicum, Fe C0 ? , kommt 
in der Natur als Spatheisenstein isomorph 
mit Kalkspath und mit den Carbonaten von 
Magnesium und Mangan in gelblichen Rhom- 
boödern vor. Mit Thon gemengt bildet es als 
Thoneisenstein mächtige Erzlager in England. 
Es ist zum Theil löslich in kohlensäure¬ 
haltigem Wasser und kommt in dieser Weise 
in den sogenannten Stahlwässern vor. Künst¬ 
lich erhält man es durch Versetzen einer 
Ferrosalzlösung mit Natriumcarbonat bei Ab¬ 
schluss der Luft als einen Niederschlag, der 
an der Luft sich bald in braunes Eisenoxyd¬ 
hydrat urawandelt. Durch Zusatz von Zucker 
wird die Oxydation verzögert, daher in der 
Pharmacopöe das Ferrum carbonicum 
s'accharatum angewendet wird. 

Phosphor saures Eisenoxyd ul,Ferro- 
phosphat, Fe 3 (P0 4 )„ kommt in der Natur 
kry stall wasserhaltig als Vi vianit vor; es 
entsteht als weisser Niederschlag beim Mischen 
einer Eisenoxydulsalzlösung mit phosphor¬ 
saurem Natron; an der Luft oxydirt es sich 
rasch zu einem graubläulichen Pulver, unlös¬ 
lich in Wasser und in Weingeist: das Ferrum 
phosphoricum der Pharmacopöen. 

Einfaches Schwefeleisen, Ferro¬ 
sulfid, FeS, erhält man durch Erhitzen von 
Eisen mit Schwefel als eine krystallinische 
metallglänzende Masse, welche leicht schmilzt. 
Diese Verbindung wird im chemischen Labo¬ 
ratorium häufig zur Darstellung von Schwefel¬ 
wasserstoffgas benützt, indem sie sich mit 


Säuren unter Freiwerden von Schwefelwasser¬ 
stoff löst. FeS+2 HCl = FeCl,+SH„ 

Von den Verbindungen mit organischen 
Säuren ist das milchsaure Eisenoxydul, 
Ferrum lacticum, Fe(C 3 H 5 0 3 )„ von grösserer 
Wichtigkeit. Es ist ein grünlicbweisses kry¬ 
stallinisches Pulver von schwach tintenartigem 
Geschmack, in 38’2 Th. Wasser löslich. 

b) Eisenoxyd- oder Ferriverbin¬ 
dungen. In diesen functionirt das Eisen als , 
sechswerthiges Doppelatom, sie entstehen 
leicht bei, der Oxydation der Eisenoxydul¬ 
verbindungen oder beim Auflösen von Eisen¬ 
oxyd in Säuren. Die Lösungen der Eisen¬ 
oxydsalze haben eine gelbbraune Farbe und 
geben, mit Ammoniak versetzt, einen roth- 
braunen flockigen Niederschlag von Eisen¬ 
oxydhydrat. Die wichtigsten hieher gehörigen 
Verbindungen sind: 

Eisenchlorid, Ferrichlorid, Ferrum 
sesquichloratum, Fe,Cl 6 . Man kann es auf 
trockenem Wege durch Erhitzen von Eisen 
im Chlorstrom in glänzenden schwarzgrauen 
Blättchen erhalten; auf nassem Wege durch 
Einleiten eine» Stromes von Chlorgas in eine 
wässerige Lösung von Eisenchlorür. Dampft 
man die mit Chlor gesättigte Lösung bis zum 
specifischen Gewicht 1 • 67 ab, so erstarrt die¬ 
selbe zu einer gelben krystallinisehen Masse 
von der Zusammensetzung Fe* CI* + 12H,0, 
dem Ferrum sesquichloratum der Pharma- 
copöe. Das Eisenchlorid ist an der Luft zer- 
fliesslich, leicht löslich in Wasser, Alkohol 
und Aether. Der Liquor ferri sesqui- 
chlorati der Pharmacopöen ist eine gelb¬ 
braune Flüssigkeit von herbem ätzenden Ge¬ 
schmack, welche 40% metallisches Eisen 
enthält. Die Tinctura ferri chlorati 
aetherea, Liquor anodynus martialis, wird 
bereitet aus einer Mischung von 1 Th. Eisen¬ 
chloridlösung, 2 Th. Aether, 4 Th. Weingeist, 
welche in gut verkorkten Flaschen dem Sonnen¬ 
lichte so lang ausgesetzt wird, bis sie völlig 
entfärbt ist, sie enthält 1% Eisen. 

Eisenoxyd, Ferrioxyd, Fe, 0 3 , findet 
sich als Rotheisenstein als wichtiges Eisenerz 
in der Natur. Ausserdem erhält man es durch 
Glühen von Eisenvitriol als Rückstand bei 
der Darstellung der Nordhauser Schwefel¬ 
säure unter dem Namen des Colcothar, 
Caput mortuum der alten Chemiker, auch 
durch Glühen von Eisenoxydhydrat wird es 
in dunkelgrauen, in Säure schwer löslichen 
Krystallen (Eisenglanz) erhalten. 

Eisenoxydhydrat, Fe,(0H) 6 , ist im 
Brauneisenstein enthalten und entsteht beim 
Liegen von Eisen an feuchter Luft (Rost). 
Wird ein Eisenoxydsalz lpit überschüssiger 
Kalilauge oder mit Ammoniak gefallt, so 
scheidet sich das Eisenoxydhydrat in Flocken 
aus. Beim Erhitzen gibt dasselbe Wasser ab und 
wird Eisenoxyd, Fe,(OH) e = Fe,0 8 -|-3H,0. 
Es löst sich leicht in Säuren. Mit Rohrzucker 
gibt es eine Verbindung, welche in kaltem 
Wasser leicht, in kochendem schwer löslich 
ist, das Ferrum oxydatum saccharatum solu¬ 
bile der Phhrmacopoea Germanica, den Eisen¬ 
zucker. 


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EISEN ALS NÄHRSTOFF. — EISENCHAMÄLEON. 


491 


Eine wichtige Anwendung findet das 
Eisenoxydhydrat als Gegengift der arsenigen 
Säure, Antidotum Arsenici, weil es sich mit 
derselben zu. unlöslichem arsenigsauren 
Eisenoxyd verbindet. Zur Bereitung desselben 
werden nach der Pharmacopoea Germanica 
100 Th. Ferrisulfat mit 250 Th. Wasser ver¬ 
mischt und dieser Flüssigkeit alsdann unter 
Umschütteln und möglichster Vermeidung der 
Erwärmung eine Mischung von 15 Th. ge¬ 
brannter Magnesia mit 250 Th. Wasser hin¬ 
zugefügt. Es resultirt hiebei eine braune 
Schüttelmixtur, welche Eisenoxydhydrat neben 
schwefelsaurer Magnesia erhält. Die Mixtur 
muss stets frisch bereitet werden. Die bereits 
vorhandenen Vergiftungserscheinungen können 
durch das Gegengift nicht geheilt werden, 
es handelt sich nur darum, etwa noch im 
Magen oder Darm befindliches nicht resor- 
birtes Gift unschädlich zu machen. Dieses 
Antidot ist auch bei Vergiftungen mit anderen 
Arsen Verbindungen anzuwenden. 

Bei Gegenwart verschiedener organischer 
Substanzen, wie Gummi, Eiweiss, Glycerin, 
Weinsäure, Citronensäure wird das Eisen¬ 
oxydhydrat aus den Lösungen der Eisenoxyd¬ 
salze durch Alkalien nicht gefällt. 

Schwefelsaures Eisenoxyd, Ferri¬ 
sulfat, Fe t (S0 4 ) 8 , bildet sich, wenn man eine 
mit der entsprechenden Menge von Schwefel¬ 
säure versetzte Lösung von Ferrosulfat unter 
Zusatz von Salpetersäure bis zur Syrupdicke 
abdampft. Der Liquor ferri sulfurici 
oxydati ist eine wässerige Lösung, welche 
35% Ferrisulfat enthält. 

Eisensäure, Fe0 4 H Ä , ist im freien 
Zustand nicht bekannt, das Kaliumsalz der¬ 
selben, Fe0 4 K„ erhält man durch Erhitzen 
von Eisenoxyd mit Salpeter als eine dunkel- 
rothe, in Wasser lösliche Masse. 

Erkennung der Eisenverbindungen. 
1. In den Lösungen aller Eisensalze erzeugt, 
nach Zusatz von Ammoniak, ein Ueberschuss 
von Ammoniumsulfid einen schwarzen Nieder¬ 
schlag von Eisensulfid. Derselbe ist in Säuren 
leicht löslich. 2. Gelbes Blutlaugensalz (Ferro- 
cyankalium) Erzeugt in den Lösungen der 
Eisenoxydulsalze eine weisse, rasch hellblau 
werdende Fällung, in den Lösungen der 
Oxydsalze eine tiefblaue Fällung von Berliner- 
blau. Hingegen bewirkt rothes Blutlaugen¬ 
salz (Ferricyankalium) in Lösungen von Eisen¬ 
oxydsalzen keine Fällung, in denen der Eisen¬ 
oxydulsalze einen tiefblauen Niederschlag von 
Turnbull’s Blau (welches nach neueren For¬ 
schungen identisch mit Berlinerblau ist). 

3. Gerbsäure erzeugt in Eisenoxydullösungen 
keinen, in Eisenoxydlösungen einen blau¬ 
schwarzen Niederschlag — Farbstoff der Tinte. 

4. Schwefelcyan^alium färbt die Lösungen 
der Eisenoxydsalze blutroth — Farbe des 
löslichen Schwefelcyaneisens. 

Die arzneiliche Anwendung des Eisens 
s. u. Ferrum. Lotbisch. 

Eisen als Nährstoff, s. u. Fütterung. 

Eisenbahnwesen in Bezug auf die Veteri¬ 
närpolizei. Die Viehtransporte durch die Eisen¬ 
bahnen haben den Vortheil schnellerer Beför¬ 


derung und schnelleren Umsatzes von Capi¬ 
talien im Thierliandel und der bequemeren Ver- 
proviantirung grosser Städte. Sie sind weniger 
dazu geeignet, ansteckende Thierkrankheiten 
in der Umgebung zu verbreiten, wie das bei den 
Treibheerden oft der Fall ist, dafür bringen 
sie aber zuweilen Thierseuchen aus Seuchen¬ 
gegenden schnell in weit davon entfernte 
Länder, wie das die letzte Rinderpestinvasion 
in England (1865—1866) und andere bewiesen 
haben. Bei streng durchgeführter Controle des 
zu verladenden und des ausgeladenen Viehes 
bieten die Eisenbahnen aber weit mehr Sicher¬ 
heit gegen Verbreitung von Seuchen als das 
Treibheerdensystem. Die zum Transport per 
Eisenbahn bestimmten Thiere sind aber vor 
ihrer Verladung einer strengen thierärztlichen 
Controle zu unterziehen und mit den erforder¬ 
lichen Gesundheitsattesten zu versehen. Die¬ 
selbe strenge Controle ist beim Ausladen der 
Thiere an ihrem Bestimmungsorte anzuwenden. 
Seuchenkranke oder verdächtige Thiere sind 
vom Eisenbahntransport auf grössere Strecken 
auszuschliessen und die bei der Ankunft des 
Transports an seinem Bestimmungsort krank 
befundenen Thiere sofort der Schlachtbank 
zu überliefern oder einer Gehöfts- resp. Stall¬ 
sperre zu unterwerfen. Die Eisenbahnwagen 
aber, in denen sich mit ansteckenden Krank¬ 
heiten behaftete Thiere befanden, sind einer 
gründlichen Desinfection zu unterziehen, zu 
welchem Zweck sich am besten kochend¬ 
heisse Sublimatlösungen eignen. Viehtrans¬ 
porte aus solchen Ländern, in denen beständig 
besonders gefährliche Seuchen, wie z. B. die 
Rinderpest und die Schafpocken, herrschen, 
sind nicht gestattet, und gegen solche Länder 
wird nötigenfalls eine Grenzsperre ange¬ 
ordnet, und beim Verletzen derselben werden 
die importirten Thiere entweder wieder über 
die Grenze zurückbefördert oder nötigenfalls 
getödtet und verscharrt und die benützten 
Eisenbahnwagen an Ort und Stelle gehörig 
desinficirt. Zu dem Zweck werden die Wagen 
erst sorgfältig gereinigt, von angehäuftem 
Mist und Harn befreit, mit Lauge ausge¬ 
waschen und dann mit desinficirenden Lösun¬ 
gen (Chlorkalk, Carbolsäure, Sublimat) be¬ 
handelt. Auch heisse Wasserdämpfe können 
dazu benützt werden, wo solche zu beschaffen 
sind. Einzelne Länder, wie z. B. Oesterreich 
und Bayern, besitzen besonders eingerichtete 
Desinfectionsstationen für Eisenbahnwagen mit 
obligatorischer Ueberwachung der Desinfection 
durch Thierärzte. Die Controle der Viehtrans¬ 
porte und Desinfection der Eisenbahnwagen 
muss, wenn sie von Nutzen sein soll, für alle 
Bahnverwaltungen obligatorisch sein und von 
besonderen Veterinär- oder Polizeibeamten 
überwacht werden, die den Local-Polizei- 
Verwaltungsbehörden 'unterstellt sind und 
revidirt werden. Semmcr. 

Elsenberg, Baron, gab 1747 in Amsterdam 
ein Werk über Exterieur des Pferdes heraus 
und schrieb über Betrügereien im Pferde¬ 
handel. Semmer. 

Eisenchamäleon, eine sehr wirksame 
Lösung zur Desinfection von Dung- und 



492 


EISENHÜT. — EISNÄGEL. 


Jauchegruben, Aborten, Cloaken u. g. w., be¬ 
stehend ans einer Mischung von 8 rohem 
Permanganat, 45 rohem schwefelsauren Eisen 
und 47 Regenwasser (Liebig). Vogel. 

Etaenhut, Sturmhut, bekannte officinelle 
Giftpflanze. 

Der Eisenhut findet sich mitunter zwi¬ 
schen Wiesengras. Alle Arten dieser Pflanze 
erzeugen bei den Thieren Aufblähen, Er¬ 
brechen, Durchfall, Zuckungen, Betäubungen; 
nach wenigen Stunden erfolgt mitunter der 
Tod. Am gefährlichsten soll Aconitum Na- 
pellus sein (s. d.). Pott. 

Etoensalmiak, s. Ammonium chloratum 
ferratum. 

Eisenschimmel, s. Haarfarben. 

Eisenvitriol, s.SchwefelsaurcsEisenoxydul. 

Eisenzeit umfasst die letzte Periode im 
Dreitheilungssysteme des prähistorischen Zeit¬ 
alters von Europa. Sie folgte unmittelbar der 
Bronzezeit (s. d.) und bildete den Uebergang 
zur historischen Zeit. Man rechnet hieher ver¬ 
schiedene Gräberfunde, Cultusstätten, Tumuli, 
Ustrinen etc. Dass thatsächlich schon zu prä¬ 
historischen Zeiten unseren europäischen Vor¬ 
fahren das Eisen bekannt war, beweisen zahl¬ 
reiche in den verschiedenen Ländern entdeckte 
Eisenschmelzstätten, in welchen Eisenerze auf 
primitive Weise eingeschmolzen wurden. Es 
ist ersichtlich, dass nicht allen Völkern der 
Gebrauch 'des Eisens gleichzeitig bekannt 
wurde, und Forschungen in dieser Beziehung 
r haben ergeben, dass manche Völkerstämme 
noch tief in der Steinzeit lebten, während 
andere schon metallkundig waren. Ursprünglich 
dürften aus dem Eisen blos Waffen verfertigt 
worden sein, worauf auch die vom Zahne der 
Zeit arg mitgenommenen Funde hinweisen; 
erst durch die allgemeinere Kenntniss der 
Gewinnungsmanipulation und ihre Vervoll¬ 
kommnung verbreitete sich der Gebrauch des 
Eisens auch auf die Hausgeräthe. Schon vor 
der Eisenzeit stand die Viehzucht hei den 
prähistorischen Völkern in Blüthe, die Dome- 
stication unserer sämmtlichen Haussäugethiere 
war vollzogen; dass aber Ackerbau und Viehzucht 
erst durch die Verbreitung des Eisens eine solide 
Grundlage erhielten, liegt klar auf der Hand. 

Literatur: Der vorgeschichtliche Mensch von 
W. Laer, 2. Aufl. v. Fr. v. Hellwald. Leipzig 18S0. 

Koudclka. 

Eisenzucker (Eisenoxydsaccharat), eine 
Verbindung von Eisenoxydhydrat mit Zucker, 
welche als Ferrum oxydatum saccharatum 
solubile officinell ist: er wird £fls braunes 
in Wasser lösliches Pulver erhalten, wenn 
man 20 Th. der officinellen Eisenchlorid¬ 
lösung mit 20 Th. weissen Syrup und 40 Th. 
Aetznatronlösung mischt, die Mischung nach 
24 Stunden mit 300 Th. Wasser erhitzt, das 
abgeschiedene Eisentfxydhydrat mit 90 Th. 
Zucker eintrocknet und schliesslich noch so 
viel Zucker hinzusetzt, dass das trockene 
Pulver 100 Th. wiegt. Aus diesem Pulver 
wird nun der officinelle Eisensyrup 
bereitet, indem man den Eisenzucker mit 
Zucker versetzt im Wasserbade 2 Stunden 
lang digerirt und dann mit so viel weissera ! 


Syrup versetzt, dass die Mischung 300 Th. 
wiegt. Man nimmt hiezu so viel Eisenzucker, 
dass der Syrup in 100 Th. 1*2% oder 1 4% 
Eisen = Fe enthält, was sich nach der obigen 
Angabe der Zusammensetzung leicht berechnen 
lässt. In den Apotheken erhält man Eisen¬ 
syrup häufig mit Vanille, Nelken und Rum 
aromatisirt als flüssigen Eisenzucker 
in elegant etiquettirten Flaschen als beliebtes 
Eisenmittel. Loebisch. 

Eisessig, s. Essigsäure. 

Eismeierei, s. Molkereibetrieb. 

Eisnägel. Hufnägel, welche sich von 
den gewöhnlichen Hufnägeln dadurch unter¬ 
scheiden. dass deren Köpfe nieht glatt, 
sondern keil- oder pyramidenförmig zugespitzt 
sind. In die Hufeisen, bezw. in den Huf ein¬ 
geschlagen, stellen sie eine Schärfmethode 
von nur mässiger Haltbarkeit dar. Ihre Wider¬ 
standsfähigkeit ist um so geringer, je weniger 
der Boden mit Schnee bedeckt und je schwerer 
das betreffende Pferd ist, daher werden Eis¬ 
nägel ausser im hohen Norden nur verhältniss- 
raässig selten verwendet. 

Es lassen sich dreierlei Arten von Eis¬ 
nägeln unterscheiden. 

1. Der gewöhnliche Eisnagel. Seine 
Klinge gleicht der eines gewöhnlichen Huf¬ 
nagels, und der Kopf ist entweder keil- oder 
pyramidenförmig geformt. Die Schärfung des 
Beschlages erfolgt in der Weise, dass man 
aus jedem Eisenarm einen oder zwei Nägel 
herausnimmt und durch Eisnägel ersetzt. 

2. Der dänische Eisnagel (Broddar). 
Es ist ein grosser, kräftiger Nagel mit keil¬ 
förmig geschärftem und gehärtetem Kopf. 
Derselbe wird durch den Zehentheil des Huf¬ 
eisens, in welch letzterem ein extra grosses 
Nagelloch angebracht ist, und durch die 
Zehenhomwand geschlagen und wie ein ge¬ 
wöhnlicher Hufnagel vernietet. Er stellt einen 
geschärften Griff dar, der, wenn erforderlich, 
vom Pferdebesitzer oder Kutscher gewechselt 
werden kann. 

3. Die Müller’schen Eisnägel. Sie 
weichen von den beiden vorhergehenden Arten 
wesentlich ab, denn sie durchdringen nicht 
die Horn wand, sondern werden am äusseren 
oberen Eisenrande, an welchem die hiezu 
besonders geschlagenen Löcher zum Vorschein 
kommen, durch Umbiegen der kurzen Klinge 
festgehalten. Bei ihrer Anwendung bleiben 
demnach die gewöhnlichen, den Beschlag fest¬ 
haltenden Hufnägel vollständig unberührt. 
Durch den Umstand, dass die Löcher für 
diese Eisnägel besonders geschlagen werden 
müssen, kann man die Anzahl und Vertheilung 
dieser Eisnägel an einem Beschläge beliebig 
modificiren. In der Regel benützt man vier 
Nägel an einem Eisen, u. zw, je einen seitlich 
zur Zehe und je einen am Schenkelende. Sie 
lassen sich ebenso leicht und dabei ohne alle 
Schädigung des Wandhornes ersetzen als die 
unter 1 und 2 angeführten. 

Für grosse Städte, in denen es nie oder 
nur vorübergehend zu einer dicken Schnee¬ 
decke kommt, eignet sich keine Art von Eis- 
1 nageln. Lungwitz. 



EISZEIT. — EITER. 


493 


Efezeit, s. Glacialzeit. 

Eiter ist ein entzündliches Exsudat und 
bildet in frischem Zustande ohne fremde Bei¬ 
mengungen eine etwas dickliche, rahmartige 
gelbliche Flüssigkeit von süsslichepi Geruch 
und alkalischer Reaction und besteht aus 
Eiterserum und Eiterkörperchen. Die Farbe 
und Consistenz des Eiters ist aber keine' 
constante;* es gibt gelben, weissen, grünen, 
grauen und schwarzen Eiter, dünnflüssigen, 
wässerigen, rahmartigen und dicken käse- ! 
ähnlichen Eiter. Der Eiter der Pferde ist 
eiweissartig zähe, bei Rindern rahmartig, bei 
Kaninchen dick, käseartig, bei Schafen und 
Hunden dünn, wässerig. Der Muskeleiter ist 
graugelb, der Knocheneiter schwarz etc. Gelber 
dicklicher, geruchloser oder schwach süsslich» 
riechender Eiter wird als guter Eiter, pus 
bonum et laudabile, dünner, missfarbiger, übel¬ 
riechender Eiter als Jauche, Ichor oder Sanies 
bezeichnet. Das Eiterserum ist in frischem 
Zustande öine klare blasse, gelbliche oder 
alkalische Flüssigkeit, die aus 905—915 % 0 
Wasser und 85—95 % 0 fester Stoffe besteht, 
u. zw. aus Eiweiss. fibrinoplastischer Substanz, 
Salzen (Chlornatrium, phosphorsaures Natron, 
schwefelsaures und kohlensaures Natron, 
kohlensaure Magnesia), und dem zuweilen 
Mucin, Pyin*, Lecithin, Fett, Cholesterin und 
Phosphorsäure beigemengt sind. Die Eiter¬ 
körperchen gleichen den farblosen Blutkör¬ 
perchen, Lympli- und Schleimkörperchen, sind 
meist rund, granulirt, 0*01 mm im Durch¬ 
messer, im frischen Zustande contractil und 
beweglich, besitzen einen einfachen oder 
mehrfachen Kern. Durch Zusatz von Wasser 
quellen die Eiterkörperchen auf, durch Zusatz 
von Essigsäure und Mineralsäuren werden sie 
durchsichtig, neutrale Alkalisalze machen sie 
einschrumpfen, und ätzende Alkalien zerstören 
die- Eiterkörperchen. Zuweilen verschmelzen 
viel? Eiterkörperchen zu einem grösseren 
Körper mit vielen Kernen. Die Eiterkörperchen 
bestehen aus Eiweiss, Nuclein, Lecithin, Fett, 
Cholesterin, Cerebrin,Extractivstoffen und Sal¬ 
zen. Die Eiterkörperchen sind identisch mit den 
farblosen Blutkörperchen und stammen aus 
dem Blute. Bei jeder bedeutenderen Ent¬ 
zündung und Alteration der Gefässwände 
wandern mehr oder weniger zahlreiche farb¬ 
lose Blutkörperchen neben Blutserum aus und 
bilden den Eiter. 

Die Eiterkörperchen nehmen die mit dem 
Blutserum gleichzeitig austretende fibrinogene 
Substanz in sich auf und. hindern dadurch 
die Gerinnung des Exsudats, wie sie bei 
croupösen und diphtheritischen Processen 
eintritt, oder die Gerinnung wird durch spe- 
cifische Giftstoffe (Eitergift) oder niedere 
Organismen gehindert. Einige Autoren nehmen 
eine Th’eilung und Vermehrung der aus- 
gewanderten farblosen Blutkörperchen im 
Eiter selbst- an, die nicht unwahrscheinlich 
ist; dagegen hat die Anschauung der früheren 
Autoren, die Eiterkörperchen seien ausschliess¬ 
lich Derivate dqr festen Bindcgcwebskörperchen 
und Gewebszellen, weniger für sich und ist 
durch die Waller-Cohnheim’sche Theorie der 


Auswanderung farbloser Blutkörperchen ver¬ 
drängt worden. Ausser Serum und Eiter¬ 
körperchen findet man noch im Eiter freie 
Kerne, rothe Blutkörperchen, Epithelzellen, 
Fettröpfchen, Detritusmassen, Krystalle, 
Mikrococcen und Bacterien. 

Besonders reich an niederen Organismen 
ist übelriechender, in Zersetzung begriffener 
Eiter. Die blaue oder grüne Färbung abnormen 
Eiters wird ebenfalls durch niedere Organismen 
aus der Gruppe der Spaltpilze (Mikrococcen 
und Bacterien) bedingt. Falls der Eiter keinen 
freien Abfluss hat, sondern sich in Höhlen 
und Parenchymen ansammelt, so wird er ent¬ 
weder wieder resorbirt, nachdem die Eiter¬ 
körperchen zu Eiweiss und Fettmolekülen 
zerfallen, oder er geht verschiedene Meta¬ 
morphosen ein. Wird das Eiterserum allein 
resorbirt, so wird der Eiter eingedickt und 
unterliegt der käsigen Metamorphose, wobei 
er in eine dicke weisse oder graugelbe Masse 
umgewandelt wird,' die au^ Detritusmassen, 
Eiweiss, Fettmolekülen und Fettkrystallen 
besteht. Werden in diese käsige Masse 
nachher Kalksalze abgelagert, so tritt Ver¬ 
kalkung des Eiters ein. Seltener ist eine 
Schleimmetamorphose des Eiters: 

Bei Vernachlässigung eiternder Geschwüre 
und Zutritt von Luft und verschiedener Un¬ 
reinigkeiten geht der Eiter in Fäulniss über, 
und es bildet sich eine missfarbige, übelrie¬ 
chende Jauche mit brandigen ’ Zerstörungen, 
putrider Vergiftung oder Septicämie. Der 
pyämische Eiter dagegen ist nicht einer 
fauligen Zersetzung unterworfen, sondern 
nur sehr reich an Mikrococcen sui generis, 
welche Eiterkörperchen und Serum durch¬ 
setzen, von den Wundflächen aus in die 
Lymph- und Blutbahnen dringen und den 
ganzen Organismus überschwemmen. Sr. 

Eiter (in chemischer Beziehung). Djirch 
Filtration, welche wohl sehr langsam vor 
sich geht, lässt sich der Eiter in ein klares 
Serum und in die auf dem Filter bleibenden 
Eiterkörperchen trennen, fn dem Eiter¬ 
serum findet sich Serumeiweiss, eine dem 
Serumglobulin.ähnliche Eiweissubstanz, ferner 
auch Pepton. Die Eiterkörperchen lassen 
sich ähnlich wie die Blutkörperchen durch 
verdünnte Salzlösungen isoliren. Während 
jedoch die letzteren in Chlornatriumlösung 
sich nur wenig verändern, verwandeln sich 
die Eiterkörperchen darin zu einer zähschlei¬ 
migen Masse, hingegen scheinen sie sich in 
•verdünnten Lösungen von schwefelsaurem 
Natron und salpetersaurem Baryt nicht zu 
verändern, sie sinken in diesen Lösungen 
leicht zu Boden und können damit gewaschen 
werden. Die Kerne der Eiterkörperchen wer¬ 
den durch verdauenden Magensaft nicht auf¬ 
gelöst; darauf beruht die Möglichkeit, die¬ 
selben zu isoliren. In den Kernen der Eiter¬ 
körperchen fand Miescher eine eigenartige 
phosphorhaltige Substanz, das Nuclein. Nach 
Entfernung dieses mittelst verdünnter Soda¬ 
lösung bleibt eine hornartige Substanz zurück. 
Die Eiterkörperchen enthalten Eiweisstoffe, 
Peptone, Cholesterin, Lecithin,Cerebrin, Fette, 



494 


EITERAUGE. — EIWEISSHARNEN. 


Glycogen und anorganische Salze, überdies 
wurden in den Extractivstoffen des Eiters 
auch Leucin, Harnstoff und Zucker nachge¬ 
wiesen. Die Blaufärbung des Eiters, welche 
zuweilen beobachtet wurde, rührt von einer 
eigenthümlichen Art von Vibrionen her, welche 
den Pyocyanin genannten blauen Farbstoff 
absondern, und die sich von einer Eiterfläche 
auf die andere überpflanzen lassen. Lh. 

Eiterauge, s. Hypopium. 

Eiterband, s. Haarseil. 

Eiterbeule, s. Abscess. 

Eiterherde, s. Abscess. 

Eiterinfection. Bei grösseren Eiterungs¬ 
processen, besonders bei parenchymatösen 
Eiterungen und Ansammlungen von Eiter in 
den serösen Höhlen und Gelenken wird ein 
Theil des Eiterserums und der zerfallenen 
Eiterkörperchen von den Lymphgefässen aus 
resorbirt, gelangt ebenso wie beim eitrigen 
Zerfall von Thromben in die Blutbahnen und 
veranlasst mehr oder weniger bedeutendes 
Fieber und wohl auch embolische Processe 
und metastatische Abscesse und bei Gegen¬ 
wart specifischer Mikroorganismen im Eiter 
ein schweres Allgemeinleiden mit Ausgang in 
den Tod (s. Pyämie). Seinmer. 

Eiterstar (Cataracta purulenta) benennt 
man jene Form der Cataract, bei welcher die 
Corticalis oder auch der ganze Linsenkörper 
eine Metamorphose eingegangen, sich ver¬ 
flüssigt hat, so dass an Stelle der ehemaligen 
Linse nur noch ein weisser, milchiger, eiter¬ 
ähnlicher Brei restirt, welcher beim An¬ 
schneiden der Linsenkapsel sich alsdann aus 
der Schnittöffnung entleert. Hat sich die 
Rindenschichte allein in dieser Weise ver¬ 
flüssigt, der Linsenkern hingegen seine Con- 
sistenz behalten, oder ist derselbe sogar 
„sclörosirt“ und schwimmt nun innerhalb der 
linsenkapsel in der erweichten Corticalis 
umher, so bezeichnet man diese, nicht gerade 
häufig vorkommende Starform als Cataracta 
Morgagniana. Schlampp. 

Eitervergiftung ist ein Zustand, wo ein 
Eiterherd oder Abscess in ein Blutgefäss 
durchbricht und eine grössere Menge von 
Eiter in die Blutbahnen gelangt, oder wo 
gebildete Thromben in den Blutgefässen eitrig 
erweichen und zerfallen oder Eiterungspro- 
cesse in den Gefässwänden selbst stattfinden. 
Das Eindringen grösserer Mengen von Eiter 
ins Blut verursacht starkes Fieber, Embolien 
und metastatische Infarcte und Abscesse in 
verschiedenen Organen und in vielen Fällen 
den Tod durch hohes Fieber und Functions¬ 
störungen in lebenswichtigen Organen. Eine 
andere Art von Eitervergiftung ist die, wo 
nicht Eiter als solcher, sondern blos das 
an niederen Organismen sui generis (Mikro- 
coccen der Pyämie) reiche Eiterserum von 
Geschwürsflächen aus in die Blut- und Lymph- 
bahnen dringt, den Organismus mit deletären 
Mikrococcen überschwemmt und durch ent¬ 
zündliche Zustände und Entartungen in inneren 
Organen den Tod herbeiführt (s. Pyämie). Sr. 


Eiweiss, s. Albuminstoffe, Eiweiss als 
Nährstoff, s. u. Fütterung. 

Eiweissbestimmung im Harn, s. Albumin¬ 
stoffe. 

Eiwel88harnen, Albumin uri a (von 
albumen, Eiweiss, oops'v, harnen), stellt sich 
bei jeder Reizung und Hyperämie in der Niere 
ein, mag letztere auf einem vermehrten Zuflusse 
arteriellen Blutes oder auf erschwertem Abflüsse 
des venösen Blutes beruhen, sofern die Circu- 
lation des Blutes in den Nieren verlangsamt 
ist und unter erhöhtem Blutdrucke steht. 
Venöse Blutstauung wird hervorgerufen durch 
Neubildungen in den Nieren (Nierensteine etc.), 
durch das Vorhandensein von Strongylus gigas 
im Nierenbecken, Entzündung und Entartung 
• der Brust- und Bauchorgane mit Zurück¬ 
stauung des Blutes nach dem rechten Herzen, 
den grossen Venenstammen und den Nieren- 
gefässen. Den Abfluss des Blutes aus den 
Nierengefässen erschweren Geschwülste, die 
auf die Gefässe drücken, desgleichen reich¬ 
liche Ansammlung von Fäcalien im Dann- 
canal, Thromben in den Verzweigungen der 
Blind- und Grimmdarmarterien (Kolik) oder 
der hinteren Aorta hinter den Nieren (beim 
Pferde die Obliteration der Schenkelarterien), 
der befruchtete Uterus und parctische Schwäche 
oder Paralyse der Gefässnerven des Nieren¬ 
geflechtes und des hinteren Tlieiles des Rücken¬ 
markes. Der Blutdruck steigert sich in den 
Glomerulis der Nieren in Folge Zunahme der 
Blutmenge (Aufnahme vielen Getränks, schnelle 
Resorption seröser Transsudate), starker Herz- 
thätigkeit, Vagusreizung, anhaltend starker 
Bewegung und von Druck auf die hintere Hohl¬ 
vene (vergl. Prof. Franck: ,,Eiweiss-, respective 
Blutharnen der Pferde“ in der Wochenschrift für 
Thierheilkunde und Viehzucht 1873, und Prof. 
Pflug: „Die Krankheiten des uropoötischen 
Systems der Hausthiere“, Wien 1876). In der 
arteriellen Nierenhyperämie enthält der Harn 
in der Regel nur Eiweiss und wenige 
körnige, epithelfreie Faserstoffcylinder, erst 
in höheren Graden Fibrinogen, Hämoglobin 
und schliesslich Blutkörperchen, in der 
venösen Hyperämie hingegen treten bald 
neben dem Eiweiss Blutkörperchen und 
viele feinkörnige Cylinder auf, die häufig aus 
Kalk bestehen. Der Harn ist fast immer 
alkalisch und specifisch leichter. Das Albumin 
ist kein Product der Nieren, sondern es 
transsudirt unter erhöhtem Blutdruck gleich¬ 
zeitig mit Serum aus dem Blute in den inter¬ 
stitiellen Nierengefässen in die Harncanälchen, 
weshalb auch meistens in der Albuminurie 
mehr Harn abgesondert wird als gewöhnlich. 
Die Fibringerinnsel bilden sich in den geraden 
Harncanälchen als dünne, nur mikroskopisch 
sichtbare Fädchen und vermischen sich hier 
mit dem Harne. Fibrinogene Substanz bringt 
den Ham an der Luft zum Gerinnen — solcher 
Ham wird lymphatischer Ham genannt. Eine 
chylöse, milchartige oder zähe Beschaffenheit 
nimmt der Ham an, wenn Lymplizellen und 
feinkörnige Albuminate in den Harn übertreten, 
wie man dies bei hungernden Thieren beob¬ 
achtet hat. Mitunter gerinnt der Harn bei der 



EIWEISSINFILTRATIONEN. — EKCHYMOMA. 


495 


Cnyluria in der Blase, er wird dann nur uuter 
Beschwerden entleert. Nach der Hoppe- 
Seyler’schen Methode weist man das Eiweiss 
im Harn nach, wenn man eipe Probe davon 
mit Essigsäure bis zur sauren Reaction 
versetzt, ihn dann mit einem gleichen Volu¬ 
men einer concentrirtcn Lösung des Natrium 
8ulfuricum mischt und hierauf kochen lässt, 
wobei sich das Eiweiss flockig ausscheidet. 
Kohlensäure Kalksalze geben einen ähnlichen, 
aber krystallinischen Niederschlag, der nach 
Feser aus Gyps besteht. Auch Kochen des 
mit etwas Salpetersäure angesäuerten Harns 
schlägt das Eiweiss heim Stehen nieder. 

Erscheinungen sind: Fieberlosigkeit, 
Absatz eines mehr oder weniger dunkelgefärbten 
oder hellen dichteren, eiweisshaltigen, leicht 
schäumenden Hajns unter häufigem Drang auf 
die Blase, unsicherer Gang, Schwanken mit der 
Hinterhand und grössere Empfindlichkeit in der 
Nierengegend. Dunkel gefärbt erscheint der 
Harn vorzüglich in der venösen Stauungshyper¬ 
ämie der Niere, bei der auch der Harnabsatz 
sich meistens .verringert, weil die erweiterten 
Nierengefässe auf die Harncanälchen drücken 
und der Harn nicht in gewohnter Weise aus 
ihnen in das Nierenbecken abfliessen kann; 
hier hält die Albuminurie gewöhnlich längere 
Zeit an, wohingegen sie bei der arteriellen 
Nierenhyperämie meistens schnell vorüber¬ 
geht. Neben den Symptomen der Albuminurie 
machen sich auch die des Grundleidens bemerk - 
lich, z. B. Herzfehler, Lungen-, Nieren- und 
Leberkrankheiten etc., die dann einen febrilen 
Zustand und schliesslich Hydrämie und Ka¬ 
chexie veranlassen können. 

Bei trächtigen Stuten und Kühen konnte 
Franck schon 6—8 Wochen vor der Geburt 
Eiweiss im Harn nachweisen; kurz vor der 
Geburt war der Eiweissgehalt desselben oft 
ein ganz erheblicher. 

•Behandlung. Diese richtet sich danach, 
ob die Albuminurie aus einer arteriellen oder 
venösen Nierenhyperärnie hervorgegangen ist. 
Im ersteren Falle gönne man den Patienten 
Ruhe und verabreiche ihnen eine leicht 
verdauliche Nahrung. Die arterielle Fluxion 
suche man durch kalte Umschläge auf die 
Nierengegend, durch Aderlass und innerliche 
Anwendung von Kali chloricum, Natr. sulfuric., 
Kali sulfur., Aloö, Kalomel, Ammon, hydro- 
chlor., Tart. stib. etc. unter Zusatz von 
Narcotica (Opium, Bilsenkrautextract) zu 
mässigen. Diese " Medicamente reicht man 
zweckmässig in schleimigen Decocten oder 
narkotischen Infusen. Salpeter, Diuretica, Ter¬ 
pentinöl und Kanthariden sind wegen ihrer 
reizenden Wirkungen contraindicirt. Die 
Stauungshyperämie erfordert vor allen Dingen 
eine Bekämpfung des Grundleidens. Ablei¬ 
tungen auf die Haut versprechen keinen beson¬ 
deren Erfolg, sie können in Einreibungen von 
flüchtigem Liniment, Kampherspiritus, Chloro¬ 
form, 01. crotonis, Unguentum tart. stib. und 
in Sinapismen bestehen; eine bessere Wirkung 
erzielt man mit feuchtwarmen Umschlägen 
auf die Lenden. Die Erschlaffung der Nieren¬ 
gefässe suche man mit Adstringentien zu heben, 


wie Ferrum sulfuricum, Liquor ferri sesqui- 
chlor., Plumb. acetic., Tanninum, Salicinum, 
Acid. sulfuric. Zusatz von narkotischen Medi- 
camenten ist auch hier zweckmässig. Schwäche 
und Paralysen der Nachhand fordern zur An¬ 
wendung der nervenerregenden Mittel auf, 
unter denen Arnica, Pyrethrum, Nux vomica, 
Strychnin, Kampher und Ammon. ,carbonic. 
pyrooleos. hervorzuheben sind. Anacker. 

Eiwei88infiitrationen kommen vor in den 
Zellen und Geweben bei entzündlichen Zu¬ 
ständen, insbesondere in den Drüsenzellen. 
Bei parenchymatösen Nierenentzündungen und 
fieberhaften Allgemeinleiden findet eine Ei¬ 
weis sinfiltration des Nierenepithels und der 
Harncanälchen statt mit Abgang eiweiss¬ 
haltigen Harns (s. Nierenentzündung, Morbus 
Brighti, Fieber). , Semnur. 

Eiweisskörper, s- Albuminstoffe. 

Ejaculatio 8eminis,Ausstossung des Samens, 
nennt man den auf reflectorischem Wege her¬ 
beige führten Vorgang der Entleerung der in 
den samenbereitenden und leitenden Drüsen 
und Gängen aufgespeicherten Geschlechts- 
secrete. Derselbe, durch mechanische Reize der 
Präputialschleimhaut oder erotische Vorstel¬ 
lungen herbeigeführt, beginnt mit einer durch 
die Wirkung derMm.ischio- und bulbo-cavernosi 
veranlassten Blutstauung upd Füllung des Ge- 
fässystems der Genitalorgane und nachfol¬ 
gender Erection des Penis, wonach bei weiterer 
Fortdauer der Nervenerregung durch Ueber- 
tragung des Reizes auf das im Lenden-, resp. 
Dorsalmarke gelegene Centrum für dieEjacu- 
lation und die davon ausgehenden motorischen 
Nerven der Geschlechtsorgane zunächst ein 
Erguss des Sperma in die Urethra und darauf 
durch kräftige, stossweise Contractionen der 
diese umlagernden Muskeln eine Ausstossung 
desselben aus dem Canal, uro-genital. erfolgt. 
Dem Samenergüsse schliesst sich unmittelbar 
eine allgemeine Ermüdung und Abspannung, 
gepaart mit einer gewissen Abneigung gegen 
jede Fortsetzung des geschlechtlichen Ver¬ 
kehres an, die erst mit wiederbeginnender 
Füllung des Hodens weicht. Sussdorf. 

Ekbole(v. exßaXXsiv, auswerfen), 1. Abortus, 
2. die vollkommene Ausrenkung eines Gelenkes, 
daher adj.* ecbolica sc. remedia, Abortiv¬ 
mittel. Sussdorf. 

Ekbolica, s. Amblotica. 

Ekbrasnia (v. ixßpa$s:v, hervorsprudeln), 
der plötzlich entstandene Hautausschlag. Sf 

Ekchondrose (sx, und 6 xdv&po$, Knorpel), 
knorpeliger Ausw'uchs als einfach hyperpla¬ 
stische Form des Chondroms, also als homologe 
und homotopische Neubildung (opp. Enchon- 
drom). Sussdorf. 

Ekchoresis (v. exympstv, hcrausgehen), 
die Defäcation, der Durchfall. Sussdorf 

Ekchymom (t b lxxo|i.u>|ia, v. ex, aus, und 
6 x^P-oSi Saft), die durch Saft-, vor Allem 
Blutaustritt bedingten beulen artigen, harten, 
fluctuirenden Geschwülste, gegenüber den 
Ekchymoma (s. d.). 

Ekchymoma (v. exxop.oöv, sich ergiessen), 
der Bluterguss, das dabei extravasirte Blut. Sf. 



496 ESCHYMOSEN. 

Ekchymosen (r, ixxöjAoqts), d. s. Blutaus- 
tretungen in Form grösserer, unregelmässig be¬ 
grenzter Flecken. Sussdorf. 

Ekdora (v. ixSepr.v, abhäuten), Enthäu¬ 
tung, davon ecdoria sc. remedia, hautab¬ 
hebende, ablösende Mittel. Sussdorf. 

Ekei, Nausea s. Nausia (vctö?, Schiff; 
vauGur, Seekrankheit) ist Widerwille gegen- 
Nahrungsaufnahme, der auf einer Verstimmung 
des Allgemeingefiihls geruht. Der Verstimmung 
selbst liegt eine Heizung des Vagus zu Grunde, 
unter dessen Herrschaft hauptsächlich die Ver¬ 
dauung steht. 

Reizt man die Verzweigungen des Vagus 
in den Magenhähten,, so entsteht Uebelkeit 
und Ekel, pflanzt sich die Reizung bis zur 
Medulla oblongata, aus welcher er seinen 
Ursprung nimmt, fort, so steigert sich der 
Ekel bis zum Erbrechen. Das Brechcentrura 
liegt bekanntlich ln der Medulla oblongata. 
Sehr empfindlich ist in dieser Beziehung die 
Magenschleimhaut in der Umgebung der 
Cardia, ebenso die Zungenwurzel und der 
Schlundkopf; auch sie werden mit Nerven- 
fäden vom Vagus versorgt. Schon Kitzeln der 
Zuhgenwurael ruft Uebelkeit und Erbrechen 
t hervor; Hunde benutzen eine derartige Reizung 
instijictiv, indem sie Gras kauen, um zu vo- 
mitiren. Druck auf die Magennerven bewirkt 
ebenfalls Ekel und Erbrechen, der Druck kann 
durch verschluckte Fremdkörper, bei Hunden 
hauptsächlich durch Knochenreste, bei Hühnern 
duych verschluckte metallische Gegenstände 
(Nägel etc.) und durch übermässig genossene 
Nahrung bewirkt werden. Schweine und Hunde 
geben das zu viel aufgenommene Nahrungs¬ 
quantum sehr leicht - wieder durch Erbrechen 
von sich. In gleicher Weise werden die Magen- 
nerven durch den alkalischen Schleim, welcher 
sich im Verlaufe des Magenkatarrhs im Magen 
auhäuft, desgleichen durch Säuren, welche 
sich bei mangelhafter Verdauung aus den 
Nahrungsbestandtheilen entwickeln (Essig-, 
Milch- und Fettsäure)* und durch ungewöhn¬ 
lichen Blutreichthum der Magenschleimhaut 
gereizt und erregt, wir finden deshalb in allen 
gastrischen Krankheiten Appetits Verstimmung 
und Widerwillen gegen Nahrungsaufnahme 
vor. Aus gleicher Ursache versagen die Thiere 
mit der Zeit die Aufnähme von faden, reiz¬ 
losen, erschlaffenden, schleimig-öligen, kleister- 
artigen, spiritushaltigen, gekochten, geschro- 
tenon und schwerverdaulichen Futtermitteln, 

. weil diese sie anekeln, wenn sie sich längere Zeit 
hindurch davon ernähren mussten. Bei Pferden 
beobachten wir dies besonders am nächsten 
nach Kleie und Getreideschrot. Die Brech¬ 
mittel wirken geliiul cgrrodirend und reizend 
auf die Magennerven; so verursachen Zine. 
und Cuprum sulfuricum, Tartarus stib., Salz¬ 
wasser, rad. Ipecacuanhae, rad. Veratri, rad. 
Hellebori nigri, rad. Asari europaei, fol. Gra- 
tiolae, Scilla maritima, Colchicum autumn., 
Apomorphin, Cydamin, Asclepiadin und Violin 
Uebelkeit und Erbrechen, nicht minder viele 
andere giftig und corrodirend wirkende Stoffe, 
auch der Harnstoff, der in urämischen Zu¬ 
ständen auf der Magen- und Darmschleimhaut 


— EKLAMPSIA. 

deponirt wird. Der Ekel kann,auch von einer. 
Reizung der Darmnerven ausgehen, wie wir 
dies bei Verstopfung des Leibes, bei Darm- 
invaginationen nnd incarcerirten Darmbrüchen 
und bei Eingeweidewürmern beobachten. Der 
Ekel kann aber auch von einer eigenartigen 
Erregung der Geschmacks-, Geruchs- und Seh¬ 
nerven ausgehen, die auf die Verzweigungen des 
Vagus reflectirt wird. Schon der Anblick ver¬ 
dorbener, gährender, faulender, übelriechender 
und widerlich aussehender Dihge vermag Ekel 
zu erregen, beim Menschen genügt hiezu oft 
nur die Vorstellung solcher Dinge. Als eine 
weitere Ursache des Ekels sind endlich noch 
Erschütterungen der Nervencentren und des 
Brechcentrums bei allgemeinen heftigen Körper¬ 
erschütterungen durch Niederstürzen, Fallen 
aus der Höhe etc. zu nennen. Das Gefühl des 
Ekels gibt sich durch Verschmähen des Futters, 
Zurücktreten Voi\ der gefüllten Krippe, Gähnen, 
Flehraen mit den Lippen, Aufstossen von Gasen, 
stärkere Speichelabsonderung und Würgen * zu 
erkennen. Immer ist der Ekel ein Begleiter 
der gastrischen Krankheiten. Bej dem Geflügel 
spricht sich Nausea ausserdem durch Sitzen 
an stillen Orten, Schäumen aus dem Schnabel 
und Brechneigung aus. 

Zur Beseitigung des Ekels genügt in den 
meisten Fällen die Regelung der diätetischen 
Verhältnisse, in hochgradigen Fällen kann 
völlige Nahrungsentziehung nöthig werden. 
Brechneigung indicirt die Application eines 
Vomitivs. Ist der Ekel mit Magenkatarrh, 
gastrischen Leiden, Indigestion etc. gepaart, 
so sind die bei diesen Krankheiten genannten 
Arzneimittel in Anwendung zu bringen* (S. auch 
„Appetitlosigkeit“, „Fresslust, abnorme“ und 
i,Erbrechen“.) Anacker. 

Ekkatharsis = Katharsis. 

Ekkephaiosi8 (abgel. v. ix, aus, und r t 
xe<pak7j, Kopf), die Enthirnung als geburts¬ 
hilfliche Operation. Sussdorf. 

Ekklisis (v. ixxXivetv, abweichen), Ausein¬ 
anderweichen gebrochener Knochenstücke. Sf 

Ekkoprosis (v. ixxoapoöy), Kothentleerung, 
dazu als adj. eccoprotioa sc. remedia, d. i. 
die Kothentleerung herbeiführende Mittel. Sf. 

Ekkrisis, tj exxp'3'g, die Absonderung, 
Ausscheidung in seltenen Zusammensetzungen, 
z. B. . 

Ekkrisiologia, die Lehre von den Ab¬ 
sonderungen; 

Ekkrisionomia, Gesetzmässigkeit der 
Absonderungen; 

Ekkrisioschesis, Zurückhaltung de;* 
Absonderungen etc. Sussdorf. 

Ekkyesis (abgel. v. ix, aus, und vj xu7ja:?, 
Schwangerschaft), die extrauterine Schwanger¬ 
schaft. Sussdorf. 

Eklampsia seu Eclampsis (von ix, nach 
aussen; Xapasiv, leuchten, strahlen) besteht • 
in Convulsionen einzelner Muskelgruppen mit 
Störungen der Psyche, vornehmlich des Be¬ 
wusstseins, öfter auch» mit Störungen in der 
Coordination der Bewegungen. Hieraus ergibt 
sieh, dass der Sitz des Leidens im Gehirn 
und in der Medulla oblongata, unter Umstän¬ 
den auch im Rückenmark zu suchen ist und 


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EKLAMPSIA. 


497 


auf anatomischen Veränderungen der Nerven- 
centren beruht. Die mit Erschlaffung ab¬ 
wechselnden krampfhaften Contractionen der 
Muskeln sind die Reflexerseheinungen einer 
Reizung des Gehirns, des Rückenmarks und 
der sensitiven Nerven. Der Reiz besteht hier 
in einer ungleichmässigen Vertheilung des 
Blutes, das Blut strömt in ungewöhnlich 
grossen Mengen zum Gehirn, die Gehirn- 
hyperämie setzt sich aber schnell in Anämie 
um, welche Muskelkrämpfe nach sich zieht. 
Häufig ist dabei eine abnorme Blutmischung 
mit im Spiele. Nach Nothnagel befindet sich 
ein motorisches Centrum für die Muskeln des 
Rumpfes und der Extremitäten in der Brücke, 
die Centren für die motorischen Hirnnerven 
enthält das verlängerte Mark, das Rückenmark 
ist ein Leitungs- und Reflexorgan. Plötzliche 
Reizung dieser Centren durch ungewöhnliche 
innere oder äussere Erregungen bewirkt eine 
Verengerung der Hirnarterien und damit Hirn¬ 
anämie mit nachfolgender venöser Stauun gs- 
hyperämie, verbunden mit Schwinden des Be¬ 
wusstseins und Muskelkrämpfen. Die Congestion 
zu den Gehirnhäuten erklärt das nervöse Auf¬ 
geregtsein der Patienten, die Hirnanämie und 
das Gehirnödem die menr oder weniger aus¬ 
gesprochene Bewusstlosigkeit und Schwäche 
und die Krämpfe. Man unterstellt einen zeit¬ 
weiligen Krampf der Häute der Hirnarterien. 
Prof. Franck nennt in seiner Geburtshilfe das 
Kalbefieber eine Eklampsia puerperalis (s. d.), 
die im Wesentlichen mit der Eklampsie desMen- 
schen identisch sei. Hochgradige Anämie des 
verlängerten Markes erregt das Krampfcentrum, 
es entstehen Krämpfe, Opisthotonus (Genick¬ 
krampf, von fortofl-e, nach hinten, und tovos, 
Spannung), Pleurothotonus (von icXtopov, Seite) 
und krampfhafte Bewegungen der Gliedmassen. 
Beim Menschen hat man an eine Zurückhaltung 
von Harnbestandtheilen im Blute, an einen 
urämischen Zustand gedacht (Frerichs, Litz- 
mann, Braun u. A.), nach Rosenberg und 
Traube sind jedoch die Ursachen der Eklampsie 
nur in abnormen Verhältnissen der Blutcir- 
culation im Gehirne bei erhöhtem Aortendrucke 
zu suchen, wie ihn der Gebäract mit sich 
bringt, während die Blutwässerigkeit der tra¬ 
genden Thiere zu Gehirnödem disponirt, Bidder 
und Munk vermochten durch Injectionen von 
warmem Wasser unter bestimmtem Druck in 
die Carotis augenblicklich Schlafsucht und 
Convulsionen zu erzeugen, sie nehmen deshalb 
an, dass Hydrämie und andauernder hoher 
Blutdruck die wesentlichen Factoren der 
Eklampsie bedingen; in der That sehen wir 
häufig die Thiere vor und nach der Geburt 
oder während des Säugens ihrer Jungen 
eklamptisch erkranken, dann auch junge 
Thiere. Nach Luciani ruft ein Reizungszustand 
eines einzelnen psychomotorischen Centrums 
der Hirnrinde nur Krämpfe in den von diesen 
abhängigen Muskeln, eine Reizung der ganzen 
Hirnrinde aber Epilepsie hervor, deren Cen¬ 
tralorgan die motorische Zone der Hirnrinde 
darstelle (cfr. Centralblatt für inedieinische 
Wissenschaft 1881). Nach Reizungen des 
Rückenmarks entstehen unter abnormen Vcr- 

Kocli. Encyklopfldie d. Thierb »ilkd. II. Bd. 


hältnissen ‘Reflexkrämpfe. Luchsinger consta- 
tirte durch seine Experimente, dass die Cen¬ 
tren des Rückenmarks auch durch überhitztes 
oder mit Kohlensäure Überladenes Blut unge¬ 
wöhnlich erregt werden; er sah an den hinteren 
Extremitäten theils klonische Krämpfe, theils 
Streckkrämpfe Eintreten, wenn er Katzen das 
Rückenmark und alle sensibeln Wurzeln hinter 
dem letzten Brustwirbel durchschnitt und die 
Sauerstoffaufnahme verhinderte. Erwärmung 
des Blutes auf 40° C. ergab das gleiche Re¬ 
sultat. In Uebereinstimmung hiemit verfallen 
öfter ermüdete, strapezirte und nervös abge¬ 
spannte Thiere in Eklampsie, ebenso Hündinnen, 
wenn sie viele Junge säugen müssen, die be¬ 
ständig an den Zitzen herumsaugen, selbst 
wenn keine Milch im Euter vorhanden ist. 
Ich sah eine frischmelkende Kuh in Convulsionen 
und Koma verfallen," sobald sie gemolken 
wurde; die Bewusstlosigkeit trat in dem Grade 
ein, dass der Kopf auf die Krippe gestützt, 
die Augen geschlossen wurden und das Thier 
schlaftrunken nach seitwärts umzufallen drohte. 
Die Eklampsie befällt in der Regel nur jüngere, 
zart organisirte, leicht nervös erregbare Thiere, 
eine grössere Disposition dazu lassen weibliche 
milch ergiebige Thiere nach der Geburt, sel¬ 
tener schon vor der Geburt erkennen, die 
Disposition wird durch den Aufenthalt in 
heissen, dunstigen, schlecht ventilirten Stallun¬ 
gen gesteigert. Albrecht (cfr. der Thierarzt 
pro 1880) beobachtete die Krankheit bei Rin¬ 
dern und Ziegen nur in den Wintermonaten, 
in denen die Ställe in der Regel geschlossen 
werden, um sie warm zu halten. Hautreize, 
Wunden, gastrische Zustände, Anschoppungen 
von Fäcalien im Darm, acute Erkrankungen, 
Würmer im Darmcanal, intensive Ernährung 
bei vieler Ruhe, starke Erkältungen und hef¬ 
tige Gemüthserregungen geben Gelegenheits¬ 
ursachen bei den disponirten Thieren ab. Die 
Disposition ist in vielen Fällen eine ererbte. 
Der Reiz wird mithin häufig von der Haut 
oder vom Darmcanale aus reflectorisch auf die 
Krampfcentren übertragen. Röll (Pathologie 
und Therapie der Hausthicre) führt als Ur¬ 
sachen der Convulsionen bei Ferkeln raschen 
Futterwechsel, bei Katzen Bleivergiftung, bei 
jungen Hunden das Zahnen — Richter-Zorn (der 
Landwirth als Thierarzt) bei Schweinen den 
Genuss von Häringslake, Pökelbrühe etc. an. 
Nach Vergiftungen mit Nux vomica oder 
Strychnin treten zwar auch Convulsionen ein, 
aber der Krampf ist hier ein tetanischer, die 
Spannung in den Muskeln mehr anhaltend, 
auch treten hier Reflexkrämpfe viel leichter 
und heftiger ein als bei der Eklampsie. Nahe 
verwandt ist die Eklampsie mit der Epilepsie, 
man hat sie deshalb auch acute Epilepsie 
genannt; bei ihr erfolgen die periodischen 
Krampfanfälle schnell auf einander, ohne nach 
eingetretener Reconvalescenz zu recidiviren, in 
der chronischen oder eigentlichen Epilepsie 
ereignen sich die Anfälle zeitlebens in grossen, 
krankheitsfreien Intervallen. 

Symptome. Die Krankheit kann alle 
unsere Hausthicre befallen, am häufigsten w ird 
sie aber bei jungen Hunden, Katzen und 

32 



498 


EKLAMPSIA PUERPERALIS. - 


Ferkeln beobachtet, seltener bei jungen Kühen 
3 — 14 —21 Tage nach dem Kalben. In der 
Regel bricht sie plötzlich und unverhofft her¬ 
vor, höchstens machen sich als Prodromen 
Unlust zum Fressen, Abgeschlagenheit und 
Steifheit in den Bewegungen oder unsichere/, 
schwankender Gang, wohl auch^unsteter Blick, 
grössere Unruhe und Aufregung bemerklich. 
Mit dem Eintritte des Krampfes halten die 
Patienten den Kopf theils gesenkt oder stützen 
ihn auf festen Gegenständen im Stalle, z. B. 
auf der Krippe, theils sieht man ihn nach der 
Seite hin verzogen, wobei Sich die Muskefti 
des Halses contrahirt und hart anfühlen, die 
Patienten mehr oder weniger bewusstlos sich 
benehmen, zittern, eine erweiterte Pupille er¬ 
kennen lassen, beim Gehen wanken, nach seit¬ 
wärts oder auch vorwärts drängen; es stellen 
sich .bald leiöhte Zuckungen in den Gesichts¬ 
muskeln und an den Extremitäten ein, wobei 
die Thiere liegen; öfter strecken sie die Beine 
steif von sich, während die Augen verdreht 
und mit dem Kiefer kauende Bewegungen 
gemacht werden, so dass sich Schaum bildet, 
der zwischen den Lippen hervorquillt, oder 
Kopf und Hals verzogen erscheinen. In anderen 
Fällen hört man während der Anfälle Zähne¬ 
knirschen und Stöhnen, Ziegen wimmern und 
schreien zuweilen ganz jämmerlich, Kühe 
lecken sich beständig bestimmte Körperstellen, 
z. B. die Seiten, die Schulter, das Flotzmaul, 
oder sic belecken auch die Krippe. Andere 
Patienten schlagen und stampfen mit den 
Füssen oder machen mit ihnen, wenn man 
sie zum Gehen zwingt, unregelmässige Bewe¬ 
gungen und fallen um. Die Respiration ge¬ 
schieht während des Anfalles beschleunigter, 
der Herzschlag wird stüjmisch, der Puls 
ist meistens seiner Zahl nach nicht sehr 
alterirt, wohl aber seiner Qualität nach, denn 
er fühlt sich theils hart, theils klein und 
schwach an. Der Appetit ist gewöhnlich ganz 
unterdrückt, die Patienten verschmähen jedes 
Futter, die Defäcation ist verzögert, der ab¬ 
gesetzte Harn enthält Albumin, zuweilen er¬ 
folgt der Harnabsatz unwillkürlich; die Mast- 
darmteraperatur ist die normale, öfter geht 
ste unter die Norm herab, wenigstens fühlen 
sich die Extremitäten dann mehr kalt an. Die 
Krämpfe halten bald nur einige Minuten, bald 
einige Stunden und darüber hinaus an, sie 
hinterlasaen für kurze Zeit Mattigkeit, öfter 
auch Torpor und Sopor, meistens aber kehrt 
die normale Empfindung, überhaupt der nor¬ 
male Zustand nach dem Anfalle zurück; der¬ 
selbe kann bereits nach einigen Minuten oder 
Stunden wiederkehren, aber auch während 
einiger Tage fast ununterbrochen anhalten, 
in welchem Falle alsdann der Tod nach 
1—3*Tagen einzutreten pflegt ; er jst die Folge 
einer Erstickung durch Glottiskrampf oder 
einer Paralyse und Apoplexie durch Hirn¬ 
blutung. Beunruhigung der Patienten . durch 
Geräusche oder Berührung ihres Körpers ruft 
gern neue Recidive hervor. Je länger die Re- 
cidive anhalten, je stärker der tonische Krampf 
ist, desto schlechter ist es mit der Recon- 
valescenz bestellt; in solchen Fällen ist der 


letale Ausgang fast die Regel, sonst ist 
Heilung zu erhoffen. Albrecht (1. c.) sah bis¬ 
weilen, dass die Eclampsie geringgradig anfing, 
tagelang in derselben Weise anhielt, dass 
sich dann nach 8—10 Tagen ein oder zwei 
sehr heftige Anfälle einstellten, worauf die 
Krankheit wie abgeschnitten war; ihre 
Dauer kann 1—seltener bis 18 Tage 
betragen. 

äectionserscheinungen sind: Starke 
Gefässinjection der Meningen, Blutanhäufung 
in den Blutleitern, kleine' Blutextravasate auf 
der Pia mater und im Gehirn oder an der 
Basis des verlängerten Markes auf der einen 
pder anderen Seite, bald mehr in der Nähe des 
Kleinhirns, bald mehr in der Nähe der Brücke, 
in deren Umgebung die Hirnsubstanz ödematös 
erweicht ist. Oedem ist öfter im Gehirn, ver¬ 
längerten Mark, und seröses Transsudat dn den 
Arachnoidalräumen und Hirnventrikeln zu 
constatiren. Zuweilen sind die Furchen des 
kleinen Gehirns verflacht, seine Läppchen 
atrophirt, der Wurm breiartig' erwerbt, die 
hinteren Schenkel vollständig zerstört. Die 
Ursachen dieser Läsionen sind in Circulations- 
störungen und Gefässembolie zu buchen. 

Behandlung. Ruhe ist oft das beste 
Remedium, selbst das Eingeben der Arzneien 
vermag den Zustand zu verschlimmern. Man 
will mit scharfen Ableitungen am Grunde der 
Ohren oder an den Seitentheilen des Halses 
(Kanthariden, Senf, Crotonöl), Purganzen und 
gelind reizenden Klystieren, namentlich mit 
krampfstillenden Mitteln, wie Zincum valeria- 
nicum, aqua Laurocerasi, Aether, Chloral- 
hydrat, Chloroform, Morphium, Morphiura- 
injectionen, ferner mit Aconit- oder Digitalis- 
tinctur gute Erfolge gehabt haben. Von den 
säugenden Mutterthieren sind die Jungen zu 
entfernen, auch ist die Diät zweckentsprechend 
zu regeln. Gastrische Zustände, Eingeweide¬ 
würmer und Vergiftungen sind ihrer Art nach 
zu behandeln. Bei jungen Hunden leisten mit¬ 
unter warme Bäder gute Dienste. Anacker. 

Eklamp8ia puerperplis (v. exkajiiretv, her¬ 
vorleuchten, Krampf erzeugen, und von puer, 
Knabe, Kind), Kalbefiebcr, auch paralytisches 
Gebärfieber, Gebärapoplexie, Milchfieber, Schlaf¬ 
krankheit u. s. w. geheissen, ist eine meist in 
den ersten vier, auf eine fast ausnahmslos leicht 
und rasch von statten gegangene Geburt 
folgenden Tagen plötzlich auftretende, rasch 
und meist ungün&tig verlaufende, namentlich 
beim Rinde, besonders bei den sehr milch¬ 
reichen, der beständigen Stabulation unter¬ 
worfenen Thieren ziemlich häufige Krankheit, 
die ihren Sitz im Gehirne und Rückenmarke 
sowie in den Gangliennerven hat und sich durch 
Bewusstlosigkeit (Schlafsucht) und verschieden 
hochgradige Paralyse, weit seltener durch 
Krämpfe charakterisirt.Der Name eklamptisches 
Gebärfieber ist insofern nicht ganz richtig, als er 
das Symptomenbild, wenigstens bei der Kuh, 
nicht deckt. Wohl kommt die Eklampsie hin und 
wieder bei säugenden Hündinnen vor; dagegen 
ist bei kalbefieberkranken Kühen das Auftjeten 
einer eigentlichen Eklampsie, d. h. das Auf¬ 
treten von periodischen tonisch-klonischen 



EKLAMPSIA PUERPERALIS. 


499 


Krämpfen, wodtlrch sich bei der Frau die 
Eklampsie so ausgeprägt charakterisirt, eine 
ungemein seltene Erscheinung. Auch der Name 
Kalbefieber ist ein unglücklich gewählter, da 
ja bei dieser paralytischen Krankheit fast 
durchwegs jede Spur von Fieber fehlt, dagegen 
eine hochgradige Niederstimmung sämmtlicner 
Functionpn, niedrige Körpertemperatur, verlang¬ 
samtes Athmen vorherrschen und der anfänglich 
langsame oder normal rhythmische Puls erst 
später, namentlich bei ungünstigem Verlaufe 
der Krankheit, beschleunigt wird. Dann kommt 
ja die Krankheit nicht nur beim Rinde, son¬ 
dern auch bei anderen Hausthieren, besonders 
beim Hunde, vor. Wenn aüch in weitaus den 
meisten Fällen das Kalbefieber mit dem Gebär¬ 
acte in engem Zusammenhänge steht, so kann 
dasselbe doch auch unter Verhältnissen schon 
vor der-Geburt auftreten. Mit Rücksicht auf 
das Symptomenbild, die Natur und den causalen 
Zusammenhang des sog. Kalbefiebers mit dem 
Gebäracte dürfte diese puerperale paralytische 
Erkrankung wohl am richtigsten mit der Be¬ 
nennung Gebärparalyse bezeichnet werden. 

Erscheinungen und Verlauf. Die 
Krankheit ‘erfolgt stets plötzlich, ohne Vor¬ 
boten, einen, zwei bis drei Tage — selten 
später — nach einer leichten, rasch und fast 
immer ohne menschliche Beihilfe erfolgten 
Geburt und fast ausschliesslich bei Kühen, bei 
denen die Placenta bald nach der Geburt ab¬ 
gegangen ist. Hin und wieder tritt die Krankheit 
auch schon vor oder während der Geburt, 
•dann auch wieder, zwar höchst selten, erst 
8—12 Tage nach derselben auf. Der Anfang 
der Gebärparalyse, der meist übersehen wird, 
charakterisirt sich durch folgende Symptome: 
Unruhe des Thieres, Hin- und Hertrippeln, 
matter, unsicherer, schwankender Gang, häu¬ 
figes Heben und Aufsetzen der Hinterfüsse, 
meist mehr oder minder lange andauernder 
Fieberfrost; Stöhnen: die Thiere vermögen sich 
bald nicht mehr auf den Füssen zu erhalten, 
sie legen sich nieder oder stürzen zu Boden, 
machen anfangs .noch Versuche zum Auf¬ 
stehen, die jedoch meistens missglücken; es 
hat sich Lähmung eingestellt. Nur selten zeigen 
sich bei ^der Kuh eklamptische Zufälle, be¬ 
stehend m convulsivischen Bewegungen des 
Kopfes und des Halses, Zufälle, die stets nur 
von ganz kurzer Dauer sind und einem sopo¬ 
rösen Zustande weichen. Es stellt sich fast 
immer rasch vollständige Hinfälligkeit und 
Bewusstlosigkeit ein; die Kühe liegen mit 
halbunterschlagenen Schenkeln auf der Seite 
und stützen den rückwärts gebogenen Kopf 
auf die Brustwandung. Hebt man den Kopf 
in die Höhe, so fällt er wieder kraftlos nieder 
und in die vorige Lage zurück; manchmal 
ruht er auch schlaff auf dem'Boden. Die Thiere 
sind vollständig theilnahmslos für die Um¬ 
gebung; das Auge ist halb geschlossen, der 
Blick stier, die Augäpfel nach unten gerichtet. 
Die Empfindlichkeit ist bald gänzlich' ver¬ 
schwunden; man kann die Kranken in den 
Ohren kitzeln, mit dem Finger den Augapfel 
berühren, ihnen an sonst sehr empfindlichen 
Stellen Nadelstiche beibringen, ohne dass sie 


dagegen reagiren. Ohren, Hörner und Fiisse 
sind und bleiben kühl, selbst wenn der Frost¬ 
schauer längst vorüber ist. Die Schleimhäute 
sind blass. Die häufig thränenden Augen sind 
tief in ihre Höhlen zurückgezogen. Der Puls 
ist anfangs fast immer normal, bloss hin und 
wieder etwas verlangsamt; anfänglich voll und 
deutlich fühlbar, wird er mit der- Steigerung 
der Krankheit schwach, unregelmässig und 
schliesslich unfühlbar; er wird bald beschleu¬ 
nigter, steigt auf 80, 90, 100 und selbst mehr 
Schläge in der Minute. Das Athmen ist an¬ 
fänglich nur wenig verändert, wird aber bald 
unregelmässig, ist selten beschleunigt, sondern 
meist verlangsamt, tief ziehend, zuckend, 
stöhnend und röchelnd (Vaguslähmung). Das 
Maul ist kalt und speichelreich, klebrig. Fress¬ 
lust und Wiederkauen sind gänzlich «dahin; 
die Peristaltik liegt völlig danieder; Darm¬ 
geräusche fehlen; die Mistentleerung ist- auf¬ 
gehoben; der Hinterleib wird bald und stets 
durch Gase, die sich im Wanste und Darm- 
canale entwickeln, aufgetrieben; es erfolgt 
häufig Rülpsen; das Schlingen ist erschwert, 
ja wird bald wegen eingetretener Zungen- und 
Schlundkopflähmung ganz unmöglich. Beim 
Aufstossen von Magengasen werden Futter- 
bestandtheile aus dem Magen in die Rachen¬ 
höhle zurückgeführt und gelangen bei dem 
aufgehobenen Schlingvermögen leicht in die 
Luftröhre. Auch die Eingüsse gelangen aus 
dem gleichen Grunde sehr leicht in die Luftröhre. 
Von daher stammen die bei der Gebärparalyse 
so häufig vorkommenden Fremdkörper-Pneu¬ 
monien. Die Harnentleerung ist stark ver¬ 
zögert, erschwert, ja sehr oft gänzlich sistirt. 
Das Euter fühlt sich fast durchwegs Welk an; 
die Milchsecretion ist beständig vermindert, in 
manchen Fällen selbst gänzlich versiegt. Die 
anfänglich normale Körperwärme sinkt bei 
ungünstigem Verlaufe rasch und in sehr be¬ 
trächtlicher Weise; das Thermometer zeigt 
zuweilen blos noch eine Mastdarm-Temperatur 
von 36° C. und selbst noch weniger. Im Ver¬ 
laufe der Krankheit stellen sich bisweilen 
Krämpfe des Halses und Verbiegungen des¬ 
selben ein. 

Der Verlauf des sog. Kalbefiebers ist ein 
sehr acuter. Innerhalb weniger Stunden ist die 
Krankheit ausgebildet, und nach 12 Stunden 
bis 1 oder 2 Tagen ist fast ohne Aus¬ 
nahme ihr Ausgang entschieden, indem sie’ in 
Genesung oder Tod übergeht. Erfolgt die 
Genesung, was oft plötzlich und unerwartet, 
auch erst nach 2 oder 3—5 Tagen statt¬ 
hat, so kündigt sich dasselbe durch Rück¬ 
kehr der Empfindlichkeit und Aufmerksam¬ 
keit, durch Heben des Kopfes, wieder freies 
Umherschauen, durch das Sichwiedereinstellen 
der peristaltischen Bewegungen, durch den 
Wiederabsatz des Mistes und die Entleerung 
des Harns, durch das Wiederregewerden' des 
Durstes, Appetites und des Wiederkauens, 
durch die Rückkehr des Schlingvermögens und 
der normalen sich nähernde peripherische 
und innere Körperwärme an. Das Thier steht 
wieder auf, ist nach einem oder zwei Tagen 
meist wieder völlig hergestellt und gibt wieder 

32 ♦ 



500 


EKLAMPSIA PUERPERALIS. 


Milch wie vor dem Eintritte der Krankheit. 
Geht die Krankheit in den Tod über, so wird 
der Schlafzustand und die Unempfindlichkeit 
immer stärker, und die in einer förmlichen 
Lethargie liegenden Thiere werden zuweilen 
durch ein unruhiges Hin- und Herwerfen des 
Kopfes aus derselben aufgeschreckt und sterben, 
falls sie nicht vorher geschlachtet werden, in 
der Regel so ruhig, dass der Eintritt des 
Todes kaum wahrgenommen wird; zuweilen 
verenden sie apoplektisch oder unter Convul- 
sionen. 

Die Prognose muss immer mit grosser 
Vorsicht gestellt werden; sie ist im Grossen 
und Ganzen eine ungünstige; wenigstens die 
Hälfte der kalbfieberkranken Thiere ist ver¬ 
loren. Selbst scheinbar leichte Fälle nehmen 
oft einen ungünstigen Verlauf, während um¬ 
gekehrt sehr schwere Fälle öfter plötzlich in 
Genesung übergehen. Je früher die Krankheit 
nach erfolgter Geburt sich einstellt, um so 
unglücklicher, je später nach der Geburt, 
um so günstiger ist der Verlauf. Je stärker 
der komatöse Zustand ausgesprochen, um so 
ungünstiger ist der Verlauf. Freierwerden der 
Psyche, Wiederabgang von Mist und Harn, 
Verlangen nach Futter und Getränke bilden 
sehr günstige prognostische Anzeichen. Die 
Besserung vollzieht sich öfter unerwartet 
schnell, die Thiere erwachen plötzlich aus 
ihrer Lethargie und fangen an zu fressen. 
Eine üble Complication des Kalbefiebers ist 
die durch Verschlucken häufig entstehende 
Fremdkörper-Pneumonie, an welcher nach¬ 
träglich noch viele Kühe sterben, welche that- 
sächlich vom Kalbefieber genesen sind. In 
einigen Fällen bleibt auch während längerer 
Zeit eine paralytische Schwäche der Nachhand 
zurück. 

Weniger gefährlich als beim Rinde ist 
die Gebärparalyse beim Schweine (Ferkel¬ 
fieber) und bei der Hündin (Eklampsie), bei 
welchen Thieren die Symptome der Paralyse 
und des Torpors nicht so hochgradig als bei 
ersterem ausgesprochen sind. 

Die Diagnose ist beim Kalbefieber un¬ 
schwer zu stellen; das so charakteristische 
Symptomenbild lässt bei auch nur einiger Auf¬ 
merksamkeit keine Verwechslungen mit an¬ 
deren Krankheiten zu. Das fast nur bei der 
Kuh und fast nur nach einer erschwerten 
Geburt vorkommende Festliegcn unterscheidet 
sich vom Kalbefieber sehr deutlich dadurch, 
dass bei ihm die Paralyse keine vollständige, 
dass kein komatöser Zustand zugegen ist, 
dass die Thiere bei vollem Appetite sind und 
dass die Excretionen normal vor sich gehen. 

Sectionsergebnisse. Die Section von 
Rindern, die an der Gebärparalyse verendeten 
oder in Folge deren geschlachtet wurden, er¬ 
gibt keine solchen krankhaften Veränderungen, 
weldhe die während des Lebens beobachteten 
Erscheinungen auch nur einigermassen er¬ 
klären Hessen. Die Sectionsergebnisse sind 
meist negativer Natur. Von Entzündung zeigt 
sich nirgends eine Spur, weder im Cerebro¬ 
spinalsystem, noch in den Sexual- und 
Digestivapparaten, noch irgend anderswo. Der 


Uterus ist normal und gehörig, ja meist stark 
contrahirt. Die Verdauungsorgane tragen kaum 
Veränderungen an sich. Der Wanst ,ist meist 
mit Gasen stark erfüllt, der dritte Magen 
fast ausnahmslos sehr hart anzufuhlen und 
mit einem höchst trockenen, zerreibbaren In¬ 
halte an gefüllt, welcher Zustand nichts als 
eine secundäre Erscheinung, d. h. eine Folge 
der Lähmung" des Ganglien-Nervensystems ist. 
Die Lungen sind normal, zum Theil emphy- 
sematisch, oder zeigen die Erscheinungen der 
Fremdkörper-Pneumonie in ihren verschie¬ 
denen Stadien. Die Untersuchung des Gehirnes 
und Rückenmarkes sowie deren Häute von 
verendeten Thieren — die Untersuchung des 
Gehirnes bei durch dessen Zertrümmerung 
getödteten Thieren kann selbstverständlich 
nichts Belehrendes, Positives zu Tage fördern 
— ergibt keine constanten und identischen Re¬ 
sultate. Das Gehirn ist dem Anscheine nach 
meist normal. Während Einige, u. A. Bragard, 
Festal, Fabry, Lecouturier, Saake und Anacker 
die Meningen von starken Gefässinjectionen 
durchzogen und namentlich die Pia mater an 
den Umflächen des Grosshirnes bis zum ver¬ 
längerten Marke hin mit Blutaustretungen 
verschiedentlich besetzt wollen gesehen und 
unter der harten Hirnhaut in den Arachnoidal- 
räumen, in den Gehirn Ventrikeln, sowie in 
der Rückenmarkshöhle seröse Transsudationen 
angetroffen haben, sahen Andere nichts der- 
leichen. Zuweilen fand man venöse Blutfülle, 
ann wieder, u. zw. zumeist Anämie und seröse 
Durchfeuchtung des Gehirns und Rücken¬ 
marks. Noquet will als hauptsächlichste Läsion 
eine Hyperämie des Rückenmarks, besonders 
der Lendenportion desselben beobachtet haben. 
Carter, Noquet u. A. notirten ferner eine Alte¬ 
ration der Nerven des Hüftgefleclites. Binz will 
blutige Infiltrationen längs des Grenzstranges 
vom Sympathicus wahrgenommen und Anacker 
eine Hyperämie und seröse Durchfeuchtung 
dieses Nerven beobachtet haben. Es herrscht 
somit unter den Autoren die grösste Diver¬ 
genz bezüglich der Hauptläsionen beim Kalbe¬ 
fieber und ist die pathologische Anatomie bei 
dieser Krankheit noch so viel als völlig neu 
zu schaffen. 

Ursachen. Die Gebärparalyse hängt, 
wie es schon der Name besagt, aufs engste 
mit dem Geburtsvorgange zusammen. Die¬ 
selbe stellt sich mit nur höchst seltenen 
Ausnahmen immer nur ganz kurze Zeit, inner¬ 
halb 10—36 Stunden, und durchweg nur nach 
leichten, raschen Geburten und fast nur bei 
Kühen, bei denen die Nachgeburt abgegangen, 
ein. Die schnelle Entleerung des Leibes und 
die unter solchen Umständen sich rasch voll¬ 
ziehende Contrahirung des Uterus scheinen 
da, wo noch andere, die Entstehung des 
Kalbefiebers begünstigende Momente vor¬ 
handen sind, die Einwirkung dieser in hohem 
Grade zu verstärken. An und für sich ver¬ 
mögen ein leicht und rasch sich vollziehender 
Geburtsact und die dadurch bedingte rasche 
Zusaramenziehung der Gebärmutter keines¬ 
wegs die Gebärparalyse zu veranlassen, denn 
in sehr vielen Gegenden, wo solche physio- 



EKLAMPSIA PUERPERALIS. 501 


logische Vorgänge ebenso häufig als anderswo 
statthaben, ist das sog. Kalbefieber kaum 
dem Namen nach bekannt. Noch andere Ver¬ 
hältnisse sind von wesentlichem Einflüsse 
auf den Ausbruch dieser noch immer so 
räthselhaften Krankheit. Diese Zustände liegen 
wesentlich in den constitutionellen und physio¬ 
logischen Verhältnissen der Thiere und in 
der dadurch geschaffenen individuellen Anlage 
oder Prädisposition derselben zur Ausbildung 
dieser Krankheit. Eine prädisponirende indi¬ 
viduelle Anlage besitzen plethorische, wohl¬ 
beleibte, fein beschaffene, vorzügliche Milch¬ 
kühe. Eine so viel als absolute Ruhe, d. h. 
eine beständige, die Thiere verweichlichende 
Stabulation in Gemeinschaft mit einer sehr 
reichlichen und zugleich mastigen, die Ver¬ 
dauungsorgane, überhaupt die ganze Körper¬ 
constitution stark erschlaffenden, aber die 
Milchsecretion sehr stark betätigenden Fütte¬ 
rung, wie dies namentlich bei reichlicher Oel- 
kuchen-, Malz- und Schlempefütterung der 
Fall ist, wodurch die Kühe zu reinen Milch¬ 
maschinen gemacht werden, machen diese zur 
Ausbildung der Gebärparalyse besonders prä- 
disponirt. In* Gegenden, wo die Rinder auf 
die Weide geführt werden, namentlich in Ge¬ 
genden, wo reine Alpenwirthschaft besteht 
und die Thiere nur naturgemässes, die Milch¬ 
absonderung nicht übermässig betätigendes 
Futter verzehren, und wo sie zugleich durch 
den Weidegang abgehärtet werden, ist diese 
Krankheit umgekehrt ungemein selten oder gar 
nicht bekannt, trotzdem doch hier ebenso 
viele Kühe ebenso leicht und rasch kalben, 
als dies bei den dem beständigen Stallaufent¬ 
halte unterworfenen und zu mastig, nicht 
mehr naturgemäss gefütterten Thieren der 
Fall ist. Auch die zur Feldarbeit verwendeten 
Thiere bleiben vom Kalbefieber verschont. 
Dafür, dass die Gebärparalyse mit einer 
reichlichen Milchsecretion in einem gewissen 
Causalverhältniss steht, scheint auch der Um¬ 
stand zu sprechen, dass sich dieselbe sozu¬ 
sagen ausschliesslich in derjenigen Lebens¬ 
periode einstellt, in welcher die Kühe auf der 
Höhe der Milchsecretion stehen, nämlich erst 
nach der dritten oder vierten Geburt. 

Gelegcnheitsursachen. Alle bisher 
beschuldigten eigentlichen, das Kalbefieber 
veranlassenden oder Gelegenheitsursachen 
sind so viel als völlig problematischer Natur. 
So verhält es sich mit der von sehr Vielen 
beschuldigten Erkältung der Thiere. Die 
durch äussere Erkältungen veranlasste Unter¬ 
drückung der nach der Geburt regen Haut- 
thätigkeit und der dadurch bedingte verstärkte 
Aortendruck genügen an und für sich nicht 
zur Erklärung der Entstehung der Gebär¬ 
paralyse. Wohl mag in Fällen, wo die für 
die Entwicklung der Gebärparalyse prädis- 
ponirenden constitutionellen und physiologi¬ 
schen Verhältnisse zugegen sind, die Erkältung 
ein die Entwicklung dieser Krankheit unter¬ 
stützendes, begünstigendes Moment bilden, 
eine eigentliche Gelegenheitsursache ist sie 
aber nicht. Völlig hypothetischer Natur ist 
sodann die von Einigen beschuldigte oder 


behauptete Intoxication der Blutmasse in 
Folge Aufnahme putrider Stoffe vom Uterus 
aus, zur Stützung welcher Hypothese bisnun 
nicht der geringste Beweis erbracht ist. Die 
Gebärparalyse der Kuh hat mit dem eigent¬ 
lichen Puerperalfieber, das eine vom Uterus 
oder der Scheide ausgehende Septicämie dar¬ 
stellt, nichts gemein. Nicht minder hypothe¬ 
tisch ist die als Ursache des Kalbefiebers 
beschuldigte Unterdrückung der Lochien. 
Völlig unbegründet ist endlich die Beschuldi- 
ung, die Entfernung des Jungen gleich nach 
er Geburt von der Kuh und die dadurch 
verursachte Sehnsucht nach demselben bilde 
ein ursächliches Moment. Die eigentlichen 
Gelegenheitsursachen des sog. Kalbefiebers 
sind, abgesehen von dem Geburtsvorgange, 
zur Zeit noch völlig unbekannt. Alles, was 
wir über die ursächlichen Momente wissen, 
lässt sich in Kürze in Folgendem zusammen¬ 
fassen: Die Gebärparalyse befällt die frisch, 
leicht und rasch gekalbten, plethorischen, 
wohlbeleibten, durch eine beständige Stabu¬ 
lation verweichlichten, fast ausnahmslos sehr 
milchreichen Kühe, deren Constitution durch 
eine zu üppige, zu mastige, namentlich die 
Verdauungswege erschlaffende, zu sehr milch¬ 
treibende Fütterung stark geschwächt ist. 
Alles Weitere gehört in das Gebiet der 
Hypothesen. 

Wesen. Da bei der Gebärparalyse die 
pathologische Anatomie noch zu gründen, die 
wirklichen veranlassenden oder Gelegenheits¬ 
ursachen noch aufzufinden sind, so kann 
selbstverständlich erst nach Verwirklichung 
dieser beiden Haupterfordernisse von einer 
zuverlässigen Feststellung des Wesens des 
paralytischen Kalbefiebers die Rede sein. Von 
der Unmasse der zur Erklärung der nächsten 
Ursache oder des Wesens dieser Krankheit auf- 
gestellten Hypothesen kann keine befriedigen. 
Die bisher verzeichneten, am Cadaver Vor¬ 
gefundenen makroskopischen Läsionen sind 
theils so unbeständiger, theils so geringfügiger 
Natur, dass sie keinen auch nur einiger- 
massen sicheren Anhaltspunkt zur Erklärung 
des Wesens und des klinischen Bildes der 
Gebärparalyse bei der Kuh darbieten. In 
zahlreichen Fällen fehlt zudem jede Spur 
einer organischen Alteration, namentlich des 
Nervensystems. Der so häufige rasche Wieder¬ 
eintritt der Gesundheit schliesst überdies 
das Bestehen schwerer materieller Störungen 
des Cerebrospinal- und Gangliensystems 
aus. Mikroskopisch festgestellte Alterationen 
dieser Organe fehlen gänzlich. Zufolge dem 
klinischen Bilde, dem so viel als meist nega¬ 
tiven Obductionsbefunde, sowie zufolge dem 
raschen Verlaufe, namentlich dem so häufigen 
schnellen Eintritte der Genesung in scheinbar 
selbst verzweifelten Fällen, scheint das Wesen 
in einer hochgradigen functionellen Störung 
des Gehirnes und Rückenmarkes, in einer 
anfänglichen hochgradigen Abspannung der 
cerebrospinalen Innervation zu beruhen, 
welcher Zustand sich sehr rasch auf die 
sympathischen Centren überträgt, d. h. da 
solche Zustände erzeugt, die einen hemmenden 


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m EKLAMPSIA PÜERPERALIS. 


Einfluss auf die natürliche Erregung der vom 
Sympathicus innervirten Organe (Muskeln und 
Drüsen) ausüben. Franck erblickt das Wesen 
des Kalbefiebers in einer anfänglichen Gehirn- 
congestion, in einem dadurch erzeugten Ge- 
hirnödera mit nachfolgender Anämie und einer 
hiedurch gesetzten plötzlichen Ernährungs¬ 
störung des Gehirnes. Anacker legt das 
Hauptgewicht bezüglich der Pathogenese auf 
eine Congestion zum Gehirn und Rücken¬ 
marke. Die Hyperämie dieser Nervencentren 
schlage jedoch bald in das Gegentheil um, 
indem die erweiterten und erschlafften Gefässe 
aus dem mit wässerigen Bestandtheilen über¬ 
ladenen Blute Serum austreten lassen, wo¬ 
durch die Functionen des Gehirnes, des ver¬ 
längerten und des Rückenmarkes, später auch 
die des Vagus unterdrückt, paralysirt wer¬ 
den (Torpor, Koma, Rückenmarks-Paralyse, 
Schlund und Dannlähmung, verlangsamte Re¬ 
spiration, Pulsfrequenz). Weder die eine noch 
die andere dieser Anschauungen kann befrie¬ 
digen. Es ist nicht gut einzusehen, warum 
eine solche Hyperämie mit solch plötzlich ent¬ 
stehendem Hirn- und Rückenmarksödem und 
nachfolgender Anämie blos zu einer bestimmten 
Zeitnach einem durchweg leichten und raschen 
Geburtsacte und nicht auch zu anderen Zeiten, 
und nur bei plethorischen, wohlbeleibten, 
milchreichen, durch die beständige Stabulation 
verweichlichten Kühen und nicht auch bei 
solchen, die sich unter anderen Verhältnissen 
befinden, einstellen soll. Dann liesse sich 
ferner auch der so häufige rasche, fast plötz¬ 
liche Eintritt der Genesung bei einem Be¬ 
stehen solcher Transsudate die aber in 
Wirklichkeit sich selten vorfinden — physio¬ 
logisch schwer erklären. Violet betrachtet 
das Kalbefieber in den meisten Fällen als 
eine einfache Gehirncongestion, glaubt jedoch, 
dass auch hin und wieder eine mehr oder 
weniger starke Rückenmarks-Congestion be¬ 
stehe, welche über die Lähmung des Ganglien¬ 
systems Aufschluss gebe. Völlig unhaltbar ist 
die von Mathd u. A. supponirte Untätig¬ 
keit des Uterus und der dadurch bedingte 
Stillstand des Lochialflusses. Die Annahme 
Harra’s, das Wesen des Kalbefiebers bestehe 
in einer Aörämie, hat keine wissenschaftliche 
Basis. Es ist nicht begreiflich, wie bei den 
normalen Geburten beim Rinde Luft in die 
Venen eindringen könne, da nirgends eine 
Verwundung bei denselben sich einstellt. 
Ueberdies lehrt die Physiologie, dass in den 
kleinen Venen, wie sie in der Uterusschleim¬ 
haut in Betracht fallen, stets noch ein geringer 
positiver Druck vorhanden ist, der den Ein¬ 
tritt von Luft in die Blutgefässe verhindert. 

Nach Schmidt-Mülheim sollen sich alle 
Symptome des Kalbefiebers, so verschiedenartig 
und verwickelt sie auch immer erscheinen 
mögen, ganz einfach und ungezwungen aus 
einer lähmungsartigen Schwäche sowohl der 
willkürlichen als der glatten Muskulatur ab¬ 
leiten lassen, weshalb er diese Krankheit mit 
dem Namen Gebärparese bezeichnen möchte. 
Er erblickt die Ursache des Kalbefiebers in 
einer schädlichen Substanz, die eine lähmungs¬ 


artige Wirkung sowohl auf die quergestreifte 
als auch auf die glatte Muskulatur auszuüben 
vermöge, welche Substanz dementsprechend 
am einfachsten als ein Muskelgift zu betrachten 
sei, das seine Wirkung vom Circulationsstrome 
aus geltend mache. Nach leichten und raschen 
Geburten könnten bei den so schnell erfol¬ 
genden Contraetionen des Uterus und dem 
Verschlüsse des Muttermundes unter dem Ab¬ 
schlüsse der Luft in dem blutleeren Uterus 
eigenthümliche, von der Fäulniss völlig ver¬ 
schiedene ZersetzungsVorgänge in der eiweiss¬ 
haltigen Lochialflüssigkeit verlaufen, welche 
nach Analogie der Entwicklung des Wurst¬ 
giftes zur Bildung des präsumirten Muskel¬ 
giftes führen. Dieser Hypothese sind zunächst 
blos die Fragen entgegenzuhalten, wie sich 
ein solches Muskelgift im contrahirten Uterus 
so ausserordentlich rasch zu entwickeln und 
seine Wirkung sozusagen urplötzlich auf die 
Organe der willkürlichen und automatischen 
Bewegungen auszuüben vermöge, und warum 
denn dieses präsumirte Muskelgift sich nur bei 
wohlbeleibten, mastig genährten, milchreichen, 
beständig im Stalle gehaltenen und nicht auch 
bei den durch den Weidegang ifhd den Ge¬ 
brauch zur Arbeit abgehärteten, mit blos 
naturgemässen Nahrungsmitteln gefütterten 
und nur älteren Kühen sich ausbildet und seine 
Wirkung geltend macht? 

Behandlung. So lange die Probleme 
bezüglich des Wesens und der eigentlichen 
pathogenetischen Ursache der Gebärparalyse 
ungelöst sind, so lange kann natürlich deren 
Behandlung auch keine rationelle, sondern eine 
blos empirische, symptomatische sein. Den 
verschiedenen Ansichten über das Wesen und 
die Aetiologie dieser Krankheit entsprechen 
denn auch ebenso verschiedene Behandlungs¬ 
methoden. Bei dem hochgradigen Danieder¬ 
liegen der Functionen der nervösen Central-, 
organe, des Vagus und des sympathischen 
Nerven ist die allgemein und örtlich reizende, 
stimulirende Methode angezeigt. Durch mecha¬ 
nische und chemische, die Erregung der Haut¬ 
nerven, die Anregung der Magen- und Darm¬ 
functionen betätigende Mittel muss reflec- 
torisch die Thätigkeit der Nervencentren zu 
beleben und von da aus wieder reflectorisch 
auf die centripetalen Nervenfasern belebend 
zu wirken gesucht werden, um dadurch die 
Muskelbewegungen und Drüsensecretionen zu 
betätigen. Thatsächlich hat sich bisher diese 
Methode unter allen als die erfolgreichste er¬ 
wiesen. Demzufolge ist der Aderlass nur höchst 
selten, u. zw. blos beim Eintritte der Krank¬ 
heit, bevor sich der schlaftüchtige Zustand 
eingestellt hat, angezeigt; bei einmal ein- 
getretencr Empfindungs- und Bewusstlosigkeit 
ist derselbe fast ausnahmslos nur schädlich. 
Vor der Einleitung der eigentlichen Behand¬ 
lung sucht man die Kuh mit Gewalt in die 
natürliche Bauchlage zu bringen, deren Kopf 
jso gut als möglich aufzurichten und dieselbe 
mit Hilfe von Strohbündeln in.dieser Lage zu 
erhalten. 

Die Erregung der Hautthätigkeit, 
wodurch einerseits eine gleichmässige Ver- 


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EKLAMPSIA PUERPERALIS. 


503 


theilung der Blutmasse herbeizuführen, anderer¬ 
seits reflectorisch die Thätigkeit der Nerven- 
centren zu beleben gesucht wird, wird durch 
tüchtiges Frottiren der Haut mit Strohwischen 
oder Reisbürsten, durch öftere Einreibungen 
der Rücken-Lendengegend, der Flanken und der 
Gliedmassen mit heissem Essig, wirksamer 
noch mit einer Mischufig aus gleichen Theilen 
Terpentinöl und Salmiakgeist, welchen Stoffen 
behufs besserer Mischung etwas Oel beigefügt 
wird, und durch nachfolgendes gutes Bedecken 
mit Stroh, erwärmten Tüchern oder erwärmten 
Heublütlienkissen zu bewerkstelligen gesucht. 
'Mathd lässt obige Mischung mit einer Reis¬ 
bürste einreiben; die Haut müsse an mehreren 
Stellen blutrünstig werden, worauf das Thier 
mit einer Wolldecke gut zugedeckt wird. Auch 
das Auflegen von in kaltes Wasser getauchten, 
ausgewundenen Tüchern auf den Körper und 
das Belegen dieser mit wollenen Decken, 
Betten u. dgl. bewirkt eine mächtige Steigerung 
der Hautthätigkeit. Hartenstein, Baumeister 
u. A. empfehlen als sehr heilsam continuir- 
liche Kaltwasserdouchen auf Kopf, Rücken und . 
Lenden, die bis zum Aufstehen des Thieres 
fortgesetzt werden, w T as 1—1 y a Tag dauere. 

Die Euterthätigkeit wird durch fleis- 
siges Ausmelken und Streichen an den Zitzen 
anzuregen gesucht* 

Nach Erregung der Hautthätigkeit wird 
das Hauptaugenmerk auf die Magen-Darm- 
thätigkeit, auf die Mistausscheidung 
und die Harnentleerung gerichtet. Der 
Harn wird aus der gelähmten Blase mittelst 
.des Katheters, einer Klystierspritzen - Canule 
oder einfach mittelst Einführens des Zeige¬ 
fingers in die Harnröhre sowie auch durch 
Druck vom Mastdarm aus entleert. Der im 
Mastdarm angesaramelte trockene Mist' wird 
durch die eingefettete oder eingeölte Hand 
entfernt und die weiteren Darmausscheidungen 
durch Leinöl-, Seifen-, Glaubersalz- oder 
Tabakklystiere zu befördern gesucht. Zur An¬ 
regung der Magendarmfunctionen, zur Be- 
thätigung der Abdorainalcirculation durch 
Beseitigung, der Verstopfung wählt man dra¬ 
stisch abführende Mittel, namentlich Glauber¬ 
salz, auch Kochsalz oder Aloö, die man ein¬ 
fach in lauwarmem Wasser oder in einem' 
Infusum von aromatischen Stoffen oder von 
Sennesblättern verabfolgt. Man gibt gleich im 
Anfänge, da das Schlingen noch weniger er¬ 
schwert ist, grosse Dosen von Salzen und 
Aloü, jedoch nur in kleinen Flüssigkeits¬ 
mengen und mit grösster Vorsicht, und wartet 
dann zu. Auch Crotonöl wird vielerseits als 
sehr wirksam empfohlen und angewendet. 
Machen sich bereits allgemeine paralytische 
Erscheinungen, starkes Koma, ein gewisser- 
massen lethargischer Zustand und beträcht¬ 
liches Sinken der Körpertemperatur bemerklich, 
so eignet sich starker schwarzer Kaffee, stünd¬ 
lich oder dreiviertelstündlich % 1, dem jedes¬ 
mal 0*60—0*80 Glaubersalz und 0*5—0*8 
fein pulverisirte Aloe beigefügt wird. Man 
gibt 8—10—12 solcher Dosen. Mathe verab¬ 
folgt den Kranken, u. zw. vom Ausbruch der 
Krankheit an, während fünf Stunden stündlich 


eine Mischung aus */ 8 1 guten Weins, 1 dl 
Branntweins und 1 dl essigsauren Ammoniaks, 
nach Ablauf welcher Zeit diese Einschütte 
von 5 zu 5 Stunden so lange fortge¬ 
setzt werden, als das Thier nicht von selbst 
aufgestanden ist. Mit dieser internen be¬ 
rauschenden Behandlung im Verein mit die 
Haut stark reizenden Frictionen will er die 
grosse Mehrzahl der kalbefieberkranken Thiere 
gerettet haben. — Im paralytischen Stadium 
werden von Vielen stark erregende Nerven¬ 
mittel in Anwendung gebracht, so nament¬ 
lich Kampher, Schwefeläther, Terpentinöl, 
Krähenaugen, Strychnin. Da jedoch bei dem 
sehr raschen und so häufig ungünstigen Ver¬ 
laufe auf ein baldiges Abschlachten Bedacht 
genommen werden muss, so sind stark 
riechende und giftig wirkende Mittel, wie die 
soeben angegebenen — da sie ins Fleisch über¬ 
gehen, demselben theils einen widerlichen 
Geruch geben und deshalb dasselbe ungeniess- 
bar, theils den Genuss für den Menschen ge¬ 
radezu gesundheitsschädlich machen — zu ver¬ 
meiden. Bei eingetretenen Schlingbeschwerden 
müssen, um Fremdkörper-Pneumonien auszu¬ 
weichen, die Arzneien mittelst der Schlund¬ 
röhre, besser noch mittelst der Magenspritze 
(Fig. 469) beigebrajiht werden. Am besten aber 
ist es, bei Aufhebung des Schlingvermögens 
innerlich gar keine Mittel mehr zu verabfolgen, 



Fig. 469. Magenspritze. 


da ja bei diesem Verfahren überhaupt die 
Genesung ebenso oft erfolgt, als wenn viele 
und drastische Mittel verabfolgt werden. Mit 
sehr gutem Erfolge ist die Elektricität 
(Apparat von Gaiffe) als ein zugleich die 
Muskeltonicität, sowie wegen der Hervor- 
rufung intensiver Schmerzen die Willens 
äusserung mächtig anregendes Mittel ange¬ 
wendet worden, Bei sich einstellender hoch¬ 
gradiger Tympanitis wird das Gas durch 
einen dünnen Troicart, dessen Canule belassen 
wird, entfernt. 

Prophylaxis. In den letzteren Wochen 
vor dem Kalben Vermeidtmg einer zu reich¬ 
lichen, mastigen, künstlichen, die Verdauungs¬ 
organe erschlaffenden Fütterung und Gestat¬ 
tung der Bewegung im Freien. Aderlässe und 
sog. gelind abführende Mittel vor der Geburt 
bilden dagegen keine prophylaktischen Mittel. 

Der Genuss des Fleisches geschlachteter 
kalbefieberkranker Thiere ist, sofern ‘diese 



504 


EKPHLYSIS. — ELASTICITÄT. 


keine heftig oder giftig wirkenden Stoffe, wie 
Krähenaugen, Strychnin, Crotonöl, erhalten 
haben, völlig unschädlich, und kann daher 
das Fleisch zum öffentlichen Consume zuge¬ 
lassen werden. Strebei . 

Ekphlysis (v. $x<pXöetv, £x®Xoaae'.v, heraus- 
sprudeln, schnell hervorbrechen), für schnell 
hervortretende blasenartige Exantheme, z. B. 
E. vaccinia, Kuhpocke. Sussdorf. 

Ekphraxis (v. ix, aus, und ypa coetv, ver¬ 
sperren, auch für icoxvoöv, dicht machen, ver¬ 
stopfen, gebräuchlich, daher in dieser Corapo- 
sition: Verstopftes eröffnen), Beseitigung von 
Verstopfungen; opp. emphraxis. Adj. ecphractica 
sc. remedia, eröflhende Arzneimittel. Sussdorf. 

Ek8trophie(^ ixotpo«nq, V. ix und atps^iv, 
drehen), die Auswärtsarehung = Eversio, eine 
Form der congenitalen Vorlagerungen der Ein¬ 
geweide, wie in Ekstropliie der Blase, eine 
angeborene Spaltung der vorderen Blasen- und 
benachbarten Bauchwand, meist mit gleich¬ 
zeitiger Spaltung der oberen Harnrührenwand 
beim Menschen. Sussdorf. 

Ektasis, Ektasia (v. ixtetveiv, ausdehnen), 
Ausdehnung, abnorme Erweiterung; adj. ecta- 
ticus, ausgedehnt, erweitert. Auch in Compo- 
sitioncn gebräuchlich, z.B. Teleangiektasie. Sf 

Ektatokakopneumonia (v. ix-cato«;, aus¬ 
gedehnt, xaxo's, schlecht, und ^ ravsopiovia, 
Lungenkrankheit) und Ektatopneumonosapro- 
sis (s. d.). 

Ektatopneumonosaprosis (v. ixtardg, aus¬ 
gedehnt, 67cvs6p.ü)v, Lunge, o«*TCpoio:?, Fäule), 
ausgedehnte Lungenfäule. Sussdorf. 

Ekthyma (tö exüop.a, v. ixüw.v, über¬ 
wallen, hervorbrechen), nach Hippokrates etc. 
die knotenartigen Eruptionen der allgemeinen 
Decke, welche als grosspustulöse spontan bei 
Ekzem, Akne etc. und künstlich nach irri- 
tirenden Einreibungen entstehen. Sussdorf. 

Ektoderm, s. Arohigastrula. 

Ektodysaisthesia (abgel. v. ixto's, nach 
aussen, und rj &oaacothqai'a, Unempfindlichkeit 
der Sinne), Unempfindlichkeit der Sinne für 
das, was in der äusseren Umgebung sich 
zuträgt. Sussdorf, 

Ektogene Infectionserreger, Bezeichnung 
nach v. Pettenkofer für solche Infections- 
erreger, welche sich in der Aussenwelt repro- 
dnciren, zum Unterschiede von jenen, welche 
sich im kranken thierischen Organismus repro- 
duciren und entogene genannt werden (s. 
Infection). Koch. 

Ektokardia (ixto's, aussen, und yj xap§ta, 
Herz), Sammelbegriff für die Lageveränderungen 
des Herzens als intra- und extrathoracale. Sf 

Ektopia (abgel. v. sxtorco;, entfernt), die 
(abnorme) Vorlagerung eines Theiles: e. foetus, 
die abnorme Lage des Fötus. Sussdorf 

Ektozoon (abgel. v. ixto's, aussen, und 
tö C&ov, Lebewesen), jeder auf der äusseren 
Körperoberfläche lebende Schmarotzer = 
Ektoparasit. Sussdorf. 

Ektrosis (f) Ixtpoo:?, v. ex und titdu>3 - 
xetv, fehlgebären), das Frühgebären, Fehl¬ 
gebären; adj. ectrotica sc. remedia, frucht- 
abtreibende Mittel. Sussdorf. 

Etaeopten. Die meisten ätherischen Oele 


(s. d.) sind bei gewöhnlicher Temperatur 
flüssig; bei niedriger Temperatur scheiden 
jedoch manche derselben feste krystallinische 
Substanzen aus. Diese letzteren nannte 
Berzelius „Stearoptene“, während er jenen 
Antheil, der hiebei flüssig bleibt, als „Elaeopten“ 
bezeichnete. Loebisch. 

Elaeosaccharum, 0 e 1 z u c k e r, d. h. Zucker¬ 
pulver, welche durch irgend ein angenehm 
schmeckendes ätherisches Oel, z. B. Pfeffer¬ 
minz-, Kümmel-, Anisöl verrieben werden und 
dann als Geschmackscorrigentien dienen sollen. 
Die Mischung wird von den Pharmakopoen in 
der Art vorgeschrieben, dass auf 2 g fein 
gepulverten Zuckers ein Tropfen des ätheri¬ 
schen Oeles kommt, das ex tempore zu ver¬ 
reiben ist. Vogel. 

Elai8 gulnensis, die Oelpalme, s. Cocos 
nucifera. 

Elaphia (6 eXa?o;,Hirsch,mit adj.sXä-f'.os), 
Hirschkrankheit, allgemeiner Tetanus. Sf. 

Elap8U8 (v. elabi, herausfallen), Ausrenkung, 
Luxation. Sussdorf. 

Elasticität (von iXauvt», ich treibe) nennt 
man die Eigenschaft eines Körpers, durch 
äussere Kraft seine Gestalt zu verändern, ohne 
den Zusammenhang zu verlieren, und dass er 
beim Aufhören der Kraftwirkung wieder die 
frühere Gestalt annimmt. Kautschuk kann man 
auseinanderziehen, dünne Stahlstreifen lassen 
sich spiralförmig aufrollen, Luft lässt sich auf 
ein kleines Volumen zusammenpressen; sobald 
jedoch die wirkende Kraft nachlässt, kehren 
die genannten Körper wieder in ihre frühere 
Form zurück. Zur Erklärung dieser Erschei-^ 
nung kann man annehmen, dass man beim An¬ 
nähern der Körpertheilchen durch Druck oder 
Stoss den Molekülen Arbeit mittheilt, die ihre 
lebendige Kraft vergrössert und ihnen daher 
den grösseren Rückweg möglich macht; beim 
Entfernen der Moleküle verwandelt sich die 
dem ausgedehnten Körper mitgetheilte Arbeit 
in Spannkraft, welche die Rückkehr derselben 
bewirkt. Im gewöhnlichen Leben bezeichnet 
man nur solche Körper als elastisch, bei 
welchen wie in den oben angeführten Beispielen 
schon durch eine geringe Kraft eine grosse 
Aenderung herbeigeführt werden kann. Ge¬ 
nauere Untersuchungen lehrten jedoch, dass alle 
Körper elastisch sind, nur besitzen die flüssigen 
und luftförmigen Körper diese Eigenschaft 
nicht allen Kräften gegenüber. Während näm¬ 
lich sämmtliche feste Körper, wie durch Ver¬ 
suche gezeigt wurde, ihre Elasticität sowohl 
der Druck- als Zugkraft gegenüber äussern, 
dehnen sich die luftförraigen Körper wohl 
nach Aufhebung eines äusseren Druckes 
wieder aus. sind also gegen eine Druckkraft 
elastisch, aber eine Zugkraft ist an denselben 
nicht anzubringen: hat man jedoch durch 
Erweiterung der Grenzen eines Raumes das 
Volumen des darin befindlichen Gases ver¬ 
grössert, so kehrt es von selbst nicht wieder 
in sein früheres Volumen zurück. Flüssig¬ 
keiten lassen sich wohl durch die Wärme 
ausdehnen, aber nicht durch eine Zugkraft. 
Für alle Körper bezeichnet man die Grenze, 
welche von den äusseren Kräften nicht über- 



ELASTIN. — ELEKTUARIUM. 


505 


schritten werden darf, ohne dass eine blei* 
bende Aenderung in der Lage der Theile 
eintritt, als Elasticitätsgrenze. So lange 
die äusseren Kräfte — Druck oder Zug — 
innerhalb der Elasticitätsgrenze bleiben, gilt 
das Gesetz, dass die Grösse der bewirkten 
Formänderung (Zusammendrückung, Aus¬ 
dehnung, Biegung, Drehung) in gleichem 
Verhältniss mit der Grösse der wirksamen 
Kräfte wächst; so ist die Ausdehnung, welche 
ein elastischer Metalldraht durch ein ange¬ 
hängtes Gewicht erfährt, der Grösse des Ge¬ 
wichtes proportional. Jene Zahl, welche nun für 
eine Substanz anzeigt, um welchen Bruchtheil 
seiner ursprünglichen Länge ein aus der¬ 
selben verfertigter Stab von 1 Quadratmilli¬ 
meter Querschnitt, mit einem Gewichte von 
1 kg belastet, ausgedehnt wird, heisstE las ti- 
citätscoöfficient oder Elasticitätsmodul. 
Wird die Elasticitätsgrenze überschritten, so 
erfolgt entweder eine stetige bleibende Ge¬ 
staltänderung des Körpers, ohne dass der 
Zusammenhang der Theile sogleich gänzlich 
elöst wird; in diesem Falle heisst der Körper 
ehnbar; oder der Zusammenhang der 
Theile wird plötzlich an einer Stelle gänzlich 
unterbrochen, indem der Körper reisst oder 
bricht; derselbe heisst dann spröde. Wäh¬ 
rend nun die flüssigen und gasförmigen 
Körper eine permanente Elasticität besitzen, 
d. h. nach dem Aufhören der Druckkraft voll¬ 
kommen wieder ihre frühere Form annehmen, 
haben die Erfahrungen gelehrt, dass die festen 
Körper unter andauernder Belastung ihre Ge¬ 
stalt bleibend ändern, sogar wenn diese Be¬ 
lastung nicht diejenige der Elasticitätsgrenze 
erreicht; so verlieren Stahlfedern albnälig 
ihre Kraft, Deckenbalken ziehen sich krumm 
— daher darf in der Praxis die Belastung 
der Bau- und Maschinentheile auch nur einen 
gewissen Bruchtheil der Belastung für die 
Elasticitätsgrenze betragen, darf also dieselbe 
nicht erreichen. 

Die Elasticität hat zahlreiche Anwen¬ 
dungen; die Elasticität der Stahlfedern be¬ 
wegt Uhren, Thürklinken, Telegraphenhebel, 
sie dient zu Federwagen und zu Kraftmessern, 
zum Schwächen der Wagenstösse u. s. w. Die 
Elasticität der gasartigen Körper findet An¬ 
wendung in Luftkissen, Windbüchsen, Feuer¬ 
spritzen, sie ist die Ursache der meisten 
Explosionen, der Wirkung des Schiesspulvers. 
Zahllose Naturerscheinungen wären ohne 
Elasticität nicht vorhanden: das Abprallen 
der Körper von einander beim Stosse, die 
Fortpflanzung des Stosses, die Schwingungen 
der Theilchen aller Körper, also die Erschei¬ 
nungen des Schalles, des Lichtes, der Wärme 
sind nur durch die Elasticität möglich. Lh. 

Elastin wird die chemische Substanz be¬ 
nannt, welche man aus dem elastischen Ge¬ 
webe erhält, wie es in einigen Ligamenten, z. B. 
im Nackenband des Rindes massig vorkommt, 
wenn man ein solches mit Alkohol, Aether, 
Wasser, concentrirter Essigsäure und mit ver¬ 
dünnter Natronlauge nach einander kocht. Nach 
der Einwirkung aller dieser Reagentien behält 
noch das Elastin seine ursprüngliche Form, 


ist von gelber Farbe, im feuchten Zustande 
dehnbar, nach dem Trocknen spröde. Das 
Elastin ist in den obengenannten Reagentien 
unlöslich, in concentrirter Alkalilauge löst es 
sich unter Zersetzung. Durch Kochen mit 
Wasser wird aus Elastin Elastinpepton 
gewonnen, beim Kochen mit verdünnten Säuren 
entsteht Hemiclastin, bei der Einwirkung 
von Magensaft bilden sich ebenfalls diese 
beiden Substanzen. Es wird übrigens lang¬ 
samer verdaut als Eiweisstoffe, dabei werden 
die Fasern weich, quellen und lösen sich end¬ 
lich. Die chemische Zusammensetzung des 
Elastins des Nackenbandes vom Rinde fand 
Horbaczewsky im Mittel C54‘32, H6*99, 
N 16*75, Asche 0’51%. Die Substanz ist 
schwefelfrei. Loebisch. 

Elastische Ligatur, s. Ligatur. 

Elastisches Gewebe, s. Bindegewebe. 

Elaterit, elastisches Erdpech (s. Erdöl), 
war früher nur von der Odingrube in Derby - 
shire bekannt; neuerlich wurde es in grossen 
Stücken zu Newhaven in Connecticut aufge¬ 
funden. Es ist elastisch, biegsam nach Art 
des Kautschuks, aber viel leichter zerreisslich. 
Die Farbe des frischen Elaterit ist röthlich- 
braun, durch Verwitterung wird sie schwarz. 
Geruch bituminös. Die chemische Analyse er¬ 
gibt als Bestandtheile Kohlenstoff, Wasser¬ 
stoff und sehr wenig Sauerstoff Loebisch. 

Elaterium album und nigrum wird der 
durch Verdunsten eingeengte Fruchtsaft der 
Springgurke, Momordica Elaterium L. 
s. Ecbalium officinale Nees benannt, 
dessen wirksamen Bestandtheil ein drastisch 
wirkender Bitterstoff, das Elaterin, bildet, 
welches im Elaterium album zu 15—50% 
enthalten ist. Erschöpft man das weisse Ela¬ 
terium mit kochendem Weingeist, concentrirt 
die Auszüge, dann fällt au* diesen das Ela¬ 
terin aus, welches durch Waschen mit Aether 
und Umkrystallisiren aus absolutem Alkohol 
rein erhalten wird. Das Elaterin hat die Zu¬ 
sammensetzung C* 0 H 18 O fi und krystallisirt in 
farblosen, sechsseitigen Tafeln; es ist löslich 
in Ammoniak und wird aus der Lösung durch 
Säpren wieder abgeschieden, es bewirkt schon 
in sehr geringen Dosen bei Thieren und 
Menschen (3—6 mg) wässerige Stühle und 
ruft Intoxicationserscheinungen, als: Flatulenz, 
Eingenommenheit des Kopfes und heftiges 
Erbrechen, hervor. Wegen der beträchtlichen 
Wirkungsdifferenz verschiedener Handelssorten 
hat das Elaterium als drastisches Abführmittel 
keine allgemeine Anwendung gefunden. Lh. 

Elaylchlorid, seine arzneiliche Wirkung, 
s. Aethylenum chloratum. 

Elbensteine, s. Fiebersteine. 

Electuarium (v.Xe'xetv lecken), Lat wer ge, 
eine teigartige Masse, die aus gepulverten 
Arzneimitteln, aus einem Bindemittel (Eibisch¬ 
wurzelpulver, Leinmehl, Roggenmehl u. s. w.) 
und aus Wasser besteht, das aber erst allmälig 
zugesetzt wird, wenn das Bindemittel mit dem 
Arzneipulver gut vermengt worden ist. Von letz¬ 
terem rechnet man beim Ordiniren 6—8 Theile 
auf 1 Theil Bindemittel, und die Menge des zu¬ 
zusetzenden Wassers, das auch durch eine an 



506 ELEKTA. — ELgKTRICITAT. 


. dere Flüssigkeit, z. B. gelöste andere Arzneien, 
einen süssen Saft (Syrup, Honig, Mohrrübensaft, 
Roob Juniperi u. dgl.) ersetzt werden kann, 
überlässt man am besten dem Apotheker, 
indem auf dem Recepte die Formel beigefügt 
wird: „quantum satis ut fiat electuarium 11 . 
Will man sie dünner haben, so verlangt man 
ein* electuarium molle v im anderen Falle 
bereitet der Apotheker, wenn die Consistenz 
‘nicht näher angegeben wurde, ein electuarium 
s piss um, das nicht breiig, sondern mehr fest 
ist;- erstere Latwerge ist leichter schlingbar, 
was bei manchen Schleimhautleiden in den 
oberen Wegen von Wichtigkeit ist, auch ver¬ 
breitet sie. sich leichter im Maul und kann 
daher nicht so leicht wieder ausgeworfen 
werden, namentlich wenn dazu Roggenmehl 
verwendet wurde, während die mit Althäa- 
pulver bereiteten mehr schlüpfrig sind und 
daher eher aus dem. Maule gleiten können. 
Diese Latwergenform empfiehlt sich besonders 
bei denjenigen Hausthieren, bei welchen das 
Eingeben flüssiger Arzneien dadurch, dass 
leicht Theile derselben in die Luftwege und 
Lungen gerathen, gefährlich ist, wie bei 
Pferden und Schweinen (s. Eingeben von 
Arzneimitteln), und verwendet man dazu 
besonders solche Stoffe, welche nicht oder 
schwer löslich sind, keinen besonders unan¬ 
genehmen Ges'chmack und Geruch und keine 
reizenden oder scharfen Nebenwirkungen auf 
die Schleimhaut der Maulhöhle haben. Die 
Verabreichung in der Apotheke geschieht 
entweder in Wachspapier oder besser in 
irdenen Gefääsen. Vogel. 

Elekta, s. Wolle. 

Elektoral-Schaf, s. Merinoschaf. 

Elektricität, thierische, nennt man 
elektrische Ströme, welche durch die Lebens¬ 
erscheinungen von Thieren hervorgebracht 
werden. Am frühesten wurde es von mehreren 
Gattungea von Fischen bekannt, dass sie die 
merkwürdige Fähigkeit besitzen, elektrische 
Schläge hervorzubringen, deren sie sich als 
"Angriffs- und Verteidigungswaffen bedienen. 
Es sind dies namentlich der im Mittelmeer 
vorkommende Zitterrochen (Torpedo Narke), 
der im Nil und Senegal lebende Zitterwels 
(Malapterurus electricus) und der in den Süss¬ 
wässern des tropischen Amerika einheimische 
Zitteraal (Gymnotus electricus). Berührt man 
mit beiden Händen diese Thiere, so erhält 
man einen Schlag, dem Entladungsschlage 
einer Leydener Flasche vergleichbar. Nach 
Davy erhält man mittelst eines Drahtes 
chemische, magnetische und Wärmewirkungen, 
ja sogar Funken aus derselben; sie erteilen 
die elektrischen Schläge willkürlich mittelst 
eines besonderen, nervenreichen, elektrischen 
Organes, welches bei den verschiedenen Gat¬ 
tungen verschiedenen Bau zeigt. Beim Zitter¬ 
aal erstreckt sich das elektrische Organ fast 
durch die ganze .Länge des Körpers und be¬ 
steht aus 400 zellgewebartig in mehreren 
Reihen neben einander stehenden Säulchen 
— elektrischen Platten; beim Zitterrochen 
liegt es zu beiden Seiten des scheibenförmigen 
Körpers und besteht aus zahlreichen neben¬ 


einanderstehenden röhrenförmigen Zellen, 
deren jede eine grosse Zahl von Querscheide¬ 
wänden enthält. In jede dieser Scheidewände 
mündet ein Zweig von Nerven, die aus dem 
Lobus electricus zwischen Vierhügel und ver¬ 
längertem Mark entspringen. Die Fische sind 
fähig, mehrere elektrische Schläge nach ein¬ 
ander in kurzen. Zwischenräumen zu ertheileir, 
hiebei erschöpft sich jedoch ihre Kraft all- 
mälig, so dass zur Wiederherstellung derselben 
eine Ruhezeit erforderlich ist. Die Zitterfische 
selbst sind gegen die Wirkungen .elektrischer 
Schläge von massiger Stärke unempfindlich. 
Es ist im hohen Grade wahrscheinlich, dass 
die elektrischen Organe der Zitterfische modi- 
ficirte Muskeln sind, bei denen histologisch 
die Nervenendigungen hochentwickelt, die con- 
tractile Substanz aber geschwunden ist, und 
bei deren physiologischer Thätigkeit die che¬ 
mische Spannkraft statt in Wärme oder in 
mechanische Arbeit in Elektricität umgesetzt 
wird. Für diese Auffassung spricht auch, dass 
in den Embryonen diese Organe analog prä- 
formirt sind wie die Muskeln. 

Die eigentlichen Forschungen über thie¬ 
rische Elektricität beginnen jedoch erst mit 
Aloys Galvani (1791), welcher durch den 
Rückschlag auf Entladung der Elektrisir- 
maschine Zuckungen in Froschschenkeln beob¬ 
achtete, die auch eintraten, wenn die Frosch¬ 
schenkel in Berührung mit zwei verschie¬ 
denen Metallen geriethen. Er verglich die 
Muskeln mit einer Leydener Flasche (s. d.), 
die Nerven mit der Zuleitung zur inneren Bele¬ 
gung und glaubte, dass den Nerven und Muskeln 
eine selbständige Entwicklung von Elektricität 
zukomme; Volta leitete jedocn das Zucken der 
Froschmuskeln bei Berührung mit zwei ver¬ 
schiedenen Metallen von einem elektrischen 
Strom her, dessen Quelle ausserhalb des 
Froschpräparates liegt. A. v. Humboldt zeigte 
später, dass im thierischen Körper zweifellos 
Elektricitätsquellen liegen. Diese Studien 
waren schon wieder vergessen, als Nobili mit 
Hilfe des von ihm entdeckten Galvanometers 
(1830) nachwies, dass, wenn*man die Enden 
dieses empfindlichen Instrumentes mit dem 
Becken und dem Fusse eines Frosches ver¬ 
bindet, die Nadel einen fortdauernden elek¬ 
trischen Strom in dem Schliessungskreise an¬ 
zeigt. Diesen Strom nannte er den Frosch¬ 
strom. Als Ursache dieser Erscheinung wurde 
von Dubois-Reymond der von ihm im lebenden 
Thierkörper aufgefundene Nerv-Muskelstrom 
erkannt. Dieser Strom kann an jedem Muskel 
und jedem Nerven gezeigt werden, wenn man 
von einem Punkte eines Längsschnittes zu 
einem Punkte eines Querschnittes einen um 
ein empfindliches Galvanometer gehenden 
Draht führt. Bei jeder Lebenserscheinung, 
welche in Nerv und Muskel auftritt, zeigt die 
Nadel des Galvanometers eine Aenderung. 
Die Wirkung des Nerv-Muskelstromes zeigt 
sich in der interessanten Thatsache, dass man 
durch Krümmen eines Fingers die Nadel eines 
eigens für diesen Versuch construirten höchst 
empfindlichen, mehr als 6000 Windungen 
enthaltenden Galvanometers ablenken kann, 



ELEKTRISCHES LICHT. 


507 


dessen Drahtenden in zwei Glasgefasse voll 
Salzwasser tauchen; hält man in jedes Ge- 
fä8s einen Finger und krümmt den einen für 
kurze Zeit, so bemerkt man eine Ablenkung 
an der Nadel. Wie Dubois-Reyraond nachge¬ 
wiesen, werden also die Muskeln und Nerven 
des lebenden Thieres von elektrischen Strömen 
durchflossen. Aus den elektrischen Strömen 
der einzelnen Muskeln und Nerven soll sich 
der Gesammtstrom im Körper summiren, für 
den Nobili’s oben erwähnter „Froschstrom“ 
ein Beispiel gibt. Nach dem Tode schwinden 
die Ströme eher als die Reizbarkeit, sie er¬ 
halten sich im Muskel länger als im Nerven 
(s. auch Muskel und Nerven). 

An dieser Stelle mögen auch die physio¬ 
logischen Wirkungen des elektrischen Stromes 
erwähnt werden, welche sich geltend machen, 
sobald der Thierkörper oder ein Theil eines 
solchen in den Stromkreis eingeschaltet wird. 
Wenn der galvanische Strom durch den Körper 
oder durch Körpertheile geht, so wird beim 
Oeflhen und Schliessen des Stromes eine 
schmerzhafte Zuckung empfunden, während 
des Durchgehend wird bei einem schwachen 
Strome nichts empfunden oder höchstens ein 
Brennen an verletzten Stellen der die Pole 
berührenden Theile; bei einem starken Strome 
aber eine continuirliche innere Erschütterung, 
welche bald Uebelbefinden erzeugt. Wird ein 
schwacher Strom durch die dem Auge be¬ 
nachbarten Theile geleitet, so entsteht beim 
Oeffnen und Schliessen desselben durch Rei¬ 
zung des Sehnerven Lichtempfindung in der 
Form eines Lichtscheines; eine Reizung des 
Hörnerven unter gleichen Umständen erzeugt 
Schallempfindung, und leitet man den Strom 
durch den Mund, so erzeugt der positive Pol 
an der' Zunge einen sauren, der negative Pol 
eihen alkalischen (laugenhaften) Geschmack. 
Die Wirkung der Entladungsschläge, welche 
durch die Conductorentladung der Elektrisir- 
maschine oder der Leydener Flasche, auch 
durch den Blitz bewirkt werden, beruht auf 
der Wirkung des schnellen Wechsels der 
Stromstärke, .durch welche eben in den Orga¬ 
nen heftige Erschütterungen hervorgebracht 
werden. Sind nun die Centralorgane des 
Nervensystems von einer starken Entladung 
getroffen, so kann Betäubung und Tod durch 
Nervenlähmung eintreten. 

Will man Muskelzuckungen mit Hilfe 
eines schwachen galvanischen Stromes hervor- 
rufen, so muss der Strom schnell nach ein¬ 
ander unterbrochen und- dann wieder ge¬ 
schlossen werden. Dies geschieht z. B., wenn 
man ein Blitzrad in den Schliessungsdraht 
einschaltet; die einfachste Form desselben 
ist ein Zahnrad, auf dessen Zähnen eine 
Metallfeder schleift, zu welcher der eine Pol- 
draht geht, während der andere mit der Rad- 
achse verbunden ist. Werden nun dem in den 
einen Draht eingeschalteten Thiere die Enden 
desselben mittelst Elektroden auf gut leitende 
Stellen der Körperoberfläche aufgesetzt, so ist 
der Strom geschlossen, wenn bei dem Drehen 
des Rädchens die Feder einen Zahn berührt; 
der Strom ist geöflhet, wenn die Feder in 


eine Zahnlücke ragt. Durch Drehung des 
Rades wird also der Strom rasch hinter ein¬ 
ander geöffnet und geschlossen. Solche Ströme 
heissen discontinuirliche, unterbrochene; sie 
werden häufig zu Heilzwecken benützt. Zur 
Herstellung derselben wendet man derzeit die 
durch den elektro-magnetischen Inductions- 
apparat erzeugten, von Faraday entdeckten 
Inductionsströme (s. d.) an, welche man auch 
als faradische Ströme bezeichnet, während 
man das Heilverfahren „Faradisiren“ nennt. 
Hiebei nimmt man an, dass die Leitung des 
elektrischen Stromes im Thiere durch die 
Nerven vermittelt wird; ein von fortwährend 
unterbrochenen Strömen durchflossener Nerv 
ist ein tetanisirter Nerv, er ruft in dem zu- 
ehörigen Muskel eine dauernde Contraction, 
en Tetanus, hervor. 

Ausser dem eben erwähnten unterbro¬ 
chenen Strom wird auch der constante oder 
galvanische Strom zu Heilzwecken benützt, 
welcher entsteht, wenn man die beiden Pole 
einer galvanischen Batterie durch einen Leiter 
mit einander verbindet. In diesem Falle ist die 
Entladung keine rasch vorübergehende, son¬ 
dern eine continuirliche, weil die von den beiden 
Elementen einer solchen Batterie — Zink und 
Kupfer — ausgehenden elektromotorischen 
Kräfte die an sämratlichen Berührungsstellen 
des Stromes vorhandenen elektrischen Diffe¬ 
renzen (welche sich aus der positiven und 
negativen Elektricität ergeben) aufrecht er¬ 
halten, so oft und so lange auch die Aus¬ 
gleichung derselben angestrebt werden mag. 
Wird nun ein lebendiger Nerv in -einer be¬ 
stimmten Strecke von einem constanten elek¬ 
trischen Strom durchflossen, so geht er in 
den Zustand einer veränderten Erregbarkeit 
über, den man den elektrotonischen Zustand 
oder kurz Elektrotonus nennt, u. zw. erstreckt 
sich der Zustand der veränderten Erregbar¬ 
keit nicht allein über die durchströmte 
Strecke, sondern sie tlieilt sich den gesamm- 
ten Nerven mit. Die Gesetze des Elektro¬ 
tonus kommen in der Nervenphysiologie zur 
Anwendung. Loebisch. 

Elektrisches Licht. Die Lichterscheinun¬ 
gen als Wirkung der Elektricität sind ver¬ 
schieden je nach der Art der Elektricität, 
durch welche sie bewirkt werden. So kann 
man mittelst der Elektrisirinaschine verschie¬ 
dene Formen der elektrischen Entladung mit 
den sie begleitenden verschiedenen Licht¬ 
erscheinungen: Funkenentladung, Büschel¬ 
entladung und Glimmentladung, hervorrufen. 
Als elektrisches Licht im engeren Sinne 
wird jedoch nur die durch galvanische 
Ströme erzeugte Lichtentwicklung bezeichnet. 
Wenn man nämlich den metallenen Schlies¬ 
sungskreis eines kräftigen galvanischen Stro¬ 
mes an irgend einer Stelle unterbricht, so 
springt zwischen den Unterbrechungsstellen 
— Elektroden genannt — ein Funke über. 
Dieser Funke ist aber nicht wie der Ent¬ 
ladungsfunke eine Vereinigung der beiden 
Elektricitäten in der Luft, sondern eine Glüh¬ 
erscheinung; sie entsteht nur,, wenn die 
Elektroden früher in Berührung waren. Diese 



508 


ELEKTRISIRMASCHINE. 


Erscheinung wird so erklärt, dass beim Auf¬ 
hören der Berührung die letzten Moleküle 
der Elektroden noch vom elektrischen Strom 
durchflossen sind; sie bilden einen unendlich 
dünnen und unendlich kurzen Draht, der in 
die höchste Glut geräth. Die durch die 
intensive Erhitzung an der Unterbrechungs- 
stelle verflüchtigten Metalltheilchen bilden 
dann einen die Stromleitung vermittelnden 
glänzenden Lichtbogen zwischen den beiden 
Elektroden, welcher der Davy’sche Licht¬ 
bogen genannt wird. Dieser Lichtbogen — 
in der Elektrotechnik Bogenlicht genannt 
— erscheint besonders glänzend, wenn bei 
einer Kette von 50—60 Elementen oder im 
Schliessungsdrahte einer dyuamo-elektrischen 
Maschine an der Stelle der metallischen 
Polenden Kohlenspitzen angewendet wer¬ 
den, die dabei zum hellsten Weissglühen er¬ 
hitzt werden und nebst dem sie verbindenden 
Lichtbogen ein Licht ausstrahlen, welches an 
Intensität schon bei 46 Bunsen’schen Ele¬ 
menten 0 * 235 des Sonnenlichtes beträgt. Beim 
Glühen werden die Kohlenspitzen, auch me¬ 
tallene Polenden verbraucht, indem sie ver¬ 
brennen (nicht blos glühen): hiedurch wird 
jedoch der Abstand der Spitzen vergrössert, 
der Lichtbogen -verlischt daher bald, wenn 
nicht der Abstand constant erhalten wird, 
was durch den Kohlenlichtregulator 
geschieht. Dieser muss das Licht constant 
erhalten und einen sich nicht von der Stelle 
bewegenden Lichtpunkt erzeugen, auch die 
anfänglich sich berührenden Elektroden von 
einander entfernen und beim Verlöschen des 
Lichtes wieder näher an einander bringen. 
Ist der Lichtbogen mit solch einem Regu¬ 
lator versehen, so hat man die elektrische 
Lampe, welche derzeit zur Beleuchtung von 
Bahnhöfen, Güterhallen, Fabriksräumen schon 
sehr ausgedehnte Anwendung findet. 

Eine zweite Form des durch den gal¬ 
vanischen Strom erzeugten elektrischen Lichtes 
ist das Glühlicht. Dieses beruht auf der 
Thatsache, dass, wenn der elektrische Strom 
durch einen dünnen Metalldraht oder über¬ 
haupt durch einen Körper, welcher dem elek¬ 
trischen Strom einen grossen Widerstand 
entgegensetzt, geht, derselbe eine Tempera¬ 
turerhöhung erfährt, die bis zur Glut, selbst 
bis zum Schmelzen des Drahtes steigen kann. 
Nach Joule ist die hiebei in einer bestimmten 
Zeit entwickelte Wärmemenge dem Lei¬ 
tungswiderstande des Drahtes und dem 
Quadrat der Stromstärke proportional. Es 
handelt sich also bei der Erzeugung des Glüh¬ 
lichtes darum: 1. in den Schliessungsbogen 
einen schlechten Elektricitätsleiter einzu¬ 
schalten, Platindrähte, Kohlenstäbe, um den 
Leitungswiderstand zu erhöhen; 2. möglich 
grosse Stromstärken anzuwenden, wie solche 
nur mittelst der magnetelektrischen Maschinen 
erreichbar sind. 

Das Glühlicht (s. a. Beleuchtung thieri- 
scher Körperhöhlen) ist jene Form des elek¬ 
trischen Lichtes, welche die Benützung des¬ 
selben selbst für kleinere Räume ermöglicht, 
und dessen allgemeine Anwendung nur mehr 


eine Frage der Zeit ist. Schon 1838 machte 
Jobart den Vorschlag, kleine Kohlenstücke 
durch den elektrischen Strom zur Glut zu 
erhitzen, um auf diese Weise elektrisches 
Licht zu erzeugen. Weil aber die Kohle, wie 
beim Bogenlicht gezeigt wurde, beim Glühen 
auch verbrennt, so gab Jobart an, dass man 
die Kohlenstückchen in ein luftleeres Glas- 
gefäss einschliessen müsse, wodurch die Ver¬ 
brennung bekanntlich unmöglich gemacht 
wird; doch wurde eine brauchbare Lösung 
dieser Aufgabe erst in den Jahren 18*77—1880 
von Swan, Edison u. A. erreicht. Edison’s 
Glüh lichtlampe, welche aus einem Raum 
in den andern getragen werden kann, wie 
irgend eine Petroleumlampe, besteht aus 
einem bimförmigen, vollkommen luftdicht ver¬ 
schlossenen Glasgefäss, in welchem eine aus 
Bambusfaser bereitete haarfeine Kohle in 
Form einer einfachen Schleife von zwei Drähten 
getragen wird. Diese Drähte sind am unteren 
schmalen Ende des Gefasses in die Glas¬ 
wand eingeschmolzen, sie werden, wenn die 
Lampe leuchten soll, an ihren aus dem Glas- 
gefässe hervorragenden Enden mit der Strom¬ 
quelle in passender Weise verbunden. Vor 
dem Zuschmelzen des bimförmigen Glas- 
gefösses wurde die Luft aus demselben 4&rch 
Auspumpen möglichst entfernt. Indem der 
Strom nun den dünnen Kohlenfaden durch- 
fliesst, findet er in diesem einen bedeutenden 
Widerstand, der Kohlenfaden wird glühend und 
strahlt ein intensives, ruhiges Licht aus. Lh. 

Elektrisirmaschine. Will man grössere 
Mengen freier Elektricität entwickeln, um 
stärkere Wirkungen derselben zu haben, so 
benützt man hiezu die Elektrisirmaschine, 
welche auf dem Princip der Reibungs- 
Elektricität beruht. Werden nämlich zwei 
Körper an einander gerieben, so entsteht auf 
dem einen der positive, auf dem anderen der 
negative elektrische Zustand in gleicher 
Stärke. Die Art der auf jedem geriebenen 
Körper erregten Elektricität ist zunächst ab¬ 
hängig von dem Materiale, z. B. wird Glas 
ohne Ausnahme positiv elektrisch beim Reiben 
mit einem Amalgam (bestehend aus 2Gewichts- 
theilen Zink und 1 Gewichtstheil Quecksilber 
— Böttger’s Amalgam), auch werden Pelzwerk, 
Wolle, Seide, Leinen, Papier und Metalle 
unbedingt positiv, wenn sie mit Harzen, 
Bernstein oder Schwefel gerieben werden; 
ausserdem wird aber die Art der erregten 
Elektricität auch durch sehr geringe Ver¬ 
schiedenheiten der Oberfläche, durch die Rich¬ 
tung der Reibung (bei Seidenbändern, ob sie 
der Länge oder der Quere nach gerieben 
werden) bestimmt. Die gewöhnliche Reibungs- 
Elektrisirmaschine besteht aus dem Körper, 
an welchem gerieben wird, aus dem reiben¬ 
den Körper oder Reib zeug und aus dem 
zur Ansammlung der erzeugten Elektricität 
dienenden Leiter oder Conductor. Als 
Körper, an dem gerieben wird, benützt man 
gewöhnlich eine kreisrunde Glasscheibe, 
welche mittelst einer Kurbel um eine isoli- 
rende Achse gedreht werden kann, als Reibzeug 
dienen zwei mit Amalgam bestrichene Leder- 



ELEKTRODIAGNOSTIK. 


ELEKTRODYNAMIK. 


909 


kissen, welche von beiden Seiten her durch 
massigen Federdruck gegen die Scheibe ge¬ 
drückt werden. Ueberdies befestigt man am 
Reibzeug Lappen von Seidenzeug, welche 
sich von beiden Seiten her gegen die Scheibe 
legen, zu dem Zwecke, um die Zerstreuung 
der Elektricität in die Luft, auf dem Wege 
bis ,zum Conductor, zu verhindern. Der durch 
Glasfüsse wohl isolirte Conductor besteht aus 
Zink, Weissblech oder Messing und hat die 
Gestalt einer Kugel oder . eines an beiden 
• Enden mit Halbkugeln geschlossenen Cylin- 
ders. Wünscht man an einer Stelle des Con- 
ductors.eine grössere Menge Elektricität an¬ 
zusammeln, so gibt man dem Conductor 
einen Fortsatz in Form eines längeren, dün¬ 
neren Cylinders, der in einen kugelförmigen 
Knopf endet. Die auf der Scheibe erregte 
Elektricität wird dem Conductor durch die 
Einsauger zugeführt. Diese sind zwei Me¬ 
tallarme, welche beiden Flächen der Scheibe 
gegenüberstehen und auf der inneren der 
Scheibe zugekehrten Seite gewöhnlich mit 
einer Reihe von Spitzen versehen sind. Da 
die Dichtigkeit der Elektricität an den hervor¬ 
ragenden Theilen eines Leiters am grössten 
ist und von hier aus am leichtesten eine 
Zerstreuung derselben an die umgebende 
Luft stattfindet, so müssen an allen übrigen 
Theilen des Conductors hervorragende Kanten 
und Spitzen sorgfältig vermieden werden. 
Durch die Reibung des Amalgams mit dem 
Glase wird nun das Reibzeug negativ, das 
Glas positiv elektrisch. Die positive Elektri¬ 
cität der Scheibe wirkt, wenn sie durch 
Drehung der Scheibe in die Nähe der Ein¬ 
sauger kommt, vertheilend auf die neutrale 
Elektricität des Conductors. Die negative 
wird angezogen und strömt aus den Spitzen 
des Einsaugers auf die Scheibe über, deren 
positive Elektricität dadurch neutralisirt wird. 
Die abgestossene positive Elektricität des 
Conductors bleibt dagegen auf diesem zurück 
und saipmelt sich in den von der Scheibe 
entfernteren Theilen desselben an, von wo 
sie durch Ableitung nach dem Erdboden oder 
durch Annäherung eines mit dem Boden ver¬ 
bundenen Leiters auf eine geringe Entfernung 
in Form elektrischer Funken entfernt 
werden kann. Um zu verhüten, dass ein 
Theil der positiven Elektricität der Scheibe 
durch die negative Elektricität, welche sich 
auf dem Reibzeug ansammelt, neutralisirt 
werde, muss das letztere während der Drehung 
der Scheibe mit dem Erdboden in leitende 
Verbindung gesetzt werden. Man kann jedoch 
die Maschine auch so einrichten, dass auch 
das Reibzeug isolirt werden kann; leitet man 
dann die positive Elektricität des Conductors 
zur Erde ab, so erhält man beim Drehen der 
Scheibe vom Reibzeug negative Elektricität. 

Anstatt des Glases kann man auch Hart¬ 
gummi als Körper, der gerieben wird, zur 
Construction der Elektrisirmaschine benützen; 
hiebei besteht das Reibzeug aus Pelzwerk. 

Die erste Anlage der Elektrisirmaschine 
rührt von Otto von Guericke aus Magde¬ 
burg, dem Erfinder der Luftpumpe, her (1672); 


er benützte zur leichteren Erregung der 
Elektricität durch Reibung eine um eine Achse 
drehbare Schwefelkugel, bei welcher die Hand als 
Reibzeug diente. Bei der von Armstrong 1849 
constTuirten Dampf- Elektrisirmaschine 
wird die Elektricität durch die Reibung hoch¬ 
gespannten Wasserdampfes an den Wänden 
passend gestalteter Ausströmungsröhren er¬ 
zeugt, hiebei ist der Dampf positiv elektrisch, 
der isolirte Kessel negativ elektrisch. 

Die Elektrisirmaschine dient dazu, die Er¬ 
scheinungen der elektrischen Anziehung und 
Abstossung (s. Elektroskop) sowie die auf dem 
Princip der elektrischen Influenz beruhenden 
in verstärktem Masse hervorzubringen; insbe¬ 
sondere lassen sieb mit Hilfe derselben die 
verschiedenen Arten der elektrischen Ent¬ 
ladung und deren Wirkung auf den Thier¬ 
körper demonstriren und studiren. Lotbisch. 

Elektrodiagnostik bezeichnet die Anwen¬ 
dung der Elektricität zu diagnostischen 
Zwecken behufs Prüfung der Muskeln und 
Nerven lebender Menschen auf ihre elektrischen 
Eigenschaften in physiologischen und patholo¬ 
gischen Zuständen. Sie ist eine als methodische 
Untersuchungsfonn ganz neue Disciplin, welche 
auf der durch die Erfahrung erhärteten That- 
sache beruht, dass gewisse functioneile und 
anatomische Veränderungen mit bestimmten 
Alterationen der elektrischen Eigenschaften 
der Muskeln und Nerven Zusammenhängen. 
Die Methode bedient sich als elektrodiagno- 
stischer Apparate constanter galvanischer 
Batterien, welche durch zweckmässige Ver¬ 
bindung der einzelnen Elemente die Einschal¬ 
tung einer beliebigen Zahl solcher und so die 
Erreichung ganz bestimmter durch ein damit 
verbundenes Galvanometer anzugebender Strom¬ 
stärke gestattet; der zur Verwendung kommende 
Strom ist der inducirte, seltener der galvanische. 
Die mit derartigen Störungen der elektrischen 
Reaction der Muskeln und Nerven verbundenen 
Erkrankungen sind besonders periphere und 
von Alterationen der vorderen grauen Substanz 
abhängige Lähmungen und Muskelatrophien, 
während centrale Erkrankungen solche seltener 
im Gefolge haben. 

In der Thierheilkunde hat die Elektro¬ 
diagnostik wegen des Wegfalles uns zugäng¬ 
licher subjectiver Symptome bisher wohl noch 
keine Verwendung gefunden und wird sie 
auch nie in der Weise finden können wie bei 
den Neuropathologen unter den Menschen¬ 
ärzten. Sussdorf. 

Elektrodynamik. Der elektrische Strom 
hat drei Arten von Ferne Wirkungen, u. zw. 
1. dynamische, 2. magnetische und 3. elek¬ 
trische oder Inductionswirkungen. Die dyna¬ 
mischen, d. i. bewegenden Femewirkungen 
bestehen darin, dass elektrische Ströme auf 
einander und auf den Magnet einen bewegenden 
Einfluss ausüben. Man nennt nun den Theil 
der Lehre vom Galvanismus, welcher die 
hiehergehörigen Erscheinungen in Betracht 
zieht, auch Elektrodynamik. Sie behandelt die 
Anziehung und Abstossung zweier elek¬ 
trischen Ströme auf einander, die Wirkung von 
Magneten auf elektrische Ströme und die auf 



olO ELEKTROLYSE. — ELEKTROPHYSIOLOGIE. 


Wechselwirkung zwischen elektrischen Strö¬ 
men aufgebaute Ampfere’sche Theorie d£s 
Magnetismus und schliesslich die Wirkung Ton 
elektrischen Strömen auf Magnete. Loebisch . 

Elektrolyse. Die chemische Zersetzung 
eines chemisch zusammengesetzten Körpers 
durch den galvanischen Strom bezeichnet 
man als Elektrolyse. Schaltet man in den 
Stromkreis einer aus mehreren galvanischen 
Elementen gebildeten Kette einen chemisch 
zusammengesetzten leitenden flüssigen Körper 
. ein, z. B. Wasser, welches, um es besser 
leitend zu machen, mit etwas Schwefelsäure 
versetzt wurde, so beobachtet* man an den in 
das Wasser tauchenden metallischen Leitungs¬ 
drähten oder Elektroden eine Gasentwicklung, 
davon herrührend, dass das Wasser durchs 
den galvanischen -Strom in seine chemischen 
Elementarbestandtheile, in Wasserstoff und 
Sauerstoff, zerlegt wird, welche beide gas¬ 
förmige Körper sind; zugleich kann man sich 
überzeugen, dass sich Wasserstoffgas am 
negativen PoL. Sauerstoff am positiven ab¬ 
scheidet. Man bezeichnet die durch die Wir¬ 
kung des Stromes sich zersetzenden Körper 
als Elektrolyten. Die Drähte, durch welche 
der Strom in den Elektrolyt eintritt, heissen 
Elektroden, u. zw. diejenige Elektrode, durch 
welche der positive Strom eintritt, die positive 
Elektrode oder A n o d e, diejenige, durch welche 
der negative Strom eintritt, die negative 
Elektrode oder Kathode. Die an den Elek¬ 
troden ausgeschiedenen Bestandteile heissen 
Jollen, u. zw. der am positiven Pol abge¬ 
schiedene elektronegative Bestandteil des 
Elektrolyten das Anion, der am negativen 
Pol abgeschiedene elektropositive Bestand¬ 
teil das Kation. Als Elektroden wendet 
man am zweckmässigsten Platinplatten an, 
zum mindesten muss bei der Zersetzung des 
Wassers die Anode aus einem edlen Metall 
bestehen, weil sich sonst der Sauerstoff nicht 
gasförmig abscheidet, sondern mit dem Metall 
* der Elektrode ein Oxyd bildet, welches sich 
in der Säure auflöst. Die Menge des in einer 
bestimmten Zeit an * den Elektroden abge¬ 
schiedenen Gases ist der Stromstärke pro¬ 
portional und unabhängig von der Gestalt 
und Grösse der Elektroden, man kann daher 
die Stromstärke messen, wenn man die Menge 
des Sauerstoffs und Wasserstoffs bestimmt, 
welche der Strom in einer bestimmten Zeit 
aus angesäuertem Wasser entwickelt. Ein 
für diesen Zweck eingerichteter Apparat heisst 
Voltameter. Ebenso wie das Wasser werden 
die meisten aus zwei Elementen bestehenden 
chemischen Verbindungen zerlegt, wenn sie 
im flüssigen oder gelösten Zustande der 
Wirkung des Stromes ausgesetzt waren, u. zw. 
werden durch denselben Strom aus verschie¬ 
denen Elektrolyten stets Mengen abgeschieden, 
welche im Verhältnisse ihrer Aequivalent- 
gewichte stehen, also derselbe Strom, der aus 
Wasser in einer bestimmten Zeit 1 g Wasser¬ 
stoff abscheidet, wird in der gleichen Zeit 
aus einer Kochsalzlösung 23 g Natrium ab¬ 
scheiden, weil 1 g Wasserstoff und 23 g Natrium 
äquivalent sind. 


An den Elektroden scheiden sich jedoch 
nicht immer nur .chemisch einfache Körper 
aus, sondern es können sich auch zusammen¬ 
gesetzte ‘Körper ausscheiden. Zerlegt man 
z. B. eine concentrirte Lösung von Kupfer¬ 
vitriol, S0 4 Cu, durch den galvanischen Strom, 
so wird sich an -der negativen Elektrode 
metallisches Kupfer ausscheiden, an dem 
positiven Pol wird hingegen die Atomgruppe 
S0 4 abgeschieden, welche aber sofort in 0 
und Schwefelsäureanhydrid, SO«, zerfällt; 
letzteres löst sich in Wasser und bildet* 
Schwefelsäure. Würden in einem solchen 
Falle beide Elektroden aus Kupfer bestehen, 
so würde an der «negativen Elektrode das 
metallische Kupfer haften bleiben und das 
Gewicht der Elektrode vermehren, an der 
positiven Elektrode würde dagegen von der 
Schwefelsäure eine gleiche Menge Kupfer 
aufgelöst werdeü, und es würde sich wieder 
Kupfervitriol bilden; die Folge davon ist, 
dass die Zusammensetzung der Lösung immer 
unverändert bleibt. Die Einwirkung der durch 
den elektrischen Process abgeschiedenen 
Atomgruppen auf die Elektroden, auf die 
Elektrolyten und auf einander bewirkt eine 
Reihe von chemischen Vorgängen, welche man 
als secundäre Processe der Elektrolyse 
bezeichnet. Auf der Abscheidung des Kupfers 
an der negativen Elektrode beruht die von 
Jacobi erfundene wichtigste technische 
Anwendung der Elektrolyse, die Galvano¬ 
plastik. Es lässt sich nämlich der Kupfer¬ 
niederschlag, wenn er langsam’ und gleich- 
mässig erfolgt, von der Elektrode, auf der er 
sich gebildet hat, ablösen und gibt deren Ge¬ 
stalt (Münzen, Medaillen, Kunstgegenstände) 
auf das genaueste wieder. Die Elektrolyse 
findet ferner Anwendung zum Vergolden, Ver¬ 
silbern, Vernickeln: in der chemischen Praxis 
dient sie zur Abscheidung von Metallen aus 
ihren Verbindungen^ Loebisch. 

Elektrophy8iologie. Die Physiologie lehrt 
das Vorhandensein elektrischer Ströme in 
Muskeln, Nerven und Drüsen. Die Autoren 
fassen dieselben zum Theil (Du Bois-Reymotid) 
als präexistent und dem lebenden Gewebe zu¬ 
kommend auf, ein anderer Theil (Hermann) 
erachtet dieses im Ruhezustand für nur positiv 
elektrisch, während er das Auftreten der nega¬ 
tiven Elektricität und so die Möglichkeit elek¬ 
trischer Ströme auf Thätigkeit. Verletzungen, 
Absterben von Gewebsbestandtheilen zurück¬ 
führt. Die Prüfung des elektrischen Stromes 
gescl lieht am einfachsten an parallel faserigen 
Muskeln, z. B. dem M. sartorius des Frosches, 
an welchen die Oberfläche als „natürlicher 
Längsschnitt 41 von der an die Sehne anstos- 
senden Grundfläche, dem „natürlichen Quer¬ 
schnitt 44 unterschieden wird; sie kann aber 
auch an jedem excidirten Muskelstück vorge¬ 
nommen werden, das dann an Stelle der natür¬ 
lichen die künstlichen Längs- und Querschnitte 
darbietet; an einem solchen nennt man 
ferner eine genau in seiner Mitte rings uiu 
den Muskel verlaufende Linie den „Aoquator 44 
und die Mittelpunkte des Querschnittes die 
„Pole 44 , alle jene Punkte aber, welche von dem 


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ELEKTROPHYSIOLOGIE. 


. 511 


Aequator, resp. den Polen gleich weiten Abstand 
einhalten, „symmetrische^ Punkte. Zum Nach¬ 
weis der an sich schwachen Ströme dient der 
Multiplicator oder Elektrogalvanometer, welcher 
in die Leitungsdrähte,-die Längs- und Quer¬ 
schnittverbinden, eingeschaltet wird. Vermit¬ 
telst dieser Vorrichtungen stellte Du Bois-Rey- 
mond, der wissenschaftliche Begründer derElek- 
trophysiologie, für die ruhende Muskulatur den 
Satz auf: a) dass sich alle Theile des Quer¬ 
schnittes negativ elektrisch zu allen Theilen des 
Längsschnittes verhalten, und dass demgemäss 
der Strom durch den ableitenden Bogen vom 
Längsschnitt zum Querschnitt verläuft, während 
er im Muskel selbst vom Querschnitt zum 
Längsschnitte geht, und b) dass sich jeder dem 
Aequator nähere Punkt des Längsschnittes 
positiv elektrisch -gegen jeden von diesem ent¬ 
fernteren Punkt verhält; c) er zeigte ferner 
(vgl. dazu Fig. 470), dass ein, galvanischer 
Strom nur dann entstände, wenn die Anord- 



Fig. 470. Schema zur Demonstration der Muskelströme, 
und zwar: bei I für den ruhenden, bei II für den thätigen 
Muskel. A Aequator, P P' Pole des Muskelcylinders, 
a nnd ß deuten die „wirksame“ Anordnung an, wie sie 
zur Entstehung starker (a) und schwacher (ß) Ströme 
ftlhrt, d entspricht der „unwirksamen“ Anordnung. In II 
wird durch das Galvanometer die „negative Stromes- 
schwaukung“ des th&tigen Muskels in aeT Stellung des 
Zeigers 2, der bei dieser Anordnung des Schliessungs¬ 
bogens im ruhenden Muskel die Stellung l zeigen würde, 
versinnlicht. 

nung des Leitungsbogens eine „wirksame“ sei, 
d. h. a) als stärkerer Strom, wenn die beiden 
Enden dieses an Längs- und Querschnitt an- 
liegen, ß) als schwacher, wenn sie unsymme¬ 
trische Punkte einer und derselben Fläche 
(Längs- oder Querschnitt) berühren; d) für den 
Fall der Anlegung der Leitungsdrähte an sym¬ 
metrische Punkte des Längs- oder Querschnittes 
kann ein Strom nicht beobachtet werden, die 
Anordnung ist eine „unwirksame“; e) die natmv 
liehen Muskeln zeigen nun meist keine genau 
senkrecht zum Längsschnitte stehenden Quer¬ 
schnitte, sondern bilden in der Regel sog. 
„Muskelrhomben“ mit stumpfen und spitzen 
Ecken. An solchen ist das geschilderte Ver¬ 
hältnis der elektrischen Spannungen zu ein¬ 
ander ein anderes. Es verhält sich hier nämlich 
jeder einer stumpfen Ecke naheliegende Punkt 
des Längs- oder Querschnittes stark positiv 
zu einem der spitzen Ecke gleich naheliegenden 
Punkte. Die durch Verbindung solcher Punkte 
entstehenden Ströme sind stärker .als Oie bei 


senkrechtem Querschnitte entstehenden, u. zw. 
um so stärker, je schräger der Querschnitt. 
Man nennt sie „Neigungsströme“. 

“Aus der Kraft der Ströme ergibt sich 
ferner, dass a) die Spannung der positiven 
Elektricität, am Aequator am stärksten, allmälig 
gegen das Ende des Längsschnittes abnimmt 
und dort verschwindet, und dass b) die Span¬ 
nung der negativen Elektricität an den Poleh 
am stärksten ist und ebenfalls bis zum Ende 
des Querschnittes verschwindet; c) die elektro¬ 
motorische Kraft des Muskels ist um so grösser, 
je länger und dicker derselbe, sie ist aber 
auch dem kleinsten Muskelabschnitte eigen. 

Die Grösse der elektromotorischen .Kraft 
beträgt für die dicken Oberschenkelmuskeln 
des Frosches ca. % 0 — i / l% Daniell (d. h. den 
20.—12. Theil der Kraft eines DanieirscKen 
Elementes); im Nerv, ischiad. des gleichen 
Thieres ca. y fi0 Daniell, sie ist somit in diesem 
relativ grösser als in den ersteren. 

Die elektromotorische Wirksamkeit des 
Muskels ist eine beschränkte, sie bedarf behufs 
ihrer Entstehung eines wenn auch nur ganz 
kurzen, Zeitabschnittes nach Anlegung des 
Querschnittes (Hermann) und kaqn somit au 
absolut frischen Muskeln, wie dem eben exci- 
dirten Herzen (Engelmann), nicht nachgeiViesen 
werden: sie verschwindet dagegen mit dem 
Erlöschen der Muskelirritabilität, re^p. -mit 
dem Eintritte der Todtenstarre (Roeber). Auch 
andere Einflüsse alteriren sie, so lässt sie inner¬ 
halb der physiologischen Grenzen (also zwi¬ 
schen -f- 2 und 40 0 C.) erfolgende Temperatur¬ 
zunahme sich vermehren, höhere Grade schwä¬ 
chen die Stromstärke (Steiner). 

Der Muskelstrom besitzt die gleichen 
Eigenschaften wie der elektrische Strom. Er 
veranlasst somit, auf einen motorischen Nerven 
übergeleitet, als elektrischer Reiz Zuckung des 
zugehörigen Muskels. Darauf beruht der Nach¬ 
weis des Stromes durch das v physiologische 
Rheoskop“. Wird nämlich der mit seinem 
Gastrocnemius in Verbindung stehende Ischia- 
dicus gleichzeitig als Schliessungsbogen an 
Längs- und Querschnitt eines frisch entnom¬ 
menen Muskels in „wirksamer“ Anordnung 
angelegt, so zuckt der Gastrocnemius. Der 
Muskelstrom hat auch die chemische Wirkung 
des gewöhnlichen elektrischen Stromes; in 
Jodkalium-Kleister geleitet, lässt er die Stärke 
durch das am positiven Pole sich abscheidende 
Jod sich blau färben; er wirkt also elektro¬ 
lytisch. 

Die Erklärung des Zustandekommens der 
elektrischen Ströme in Muskel- (und Nerven-) 
Substanz gibt die Molekulartheorie Du Bois- 
Reymond’s durch die Annahme kleiner elektro- 
motorisch-thätiger Elemente, 'welche a priori 
peripolar-elektrisch, d. h. mit positiver Aequa- 
torialzone und negativen Polflächcn ausge¬ 
stattet seien. Wenn diese Aufstellung auch 
einzelne der bezüglichen Erscheinungen zu er¬ 
klären vermag, so gibt sie doch für zahlreiche 
derselben keinen genügenden Aufschluss, und 
man ist deshalb neuerdings mehr der Her- 
mann’schen Differenztheorie zugeneigt. Nach 
dieser verhält sich der normale ruhende 


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ELEKTROSKOP. 


513 

Muskel- und Nerveninhalt positiv elektrisch, 
in der Thätigkeit und mit dem Absterben 
dagegen wird derselbe negativ, daher erscheint 
an der verletzten Stelle negativ-elektrische 
Substanz, die, mit der intacten, also positiven 
Oberfläche in leitende Verbindung gebracht, 
einen Strom entstehen lässt. Eine der Haupt¬ 
stützen für die grössere Wahrscheinlichkeit 
dieser Hermann'schen Theorie liegt in der 
Beobachtung einer Parelektronomie des 
intacten Sehnenendes des Muskels, d; h. in der 
Thatsache, dass der natürliche Querschnitt 
positiv elektrisch ist und so wegen zuweilen 
grösserer Spannung an diesem gegenüber dem 
Längsschnitte den Strom in umgekehrter Rich¬ 
tung vom Quer- zum Längsschnitt treten lässt. 

Die Thätigkeit des Muskels veranlasst 
nun eine Modification der elektrischen Erschei¬ 
nungen, welche sich als „negative Stromes¬ 
schwankung“ ausspricht. Dieselbe besteht 
in einer bis zum Verschwinden sich steigernden 
Abnahme der elektrischen Spannungsdifferenz 
im tetanisirten, vorher in hohem Grade elek¬ 
trisch-wirksamen Muskel, in Folge deren die 
Ablenkung der Magnetnadel im Galvanometer 
schliesslich, wegfällt (vgl. Fig. 470, II). Diese 
auch der einfachen Zuckung am herausge¬ 
schnittenen und gereizten Skeletmuskel sowie 
einer jeden Herzcontraction zukommende Er¬ 
scheinung läuft mit der gleichen Geschwin¬ 
digkeit wie die Contractionswelle vom gereizten 
zum entgegengesetzten Ende des Muskels hin, 
immer der Contraction der einzelnen Stelle 
in kurzem Intervall, also während des Stadiums 
der Latenz vorausgehend; man nennt sie eine 
„Negativitätswelle“ in der elektromotorischen 
Wirksamkeit des Muskels, sie dauert 0 • 003 Se- 
cunden (Bernstein). Diese Schwankung in der 
Stromesintensität, welche sich in der Negativi¬ 
tätswelle ausspricht, kann auch direct als Nerven¬ 
reiz wirken, sie veranlasst als solche nämlich 
eine Zuckung (secundäre Zuckung) des Mus¬ 
kels, wenn man das oben als „physiologisches 
Rheoskop“ bezeichnete Muskelnervenpräparat 
des Frosches derart mit dem zuckenden Muskel 
in Verbindung bringt, dass der N. ischiadicus 
jenes den ableitenden Bogen darstellt. 

Die bisher hauptsächlich als für den 
Skeletrauskel giltig geschilderten Erscheinun¬ 
gen spielen sich in ganz ähnlicher Weise auch 
ander organischen Muskulatur und den 
Nerven ab. Die vorhandenen ‘Differenzen 
beziehen sich im Wesentlichen nur auf die 
Stärke des elektrischen Stromes, die Ge¬ 
schwindigkeit der Negativität«wellen (ca. 3 m 
in einer Secunde im quergestreiften Muskel, 
beträgt sie etwa 37 m im Nerven, kommt 
also in beiden Geweben der Fortpflanzungs¬ 
geschwindigkeit der Erregung selbst gleich) etc. 
Aber, wie schon erwähnt, auch die Drüsen 
zeigen galvanische Ströme, besonders die 
drüsenreichen Häute und Schleimhäute des 
Frosches besitzen eine von der Aussen- gegen 
die Innenfläche gerichtete elektromotorische 
Kraft, von der nach Du Bois-Reymond und 
Rosenthal auch Spuren bei Menschen und 
Warmblütern nachzuweisen sind. Durch Aetzung 
der Oberfläche werden diese Ströme schnell 


vernichtet, weshalb der intacten Haut- oder 
Schleimhautstelle ein» negativ-elektrisches Ver¬ 
halten gegenüber der angeätzten zugeschrieben 
wird; durch Reizung der secretorischen Haut¬ 
nerven erleiden diese Drüsenströme Verände¬ 
rungen, sie zeigen ebenfalls die negative 
Schwankung. 

Elektrische Erscheinungen bieten uns in 
Weiterem gewisse Fischarten (Torpedo, Gym- 
notus, Malapterurus) dar, welche, mit beson¬ 
derem elektrischen Organe ausgestattet, will¬ 
kürlich oder reflectorisch kräftige Schläge 
auszutheilen und dadurch selbst Pferde zu 
betäuben und zu tödten vermögen. Das Organ 
besteht aus Reihen von „Kästchen“, welche 
durch Bindegewebe umgrenzt und mit einer 
gallertartigen Substanz gefüllt sind; zu einem 
jeden dieser Kästchen treten Nervenfasern, die 
sich zu Netzen formiren, und deren Ausläufer, 
in das Kästchen eindringend, dort eine (Ner¬ 
venend-) Platte bilden, welche als „elektrische 
Platte“ bei Reizung der Nerven an der einen 
Seite positiv, an der anderen negativ elektrisch 
werden, so dass nunmehr die einander zuge¬ 
wendeten Flächen, durch die den Tuchläppchen 
der Volta’schen Säule entsprechenden binde¬ 
gewebigen Dissepimente getrennt, mit ent¬ 
gegengesetzter Elektricität geladen sind. Durch 
Summirung der äusserst zahlreichen Plättchen, 
die bei dem Zitterwels den* ganzen Rumpf 
umgeben, entstehen äusserst kräftige Gesammt- 
ströme. 

Endlich treten an dem lebenden und 
todten Körper noch gewisse Erscheinungen 
der Contact-Elektricität hervor, welche‘durch 
das Reiben zwischen den epidermoidalen Bildun¬ 
gen der Haut (Haare, Federn etc.) und der Körper¬ 
bedeckung oder der streichenden Hand, ja 
sogar zwischen den genannten Gebilden selbst 
hervorgerufen werden; dieselben werden näm¬ 
lich durch Friction im Allgemeinen positiv 
elektrisch, eine Entladungsgelegenheit aber 
wird für gewöhnlich durch den Contact mit dem 
Erdboden geboten, und erst wenn der Körper 
durch Stehen auf isolirenden Teppichen etc. 
nicht in directer Berührung mit dem Erdboden 
sich befindet, kommt es zu stärkeren Ladungen 
mit Funkengeben. 

Die Elektrophysiolagie kann nun auch 
noch die Besprechung jener Veränderungen 
umfassen, welche aus der Einwirkung, des 
elektrischen Stromes auf gewisse Organe, 
Gewebsbestandtheile etc. resultiren. Dieselben 
fallen indessen in das Gebiet der speciellen 
Physiologie selbst und können somit nicht 
im Allgemeinen geschildert werden. Sussdorf. 

Elektroskop nennt man einen kleinen 
Apparat, der insbesondere zur Wahrnehmung 
der Reibungselektricität, auch zur annähernden 
Beurtheilung kleinerElektricitätsmengen dient. 
Die mit Messvorrichtungen versehenen Elek- 
troskope bezeichnet man richtiger als Elektro¬ 
meter. Die am häufigsten gebrauchten Elek- 
troskope haben folgende Einrichtung: Ein 
Messingdraht, welcher an seinem oberen Ende 
mit einem kugelförmigen Knopf oder einem 
Plättchen versehen ist, trägt an seinem 
unteren Ende zwei neben einander aufgehängte 



ELEKTROTHERAPIE. S13 


leicht bewegliche Körper. Bei dem Elektro- 
skop von Cavallo sind diese beweglichen 
Körper feine Silberdrähte, bei dem von Volta 
Strohhalme, während Bennet schmale Streifen 
von Blattgold anwendet. Das untere Ende des 
Messingdrahtes nebst den daran befestigten 
Goldplättchen ist zum Schutz gegen Beschä¬ 
digung und gegen Luftströmungen, überdies 
zur Vermeidung einer schnellen Zerstreuung 
der Elektricität in einem Glasgefäss einge¬ 
schlossen, durch dessen Hals der Messing¬ 
draht mittelst Schellack isolirt hindurchge¬ 
führt ist. Der Nachweis, dass irgend ein 
Körper elektrisch ist, mittelst des Elektro- 
skopes beruht nun auf dem Princip, dass die 
gleichnamigen Elektricitäten einander ab- 
stossen. Nähert man den Knopf desElektro- 
skopes einem elektrischen Körper, so weichen 
die Goldplättchen auseinander, indem sie 
leichnamig elektrisch werden und in Folge 
essen einander abstossen. Um mittelst des 
Elektroskopes zu prüfen, ob irgend eine Elek¬ 
tricität positiv oder negativ ist, verfährt man 
in folgender Weise. Man ertheilt zunächst 
dem Elektroskop selbst eine bestimmte Elek¬ 
tricität, z. B. indem man dem Knopfe einen 
geriebenen Glasstab nähert, negative Elek¬ 
tricität (die hiebei durch das Glas verdrängte 
positive Elektricität wird durch Berührung 
mit dem leitenden Finger fortgeführt); es 
stehen hiebei die Goldplättchen des Elek- 
troskops auseinander. Nähert man sich nun 
dem Knopfe mit einem Körper, z. B. mit einer 
geriebenen Stange aus Siegellack, so wird man 
eine Bewegung der Plättchen wahrnehmen, 
dieses deutet das Vorhandensein von Elek¬ 
tricität an. Ist nun die Elektricität die gleich¬ 
namige, mit welcher das Elektroskop geladen 
ist, so gehen die Plättchen weiter auseinander, 
denn zu der vorhandenen kommt noch die 
des genäherten Körpers, es findet also eine 
noch stärkere Abstossung statt. Ist der ge¬ 
näherte Körper — wie in unserem Falle — ent¬ 
gegengesetzt elektrisch, so gehen die Plätt¬ 
chen zusammen, ihre Elektricität wird von 
der genäherten fremden gebunden, die Ab- 
stossungserscheinungen vermindern sich bis 
zum gänzlichen Zusammenfallen der Plättchen. 
Sie gehen wieder auseinander, wenn man den 
genäherten Körper entfernt (vorausgesetzt 
dass er den Knopf oder das Plättchen des 
Instrumentes nicht berührt hat). Loebisck . 

Elektrotherapie nennt man die Anwen¬ 
dung der Elektricität als Heilmittel gegen 
Krankheiten; dieselbe wird vielfach als ein 
kräftiges Mittelwegen Schwäche und Lähmung 
der Nerven- und Muskelthätigkeit betrachtet. 
Die Anwendung dieses dynamischen Mittels hat 
bis jetzt besonders in der Menschenheilkunde 
Anhänger gefunden; in der Thierheilkunde 
wurden fast nur Versuche gemacht. — Diese 
Heilmethode- ist selbstverständlich von den 
Kenntnissen und Fortschritten in der Physik 
abhängig gewesen und ist selbst erst in 
moderner Zeit recht in Ehren gekommen. 
Während Einige an einen heilbringenden 
Einfluss glauben, wird dieser Einfluss auf 
den thierischen Organismus von Anderen mehr 

Koch. Encyklopälie d. Thierheilkd. II. Bd. 


oder weniger bezweifelt, von Manchen selbst 
gänzlich abgesprochen; sie nehmen nicht an, 
dass die Elektricität, welche man leiten, auf¬ 
bewahren, sozusagen greifen kann, mit dem 
subtilen Lebensfluid zu -identificiren ist. 

Eine solche Umwandlung der Kräfte ist 
auch gar nicht nöthig, und es kann die Wir¬ 
kung der Elektricität eine heilbringende sein, 
wenn sie nur die Lebensthätigkeit unterstützt 
und in den angezeigten Stellen stärkt. 
Wärme und Licht wirken ja auch auf die 
Lebensthätigkeit nach specieller Art, und beide 
Kräfte werden als Heilmittel benützt. Nicht 
nur bei jeder Bewegung ist Production und 
Consumtion von Elektricität, sondern auch bei 
jeder Thätigkeit der Nerven und selbst beim 
normalen Stoffwechsel ist dies der Fall (Aldini, 
Nobili, Du Bois-Reymond). Die Erzeugung von 
Elektricität sichert .selbst diesen Stoffwechsel. 
Auf diese Weise erklärt sich die auflösende 
Wirkung des längere Zeit benützten elektri¬ 
schen Stromes mit nur gelinden Zuckungen* 
die hydropischen Ausschwitzungen sind nach 
andauernder Anwendung der Elektricität ver¬ 
schwunden (Caussö, Rodet). Ein künstlicher 
Strom kann sich dem natürlichen nur hinzu¬ 
gesellen; diesen zu ersetzen,* ist nicht möglich 
(Aldini). Darum ist in Lähmungen ein Erfolg 
von der Anwendung der Elektricität nur dann 
zu hoffen, wenn der physiologische Strom 
noch vorhanden ist. 

Die gewöhnliche Elektricität der Luft, 
besonders in gewissen Gegenden, in Waldungen, 
übt auf den thierischen Organismus eine 
wohlthuende Wirkung, u. zw. sowohl: auf die 
Nerven, den Kreislauf und das Athmen, als 
auch auf die Ernährung und die Sccretionen. 
Diese nervenstärkende Wirkung erhält man 
auch durch andauerndes Einwirken des elek¬ 
trischen Stromes, selbst wenn keine Zuckungen 
provöcirt werden. 

Die durch Reibung erzeugte Elektricität 
wurde durch die Condvctorentladung der 
Elektrisirmaschiüe, durch Entladung der Ley- 
den’sche Flasche oder der elektrischen Batterie 
zuweilen gebraucht. Jedes Sinnesorgan wurde 
dadurch in seiner eigentümlichen Weise afficirt, 
indem sich die Wirkung als Nervenreizung 
äusserte. Jedoch die Reizungen der Nerven 
waren entweder zu schwach oder zu stark, so 
dass selbst Betäubung und Tod durch Nerven¬ 
lähmung eintreten konnte. 

Die durch Berührung entwickelte Elektri¬ 
cität (nach Galvani) w*urde kaum versucht: 
dieselbe spielt jedoch eine Rolle in den aus 
zwei verschiedenen sich berührenden Metallen 
gebildeten Ringen, Ketten oder Platten. In 
einer aus Zink und Kupfer gebildeten Platte 
erhält das erste Metall die positive, das andere 
die negative Elektricität. Die Spannung der 
erregten Elektricität ist stets eine geringe, 
und der heilbringende Effect höchstens nach 
längerer Zeit sichtbar. 

Erst nachdem Volta die elektromotorische 
Kraft erzeugte und dadurch elektrische Ströme 
entstanden, fand die Medicin ejn brauchbares 
Heilmittel. Die Elektricität wurde durch zwei 
verschiedene Metalle in einer leitenden Flüssig- 

33 



ELEKTROTHERAPIE. 


SI4 

keit, welche auf die Metalle leicht chemisch 
reagirte (das galvanische Element), gebildet. 

Zur Production dieser elektrischen Ströme 
wurden aus mehreren Elementen gebildete 
Säulen oder Ketten (Riles) von verschiedenen 
Formen gebaut.' Zuerst Trog* oder Becher¬ 
apparate, wo in die Flüssigkeit eine Reihe 
von Kupfer- und Zinkplatten tauchen (meist 
je ein Element fn einem Becher). Jede dieser 
Zinkplatten ist mit der Kupferplatte des be¬ 
nachbarten Elementes entweder durch Löthung 
oder durch Klemmschrauben verbunden. Die 
Elektricität geht zq den Polen: der positive 
Strom zum Kupfer und der negative zum 
Zink. Diese Ketten haben den Uebelstand, 
dass ihre Wirksamkeit schnell abninrmt, dass 
ihre Stärke herabsinkt, und sie “hatten in 
Heilversuchen nur selten einen Erfolg, wurden 
auch nur'wenig benützt. Jedoch hatte Marianini 
•einigen Erfolg bei Lähmungen, *so auch der 
Thierarzt^Vierodt in Karlsruhe. Mugendie, 
Andral undRemack hatten Erfolg bei erstickten 
Thieren und Menschen; atfch wurden rheu¬ 
matische Leiden geheilt. Die neueren Ketten, 
wo Kohle und Zink in doppeltsaurer Queck¬ 
silberlösung oder in einer Lösung von doppelt¬ 
chromsaurem Kali in verdünnte Schwefelsäure 
tauchen, haben jedoch eine anhaltende Wirkung 
und sind den doppeltflüssigen Ketten vorzu¬ 
ziehen, besonders wenn man sie mitlnductions- 
apparaten verbindet. Hier ist noch die Verbin¬ 
dung der Elektricität mit der Acupunctur zu 
erwähnen, wo man entweder die Pole mit 
einer galvanischen Säule in Verbindung bringt 
oder die-Nadeln selbst aus den beiden Metallen 
fabricirt. Sarlandiöre und- Fabrö-Palaprat 
hatten Erfolg bei Menschen in Lähmung, 
Rheumen u. s. w. Prövost, Clichy, Caussö, 
Flamens, Armbrecht hatten Erfolg bei Thieren 
in Paralysen. Caussö heilte Aufblähung und 
Magenkoller, so auch Brogniez. 

Der erwähnte Uebelstand des Sinkens 
der Wirksamkeit der elektrischen Ketten 
wurde durch die sog. constanten Kettep ver¬ 
mieden; das äusserliche Merkmal dieser con- 
8tanten Ketten besteht darin, dass dieselben 
aus zwei Metallen und zwei verschiedenen 
Flüssigkeiten zusammengesetzt sind. Es ge¬ 
hören hieher das DanielPsche, das Grove'sche 
und das Bunsen’sche Element; letzteres ist 
das gebrauchteste: in einemJThoncylinder ist 
Kohle in concentrirter Salpetersäure und Zink 
in verdünnter Schwefelsäure. 

Die physiologischen Wirkungen der vol" 
taischen Ströme auf den menschlichen und 
thierischen Organismus sind andauernder als 
diejenigen, welche durch Reibungselektricität 
erzeugt sind; sie treten namentlich im Augen¬ 
blick des Entstehens und Verschwindens des 
elektrischen Stromes hervor. Die Thiere 
reagiren ungewöhnlich stark auf den elektri¬ 
schen Strom, und es ist gut, die Thiere stets 
zu .fesseln. Der Apparat muss auch in ge¬ 
höriger Entfernung aufgestellt werden. In der 
Thierheilkunde ist nicht zu vergessen, dass 
Horn und Haare die Elektricität werfig oder 
nicht leiten. "Mittelst der constanten Ketten 
hat man mehrere Heilungen von Lähmungen, 


rheumatischen Leiden erhalten, -auch verschie¬ 
dene Schwächezustände sind geheilt worden. 

* Erst nachdem durch Faraday die Induc- 
tionsströme entdeckt wurden, zeigte sich die 
Elektricität geeignet, kräftige physiologische 
Wirkungen zu erzeugen. Diese Inductions- 
ströme werden dadurch erzeugt, dass im 
Augenblick des Entstehens oder Verschwindens 
eines elektrischen Stromes in benachbarten ge¬ 
schlossenen Stromleitern ebenfalls elektrische 
,Ströme erzeugt werden; ähnliche Inductions- 
strörae werden hervorgerufen, indem einem 
geschlossenen Stromleiter ein Magnetstab an¬ 
genähert oder von ihm entfernt wird. Die Er¬ 
zeugung starker physiologischer Wirkungen 
auf den t^hierischen und menschlichen Körper 
ist besonders der schnellen Aufeinanderfolge 
discontinuirlicher Ströme zuzuschreiben; sie 
bilden gewissermassen ein Mittelglied zwischen 
dem galvanischen Strom und dem Entladungs¬ 
strom der Leydener Batterie. 

Es werden heute sehr praktische, selbst 
in Verbandtaschen tragbare Inductionsappa- 
rate zu Heilzwecken construirt, andere werden 
in Kästchen transportirt. So sind die Naf sehen, 
Gaiffe’schen, die Duchene’schen, die Masson- 
schen Apparate von Aerzten- und Thierärzten 
sehr gebraucht und heute in der Menschenheil¬ 
kunde sowie in der Thierheilkunde ausschliess¬ 
lich benützt. Alles, was wir. weiter unten von 
neueren Heilresultaten sagen werden, ist mit¬ 
telst dieser Inductionsapparate erhalten worden. 

Behufs Einwirkung* der Elektricität auf 
den lebenden Organismus braucht man Lei¬ 
tungsapparate, sog. Conductoren. Als solche 
Conductoren dienen meistens Metalldrähte 
(mit Seide bedeckt), welche von den Polen 
des Apparates auf dje angefeuchtete Haut 
des Thieres geführt werden. Behufs besserer 
Einwirkung auf die Haut werden auf dieselbe 
mit den Drähten verbundene Platten (Excita- 
toren) gelegt. Mittelst der Conductoren strömt 
die erregte Elektricität durch die zwischen 
den Conductoren befindlichen Muskelpartien, 
ja sie ergreift selbst die in der Nähe ge¬ 
legenen oder durch Nerven mit jenen ver¬ 
bundenen Muskeln mit einer Stärke, die sich* 
nach der Stärke des Apparates biä zu den 
heftigsten Contractionen mit deutlichen Aus¬ 
brüchen von Schmerz steigern lässt. So oft 
einer der Conductoren entfernt wird, lässt 
der Krampf nach, wird jener wieder angesetzt, 
so durchzuckt ein Schlag die Muskeln. Matr 
hat behufs specieller Zwecke knopfartige, 
olivenförmige, pinselartige Excitatoren con¬ 
struirt: andere sind mit mittelst Salzwassers 
zu befeuchtenden Schwämmchen versehen 
endlich werden in einigen Fällen Bäder als 
Excitatoren benützt. Damit der elektrische 
Strom nicht in. die Hände des Operateurs 
übergehe, muss derselbe die’Conductoren mit 
trockenen Holzstäbchen halten oder mit trocke¬ 
nem Flanell umwickeln; es muss ferner darauf 
gesehen werden, dass die Leitungsdrähte 
weder unter einander, noch mit feuchten 
Gegenständen (z. B.'dera Boden) in Berührung 
kommen. Da, wie schon gesagt, die Thiere 
für den elektrischen Strom ungewöhnlich 



ELEKTROTONUS. 




empfindlich sind, ja verh&ltnissmässig viel 
mehr als der Mensch, so hat der Operateur 
sich ganz besonders vor j}em Gebrauch der 
natürlichen Waffen der Thiere, vor Beissen 
und Treten zu hüten: er muss in gehöriger 
Entfernung, operiren, und darum empfehlen 
sich die von Zündel beschriebenen Stab- 
eicitatoren, welche l*20m Länge haben. 

Dqt elektrische Strom der Inductions- 
apparate ist meist gegen Nervenkrankheiten- 
benützt worden, worunter in erste Linie sich 
die Lähmungen stellen, sei es die Kreuz - 
lähmung, sei es eine mehr locale Paralysie. 
Ströme, welche nicht zu* stark wirken, und 
solche mit geringeren Zuckungen sind hier 
vorgezogen. Duchene, Purkinje, Sprenger, 
Hering und Laquerriöre haben erkannt, dass 
Lähmungen der Empfindung leichter durch die 
Wirkung der Elektricität behoben werden, als 
solche der Bewegung. Lähmung der Harn¬ 
blase und des Rectüras verschwinden ziemlich 
schnell nach Anwendung der Elektricität, be¬ 
sonders wenn die Erkrankung nicht zu frisch 
entstanden ist (Lafosse, Bourrel,* Zündel, 
Hering, Ldgier, Laquerriere). Einige dieser 
Thierärzte .operirten mittelst einer in die 
Harnblase eingebrachten Sonde. Die Heilung 
einer Lähmung ist, wie oben schon ange¬ 
geben, nur dann möglich, wenn der physiolo¬ 
gische Strom noch in den Nerven vorhanden, 
also nur vermindert ist. Fehlt dieser physio¬ 
logische Strom, was vorkommt, wenn die Ver¬ 
bindung der Nerven mit dem Gehirn oder 
dem Rückenmark fehlt, so ist an eine Heilung 
gar nicht zu denken (Aldini, Remack). Nach 
den Lähmungen sind es die rheumatischen 
Leiden, welche am meisten mittelst Elektri¬ 
cität behandelt wurden; die Folgen waren 
aber sehr verschieden, und es sind Fälle 
bekannt, wo das Uebel noch ärger wurde; 
dies geschah besonders dann, wenn das Leiden 
etwas acut war, was bei Hunden häufig vor¬ 
kommt. Die intermittirende Schulterlähme ist 
von Laquerrifere, Mairemangin. Haas, Fuchs ge¬ 
heiltworden. Die Behandlung musste in solchen 
Fällen mehrere Wochen hindurch und mit we¬ 
nigstens zwei Anwendungen der Elektricität 
am Tage fortgesetzt werden; Starrkrampf ist 
von Kuhn mittelst anhaltenden elektrischen 
Stromes mit Erfolg geheilt worden. Convulsive 
Krankheiten, wie Veitstanz der Hunde, Hah¬ 
nentritt der Pferde, sind nie geheilt worden. 

In Sohwächekrar.kheiten mit mehr oder 
weniger Wassererguss haben Petrequin und 
Rodet, sowie auch Clement einige Erfolge 
gehabt. Bei Mangel an Thätigkeit des Magens 
und der Gedärme, bei Mangel an peristal- 
tischen Bewegungen der Baucheingeweide hat 
Laquerriöre Erfolge erzielt. Die Stoffe, welche 
in den Gedärmen sich befinden, namentlich 
die Gase, sollen fortgetrieben werden; Laquer- 
riöre erzielte einen Erfolg, indem er die Elek¬ 
tricität durch Einschnitte der Bauchwände 
^direct auf die Gedärme einwirken liess. 
‘Gleichen Erfolg erzielte Zündel, indem er 
durch die angeieuchteten Bauchwände an den 
passenden Stellen auf die Eingeweide wirkte. 
Herder, Hewgthon haben die Elektricität be¬ 


nützt, um die Uteruscontractioncn beim Ge¬ 
bären zu provociren, was Brogniez schon 
vor Jahren gemacht hatte. 

Anwendungen der Elektricität behufs Auf¬ 
lösung von Geschwülsten, ja selbst von Harn¬ 
steinen, welche in der Men^phenheilkunde mit 
Erfolg ausgeführt wurden, sind bis jetzt in 
der thierärztlichen Praxis noch nicht vorge¬ 
nommen worden, obschon die von Dumas und 
Prdvost gemachten Hamsteinauflösungsver- 
suche an Hunden unternommen wurden. ZI. 

Elektrotonus ist der Zustand, in welchen 
ein von dem faradischen (inducirten) Strome 
durchflossener Nerv versetzt wird. Derselbe 
spricht sich aus 1. durch Veränderungen in 
den elektromotorischen Eigenschaften des 
Nerven: der Nervenstrom (s. Elektrophysio- 
logie) wird durch einen gleichgerichteten 
constanten Strom verstärkt, durch einen ent- 
gegengesetzten abgeschwächt (positive, r^sp. 
negative Phase des Elektrotonus). t. Im 
Elektrotonus tritt auch eine Modification-in 
der Erregbarkeit des Nerven ein: in der 
Nähe der Einwirkungsstdle des positiven 
Poles (Anode) des betreffenden inducirten 
Stromes herrscht verminderte Erregbarkeit 
(Anelektrotonus), in der Umgebung derjeni¬ 
gen des negativen Poles (Kathode) dagegen 
vermehrte Erregbarkeit des Nerven (Katelek- 
trotonus). Zwischen beiden existirt als neu¬ 
trale Grenze unveränderter Erregbarkeit der 
Indifferenzpunkt, der bei starken Strömen 
näher der Kathode, bei schwachen näher der 
Anode liegt. Bei Anwendung sehr starker 
Ströme tritt im Bereiche des Anelektrotonus 
neben der Erregbarkeitsverminderuog auch 
noch Verlust der Leitungsfähigkeit ein. Diese 
Veränderuhgen der Nervenerregbarkeit im 
Elektrotonus erstrecken sich nicht bl$s auf 
die vom Strome direct durchflossene Strecke, 
sondern auch auf die ausserhalb derselben 
gelegene Partie („extrapolare Strecke“) des 
Nerven, sie verlöschen aber von den Polen 
gegen die Peripherie und sind demnach in 
der Gegend der Pole immer am meisten 
bemerkbar. 3. Da das Entstehen und Ver¬ 
schwinden des Elektrotonus mit Aenderungen 
in der Vertheilung der Elektricität und elek¬ 
trischen Spannung im Nerven verbunden ist,* 
so wirkt dasselbe selbst auch als Reiz auf den 
Nerven ein. Die Erregungjlieses erfolgt aber 
nicht bei jeder Schliessung und Oeffnung der 
Kette, sondern bei Schliessung derselben nur 
dann, wenn sie an der Kathode, bei Oeffnung' 
nur,, wenn sie an der Anode stattfindet; als 
stärkerer Reiz* erweist sich dabei der Schlies¬ 
sungsreiz an der Kathode. Der Satz verlangt 
auch insofern noch weitere Einschränkung, 
als nicht jede Schliessungen der Kathode 
und nicht jede Oeffnupg an der Anode -ein 
Reiz ist, sondern auch noch die Stärke und 
Richtung deg Stromes auf die Entstehung einer 
Erregung wesentlich mit Influenz ausübt. Es er¬ 
gibt sich dafür für den motorischen, also wenn 
erregt durch eine Muskelzuckung antwor¬ 
tenden Nerven folgendes Gesetz, „Zuckungs¬ 
gesetz“: a) sehr schwache Ströme bewirken 
nur Schliessungszuckung, gleichgiltig ob ab- 

33 * 



516 


ELEMENTE. 


oder aufsteigend applicirt (der Oeffnungsreiz 
ist nach Obigem zu unbedeutend, um Erre¬ 
gung herbeizuführen); b) mittelstarke Ströme 
dagegen bewirken Oeffnungs- und Schlies¬ 
sungszuckung, gleichgiltig ob der Reiz ab- oder 
aufsteigend applicirt wird (in beiden Fällen ist 
der Reiz gross genug, um den Nerven zur Thä- 
tigkeit zu erregen); c) sehr intensive Ströme 
bewirken aufsteigend nur Oefinungs-, abstei¬ 
gend nur Schliessungszuckung (in beiden 
Fällen fallt die entgegengesetzte Zuckung 
wegen der durch den starken Strom herbeige¬ 
führten Leitungsunfähigkeit der anelektroto- 
nisch intrapolaren Nervenstrecke weg). Sf. 

Elemente nennt man in der Chemie die 
Urstoffe, aus welchen sämmtliche Körper be¬ 
stehen, und welche bis jetzt durch kein Mittel 
in einfachere Bestandtheile zerlegt werden 
können. Solche Elemente sind: Sauerstoff, 
Kupfer, Gold u. s. w. Keine physikalische 
Eigenschaft als solche ist charakteristisch für 
den Begriff des Elementes als die, dass es 
nicht mehr chemisch theilbar ist; in dem 
Moment, wo es gelingen würde, das Jod zu 
zerlegen, würde das Jod eben aufhören, ein 
Element zu sein. Man kennt gegenwärtig 
mit Sicherheit 66 Urstoffe oder Elemente, 
welche alphabetisch geordnet mit ihren che¬ 
mischen Symbolen und Atomgewichten (nach 
den neuesten Bestimmungen) in der folgenden 
Tabelle angegeben sind: 


Name 

Sjm- 

bol 

Atom¬ 

gewicht 

Name 

S;m- 

b«l 

Atom¬ 

gewicht 

Aluminium 

Al 

27-3 

Nickel.... 

Ni 

58-6 

Antimon... 

Sb 

1220 

Niob. 

Nb 

940 

Arsen. 

As 

74*9 

Osmium . 

Os 

1986 

Baryum ... 

Ba 

1368 

Palladium . 

Pd 

106-2 

Beryllium.. 

Be 

90 

Phosphor.. 

P 

30-96 

Blei. 

Pb 

206*4 

Platin .... 

PI 

196-7 

Bor. 

B 

11*0 

Quecksilber 

Hg 

199-8 

Brom . ... 

Br 

7975 

Rhodium .. 

Rh 

104-1 

Cadmium . 

Cd 

111-6 

Rubidium . 

Rb 

85-2 

Calcium ... 

Ca 

39-9 

Ruthenium 

Rn 

1035 

Caesium... 

Cs 

1330 

Sauerstoff . 

O 

15-96 

Cer. 

Ce 

141-2 

Skandium . 

Sk 

44-0 

Chlor. 

CI 

.35-37 

Schwefel .. 

S 

31-98 

'Chrom_ 

Cr 

52-4 

Selen. 

Se 

78-0 

Didym ... 

D 

1470 

Silber .... 

Ag 

107*66 

Eisen. 

Fe 

55’9 

Silicium... 

Si 

280 

Erbium.... 

Er 

169*0 

Stickstoff.. 

N 

1401 

Fluor . 

Fl 

19*1 

Strontium . 

Sr 

87*2 

Gallium ... 

Ga 

69*9 

Tantal.... 

Ta 

1820 

Gold. 

Au 

1962 

Tellur .... 

Te 

128-0 

Indium.... 

In 

113*4 

Thallium .. 

TI 

203*6 

Iridium.... 

Ir 

196*7 

Thorium .. 

Th 

231*5 

Jod. 

J 

126*52 

Titan . 

Ti 

48*0 

Kalium... 

K 

-3904 

Uran 

U 

240-0 

Kabalt .... 

Co 

58*6 

Vanadin... 

V 

51-2 

Kohlenstoff 

C 

11-97 

Wasserstoff 

H 

1-0 

Kupfer .... 

Cu 

63-0 

Wismuth ... 

Bi 

210-0 

Lanthan ... 

La 

1390 

Wolfram .. 

W 

1840 

Lithium ... 

Li 

701 

Yttrium.„. 

Y 

! 93 0 

Magnesium 

Mg 

23-94 

Zink . 

Zn 

64-9 

Mangan .. . 

Mn 

54-8 

Zinm.. 

Sn 

117-8 

Molybdän.. 

Mo 

95*6 

Zirconium . 

Zr 

90-0 

Natrium ... 

Na 

22-99 





Von diesen Elementen sind jedoch nur 
wenige, etwa 14, allgemein verbreitet, u. zw. 
bilden Stickstoff -und Sauerstoff die atmo¬ 
sphärische Luft, Wasserstoff und Sauerstoff 
bilden das Wasser; die Gesteine, welche 
die Hauptmasse der Erdrinde bilden, bestehen 
hauptsächlich aus Sauerstoff, Silicium, Alu¬ 
minium, Eisen, Calcium, Magnesium, Natrium 
und Kalium. Sämmtliche organische-Körper 
des pflanzlichen oder thierischen Körpers ent¬ 
halten Kohlenstoff, die meisten auch Stick¬ 
stoff, Schwefel und Phosphor; auch das Chlor 
gehört zu den meist verbreiteten Elementen. 

Man theilt die Elemente in zwei grosse 
Classen: in Metalloide, auch Nichtmetalle ge¬ 
nannt, und . Metalle. Zu den ersteren zählt 
man 15 Elemente: Wasserstoff, Chlor, Brom, 
Jod, Fluor, Sauerstoff, Schwefel, Selen, Tellur, 
Stickstoff, Phosphor, Arsen, Bor, Silicium und 
Kohlenstoff; alle übrigen gehören zu den Me¬ 
tallen. Die Metalloide — meistens gasförmig' 
— verbinden sich mit Wasserstoff zu flüch¬ 
tigen, meist gasförmigen Körpern, die Ver¬ 
bindungen der Metalloide mit Sauerstoff haben 
zumeist den Charakter von Säureanhydriden, 
d. h. sie werden durch Hinzutritt von Wasser 
zu Säuren. Ein Atom des Metalloides Schwefel 
verbindet sich mit 3 Atomen Sauerstoff zu 
Schwefelsäureanhydrid, welches durch Auf¬ 
nahme von Wasser zu Schwefelsäure wird. 
Hingegen verbinden sich die Metalle zumeist 
nicht mit Wasserstoff, die Sauerstoffverbin¬ 
dungen derselben bilden mit Wasser basische 
Körper, so z. B. bildet die Verbindung von 
2 Atomen Kalium und 1 Atom Sauerstoff nach 
Hinzutritt von Wasser die Lakmustinctur 
bläuende Kalilauge. Doch sind die Trennungs¬ 
merkmale besonders in Rücksicht auf die 
physikalischen Eigenschaften der Metalle nicht 
scharf genug ausgeprägt, so dass manche 
Körper, wie Arsen und Antimon, nach ihrem 
Aeussern sich wie Metalle verhalten, nach 
ihrem chemischen Verhalten aber zu den Me¬ 
talloiden gezählt werden müssen, während 
der gasförmige Wasserstoff nach seinen che¬ 
mischen Reactionen zu den Metallen gezählt 
werden müsste. 

Eine rationelle Eintheilung der Elemente 
gelang, als man zur Grundlage derselben das 
Verhalten der Atomgewichte wählte; es zeigte 
sich hiebei, dass sämmtliche Eigenschaften der 
Elemente durch die Grösse der Atomgewichte 
bestimmt werden, oder wie es auch ausge¬ 
drückt wird, dass das physikalische und che¬ 
mische Verhalten der Elemente als eine 
Function ihrer Atomgewichte aufzufassen ist. 
Ordnet man nämlich die Elemente nach der 
Grösse ihrer Atomgewichte, so wechseln, 
wenn man diese vom kleinsten bis zum 
grössten durchläuft, die Eigenschaften von 
Glied zu Glied, kehren aber nach gewissen 
Intervallen mehr oder, minder vollständig 
wieder. Betrachten wir die nachfolgende 
Tabelle, in welcher die Elemente nach ihren 
Atomgewichten angeordnet sind, so ergeben 
sich die folgenden wichtigen Beziehungen der¬ 
selben unter einander, welche als periodisches 
System der Elemente ihren Ausdruck finden. 















ELEMENTE. 517 


Es lassen sich so die Elemente durch 
<lie Aneinanderfügung der horizontalen Reihen 
in fünf Perioden gruppiren. Wir sehen dieselben 
in der nebenstehenden Tabelle, u. zw. stellen 
die ersten zwei kurze siebengliedrige Perioden 
und die drei letzteren grössere Perioden dar. 
Abgesehen vom Wasserstoff, für welchen unter 
den Elementen kein analoges sich findet, 
sehen, wir in der ersten Periode das Lithium 
als einwerthiges Metall, Beryllium als zwei- 
werthiges, Bor ein dreiwerthiges Metalloid, 
Kohlenstoff ein vierwerthiges Metalloid, wel¬ 
ches mit vier Wasserstoffen gesättigt ist; das 
nächste Glied Stickstoff ist nun wieder ein 
dreiwerthiges .Metalloid, der Sauerstoff ein 
’zweiwerthiges und das Fluor ein einwerthiges 
Metalloid. Die Werthigkeit .der Elemente 
dieser Periode war also bis zum Kohlenstoff 
aufsteigend und von hier bis zum Fluor ab¬ 
steigend. Die ersten Glieder sämmtlicher 
fünf Perioden bestehen aus den die stärksten 
Basen bildenden Metallen, den Alkalimetallen 
und den Erdalkalimetallen (Lithium und 
Beryllium in der ersten, Natrium und Mag¬ 
nesium in der zweiten Periode u. s. w.). Der 
basische Charakter nimmt in den mittleren 
Gliedern ab und geht allmälig in den säure¬ 
bildenden über, die letzten Glieder derPerioden 
bilden die energischesten Metalloide: Fluor, 
Chlor, Brom und Jod. 

In den verticalen Reihen finden wir in 
Gruppen geordnet Elemente von gleicher Wer¬ 
thigkeit und gleichem chemischen Charakter. So 
finden wir in der Gruppe I sämmtliche Alkali¬ 
metalle nach aufsteigendem Atomgewicht an¬ 
einandergereiht. Hiebei zeigt sich, dass das 
Atomgewicht für jede Verticalreihe um die¬ 
selbe Zahl zunimmt. Addirt man zum Atom¬ 
gewicht des Lithiums 7 die Zahl 16, so hat 
man das Atomgewicht des Natriums 23. 
Addirt man zu dem des Natriums wieder 16, 
hat man das Atomgewicht des Kaliums 39. 
Das Atomgewicht des Kalium differirt jedoch 
von dem des Rubidiums um die Zahl 46 *4, 
denn dieses beträgt 85*4? addirt man nun zum 
Atomgewicht des Rubidiums wieder 48, so hat 
man das des Caesiums. Ganz dieselben Zahlen- 
fiifferenzen zeigen jedoch auch die übrigen 
Verticalreihen, in welchen Elemente von ähn¬ 
lichen Eigenschaften auf einander folgen; 
addirt man zum Atomgewicht des Fluors 19 
nunmehr 16, so erhält man das des Chlor 35, 
addirt man hiezu 45, so erhält man das Atom¬ 
gewicht des Brom 80, addirt man hiezu 47, so 
hat man das Atomgewicht des Jod 127. Fluor, 
Chlor, Brom und Jod bilden aber eine ebenso 
charakteristische Gruppe von Elementen, die 
sich in allen Reactionen ähneln wie die Alkali¬ 
metalle Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, 
Caesium. Es folfft aber hieraus, w r ie das aus 
jeder Verticalreihe der obigen Tabelle sicht¬ 
bar ist, dass ähnliche chemische Eigenschaften 
wiederkehren, wenn das Atomgewicht um eine 
gewisse Grösse, 16 oder 45 bis 50, zuge¬ 
nommen hat. 

Es würde zu weit führen, wenn wir alle 
Beziehungen in den chemischen und physi¬ 
kalischen Eigenschaften der Elemente, deren 






518 ELEMI. — ELEPHANT. 


Gesetzmässigkeit sich aus der obigen von 
Mendelejeff und Lothar Meyer aq^gearbeiteten 
Anordnung derselben ergibt, hier erörtern 
wollten. Nur soviel soll noch angeführt werdei^ 
dass das periodische System der Elemente _ 
.nicht nur einen theoretischen, den Forscher 
befriedigenden ‘Werth besitzt, sondern auch 
einen höchst praktischen.- Wie die Ansicht 
der Tabelle nämlich zeigt, enthält das System 
auch einige Lücken, wo in der HorizontaL- 
oder Verticalreihe die Elemente fehlen. Da 
jedoch sämmtliche chemische Reactionen eines. 
Elementes von der Stelle abhängen, welche 
dieses im periodischen System einnimmt, so 
können wir die. Eigenschaften der bisher 
noch fehlenden "Elemente mit grosser Be¬ 
stimmtheit Voraussagen; hiedurch sind wir 
aber auch besser in der Lage, die den Lücken 
entsprechenden Elemente durch analytische 
Hilfemittel aufzusuchen. Die jüngste Ent¬ 
deckung der Elemente Gallium und Skandium * 
brachte denn auch eine neue Bestätigung der 
- Giltigkeitde» obigen Systems der Elemente. Lh . 

Elemi, ein Harz, welches aus mittel- und 
südamerikanischen Icica- und Amyrisarten 
abstammt; es bildet weissliche, gelbliche fett¬ 
glänzende Massen, die schon zwischen den 
Fingern erweichen, vom specifiechen Gewichte 
1*02—1*08. Es ist unlöslich in Wasser, theil- 
weise in kaltem, leicht in kochendem Wein¬ 
geist löslich, löst sich überdies in Aether 
und in Terpentinöl. Beim Destilllren liefert 
es ein bei 166—174° siedendes, leichtflüssiges 
ätherisches Oel von der Zusammensetzung 
der Terpene (s. äther. Oel). Nach Flückiger 
sind die Bestandtheile des Elemiharzes: 
Aetherisches Oel C 10 H le , Amyrin 2 (Ci 0 H,'«) + 
H*0, amorphes Harz 2(C 10 H I8 ) -f 2H a O, 
Bryoidin 2(C l0 H J8 )-f-3H a O, ferner Elemi- 
säure und ein Bitterstoff. Dient zur Darstellung 
von Firnissen, *in der Heilkunde zur Bereitung 
einer reizenden Salbe — Unguentum Elemi 
die bei torpiden Geschwüren angewendet 
wird. Locbisch. 

Elenchus (4 eksy^os, v. iksyys'v, unter¬ 
suchen, prüfen), das Verzeichniss, z.B. Elenchus 
medicamentorum, Verzeichniss der Arznei¬ 
mittel. Sussdorf. 

Eieonet J. M. gab 1835 eine kleine Schrift 
* heraus unter dem Titel: „Typhus chez les ani- 
maux domestiques“. Semmer. 

Elephant. Gehört zu der Familie der 
Pachydermaten (Dickhäutor), Ordnung der 
Probosciden. Es gibt blos eine Art und zwei 
Species, den afrikanischen und den indischen 
Elephanten. 

Anatomie. Der Schädel ist riesig und 
zwar daher rührend, dass er sehr grosse Luft¬ 
höhlen zwischen den Schädelknochen und dem 
Hirn besitzt. Die Prämascilla sind sehr breit, 
die Nasenknochen kurz. Die Nase ist in einen 
biegsamen Rüssel (Proboscis) verlängert. Die 
Kinna des Ohres ist breit und flach, die 
Ränder werden ab gerieben, narbig und weiss 
in der Farbe bei zunehmendem Alter. Die 
Lippen sind eigentümlich. Die obere % ver¬ 
schmilzt mit dem Nasenloch, um den Rüssel 
zu bilden, sie ist nach vorne gespitzt, Schmal 


und bildet einen Canal für die Zunge, welche 
ebenfalls klein ist. Der Mund ist klein und 
frei von jeglichen Gaumenfurchen. Das Auge 
ist sehr klein, die Pupille kreisrund.. Das 
Gesichtsfeld ist wegen der Kürze des Nackens 
beschränkt. Die Thränendrüse wird ersetzt 
durch die Absonderung einer Drüse, welche 
innerhalb der Augenhöhle gegen den inneren 
Rectusmuskel liegt. Der Schlund ist so ein¬ 
gerichtet, um das Wiederauswerfen des Wassers 
aus dem Magen zu bewerkstelligen. Der Nacken 
ist sehr kurz. Die Dorso-lumbal-Wirbel sind 
in einer Anzahl von 23 vorhanden, sacrale 4. 
Das Schlüsselbein ist rudimentär. Die Carpal- 
und Metacarpalknochen und die Phalangen 
sind kurz und dick, die Vorderfüsse breiter 
als die Hintesfüsse. Der Schenkel hat kein 
rundes Ligament und das Bein ist lang; das 
Schienbein ist verhältnissmässig kurz. Die 
Elephanten haben zweierlei Zähne: Schneide- 
und Backenzähne. Erstere erreichen bei den 
Männchen eine riesige Grösse und ein Gewicht 
von 150—200 Pfund. Sie bestehen fast völlig aus 
Elfenbein, sind in einem Theil hohl, haben 
einen Umfang von 18—22 Zoll und können 
bis 8 Fuss lang werden. Sobald sie eine so 
grosse Länge erreicht haben, müssen sie ab¬ 
geschnitten w r erden. Doch muss man hiebei 
auf die Pulpahöhle achten. Die sicherste Stelle 
zum Abtrennen findet man,' wenn man dje 
Distanz vom Auge, wo der Zahn entspringt, 
bis zur Lippe auf den Zahn selbst überträgt; 
man wird so den besten Platz für die Ab¬ 
trennung treffen. Eine gewöhnliche Säge, die 
mit tröpfelndem Wasser feucht gehalten wird, 
ist am besten hiezu dienlich. Die Molarzähne 
bestehen aus Dentin, Schmelz und Crusta 
petrosa; sie stehen zu dreien auf jeder Seite 
oben und unten. Der Magen ist einfach und 
langgestreckt, der Blinddarm breit, die Leber 
dreilappig ohne Gallenblase. Die Saugwarzen 
befinden sich zwischen den Vordergliedern. Die 
wichtigste Eigentümlichkeit des Brustkastens 
ist der Mangel eines Pleurosackes. Die Lungen 
haften durchaus dicht an den Brustwänden. 
Der untere Theil des Fussgliedes zeigt eine 
eigentümliche Modification der Cuticula, 
welche von M. Steel „Hoof-Slipper u (Huf- 
Pantoffel) genannt wird. Er besteht aus einer 
Sohle und Zehennägeln. Die erstere ist eine 
Lage von zarter Hornmasse, welche die Grund¬ 
fläche bedeckt; sie ist runder an den Vprder- 
als an den Hinterfüssen, verschmälert sich und 
windet sich an dem hinteren Rand empor. Die 
Zehennägel verschmelzen in die Wand fast in 
derselben Weise, wie die Wand des Pferdehufes 
sich mit der Sohle vereinigt. Die Thiere haben 
vier oder fünf Nägel an den Vorder- und 
drei bis vier an den Hinterfüssen. Die Haut 
des Elephanten ist sehr empfindlich, obgleich 
sie sehr dick ist. Die Haare auf der Körper¬ 
oberfläche sind kurz und steif, jene an dem 
Schwanz sind dicke Hornborsten. Die Haut¬ 
farbe ist dunkelbraun; häufig finden sich 
einige hellere Flecken von röthlicher Farbe 
im Gesicht. — Die Elephanten erreichen eine 
Höhe von 11 Fuss, doch nur in Ausnahms¬ 
fällen: acht Fuss bis zu den Schultern ist die 


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ELEPHANT. 519 


durchschnittliche Höhe. Die Thiere erreichen 
ein sehr hohes Alfer; 150,—200 Jahre dürfte 
die äusserste Grenze sein. In der Gefangen¬ 
schaft werden sie zumeist 80—100 Jahre alt. 
Sie wachsen bis zum 30. Jahre und erreichen 
ihre volle Kraft mit dem 35. Jahre. Das 
Weibchen ist zur Zucht schon mit 15 Jahren 
fähig. Die Trächtigkeitsdauer erstreckt sich 
auf 21 Monate. Zwillingsgeburten sind sehr 
selten. Die Jungen messen bei der Geburt 
36 Zoll bis zur Schulter und wiegen 200 Pfund. 
Sie saugen 5—6 Monate hindurch und .nähren 
sich dann von zarten Gräsern.. Sobald ein 
Junges geboren wird, bleibt dessen Mutter 
und die ganze Heerde zwei Tage hindurch an 
der Geburtsstätte, nach welchem kurzen Zeit¬ 
raum das junge Thier zum Gehen fähig ist. 
Sehr bald darauf können sie Berge ersteigen 
und Flüsse durchschwimmen. Im jüngsten' 
Lebensalter klettern sie, wenn es gilt, Gewässer 
zu übersetzen, auf den Rücken ihrer Mütter. 
— Die Mehrzahl der Geburten erfolgt im 
September, October und November. — Di« 
Elephanten leben in Heerden von 30—100 
Köpfen. Sobald das Futter karg wird, lösen 
sie sich in kleine Partien, bestehend 'aus 
Familiengruppen, auf. Je eine Heerde wird 
stets durch ein Weibchen, nicht durch ein 
Männchen geführt. Einzelne Elephanten 
kommen gelegentlich wandernd in den Dschun¬ 
geln vor. Es sind gewöhnlich Männchen, die 
durch stärkere Rivalen von der Heerde fern¬ 
gehalten werden. Manchmal werden sie auch 
als „Auswürflinge 4, von der Gemeinschaft aus¬ 
geschlossen. Das Temperament derselben ist 
dann zumeist verbittert, und sie werden 
dadurch höchst gefährlich, da sie Alles an¬ 
greifen, was ihnen an die Nähe kommt. Sie 
werden mit dem Namen Rogues (Schufte) 
bezeichnet und richten häufig einen so erheb¬ 
lichen Schaden an, dass die Regierung eine 
Belohnung auf ihre Vertilgung aussetzt. Sonst 
sind die Elephanten gewöhnlich sehr harmlos 
und inoffensiv; auch im wilden Zustande sind 
sie sehr scheu und halten sich zurück. Nach 
Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang be¬ 
suchen sie ihre Tränk platze; sie können jedes¬ 
mal 15% Gallonen Wasser aufnehmen. Die 
Elephanten verstehen vorzüglich zu schwimmen, 
obwohl sie auch manchmal in Folge von 
Krämpfen ertrinken können.- Sie können mit 
einer Schnelligkeit bis zu 15 (englischen) 
Meilen in der Stunde laufen, jedoch nur auf 
kurze Distanzen. Ausser dem Schritt ist ihnen 
keine Gangart eigen; sie können weder traben, 
trotten, noch galopiren; auch ist kein Sprung 
weder in verticaler noch in horizontaler Rich¬ 
tung möglich. Eine 8 Fuss tiefe und 8 Fuss 
breit^ Tranchde ist für einen Elephanten ab¬ 
solut unüberschreitbar (Sandersori). — J)ie 
sog. weissen Elephanten sind Albinos von 
schmutzig-milchiger Fleischfarbe. Einen rein 
weissen Elephanten gibt es durchaus nicht. 

Der männliche Elephant ist periodischen 
Anfällen geschlechtlicher Erregung unter¬ 
worfen. Die Schläfen schwellen hiebei an, und 
eine ölige Substanz wird von einer dort be¬ 
findlichen Drüse abgesondert. Zahme Elefanten 


werden unter dem Einflüsse dieser Erregungen 
äusserst gewaltthätig; sie verweigern die Arbeit 
und tüdten nicht selten ihre Wärter, welchen 
sie^ unter gewöhnlichen Umständen sehr, an¬ 
hänglich sind. Sobald solche Anfälle.auftreten, 
müssen die Thiere wohl verwahrt werden; eine 
anderweitige Behandlung ist unnöthig, denn 
die Anfälle 'gehen nach kurzer Zeit vorüber. 
Einzelne Thiere sind dieseff Zuständen häufig 
ausgesetzt, werden daher als Tragthiere un¬ 
brauchbar. Ich erinnere mich eines prächtigen. 
Elephanten, welcher aus dieser Ursache werthlos 
geworden war. Derselbe tödtete zwei Wärter, 
brach aus seinem Zwinger los, zerstörte einen 
Theil des Gebäudes und richtete auch sonstigen 
grossen Schaden an. Die grösste Schwierigkeit 
bestand darin, ihn einzufangen* doch liess sich 
dies endlich durch eine List leicht bewerk¬ 
stelligen. Man erinnerte sich nämlich, dass er 
eine furchtbare Angst vor Kameelen hatte. Es - 
wurden nun deren zwei nach ihm ausgeschickt, 
wodurch es gelang, ihn ruhig zu einer Gruppe 
von Bäumen zu drängen, an deren einem er 
sodann gefesselt wurde. — Die Weise, in der 
sich die Elephanten begatten, wurde schon 
oft discutirt; nunmehr ist es allgemein bekannt, 
dass das Weibchen steht und das Männchen 
in derselben'Weise wie andere Quadrupeden 
an nimmt. 

Der Preis, welchen die englische Regierung 
für einen Elephanten bezahlt, beträgt ca. 
2000 Rupien. JSingeborae Fürsten und hohe 
Würdenträger zahlen aber oft riesige Summen 
für einen schönen männlichen Elephanten; es 
werden nicht selten 5000, ja sogar bis 
20.000 Rupien für einen solchen gegeben. 

Die Fütterung der Elephanten differirt 
nach den einzelnen Präsidentschaften Indiens. 
In Bengalen werden täglich 400 Pfund Grün- 
fytter und 18 Pfund ungeschälter Reis ge¬ 
geben ; in Bombay 340 Pfund Futter; in Madras 
125 Pfund Futter und 25 Pfund Reis. Diese 
Differenzen iu der Fütterung sind sehr sonderbar 
und lassen sich nicht erklären. In Indien herrscht 
jetzt allgemein der Wunsch nach gänzlicher 
Abschaffung der Körnerration für Elephanten, 
u. zw. aus dem Grunde, weil auch der wilde 
Elephant kein Körnerfutter erhält, weil ferner 
die Eingeboren, welche Elephanten halten, an 
dieselben ebenfalls keine Körner verfüttern, und 
Weil endlich der Reis sehr theuer ist und von 
den Elephantenwärtern häufig gestohlen wird. 
Die Kosten für den Unterhalt eines Elephanten 
betragen monatlich zwischen 10 und 40 Rupien, 
sind somit sehr hoch, und in Hinblick auf 
eine Herabminderung derselben besteht haupt¬ 
sächlich die Absicht nach Abschafiung des 
Körnerfütters. Die Elephanten leisten jedoch 
wohl auch bei Grünfutter allein ihre Arbeit, doch 
kann kein Zweifel bestehen, dass sie sowohl als 
die Kameele hiebei, auf die Länge der Zeit 
Schlecht genährt werden; es sollte daher nicht 
ausser Betracht gelassen werden, dass T obwohl 
einige Pfund Reis bei einem Thier von so 
enormem Nahrungsbedürfniss nicht allzu viel 
bewirken, dies doch iinmerliin etwas ist und 
nicht gänzlich eingestellt werden sollte. Die 
Durchschnitts-Tagesration für alle Elephanten 


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ELEPHANT. 


520 


sollte 400 Pfund Grün- oder 25 Pfund Trocken¬ 
lutter sein. 

Von Mr. Sanderson wurde vor Kurzem ein 
Elephantensattel erfunden. Der primitive Sattel 
der Eingebomen besteht ausreinem zusamnlen- 
genähten Tuche, das ca. 1 % Zoll dick ist und 
bis zur halben Körperhälfte des Thieres an 
beiden Seiten hinabhängt. Auf dieses wird ein 
6 Fuss langer, 5 Fuss breiter und 9 Zoll dicker 
Polster gelegt, welcher aus grober Sackleinwand 
besteht und zumeist mit Heu ausgestopft ist. 
‘Das Ganze wird mit einem um die Mitte, den 
Hals und den Schweif des Thieres herumge¬ 
zogenen Strick befestigt. Der obenerwähnte 
Sattel ist bestimmt, die Last, welche auf dem 
Rückgrat ruht, zu erleichtern. Er besteht aus 
zwei Polstern, die zu beiden Seiten des Rückens 
der Elephanten liegen und daselbst durch ver¬ 
bindende Eisenreifen festgehalten werden. Auf 
diese Weise wird das Rückgrat vom Druck 
befreit und Luft zur Circulation durchgelassen. 
Dieser Sattel wird durch Stricke, Ringe etc. 
vervollständigt und wiegt 120 Pfund, während 
das Gewicht jenes der Eingebornen 200 Pfund 
beträgt. 

Die Ladung für einen Elephanten ist mit 
1640 Pfund bemessen. Ein besonders starker 
kann wohl 2240 Pfund tragen. Für lange 
Märsche werden jedoch selten mehr als 
1200 Pfund einschliesslich des Sattels aufge¬ 
laden. Es ist dies ein Aequivalent für eine von 
drei Kameelen oder von 4*5 Maulthieren ge¬ 
tragene Last. Die Elephanten können äusserst 
grosse Anstrengungen vertragen, arbeiten vom 
Morgen bis in die Nacht und können 20 Stunden 
unter Belastung bleiben. Sie sollten jedoch 
nicht mehr als 300 Meilen weit im Monat 
getrieben werden, wenn möglich auf nicht 
hartem Boden, können indessen im Nothfalle 
auch auf rauhen Wegen und durch Flussbette 
gehen, u. zw. besser als Pferde. 

Die folgenden Grössenverhältnisse und 
Gewichte (nach englischem Masa) der Organe 
wurden von Dr. Gilchrist nach einem an 
Anämie eingegangenen weiblichen Elephanten 
festgestellt: 


Länge von der Stirn bis zum 


Schwanzansatz. 


10 

1 

Rund um den Unterleib. 


13 

8 

Länge des kleinen Eingeweides 

68 

— 

«, ,, grossen ,, 


38 

3 

Kopf incl. des Gehirns, welches 

Cent. 

Qu. 

Pfd. 

16% Pfd. wog.. 

4 

0 

22 

Linker Vorderfuss. 

2 

2 

25 

Rechter „ . 

2 

2 

14 

Linke Schulter. 

— 

3 

18 

Rechte „ „ . 

1 

— 

7 

Linker Hinterfuss. 

2 

2 

11 

Rechter ,, . 

2 

3 

— 

Linke Rippen . 

1 

1 

20% 

Rechte „ . 

2 

— 

26 

Lenden und Theil des Steisses 

3 

— 

16 

Becken . 

3 

1 

19 

Nacken.. 

— 

3 

13 

Brustbein.. 

— 

3 

9 



Cent. 

Qu. 

Pfd. 

Herz. 

— 

1 

14 

Lunge und Zwerchfell. 

— 

3 

14 

Nieren. 

— 

— 

16 

Gedärme. ... 

2 

1 

23 

Leber... 

— 

2 

20% 

Milz..... 

— 

— 


Magen. 

— 

3 

12 

Die Fäces wogen. 

2 

1 

9 

Wasser in Bauch u. Magen- ca. 

2 

1 

18 

Summa in Pfd. Avoirdu-pois 4369 


Pathologie. Es ist nicht beabsichtigt, 
hier mehr als blos einen Streifblick auf 
die Pathologie dieses Thieres zu werfen. Der 
Gegenständ befindet sich in einem Stadium 
sehr geringer Entwicklung, und in Folge der 
Thatsache, dass dieses höchst werthvolle Thier 
vollständig der Willkür seines Wärters, sowohl 
in Bezug auf seine arzneilichen als auf seine 
sonstigen Bedürfnisse überlassen ist, haben 
Veterinärärzte in Indien nur wenig Gelegenheit, 
praktisch mit den Krankheiten der Elephanten 
vertraut zu werden. Mein College Mr. Steel 
hat kürzlich im „Quarterly Journal of Vete- 
rinary Science in India“ eine Reihe interes¬ 
santer Mittheilungen über die Pathologie des 
Elephanten veröffentlicht, wrelchen der folgende 
Auszug entnommen ist. Der gesunde Elephant 
befindet sich in einem Zustande fortwährender 
Bewegung. Entweder seine Ohren, Beine oder 
der Rüssel sind beständig mobil, was als ein 
untrügliches Zeichen für die Gesundheit des 
Thieres gilt. Die Haut des Rüssels ist stark 
und die denselben bedeckenden Haare, wie auch 
jene aller anderen Körpertheile, borstig und 
verursachen, wenn man mit der flachen Hand 
darauf schlägt, ein stechendes Kitzeln, gerade 
als ob eine Stecknadel in die Hand gedrungen 
wäre. Auch dies ist ein schätzbares Anzeichen 
für die Gesundheit des Thieres, da das 
Haar eines kranken Elephanten sich schlaff 
und weich anfühlt. Die Haut ist von guter 
Farbe, wenn die lichten Flecken derselben 
fleischfarbig und nicht blass aussehen. Das 
Auge soll hell sein, der Puls, welcher an der 
Ohrwurzel oder etwas weiter hinten gefühlt 
wird, weist ca. 50 Schläge in einer Minute auf. 
Die Fäces sind beim gesunden Thier fibröse 
Ballen. Die allgemeinen Anzeichen gestörter 
Gesundheit sind Traurigkeit, Verlust des 
Appetits; die Maul- und Zungenschleimhaut 
verliert ihre schön rothe Färbung und wird 
entweder weiss oder grellroth; die Haut nimmt 
ein schmutziggraues Ansehen an, und die un¬ 
aufhörliche Bewegung des Körpers, welche 
oben als natürliches Zeichen der Gesundheit 
angeführt wurde, wird gänzlich eingestellt. 

Asthenia oder Schwäche. Dies isj eine 
deivh äufigsten Krankheiten des Elephanten, ver¬ 
ursacht durch übermässiges Arbeiten, schlechte 
Nahrung oder durch unverdauliche Futter¬ 
stoffe, interne Parasiten etc. Es stellt sich 
eine allmälig fortschreitende Abmagerung ein, 
die Haut wird trocken, die Haare fallen aus, 
sonderbare Appetitgelüste geben sich kund, 
indem das Thier z. B. Erde frisst. Die Fäces 
werden unregelmässig in Farbe und Consistenz 

























ELEPHANT. 


521 


und von widerlichem Gestank. Das bemerkens- 
wertheste Symptom sind Schwellungen des 
Unterleibes, Halses oder der Brust, welche 
beim Druck eine seröse Flüssigkeit abgeben. 
Zuweilen bilden sich Geschwüre am Hinter¬ 
leib, bis endlich Paralyse eintritt. Die Krank¬ 
heit erstreckt sich häufig über Wochen und 
Monate. Die Eingebomen nennen dieselbe 
„Lerbad“; sie ist die am häufigsten mit dem 
Tode endigende Krankheit der Elephanten. 
DieBehandlung soll einestimulirende, tonische 
und diuretische.sein; kräftigende Nahrung ist 
das beste Heilmittel; auch sollen die kranken 
Thiere vor der Sonne geschützt werden und 
täglich massige Bewegung machen. 

Anthrax befällt den Elephanten und 
geht nicht selten tödtlich aus. Jene Fälle, 
welche mir untergekommen sind, nahmen 
einen rapiden Verlauf, manche endigten in 
einigen Tagen. Lahmheit und locale Schwel¬ 
lungen waren vorherrschend. Die Autopsie 
ergab die gewöhnlichen Exsudationen in das 
subcutane Bindegewebe, Abdominalhöhle und 
Eingeweide und Congestion der Lungen. 

Eczema Epizootica oder auch „Maul¬ 
und Klauenseuche“ wurde bei Elephanten 
während des afghanischen Feldzuges beob¬ 
achtet. Es wurden Blasen im Maule und auf 
dem Rüssel gefunden; auch Lahmheit war 
vorhanden. Es stellte sich eine Schwellung 
der Weichtheile am Unterfusse ein bei gleich¬ 
zeitiger Eiterbildung. In einigen Fällen lösten 
sich die Horngebilde der Füsse völlig ab, und 
die Thiere starben an „sympathetischem 
Fieber“. Die Behandlung bestand in Isolirung, 
Anwendung von Adstringentien auf die Ge¬ 
schwüre, Schutz der Füsse gegen Fliegen 
und alle Verunreinigung und einem milden 
kathartischen Mittel, bestehend in Tamarinden¬ 
pulpen mit gewöhnlichem Salz, von jedem 
acht Unzen mit dem Futter gegeben. 

Variola wurde bei dem Elephanten 
gleichfalls beobachtet. Der Ausbruch erfolgt 
an Kopf, Brust und Hals. Manchmal werden 
auch die Augen in Mitleidenschaft gezogen, 
woraus dann eine Opacität der Cornea ent¬ 
steht. 

Kolik. Dieselbe gibt sich durch plötz¬ 
liches Auftreten von Hinterleibsschmerzen 
kund: es tritt Unruhe, Kreuzen der Hinter¬ 
beine, häufiges Niederlegen und ebenso rasches 
Aufstehen ein. Die Thiere schlagen mit dem 
Schwanz um sich, reissen das Maul sehr weit 
auf und stecken den Rüssel in dasselbe. 
Fiatulenzkolik ist nicht ungewöhnlich. Die 
Behandlung besteht in Antispasmodica, Ene- 
mata und einer kathartischen Dosis, Bähungen 
des Unterleibes. 

Enteritis. Kommt besonders häufig bei 
heissem Wetter vor. Die Symptome sind Leib¬ 
schmerzen, Fieber und dünne Fäces. Die Ur¬ 
sachen bestehen zumeist in allzu häufiger 
Verabreichung von stark stimulirendem Futter. 
Die Behandlung besteht in Blutlassen aus 
den Weichen, Bähungen und Verabreichung 
von Opium und Kalomel. 

Diarrhöe stellt sich beim Elephanten 
in zwei Formen ein, einer parasitischen und 


nicht parasitischen. Erstere ist nicht selten 
ein ernster Krankheitszutand; letztere wird 
durch Diätfehler, schlechtes oder unreinesL 
Futter, gehaltlose Nahrung, Einwirkung von 
Kälte und durch Baden des Tliieres, so lange 
dasselbe erhitzt ist, verursacht. Die Behand¬ 
lung hängt von den Ursachen ab. Die Diarrhöe 
kann übrigens auch eine Anstrengung des 
Organismus sein, zu dem Zwecke, um schäd¬ 
liche Stoffe aus dem Körper zu entfernen, und 
sollte als solche nicht gehemmt werden. 
Adstringentien von Kalk, Katechu etc. können 
erforderlich werden. Wasser, in welchem Reis 
gekocht worden, soll reichlich gegeben werden. 
Parasitische Diarrhöe tritt häufig auf. 
Der Elephant ist ein Wirth für zahlreiche 
Parasiten, von welchen vorläufig elf ver¬ 
schiedene Arten bekannt sind. Dieselben 
können entweder Rundwürmer, Kürbiswürmer 
(Fasciola) oder Pferdewürmer (Bots) sein. 
Die Fasciola, von welchen drei Species bekannt 
sind, zählen zu den wichtigsten Parasiten des 
Elephanten; die eine dringt in die Gedärme 
und bringt somit parasitische Diarrhöe hervor. 
Symptome: Dieselben äussern sich in hart¬ 
näckiger Diarrhöe, welche bald einen ernsten 
Charakter annimmt und welcher eine Neigung, 
Erde zu fressen, vorangeht, wodurch auch 
die Fäces erdig werden. Oedematöse Ergüsse 
stellen sich um Kopf und Schultern ein, und 
das Thier geht an Erschöpfung ein. Es ist 
dies eine auch den Eingebomen wohlbekannte 
Krankheit, welche den kranken Thieren in 
deren Bestreben, Erde zu fressen, kein Hin- 
demiss entgegenstellen. Die Erde bewirkt 
Purgiren. Mangel arf Salz in der Nahrung 
wird für eine der Ursachen der parasitischen 
Diarrhöe angesehen, und dies sollte bei der 
Behandlung in Erwägung gezogen werden. 
Salz und Erde sollen den Thieren reichlich 
gegeben werden. Die Körnerfütterung muss 
eingestellt werden, sonst leiden die Thiere 
an Flatulenz und Indigestion. Der Schwäche 
muss durch eine tonische und stimulirende 
Behandlung begegnet werden. Reiswasser soll 
als Getränk verabreicht werden, und bei über¬ 
mässiger Diarrhöe sind als Adstringentien 
Opium und Katechu zu verabreichen. Die 
Autopsie zeigt die Schleimhaut des Dick¬ 
darms völlig bedeckt mit kleinen, hochrothen 
rundlichen Körperchen: Parasiten, Amphi¬ 
stoma Hawkesii, welche durch Saugnäpfe 
adhäriren; manche liegen auch frei im Darme. 
Letzterer zeigt die Reizung durch eine Ver¬ 
dickung seiner Wandungen an. 

Krankheiten des Nervensystems 
sind bei den Elephanten sehr häufig. Schon 
früher wurde die specielle geschlechtliche Auf¬ 
regung erwähnt, welche mit dem Namen 
„must> ; bezeichnet wird; aber auch Gehirn¬ 
entzündung, Apoplexie und Sonnenstich sind 
keinc.ungewöhnliehen Krankheiten. Die grossen 
Facialhöhlen werden öfter entzündet, und von 
ihnen aus kann die Entzündung sich auf das 
Gehirn übertragen und so eine Encephalitis 
hervorbringen. Die Symptome derselben sind 
Rastlosigkeit, Aufregung, Bestreben, sich los¬ 
zumachen, starkes Fieber, emporgehobener und 



oii . ELEPHANTENLÄUSE. — ELLENBOGEN. 


zusammenjiezogener Rüssel, vortretender Aug- 
apfel. Das Thier wird wild, so dass man sich 
ihm nicht nähern kann, es fällt bald nieder’ 
und ist unfähig, sich wieder zu erheben. Die 
Ursachen dieses Leidens sind allzu kräftiges 
Futter, Strapazen bei übermässiger Hitze und 
Entzündung der Stirnhöhlen. Die Behandlung 
ist schwierig wegen der Gefahr, sich dem 
tobenden Thier zu nähern. Aderlässe, kalte Um¬ 
schläge auf den Kopf und tüchtiger Gebrauch 
von Purganzen- sind angezeigt. 

Apoplexie. Dieselbe ähnelt dem vor¬ 
erwähnten Leiden, doch tritt hiebei mehr ein 
eonfuses Benehmen als ein eigentliches 
Toben ein. 

Ich habe es nicht versucht, mehr hier 
darzulegen, als eine Skizze der Pathologie 
des Elephanten. Es gibt eben noch vielerlei 
Krankheiten, welche dieses Riesenthier befallen, 
so z. B. Fussleiden, überdies noch verschiedene 
andere,' von denen unsere Kenntniss sehr gering 
ist. — Eine purgative Dosis für einen Elephanten 
besteht aus 6—8 Unzen Aloö oder einer Unze 
Crotonsamen oder endlich 3—4 Pfund Magne¬ 
siumsulfat oder Kalomel bis zur Höhe einer 
Unze. Opium kann als Adstringens in Dosen von 
einer bis zwei Unzen gegeben werden. All 
dieses kann mit dem Futter, in Blättern ein¬ 
gerollt, gegeben werden. Enemata können mit 
einer Spritze verabreicht werden oder mit 
einer kleinen Handfeuerspritze. Der Aderlass 
kann sich bis zur Abnahme von 1 % Gallonen 
Blut oder auch noch mehr erstrecken. 

Allgemeine Bemerkungen überden 
Elephanten. Der Elephant ist ein Lastthier 
und nicht zum Zug geeignet, obwohl er in 
Indien häufig zum Schleppen von Belagerungs¬ 
geschütz verwendet wird, bei welch letzterer 
Verrichtung er als geradezu wundervoll be¬ 
zeichnet werden muss. Indessen ist er physio¬ 
logisch hauptsächlich nur als Tragthier orga- 
nisirt. 

Die Elephanten sind sehr leicht zu er¬ 
schrecken. Sobald Kanonen in Action kommen, 
werden die Elephanten entfernt und durch 
Stiere ersetzt, da erstere das Kanonendonnern 
nicht vertragen können. .— So lange ein 
Elephant von Anstrengung etc. erhitzt ist, 
darf man ihn nicht ins Wasser treiben oder 
einen Fluss durchschwimmen lassen. — Sobald 
er als Arznei einen Bolus bekommen soll, 
steckt man dem Thiere einen Knebel in das 
Maul, fährt dann mit der Hand in dasselbe 
und legt die Arznei auf den Zungengrund, w r o 
sie dann unwillkürlich abgeschluckt wird. Um 
eine Enema zu geben, muss man das Thier 
mit dem vorderen* Körpertheil tiefer stellen 
als mit dem hinteren. 

Die Elephanten sind leicht zu zähmen 
und abzurichten. Sie können zahlreiche Dinge 
lernen. Der zahme kann den wilden Elephanten 
einfangen und dann selber zähmen. In Burmah 
schlichten die Elephanten Bauholz auf, u. zw. 
zumeist ohne Ueberwachung. In Indien werden 
sie zuweilen zum Umreissen von Mauern, ja 
>ogar zum Demoliren von Häusern verwendet 
Es r besteht für sie ein Disciplincodex, und^jedes 
der Thiere, das sich gegen denselben vergeht, 


wird aus der Reihe geholt und aus gepeitscht. 
Diese Strafart wird an ihm von einem anderen 
Elephanten mittelst einer schweren Kette 
vollzogen, welche das letztere Thier mit seinem 
Rüssel schwingt. Die zum Militärdienst gehö¬ 
rigen Elephanten werden dazu abgerichtet, 
bei Paraden zu salutiren. Smith . 

Elephantenlause 'liefern das Cardolum 
vesicans, welches ähnliche Wirkungen hat 
wie das Kantharidin )s. Acajou und Anacar- 
diaceen), Vogel. 

Elephantiasis, s. Hautkrankheiten. 

Elephas primigenius, s. Mammuth. 

Elevatio (v. elevare, erheben), Erhebung, 
Ausdehnung; so spricht man von einer Rück- 
stosselevation als der Erhebung der Arterien¬ 
wand in dem absteigenden SchÖhkel der Puls- 
curve (s. Puls). Sussdorf, 

Elevator (v. elevare, erhebend), der Auf¬ 
heber, Aufrichter für Muskeln. Sussdorf. 

Elevatorium “(v. demselben), jedes in der 
Chirurgie gebrauchte Instrument zur Aufhebung 
eingesunkener Knochenstücke etc. Sussdorf. 

Elfenbeinsubstanz, s. Dentes. 

Elfixir oder Elixirium. Man versteht unter 
dieser flüssigen Arzneiform eine Mixtur (s. d.), 
welche sich von der gewöhnlichen nur dadurch 
unterscheidet, dass die in der Mischung auf¬ 
zulösenden Substanzen vorzugsweise Salze oder 
Extracte* sind, .welche, in grössere^ Mengen 
beigefügt, der Arzneiflüssigkeit eine trübe, 
auch wohl etwas dickliche Consistenz ver¬ 
leihen; auch ist dabei besondere Rücksicht auf 
die Verbesserung des Geschmackes genommen 
worden. * Vogel. 

Ellag8äure, C 14 H 6 0 8 . Sie wurde aus der 
Fichtenlohe, aus den Galläpfeln, der Tormentill¬ 
wurzel, den orientalischen Bczoaren, dem 
Castoreum gewonnen, doch ist es nicht wahr¬ 
scheinlich, dass sie in diesen Körpern fertig^ 
gebildet vorkommt. In den Galläpfeln scheint 
sie erst durch Gähriing bei Gegenwart von 
Wasser zu entstehen, auch die uranatgerb- 
säure zerfällt beim Kochen mit verdünnter 
Schwefelsäure in Ellagsäure und Zucker. Die 
Ellagsäure bildet ein blassgelbes leichtes 
krystallinisches Pulver, ist geschmacklos, 
schwer löslich in Wasser und Weingeist, 
unlöslich in Aether. Concentrirte Schwefel¬ 
säure gibt beim gelinden Erwärmen damit 
eine gelbe Lösung, aus der Wasser die Säure 
unverändert fällt. Lotbisch. 

Ellenbogen (Ellbogen) bedeutet exterieu- 
ristisch jenen Theil der Ellbogengelenks¬ 
gegend sammt dem Ellbogenhöcker, welcher 
einestheils hinter der vom Drehpunkte der 
Schulter nach abwärts gefällten Senkrechten 
und andererseits zwischen dem oberen Ende 
des Ellbogenhöckers bis gegen das Niveau 
der Unterbrust am oberen Ende des Vor¬ 
armes liegt. Das „Ellbogengelenk“ als federnde 
Gelenksverbindung zwischen dem Ober- und 
Vorarmbeine gehört daher exterieuristisch 
grösstentheils. zp der Körperregion, welche 
als „Ellenbogen“ bezeichnet wird. Dieses Ge¬ 
lenk ist ein typisches Charniergelenk, bei 
welchem nur Beugen und Strecken als Vor¬ 
wärts- mid Rückwärtsbewegung möglich ist. 



ELLENBOGENBEULE. — ELSASS-LOTHR1NGENS THIERZUCHT. 523 


Je nach der Richtung des Oberarmbeins und 
des Schulterblattes, und sohin bezw. auch 
des Buggelenkes kommt das Ellenbogen¬ 
gelenk bald nach vorne, bald etwas weiter 
nach rückwärts im Verhältnisse zur genannten 
Senkrechten zu stehen; und je mehr schräge 
das Oherarmbein gelagert ist, um so günstiger 
wird die Winkelstellung für die Bewegung 
des Ellenbogengelenkes. Den* Ellenbogen¬ 
höcker allein, so wichtig derselbe auch als 
Hebelarm für die Streckmuskeln des Vor- 
arras ist, exterieuristisch als Ellenbogen zu 
bezeichnen, ist unrichtig, well durch denselben 
nuf ein Punkt, nicht aber der ganze Umfang 
des hinteren oberen Theiles des Vorarmes etc, 
nebst Ellbogenhöcker als Ellbogenregion be¬ 
zeichnet und ausgedrückt wird. 

Die Muskulatur in der Ellbogengegend 
muss entsprechend stark und deutlich markirt 
sein und nach hinten und innen eine hübsche 
Rundung geben. Bei chronischem Lalnngehen, 
namentlich in Folge von Huf- oder Schulter¬ 
leiden, magert auch die Muskulatur der Ell¬ 
bogenregion deutlich ab. Bezüglich der Be¬ 
schaffenheit des Ellbogenhöckers selbst ver¬ 
langt man, dass derselbe möglichst lang und 
deutlich nach rück- und aufwärts gerichtet 
ist, damit die Streckaction um so vortheil- 
hafter nach den Gesetzen des Hebels aus¬ 
geführt werden kann; der kurze und vorwärts¬ 
geneigte Enbogenhöcker ist für die Streck¬ 
bewegung wesentlich ungünstiger. Der 
Ellbogenhöcker muss auch in seinen Dicken- 
und Breitendimensionen massig und in seiner 
gesammten Richtung so gelagert sein, dass 
er von hinten her in der Axe der Extremi¬ 
tät steht. Ist er in seinem oberen Ende zu 
nahe der Brust angerückt und dabei schief 
von vorne nach hinten gestellt, so nennt man 
dies „angedrückt- 1 , wie das bei den tanz- 
meisterisch stehenden Pferden vorkommt. Ist 
der Ellbogenhöcker dagegen von der Brust 
zu entfernt stehend und zugleich mit der 
ganzen oberen Extremität nach aussen ge¬ 
dreht, wie das bei dem Zehentreten (Zehen¬ 
enge) der Fall ist, so nennt man den Ell¬ 
bogenhöcker „abstehend“. 

Am Ellbogenhöcker kommt eine nach 
Umfang und Art verschiedene. Geschwulst 
(Stollbeule, Stollbeutel etc.) vor, die entweder 
ein blosser Schönheitsfehler oder aber auch 
von ernsterer Bedeutung bezüglich der Ge¬ 
brauchsfähigkeit des Thieres sein kann und in 
Folge theils schlechten Beschlages, theils regel¬ 
widriger Lagerung der Thiere mit den Vorder¬ 
beinen bei Engbrüstigkeit, Erkrankungen der 
Brustorgane etc. zu entstehen pflegt. Lr. 
Ellenbogenbeule, s. Stollbeule. 

Ellenbrock J. gab 1852 drei kleine 
Schriften über Druse, Tympanitis und Blut¬ 
harnen heraus und schrieb in Hering’s Reper¬ 
torium über Fetträude, Maul- und Klauen¬ 
seuche etc. ” Semmer. 

Ellinger Viehschlag, ein in Bayern, Mittel¬ 
franken vorkommender mittelschwerer licht¬ 
brauner Rindviehschlag, welcher gute Zug- 
und Mastthiere liefert. 

Ellins C. veröffentlichte 1761 seine Ver¬ 


suche über Rinderpest in Dänemark unter 
dem Titel: „Specimen primum investigationum 
luis bovillae“. . Semmer. 

. Eltipsis (v. tV.sxpis, v. SvXsi'itetv, fehlen, 
auslassend), für das Ausbleiben eines Pulses 
gebraucht. Sussdorf. 

Elodea canadensis, s. Wasserpest. 

Elongatio (v. ekngare, verlängern), Ver¬ 
längerung durch Dehnung, Ausrenkung = 
Sfubluxatio. Sussdorf. 

ElsasS’Lothringens Thierzucht Eisass- 
Lothringen, obwohl^ eine politische Einheit, 
ist indess keine agncole. Verschiedene Eigen- 
thümlichkeiten des Bodens, des Klimas, der 
Gewohnheiten und Sitten haben auch für die 
Thierzucht des Eisass sowohl als Lothringens 
yerschiedene Bedingungen geschaffen. Elsäss 
ist ein geographisch wohlbegrenztes Land, 
wo jeder Landbauer auch zugleich Eigen- 
thümer des Bodens ist, den er bearbeitet, 
und wo das Grundeigenthum ausserordentlich 
getheilt ist. Dasselbe betrug im Jahre 1870 
im mittleren Durchschnitt * für eine Familie 
kaum 3 ha 20 a; auch seither hat sich dieses 
Verhältnis nur wenig geändert. Dieser Um¬ 
stand übt einen nicht .geringen Einfluss auf 
die Thierproduction aus, welche dort von 
grosser Wichtigkeit ist und so ziemlich ein 
Viertheil der ganzen agricolen Production 
ausmacht. In Lothringen sind die Gutswirth- 
schaften von ihren Eigenthümern verpachtet, 
welche es den Pächtern nicht leicht inachen, 
wünschenswerte Verbesserungen einzuführen. 
Die agricole Reparation des bebauten Grundes 
im Jahre 1878 ergibt die folgenden Grössen¬ 
ziffern für Wiesen und Weiden in den drei 
Theilen des Reiqhslandes: 

Geäammtfl&che Wieacu Weiden 
Hektaren 

Ober-Elsass. 351.231 46.912 17.160 

Unter-Elsass .... 477.436 63.777 9.552 

Lothringen .. . .. 622.143 65.487 4.120 

Elsass-Lothringen 1,450.810 176.176 30.832 

Selbstverständlich sind die Weiden am 
reichlichsten in den gebirgigen Theilen des 
Landes anzutreffen. Lothringen baut für sich 
allein dreimal mehr Hafer als Eisass; das 
Gesammterträgniss Elsass-Lothringens über¬ 
schreitet gewöhnlich zwei Millionen Hekto¬ 
liter. Das Stroh der Cerealien spielt eine 
hervorragende Rolle für die Ernährung der 
Pferde und Rinder. Lothringen ist bemerkens¬ 
wert durch seine Culturen von Luzerne, 
Unter-Eisass durch seinen Klee, Ober-Elsass 
durch seine Esparsette. Indessen genügt die 
durchschnittliche Futterproduction kaum, um 
all das in Elsass-Lothringen gehaltene Vieh 
zu ernähren. Tritt nun gar ein schlechtes 
Jahrein, so werden die Thiere mangelhaft 
gefüttert, und dieser Mangel, welcher zumeist 
der sich stets ausbreitenden industriellen 
Cultur sowohl wie der häufig mittelmässigen 
Qualität der Weidegründe zuzuschreiben ist, 
bildet ein gewaltiges Hemmniss für alle unter¬ 
nommenen Ameliorationen. Die letzte officielle 
Zählung ergab im Jänner 1883 für ganz Elsass- 
Lothringen 138.725 Pferde, 428.650 Rinder, 


- jitizt a 


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524 


ELSASS-LOTHRINGENS THIERZÜCHT. 


129.433 Schafe, 322.431 Schweine und 
53.603 Ziegen. 

Pferdezucht. Die 138.725 Pferde ver¬ 
theilen sich folgendennassen: Ober-Elsass 
21.654, Unter-Elsass 45.816, Lothringen 71.255.‘ 
Die Zählung von 1873 wies 130.172 Pferde auf. 
doch ist diese Vermehrung blos eine anschei¬ 
nende, denn im Jahre 18§3 hatte man in die 
Ziffer auch die Armeepferde aufgenommen, 
was 1873 nicht der Fall war. Die eigentliche 
Ziffer ist daher 130.174, also dieselbe wie 
zehn Jahre vorher. Unter diesen 130.174 Pfer¬ 
den befanden sich 27.311-unter und 102.863 
über drei Jahren. Auf einen Quadratkilo¬ 
meter entfallen in Ober-Elsass 5*6 Pferde, 
in Unter-Elsass 8*1, in Lothringen 10*6 
und in Eisass-Lothringen durchschnittlich 
8*9 Pferde. Ferner rechnet man in Ober- 
Elsass 1 Pferd auf 22 Einwohner, in Unter- 
Elsass 1 auf 14 und in Lothringen 1 auf 7, 
d. h. im ganzen Reichslande durchschnittlich 
1 Pferd auf 11 Einwohner. Die Pferdezucht 
war in Eisass-Lothringen niemals, was die 
Qualität betrifft, in blühendem Zustande und 
hat- auch sozusagen keine Geschichte. Die Be¬ 
herrscher von Lothringen, die Herzoge Karl, 
Rönd, Leopold und besonders Stanislaus 
führten in ihre Domänen türkische, tatarische, 
ungarische und siebenbürgische Hengste ein; 
und man kann noch jetzt hie und da unter den 
gegenwärtigen Pferden in Lothringen theil- 
weise atavitische Merkmale dieser veredelnden 
Typen gewahr werden. Aber das politische 
Geschick Elsass-Lothringens hat sich seit 
Langem der eifrigen Weiterzucht einer ver¬ 
besserten Rasse entgegengestellt. Die Kriege, 
deren Schauplatz dieses Land seit Ludwig XIV. 
so häufig war, die zwangsweisen Requisitionen 
von Thicren und Lebensmitteln haben die 
Viehzucht aufs tiefste unterwühlt. Die Züchter 
hatten alles Interesse, ihre schönen und 
werthvollen Pferde durch kleine und mangel¬ 
hafte zu ersetzen, welche bei Requisitionen 
nicht in Betracht gezogen wurden und ausser¬ 
dem noch den Vortheil hatten, von Wenigem 
leben .zu können. Das Gestüt von Roziöres, 
1766 unweit von Nancy gegründet und mit 
mehr oder weniger arabischen Pferden nahe¬ 
stehenden Hengsten bevölkert, hatte in kurzer 
Zeit auf Formen und Grösse den günstigsten 
Einfluss geübt. Doch hatten die Kriege zu 
Ende des verflossenen Jahrhunderts und jene 
unter Napoleon gar bald die erhaltenen 
schönen Resultate vernichtet. Die nun fol¬ 
gende Periode des Friedens hat wohl einiger- 
massen den Schaden wieder gutgemacht, und 
die Pferdezucht Elsass-LothriDgens würde 
bald wieder einen Aufschwung genommen 
haben, wenn sie auf weisen Grundsätzen 
basirt gewesen wäre. Was aber ihr Ge¬ 
deihen zumeist hindert, das sind vorerst 
die schlechten ökonomischen Verhältnisse, 
welche bei den Züchtern vorherrschen. In 
Folge des Mangels an Raum durch die Zer¬ 
stückelung des Bodens werden die Füllen zu¬ 
meist in den Ställen aufgezogen, und diese sind 
noch dazu gewöhnlich niedrig, schlecht ge¬ 
lüftet und mittelmässig gehalten. Die Fütterung 


der jungen wie auch der erwachsenen Thiere 
leidet an der Qualität der Nährmittel, in 
welchen der Hafer gemeiniglich nur in win¬ 
zigen Verhältnissen vertreten ist und Rüben 
— wenigstens im Eisass — besonders im 
Winter eine allzu hervorragende Rolle spielen. 
Ausserdem unterhalten die Grundbesitzer eine 
zu grosse Anzahl von Thieren, welche dann 
consequenterweise in engen Räumen unter¬ 
gebracht, ungenügend ernährt und zu Vieren 
oder Sechsen zum Ziehen von Lasten ver¬ 
wendet werden, wofür zwei entsprechend ge¬ 
nährte Pferde mittlerer Grösse vollauf ge¬ 
nügen würden. Wenn man sodann noch übel¬ 
verstandene Kreuzungen in Betracht zieht* 
wird man wohl den Zustand des Verfalles 
begreiflich finden, in dem sich die Pferde¬ 
zucht dieses Landes befindet. Was diese 
mangelhaften Zustände theilweise wieder gut 
macht, ist der Ueberfluss an künstlichen 
Wiesen, die — obwohl häufig unwissende — 
Vorliebe der Einwohner für das Pferd, und 
die sich stets erneuernden Anstrengungen 
der Landesverwaltung, zur Zucht geeignete 
Hengste beizustellen. Gegenwärtig beziffert 
sich das Budget der Gestüte Elsass-Loth¬ 
ringens auf etwas mehr als 260.000 Francs. 
Im Jahre 1883 zählte man 141 Deckhengste, 
welche 8216 Stuten deckten, ausserdem noch 
291 „autorisirte“ Hengste. Die Regionalaus¬ 
stellung in Metz im Jahre 1876 hat eine ge¬ 
wisse Verbesserung in den Formen, eine Ten¬ 
denz zum Verschwinden der Erbfehler und, 
dank den seitLangem erzielten Fortschritten in 
dem Agriculturzustand des Bodens, eine sehr 
bemerkenswerthe Abnahme der periodischen 
Fluxion gezeigt. Gegenwärtig ist die Zucht 
des Linien-Cavalleriepferdes und jenes für ge¬ 
wöhnlichen Zug am meisten bevorzugt. Die 
Landesverwaltung unterhält zu diesem Zwecke 
vortreffliche Sprunghengste, worunter viele 
von anglo-normannischer Rasse. — Das alte 
lothringische Pferd, das sich nur noch stellen¬ 
weise im Moselthalc vorfindet, misst 1*40 bis 
1 • 50 m, ist energisch, massig und wider¬ 
standsfähig. Sein Kopf ist fein und ausdrucks¬ 
voll, die obere Körperlinie hat eine regel¬ 
mässige Richtung. Die Formen sind eckig, 
ohne Distinction, die Kruppe ist schräg, die 
Glieder dünn, die Articulationen wenig her¬ 
vortretend, aber im Allgemeinen frei von Erb¬ 
fehlern; die Fesseln sind fast stets gebogen 
und einander genähert. Der grösste Theil 
der lothringischen Pferde ist von grösserer 
Statur; dies rührt von — obwohl häufig ganz 
ungeeigneten — Paarungen mit Ardenner, 
belgischen und besonders Percherons und 
anglo-normannischen Hengsten her; es sind 
dies sodann meist Thiere mit massigem Körper, 
zarten Knochen und von schlaffem Tempera¬ 
ment, das durch die ihnen zutheil werdende 
mangelhafte Hygiene noch weiter ausgebildet 
wird — Im Elsass gibt es keine scharf aus¬ 
geprägten Pferderassen, aber man findet dort 
zahlreiche Varietäten, theils von Importationen 
aus benachbarten Ländern, theils von Modi- 
ficationen herrührend, welche durch das Klima, 
die Ernährungsweise und die verschiedenen 



ELSASS-LOTHRINGENS THIERZUCHT. 525 


Kreuzungen bedingt werden. Gegen die Süd¬ 
grenze findet man hauptsächlich Hochbur¬ 
gunder, im Lande geborene oder in dasselbe 
eingeführte Pferde. Fast jdas ganze Ober- 
Elsass hindurch sieht man Sundgauer, zum 
schweren Zug geeignete, ordinäre Pferde mit 
niedrigem Widerrist, flachen Seiten, wenig 
muskulösen Gliedern. Besser gebildet, von 
runderen Formen, mit schönerem, ausdrucks¬ 
vollerem Kopf sind dieselben in der Umge¬ 
bung von Mülhausen. In den feuchten Ge¬ 
genden des Kreises Weissenburg sind die 
besonders zum schweren Fuhrwerk und zur 
Feldarbeit geeigneten Pferde von plumpen 
Formen, mit dicker Haut und breiten Füssen, 
In dem gebirgigen Theile findet man kleine, 
nervöse Pferde, welche zu den Vogesenpferden 
Lothringens zu zählen sind. In den sandigen, 
wenig fruchtbaren Gegenden der zwischen 
den Vogesen und dem Rhein liegenden 
Ebenen sind die Pferde ähnlich den früher 
erwähnten, aber noch gröber. Zwischen der 
111 und dem Rhein sieht man noch das 
. Harthpferd. Dasselbe ist halbwild, mit kleinem 
Kopf, lebhaften Augen, schräger Schulter, gut 
angesetztem Schwanz, breiten Articulationen; 
eine im Uebrigen wenig zahlreiche Varietät. 
In Strassburg-Land züchtet man leichte, ziem¬ 
lich feine Pferde, die von deutschen Stuten 
stammen. Schliesslich begegnet man im nörd¬ 
lichen Theile von Unter-Elsass noch einige 
Abkömmlinge von Hengsten aus dem gross¬ 
herzoglich Zweibrücken’schen Gestüt. Die¬ 
selben haben einen wohlproportionirten Körper, 
gut gehaltenen Rücken, hohen Widerrist, 
schräge und lange Schultern, gut gestellte 
Gliedmassen und feine Haut. Es sind elegante, 
massige, auch für die Landwirtschaft ge¬ 
eignete Thiere, welche lange Zeit hindurch 
gute Dienste leisten können. 

Rindviehzucht. Die 428.650 Stück 
Rindvieh vertheilen sich folgendermassen: 
Ober-Elsass 112.888, Unter-Elsass 177.926, 
Lothringen 137.836. Gegen die.Zählung von 
1873 ergibt sich eine Vermehrung um 10.166 
Stück. Hinsichtlich des Alters waren darunter 
133.469 unter und 295.181 über zwei Jahren. 
Die entsprechenden Ziffern von 1873 waren 
• 140.465 und 278.019. Die Vermehrung be¬ 
schränkte sich demgemäss ausschliesslich auf 
die älteren Thiere, ja es zeigt sich sogar 
eine Verminderung von ca. 7000 Stück beim 
Jungvieh. Die Vermehrung der Rinder über 
zwei Jahren entspricht — wie die Statistik 
darthut — einer Verminderung der Zahl der 
Agriculturpferde. In Lothringen wird das 
Grossvieh besonders zu Schlachtzwecken und 
zur Milchproduction gehalten. Bios in den 
Landestheilen, welche an das Eisass grenzen, 
und an mehreren Punkten dieses letzteren 
Landes kann man Rinder zu landwirtschaft¬ 
lichen Arbeiten verwendet sehen. Die Rassen 
sind ausserordentlich gemischt. Da das Land 
sehr häufig von feindlichen Armeen geplündert 
und gebrandschatzt wurde, hat man die 
Ställe wieder bevölkert, indem man aus allen 
Quellen schöpfte. Da aber die Culturen und 
die Brauereirückstände weit geeignetere Nähr¬ 


mittel für die Milch- als für die Fleischpro- 
duction bilden, nahm man mit Vorliebe Zu¬ 
flucht zu den holländischen, Schweizer und 
deutschen Kühen, welche einen hohen Grad 
von Milchergiebigkeit besitzen. An manchen 
Orten wurden mit der Durham-Rasse Ver- 
besscrungsversuche unternommen, die auch 
zuweilen erfolgreich waren. Die folgende Ver¬ 
teilung nach Rassen der 4278 im Jahre 4883 
zur Zucht zugelassenen Stiere gestattet einen 
Einblick in die bezügliche Intensität der ver¬ 
schiedenen Zuchtbestrebungen in Eisass- 
Lothringen : Landschlag 2831, Simmental 438, 
sonstige Schweizer Schläge 433, Glan 12, 
Holländer 114, Durham und Kreuzungen 440, 
sonstige ausländische 6, ohne Angabe 4. Fast 
alle Simmentaler Stiere sind im Eisass, fast 
sämmtliche Holländer, die Durham und alle 
Glan in Lothringen. Was sich dem sicheren 
und constanten Fortschritt entgegenstellt, das 
sind die mangelhaften Gepflogenheiten, welche 
bei der * dortigen Rindviehzucht eingehalten 
werden. Es sind nämlich die Ställe unge¬ 
nügend, schlecht gelüftet und die Anzahl des 
Viehes ist zu gross für die beschränkten 
Hilfsmittel der Pachthöfe; die Kälber werden 
zu schlecht genährt und allzu früh abgesetzt. 
Die Paarungen werden zumeist dem Zufall 
überlassen, die Stiere schlecht ausgewählt, 
so dass dadurch Fehler und Mängel auf die 
Nachkommenschaft gelangen, welche ganz 
leicht vermieden werden könnten. So wurden 
im Jahre 1877 bei einer im Bezirke von Mül¬ 
hausen veranstalteten Enquete von 275 unter¬ 
suchten Stieren 20 als vortrefflich classificirt T 
64 als gut, 110 als mittelmässig und 78 als 
schlecht. Durch ein Gesetz vom 19. April 1878 
wurden cantonale Expertencommissionen für 
die Untersuchung der Stiere eingesetzt. Es 
wurde den Gemeinden untersagt, zur Zucht 
andere Stiere zu verwenden als die von Jahr 
zu Jahr von den Commissionen zu diesem 
Zweck als geeignet befundenen. Im Jahre 1883 
wurden in Elsass-Lothringen von diesen Com¬ 
missionen 14 37 von 100 untersuchten Stieren 
als für die Zucht untauglich befunden, doch 
ergibt sich seither von Jahr zu Jahr eine 
Verminderung dieser Percentziffer. Als locale 
Rassen findet man in Lothringen und einigen 
Thälern des Unter-Elsass einen Rindvieh¬ 
schlag von mittlerer Grösse, race meusienne 
(Meuse) genannt. Derselbe ist von gemischtem 
Ursprung, wobei indessen bald das hollän¬ 
dische und bald das Tourache-Blut vorherrscht 
(s. Hochburgundische Viehzucht). Die Haar¬ 
farbe ist gleichmässig und schwankt zwischen 
hellgelb und dunkelgelb, manchmal der Farbe 
des Milchkaffees gleichkommen ff. Der Kopf 
ist lang, von einem dichten Haarschopf über¬ 
ragt, die Hörner platt und nach vorne ge¬ 
richtet. Der Widerrist ist schmal, der Rücken 
häufig hohl, die Brust eingeengt, der Bauch 
dick, die Kruppe merklich erhöht. Dieser 
Schlag besitzt eine hochgradige Milchergiebig¬ 
keit. Versuche zur Veredlung haben im All¬ 
gemeinen keine besonders guten Ergebnisse 
geliefert. Die Milchergiebigkeit wurde ver¬ 
ringert, ohne dass dafür die gehoffte Früh- 




oogle 



556 


ELSASS-LOTHRINGENS THIERZÜCHT. 


reife eingetreten wäre, weil eben die Ernährung 
nicht im gebotenen Verhältnis» hiezu vermehrt 
wurde. Da durch den Krieg von 1870—1871 
naturgeinäsB auch der Viehstand grossen 
Schaden und Einbusse erlitt, so fand an vielen 
Orten, speciell ira Kreise von Diedenhofen, 
eine ansehnliche Substitution der localen 
Rasse durch Holländervieh statt. Ein grosser 
Theil der Milchproduction, hauptsächlich in 
den gebirgigen Landestheilen, wird zur Her¬ 
stellung des Gerardmer Käses verwendet, 
dessen Hauptproductionsort Remiremont in 
Französrech-Lothringen ist. Im Süden von*. 
Deutsch-Lothringen und von Eisass befindet 
sich unter den dort vorkommenden Rindern 
eine nicht unbeträchtliche Zahl von Individuen 
der sog. Vogesenrasse, Welche in entfernten 
Verwandtschaftsbeziehungen zur holländischen 
Rasse steht. Ihr Kopf ist lang und ziemlich 
stark, der Haarschopf gekräuselt und hervor¬ 
springend, die Hörner klein, bei den Kühen 
nach vorne und oben gewölbt, dor Körper 
schmal und gedrängt, «die Schenkel dünn; die 
Gliedjnassen stark, der Schwanz hoch ange¬ 
setzt, die Behaarung schwarz. Wegen ihrer 
kleinen Gestalt upd wegen ihrer guten Milch¬ 
ergiebigkeit nennt man sie die Bretonen des 
Ostens. Von der Milch dieser Rasse wird in 
FranZösisch-Lothringen zumeist der echte 
Gerardmerkäse erzeugt. Das Milcherträgniss 
bei dieser Rasse beträgt 6—8 1 per Tag. Drei 
specielle Typen finden sich im Eisass vor: 
Im Unter-Elsass der lothringische Typus, 
gegen die Vogesen der Vogesenschlag; im 
Öber-Elsass eine Mischlingsrasse der Vogesen* 
und Hochburgunder; man findet dort auch 
manche Thiere, welche mehr oder weniger 
Blut von Simmenthaler und Schwyzer Rassen 
haben. Im Allgemeinen hat der dortige Vieh¬ 
stand wenig individuellen Werth, und die 
Züchter und Grundeigentümer sind noch 
unentschieden über den Weg, den sie ein- 
schlagen, und übe*r die Rasse, welche sic zur 
Zucht wählen sollen. Dies gilt insbesondere 
für die Ebene, denn in den gebirgigen Theilen 
des Landes, wo die Schäferei eine grosse 
Rolle spielt und wo die Weiden reichlich und 
von guter Beschaffenheit sind, findet man 
einen ziemlich gleichmässigen Schlag, obgleich 
von verschiedener Grösse, mit grossem Kopf, 
ziemlich kurzen* nach oben und vorne ge¬ 
richteten Hörnern, von mehr oder minder 
dunkelrotlier Haarfarbe, häufig mit weissen 
Flecken gezeichnet; der Rucken ist ziemlich 
schmal, die Seiten wohlgerundet, Beine und 
Oberschenkel gut geformt, der Charakter dieses 
Schlages ist sanft; die männlichen Thiere sind 
gute'Arbeitstiere, die weiblichen sehr milch¬ 
ergiebig; beide sind zu Schlachtzwecken recht 
zufriedenstellend, wenn sie vorher einiger- 
rnassen gemästet werden. Es sind hauptsäch¬ 
lich die Kühe dieses Viehschlages, von deren 
Milch der vortreffliche Müpsterkäse stammt. 
An mehreren Orten fabricirt man unechten 
GroyerkHse von guter Qualität. Von eine*r 
guten Milchkuh kann man jährlich bis zu 
250 kg Käse erzeugen: im Durchschnitt er- 
hält-man jedoch selten mehr als 120—130 kg. 


Schafzucht. Die Theilung des Grund¬ 
eigentums macht die Schafzucht im Grossen 
unmöglich. Die 129.433 Schafe verteilen 
sich folgendermassen: Ober-Elsass 19.022, 
Unter-ElsasB 29.892, Lothringen 80.519. Gegpn 
die Zählung von 1873 ergibt sich eine Ver¬ 
minderung von 64.609 Stück oder 32%, deren 
Ursachen, abgesehen^ von jenen, welche in 
ganz Europa der Schafzucht entgegenstanden, 
in den Epizootien zu suchen sind, welche in 
den Jahren 1878, 1879 und 1880 fast die 
Hälfte dieser Thiere in Elsass-Lotringen 
hinrafften. Die Zucht ist also — wie bereits 
bemerkt — im Eisass ziemlich unbeträcht¬ 
lich;-die Heerden bestehen dort zumeist nur 
aus einigen Köpfen. In Lothringen sind die¬ 
selben allerdings zahlreicher, bilden jedoch 
keinen hervorragenden Zweig der Thierzucht. 
Die lothringischen Schafe, gleichwie jene <ies 
Eisass, gehören keiner bestimmten Rasse an. 
Es sind eben Thiere der Ardenner, deutschen 
und Schweizer Rassen, gemengt mit Misch¬ 
lingen. Sie sind im Allgemeinen klein und 
haben grobe Wolle. Kreuzungsversuche mit 
englischen Rassen, welche für feuchtes Klima 
wenig empfindlich sind, haben gute Ergeb¬ 
nisse geliefert. Hauptsächlich werden Dishley- 
und Southdown-Schafe zur Kreuzung ver¬ 
wendet. Kreuzungen mit Merinos in trockenen 
Oertlichkeiten, in der Nähe von Gebirgen, 
waren gleichfalls von Erfolg begleitet. 

Schweinezucht. Dieser Zweig 'der 
Thierzucht besitzt für das Eisass und noch 
mehr für Lothringen eine grosse Bedeutung, 
da das Schweinefleisch die Basis der Fleisch¬ 
nahrung für die Landbevölkerung und die 
arbeitenden Classen in den Städten bildet. 
Die ira Jahre 1883 vorhanden gewesenen 
Schweine vertheilten sich in nachfolgender 
Weise: Ober-Elsass 58.654, Unter-Elsass 
88.497, Lothringen 175.280. Gegen die Zählung 
von 1873 ergab sich eine Vermehrung von 
55.926 Stück oder 21%. Diese Vermehrung 
war ira Eisass relativ viel grösser als in 
Lothringen. * Das eigentliche lothringische 
Schwein ist von mittlerer Grösse, von grau- 
w r eisslicher Farbe; es hat häufig auf dem 
Kopf oder auf der Kruppe einen oder zwei 
mehr oder minder ausgedehnte schwarze 
Flecken. Die Ohren sind gross, ein wenig 
aufrechtstehend: der Kopf iÄ lang, ein wenig 
gespitzt, die Stirnplatte gerade; der,Körper 
lang, häufig schmal, der Rücken ein wenig 
convex, die Glieder sjark. Fleisch und Speck 
dieser Schweine stehen durch ausgezeichnete 
Qualität in bestem Rufe. Diese Rasse, über 
ganz Lothringen verbreitet, kommt auch allent¬ 
halben im Eisass vor, doch sind die Elsässer 
Schweine weit weniger gut gehalten als jene, 
in ihren Formen mangelhafter. Sie haben 
manchmal röthliche oder halbrothe und halb¬ 
schwarze Borsten, die je nach den einzelnen 
Thieren mene, oder weniger reichlich sind. 
Die alte Lothringer Schweinerasse nimmt un¬ 
geachtet ilirer Qualität stets mehr und mehr 
an Zahl ab, wenigstens was die reinen Typen 
anbelangt. Man kreuzt es seit Langem jmd 
mit stets wachsendem Erfolg mit englischen 



ELUMBIS.*- 

Schweinen, um bei den ersteren grössere 
Frühreife zu erzielen, welche ihnen bisher 
mangelte. Es dürfte daher der Zeitpunkt^ zu 
welchem das .lothringische Schwein derart 
modificirt sein wird, dass die Existenz dieses 
Typus zweifelhaft geworden, in bald abseh¬ 
barer Frist eintreten. 

Ziegenzucht. Die 53.603 Ziegen, die 
im Jahre 1883 vorhanden waren, vertheilten 
sich auf: Ober-Elsass 18.830, Unter-Elsass 
15.218, Lothringen 20.155. Gegen die Zählung 
von 1873 ergibt sich eine Verminderung von 
2976 Stück oder 5%. Die Ziegenzucht in 
Elsass-Lothringen bietet keinerlei specielles 
Interesse dar. 

Hunde. Die Zahl der Hunde, welche für 
die Steuer im Jahre 1883/84 eingeschrieben 
waren, belief sich: für Luxushunde auf 31.214, 
Kettenhunde 29.347, zusammen daher auf 
60.561 Stück. Dieselben haben «ich gegen 
das voran gegangene Jahr um 4548 Stück ver¬ 
mindert. Neumann. 

elumbis (v. e, einen Mangel andeutend, 
und lumbi, Lenden); lendenlahm, Mangel der 
Lende etc. als Missgeburt. Sussdorf. 

Elutriation nennt man das Schlemmen 
unter Wasser, welches Anwendung findet, 
um aus schweren Metallpulveri^ und Kalk¬ 
verbindungen das feinste Pulver, das ^og. 
Pulvis alcoholisatus (wobei alcoholisatus fein, 
also feinkörnig, bedeutet) abzuscheiden. Lh. 

Eiwert J. K. P., Dr., schrieb eine Heil¬ 
mittellehre für Thierärzte. Semmer. 

Elytron (to eXotpov), Scheide, findet sich' 
in zahlreichen Compositionen, z. B. 

Elytroatresia, angeborener Mangel der 
Scheidenöffnung; 

Elytroblennorrhoea,. Scheidenfluss ; 

Elytrokele, Scheidenbruch: 

Elytrorrhaphe, Scheidennaht; 

Elytrotomia, Scheidenschnitt etc. Sf. 

Email, s. Dentes. 

Embolie, Embolia (von ipßoXos, Pfropf, 
ep.ßaXXe'.v, einstecken,eindringen), Verstopfung 
von Gefässen durch eingekeilte fremde Körper, 
Emboli oder Pfröpfe. Die Emboli können sich 
innerhalb der Gefässe bilden und entstehen 
aus zerfallenden Blutgerinnseln oder Thromben, 
oder werden gebildet aus Stückchen der Intima 
der Gefässe und des Endocardiums, der Herz¬ 
klappen und Entzündungs- und Zerfallspro- 
ducten der Innenhaut des,Herzens und der 
Geftsse. Andererseits können die Emboli 
von aussen in perforirte Gefässe hinein¬ 
gelangen und bestehen aus Entzündungspro- 
ducten, Eiter, Stückchen von Neubildungen 
(Krebsen, Sarcomen, Tuberkeln, Rotzknötchen), 
parasitischen Pflanzen und Thieren, wie Pilz¬ 
sporen (Actinomyces, Aspergillus u. a.), Spalt¬ 
pilzen, Blasenwürmem (Finnen u. a.), Rund¬ 
würmern (Trichinen), Psorosperraien, aus Fett, 
Luft, Pigment, Gallenfarbstoffen, harnsauren 
Salzen, Kalksalzen, Medicamenten (Silber, 
Blei und Quecksilber). 

Emboli, die aug den Venen und dem 
rechten Herzen stammen,^werden meist in den 
Lungen abgelagert, die aus den Lungen, dem 
linken Herzen und den Arterien stammenden 


EMBOLIE. . 527 

in den verschiedenen Endausbreitungen des 
Arteriensystemes, die ^aus der Pfortader¬ 
wurzel stammenden in der Leber. Die Emboli 
setzen sich meist an Theilungsstellen der 
Gefässe fest und verstopfen den Anfangstheil 
kleinerer Gefässe ganz oder theilweise. An¬ 
fangs liegen die Emboli ganz locker in den 
Gefässen, später adhäriren sie fest an der 
Gefässwand. Grössere Emboli bleiben in 
grösseren Gefässen, kleinere in kleineren und 
die kleinsten am Anfang^ der Capillaren 
stecken. Sind sie dagegen so klein, dass- sie 
in die Capillaren hineinkönnen, so passiren 
sie auch durch dieselben hindurch, so z. B. 
können kleine Emboli die verhältnissmässig 
weiten Luugencapillaren passiren, kommen in 
die*Arterien und werden in engere Gebiete 
der Nieren, Leber, Milz etc. eingekeilt. * Die 
eingekeilten Emboli können einfach wieder 
resorbirt werden, oder sie werden canalisirt, 
organisirt, oder sie verkalken, verhornen oder 
erweichen und zerfallen. Die Störungen und 
Veränderungen, welche durch Emboli ver¬ 
ursacht werden, sind ^ehr verschieden, je 
nach dem Orte, der Zahl und der Beschaffen¬ 
heit der Emboli. Wird durch zahlreiche Emboli 
die Circulation in irgend einem Gefässbezirk 
aufgehoben, so entstehen Veränderungen in 
den Venen, Capillaren und später auch in 
den Arterien; dieselben entarten, erweitern 
sich und lassen Serum und Blutkörperchen - 
austreten. Indifferente Emboli (aus Luft, Fett, 
Fibrin, Kalk, Gewebspartikelchen ohne fremde 
Beimengung) in geringer Anzahl verursachen 
meist keine Veränderungen. Rauhe und che¬ 
misch reizende oder niedere Organismen ent¬ 
haltende Emboli dagegen veranlassen eine 
entzündliche Reaction von Seiten der Gefäss¬ 
wand und der umgebenden Gewebe. Prolife¬ 
rationsfähige Krefls- und Sarcomzellen wuchern 
am Orte der Einkeilung weiter und führen 
zur Bildung metastatischer Krebse und Sar- 
come; Tuberkel- und Rofzbacillen enthaltende 
Emboli erzeugen metastatische Tuberkel und 
Rotzknötchen. 

Indifferente,Emboli sind in solchen Ge- 
fassen, die eine hinreichende Menge offen¬ 
gebliebener Collateraläste besitzen, nicht nach- 
tneilig. Wenn dagegen sämmtliche Collateral¬ 
äste verstopft sind oder ein Embolus in eine 
sog. Endärterie hineingelangt, so erfolgt eine 
Rückstauung des Blutes von den^ Venen aus, 
eine Anschoppung und Blutaustritt durch die 
von der Circulation abgeschlossenen, unge¬ 
nügend ernährten Gefässwände, ein sog. hämor¬ 
rhagischer Infarct. Endarterien kommen vor in 
den Lungen, der Milz,-den Nieren, dem Ge¬ 
hirn und Darm. Hämorrhagische Infarcte nach 
Embolien in den Arterien bleiben nur da aus. 
wo zahlreiche Gefässanastomosen vorhanden, 
oder wo der Blutdruck in 4en Venen ein sehr 
geringer ist, wie z. B. im Gehirn. Vollständige 
Verlegung einer Endarterie hat aufgehobene 
Ernährung des von ihr versorgten Theiles und 
Brand zur Folge. Dennoch entstehen in den 
Lungen nicht immer bei Embolien der Lungen¬ 
arterien Infarcte und Brand, weil die Lungen- 
capillaren weit sind, zahlreiche Anastomosen 


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528 


EMBOLUS. — EMBRYOLOGIE. 


besitzen und von den benachbarten Capillaren 
Blut beziehen können. Ebenso entstehen in 
der Leber durch Pfortaderembolien nicht 
immer Infarcte, weil die Leberarterien ihr 
Blut in die Venae interlobulares senden. 
Metastatische Abscesse durch Embolien ent¬ 
stehen nur, wenn den Emboli reizende, schäd¬ 
liche, in Zersetzung begriffene Stoffe und 
niedere Organismen, besonders Mikrococcen 
und Bacterien beigemengt sind. Metastatische 
Abscesse kommen am häufigsten in den Lungen 
und* der Leber vor. Abgesehen von völliger 
Verstopfung von Gefössen ohne Collateraläste 
sind die Emboli umsoweniger gefährlich, je 
indifferenter sic sind, und vereinzelte Capillar- 
embolien indifferenter Natur sind vollkommen 
gefahrlos, so z.B. unbedeutende Luft- und Fett¬ 
embolien. Eindringen von Luft in die Venen 
ist nur dann gefährlich, wenn die Luftmenge 
eine sehr grosse ist. Der Tod erfolgt dann 
durch Anhäufung von Luft im rechten Ven¬ 
trikel und den Lungengefassen und Aufhebung 
des Lungenkreislaufs. Fettembolien sind nur 
beim Eindringen grösserer Fettmengen nach 
Knochenfracturen und Zerquetschungen von 
Fettgeweben durch zahlreiche Lungen-, Him- 
und Nierenembolien gefährlich. Die weiteren 
Veränderungen in Folge ausgebreiteter Em¬ 
bolien hängen zum Theil von der Structur 
der Gewebe ab. Sehr rasch zerfallen Organe 
mit weicher Textur, wie Lungen, Leber, Milz, 
Gehirn; langsamer die Haut (Furunkel), noch 
langsamer die Knochen (Sequester). Brandig 
jauchiger Zerfall erfolgt in weichen Organen 
und hämorrhagischen Infarcten schnell, wenn 
die Luft zu denselben Zutritt hat, * wie z.B. 
in den Lungen, dem Magen, oder wenn die 
Emboli deletäre Stoffe und Fäulnisserreger 
mit sich führen. In Organen, die von nutri¬ 
tiven und functioneilen Gefassen zugleich 
versorgt werden (Lungen, Leber), erfolgt bei 
Verschluss der nutritiven Gefässe Brand oder 
Atrophie und beim Verschluss der functioneilen 
Gefässe Functionsstörung, Atrophie oder 
Wucherung des interstitiellen Bindegewebes. 
Die Zeit, innerhalb welcher sich die Circu- 
lationsstörungen bei indifferenten Emboli 
ausgleichen, hängt von der Grösse und Zahl 
der verstopften Gefässe, von der Zahl der 
collateralen Bahnen jnd von der Blutbe¬ 
schaffenheit ab, und die aus der Circulation 
ausgeschalteten Gefässe entarten in ver¬ 
schieden langer Zeit. Die Folgen der Embolien 
hängen ab von den Functionsstörungen lebens¬ 
wichtiger Organe, wie der Lungen, des Hirns, 
der Leber, Nieren etc. oder von nachfolgender 
Gangränescenz, brandiger oder eitriger Er¬ 
weichung. Die Symptome bedeutender Em¬ 
bolien treten immer plötzlich mit einem 
Schlage auf. Embolien grösserer Hirngefässe 
verursachen Lähmflngen oder Apoplexien und 
schnellen Tod. Embolien der Lungenarterien, 
wenn die grossen Aeste oder eine sehr grosse 
Anzahl kleiner Zweige verlegt werden, ver¬ 
ursachen Dispnoe, Lungenödem, Hirnanämie 
und Asphyxie. Embolien der Arteria coron. 
cordis haben Lähmung'des Herzens zur Folge. 
Bei Embolien der Arteria central, retinae 


erfolgt Erblindung. Embolien der Arteria 
meaent. ant. verursachen Darmhyperämien, 
Darmblutungen, Koliken und Dannbrand. Em¬ 
bolien der Cruralarterien bedingen Schwäche 
und Lähmungen der Hinterextremitäten. Er¬ 
folgt der Tod nicht gleich, so kann nach vor¬ 
übergehenden Anfällen eine Wiederherstellung 
zur Norm durch Collateralkrei9läufe eintreten. 
Sind keine Collateraläste da, so entstehen, 
wenn der Tod nicht eintrat, bleibende Func¬ 
tionsstörungen, nachher Erweichung oder Brand 
der durch die Emboli verschlossenen Bezirke 
und kann der Tod noch nachher an metasta¬ 
tischen Abscessen und Erweichungsherden 
erfolgen. Eindringen mit deletären Massen 
durchsetzter Emboli veranlasst Schüttelfröste 
und hohes Fieber. Mit Fäulnissproducten, 
Eiter, Jauche, niederen Organismen, pyämi¬ 
schem und septischem Contagium, Tuberkel- 
und Rotzbacillen durchdrungene Emboli haben 
stets pernieiöse Folgen. 

Am häufigsten kommen bei Verschlep¬ 
pungen der Emboli durch die Venen Ab¬ 
lagerungen derselben in den Lungen zu Stande. 
Wenig zahlreiche Verstopfungen kleiner Zweige 
der Arteria pulmonalis verlaufen symptomlos, 
selbst wenn einzelne hämorrhagische Infarcte 
sich bilden. Meist erfolgt ein Ausgleich von 
Seiten der benachbarten Capillaren. Bei Em¬ 
bolien grösserer Aeste der Lungenarterien 
entsteht sofort Athemnoth, collaterale Hyper¬ 
ämie und Oedem anderer Theile der Lungen, 
blutiger Schaum in den Luftwegen, kleiner 
Puls, und oft erfolgt der Tod schnell durch 
Hirnanämie oder Asphyxie. Sernmer. 

Embolus, Embolum (v.?p.ßoXos, EjxßoXov). 
Alles was hineingesteckt oder geschoben 
wird; in der Pathologie ein in das Gefässlumen 
eingekeilter Blutpfropf, die Embolie (s. d.) 
verursachend. 

Embrocatio, richtigerembrocha(-rj EjxßpoxiQ, 
v. epißpr/eLv, an feuchten), 1. Begiessung, Irri¬ 
gation; t. Kataplasmen, Fomentien. Sussdorf. 

Embryologie. Obgleich dieser Abschnitt der 
biologischen Wissenschaften erst in jüngster 
Zeit seine Ausbreitung im weitesten Masse 
erlangte, sind wir doch in der Lage, diese 
Wissenschaft bis in die ältesten Zeiten, aus 
denen uns schriftliche Berichte vorliegen, zu¬ 
rückzuverfolgen. Nur wurde dieselbe theilweise 
als Abschnitt der Anatomie betrachtet und 
daher der Entwicklungsgang des Organismus 
weniger zusammenhängend dargestellt als viel¬ 
mehr auf die Beschreibung der äusseren Formen 
der Embryonen Rücksicht genommen. Gegen¬ 
wärtig stellt sich die Entwicklungsgeschichte, 
Embryologie (Saßpoov [t& ßpbov] t b 
tvje 'faazpog ßpoov) (Eusthatius) aie Aufgabe, den 
Entwicklungsgang der einzelnen Organismen 
sowohl in anatomischer als auch physiologischer 
Richtung in zusammenhängender Weise zu 
verfolgen." Es wird daher nothwendig, dass 
derjenige, welcher das Gebiet des Forschens 
in der Embryologie betritt, mit den nöthigen 
Hilfswissenschaften, wie-sie die Anatomie und 
Physiologie verlangt, ausgestattet sei. 

Dieser Abschnitt der Embryologie be¬ 
schränkt sich auf die Beschreibung des Ent- 



EMBRYONALFLECK. — EMBRYOTOM1E. 529 


wicklungsganges der organischen Individuen 
(s. u. Entwicklungsgeschichte). Schtnk. 

Embryonalfleck. An jener Stelle, wo sich 
am Eichen der Embryo ausbildet, erscheint 
eine wegen einer vermehrten Zellenanhäufung 
daselbst weniger durchsichtige umschriebene 
Partie. Es zeigt sich daher diese um¬ 
schriebene Partie als dunkler, anfangs runder, 
später ovaler Fleck. Er wird als Embryonal¬ 
flecke (Täch embryonnaire) bezeichnet. An den 
durchsichtigen Eichen der Säugethiere ist der 
Embryonalfleck deutlich zu beobachten. Sk t 

Embryothla8is (von ejjißpoov, Fötus, und 
A-Xaois, Zerdrückung, Zerquetschung) ist eine 
nicht häufige geburtshilfliche Operation. Unter 
dem Worte Embryothlasis wird aber nicht 
das Zerquetschen des ganzen Fötus, son¬ 
dern blos das Zerdrücken, Zermalmen oder 
das Zusammendrücken dessen Kopfes ver¬ 
standen und wird diese Operation fast nur 
bei Wasserköpfen vorgenommen (s. Embryo- 
tomie). Strebei . 

Embryotomie (vj ejxßp’joxojjita, v. ep.ßpoov, 
Fötus, und tejjlvüj, zerschneiden, Zerschneidung 
oder Zerstückelung des Fötus). Die Embryo¬ 
tomie umfasst alle Operationen, die mittelst 
Zerstückelung des Jungen im Mutterleibe 
dessen Verkleinerung bezwecken. Sie ist eine 
schöne, aber ernste, eingreifende, für das 
Mutterthier stets mehr oder minder gefähr¬ 
liche, fast durchwegs schwierige Operation, 
die von Seite des Geburtshelfers viel Kraft, 
Ausdauer und Geschicklichkeit verlangt. Sie 
findet sich bei unseren Hausthieren überall 
da angezeigt, wo in Folge von fehlerhaften, 
nicht zu berichtigenden Lagen, abnormer Be¬ 
schaffenheit des Jungen oder bestimmten, die 
Beckenweite vermindernden Beckenfehlern die 
Extraction des Fötus im Ganzen nicht möglich 
ist, oder w T o bei abgestorbenen Jungen dessen 
Zerstückelung als das für das Mutterthier 
weniger eingreifende Verfahren ercheint. Die 
Embryotomie muss planmässig, mit Geduld 
und ohne Säumen, d. h. ehe eine starke Ver¬ 
schwellung der Geburtswege und Ermüdung 
des Geburtshelfers eingetreten ist, in allen 
jenen Fällen vorgenommen werden, wo die 
Entwicklung des Jungen im Ganzen nicht 
möglich ist oder aber mit der grössten Ge¬ 
fahr für das Mutterthier verbunden sein 
würde. Bei der Vornahme der Embryotomie 
hat man namentlich folgende Regeln zu be¬ 
rücksichtigen: 1. Die zu entfernenden Theile 
müssen gut fixirt und möglichst weit in die 
Geburtswege hinein-, bezw. aus denselben her¬ 
ausgezogen werden; 2. man operire so viel 
als möglich subcutan; 3. man unterlasse nie, 
einen guten, verständigen Gehilfen zur Seite 
zu haben. 

Bei unseren Hausthieren bilden Kopf, 
Brust- und Beckengürtel, d. h. die weiten 
fötalen Körperstellen, häufig nicht zu bewäl¬ 
tigende Geburtshindernisse. Die Zerstückelung 
zerfallt demgemäss in die Verkleinerung, bezw. 
in das Abschneiden des Kopfes, in Verklei¬ 
nerung des Brust- und Beckengürtels. Bei 
Bauchwassersucht des Fötus, bei Dunst- und 

Koch. Eneyklopädie d. Thierheilkü. II. Bd. 


Speckkälbern, bei Wasserköpfen wird die Um¬ 
fangsverminderung in den weitaus meisten 
Fällen mittelst ausgiebiger Einschnitte her¬ 
beigeführt. 

Verkleinerung des Kopfes, Cepha- 
lotomie (von V) xscpaXiq, der Kopf, und xspivetv, 
zerschneiden). Diese im Ganzen sehr selten 
nothwendige Operation findet sich namentlich 
beim Wasserköpfe angezeigt; dieselbe wird 
auf vier Arten aus geführt, nämlich mittelst 
der Punction, des Einschnittes, der Zermal¬ 
mung oder Eindrückung der Schädelwan¬ 
dungen sowie der theilweisen Zerstückelung 
des Kopfes. Behufs Vornahme dieser Opera¬ 
tion sarten wird der vorliegende Kopf, wenn 
möglich, durch eine Genick- oder Maulschlinge 
oder durch einen in den Choanen befestigten 
Haken fixirt. Liegt der Kopf mit dem Vor¬ 
derhaupt vor, so ist eine vorhergehende Hal¬ 
tungsberichtigung unnöthig. Die Schädel¬ 
kapsel wird an den fluctuirenden Stellen 
mit einem geeigneten, mittelgrossen Trocar, 
einem geeigneten Stemmeisen, am besten mit 
dem MarggrafFschen oder mit dem Finger¬ 
messer oder blos mit einem geeigneten, ge¬ 
wöhnlichen Hakenmesser geöffnet. Gebraucht 
man den Trocar, so zieht man vor dessen 
Einführung in die Mutterscheide das Heft so 
weit zurück, dass die Trocarspitze gänzlich 
in der Canüle verborgen ist, ergreift sodann 
denselben mit der linken Hand, zwischen dem 
ausgestreckten Daumen und dem ausge¬ 
streckten Zeigefinger, u. zw. derart, dass der 
letztere das freie Ende der Canüle überragt, 
während die übrigen drei Finger das In¬ 
strument auf der Handfläche fixiren. Mit der 
rechten Hand unterstützt und hilft man das 
Instrument bis zum Kopfe hineinleiten. Sowie 
das freie Ende der Canüle auf die geeignete 
Kopfstelle hingebracht ist, wird mit der 
rechten Hand der Stiel nach vorwärts und 
damit der Trocar in die Schädelhöhle hin- 
eingestossen, worauf derselbe zurückgezogen 
wird, während die linke Hand die Canüle an 
Ort und Stelle festhält. Beim Gebrauche des 
Meisseis wird derselbe, um mütterlichen 
Verletzungen auszuweichen, beim Ein- und 
Hindurchführen durch die Geburtswege mit 
der Hand möglichst gut gedeckt. Durch kräf¬ 
tigen Druck oder gelinde Schläge auf den 
Stiel des Meisseis wird dieser in die Schädel¬ 
höhle eingetrieben. Die Oeffhung der Schädel¬ 
kapsel wird sehr vortheilhaft durch ausgiebige 
Einschnitte mittelst des Fingermessers oder 
auch nur eines gewöhnlichen, gut construirten 
Hakenmessers bewerkstelligt. Nach dem Ab¬ 
flüsse des Wassers sucht man die Schädel¬ 
wandungen mit der Hand einzudrücken; wo 
dies auf diese Weise nicht gelingt, sucht man 
die Zermalmungen mittelst eines sog. Cepha- 
lotriben zu erreichen. Letztere Operation ist 
zwar ungemein selten erforderlich und in der 
thierärztlichen Geburtshilfe wohl auch noch 
nie ausgeführt worden. 

Partielle Zerkleinerung des 
Kopfes. Diese sehr mühevolle Operation 
findet sich nur äusserst selten angezeigt und 
blos in jenen Fällen, wo der Kopf zu gross, 


34 


litize^by 


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530 


EMBRYOTOMIE. 


wo namentlich Kopf und Fasse zusammen¬ 
genommen nicht zugleich das Becken pas- 
siren können, 4 sowie in bestimmten Fällen 
von Doppelköpfen, falls die Entfernung einer 
oder der beiden Vordergliedmassen unmöglich 
ist. Die Zerkleinerung des Kopfes kann auf 
verschiedene .Weise erzweckt werden. Behufs 
einer Verkleinerung des Höhendurchmessers 
des Kopfes wird der Hinterkiefer am besten 
folgenderweise entfernt: Man führt in die 
Maulhöhle des durch einen Gehilfen .gut 
fixirten Kopfes einen Meissei ein und über 
die Backzähne hinweg bis zum. Hinterkiefer. 
Während der Geburtshelfer das Instrument 
in der richtigen, etwas nach einwärts ge¬ 
richteten Lage zu erhalten sucht, wird durch 
einige Schläge auf den Meisseistiel der Ge¬ 
lenkstheil des Hinterkiefers abgestemmt, so¬ 
dann entfernt oder auch einfach belassen. Ein 
anderes Raumgewinnungsverfahren besteht 
darin, dass man den Hinterkiefer in der Me¬ 
dianlinie mittelst Ringmesser durchschneidet 
und beide Kieferhälften flach gegen das 
Gaumengewölbe drückt. Doppelköpfe werden, 
wenn nöthig, durch Anwendung des Stemm¬ 
eisens in ihrer Mittellinie gespalten. 

In den besprochenen Verhältnissen ge¬ 
lingt die Entwicklung der Frucht fast aus¬ 
nahmslos — mit Ausnahme bei voluminösen 
Doppelköpfen — und mit wesentlich weniger 
Mühe als durch die theilweise Zerstückelung 
des Kopfes beim Einschlagen folgenden Ver¬ 
fahrens. Nachdem die Geburtswege durch 
tüchtige Einölung, Einfettung oder Ein¬ 
spritzungen von Leinsamenschleim gut schlü- 
pferig gemacht, Kopf und Vorderfüsse gehörig 
in starke, aber nicht zu dicke Schlingen ge¬ 
nommen sind, stösst man dje Füsse, falls sie 
schon in die Geburtswege eingedrungen sind, 
wieder in die Uterushöhle zurück, zieht hierauf 
einzig den Kopf in die Geburtswege herein, 
doch nie zu weit; sowie dies zu Stande ge¬ 
bracht ist, sucht der Geburtshelfer den einen 
oder den anderen in der Nähe des Becken¬ 
einganges ruhenden Fuss auf, ergreift dessen 
Klauen und lässt sodann, die Klauen stets 
in der Hand haltend, ihn durch Gehilfen 
sachte am Stricke neben dem Kopfe vorbei 
etwas und ja nie zu weit in die Geburtswege 
hereinziehen. Nachdem dieses bewerkstelligt, 
wird auf die gleiche Weise auch mit dem 
anderen Fusse verfahren. Nun werden Kopf 
und Füsse, je nachdem es nöthig ist, einer 
nach dem anderen allraälig mehr herange- 
zogen, bis sie in der Mutterscheide eine nor¬ 
male Lage haben. Indem der Geburtshelfer 
die Geburtswege tüchtig einölt oder einfettet, 
lässt er nun, während er die Hand in den 
Geburtswegen eingebracht hält, um zu wissen, 
wo etwa die vorgelagerten Theile am meisten 
anstemmen, und während er dieselben mit¬ 
telst Druck oder Gegendruck richtig leitet das 
Junge durch gleichförmigen, kräftigen Zug, 
unter Einhaltung mehr oder minder grosser 
inneliegender Pausen, herausziehen. Selbst¬ 
verständlich sind dicke, fette Hände und Arme 
des Operateurs einem solchen Entwicklungs¬ 
verfahren nicht wenig hinderlich. 


Das Abschneidern des Kopfes (De- 
capitation). Die Amputation des Kopfes des 
Jungen in den Geburtswegen ist eine höchst 
mühevolle und für das Mutterthier zugleich 
äusserst gefährliche, zum Glücke sehr selten 
nöthige Operation. Dieselbe erscheint fast 
nur bei Jungen mit doppelten Köpfen und 
Hälsen sowie in vereinzelten Fällen von zu¬ 
rückgeschlagenem Kopfe und Halse angezeigt. 
Die Entfernung der vorderen Gliedmassen 
sowie das soeben beschriebene einfache, wenn 
auch etwas mühsame Entwicklungsverfahren 
führen meist zum Ziele. Angezeigt ist spdann 
das leicht ausführbare Abschneiden des Kopfes, 
wenn derselbe halb oder ganz ausser der Scham 
vorliegt, nicht mehr zurückgebracht werden 
kann und in Folge dieses Umstandes die Lage¬ 
berichtigung der unter den Leib zurückge¬ 
schlagenen Vorderfüsse nicht möglich ist. 

Die Abnahme des Kopfes erfolgt ent¬ 
weder für sich allein im . Kopfgelenke, oder 
aber mit gleichzeitiger Amputation einiger, 
selbst aller Halswirbel. Im ersteren Falle 
wird der Kopf mittelst Kopfhalfter, Genick¬ 
schlinge, Hinterkieferschlinge oder mittelst 
in den Choanen befestigter Haken fixirt und 
möglichst w r eit in das Becken hereingezogen, 
während die gleichfalls angeseilten Füsse 
behufs Raumgewinnung möglichst weit gegen 
die Bauchhöhle zurückgeschoben werden. 
Hierauf geht der Geburtshelfer mit dem 
Fingermesser zur Genickgegend des Jungen 
und durchschneidet auf beiden Seiten im 
Kreise die Haut und Muskeln möglichst voll¬ 
ständig. Sowie dieses geschehen, schiebt der 
Operateur mit der Hand die Haut und Musku¬ 
latur am Halse so weit als möglich zurück, 
um so die Halswirbelsäule von den umlie¬ 
genden Weichtheilen möglichst zu befreien. 
Das Kopfgelenk selbst wird nicht mit. dem 
Messer getrennt. Während nun der Operateur 
das Junge gut fixirt und möglichst in den 
Fruchthälter zu schieben sucht, lässt er durch 
einige Personen am Kopfe kräftigst ziehen, 
während gleichzeitig derselbe umgedreht wird. 
In Folge des Zuges dehnen sich die Kopf¬ 
gelenksbänder aus, zerreissen nach und nach, 
und es löst sich schliesslich der Kopf da¬ 
selbst ab. 

Der Kopf kann auch auf subcutane 
Weise abgelöst werden; es ist dies jedoch 
eine äusserst mühsame und schwierige Arbeit, 
die nebstdem keine Vortheile verschafft. Ebenso 
mühsam und schwierig ist folgende Methode: 
Der Hinterkiefer wird im Gelenkstheile mit 
dem MarggraffschenStemmeisen oder Geburts¬ 
meissei abgestemmt und entfernt; sodann wird 
von der Maulhöhle des Jungen aus das Kopf¬ 
gelenk nach Möglichkeit mit demselben In¬ 
strumente eingeschnitten und hierauf erst die 
Halshaut und Muskulatur im Kreise durch¬ 
schnitten. Der Kopf wird sodann durch in 
den Choanen fixirte Haken losgerissen. 

Bei zurückgeschlagenem Kopfe sowie bei 
Missgeburten mit doppelten Köpfen und Häl¬ 
sen werden meist mehrere, in letzterem Falle 
selbst säramtliche Halswirbel mit dem Kopfe 
entfernt. 



EMBRYOTOMIE. 




531 


* 

Eine andere Methode zur Ablösung des 
Kopfes samrat dem Halse, die fast aus¬ 
schliesslich bei den f soeben erwähnten Zu¬ 
ständen, d. i. in den Fällen angewendet wird, 
wo man den Kopf nicht in die Geburtswege 
/Einbringen kann, ist folgende: Män durch¬ 
stemmt mittelst des MarggraflTschen Stemm¬ 
eisens (Fig. 471) aie HälsWirbel¬ 
säule, und durchschneidet sodann 
ihit'dem gleichen Instrumente öder 
iriit dem Fingermesser die Weich¬ 
gebilde gänzlich. ‘ 

.Verkleinerung cj|es Btu st- 
'•umfanges. Die Verkleinerung des 
Brustumfanges k&nn theils durch 
Entfernung blos einer oder beider * 
-Vordergliedmassen, theils durch 
Entfernung der Brust- und IJauch- 
eingfeweide bewerkstelligt werden. 

' IMe 1 Entfernung geschieht entweder 
subcutan oder mit offenem Schnitte. 

Letztere Methode Wird nur unge¬ 
mein selten mehr ausgeführt. 

Indicationen. Die Entfei* 

’nung der Gliedmassen ist ange¬ 
zeigt: bei einer Reihe von Miss¬ 
geburten, bei unmöglich zu be¬ 
richtigender Zurückschlagung des 
Kopfes, bei gewissen Fällen von 
ganz unter den Leib geschlagenen 
Gliedmassen, bei zu grossen,'na¬ 
mentlich abgestandenen, in Zer- 
setzung übergangenen, emphysema- M * £ ff _ 

tikch aufgetriebenen Föten (Dunst- sches 
kälber) und bei Wasserkälbern. ci8 » n - 
Endlich führt man diese Operation öfters nur 
‘ alt Einleitung zur weiteren Zerstüokelung des 
Jängen aus. 

1. *Die subcutane Methode oder 
das Ausderhautziehen der Glied¬ 
massen. Das Ausderhautziehen der Vorder- 
gliedmassen ist eine der am häufigsten aus- 
/ geführten Operationen der Embryotomie. Diese 
ist bei richtiger, umsichtiger Ausführung mit 
keinen weiteren Gefahren für das Mutterthier 
verbunden. Das Ausderhautziehen der Glied¬ 
massen ist schon seit Langem bekannt und 
prakticirt worden, hat aber in der Neuzeit 
eine wesentliche Vervollkommnung erlangt. 
Schon 1830 beschrieb sie der ältere Günther, 
bald darauf Huvellier' in Alen^on, etwas 
später Lecoq, de Bayeux, Canu, und in der 
neueren Zeit namentlich Franck und Rossignol. 

Operationsverfahren bei vorlie¬ 
gender Gliedmasse. Ehe zur Operation 
selbst geschritten wird, muss die Gliedmasse 
mit einem starken Stricke über dem Fessel 
angeseilt und so weit als möglich nach aussen 
gezogen werden. Während der Enthäutung 
wird die Gliedmasse, durch einen Gehilfen 
gespannt gehalten. Der Operateur spaltet, 
ain besten mit dem Fingermesser, zunächst 
an der inneren oder äusseren Fläche der 
Gliedmasse die Haut und die oberflächlichen 
Fascien, wenn möglich vom Brustbeine bis 
zur Köthe hinunter. Sowie dieses geschehen, 
schreitet man zur Enthäutung der Gliedmasse, 
die, soweit letztere von aussen zugänglich 


ist, mit einem Bistourröder mit einem anderen 
geeigneten Messer auf*gewöhnliche Weise be¬ 
werkstelligt wird. An den im Becken befind¬ 
lichen Theilen vollführt man diese Lostren¬ 
nung entweder mittelst des Daumens, der 
Faust, der gestreckt gehaltenen Hand oder, 
und besser, mittelst eines geeignet construirten 
eisernen Spatels (Fig. 472), oder, 
in Ermanglung eines solchen, auch 
mittelst -einbs spatelför&ig zuge- 
- schnittenen Stückes Hartholz. Die 
Zerreissung des subcutanen Binde- 
■ gewebes und damit die Lostren¬ 
nung der 1 Haut von der Muskulatur 
bewerkstelligt man mittelst eines 
langgestielten, halbscharfen Spatels 
viel leichter als mittelst der Hand 
oder Faust, namentlich an den 
Stellen, wo eine stärkere Verbindung 
besteht. Da man zudem stets unter 
der Haut des Jungen arbeitet, so ist 
der Gebrauch eines Spatels mit 
keiner Gefahr^ für das Mutterthier 
verbunden. Einzelne seimige, ziem¬ 
lich zähe Verbindungen werden mit 
dem an einer Kante des Spatels sich 
befindenden Häkchen leicht entzwei 
gerissen; Die Haut wird gänzlich bis 
über den Widerrist hinauf losge- 
trenqt. Ist dieses geschehen, * so 
schneidet man, falls der Raum es 
gestattet, behufs leichter Lösung 
der Gliedmasse die Brustmuskeln 
mehr' oder minder vollständig oder 
unvollständig durch. Diese Opera¬ 
tion ist zyrar bei der geringen 
Zähigkeit der Muskelfasern beim 
Fötus und der wenig festen Verbin¬ 
dung :der Vordergliedmassen durch 
Muskeln und Sehnen mit dem Rumpfe 
nicht gerade nothwendig. Erst nach 
Fig. 472 . geschehener vollständiger Lostren- 
Spatei von nung der Haut wird diese, die in 
strebei. ihren! gespannten Zustande dem 
Geburtsinstrumente einen nicht unwesent¬ 
lichen Stützpunkt gegeben, durch einen Kreis¬ 
schnitt über der Köthe getrennt, an einem 
Stricke befestigt und durch einen Gehilfen 
mässig angezogen. Nunmehr schreitet man 
zur Entfernung der Gliedmasse selbst. Wäh¬ 
rend der Operateur mittelst Gegendruckes 
das Junge in seiner Lage möglichst fixirt, 
lässt er an dem über der Köthe befestigten 
Stricke durch zwei, drei oder vier Mann lang¬ 
sam, aber kräftig ziehen. Bald vernimmt man 
einiges Knacken; die Muskeln dehnen sich aus 
und reissen entzwei, die Gliedmassq streckt 
sich und schlüpft bald vollständig nach aussen. 

Die Ausführung des Zirkelschnittes über 
der Köthe wie über dem Knie vor der Vor¬ 
nahme des Hautlängsschnittes ist, da die Haut 
auf dieseWeise schwieriger abzulösen ist, nicht 
empfehlenswerth. Eine andere zweckmässige 
Methode ist folgende: Man macht zuerst über 
dem Knie einen unvollständigen (%) Kreis¬ 
schnitt und trennt die Hautbrücke erst nach 
vollständiger Lösung der Haut von der Mus¬ 
kulatur. 

31 * 





532 


EMBRYOTOMIE. 


2. Die Entfernung der vorderen 
Gliedmassen mit offenem Schnitt ist 
eine soviel als obsolet gewordene Methode. 
Sie ist schwierig und nur dann ausführbar, 
wenn — was ja höchst selten zutrifft — ge¬ 
nügender Raum zur Führung des Messers 
vorhanden ist. Bei dieser Methode durch¬ 
schneidet man mit dem Fingermesser die Haut 
sammt der Muskulatur am vorderen, sodann 
am hintefen Schulterende, hierauf der Quere 
nach oben am Widerrist und zuletzt gleich¬ 
falls der Quere nach oben an der inneren 
Fläche des Vorarmes, so dass die vier Schnitte 
die Schulter möglichst vollständig lösen. Das 
Ausziehen der Gliedmasse geschieht sodann 
in derselben Weise, wie bei* dem subcutanen 
Verfahren angegeben wurde. 

Das Ablösen der vorderen Glied¬ 
massen im Ellbogengelenk ist eine nur 
höchst selten angezeigte Operation und wurde 
namentlich von Donnarieix bei der Quer¬ 
bauchlage des Fohlens mit vorliegenden vier 
Gliedmassen, wenn die Länge der Gliedmassen 
deren ZuiÜckbringen in den Uterus und 
damit die Lageberichtigung des Jungen un¬ 
möglich macht, ausgeführt. Das von Donnarieix 
stets — in 15 Fällen — mit Erfolg einge¬ 
schlagene Verfahren ist folgendes: Es werden 
zuerst die zwei hinteren sowie ein vor¬ 
derer, zunächst nicht zu entfernender Fuss 
mit gewöhnlichen Gehurtsstricken angefesselt. 
Hierauf wird der zu desartikulirende vierte 
Fuss, während die drei anderen Füsse so viel 
als thunlich zurückgestossen * werden, durch 
vier oder fünf Mann so weit als möglich 
aus dem Wurfe hervorgezogen, derart, dass 
der Vorarm zum Vorscheine kommt. Nun¬ 
mehr wird, während ein Gehilfe die Scham¬ 
lippen auseinanderzieht, möglichst nahe dem 
Ellbogengelenk ein tiefer Kreisschnitt durch 
Haut und Muskulatur geführt. Die Gliedmasse 
wird von Neuem kräftig angezogen; die nicht 
oder nur theilweise durchschnittenen Muskeln 
reissen hiebei entzwei, und man gelangt all- 
mälig bis zum Gelenke. Mit dem Ringmesser 
werden nunmehr die Sehnen und Gelenks¬ 
bänder bestmöglich durchschnitten und der 
Fuss unter drehenden Bewegungen ausge¬ 
zogen. Mit der anderen Gliedmasse wird, wenn 
nöthig, auf dieselbe Weise verfahren. 

Die Ablösung der Gliedmasse im 
Kniegelenke ist gleichfalls eine äusserst 
seltene und blos in den soeben signalisirten 
Fällen von Querbauchlagen prakticirte ge¬ 
burtshilfliche Operation. Sie ist, da der vor¬ 
liegende Fuss bis zum Knie und noch weiter 
hervorgezogen werden kann, leicht zu be¬ 
werkstelligen. Man lässt, um beim Zurück¬ 
schieben der amputirten Gliedmasse Ver¬ 
letzungen des Mutterthieres auszuweichen, 
einen den Stumpfen überragenden Hautlappen 
stehen. 

Entfernung der ganz unter den 
Leib geschlagenen Gliedmasse. Diese 
Operation ist leichter zu beschreiben als aus¬ 
zuführen, scheint überhaupt noch nicht ausge¬ 
führt worden zu sein. Saint-Cyr spricht in 
seinem vortrefflichen Handbuch der thier¬ 


ärztlichen Geburtshilfe nichts davon. Franck 
seinerseits meint, man könnte, falls es möglich 
sei, bis zum Buggelenkp zu gelangen, auch 
die gänzlich zurückgeschlagene vordere Glied¬ 
masse nach folgendem Verfahren aus der 
Haut ziehen: Man schneidet zwischen Bug¬ 
gelenk und Brust die Haut und Muskulatur 
mit Meissei oder Ringnfesser in möglichst 
ergiebiger Weise durch, trennt hierauf* die 
Haut? der Schulter so gut als möglich von der 
Muskulatur und legt, indem man die Mus¬ 
kulatur von der Beugeseite des Buggelenkes 
durchbohrt, unterhalb des Gelenkkopfes, dicht 
am ’ Knochen eine kläftige Seilschlinge an; 
Durch kräftiges Ziehen von 3—4 Mann könne 
man die Gliedmasse ausziehen, besonders 
wenn man vorher die Brustmuskeln noch durch¬ 
schnitten habe. Es stülpe sich hiebei die 
Haut über die Gliedmasse um; die Haut würde 
erst nach dem Ausziehen der Gliedmasse ge¬ 
trennt. 

Die Exenteration (vom Lateinischen 
exenterare, ausweiden). Diese Art von Zer¬ 
stückelung des Fötus bildet eine ziemlich 
häufige und im Ganzen nicht schwierig aus¬ 
zuführende Operation. Durch die Entfernung 
der Eingeweide erzweckt man in einer für 
das Mutterthier gänzlich gefahrlosen Weise 
eine bedeutende Umfangsverminderung des 
fötalen Bauches und der Brust. Die Exentera¬ 
tion ist angezfeigt: 1. in den Fällen, wo nach 
Entfernung der Vorddrgliedmassen der Körper- 
umfifng des Jungen immer noch derart gross 
ist, dass eine Entwicklung des letzteren ent¬ 
weder nicht möglich ist oder doch nur mit 
grösster Gefahr für das Mutterthier bewerk¬ 
stelligt werden könnte; 2. bei Höhlen- und 
allgemeiner Wassersucht (Wasserkälber) sowie 
bei emphysematischen Kälbern (DunStkälber). 

Das Junge zeigt sich in der Kopf- oder 
Steissendlage. Bei der Kopfendlage entfernt 
man entweder eine oder zwei Gliedmassen, 
ehe man zur Exenteration schreitet, oder man, 
vollzieht diese sogleich, d. h. ohne vorherige 
Entfernung der Gliedmassen. In den Fällen, 
wo man eine Gliedmasse aus der Haut ge¬ 
zogen, benützt man die hiedurch entstandene 
Oeffnung zur Exenteration. Man geht mit dem 
Fingermesser oder mit dem Geburtsmeissei, 
der Innenfläche der Haut der ausgezogenen 
Gliedmasse folgend, zur Seite der Brust¬ 
wandung hin, durchschneidet zwei bis fünf 
Rippenknorpel, erweitert hierauf mit der Hand 
die entstandene Brustöflhung, dringt mit jener 
in die Brusthöhle ein, geht über die Herz¬ 
basis zur Wirbelsäule, trennt sodann die Aorta 
von der letzteren los und reisst Herz, Lunge 
und Thymusdrüsen entweder zusammen mit 
einem kräftigen Rucke oder auch nur ein 
Organ nach dem anderen heraus. Hierauf 
durchbohrt man mit der Hand das Zwerch¬ 
fell und reisst auch die Eingeweide heraus. 
Schreitet man ohne vorherige Entfernung einer 
Gliedmasse zur Exenteration, so geht man 
mit dem Fingermesser oder Meissei zwischen 
Schulter und Brustwand ein und öffnet in 
der soeben angegebenen Weise die Brust¬ 
höhle. — Liegt das Junge mit dem Steisse 



EMBRYOTOMIE. 


vor, so eröffnet man mit dem Fingermesser 
die untere oder seitliche Bauchwand, entfernt 
dann zuerst die Bauch- und erst nachher 
die Brusteingeweide. 

Bei für sich allein bestehender, dife Ge¬ 
burt des Fötus verhindernder Hautwassersucht 
prakticirtman— ohne weitere Zerstückelung— 
um der angesaramelten Flüssigkeit Abfluss 
zu verschaffen, in alle erreichbaren Hautcysten 
tiefe und lange Einschnitte, worauf ‘man zur 
gewaltsamen Entwicklung des Jungen schreitet. 

Verkleinerung des Beckengürtels. 
Diese erzielt man durch Entfernung der Hinter¬ 
gliedmassen, sowie einigermassen auch durch 
den Beckenfugenschnitt am Jungen. Da einer¬ 
seits J>ei den grösseren Hausthieren die Steiss- 
geburtenverhältnissmässig selten sind, anderer¬ 
seits die Jungen in solcher Lage leichter und 
mit weniger Gefahr als bei der Kopfendlage für 
das Mutterthier entwickelt werden können, 
so finden sich diese Zerstückelungen des 
Jungen sehr selten angezeigt. — Die> Ent¬ 
fernung der Beckengliedmassen, die sich am 
besten auf subcutane Weise bewerkstelligen 
lässt, ist weit schwieriger als diejenige der 
Vorderglicdmassen. Die Verbindung der Haut 
mit .den untenliegenden Geweben ist eine 
innigere als bei den vorderen Glied¬ 
massen; die Muskeln, welche die Gliedmasse 
mit dem Rumpfe verbinden, sind zahlreicher 
und mäditiger; dann bleibt noch der Wider¬ 
stand der Ligamente zu überwinden. 

Bei der subcutanen Entfernung der 
Beckengliedmassen wird im Wesentlichen wie 
bei dem Ausderhautziehen einer vorderen 
Gliedmasse verfahren. Der zu entfernende 
angeseilte Fuss f wird gleichfalls möglichst 
weit aus den Geburtswegdn herausgezogen, 
dann durch einen Gehilfen gespannt gehalten 
und sodann die Haut, nachdem dieselbe von 
der Beckenfuge bjs zur Köthe der Länge 
nach gespalten, von letzterer Stelle bis zum 
Kreuzbeine, äusseren und inneren üarmbein- 
winkel mittelst Messer, Spatel oder Faust 
von der Muskulatur losgetrennt. Erst nachdem 
dies geschehen, wird die Haut über der Köthe 
durch einen Kreisschnitt getrennt und sodann 
an einem nicht zu starken Stricke befestigt. 
Hierauf sucht man mit dem Fingermesser 
die Muskelmassen namentlich an der äusseren 
und inneren Seite des Oberschenkelgelenkes 
möglichst ergiebig zu durchschneiden. Der 
äussere Schnitt wird unmittelbar über dem 
grossen Unfdrehcr geführt und müssen die 
hier über einander gelegenen vier Darmbein- 
Umdrehermuskcln, bezw. deren Sehnen sowie 
auch der Spanner der Schenkelbinde, die 
Kreuzsitzbeinmuskeln des Schenkels und der 
grosse Gesässbackbeinmuskel so viel als thun- 
lich durchschnitten werden. Sodann werden 
dicht unter der Beckenfuge der lange und 
breite Einwärtszieher durchschnitten. Gut, 
wenn nicht gerade nothwendig ist es, das 
runde Band des Backbeinkopfes in der Ge¬ 
lenkshöhle zu durchschneiden. Sowie die 
Muskelmassen in der‘Umgebung möglichst 
ergiebig durchschnitten sind, schreitet man 
zur Entfernung der Gliedmassen. Während 


533 

4 

der 'Geburtshelfer das Junge fixirt, d. h. 
zurückhält, lässt er durch 2—4 Gehilfen an 
der Gliedmasse kr|ftig, aber gleichförmig 
ziehen, während gleichzeitig ein weiterer 
Gehilfe die Gliedmasse stark .nach auswärts 
dreht. Bald löst sich unter deutlichem Krachen 
das Backbein aus der Pfanne und die Glied¬ 
masse vom Rumpfe los. 

Die Entfernung derhinterenGlied- 
massen mit offenem Schnitt ist sowohl 
eine äusserst schwierige als auch für das 
Mutterthier mit grosser Gefahr verbundene 
Operation. In Folge Raummangels ist es 
ungemein schwierig, selbst unmöglich, die 
Haut und die das Oberschenkelgelenk um¬ 
gebenden Muskelraassen zu durchschneiden. 
Sodann lauft man beim Operiren mit offenem 
Schnitt Gefahr, das Mutterthier zu verletzen. 
Aus diesen Gründen ist diese Operations¬ 
methode verlassen worden. 

Die Entfernung der gänzlich unter 
den Leib geschlagenen Bpckenglied- 
massen scheint der grossen Schwierigkeiten 
wegen bisher nicht ausgeführt worden zu 
sein.* Fr an ck hält diese Operation für mög¬ 
lich und in bestimmten Fällen bei Fohlen 
für angezeigt. Das Verfahren wäre folgendes: 
Man geht mit dem Fipgermesser oder noch 
besser mit dem MarggraflPscl^n Stemmeisen 
in die Scheide ein bis zur Gegend des Ober¬ 
schenkelgelenkes des Jungen. Hiör durch¬ 
trennt man nun die Haut desselben und die 
Muskulatur wenigstens in einer Länge, dass 
man mit der Hand in die gemachte Wunde 
eindringen kann; durchschneidet sodann so 
viel als thunlich subcutan mit dem Finger¬ 
messer die Muskulatur in der Umgebung des 
Oberschenkelgelenkes. Nachdem mittelst der 
in die* Operationswunde eingeführten Hand 
die Fleischmasse um das Oberschenkelgelenk 
getrennt ist, wird um das Oberschenkelbein 
selbst eine Seilschlinge unterhalb der Um¬ 
dreher gelegt und sodann durch kräftigen 
Zug von 2—4 ‘Mann der Schenkel aus seiner 
Gelenksverbindung gerissen. Liegt die Schlinge 
genügend fest, so kann audh sogleich die 
Gliedmasse ausgezogen werden. Gleitet jedoch 
die Schiingo pach der Lösung des Ober¬ 
schenkels *us der Pfanne von dem ersteren 
ab, so versuche man zunächst die Extraction 
des Jungen, ohne dass der Schenkel zuv<*r 
ausgezogen worden wäre. Das Ausziehen wird 
in diesem Falle durch Haken bewerkstelligt, 
die ins ovale Loch des,Beckens oder am 
Beckeneingange an den Querästen der Scham¬ 
beine festgehakt sind. Im letztgenannten 
Falle wäre vor der Extraction des Jungen 
die Exenteration angezeigt. 

Die Ablösung der Gliedmassen 
im Sprunggelenke. In Fällen, wo die 
gebeugten Sprunggelenke sehr weit in die 
Geburtswege eingedrungen sind und deren 
fehlerhafte Haltung zu berichtigen unmöglicn 
ist — welch letzteres aber bei einem rich¬ 
tigen Verfahren wohl nie der Fall sein 
wird — ist vorgeschlagen worden, die Füsse 
im Sprunggelenke abzuschneiden. Es wird 
hiebei folgenderweise verfahren: Nachdem 


* 


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EMBRYULCIE. —. EMETICA. 


534 

* 

man über dem Sprunggelenke einer jeden 
Gliedmasse eine starke Schlinge fest ange¬ 
legt, l&sst man durch Anziehen der letzteren 
durch 4—5 Personen die Sprunggelenks¬ 
spitze eines Fusses bis zum Wurfe her¬ 
beiziehen. Wänrend nun ein Gehilfe die 
Schamlippen auaeinandejrhält, durchschneidet, 
der Operateur der Reihe nach mittelst irgend 
eines geeigneten Bistouris die Achillessehne, 
die Seitenbänder, die ,in der Behge des 
Sprun^jgelenkes gelegenen Muskeln und ent* 
fernt * hierauf den Fuss. Der Stumpf wird 
so viel thunlich oder höthig zurückgeschoben 
und sodann der andere Fuss äuf dieselbe 
Weise eiartikulirK Die Geburt wird hierauf 
durch Anziehen der.beiden über den Knöcheln 
des Unterschenkelbeines fixirt gebliebenen 
Stricke bewerkstelligt. ..., 

Der Beckenfugenschnitt am Jun¬ 
en. Durch diese immerhin höchst seltene 
peratiofi *erz weckt man ebenfalls eine Ver¬ 
minderung de$ Beckenumfanges beim Jungen; 
Operationsverfah*ens Man durchschneidet 
zunächst die Haut und Muskulatur an der 
unteren Fläche des Beckens, zwischen » den 
Schenkeln des Jungen, bis zum Knochen; 
führt sodann das Marggraffsche Stemmeisen 
bis zur Mitte des hinteren -Gesässbeinaus- 
scbnittes und tyennt durch schwache Schläge, 
die man durch einen Gehilfen auf den Stiel 
des Instrumentes anbringeii lässt, die Becken¬ 
fuge. Sowie dieses geschehen, schreitet man 
zur Entfernung der Eingeweide. Beim Ein¬ 
dringen der Nachhand des Jungen in die 
Geburtswege wird das fötale Becken, indem 
sich dabei dessen Beckenfugenränder über 
einander legen, zusammengedrückt. 

Halbirung des Jungen. Dieselbe wird 
zuweilen erforderlich bei nicht zu berichtigen 
möglicher Rückenquer-* Rückenvertical- und 
Baudiverticallage (sog. hundesitzige Lage) 
sowie bei zu starlAr Entwicklung des Hinter- 
theiles und endlich bei sog. Dunstkälbern 
(Physometra). Die Halbirung“ wird sowohl 
ausser- afs innerhalb der mütterlichen Ge¬ 
schlechtsorgane 1 vorgenommen. 

1. Halbirung des Jungen ausser¬ 
halb des Wurfes. Zum Zwecke der nicht 
schwierigen Amputation der vorderen Hälfte 
des Jungen wjrd dieses, falls es nicht schon 
halb geboren ist, möglichst weit aus den 
Geburtswegen hervorgezogen. Währertd nun 
der Operateur durch einen Gehilfen die 
Schamlippei} gut , auseinanderhalten lässt, 
zertheilt er den Rumpf in folgender Weise: 
Zuerst durchschneidet er nahe dem Wurfe 
des Mutterthieres die Bauchwandungen bis 
zur Wirbelsäule, durchschneidet sodann die 
die Wirbelsäule bedeckende Haut und Mus¬ 
keln und trennt hierauf so viel als thunlich die 
Wirbelsäule. Ein kräftiges Anzieherf, wenn 
nöthig unter drehenden Bewegungen, beendet 
cfie Lostrennung des Vordertheiles. Nun 
werden die Baucheingeweide, falls dies nicht 
schon nach der Trennung der Bauchwan¬ 
dungen geschehen, entfernt. Hierauf wird, 
um bei der nun auszufuhrenden Wendung 
des Hintertheiles Verletzungen des Uterus 


durch vorstehende Knochentheile zu ver-i 
meiden, die Haut über dem Rumpfe entweder 
zusammengenäht oder auch nur, gleich einem 
Sacke, zusammengebunden. Damit dieses um; 
so leichter geschehen könne, macht man den 
Kreishautschnitt möglichst weit vpn der Stelle 
entfernt, wo man die Wirbelsäule trennep ‘ 
will, und trennt die Haut, indem man dieselbe 
mittelst der Finger nach rückwärts schiebt, 
von den Muskeln los. Die Wendung des Hinter¬ 
theiles ist immer eine sehr schwierige Arbeit,, * 
ja sie ist selbst unmöglich zu bewerkstelligen, 
namentlich bei stark emphysematischen Jun¬ 
gen und bei beträchtlich entzündetem Uterus. 

Halbirüng' des Jungen im Uterus.' 
Diese äüsserst schwierige und ebenso sejtene 
Zerstückelung des Jungen wurde vom fran¬ 
zösischen Thierarzte Favereau bei der 
Rückenquerlage bei einer Kuh folgenderweise 
ausgeführt: Behufs leichterer Ausführung der 
Operation wurde die Kuh durch Gehilfen auf¬ 
recht gehalten. Mittelst des gekrümmten Bi¬ 
stouris vollführte er die Exarticulation zwi¬ 
schen dem letzten Rücken- und ersten Lenden¬ 
wirbel, was in Folge des Festsitzens des 
Fötus und der Steifigkeit der Wirbelsäule 
leicht von statten ging. Nachdem die QefF- 
nüng durch Verlängerung des Schnittes längs 
der letzten Rippe erweitert worden, entleerte- 
er vollständig die Bauchhöhle. Die Verwick¬ 
lung der Gedärme um das Bistouri herum' 
machte jedoch die Durchschneidung derBauCb- 
wandüngen schwierig und zugleich auch für 
das Mutterthier gefährlich, umsotaehr, als die 
schlaffen Bauchwandungen dem Messer auf¬ 
wichen. Bei dieser Sachlage legte er einen 
an einem Ende mit eine* Bleikugel Ver¬ 
sehenen Strick um die noch vereinigten 
BaachwandtHeile an. Während nun ein Ge¬ 
hilfe durch Anziehen des Strickes die in die 
Schlinge genommenen Thfile' fixirte, schnitt' 
Favereau ^sur Seite des laufenden Knotens, 
der ihm als guter Leiter diente, die Baüch- 
wandung gänzlich durch. Die Extraction der 
Strünke geschah nun leicht nach folgendem 
Verfahren: Ein Strick wurde in- eine doppelte 
Oeffnung, die zu beiden Seiten der Wirbel-* 
säule zwischen den zwei letzten Rippen ge¬ 
macht worden, eingebracht und sodann durch # 
leichtes Ziehen an demselben der Vordertheil* 
herausbefördert; ein zweiter Strick wurde 
behufs Ausziehens des Hintertheiles zwischen 
den seitlichen Apophysen der zwei letzten 
Lendenwirbel befestigt. 

Literatur : Saint-Cyr, Traitö d’obstftrique 
vdWrinaire, Paris 1875. F r ä n c k, Handbuch der tier¬ 
ärztlichen Geburtshilfe, Berlin 1876. Favereau im Re- 
cueil de med. veterinaire, No. 11, 1885. Strebei. 

Embryulcie (tö ejxßpoov, Embryo, und 
SXxciv, ziehen), die intrauterine Ausweidung der 
Frucht, also eine Form der Embryotomie: Sf w 

Emesis, r\ efiects (von ejxetv, erbrechen), 
das Erbrechen; davon als Adj. emeticus 
in emetica sc. remediä, Brechmittel. Sf. 

Emetica, Brechmittel (Vomitm), haben 
Bedeutung theils um* den Magen zu ent¬ 
leeren, fremde Körper, Gifte u. s. w. auf dem 
kürzesten Wege zu elirainiren v theils weit 



EMETIN. — 

man ihnen durch die Einwirkung auf das 
Nervercystem, das bei dein Brechacte un¬ 
zweifelhaft eine allerdings nicht näher ge¬ 
kannte Alteration erfährt, einen günstigen, • 
selbst codpirenden Einfluss auf solche Krank¬ 
heiten zuzuschreiben geneigt ist, die erst im 
Entstehen begriffen sind. Von therapeutischem 
Weuthe ist die Bedeutung der Brechmittel 
•nur für die Omnivoren und Fleischfresser, 
denn die grösseren Hausthiere vermögen sich 
nur auf toxische Gaben zu erbrechen. Die 1 
Einleitung .des Brechactes geschieht für 
gewöhnlich durch eine locale Reizung der 
feinen Vagusenden im Magen, welche durch 
die den Brechmittelh eigentümlich zukom- 
menden Stoffe direct erzeugt wird und reflec- 
torisch bis zu dem im verlängerten Marke 
gelegenen Brechcentrum, von dem die Coordi- 
nation der Bewegungen des Zwerchfells und 
der Bauchmuskeln abhängt, fortgetragen wird. 

‘ Did Wirkung erfolgt dann in ähnlicher Weise, 
wie wenn die Schleimhaut des Pharynx eine 
mechanische Reizung, z. B’. dürch Kitzeln, 
erfährt. Neuere Untersuchungen über die 
Wirkung des bedeutendsten aller Vomitive, 
des Apomorphins, haben indessen gelehrt, 
dass nicht alle Brechstoffe blos durch locale 
Reizung der an die Oberfläche der Magen- 
wandqng bis zwischen die CylinJerzellen der 
•Epithelialschicht.tretenden peripheren Zweig¬ 
ehen des X. Hirnnerven eine Brechwirkung 
ausüben, vielmehr der Vomitus auch durch 
Resorptionswirkungen eintreten kann, denn 
das letztgenannte Alkaloid bedingt gar keinen 
örtlichen Reiz und wirkt noch viel intensiver 
bei Einspritzungen unter die Haut als vom 
Magen aus. Im Uebrigen kann der Effect 
derjenigen Mittel, welche wie das Zink- und 
Kupfervitriol leicht ätzende Eigenschaften 
besitzen, mit Sicherheit als ein örtlicher 
(reflectoriscfyer) angesehen werden, und liegt 
der Beweis hiefür darin, dass man bei allen 
den Magen anätzenden Stoffen Brechen 
beobachtet, dieses aber ausbleibt, sobald 
diese Corrosionsmittel in das Blut gebracht , 
werden. Mit der emetischen Wirkung ist 
mehr oder weniger besonders bei reizbaren 
nervösen Hunden (offenbar wie beim Menschen) 
das Gefühl des Ekels oder der Nausea vor 
und nach dem Brechacte verbunden; ebenso 
schliessen sich manche.Brechmittel, wie z. B. 
der Tartarus eyieticus, in ihrer Wirkungsweise 
den Abführmitteln an, indem sie zugleich 
eine constante Beschleunigung der Dick¬ 
darmperistaltik bedingen und so den Namen 
der Brechdurchfall erregenden Mittel 

Emetocathartica erhalten haben.Dieser 
letztere Effect ist als eine reflectorisch fort¬ 
geleitete Reizung von den Magennerven her 
aufzufassen, wie auch bei Hunden vom Darme 
aus häufig eine Irritation der* Magennerven 
und damit Erbrechen, oder doch wenigstens 
Nausea entsteht; immerhin gibt diese kathar- 
tisebe Wirkung z. B. des Brechweinsteins 
einen Wink, denselben nicht als Emeticum 
zu verwenden, wenn mit der Entleerung des 
Magens nicht auch eine solche des Darms 
verbunden werden darf, wie z. B. bei Ver- 


EMISSIO. ' 53 5 

« 

giftungen oder wenn vorher schon diarrhöische 
Zustände bestehen. Zu den thierärztlichen 
Brechmitteln zählen; ,1. das Apomorphin, 

2. das schwefelsaure Kupferoxyd, 3. das 
schwefelsaure Zinkoxyd, 4. das Emetin der 
Brechwurzel, 5. das Veratrin. Ausserdem 
haben eine dem Emetin und Aporaqrphin 
ähnliche Wirkung das Kraut der Gratiola, 
das. Colchicin, dasViolin der Wurzel unserer 
wohlriechenden Veilchen, das Cyclamin aus 
den Knollen von Cyclamen europaeum, das 
Asclepiadin von Vincetoxicüm officinale. Die 
näheren Eigentümlichkeiten .der Vomitive 
können bei den einzelnen Mitteln nachgö- 
schlagen werden. 

Als Nauseosa gdlten alle Brechmittel, 
wenn sie in kleinster Dose gegeben werden, und 

Antiemetica, den Magen beruhigende, 
das Brechen verhindernde Mittel sind: Eis, 
kohlensäure Alkalien, Kohlensäure und Mor¬ 
phin. Vogel. 

Emetin, ein Alkaloid, welches das wirk¬ 
same brechenerregende Princip der Ipeca- 
cuanhawurzel (Cephaelis Ipecacuanha) • dar¬ 
stellt. Die chemische Zusammensetzung des¬ 
selben ist bis nun noch nicht festgestellt. 
Man erhält es durch Extraction der Wurzel* 
mit Alkohol, das Extract wird zum -Syrup 
verdampft, mit Kalilauge versetzt und mit 
Chloroform geschüttelt. Difs Chloroform hinter¬ 
lässt beiin Verdampfen eine Masse, aus wel¬ 
cher das Emetin in verdünnte Säure aufge¬ 
nommen wird. Aus dieser Lösung durch 
Ammoniak abgeschieden, ist das Emetin ein 
weisses amorphes Pulver von schwach bitterem 
kratzendem Geschmack, schwer in Wasser, 
leicht in Weingeist, Chloroform, Aether lös¬ 
lich. Es tfurde als Emeticum versucht, doch 
seit der Einführung des ^pomorphins ver¬ 
lassen. Infusion von mehr als 0*01 tödtet 
Katzen in 12—15 Minuten unter adynamischen 
Erscheinungen. Loebisch. 

Emetokathar8i8 (abgel. von -rj speo:s, 
das Erbrechen, und -r xa&apoic, Reinigung), 
die Reinigung als Brechdurchfall, daher in 
emetocathartica sc. remedia, Erbrechen und 
Durchfall erzeugende Arzneimittel. Sussdorf. 

Eminentia (von eminere), Hervorra£ung, 
Erhebung als anat. Terminus, E. quadrige- 
mina, resp. bigemina, Vierhügel. Sussdörf. 

Emtnlik, ein orientalischer Hengst, neben 
sieben anderen prächtigen“ Pferden in den 
Jahren 1818—1820 für das Hauptgestüt zu 
Trakehnen (iu Ostpreussen) angekauft und 
daselbst lange Zeit zur Zucht verwendet. 
Diese acht Hengste lieferten im Ganzen 83 
zum Einrangiren geeignete Zuchtstuten, die 
in Summa 729 Jahre zur Zucht benützt 
worden sind. Der Eminlih soll mehrfach ganz 
vorzüglich schöner und leistungsfähige Fohlen 
gezeugt haben. Freytag . 

Emissarium (von emittere, ausschicken), 
Fortsatz, auch Ausführungsgang, z. B. emis- 
saria durae matris, die Fortsätze der harten 
Hirnhaut. Sussdorf. 

Emisslo (von emittere), das Auslassen, . 
Entleeren von Harn, Samen etc. Sussdorf. 


DigitizecLtey 


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536 


EMMENIAGOGA. — EMPFINDUNGSVERMÖGEN. 


emmeniagoga (abgel. von ta ejj.p.Vjv:a, 
monatliche Reinigung, und Ehrend) 

sc. remedia, eig. die •monatliche Reinigung 
befördernde Mittel, dann auch die Uterus¬ 
bewegungen anregende und dadurch frucht¬ 
abtreibende Mittel. Sussdorf. 

Emmenthaler Vieh. Der Rindviehschlag, 
welcher im Emmenthal, namentlich in den 
Aemtem Signau und Trachselwald als ein¬ 
heimisch noch angetroffen wird, gehört der 
schweizerischen Fleckviehrasse an und zeichnet 
sich durch meistens leichteren Bau, dunklere, 
rothe Haarfarbe und weniger edle Formen aus 
als der seit Jahrzehnten zu seiner Zuqhtver- 
besserung verwendete Simmenthaler Schlag. 
Durch intensiven Futterbau unterstützt, wird 
die fortgesetzte Einführung und Züchtung von 
schwereren, harmonischer gebauten Thieren 
aus dem Simmenthale den Emmenthaler Vieh¬ 
schlag nach und nach vom Grossbesitz ver¬ 
drängen. , Btrdtz . 

Emollientia, Erweichungsmittel, s.Demul- 
centia. 

Emotio (von emovere), die Ausrenkung. Sf. 

Empfindung nennt man ganz allgemein 
den Effect einer jeglichen Reizung eines 
Sinnesnerven. Man unterscheidet demnach 
Licht- ‘ oder Sehempfindung, Schall- oder 
Gehörsempfindung, Geruchs-, Geschmacks¬ 
und Gefünlsempfincfung; die letztere ist ent¬ 
weder eine Tast-, eine Druck-, eine Schmerz-, 
eine Temperatur- oder sie ist eine ganz eigen¬ 
artige Empfindung, wie sie mit dem Sammel¬ 
namen der Gemeingefühle im Einzelnen als 
Hunger, Durst, Kitzel, Wollust, Ekel, Schwin¬ 
del etc. belegt wird. Ausserdem treten auch noch 
innerhalb der einen oder anderen Sinnes¬ 
sphäre Verschiedenheiten in der Qualität der 
Empfindung auf (Jie Lichtempfindung ist roth 
oder grün etc., die Temperaturempfindung 
warm oder kalt). Der Effect der Reizung eines 
Sinnesnerven ist in der Regel ein ganz spe- 
cifischer, d. h. es hat jede Reizung eines 
Nerven (vielleicht auch einer jeden oder 
wenigstens vieler Nervenendigungen) eine ganz 
bestimmte Empfindung zur Folge, gleichviel 
welcher Art der betreffende Reiz war (Gesetz 
der „specifischen Sinnesenergie“, Job. Müller); 
so veranlasst sowohl der Licht- als der ther¬ 
mische, elektrische, mechanische etc. Reiz, der 
den Sehnerve» trifft, immer eine Lichtempfin¬ 
dung etc. Das Zustandekommen einer Empfin¬ 
dung hängt somit wesentlich von der Ein¬ 
wirkung eines Reizes auf das Sinnesorgan und 
der continuirlichen Weiterleitung dieses zum 
Centralorgan ab; in diesem kann es alsdann 
durch einen physischen Act zur Bildung einer 
Vorstellung, d. i. bewussten Wahrnehmung 
kommen, wenn die Empfindung auf die äussere 
Ursache bezogen wird; bei «der Bildung der 
bewussten Wahrnehmung spielt selbstver¬ 
ständlich die Erfahrung eine grosse Rolle, 
insofern sie mit der betreffenden Wahrnehmung 
immer nur eine bestimmte Vorstellung zu ver¬ 
binden lehrt. Die Intensität der Empfindung 
hängt ganz wesentlich von der Intensität des 
Reizes ab, und es ist so die Psyche befähigt, 
aus dem Vergleich mehrerer verschiedener 


Empfindungen einen Schluss auf die Diffe¬ 
renz in der Grösse der Irritamente zu ziehen; 
sinkt diese unter einen gewissen Werth, den 
Schwellenwerth (d. i. nach Fechner die Reiz¬ 
grösse, welche gerade noch eine Empfindung 
veranlasst) herab, so findet eine Perception 
des Reizes nicht mehr statt; nimmt die Grösse 
des Reizes dagegen zu, so steigt auch* die 
Intensität der Empfindung an, u. zw. nach 
dem von Fechner aufgestellten (übrigens von 
E. Hering bekämpften) psychophysischen Ge¬ 
setze derart, dass die jedesmalige Zunahme 
der Empfindungsgrösse eine gleiche ist, wenn 
die Zunahme in den Reizgrössen in immer 
gleichen Verhältnissen erfolgt. Jenseits ge¬ 
wisser extremer Reizgrössen kommt es nicht 
zur Perception, sondern zu einer Ueberreizung. 
Zwischen dem Momente der Einwirkung des 
Reizes und dem Entstehen einer Empfindung 
vergeht regelmässig eine gewisse Zeit t — 
Reactionszeit — welche nicht nur für die ver¬ 
schiedenen Sinne (z. B. für die Schallempfin¬ 
dung kürzer als für die Lichtempfindung), 
sondern auch noch individuell verschieden ist. 
Auch behufs Wahrnehmung zweier schnell 
auf einander folgender gleichartiger Reize 
als getrennte Reize bedarf es einer gewissen 
Zwischenzeit, die auch z. B. für das Ohr wieder 
kürzer ist als für das Auge etc. Hierauf und 
auf der Thatsache, dass die Empfindung in 
der Regel etwas länger andauert als der 
Reiz, also eine Art Nachempfindung veran¬ 
lasst, beruht es, dass in kurzen Intervallen 
ein Sinnesorgan treffende Reize als eine zu¬ 
sammenhängende, andauernde Reizung perci- 
pirt werden (z. B. die bildliche Darstellung 
der Gangarten durch Vorbeiführung der photo¬ 
graphischen Momentaufnahme imZoetrop etc.). 
(Jeber eigenartige Empfindungen, wie niu- 
sionen, Hallucinationen und das Speciellere 
der einzelnen Sinneswahrnehmungen s. d. Sf. 

Empfindungsvermögen nennt man die 
Fähigkeit der bewussten Wahrnehmung. Das¬ 
selbe ist einmal von der Erregbarkeit und 
Leitungsfähigkeit der einzelnen Sinnesorgane, 
vor Allem aber auch von der normalen Func- 
tionirung des Centralnervensystems abhängig; 
Störungen in der anatomischen Einrichtung 
wie in der physiologischen Thätigkeit des 
einen oder anderen bedingen somit auch Alte¬ 
rationen des Empfindungsvermögens. Dasselbe 
befähigt uns vor Allem zur Orientirung über 
Zustände und Vorgänge in der Aussenwelt 
und zur Beurtheilung der eigenen Stellung 
in derselben, auch über innere Vorkommnisse 
und Zustände gibt es uns Auskunft; es wird 
dadurch zu einem sehr wichtigen Factor im 
Kampfe ums Dasein. Die Grösse des Empfin¬ 
dungsvermögens ist eine bei unseren Thieren 
nicht blos nach der Species, sondern auch 
nach der Individualität und zufälligen Be^ 
dingungen differente. Ganz allgemein kann 
man wohl das des Jugendalters als ein weniger 
entwickeltes bezeichnen, denn die Beobachtung 
lehrt, dass das neugebome Individuum einer 
bewussten Wahrnehmung so gut wie nicht 
fähig ist; erst mit dem Erwachen des Be¬ 
wusstseins bildet sich auch jene heraus, um 



EMPHRAGMA. — EMPHYSEM. 537 

allmälig durch die Ueberlegung zu einem den Lungen, Hypertrophie und Dilatation des 

planmässigen Handeln umgeformt und an der rechten Herzventrikels, Stauungshyperämien 

Hand der Erfahrung zu dem Analogieschlüsse in der Leber, dem Pfortadersystem, dem Darm, 
ermöglichenden Vermögen grossgezogen zu den Hirnhäuten und seröse Transsudationen, 
werden. Auf die volle Entwicklung des Em- Die emphysematosen Lungen sind meist mehr 
pfindungsvermögens wird selbstverständlich oder weniger aufgetrieben, dollabiren nicht 
auch die Intelligenz des Individuums üb$r- beim Oeffnen des Thorax, schwimmen auf 
haupt Einfluss aus üben, ein Umstand, der dem Wasser, sind von erweiterten (bis linsen - 
dann auch die Verschiedenheiten in dem Grade grossen) lufthaltigen Alveolen oder grossen 
desselben bei verschiedenen Thierarten be- Luftblasen im interstitiellen Gewebe durch¬ 
dingt. Unter diesen steht in der fraglichen setzt. Beim Bersten der Luftblasen gelangt 
Richtung der Hund« obenan, dann folgen die Luft oft in die Mediastinalräume, von da 
Pferd, Wiederkäuer und Schwein. Sussdorf. in das subcutane Bindegewebe am Halse, von 
Emphragma, ep.<ppayfjL<x (v. i|A<ppdaaetv, wo aus sie sich weiter über den Hals und Rumpf 
hineinstopfen), Verstopfung, Infarct; dazu als verbreiten kann. Die Ursachen des Lungen- 
Adj. emphractica sc. remedia, stopfende emphysems sind: enger, schmaler Thorax, 
Mittel. Sussdorf. übermässige Ausdehnung der Hinterleibs- 

Emphysem, Emphysema, eu/püOTjjia, von organe (Heubauch), schlaffes Lungengewebe 
sv, in, und. <p6ov)p.a, das Geblasene, oder durch Vererbung oder hohes Alter, über-’ 
sp.<puoü>o, aufblasen, das Aufgeblasensein, mässige Anstrengungen (bei Post-, Renn-, 
die Windgeschwulst, Anhäufung von Luft Lastpferden und Jagdhunden), Einathmen sehr 
in den Geweben. Das Emphysem kommt am kalter Luft, die sich in den Lungenalyeolen 
häufigsten vor in den Lungen als Lungen- durch Erwärmen ausdehnt, Ausathmungs- 
emphysem und im subcutanen Bindegewebe als hindernisse durch Verengerungen des Kehl 
Hautemphysem. Das Lungenemphysem zer- kopfes oder der Bronchien, chronische Bron- 
fällt in ein vesiculäres und interstitielles. Das chialkatarrhe mit Schleimansammlungen, 
vesiculäre Lungenemphysem charakterisirt sich Husten, Luftleerwerden und Verödung ein- 
durch eine bleibende Erweiterung und An- zelner Lungenpartien durch Pneumonien, 
füllung der Lungenbläschen mit Luft. Je nach- Lungenseuche, Tuberculose etc., wobei die ge- 
dem die Bläschen einfach erweitert sind oder sunden Partien mehr • Luft aufnehmen und für 
durch Schwund der Scheidewände zu grösseren die untergegangenen fhnctioniren müssen, In- 
Blasen confluiren, theilt man das Emphysem nervationsstörungen (Krankheiten des Vagus), 
in ein kleinblasiges und grossblasiges, gleich- Behandlung s. Dampf. 

massiges oder ungleichmässiges, je nach einer Das Hautemphysem ist entweder um* 

gleichmässigen oder ungleichmässigen Ver- grenzt oder diffus über grössere Strecken 
theilung desselben im Lungengewebe. Dasinter- oder den ganzen Körper verbreitet. Das Haut- 
lobuläre Emphysem entsteht durch Berstung emphysem bildet eine weiche, kühle, schmerz- 
einzelner Lungenbläschen und Austritt von Luft lose, verschiebbare, beim Druck knisternde 
in das interlobuläre Bindegewebe und unter die Geschwulst. Die Luft oder das Gas, welches 
Pleura. Es bilden sich dabei grössere und sich beim Hauteraphysem im subcutanen 
und kleinere Luftblasen, welche die Gewebe Bindegewebe ansammelt, stammt entweder 
verdrängen und die Pleura auftreiben. Das von den Luftwegen und Lungen, oder vom 
Lungenemphysem kommt am häufigsten bei Magen und Darm, oder aber es entwickeln 
den Pferden vor und verursacht bei denselben sich die Gase am Orte der Ansammlung 
eine Form des Dampfes, eine Krankheit, die selbst durch Zersitzungsprocesse (Fäulniss, 
bei jeder Anstrengung AthembeSchwerden Brand). Bei Verletzungen der Trachea strömt 
veranlasst und bereits von Eumelus, Pela- die Luft ins subcutane Bindegewebe am Halse, 
gonius, Theomnestus, Ruini, Ruffus u. A. be- und von da verbreitet sie sich über den 
schrieben wird (s. Dampf). Kopf und Rumpf. Bei Brustwunden, Rippen- 

Ausser bei Pferden kommt das Lungen- brüchen etc. mit Verletzungen der Lungen 
emphysem noch vor bei Rindern und Jagd- dringt die Luft aus den Lungen ins subcu- 
hunden, wenn auch seltener als bei Pferden. tane Bindegewebe am Thorax und breitet sich 
Die ersten Stadien des Lungenemphysems von da aus. Ebenso kann beim interstitiellen 
zeichnen sich durch keine besonders auf- Lungenemphysera die Luft durch die Media¬ 
fallenden Symptome aus. Bei weiter vorge- stinalräume vorne an der Brust ins subcutane 
schrittenem Emphysem treten Athembeschwer- Bindegewebe gerathen. Die aus den Luftwegen 
den bei jeder Bewegung auf, die Thiere und Lungen ausströmende Luft infiltrirt oft 
athmen unregelmässig, mit starker Benützung das subcutane Bindegewebe an Kopf, Hals, 
der Bauchmuskeln (Flankenbewegung),und bei Rumpf und Extremitäten und treibt das ganze 
fortgesetzter Bewegung tritt Athemnoth, Dia- Thier tonnenartig auf, verschwindet aber 
pnoe und selbst Asphyxie ein. Der Percussions- schnell ohne alle Nachtheile nach Verschluss 
schall ist sehr voll und hell, das Bläschen- der Wunden an den Luftwegen und Lungen, 
geräusch fast verschwunden an den kranken Nach dem Magendarm stich oder bei in die 
Stellen und durch ein crepitirendes Geräusch Bauchwand perforirenden Magendarmgeschwü- 
ersetzt; es ist kurzer, trockener, dumpfer oder ren dringen die Magendarmgase ins subcutane 
sonorer Husten vorhanden, verbunden mit Bindegewebe..Dieselben wirken deletärer als 
etwas Auswurf. In Folge des Lungenemphy- die Luft aus den Luftwegen und veranlassen 
seras entstehen bald Circulationsstörungen in entzündliche Reaction oder brandiges Ab- 


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538 


EMPIRIE. — EMPLASTICA. 


sterben. Eine dritte Quelle für Hautemphysem 
bilden brandige und jauchige Processe unter 
der Haut (s. Raüschbrand, Gangrän), wobei 
sich Fäulnissgase entwickeln und in den Ge¬ 
weben anhäufen. Seltener dringt Luft von 
aussen in Wunden und ins sujbcntane Binde¬ 
gewebe, und ebenso selten ist spontanes 
Hautemphysem ohne Zersetzungsprocesse unter 
der Haut. • 

■ Die Behandlung des Hautemphysems 
besteht in Entfernung der Ursachen, Ver¬ 
schluss der Wunden an den Luftwegen, dem 
Magen und Darm und'bei Anhäufungen dele¬ 
tärer Gase in Incisionen und antiseptischem 
Verfahren. Bei einfachen Luftansammlungen 
begnügt man sich mit Frictionen und schwach 
reizenden Einreibungen. Scmmcr. 

Empirie (vom griechischen sp.rcs:pixYj sc. 
iT ^X VY 2i fep-rcripriv, erfahren sein), Erfahrung und 
als solche die Grundlage alles nicht apriori¬ 
schen Wissens. Erfahrung nennt man 1 die 
Summe der Kenntnisse, welche J sich zuletzt 
auf Wahrnehmung von Thatsachen gründen; 
jede einzelne Erkenntniss dieser Art heisst 
eine Erfahrung. Der gesammte Erfahrungs¬ 
kreis zerfällt in den der äusseren und der 
inneren Erfahrung, bei welcher Untei Scheidung 
davon abgesehen wird, dass Alles, was wir 
von der Aussenwelt erfahren, nur dadurch 
unsere Erfahrung wird, dass es als Empfin¬ 
dung und Vorstellung Object unseres Bewusst¬ 
seins wird. Auf dem Versuche, den Kreis 
der äusseren Erfahrung in dem der inneren 
aufgehen zu lassen, beruht der Idealismus; 
auf der Behauptung, dass jener seine von dem 
auffassenden Subjecte unabhängigen, reellen 
Beziehungspunkte verlangt, der Realismus. 
Auf keinen Fall gibt das blosse Dasein irgend 
eines äusseren oder inneren Factums schon 
eine Erfahrung; es muss das Bewusstsein über 
das hinzukommen, was man erfährt. Viele 
Menschen erfahren daher gar Manches, ohne 
Erfahrungen zu machen; ebenso wird man 
auch durch fremde Erfahrungen selten klug. 
Absichtliche Erfahrung führt zur Beobachtung 
und zum Experimente. Das Verhältnis? zwi¬ 
schen Erfahrungen und Gedanken und Be¬ 
griffen bezeichnet Kant sehr treffend durch 
den Satz: Anschauungen ohne Begriffe sind 
blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer. 
Die Erfahrung hat besonders in den philosophi¬ 
schen Wissenschaften sowie in der Meclicin 
eine grosse Rolle gespielt. So gewiss es nun 
ist, dass die Erfahrung die Grundlage der 
ganzen theoretischen Philosophie und Medicin 
bildet, ebenso gewiss kann durch blosse Er¬ 
fahrung eine rein philosophische und medi- 
cinische Erkenntniss nicht geschaffen werden. 
Erfahrung, noch so sehr gehäuft, aus allen 
Theilen der Welt und aus allen Zeiten zu¬ 
sammengerafft, bildet doch iimner nur eine 
Masse von Einzelheiten, .welcher alle Ordnung 
und höhere Einheit abgeht, ohne die über¬ 
haupt keine wissenschaftliche Erkenntniss 
denkbar ist. Für die Naturwissenschaften ist 
die reine Erfahrung noch am wichtigsten, 
weil in diesen auch eine einzelne Erfahrung 
einen relativen Werth hat. Freilich muss sich 


eine solche rein empirische Erkenntniss ge¬ 
fallen lassen, durch jede neu gemachte ent¬ 
gegengesetzte Erfahrung berichtigt und wider¬ 
legt zu werden. In der Medicin bildete sich 
schon im III. Jahrhundert v. Chr. nach dem 
Vorgänge von Herophilus, Serapion und Phi¬ 
linus aus Kos eine Schule, die sich vorzugs¬ 
weise die empirische nannte. Die Vorgänger, 
besonders Herophilus, drangen auf unbefan-, 
gene Naturbeobachtungen und sorgsame Zu¬ 
sammenstellung des Beobachteten zu einer' 
Geschichte, aus welcher dapn durch das Ueber- 
einstimmen vieler Beobachtungen die un¬ 
wandelbaren Vorschriften für gewisse Fälle 
hervorgehen sollten. Die Schüler hingegen, 
Philinus an der Spitze, schlossen alle theore¬ 
tischen Studiön, selbst Anatomie und Physio¬ 
logie, aus und hielten % sich einzig an Tra¬ 
ditionen und ihre eigenen Erfahrungen am 
Krankenbette. Später näherten sie sich wieder 
den Dogmatikern, indem sie den Epilogismus 
annahmen, d. h. die Kunst,“ aus vorhandenen 
bekannten Erfahrungen auf das Unbekannte, 
durch Erfahrung noch nicht Ermittelte zu 
schliessen. * Ableitner. 

Empiriker (empiricus sc. medicus bei 
Cicero, griech. sjvteip'xöc) heissen diejenigen 
Aerzte und Thierärzte, welche ihr Wissen und 
ihre Kunst allein auf Erfahrung gründen und 
aufbauen, mit Ausschluss aller theoretischen 
Ansichten und Lehrgebäude. Es sind dies 
Menschen, die aus Mangel an theoretischen, 
medicinischen Kenntnissen blos . aufs Unge¬ 
fähr nach depi Namen der Krankheit oder 
nach einzelnen Symptomen Mittel verordnen, 
welche der gemeine Glaube oder einseitige 
Beobachtung gegen jene Zufälle als heilsam 
bezeichnet, ohne zu beurtheilen, ob sie der 
Individualität des Kranken und dem Cha¬ 
rakter der Krankheit angemessen sind. Die 
'Zuverlässigkeit der Heilmethoden wird dem 
Empiriker nicht durch innere Argumente, 
sondern durch die Zahl der Beobachtungen 
bestimmt. Ihm liegt also Alles daran, eine, 
möglichst grosse Reihe von Erfahrungen zu ; 
sammeln; Erfahrung ist ihm Norm des Han¬ 
delns. Empirisch werden alle Begriffe, Urtheile 
und Schlüsse genannt, welche sidi blos auf 
Erfahrung gründen. 

Empirismus ist dasjenige philosophische 
System, nach welchem alle Erkenntniss einzig 
und allein aus der Erfahrung abgeleitet 
worden ist. Ableitner. 

Emplasmogonie (abgel. v. ev, inwendig, 
rb rcka-fia, Bildungsstoff, i] pW), Zeugung), 
eine von Haeckel sog. Art der ^Urzeugung“ 
von Zellen innerhalb der formlosen, durch 
Histolyse der Fliegenlarve entstandenen oder 
im Embryosack der Phanerogamen vorhan¬ 
denen Bildungsmasse, ' bei der cs durch 
Aggregation von Plasraamolekülen zur Bildung 
von Kernen als Attractionscentren für den sich 
darum lagernden Zelleib kommen soll. Der 
ganze Process dürfte auf eine jener Formen in- 
directer Zelltheilung zurückzuführen sein. Sf. 

emplastica (v. £jj.:iXdaosiv, einschmieren) 
sc. remedia, verschmierende und dadurch ver¬ 
stopfende Mittel. Sussdorf. 


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«EMPLASTßUM. — EMULSIO. 


539 


Emplästruip,. Pflaster, sind alle zum An¬ 
kleben an die äussere Haut bestimmten, in 
Stangenform vorräthig gehaltenen Mischungen 
von einer dem Wachs analogen Consistenz, 
welche in der Handwarme erweichen und dann 
kleben. Sie können bei den Hausthieren nur 
beschränkte Anwendung finden, insofeme die 
dichte Behaarung der Haut, noch mehr aber 
die nicht zu vermeidenden Bewegungen des 
Körpers und Hautmuskels das Haften des 
Pflasters fast unmöglich machen; die Thier¬ 
ärzte, benützen daher die eigentlichen Heft¬ 
pflaster zum Vereinigen von Wund- und 
Gesfchwürsrändern oder Festhalten von Ver¬ 
bandstücken so gut wie gar nicht, wohl aber 
wird hie und da bei schleichenden Entzün¬ 
dungen von Sehnen, Bändern, Schlejmbeuteln 
u. dgl. ein Klebpflaster als Träger scharfer 
Arzneimittel verwerthet, um diese auf längere 1 
Zeit gleichmässig einwirken zu lassen. Mit 
Beziehung auf erstere Verwendungsweise wird 
nur das Pdchpflaster: t 

Emplastrum Picis nigrae,Lund’sche 
P f 1 a s t e r, zum Bedecken bei Widerristschäden 
und Satteldrücken verwendet. Man bereitet es, 
indem gleiche Theile Pech und dicker Ter¬ 
pentin an lei'chtem Feuer verflüchtigt und gut 
emischt werden; nachher streicht man von 
em erwärmten Pflaster meslerrückendick auf 
ein ßtück Leder, klebt dieses gut auf, lässt 
es so lange auf der Haut liegen, bis es weg- 
falltj und wiederholt bis zur Heilung. 

Emplastrum ahglicum acre, scharfes 
englisches Pflaster, schwarzes Pflaster, wird 
gegen Sehnenklapp, Piephacken, Spat u. s. w. 
hie und da an^ewendet und wird dessen Zu¬ 
sammensetzung verschieden angegeben, nach¬ 
stehende Combination verdient aber wegen 
ihrer grossen Klebkraft und Wirksamkeit vor 
allen anderen den Vorzug. Man schmilzt 
über gelindem Feuer 15 Can^haridenpulver mit 
3 Euphorbium und 10 Burgunderharz und setzt 
je 6 Colofhon, Mastixgummi, Safranpflaster, 
Terpentin, schwarzes Pech und armenischen 
Bolus hinzu. Bei der Application wird die 
Masse erwärmt, mit einem Spatel einige Milli- 
•meter dick auf die Haut (nicht zu heiss) auf- 
getragen und alsbald mit geschnittenem Werg 
bedeckt, worauf man mit einem warmen Eisen 
eine recht innige Verbindung herstellt. Sind 
die Haare sehr dick und lang, so müssen sie 
erst verkürzt, aber nicht zu sehr abgeschoren 
werden, weil sonst das Pflaster nicht lange 
genug liegen bleiben würde. Gemeinhin fällt 
es innerhalb 14 Tage ab. Vogel. 

Emplastrum Cantharidum besteht aus 
SH spanischen Fliegen, 10 Euphorbium und 
j& 60 dickem Terpentin und Mastix. Dieses 
Pflaster hält zwar sehr gut, ist aber zu 
schwach. Weitere Pflaster kennt die Thier¬ 
heilkunde nicht. Das gewöhnliche Heftpflaster 

Emplastru*m ädhaesivum besteht aus 
roher Oelsäure, Bleiglätte, Colophonium und 
Talg. Vogel. 

Empnoumatosfe, y\ £pi*ve'jp.axwats (von 
^aicveofjLttToöv, mit Luft anfüllen), das An¬ 
füllen .mit Luft, also auch Einathmen, dann 


die Folge der Luftansammlung, der Meteo¬ 
rismus. Sussdorf. 

Empre8is, y euntpvjots (von 
anzünden), Entzündung. Sussdorf^ 

Emprosthotonia, r\ sp^poofl-oxovtoi (von 
sp.7tpGofl£v, nach vorne, und xovo$, Spannung), 
Starrkrampf mit vorherrschender Beugung 
nach der Brust. Sussdorf. 

Empyem (von Iputoeiv, ein Lungenge¬ 
schwür haben, oder ev. und rcöov, Eiter), 
Eiterbrust, Ansammlung von Eiter im Thorax, 
auch Pyothorax, entsteht durch eitrige Pleu¬ 
ritis nach Durchbruch von Abscessen und 
Cavfcrnen von den Lungen aus, bei Lungen-* 
gangrän und bei der Staupe der Hunde 
häufig durch vollständige Vereiterung ein¬ 
zelner Lungentheile oder, eines ganzen Lun¬ 
genflügels. Die Gegenwart des Eiters im 
Thorax lasst sich leicht durch Auscultation 
und Percussion nebst Probepunction fest¬ 
stellen, nach welch letzterer eine eitrige 
Flüssigkeit aus der Brusthöhle abfliesst. Kleine 
Eitennengen im Thorax werden wieder resor- 
birt, grössere Eiteranhäufungen verlangen 
operative Entfernung durcn Punction (s. Para- 
centesis) und Injectionen verdünnter Jod¬ 
lösungen (oder anderer Antiseptica), die nach¬ 
her wieder entleert werden Semmer. 

Erapyema^xö £p.TC6Y)p.a(von epiitooöv, ver¬ 
eitern), Eiteransammlung in geschlossener 
Höhle. Sussdorf. 

Empyokele (eu-ttjos, mit Eiter gefüllt, und 
xyjXt, Bruch), der mit Eiter gefüllte Bruch¬ 
sack, Eiterbruch, Eiteransammlung im Hoden¬ 
sack. Sussdorf. 

.«mpyreumatica (Adj. zu xo lp.7r6psop.a, 
das Anzünden) sc. remedia, brenzliche, theer- 
hältige Mittel, Producte der trockenen Destil¬ 
lation. Sussdorf. 

Emulsin, ein zur Glasse der Enzyme (s.d.) 
oder unorganisirten Fermente zählender* 
ei weissartiger Stoff, welcher in den süssen 
und bitteren Mandeln vorkommt und die 
Fähigkeit besitzt, das in den bitteren Man¬ 
deln enthaltene Amygdalin in Zucker, Bitter¬ 
mandelöl und Blausäure zu spalten; auch ist 
es fähig, das in der Weidenrinde vorkom- 
raende S^licin in Zucker und Saligenin zu 
zerlegen. Wie alle Enzyme verliert es seine 
Wirkungskraft, wenn es in Lösung bis zum 
Kochen erhitzt wird. Locbiseh. 

Emulsio, Emulsion. Substanzen, welche in 
Wasser unlöslich sind^wie Oele, Fette, Harze, 1 
Kampher, Balsame) und doch mit Wasser ver¬ 
abreicht werden sollen, lassen sich durch 
Vermittlung einer Bindesubstanz (Emulgens), 
Gummi arabicum, Eigelb, Althäaschleimetc., in 
feinster Vertheilung suspendiren und zu einem 
Ganzen vereinigen, wie dies bei der Milch 
der Fall ist. Eine solche railchähnliche Arznei¬ 
form heisst Emulsion und der im Wasser zu 
suspendirende Körper das Emulgendum. Ist 
letzteres sammt dem Bindemittel schon in dem 
Arzneimittel enthalten, wie z. B. das Oel und 
das gummiähnliche Emulsin in den Mündeln, 
im Lein-, Mohn- oder Hanfsamen, dürfen also 
fliese Pflanzensamen nur gestossen und mit 
Wasser verrieben werden x so hat man. die 



itize v 


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540 ’ ENANTHEMA. — 

Emulsio vera, während bei der falschen 
Emulsion (E. spuria) die drei Körper erst 
künstlich mit einander gemengt werden müssen. 
Zur Emulsirung von fett^i Oelen verwendet 
man gewöhnlich arabisches Gummi 1 auf 2 Oel, 
bei der Emulsio Olei Ricini 1 :3—4, um die 
abführende Wirkung nicht zu sehr zu schwä¬ 
chen. Als Zwischenmittel bei Gummiharzen 
nimmt man ebenfalls arabisches Gummi 1:2 
oder einen Eidotter auf 20 g Gummiharz; 
Terpentinöl 1 mit ebensoviel Gummi arabicum; 
Kampher 1 mit 10 Gummi oder 1 Eidotter 
auf 2 Kampher. Nach der Pharmacopoea 
•werden jetzt überall die Samenemulsionen aus 
1 Theil Samen zu 10 Theilen Colatur, die 
Oelemulsionen aus 2 Oel, 1 Gummi arabicum 
and 17 Wasser bereitet. Vogel. 

Enanthema (abgel. v. £v, in, im Innern, 
und to avO-Yjjxa, v. av&elv, blühen), jeder Aus¬ 
schlag an der inneren Körperoberfläche, also 
Schleimhautexanthem. Sussdorf. 

Enantiopathia (abgel. v. evotvuos, ent¬ 
gegengesetzt, und to rca&os, leiden), eig. das 
entgegengesetzte Lejden, dann übertr. die Heil¬ 
methode, welche durch Erzeugung entgegen¬ 
gesetzter Leiden heilt, z. B. des Durchfalles 
durch Erzeugung von Verstopfung; sie ist so 
auch eine Methode* der Allopathie (s. d.). Sf 

Enarthrosis (von lv, in, lind r. 

Gelenk), nach Galen schon die Unterabthei- 
lung der Diarthrose, welche sich durch Vor¬ 
handensein einer tiefeVi Pfanne auszeichnet. Sf. 

Encastelure, Vollhuf, Zwanghuf. Sf. 

Encephalica anaesthetica sind jeneArznei- 
mittel, welche auf das Gehirn betäubend ein- 
wirken, so dass zugleich auch die Empfindung 
verloren geht (s.' Anaesthetica). Vogel. 

Encephalitis, Gehirnentzündung, s. 
Arachnitis. 

(Encephatomalacie, von evxe^aXos, Gehirn, 
und p.aXax:a, Weichheit; zerfallt in zwei 
Gruppen, u. zw.: 

1. Einfache Erweichung durch aufge¬ 
hobene Ernährung in Folge von Thrombose, 
Embolie, Druck, Zertrümmerung, Blutung. 

2. Entzündliche Erweichung, ver¬ 
ursacht durch Entzündung in Folge eitriger 
oder jauchiger Embolien, Schädelfracturen etc. 

Die Erweichungen betreffen meist erbsen- 
bis nussgrosse, selten hühnereigrosse um¬ 
grenzte Herde und zerfallen der Farbe nach 
in folgende Gruppen: • 

1. Die weisse Erweichung, Encephälo- 
raalacia alba, oder auch graue Erweichung 
bildet einen Erweichungsherd von weisser, 
schmutzigweisser oder grauer Farbe und ver¬ 
schiedener Consistenz, ist zu einem molkigen, 
flüssigen Brei umgewandelt, ohne scharfe 
Grenzen gegen die umgebende normale Hirn¬ 
substanz. Der Herd besteht aus feinkörnigen 
Massen, zerfallenen Nervenfasern und Myelin. 
Die Gefasse des Herdes sind theils mit fein¬ 
körnigen Massen gefüllt, theils eollabirt und 
zerfallen. Nach Resorption der Zerfallsmassen 
bleibt eine Cyste mit klarem oder trübem 
flüssigen Inhalt zurück. Die weisse Erweichung ( 
entsteht durch Verschluss der zuführenden 


ENCHONDROMA. 

Arterie und umgrenzten brandigen Zerfall der 
Hirnsubstanz. 

2. Die rothe Erweichung, Encephalo- 
malaciarubra, ist ausgezeichnet durch eine mehr 
oder weniger intensiv rothe Färbung mit einem 
Stich ins Gelbliche, Bräunliche oder Graue; 
sie entspricht einem hämorrhagischen Infarct, 
bildet einen dicken Brei, der reich an Blut¬ 
körperchen und nach Zerfall derselben an 
rothem Farbstoff ist. In den ersten Stadien 
sind die Gefässe des Herdes prall mit Blut 
gefüllt, später enthalten dieselben nur Fett¬ 
körnchen und Pigment, und die Hirnsubstanz 
zerfällt zu einem fettig - körnigen Detritus. 
Gesellt sich zur rothen Erweichung eine Aus¬ 
scheidung von Eiterkörperchen hinzu, so be¬ 
zeichnet ipan sie als rothe entzündliche Er¬ 
weichung. 

3. Die gelbe (oder braune) Erweichung, 
Encephalomalacia flava, ist entweder eine wei¬ 
tere Entwicklungsstufe der rothen Erweichung, 
nachdem in derselben die Blutkörperchen zer¬ 
fallen und Fettmetamorphose eingetreten ist, 
oder aber sie entwickelt sich selbständig bei 
passiven Blutstauungen durch Verschluss der 
abführenden Venen und Imbibition mit blut¬ 
farbstoffhaltigem Serum und Austritt nur 
weniger rother Blutkörperchen. Die Form¬ 
elemente der gelben Erw'eichungsherde sind 
ebenfalls vorwiegend fettig-körnige Detritus¬ 
massen. Auch die gelbe Erweichung kann 
durch hinzukommende Auswanderung farbloser 
Blutkörperchen in eine entzündliche Form 
übergehen. 

4. Die entzündliche* eitrige Erwei¬ 
chung der Hirnabscesse besteht aus einer 
Anhäufung gelben oder grünlichen Eiters in 
nuss- bis taubeneigrossen Herden, die von einer 
Schicht sclerosirter Hirnsubstanz umgeben 
sind. Die Hirnabscesse entwickeln sich durch 
traumatische Einflüsse, Schädelfracturen, Caries 
der Schädelknochen und durch in die Hirn- 
gefässe eingekeilte Emboli, die entzündungs¬ 
erregende Substanzen mit sich führen. Der 
Eiter in den Hirnabscessen kann schleimig un«l 
käsig entarten, oder er bricht um die Hirn¬ 
ventrikel durch. 

Erweichungsherde und Abscesse in den 
Grosshirnhemisphären verursachen bei den 
Hausthieren meist keine besonders auffallenden 
Krankheitserscheinungen. Setnmer. 

Encharaxis, -fj ejydpa£'.<; (v. syyapdbastv), 
das Einschneiden, Scarificiren, Aderlässen. Sf. 

Encheirescologia (abgel. v. t iy/zior^'.z, 
Behandlung, insbesondere durch Handanlegen 
[evye'pelv], und 6 Xoyos, Lehre), Lehre von der 
(manuellen) Krankheitsbehandlung. Susidorf 

Enchondroma (abgel. v. £v, innerhalb, 
und 6 ydvopo;, Knorpel), die heterologe, 
heterotopische Knorpelneubildung Virch'ow’s 
(s. Chondrom). Sussdorf 

Das Enchondrom ist eine meist scharf 
umschriebene aus hyalinem Netz, Faser- oder 
Schleimknorpel und Bindegewebszügen be¬ 
stehende Geschwulst von knorpelharter oder 
etwas weicherer Consistenz. Die bei den Haus¬ 
thieren im Ganzen selten vorkommenden En- 
chondrome sitzen meist an den Knorpeln der 


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ENCHORIONOSOS. — ENDOCARDITIS. 


% 

541 


■Respirationsorgane (Kehlkopf, Luftröhre, 
Rippen), oder an den Knochen und Gelenken. 
Dieselben sind mehr oder weniger reich an 
Knorpelzellen und gleichen oft makroskopisch 
den Fibroiden, auch kommen Combinationen 
mit Fibromen, Lipomen, Sarcomen und Carci- 
nomen vor. Die Chondrome unterliegen der 
Fett-, Schleim- und cystoiden Entartung, der 
Tuberculisirung, Verkalkung und Verknöche¬ 
rung (Osteoidchondrom). Die Enchondrome 
sind gutartige Geschwülste, machen selten 
Metastasen und sind durch Exstirpation 
heilbar. Strnmer. 

Enchoriono808 (abgel. v. eyx^P 10 ^ ein- 
heimisch, und 6 vo'oos, Krankheit}, die ein¬ 
heimische, einer bestimmten Gegend eigen- 
thümliche Krankheit = Morbus indigenus. Sf 
Enchyma, xb (v. £yx^ stv )i Auf- 

guss, der Bildungssaft (?) des Zellgewebes 
(Hayne). Sussdorf. 

Enohymapozema (abgel. v. xb und 

xb dTtdCep-a, Absud), Infuso-Decoct. Sf 
Endeixis, sv8et£ic, Anzeigen, Indication, 
davon 

Endeixiologia, die Lehre von den 
Anzeigen. f Sussdorf 

Endemia (v. sv3v;p.o<;, einheimisch), einer 
bestimmten Gegend (in Folge der daselbst 
herrschenden Verhältnisse) eigentümliche 
Krankheit, davon 

Endemiologia und Endemionoso- 
logia, Lehre von den Endemien. Sussdorf. 

Endepidermis (abgel. v. svoov, inwendig, 
und yj irridspijiis, Oberhaut), das (epidermis- 
ähnlich gebaute) Epithel. Sussdorf. 

endermaticus (abgel. v. ev, in, hinein, 
und io 3eppi«, Haut), in die Haut eindringend, 
z. B. in Methodus endermatica die Appli- 
cationsweise von Arzneimitteln, welche diese 
in die Haut, d. i. zwischen Epidermis und 
Corium bringt. Sussdorf. 

Endermati 8 Che Methode. Bei dieser Be¬ 
handlungsweise will man die Arzneimittel in 
das Gewebe der Cutis appliciren, nachdem sie 
ihrer Epidermis beraubt worden ist, um ent¬ 
weder örtliche oder entfernte Wirkungen zu 
erzielen. Diese Applicationsweise ist jetzt 
gänzlich verlassen worden, und an ihre Stelle 
ist entweder die epidermatische Methode oder 
die subcutane Injection getreten. Die Ent- 
blössung der Haut geschah früher entweder 
durch blasenziehende Arzneimittel oder durch 
heisses Wasser, bezw. den Major’schen Hammer 
und die Moxa s. u. Brennen. Vogel. 

Endgutachten, Superarbitrium, ist die 
wissenschaftliche Beurtheilung bereits abgege¬ 
bener divergirender Gutachten oder eines Ar¬ 
bitrium und Contraarbitriura. Die Veranlassung 
zum Superarbitrium kann von den uneinigen 
Parteien oder vom Gericht gegeben werden. 
Nachdem sich die Parteien darüber geeinigt 
haben, kann ein dritter Sachverständiger das 
Endgutachten abgeben, oder aber es wird vom 
Gericht ein Collegium, ein Institut oder eine 
Thierarzneischule zur Beurtheilung der vor¬ 
handenen divergirenden Gutachten aufgefordert. 
Zur Abfassung eines Endgutachtens müssen 
die ganzen Processacten vorliegen; etwa un¬ 


vollständige Punkte in denselben müssen er¬ 
gänzt und, wo nöthig, Untersuchungsobject 
und Zeugen nochmals vorgeführt werden. 

Das Superarbitrium bildet ein selbstän¬ 
diges Document. Dasselbe muss eine geschicht¬ 
liche Darstellung des Sachverhältnisses (die 
Species facti) in gedrängter Kürze, aber doch 
so vollständig vorausschicken, dass bei Be¬ 
gründung des Endgutachtens die Acten nicht 
mehr nöthig sind und dass alle thatsächlichen 
Gründe in der Geschichtsdarstellung liegen. 
Hierauf folgt das Endurtheil, das immer 
speciell und ausführlich begründet werden 
muss, mit wissenschaftlicher Beleuchtung aller, 
vorhandenen Thatsachen. Ist das vorliegende 
B^weismaterial ungenügend, und können die 
streitigen Objecte und Zeugen nicht noch 
einmal vorgeführt werden, so kann das End¬ 
gutachten auch auf „Nicht erwiesen 14 lauten. Sr. 

Endknöpfchen der Nerven nennt man 
eine Art der Nervenendigung in Form von 
knopfförmigen Anschwellungen der Nerven- 
fibrillen in oder zwischen Zellen, resp. Nerven- 
endapparaten (s. Nervenendapparate). Sf. 

Endknospen der Nerven nennt Merkel 
jene sensiblen Nervenendapparate, welche 
unter Gruppirung spindelförmiger Deckzellen 
rings um die eigentliche Nervenendzelle die 
Knospenfom annehmen (s. Nervenendappa¬ 
rate). Sussdorf. 

Endkotben, Kolbenkörperchen, nennt man 
zusammenfassend alle jene cy lindrisch-kolbigen 
Nervenendapparate, bei welchen sich um den 
spitz oder stumpf oder knopfförmig abgestutzt 
endigenden Nerven ein von bindegewebiger 
Hülle umgebener sog. „Innfcnkolben“ zäh¬ 
flüssiger, resp. zelligerBeschaffenheitgruppirt. 
Dieselben sind nach den Verschiedenheiten, 
welche die Hülle des inneren Kolbens zeigt, 
verschieden benannt worden; so z. B. besitzen 
die Krause’schenEndkolben eine ein-oder zwei¬ 
blätterige, die Vater-Pacini’schen Körperchen 
eine viel- (bis dreissig- und mehr-) blättrige 
Hülle etc. (vgl. auch Nervenendapparate). Sf. 

Endoaortitis (abgel. v. evSov, inwendig, 
und Aorta), die Entzündung der Aorten¬ 
intima. Sussdorf 

Endocardiale Geräusche sind solche, 
welche innerhalb des Herzens ihren Ursprung 
nehmen und von aussen wahrgenommen werden 
können (s. Auscultation des Herzens). Vogel. 

Endocarditis (IvSov = innen, ij xap3i'a = 
das Herz). Entzündung der inneren Herzaus¬ 
kleidung, bildet einen pathologischen Process, 
der zwar bei unseren Haussieren nicht so 
häufig wie bei den Menschen diagnosticirt 
wird, dessenungeachtet aber keineswegs zu 
den allerseltensten Krankheiten gehört. Es 
wäre überflüssig, über die Wichtigkeit dieser 
Krankheit viel Worte zu verlieren, da es kein 
Geheimniss mehr ist, dass die Endocarditis, 
wenn nicht immer direct tödtlich, so doch 
für die weitere Gesundheit des Thieres nicht 
ohne Folgen bleibt. Ihre Folgen nämlich sind 
oft organische Herzfehler (vitia cordis), die 
nicht nur die Herzthätigkeit beeinträchtigen, 
sondern auch die schwersten Störungen im 
Gesammtorganismus hervorrufen. Trotzdem 


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t 


I 


ENDOCARDITIS 


542 

hatte die Krankheit, wie wir dies offen ge¬ 
stehen müssen, nicht nur in der Thierheil¬ 
kunde, sondern auch in der Nosologie des* 
Menschen erst in der letzteren Zeit den ihr 
ebührenden Platz eingenommen. Bevor Vesal 
en genauen Bau des Herzens angegeben 
und die epochemachende Entdeckung Harvey’s 
die Function dieses Organes bei der Blut- 
circulation erklärt hatte, konnten, begreiflicher¬ 
weise, die pathologischen Processe des Herzens 
und umsomehr jene des Endocardiums sammt 
ihren Folgekrankheiten nicht ergründet wer- r 
den* Aber -selbst nach den wichtigen. Ent- 
,• deckungen dieser Forscher verfloss noch eine 
geraume Zeit, ehe die Herzkrankheiten die 
ihnen gebührende Aufmerksamkeit der Patho¬ 
logen auf sieh lenkten.. Man kann sogar be¬ 
haupten, dass die Lehre über die Krankheits- 
Äustände ; des in Red& stehenden Organes ; 
erst im XVTH. Jahrhundert genauer sich zu j 
entwickeln begann. Und wirklich, erst in 
dieser Zeit tauchen genauere Beschreibungen 
der pathologischen Veränderungen' auf, wobei ‘ 
Raymond Vieussens, noch mehr aber Lrancisi 
(1728) den Anfang machtbn, indem nament¬ 
lich der letztere mit bewunderungswürdiger 
Genauigkeit die Hypertrophie und s Dilatation 
des Herzens, die Krankheiten des-Pericardiums 1 
und des Valvularapparates geschildert hat. * 

Die eigentlichen Fortschritte in der 
Diagnostik und Beurtheilnhg der päthologi-! 
sehen Abnormitäten des Herzens während 
des Lebens treten uns erst mit der Ein¬ 
führung und Anwendung der physikalischen 
«* Untersuchungsmethoden bei Herzkrankheiten 
und HerzfehleAi entgegen, da erst diese Unter¬ 
suchungsmethoden, u. zw.: Percussion (Auen- 
brugger 1761) und die Auscultation (Laöneck 
1819), hauptsächlich, aber die Vervollkomm¬ 
nung dieser Methoden durch spätere Forscher 
(Corvissart, Piorry, insbesondere Skoda etc.) 
dergleichen Fortschritte mit sich brachten, 
dass man jetzt mit ihrer Hilfe, wenigstens 
beim Menschen, ziemlich subtile Anormali- * 
täten des besprochenen Organes, unter anderen 
auch die Endocarditis und ihre Folgen, zu 
diagnosticir,en im Stande ist. 

Man sieht auch, dasä schon Kreysig (1815) 
mitHilfe der damals bekannten Untersuchungs¬ 
methoden im Stande war, den Satz aufzu¬ 
stellen,’ dass Herzfehler Folgen der Endo¬ 
carditis sind, wobei er auch die Aufmerksam¬ 
keit auf die häufige Entzündung der inneren 
Herzauskleidung bei Rheumatism en und Schar¬ 
lach (beim Menschen) lenkte, und dass Bouil- 
land, der in der nosologischen Terminologie 
zum erstenmal die Bezeichnung Endocarditis 
eingeführt hat, am lebenden Menschen mit 
Zuhilfenahme der Auscultation die Existenz 
der Entzündung der inneren Herzauskleidurig 
zu bestimmen vermochte. 

Bei unseren Hausthieren ist natürlicher¬ 
weise Endocarditis in einer noch späteren 
Zeit Gegenstand der klinischen Beobachtung 
geworden; wenigstens findet man in den 
Werken von Hayne (1852), Hering (1858), die 
für ihre Zeit ziemlich genaue Beschreibungen 
der Hausthierkrankheiten geliefert haben, 


noch keine Schilderung der Endocarditis als 
einer speciellen Form der Herzkrankheiten. 

Die Endocarditis tritt häufiger in der 
linken als in der rechten Herzhälfte auf, der 
Process ist hiebei gewöhnlich nur auf um¬ 
schriebene Stellen des Endocardiums be¬ 
schränkt, z. B. auf die innere Auskleidung 
der Herzwänd (Endocarditis parietalis) oder 
auf jene der Klappen (Endocarditis valvu- 
laris). Dem Verlaufe nach wird die Entzün¬ 
dung der Herzauskleidung in eine acute, 
subacute und chronische Endocarditis einge- 
theilt, wenngleich diese Formen, da eine in 
die andere unmerklich übergeht, nicht immer 
streng zu' unterscheiden sind. 

Bei der acuten Form kommt es manchmal 
zur Erweichung und zum Zerfall der oberfläch¬ 
lichen Lamelle des entzündeten Endocardiums, 
welche Krankheitsform unter dem Namen * 
.Endocarditis ulcerosa, maligna oder diph- 
teritica bekannt ist. Am häufigsten . nimmt 
die Endocarditis diese.Form an, wferin sie 
als Comfdicätiun bei Sep'ticämie auftritt. In 
solchen Fällen, sollen im Detritus manchmal 
bei mikrosköpischör Untersuchung Mikrococcen 
zu finden sein. . In der achten, häufiger jedoch 
in der subäeuten; Form koiiimf es zur Bil¬ 
dung von Excrescenzen oder Vegetationen 
von verschiedener Gestalt, u. zw\ an den 
Klappen, an den sehnigen Gebilden der Pa- 
{jillärrauskeln u. s. w.' In diesem Falle, wird 
die Krankheit mit dem Nariien Endocarditis " 
verrucosa bezeichnet. 

Die* chronische Form, die sich gewöhn¬ 
lich aus . der acuten entwickelt, manchmal 
auch primär erscheint, hat gewöhnlich die 
Bildung eines .derben, narbigen Bindegewebes 
zur Folge, in welches sjch manchmal Kalk¬ 
salze ablagern. Diese letzte Form, die am 
häufigsten zu Herzfehlern (Insüfficienz, Stenose) 
Veranlassung- gibt, nennt man Endocarditis 
chronica retrahens, Endocarditis fibrosa, auch 
Endocarditis sclerotica. 

Von unseren Haussäugethieren werden 
.Pferde und Hunde am häufigsten, manchmal 
auch Schweine von der Endocarditis ergriffen. 
Bei Pferden, die öfter von der acuten Endo¬ 
carditis befallen werden, erstreckt sich der 
.pathologische Process am häufigsten auf die 
Auskleidung der Herzkammern, def Traberkeln, 
derPapillarmuskeln und auf die Aortenklappen, 
bei Hunden dagegen, die an der Endocarditis 
chronica häufiger leiden, ist die Entzündung 
gewöhnlich auf die Atrioventricularklappen, 

. namentlich aber auf die zweizipflige Klappe 
.localisirt.. 

Aetiologie. Das Endocardium scheint 
eine besondere Reizbarkeit und Anlage zu 
specifischen Entzündungsprocessen zu besitzen. 
Ausser bei Krankheiten rheumatischen Cha¬ 
rakters, die nach Erkältungen entstehen, wie 
z. B. bei der Rehe, Lungen-, Lungenfell-, 
Bauchfellentzündung, bei der Synovitis u.s.w., 
beobachtet man die Endocarditis als Ver¬ 
wicklung auch bei manchen anderen Krank¬ 
heiten.'Ja es scheint sogar, dass selbst manche 
Veränderungen in der Blutmischung eine Ent- 


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ENDOCARDITIS. t 543 


Mündung der Intima des Herzens hervorzu¬ 
rufen im Stande seien, daher sie im Verlaufe 
mancher acuter Infectionskrankheiten (In¬ 
fluenza, Ahthrax, Rabies, Septicämie) häufig 
beobachtet wird. Sie erscheint auch im Ver¬ 
lauf von Krankheiten, die mit bedeutenden 
Schmerzen verbunden sind (Tetanus), ferner 
bei Myocarditis u.s.w. Längerer Gebrauch von 
Digitalis und Sublimat soll auch die Endo- 
carditis hervorrufen. Beim Rindvieh kommt 
sie als traumatische Endocarditis in Folge 
Eindringens fremder Körper von der Haube 
aus vor. Als eine a'us traumatischer oder 
genauer gesagt mechanischer Ursache ent¬ 
standene Endocarditis kann man jene be¬ 
zeichnen, die bei Hunden in Folge vorhandener 
’ CirculationsStörungen durch Anprallen des 
Blutes an die Atrioventricularklappen daselbst 
entstehen. Endlich können manche thierische 
Parasiten, z. B. Echinococcen, wenn sie bis 
zum Endocardium Vordringen, Veranlassung 
zur Endocarditis geben. 

Ob jedoch, wie Manche behaupten, eine 
Endocarditis, hervorgerufen durch Eindringen 
von specifisohen Mikrococcen oder Bacterien, 
vorkommt, ob es somit thatsächlich eine 
Endocarditis bacterica gebe, die 'Entscheidung 
'dieser Frage muss der Zukunft überlassen 
werden. 

Die einmal entstandene Entzündung der 
Herzauskleidung kann in weiterer Folge 
mehr oder weniger drohende Krankheitszu¬ 
stände hervorrufen; sic kann z. B. Quelle von 
Circulationsstörungen und Stasen in der 
Lunge sein, in Folge dessen sich nicht selten 
ein tödtliches Lungenödem entwickelt. Sie 
kann auch in den Lungen, in der Leber, in 
den Nieren u. s. w. metastatische Entzündungen 
hervorrufen, dadurch, dass mit dem Blute 
Enflboli (abgerissene Vegetationen, Blut¬ 
gerinnsel u.s.w.) aus dem Herzen in diese 
Organe eindringen. Endlich, da sie verschie¬ 
dene Herzfehler bedingt, die zu Circulations¬ 
störungen Veranlassung geben, wird die Endo¬ 
carditis mittelbar die Quelle verschieden con- 
secutiver unheilbarer Krankheitszustände. 

Symptomatologie. Im Beginne der 
Krankheit namentlich in leichteren Fällen 
zeichnet sich die Endocarditis durch keine 
Symptome aus, die uns als Basis zur sicheren 
Diagnose dienen könnten; auch ist wenigstens 
in der Anfangsperiode die Differentialdiagnose 
zwischen einer Pericarditis und Myocarditis, 
mit denen sie übrigens nicht selten complicirt 
ist, eine ziemlich schwierige Aufgabe. Die 
Unmöglichkeit einer präcisen Diagnose, sogar 
das Uebersehen der Existenz eines Krank¬ 
heitszustandes überhaupt kommt im Beginne 
desto leichter vor, wenn der Krankheitsprocess 
die Auskleidung der Herzwand, der Traberkeln, 
der Papillarmu8keln unterhalb der Atrioven¬ 
tricularklappen, wie dies beim Pferde am 
häufigsten der Fall ist, ergriffen hat. Da 
hiebei die Endocarditis selten direct einen 
tödtlichen Ausgang nimmt, anstatt dessen 
aber am häufigsten in einen chronischen 
Zustand übergeht, welchen anfänglich eben 
keine charakteristischen Erscheinungen kenn¬ 


zeichnen, so gelangt man zur definitiven 
Diagnose gewöhnlich «erst dann, wenn sich 
sog. Herzfehler: Insufficienz^ Stenose, Hyper¬ 
trophie,* Dilatation ausgebildet haben. Im All¬ 
gemeinen können, je nach der Intensität der 
Krankheit der von dem pathologischen Pro- 
cesse ergriffenen Partie des Endocardiums, 
je nach der individuellen Reizbarkeit des 
Thieres, je nach der Form der Krankheit und 
der secundären, durch pathologische Processe • 
bedingten Veränderungen etc., bald deutlichere, 
bald weniger ausgeprägte fieberhafte Erschei¬ 
nungen hervortreten. Der accelerirte Puls (bei 
grösseren Thieren bis über 100 in der Minute) 
ist häufige^ geschwächt als verstärkt und 
zeichnet sich manchmal, hauptsächlich bei 
Hunden, durch seinen aussetzenden Charakter 
aus. Die allgemeine Körpertemperatur ist 
bald in einem höheren, bald in einem gerin¬ 
geren Grade erhöht, die sichtbaren Schleim¬ 
häute höher geröthet, der Appetit ist ver¬ 
mindert, oft auch fast gänzlich aufgehoben; 
die Pupille ist manchmal erweitert, das Thier 
traurig und abgeschlagen; in manchen'Fällen 
beobachtet man einen pochenden, sogar tumul- 
tuarischen, häufig über eine weit ausgebreitete 
Fläche fühlbaren Herzschlag, der selbstrechter- 
seits deutlich hervortritt. Manche Thiere 
äussern beim Druck auf die Thoraxwand in 
der Umgebung des Herzens eine schmerzliche 
Empfindung. 

Ausser den bis jetzt 'angeführten Sym¬ 
ptomen treten deutlich nach den geringsten 
Anstrengungen des Thieres, hauptsächlich 
wenn der Entzündungsprocess die zweizipflige 
Klappe ergriffen hat (wie dies beim Hunde 
gewöhnlich der Fall ist), deutliche Abwei¬ 
chungen im Athmen hervor. Die Respiration 
erfolgt häufiger mit Anstrengung und ist mit 
sichtbarer Thätigkeit der Athmungsmuskeln 
und deutlicher Rippenbewegung (Dyspnoe) 
verbunden. 

Sehr wichtig sind die Abweichungen in t 
demCirculationsapparate, u.zw. Vergrösserung 
des Herzens, welche durch Percussion nach¬ 
weisbar ist, der in grösserer Ausbreitung 
fühlbare Herzschlag, der oft auch rechterseits 
vorkomrat, ebenso Ueberfüllung der Venen, 
wobei in der Vena jugularis manchmal eine 
immer deutlicher werdende Pulsation zu be¬ 
obachten ist. 

Da eine länger andauernde Stasen- 
hyperämie der Lungen sich im venösen System 
auch auf entferntere Organe fortpflanzt, so 
treten bald verschiedene Complicationen, wie 
z. B. chronischer Katarrh der Verdauungs¬ 
wege, ein Leber-Milzleiden u.s.w., mit aen 
ihnen zukommenden Symptomen und Folgen 
auf; zu diesen gesellt sich schliesslich auch 
nicht selten Wassersucht, welche dem tödt¬ 
lichen Ausgange vorauszugehen pflegt. 

Nach Schilderung der Symptomatologie 
der Endocarditis der linken Herzhälfte in 
allgemeinen Umrissen bleibtnoch zu erwähnen, 
dass die Unterscheidung der Endocarditis der 
rechten Herzhälfte, in Folge einer gewissen 
Aehnlichkeit der Krankheitserscheinungen bei 
unseren Hausthieren, durchaus nicht so leicht 


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, oogle 



544 ENDOCARDITIS. 


ist, da die deutlichen Klappenphänomene — 
sowohl die systolischen als auch die diasto¬ 
lischen Geräusche — fcei unseren Hausthieren 
(den Hund nicht ausgenommen) nicht in dem 
Grade charakteristisch sind, um uns in den 
Stand zu setzen, bezeichnen zu können, ob 
die Geräusche von der rechten oder linken 
Herzhälfte herrühren. 

Das sicherste Symptom eines Krankheits- 
v zustandes des rechten Herzens ist ein ziem¬ 
lich starkes systolisches Geräusch, das bei 
der Insufficienz der dreizipfligen Klappe und 
Dilatation des rechten Herzens auch an der 
rechten Seite des Brustkorbes hörbar und von 
einer venösen Pulsation der Vena jugularis 
begleitet ist. Da jedoch ähnliche Phänomene, 
die durch das Zurückprallen des Blutes 
in die rechte Vorkammer bedingt sind, wie 
wir schon oben bemerkt haben, auch als 
secundäre Erscheinung bei der Endocarditis 
der linken Herzhälfte Vorkommen können, 
so dürfen dieselben höchstens insoweit als 
Symptom zur Differenzirung, ob die Entzün¬ 
dung die rechte oder linke Herzhälfte primär 
ergriffen hat, in Betracht gezogen werden, in¬ 
wieweit wir genau die Reihenfolge der Circu- 
lationsstörungen und der Krankheitserschei¬ 
nungen, die unmittelbar von der Thätigkeit 
des Herzens abhängig sind, zu bezeichnen im 
Stande sind. 

Die Endocarditis, wie es in der Aetio- 
logie erwähnt wurde, kann zu Embolien Ver¬ 
anlassung geben, die mit dem Blutlauf nach 
verschiedenen Organen gelangen. Es ist be¬ 
greiflich, dass je nach dem Organe, in wel¬ 
ches die Emboli eingeführt wurden, und je 
nach den von denselben erzeugten Folge¬ 
zuständen ganz verschiedene Krankheits¬ 
symptome hervortretep werden. Es können 
Symptome einer metastatischen Entzündung 
der Lungen, Leber, der Nieren (Albuminurie, 
Hämaturie etc.), es kann weiter eine Lahm¬ 
heit einer oder mehrerer Extremitäten auf- 
’ treten, endlich erscheinen manchmal an 
verschiedenen Stellen oberflächliche Hautent¬ 
zündungen, Oedeme, phlegmonöse Entzün¬ 
dungen u. s. w. Die erwähnten Kranheitszu- 
stände, insoweit sie Folgen von Metastasen 
sind, kommen auch in der Septicämie vor, 
die durch Endocarditis ulcerosa hervorgerufen 
wird und die gewöhnlich auch Synovitis nach 
sich zieht. Da jedoch die acute Endocarditis 
oft genug in eine chronische übergeht, diese 
letztere aber zu Herz- und Klappenfehlern 
führt, so entstehen am häufigsten in Folge 
von Circulationsstörungen verschiedene chro¬ 
nische Leiden, die früher oder später zum 
tödtlichen Ausgange führen. Denn wie es 
einerseits selten geschieht, dass bei- der En¬ 
docarditis eine vollkommene Genesung des 
Thieres erfolgt, so kommt es andererseits nur 
ausnahmsweise vor, dass die Endocarditis als 
solche direct den Tod herbeiführt. Immerhin 
kommen Fälle vor, wo der Tod im Verlaufe 
von 10—-14 Tagen in Folge von Herzparalyse 
oder Lungenödem erfolgte. 

Aus den bis nun angeführten Daten ist 
zu ersehen, dass die Diagnose der Endo¬ 


carditis namentlich im Beginne der Krankheit 
bei unseren Hausthieren mit Ausnahme des 
Hundes, bei welchem die Sache nicht auf 
solche Schwierigkeiten stösst, keineswegs eine 
leichte Aufgabe ist, und dass erst dann, wenn 
die Krankheit bereits einen chronischen Ver¬ 
lauf angenommen und wichtige organische 
Veränderungen herbeigeführt hat, dieselbe mit 
grösserer Präcision bestimmt werden kann. 

Die Prognose ist schon deshalb, weil 
die Endocarditis im Beginne schwer zu er¬ 
kennen ist, eine zweifelhafte. Wenn somit die 
Krankheit nicht während des acuten Verlaufes 
mit dem Tode endigt, jedoch aber bedeutende 
nicht zu beseitigende organische Veränderun- 
en hervorruft, so verkürzt sie das Leben 
es Thieres und untergräbt die Gesundheit 
für die Zukunft. Daher erscheint es auch bei 
Schlachtthieren vom ökonomischen Stand¬ 
punkte wohl am zweckmässigsten, dieselben 
ehemöglichst der Schlachtbank zu übergeben. 

Pathologische Anatomie. An jenen 
Stellen des Endocardiuras, die vom Krank- 
heitsprocesse ergriffen wurden, finden wir 
gewöhnlich weder eine bedeutendere Röthung 
noch eine Injicirung der Blutgefässe, welche 
den oberflächlichen Schichten des Endocar- 
diums mangeln. Statt dessen kann man jedoch 
in diesen Schichten eine Erweichung, ein be¬ 
deutendes Aufquellen mit abundanter Zellen¬ 
proliferation verbunden beobachten, in Folge 
dessen lässt sich das Endocardium leicht ab- 
lösen, verliert an der Oberfläche seine gewöhn¬ 
liche Glätte und seinen Glanz, wird trübe und in 
der Continuität geschwächt; unter ihm sind 
Blutextravasate oder ein mehr oder weniger 
reichliches Exsudat vorhanden, welches bis 
zu einer gewissen Tiefe die Herzmuskulatur 
infiltrirt. In manchen Fällen entsteht am En¬ 
docardium in Folge Zerfalles eine mehr oder 
weniger tiefe Verschwärung mit Substanz¬ 
verlust, wobei jedoch die einzelnen Geschwüre, 
nachdem es zur Entstehung eines neuen 
Bindegewebes gekommen ist, auch vernarben 
können. Statt des Verschwärungsprocesses 
findet man häufiger, dass das Bindegewebe 
daselbst zu wuchern beginnt, so dass das 
Endocardium entweder verdickt, und je mehr 
sich das Bindegewebe zusammenzieht, hart 
wird, oder es entwickeln sich auf ihm Vege¬ 
tationen von verschiedenem Aussehen. Ver¬ 
änderungen dieser Art kommen auch an 
den Traberkeln, an den Sehnenfäden in der 
Umgebung der Atrioventricularöffnungen, am 
Eingänge in die Aorta und Pulmonalis vor, 
am häufigsten beobachtet man sie jedoch an 
den Atrioventricularklappen und besonders an 
der zweizipfligen. Indem nun diese letzteren 
Gebilde die Verkürzung der Sehnenfaden, 
Verdickung, Steifwerden und Runzelung der 
Klappen, ebenso der Ränder der Herzöffnungen 
bedingen, werden sie die Ursache von ver¬ 
schiedenen unheilbaren Fehlern. Hauptsäch¬ 
lich sind es Verengerungen der Herzöffnungen 
(stenosis ostii) und mangelhafter Verschluss 
der Klappen (Insufficientia valvularum), die 
in diesem Falle rigid, verdickt und mit aus- 
gefransten Rändern erscheinen, ja es entstehen 


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ENDOCARDIUM. — ENDOGENE ANSTECKUNGSSTOFFE. ’ 545 


manchmal in den Klappen, besonders ii> den 
Atrioventricularklappen Durchlöcherungen. 

Auch an der Herzmuskulatur treten im 
Gefolge der Endocarditis pathologische Ver¬ 
änderungen auf, unter anderen ist die Hyper¬ 
trophie des Herzens gar nicht selten, beson¬ 
ders der linken Herzhälfte, während in der 
rechten häufiger eine Dilatation beobachtet 
wird. In manchen Fällen trifft man in den 
Herzhöhlen ziemlich bedeutende Gerinnungen 
(thrombus) an, deren Zusammensetzung und 
Consistenz uns hinreichend überzeugen, dass 
sie nicht in den letzten Augenblicken des 
Lebens, d. i. während der Agonie, sondern in 
einer viel früheren Zeitperiode des Krank- 
heitsverlaufcs entstanden sind. In dem Masse, 
wie sich einzelne Partikelchen von diesen 
Thromben losgetrennt haben und mittelst 
Blutcirculation als Emboli in verschiedene 
Organe eingetrieben worden sind, treffen wir 
auch in denselben entsprechende Krankheits¬ 
veränderungen an, wie Infarcte oder metasta¬ 
tische Abscesse in den Lungen, der Leber, 
den Nieren u. s. w. 

Ausser den erwähnten Veränderungen 
finden wir häufig die Hirnhäute sowie auch 
das Gehirn selbst im Zustande einer Hy¬ 
perämie oder in dem einer serösen Infil¬ 
tration. Nicht selten sammelt sich ein hy- 
dropisches Transsudat auch in den Gehirn¬ 
kammern an. Seröse Transsudate kommen 
ausserdem an verschiedenen Körpertheilen 
vor, namentlich in den Lungen, die auch mit 
Blut überfüllt sein können. Die Bronchial- 
schleimhäute, ebenso die Schleimhäute des 
Verdauungstractes sind im Zustande eines 
Katarrhs. 

Wenn die Endocarditis als Coraplication 
der Rehe, der Influenza oder einer anderen 
dergleichen Krankheit auftritt, oder wenn sie 
selbst die Ursache einer secundären Krank¬ 
heit abgegeben hat, in einem solchen Falle 
finden wir bei der Section die diesen Krank¬ 
heiten eigentümlichen Veränderungen vor. 

Therapie. Eine vollständige Heilung 
der Endocarditis ist wohl seiten zu erzielen, 
schon aus dem Grunde nicht, da im Beginne 
der Krankheit, zu welcher Zeit eine entspre¬ 
chende Therapie wohl die meiste Aussicht 
auf einen günstigen Erfolg hätte, die Krank¬ 
heit nicht mit gehöriger Präcision diagnosti* 
cirt werden kann, häufig sogar gänzlich über¬ 
sehen wird. Kommt die Therapie in Anwen¬ 
dung, so muss sie auf ein symptomatisches 
Verfahren beschränkt bleiben, da die durch 
den Krankhejtsprocess gesetzten Veränderun¬ 
gen überhaupt nicht behoben werden können. 
Vor Allem muss zu diesem Ende die Auf¬ 
merksamkeit auf eine entsprechende Regu¬ 
lirung der Diät gerichtet sein, wobei das 
Thier Ruhe geniessen, in einem passenden, 
reine Luft enthaltenden Stande eingestellt 
und vor allen Einflüssen, die eine Beschleuni¬ 
gung der Blutcirculation hervorrufen, geschützt 
werden soll. 

Nicht selten tritt die Nothwendigkeit ein, 
rasch gegen die Dyspnoö einzugreifen, welche, 
wie wir wissen, von der Stauungshyperämie 
Koch. Encyklopadio d. Thierheilkd. IT. Bd. 


der Lungen abhängig ist. Um jedoch das er¬ 
schwerte Athmen zu beseitigen, darf man 
nicht zur Ader lassen, denn dies kann die 
Veranlassung zu einer rascheren Entwick¬ 
lung von Wassersucht, ja selbst eines acuten 
Lungenödems sein, welche Complicationen 
in dieser Krankheit ohnehin unaufhörlich 
drohen. 

Hier sind die auf lösenden Salze und auch 
manche andere antiphlogistische Mittel, wie 
z. B. Glaubersalz, Salpeter, Brechweinstein 
angezeigt, neben denen auch harntreibende 
Mittel anempfohlen werden, u. zw. Digitalis, • 
Oleum terebinthinae, Baccae Juniperi, bei 
Hunden Scilla maritima, u. s. w. 

Ausserdem darf man auch den allge¬ 
meinen Ernährungszustand des Thieres nient 
aus den Augen verlieren, um dem Kräfte¬ 
verfall, besonders aber der Herzparalyse ent¬ 
gegenzutreten. Aus diesem Grunde sollen 
ausser einem nahrhaften Futter Roborantia, 
wie Chinin, Eisenpräparate etc., verabreicht 
werden. Manche rathen ableitende Mittel, 
hauptsächlich Application scharfer Einreibun¬ 
gen an der Brustwand in der Herzgegend. 
Statt dieser Mittel eignen sich besser Frot- 
tirungen des ganzen Körpers mit trockenen 
Wischen, oder nach vorheriger Bespritzung 
mit spirituösen Mitteln. Indem man dadurch 
die Circulation auf einer ausgebreiteten Haut¬ 
fläche anregt, kann man noch am besten eine 
Mässigung der Hyperämie der wichtigsten 
Organe, damit auch jener der Lunge erzielen. 
Was die speciellen Heilungsmethoden anbe¬ 
trifft, im Falle wenn eine metastatische Ent¬ 
zündung dieses oder jenes Organes oder 
andere Folgezustände der Endocarditis, die 
so häufig zu Stande kommen, erscheinen, in 
dieser Hinsicht müssen die allgemeinen Grund¬ 
sätze der Therapie befolgt werden. 

Literatur: Vogel, Lehrbuch der physikalische» 
Diagnostik der Krankheiten der Hausthiere, Stuttgart 1874. 

— ROH, Lehrbuch der Pathologie und Therapie der Huus- 
tliiere (4. Auflage), Wien 1876. — Anaeker, Speciclle 
Pathologie und Therapie für Thierftrzte, Hannover 1879. 

— Widmann, Choroby aerca (Herzkrankheiten), War¬ 
schau 1884. Seifmann. 


Endocardium (abgel. v. evoov, inwendig, 

S xapoca, Herz)* die innere Herzhaut, eiue 
urclisichtige, an verschiedenen Stellen ver¬ 
schieden dicke Haut, welche die innere Ober¬ 
fläche des Herzens nebst Ihren Vorsprüngen 
(Klappen, Sehnenfäden etc.) überkleidet und 
mit (1er Intima der Gefässe in ununter¬ 
brochenem Zusammenhänge steht. Auch histo¬ 
logisch ist sie wie diese eine fibrillär-elastische, 
von glatten und Purkinje’schen Muskelfasern 
durchsetzte Membran,.der einwärts ein poly¬ 
gonales Endothel aufliegt. (Näheres s. Herz.) Sf. 

Endochorion (abgel. v. evoov, inwendig, 
und to x o ? tov > Haut), nach Bischoff die ge- 
fässlose, die Allantoisflüssigkeit umschlie߬ 
sende Hypoblastlage der Allantois, nach 
Anderen die innere Lage der Gefässhaut 
(Chorion) der Frucht überhaupt (s. Eihäute). Sf. 

Endogene Ansteckungsstoffe.sind solche, 
die sich nur im lebenden Organismus ver¬ 
mehren und reproduciren und Krankheiten er¬ 
zeugen, die sieh nur durch Ansteckung von 


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546 


ENDOGENES. — ENDOMETRITIS. 


Thier auf Thier verbreiten. Sie stellen die 
Contagien dar und verursachen die rein con- 
tagiösen Krankheiten, zu denen die Rinderpest, 
Lungenseuche, Maul- und Klauenseuche, die 
Pocken, Hundswuth, Tuberculose, Rotz, Septi- 
cämie, Pyämie, Petechialtyphus gehören. 

Solche Krankheitserreger, die sowohl 
innerhalb als auch ausserhalb des Thierkörpers 
sich entwickeln und vermehren können, oder 
sowohl endogen als auch ectogen entstehen, 
nennt man am p hi gen und die durch solche 
veranlassten Krankheiten miasmatisch-con- 
. tagiöse Krankheiten, zu denen gezählt werden: 
Milzbrand, Typhus, Cholera, Hühnercholera, 
Ruhr, Influenza, Staupe, Druse, Diphtherie, Ery¬ 
sipel, Rothlauf, Katarrhe, Pneumonie, Pleuritis, 
Hepatitis. Semmer. 

endogenes, fcvooyevrjc (v. SvBov und 
vevsoftai), das was im Innern eines anderen 
Körpers erzeugt ist, z. B. endogene Zell¬ 
bildung = Enaogenesc als ein Vorgang, bei 
welchem eine Zelle im Innern ihrer Mutter- 
zelle entsteht, um nach deren' Untergang 
oder durch Abschnürung frei zu werden. Sf. 

Endolymphe (abgel. v. evSov, inwendig, 
und ri kofjicpY], Lymphe) heisst die innerhalb 
des häutigen Labyrinthes befindliche. Flüssig¬ 
keit (Lymphe), deren Erschütterungen den 
directen Reiz für die Hörnervenendapparate 
abgeben dürften. * Sussdorf. 

Endometritis (SvSov, inwendig, ^xpa, 
Gebärmutter), innere (am häufigsten katar¬ 
rhalische) Gebärmutterentzündung. 

Unter diesem Namen versteht man eine 
Entzündung der Schleimhaut des Tragsackes. 
Dieser pathologische Process ist wohl zu 
unterscheiden von derMetritis parenchymatosa 
wie auch von der Peri- und Parametritis. 
Während nämlich bei Metritis parenchymatosa 
die tieferen Schichten — die Muskelhaut 
— ergriffen sind, bei der Peri- und Para¬ 
metritis der äussere Ueberzug oder selbst 
die den Uterus umgebenden Gebilde in Mit¬ 
leidenschaft gezogen sind, erstreckt; sich der 
Entzündungsprocess bei der Endometritis 
nur auf die innere Auskleidung, auf die 
Schleimhaut des Tragsackes, welche Form, 
wie bekannt, als eine katarrhalische bezeich¬ 
net wird. 

Was nun den Charakter dieses Entzün- 
dungsprotesses anbelangt, so wird, ausser 
der erwähnten katarrhalischen, noch eine 
croupöse und eine septische Endometritis 
beobachtet. Da jedoch die letzterwähnte 
Form, welche hauptsächlich nach anormalem 
Geburtsvorgang vorzukoramen pflegt, als eine 
specielle anzusehen ist und als soldie ge¬ 
wöhnlich unter den Namen Metritis septica, 
Septicaemia puerperalis u.s.w. beschrieben 
wird, so möge sie daher in einem besonderen 
Artikel, am geeigneten Orte, abgehandelt 
werden. 

Die innere Uterusentzünduug kommt bei 
allen unseren Haussieren, am öftesten jedoch 
bei Kühen vor. Manchmal tritt sie als ein 
selbständiges Leiden auf; nicht selten ist 
sie nur Folge anderer pathologischer Processe, 
wie z.B. polypöser Wucherungen oder anderer 


Tragsacksneugebilde: hin und wiecler tritt 
sie auch als Complication bei der Rinder¬ 
pest und manchen anderen Krankheiten auf. 
Der Process beschränkt sich oft nui r auf 
besondere Abschnitte, so z.B. auf ein Uterus¬ 
horn; nicht selten breitet sich der Krank- 
heitsprocess bei längerer Dauer aijck auf die 
Scheide aus. Die chronische Endometritis 
mit jahrelangem Verlaufe kommt häufiger vor 
als die acute, aber auch die letztere ist 
ziemlich häufig Gegenstand thierärztlicher 
Behandlung. 

Aetiologie. Wie erwähnt, leiden Kühe 
am häufigsten an Uteruskatarrh, doch auch 
bei Stuten gehört die Krankheit nicht zu den 
Seltenheiten. Bei Hündinnen erscheint sie 
gewöhnlich in Gesellschaft mit den bei ihnen 
häufig vorkommenden Scheidenexcrescenzen 
(sog. Condylomen). Alle übrigen Hausthiere 
sind diesem Leiden nur selten unterworfen. 
Das 'mittlere Lebensalter, zu welcher Zeit 
die Thätigkeit der Genitalien mit grösster 
Energie vor sich geht, wirkt prädisponirend 
auf die Entstehung dieser Krankheit’. Sie 
erscheint jedoch besonders in chronischer 
Form auch im höheren Lebensalter, und nur 
bei ganz jungen Thieren gehört sie zu den 
• Seltenheiten. 

Die croupöse Form mit manchmal sehr . 
weit auf der Uterusschleimhaut ausgebreiteten 
Pseudomembranen kommt im Allgemeinen nur 
selten und dann nur bei jüngeren Kühen vor. 

Abortus und schwere Geburt, mechanische 
Reize, hauptsächlich bei ungeschickter Ge¬ 
burtshilfeleistung, starke Ausdehnung des 
Tragsackes, wie sie bei fier Trächtigkeit mit 
mächtig entwickelten Jungen vorzukommen 
pflegt, unvorsichtige gewaltsame Ablösung der 
lest angehefteten Nachgeburt, Zurückbleiben 
im Tragsacke von Partikelchen der Nachge¬ 
burt oder des abgestorbenen, in Maceration 
befindlichen Fötus, Eindringen von Mikro¬ 
organismen (putriden Stoffen) in die nach 
der Geburt offen gebliebene Gebärmutter, 
Vorfall derselben, äussere StösSe sind Um¬ 
stände, die oft Gelegenheitsursachen der Me¬ 
tritis, am häufigsten aber der Endometritis 
abgeben. Als Complication beobachtet man 
die Endometritis bei der Rinderpest, bei der 
Maul- und Klauenseuche, bei der Beschäl¬ 
seuche und Bläschenausschlag der Genitalien, 
bei verschiedenen Neugebilden des Tragsackes, 
manchmal auch bei jenen der Scheide. 

Die Metritis soll auch hauptsächlich bei 
Schafen in epizootischer Verbreitung Vor¬ 
kommen, u.zw. in Folge Erkältung bei lang- 
apdauemdera Austriebe hochträchtiger Mutter- 
thiere während nasskalter Witterung auf die 
Weide, auch bei*plötzlichem Uebergang von 
karger zu intensiver Fütterung. . 

Die acute Fonn kommt gewöhnlich nach 
hefti g wirkenden Insulten bei jungen, robusten 
Thieren vor; sie nimmt äber bei schlechter 
Haltung, anhaltendem Reiz der Genitalien 
und ungünstigen hygienischen Bedingungen 
leicht den chronischen Charakter an, der 
auch bei'alten, ausgezehrten Individuen pri¬ 
mär entstehen kann. 



ENDOMETRITIS. 


. 547 


Kommt es während des Uteruskatarrhs 
zum vollkommenen Verschluss des Gebär¬ 
muttermundes durch eine zähe Schleimaus¬ 
scheidung, so entsteht leicht ein Zustahd, 
den man Hydrometra, bezw. Pyometra nennt, 
während bei offenem Gebärmuttermund der 
beständige Ausfluss Fluor albus oder Leu- 
corrhoea. heisst. 

Erscheinungen und Verlauf. Nur 
bei einer bedeutenden Ausdehnung des Krank- 
heitsprocesses tritt die .acute katarrhalische 
Endometritis mit deutlichen Symptomen auf. 
Das Thier wird traurig, die ‘Fresslust nimmt 
ab, die innere Temperatur steigt, während die 
äussere ungleichmässig auf der Körperober¬ 
fläche vertheilt ist. Puls, manchmal auch das 
Athmen sind beschleunigt, die Thiere halten 
den Rücken gekrümmt, die Milchsecretion ist 
vermindert, der Mistabsatz verzögert. Man 
bemerkt ein unruhiges Benehmen des Thiercs, 
Umsehen nach dem Hinterleibe, beschwerliche 
Bewegungen und Schmerz&usserungen selbst 
gegen leichten Druck auf die Leistengegend. 
Hiebei bemerkt man einen mehr oder weniger 
reichlichen Schleimausfiuss aus den Geni-. 
talien. Die Schleimhaut der Scheide findet 
man bei näherer Untersuchung höher geröthet, 
aufgelockert und mit Schleim belegt. 

. Bei der croupösen Form sind die er¬ 
wähnten Erscheinungen intensiver ausge¬ 
sprochen, in den Ausscheidungen aus den 
Genitalien findet man Fetzen von Pseudo¬ 
membranen, manchmal selbst förmliche Ab¬ 
güsse einzelner Abschnitte des Uterus. Die 
erwähnten Erscheinungen, die natürlich nicht 
alle auf einmal, sondern gradatim auftreten 
und ebenso in ihrer Intension zunehmen, 
gehen gewöhnlich auch stufenweise zurück, 
und das Thier erlangt binnen 8—14 Tagen 
volle Genesung. Nur in seltenen Fällen, u. zw. 
wenn der Process auf die tieferen Schichten 
dea Tragsackes übergeht, wenn er auch die 
seröse Haut einnimmt und sich eine secun- 
däre Peritonitis ausbildct u.s.w., steigern sich 
die oben beschriebenen und hauptsächlich die 
Fiebererscheinungen. In solchen Fällen kann 
im Laufe von 10—15 Tagen der Tod ein- 
tretep. 

Oefter als ein tödtlicher Ausgang kommt 
ein Uebergang der acuten in chronische Endo¬ 
metritis vor. Dies ist -am meisten der Fall 
bei alten, abgeschwächten Thieren, bciThieren, 
die' während des Leidens Ungünstigen Einflüs¬ 
sen (nasskaltem Wetter, Futtermangel u.s.w.) 
ausgesetzt sind, dann bei Thieren, die an 
habituellem Prolapsus uteri leiden oder bei 
welchen Partikelchen der Naohgeburt ira 
Tragsacke zurückgeblieben sind u.s.w. Uebri- 
* gens kann auch bei erwähnten Umständen 
der chronische Gebärmutterkatarrh als pri¬ 
märes Leiden erscheinen. 

Bei der chronischen Endometritis, die 
manchmal, wie erwähnt, Jahre lang dauern 
kann, sind eine lange Zeit hindurch gar keine 
Fiebererscheinuugen zu bemerken. Fresslust 
und Wiederkauen stellen meistentheils keine 
Anomalien vor. Bei längerer Dauer des Lei¬ 
dens jedoch nimmt gewöhnlich der Nährzu¬ 


stand des Thieres und die Milchsecretion deut¬ 
lich ab, bis endlich, nachdem ein Magendarm - 
katarrh sich zugesellt und kachektische Er¬ 
scheinungen auftreten, das Thier im. Colli- 
quationszustande, manchmal aber in Folge 
von septischer Vergiftung oder einer Compli- 
cation von metastatischer Pneumonie eingeht. • 

Die chronische Endometritis zeichnet sich 
durch einen reichlichen, schleiraigeitrigen oder 
jauchigen, chocoladefärbigen, oft übelriechen¬ 
den Ausfluss aus der Scheide aus, in welchem 
oft Fetzen flockiger Gerinnsel anzutreffen sind. 
Dieser Ausfluss erscheint manchmal unter lei¬ 
sem Drängen und Hauiabgang, kommt auch 
oft beim Niederlegen des Thieres zum Vor¬ 
schein. In Folge dieses Ausflusses findet man 
gewöhnlich die Hinterschenkel und den Schweif 
besudelt. 

Bei näherer Untersuchung findet man die 
Schleimhaut der Scheide intensiv gelockert, 
bleich, hie und da mit braunrothen oder 
schiefergrauen Flecken, nicht selten auch mit 
reichlichen Extravasaten oder ausgebreiteteu 
Geschwüren bedeckt und mit einer der oben 
beschriebenen ähnlichen Flüssigkeit über¬ 
zogen. Hat sich in Folge des Zurückbleibens 
des Ausflusses im Tragsacke die Hydrometra 
(Pyometra) ausgebildet, so findet natürlich 
gar kein Ausfluss aus den Genitalien statt. 

Da nun bei einem solchen Zustande der 
Hinterleib immer mehr und mehr an Umfang 
zunimmt, so kann man leicht getäuscht werden 
und das Thier irrthümlicherweisc als trächtig 
oder bauchwassersüchtig ansehen. Den Auf¬ 
schluss erlangt man in solchem Falle einer¬ 
seits durch Berücksichtigung der Periode der 
etwa möglichen Schwangerschaft und der Zeit 
der erwarteten Geburt, hauptsächlich aber 
durch manuelle Untersuchung der Gebär¬ 
mutter per rectum und per vaginam, wobei 
dieselbe bei Hydrometra sich als ein ziemlich 
grosser, abgerundeter, schwappender Körper 
ohne hervorragenden harten, dem Fötus ge- . 
hörenden Inhalt anfühlt. 

Autopsie. In Fällen, wo sich Gelegen¬ 
heit findöt, ein mit leichtem Uteruskatarrh 
behaftetes Thier zur Section zu bekommen (da 
die Krankheit gewöhnlich nicht tödtlich ist), 
findet man die Uterusschleimhaut gleichmässig 
geröthet, aufgequellt, mit etwas vergrösserten 
Schleimdrüsen, manchmal mit nicht bedeu¬ 
tenden Extravasaten versehen und mit einer 
schleimigen, selten schleimigblutigen Flüssig¬ 
keit oder selbst mit einer croupösen Pseudo- . 
membran überzogen. Nur selten ist ein ähn¬ 
licher Zustand auf die ganze Tragsackschleim- 
baut verbreitet, öfter, wie bereits erwähnt, 
ergreift er nur manche Abschnitte, z. B. ein 
Horn, die Gegend des inneren Mutter¬ 
mundes u.s.w. Gewöhnlich ist hiebei auch 
die Scheidenschleimhaut auf eine ähnliche 
Weise alterirt. Bei der Endometritis chronica 
trifft man an den ergriffenen Abschnitten eine 
mehr schmutzige, braune oder schiefergraue, 
fleckige oder streifige Tingirung der Schleim¬ 
haut: dieselbe ist verdickt, uneben, mit ziem- 
•lich tiefen Geschwüren, dichten Extravasaten, 
oder- auch mit polypösen Excrescenzen ver- 


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548 


END0S1S. — ENDOSKOPIE. 


sehen. Die Höhle der Gebärmutter ist ver- 
grössert, besonders wenn eine Hydrometra 
(Pyometra) stattgefunden hat, und enthält 
eine m. w. bedeutende Menge von eiteriger, 
jauchiger, oft übelriechender Flüssigkeit, in 
der nicht selten macerirte Partikelchen der 
nicht abgegangenen Nachgeburt oder selbst 
des abgestorbenen Fötus angetroffen werden. 

In manchen Fällen beobachtet man noch 
hie und da bedeutende Substanzverluste der 
Schleimhaut bei Wiederkäuern, hauptsächlich 
der Cotyledonen. Ausser dem Angeführten 
trifft man noch Erscheinungen secundärer 
Leiden, wie z. B. jene von Peritonitis, Septi- 
cärnie u. s. w. an. 

Prognose. Der Ausgang der Endo¬ 
metritis acuta wird nur dann bedenklich, wenn 
die Symptome, besonders die Fiebererschei¬ 
nungen, unter Anwendung einer rationellen 
Therapie nicht abnehnien oder selbst sich 
steigern, denn in den meisten Fällen endigt 
acute Endometritis mit Genesung, und nur 
bei trächtigen Thieren lässt sie den Abortus 
befürchten. 

Von viel grösserer Bedeutung ist die 
chronische Form, möge sie eine primäre oder 
Folge der acuten Endometritis sein. 

Hier ist nicht nur ein hartnäckiges An¬ 
halten des Leidens trotz einer rationellen Be¬ 
handlung zu befürchten, nicht nur sind für 
die Zukunft Recidiven und Unfruchtbarkeit 
des Thieres vorauszusehen, sondern es ist bei 
der langwierigen Dauer ausser Kachexie noch 
durch Eindringen von Infectionsstoffen (sep¬ 
tischen Mikroorganismen) in die Gebärmutter¬ 
höhle Septicämie mit ihren Folgen zu be¬ 
fürchten. 

Therapie. Interne Behandlung ist nur 
in manchen Fällen angezeigt; wichtiger ist 
eine entsprechende Hygiene. Das Thier muss 
jedenfalls in einem trockenen, mit reiner Luft 
versehenen Stalle untergebracht werden, eine 
reichliche, trockene Streu und ein entspre¬ 
chendes Futter bekommen. Nur bei deutlicher 
ausgesprochenem Fieber kann eine mässige 
Antiphlogose (Natr. sulfuricum, manchmal 
mit Zusatz von Kali nitricum oder Ammon, 
chlor.) angezeigt sein. Bei reichlichem chro¬ 
nischen Ausflusse aus den Genitalien und 
Sinken der Kräfte des Thieres werden Tonica 
und Roborantia (Rad. Gentianae Calami aro- 
mat., Rad. Valerianae, selbst Kampher) am 
Platze sein und in Form von Abkochung, 
Aufguss oder Emulsion angewendet. In diesen 
Fällen können manchmal auch jene Mittel 
angezeigt sein, welche die Contraction der 
Gebärmutter befördern, wie z. B. Infus, herb, 
et summitat. Sabinae, Decoct. Sccalis comuti 
oder Ergotin. Im Falle von wehenartigem 
Drängen sind Einspritzungen von Morphii acet. 
in das Unterhautbindegewebe zu empfehlen. 
Die Hauptsache bildet jedoch die örtliche Be¬ 
handlung. Bei acuter Form ist Sorgfalt auf 
Beinhalten und Beförderung des Ausflusses 
aus den Genitalien zu verwenden. Es können 
zu diesem Zwecke Einspritzungen von Inf. 
Ohamomil. oder von schleimigen Mitteln 
lauwarm an gewendet werden, wobei noch 


kalte Umschläge auf die Lendengegend oder 
selbst kalte Klystiere in manchen Fällen 
unterstützend wirken können. Die erwähnten 
Ausspritzungen müssen sich jedoch auf die 
Scheide beschränken, im Falle der Gebär¬ 
muttermund so weit contrahirt ist, dass die 
Canüle nicht ohne Schmerzen einzubringen 
wäre. 

Bei chronischem Ausflusse sind Ein¬ 
spritzungen von Adstringentien in die Gebär¬ 
mutter selbst angezeigt (solutio acidi tannici. 
Alumen crud., Cupr., Zinc. sulf., Argent. nitr.), 
und wenn derselbe übelriechend (septisch) ist, 
sind Antiseptica (Sol. acid. carb., Kali hyper- 
mang., Hydr. rauriat. corros., Aqua chlor.) 
indicirt. 

Vor dem Ausspritzen mit den erwähnten 
Medicamenten muss eine sorgfältige Aus¬ 
spülung der Gebärmutter oder selbst manuelle 
Reinigung derselben von etwa angesammelten 
Zersetzungsproducten stattfinden. Hiezu kann 
lauwarmes Wasser oder schleimige Abkochun¬ 
gen mit Zusatz von Carbolsäure gebraucht 
werden. Um den Abfluss aus den Genitalien 
zu befördern, muss das Thier mit dem Hinter- 
theile niedriger gestellt werden, und sollte 
der Gebärmuttermund nicht genügend eröffnet 
oder selbst vollkommen geschlossen sein, wie 
dies bei Hydrometra vorzukommen pflegt, so 
muss derselbe artificiell erweitert werden, 
wobei jedoch keino Metallinstrumente, son¬ 
dern wo möglich nur die Finger zu Hilfe zu 
nehmen sind. 

Schliesslich ist noch zu bemerken, dass 
man nach vollbrachter Operation an Thieren, 
die mit chronischer, noch mehr aber mit 
septischer Metritis behaftet sind, vorsichtig 
sein muss, und man darf, bevor man sich nicht 
sorgfältig desinficirt hat, in keine Berührung 
mit trächtigen Thieren treten. Um einen etwa 
zu befürchtenden Abortus zu vermeiden, wäre 
noch zu beobachten, dass langwieriger, übel¬ 
riechender Ausfluss aus den Genitalien in 
einem gew issen Grade ansteckend wirkt, daher 
Tliicre, die mit demselben behaftet sind, nicht 
in der Nähe von trächtigen Mutterthieren 
aufgestellt werden dürfen. Seifmann. 

Endosis, yj evSoo: 9 , Nachlassen, Weichen, 
z. B. einer Krankheit. Sussdorf. 

Endoskopie (abgel. v. ev&ov, inwendig, 
und oxorcetv, schauen) heisst die Methode 
der mittelst künstlicher Beleuchtung bewerk¬ 
stelligten Untersuchung im Innern des Kör¬ 
pers gelegener Theile. In der Thierheilkunde 
beschränkt sich die Anwendung derselben 
auf relativ wenige Organe resp. Höhlen. Abge¬ 
sehen vom Auge (s. Ophthalmoskopie) bedient 
man sich ihrer eigentlich nur zur Prüfung 
der Nasen-, eventuell auch Maul- und Rachen¬ 
höhle, während sie in der Menschenheilkunde 
auch bei der Untersuchung des männlichen 
und weiblichen Urogenitalapparates vielfache 
Verwendung findet. In der Thiermedicin wird 
ein central durchbrochener Concavspiegel, 
welcher das Licht einer Lichtquelle (gewöhn¬ 
lich der Sonne) aufzufangen und in die 
betreffende Höhle zu reflectiren hat, meist 
als Endoskop benützt: erst neuerdings hat 



ENDOSMOSE. — ENGLISCHE PFERDEZUCHT. 541) 


Bayer das elektrische Glühlicht zu diesem 
Zwecke herangezogen (s. Beleuchtung von 
Körperhöhlen). Ihr Hauptaugenmerk richtet 
die Endoskopie in der thiSrärztlichen Praxis 
auf die Diagnose des Nasenrotzes. Sussdorf. 

Endosmose und Exosmose s. Diffusion. 

Endosporium (abgel. v. fvoov, inwendig, 
und ij orcopa, 6 sicopo*, Same) nennen die 
Mykologen die äussere der beiden Membranen, 
welche die Milzbrandspore als directe Um¬ 
hüllung des protoplasmatischen Centrums 
mitbilden hilft. Sussdorf. 

Endpfatte, motorische der Skeletmuskel- 
nervcn, nennt Kühne die dicht unter dem 
Sarkolemma der Muskelfaser gelegene fein¬ 
körnige, kernhaltige Protoplasmamasse, in 
welcher die Terminalfaserchen in Form eines 
zarten Fibrillennetzes ihr Ende erreichen 
(s. Muskel). Sussdorf. 

Endwulst, Axenwulst ist nach Kölliker 
eine zur Zeit des Verschlusses der Rücken- 
furche vorhandene Verdickung am hinteren 
Ende des embryonalen Körpers von Vögeln 
und Säugethieren, innerhalb deren Epiblast, 
Mesoblast und Chorda Zusammenflüssen. 
Kölliker lässt an entsprechender Stelle aus 
dem Wulst Chorda, Urwirbel und Entoderm 
entstehen, während ihm Andere, ihn als das 
vordere Ende des Primitivstreifens auffassend, 
jegliche Bedeutung für die Entwicklung des 
Körpers selbst absprechen. Sussdorf. 

Enema, xfc evejjia, Klystier. Sussdorf 

Energia, rj evepreia, die Thatkraft, Energie, 
bezeichnet den Grad in dem Ablauf eines Vor¬ 
ganges; man spricht z. B. von Lebensenergie, 
Stoffwechselenergie etc., wenn die Processe, 
welche das Leben bedingen, resp. den Stoff¬ 
wechsel repräsentiren, mit gewisser Lebhaftig¬ 
keit sich abspielen. Sussdorf. 

Engbrüstigkeit ist eine chronische Ath- 
mungsbeschwerde, über die das Nähere unter 
Asthma nachzusehen ist. Anacker. 

Engelwurzel, Radix Angelicae (s. Archan- 
gelica officinalis). Vogel. 

Engineer war ein viel gerühmter englischer 
Halbbluthengst, Sohn des noch berühmteren 
Halbbluthengstes Sampson, welcher um die 
Mitte des vorigen Jahrhunderts grosses Auf¬ 
sehen gemacht hat und vielfach als Sieger 
aus bedeutenden Rennen hervorgegangen ist. 
Sampson besass einen Antheil des Blutes nor¬ 
discher Pferde, war mithin das Product der 
Kreuzung „heterogener“ Elemente. Freytag. 

Englands Rindvieh-, Schaf- und Schweine¬ 
zucht (s. u. Grossbritanniens Viehzucht). 

Englische Krankheit ist eine in der 
humanen Medicin gebräuchliche vulgäre Be¬ 
zeichnung für Knochenweiche oder Rhachitis, 
eine Knochenerkrankung junger Thiere, bei 
denen die Knochen noch nicht ihre voll¬ 
ständige Entwicklung erreicht haben, das 
bindegewebige Gerüst des Knochengewebes in 
Wucherung geräth und die Verkalkung des¬ 
selben ausbleibt, in Folge dessen die Knochen 
weicher bleiben, sich leicht verkrümmen, die 
Gelenkenden anschwellen und sich verdicken 
(s. Knochenweiche oder Rhachitis). Anr. 


Englische Pferdezucht. Das Königreich 
England (ohne Wales) besass zur Zeit der 
letzten allgemeinen Viehzählung (1880) im 
Ganzen 1,092.272 Pferde der verschiedenen 
Altersclassen, unter denen sich eine ansehn¬ 
lich grosse Zahl von Zuchtstuten und Fohlen 
(325.745 Stück) befand. Seit ältester Zeit 
wird in jenem Inselreiche die Pferdezucht 
mit besonderer Vorliebe, aber auch an den 
meisten Orten mit viel Geschick und grosser 
Sorgfalt betrieben. Der Gestütsdirector 
Schwarznecker in Marienwerder sagt mit 
vollem *Recht: „England ist ein classischer 
Boden für den Züchter überhaupt und speciell 
für den Hippologen. Ein ehrfurchtsvoller 
Schauer erfasst wohl jeden Thierzüchter, wenn 
er zum erstenmale das Land betritt, in dem 
ein nie gesehener Gestaltenreichthum, eine 
bisher ungekannte üppige Formenfülle in den 
Hausthieren ihm entgegentritt.“ Der sehr gras¬ 
wüchsige Kreideboden, die eigenthümliche 
Bewirthschaftungsweise des dortigen Gross¬ 
grundbesitzes wie der Bauernhöfe bei einem 
gleichmässig milden, feuchten Klima und 
manches Andere ist ohne Frage von jeher für 
den Betrieb der Pferdezüchtung und Haltung 
von grosser Bedeutung gewesen. Aus der Ge¬ 
schichte jenes Landes erfahren wir, dass schon 
die alten Römer bei der Eroberung Britan¬ 
niens unter Cäsar (55 v. Chr. Geb.) in jenem 
Lande viele kräftige, sehr rasche Pferde vor¬ 
gefunden haben, die sich im Kampfe* äusserst 
muthig und gewandt zeigten, sich mit dem 
Sichel wagen rasch auf die andringenden Feinde 
stürzten und hiedurch grosse Verheerungen 
unter denselben anrichteten. Die Britannier 
zeigten sich beim Gebrauch und der Führung 
der Rosse in der Regel geschickter als die 
sie besiegenden Römer. Die englischen Pferde 
älterer Zeit sollen zwar nicht besonders 
grosse, aber in der Regel sehr muskelkräftige 
und sehnige Thiere gewesen sein, die sich 
vortrefflich zur Zucht eigneten. Durch Ver¬ 
wendung germanischer Hengste — als Be¬ 
schäler — wurden im VIII. und IX. Jahr¬ 
hundert die verschiedenen Pferdeschläge Eng¬ 
lands etwas vergrössert und schwerer. Einen 
ganz besonders günstigen Einfluss auf die 
Hebung der Zucht hat dort die Besitznahme 
des Landes durch Wilhelm den Eroberer 
(1066) ausgeübt; derselbe führte mit nor¬ 
mannischen Sitten auch normännische Pferde 
guten Schlages nach England ein. Zu jener 
Zeit — vielleicht auch schon etwas früher 
— wurden auch mehrfach spanische Pferde 
in das Land gebracht und diese an mehreren 
Orten ganz geschickt zur Kreuzung mit 
den alten Landrassen benützt. Später — im 
XH. Jahrhundert — sollen auch vereinzelt 
arabische Hengste zur Zucht verwendet 
worden sein. Heinrich I. liess 1121 wahr¬ 
scheinlich das erste orientalische Pferd aus 
der Wüste holen, und später, nachdem er 
sich von der Vortrefflichkeit und den grossen 
Leistungen dieses Thieres überzeugt hatte, 
noch andere Pferde derselben Rasse aus dem 
Orient iraportiren. 

Im XIII. Jahrhundert liess Johann ohne 


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550 


ENGLISCHE PFERDEZUCHT. 


Land mehrere Zuchtpferde des schwersten 
flandrischen Schlages herbeiholen und legte 
auf diese Weise den Grundstein zur Bildung 
des schweren englischen Karrenpferdes, welches 
in neuerer Zeit wegen seiner fabelhaften Kraft 
und Ausdauer so hoch geschätzt und jneistens 
theuer bezahlt wird. Der sehr tüchtige Hippo- 
loge König Eduard II. hat zu Anfang des 
XIV. JahidiundeFts viele schöne, zum Theil 
höchst werthvolle Rosse aus der Lombardei, 
Champagne und Normandie kommen und zur 
Kreuzung mit den altenglischen Landpferden 
verwenden lassen. 

Das erste grössere Gestüt mit spanischen 
Hengsten und Stuten wurde zur Regierungs¬ 
zeit Eduard's III. gegründet; auch sorgte 
dieser König für möglichst rasche Ausdehnung 
der besseren Pferdezüchtung über das ganze 
lnselland. Im XV. und XVI. Jahrhundert 
scheint Englands Zucht keine grossen Fort¬ 
schritte gemacht zu haben, und zur Regierungs¬ 
zeit der Königin Elisabeth lag dieselbe voll¬ 
ständig danieder. Erst unter dem König 
Jacob I. (1603—1625) kam dieselbe wieder 
' empor; man benützte mehrfach edle Tliiere 
der südeuropäischen und orientalischen Rassen 
zur Zucht. Unter Jacob’s Regierung wurden 
alle Wettrennen, welche schon früher in 
England beliebt gewesen sein sollen, besser 
organisirt und hohe Preise für die Sieger 
ausgesetzt. Cromwcll sorgte ebenfalls recht 
gut für die Hebung der Zucht edler Pferde, 
und cs liess dieser geschickte.Staatsmann zu 
verschiedenen Zeiten mehrere gutgebaute 
orientalische Hengste aus Asien und Nord¬ 
afrika holen und zur Zucht benützen. Unter 
der Regierung des vorletzten Stuart, Carl II. 
(1660—1685), begann eigentlich erst die 
Bildung des in der Neuzeit so berühmt ge¬ 
wordenen englischen Vollblutpferdes. Die von 
ihm eingeführten orientalischen Stuten (die 
sog. Royal maresj nebst mehreren vortreff¬ 
lichen Hengsten der arabischen und berbe-. 
rischen Rasse haben einen grossen Erfolg, 
gehabt; sie lieferten meistens eine sehr gute 
Nachzucht, ausgezeichnete Thiere für die 
Rennbahn, und cs wird von verschiedenen 
englischen Autoren das Jahr 1686 als das 
Geburtsjahr der* englischen Vollblutzucht be¬ 
zeichnet. (Näheres über die Geschichte und 
Beschreibung des englischen Rennpferdes 
s. unter Vollblutpferd.) 

Im XVII. Jahrhundert wurden für die Ver¬ 
vollkommnung der verschiedenen anderen eng¬ 
lischen Rassep sehr beachtenswerthe Anstren¬ 
gungen gemacht: man benützte damals mit 
Vorliebe die edlen Vollbluthengstc als Be¬ 
schäler für gutgebaute Landstuten — nament- 
. lieh in der Grafschaft York — und erzielte 
auf diese Weise die vielgerühmtcn kräftigen 
Halbblutpferde: tüchtige Gebrauchsthiere, 
welche zwar nicht immer zur Zucht tauglich 
waren, aber für den Dienst im Geschirr und • 
unter dem Reiter nichts zu wünschen übrig 
liessen. Die Clevelander Braunen (s. u. Cleve¬ 
land-Pferd) erfreuten sich Ende des vorigen 
Jahrhunderts als Postkutschpferde des besten 
Namens; ebenso auch die tüchtigen Trotter, 


die Jagdpferde (Huhters) und viele andere 
Schläge (breeds), welche in der Regel nach 
den verschiedenen Grafschaften benannt wur¬ 
den; sie fanden überall gute Abnahme. Hin 
und wieder wurden auch reinblütige Renn¬ 
pferde (also Vollblut) zum Jagdreiten benützt, 
doch es zeigten sich dieselben meistens nur 
für leichteres Gewicht verwendbar. 

Ausser den Yorkshire- und Clevelander 
Kutschpferden sin d inEngland aus der Kreuzung 
von gewöhnlicheren Zugpferden mit Halb¬ 
bluthengsten mehrere namhafte Rassen hervor* 
gegangen, die sowohl im In- wie inr Auslande 
behebt sind. Dieselben zeichnen sich zum 
Theil durch etwas massive Formen und grosse 
Stärke aus und sind daher für den Ackerbau 
wie auch für das schwerere Lastfuhrwerk sehr 
gut zu verwenden (s. unter Clydesdale- und 
Suffolkpferde). 

In Norfolk werden sehr viele tüchtige 
Carrossiet*8 und daneben auch die sog. Trotter 
oder Traber gezüchtet (s. Norfolktraber), die 
auch in ansehnlich grosser Zahl zum Export 
gelangen. Die Zucht der schweren Karren¬ 
pferde (card- oder draught-horses) trifft mau. 
am besten, schwersten in der Grafschaft 
Lincoln; sie werden aber auch neuerdings 
recht gut an vielen anderen Orten des König¬ 
reiches gezüchtet. Sie bilden den Gegensatz 
zu den leichten Rennpferden und den zier¬ 
lichen Ponics, welche man am besten in Wales, 
Exmoor, New-Forest, Schottland (Galloway) 
und hauptsächlich auf den Shetlands-Inseln 
zu sehen, bekommt. Auch diese Thiere finden 
in England eine vielseitige Verwendung. Alle 
Pferde, welche in der Grösse unter 1*50 in 
herabgehen, nennt man dort gewöhnlich 
Ponies; sie werden sowohl von alten Herren 
und Damen, hauptsächlich aber von den 
Kindern und Bedienten geritten (s. unter 
Pony). 

Endlich wären hier noch die Cobs und 
Hacks zu erwähnen. Die letzteren werden 
auch häufig „Haekneys“ genannt und sind 
die ^gewöhnlichen Reitpferde der Farmer mit 
bescheidenen Ansprüchen (s. unter Haok und 
Cob). 

England exportirt alljährlich eine grosse 
Anzahl von Pferden aller Rassen, besonders 
viele Renn- und schwere Wagenpferde. Durch¬ 
schnittlich werden jährlich etwa 50D0 Stück 
ausgeführt. Die Einfuhr ist aber ebenfalls 
sehr bedeutend und hat sich von Jahr zu 
Jahr vennehrt; man bezieht aus Belgien, 
Holland und Frankreich hauptsächlich schwere 
Karrenpferde und neuerdings viele ponyartige 
Geschöpfe aus Polen und Russland. In den 
letzten Jahren sollen auch viele Pferde aus 
den Vereinigten Staaten Nordamerikas nach 
England gekommen sein; diese gehören 
meistens den schweren Schlägefi an und 
übertrefien im Körpergewicht mehrfach die 
schwersten englischen Rosse von Lincoln- 
shire etc. 

Südamerika hat in der allerneuesten 
Zeit gleichfalls einige Schiffsladungen mit 
Pferden nach England geliefert; diese gehören 
aber den leichteren Schlägen an und' sollen 



ENGLISCHER HUFBESCHLAG.'— ENGLISIREN. 


dazu bestinuut sein, den kleinen, unansehn¬ 
lichen. Ponies aus Russland und Polen Con- 
enrrenz zu machen. Freytag. 

Englischer Hufbeschlag. Unter englischem 
Hufbeschlage versteht man den Beschlag mit 
Hufeisen, welche der Mechanik des Hhfes die 
meiste Concession machen. Die Vordereisen — 
gleichviel ob mit oder ohne Falz — zeigen an 
der Huffläche eine horizontale Tragefläche und 
fast ausnahmslos auch Abdachung. Während 
das Vordereisen fast immer stollenlos ist, 
stellt das Hintereisen ein sog. Streicheisen 
ohne Griff dar. Die Ausführung des Beschlages, 
geschieht auf warmem Wege ohne Hilfe eines 
Aufhalters. ■ JLungivitz. 

Englisches Pflaster, scharfes Pflaster, 
Emplastrum acre anglicum, s. Emplastrum. VI. 

Englisches Salz, soviel als Bittersalz, 
das früher aus den starken Bittersalzquellen 
in Searborough und Epsam bezogen wurde. VI. 

Engiisiren oder Anglisiren (Sehweif¬ 
muskelschnitt) nennt man eine beim Pferde 
zuweilen ausgeführte Operation, welche im 
Durchschneiden der Schweifmuskeln besteht 
und den Zw$ck hat, den Schweif höher tragen 
zu machen, wodurch das Thier ein edleres, 
lebhafteres Aussehen bekommt. Durch das 
Engiisiren will man Pferden, welchen das 
Hochtragen des Schweifes mangelt, weil sie 
das Feuer und die günstige Formation der 
"Kruppe nicht besitzen, den Typus eines edlen 
Rassepferde» geben. Bei diesem Operations¬ 
verfahren werden die Niederziebermuskeln 
des Schweifes entweder nur einfach durch¬ 
schnitten, oder es wird ein grösserer oder 
kleinerer Theil herausgeschnitten, um so die 
Wirksamkeit der . Aufhebemuskeln zu ver¬ 
stärken. Häufig pflegt man mit dem Engii¬ 
siren die Amputation (Coupiren) eines Stückes 
vom Schweife zu verbinden, wodurch das 
Höhertragen desselben wesentlich begünstigt^ 
wird. 

Dicsfr Operation soll, schon im Mittel- 
alter üblich gewesen sein, wenigstens das 
Durchschneiden der Muskel, Das eigentliche 
Engiisiren aber, bei welchem operativen Ver¬ 
fahren ein Theil der Muskeln ausgeschnitten 
wird, ist zuerst in England ausgeführt worden, 
zur Zeit als das Vollblutpferd erzeugt wurde 
und man edle Pferde aus Spanien und dem Orient 
nach England einführte. Man wollte den ge¬ 
meinen Pferden das Aussehen der durch Blut 
verbesserten Pferde geben. Erst in der zweiten 
Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde diese 
Operation auch in Frankreich, Deutschland 
und in den anderen europäischen Staaten 
eingeföhrt. Dieselbe war vielfach eine Mode¬ 
sache und wurde bei Wagenpferden öfter als bei 
Reitpferden vorgenommen; sowohl der Züchter 
als der Händler mussten, des leichteren Absatzes 
ihrer Pferde wegen, ihre Zuflucht zu derselben 
nehmen. In neuerer Zeit ist durch Veredlung 
der Pferde mittelst orientalischer und engli¬ 
scher Zuchtthiere das Engiisiren und Coupiren 
weniger erforderlich geworden: auch hat die 
Mode sich dalnn geändert, dass man jetzt den 
Schweif lieber geradeaus und im Bogen ab¬ 
wärts fallend, als in einem stumpfen Winkel 


scharf in die Höhe gestreckt zu sehen wünscht. 
Das Herabhängen des Schweifes ist theils 
natürliche Folge seiner Schwere, theils die 
Wirkung der herabziehenden Muskeln; das 
Hinaufziehen und also das Hochtragen des 
Schweifes wird durch die Aufhebemuskeln be¬ 
wirkt; ist die Rübe leicht, nicht besonders 
lang und blos mit feinen Haaren besetzt, so 
braucht die Kraft der aufliebenden Muskeln 
nicht gross zu sein, um den Schweif wenig¬ 
stens zeitweise.wagrecht zu halten; wenn aber 
das Ge^entheil stattfindet, so reicht die Wir¬ 
kung jener Muskeln nicht aus, um dem Schweif 
die verlangte Richtung zu geben, und man ist 
genöfhigt v auf operativem Wege nachzuhelfen, 
theils indem man die Wirkung der abziehenden 
Jluskeln verringert, theils indem man das Ge¬ 
wicht des Schweifes durch Coupiren vermin-" 
dert. Es kommt diese Nothwendigkeit oft bei 
den Kreuzungsproducten Norddeutschlands 
und dem sog. Norfolkschlage vor, wo Kruppe 
und Schweifansatz gut sind, aber die Kraft 
'fehlt, um den Schweif aufrecht zu tragen; 
zur Sicherung des Erfolges der^ Operation ist 
das Vorhandensein einer Neigung zum Schweif¬ 
tragen unerlässlich, was sich am besten beur- 
theilen lässt, wenn das Thier im Trabe vor¬ 
geführt oder geritten wird; je nachdem es 
den Schweif mehr oder weniger in die Höhe 
hebt, ist der Erfolg der Operation zu bcur- 
theilen und 'die Operationsmethode sowie die 
Zahl und Entfernung der Schnitte u. s. w. zu 
bestimmen. Hoffnung auf Erfolg fehlt gänz¬ 
lich bei gemeinen, schlaffen, phlegmatischen 
Pferden, bei Thieren mit abschüssiger Kruppe 
und bei schlechtem, tiefem Schweifansatze. 
Zu vermeiden ist die Operation bei nicht ganz 
gesunden Thieren. 

Die Anatomie der Schweifrübe des Pferdes 
ist aus dem Durchschnitt derselben leicht auf- 
^ufassen; die Grundlage bilden die Schweif¬ 
wirbel, welche die Fortsetzung des Kreuzbeins 
sind und allmälig an Grösse abnehmen, so 
dass die letzten das Aussehen eines Wirbels 
verlieren. Mit ihnen laufen Nerven vom Ende' 
des Rückemharks und mehVere Blutgefässe, 
die vom Kreuzbein herkommen. Rings um den 
Schweifwirbel sind die Muskeln ungelegt; 
diese bilden auf jeder Seite drei Partien; die 
eine zieht den Schweif in die Höhe, die andere 
zieht ihn herab, und die dritte veranlasst die 
Seitenbewegungen, wenn eine derselben allein 
wirkt, oder aber zieht ihn ebenfalls kräftig 
abwärts, wenn beide Muskeln zugleich wirken. 
Eine starke fibröse Scheide überzieht die 
sämmtlichen Schweifmuskeln (Fig. 473*u. 474). 

Die Operation kann am stehenden Thiere 
vorgenommen werden, nachdem die Hinter- 
füsse desselben gespannt worden sind, oder 
man legt das Pferd auf die linke Seite. Vor 
der Vornahme des Schnittes werden die Haare 
des Schweifes so eingeflochten, dass sie auf 
dem Rücken der Rübe einen Zopf bilden, der 
sich unten in zwei Aeste theilt, an deren 
äusserstem Ende je eine Schleife angebracht 
ist, welche zum Aufhängen des. Schweifes in 
die Rollen oder zum Anbinden an die Rücken 
gurte benützt wird. Soll nach der Operation 


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552 


ENGLISIREN. 




der Schweif in Rollen gehängt werden, so 
müssen am Plafond gerade über dem Pferde¬ 
stande, u. zw. in der Mitte desselben, die 
Rollen angebracht werden, die eine am hin- 


Fig. 473. Schweifmuskel des Pferdes, a oberer Kreuzbeimnuskel des Schweifes, b Seitenkreuz- 
beinmnukel des Schweifes, c unterer Kreuzbeimnuskel des Schweifes, d Gesässbeinmuskel, 
t» Kreismuskel des Afters, f Hebemuskel dos Afters, g Schliessmnskel der Scheide. 


Fig. 474. SchweifstQck vom Pferde, an der Verbindungs¬ 
stelle zweier Wirbel getrennt, in welchem die eröffneten 
Blutgefässe sichtbar sind. 


teren Ende des Standes, hinter der Krappe 
des Thieres, die andere nahe an der Wand 
des Stalles, wo die Gewichte ungehindert auf- 
und abziehen können (Fig. 475); diese Rollen 

sollen bei einem 
Durchmesser von 
5 bis 6 cm eine 
Dicke von 15 mm 
haben und müs¬ 
sen am Umkreise 
eine tiefe Furche 
haben, in welche 
sich die Schnur 
legt;dieseSchnur 
soll ca. 2 mm 
Dicke haben, 
ohne Knoten und 
so lang sein, dass 
sie, vom Schweife 
des Pferdes über 
beide Rojlen lau¬ 
fend, so weit ge¬ 
gen den Boden 
reicht, dass sie 
selbst noch frei spielen kann, wenn das Pferd 
sich niederlegt. Das passendste Gewicht ist 
ein Sack mit Sand von 1—2 kg. Bei kitzlichen 
Pferden ist es rathsam, den Schweif schon einige 
Tage vof der Operation in die Rollen einzu¬ 
hängen, um dieselben daran zu gewöhnen; auch 
ist es gut, dann das Gewicht etwas stärker zu 
halten als nach der Operation. Statt der im 
Stalle befestigten Rollen zum Aufhängen des 
Schweifes hat Brogniez einen auf dem Pferde 
selbst ruhenden Apparat angegeben, durch 
welchen man den Schweif in die Höhe ge¬ 
richtet erhalten kann (Fig. 476). 

Die Methoden des Schweifmuskelschnittes 
bestehen in dem offenen oder subcutanen 
Schnitt. Das erste, ältere Verfahren hat den 



Fig. 475. Ein Pferd nach der Methode von Poulie ausgebundeu. 





ENGLISIREN. 


o53 


Vortheil grösserer Wirksamkeit und Sicher¬ 
heit, weil man die zu durchschneidenden Tlioile 
vor den Augen hat: dagegen erfordert die Hei¬ 
lung längere Zeit und hat oft gefährliche 


Folgen. 


der Entfernung des Afters zu bestimmen, ist 
nicht zweckmässig, weil der After bald mehr, 
bald weniger tief liegt. Man kann nun ent¬ 
weder zuerst die Haut und hierauf erst den 
Muskel durchschneiden, oder die Durchschnei¬ 
dung der Haut und des 
Muskels mit einem einzigen 
Schnitte gleichzeitig vollfüh- 
ren (Fig. 478). Früher durch- 
«w schnitt man die Haut der.gan- 

tt zen Breite des Schweifes von 

ySja_ dem behaarten Rande einer 

x 11 Seite zu jenem der anderen 

jr Seite. Heute wird viel zweck- 

Wßa ^ massiger die mittlere Partie 

geschont, und man zerschnei- 
jl * * det die Muskeln einer jeden 

^ i'I Seite von innen nach aussen, 

' m indem man das Messer an der 

'yW unteren Seite des Schweifes 

l¥ einsticht, so dass der Kücken 

\ der Klinge gegen die Wirbel 


Fig. 476. Befestigung des Schweifes nach der Methode von Brogniez. gekehrt ist, all denen das 

Messer bis gegen den äusseren 

Der offene Schnitt wird entweder quer Rand vorgeschoben und dort ausgestochen wird; 
oder der Länge nach ausgeführt, oder es werden Haut und Muskel werden sodann mit einem Zuge 
beide in Verbindung gebracht. Für den Quer- durchschnitten. Ist die erforderliche Anzahl 


schnitt bedient man sich am besten eines 
dem Gartenmesser ähnlich gebogenen spitzen 
Bistouris (Fig. 477), dessen schneidender Theil 
der sonst starken Klinge nur ca. 2 cm lang 
ist, der hintere gleich lange Theil der Klinge 



Fig. 477. Gebogenes Bistouri zum subcutanea .Schweif¬ 
muskelschnitt. 

aber feilenartig eingeschnitten ist: ausser¬ 
dem braucht man noch ein convexes Bistouri, 


von Schnitten (gewöhnlich zwei, selten drei) 
gemacht, so fasst man die in der ersten, bei 
drei Schnitten auch noch in der zweiten Wunde 
vorspringenden Muskelenden, während man 
gleichzeitig durch den Gehilfen einen Druck 
zwischen beiden Wunden ausüben lässt, mit 
der Pincette oder mit dem scharfen Haken, 
zieht sie etwas hervor und schneidet sie 
mit dem Bistouri oder mit der Scheere ab, 
wobei man darauf zu sehen hat, dass in 
je einander entsprechenden Schnitten gleich¬ 
grosse Stücke des Muskels entfernt werden, 
widrigenfalls Schieftragen des Schweifes er¬ 
folgen könnte. Sind die Muskcltheile entferrit. 


einen scharfen Haken oder eine Pincette, end¬ 
lich Verbandapparate, wie Werg, eine schmale 
Binde und dann einen etwa 3 dm langen. 
1 dm dicken, in der Mitte gebundenen und 
daselbst geknickten Strohbauschen. Wird die 
Operation stehend vorgenommen, so stellt 
sich der Operateur hinter das Pferd und zu¬ 
gleich unmittelbar an den linken Hinterfass, 
beugt den mit der linkeu Hand von obenher 
erfassten Schweif etwas nach vorne über 
und hält ihn, den linken Vorarm fest auf 
die linke Seite der Kruppe gestützt, wäh¬ 
rend der Operation in dieser Weise. Wird 
die Operation im Liegen vorgenommen, so 
kniet der Operateur entweder an dem Hinter¬ 
schenkel, während ein Gehilfe an der 
Kruppe kniet und den Schweif vom Leibe 
abzieht: er kann auch selbst an die Kruppe 
sich stellen und den Gehilfen an die Hinter¬ 
schenkel setzen; in jedem Falle hält der 
Operateur den Schweif mit der linken Hand 
neben den Händen des Gehilfen. Der erste 
Querschnitt soll an der Stelle, wo die Haut 
des dritten Einwärtsziehers des Schenkels an 
den Schweif tritt,»gemacht werden: der zweite 
und wenn nötliig dritte Schnitt je 4 cm weiter 
rückwärts. Den ersten Schnitt nach dem Masse 



?ig. 47S. Offener Schweifrauskelschnitt. n Längsschnitt, 
b T-fÖrmiger Schnitt, c Querschnitt. 






554 


ENGL1SIREN. 


so legt man in jede Wunde, nachdem das 
Blut ausgedrückt worden, kleine, mit ver¬ 
dünntem Weingeist und etwas Carbolsäure 
angefeuchtete Wergbäuschchen bringt auf 
diese ein grösseres Bäusclichen und erhält 
dieselben mittelst des oben erwähnten Stroh- 
bauschens, welchen man mit Binden in der 
Lage festhält. Hering hat ganz besonders 
empfohlen, zuerst die Haut einzuschneidön, 
und 4 jiacht selbst diese Schnitte mit dem ge¬ 
ballten Bistouri von einem behaarten Rande 
des Schweifes zum andern; hierauf biegt 
er den Schweif etwas mehr ab, um die 
Muskeln deutlicher vorspringen zu lassen, 
durchschneidet mit einer gewöhnlichen und 
starten Lanzette zuerst den linken, dann den 
rechten Niederzieher und trachtet dabei so¬ 
wohl die mittleren als auch die seitlichen 
Gefässe unverletzt zu erhalten. Sind sämmt- 
liche Schnitte in gleicher Weise ausgeführt, 
so werden die vorspringenden Muskeln ab¬ 
geschnitten, in jede Wunde ein kleiner feuchter 
Wergbauschen und daneben ein grösserer 
trockener Wergbauschen gelegt und mit 
eitlem etwa drei Finger breiten Leinwand¬ 
streifen auf dem Rücken des Schweifes mässig 
festgebunden. Den Strohbauschen hält Hering 
für überflüssig, da das Band so locker ist, 
dass es selbst bei eintretender Anschwellung 
des Schweifes nicht drückt. 

Statt des Querschnittes ist von Pilger, 
Delafond und Anderen' der Längenschnitt an¬ 
empfohlen worden, nach welchem die Heilung 
viel rascher und mit geringerer Narbenbil¬ 
dung erfolgen soll, was jedoch nicht immer 
der Fall ist. Diese Methode 
besteht darin, dass auf der 
Mitte eines jeden der bei¬ 
den unteren Schweifmuskeln 
ein Längenschnitt von 8 bis 
l(Tcm durch die Haut geführt 
wird: dieser Schnitt fängt an 
derselben Stelle an, wo bei 
der oben beschriebenen Me¬ 
thode der erste Querschnitt 
stattfindet. Nachdem die Haut 
getrennt worden, schneidet 
man den blossgelegten Mus¬ 
kel mit einem gekrümmten 
Messer (Fig. 4-79) von innen 
nach aussen ab, indem man 
das Messer zwischen den Mus¬ 
kel . und den Knochen zu 
schieben sucht und nach aus¬ 
wärts schneidet. Die Wun¬ 
den werden mit länglichen 
Wergbauschen auf die ge¬ 
wöhnliche Weise verbunden. 

Einfach erwähnen wollen 
wir jenes Verfahren, bei wel¬ 
chem sowohl Quer- als Län¬ 
genschnitt gemacht werden; 
dieses besteht darin, dass man 
von der Mitte eines jeden 
Querschnittes einen kurzen, 
nach rückwärts gerichteten 
LSnsensclmitt ’ macht oder Fi 47f) Myotenü . 
zwischen je zwei Schnitten tom. 


die Haut der Länge nach spaltet, so dass 
.die Wunde im ersten Fall die Form eines T, 
im zweiten die eines T bekommt und man 
grössere Stücke des SFuskels herausnehmen 
kann. 

Nach der Operation mit offenen Wunden ^ 
wird das Pferd im Stall zwischen zw r ei eng-" 
gerichtete Latierstangen gestellt, der Schweif 
aber erst nach 12 Stunden «md immer schief 
nach rückwärts in die Rollen aufgehängt. 
Schon nach einigen Stunden muss jedoch der % 
Verband gelockert werden, was um so nöthiger 
ist, wenn eine starkp Blutung stattgefunden 
hat; ist ein Strohbauschen benützt worden, 
so geschieht die Auflockerung durch Heraus¬ 
ziehen von Halmen; wenn kein Strohbauscdien - 
gebraucht wurde, so kann man, wenn Druck • 
zu befürchten ist, die Knoten der Binde etwas 
aufziehen. Den Verband selbst nimmt man erst * 
nach 24 Stunden ab und bringt neue Werg¬ 
bauschen in die Wunden, nachdem die anderen 
mit Vorsicht und nach gehöriger Anfeuchtung 
entfernt worden sind. Der Verband bleibt, bis 
die Heilung eingetreten ist, also mindestens 
14 Tage. Die operirten Pferde kann man 
schon in der zweiten Nacht liegen lassen, 
wenn der Schweif gehörig aufgehängt bleibt; 
er§t am fünften oder sechsten Tage kann man 
den Schw T eif während der Nacht herabhängen 
lassen.- Von derselben Zeit ^n sind auch 
die Thiere täglich zu bewegen und nach und 
nach immer mehr. Der Schweif braucht nicht 
während des Umherführens aufgehoben zu 
werden, denn in der kurzen Zeit, während 
welcher der Schweif herunterhängt, ist eine 
Verengerung der Wunde nicht zu befürchten. 
Soll einem Pferde, welchem der Muskelschnitt 
gemacht wurde, ausserdem ein Stück des 
Schweifes abgeschlagen werden, so nimmt 
man diese letzte Operation erst nach ‘Ver¬ 
heilung der durch den Schnitt entstandenen - 
Wunde vor. 

Als eine zwischen dem offenen und dem 
subcutanen Schnitte anempfohlene Englisir- 
methode ist die von Brogniez (vgl. Fig. 480) 
zu erwähnen; er drückt mit einem ifieissel- 
förmigen Messer (Dermatom) auf jeder Seite 
zwei oder drei je 25 cm lange Ocffnungen in die 
Haut der Länge nach ein, durch welche er ein 
sichelförmiges geknöpftes Messer (Myotom) 
einführt und um den Muskel herum bringt, 
welcher sofort von innen nach aussen abge¬ 
schnitten wird; nachdem dies in jeder der 
Wunden geschehen ist, zieht man die Muskel¬ 
stümpfe mit einerPincette hervor und schneidet 
sie ab. Ein eigentlicher blutstillender Ver¬ 
band ist nicht nötliig, und, wie oben schon 
gesagt, hat Broginez statt der im Stalle be¬ 
festigten Rollen zum Aufhängen des Schweifes 
einen- auf dem Pferde selbst ruhenden Schweif¬ 
träger angegeben, durch welchen man den 
Schweif in die Höhe gerichtet erhalten kann. 

Das subcutane Englisiren hat wesentliche 
Vorzüge darin, dass es einfacher ist und 
keine offene Wunde hinterlässt, somit ausser 
dem ersten Verband keine weitere Behand¬ 
lung nöthig macht. Dagegen bewirkt diese 
Methode weniger sicher-das höhere Tragen 


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ENGLISIREN. 


des Schweifes und eignet sich somit liur für 
solche Thiere, die durch ihren Schweif¬ 
ansatz und sonstige Eigenschaften schon Nei¬ 
gung zum Tragen haben, nur den Schweif 
nicht hoch genug halten. Zu dem subcutanch 



Fig. 4«0. Darstellung des subcutanea öchweifmuskel- 
schnittes und die hiezn verwendeten Instrumente nach 
Brognioz. 


Schnitte braucht man ein spitzes Tenotom 
für den Stich durch die Haut und ein sensen¬ 
förmig gekrümmtes Tenotom mit stumpfer 
Spitze und schmaler Klinge (Fig. 481); Hering 
empfiehlt selbst, dass dieses gekrümmte Teno¬ 
tom nur auf der vorderen Hälfte der Klinge 
schneiden soll. Der Operateur macht mit dem 
spitzen Tenotom dicht am oben liegenden be¬ 
haarten Rande, an der Stelle, wo sonst der erste 
Querschnitt stattfindet, einen kleinen Stich der 



Fig. 461. Gerades und gekrümmtes Tenötoui. 

Länge nach durch die Haut; hierauf schiebt 
er das stumpfe Tenotom flach durch die Haut¬ 
wunde,mit demFinger der linken Hand fühlend, 
unter die Haut bis zur Mittellinie des Schweifes: 
nun wird das Messer auf die Schneide ge¬ 
wendet und*mit demselben untergleichzeitigem 
stärkeren Zurückbiegen des Schweifes der ge¬ 
spannte Niederzieher in Zügen durchschnitten, 
bis das Messer durch den Widerstand, den 
es antrifft, anzeigt, dass es am Knochen an¬ 
gekommen ist. Während das Messer den Mus¬ 
kel durchschneidet, fühlt man unter dem an¬ 
gelegten Finger der linken Hand das Krachen 


und Zurückweichen der getrennten Muskel¬ 
bündel und sehnigen Thcilc. Es ist wesentlich, 
dass sie vollständig durchschnitten werden. 
Um den Muskel der anderen Seite durchzu¬ 
schneiden, wird ebenso verfahren wie rechts. 
Es wird gewöhnlich nur ein Schnitt und dieser 
möglichst nahe am Schweifansatz gemacht; 
sollte ein zweiter Schnitt nöthig erscheinen, 
so macht man ihn etwa 5 cm hinter dem.ersten. 
Nachdem die Muskeln auf beiden Seiten durch¬ 
geschnitten sind, drückt man das in der Lücke 
an gesammelte. Blut durch die Wunde heraus, 
legt einen kleinen Wergbausch auf die 
operirte Stelle und bindet ihn ziemlich fest 
auf. Der Schweif wird sofort in die Rolle ge¬ 
hängt, der Verband nach 1*2 Stunden gelockert, 
nach 24 Stunden erneuert und dann 2 bis 
3 Tage unberührt gelassen. Nach dieser Zeit 
ist ein Verband unnöthig geworden, indem 
man die Stichwunden kaum mehr sieht; der 
Schweif soll jedoch 14 Tage in den Rollen 
bleiben. 

Das Englisiren hat sehr leicht nachtheilige 
und selbst sehr üble Folgen, und Hering 
spricht selbst von einer Sterblichkeit von 
4% in Folge dieser Operation; wenn sie 
nicht selbst ausser Mode gekommen wäre, 
so wäre eine so grausame Operation, wie 
sie Gonatt nennt, einfach zu verbieten. Häufig 
kommen Blutungen vor in Folge der Ver¬ 
wundung der seitlichen oder mittleren Schweif¬ 
arterien, was bei offenem Schnitte oft -der 
Fall ist. Passender Druck durch festeres 
Anlegen der Binden genügt in den meisten 
Fällen: auch hört meist die Blutung durch 
das Aufhängen des Schweifes auf, wo man 
dann das Gewicht am andern Ende der Rollen¬ 
schnur verstärkt: es darf jedoch diese Span¬ 
nung des Schweifes nicht zu lange dauern, 
weil sonst Brand zu befürchten wäre. Man 
kann auch sonstige blutstillende Mittel ge¬ 
brauchen und muss selbst im Nothfalle die 
Unterbindung der Arterie vornehmen. Brüche 
des Schweifes können von zu starkem Zurück¬ 
biegen entweder während der Operation ent¬ 
stehen, wenn das Thier rasch das Hintertheil 
einzieht, oder später beim Aufhängen durch die¬ 
selbe Veranlassung, besonders wenn beim 
Schnitt die Knorpelschichte zwischen zwei 
Wirbeln verletzt worden ist. Hiegegen ist das 
horizontale Aufhängen des in einer festen Rinne 
liegenden Schweifes anzurathen. Des Eindrin¬ 
gen von Luft in die Venen und dadurch herbei¬ 
geführter Tod ist von Loiset und Brogtiiez 
beobachtet worden. Mehr oder weniger heftige 
Entzündung der Schweifrübe, Schrunden 
und Geschwüre an der Wurzel aes Schweifes, 
Ausfallen der Haare kann durch zu nahe an* 
einander angebrachte Schnitte, durch zu festen 
Verband, durch Warmhalten oder Befeuchten 
der Wunde, durch zu schwere Gewichte an 
den Rollen, ja oft durch nicht fassliche Ursachen 
erzeugt werden; der Brand kann eintreten 
und das sowohl unter der Form des heissen 
als auch des kalten Brandes. Caries der 
Schweifwirbel, Schweiffisteln, selbst Absces^c 
am Schweife und am Mastdarm sind oft be¬ 
obachtet worden. Starrkrampf ha£ sich auch 





556 ENKATARRHAPHIE. — ENTERON. 


zuweilen eingestellt, aber immer 8 —14 
Tage nach der Operation. Endlich kann ein 
sclüechtes oder schiefes Tragen des Schweifes 
Vorkommen: es wird dies durch fehlerhaftes 
Operiren oder durch unzweckmässige Nach¬ 
behandlung bedingt. Ist die Operation gut 
ausgefallen, so tragen die Pferde, wenn sie 
zum erstenmale nach erfolgter Heilung vor¬ 
geführt werden, den Schweif meist anscheinend 
etwas zu hoch, indes dauert dies nur so lange, 
bis die Narbe sich stärker zusammengezogen 
hat, und der Schweif erhält s<^iliesslich die 
gewünschte Richtung. Zundel. 

Enkatarrhaphie (v. £yxatapsaictesv, ein¬ 
nähen), das Einnähen, Vergraben fremder 
Körper in normales Gewebe. Sussdorf. 

Enkausis, yj eyxaoasc (von £yxa:6iv, ein- 
brennen), das tiefe Einbrennen, die Anwen¬ 
dung des Brenncylinders. Sussdorf. 

Enkephal 08 r 6 $yxs<paXos (von Iv und 
iJj xecpaX-q, Kopf) sc. •jlosXo^, das im Kopf be¬ 
findliche Mark, Gehirn; davon das Adj. enke- 
phalodes, hirnähnlich, und die Composita: 

Enkcphalochysis, acute Gehirnentzün¬ 
dung mit Wassererguss in das Hirn; 

Enkeph^aloedema, Gehirnödem; 

E n k e p h*a 1 o k e 1 e, Hirnvorfall; 

Enkephalolithiasis, Steinbildung im 
Hirn; 

Enkephalomalakia, Enkephalomala- 
kosis, Hirnerweichung; 

* Enkephalomeningitis, Hirnhautent¬ 
zündung; 

Enkephalopathia, Hirnleiden; 

Enkephalophyma, Hirntumor; 

Enrkephalorrh a ch i o m e n i n g i ti s, 
Hirn-Rückenmarkshautentzündung; 

Enkephaloseismos, Gehirnerschütte- 
rung; 

Enkephalotomia, Enthirnung als ge¬ 
burtshilfliche Operation; 

Enkephalotyphos, Gehirntyphus; 

Enkephalozoa, 1. Thicre, die ein Ge¬ 
hirn besitzen, 2. Hirnparasiten. Sussdorf 

Enorchismus (abgel. v. sv und ij opyts, 
Hode), vgl. Kryptorchismus. Sussdorf 

ensiformis (ensis, Schwert, forma, Gestalt), 
schwertähnlich, z. B. cartilago ensiformis, der 
Schwertknorpel des menschlichen Brust¬ 
beines. Sussdorf. 

Ensilage (Aufspeicherung). Empfiehlt sich 
besonders dem indischen Ackerbauer als ein 
Mittel, durch welches er das für seinen Vieh¬ 
stand zu dessen Unterhalt nöthige Futter 
während der acht oder neun Monate des 
Jahres .aufspeichern kann, in welchen das 
durch die Hitze vertrocknete Erdreich nichts 
hervorbringt. Versuche in dieser Richtung 
wurden gemacht nicht blos zu Nutz und 
Frommen der Eingebornen, sondern auch der 
Regierung selber, welche für den Unterhalt 
von einigen tausend Pferden während der 
heissen Jahreszeit Vorsorge zu treffen hat. 
Diese Versuche haben sich als sehr erfolgreich 
erwiesen, selbst dort, wo der Silo höchst ein¬ 
fach war, ein blosses in den Boden gegrabenes 
Loch mit keinerlei Mauerauskleidung. Die 
Frage der Ensilage wird gegenwärtig von der 


indischen Regierung in ernste Erwägung ge¬ 
zogen, und es waltet kein Zweifel ob, dass in 
den kommenden Jahren sowohl für den Land- 
wirth als für die Regierung durch die An¬ 
wendung eines Systems, das sich als höchst 
praktisch erwiesen hat, unschätzbare Vortheile 
erwachsen werden (s. a. u. Einsäuern). Smith. 

Enstrophe (von Evatps'fEiv), die Einwärts¬ 
drehung = JPronation. Sussdorf. 

Entarteritis, s. Arteriosclerose. 

Entarthrochondros (abgel. von svto?, 
innerhalb, xo apfrpov, Gelenk, 6 ydväpo?, Knor¬ 
pel), Zwischengelenksknorpel. Sussdorf 

entarthroticus (abgel. von evtd$, inner¬ 
halb, und t b apO-pov, Gelenk), innerhalb eines 
Gelenkes befindlich, z. B. cartilagines entar- 
throticae, Zwischengelenksknorpel. Sussdorf. 

Entartung, s. Degeneration. 

Ente und Entenzucht, s. Geflügel und 
Geflügelzucht. 

Enteritis besteht in einer entzündlichen 
Affection sämmtlicher Darmhäute; ist nur die 
Darmschleimhaut von der Entzündung er¬ 
griffen, so pflegt man den Zustand nicht als 
Enteritis oder Darmentzündung, sondern als 
Darmkatarrh zu bezeichnen (s. „Darmkatarrh“ 
und „Darmentzündung“). Anacker . 

Enterocoelier (abgel. von xo svtspov,Darm. 
und xgTXos, hohl, daher Coelom, Leibeshöhle) 
nennt A. Hertwig die Gesammtheit jener 
Thiere (Würmer [exclusive Plathelminthen], 
Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten), 
bei welchen das Coelom (Pleuroperitoneal¬ 
höhle, Perivisceral- oder Leibeshöhle) durch 
Ausstülpung des Urdarms (daher Enterocoel, 
Huxley) als dessen anfangs paariger, diver¬ 
tikelartiger Anhang entsteht, welcher sich 
später jederseits von dem Darmrohr abschnürt 
und ventral von demselben mk dem gegen¬ 
seitigen zu einer einheitlichen Höhle zusam- 
menfliesst. Gleichzeitig mit der Coelombildung 
kommt es auch zur Bildung des Mesoblasts, 
der durch Aussackung des Hvpoblasten, theils 
diesem (Darmseitenplatte, Splanchnopleura), 
theils dem Epiblast (Körperseitenplatte, So- 
matopleura) sich anlegend, so die directe 
Umscheidung des Coeloms übernimmt. Nicht 
nur diese Eigenthüralichkeit, sondern auch 
noch zahlreiche andere, wie die secundäre 
Entwicklung des Blut- und Lymphgeftiss- 
systems als Spalten- und Röhrensystem in 
dem zum Mesenchym heranwuchernden Meso- 
blasten, ferner die Entwicklung des willkür¬ 
lichen Muskelsystems aus den Epithelzellen 
der Somatopleura, des Nervensystems aus 
Epiblastzellen, der Genitalorgane aus den 
Epithelien der Leibeshöhle etc. etc., stellen 
die Enterocoelier den sog. Schizocoeliern (s. d.) 
als einen zur Zeit noch ganz principiell ver¬ 
schiedenen Typus gegenüber. Sussdorf. 

Enteron, a, t b svteoov (von evtos, inner¬ 
halb), Darm, Eingeweide, davon 

Enteraden, Darmdrüse; 

Enteraörektasia, Ausdehnung der 
Därme durch Gas, Flatulenz, Meteorismus; 

Enteralgia, Darmschmerz, Kolik: 

Enterangemphraxis (abgel. von fvte- 
pov, Darm, 6 ayyo;, Geföss, und vj s{i.®pa£ts, 


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ENTFERNTE WIRKUNG DER ARZNEIMITTEL. — ENTOZOOEN. 557 


Verstopfung), Verstopfung, Embolie der Darm- 
gefässe; 

Enterechema (abgel. vonevnpov, Darm, 
und xb Ton), Darmgeräusch; 

Enterektasis, Darmausweitung, Auf¬ 
blähung; 

Enterelkos, Darmgeschwür; 

Enterelesia, Enterelosis (abgel. von 
evtspov, Darm, und eketv, etXstv, wickeln), 
Darmverschlingung; 

Enterembole, Darminvagination; 

Enteremphraxis, Darm Verstopfung; 

Enterepiplokele, Darm- und Netz- 
bruch zugleich: 

Enterepiplomphalokele, Darmnetz¬ 
bruch durch den Nabel: 

Entereupepticum, sc. remedium, die 
Darmverdauung beförderndes Mittel; 

Enteritis, Darmentzündung; 

Enterobubonokele, Darmleistenbruch; 

Enterokatarrhus, Darmkatarrh; 

Enterokele, Darmbruch; 

Enterokentesis, Darmstich; 

Enterogastrokele, Darmmagenbruch; 

Enteroklysma, Darmklystier; 

Enterolithiasis. Darmsteinbildung; 

Enterolithos, Darmstein; 

Enteromerokele (abgel. von Ivtepov, 
Darm, 6 p.irjpo's, Schenkel, und yj y.TjXy;, Bruch), 
Schenkeldarmbruch; 

Enteromphalokele (abgel.von evtspov, 
Darm, 6 XjxcpaXo?, Nabel, und yj ktqXt,, Bruch), 
Nabeldarmbruch; 

Enteromykoderm a, Darmschleimhaut: 

Enteromykodermitis, Darmschleim¬ 
hautentzündung; 

Enteromyiasis, Ansiedlung der Brem¬ 
senlarven im Darm; 

Enteronkos, Darmgeschwulst; 

Enteroparalysis, Darmlähmung; 

Enteropathia, Darmleiden; 

Enterophlogosis, Darmentzündung; 

Enterophthisis. Darmschwindsucht; 

Enteropncumatosis, Darmaufblähung 
durch Gase; 

Enterorrhagia, Darmzerreissung; 

Enteroscheokele (abgel. von evtspov, 
Darm, 6 &3/os, Hodensack, und ij *f { \r r 
Bruch), Darm-Hodensackbruch; 

Enteroscirrhus, Darmkrebs; 

Enterospasmos, Darmkrampf; 

Enterosphigme, Darmeinklemmung; 

Enterostenosis, Darm Verengerung; 

Enterotoinia, Darmschnitt; 

Enterotyphos, Darmtyphus; 

Enterozoon, Darmparasit, sowie jedes 
mit Verdauungsschlauch ausgestattete Thier; 

Enterydrokele, Darm- und Wasser¬ 
bruch zugleich. Sussdorf. 

Entfernte Wirkung der Arzneimittel. Bei 
allen Medicamenten kann man eine örtliche 
Wirkung (Actio localis) von einer entfernten 
Wirkung (Actio remota) unterscheiden, je 
nachdem der wirksame Stoff am Orte der 
Application seinen Einfluss auf die Gewebs- 
bestandtheile geltend macht oder erst nach 
zuvoriger Aufnahme in die Circulationsorgane 
diesen in entfernten Organen urtd Systemen, 


wohin er eben mit dem Blut gelangt, ent¬ 
faltet. Hienach wären die entfernten Wirkungen 
identisch mit den Resorptionswirkungen, es 
werden jene jedoch zuweilen auch durch das 
Nervensystem vermittelt und nicht aus¬ 
schliesslich durch den Kreislauf. Zu den in- 
directen Wirkungen letzterer Art gehören 
z. B. die reflectorischen Wirkungen, entstanden 
zufolge der nervösen Verbindungen und der 
sympathischen Beziehungen der Organe unter 
einander; ebenso haben die chirurgischen, 
mechanischen Mittel, die meisten Brech- und 
Abführmittel, die Antiseptica, hautreizenden 
Mittel u. s. tf. eine reflectorische und entfernte 
Wirkung, ohne resorbirt worden zu sein, im 
Ganzen aber kommt es allerdings am häufigsten 
zu entfernten Wirkungen durch Aufsaugung 
der betreffenden Stoffe in das Blut. Vogel. 

Enthelminthes (abgel. von ivxdc, inner¬ 
halb, und -q IX|uv;, Wurm), die Eingeweide¬ 
würmer, Entozoa. Sussdorf. 

Entokele (abgel. von Ivxo«;, innerhalb, und 
rj Bruch), der innere Bruch (eines 

Theiles in einem anderen). Sussdorf. 

Entomiasis (abgel. von evxopos [£vxep.vstvl, 
eingeschnitten, sc. Ctpov = Insect), eine durch 
Insecten erzeugte Krankheit Sussdorf. 

Entoparasitica heissen jene Arzneistoffe, 
welche die im Innern des Körpers sich auf¬ 
haltenden Schmarotzer zu tödten oder wenig¬ 
stens zu vertreiben im Stande sind (s. Anti- 
parasitica). Vogel. 

Entophyton (abgel. von ivxo's, innerhalb, 
und t h cpoto'v, Pflanze), jeder pflanzliche im 
Innern des Körpers vegetirende Parasit. Sf 

Entorgani8mtJ8 (abgel. von mdg, inner¬ 
halb, und Organismus) ganz allgemeiner Aus¬ 
druck für Lebewesen, welche in anderen, also 
parasitisch leben. Sussdorf. 

Ent08omia (abgel. von Ivxo's, innerhalb, 
und xb oÄp.a, Leib), die Verwachsung zweier 
Körper mit einander. Sussdorf. 

Entosthia, Eingeweide = Intestina. Sf. 

Entotorrhoea (abgel. von £vxo$, inner¬ 
halb, xb obz, «rco's, Ohr, und y] £o*q, Fluss), 
der Ohrenfluss, welcher nach innen geht oder 
von innen kommt. Sussdorf. 

Entoxici8mu8 (abgel. von ev, in, und xb 
xo{’.xov, Gift), Vergiftung = Intoxicatio. Sf. 

Entoiaena (abgel. von svxo's, innerhalb, 
und xb oCatva Nasengeschwür, Rotz), der 
eigentliche Rotz (Lungen- und Nasenrotz). Sf. 

Entozooen sind bei Hausthieren in Indien 
nichts Seltenes. Bei den Pferden kommen 
ausser den gewöhnlichen Parasiten dieses Thieres 
noch Ampnistomen vor, welche die grossen 
Eingeweide bewohnen und häufig viel Unheil 
anrichten. Junge australische Pferde werden 
nach ihrer Ankunft in Indien vielfach von 
Ascariden geplagt, welche Schwächezustände 
verursachen und manchmal durch Perforation 
des Darmes den Tod herbeiführen können. 
Der Palissadenwurm und Taenia perfoliata 
sind nicht ungewöhnlich; auch sind mir bei 
Pferden Lebcregeln vorgekommen. Bei den 
Rindern ist Amphistoma conicum äusserst häufig. 
Es gibt nur wenige unter den zum mensch¬ 
lichen Genüsse geschlachteten Schafen und 


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558 ENTOZOON. - 

Kindern, welche nicht in grösserem oder ge¬ 
ringerem Masse mit Entozooen behaftet sind. 
Echinococcus Veterinorum kommt weitaus- am 
häufigsten vor. Cysticercus bovis ist in einigen 
Theilen Indiens* besonders im Pendscliab stark 
verbreitet, wo im Jahre 1868 über 6% der 
geschlachteten Thiere mit diesem Parasiten 
befallen waren. 

Von den gewöhnlichen Parasiten der Rin¬ 
der und Schafe kommen wir nun zu denen 
des Elephanten, welche von Dr. Cobbold nach 
Specimen beschrieben wurden, die ihm von 
Veterinärärzten und Anderen aus Indien ein- 
geschickt worden waren. Bis jetzt sind 14 Arten . 
von Parasiten bekannt, welche den Elephanten 
heimsuchen, und von diesen sind 11 Entozooen u 
ferner 7 Arten Nematoden und 4 Trematoden. 
Der wichtigste Parasit des Elephanten ist 
Amphistoma Hawkesii, welcher die unter dem 
Namen „Lungun“ bekannte Krankheit ver¬ 
ursacht. Dieser Parasit ist von rother Farbe, 
ca. % Zoll lang und hält sich im grossen Ein¬ 
geweide auf. Eine Reihe von Beweismomenten 
spricht dafür, dass dieser Parasit die Ursache 
sehr ernstlicher Krankheiten unter den Ele¬ 
phanten ist und den Tod vieler derselben l)er- 
beiführt. (Ueber die mit diesem Parasiten in 
iTezieliung stehenden Krankheiten s. Elephant, 
Pathologie.) Von den Parasiten des Kameels 
ist bisher wenig oder nichts bekannt. Von 
Hydatiden verursachte Leiden der Lungen, 
Leber, Milz etc. sind sehr häufig, und die 
Cysten erreichen oftmals eine enorme Grösse. 
Ein Nematode wurde kürzlich von M. Steel bei 
einem Kameel gefunden, das an Diarrhöe ein- 
gegangen war, welche anscheinend durch die 
Gegenwart dieses Parasiten verursacht worden 
war. Eine nähere Beschreibung desselben ist 
noch nicht geliefert worden. Smith. 

Entozoon (abgel. von ävxo'c, innerhalb, 
und to tioov, Thier), jeder thierische, im 
Innern des Körpers lebende Parasit. Sussdorf. 

Entrahmung der Milch, s. abgerahmte Milch. 

Entritte, s. Darmentzündung. 

Entropium (von lv, in, «in-, und Tpornfj, 
umkehren, Iv-xpgfcstv, nach einwärts kehren), 
die Einwärtskehrung des Augenlides. Es 
kommt besonders häufig bei Hunden, aber 
auch bei den übrigen Thieren gelegentlich 
vor. Am häufigsten ist das untere, doch auch 
das obere und beide Augenlider zugleich 
betroffen. .Je nachdem nur ein gewisser Ab¬ 
schnitt des Lidrandes diese Inversion zeigt 
oder derselbe in seiner ganzen Länge einge¬ 
stülpt erscheint, spricht man von einem par¬ 
tiellen oder totalen Entropium. Je nach 
dem Grade seiner Entwicklung bemessen sich 
die Folgen des Entropiums. Dadurch, dass 
der Lidrand sich nach innen umgeschlagen, 
kommen die Cilien in Berührung mit der 
Hornhäut und Bindehaut und üben als Fremd¬ 
körper einen starken Reiz auf dieselben aus, der 
von genannten Membranen gewöhnlich mit einer 
entzündlichen, nicht selten für das Auge 
deletär werdenden Reaction beantwortet w ird. 
Noch mehr steigert sich naturgemäss dieser 
Reiz, wenn die Einrollung des Lides eine 
sehr weitgeliende ist, so dass die inVertirte 


ENTROPIUM. 

äussere Haut mit ihren kurzen, straffen 
Haaren in grösserer Ausdehnung in Berüh¬ 
rung mit der Conjunctiva -und Cornea tritt. 

Was das Vorkommen des Entropiums 
betrifft, so werden unter den Hausthieren 
besonders die Hunde davon befallen, unter 
ihnen in grösserer Häufigkeit besonders die 
Hühner- und Jagdhunde. Unter den ursäch¬ 
lichen Momenten kommt die Enucieation 
des Augapfels in Betracht, die relativ selten 
vorgenommen wird. Einlegen eines künst¬ 
lichen Auges, möglichst bald nach voll¬ 
endeter Heilung, ist das beste Mittel zur 
Verhütung des Entropiums. Fernere Ursachen 
des Entropiums sind Erkrankungen der Binde¬ 
haut und des Tarsus, wenn sie eine Schrum¬ 
pfung oder Contraction der genannten Mem¬ 
brane zur Folge haben (längere Zeit sich 
hinziehende inveterirte Conjunctival-Katarrhe; 
Verbrennungen und Anätzungen der Binde¬ 
haut). Auch Fremdkörper, die in den Binde¬ 
hautsack gelangten, können bei längerem 
Verweilen ein Entropium hervorrufen. 

Behandlung. Fast ausnahmslos muss 
dieselbe eine operative sein, da“ das. Leiden 
gemeiniglich erst in völlig ausgebildetem 
Zustande zur ärztlichen Beobachtung gelangt. 
Die einfachste Methode besteht darin, dass 
man etwa x / % cm vom freien Lidrande ent¬ 
fernt mit einer sog. Entropiumzange (Fig. 482) 
eine horizontale Hautfalte in der ganzen 
Breite des Lides emporhebt (Fig. 483) und 
sie mit der Schee re abträgt, worauf die 
Wundränder des so geschaffenen Defectes 
mittelst einiger Knopfnähte wieder vereinigt 
werden (Fig. 484). Der Zug der entstehen¬ 
den linearen Narbe stülpt das Lid alsdann 
nach aussen in die normale Stellung. Eine 



Fig. 4b2. Eutropiuinpincette. 

andere Methode ist die: Parallel zum Lidrand 
wird in etwa 3 mm Entfernung von demselben 
ein der Lidlänge beinahe gleich grosser Haut¬ 
schnitt geführt und hierauf zwei von der 
temporalen und nasalen Begrenzung des mitt¬ 
leren Drittels des letzteren ausgehende, nach 
unten convergircnde Schnitte geführt und 


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darf auch die Resection des Orbicularis, 
durch did man bei der Excision der Haut- 
falte die Wirkung der Operation unterstützen 
kann, nicht zu ergiebig ausfallen. Enthaarung 
des Lides ante Operationen!, peinliche Reini- 


hiedurch ein dreieckiger, loszupräparirender 
Lappen umschrieben, dessen 6—10 mm lange 
Basis von dem mittleren Drittel jenes hori¬ 
zontalen Schnittes gebildet wird und dessen 
Spitze etwa 10—12 mm von der Basis ab¬ 


Fig. 483. Der Ansatz der Entropiumpincette. 


Fig. 484. Ausschneiduug einer horizontalen Hautfulto bei 
Entropium des unteren Lides und Schliessung des De- 
feetes mittelst dreier Nähte. 

stellt. Die Ränder dieses dreieckigen Defectes 
werden vernäht, während die leicht klaffende 
horizontale Wunde durch Granulation vernarbt 
(Fig. 485). Die resultirende T-förmige Narbe 
spannt das Lid in wagrechter und verticaler 
Richtung an. Dass man bei einer derartigen 
Operation auch des Guten zu viel thun kann, 
muss bei Bemessung der Grösse der Wunde, die 
man machen will, berücksichtigt werden. Je 
breiter man die Falte schlägt, desto grösser die 
Wunde, desto stärker wird die Lidverkürzung 
sein und damit um so ausgiebiger die Zug¬ 
wirkung der Narbe. Es besteht also die Ge¬ 
fahr eines Umschlagens des Entropiums in 
ein Ectropium. Aus dem gleichen Grunde 


Fig. 480. Entropiumoperation nach S ämis ch-Evcrs- 
husch. Meridionnlschnitt. e^Cornea; t Tarsus des oberen, 
t t Tarsus des unteren Lides; o 1 oberes, u 1 unteres Lid; 
n Uebergangsfalte der Bindehaut; f und f t die aui freien 
Lidrande ausgostochenen Fadenenden: p und p t die in die 
Fadenenden gebrachten, durchbohrten Perlen, über welchen 
der Knoten geknüpft wird. 

gung (am besten mit Sublimatwasser), car- 
bolisirte Nähseide oder Catgut sind selbst¬ 
verständlich. Eine sehr einfache und zweck¬ 
entsprechende Methode, das Entropium auf 
operativem Wege zu beseitigen, ist endlich 
noch das von gäinisch-Eversbach (Fig. 486) 
mitgetheilte und beim Menschen und von letz¬ 
terem Autor auch beim Hunde mit gutem Er¬ 
folge eingeschlagene Verfahren, dessen nam¬ 
hafter Vortheil vor den übrigen Methoden es 
ist, keine Hautwunde anlegen zu müssen. Die 
Operation wird damit eingeleitet, dass der 
Operateur das- eingerollte Augenlid zuerst 
‘ ectropianirt und dann dasselbe so weit ab- 
zielit, dass die Uebergangsfalte vom Lidtheile 
der Bindehaut zu deren Augapfelabschnitt 
(Fornix Conjunctivae)* in ihrer ganzen* Aus¬ 
dehnung zur Anschauung gelangt. Auf der 
Uebergangsfalte bestimmt sich der Operateur 
sodann in Gedanken drei gleich weit von ein¬ 
ander gelegene Punkte, an welchen die Ein¬ 
stiche zu erfolgen haben. Eine feine Nadel, 
mit dünner englischer (vollständig aseptischer) 
Nähseide oder Catgut versehen, wird nun an 
eineni dieser Punkte durch die Conjunctiva 
gestochen und so geführt, dass sie, den Lid- 


Fig. 485. Enfropiuinoperation mittelst horizontalen 
Scliuittes und Ausscheidung eines dreieckigen IT aut- 
lappens. Drei Sutureu sind zur Schliessung des Defectei 
«ingelegt. 


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560 ENTSCHÄDIGUNG. — ENTWICKLUNGSDAUER. 


knorpel umgebend, das Lid in seiner ganzen 
Länge durchsticht und am freier! Lidrand 
wieder zum Vorscheine kommt. Wenn man 
nun das andere Ende des Fadens in die 
Nadel nimmt und ein bis zwei Millimeter 
vom ersten Einstichpunkte auf der Ueber- 
gangsfalte seitlich sich einen neuen wählt, 
die Nadel in gleicher Weise und in gleicher 
Richtung unter abermaliger Umgebung des 
Tarsus durch das Lid führt, dass sie ein bis 
zwei Millimeter entfernt vom ersten Faden¬ 
rande am freien Lidrande ausgestochen werden 
kann, ist eine Fadenschlinge fertig, welche 
sich durch die ganze Länge des Lides zieht. 
Es ist nun noch nöthig, beide Fadenenden 
am Lidrande zu knüpfen, und zwar geschieht 
dies über zwei kleine, durchbohrte Glasperlen, 
von denen man vorher je eine in die Faden¬ 
enden gleiten liess. Und solcher Schlingen 
werden im Ganzen (wie Fig. 487 dies veran¬ 
schaulicht) drei durch das entropianirte Lid 



Fig. 467. Entropiumoperation nacli Samisch-Evers- 
b usch. Das Lid abgezogen. 

gezogen. Die Stichcanäle werden mit der 
Zeit in solide Bindegewebsstränge umge¬ 
wandelt, deren Zug den eingerollten Lidtheil 
nach aussen stülpt, so dass auf diese Weise 
die Verunstaltung gehoben wird. Snppuration 
tritt dabei — antiseptische Cautelen voraus¬ 
gesetzt — wohl nie ein. Scklamfp. 

Entschädigung für auf polizeiliche An¬ 
ordnung *getödtete Thiere erfolgt entweder aus 
staatlichen Mitteln oder durch Versicherungs¬ 
gesellschaften, falls die zu tödtenden Thiere 
gegen die unter ihnen herrschende Seuche 
versichert waren. Getödtet werden auf polizei¬ 
liche Anordnung solche Thiere, die an beson¬ 
ders gefährlichen unheilbaren Krankheiten 
erkrankt oder solcher Krankheiten verdächtig 
sind, wie Rinder, unter denen die Rinderpest 
ausgebrochen, rotzige Pferde, an Hundswuth 
leidende Hunde, hochgradig tubereulöse Thiere.' 
ln den meisten Staaten ist es üblich, in 
solchen Fällen nicht den vollen Werth der 
getödteten Thiere, solidem nur einen Theil ‘ 
desselben (‘/ 3 —%) den Eigentümern der 
Thiere zu vergüten. In solchen Fällen aber, 
wo eine bösartige Seuche, wie z. B. die Rinder¬ 
pest, unter einer Heerde ohne Schuld des 
Eigentümers ausgebrochen und die ganze 
Heerde mit Einschluss der noch gesunden Thiere 
vertilgt wird, ist eine volle Entschädigung 
des Besitzers von Seite des Staates wünschens¬ 
wert, da der Thierbesitzer einen Theil seiner 


Heerde vielleicht durch zeitige, schnelle Par- 
cellirung hätte retten können und eine nur 
teilweise Vergütung zu Verheimlichungen der 
Seuchen Anlass gibt. Obgleich rotzige Pferde, 
hochgradig tubereulöse Thiere, wuthkranke 
Hunde an und für sich werthlos sind und 
eine Entschädigung derselben nur bei erfolgter 
Versicherung zu verlangen wäre, so wäre auch 
hier eine staatliche Vergütung, um Verheim¬ 
lichungen zu vermeiden, oft wohl am Platze. 

Entschädigung kann der Käufer im 
Thierhandel beanspruchen durch die Minderungs¬ 
klage (actio quanti minoris), wenn das gekaufte 
Thiei sich nachher seinem wahren Werth nach 
als zu teuer bezahlt herausstellt, oder wenn der 
gezahlte Kaufpreis den wahren Werth des Thieres 
um mehr als die Hälfte übersteigt. Ist das 
gekaufte Thier vollkommen wertlos und wird 
der Handel durch die Wandlungsklage (actio 
redhibitoria) rückgängig gemacht, so hat der 
'Käufer ausserdem das Recht, eine Entschä¬ 
digung für die Fütterung des Thieres zu ver¬ 
langen, falls dasselbe zu jeglicher Arbeit 
unbrauchbar war und während der Dauer des 
Processes dem Käufer nichts eintrug, oder 
wenn der gebrachte Nutzen so gering war, 
dass er in keinem Verhältniss zu den gehabten 
Fütterungskosten stand. Scmmcr. 

Entwicklung des Jungen zur Geburt. In 
der Stellung und Haltung des Fötus treten 
mit Eintritt des Geburtsactes sehr wesent¬ 
liche, zur Ermöglichung der Geburt noth- 
wendige Aenderungen ein. Stellung und Hal¬ 
tung der Frucht sind während der Geburt ganz 
andere als vor derselben. Während vor der 
Geburt der gekrümmte Rücken des Fohlens 
nach abwärts und etwas nach rechts, beim 
Kalbe entweder, u. zw. meist seitwärts oder 
nach aufwärts liegt, der gebeugte Kopf bei 
beiden dem Brustbeine genähert ist und die 
gebeugten vier Gliedmassen einander ge¬ 
nähert sind, daher Kopf und Füsse mehr 
oder weniger vom Muttermund entfernt liegen, 
machen in Folge der Uteruscontractionen 
beim Eintritt der Geburt die Früchte eine 
Drehung um ihre Längsaxe; die Rücken¬ 
fläche des Jungen wird dem Rücken des 
Mutterthieres zugekehrt: in'Folge Anpassung 
des Jungen zu den Raumverhältnissen des 
Uterus und des mütterlichen Beckens nehmen 
Kopf, Gliedmassen und Rücken eine gestreckte 
Haltung oder Lage an. Kopf und Vorderfüsse 
dringen (bei Kopfendlagen) gleichzeitig durch 
den geöffneten Muttermund in das Becken 
ein, u. zw. in der Weise, dass der Kopf ent¬ 
weder auf den beiden Vordergliedmassejr auf¬ 
liegt oder zwischen denselben zu liegen kommt. 
Bei Steissendlagen treten bei normalen Ver¬ 
hältnissen die beiden Hinterfüsse gestreckt 
in die Geburtswege ein. Strebei. 

Entwioklungsdauer. Für die Entwick¬ 
lungsdauer der verschiedenen Thiere lässt 
sich im Allgemeinen keine Regel aufstellen. 
Man versuchte die Grösse des Thieres zu be¬ 
rücksichtigen und kam dabei zu il^m Resultate, 
dass auch hier die Dauer verschieden lang 
ist, obgleich die Thiere gleich gross sind. 
Ferner haben grössere Thiere oft eine kürzere 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


56t 


Entwicklungsdauer als kleinere, oder sie haben 
ungefähr dieselbe Entwicklungsdauer, wie die 
Maus und das Huhn. 

Von einigen Vögeln und Säugethieren 
ist Folgendes bekannt. Vögel: Fliegen¬ 
vögel (geradschnabelige Colibris) 12 Tage; 
Huhn, Ente, Perlhuhn ungefähr 21 Tage; Gans 
29 Tage; Pfau 31 Tage; Schwan 42 Tage; 
Casuar uns Neuholland 65 Tage. Säuge- 
thiere: Maus 3 Wochen; Meerschweinchen 
3 Wochen; Hase, Kaninchen, Hamster 4 Wo¬ 
chen; Ratte, Murmelthier, Wiesel 5 Wochen; 
Igel 7 Wochen; Katze, Marder 8 Wochen; 
Hund, Fuchs, Iltis, Luchs 9 Wochen; Wolf, 
Dachs 10 Wochen; Löwe 14 Wochen; Schwein, 
Biber 17 Wochen; Schaf 21 Wochen; Ziege, 
Gemse, Gazelle 22 Wochen oder 5 Monate; 
Reh, Lama 24 Wochen; Bär, kleine Affen¬ 
arten 30 Wochen; Hirsch, Rennthier 36 bis 
40 Wochen; beim Menschen 40 Wochen oder 
9 Kalendermonate; ungefähr 10 Kalender¬ 
monate beim Pferde, Esel, Zebra; 13 Monate 
beim Kameele; 18 Monate beim Rhinoceros; 
nahezu 2 Jahre beim Elefanten. Schenk . 

Entwicklungsgeschichte. Sie stellt uns 
die Beschreibung der einzelnen Formen der 
Individuen dar und sucht die Gesetze, nach 
denen der Bildungsact vor sich geht, soweit 
als möglich festzustellen. Man bezeichnet diese 
Lehre als Ontogenie. An sie schliesst sich 
unmittelbar die Stammesgeschichte, Phylö¬ 
ge nie, oder die Entwicklungsgeschichte der 
organischen Reihen an, welche auf Grund der 
Kenntnisse, welche man durch die Ontogenie 
erlangt, den Zusammenhang der Reihen aus 
den Erscheinungen in ihrer Entwicklung fest¬ 
stellt, die Umwandlung der einzelnen Organis¬ 
men verfolgt und endlich die Descendenzlehre 
bis zu einem gewissen Grade passend be¬ 
gründet und erläutert. Dieser Zweig der Em¬ 
bryologie (s. d.) ist erst in den letzten Jahren 
hinzugekommen, und es steht die grössere Aus¬ 
breitung desselben mit der Erweiterung der 
Kenntnisse über die Physiologie der Embryo¬ 
nen in Aussicht. 

Alle unsere Kenntnisse, welche wir in 
der Embryologie zu erlangen haben und die 
in unserer vorliegenden kurzen Mono¬ 


allein zukommen. Diese verschiedenen Vor¬ 
gänge, welche den Entwicklungsgang der 
Individuen bilden, machen die Ontogenie der 
Individuen aus. 

An einem jeden Eichen unterscheiden 
wir im Allgemeinen gewisse Merkmale, welche 
als charakteristisch bei sämmtlichen Eiern zu 
beobachten sind. Vor Allem muss in einem 
jeden Eichen eine Protoplasmamasse vorhanden 
sein, aus welcher sich der künftige Embryo auf¬ 
baut. Dieses Protoplasma kann in sich die 
Nahrung enthalten, welche dem Eichen nach 
der Befruchtung bis zu einem gewissen Grade 
der Entwicklung nothwendig ist, oder es kann 
der Nahrung an- oder inneliegen, in welchem 
Falle bis zur vollendeten Beendigung des 
Erabryonallebens das Nahrungsmateriale zur 
Erzeugung von lebendiger Kraft und Wärme 
verwendet werden muss. Man theilt dem¬ 
nach die Eier in zwei Hauptclassen, in 
holoblastische und in meroblastische 
Eier. Unter ersteren versteht man solche Eier, 
welche vorzugsweise oder nur aus dem Proto¬ 
plasma (Bildungsdotter) bestehen, während 
man unter meroblastische Eier solche begreift, 
die ausser dem Protoplasma noch ein Deuto- 
plasma (Nahrungsdotter) besitzen. Protoplasma 
und Deutoplasma können in den Eiern der 
verschiedenen Thiere vereinigt sein, oder sie 
sind getrennt von einander, oder es fehlt das 
Deutoplasma gänzlich. Das letztere gilt nur 
insoferne, als man das Deutoplasma mit den 
optischen Hilfsinstrumenten nicht unterscheiden 
kann. Man unterscheidet ferner auf Grund¬ 
lage des Vorkommens der beiden Haupt¬ 
bestandteile und ihrer Anordnung im Eichen 
alecytale und lecytale Eier und unter 
den letzteren telo- oder centrolecytale, je 
nachdem der Dotter an- oder inneliegend ist. 

Holoblastisches Ei. 

Zur genaueren Kenntniss eines Eies der 
einfachsten Form diene ein holoblastisches 
Ei eines Säugetieres. Die Beschreibung des¬ 
selben nebst der Abbildung (Fig. 488) gibt 
uns einen Anhalt, auch die übrigen holoblasti- 
schen Eier der niederen Thiere kennen zu 


graphie dargestellt werden, reichen vom 
Eichen bis zu dem entwickelten Thiere 
im Allgemeinen. Es ist demnach bei allen 
Thieren, wo eine geschlechtliche Zeugung 
stattfindet, das reife Ei der Ausgangs¬ 
punkt allen Entwicklungslebens, weshalb 
wir uns mit dem reifen Eichen in 
erster Linie beschäftigen wollen. 

Das Ei stellt uns einen Elementar¬ 
organismus dar, der nicht mit anderen 
Elementarorganismen in seinem reifen Zu¬ 
stande zusammenhängt, sondern, als eine 
selbständige Zelle ausgebildet, alle bisher 
beobachteten Attribute der Zelle in sich 
enthält. Nur unterscheidet sie sich von 
anderen Zellen dadurch, dass sie durch 
die stattgehabte Befruchtung zu einer 
Reihe von Vorgängen befähigt wird, zu 
welchen kein anderer Organismus die 
Fähigkeit erlangt, und die nur dem Ei 


Fig. 468. Reifes Eichen vom Kaninchen aus dem Eierstock. 
(Holoblastisches Ei.) 



Koch. EncyklopAdie d. Thierheilkd. II. Bd. 


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562 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


lernen. Bei dem Säugethierei unterscheiden 
wir folgende Bestandteile: Der Hauptbe¬ 
standteil desselben ist das Protoplasma, 
allgemein Dotter genannt. Er füllt das Ei 
nahezu oder gänzlich aus. Er besteht aus 
einer homogenen Grundmasse mit einer Menge 
grösserer .und kleinerer Körnchen. Die ganze 
Masse des Dotters enthält, nach den bisher 
vorgenommenen chemischen Analysen, Bestand¬ 
teile, die auch im ausgebildeten Thierc zu 
finden sind. Der Dotter birgt in sich ein rund¬ 
liches oder ovales helleres Gebilde, welches 
mit Rücksicht auf die an der Zelle wahr¬ 
nehmbaren Bestandteile als Kern der Eizelle 
zu betrachten ist. Man bezeichnet dasselbe 
als Keimbläschen (vesicula germinativa). 

Innerhalb des Keimbläschens sind ein 
oder mehrere kleinere, festere, das Licht 
verschieden vom übrigen Inhalte des Keim¬ 
bläschens brechende Körperchen zu beob¬ 
achten. Ein solches constant im Innern des 
Keimbläschens befindliches Körperchen wird 
Keim fl eck (macula germinativa) genannt. 

Das ganze Eichen ist von einem deutlich 
membranösen, ziemlich breiten Ueberzuge, die 
zona pellucida — Dotterhaut — umgeben. 
Sie erscheint bei schwacher Vergrösserung 
homogen. Bei stärkeren Vergrösserungen una 
bei Anwendung einer 0*1% Ueberosmium- 
säure erscheint die zona pellucida radiär ge¬ 
streift. Die Streifen werden als der Ausdruck 
von Poren bezeichnet. Das reife Säugethierci 
misst im Durchschnitt ungefähr 0*2 mm. Es 
ist also ein mikroskopisch kleines Gebilde 
und innerhalb gewisser Grenzen auch von ver¬ 
schiedener Grösse bei verschiedenen Thieren. 

Da wir hier im Allgemeinen das reife 
Säugethierei berücksichtigen, so ist es auch 
nöthig, an dieser Stelle Einiges über die charak¬ 
teristischen Merkmale desselben zu berichten. 
Als Hauptmerkmal des reifen Eies scheint 
in erster Linie die Grösse desselben ange¬ 
sehen zu werden, da in den grösseren 
reifen Eierstockfollikeln, welche zumeist an 
der Oberfläche des Ovariums liegen, auch 
die grössten Eichen zu finden sind. Als zweites 
Merkmal der Reife gilt die Stellung des Keim¬ 
bläschens im Dotter. Bei jüngeren Eiern liegt 
dasselbe mehr central, während es bei den 
reiferen Eiern wandständig r nahezu an der 
Oberfläche des Dotters zu liegen kommt. 

Ferner liegen bekanntlich auf der Ober¬ 
fläche des Eichens, unmittelbar nachdem das¬ 
selbe aus dem Eierstockfollikel auf den 
Objectträger zur Untersuchung gebracht wurde, 
einige Epithelien des Follikels. Diese sind 
beim reifen, grösseren Ei mehr oder weniger 
in radiärer Richtung zur Oberfläche des Eies 
langgestreckt und spindelförmig ausgezogen. 
Endlich ist die Zwischensubstanz zwischen 
den einzelnen Epithelien auf der Oberfläche 
des reifen Eichens eine viel lockerere als bei 
den unreifen Eiern. Wenn man künstliche 
Befruchtungsversuche auf der Oberfläche des 
frischen Uterus durchführt und dabei die 
nöthigen Vorsichtsmassregeln bezüglich der 
Temperatur beobachtet, so genügt die von 
den Spermatozoßn entfaltete Kraft durch ihre 


Bewegung, um von der Oberfläche der grösse¬ 
ren, reifen Eichen die anhaftenden Epithelien 
wegzuschaffen, während bei den kleineren, 
unreifen Eiern die Spermatozoön ihre Be¬ 
wegung früher einbüssen und theilweise zwi¬ 
schen den Epithelien nahe der Eioberfläche 
liegen bleiben, bevor die letzteren von der 
Zona pellucida weggeschafft werden. 

Meroblastische Eier. 

Als Paradigma für die meroblastischen 
Eier, welche besonders bei den Vögeln, be¬ 
schuppten Amphibien, Fischen, bei Arthro¬ 
poden, vielen Malacozoßn etc. Vorkommen, 
ja sogar in letzterer Zeit bei Beutelthieren 
beobachtet wurden, diene hier das Ei des 
Haushuhnes. Im Zustande der Reife besitzt 
das Ei des Eierstockes noch keine harte Ei¬ 
schale, allein die Dotterhaut und der Dotter 
als wesentlicher Bestandteil des Eies ist 
bereits vorhanden. Das frisch gelegte reife 
Ei ist bereits befruchtet und sein Eiproto¬ 
plasma mehr oder weniger bis zu einem ge¬ 
wissen Grade entwickelt, so dass man in dem 
sogenannten Bildungsdotter nur Furchungs¬ 
elemente beobachtet. Jedoch sind die Bestand¬ 
teile des meroblastischen Eies am gelegten 
Hühnerei makroskopisch deutlich zu sehen, 
weshalb hier die Schilderung desselben vor¬ 
ausgeschickt werde. 

Nach aussen ist die poröse, kalkhaltige 
Schale; wird dieselbe mit Leim oder ander¬ 
weitigen Massen überzogen, so stirbt das Ei, 
beziehungsweise der Embryo, ab. An der Innen¬ 
fläche ist die Schale von einer Membran, der 
Schalenhaut, überzogen. Wird die Schale 
mit einer Pincette sorgfältig durchbrochen 
und die Schalenhaut vorsichtig weggeschnitten, 
so bekommt man den gelben Dotter (Nahrungs¬ 
dotter) zu Gesichte, auf dessen Oberfläche ein 
runder Fleck zu sehen ist. Dieser — Hahnen¬ 
tritt, cicatricula genannt, — hat einen 
Breitendurchmesser von circa 2 mm und 
bildet den wesentlichen Theil des Eies, da er 
das Protoplasma oder den Bildungsdotter dar¬ 
stellt, also das erste Materiale für den Aufbau 
des Embryos liefert. Der Hahnentritt kommt 
deshalb im Ei bei der Eröffnung nach oben 
zu liegen, weil seine Bestandtheile specifisch 
leichter sind und unter ihm eine mehr oder 
weniger deutlich ausgebildete Höhlung sich 
befindet. Er muss regelmässig während der 
Bebrütung des Eies horizontal liegen und 
nach oben gekehrt sein, da bei einer anderen 
Lage leicht Zerrungen an demselben Vor¬ 
kommen, welche entweder eine vollkommene 
Verödung des Keimes oder Monstrositäten 
der verschiedensten Art zur Folge haben. Der 
gelbe Dotter und der Hahnentritt sind 
von einer Membran, der Dotterhaut, um¬ 
geben. Diese ist in dem Hühnereiweiss 
suspendirt und seitlich gegen die Enden der 
längeren Axe des Eies durch verdickte Schnüre, 
die spiralig gedreht sind, die Chalazien, an 
der Schalenhaut befestigt. Diese sind es, 
welche den Dotter in der Eiweisschichte in 
Schwebe erhalten. Das Eiweiss ist von einer 
grösseren Masse von Sepimenten durchzogen. 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


m 


Vom weissen Dotter zieht gegen die 
Mitte des Eies ein Gang zu einer central 
mit weissen Elementen mehr oder weniger ge¬ 
fällten Höhle, welche den Namen Latebra 
führt. 

Der Bildungsdotter (Fig. 489), welcher 
dem Protoplasma des holoblastischen Eies ent¬ 
spricht, enthält, wenn er noch nicht gefurcht 



ist, das Keimbläschen. Sein Protoplasma ist 
feinkörnig, ähnlich dem des holoblastischen 
Eies (Fig. 490). 


Die Elemente des Nahrungsdotters be¬ 
stehen entweder aus verschiedenartig geform¬ 
ten, rundlichen oder polygonalen Stücken mit 
einem feinkörnigen Inhalte, oder zuweilen bei 
einigen Thieren aus verschiedenen krystallini- 
schen Plättchen oder aus Stücken mit krystalli- 
nischen Flächen und Kanten. Bei den gela- 
chiern sind namentlich Formen der letzteren 
Art im Bildungsdotter zu beobachten. Bei 
diesen Thieren, welche ihre Eier ins Wasser 
legen, wie beispielsweise bei Scylüum cani- 
cula, ist die Eischale an den Stellen, wo 
später der entwickelte Embryo ausschlüpft, 
durch quergestellte Leistchen, die sich vor 
dem Ausschlüpfen de9 Eies lockern, an der 
schmäleren Seite passend aneinandergefügt. 


Die Form der Eischale ist verschieden bei ver¬ 
schiedenen Thieren und bedingt die Form 
des Eies. Bei denjenigen Vögeln, welche fär- 
bige Eier legen, sind Gallenfarbstoffe in den 
Eischalen nachgewiesen worden. 

Befruchtetes Ei in den ersten Stadien. 

Die geschlechtliche Befruchtung des Eies 
bei den verschiedensten Thieren findet ledig¬ 
lich nur durch das Eindringen der Sperma¬ 
tozoon in das Innere des Eies statt. Dies ist 
ein Satz, an dem sich wohl in der letzten 
Zeit kaum in irgend einer Weise mehr rütteln 
lässt. Nur bleibt der Vorgang bei der Par- 
thenogenesis noch als unerklärt, wobei sich 
ein Organismus entwickeln kann, ohne dass 
eine Zuthat des Spermas zu dem Eichen nach- 
gewiesen worden wäre. 

Die ersten Veränderungen, welche ein Ei 
im Contact mit den Spermatozoon durchmacht, 
lassen sich am leichtesten und am bequemsten 
an Wirbellosen untersuchen, besonders an den 
im Wasser künstlich befruchteten Eiern von 
Seethieren. Es eignen sich hiezu die Eier von 
Serpularien, von Echinodermen und Holo- 
thurien. Das Materiale für die ersteren ist 
leicht zu beschaffen, indem man die Thier- 
chen aus ihren härteren Röhren heraus¬ 
hebt und in Seewasser bringt. Sowohl die 
Männchen als auch die Weibchen geben ihre 
Zeugungsstoffe von selbst ab und findet als¬ 
bald die Befruchtung der Eier statt. An den 
einzelnen Proben von den mikroskopisch 
kleinen Eiern lassen sich die verschiedenen 
Veränderungen durch die 
ersten Vorgänge der Be¬ 
fruchtung bedingt leicht 
unter dem Mikroskope 
beobachten. 

Einige dieser Ver¬ 
änderungen seien hier 
kurz angeführt. Auf der 
Oberfläche des Eies sieht 
man viele Spermatozoon 
in radiärer Richtung, 
mit dem Köpfchen voran 
und dem Schwänze in 
Bewegung stehen, wäh¬ 
rend viele Spermatozoon 
sich frei in der Flüssig¬ 
keit bewegen. 

Das bisher in nicht 
besonders sich kundgebender Lebensthätigkeit 
befindliche Ei wird nun mit einemmale zur 
Thätigkeit angeregt, die eine sich ändernde 
Lebensfähigkeit im Dotter des Eies nach sich 
führt. Nur durch diese Eigenschaft des Dotters 
und nicht etwa durch die Lebensfähigkeit des 
Keimbläschens selbst kommt es dahin, dass das 
Keimbläschen, welches beim reifen Eichen ohne¬ 
hin lateral liegt, gänzlich aus dem Dotter elimi- 
nirt wird und zwischen diesem und der Dotter¬ 
haut zu liegen kommt. Das Austreten des 
Keimbläschens nach der Befruchtung ist eine 
Erscheinung, welche im Allgemeinen bei den 
Eiern aller bisher untersuchten Thiere auf- 
tritt. — Ist das Keimbläschen an die Ober¬ 
fläche getreten, sodann beobachtet man, dass 

;lb * 


Keimbläschen 

nahe der Oberfläche Dotterhant 




564 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


der Inhalt des Keimbläschens, d. i. der Keim¬ 
fleck nnd ein : ge neben ihm liegende kleinere 
Körperchen an die Oberfläche des Eidotters 
gelangen nnd zwischen diese und die Ei¬ 
hülle zu liegen kommen. Diese Körperchen 
werden zur Zeit, wo sie auf der Oberfläche 
des Dotters liegen, als Richtungskörper¬ 
chen bezeichnet. Sie befinden sich an jener 
Stelle, oder, besser gesagt, an jenem Pole 
des Eichens, wo später bei der Segmentation 
des Dotters die erste Eifurche, durch welche 
das Ei in zwei Hälften getheilt wird, entsteht. 

Die Richtungskörperchen, auch Polar¬ 
körperchen (Cellules polaires) genannt, sollen 
nach einigen Autoren aus dem Protoplasma 
des Eies entstehen, nach anderen sollen die 
Richtungskörperchen wohl aus dem Keim- 
fleck hervorgegangen, jedoch erst aus einem 
spindelförmigen (kernähnlichen) Körper im 
Dotter, welcher theilweise aus Ueberbleibseln 
aus dem Keimflecke, theilweise aus solchen vom 
Keimbläschen zusammengesetzt ist, entstanden 
sein. Es ist somit das Ei durch den Austritt 
des Keimbläschens aus einem Zustande, wo 
es eine Zelle darstellt, mit Protoplasma und 
Kern in eine Zelle übergegangen, an der ein 
Kern fehlt. Das Ei hat sich gleichsam ver¬ 
jüngt und besteht nun aus einem kernlosen 
Protoplasmastücke. Man einigte sich unter 
den meisten Embryologen in den letzten 
Jahren dahin, dass man das erste Stadium 
als Monerula- und das Stadium des Eichens 
ohne Kern als Cytulastadium bezeichnet. 

An der Stelle, wo das Keimbläschen 
gelegen war, kommt es im kernlosen Eichen 
zur Ausbildung eines neuen Kernes. Die Bil¬ 
dung des Kernes in den Zellen zu verfolgen, 
ist nicht ohne Schwierigkeiten. Am zugäng¬ 
lichsten ist noch der Beobachtung die 
Bildungsweise des ersten Kernes im Eichen. 
Dieser erscheint nicht durch eine genaue 
Contour begrenzt, sondern er erscheint als 
eine hellere Partie im Dotter, welcher mit 
unzählig vielen radiären Streifen in demselben 
steckt. Eine genaue Grenze zwischen dem 
Kerne und dem Dotter existirt nicht. Er 
kommt vorwiegend durch die Umlagerung 
der Körnchen im Protoplasma des Eichens 
zu Stande, wobei auch wahrscheinlich am 
Protoplasma gewisse Aenderungen einge¬ 
leitet werden. Es ist der Kern aus dem Proto¬ 
plasma einer kernlosen Zelle hervorgegangen, 
in welchem die Körnchen weniger dicht und 
vorwiegend in radiärer Richtung geordnet 
sind (Fig. 491). 

Nachdem wir die Kernbildung im Eichen 
kennen, ist es besonders wichtig, auf ein in 
den letzten Jahren bekanntes Factum bei 
der Befruchtung aufmerksam zu machen. Es 
kommt nämlich bei dem Eindringen der Sper- 
matozoön ins Eiprotoplasma einem Sperma¬ 
tozoon die Aufgabe zu, an einer Stelle im Ei 
anregend zur Bildung eines Kernes zu wirken. 
Es soll auch zur Kernbildung der Kopf des 
Spermatozoon mit einbezogen worden sein. 
Dieser Kern, der nach dem Eindringen des 
Spermas ins Eichen entstanden ist, wird Pro- 
nucleus masculinus (männlicher Vorkern) 


genannt. In unmittelbarer Nähe, ihm gegen¬ 
über, entsteht ein zweiter Kern an der Stelle, 
wo früher das Keimbläschen im Eichen ge¬ 
legen war, welcher in ganz ähnlicher Weise zu 

a 


Radi&r 

gestreifter 

Kern 


b 

Sternflgur (Pronucleus fern.) Kemspindel 
Aboraler 


Fig. 491. a |Kernbildung im Eichen einer Serpnla uncinata; 
b Ei von Asterias glacialis mit Kernspindel nnd Besten 
vom Keimbläschen. (Schematisch nach Fol.) 

Stande kommt und den Namen Pronucleus 
feminin us (weiblicher Vorkern) führt. 

Sind die beiden Kerne im Eichen vor¬ 
handen, so erreichen sie sich an jener Stelle, 
wo sie einander zugewendet sind, mit ihren 
radiären Ausläufern. Diese Annäherung der 
beiden Kerne und ihre Vereinigung bilden die 
Conjugation im Eichen der Thiere (Fig. 491 b). 
Es wird in jüngster Zeit bei dem Eindringen 
der Spermatozoön ins Ei nachgewiesen, dass es 
nur einem Spermatozoon gegönnt ist, unter nor¬ 
malen Bedingungen ins Ei einzudringen und 
als Anlage für einen Kern zu dienen. Zu¬ 
weilen aber, wenn es sich ereignet, dass 
mehrere Samenfäden ins Eichen eindxingen 
und jeder zur Bildung eines Kernes führt, 
kommt es auch zu unregelmässiger Furchung 
und zu anderweitigen Unregelmässigkeiten in 
der Entwicklung, und es ist nicht unwahr¬ 
scheinlich, dass auf diese Weise selbst Mon¬ 
strositätenbildungen eingeleitet werden. Wenn 
sich das Spermatozoon der Eihaut bei Petro- 
myzon nähert, soll eine Zurückziehung des 
Protoplasmas eingeleitet werden. Beide Kerne 
(männlicher und weiblicher Vorkern) werden 
nun bei normalem Entwicklungsgänge ausge¬ 
bildet und mit einander vereinigt, sie stellen 
den ersten unpaaren Kern im befruchteten 
Eichen vor. 




Furchungsprocess. 

Jede Vergrösserung, jedes Wachsen einer 
organischen Masse geht mit einer Vermehrung 



ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


565 


der Elemente durch Theilung einher. Dieser 
Process macht sich auch im Entwicklungsleben 
des Thieres geltend. Sobald das thierische 
Ei zu einer kernhaltigen Zelle nach der statt¬ 
gehabten Befruchtung sich gestaltet hat, greift 
auch in ihr ein fundamentaler Process im Ent¬ 
wicklungsleben durch, vermöge dessen das Ei 
in eine Unzahl kleinerer Stucke zerklüftet wird, 
bis dieselben die Dimensionen der kleinsten 
Zellen besitzen. Es ist hier gleichsam eine 
organische Masse gleich einem Felsblocke in 
viele kleine Theilchen gespalten worden, 
welche als Bausteine zum Aufbau des Organis¬ 
mus verwendet werden können, um nach be¬ 
stimmten Gesetzen geordnet zu werden. 

Der Process der Zerklüftung des Eichens 
wird Furchungsprocess oder Segmentation ge¬ 
nannt. Beim Furchungsprocesse ist eine be¬ 
stimmte Regelmässigkeit und ein gewisser 
Rhythmus in der Furchung beobachtet worden. 


a 




Zellen, aus denen 
das Hypoblast 
hervorgellt 


Kernige Zellen, 
aus denen das 
Epiblast hervor¬ 
geht. 

Fig. 492. Mehrere Stadien der Furchung von Syeandra 
raphanus. (Nach F. E. Schulze.) a Stadium mit 8 Furehungs- 
stücken, von oben gesehen; b dasselbe Stadium, von der 
Seite gesehen; o Stadium mit 16 Segmentationsstacken, 
von der Seite gesehen; d Stadium mit 48 Stücken, von 
der Seite gesehen; e Stadium mit 48 Stücken, von 
oben gesehen. 



Dieser Vorgang ist sehr leicht an Eiern von 
Wirbellosen, besonders an Seethieren zu ver¬ 
folgen, wo dies jedoch wegen der Kleinheit 
der Eichen mittelst des Mikroskopes geschehen 
muss (Fig. 492). An holoblastischen Eiern kann 
man den Furchungsprocess leicht makrosko¬ 
pisch verfolgen oder mit Hilfe einer Loupe 
sehen, wenn man als Materiale im Frühjahre 
in Mitteleuropa die Eier der schwanzlosen 
Batrachier, besonders der Frösche wählt, 
u. zw. kurze Zeit nachdem die Eichen ge¬ 
laicht wurden. Man beobachtet an diesen zu¬ 
erst durch eine Meridionalfurche die obere 
Hälfte des Eies gespalten. Sie wird von einer 
zweiten gekreuzt, wodurch es zu einer Zer¬ 
klüftung der oberen Hälfte des Eichens in 
vier Theile kommt. Hierauf tritt nach einem 
gewissen kurzen Zeitunterschiede in äquato¬ 
rialer Richtung am Eichen eine Furche auf, 
durch welche die obere, kleinere Hälfte von 
der unteren, grösseren getrennt wird: die 
erstere besteht aus vier Theilen, die letztere 
hingegen nur aus einem einzigen Stücke. Nun 
setzt sich der Zerklüftungsprocess auch auf 
diese fort, indem sich zuerst die Meridional- 
furchen auf die untere Hälfte fortsetzen und 
sich hier kreuzen. Hierauf beginnt der gleiche 
Process von Neuem auf der oberen Hälfte 
des Eies. Es werden die früheren Meridional- 
furchen von neu entstehenden gekreuzt. Eine 
neue Aequatorialfurche folgt dieser Kreu¬ 
zung der neuen Meridionalfurchen. Diese 
setzen sich abermals auf die untere Hälfte 
fort, und man bekommt auf diese Weise eine 
grössere Vermehrung der Furchungsstücke 
an denselben. Dieser Process dauert so lange 
fort, bis wir denselben nicht weiter deut¬ 
lich verfolgen können und bis das Ei in 
eine Masse grösserer Stücke zerklüftet ist. 
Dabei wird es sich als allgemeines Gesetz 
zeigen, dass die obere Hälfte des Eies, bezw. 
derjenige Theil, wo die erste Furche ent¬ 
standen ist, sich stets in einem weiter zer¬ 
klüfteten Zustande befindet wie die untere 
Hälfte desselben. Während an der oberen 
Hälfte vier Furchungsstücke zu treffen sind, 
ist die untere Hälfte ungefurcht, und wenn 
die obere Hälfte viele kleine Zellen besitzt, 
die in Folge desTurchungsprocesses gebildet 
wurden, besteht die untere Hälfte noch aus 
verhältnissmässig grossen Stücken, welche 
zuweilen eine runde Form besitzen und Fur¬ 
chungskugeln genannt werden (Fig. 493). 

Endlich begegnet man an einem solchen 
gehärteten Eichen in der oberen Hälfte einer 
Höhle, die von den Furchungselementen um¬ 
geben ist, welche man Furchungshöhle 
nennt (vgl. Fig. 497). 

Wir haben bisher allgemein von einer 
oberen und unteren Hälfte des Eies ge¬ 
sprochen und wollen nun diese beiden Hälften 
näher beschreiben. Die obere Hälfte ist die¬ 
jenige, welche am Froschei dunkler gefärbt 
ist und der Sonne zugewendet wird, wenn 
das Ei, von seiner Gallerthülie umgeben, im 
Wasser liegt. Sie wird in neuerer Zeit als 
aboraler Pol des Eichens bezeichnet, zum 
Unterschiede von dem oralen Pole oder 



566 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


der dem Lichte abgewendeten Eihälfte, an 
welcher der Urmund, die erste Vertiefung 
von aussen ins Ei, entsteht. 



Fig. 493. Gefurchtes Froschoi, aus grösseren Furchungs- 
stücken zusaminengefQgt. (Querschnitt.) 

Der Furchungsprocess findet bei den 
Eiern aller Thierclassen mit der angegebenen 
Regelmässigkeit statt. Er wird als ein onto- 
genetischer Vorgang im Entwicklungsleben 
bezeichnet, der als ererbt in allen Thier¬ 
classen vorkommt, und bildet eine Einleitung 
zur regelmässigen Anordnung der Elemente 
im normal' sich bildenden Embryo. 

Wir haben schon bemerkt, dass das 
Cellularstadium sich umwandelt und die Ei¬ 
zelle dabei in einen verjüngten Zustand, das 
Stadium der Cytula, übergeht. Wenn nun 
das Ei gefurcht ist, so ordnen sich die ein¬ 
zelnen Elemente zu einer Masse von grös¬ 
seren Furchungskugeln, die innerhalb der 
Eihülle liegen und dem Eichen in toto das 
Aussehen der unebenen, höckerigen Maul¬ 
beere verleihen. Man bezeichnet dieses Stadium 
als Morula Stadium. An dieses Stadium 
reiht sich, wie wir oben am Froschei gesehen 
haben, ein Stadium der Entwicklung an, 
welches gleichfalls hervorzuheben ist, weil es 
durch die Ausbildung der sog. Furchungshöhle 
besonders hervortritt. Dieses Stadium wird 
als Blastulastadium bezeichnet. 

Bis zu diesem Stadium die Eier in der Ent¬ 
wicklung zu verfolgen, ist ohne weitere theore¬ 
tische Anhaltspunkte über die Keirablattlehre 
leicht möglich, indem man sich nur darauf 
zu beschränken hat, die Thatsachen als Ergeb¬ 
nisse der Entwicklung aneinanderzureihen. Wir 
müssen uns daher, bevor wir aus dem Blastula¬ 
stadium weiter den Entwicklungsgang ver¬ 
folgen, mit der allgemein angenommenen 
Lehre über die Keimblätter vertraut machen. 

Bevor wir aber hiezu übergehen, wollen 
wir noch in Kürze Einiges im Allgemeinen 
über den Furchungsprocess bis zum Blastula¬ 
stadium von einigen Thierclassen hervorheben. 

Von den Wirbelthieren eignet sich das 
Kaninchen am besten zu den Studien über 
die Eifurchung, da das Material hiezu am 
leichtesten zu beschaffen ist. Das Weibchen 
kann, unmittelbar nachdem es geworfen hat, 
belegt und dessen Eier befruchtet werden. 


Von da angefangen bis zum sechsten oder 
siebenten Tage ist der Furchungsprocess ab¬ 
gelaufen. Die befruchteten, in Furchung be¬ 
griffenen Eier befinden sich im Eileiter und 
gehört nur eine geringe Fertigkeit dazu, die¬ 
selben auf der inneren Oberfläche der Schleim¬ 
haut der Tuba unter der Loupe aufzufinden. 
Man kann an verschiedenen Thieren die ver¬ 
schiedenen Entwicklungsstadien verfolgen. Man 
beobachtet die Zweitheilung und dann die Vier¬ 
theilung. Es folgen auch hier die Furchen in 
zwei auf einander senkrechten Richtungen, 
bis die Furchung so weit reicht, dass man 
das Morula- und Blastulastadium erreicht hat 
(Fig. 491). 

Bei den Vögeln wird nur der Bildungs- 
dotter gefurcht. Die Furchung erfolgt im Ei¬ 
leiter, daher an dem frischgelegten Eichen 
der Furchungsprocess nicht mehr studirt 
werden kann. Derselbe ist bereits abgelaufen. 
Die Furchen ziehen an dem flach ausgebrei¬ 
teten Keime in radiärer Richtung und kreuzen 
sich dieselben wiederholt, bis die Furchung 
das Morulastadium erreicht hat 

Nach den angeführten zwei Typen, welche 
dem Furchungsprocesse bei dem holoblasti- 
schen und meroblastischen Ei entsprechen, 
geht der Furchungsprocess mit einigen Modi- 
ficationen an den Eiern der verschiedenen 
Wirbelthiere und Wirbellosen einher. 

Ein nicht uninteressanter Versuch über 
das Ergebniss der Furchung bei Kreuzungen 
nichtfarbiger und farbiger Species ist fol¬ 
gender: Nimmt man von See-Igeln, welche 
ziemlich farbstoffreich sind, die Eichen, so 
zeigen sich an diesen im Protoplasma mehr 
oder wenige farbstoffhaltige, bald grössere, bald 
kleinere dunkelrothe Körnchen. Werden solche 
Eier von dem Sperma derselben Species be¬ 
fruchtet und verfolgt man dabei den Furchungs¬ 
process, so findet man den Farbstoff gleich- 
mässig in den verschiedenen Furchungskugeln 
vertheilt. Nimmt man aber zur künstlichen Be¬ 
fruchtung das Sperma von einem farbstofffreien 
Männchen, alsdann wird gleich bei der ersten 
Zweitheilung die eine Furchungskugel der 
anderen gegenüber farbstoffreicher sein, und 
bei den weiter vorgerückten Furchungs¬ 
stadien findet man einige Furchungskugeln 
farbstoffarm oder farbstofflos, während die 
anderen mit den dunkelrothen Körnchen ziem¬ 
lich stark überladen erscheinen. Es zeigt sich 
in letzterem Befruchtungsfalle eine auffallende 
Unregelmässigkeit in der Vertheilung des Farb¬ 
stoffes in den Furchungskugeln; die farbstoff¬ 
reichen Kugeln bleiben auf der Oberfläche des 
Eichens, während die farbstofflosen in der 
Mitte desselben zu liegen kommen. 

Von besonderem Einflüsse auf den Ver¬ 
lauf der Furchung ist das Licht und die 
Wärme, welche beide den Ablauf des Pro- 
cesses beschleunigen. Selbst der Einfluss der 
Farbe ist nicht ohne Wirkung auf den Ver¬ 
lauf der Furchung. In den Lichtstrahlen von 
der Wellenlänge des Roth geht der Furchungs¬ 
process rascher unter sonst gleichen Versuchs¬ 
bedingungen vor sich, als in Blau oder Violett. 
Ebenso ist der Process im Dunklen verlang- 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


567 


Dicke Schichte (Mucin) 






Fig. 494. Vier Farchungsstadien der Eichen des Kaninchens. 


samt. Die unter rothem Lichte gezüchteten 
Kaulquappen sind auch viel lebhafter als die 
unter blauem befindlichen. Der Einfluss der 
Farbe zeigt sich erst bei den sich bewegenden 
Embryonen von im Wasser gezüchteten Thieren 
am auffälligsten. In letzter Zeit wird die 
Wirkung der Schwere als ursächliche Bedin¬ 
gung zum Beginne und der Durchführung der 
Furchung angesehen, was durch eine Reihe 
von Versuchen bestätigt wird. 

Man beobachtet sowohl bei den Eiern 
der Wirbelthiere als auch bei den Wirbel¬ 
losen, dass die Erscheinungen der Zerklüf¬ 
tung des Dotters auch ohne vorhergegangene 
Befruchtung sich kundgeben. Solche Vorgänge 
finden nicht so geordnet und mit der be¬ 
schriebenen Regelmässigkeit statt. Sie führen 
auch nicht zu einer Anordnung der Elemente, 
welche zu der Anlage der Keimblätter führt, 
was besonders bei den Eiern der Wirbelthiere 
der Fall ist. Auch scheinen die Furchungs¬ 
elemente ihre Lebensfähigkeit gänzlich ein- 
zubüssen, denn sie verflüssigen bald. An Eiern 
von Hühnern und Tauben ist es leicht zu¬ 
gänglich, diese Beobachtungen anzustellen. 
Solche Vorgänge der Entwicklung, welche an 
unbefruchteten Eiern constatirt werden, zählt 
man zu den parthenogenetischen Vorgängen 
im Eie. 

Keimblattlehre. 

Diese Lehre ist von fundamentaler Be¬ 
deutung für das Verständniss der Entwicklung 
einzelner Organe und Gewebe, ferner für die 
Erklärung einer Reihe pathologischer Processe, 
namentlich aber soweit es die Neubildungen 
und ihre Genese betrifft. Da die Anordnung der 


Keimblätter oder einzelner geordneter Lagen 
von Zellen aus dem Furchungsprocesse hervor¬ 
gegangen und sowohl bei Wirbellosen als auch 
bei Wirbelthieren vorkommt, so ist der Aus¬ 
gangspunkt für alles weitere Forschen im Thier¬ 
reiche vorzugsweise das Stadium, in welchen 
die Keimblätter bereits vorhanden sind. Man 
hat zu verschiedenen Zeiten, seitdem man der 
Embryologie als Fachwissenschaft die Auf¬ 
merksamkeit zugewendet hat, die Zahl der 
Keimblätter als verschieden gross angegeben. 
Bald war der Keim zweiblätterig, bald 
erschien er dreiblätterig. Zuweilen liess man 
ihn aus theoretischen Gründen zwei-, zuweilen 
auch dreiblätterig sein. Erst in den letzten 
Jahren einigte man sich auf Grund der Er¬ 
gebnisse exacter Forschung, dass es drei 
Schichten im Keime gibt, welche aus Zellen 
hervorgegangen sind, die als Producte des 
Furchungsprocesses sich zu solchen Schichten 
ordnen. Wir unterscheiden demnach drei 
Keimblätter: 4. dasEctoderma oder äus¬ 
seres Keimblatt, auch Epiblast genannt; 
2. das Mesoderma oder mittleres Keim¬ 
blatt, Mesoblast, und 3. das Entoderraa 
oder inneres Keimblatt, auch Hypoblast ge¬ 
nannt. 

Die drei Keimblätter werden auch nach 
ihrer Dignität bei der Verwendung zum Auf¬ 
baue der Gewebe folgendermassen benannt. 
Das Ectoderma heisst Nervenhornblatt, 
weil es zur Grundlage für alle Nerven und 
Horngebilde im bezüglichen Thiere wird. Das 
Entoderma heisst auch Darmdrüsenblatt, 
da dasselbe den wesentlichen Theil des Sub¬ 
strates für den Darm und die Anhangsdrüsen, 



568 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


welche in den Dann münden, enthält. Alle 
anderen Gewebe sind das Product aus den 
Zellen des Mesoderma, welches daher auch 
den Namen motorisch - germinatives 
Blatt führt (Fig. 495). 

Man unterscheidet gegenwärtig pri¬ 
märe und secundäre Keimblätter. Das 
Ectoderm und Entoderm sind als primäre 
Keimblätter anzusehen. Sie gehen am Schwanz- 


Elementen, während die kleine Oeffnung der 
Urmund oder Blastoporus genannt wird. 

Der Embryo in diesem Stadium der Ent¬ 
wicklung bildet die Urform, welche den ver¬ 
schiedensten Organismen während des Ent¬ 
wicklungslebens zukommt Sie wird mit Leich¬ 
tigkeit bei den Echinodermen, den Würmern etc. 
unter dem Mikroskope beobachtet, tritt aber 
auch bei höheren Thieren auf, wo sie von 


Furche des Central- 

Mesoblast Epiblast nerven Systems 



ende des Embryos, wie in der jüngsten Zeit 
nachgewiesen wurde, in einander über: ein 
Vorgang, der sowohl bei Wirbellosen als auch 
bei Wirbelthieren mitunter leicht beobachtet 
wird und häufig, aber nicht ohne Schwierig¬ 
keiten erwiesen werden kann. Man bezeichnet 
diese beiden Blätter als primäre Keimblätter, 
weil sie bei vielen Thieren als zuerst auf¬ 
tretende beobachtet werden, bevor noch vom 
Mesoderm und seinen Schichten (somatisches 
und splanchnisches Mesoblast) etwas zur 
Beobachtung kommt. 

Eine der Hauptschwierigkeiten, welche 
in den letzten Jahren den Forschungen auf 
dem Gebiete der Entwicklungsgeschichte sich 
entgegenstellten, war die Ergründung der Ent¬ 
stehungsweise des mittleren Keimblattes. Die 
Fachmänner, welche sich mit diesem Capitel 
beschäftigten, weichen in ihren Ansichten 
bedeutend von einander ab. Die Literatur 
über diesen Gegenstand häufte sich aber 
dabei in einer Weise, dass es selbst Fach¬ 
leuten nicht geläufig ist, alle über diesen Ge¬ 
genstand vorliegenden Lehren zu beherrschen. 

Mit der Lehre von der Entstehung des 
mittleren Keimblattes innig verbunden ist 
noch die Lehre über die Gastrula, ein 
Stadium der Entwicklung, welches in der 
Ontogenese der Individuen so charakteristisch 
ist, dass es bei allen, wenn auch nicht in 
der vollkommen ausgebildeten Weise vor¬ 
kommt. 

Wir haben oben ein Stadium geschil¬ 
dert, welches wir mit dem Namen Blastula 
bezeichneten. Diesem Stadium schliesst sich 
die Gastrula unmittelbar an. Sie kommt da¬ 
durch zu Stande, dass die Elemente, welche 
die central in der Blastula gelegene Höhle 
umgeben, sich am oralen Pole einstülpen. Es 
wird hiebei die ursprüngliche Höhle in der 
Mitte der Blastula verdrängt, und dafür ent¬ 
steht eine neue, nach aussen mit der Umge¬ 
bung durch eine mundartige Verengerung 
communicirende Oeffnung. Diese Höhle bildet 
die Gastrula saramt den dieselbe umgebenden 


mehreren Autoren nachgewiesen wurde, ja 
sogar von den Säugethieren abgebildet und 
beschrieben ward (Fig. 496). Am Urmunde ist 
der Uebergang des Ectoderms in das Ento¬ 
derm deutlich zu beobachten. Im Gastrula- 
stadiura nimmt man auf der Oberfläche des 
Embryos lebhafte Bewegungen wahr, welche 
sich dem ganzen Embryo mittheilen und unter 
dem Einflüsse von höheren Wärmegraden, als 
diejenigen sind, unter denen der Embryo nor¬ 
malerweise lebt, beschleunigt werden. Solche 
Bewegungen sind bei Wirbellosen und bei 
Wirbelthieren nachgewiesen worden. Sie wur¬ 
den auch an Kanincheneiern beobachtet, und 
beim Froschembryo dauern sie längere Zeit fort. 
Es sind Flimmerhärchen, welche die Ober- 



Gastrulastadiura vom 
Dieyeinatypns. (Nach 
E. van Bcnneden.) 




(Urnn .) 

Fig. 4D6. Gaetrulastadium von Chrysaora. (Nach Clans. 


Entoderm 


Ectoderm 




ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


569 


fläche des Eichens bedecken und in lebhafter 
Bewegung sind. 

Nehmen wir einige Embryonen von ver¬ 
schiedenen Thieren durch, wie sich die Keim¬ 
blätter im Gastrulastadium verhalten und 
wie sich die Form der Gastrula zeigt, so 
wird man bald dahin gelangen, dass die 
Form der Gastrula bedeutend variirt, dass 
jedoch dieselbe anfangs von den pri¬ 
mären Keimblättern, dem Ectoderm und 
Entoderm, umgeben ist. Durch die Ver¬ 
schiedenheit der Form der Gastrula kam 
es dahin, dass diese Urform sogar von 
mancher Seite vollständig in Abrede ge¬ 
stellt wurde, wenigstensfür bestimmte 
Thierclassen. Hiedurch gelangte man 
durch wiederholte Untersuchungen zur 
Erkenntniss, dass die Form der Gastrula 
nicht immer die einfachste ist, wie sie 
oben abgebildet wurde, sondern ver¬ 
schiedene Formen bietet, weshalb man 
eine Gastrula invaginata und delami- 
nata, ferner Epibolica und Embolica etc. 
beschrieben findet. 

Es kommt hiebei wesentlich darauf 
an, ob der Urmund breiter oder enger, 
ob die Höhlung flacher oder mehr ver¬ 
tieft ist, und ob die umgebenden Ele¬ 
mente aus dem Furchungsprocesse her¬ 
vorgegangen, sich mehr von aussen her 
lagerten, oder ob die Vertiefung durch 
Einstülpung entstanden ist etc. Endlich 
können noch eine Reihe von anderen 
Momenten an der Gestaltung der Gastrula 
mitwirken. 

Das Prototyp der echten Gastrula 
ist die Gastrula invaginata, wie sie 
am Ei des Amphioxus am deutlichsten zu 
beobachten ist. Hier war die Blastula dünn¬ 
wandig, und es ist der dünnen Lage von 
Zellen um die centrale Höhle leicht möglich 
ewesen, sich einzustülpen. Bei jenen Eiern 
agegen, welche gleichfalls zu den holoblasti- 
schen Eiern zählen, wo die Blastula eine ver- 
hältnissmässig dickwandige ist, da ist die Inva- 
gination nicht so leicht möglich. Hier ergeben 
sich einige Schwierigkeiten beim Processe der 
Blastulabildung, und dieselbe wird auch nicht 
so einfach durchgeführt, wodurch die Gastrula 
eine Form erlangt, die verschieden von der 
oben angegebenen einfachsten Form ist. Als 
Paradigma dient uns hiezu das Ei des Fro¬ 
sches oder noch besser das Ei der Kröte, 
deren Laich der embryonalen Forschung leicht 
zugänglich ist. 

Die Blastulaform des Froschcichens hat 
folgendes Aussehen (Fig. 497). Man sieht am 
Durchschnitte die Höhle in der oberen Hälfte 
des Eies. Bedeckt ist die Höhle der Blastula 
von Elementen, welche aus dem Furchungs¬ 
processe hervorgegangen, die aber um Vieles 
kleiner sind als die Elemente auf dem Boden 
der Furchungshöhle, welche die seitliche und 
untere Circumferenz der Höhle umgeben. Am 
unteren Pole des Eies ist von aussen her 
makroskopisch ein rundes, weisses, deutlich 
begrenztes Feld zu sehen, welches bei fort¬ 
schreitendem Entwicklungsgänge bis zu einem 


kleinen weissen Punkte sich einengt und end¬ 
lich vollständig schwindet. ^ Das weisse Feld 
besteht aus grossen Furchungsstücken, und 
in dem Masse, als dieses schwindet, werden 
die Elemente kleiner, und es bildet sich an 
einem Theile des Umfangs ein Spalt, der da¬ 
durch zu Wege zu kommen scheint, dass die 
grossen Furchungsstücke sich von den klei¬ 


neren, der Oberfläche näher gelegenen Zellen 
ioslösen. Dieser Spalt bildet sich nach und 
nach zu einer grösseren Vertiefung aus, welche 
von aussen her sich ausbildet und nach einem 
gewissen Fortschreiten in der Entwicklung 
ein Bild bietet, welches Aehnlichkeit mit der 
Gastrula hat. Hiebei gehen aber gewisse Ver¬ 
änderungen innerhalb des Eies vor sich, 
welche zur Bildung des mittleren Keimblattes 
führen. Mit der Ausbildung des Urmundes 
von dem oralen Pole des Eichens her und 
mit der Ausbildung und Erweiterung des 
Spaltes zum bleibenden Darmcanal kann man 
in einer Reihe aufeinanderfolgender Stadien 
beobachten, dass Zellen vom Boden der 
Furchungshöhle sich allmälig gegen die Decke 
der Furchungshöhle erstrecken, also ihren 
früheren Standort verlassen und durch eine 
Verschiebung der Formation an die Decke 
der Höhle hinanwandern, wo sie das Substrat 
für das Mesoderm abgeben. Es zeigt sich also 
in diesem Falle, dass nicht nur das Ectoderm 
und Entoderm, sondern auch das Mesoderm 
aus den Furchungselementen hervorgegangen, 
was gleichzeitig mit der Ausbildung der Ga¬ 
strula geschieht (Fig. 496 und 498). 

Bei den meroblastischen Eiern sind die 
einzelnen Verhältnisse bei der Anordnung 
der Furchungskugeln zu dem in Keimblätter 
geschichteten Keime wesentlich anders, als 
wir es bisher schilderten. Auch sind die 
Bedingungen zur Bildung der Gastrula und 
die Form dieser gänzlich different von dem 
was bei den holoblastischen Eiern der Fall 
war. Nimmt man beispielsweise den Keim 


Kleinere Furchungsstücke 


Oralor Pol-* 


Furchungs-''" 

höhle 



Aboraler Pol mit grossen 
Furcliungs stücken 

Fig. 497. Furchungsstadium am Eichen des Frosches mit der 
Furchungshöhle. (Blastula-Stadium.) 



570 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


eines Hühnerembryos oder denjenigen Theil, 
welcher in den Furchungsprocess einbezo¬ 
gen wird, so findet man, dass er gegen den 
Nahrungsdotter nicht durch eine gerade Linie 
abgegrenzt ist, sondern es ragen Fortsätze 
desselben in den Nahrungsdotter hinein, 
welche Keimfortsätze heissen. Als dünner 
Anflug setzt sich ein Theil des Keimes auch 


seitlich über die Oberfläche des Nahrungs¬ 
dotters fort (Keimrinde oder Dotterrinde). 

Geht nun der Bildungsdotter (Keim, Keim¬ 
rinde, Dotterfortsätze) in die Furchung über, so 
wird anfangs von den Dotterfortsätzen nichts 
gefurcht, sondern erst in den späteren Ent¬ 
wicklungsstadien. Breitet sich der gefurchte 
Keim über die Oberfläche des Nahrungs¬ 
dotters aus und hat seine Circuniferenz eine 
gewisse Ausdehnung erlangt, dann entsteht 
am Rande eine Verdickung, welche insoferne 
von höchster Bedeutung ist, als man an 
dieser Stelle die Anlage des eigentlichen 
Embryos begegnet. Hier findet sich am Rande 
der Uebergang des äusseren Keimblattes in 
das Entoderm, und zwischen beiden ist bereits 


das Mesoderm gelegen. Das letztere entsteht 
also hier am Rande aus den am Keime be¬ 
findlichen Furchungselementen, und wie die 
meisten Autoren in der letzten Zeit überein¬ 
stimmend annehmen, ist das Mesoderm eine 
Provenienz aus Ectodermelementen. 

Wächst der Keim weiter fort, so dass 
sein Durchmesser auf der Oberfläche des 
Nahrungsdotters nach und nach zu- 
niramt, dann wird der Embryo all- 
mälig grösser, es wird der Streifen, 
wo die drei Keimblätter über einan¬ 
der liegen, länger, und man sieht den 
Embryo, welcher früher nur einem 
kleinen Knötchen am Rande des Kei¬ 
mes gleich war, deutlicher ausgebildet 
in Form eines Streifens gelagert. Der 
Nahrungsdotter ist auch mehr über¬ 
zogen vom Bildungsdotter, was sich 
in dem Masse ausbildet, als man den 
grössten Theil des Nahrungsdotters 
vom Bildungsdotter eingeschlossen er¬ 
hält, bis auf einen kleinen Rest am 
Schwanztlieile des Embryos, wo ein 
kleines Feldchen des Nahrungsdotters 
herausschaut. In der Umgebung dieses 
Feldchens geht überall das äussere 
Keimblatt in das innere über. Hier 
wäre also die Stelle, wo wir eine 
Aehnlichkeit beispielsweise beim meroblasti¬ 
schen Eie der Forelle mit dem Blastoporus 
beim Amphioxus- oder beim Froschei zu 
suchen hätten. Es wäre aber doch voreilig, 
da eine Homologie zwischen beiden Bildungen 
zu suchen, weshalb man es vorzieht, die Dotter¬ 
öffnung der Meroblasten mit dem Namen 
Blastotrema zu bezeichnen (Fig. 499). 

Aus all dem bisher Angeführten geht 
hervor, dass die Gastrula eine typische Haupt- 
forra bei dcmEntwicklungsprocessc des Thieres 
bleibt, dass ferner am Rande der Gastrula, 
besonders aber vom Rande des Keimes her 
die Ausbildung des Embryos eingeleitet wird, 
und dass auch hier der Ort ist, wo das mittlere 
Keimblatt sich ausbildet, endlich dass das 


Decke der o "• 

F urchungshöble 

Furchungs- 
höhle 

0 
m 


Eetoderm 
-'''Mesoderm 

Entoderm 


Darmhöhle 





\ 

Dotterpfrorf 


Spalt (dem Blastoporus 
entsprechend) 


Fig. 49t 1 . Bildung des Darmes und Mesoderms beim Froschei. 
(Nach Stricker.) 



Vergrösserter 

Keim 


Keim 



Keim 



Fig. 499. Forelleneier, in Entwicklung begriffen. (Loupen-Vcrgvö^serung.) 



ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


571 


Substrat für die Bildung des mittleren Keim¬ 
blattes aus den Elementen der primären Keim¬ 
blätter entnommen wird. 

Hieraus ergibt sich einer der höchst inter¬ 
essanten und wichtigen Lehrsätze, welcher 
der Entwicklungsgeschichte entnommen wird 
und sowohl beim Studium des normalen Wachs¬ 
thums als auch bei pathologischen Processen 
von grösster Wichtigkeit bleibt, nämlich dass 
das Substrat für die epithelialen Gebilde, wel¬ 
ches in den primären Keimblättern (dem Ecto- 
derm und Entoderm) liegt, aus den Furchungs¬ 
elementen direct hervorgeht. Aus diesen aber 
bildet sich erst später, u. zw. an dem Ueber- 
gange beider genannten Keimblätter in ein¬ 
ander in der Umgebung des Blastoporus das 
mittlere Keimblatt oder das Substrat für 
alle anderen Gewebe des thierischen Körpers 
mit Ausnahme der Epithelien und der ner¬ 
vösen Gebilde. Auch das Blut fällt in das 
Gebiet der Elemente des mittleren Keimblattes. 
Wenigstens stehen die Gebilde des Gefässhofes 
und des Fruchthofes, aus denen das Blut sich 
entwickelt, in directem Zusammenhänge mit 
den Elementen des mittleren Keimblattes im 
Bereiche des Embryonalleibes. Ein eigener 
Blutbindegewebskeim, wie er von Autoren 
noch in den letzten Jahren beschrieben worden 
ist, der vom Rande des Keimes, dem sog. 
Keimwalle aus gegen den axialen Theil des 
Embryos das Blut und die Bindesubstanzen 
in den Embryo hineinschicken soll, oder 
wenigstens das Substrat dazu existirt nicht. 
Eine Ansicht dieser Art kann nach den 
Forschungen der letzten Jahre kaum mehr 
einen haltbaren Boden finden. Die Epithel¬ 
formation geht in Form der primären Keim¬ 
blätter den anderen Gewebsformen vor. 

Eine der interessantesten und höchst auf¬ 
fälligen Erscheinungen bei der Ausbildung 
des Mesoblasten zeigt sich im Verlaufe der 
Entwicklung des Amphioxuseies. Dieser Ent¬ 
wicklungsvorgang ist insoferne wichtig und 
erwähnenswerth, als er wesentlich verschieden 
von dem ist, welchem wir bei den meisten 
anderen Thieren begegnen. Er ist wohl früher 
schon an den Eiern der Echinodermen beob¬ 
achtet worden. Es wurde bei diesem Thiere 
gefunden, dass sich das mittlere Keimblatt 
durch Invagination aus dem Entoderm bildet. 
Zugleich aber lässt sich deutlich nach- 
weisen, dass auch die im Körper befindliche 
Pleuro- und Peritonealhöhle, die serösen Säcke, 
gleichfalls nur Abkömmlinge aus dem Darm- 
canale sind, somit auch die ganze Pleuro¬ 
peritonealhöhle (Coelom) des Embryos von den 
Elementen des inneren Keimblattes ausge¬ 
kleidet ist. Es entsteht beim Amphioxus das 
Mesoderm durch Invagination aus dem Ento¬ 
derm. Die umstehenden Figuren erläutern das 
Gesagte (Fig. 500 a, b,c). Zugleich wird auch 
nachgewiesen, dass die Chorda dorsalis in ähn¬ 
licher Weise wie die auskleidenden Elemente 
des Coeloms aus dem Entoderm gebildet wird. 
Mit Rücksicht auf diese eigene Art der Bil¬ 
dung des Coeloms durch Invagination aus dem 
Darmcanale werden auch Unterschiede bei 
der Eintheilung im Thierreiche versucht. Man 


bezeichnet solche Thiere, deren Peritoneal¬ 
höhle sich in der eben genannten Weise wie 
beim Amphioxus bildet, als Enterocoelier, 
zum Unterschiede von denjenigen Thieren, bei 
welchen in einer solid geordneten Lage von 
Mesodermelementen durch Spaltbildung das 
Coelom entsteht, die demnach als Schizo- 
coelier bezeichnet werden. Unter Berücksich¬ 
tigung dieser Erscheinungen am Amphioxus- 
eichen sucht man auch die Bildung des 
Mesoderms bei Eiern anderer Thiere in ähn¬ 
licher Weise zu erklären, indem man die Er¬ 
scheinungen bei den Embryonen, soweit sie 
die Vorgänge um den Blastoporus betreffen, 
welche sich auf die Bildung des Mesoderms 
beziehen, mit jenen am Amphioxusei zu 
vergleichen sucht. Es ist uns schon be¬ 
kannt, dass man beispielsweise bei mero¬ 
blastischen Eiern (Huhn) die ganze Anlage 
des Embryos um den Blastoporus am Rande 
des Keimes findet. Hier geht auch das Ecto- 
derm in das Entoderm über. Allein in der 
Bucht an derUmbiegungsstelle'zwischen beiden 
finden sich Elemente, die anfangs ganz in 
der Nähe des Schwanzendes total untrenn¬ 
bar von den früheren Elementen bleiben, 
oder es ist wenigstens keine Trennungscontour 
zwischen ihnen zu beobachten. Diese Ele¬ 
mente sind die ersten Spuren eines Mesoderms. 
So weit steht die Sache bei den höheren Verte¬ 
braten. Da nun bei diesen alle Gebilde als 
epiblastisches Product angesehen werden 
müssen, so muss demnach bei diesen Thieren, 
wo das Coelom eine Spaltbildung ist (Schizo- 
coelier), ein schroffer Gegensatz zu den Entero- 
coeliern bestehen. Es zeigt sich aber bei näherer 
Prüfung der Bildungsvorgänge in diesem Sta¬ 
dium, soweit sie sich auf das Entstehen des 
mittleren Keimblattes beziehen, dass sowohl 
das Ento- als auch das Mesoderm aus dem 
Ectoderm hervorgehen, jedoch immer in der 
Weise, dass das erste Product das Entoderm, 
das zweite das Mesoderm ist. Liegen diese 
beiden Vorgänge zeitlich aus einander (Am¬ 
phioxus), so geht die Mesoblastbildung von 
dem invaginirten Ectoderm aus; fallen sic 
aber nahe oder gänzlich zusammen (höhere 
Wirbelthiere), so erscheint das Mesoderm aus 
dem Ectoderm direct hervorgegangen. Diese 
Betrachtungen nebst einer Reihe von anderen 
Lehren über die Genese der Keimblätter, 
welche in den letzten Jahren die Literatur 
über diesen Gegenstand ausfüllen, führen uns 
an diesem Orte zu weit und gehören in eine 
hierüber speciell handelnde Schrift. Hier seien 
nur die Hauptzüge über die Genese der Keim¬ 
blätter, soweit sie mit den bezüglichen Form¬ 
veränderungen in dem frühen Stadium der 
Entwicklung Zusammenhängen, gegeben, und 
soweit dieselben sich auf die Hauptgruppen 
der Eichen beziehen. 

Auf einen in den letzten Jahren genauer 
beschriebenen Abschnitt des Eies, den sog. 
Primitivstreifen bei den verschiedensten 
Embryonen, haben wir hier noch Rücksicht 
zu nehmen. Sein Bildungsvorgang hängt mit 
der Blastulation und der Mesodermbildung 
innig zusammen. 



572 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 



Fig. 500 a. Auf dem Querschnitte ist ersichtlich, dass die Chorda und die Peritonealhöhle aus dem Entoderm gebildet 

werden. (Enterocoelier. [Waldeyer)]. 


Entoderm 


liückonwulst Centraluervensystem 
i / 

»Ectoderm 




Fig. 500 b. Schema der MesoblastbUdung durch Invagiuation. Auf dem Querschnitte der zwei Keimblätter. 


Rückenwulst Nervensystem 


Gastrisches Mesoblast — 



Fig. 500 c. Durch Invagination die Chorda und das Coelom ausgebildet. (Waldeyer.) 


Wir wollen hier zuerst feststellen, was 
man unter dem Namen Primitivstreifen ver¬ 
steht, und dies zugleich an dem Embryo des 
Hühnchens naher erläutern. 

Wenn man den Hülmerembryo in der 
frühesten Zeit, ungefähr am ersten Tage der 
Bebrütung, näher untersucht, so beobachtet 
man einen hellen Hof (area pellucida), welcher 
von einem dunklen Hofe (area opaca) umgeben 
wird. Am zweiten Tage der Entwicklung sind 


die beiden concentrisch gelegenen Höfe noch 
deutlicher von einander getrennt, und man 
kann die Ueberzeugung erlangen, dass der 
äussere Hof von der massenhaften Gefäss- 
bildung (Gefässhof) dunkler erscheint als der 
innere, welcher den Embryo in Form eines 
Streifens zeigt. Dieser Streifen stellt schon 
den Embryo dar. Er wird fälschlich auch 
Primitivstreifen genannt. Soweit an ihm der 
Embryonalleib mit den Keimblättern und den 




ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


573 


Anlagen in denselben ansgebildet ist, kann 
der Name Primitivstreifen nicht ange¬ 
wendet werden. Dieser Name bezieht sich 
nur auf das am Schwanzende gelegene grössere 
oder kleinere Stück, aus dem der Embryonal¬ 
leib sich bildet, und der in dem Masse 
schwindet, als er nach und nach zur Bildung 
des Mesoblasts und damit auch des Embryos 
einbezogen wird. In dem ausgebreiteten Keime 
oder dem Hahnentritte des Vogeleies sieht 
man am Bande die ersten Spuren zur Bildung 
des Embryos in Form einer sog. Sichelrinne. 
Der Embryo entsteht auch hier in ähnlicher 
Weise am Rande des Keimes wie bei den 
Fischembryonen. Bald wird diese Sichelrinne 
von einer länglich ziehenden Furche ge¬ 




schnitten. Beide bilden eine Vertiefung, dem 
Blastoporus entsprechend. Die Elemente, 
welche um diese Vertiefung liegen, bilden 
mit ihr zusammen den Primitivstreifen. Die 
Elemente werden allmälig zum Embryonal¬ 
leibe umgestaltet und formiren beim Wachs- 
thume in erster Linie das Kopfende, während 
am Schwanzende noch Reste des Primitiv¬ 
streifens Zurückbleiben, die später erst zum 
Aufbaue des Embryonalleibes einbezogen 
werden. Von der Vertiefung bleibt anfangs 
noch ein Theil der Längsrinne, bis auch 
diese schwindet und nur der Blastoporus als 
letzter Rest der Sichelrinne zurückbleibt. Aus 
dem Gesagten geht hervor, dass der Primitiv¬ 
streifen in seiner Entstehungsweise und bezüg 
lieh seiner Verwendung von grosser Wich¬ 
tigkeit ist, indem man durch seine genaue 
Kenntniss sowohl die Bildung des Mesoderms 
als auch die Gastrulation im Thierreiche 
kennen lernt, ferner alles über die ersten Wachs¬ 
thumserscheinungen am Embryo vom Schwanz¬ 
ende gegen den Kopftheil des Embryos er¬ 
fährt (Fig. 501 a, b). 

Mit diesem Abschnitte wollen wir auch 
den allgemeinen Theil Über die Entwicklungs¬ 
geschichte des Thierreiches abschliessen, 
indem wir uns hier auf die Haupteigenschaften 
(ontogenetische Merkmale oder Eigenschaften) 
während der Entwicklung beschränken, Und 
wollen zur Ergänzung einige wichtige Vor¬ 
gänge, wie sie sich am Thierleibe in der 
Anlage der Organe zeigen, besonders er¬ 
wähnen. Eine vollständige Beschreibung der 
Entwicklungsgeschichte der einzelnen Organe 
lässt sich hier schwierig — wegen des knappen 
Raumes, der diesem Capitel eingeräumt werden 
kann — durchführen. Wir wollen daher hier nur 
die Anlagen in den einzelnen Keimblättern 
beschreiben, so dass demjenigen, der nicht 
versirt in dem Fache ist, eine übersichtliche 
Darstellung der Entwicklungsvorgänge im 
Embryo gegeben werden soll. 


Fig. 601a. Primitivstreifen in zwei frühen Entwicklungs¬ 
stadien. (Kupffer.) 


Rest des hinteren 
Langschenkel 
der Primitivrinne 



Fig. 601h. Hühnerembryo mit 9 Urwirbeln. (Kupffer.) 


Anlagen im Ectoderm. 

Mit diesem Namen bezeichnet man jene 
Zellenlage im Embryo, welche die ganze 
äussere Oberfläche des Keimes bedeckt und 
welche in der Regel aus einer gemeinschaft¬ 
lichen mehrzelligen Lage von Zellen besteht. 
Nur bei denjenigen Wirbelthieren, welche kein 
Amnion besitzen, ist das äussere Keimblatt 
gleich vom Anfänge her aus zwei Zellenlagen 
zusammengesetzt, von denen das äussere 
Stratum einzellig und das innere mehrzellig 
ist. In dieser anfänglichen Sonderung ist auch 
eine Verschiedenheit in der Verwendung für 
die Gebilde des späteren Organismus gegeben. 
Die äussere Lage ist nur das Substrat für 
die Horngebilde, während die innere Lage 
den Nervengebilden, sowohl den centralen als 
auch den peripheren, zur Anlage dient. Aus dem 
Ectoderm gehen folgende Organe hervor: das 
centrale und periphere Nervensystem, die 
Anlage des Auges, die Chorda dorsalis, die 
Ganglien des Cerebrospinal- und des sympathi¬ 
schen Nervensystems. Diese erwähnten Organe 
haben ihre erste Entstehungsweise im axialen 







574 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


Theile des Ectoderms. Der periphere Theil, 
welcher sich von ihm ab schnürt, dient folgenden 
Organen zur Anlage: der Lens crystallina und 
dem äusseren Epithel der Cornea, dem Laby- 
rinthbläschen und somit $en Nerven und Horn¬ 
gebilden der Schnecke sammt denen der 
Bogengänge, des saeculus hemisphaericus und 
hemiellipticus. Ferner gehen aus dem periphe¬ 
ren Theile des äusseren Keimblattes hervor: 
die Epithelialgebilde der Haut sammt allen 
verschiedenen Formen von Horngebilden, die 
sich in Form einer Lage von Zellen bei den 
Amnioten als inneres Epithel des Amnions 
längs dieser Membran fortsetzen. Der peri¬ 
phere Theil des Ectoderms setzt sich endlich 
auch durch die Mundhöhle bis zu einer ge¬ 
wissen Grenze als Ueberzug bis an das 
Entoderm fort, wo die Anlage der Zähne und 
anderweitiger Hornformationen aus demselben 
gebildet werden. Am Schwanzende geht das 
Ectoderm in das Entoderm über. 

Das Centralnervensystem ist eines 
der am frühesten angelegten Organe im 
Wirbelthierembryo. Es liegt anfangs als eine 
verdickte Zellenmasse auf der Oberfläche des 
Embryos und kommt später durch die Wachs¬ 
thumsverhältnisse in die Tiefe des Körpers, 
umhüllt und geschützt von den Gebilden des 
mittleren Keimblattes, zu liegen. Das Vor¬ 
handensein des empfindenden Theiles auf der 
Körperoberfläche erinnert an Zustände, wie sie 
bei den niederen Thieren im ausgebildeten 
Individuum normal Vorkommen, wo gleich¬ 
falls die empfindenden Theile im Körper nur 
auf der Oberfläche sind. 

Die Verdickung der Elemente des Cen¬ 
tralnervensystems ist eine rein locale und 
zieht vom Kopfe bis an das Schwanzende. 
Bald erheben sich beiderseits am Rande der 
Verdickung die Elemente zu zwei länglich 
ziehenden Wülsten, die Rückenwülste, 
durch welche eine Furche seitlich begrenzt 
erscheint, die den Namen Rückenfurche 
führt. In dieser Form zeigt sich das Central¬ 
nervensystem bei den Wirbelthieren. Man 
findet am Kopftheile die Furche weiter als 
in der Mitte des Embryonalleibes, wo die 
Rückenwülste höher sind. Am Schwänze findet 
abermals eine Erweiterung der Furche statt. 
Die beiden Rückenwülste, welche die Furche 
begrenzen, kommen am Rücken des Embryos 
einander näher und vereinigen sich, bis sie 
mit einander verwachsen sind und sich der 
periphere Theil des äusseren Keimblattes von 
dem axialen, beziehungsweise dem Central¬ 
nervensysteme abgeschnürt hat. Es hat sich 
somit die Rückenfurche dadurch zu einem 
länglichen Canale umgeformt, welcher den 
canalis centralis medullae spinalis darstellt. 
Die Elemente, welche ihn umgeben, bilden 
das Substrat für die Elemente des Gehirnes 
und des Rückenmarkes. Au3 ihnen gehen 
hervor sämmtliche nervösen Elemente des 
Centralnervensystems, die epitheliale Aus¬ 
kleidung des Centralcanals und jene Art von 
Gewebe, welche in der sog. Neuroglia sich 
vorfindet, die aus dem Ectoderm sicn bildet. 

Während das Nervensystem diese Form¬ 


änderungen durchmacht, wird es zugleich von 
den Elementen des Mesoderms ringsherum 
umgeben und trennt am Rücken den abge¬ 
schnürten peripheren Theil des Ectoderms 
vom Centralnervensystem. Aus diesen umge¬ 
benden Elementen stammen alle knöchernen 
und bindegewebigen Gebilde, die das Central¬ 
nervensystem umgeben, und ferner jener Theil 
des Bindegewebes, welcher von der Umge¬ 
bung mit den Gefässen gegen das Central¬ 
nervensystem wuchert. 

Nicht bei allen Thieren bildet sich das 
Centralnervensystem in derselben Weise. Bei 
den Knochenfischen, und besonders schön zu 
beobachten bei den Salmonen, bildet das 
Gehirn und Rückenmark in der frühesten 
Anlage eine solide Zellenmasse, gleichsam im 
axialen Theile einen soliden, der Länge nach 
geordneten Kiel, in welchem durch Dehiscenz 
der Zellen in dessen Längsaxe ein Canal 
entsteht, der dem künftigen canalis centralis 
medullae spinalis entspricht. 

Das geschlossene oder noch zum Theil 
offene Centralnervensystem des Hühnerembryos 
ist am Schwanzende am Primitivstreifen noch 
eine Zeitlang an einer kleinen circumscripten 
Stelle solid ohne Andeutang einer Furche. 

Von der Rückenfurche aus gelangt man, 
eine kurze Zeit bevor das Rohr geschlossen 
ist, durch einen kurzen Gang (canalis neuro- 
entericus) durch den Urmund in das Darmrohr. 
Besonders deutlich ist dies an guten Präpa¬ 
raten auf Sagittalschnitten durch Froschlarven 
zu sehen. Der Canalis neuro-entericus ist be¬ 
sonders bei der Gastrulation der Wirbelthiere 
sehr zu beachten. 

Das Centralnervensystem bleibt nicht lange 
in der geschilderten primitiven Form. Am Kopf¬ 
theile wird dasselbe zu einer erweiterten blasigen 
Auftreibung, welche schon in der frühesten 
Anlage durch die erweiterte Furche zu sehen 
war, sich umgestalten, in der gleichsam Seg- 
mentirungen, entsprechend mehreren blasen¬ 
förmigen Erweiterungen, Vorkommen, die unter 
einander communiciren. Diese Abschnitte füh¬ 
ren den Namen Gehirnblasen. Sie werden 
im ausgebildeten Zustande fünf an Zahl. Als 
die erste ist die vorderste am Kopfende be¬ 
zeichnet. Die Gehirnblasen machen auch eine 
Reihe von Krümmungen durch, indem sie 
nicht in einer Ebene zu liegen kommen. Die 
erste Krümmung findet zwischen der ersten 
und zweiten Gehirnblase statt. Sie führt den 
Namen Hakenkrümmung. Die zweite bildet 
sich an jener Stelle aus, wo künftighin der 
pons Varoli zu liegen kommt. Sie wird Brücken- 
krümmung genannt. Die dritte oder hinterste 
wird Nackenkrümmung genannt. Die Gehim- 
blasen und ihre Stellung zu einander werden 
leicht an Wirbelthieren beobachtet und eignen 
sich Hühnerembryonen vom dritten und vierten 
Tage der Entwicklung hiezu am besten. Die 
einzelnen Hirnblasen haben auch noch andere 
Namen, durch welche ausgedrückt wird, was 
aus diesen einzelnen Abschnitten mit Rück¬ 
sicht auf das ausgebildete Hirn sich heraus¬ 
bildet (Fig. 502 a, b, c). 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


!>7!> 


Ceutralcanal des Nervensystems. 


Aeussere einzellige Lage 
des Ectoderms 


Tiefere mehrzellige Lage/' 
des Ectoderws 





Umgebende Elemente 


Ceutralnervensystein-j-‘ 


Entoderm 




i 

Centralnervensystem vom Frosche, abgeschlossen. 
Fig. 502 a. 


Rückenfurche Rückenwulst 



Fig. 602 b. Nervensystem und Chorda auf dem Querschnitt vom Hühnerembryo des zweiten liebrtttungstages. 


Centralnervensystem 



Fig. 502 c. Bildungsweise des Nervensystems bei den Salmonen, auf dem Querschnitte eines Embryos ersichtlich. 


Die erste Hirnbiese wird auch Vorder¬ 
oder Grosshirnblase genannt, da aus ihr die 
beiden Grosshimhemisphären sich ausbilden. 
Die zweite Gehirnblase wird Zwischenhirn¬ 
blase genannt. Aus ihr geht der Talamus 
opticus hervor, weshalb sie Sehhügelblase 
genannt wird. Die dritte Hirnblase ist die 
grösste. Sie heisst auch Mittelhirn- oder Vier¬ 
hügelblase, da die Corpora quadrigemina oder 
bigemina sich aus ihr entwickeln. Sie ragt 
am meisten von allen Gehirnblascn hervor 
und fällt dadurch zuerst auf. Aus der vierten 
Gehirnblase wird das Kleinhirn. Sie heisst 
auch Kleinhirnblase und wird zuweilen als 
Hinterhirnblase bezeichnet. Endlich die letzte 
Gehirnblase wird als Nachhirnblase bezeich¬ 


net. Sie dient dem vierten Ventrikel zur 
Grundlage. 

Von den letzten zwei Gehirnblasen ist 
jene Circumferenz, die gegen den Kücken des 
Embryos sieht, auffällig dünn, und legt sich 
die dorsale einzellige Lage von Zellen des 
Rohres in der fünften Gehirnblase im Verlaufe 
der Entwicklung an die umgebenden Gebilde 
des mittleren Keimblattes derart an, dass sie 
sich vom Rohre trennt, und es bleibt dadurch 
der fünfte Ventrikel bekanntlich gegen die 
dorsale Wand offen. 

Ausser der angeführten Verwendung des 
ursprünglich angelegten Medullarrohres ist 
noch zu beachten, dass aus dem gegebenen 
Substrate das gesammte Gehirn hervorgeht, 




576 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


auch jene Theile, welche hier nicht angeführt 
wurden, wie die grossen Ganglien in der 
Wandung der Gehirnblase, die verschiedenen 
Faserzüge, deren Verlauf bisher ergründet 
wurde und bekannt ist, etc. Es sind die an¬ 
geführten Namen der Gehirnblasen nur nach 
den wichtigsten Gehirntheilen, welche aus 
ihnen hervorgehen, gegeben. . 

Aus dem übrigen Theile des abgeschlos¬ 
senen Medullarrohres geht das Rückenmark 
hervor. Sowohl die graue und die weisse Sub¬ 
stanz des Rückenmarkes als auch die den 
Centralcanal auskleidenden Elemente gehen 
aus dein im Embryo gegebenen Substrate für 
das Medullarrohr hervor. 

Zu den nervösen Anlagen im abgeschnür¬ 
ten Theile der Elemente des axialen Theiles 
des Rückenmarkes gehören auch die Nerven- 
ganglien, wie sie im Verlaufe der Cerebro¬ 
spinalnerven zu finden sind. Man glaubte eine 
Zeitlang, dass die Nervenganglien im Gebiete 
des mittleren Keimblattes sich da entwickeln, 
wo man sie im aus gebildeten Wirbelthiere 
findet. Demgegenüber zeigte es sich in neuerer 
Zeit durch übereinstimmende Untersuchungen 
mehrerer Fachmänner, dass die Ganglien¬ 
zellen der Cerebrospinalnerven von dem axia¬ 
len Theile des Ectoderms, u. zw. von dem 
unteren und seitlichen Theile des Rücken¬ 
markes und des Gehirnes des Embryos stammen. 
Anfangs sieht man an den bezüglichen 
Stellen in gewissen Abständen seitliche Ver¬ 
dickungen von Zellen, welche bei den späteren 
Wachsthumsverhältnissen im Embryo nach und 
nach in die Peripherie hinausrücken, bis sie 
den Standort erreichen, welchen sie bleibend 
im ausgebildeten Thiere einnehmen. Sie bleiben 
aber stets durch Züge von marklosen Nerven¬ 
fasern mit dem Nervensysteme in Verbindung. 
Wenn im Verzweigungsgebiete eines Nerven 
mehrere von einander getrennte Ganglien 
beim entwickelten Thiere Vorkommen, so sind 
dieselben im Embryo in der ersten Anlage 
in einer Zellenmasse gemeinschaftlich vor¬ 
handen. 

Es sind demnach die Ganglienzellen der 
Cerebrospinalnerven directe Abkömmlinge des 
Centralnervensystems und mit diesem aus 
einem gemeinschaftlichen Substrate hervor¬ 
gegangen. Auch die Ganglien des Sympathicus 
gehen aus demselben Bildangsmateriale her¬ 
vor. Ihr Auftreten geschieht aber viel später, 
und sie stammen aus den Ganglien der Cere¬ 
brospinalnerven, indem sich Stücke von diesen 
ablösen, bei der weiteren Ausbildung des 
Nervensystems allmälig von ihren Mutter¬ 
ganglien entfernt werden ufld mit diesen nur 
durch Nervenfaserzüge in Verbindung bleiben. 

Aus dem axialen Theile des Nervensystems 
bildet sich, wie dies deutlich am Schwanz¬ 
ende des Embryos zu sehen ist, die Chorda 
dorsalis. Am deutlichsten ist der zeitweilige 
frühe Zusammenhang der Chorda mit dem 
Ectoderm an Embryonen von Salmo fario zu 
beobachten. Es ist ferner das Aussehen der 
Elemente der Chorda ebenso wie ihr künftiges 
Schicksal, gleichsam als Epidermialgebilde 


unterzugehen, was besonders für die Annahme 
der Angehörigkeit der Chorda zum Ectoderma 
spricht. 

Die Chorda stellt im Embryo eine läng¬ 
liche, kielförmige, solide Zellenmasse dar, 
welche am Schwanzende beginnt und bis an 
die Basis des Gehirnes reicht, wo sie mit einer 
kleinen Anschwellung (Chordaknopf) in der 
Nähe der vorderen Gehirnblase aufhört. Sie 
ist auch bei den Ascidien und anderen Wirbel¬ 
losen nachgewiesen, wenigstens sind ähn¬ 
liche Gebilde bei diesen Thieren beschrieben 
worden. Dadurch hört sie auf, als ein charak¬ 
teristisches Merkmal zur Unterscheidung der 
Wirbelthiere von den Wirbellosen zu gelten. 

Die ersten als Chorda auftretenden Zellen, 
welche ectodermaler Natur sind, stellen die 
eigentliche Chorda mit der Cuticula, 
worunter die oberflächliche Zellenlage ver¬ 
standen wird, vor. 

Dieser Theil wird in späteren Entwick¬ 
lungsstadien in ähnlicher Weise wie das 
Centralnervensystem von den Gebilden des 
Mesoderms umgeben, welche den skeleto- 
genen Theil der Chorda bilden. In spä¬ 
teren Stadien der Entwicklung, wo bereits die 
Wirbelsäule angelegt ist, sind die Chorda¬ 
reste derart vertheilt, dass sie innerhalb der 
knorpeligen, bezw. knöchernen Wirbelkörper¬ 
anlage in Form eines dünnen Streifens liegen, 
während sie in den Zwischenwirbelbänaern 
bauchig aufgetrieben erscheint. Es gibt dieses 
Aussehen der ganzen Chorda auf Frontal- 
oder Sagittalschnitten das Bild einer Perl¬ 
schnur. Bald aber bleibt nur der letzte Rest 
der Chorda auf die Z wischen wirbelbänder be¬ 
schränkt. 

Endlich schwindet auch dieser gänzlich, 
und der Beweis, dass die Chorda dorsalis 
(Rückensaite) nur ein embryonales Gebilde ist 
und dem künftig ausgebildeten Thiere fehlt, 
ist vollständig geliefert. Nur bei manchen 
Thieren, wie beispielsweise bei den Selachiern, 
ist die Chorda auch ein postembryonales 
Gebilde. 

Aus dem axialen Theile geht noch schliess¬ 
lich die erste Anlage des Auges hervor, welche 
in Folgendem kurz geschildert werden soll. 

Die erste Anlage des Auges ist eine 
paarige Aussackung der Zwischenhirnblase. 
Es wird hier gleichsam ein Stück aus der 
Seitenwand des Gehirnes nach aussen und 
seitlich in die Peripherie hinaus verschoben, 
bis dasselbe den peripheren Theil des Ecto- 
derras nahezu erreicht; nur bleibt von den das 
Gehirn umhüllenden Elementen des mittleren 
Keimblattes ein Rest zwischen der Ausstülpung 
des Gehirns und der epithelialen Bedeckung 
auf der Oberfläche des Embryos zurück, so 
dass es nicht zu einer Berührung dieser beiden 
Stücke kommt. Die Aussackung wird primäre 
Augenblase genannt. Sie stellt das Substrat 
für die Retina und das Stratum pigmentosum 
Chorioideae dar (Fig. 503). 

Diese beiden Theile gehen derart aus 
der Aussackung hervor, dass diese vorerst eine 
Einstülpung von aussen her erleidet; dadurch 



ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 

t 


577 


bekommt die Anlage des Auges ein Aassehen, 
wie dies in anten stehen der Fig. 504 za sehen 
ist. Dier darch die Einstülpung geschaffene 
Vertiefung ist der Raum, welcher den Glas¬ 
körper, ein Product aus dem MesQderm, birgt. 
Der Raum "besitzt nach unten einen Spalt, 
der eine Zeitlang beim Wirbelthierembryo 
offen bleibt. Bei manchen Embryonen ver¬ 
wächst der Spalt vollständig, indem sich die 
Berührungsränder desselben mit einander 
vereinigen, bet anderen bleiben Spuren dieses 
Spaltes vorhanden, welche Gebilde des Meso¬ 


nahme an jener Stelle, wo sie durch einen 
Stiel mit dem Gehirne zusammenhängt, von 
den Gebilden des mittleren Keimblattes um¬ 
geben wird, so ist auch zu erwarten, dass 
die umgebenden Elemente in die napfförmige 
Vertiefung hineinragen. Wenn sich aber 
dieselbe nach unten und innen zu schliessen 
beginnt, so wird der Zugang gegen das 
Innere des Auges kleiner, bis er nur den 
oben erwähnten Streifen erkennen lässt, der 
als Pforte anzusehen ist, durch welche die 
Elemente des Mesoderms ins Auge gelangen, 


Mesoderm gebilde 



Fig. 603. Frontal schnitt eines Hühnerembryos vom zweiten Tage der Entwicklung in der Höhe der Augenblasen. 


Peripherer Theil des Ectoderms 


Obere Ränder der Linsengrube 

Linsengrube 

Unterer Rand der Linsengrube 

Glaskörper in der Einstülpung- 
(Mesodermgebilde) 


l/l^o i 

(I 

JiliSE 


Mesodermgebilde 



— Stratum pigmentosum 
chorioideae 


-Rest der ersten Augenblase 


Retina 

Fig. 50L Durchschnitt durch das Auge des Hühnerembryos vom Anfänge des dritten Tages. 


derms ins Auge als bleibende Theile des Auges 
treten lassen. Dieser Spalt im Embryonal¬ 
leben, der nach unten und innen in der ein¬ 
gestülpten Augenblase existirt, wird Augen¬ 
spalt, Coloboma, genannt. Man sieht diesen 
Angenspalt' auch, makroskopisch am Auge 
jener Thiere, wo sich bereits das Pigment 
ausgebildet vorfindet. Da wo der-Spalt ist, 
fehlt das Pigment, was sich durch einen 
weisse’h Streifen auf dunklem Grund kund¬ 
gibt. Da die Augenblase — als seitliche Aus¬ 
stülpung des Gehirns — ringsherum, mit Aus- 
Koch.. Encyklopädie*d. Thiorheilkd. IT. Bd. 


um hier die Gefasse des Auges,, den Glas¬ 
körper, die Membrana hyaloidea zu bilden. 

Bei den Augen der Vögel betheiligen 
sich noch hier die Gebilde des Coloboma bei 
■der Ausbildung des Pecten. Bei den Fischen 
sind die Gebilde des mittleren Keimblattes 
zusammen mit^Ectodermalelementen an der 
Ausbildung des Coloboms thiitig, und beim 
Säugethier, wo im postembryonalen Leben 
keine Spur eines Coloboms zu finden ist, 
bleibt die Eintrittsstelle des Opticus, die sog. 
Papilla nervi optici, als der letzte Rest des 

37 


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578 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


Coloboras. An dieser Stelle trifft man ähn¬ 
liche Bildungsformen, wie an der Stelle, wo 
sich beim Vogel das Pecten oder beim Fische 
der Processus falciformis entwickelt. Da bei 
diesen Thieren die Eintrittsstelle für den 
Opticus im Ange mit den erwähnten Gebilden 
zusammenfällt, so bleibt es als endgiltig aus¬ 
gesprochen, dass die Papilla nervi optici 
ebenso wie das Pecten und der Processus 
falciformis mit der Bildung des Opticus und 
dem Verschlüsse des Coloboms zusammen¬ 
fallen. 

Die eingestülpte Augenblase besitzt zwei 
Lamellen, eine innere, dickere, mehrzellige 
Lage und eine äussere, dünnere, in der Regel 
einzellige Schichte. Aus der ersteren werden 
sämmtliche Schichten der Retina inclusive 
der Zapfen- und Stäbchenschichte gebildet. 
Die letztere wandelt sich in das stratum 
pigmentosum Chorioideae um. Der Abschnitt 
der Augenblase, welcher mit dem Gehirne 
in Verbindung bleibt und temporär während 
des Entwicklungslebens existirt, wird als 
Stiel des Opticus bezeichnet. 

So weit die Anlage des Auges, insoferne 
es sich hier um die Bildung der licht¬ 
empfindenden Platte (Retina) und des Pig¬ 
mentes handelt. Die anderen Bestandtheile 
finden ihre Anlage im peripheren Theile des 
Ectoderms, deren Beschreibung hier folgen soll. 

Aus dem peripheren Theile des Ecto¬ 
derms gehen eine Reihe von Organen oder 
Organbestandtheilen hervor, welche theilweise 
ohne Mitwirkung des Mesoderms zu Stande 
kommen. Wir führen hier in erster Linie, an 
das Auge anschliessend, die Linse und das 
äussere Epithel der Cornea an. Die erste 
Anlage der Linse ist in einer localen Ver¬ 
dickung der Ectodermelemente auf der Ober¬ 
fläche des Embryos zu sehen, welche genau 
gegenüber der napfförmigen Vertiefung der 
Augenlinse zu liegen kommt. 

An dieser Stelle zeigen die Ectoderm¬ 
elemente in auffälliger Weise bei allen jenen 
Thieren, wo sich Pigment im ganzen Ectoderra 
bildet, keine Spur einer Pigmentbildung. Aus 
dieser zur Linse bestimmten Zellenmasse 
geht auch das äussere Epithel der Cornea 
hervor, nachdem die Linse sich abgeschnürt 
hat (s. Fig. 504). 

Die Linsenbildung aus der verdickten, 
pigmentfreien Masse geht folgendermassen 
vor sich. Zuerst beobachtet man, dass sich die 
erwähnte Zellenmasse vertieft. Es wird hie¬ 
durch eine Linsengrube geformt. Die Grube 
besitzt eine runde Öeffnung. Ihr Begrenzungs¬ 
rand sucht sich allmälig zu vereinigen, und 
die vordere obere Circumferenz strebt nach 
unten und hinten sich anzulegen. In dem 
Masse, als dies geschieht, wird die Öeffnung 
immer kleiner, bis sie schwindjet und die’ 
Linsengrube in eine Linsenblase umge¬ 
wandelt wird. Die Elemente der Linsenblase 
liegen dann in den Mesodermgebilden einge¬ 
schlossen, während der Rest der Ectoderm- 
gebilde, von dem sich die Linscnblase abge- 
geschnürt hat, zum äusseren geschichteten 
Epithel der Cornea umgestaltet wird. 


Die Linsenblase verändert sich im wei¬ 
teren Verlaufe derart, dass ihre innere Circum¬ 
ferenz zu Fasern sich umgestaltet, während 
die äussere als ein verdicktes Epithel der 
hinteren Fläche der vorderen Linsenkapsel¬ 
wand zurückbleibt. Die innere Hälfte der 
Linsenblase zu Fasern umgestaltet, zeigt eine 
gewisse Schichte, in der die Kerne der ein¬ 
zelnen Fasern liegen. Man bezeichnet die 
Zone als Kernzone (Fig. 505). Zwischen den 
Linsenfasern und dem Epithel, an der hinteren 
Fläche der vorderen Linsenkapselwand besteht 
ein Spalt, der nur kurze Zeit dauert, und das 
Ephithel geht seitlich direct in die Fasern der 
Linse über. Die hintere Oberfläche der Linse trägt 
in der Mitte eine kleine Verdickung, welche 
in Form einer Erhabenheit über das Niveau 
hinüberragt. Um die Verdickung ist eine cir¬ 
culare Furche, auf welche am Rande ein er¬ 
höhter Wall folgt. Von diesem' schlägt sich 
ein Theil von oben und unten derart nach 
innen gegen das Auge um, dass ihre Ränder 
aneinander stossen, und wenn sie sich be¬ 
rühren, so bilden sie eine Linie an der 
hinteren Fläche der Linse, wie das bei¬ 
spielsweise bei der Linse des Kaninchens 
oder des Haifisches etc. zu sehen ist oder bei 
allen jenen Linsen, welche man als Linsen 
mit bipolarer Anordnung der Linsenfasern 
bezeichnet. Die beiden im Randwalle an der 
hinteren Fläche befindlichen Massen der 
Linsenfasern schlagen sich in diesen Linsen 
nach vorne um und bilden durch ihr Zusam¬ 
mentreffen an der vorderen Fläche eine Linie, 
die in ihrer Richtung in Bezug auf die hintere 
Linie diese kreuzt. 

Man erklärt sich leicht auf diese Weise 
das Zustandekommen der bipolaren Anord¬ 
nung der Linsenfasern. Die multipolare An¬ 
ordnung der Linsenfasern mit der sternför¬ 
migen Figur an der vorderen und hinteren 
Fläche der Linse, durch die Anordnung der 
Linsenfasern bedingt, wie dies beispielsweise 
am Auge des Rindes, Pferdes etc. vorkommt, 
kommt dadurch zu Stande, dass von dem äus¬ 
seren Walle an der hinteren Fläche nicht 
nur nach zwei auf einander senkrechten Rich¬ 
tungen die Umkrärapung der Fasern stattfindet, 
sondern dies geschieht mehrfach in radiärer 
Richtung bei den Linsen mit multipolarer 
Anordnung der Fasern oder besser in mehreren 
auf einander senkrecht stehenden Richtungen. 

Zu den Gebilden, welche aus dem peri¬ 
pheren Theile des Ectoderms hervorgehen, 
gehört ferner die Anlage des Labyrinths. An 
einer umschriebenen Stelle auf der Oberfläche 
des Embryos, w r o sich das Gehörorgan aus¬ 
bildet, zeigen sich auf beiden Seiten am 
Embryo paarig in der Anlage ähnliche Vor¬ 
gänge, wie wir sie bei der Anlage der Linse 
geschildert haben. Es kommt zu einer Ein¬ 
stülpung des Ectoderms in Form eines Grüb¬ 
chens, welches das Labyrinth grübchcn dar- 
. stellt. Aus diesem geht in ähnlicher Weise 
durch Vereinigung des Randes und Abschnü¬ 
rung von der oberflächlichen Zellenlage ein 
Bläschen hervor, welches Labyrinthbläs¬ 
chen genannt wird (Fig. 505). Das Labyrinth- 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


579 


bläschen ist ein Ectodermgebilde, von den Ele¬ 
menten des Mesoderms eingeschlossen. Es ent¬ 
hält somit sämmtliche Elemente, aus denen die 
nervösen und Horngebilde des Labyrinths her¬ 
vorgehen, während die umgebenden knöchernen 
oder knorpeligen Elemente des Labyrinths 
Producte aus den das Labyrinthbläschen um¬ 
gebenden Mesodermgebilden darstellen. 

Das Labyrinthbläschen macht in kurzer 
Zeit nach seinem Entstehen eine Reihe von 
Formveränderungen durch, welche zu den 
bleibenden Formen des Labyrinthes des aus¬ 
gebildeten Thieres führen. Zunächst wird man 
beobachten, dass das Bläschen sich in der 
Richtung gegen die Basis der vierten Gehirn¬ 
blase verlängert. Es entsteht hiedurch eine 
Fortsetzung in Form des noch nicht spi¬ 


ralig gedrehten Ductus cochlearis, dessen 
innere Wandung dicker als die äussere ist. 
An diesen setzt sich vom Nervensysteme her 
die Ganglienmasse als Ganglionspirale an. Vom 
Reste der Labyrinthblase werden gleichsam 
durch das Eingreifen * der umgebenden Ele¬ 
mente des mittleren Keimblattes die halb- 
zirkelförmigen Canäle abgeschnürt. Aus den 
Elementen in der Verdickung des Ductus 
cochlearis geht das Cortische Organ, die 
Reissner’sche Membran, die auskleidenden 
Gebilde des häutigen Labyrinthes etc. hervor. 
An diesen Theil des Labyrinthes, welcher zur 
Empfindung der Gehörswahrnehmungen dient, 
legt sich in späteren Entwicklungsstadien der 
schalleitende Apparat, das Mittelohr und 
das äussere Ohr, während der Ausbildung an. 



Fig. 505. Durchschnitt durch das Auge eines Hühnerembryos vom vierten Tage der Bebrütung. 


Mesoderrogebildc Vereinigung der beiden Amniosfalten am Rücken des Embryos 



Fig. 506. Querschnitt durch einen Hühnerembryo zu Anfang des dritten Tages der Entwicklung. 

37 * 







580 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


Der letztere Vorgang wird bei der Ausbil¬ 
dung des Mittelohres geschildert. 

Zuletzt sei noch hier das Geruchsorgan 
in seiner frühen Anlage geschildert. Dieses 
manifestirt sich in der frühesten Entwicklungs¬ 
zeit^ ganz analog dem Labyrinthgrübchen und 
der" Linsengrube. Sobald sich die paarige 
Vertiefung zu beiden Seiten ausgebildet hat, 
werden die Zellen höher, und gleichzeitig wird 
die" ganze Zellenmasse im Grübchen dicker. 
Es kommt aber hier nicht über die Grübchen¬ 
bildung hinaus; nur werden die ursprünglich 
angelegten Geruchsgrübchen grösser und ge¬ 
räumiger, was mit den Bildungsverhältnissen 
im Mesoderm zusammenhängt. 

Ferner sei noch hier hervorgehoben, dass 
das Ectoderm das innere Epithel des Am¬ 
nions liefert, so dass der ganze Amnionsack 
von den Elementen .des Ectoderms ausge¬ 
kleidet ist. Dieses schlägt sich mit dem 
Mesoderm über den Bücken des Embryos und 
participirt somit an der Amnionbildung. 

Wir haben schon wiederholt hervorge- 
„ hoben, dass aus dem peripheren Theil die 
Horngebilde, wie sie in der verschiedensten 
Form im Thierreiche % Vorkommen, hervor¬ 
gehen. Die *in Verhornung begriffenen Zellen 
zeigen eine Metamorphose ihres Protoplasmas, 
welche ähnlich der beginnenden Fettmeta-, 
morphose ist. Es treten in den Zellen runde, 
tropfenartige Massen auf, die anders licht¬ 
brechend werden als der übrige Zellenleib. 

„ Die Tropfen schrumpfen zusammen, und neben 
ihnen bilden sich neue tropfenartige Meta¬ 
morphosen, welche gleichfalls zusammen¬ 
schrumpfen; dieser Process wiederholt sich 
so lange, bis die ganze Zelle chemisch um¬ 
gestaltet ist und zugleich ihr Aussehen ein 
total anderes wurde. Sie bekommt nämlich 
das Aussehen, als wäre sie wie von einer 
staubartigen Masse durchsetzt. Es sind durch¬ 
wegs feine Körnchen, in welche das Proto¬ 
plasma umgewandelt wurde. In diesem Zu¬ 
stande beginnt die Zelle härter zu werden 
und erlangt auch die .übrigen Eigenschaften 
der Hornsubstanz. 

Wir kennen ein eigentümliches Ver- 
hältniss im Ectoderm mit Rücksicht auf die 
Anordnung der Zellen, welches sich auch im 
Entwicklungsgänge bei den Anlagen in ver¬ 
schiedener Weise manifestirt Dieses Ver- 
hältniss besteht darin, das^ es einige Thiere 
gibt, bei denen das Ectoderm aus einer ge¬ 
meinschaftlichen Lage von Zellen besteht, 
während bei anderen gleich vom Anfänge an 
das äussere Keimblatt aus zwei Zellenlagen 
besteht (s. Fig. 502 a, Frosch). Bei diesen wer¬ 
den im peripheren Theile des Ectoderms das 
Labyrinthgrübchen, die Linse, überhaupt die 
nervösen peripheren Gebilde aus der tieferen 
Schichte geformt, während die oberflächliche 
Schichte nur-zu Horngebilden umgewandelt 
wird. Bei den ersteren, wo eine Sonderung 
in zwei Schichten nicht vorliegt, gehen beide 
Arten der Gewebe aus einer Schichte .hervor. 
Im Allgemeinen lässt es sich bisher fest- 
. stellen, dass bei den Anamnien das Ectoderm 
von seinem Anfänge aus zwei Zellenschichten 


besteht, während die^Amnioten nur eine ge¬ 
meinschaftliche Zellenlage für sämmtliche 
Nerven und Horngebilde besitzen. 

Das Mesoderm. 

Mit diesem Namea bezeichnet man eine ge¬ 
meinschaftliche, in der Mitte des ausgespannten 
Keimes liegende zusammenhängende Zellen¬ 
lage, die vom Ectoderm nach aussen und 
vom Entoderm nach innen zu bedeckt ist. In 
ihr liegt das Substrat für sämmtliche Organe 
und Gewebe, welche nicht im Ecto- und 
Entoderm zu suchen sind. Seine Gebilde be¬ 
theiligen sich aber, wie "in jüngster Zeit 
nachgewiesen worden, zur Epithelformation 
für jene Districte, wo die Epithelien weder 
vom äufcseren, noch vom Inneren Keimblatte 
hin gelangen können. Solche Orte besitzen 
eine Epithelbedeckung, von der man in neuerer 
Zeit sagt, dass die Elemente Endothelien ' 
sind, zwischen denen, noch Räume beschrieben 
werden, welche mit Rücksicht auf ihre phy¬ 
siologische Dignität als resorbirende Stomata * 
gekannt sind und zum Durchgang einer Flüssig¬ 
keit (Lymphe) bestimmt sind. Es lässt sich 
aber nicht leugnen, dass man den Namen 
Endothel nur in sehr beschränkter Weise an- 
wenden darf, indem gewisse Gebiete ihre 
Epithelauskleidung vom mittleren Keimblatte , 
beziehen, ohne dass man -sie in die Reihen 
der Endothelien stellen kann. So z. B. wird 
niemand von einem Endothel des Ovariums 
oder einem Endothel der Niere etc. sprechen, 
obgleich die bedeckenden oder auskleidende’n 
Epithelien dieser Organe aus dem Mesoderm 
entstehen. Es scheint sich der Name Endo¬ 
thelien nur auf die auskleidenden Elemente 
bestimmter Körperabschnitte zu beschränken, * 
u. zw. nur auf die Ueberzüge jener Membranen, 
welche die sog. serösen Höhlen begrenzen. 

In das Bereich der Producte des mitt¬ 
leren Keimblattes gehört auch die Blutbil¬ 
dung. Obgleich auch manche Autoren Blut aus 
einer Bildungsmasse am Keimwulst in der 
Umgebung des Keimes hervorgehen % lassen, 
so ist es doch sichergestellt, dass dieser Theil 
ein Substrat, aus Furchungselementen gebildet, 
darstellt, und ist der Theil, aus dem das Blut 
hervorgeht, die sog. Vasogenmembran, mit dem 
mittleren Keimblatte in Continuität und ge¬ 
hört ihm direct an. • 

Das mittlere Keimblatt besitzt die aus¬ 
gedehnteste Verwendung unter allen drei • 
Keimblättern zum Aufbaue des Thierleibes. 
Sämmtliche Gewebsformen, aus denen der 
Körper zusammengesetzt ist, werden aus 
diesem Keimblatte geformt, nur nicht die 
Nerven und Horngebilde und das Epithel des 
Darmes und der sog. Darmdrüsen. 

Wenn der Embryo wächst und nach den 
verschiedenen Richtungen in den körperlichen 
Dimensionen zunimmf, so geschieht die Zu¬ 
nahme weder im Ectoderm noch im Ente- 
derm in so erheblichem Masse, dass sie mit 
dem Wachsthuine des Embryos im Einklänge 
stünde. Dagegen ist dies nachweisbar, im 
Mesoderm der Fall. Hier ist die Zjanahme 
der Elemente eine so*auffällig grosse, dass 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. • 58i 


die Körperzunahme zumeist nur auf Kosten 
der Vermehrung der Mesodermgebilde ge¬ 
schieht. In der ersten - Hälfte der Entwick¬ 
lung findet dies in auffällig rascher Weis’e und 
in hohem Masse statt. In der zweiten Hälfte 
der Entwicklung findet'die Zunahme lang¬ 
samer statt und verlangsamt sich mehr und 
mehr, je weiter vom Beginne der Entwick¬ 
lung das Individuum entfernt ist. 

Die Formveränderungen an dem äusseren 
und inneren Keimblatte gehen' stets mit sol¬ 
chen am ifiittlerefi Keimblatte einher. .Man 
suchtp in den Beziehungen dieses Blattes zu 
den beiden anderen ein Wachsthumsgesetz fest¬ 
zustellen, welches in Folgendem besteht: wenn 
z.B. zwei Keimblätter zur Bildung irgend eines 
Organs einander entgegenwachsen, so stellt 
man sich vor, dass ein Kampf zwischen beiden 
Blättern sich in derWeise manifestirt, dass eines 
dem andern sich endlich anpasst. Bei dieser 
Gelegenheit ereignet es sich, dass das Meso¬ 
derm constant formbedingend auf die Anlagen 
in den beiden anderen Blättern wirkt. So lässt 
es sich mit Leichtigkeit nachweisen, dass bei 
der Ausbildung der Lunge die Elemente des 
mittleren Keimblattes, bezw. in späteren Sta¬ 
dien die Gefasse, eine Vergrüsserung der respi¬ 
ratorischen Oberfläche dadurch bedingen, dass 
die Mesodermgebilde dem Entoderm entgegen¬ 
wuchern und dadurch Gänge und Bläschen zu 
Wege bringen. In ähnlicher Weise werden im 
Eierstocke durch die dem Ovarialepithel an¬ 
liegenden Elemente beim Wachsthume und 
der 'Entwicklung des Ovariums die Follikel 
ausgebildet. Hier wirken bindegewebige Ele¬ 
mente des Ovariums auf die epithelialen des¬ 
selben formbedingend, also Elemente des 
mittleren % Keimblattes geben Veranlassung 
zur Bildung der Form von anderen Elementen 
desselben Keimblattes. Auch in den Beziehun¬ 
gen des äusseren Blattes zum mittleren lässt 
sich in analoger Weise da« angeführte Wachs¬ 
thumsgesetz erkennen. So sind die Anlagen 
der Haare und Drüsen Formgebilde, die an¬ 
fangs auf der Oberfläche des Embryos liegen 
und durch das Wachsen des mittleren Keim¬ 
blattes in die Tiefe *der Cutis gelangen. 

Man ersieht aus dem Angeführten, von 
welcher eminenten Bedeutung das mittlere 
Keimblatt für das Verständniss des Bildungs¬ 
ganges der einzelnen Individuen ist. Es ist 
nicht nur* eines der wesentlichen Blätter mit 
Rücksicht auf seine Entstehungsweisc, son¬ 
dern von besonderer Wichtigkeit für die Bil¬ 
dung der einzelnen Organe und für das Ver¬ 
ständniss des Zusammenhanges der Gewebe. 

An diesem Kcimblatte, welches ursprüng¬ 
lich bei seinem Auftreten eine zusammenhän- 
ende Zellenmasse repräsentirt und an der 
eine besonderen Unterschiede wahrzunehmen 
sind, unterscheiden wir anfangs zwei Abschnitte. 
Ein Abschnitt liegt im axialen Theile des Em¬ 
bryos und ein Abschnitt liegt lateral zu beiden 
Seiten des ersteren. Am Schwanzende, in* 
der Gegend des Primitivstreifens, hängt das 
Mesoderm mit dem Ectoderm und Entoderm 
zusammen. Von letzterem ist wohl eine Tren- 


nungscontour der gellen beider Keimblätter 
zu beobachten. 

Bald lagert sicTi der axiale Theil beider 
Keimblätter derart zu beiden Theilen des 
Nervensystems, dass das mittlere Keimblatt 
an dieser Stelle < durch die Chorda dorsalis 
und das Centralnervensystcm gleichsam wie 
in zwei paarige Stücke gespalten erscheint, 
die sich rechts und links vom Nervensysteme 
lagern. In diesem lateral vom Rückenmark 
liegenden Theile des Mesoderms begrenzen 
sich umschriebene Zellenmassen, welche paarig 
in^der Höhe des Mitteldarmes entstehen und in 
der Richtung gegen das Schwanzende an Zahl 
zunehmen, gegen das Kopfende in der Höhe 
vor dem Labyrinthbläschen aufhören. Diese 
umschriebenen, mit ihrer Umgebung zusam¬ 
menhängenden Zellenmassen bilden die Ur- 
wirbel (s. Fig. 507 a, b). Sie sind wesent¬ 
liche und besonders hervorzuhebende Theile 
des Mesoderms, da sie eine Segmentirung des 
Körpers bedingen. Man* nennt sie deshalb auch 
Segmente. Sie bilden ferner das Hauptmate¬ 
riale für die verschiedenen Bindegewebs- 
substanzen und Muskeln, welche aus dem 
Mesoderm gebildet werden. Bei der Grössen¬ 
zunahme des Embryos nach den verschie¬ 
denen räumlichen Richtungen sind es, wie wir 
bald selien werden, die Urwirbel, deren Ver¬ 
mehrung der Elemente die Hauptmasse der 
neugebildeten Körpersubstanz ausmacht. Da 
nun aus dieser Hauptmasse nicht nur die 
Bindesubstanzen, sondern auch die Muskeln 
und viele andere Gebilde hervorgehen, so ist 
es leicht begreiflich, dass eine Continuität in 
diesen Geweben, also ein Zusammenhang des 
Bindegewebes mit den Knochen, Knorpeln 
und den Muskeln von vorneherein in der 
Anlage dieser Gewebe gegeben ist; die Ur- 
wirbel sind am ausgebreiteten Embryo im 
Fruchthofe leicht zu beobachten. Auf Durch¬ 
schnitten kann man sich überzeugen, dass die 
Urwirbel aus zwei verschiedenen Theilen, 
einem peripheren und einem centralen Theil 
bestehen (Fig. 507 b). 

Der periphere besteht aus radiär ge¬ 
stellten länglichen Elementen, während der 
centrale oder der Kern der Urwirbel die Zellen 
dicht gedrängt neben einander liegen hat. 

An die Urwirbel nach aussen zu beiden 
Seiten grenzen die Uebergangstheile der Ur¬ 
wirbel in den peripheren Theil des mittleren 
Keimblattes. Dieaer zeigt bald eine Spaltung 
in zwei Lamellen, welche bis nahe an den 
Kopftheil reichen und eine Höhle einschliessen, 
welche Pleuroperitonealhöhle (Coelom) gen annt 
wird. Alle jene Thiere, bei denen ein Coelom 
nachgewiesen wird, sind mit dem Namen 
Coelomaten bezeichnet. Die beiden die Höhle 
begrenzenden Lamellen sind derart gelagert, 
dass die eine der Leibeswand des Embryos 
sich anschmiegt und alle Krümmungen und 
Biegungen des Ectoderms mitraacht. Sie führt 
den Namen somatisches Mesoblast. Die 
zweite, die Peritonealhöhle nach innen ^ be 
grenzende Lamelle, macht alle Krümmungen 
und Biegungen des Darmdrüsenblattes mit 
und liegt der Darmwand an. Man bezeichnet 



582. 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


diese Lamelle als splanchnisches Meso¬ 
blast. Sowohl das splanchnische als auch 
das somatische Mesoblaslf gehen in einander 
über, und ist diese Uebergangsstelle, wie wir 
bald sehen werden, für die Anlage des Uro¬ 
genitalsystems von grösster Bedeutung. Es 
wurden die zwei Lamellen, welche das Coo- 
lom begrenzen, auch anders benannt. Vom 
somatischen Mesoblast ^glaubte man früher, 
dass es zum Peritoneum parietale und zu 
sämmtlichen Geweben, welche zwischen diesem 


und den Muskeln in der Darmwand und den 
aus ihr hervorgehenden Gebilden zur Ent¬ 
wicklung das erste Bildungsmateriale bieten. 
Man bezeichnet daher das somatische Meso¬ 
blast .als Darmfaserplatte. 

Sowohl die Hautmuskelplatte als auch 
die Darmfaserplatte haben nach unseren 
Kenntnissen in letzter Zeit nicht mehr die 
ihnen hier vindicirte Aufgabe, sondern ihre 
Elemente gehen lediglich nur eine Verände¬ 
rung zu Epithelien, bezw. zu Endothelien ein, 



Fig. 507 a. Querschnitt eines Embryos 1'4cm lang von Mustelus vulgaris in der Höhe der Leber. 



Fig. 507 b. Querdurchschnitt in der unteren Körperhälfte eines Hühnerembryos vom dritten Tage der Bebrütung. 


und dem Ectoderm in der Leibeswand liegen, 
umgewandelt wird. 

Somit wurde supponirt, dass sowohl die 
eigentliche Cutis als auch die Muskeln in der 
Leibeswand, als auch sämmtliche Bindege- 
webssubstanzen aus dieser Lamelle von Zellen 
hervorgehen. Man bezeichnete sie daher als 
Hautmuskel platte. 

Das splanchnische Mesobkst dagegen soll 
dem Peritoneum viscerale und sämmtlichen 
Geweben zwischen dem Peritoneum und dem 
Epithel des Darmes, somit dem Bindegewebe 


Es wird von diesen Elementen die ganze 
Pleuroperitonealhöhle ausgekleidet, zugleich 
werden die Gänge, welche die Anlage für 
das Urogenitalsystem, die Wolffschen und 
Müller’schen Gänge und Elemente, welche 
das Epithel des Ovarium bilden, d. i. das 
Bildungsmateriale für die künftigen Eichen 
der Thiere, geformt. 

Wenn wir die Form dieser Zellen, als 
auskleidende Elemente des Coeloms, anfangs 
betrachten, so ist dieselbe cylindrisch in der 
ganzen Ausdehnung. Später bleiben dann die 





ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 583 


Cylinderepithelien nur dorsalwärts in der 
Peritonealhöhle, also nur auf der Übergangs¬ 
stelle* der somatischen Pleura in die'Splanchno- 
pleura begrenzt, während die auskleidenden 
Elemente im Bereiche der übrigen Peritoneal¬ 
höhle mehr oder weniger flach werden. Das er¬ 
höhte Epithel in der Peritonealhöhle führt den 
Namen Keimepithol. Es wird zu jenem 
epithelialen Ueberzuge verwendet, welcher 
das Ovarialepithel darstellt. Das Keimepithel 
ist sowohl beim männlichen als auch beim 
weiblichen Individuum im Embryonalleben 
vorhanden. Bei den später zu beschreibenden 
Anlagen des Embryos sind diejenigen für 
das Urogenitalsystem gleichfalls in beiden 
Geschlechtern in gleicher Weise vorhanden. 
Es ist somit die Zwitterform als diejenige 
zu betrachten, welche die normale bei den 
Embryonen bleibt. 

An der Uebergangsstelle zwischen den 
Urwirbeln und der Hautmuskelplatte bildet 
sich dorsalwärts aus den Elementen nahe der 
Hautmuskelplatte ein länglicher Gang. Dieser 
stellt anfangs bei manchen Thieren auf dem 
Querschnitte einen soliden Zellenstrang vor, 
der später hohl wird. Paarig in der Anlage 
zu beiden Seiten des Embryos liegt ein 
solcher Gang und zieht gegen das Schwanz¬ 
ende. Hier vereinigen sich beide Gänge und 
münden gemeinschaftlich in die Cloake, d. i. 
die Einmündungsstelle säramtlicher Gänge 
des Urogenitalsystems und des'Darmrohres. 
Die Vereinigung dieser beiden Gänge wird 
theilweise in die Wandung der Cloake ein¬ 
bezogen, welche an dieser Stelle- auch ein 
niedrigeres Epithel besitzt. Die beiden be¬ 
sprochenen Gänge sind die Urnierengänge 
oder die WolfTschen Gänge. Sie stellen das 
epitheliale Substrat für die Urniere dar, 
welche durch seitliche Sprossung aus dem 
Gange die aus Schläuchen zusammengesetzte 
Urniere* oder den WolfTschen Körper dar¬ 
stellt, deren gewundene Schläuche in diesen 
Gang münden. Aus diesem Gange bildet sich 
durch seitliche Sprossung nach der Rücken¬ 
seite des Embryos jederseits eine Ausstülpung, 
die Anlage der bleibenden Niere. Sie 
stellt anfangs ein nach hinten am WolfTschen 
Gange hängendes längliches Säckchen, welches 
anfangs eine bestimmt ausgesprochene hohle 
epitheliale Erhabenheit zeigt, der sich die 
bindegewebigen Elemente des umgebenden 
Mesoderms anlegen. Aus dem WolfTschen 
Gange geht ferner beim männlichen Individuum 
der Samenleiter hervor und soll der Wölfi¬ 
sche Körper in einem Theile seines röhren¬ 
förmigen Organs die Anlage für den Hoden 
enthalten. Beim weiblichen Individuum soll 
dieser Theil ebenso wie der ganze WolfFsche 
Körper untergehen. 

Aus dem Epithel, welches den Uebergang 
der Hautmuskelplatte in die Darmfaserplatte 
bildet, geht noch der Müller’sche Gang hervor. 
Dieser bildet vorzugsweise die Anlage für 
die Tuben und den Uterus und findet im 
männlichen Individuum nach den bisherigen 
Angaben keine Verwendung zur Ausbildung 
der Genitalien. 


Während der Wolffsche Gang mehr nach 
aussen liegt, hat der Mtiller’sche Gang ven- 
tralwärts seinen Verlauf. Seine Anlage zeigt 
sich zu beiden Seiten des Darmes, der im 
Stadium des Abschliessens zu einem Rohre 
umgestaltet ist, in Form einer Furche. Die 
Furche steht offen gegen die Plcuroperitoneal- 
höhle und zeigt, wie Querschnitte belehren, 
nicht einen gleichen Entwicklungsgang in 
seinem ganzen Verlaufe. Auch zeigt die Furche 
in gewissen Abständen, die den Segmenten 
entsprechen, Unterbrechungen, welche sich 
dadurch kundgeben, dass die Furche seicht 
und flach wird. Die Furche wandelt sich in 
ein abgeschlossenes Rohr um, welches an 
seinem oberen Ende offen bleibt und unten 
in die Cloake mündet. Das obere offene Ende 
entspricht jenem Ostium tubae, welches gegen 
die Bauchhöhle offen mündet (s. Fig. 507 a). 

Ist die Anlage für die inneren Genitalien 
vorhanden, dann wächst dieselbe rasch und 
schreitet in der Entwicklung voran. Besonders 
bemerkbar wird dieses an dem WolfTschen 
Körper, welcher bald einen beträchtlichen 
Theil des Körperquerschnittes einnimrat. Da¬ 
durch entsteht am Embryo zu beiden Seiten 
der Wirbelsäule eine hügelartige Hervor- 
ragung gegen die Peritonealhöhle, was be¬ 
sonders an den Querschnitten deutlich her¬ 
vortritt. 

Aus dem Angeführten über das mittlere 
Keimblatt ist es ersichtlich, woher das Sub¬ 
strat für die epithelialen Gebilde, der Anlage 
des Urogenitalsystems und der Peritoneal- 
endothelien kommen. Unbekannt ist uns noch, 
woher der bindegewebige knorpelige, knöcherne 
muskulöse etc. Theil des Embryonalleibes 
stammen, nachdem diese geweblichen Be- 
standtheile aus der Hautmuskelplatte und 
Darmfaserplatte nicht hervorgehen. 

Zur Aufklärung dieser Thatsache ist es 
zweckmässig, die Urwirbel zunächst in ihren 
Veränderungen in der Höhe des Mitteldarmes 
zu verfolgen. Im Verlaufe des vorschreitenden 
Entwicklungsganges werden die Urwirbel 
grösser. Die Grössenzunahme lässt sich auf 
eine Vermehrung der Elemente des centralen 
Theiles der Urwirbel zurückführen, während 
jene des peripheren Theiles unverändert 
bleiben und nur stellenweise in ihrer Con- 
tinuität unterbrochen werden, damit die 
Gebilde des Kernes der Urwirbel, welche 
nicht mehr auf ihrem bisher ihnen einge¬ 
räumten Raum sich beschränken können, nach 
den verschiedenen Richtungen im Embryonal¬ 
leibe sich ausbreiten können. In dieser nach 
den verschiedensten Richtungen vorgescho¬ 
benen Formation aus dem Kerne der Urwirbel 
ist, wie wir bald sehen werden, das Substrat 
für alle Bindesubstanzen und Muskelgewebe 
sowohl in der Leibeswand als auch in der 
Darmwand gegeben. Wie sich dieses Ver¬ 
halten nach und nach herausbildet, werden 
wir aus Folgendem entnehmen. 

Die local sich vermehrenden Elemente 
des Urwirbelkernes (centralen Theiles der 
Urwirbel), welche zu beiden Seiten des Cen¬ 
tralnervensystems liegen, lagern sich derart^ 


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_ Dogle 



ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


584 

dass sie das Nervensystem vom peripheren 
Theile des äusseren Keimblattes durch ihr 
Dazwischentreten trennen. Sie umgeben das- 
. selbe ferner an der ventralen Seite und 
trennen 3ie Chorda vom Bückenmarke, dem 
die erstere eine Zeitlang direct anliegt. 
Ausser diesem Verbreitungsgebiete der Ur- 
wirbelmasse ist noch hervorzuheben, dass sich 
dieselbe nach der Peripherie hin fortsetzt 
und hier überall den Baum ausfüllt, der sich 
durch die Lageveränderung und Anordnung 
der Keimblätter ergibt. Diese Bäume sind 
anfangs nur sehr klein und liegen zwischen 
den Zellenplatten des mittleren Keimblattes 
und den angrenzenden Lagen des äusseren 
und inneren Keimblattes. Sie werden abe^ 
durch die hineingeschobene Formation aus 
den Urwirbeln allmälig grösser, indem dadurch 
die Zellenplatten der verschiedenen Keim¬ 
blätter aus einander weichen. Der ganze ent¬ 
standene Baum wird von der Masse der 
Zellen, die aus dem centralen Theile der Ur- 
wirbel entstanden, ausgefüllt. So sieht man die 
Urwirbelmasse sich dorsal zwischen die*soma- 
tische Pleura und das Ectoderm erstrecken 
und den Raum zwischen beiden vollständig - 
ausfüllen. Wir haben somit die Leibeswand 
des Embryos aus drei aneinander liegenden 
Zellenma8scn gebildet gesehen, von welchen 
die mittlere Zellenlage die stärkste wird. Die 
drei Zellenlagen sind, von aussen nach innen 
gezählt, das Ectoderm, die Fortsetzung der 
Urwirbelmasse und die Somatopleura. Alle 
drei zusammen bilden die Seiten platte. 
Aus der mittleren Schichte der Seitenplatte 
gehen sämmtliche Bindesubstanzen und Muskel¬ 
gebilde der Leibeswand hervor. Ein Theil 
derselben ragt vorn* Ectoderm bedeckt über 
das Niveau der Körperoberfläche hervor und 
wird zur Anlage der Extremitäten, deren 
Gewebe mit Ausnahme der Horngebilde im 
Embryo in Form einer gemeinschaftlichen 
Zellenmasse Zusammenhängen, verwendet. 

Es ist somit der Knochen sammt dem 
au ihm inserirenden Muskel aus einer beiden 
gemeinschaftlichen Zellenmasse — der ür- 
wirbelmasse — hervorgegangen, wie dies 
die entwicklungsgeschichtlichen Studien der 
jüngsten Zeit lehren. 

Ueberdies ist noch zu wissen, dass bei 
den Thieren, wo der Embryo von einer Hülle, 
dem Amnion, umgeben wird, diese Membran 
gleichfalls Elemente der Urwirbelmasse in 
sich birgt. Das Amnion ist ein Product aus 
der Fortsetzung des Ectoderms, welches die 
Seitenplatte bedeckt, und der Hautmuskel¬ 
platte. Beide Lamellen schlagen sich in der 
Höhe des Mitteldarmes von beiden Seiten 
nach dem Bücken des Embryos und ver¬ 
einigen sich mit Hilfe einer an den Berüh- 
rungsrändem auftretenden Verdickung der 
Zellenmasse. Es wird auf diese Weise über 
dem Bücken des Embryos der Sack geschlossen. 
Zwischen die beiden Lamellen rückt gleich¬ 
falls die Urwirbelmasse und bildet eine dritte 
eingeschobene Zellenlage, welche das binde¬ 
gewebige Substrat des Amnions bildet. Es 
ist somit für das Verhalten der Urwirbel¬ 


masse festgestellt, dass sie nicht nur die 
verschiedenen im Embryonalleibe befindlichen 
Bäume umgibt, sondern sie setzt sich* auch 
in die umhüllende Membran (Amnion) des 
Embryos fort und es wird „auf diese Weise 
der Embryo von seiner Urwirbelmasse um« 
geben. 

Die Zunahme der Elemente im Embryo 
bedingt es auch, dass sich diese Masse in die 
verschiedenen im Embryo gebotenen Räume 
fortsetgt. So sieht man die Urwirbelmasse 
sich in den Raum zwischen der Splanchno- 
pleura und dem Entodefm fortsetzen. Es 
ist dies ein Raum, in welchen von der Peri¬ 
pherie her in den Embryonalleib aus dem 
Gefässhofe die Gefässe sich fortsetzen (vasa 
omphalo-mesaraica). Hier findet sich gleich¬ 
falls in späteren Stadien die Fortsetzung der 
Urwirbelmasse, die im Vereine mit der Splan- 
- chnopleura und dem Darmdrüsenblatte im 
Gegensätze zur Seitenplatte nach innen von 
der Pleuroperitonealhöhle die Darmplatte 
. bildet. 

Von hier aus erstrecken sich die Ele¬ 
mente dieser Masse zum Theile mit den Ge- 
fässen in die Dotterblase, einer mit dem 
Darme des Embryos in Verbindung stehenden 
Blase, die mehr bder weniger Nahrungs¬ 
materiale für den Embiyo’ führt. 

Wenn sich im weiteren Verlaufe der Ent¬ 
wicklung die Darmwand zu einem Rohre in 
der Höhe des Mitteldarmes abschliesst, feiper 
wenn die Leibeswand von jeder Seite ein¬ 
ander entgegenkommt, so dass sich beide 
mit einander vereinigen, dann kommt die 
Seitenplatte mit der Seitenplatte und die 
Darmplatte mit der Darmplatte in Verbindung, 
wobei die Urwirbelmasse derart im Embryo 
angeordnet wird, dass sie sämmtliche Bäume, 
die in der Höhe des Mitteldarmes entstanden, 
umgibt. Nur an einer umschriebenen Stelle 
in der Höhe des Nabels bleibt die -Vereini¬ 
gung unterbrochen, bis die Entwicklungs¬ 
vorgänge Am Kopf und am Schwanzende des 
Embryos so weit gediehen sind, dass sie sich 
zu denen des Mitteldarmes gesellen, um den 
Nabel zu bilden und abzuschliessen (Fig. 508). 

Am Kopfende treten ausser den Krüm¬ 
mungen der Gehirnblasen, deren wir bef der 
Beschreibung der Anlagen im Ectoderm ge¬ 
dachten, noch Krümmungen der ganzen Keim¬ 
anlage auf, wo sich ebenfalls, wie das in der 
Höhe des Mitteldarmes zu sehen war, ein 
Theil der Keimanlage zu Amniosbildung über ■ 
den Kopf des Embryos zurückschlägt. Es sei 
dieser Vorgang hier, in Kurzem geschildert. 
Das äussere Keimblatt schlägt sich gegen 
die Bauchseite um und macht hierauf eine 
Faltenbildung durch, vermöge welcher der 
Kopftheil einen Ueberzug erlangt, der gleich¬ 
sam mit einer kappenartigen Bedeckung ver* 
glichen wird. An dieser Umschlagstelle be¬ 
obachtet man ausser dem äusseren Keim¬ 
blatte noch die Hautmuskelplatte des mitt¬ 
leren Keimblattes, die sich in ähnlicher Weise 
umschlägt und an allen Krümmungen und . 
Biegungen des Ectoderms am Kopftheile 
ebenso wie sonst im Embryonalleibe parti- 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


585 


cipirt und sich dem Ectoderm anlegt. Die 
sich über den Kopf schlagende Falte wird 
Kopfkappe genannt. Sie wächst gegen die 
hintere Körperhälfte des Embryos, wo sie 
sich mit der entgegenkommenden Schwanz¬ 
kappe und den seitlichen sich umschlagenden 
Falten vereinigt. Die Vereinigungsstelle wird 
Amniosnabel genannt. An dieser Stelle 
besitzen alle entgegenkommenden Falten eine 
Verdickung, durch welche ihre Vereinigung 
zum Abschlüsse des Amniossackes bewirkt wird. 

So weit über das äussere Keimblatt und 
die Hautmuskelplatte des Mesoderms mit 
Rücksicht auf ihr Verhalten bei der Bildung 
der Kopfkappe. Während sich diese beiden 
genannten Zellenlagen derart verhalten, biegen 
sich die Darmfaserplatten und das Entoderm 
gleichfalls gegen die Bauchfläche des Em- 


Herz mit einem mesenteriumähnlichen An¬ 
hänge an der unteren Fläche des Vorderdarmes 
hängt (Fig. 509). Die Elemente dieser -Ver¬ 
bindung gehen einerseits in die Herzwandung, 
andererseits In die auskleidenden Gebilde 
der Pleurocardialhöhle über. Im Innern der 
Herzhöhle begegnen wir einer der gebildeten 
Herzwand anliegenden, als innere Auskleidung 
mehr oder weniger flach ausgebreiteten Zellen¬ 
lage, welche mit den Elementen der Urwirbel- 
masse zusammenhängt, die den Vorderdarm 
umgibt. Betrachtet man das Herz als Ganzes, 
so stellt es einen länglichen Schlauch dar, 
welcher S-förmig gekrümmt ist, nach vorne 
und hinten in je ein gabelig sich theilendes 
Endstück ausläuft. Die* zwei Aeste am vor¬ 
deren Ende sind arterielle Aeste, aus denen 
die Kiemenschlagadern und die Aorten her- 



Keimopithel 


Nervensystem 


Ectoderm 

Peripherer Theil der Urwirbel 
Aorta 


Urwirbelmasse 
_ Chorda 


/ußführungsgang 
es WolfFschen 
Körpei - 

Hautmuskolplatto 


Urwirbelmasse in 
der Seitenplatto 


Dotterelomeute im offenen Darm 


Urwirbelmasse in _ 
der Seitenplatte ■ 


Aeusseros Epithel 
des Amnion 


Inneres Epithel. 

des Amnion 


Amnioshöhle"" 


Darmfaserplatto 
tlrwirbolmasse der Darm- 
wand 


Entoderm'' 


Urwirbelmasse ins 
Amnion .übergehend 


Peripherer Theil der 
Urwirbel 


Kern der Urw ?rKo1 


Vasa omplialo-mesaraica 


Fig. 509- Querschnitt in der Höhe des Mitteldarmes, vom Huhne am dritten Tage der Ilebrütung. 


bryos um und biegen in die Dotterblasen- 
-wand ein, welche sie mit der zwischen ihnen 
befindlichen Urwirbelmasse bilden. Durch die 
Umbiegung dieser Schichten gegen den Bauch 
des Embryos, was vom Kopfe her und von 
beiden Seiten aus geschieht, wird ein Theil 
des offenen Darmes in ein Rohr umgestaltet. 
Man bezeichnet diesen Abschnitt des Darmes 
als Vorderdarra. Vor demselben ist ein spalt¬ 
förmiger Raum, entsprechend der Pericardial- 
höhle. Aus einer umschriebenen Stelle der" 
Darmfaserplatte wird das Herz gebildet. Man 
beobachtet dasselbe als ein kleines hohles 
Säckchen, welches dem Vorderdarm anhängt 
Und dessen Wandung aus den Elementen der 
Darmfaserplatte besteht. 

Auf Querschnitten durch den Embryonal¬ 
leib beobachtet man, dass das embryonale 


Vorgehen. Die hinteren zwei Aeste sammeln 
das Blut aus dem Gefässhofe, wo dasselbe 
oxydirt wird und als sauerstoffhaltiges Blut in 
das Herz kommt, von wo es in den Körper¬ 
kreislauf übergeht, von da in den Gefässhof; 
es lässt in diesem Stadium der Entwicklung 
den ersten Kreislauf des Wirbelthieres er¬ 
kennen (Fig. 510 a, b). 

Das Herz selbst besteht aus contractilen, 
zelligen Elementen, welche gar keine Aehn- 
lichkeit mit den contractilen Fasern der 
Muskeln besitzen. Die Contraction des Herzens 
ist eine rhythmische, verhältnissmässig rasche, 
und wird durch verschiedene physikalische 
und chemische Einflüsse verändert. Da wir 
in diesem Entwicklungsstadium keine specifi- 
schen nervösen Elemente kennen, auch keine 
Verbindung zwischen dem Herzen und dem 









586 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


Centralnervensystem 



Fi g. 509. Querschnitt eines Kaninchenembryos vom elften bis zwölften Tage der Entwicklung, 


Arcus aorta 



Fig. 510 a. Schema des Blutkreislaufes beim Hühnerembryo am dritten Tage (hell ist cordipetal, dunkel ist cordifugal)^ 

Nach Preyer. 



Fig. 510 b. llühnerembryo vom dritten Tage der Bebrütung nach Entfernung der Eischale und Schalenhaut. 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


587 


Nervensysteme uns bekannt ist, so können 
wir die Ursache der Contraction noch nicht 
in das Nervensystem verlegen, sondern müssen 
in dem Protoplasma des embryonalen Herzens 
selbst die Fähigkeit, sich rhythmisch zu con- 
trahiren, annehmen. Als Beweis hiefür gilt 
uns die Thatsache, dass ein ausgeschnittenes 
Herz vom Embryo, in dem keine Ganglien¬ 
zellen vorhanden sind, sich rhythmisch con- 
trahirt.*Dasselbe zeigen die Elemente des 
frisch herauspräparirtcn Herzens an Zupfprä¬ 
paraten. Die Temperaturerhöhung bis zur 
Bebrütungstemperatur bei Hühnereiern erhöht, 
die Erniedrigung derselben verlangsamt den 
Pulsschlag des Embryos. 

In späteren Entwicklungsstadien "ändert 
sich das schläuchförmige Herz sowohl mit 
Rücksicht auf seinen Bau als auch in Be¬ 
ziehung seiner anatomischen Bestandteile, 
je nach der Thiergattung, welcher es ange¬ 
hört, und ändert sich auch demgemäss die 
Verteilung und Anordnung der Gefässe im 
Körper. 

Nachdem das Herz angelegt und die Kopf¬ 
kappe des Embryos vom Amnion ausgebil¬ 
det ist, beobachtet man Vorgänge in der 
Höhe des Kopfes bei den Wirbeltieren, 
welche zur Gliederung des Kopfes vom Rumpfe 
durch den eingeschobenen Hals führen. Ferner 
geht damit einher die Ausbildung des Ge¬ 
sichtes, des äusseren und mittleren Gehör¬ 
organes, der Hypophysis, der ganzen Mund-, 
Rachen- und Nasenhöhle. Es entstehen paarig 
an beiden Seiten des Kopfes unterhalb der 
Gehirnblase jederseits fünf Fortsätze aus der 
Masse der Urwirbel, die sich gegen das 
Kopfende erstreckt, und gleichsam die Bil¬ 
dungsmasse abgibt, welche sich an der Aus¬ 
bildung der Sinnesorgane beteiligt, insoferne 
diese aus dem Mesoderm zu ihrem Ausbaue 
die verschiedenen Bindesubstanzen und Mus¬ 
keln beziehen. Diese gesammte Zellenmasse, 
welche in jener Höhe an fängt, wo die Seg¬ 
mente autören, ist ein Theil der Urwirbel- 
masse und führt den Namen Sinnesplatte. 


Aus dieser Sinnesplatte gehen die oben er¬ 
wähnten stumpfartigen Fortsätze hervor. Es 
sind dies die Kiemenbögen, in ihnen be¬ 
finden sichKiemengefasse, zwischen den Kie¬ 
menbögen befinden sich Räume —Zwischenkie¬ 
menräume (Fig. 511 a). Wenn sich die Kiemen¬ 
bögen bauchwärts vereinigt haben, so liegen 
die Zwischenkiemenspalten zu beiden Seiten 
paarig. Bei einigen Thieren verschwinden die 
Kiemenbögen bis auf die vordersten drei, 
welche constant bleiben. Ein jeder Kiemen¬ 
bogen besteht aus Mesodermgebilden, welche 
vom peripheren Theile des äusseren Keim¬ 
blattes bedeckt sind. Dadurch, dass die 
Kiemenbögen paarig zu beiden Seiten ent¬ 
stehen und gleichzeitig damit die Krümmung 
der Gehirnblase eingeleitet wird, entsteht 
vor dem blindsackförmigen Ende des Vorder¬ 
darmes eine Bucht, welche man als Mund¬ 
bucht bezeichnet, die in ihrer ganzen Aus¬ 
dehnung vom Nervenhornblatte ausgekleidet 
und durch sämmtliche Schichten des Keimes 
von dem Vorderdarme getrennt ist. Die 
temporär bestehende Scheidewand zwischen 
Mund- und Darmhöhle wird als Rachen¬ 
haut bezeichnet. Nach dem Durchbruche 
dieser treten die Mund- und Darmhöhle mit 
einander in Verbindung. An der umschrie¬ 
benen Stelle, wo der Chordaknopf und das 
blindsackförmige Ende des Vorderdarmes an 
die Gehirnbasis stossen, kommen die drei 
Keimblätter gleichfalls mit einander mehrfach 
in Contact, und wird an dieser Stelle die 
Hypophysis cerebri ausgebildet. 

Die Kiemenbögen haben ihre eigentüm¬ 
lichen Verwendungsarten bei den Wirbel¬ 
tieren, die in Kurzem folgendermassen zu¬ 
sammengestellt werden können. 

Der erste Kiemenbogen, das ist der 
vorderste, macht beiderseits eine winkelige 
Biegung und kommt an der ventralen Seite 
mit dem anderen in Berührung, wobei die 
beiden horizontal ziehenden Aeste mit ein¬ 
ander verwachsen. Aus diesem ersten Kieraen- 
bogen wuchert lateral von seiner Ursprungs- 


III. Ventrikel 



Fig. 511a. Kopf eines Hühnerembryos vom vierten Tage <ler Bebrütung; vom Halse getrennt und von der unteren 

Fläche beobachtet. 



■MV.'??*! 


m 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


Grosshirnblase 

\ 


Naaengrübchen 
Auge 


H. Kiemenbogen 



Stirnnasenfortsatz 


„ Coloboma (Augenspalt) 


Processus oYbitalis 
II. Kienienbogon 


I. Kiemenbogen Visceralspalte 


Fig. 511 b. Kopf des Hahnerembryos vom sechsten Tage; vom Halse getrennt und von der unteren Fläche gesehen. 

(Nach Balfour.) 


Dritte Hirnblaso 


Zweite Himblase 

Grosshirnhemisphäre 
Hintere Extromität 

Stiel des Nabels 


Auge 



Processus orbitalis 
Vierter Ventrikel (Nachhirnblase) 
Unterkie fer forts at z 

Zweiter Kiemenbogen 


Vordere Extremität 


Schwanzende Urwirbel (Segmente) 


Fig. 511 c. Kaninchenembryo von ungefähr zwölf Tagen (Balfour). 


stelle ein Fortsatz gegen die Gehirnblase, er 
wird als Processus orbitalis bezeichnet. Der 
Processus orbitalis und der horizontale Ast 
von beiden Körperhälften einander gegen¬ 
über gestellt, bilden nach ihrer Vereinigung 
den Zugang zur Mundbucht. Aus dem hori¬ 
zontalen Aste wird der Unterkiefer gebildet, 
an der Vereinigungsstelle der beiden Pro¬ 
cessus orbitales kommt der Oberkiefer zu 
Stande. Aus dem Processus orbitalis werden 
noch die verschiedenen übrigen Gesichts¬ 
knochen gebildet, an welche sich von oben 
her das Stirnbein anlegt. An der Vereini¬ 
gungsstelle der beiden Unterkieferäste wird 
bald ein unpaariges Höckerchen sichtbar, 
welches gleichfalls paarig entstanden ist und 
die Anlage der Zunge darstellt, welche, 
nachdem auch der zweite Kiemenbogen sich 
in der Mitte an der Bauchseite vereinigt, 
mit diesem und dem dritten Kiemenbogen 
verwächst (Fig. 511a, b, c). 

Es ist demnach die Vereinigung des 
Zungenbeines, welches aus dem zweiten und 
dritten Kiemenbogen hervorgeht, mit der 
Zunge von vorneherein durch die Anlage ge¬ 
geben. Da der ganze erste Kiemenbogen von 
Ectodermgebilden bedeckt ist, so ist die An¬ 
lage für sämmtliclie Horngebilde in der Mund¬ 
höhle, wie wir solche in den Epithelien der 


Zunge und in den Zähnen finden, gegeben. 
Die Zähne erscheinen anfangs als kleine 
Grübchen, an de^en Grunde die Höckerchen 
als Zahnanlagen zu sehen sind. Jedes dieser 
Höckerchen trägt Epithelien auf der Ober¬ 
fläche und besteht vorwiegend aus Mcsoderm- 
gebilden. Aus der Epithelialbedeckung werden 
die Schmclzprismen gebildet, während das 
Zahnbein, die Gefasse, die Pulpa aus den 
Elementen des mittleren Keimblattes hervor¬ 
gehen. 

Die Epithelialbekleidung am Rande des 
Zahnsäckchens verklebt mit einander, wodurch 
die Zähne im Ober- und Unterkiefer bei den 
Wirbelthieren verborgen bleiben. Der zweite 
Kiemenbogen ist paarig und vereinigt sich 
von beiden Seiten in ähnlicher Weise, wie 
dies beim ersten Kiemenbogen der Fall war. 
Mit ihm zugleich verwächst auch der dritte 
Kiemenbogen in der Mitte. Aus dem zweiten 
Kiemenbogen geht hervor der Processus sty- 
loideus, das Ligamentum stylo-hyoideum und 
die kleinen Hörner des Zungenbeines, während 
die grossen Hörner des Zungenbeines und der 
Körper desselben aus dem dritten Kiemen¬ 
bogen hervorgehen. 

Mit dem Namen Meckerscher Fortsatz 
bezeichnet man einen knorpeligen Strang, der 
sich an der Innenseite des Unterkiefers bei Eni- 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 


589 


bryonen nahe der Mitte des Entwicklungs¬ 
lebens bildet und ein Best des ersten Kiemen¬ 
bogens ist,.welcher nach und nach schwindet. Er 
ist ein Rest der ursprünglichen knorpeligen 
Anlage, an dessen Aussenseite sich die Kno¬ 
chenmasse anlegt. Ein Rest des MeckeTschen 
Fortsatzes ist an der Vereinigungsstelle der 
beiden 'Unterkieferhälften in Form eines 
Knorpelüberzuges zu sehen. 

Es ist eine bekannte Erscheinung, dass 
Asymmetrien der beiden Gesichtshälften bei 
entwickelten Thieren zu beobachten sind. 
Solche Asymmetrien werden zuweilen von 
ungleichmässigem Gebrauche der Muskulatur 
der beiden Gesichtshälften oder auch von 
anderen Momenten abgeleitet. Die Messungen, 
welche an den Kiemenbögen in den frühesten 
Anlagen gemacht wurden, ergaben Massunter- 
schiede, die bald zu Gunsten des Kiemen¬ 
bogens der einen oder anderen Hälfte aus- 
fallen. Auf diese Weise ist es festgestellt, 
dass das ursprüngliche Substrat, welches für 


dem inneren Epithel des Trommelfells ent¬ 
spricht, die Mesodermgebilde, die darauf 
folgen, sind die Membrana propria und der 
Cuticulartheil des Trommelfells, während 
die äussere Epitheldecke dem äusseren Epithel 
des Trommelfells entspricht. Es ist das 
Trommelfell bei den höheren Wirbelthieren 
in diesem Stadium mit der Oberfläche des 
Körpers gleichlaufend, in ähnlicher Weise, 
wie dies bei den niederen Thieren im Ex- 
traembryonalleben der Fall ist. Die Gehör¬ 
knöchelchen sind Producte aus der Basis 
cranii, welche gegen das Mittelohr hinein 
wuchern und eine epitheliale Bedeckung des¬ 
selben besitzen. Man sieht den Steigbügel 
eine Zeitlang an jener Stelle, wo :wir das 
foramen ovale finden, mit der Labyrinthkapsel 
innig verwachsen. Erst später bildet sich 
eine Gelenksverbindüng aus, durch welche 
das foramen ovale entsteht, das durch 
die Steigbügelplatte bedeckt wird. Die Ge¬ 
lenke zwischen dem Steigbügel und Ambos, 



• / / 

Verengerung zwischen Mund- und Paukenhöhle 
Paukenhöhle (Tuba Eustochii) 


Fig. 512. "Mittelohr des Embryos vom Kaninchen. 


die Ausbildung" der Gesichtshälften gegeben 
ist, ungleich vertheilt auftritt. 

Wir können diesen Theil der embryonalen 
Entwicklung nicht verlassen, ohne auf die 
Bildungsweise des mittleren Öhres, der Gehör¬ 
knöchelchen, zurückzukommen, da das Mittel¬ 
ohr aus der Mundbucht und nicht, wie man 
früher glaubte, durch Umwandlung des ersten 
Kiemenspaltes gebildet wird. 

Es haben die Untersuchungen in der 
letzten Zeit gezeigt, dass von der Mundhöhle 
aus, welche in. dieser Höhe einem stark aus¬ 
gebildeten Querspalte auf dem Durchschnitte 
gleicht, seitlich ein Theil ausgebuchtet wird 
und nahezu die äussere Oberfläche des Ecto- 
derms erreicht, wenn nicht einige Reste der 
Mesodermgebilde die ectodermale Auskleidung 
der Mundhöhle, bezw. der seitlichen Aus¬ 
buchtung von der oberflächlichen Zellbedeckung 
trennen würden. Die seitliche Ausbuchtung 
stellt uns das Mittelohr vor. Jene Stelle der 
Bucht, welche nahezu die äussere Oberfläche 
erreicht, besitzt eine Zellauskleidung, welche 


ferner zwischen Hammer und . Ambos sind 
ursprünglich nicht vorhanden, [sondern man 
begegnet im Embryo einer Continuität der 
Gehörknöchelchen. Das ganze Mittelohr der 
Embryonen ist überdies vom embryonalen 
Bindegewebe ausgefüllt (Fig. 512). 

Die am Kopfe befindlichen Mesoderm¬ 
gebilde, welche die Gehirnblasen umwuchern 
und sämmtliclie Anlagen der peripheren Sinnes¬ 
organe umgeben, bilden die Gefässe und die 
verschiedenen Bindesubstanzen der bezüglichen 
Sinnesorgane. Sie sind demnach die Grundlage 
für die Schädelknochen, die knöchernen Ge¬ 
bilde des Labyrinthes, Bindegewebsmassen im 
Auge, sie completiren die Gewebe des Geruchs¬ 
organs, kurz, sie verhalten sich mit Rücksicht 
auf ihr Verbreitungsgebiet ähnlich der Ur- 
wirbelmasse in der Höhe des Mitteldarmes. 

Am JSchwanztheile des Embryos gQhen 
ebenfalls "ähnliche En twicklungserscheinungen 
vor sich, wie wir sie am Kopfende schilderten. 
Es kommt zur Bildung einer Schwanzkappe, die 
in ähnlicher Weise wie die der Kopfkappe er- 




590 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


folgt. Es schlagen sich hier die drei Keim¬ 
blätter zur Bildung einer blindsackförmigen 
Vertiefung am Schwanzdarme um. Das äus¬ 
sere Keimblatt biegt sich dann gegen den 
Rücken des Embryos zur Amnionbildung um. 
Mit ihm geht die Hautmuskelplatte und zwischen 
diesen beiden ein Theil der Urwirbelmasse in 
die Formation des Schwanztheiles des Amnions 
ein. Die Darmfaserplatte schlägt sich mehr 
oder weniger ventralwärts zu dem Darmdrüsen¬ 
blatte und liegt demselben an, bis sich die 
Urwirbelmasse aus der Darmwand in dieselbe 
hinein erstreckt. 

Am Schwanzende findet sich im Allge¬ 
meinen, sowohl was die Faltenbildung als 
auch was die Ausbildung des blindsackförmigen 
Darmes betrifft, dass alle diese Theile viel 
kleiner sind, als die bezüglichen Theile am 
Kopfende des Embryos waren. 

Aus dem Darmdrüsenblatte und der Darm¬ 
faserplatte wird bei einer Reihe von Thieren 
(Allantoideae) ein Theil der Darmw r and vom 
Schwanzende in Form einer bald kleineren, bald 
grösseren Blase hervorgetrieben, welche ven¬ 
tralwärts wächst und die Allantoisblase dar¬ 
stellt. Die Blase hängt durch einen Stiel an 
dem Darme, der Allantoisstiel genannt wird. 
Ein Theil desselben liegt innerhalb der Bauch¬ 
wand und wird in seinem hinteren Abschnitte 
zur Harnblase umgestaltet, während sein vor¬ 
derer Theil eine Zeitlang im Embryonal¬ 
leben den Urachus bildet, der offen als Stiel 
der Allantois in den Nabelstrang hinein sich 
erstreckt. 

Die Allantois liegt in ihrer ersten Ent¬ 
wicklungsform als eine Falte, mit der Con- 
vexität nach oben gerichtet, ausserhalb des 
Embryonalleibes. Dies geschieht schon zu 
einer Zeit, bevor die Sclnvanzkrümmung ein¬ 
geleitet wird. Diese Falte wird durch die Bil- 
dungsvorgänge nach und nach so gestellt, dass 
dieselbe bauchwärts zu liegen kommt, wo sie 
dann in den Schwanzdarm mündet. 

Die Allantois (Fig. 513) wird allmälig 



Fig. 613. Schema zu deu Eihauten de* SAugcthierembryoä. 
A Sack der Allantois ; 0 NaholM.tschon ; E' E'eigentliches 
Amnion; E* E" sog. .seröse Hülle, die sieh vom Amnion 
lo-.löst und einen Theil des spateren t’horions bildet; 
C Amuioüuubel; V liest der Zonu pellucida (primitives 
Chorionj. 


grösser, und ihr Sack enthält eine Flüssigkeit, 
die Allantoisflüssigkeit genannt, welche durch 
einen in ihr vorkommenaen Körper, das Allan- 
toin, besonders beachtenswerth ist, indem 
dieses ein Secret des Harnapparates des Em¬ 
bryos repräsentirt. 

Nachdem die Allantois allmälig grösser 
wurde, gestaltet sie sich derart, dass sie über 
den Rücken des Embryos sich hinüberschlägt 
und sich in einen häutigen Sack umw'andelt, 
der den Embryo als zweite Umhüllung nach 
aussen umschliesst. Es legt sich diese Mem¬ 
bran dem Amnion an und bildet das Cho- 
rium. 

Diese beiden Membranen stellen die Ei- 
liäute im strengen Sinne des Wortes vor, sie 
sind beide Producte aus dem Embryonalleibe. 
Während das Amnion als aus der Seitenplatte 
hervorgegangen betrachtet wird, ist“ das Cho¬ 
rion ein Product aus der Darmwand, und in 
beide setzt sich die Urwirbelmasse fort. 

Zu diesen Eihäuten gesellt sich ein mem- 
branöser Ueberzug, welcher nicht vom Embryo 
stammt, sondern dem mütterlichen Boden an¬ 
gehört. Es ist dies eine metamorphosirte Schleim¬ 
haut des Uterus, welche gleichsam in einen 
hypertrophischen Zustand überführt wird, so¬ 
bald das Eichen in die Uterinhöhle gelangt. 
Das Ei wird nämlich in* eine Falte des Uterus 
aufgenommen. Diese Falte umschliesst das 
Ei und bildet die Decidua vera, während die 
übrige Schleimhaut, die sich von der Falte 
zurückschlägt, und die Schleimhaut des Uterus 
im Allgemeinen als Decidua (Decidua reflexa, 
serotina etc.) bezeichnet wird. Die Vereinigung 
der Decidua, des vom Mutterboden gelieferten 
Theiles der Eihaut, mit dem Chorion der fötalen 
Eihaut bildet ein Ernährungsorgan des Em¬ 
bryos, welches wir als Placenta kennen lernen 
werden. Die Allantois besitzt, nachdem sie 
sackartig ausgebildet ist, einige Gefässe, welche 
als Vasa allantoidea bezeichnet werden. Diese 
sind Aeste der Aorta und versorgen mit ihren 
Verzweigungen das Chorion. Es wird dadurch 
das Chorion zu einer sehr gefassreichen Mem¬ 
bran, und wenn dasselbe auf seiner äusseren 
Oberfläche eine Menge von grösseren und 
kleineren Zöttchen erhält, so werden auch 
diese mit Capillarschlingen versorgt, und das 
früher glatte Chorion wird zu einem sog. 
Chorionfrondosumumgestaltet; zwischen diesen 
Zöttchen und der Decidua tritt eine innige Ver¬ 
bindung derart ein, dass sich die Zöttchen in 
die erweiterten und vergrösserten Drüsenräume 
der Uterinschleimhaut erstrecken, und es wird 
hiedurch die erste Verbindung zwischen Chorion 
und der Uterinschleimhaut bewerkstelligt, wo¬ 
durch es zur ersten Anlage der Placenta gekom¬ 
men ist. Nicht alle Zöttchen auf der Chorion¬ 
oberfläche bleiben und w erden bei allen Thieren 
zur Placentarbjldung einbezogen. Bei -einigen 
wird nur ein Theil zur Placenta verwendet, 
während der übrige Theil mehr oder weniger 
zu Grunde geht und atrophirt. Solche Thiere 
besitzen eine discale Placenta. Bei anderen 
Thieren bleiben die Zöttchen auf der ganzen 
Oberfläche oder zum grössten Theile erhalten. 
.Solche Thiere haben eine Form der Placenta, 







ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


591 


welche rings um den Embryo ausgebreitet ist. 
Nicht selten ist die Placenta gürtelförmig, 
wie bei dem Huude und den Katzenarten. Zu¬ 
weilen bilden sich einzelne inselförmige Zotten¬ 
anhäufungen aus. Es kommt zur Bildung von 
einzelnen Cotyledonen, wie bei der Placenta 
der Wiederkäuer. 

Bei der Untersuchung der Placenta ergibt 
es sich, dass dieselbe aus zwei Theilen, einer 
Placenta uterina und einer Placenta foetalis, 
besteht. Beide sind in manchen Fällen un¬ 
kennbar mit einander verwachsen, in anderen 
sind sie leicht von einander zu trennen. Die 
Blutgefässe der Placenta foetalis sind von 
denen der Placenta uterina getrennt. Die 
ersteren befinden sich in den Zöttchen als 
capillar verästelte Schlingen und sind von dem 
Blute der mütterlichen Placenta umspült. 

Die Zotten einer Placenta lassen sich 
leicht isoliren und besitzen auf ihrer Oberfläche 
einen Epithelüberzug, der stellenweise als An¬ 
deutung der neu zu entstehenden Zotte ver¬ 
dickt erscheint. Unter dem Epithel ist ein 
bindegewebiges Stroma, in dem die Capillaren 
der Zotte liegen. Stellenweise befinden sich bald 
grössere, bald kleinere Züge von Bindegewebe. 

Entoderm. 

Unter dieser Zellenlage verstehen wir die 
innerste Auskleidung der Keimanlage. Sie prä- 
sentirt sich zumeist in den frühesten Stadien 
im axialen Theile des Keimes unter dem Nerven¬ 
systeme als eine einschichtige Lage von Platten- 
epithelien, die auf dem Durchschnitte Durch¬ 
schnitten von Spindeln gleichen. Seitlich ist 
die Zellenlage verdickt Die anfänglich platten 
Gebilde werden in späteren Entwickiungsstadien 
cylindrisch und ziehen als auskleidende Ele¬ 
mente durch den ganzen Darmtract und in die 
Wege, welche als Drüsenausführungsgänge in 
den Dann münden. Man sieht in diesen Ele¬ 
menten die Kernfiguren in bestimmten Axen 
der Zellen liegen, welche sich constant in der¬ 
selben Ebene der Zellen zeigen. 

Bei den Krümmungen, welche wir am 
Embryo am Kopf- und Schwanztheile beob¬ 
achteten und beschrieben haben, die zur Bil¬ 
dung der Kopf- und Schwanzkappe führen, 
hat auch das Entoderm zur Auskleidung der 
Elemente des Darmes die Krümmungen mit¬ 
gemacht. Es geht ferner in die Dotterblase 
über, welche gleichfalls vom Entoderm aus¬ 
gekleidet wird. Ein Stiel — der Ductus 
omphalo-mesaraicus — besitzt Elemente 
des Entoderms als innere Auskleidung. Die¬ 
selben sind als deutliche Cylinderepitheliep 
bei jenen Thieren zu sehen, bei denen es nur 
einen Dotterstrang gibt. Dieser ist ein 
Gebilde, in welchen sich in ähnlicher Weise, 
wie im Nabelstrang der Stiel der Dotter¬ 
blase fortsetzt. Er findet sich bei allen jenen 
Thieren, welche eine Dottersackplacenta 
besitzen, wobei das Entodermepithel zur Pla- 
centarbildung mit einbezogen wird; Bei diesen 
Thieren kommt es nur zu einer* einmaligen 
Fortsetzung der Entodermeleraente nach aussen 
vom Embryonalleibe. Es sind diese Erschei¬ 
nungen am Dotterstrange deutlich bei mustelus 


vulgaris und an dem Dotterstrange und der 
Dottersackplacenta des glatten Haies des Ari¬ 
stoteles zu sehen. 

Bei den Amnioten existiren zwei Fort¬ 
setzungen des Entoderms, die sich aus dem 
Embryonalleibe nach aussen und rin den 
Nabelstrang hinein erstrecken. Das erstemal 
zieht eine Fortsetzung des Entoderms in die 
Dotterblase. Der Stiel derselben verkümmert 
bei diesen, und der Rest der sog. Dotter- oder 
Nabelblase bleibt zwischen dem Chorion und 
Amnion in der Peripherie liegen, welcher noch 
als verkümmertes Bläschen zwischen diesen 
Membranen in den Eihäuten der Neugeborenen 
zu finden ist. — Eine zweite Fortsetzung des 
Entodenns bei den Amnioten ist die Fort¬ 
setzung in den Stiel der Allantois und in die 
Allantois selbst. Von diesem Abschnitte des 
Entoderms wird der Theil, welcher im Stiele 
der Allantois innerhalb des Embryonalleibes 
sich befindet, zum auskleidenden Epithel der 
Harnblase und des Urachus. Bei dem letzteren 
und im Gebiete des Nabelstranges verkümmert 
dasselbe mit dem Hohlraume, den es auskleidet. 
Ebenso ist sein Schicksal in jenem Abschnitte 
der Allantois unbekannt bis auf den Umstand, 
dass es zur Zeit geschwunden ist, da sich 
aus der Allantois eine Membran ausgebildet hat, 
welche wir als Chorion bezeichneten. 

Nach dem Durchbruche der Rachenhaut 
tritt die Mundrachenbucht mit dem Vorder¬ 
darme in Communication. Dieser stellt gleich 
vom Beginne angefangen ein geschlossenes 
Rohr vor, in dem sich als innere Auskleidung 
die Zellen des Entoderms auf seiner ganzen 
Oberfläche finden. Es werden daher folge weise 
alle jene Abschnitte des Darmes und seine 
Anhänge, welche in denselben münden, von 
dem Entoderm ausgekleidet werden. So ist der 
Oesophagus und der Magen, die Trachea und 
die Lunge vom Epithel bis in die feinsten 
Verzweigungen ausgekleidet. Es wird in den 
Vorderdarm noch die Anlage der Leber, bezw. 
des ursprünglich unpaaren Gallenganges verlegt. 
Aus dem Mitteldarme, wenn derselbe geschlossen 
wird, geht der Dünndarm hervor. Seine Höhle 
wird gleichfalls vom Entoderm ausgekleidet. 
Es sind somit die Epithelien des Darmcanals 
samint dem ihnen charakteristischen Saume, 
also die peripheren Endstätten zur Aufnahme 
des Chylus aus dem Entoderm hervorgegangen. 
Wenn man den Schwanzdarm mit seinen An¬ 
hängen betrachtet, so geschieht in ihm genau 
dasselbe. Er gibt das Epithel für den Dick¬ 
darm, Enddarm der verschiedenen Thiere mit 
der epithelialen Auskleidung seiner Anhänge. 
Jener Theil der Cloake, wo die Ausführungs¬ 
gänge des Urogenitalapparates münden, wie 
beispielsweise die Cloakenschenkel oder die 
regio urogenitalis der Cloake, werden theil- 
weise von den Mesodermgebildcn ausgekleidet, 
was besonders bei den Knochenfischen deutlich 
zu beobachten ist. 

Somit haben wir in kurzen Umrissen die 
allgemeinen Anlagen im Embryo der Thiere 
besprochen und bezüglich der Anlagen der 
einzelnen Organe in den einzelnen Keimblät¬ 
tern, soweit es der hier angewiesene Raum 



592 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 


gestattet, das Nothwendigste zum allgemeinen 
Verständnisse über den Aufbau des Thier¬ 
körpers gegeben. Eine Erweiterung* erfahren 
, unsere Kenntnisse über die Embryologie durch 
die in jüngster Zeit an gestellten Forschungen 
über die Physiologie des Embryos. 

Geschiehte. Die Berichte über die Zeu¬ 
gung und Entwicklung der Organismen reichen 
bis in die ältesten Zeiten zurück. Wenn man den 
Schriften der ältesten Forscher im Alterfhume 
Aufmerksamkeit schenkt, so finden sich schon 
Angaben über dieses Capitel zerstreut. So sind 
hier die Namen Pythagoras (550 v. Chr.), An- 
axagoras (500 v. Chr.),Empedokles (473v.Chr.) 
hervorzuheben. Der letztere lehrte bereits, dass 
die ältesten Wesen der Schöpfung unvollständig 
ausgebildet waren. Ferner war es ihm und 
seinen Zeitgenossen bekannt, dass der Embryo 
durch den Nabelstrang seine Nahrung erhält. 

Hippokrates bringt Angaben über Erfah¬ 
rungen auf dem Gebiete der Entwicklung des 
Embryos. Er kennt bereits die Allantois und 
macht Mittheilungen über die Superfötation. 
* Plato theilt mit, dass sich das Rückenmark 
am frühesten angelegt findet. Am ausführ¬ 
lichsten sind die Erfahrungen, des Aristoteles 
(384 v. Chr.). Die Placenta bei den Thieren 
und ihre physiologische Function war ihm 
theilweise bekannt. Er.theilt schon über eine 
polycotyledone Placenta und einen Strang mit, 
durch den diese mit dem Embryo in Verbin¬ 
dung steht. Er kennt ferner ähnliche Ver¬ 
hältnisse bei gewissen Haifischembryonen, Man 
bezeichnet gegenwärtig eine Arf als den glatten 
Hai des Aristoteles, über dessen Dottersack- 
placenta dieser Mittheilungen machte. Aristo¬ 
teles beschrieb ferner, wie das Küchlein im 
Ei ruht. Ueber die Beschreibungen von Miss¬ 
bildungen, die Art und Weise der Begattung 
bei verschiedenen Thieren, über das Entstehen 
des Geschlechtes und viele andere Punkte, 
soweit sie auf das Entwicklungsleben Bezug 
haben, ist bei Aristoteles bereits in den über¬ 
lieferten Schriften berichtet. Bei anderen 
Autoren aus der Zeit vor Christi Geburt finden 
sich verschiedene Mittheilungen embryologi- 
§chen Inhalts. Galen (131—203 n. Chr.) kennt 
das Foramen ovale und den ductus arteriosus. 

Zu verschiedenen Zeiten nach Christi Ge¬ 
burt war die Embryologie gleich den anderen 
Wissenschaften mehr oder weniger gepflegt 
worden, und in gewissen Zeiträumen, gleich 
wie bei den anderen Naturwissenschaften, trat 
ein voller Stillstand ein. 

Erst im XVI. und XVII. Jahrhunderte 
wurde dem Entwicklungsgänge der Organis¬ 
men die volle Aufmerksamkeit zugewondet. 
Besonders hervorzuheben ist Fabricius ab Aqua- 
pendente, welcher Beschreibungen der äusseren 
Formen am sich -entwickelnden Hühnchen, 
Säugethiere und am menschlichen Fötus ge¬ 
bracht *hat. Bis zu Fabricius liegt uns von 
den Anatomen seiner Zeit über die Ent¬ 
wicklungsgeschichte der Thiere wenig vor. 
Von Fabricius ab Aquapendente sind hervor¬ 
zuheben die Schriften: De formato foetu (1600) 
und De formatione foetus (1604). Spigelius 
(1631), De formato foetu. Die ähnlich betitelte 


Schrift von C. Needham 1667 behandelt Em¬ 
bryonen der Säugethiere. Harvey’s Ausspruch: 
Omne vivum ex ovo, ist. allgemein bekannt 
(Exercitationes de generatione animaüum 1652). 
Regner de Graaf (1677, Opera omnia, Cap. XVI) 
machte auf die nach ihm benannten Follikel 
aufmerksam. Swammerdam (1685 f) lehrte den 
Furchungsprocess am Froschei. Leeuwenhoek 
(1690) machte auf die Samenthierchen auf¬ 
merksam und gab hiedurch Veranlassung* zur 
Spaltung in zwei Parteien, die Spermatiker 
und Ovulisten. Vallisneri, Verhoyen, Ruysch, 
Kerkring, Hävers waren Männer, deren Thätig- 
keit mehr mit der Anatomie in Verbindüng 
stand, die aber mehr oder weniger auch das 
Wissen in der Embryologie erweiterten. Mar¬ 
cellus Malpighi (De formatione pulli, de ovo 
incubato [1687]) Batav. Albinus (Icones ossium 
foetus 1737). In den Schriften des Physiologen 
Haller ist in der grossen Physiologie und in 
seinen anderen Schriften (1758) auch die Be¬ 
schreibung des Embryos berücksichtigt. 

Dieser Abschnitt bildet eine Periode, in 
der die Embryologie noch nicht als eine in 
den Naturwissenschaften unentbehrlich gewor¬ 
dene Hilfswissenschaft betrachtet wurde. Es 
blieb nur der Lust des einen oder anderen 
Fachmannes überlassen, sich mit der Beschrei¬ 
bung der äusseren Formen der Embryonen zu 
beschäftigen. 

Eine neue Aera wurde von Caspar Friedrich 
Wolff (1733—1794) vorbereitet, welche erst 
ungefähr 80 Jahre später durch Pander und 
v. Bacr zur Blüthe gelangte. Wolffs Haupt- 
yerdienst liegt darin, dass er die Entwicklung 
des Darmes auf eine einfache blattartige Anlage 
zurückführte. Somit legte er den Grundstein 
zur Keimblattlehre, welche später durch Pander 
(1817) und v. Baer (1828—1837, Entwick¬ 
lungsgeschichte, Beobachtung und Reflexion) 
weiter ausgebildet und von dem letzteren unter 
Beobachtung der Entwicklung der einzelnen 
Organe durchgeführt wurde. 

K.E. v. Baer hatte noch das Hauptverdienst, 
dass er in einem offenen Brief an die Peters¬ 
burger Akademie das Säugethierei zum ersten¬ 
mal beschrieb und dadurch den alten Satz: 
Omne vivum ex ovo, vollinhaltlich bestätigte. 
Ueber die Periode in der Entwicklungsgeschichte, 
welche sich während des Lebens Baer’s ab¬ 
spielte, ist das Wichtigste in der Selbstbiographie 
Karl Ernst v. Baer’s (Petersburg 1866) ent¬ 
halten. 

Nach Petersburg käm v.Baer 1834; er starb 
als russischer Unterthan hochbetagt, erblindet 
in Dorpat. 

Aus dieser Zeit sind hervorzuheben die 
Namen: Authenrieth, Sömmering, Senfl^ Oken, 
Kieser, Meckel, Tiedemann, Purkinje, übdr 
welchen letzteren Baer klagte, dass er ihm 
die schönsten Entdeckungen machte; ferner 
Prevost, Dumas, Coste, Seiler, Bröschet, Velpeau, 
Bischoff, E. H. Weber, Allen Thomson, Rathke, 
Johannes Müller, Reichert, Rudolph Wagner, 
Valentin und viele Andere. 

Die Keimblattlehre, wie sie durch Baer 
und Pander begründet wurde, war die Zwei¬ 
blätterlehre; bestehend aus einem animalen 


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ß UNI 


UNIVE^köh i j 

' -^NTWICKLUNGSZUSTAND 


DER FUTTERPFLANZEN. 


593 


und vegetativen Blatte, oder auch seröses und 
Schleimblatt genannt, welche für v. Baer nicht 
zur Erklärung aller Thatsachen imEntwicklungs- 
gange der Organe ausreichte. Er war daher 
genöthigt, eine Schichte einzuschieben, aus 
welcher die Gefässe und die. Faserwand des 
Darmes hervorgehen soll. Durch die Arbeiten 
von Schwann und Schleiden trat eine neue Aera 
in allen biologischen Wissenschaften ein, und die 
Zellenlehre wurde zur Grundlage der Betrach¬ 
tungen über den Entwicklungsgang der Orga¬ 
nismen. C. Th. v. Siebold, Rathke, Reichert, 
Remak sind Autoren, welche in erster Linie 
genannt zu werden verdienen, und besonders 
ist es letzterer, welcher durch seine Keimblatt¬ 
lehre den Grundstein zu den aus gebreiteten 
Kenntnissen der Embryologie legte, wie sie 
uns die Literatur der Gegenwart liefert. Durch 
die Umgestaltung der Zellenlehre, wonach die 
einzelnen Zellen nach Brücke als Elementar¬ 
organismen anzusprechen sind, änderte sich 
auch die Auffassungsweise des Eichens. Der 
Entwicklungsgang wird in einer anderen Weise 
aufgefasst, wie dies schon im Jahre 1863 von 
M. Schultze in einem Aufsatze dargelegt wurde: 
Observationes nonnullae de ovorum ranarum 
segmentatione. 

In den letzten zwanzig Jahren wurde die 
Embryologie an den versöhiedenen Hochschulen 
gelehrt und bearbeitet. Es ist hier nicht der 
Ort, auf die Leistungen der meisten gegen¬ 
wärtig lebenden Autoren näher einzugehen. 
Es sei hier nur erwähnt, dass sich im All¬ 
gemeinen das Bestreben zeigt, die Entwick¬ 
lungsgeschichte des Menschen und der Thiere 
von den verschiedensten Gesichtspunkten zu 
ergründen. Man sucht die Anatomie und 
Physiologie des Embryos zu erforschen, um 
auf Grundlage des Entwicklungsganges der 
einzelnen Individuen die Stammesgeschichte 
(Phylogenie) kennen zu lernen. Namentlich ist 
der letztere Abschnitt eine Erweiterung unserer 
Kenntnisse, zu weither wir durch Darwin's 
epochemachenden Arbeiten über die Descendenz- 
lehre gelangten. Wir wollen nun die verschie¬ 
denen Hochschulen folgen lassen, an welchen 
und durch wen Embryologie gelehrt und ge¬ 
pflegt wird: Berlin (Waldeyer); Breslau 
(Auerbach); Budapest (Mihalkovics, v. Than- 
hoffer); Erlangen (Gerlach); Freiburg i. B. 
(Wiedersheim); Frankfurt a. M. (Bütschli); 
Graz (Ebner); Greifswald (Laudois);Halle 
(Welker Herrn.); Heidelberg (Gegenbaur); 
Innsbruck (Oellacher); Jena (Haeckel, 
Preyer); Kiel (Hensen); Leipzig (His, 
Räuber); Marburg (Lieberkühn, Gasser); 
München (Kupffer); Strassburg (Goette); 
Wien (Schenk); Würz bürg (Koelliker); 
Genf (Fol); Paris (Robin, Balbiani, Blan- 
chard); Gent (Yan Bambecke); Lüttich 
(E. van Beneden); Löwen (Gilton?); Cam¬ 
bridge (Balfour, Foster); Neapel (Zoologi¬ 
sche Station); Russische Universitäten 
(Owsjanikow, Babuchin, Kowalewsky, Mecz- 
nikow [in Odessa als Privater zurückgezogen], 
Peremeschko); Warschau (Hoyer). 

Von den Werken, welche in den letzten 
Jahren erschienen und eine allgemeine Ueber- 

Koeh. Encyklopädie d. Thierheilkd. II. Bd. 


sicht über den anatomischen Theil der Embryo¬ 
logie darstellen, sind folgende zu nennen. 

Literatur : B i s c h o f f, Entwicklungsgeschichte 
der Säugethiere und des Menschen, Leipzig 1842. — 
Ecker A., Icones physiologicae 1851—1859, Bildliche 
Darstellungen. — E r d 1, Entwicklung der Leibesform des 
Hühnchens 1845. — Rathke, Entwicklungsgeschichte 
der Wirbelthiere, Leipzig 1861. — Schenk S. L., Lehr¬ 
buch der vergleichenden Embryologie der Wirbelthiere 1874. 
— Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie, 
deutsch von Dr. B. Vetter, 1880. — E. Haeckel, An- 
thropogenie 1874. — W. His, Unsere Körperform, Leipzig 

1875. — Koelliker, Entwicklungsgeschichte etc., Leipzig 

1876. — Die Specialschriften sind zerstreut in den ver¬ 

schiedenen Archiven und Jahrbüchern. Plastische Dar¬ 
stellungen aus Wachs zum Verständnisse der anatomischen 
Verhältnisse werden von Dr. A. Ziegl er in Freiburg i. B. 
angefertigt. Schenk. 

Entwicklungszustand der Futterpflanzen 

und ihr Nährstoffgehalt. Alle Pflanzen sind 
im grossen Ganzen im jugendlichen Zu¬ 
stand reicher an stickstoffhaltigen Bestand- 
theilen und an Asche, während der Holzfaser¬ 
gehalt mit dem Alter zunimmt und sich 
zugleich die Verdaulichkeit der Einzelnnähr¬ 
stoffe vermindert. Nachdem die stickstoff¬ 
haltigen Nährstoffe die theuersten und werth¬ 
vollsten sind, weil ferner mit dem Holzfaser¬ 
gehalt der Futtermittel die Verdaulichkeit 
abnimmt, leuchtet von selbst ein, dass die 
vegetabilischen Substanzen gemeinhin um so 
nährkräftiger sein müssen, je eher dieselben 
eingeheimst und verfüttert werden. Eine Aus¬ 
nahme machen in letzterer Beziehung nur 
die Wurzeln, Knollen und Samen, die 
nämlich im vollentwickelten Zustande am 
reichhaltigsten an verdaulichen Nährstoffen 
sind. Der beste Zeitpunkt für das Ab 
bringen allen krautartigen Futters ist der 
Eintritt jenes Entwicklungsstadiums, in 
welchem man am meisten Rohnährstoffe ge¬ 
winnt, ohne dass bereits eine wesentliche Ver¬ 
ringerung der Verdaulichkeit eingetreten wäre. 
Dieser Zeitpunkt tritt bei den meisten kraut- 
artigen Futterpflanzen theils dicht vor, theils 
beim Beginn oder während der vollen Blüthe 
ein. Die angedeuteten Variationen im Stoff¬ 
gehalt der verschiedenen Pflanzenbestand- 
theile werden bedingt durch die in der 
lebenden Pflanze vor sich gehenden Stoff¬ 
wanderungen, welchen zufolge bald die 
Stengel, bald die Blättern und dann wieder 
die Blüthen oder Samen und deren ver¬ 
schiedene Bestandteile mehr oder weniger 
reich an gewissen Nährstoffen sind. Es wird 
daher auch der Nährwerth der Futterpflanzen 
in ausschlaggebender Weise bedingt durch 
das Zusammensetzungsverhältniss derselben 
aus Stengelsubstanz, Blättern und Blüthen, 
Bei in der Reife vorgeschrittenen Futter¬ 
pflanzen ist der Nährwerth um so grösser, je 
reicher dieselben an Blättern und Blüthen sind. 
Bei jüngeren Pflanzen ist hingegen ein mög¬ 
lichst hoherGehalt an feinen fleischigen Stengel- 
theilen und an Blättern am erwünschtesten. 
Beim Getreidestroh enthalten die oberen 
Blätter mehr Protein als die unteren. Es ist 
mit Rücksicht hierauf empfehlenswerth, alle 
minderwerthigen Strohsorten zu halbiren und 
eventuell nur die obere Hälfte zu ver¬ 
füttern. Pott. 


38 


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K 


594 ENTWÖHNEN DER FERKEL. — ENTZÜNDUNG. 


Entwöhnen der Ferkel. Die Dauer der 
Säugezeit richtet sich einmal nach der Rasse 
der Schweine und zweitens nach dem Zwecke 
der Nutzung der abzusetzenden Thiere. Die 
Ferkel, welche von Sauen der primitiven 
europäischen Rassen geboren werden, ent¬ 
wickeln sich langsamer als diejenigen, welche 
von Sauen der veredelten englischen, indi¬ 
schen oder chinesischen Rassen abstammen. 
Die ersteren müssen längere Zeit bei ihren 
Müttern verbleiben als die letzteren, und ebenso 
muss den zur Zucht bestimmten Ferkeln der 
Genuss der Muttermilch längere Zeit gewährt 
werden als denjenigen, welche zum Verkauf 
an sog. Schweinemäster bestimmt sind. Man 
rechnet durchschnittlich auf eine Säugezeit 
von 6 Wochen; doch können wir nur 
dann empfehlen, die Ferkel schon in der 
7. Woche ihres Lebens abzusetzen, wenn sie 
von frühreifer Rasse stammen oder für den 
Verkauf bestimmt sind. Alle zur Zucht be¬ 
stimmten Ferkel werden zweckmässig erst im 
Alter von 2 Monaten entwöhnt: sie werden 
dann allein fressen und andere Futtermittel, 
wie Kleie, Kartoffeln, Gerste, Grünfutter, gut 
verdauen können. Eine Zugabe von Molkerei¬ 
abfällen, Oelkuchen etc. wird den entwöhnten 
Ferkeln sehr dienlich sein. Doch ist hiebei 
grosse Vorsicht nöthig; jedes saure Futter¬ 
mittel ist den Ferkeln nachtheilig. Man gebe 
die Futterrationen in kleinen Portionen und in 
Pausen von 2—2% Stunden. Das Abge¬ 
wöhnen der Ferkel soll nicht auf einmal, 
sondern allmälig geschehen; die sehr zier¬ 
lichen, zurückgebliebenen Thierchen lässt 
man gewöhnlich eine Woche länger bei der 
Sau als die grösseren, kräftigen Ferkel. Die 
ersteren erholen 6ich dann meistens sehr 
rasch und stehen im Alter von 10 bis 
12 Wochen den grösseren Ferkeln im Gewichte 
nicht mehr nach. Freytag. 

Entwöhnen der Fohlen, s. unter „Ab¬ 
setzen“. 

Entwöhnen der Kälber. Die Ansichten 
über die beste Zeit des Absetzens, Abspänens 
oder Entwöhnens des Kalbes sind bei den 
Züchtern der verschiedenen Länder, wo die 
Rindviehzucht umfangreich betrieben wird, 
sehr getheilt. Nach unseren Erfahrungen aus 
der Praxis in Schleswig-Holstein kann die 
Muttermilch in den ersten 7—8 Lebens¬ 
wochen durch keines der sog. Surrogate 
(Kälbertränke) vollständig ersetzt werden, 
und es empfiehlt sich dringend, die jungen 
Thiere entweder gänzlich bei der Kuh zu 
belassen oder dieselben täglich fünf- bis 
sechsmal zu ihren Müttern zu führen, damit 
sie die frische Milch in genügender 
Menge aufnehmen können. Erst später, im 
Alter von 2 Monaten, ist der Magen des 
Kalbes soweit ausgebildet, dass derselbe 
andere Futtermittel ohne Nachtheil auf¬ 
nehmen und verdauen kann. Getreideschrot, 
gekochten Leinsamen, gutes feines Heu oder 
Grummet können zudieser Zeit in den Stall- 
l'ütterungswirthschaften an die Stelle der 
Muttermilch treten, doch dürfte eine Zugabe 
von etwas Milch auch dann noch zu empfehlen 


sein. Wo gute, gesunde Weiden in der Nähe 
des Hofes zur Verfügung stehen, werden 
die Kälber im Alter vou 2—3 Monaten ohne 
Nachtheil ausgetrieben, und sie können hier 
— von der Mutter getrennt — bis zum Herbst 
verbleiben. Sobald aber im October nasses, 
kaltes Wetter eintritt, sollte das Jungvieh 
in den Stall kommen und hier mit Heu, 
Rüben, Kartoffeln und Oelkuchen ernährt 
werden. Salzlecksteine dürfen im Kälberstalle 
niemals fehlen. Das Entwöhnen der 2 Mo¬ 
nate alten Kälber wird allmälig vorgenommen 
und kann sich auf die Dauer von 3 bis 
5 Tagen erstrecken. Jul. Kühn empfiehlt, die 
Entwöhnung der Saugkälber von der Mutter¬ 
milch in derselben Weise vorzunehmen wie 
bei den durch Tränken aufgezogenen Thieren. 
Man gebe ihnen in den ersten 8 Tagen 
nach aem Absetzen nur kuhwarme Milch Und 
entziehe ihnen dieselbe nur allmälig, damit 
sie durch das Entwöhnen nicht vom Fleische 
kommen. Das Auge des Herrn muss bei der 
Aufzucht des Jungviehs stets, und ganz be¬ 
sonders zur Zeit des Absetzens desselben sehr 
wachsam sein. Freytag . 

Entyposis (von ivxoaoöv, Eindruck er¬ 
zeugen), Schultergelenk, Schulterpfanne. Sf. 

Entzündung, Inflammatio, Phlogosis, v\6- 
ytoais, ist ein mit Alteration der Gefasswände 
verbundener Process gestörter Ernährung und 
abnormen Stoffwechsels, der unter den Er¬ 
scheinungen von Hyperämie und Exsudation 
von Serum und farblosen Blutkörperchen ver¬ 
läuft und mit Gewebsveränderungen verbunden 
ist. Die Veränderungen können bestehen in 
Infiltration mit Serum und Eiterkörperchen, 
Entartungen, Neubildungen, Zerstörungen und 
Brand. Schon Celsus (30 v. Chr. bis 50 n. Chr.) 
stellte für die Entzündung vier Cardinalsym- 
ptorae auf, u. zw. erhöhte Temperatur (Calor), 
erhöhte Röthung (Rubor), Geschwulst (Tumor) 
und Schmerz (Dolor). Zu diesen vier Cardinal- 
symptomen der Alten kommt noch ein fünftes, 
die Functionsstörung (Functio laesa). Aber 
nicht bei jeder Entzündung sind alle fünf 
genannten Symptome vorhanden. Bei Ent¬ 
zündungen gefassloser Theile, wie der Cornea 
und Knorpel, .fehlt die höhere Röthe. die 
Geschwulst ist nicht vorhanden bei Entzün¬ 
dungen der Knochen, Knorpel, der serösen 
und fibrösen Häute des Gehirns und Rücken¬ 
marks, und ist auch da nur unbedeutend, wo 
das Exsudat durch die Lymphgefasse schnell 
wieder abgeführt wird. Schmerzen fehlen bei 
Entzündungen solcher Theile, die wenig oder 
keine sensiblen Nerven haben, wie die Nieren, 
einige Schleimhäute u. a. Die Entzündung 
kann alle Körperorgane und Gewebe ergreifen, 
insbesondere aber die gefässhaltigen. Man 
bezeichnet die Entzündung der einzelnen Or¬ 
gane durch Anhängen der Endung „itis u an 
die griechische Bezeichnung der Organe, wie 
z. B. Hirnentzündung als Encephalitis, Hirn¬ 
hautentzündung als Meningitis, Kehlkopf¬ 
entzündung Laryngitis, Nierenentzündung 
Nephritis. Leberentzündung Hepatitis, Bron¬ 
chialentzündung Bronchitis etc. Entzündungen 
der serösen Ucberzüge und äusseren Häute 


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ENTZÜNDUNG. 


595 


werden durch Vorsetzen der Silbe „Peri il vor 
die Benennung des entzündeten Organes be¬ 
zeichnet, z. B. Perimetritis, Entzündung des 
serösen Ueberzuges des Uterus, Peribron¬ 
chitis, Entzündung de* die Bronchien um¬ 
kleidenden Bindegewebsmembran, Periphle¬ 
bitis, Entzündung der Aussenhaut der Venen. 
Entzündung des die Organe umgebenden 
Bindegewebes wird durch Vorsetzen der Silbe 
„Para“ charakterisirt, z. B.Parametritis,Para¬ 
nephritis etc. Die Entzündungen ergreifen 
entweder nur umgrenzte Partien, oder sie 
sind diffus verbreitet. Die einmal entstandene 
Entzündung kann sich der Continuität oder 
■der Contiguität nach ausbreiten. 

Ursachen. Die Disposition zu Entzün¬ 
dungen ist bei den verschiedenen Thier¬ 
gattungen verschieden. Mehr geneigt zu Ent¬ 
zündungen sind Pferde, Schafe, Schweine, 
weniger Rinder, Esel und Hunde. Immunität 
gegen Entzündung kommt keinem Thiere zu, 
nur muss die Entzündungsursache oder der 
Entzündungsreiz in verschiedenem Grade je 
nach der Individualität einwirken, um eine 
wirkliche Entzündung zu erregen. 

Die Entzündungsursachen oder Erreger 
sind 1. im Organismus selbst enthaltene, wie 
Harnaustritt, Gallenergüsse, Austritt von 
Koth und Darmgasen in die Bauchhöhle, 
Bildungen von Zersetzungsproducten in den 
Körpergeweben und Flüssigkeiten, Steine, 
Innervationsstörungen etc.; 2. von aussen hinzu¬ 
gekommene, u. zw. traumatische, wie Schnitte, 
Stiche, Quetschungen, eingedrungene fremde 
Körper etc., thierische Parasiten, pflanzliche 
Parasiten, Pilze und Schizomyceten (Miasmen, 
Contagien), chemisch reizend oder zerstörend 
wirkende Stoffe, Aetzmittel, Medicamente, 
Gifte etc., und thermische, wie hohe Hitze- 
und Kältegrade. 

Um den Entzündungsvorgang zu beob¬ 
achten, bringt man durchsichtige Membranen, 
wie die Schwimmhaut oder Zunge der Frösche, 
Flügel der Fledermäuse oder das Mesenterium 
■der Säugethiere im Zusammenhänge mit dem 
lebenden Thiere unter das Mikroskop und 
applicirt auf dieselben irgend ein Reizmittel, 
wie Ammoniak, Salze, Säuren, Alkohol, 
Kantharidentinctur, Senföl, höhere Hitze- oder 
Kältegrade, mechanische Reize etc. 

Es entsteht an den gereizten Stellen 
nach vorübergehender Verengerung eine Er¬ 
weiterung der Arterien, Capillaren und kleineren 
Venen. Zugleich mit der Erweiterung tritt 
nach vorübergehender Beschleunigung eine 
Verlangsamung des Blutstromes ein in Folge 
von Abnahme des Blutdruckes und Zunahme 
von Reibungswiderständen an den Gefäss- 
wänden. Es sammeln sich in den kleinen 
Venen die leichteren farblosen Blutkörperchen 
an der Randzone an, fliessen langsamer, 
stocken schliesslich ganz und beginnen theils 
durch active Wanderung, theils durch das 
Serum mitgezogen, durch die Wandungen hin¬ 
durch auszutreten, während die schwereren 
rothen Blutkörperchen in der Mitte des Ge- 
fässes ihren Strom fortsetzen. Aus den Ca¬ 
pillaren treten oft farblose und farbige 


Körperchen zugleich aus und mit den Blut¬ 
körperchen eine vermehrte Menge von Serum, 
Eiweiss und Fibrin. Die Gefässe sind somit 
durchlässiger geworden; die Kittsubstanz des 
Endothels hat sich gelockert, die Stomata 
und Stigmata haben sich erweitert und er- 
! möglichen den Austritt der unmittelbar an¬ 
liegenden weissen Blutkörperchen. Guerin 
constatirte ausserdem Verbindungsbahnen 
zwischen den Capillaren und den Lymph- 
gefäs San fangen und ist der Meinung, dass 
bei Entzündungen die flüssigen und festen 
Exsudate aus den Lymphgefässen stammen 
durch Erweiterung der sehr engen Verbindungs- 
bahnen zwischen Blut- und Lymphgefässen. 
Früher nahm man an, dass bei den Entzün¬ 
dungen nur Blutserum durch die Gefässwände 
durchtrete; die in den entzündlichen Exsudaten 
gefundenen Körperchen entstanden nach Vir- 
chow durch Theilung der fixen Bindegewebs- 
körperchen. SchonDöllinger 1819, Müller 1824, 
und nach ihnen Koch, Hasselt, Kaltenbrunner 
und Zimraermann hatten den Austritt farb¬ 
loser Blutkörperchen aus den Gefässen beob¬ 
achtet. Waller beschrieb den Vorgang der 
Auswanderung farbloser Blutkörperchen 1846 
recht genau, aber erst die Arbeiten Cohn¬ 
heims haben die Auswanderungstheorie bei 
Entzündungen zweifellos festgestellt. Die 
Cohnheim’sche Auswanderungstheorie findet 
aber noch immer in den Anhängern der 
Proliferationstheorie bei Entzündungen zahl¬ 
reiche Gegner wie: Stricker, Böttcher, Hoff- 
mann, Recklinghausen, Norris, Kremianski, 
Durante, Oser. Klein, Burdon-Sanderson, 
Key, Wallis, Ranvier, Köster, Schrenk u. A. 
Diese Autoren stützen sich auf ihre Beob¬ 
achtungen, nach welchen bei centraler Reizung 
der Cornea, die gefässlos ist, sich im Reiz¬ 
bezirk Eiterkörperchen ansammeln, und leiten 
diese von einer Proliferation der Hornhaut¬ 
körperchen her. 

Cohnheim, Seidl, Senftlebcn, Eberth, 
Bizzozero, Talma u. A. haben aber nachgewiesen, 
dass bei Reizungen der Cornea der Reiz sich 
bis auf den Cornealrand fortsetzt und aus den 
getroffenen Randgefässen farblose Blutkörper¬ 
chen austreten und bis zum Centrum der 
Cornea Vordringen, bei Verletzungen der 
Cornea aber durch Nadeln, Haarseilehen etc. 
eine Einwanderung der Zellen von der Con- 
junctiva aus stattfindet. Aus den Hornhaut¬ 
körperchen entstehen keine Eiterkörperchen, 
sondern bei der Heilung des Reizbezirkes 
wieder Hornhautkörperchen. Eine Vermehrung 
und Neubildung der festen zelligen Elemente 
der Gewebe findet nur als Regeneration oder 
Ersatz verlorengegangener oder zerstörter 
Gewebselemente statt. Die Entzündungsreize 
verursachen eine moleculärc Alteration der 
Gefässwände, Lockerung des Gefässendothels 
und der Kittsubstanzen, wodurcli die Reibung 
zwischen Blut und Gefässwand vermehrt, der 
Blutstrom verlangsamt wird und die Ge¬ 
fässe durchlässiger werden. Starke Aetzmittel 
aber und Temperaturen von -{-54 und — 18° 
ab verursachen absolute Stase und liehen die 
I Circulation und Exsudation auf. Die Gewebe 

38 * 



596 


ENTZÜNDUNG. 


werden vernichtet, und es entstehen Aetz- 
schorfe (Brand). 

In gefössreichen Theilen fehlt bei den 
Entzündungen fast nie eine Hyperämie, die 
je nach dem Grade der Entzündung und dem 
Gefässreichthum verschieden intensiv ausfallt. 
Dieselbe wird verursacht durch Erweiterung, 
Verlängerung und Ueberfüilung der Gefasse 
mit Blut, später wohl auch durch Neubildung 
von Capillaren. und Austritt farbiger Blut¬ 
körperchen. Die Hyperämie ist bald gleich- 
massig, bald fleckig, streifig und punktförmig, 
und variirt zwischen verschiedenen Graden, 
die sich durch eine hellrothe bis dunkelbraun- 
rothe Farbe anzeigen. Die Hyperämie erklärt 
wohl die Röthe der entzündeten Partien, zum 
Theil auch die vermehrte Wärme, die Ge¬ 
schwulst und den Schmerz, aber nicht die 
Exsudation. Ueber die Ursachen der Entzün¬ 
dungshyperämie hat man verschiedene Theorien 
aufgestellt: 

1. Nach der spasmodischen Theorie von 
Brücke, Cullen, Eisemann, Heine u. A. entsteht 
durch den Entzündungsreiz entweder direct 
oder reflectorisch eine krampfhafte Contraction 
der kleinen Arterien, wodurch die vis a tergo 
abnimmt und bei gleichzeitiger Contraction 
der kleinen Venen sich Blut in den Capillaren 
anhäuft. 

2. Nach der paralytischen Theorie von 
Stilling, Henle, Vacca, Wilson, Hastings u. A. 
trifft der Entzündungsreiz die sensiblen Nerven 
und verursacht eine antagonistische oder reflec- 
torische Lähmung der Gefässnerven mit Er¬ 
schlaffung und Erweiterung der zuführenden 
Arterien und vermehrter Blutzufuhr. 

Diese beiden Theorien erklären wohl die 
Hyperämie, aber nicht die Entzündung, denn 
die Hyperämie als solche ist durchaus nicht 
identisch mit Entzündung. Bei activen Con- 
gestionen findet sich allerdings auch vermehrte 
Röthung, Wärme, Zunahme des Umfanges und 
wohl auch Schmerz, niemals aber vermehrte 
Exsudation. Bei passiven, venösen Stauungen 
findet sich ebenfalls vermehrte Röthung, 
Schmerz, Geschwulst und auch Transsudation, 
aber keine vermehrte Wärme. Ausserdem ist 
das Stauungstranssudat sehr wässerig, arm an 
farblosen und reich an rothen Blutkörperchen, 
während das entzündliche Exsudat stets reich 
an farblosen Blut- oder Eiterkörperchen und 
Eiweiss ist und wenig rothe Blutkörperchen 
enthält. Bei völliger Stase aber hört die Ex¬ 
sudation ganz auf und es tritt Brand ein. 

Da Entzündungen auch in solchen Körper¬ 
teilen eintreten, die dem Nerveneinfluss durch 
Durchschneidung der Nerven entzogen sind, 
wie in gelähmten Gliedmassen, in den Augen 
nach Durchschneidung des Nervus Trigeminus, 
den Extremitätenenden nach Durchschneidung 
der Fesselnerven, den Lungen nach Durch- 
schneidung des N. Vagi etc., so genügen die 
neurotischen Theorien zur Erklärung der Ent¬ 
zündungen nicht. Weder Hyperämie noch 
Stase verursachen Entzündung. 

3. Nach einer dritten oder der sog. Attrac- 
tionsthcorie von Haller, Langenbeck, Emmert, 
Vogel oder der Theorie der nutritiven Reizung 


und cellularer Attraction von Virchow trifft 
der Reiz die Gewebe und Zellen unmittelbar, 
und von diesen geht der Anlass zu weiteren 
Veränderungen aus. In Folge der Reizung 
wird nach Virchow ftie auf Stoffaufnahme, 
Ernährung und Neubildung gerichtete Thä- 
tigkeit der Zellen und Gewebe gesteigert. Es 
entsteht eine vermehrte Anziehung zwischen 
den Zellen und dem Blute, ein grösserer Theil 
des Blutplasmas als unter normalen Verhält¬ 
nissen tritt als Exsudat aus den Gefässen an 
die Zellen und Gewebe und bewirkt Schwellung 
und Vermehrung derselben. Die Vorgänge in 
den Zellen und Geweben sind aber keine 
activen, sondern rein passive, theilweise von 
der vermehrten Exsudation abhängige. Bei in¬ 
tensiven Reizen werden ausserdem die zeitigen 
Elemente der Gewebe mortificirt und können 
von sich aus keinen activen Einfluss auf die 
Gefasse und das Blut ausüben. Eine Alteration 
der Gewebe und Zellen kann allerdings der 
Alteration der Gefasse vorhergehen, damit aber 
eine Entzündung entsteht, müssen die Gefäss- 
wände selbst primär oder secundär, direct oder 
indirect vom Entzündungsreiz getroffen und 
moleculär verändert werden. Es entsteht in 
Folge dessen Erweiterung der Gefasse,Lo ckerung 
des Endothels und der Kittsubstanzen, Zunahme 
der Reibungswiderstände, Verlangsamung des 
Blutstromes, vermehrte Porosität und Durch¬ 
lässigkeit für Plasma und farblose Blut¬ 
körperchen. 

Von einigen Autoren werden auch beson¬ 
dere moderirende oder der Secretion vorste¬ 
hende Nerven, ähnlich den Drüsennerven, an¬ 
genommen, durch deren Reizung, ebenso wie 
durch Reizung der die Gefässe direct erwei¬ 
ternden Nerven eine vermehrte Exsudation 
eintritt. Die von Weber, Schüler, Boner, 
Buchheim constatirte Thatsache, dass nach 
Unterbindung der Arterien und Venen einer 
Extremität und Durchschneidung der Nerven 
durch Application von Reizmitteln, wie Kali, 
Ammoniak, Kochsalz, Natron, Salpeter, Subli¬ 
mat, Brechweinstein, Höllenstein, Kantha- 
ridentinctur, Jodkali und anderer Aetzmittel 
auf die Schwimmhaut des Frosches, in welcher 
die Circulation aufgehört hat, das Blut aus 
den Arterien und Venen rückwärts # in ^ie 
Capillaren strömt, welche Thatsache von den 
Autoren zu Gunsten der Attractionstheorie 
gedeutet wird, spricht ebenso für eine directe 
Alteration der Gefässwände, besonders da 
solche Mittel, welche die Gefässwände nicht 
angreifen, wie Wasser, Gummi, Alaun, Tannin¬ 
lösungen, phosphorsaures Natron ohne Einfluss 
bleiben. Die Gefässwände müssen permeabler 
werden und ihre Nutrition gestört oder auf¬ 
gehoben werden, damit es zur Exsudation 
kommt. 

Die wesentliche Bedingung für eine jede 
Entzündung ist die Exsudation. Dieselbe kann 
in allen Körpergeweben stattfinden und bildet 
oft das einzige sichere Merkmal der Entzün¬ 
dung. Das Exsudat zerfällt in ein freies, 
interstitielles und parenchymatöses, dem 
Charakter und der Qualität nach in ein 
seröses, albuminöses, schleimiges, fibrinöses 



ENTZÜNDUNG. 


597 


(croupöses and diphtheritisches), hämorrha¬ 
gisches und eitriges (s. Exsudat). 

Ausser Hyperämien und Exsudationen 
kommen bei Entzündungen oft Neubildungen 
von Geweben, Rückbildungen und Entartungen 
su Stande. Die neugebildeten Gewebe gleichen 
entweder vollkommen den normalen Geweben, 
wie bei Regenerationen von Epithel, Epidermis, 
Bindegewebe, Knocheügewebe, Gefässen, Ner¬ 
ven, Indurationen und Adhäsionen. Jedes 
bedeutende Geschwür, Wunden und Substanz¬ 
verluste heilen durch die sog. Granulationen. 
Die Granulationen gehen aus dem entzündeten 
oder eiternden Boden hervor und bestehen 
aus Neubildungen und Wucherungen von 
Oapillarschlingenmit dazwischen eingelagerten 
Zellen, aus denen sich nachher Bindegewebe, 
sog. Narbengewebe entwickelt. Die Granu¬ 
lationen bilden zarte, rothe, kleine, leicht 
blutende gefässreiche Knötchen auf der Ober¬ 
fläche von Wunden und Geschwüren. Ist der 
Defect durch Granulationen vollständig aus¬ 
gefüllt, so wuchert das benachbarte Epithel 
oder die Epidermis darüber hinweg, und die 
Wundheilung ist vollendet. Die Adhäsionen 
oder Verwachsungen der entzündeten serösen 
Synovial- und Schleimhäute unter sich und 
mit anliegenden anderen Organen kommen 
durch Bildung eines gefässreichen Granu¬ 
lationsgewebes zu Stande. Die neugebildeten 
Gefässe der gegenüberliegenden entzündeten 
Membranen wachsen gegen einander und ver¬ 
schmelzen mit einander mit gleichzeitigerNeu- 
bildung von Bindegewebe. Verwachsungen 
der Schleimhäute unter sich und mit anderen 
Organen können nur nach vollständigem Ver¬ 
lust des Epithels und Ersetzen desselben 
durch Granulationsgewebe zu Stande kommen. 

Durch Neubildung von Bindegewebe in 
entzündeten Parenchymen bilden sich ent¬ 
zündliche Hypertrophien und Indurationen. 
Schrumpft das neugebildete Bindegewebe 
nachher zusammen, so entstehen die sog. 
indurativen Atrophien und Cirrhosen, beson¬ 
ders in drüsigen Organen, wie Leber, Milz, 
Nieren, Lungen. Auch Neubildung von Drüsen¬ 
gewebe (Leber, Milz) und cytogenem Gewebe 
kommt zuweilen bei Entzündungen vor. 

Rückbildungen und degenerative Vor¬ 
gänge sind bei Entzündungen häufig. Zunächst 
entsteht bei jeder Entzündung eine moleculäre 
Veränderung der Gefässwände, die nachher 
zur Norm zarückkehrt oder aber mit bleibender 
J Vernichtung der Gefässe endet. Auch die 
Veränderungen in den umgebenden gereizten 
Geweben sind entweder vorübergehend, oder 
sie führen zum Untergang derselben. Am 
häufigsten findet sich eine albuminöse Infil¬ 
tration oder körnige Trübung der Zellen 
(Epithel und Drüsenzellen). Im weiteren Ver¬ 
lauf kann hinzukommen eine schleimige und 
fettige Metamorphose oder völliger Zerfall 
und Untergang der Zellen mit oder ohne 
nachherige Regeneration. Ausser in den 
Zellen kommen Entartungen durch Entzün¬ 
dungen zu Stande im Hirn und Rückenmark, 
im Muskel- und Knochengewebe. 

Bei Einwirkung sehr intensiver Reize, 


wie concentrirter Aetzmittel, hoher Hitze- und 
Kältegrade, starker Quetschungen und Zer¬ 
trümmerungen etc., wobei die Gefässwände 
mortificirt werden und die Circulation auf¬ 
hört, stirbt der ausser Ernährung gesetzte 
Theil ab; es entsteht Schorfbildung oder 
Brand der Gewebe mit Entzündung in der 
Umgebung und Bildung einer‘Demarcations- 
linie, durch welche das abgestorbene Gewebe 
abgestossen oder eingekapselt wird. Anderer¬ 
seits kann bei sehr heftigen Entzündungen 
mit reichlicher Exsudation in den Paren¬ 
chymen »und Geweben durch Druck des Ex¬ 
sudats, Compression der Gefässe oder durch 
Bildung von Thromben in den Gefässen der 
Blutzufluss nachher aufgehoben werden, und 
der entzündete Theil stirbt brandig ab. 

Die angeführten Cardinalsymptome der Ent¬ 
zündung — Röthe, Hitze, Geschwulst, Schmerz, 
und Functionsstörung — sind nur an der 
äusseren Haut und den zugänglichen Schleim¬ 
häuten deutlich sichtbar. Innere Entzündungen 
sind meist nur aus den Functionsstörungen und 
dem die Entzündung begleitenden Fieber zu 
diagnosticiren. DieEntzündungsröthe entsteht, 
wie erwähnt, durch Anfüllung der erweiterten 
Blutgefässe, Verlängerungen und Neubildungen 
derselben und zuweilen auch durch Blut- 
extravasate. 

Die Entzündungshitze erklärt sich durch 
vermehrten Zufluss warmen Blutes und durch 
verstärkten Stoffwechsel im entzündeten Theil. 
Die Wärme entzündeter äusserer Körpertheile 
steigt um einige Grade höher als die der 
gleichen nichtentzündeten, trotzdem dass 
die Wärmeausstrahlung entzündeter Theile 
vermehrt ist. Allerdings erreichen entzündete 
äussere Körpertheile selten die normale Blut¬ 
wärme. Requerel und Brechet haben aber 
nachgewiesen, dass das aus einem entzündeten 
Körpertheil abfliessende Venenblut wärmer 
ist als das zufliessende Arterienblut, und 
ebenso wärmer als das Venenblut der ent¬ 
sprechenden gesunden Körpertheile. 

Die Entzündungsgeschwulst bildet sich 
durch vermehrte Anfüllung der Blutgefässe, 
vermehrten Blutgehalt, vermehrte Exsudation 
und Anhäufung des Exsudats in den Geweben 
uhd Parenchymen der entzündeten Theile, 
oft auch durch Neubildung von Bindegewebe 
und Gefässen und durch Blutaustritte. 

Der Entzündungsschmerz entsteht im 
Beginne durch Einwirkung des die Entzündung 
erregenden Reizes, der direct die sensiblen 
Nerven trifft. Im weiteren Verlauf der Ent¬ 
zündung wird die Nervenreizung durch den 
Druck von Seiten der angefüllten Gefässe und 
des angesammelten Exsudats bedingt. Der 
Schmerz ist um so heftiger, je härter und 
unnachgiebiger der entzündete Theil ist, wie 
z. B. unter dem Hufhorn, unter Fascicn, dem 
Periost, in den Drüsen, den serösen HäuteiT 
und Synovialhäuten. Ferner hängt der Grad 
des Schmerzes von der Intensität der Ent¬ 
zündung und der Masse des Exsudats ab. 
Der Schmerz ist bald umgrenzt, bald diffus 
und irradiirt und wird im centralen Nerven¬ 
system auf Nerven ganz gesunder Theile 



• 598 


ENTZÜNDUNG. 


übertragen. Wenig schmerzhaft sind Entzün¬ 
dungen weicher, nachgiebiger Theile, wie der 
äusseren Haut und der Schleimhäute. Auch 
die vom N. Sympathicus versorgten Organe, 
wie die Brust- und Bauchorgane und Ge- 
schlechtstheile, können bei Entzündungen sehr 
heftige Schmerzen verursachen durch Fort¬ 
pflanzung des Reizes durch die Spinalwurzeln 
des Sympathicus zum Rückenmark. Die Function 
der entzündeten Theile ist in verschiedenen 
Graden gestört, verändert, vermindert oder 
aufgehoben. Zu derartigen Functionsstörungen 
gehören: Lähmungen der Muskeln, Athmungs- 
störungen, Verdauungsstörungen, Durch¬ 
falle etc. 

Für die Diagnose der Entzündungen 
innerer Organe liefern die Auscultation, Per¬ 
cussion und das Thermometer unentbehrliche 
Hilfsmittel. 

Die Entzündungen verlaufen acut und 
chronisch; die acuten führen schnell zur 
Genesung oder zum Tode, die chronischen 
verursachen oft langwieriges Siechthum, Ab¬ 
zehrung, Anämie, Entartungen und den Tod 
durch Erschöpfung. 

Die Ausgänge der Entzündungen sind: 

1. Zertheilung, Resorption und Wieder¬ 
kehr zur Norm. 

2. Vereiterungen und Infiltrationen. 

3. Bleibende Ernährungsstörungen. 

4. Der Tod (localer oder allgemeiner). 

Die Zertheilung geschieht durch Resorp¬ 
tion der Entzündungsproducte nach Zerfall 
derselben zu Eiweiss- und Fettmolecülen, 
Ausgleich der Störungen in den Gefässwänden 
durch das circulirende Blut und Neubildung 
verloren gegangener Elemente. 

Bleibende Störungen erfolgen durch Ver¬ 
wachsungen, Adhäsionen, Indurationen, Hyper¬ 
trophien, Schrumpfungen, Cirrhosen, Atro¬ 
phien und bleibende Entartungen entzündeter 
Gewebe. 

Der Tod kann sein ein örtlicher durch 
aufgehobene Ernährung eines entzündeten 
Körpertheiles (Brand) oder der Tod des 
ganzen Individuums durch hochgradige Störung 
oder Vernichtung der Function lebenswichtiger 
Organe, wie der Lungen, des Herzens, des 
Gehirns, der Leber, der Nieren oder durch 
Aufnahme der Entzündungsproducte ins Blut, 
hochgradiges Fieber oder Blutvergiftung mit 
deletärem Eiter (Pyämie) oder mit Jauche 
(putride Vergiftung und Septicämie). 

Die Eintheilung und Gruppirung der 
Entzündungen geschieht nach der Dauer, 
nach den ätiologischen Momenten, nach dem 
Charakter und den vorwaltenden Erschei¬ 
nungen. 

Der Dauer nach zerfallen die Entzün¬ 
dungen in acute (fieberhafte) und chronische 
(fieberlose). 

Nach den Ursachen theilt man die Ent¬ 
zündungen ein in: 

1. Traumatische Entzündungen, Wund¬ 
entzündungen, mechanische Entzündungen 
durch äussere Gowalteinwirkungen, Verwun¬ 
dungen, Druck, Quetschungen, Decubitus, Zer- 


reissungen, eingedrungene fremde Körper etc. r 
durch Storung normaler Ernährung und nor¬ 
malen Blutzuflusses entstandene. Durch die- 
traumatischen Entzündungen kommt die Wund- * 

heilung zu Stande entweder per primam 
intentionem durch Verklebung und Granu¬ 
lation oder per secundam intentionem durch 
Eiterung und Granulation. 

2. Toxische oder chemische Entzündungen 
entstehen durch Einwirkung von Aetzmitteln, 
scharfen Stollen und Giften. 

3. Physikalische oder thermische Entzün¬ 
dungen oder Verbrennungen und Erfrierungen 
durch Einwirkung grosser Hitze- und Kälte¬ 
grade. 

4. Virulente Entzündungen entwickeln 
sich unter dem Einfluss von Brandjauche, 
fauligen Flüssigkeiten und um brandig abge¬ 
storbene Körpertheile herum. 

5. Dyskrasische Entzündungen durch An¬ 
häufungen schädlicher Stoffe im Blute und 
den Geweben (Scorbut, Gicht). 

6. Infectiöse, miasmatische, contagiöse 
und parasitäre Entzündungen entwickeln sich 
nach Aufnahme von Miasmen, Contagien > 
Pilzen und parasitischen Thieren. 

7. Rheumatisch katarrhalische Entzün¬ 
dungen werden durch Einwirkung von Kälte, 
Feuchtigkeit und besonderen Miasmen bedingt. 

8. Metastatische Entzündungen durch 
eitrigen Zerfall von Thromben oder Hinein- 
gerathen deletärer fester Substanzen in die 
Blutbahnen und Steckenbleiben derselben in 
den Gefässen innerer Organe. 

9. Hypostatische Entzündungen entstehen 
bei geschwächter Herzkraft und Marasmus 
durch passive Blutstauungen, zu welchen 
geringfügige Reize hinzukommen. 

10. Anästhesische und neuroparalytische 
Entzündungen, durch Verletzungen und Durcb- 
schneidungen von Arterien und Nerven. 

11. Neurotische und reflectorische Ent¬ 
zündungen, durch Nervenreize und Reflexe 
bedingte (Herpes Zoster, Pemphigus, Urti¬ 
caria) von congestivem und exsudativem 
Charakter. 

12. Früher nahm man eine sog. genuine 
oder spontane Entzündung an, bei welcher 
keine evidente Ursache nachzuweisen war. 

Jetzt wissen wir aber, dass zu jeder Ent¬ 
zündung ein entzündungserregender Reiz ge¬ 
hört; die genuinen oder spontanen Entzün¬ 
dungen sind daher solche, wo geringfügige 
Reize zu Entzündungen besonders disponirte, 
Organe treffen. 

Nach den vorwiegenden Erscheinungen 
theilt man die Entzündungen ein in: 

1. AnämischeEntzündungen, durch mangel* 
haften Zufluss arteriellen Blutes hervorgerufen. 

2. Die congestiven oder vasculösen Ent¬ 
zündungen, bei welchen die Hyperämie, Er¬ 
weiterung, Verlängerung und Neubildung von 
Gefässen vorwiegt und die Exsudation nicht 
sehr bedeutend ist. Entartungen, Neubildungen 
und Rückbildungen fehlen meist, und die 
vollkommene Heilung ist hier Regel. Hieher 
gehören alle acuten leichten katarrhalischen 
Schleimhautentzündungen sowie die leichteren 


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ENTZÜNDUNG. 


599 


Formen der Hautentzündungen (Erythem, 
Erysipel), die leichteren Entzündungen der 
serösen Häute, Drüsen und Muskeln (Rheuma¬ 
tismen). 

3. Exsudative Entzündungen, bei welchen 
die Exsudation besonders hervortritt; die¬ 
selben zerfallen wieder nach dem Charakter 
der Exsudate in: 

a) Entzündungen mit fibrinösem Exsudat in 
den serösen und Schleimhäuten, Lungen etc.; 

b) Entzündungen mit serösem Exsudat 
in den serösen und Synovialhäuten, Lungen, 
die vesiculösen Hautentzündungen (Eczem, 
Herpes, Pocken); 

c) dio desquamativen und parenchyma¬ 
tösen Entzündungen mit Abstossung und 
Zerfall des Epithels; 

d) die Entzündungen mit schleimigem 
Exsudat in den Schleimhäuten; 

e) die croupösen Entzündungen mit Bil¬ 
dung von Pseudomembranen; 

f) die eitrigen oder purulenten Entzün¬ 
dungen mit Secretion reinen oder gemischten 
Eiters in allen Organen und Geweben, bei 
Einwirkung intensiver Beize und Gegenwart 
niederer Organismen und eines Ferments, das 
die Gerinnung des Exsudats hindert. Die 
eitrigen Entzündungen zerfallen wieder in 
rein purulente mit Eitersecretion an der Ober¬ 
fläche oder in Parenchymen und in die 
ulceratiye mit Zerstörung von Geweben und 
Geschwürsbildung. Die eitrige Knochenent- 
zünduug wird mit dem Namen Caries be¬ 
zeichnet. 

Jede Wunde, Aetzung, Quetschung, jeder 
Substanzverlust und jede heftige Entzündung 
kann in Geschwürsbildung Übergehen. Der 
Geschwürsbildung geht oft Entartung und 
Zerfall der Gewebe voraus. Nach dem Charakter 
theilt man die Geschwüre in gutartige, bös¬ 
artige, fressende, torpide, nach dem Krank- 
heitsprocess in katarrhalische, diphtheritische, 
folliculäre, scorbutische, dysenterische, typhöse, 
tuberculöse, carcinomatöse, brandige Ge¬ 
schwüre, Rotz- und Wurmgeschwüre etc. Nicht 
jede Wunde und nicht jeder Substanz Verlust 
ist aber ein Geschwür; die Geschwürsbildung 
ist stets mit progressivem Zerfall von Geweben 
verbunden und durch Eitersecretion charakteri- 
sirt. Die Ulcera heilen nachher durch Granu¬ 
lation. Die ulcerative Entzündung bildet einen 
Uebergang zu den degenerativen Formen. 

4. Die productiven Formen der Entzün¬ 
dung zeichnen sich durch vorwiegende Neu¬ 
bildung von Geweben aus; sie verlaufen meist 
langsam, das Exsudat ist meist sparsam und 
enthält farblose Blutkörperchen. Vorzugsweise 
werden Gefässe und Bindegewebe neugebildet. 
Die Gefässneubildung geschieht durch Spros¬ 
sung aus den vorhandenen Capillaren oder 
intercellulär in Zellensträngen, die sich zu 
Röhren verbinden, oder aber intracellulär 
durch Zellen mit Fortsätzen, die sich canali- 
siren und verschmelzen. 

Durch Verschmelzung der ausgewanderten 
farblosen Blutkörperchen entstehen epitheloide 
Riesenzellen und Protoplasmakörper, aus 
welchen durch Zerklüftung und Fibrillen¬ 


bildung Bindegewebe hervorgeht. Die produc¬ 
tiven Entzündungen führen in den serösen 
Häuten zu Verdickungen, Bildungen von 
Sehnenflecken, Zotten und Adhäsionen; in 
den Schleimhäuten entstehen Hypertrophien 
und Verdickungen, in drüsigen Organen 
Hypertrophien, Indurationen, Scirrhosen und 
Sclerosirungen. Oft entstehen auch wirkliche 
Neubildungen in Form von Geschwülsten 
(Warzen, Polypen). 

5. Die degenerativen Entzündungen zer¬ 
fallen in einfach degenerirende und brandig- 
gangrenös-nekrotische. Bei den einfach dege- 
nerirenden Entzündungen werden die Zellen 
und Gewebe erst albuminös infiltrirt, dann 
fettig entartet (parenchymatöse Entzündungen 
der Leber, Nieren, Knorpel, Muskeln etc.). 

Die brandigen Entzündungen entstehen 
durch nachherige absolute Stase des Blutes 
oder durch vollständige Vernichtung der 
Gewebselemente in den entzündeten Geweben 
oder durch Einwirkung einmal gebildeter 
Brandjauche, durch welche die damit berührten 
Gefässe und Gewebselemente mortificirt werden. 
Zu den brandigen Entzündungen kann man 
noch als Unterabtheilungen rechnen: 

a) Die diphtheritische Entzündung mit 
Infiltration der Gewebe, mit zelligem Exsudat 
und Absterben derselben; 

b) die typhöse Entzündung mit zelliger 
oder serös blutiger Infiltration; 

c) die phagadaenische Entzündung, die 
sich durch eine progressiv fortschreitende 
schichten weise Zerstörung der eitrig infiltrirten 
Gewebe charakterisirt; 

d) die käsige Entzündung, wobei die 
Gewebe zu trockenen, grauen oder orange¬ 
gelben käsigen Massen zerfallen, nachdem 
sie eitrig infiltrirt worden; 

e) die tuberculöse und scrophulöse Ent¬ 
zündung mit massenhafter Zellenproduction 
und nachheriger Verkäsung, atheroraatöser 
Entartung, Verkreidung und Verkalkung; 

f) die nekrotische Entzündung mit Ver¬ 
trocknung oder jauchigem Zerfall der abge¬ 
storbenen Gewebe. 

6. Specifische Entzündungen durch Ein¬ 
wirkung und mit Production specifischer Gifte, 
wie Rotz, Wurm, Milzbrand, Erysipel etc. 

Bei den meisten exsudativen, den dege¬ 
nerativen und specifischen Entzündungen 
spielen niedere Organismen aus der Gruppe 
der Spaltpilze eine wichtige Rolle. 

Nach dem Charakter wurden die Ent¬ 
zündungen früher eingetheilt in: 

1. athenische, kräftige, active und 

2. asthenische, schwächliche oder passive. 

Die sthenischen, activen Entzündungen 

verlaufen schnell mit kräftiger Reaction von 
Seiten des Körpers (hieher gehören acute 
Rheumatismen, Pneumonien, Pleuriten, Ery¬ 
sipele, traumatische Entzündungen etc.); als 
hypersthenisch bezeichnet man Entzündungen, 
die sich durch profuse Exsudationen, Ent¬ 
artungen oder brandigen Zerfall auszeichnen. 
Die sthenischen Entzündungen sind meist 
fieberhaft und kommen bei kräftigen, gut ge¬ 
nährten Thieren vor. 



— ENUCLEATIO BULBI. 


600 ENTZÜNDUNGSFIEBER. 

Die asthenischen, passiven, adynamischen 
Entzündungen verlaufen meist chronisch, 
kommen bei schwächlichen, mangelhaft er¬ 
nährten Thieren vor oder an geschwächten, 
gelähmten Körpertheilen mit mangelhaftem 
Blutzufluss und mangelhafter Reaption. Die 
Behandlung der Entzündungen besteht in 
Anwendung des antiphlogistischen Heilver¬ 
fahrens. Dazu gehören locale und allgemeine 
Blutentziehungen, Anwendung der Kälte (in 
den ersten Stadien), Ableitungsmittel, scharfe 
Einreibungen in der Haut, Haarseile, Abführ¬ 
mittel, die kühlenden Mittelsalze, China¬ 
präparate etc. 

Soll die Zertheilung oder Eiterung be¬ 
fördert werden, so wendet man warme Kata- 
plasmen und scharfe Mittel an. 

Bei specifischen Entzündungen kommen 
die antiseptischen und desinficirenden Mittel 
in Anwendung. 

Zur Beförderung der Resorption von Ent- 
zündungsproducten kommen auch Druckver¬ 
bände, Massage, Quecksilber, Jod, Alkalien etc. 
in Verwendung. 

Chronische Entzündungen werden oft in 
ein acutes Stadium versetzt und dann ener¬ 
gisch behandelt 

(Behandlung der Entzündung einzelner 
Organe s. bei diesen.) Semmcr. 

Entzündungsfieber, Febris inflamm&toria 
(Febris, das Fieber, inflammare, entzünden) 
s. Febr. phlogistica 0pXo£, Flamme) s. Febr. 
synochalis (ooveyeiv, Zusammenhalten) s. Febr. 
angiotenica (d^ystov, Gefäss, tsivsiv, spannen) 
s. Febr. sthenica (ofl-evos, Kraft), leitet in der 
Regel jede Entzündung der verschiedenen 
Organe ein; es beruht auf einer Störung in 
den Verrichtungen des Central-Nervensystems, 
namentlich derjenigen Centren, welche den 
Stoffwechsel regeln, wie dies vom Vagus be¬ 
kannt ist. Man unterstellt hiebei eine läh¬ 
mungsartige Schwäche des Vagus, hingegen 
eine ungewöhnliche Erregung der Herzganglien 
durch die erhöhte Temperatur des Blutes. Die 
neuesten Forschungen machen es wahrschein¬ 
lich, dass pyrogene f tc 5p, Feuer) Stoffe, z. B. 
Mikrococcen, Bacterien etc. in das Blut ein¬ 
gedrungen sind, welche auf die Moderation 
der Wärmebildung und des Stoffwechsels 
alterirend ein wirken; es steigert sich in Folge 
dessen die Oxydation der Fette und Eiweiss- 
stoflfe in den Organen und mit ihr die Körper¬ 
temperatur und der Verbrauch an organischen 
Stoffen. 

Aus den angeführten Vorgängen lassen 
sich die Symptome des Entzündungsfiebers 
erklären; sie bestehen in Verstimmung des 
Allgemeingefühls, Abgeschlagenheit, Mattig¬ 
keit, Verlust des Appetits, Frostschauer, der 
sich durch Zittern, Aufsträuben der Haare, 
blasse Schleimhäute, Kälterwerden der extre¬ 
men Körpertheile, kleinen Puls und retardirte 
Excretionen zu erkennen gibt, gefolgt von 
Schweissausbrüchen, Steigerung der Körper¬ 
temperatur, Vollerwerden des Pulses, Freier¬ 
werden der Se- und Excretionen, höherer 
Röthung der Schleimhäute und Beschleunigung 
der Respiration. Abnahme der Kräfte, Steige¬ 


rung des Durstes und Abmagerung sind weitere 
Folgen des beschleunigten Stoffwechsels. Die 
Höhe der Körpertemperatur, welche mit dem 
Thermometer festzustellen ist, gibt den zu¬ 
verlässigen Masstab für den Grad des Fiebers 
und für die Lebensgefahr des Patienten 
ab; mit der Zunahme der Temperatur über 
die Norm steigt in demselben Grade die Be¬ 
drohung des Lebens, in den meisten Fällen 
steht mit ihr die Frequenz und Qualität des 
Pulses im Einklang. Herabsetzung der Körper¬ 
temperatur ist deshalb bei dem Entzündungs¬ 
fieber eine indicatio vitalis, ganz besonders, 
wenn die Temperatur 41—42° C. erreicht; 
wir bewirken eine Verminderung der Fieber¬ 
hitze durch Aufenthalt der Patienten in gut 
ventilirten kühlen Stallungen, Verabreichung 
kühlender Getränke, die man je nach den 
Umständen mit Kali nitr., Natr. nitric., Kali 
chloric., Kali sulfuric., Tart. stibiat., Ammon, 
hydrochlorat., Natr. salicylic., Kalomel etc. 
versetzt. Als die Temperatur herabsetzende 
Mittel haben sich ferner bewährt: Wein, 
Branntwein, Aconit, Veratrin, Chinin, Hydro¬ 
chinon, Resorcin, Antipyrin, Coffein, Digitalis, 
Convallarin. Convallaria majalis wirkt ganz 
wie Digitalis, sie ist ein beruhigendes Herz¬ 
mittel, das man als Extract in der Durch¬ 
schnittsdosis von 1*0—l*50g per Tag (für 
die mittelgrossen Hausthiere) geben kann; sie 
verdient vor der Digitalis den Vorzug, weil 
sie keine ungünstigen Nebenwirkungen hat 
und die Herzkraft nicht schliesslich erschöpft. 
Resorcin gebe man stündlich von 1—2—5 g 
als mittlere Dosis. Das Antipyrin ist ein 
Chinolinderivat von starker, antifebriler Wir¬ 
kung in der mittleren Dosis von 2 g alle 
1—2 Stunden. Das Hydrochinon hat sich bei 
fieberhaften Entzündungen in der Dosis von 
1*0, dreimal zu wiederholen, als ein prompt 
wirkendes Febrifugum erwiesen. Das Coffeinum 
wirkt analog der Digitalis, die Wirkung er¬ 
folgt aber viel schneller als von der Digitalis; 
pro die können 0*8—1*80 g, in verschiedenen 
Gaben getheilt, gegeben werden. 

Für die Herabsetzung der Körpertempe¬ 
ratur sind noch Kaltwasser-Klystiere, kalte 
Umschläge in der Nähe der entzündeten 
Organe, Einhüllungen des ganzen Körpers in 
nasse Tücher und Kaltwasserdouchen von 
wesentlicher Bedeutung. Im Uebrigen ist 
die Behandlung der Entzündung ihrer Art 
und ihrem Wesen nach zu modificiren. Anr . 

EntzÜRdungswidrige Mittel, s. Antdphlo- 
gistica und Antiseptica. 

Enucleatio bulbi, die operative Aus¬ 
lösung des Augapfels aus seiner Scheiden- 
und Bindehaut unter Schonung und Zurück¬ 
lassung der Nebenapparate des Auges in der 
Augenhöhle. 

Die Enucleation ist immer als eine ein¬ 
greifende Operation zu betrachten und dem 
Patienten daher die Aufmerksamkeit zu schenken, 
als ob er schwer verwundet wäre. 

Vorgänge bei der Operation. Die in 
der humanen wie Thier-Medicin (hier mit 
einigen durch anatomische Verhältnisse gebo¬ 
tenen Modificationen) heute allgemein ange- 


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ENUCLEATIO BULBI. 601 


wendete Methode der Enucleatibn des Aug¬ 
apfels ist in ihren Grundzügen von Bonnet 
zuerst * angegeben und von Stöber ausge¬ 
führt worden; bei Thieren wurde die Operation 
nach dieser Methode mit den nöthig gewor¬ 
denen Aenderungen, resp. Weiterungen zuerst 
von Berlin (Repertorium der Thierheilkunde, 
Bd. 37, p. 106 u. ff., 1876) unternommen und 
beschrieben. 

Wegen der Durchschneidung der Ciliar¬ 
nerven, einem sehr schmerzhaften Vorgang, 
und zum Zwecke einer ruhigen, präcisen und 
ungestörten Führung der Instrumente ist die 
Vornahme der Operation in der (Chloroform-) 
Narkose — wo sie nur irgend möglich ist — 
dringend zu empfehlen; doch hat Berlin (1. c.) 
selbst beim Pferde ohne dieselbe operirt. 

Das Thier wird auf die entgegengesetzte 
Seite niedergelegt und gut fixirt; kleinere 
Thiere kommen auf einen niedrigen Tisch zu 
liegen, vor welchem der Operateur sitzt. Bei 
grossen - Thieren kniet derselbe hinter dem 
Kopfe. Die Umgebung des Operationsfeldes 
wird mit Sublimatlösung (1:5000) eingehend 
desinficirt. Vermittelst je eines eingelegten 
Desmarre’schen Lidhalters zieht ein Assistent 
das obere und untere Augenlid ab, während 
ein zweiter sich damit beschäftigt, die Palpebra 
tertia in eine Fixirpincette zu fassen und die¬ 
selbe zu ektropioniren, so dass das Operations¬ 
terrain zur Anschauung kommt. Der Operateur 
beginnt damit, dass er die Lidspalte durch 
einen geraden Schnitt mittelst eines Bistouri 
in ihrem temporalen Winkel um 1—1*5 cm 
erweitert. Nach diesem vorbereitenden Schnitte 
wird mit einer Blömer’schen Fixationspin- 
cettc eine Falte der Conjunctiva unmittelbar 
vor dem Ansätze des Musculus rectus externus 
gefasst und dieselbe mit einer Cooper’schen 
Scheere eingeschnitten. Die eine Branche der 
Scheere wird nun unter die Schleimhaut ge¬ 
schoben und die Conjunctivalwunde zuerst in 
der Richtung nach oben-innen, dann in der 
Richtung nach unten-innen bis je an die An¬ 
sätze des Muse, rectus superior, resp. rect. 
inferior verlängert. Darauf wird ein stumpfer 
Schieihaken (die in menschenärztlichem Ge¬ 
brauche stehenden Schieihaken sind für grössere 
Hausthicre etwas schwach und daher unzu¬ 
reichend, weshalb sie in etwas vergrössertem 
und verstärktem Massstabe anzufertigen sind) 
unter die Sehne des Muse. rect. ext, gebracht, 
dieselbe straff angezogen und sodann mit der 
Scheere durchschnitten; in gleicher Weise die 
Sehne des Muse. rect. inf. et sup. Wenn nun 
die Conjunctivalwunde noch erweitert wird, 
ist man im Stande, den Muse. rect. internus 
in gleicher Weise zu durch trennen. Danach 
werden die Sehnen der beiden Muse, obliqui 
mit dem Haken aufgesucht und durchschnitten. 

Auf diesen ersten Theil der Operation, 
welcher bezweckt, die vordere Hälfte des 
Augapfels von seiner conjunctivalen und mus- 
culären Anhaftung zu trennen, folgt der 
zweite, bei welchem die hintere Augapfel¬ 
hälfte von ihren Verbindungen abgelöst werden 
soll: vom Musculus retractor und dem Nervus 
opticus. 


Indem man die C o o p e rische Scheere mit 
dem concaven Theil über den Augapfel nach 
hinten bringt, macht man zunächst an der 
oberen peripheren Anheftung des Retractor 
mit einigen kurzen Scheerenschnitten eine Lücke 
in denselben, drängt den Schieihaken durch 
diese Lücke in den Muskeltrichter hinein, 
spannt den Rand der Lücke scharf an, wobei 
man den Augapfel hervorzuziehen sucht, und 
durchschneidet ringsum den Muskelansatz in 
seiner ganzen Peripherie. Während dieses 
Actes ist besondere Aufmerksamkeit darauf zu 
verwenden, dass man bei keinem allenfalls zu 
senkrecht ausfallenden Schcerenschlage die 
Augenkapsel (Sclera) durchzwickt und so ein 
Auslaufen des Glaskörpers veranlasst. Es er¬ 
übrigt nach dfer Retractor-Durchschneidung nur 
noch die Trennung des Sehnerven, \^ozu man 
den Zeigefinger der linken Hand über den nun 
schon so ziemlich aus der Augenhöhle hervor¬ 
tretenden Augapfel hinweg gegen den Grund 
der Augenhöhle zu führt, bis seine Spitze den 
nicht zu verkennenden rundlichen Nervenstrang 
fühlt; man führt auf dem Finger die Scheere 
geschlossen bis an den Sehnerven vor, öffnet 
sie, schiebt die beiden Branchen über den 
Opticus und durchtrennt ihn in möglichster 
Nähe des Bulbus mit einem einzigen, kräftigen 
Scheerenschlage. 

Der jetzt vollkommen gelöste Augapfel 
lässt sich leicht aus der Orbita herausdrängen 
und mit den Fingern erfassen, wobei allen¬ 
falls noch bestehende Verbindungen vollends 
durchtrennt werden. 

Die Blutung ist während der Operation 
meist nur eine mässige, nicht störende; erst 
nach der letzten Durchtrennung des Opticus 
kann es Vorkommen, dass die Arteria ophthal- 
mica aus der Augenhöhle herausspritzt. Der 
Blutverlust ist jedoch nur «in ganz massiger, 
und man halte sich daher nicht damit auf, 
blutende Gefässe mittelst der Pincette auf¬ 
suchen und unterbinden zu wollen — was 
ohnehin meist vergebliches Bemühen ist — 
sondern spüle die Orbita frischweg mit Eis- 
wasser aus, wodurch sich die Gefässlumina 
an und für sich verengen, worauf man 
die Tamponade der Orbita ausführt. Als 
Material zu Tampons kann man wohl mit 
antiseptischen Stoffen imprägnirte Watte be¬ 
nützen. Der im lateralen Lidwinkel zu Beginn 
der Operation angelegte Schnitt wird durch 
zwei Suturen geschlossen, und wenn es nöthig 
werden sollte, kann man über dem Tampon 
die Lider ebenfalls vernähen; doch durchsticht 
man dieselben nicht in ihrer ganzen Dicke, 
auch nicht an ihrer Lidrandportion, sondern 
fasst etwa in gleicher Entfernung vom ciliaren 
wie orbitalen Rande eine Hautfalte, durch¬ 
sticht sie unter Schonung des darunter liegenden 
Tarsus und knüpft dann die Naht. Unter 
solcher Vorsicht geschlungene Nähte reissen 
auch nicht so leicht aus als die am Lidrande 
gezogenen. 

Nach 2—5 Tagen kann man. die Lid- 
suturen lösen, den antiseptischen Tampon 
herausnehmen und nun die Orbitalhöhle durch 
Ausspülungen mit Sublimatwasser täglich von 


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602 ENULA. — ENZOOTISCHE KRANKHEITEN. 


ihrem leichten Eiterbeschlage reinigen, ohne 
dass eine erneuerte Tamponade nöthig wäre. 

Unter einem grauweissen Beschläge der 
blossgelegten Scheidenhaut entwickeln sich 
Granulationen, und allmälig verkleinert sich 
die granulirende Fläche dadurch, dass die 
Conjunctiva bulbi von der Peripherie gegen 
die Eintrittsstelle des Nervus opticus in die 
Orbita hineingezogen wird. Dieser Process pflegt 
in 8—14 Tagen ganz beendet zu sein. Je 
mehr von der Conjunctiva bulbi zurückgelassen 
werden konnte, desto leichter erfolgt die Ver¬ 
wendung desselben zur Ueberkleidung der 
Höhle, und desto geräumiger gestaltet sich 
diese bei der Vernarbung. 

Sobald jeder entzündliche Reizzustand 
verschwunden ist, schreite man in'den nächsten 
14 Tagep bis 4 Wochen unter hier zu beob¬ 
achtenden Cautelen zur Einlegung eines künst¬ 
lichen Auges (s. Prothesis ociüaris). Der Effect, 
den die Proth. oc. erzielen soll, wird nach 
Enucleationen meist ziemlich vollständig er¬ 
zielt, da die Schale sich auf ein Muskelpolster 
stützt und so gut liegt. 

Indicationen zur Enucleation. 
Berlin (1. c. p. 116) stellt 6 Indicationen fest: 

Die Ausschälung des Augapfels ist ge¬ 
boten : 

1. in allen jenen Fällen, wo innerhalb der 
Augenkapsel ein diagnosticirbarer Tumor vor¬ 
handen ist (Gliom, Sarcom, Carcinoip), voraus¬ 
gesetzt, dass derselbe die Sclera noch nicht 
durchbrochen und sich über die Adnexa des 
Augapfels verbreitet hat. Sollte dieser unglück¬ 
liche Fall bereits ein getreten sein, so genügt 
natürlich die Enucleation allein auch nicht 
mehr, sondern es müssen durch vollständige 
Ausweidung der Augenhöhle die Geschwulst¬ 
massen oft sogar unter Mitnahme des Periostes 
entfernt werden; 

2. bei Luxationen des Bulbus, w r enn 
der vorgetretene Augapfel auf keine Weise 
mehr in seine Höhle zurückgebracht zu werden 
vermag oder bei gleichzeitiger Verwundung, 
Vertrocknung oder sonstiger Destruction ohne¬ 
hin verloren ist (häufig bei Möpsen, Bull¬ 
doggen); 

3. bei ausgedehnten Verletzungen der 
Sclera oder Hornhaut oder beider Membranen 
zugleich, wenn der Verlust des Auges auf 
dem Wege langwieriger Entzündung zu er¬ 
warten steht; 

4. bei empfindlichen phthisischen Aug¬ 
äpfeln, wenn die Empfindlichkeit derselben 
das Tragen eines künstlichen Auges unmög¬ 
lich macht, und endlich 

5. in jenen Fällen, wo in einem Auge 
Processe sich abgespielt haben, welche be¬ 
fürchten lassen, dass das andere, bis dahin 
noch gesunde Auge sympathisch ergriffen werde 
und schliesslich auch zu Grunde gehe. Hier 
tritt die Enucleation mit vielem Vortheil an 
die Stelle jener etwas rüden Operationen des 
Durchsteeliens des Auges mittelst eines Nagels, 
Querdurchschneidens der Hornhaut etc. etc. 

Als Contra-Indication für die Enu¬ 
cleation ist der Fall anzusehen, dass in dem 
betreffenden Auge floride entzündliche Processe 


(Panophthalniitis) ablaufen; hier könnte nach 
der Operation eine Meningitis eintreten, deren 
Verlauf man nicht mehr in der Hand hat. Sp. 

Enula (tö svooX«, von £v, in, und tö 
oöXov, Zahnfleisch), das Zahnfleisch auf der 
inneren Seite der Zähne (Alveolarperiost [?], 
Zahnpulpa [?]). Sussdorf, 

Enuresis (SvoopeTv, hineinharnen), 1. der 
unwillkürliche Harnabgang, das Unvermögen, 
den Harn zu halten, 2. die Harnentleerung, 
ohne auszuschachten. Sussdorf, 

Enystron, tö rvooTpov (von avueiv, voll¬ 
enden), der vierte Magen der Wiederkäuer, wo¬ 
selbst die Magenverdauung vollendet wird. Sf 
Enzian, bekanntes rein bitteres, appetit¬ 
erregendes Magenmittel, wie es die Wurzel 
verschiedener Gentianeen liefert (s. letztere). VI. 

Enzoon (abgel. von ev, inwendig, und tö 
tipov, Thier) = Entozon. Sussdorf, 

Enzootie (von Sv, in, und C<I>ov, Thier), 
Ortseuche (Endemie), eine seuchenartig auf¬ 
tretende Krankheit, die an gewisse Gegenden 
und Orte gebunden ist und durch locale, den 
betreffenden Orten eigenthümliche Ursachen 
veranlasst wird. Die Enzootien treten meist 
periodenweise, durch Witterungs- und Boden¬ 
verhältnisse bedingt, hervor und gehen selten 
über gewisse Grenzen hinaus; einige von 
ihnen können aber unter Umständen sich 
weit verbreiten und zu Landesseuchen oder 
Epizootien werden. Zu den enzootisch auf¬ 
tretenden Krankheiten gehören die Sumpf¬ 
fieber, Malariafieber, Wechselfieber, die bös¬ 
artige Kopfkrankheit der Rinder, der Typhus, 
die Ruhr der Säuglinge, die enzootische Leber¬ 
entzündung der Ferkel, die alle durch besondere 
Boden- oder Stallmiasmen veranlasst werden. 
Ferner sind hieher zu rechnen eine Reihe durch 
thierische Parasiten verursachter Leiden, wie 
die Leberegelseuche, Bandwurmseuche, Lun¬ 
genwurmseuche, Magenwurmseuche, dieTrichi- 
nosis, die Drehkrankheit, die Räude. Auch die 
seuchenartig auftretende Knochenerweichung 
(Osteomalacie) wäre zu den enzootischen 
Krankheiten zu rechnen. Alle diese Krank¬ 
heiten mit Ausnahme der Räude sind nicht 
direct ansteckend und übertragbar und können 
somit durch einzelne kranke Individuen in 
andere Gegenden nicht verschleppt werden. 
Oft treten aber auch einige ansteckende 
Seuchen (Milzbrand, Rauschbrand, Septicämie, 
Pyämie, Erysipel, Beschälseuche, Rotz, Lun¬ 
genseuche, Tuberculose u. a.) enzootisch auf 
oder bleiben auf bestimmte umgrenzte Gebiete 
beschränkt. Semmtr. 

Enzootische Krankheiten sind solche 
Leiden, die nur an bestimmten Orten oder 
Ställen seuchenartig auftreten und über ge¬ 
wisse Grenzen nicht hinausgehen und meist 
durch an die Localitäten gebundene Schäd¬ 
lichkeiten verursacht werden. Zu den enzoo¬ 
tischen Krankheiten gehören die Sumpffieber, 
die bösartige Kopfkrankheit, der Typhus, die 
Ruhr, die enzootische Leberentzündung der 
Ferkel, die Wurmseuchen, die Osteomalacie, die 
durch verdorbene Futterstoffe und schlechtes 
Trinkwasser veranlassten Magendarmkatarrbe, 


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EOZOON. — EPIDERMIS. 


603 


Anämien, Kachexien, Fäule, Bleichsucht (der 
Schafe), die Equisetkrankheit etc. Scmmer. 

Eozoon canadense (von ?ük, Morgenröthe, 
und C<I>ov, Thier) ist das älteste bis jetzt 
bekannte Fossil, welches zuerst von dem 
Geologen Logan in einem zwischen Gneiss 
eingelagerten Flötz von körnigem Kalk Cana- 
das, der unzweifelhaft zu den ältesten gehört, 
und seither in den Alpen, in Böhmen, im Erz- 
und Fichtelgebirge, Finnland, u.s.w. im Urkalke 
entdeckt und darum Eozoon genannt wurde, 
weil es die erste und älteste bekannte Spur des 
organischen Lebens, gleichsam die Morgen- 
röthe deiÄelben, auf der Erdoberfläche ist. Es 
gehört nach genauen Untersuchungen von 
Dawson und Carpenter und anderen aus- 
ezeichneten Kennern der mikroskopischen 
tructur der fossilen Organismen aus niedri¬ 
gen Thierclassen zu den Rhizopoden und 
stellt in den Kalkschichten grosse Knollen 
dar von beiläufig 30 cm Breite und 10—15 cm 
Dicke. Sie sind aus abwechselnden Lagen von 
Kalk oder Dolomit gebildet, welche die ur¬ 
sprünglich festen Theile des Körpers darstellen, 
während die dazwischen gelegenen ursprüng¬ 
lich von dem gallertartigen thierischen Körper 
erfüllten Räume nachträglich mit Serpentin 
ausgefüllt sind. Dieser riesige Wurzelfüsser 
hatte wahrscheinlich Fortsätze von formloser 
Substanz (Sarcode), welche sich durch die 
Schalen hindurch mittelst feiner Canäle nach 
aussen erstreckten. Es hat sich von ihm blos 
das Kalkgerüste erhalten, der frühere thierische 
Körper in den Zwischenräumen und Kammern 
ist durch Serpentin ersetzt. Gegen die thierische 
• Natur dieses Fossils ist aber vielfach Wider¬ 
spruch erhoben worden; in der Neuzeit ist man 
durch die mikroskopischen Untersuchungen über 
die Erscheinungsformen des Serpentins abermals 
hinsichtlich der thierischen Natur des Eozoon 
sehr in Zweifel gerathen. Koudelka. 

Epagogion (v. zb ixafibfiov), Vorhaut, 
davon 

Epagogiiti s, Vorhautentzündung etc. Sf. 
Epanorthosls (v. ircavop&oöv, wieder auf¬ 
richten), die Wiederherstellung etc., davon 
epanorthotica sc. remedia, d. s. sowohl 
die roborantia, stärkenden, wie die corrigentia, 
verbessernden Mittel. Sussdorf\ 

Epaphairesls (v. Ixay aipsiv), das wieder¬ 
holte Wegnehmen (des Blutes, also das wieder¬ 
holte Aderlässen). Sussdorf. 

Eparma (v. eirai'psafla!, sich erheben), 
Erhebung, Geschwulst, Ausschlag. Sussdorf. 

Ependym (t b I:tev3’jp.a, Ueberkleid, von 
IrcevSosiv, überziehen) heisst die zarte Aus¬ 
kleidungsmembran der Höhlen und Canäle des 
cerebrospinalen Centralnervensystems. Sie ist 
eine von flimmerndem Cylinderepithel gedeckte 
dünne Lage netzförmiger Stützsubstanz. Sf. 

Ephelkis (v. srct, auf, und io IXxoc, Ge¬ 
schwür), Geschwürdecke, Schorf. Sussdorf. 

Ephelotes (v. i'-cyjX&öv, darauf nageln), 
weisser Fleck (in oder auf dem Auge, also 
Hornhautfleck). Sussdorf. 

ephemerus, po$ (v. l-xl, auf, und 
rj Tjp.gpa. Tag), einen Tag dauernd, eintägig, 
z. B. febris ephemerä. Sussdorf. 


‘ Ephldrosi8 (v. eiu, auf, und y; tSpwa’.s, 
Schwitzen), Schwitzen, ermattender, schwä¬ 
chender Schweiss. Sussdorf. 

Ephippium (v. Siw, auf, und 6 Ttctcos, Pferd), 
eigentlich die Satteldecke, übertragen bei 
Neueren der Sattel selbst, anatomischer 
Terminus zur Bezeichnung der an der dor¬ 
salen Keilbeinkörperfläche vorfindlichen sattel¬ 
artigen Einsenkung. Sussdorf. 

Epibolie (r) intßoX-q [v. £ittßdXXsivJ, das 
Aufliegen), epibolische Invagination, bezeichnet 
im Gegensatz zu Embolie in der Morphologie 
jene modificirte Form der Gastrulation bei 
Nahrungsdotter besitzenden (lecithalen) Eiern, 
welche zur Bildung nur einer kleinen Urdarm- 
höhle (Archenteron) führt, die sich ausserdem 
schon bei massiger Nahrungsdottermenge mit 
gequollenen Hypoblastzellen verstopft zeigt. 
Der Process besteht somit nicht eigentlich 
in einer Invagination, sondern in einer Um¬ 
wucherung der Hypoblastzellen durch die 
Epiblastzellen, die vom Bildungspol des Eies 
ausgeht und die Bildung einer einschichtigen 
Blase herbeiführt. Sussdorf. 

Epiohordis, ^ £rctx°P^ (▼. auf, und 

•q yopo-q, Darm). Gekröse. Sussdorf. 

Epichorion. 1. xb liuytiptov (v. Itu, auf, 

und i) ytupa, Land), einheimisch = einhei¬ 
mische Krankheit. 2. zb iict^dpiov (v. htl, auf, 
und x& ydptov, Haut), die Oberhaut = Epir 
dermis, daher auch die äussere Lage der 
Gcfässhaut der Frucht = Exochorion, auch 
= Membrana decidua Hunteri. Sussdorf. 

Epidermati8ßhe Methode, die Application 
von Arzneimitteln auf die Oberhaut, wie sie 
für locale oder entfernte Wirkungen in An¬ 
spruch genommen wird (s. Einreibungen der 
Arzneimittel). Vogel. 

EpidermialkrebO, eine aus einem binde¬ 
gewebigen alveolären Stroma mit eingelagerten 
Nestern und Zapfen von plattenförmigen 
Epidermiszellen bestehende Geschwulst, die 
meist an den Uebergangsstellen der Schleim¬ 
häute in die äussere Haut ihren Sitz hat, wie 
z. B. am After, der Vulva, dem Penis, dem 
Euter, den Lippen etc. (s. Krebs und Can- 
croid). Scmmer. 

Epidermis (von Srct, auf, und xö Sepp«, 
Haut), Oberhaut, nennt man gemeinhin die 
oberste Lage der allgemeinen Decke, jene von 
in der Tiefe (strat. mucos. s. Malpighi) noch 
durchsafteten und regenerationsfähigen, an der 
Oberfläche (strat. corneum) dagegen eingetrock¬ 
neten, verhornten Zellen gebildete gefässlose 
Haut, welche nicht blos nach der Species, 
sondern auch nach der Individualität und am 
einzelnen Individuum noch nach der Gegend 
verschiedene Mächtigkeit zeigt. An den kahlen 
Stellen der Körperoberfläche von auffallender 
Stärke ist sie an den behaarten Theilen der¬ 
selben massiger entwickelt, hier besitzt sie 
beim Pferde z. B. nur die Dicke von etw a 
30 {jl, dort (Euterhaut) von 420 jx, so dass das 
Verhältniss zwischen der Dicke der Epidermis 
und der Cutis eher ein umgekehrtes ist. Die 
Oberhaut ist im Allgemeinen eine hornartig 
trockene, gegen mechanische, thermische und 
chemische Agentien resistente Membran, welche 



604 EPIDERMISNEUBILDUNGEN. — EPJKARDIUM. 


bei den meisten Hansthierspecies dunkelgrau 
und nur bei wenigen (Schwein zum Theil, 
vielen Schafen, weissgeborenen Schimmeln etc.) 
nicht pigmentirt erscheint, bei vielen Thieren 
(besonders den heller gezeichneten) ist sie in 
der Umgebung der physiologischen Atrien 
etc. pigmentfrei, sonst in der angedeuteten 
Weise dunkel; jederzeit röhrt, wenn vor¬ 
handen, die Färbung von der Ansammlung 
eines schwärzlich-braunen Farbstoffes in der 
Tiefe des Strat. mucos. her. — Die Histologie 
der Epidermis vergleiche man unter Cutis, hier 
dagegen soll noch die Lebensgeschichte und 
physiologische Bedeutung derselben kurz be¬ 
rührt werden. Die Epidermis ist ein Product 
des Epiblastes; anfangs in Form einer ein¬ 
schichtigen Lage cylindrischer Zellen (Horn¬ 
blatt Kölliker’s) die Körperoberfläche deckend, 
kommt es bald zur Differenzirung der Ober¬ 
hautzellen und auf dem Wege der indirecten 
Zelltheilung zur Schichtung und Umformung 
derselben; schon die Abhebung der oberfläch¬ 
licheren Lagen von der ernährenden Matrix, 
noch mehr aber die mit dem Beginne des extra¬ 
uterinen Lebens erfolgende Eintrocknung und 
Hornmetamorphose dersuperficiellen Schichten 
führt bald eine Lockerung und schliesslich 
Abstossung derselben in Form feinster 
Schuppen (Abschuppung) herbei, ein Process, 
der fort und fort eine Regeneration in der 
^Tiefe des Gewebes verlangt. Daneben erfolgt 
eine Einsenkung eines Theiles dieser Ober¬ 
hautzellen, durch welche es zur Bildung der 
Hautdrüsen (s. Cutis) kommt, die ihrerseits 
wieder durch activeZellenthätigkeit und Zellen¬ 
metamorphose (fettige Degeneration) die Haut- 
secrete produciren — ein Vorgang, der bei 
den höheren Vertebraten eben nur in beson¬ 
deren Drüsen, bei den niederen auch in Ober¬ 
flächenzellen (Schleimbildung bei Fischen) sich 
abspielt. — Die physiologische Bedeutung der 
Epidermis liegt in deren physikalisch-physio¬ 
logischen Eigenschaften. Sie gewährt einen 
beachtenswerthen Schutz gegen die Einwirkung 
mechanischer,thermischer und selbst chemischer 
Influenzen, der freilich bei unseren behaarten 
Thieren nicht die Bedeutung erlangt wie bei 
nackten. Wegen ihres geringen Wärmeleitungs ¬ 
vermögens kommt sie für die Wärmeökonomie 
des Körpers in Betracht, und als geschlossene 
Deckmembran verhütet sie Säfteverluste aus 
den Lymphspalten des Corium. Endlich nimmt 
sie einen Theil der sensiblen Nervenend- 
apparate auf und dient so auch gewissen Sinnes¬ 
reizen als gewöhnliche Applicationsstelle. Sf. 

Epidermisneubildungen kommen vor nach 
Abstossungen derselben durch entzündliche 
Processe bei Hautentzündungen, nach Ab¬ 
schilferungen, Excoriationen und Abstossungen 
durch traumatische Einflüsse nach Verwun¬ 
dungen und Geschwürbildungen, ferner bei 
hypertrophischen Wucherungen, bei der der- 
moiden Umwandlung an der Luft ausgesetzten 
Schleimhäuten und in Warzen, Papillomen 
und Carcinomen. Bei Verwundungen und Ge- 
schwtirbildungen geht die Neubildung der 
Epidermis von den Rändern der Geschwüre, 
von den umgebenden normalen Epidermis- 


zellen durch Theilung derselben aus, oder sie 
erfolgt von nachgebliebenen Resten des Rete 
Malpighi am Grunde der Geschwüre, oder 
aber von den Schweiss- und Talgdrüsen aus. 
Bei erhaltenem Rete Malpighi erfolgt die 
Neubildung der Epidermis von dort aus, 
ebenso wie die hypertrophischen Wucherungen, 
Schwielen (Callositas, Tyloma), Warzen, Haut¬ 
hörner mit gleichzeitiger Hypertrophie der 
Papillen und Neubildung von Gefässen und 
Bindegewebe. Bei den Carcinomen wuchert 
die Epidermis in Fonn von Knoten und 
Zapfen in das Bindegewebe hinein und ver¬ 
anlasst ebenfalls eine gleichzeitige Neubildung 
von Bindegeweben und Gefässen. Scmmcr . 

Epididymldes, s. Nebenhoden. 

Epidosis (v. lat&tSdvat). 1. Die unerwartete 
Krankheitszunahme. 2. die plötzliche An¬ 
schwellung eines Theiles. Sussdorf. 

Epidosit, eine in Neuholland (Victoria) 
vorkommende Felsenart, welche der Epidot 
(s. d.) mit Quarz und Hornblende bildet. Lh. 

Epidot (von zugeben), ein zu 

den wasserfreien Amphoterolithen zählendes 
Mineral, welches in sehr grossen klinorhom- 
bischen Krystallen vorkommt. Neuerlich wurde 
es im Sulzbachthale im Pinzgau in 5 Zoll langen 
und \ Zoll dicken glänzenden dunkelgrünen 
Krystallen gewonnen. Die saftgrüne Varietät 
wirdPistacit genannt. Härte 6—7, spec. Gewicht 
3—3*5; glasglänzend, halbdurchsichtig, grün, 
grau, rosenroth, braun und schwarz. Er besteht 
aus Kieselsäure, Thonerde und Kalk. Losbisch. 

Epidrome (v. eatxplxetv, hinzulaufen), der 
Säftezufluss = Congestion. Sussdorf 

epigastricus, richtiger epigastrius, . 
laiyaoiptos (v. lat, auf, und rj yaat^p, Magen), 
über dem Magen befindlich, z. B. Regio epi- 
gastria = xo laiydatptov (Plut. etc.), die 
vordere Bauchgegend, welche sich vom Zwerch¬ 
fell bis zur mittleren Bauchgegend, d. i. einer 
Querebene erstreckt, die den letzten (beim 
Pferde vielleicht besser den 16.) Rückenwirbel 
durchschneidet. Sussdorf 

Epigenesis (v. lat, auf, und r t ylveat;, 
Entstehung) nennt man im Gegensatz zu 
Evolution die von C. Fr. Wolff zuerst ver¬ 
tretene Ansicht über die Entwicklung eines, 
Individuums, wonach der complicirte Organis¬ 
mus von Thier und Pflanze aus einfachster 
zellenartiger Grundlage unter Umbildung und. 
Differenzirung derselben zu einer mehrschich¬ 
tigen blattförmigen Anlage („Keimblättern“) 
vor sich geht. Sussdorf. 

Epiglottis, auch Epiglossis (v. lat', auf, 
und ■»} yXoiaaa, Zunge), Kehldeckel (weil auf 
dem Zungengrunde gelegen, resp. einen 
Zungenanhang darstellend), davon als adj. 
epiglotticus, dann 

Epiglottitis,Kehldeckelentzündung. Sf. 

Epigonatis (v. lat, auf, und xo yoVj, Knie), 
Kniescheibe. Sussdorf. 

Epikardium (abgeleitet von lat, auf, und 
r) xapäta, Herz), die äussere Herzhaut, das 
Visceralblatt der serösen Herzbeutelhaut (die 
demMyocardium direct auf liegende Membran), 
zieht von den Wurzeln der grossen Gefasse 
über die Basis zur Spitze des Herzens und 


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EPIKAUSIS. — EPILEPSIA. 60* 


grenzt so den Pericardialraum von innen ab. 
Histologisch stellt das Epicardium eine fibrillär¬ 
elastisch gebaute und von einem polygonalen 
Endothel tiberkleidete Membran dar, die mit 
dem interstitiellen Gewebe des Myocardium in 
directem Zusammenhänge steht (s. Herz). Sf. 

Epikausis (yj &Kixa’jot£ v. sjrixaisiv), das 
oberflächliche Brennen, das zur Bildung eines 
Epikauma, etwa = Brandblase, führt. Sf. 

Epikrisis y liuxptats (v. imxpivssv, be- 
urtheilen). 1. die wissenschaftliche Beurthei- 
lung eines Krankheitsfalles in seinen einzelnen 
Gesichtspunkten, wie Wesen, Zusammenhang 
der einzelnen Erscheinungen, Genese, Aus¬ 
gang etc. 2. Wichtige Erscheinungen, die die 
Krise begleiten und vervollkommnen. Sf. 

Epikyema, t6 fcrctxuvjjia (v. Ircixtmv), die 
bei der Superfötation (gleichzeitigen Ent¬ 
wicklung* von Früchten verschiedenen Alters) 
sich bildende jüngere Frucht. Sussdorf. 

' Epikyesis, yj liuxoroes (v. ItuxosTv), Nach- 
empfängniss, also = Superfötation. Sf. 

Epikylis, —ides, Epikylion (v. Ini, auf, 
und yj xoXi's, Augenlid), das obere Augenlid. Sf 

Epilepsia (von h «, auf, wiederholt, und 
Xy)^, Anfall), die Fallsucht; andere populäre 
Bezeichnungen für diese Krankheit sind 
„Krampfsucht“ und „Schwere Noth“; früher 
nannte man sie wohl auch die „heilige Krank- 
keit kt , „Morbus sacer“. Die Epilepsie besteht 
in Gehirnkrärapfen, die mit mehr oder weniger 
vollständiger Aufhebung des Bewusstseins 
und der Empfindung verbunden sind, nicht 
lange anhalten und erst nach längeren krampf- 
freien Zwischenpausen wiederkehren. 

Die pathologischen Befunde sind bei den 
Epileptikern sehr verschiedene gewesen, woraus 
hervorgeht, dass die Epilepsie auf Störungen 
in den Functionen de9 Nervensystems, u. zw. 
speciell in denen des Grosshirns beruht. 
Kussmaul nnd Tennecker verlegen den Sitz 
der epileptischen Krämpfe in die Brücke und 
in das verlängerte Mark, weil die Brücke ein 
motorisches Centrum für die Muskeln des 
Rumpfes und der Extremitäten, die Medulla 
oblongata die Centren der motorischen Hirn¬ 
nerven enthält. Man nahm an, dass plötzliche 
centrale oder centripetale Reize die genannten 
»Centren ungewöhnlich erregen und einen 
Krampf, resp. eine Verengerung der Hirn¬ 
arterien veranlassen, die zu Gehirnanämie 
und mit ihr zum Schwinden des Bewusstseins 
und zu klonisch-tonischen Muskelkrämpfen 
führt, welche letzteren secundär eine venöse 
Hirnhyperämie nach sich ziehen. Luciani hin¬ 
gegen glaubt auf Grund seiner Studien (vergl. 
„Centralbl. für medicin. Wissensch.“ 1881) den 
Sitz des epileptischen Reizungszustandes in 
die motorische Zone der Hirnrinde verlegen zu 
müssen, sei es, dass das ganze Rindensystem 
oder ein einzelner Punkt desselben gereizt 
wird, von dem aus sich die Reizung weiter 
ausbreitet; in letzterem Falle werden die 
Muskeln der Reihe nach vom Krampf be¬ 
fallen. Die krankhafte Erregung der Medulla 
oblongata hält er für ein accessorisches, ver¬ 
vollständigendes, aber nicht durchaus noth- 


wendiges Moment. Luciani sah bei einem 
Affen nach Reizung der motorischen Rinden¬ 
zone epileptische Krämpfe eintreten, wie dies 
auch nach Elektrisirung der einen oder anderen 
Seite der motorischen Zone der Fall ist. 
Sommer (1. c.) fand bei Epileptikern häufig 
die graue Substanz des Ammonshornes in 
eine dichtkörnige molekuläre Masse umge¬ 
wandelt, einigemale auch Ansammlungen von 
Fettkörnchen, verdickte Wandungen an den 
Gefassen und viele Amyloidkörper im Ammons¬ 
horn und in grösseren Rindenbezirken, Schrö¬ 
der, van der Kolk und Rosenbach (cfr. Virchow’s 
Archiv, 97. Bd.) weisen die Annahme zurück, 
dass die epileptischen Anfälle eine Folge 
der Gehirnanämie seien, denn der Beweis sei 
nicht erbracht, dass Erregung des gefässver- 
engemden Centrums der Medulla oblongata 
im Stande wäre, eine solche Anämie des Ge¬ 
hirns hervorzubringen, wie die durch Abschluss 
aller zum Kopfe ziehenden Arterien bewirkte. 

Nach den Versuchsresultaten Rosenbach ? s 
an Hunden entsteht in der Hirnrinde unter 
der Einwirkung unbekannter Ursachen perio¬ 
disch eine abnorme Erregung örtlich begrenzter 
Centren, die sich auf die ganze Oberfläche der 
Hemisphären verbreitet. Ist die Erregung zu 
schwach, um das functioneile Gleichgewicht 
der Bewegungscentren zu stören, so verläuft 
der Anfall ohne Convulsionen als momentanes 
Schwindelgefühl bei kurzweiliger Bewusst¬ 
losigkeit. Intensive Erregung theilt sich den 
motorischen Centren mit und löst sich in 
epileptischen Krämpfen aus. Mechanische Ein¬ 
flüsse, als Verletzungen, Hirndruck etc., können 
Epilepsie verursachen, indem sie die Erreg¬ 
barkeit der Rindencentren modificiren und 
diese dann den Ausgangspunkt der Anfälle 
bilden. In Uebereinstimmung hiemit hat man 
als Ursachen der Epilepsie Vollblütigkeit, Hirn¬ 
hyperämie, Blutungen ins Gehirn, Gehirnödem, 
Ansammlung von Serum in*den Hirnventrikeln, 
Verdickungen der Schädelknochen und Menin¬ 
en, Exostosen an der Innenfläche des Schädel- 
aches, im Gehirne selbst Geschwülste, Tu¬ 
berkeln, Finnen, Gefässembolie etc. vorgefun¬ 
den. Die corticale Epilepsie ist ein Symptom 
organischer Gehirnaffectionen, sie muss ihrem 
klinischen Verlaufe nach von der idiopathischen 
oder functioneilen Epilepsie unterschieden 
werden, die Anfälle dieser sind Effecte pri¬ 
märer Erkrankung der Grosshirnrinde. 

Die Disposition zur Erkrankung an Epi¬ 
lepsie ist häufig eine angeborne, bestehend in 
leichtere* Reizbarkeit der* Gehirnrinde. Die 
Heredität konnte von Obersteiner experimentell 
nachgewiesen werden, die durch Verletzungen 
des peripheren und centralen Nervensystems 
künstlich erzeugte Epilepsie ging bei Meer¬ 
schweinchen auf deren Junge über. Gemüths- 
errcgungen, Schreck, Aerger, mastige Fütterung 
bei vieler Ruhe, aufgeregterGeschlechtstrieb etc. 
vermögen die Disposition zu wecken, des¬ 
gleichen wenn ein Reiz von der Aussenfläche 
des Körpers oder vom Danncanale aus reflec- 
torisch auf die Centren der Hirnrinde über¬ 
tragen wird, z. B. von zerrenden Narben nach 
Haut- und Muskelverletzungen, schmerzhaften 


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606 EPILEPSIA. 


Quetschungen durch Kummetdruck oder um 
die Hörner gelegte Ketten und Stricke, Schädel¬ 
brüchen, von grellem Lichte als Reiz für die 
Augen, von schwerem Zahnen, Reizungen durch 
das Vorhandensein von Pentastomen in den 
Nasengängen oder im Ohre der Hunde oder 
Eingeweidewürmern im Darmcanale. 

Sind die Krampfanfälle von grösserer 
Heftigkeit und stellen sie sich in sehr kurzen 
Intervallen unter Trübungen des Bewusstseins 
ein, so werden sie als epileptiforme oder 
eklamptische Krämpfe bezeichnet: sie sind 
nicht gleichwerthig mit der Epilepsie und 
werden im Verlaufe der Meningitis, der Ge- 
hirncongestionen (Staupe der Hunde) auch 
bei Thieren häufig beobachtet, welche hohe 
Berge ersteigen müssen; meist führen sie den 
Tod herbei. 

Vom Schwindel ergriffene Thiere taumeln 
zwar und können Umfallen, aber in der Regel 
vermissen wir bei ihnen die epileptischen 
Krämpfe. 

Symptome: Ihnen gehen öfter Abge- 
schlagenheit, Mattigkeit und Unlust zur Arbeit 
voraus, der epileptische Paroxysmus erfolgt 
indes unverhofft und plötzlich, die Thiere 
fangen an zu zittern, an denJ Augenlidern, an 
den Lippen, Gesichts- und Halsmuskeln stellen 
sich leichte Zuckungen ein, Kopf und 
Hals werden nach seit- oder rückwärts ver¬ 
zogen, die Augen verdreht, die Patienten be¬ 
wegen sich taumelnd und schwankend, fallen 
endlich um und liegen nunmehr ohne Bewusst¬ 
sein und Empfindung auf der Erde, während 
sie stöhnen oder heulen, mit den Zähnen 
knirschen, die Kiefer krampfhaft bewegen, 
bei den kauenden Bewegungen den Speichel 
zu Schaum schlagen, schwitzen, einzelne 
Körpertheile krampfhaft verzogen, namentlich 
die Füsse schlagend bewegt werden. Zuweilen 
gehen Koth und Harn unwillkürlich ab, auch 
Aufstossen und Erbrechen können stattliaben. 
Während des Paroxysmus geschieht die Re¬ 
spiration angestrengter und beschleunigt, der 
Herzschlag fühlt sich pochend und unregel¬ 
mässig, der Puls klein und leer an, die Pupille 
ist erweitert, die peripheren Schleimhäute 
haben eine mehr blasse Farbe. Die Dauer 
eines Anfalles kann 2—io Minuten betragen; 
nach dieser Zeit kehren Empfindung und Be¬ 
wusstsein zurück, die Thiere benehmen sich 
wieder wie gesunde, nur zeigen sie sich 
angegriffen und matt. Nicht immer kommt es 
zum Niederfallen zur Erde, aber Convulsionen 
und Krämpfe fehlen nie. * 

Die neuen Anfälle kehren bald früher, 
bald später, oft erst nach Wochen oder Mo¬ 
naten wieder, bei Arbeitsthieren gern während 
der Bewegung. Je häufiger, heftiger und an¬ 
dauernder die epileptischen Anfälle werden, 
desto nachtheiliger wirken sie auf die Gesund¬ 
heit ein, sie führen alsdann mit der Zeit zu 
Störungen in der Verdauung und in den sen¬ 
soriellen Verrichtungen, selbst zur Abmagerung, 
zu Gehirnödem und Gehirnapoplexie und damit 
zur Vernichtung des Lebens, ln den meisten 
Fällen bleiben die Thiere, von denen das Ge¬ 
flügel nicht ausgeschlossen ist. zeitlebens mit 


der Epilepsie behaftet; die meiste Aussicht auf 
Heilung bietet die consensuelle, auf reflecto- 
rischem Wege zu Stande gekommene Epilepsie. 

Die autoptischenErscheinungen sind wenig 
constant, oft sind nach dem Tode keine makro¬ 
skopisch wahrnehmbaren Läsionen am Gehirn 
oder verlängerten Mark wahrzunehmen, unter 
ihnen noch am häufigsten Gehimödem, Gehirn¬ 
erweichung, Verfettung der Hirnfasern und 
Wassersucht der Hirn Ventrikel. Mitunter lässt 
sich mikroskopisch eine Erweiterung und 
varicöse Entartung der Capillaren der Medulla 
oblongata nachweisen. 

Behandlung. Die Hauptaufgabe der 
Therapie ist auch hier die Entfernung der 
Ursachen; lässt sich diese bewerkstelligen, 
dann ist Heilung möglich, andernfalls bleiben 
die Heilversuche fruchtlos. Würmer und An¬ 
schoppungen im Darmcanal sind durch Abführ¬ 
mittel und Purganzen zu beseitigen, überhaupt 
ist auf offenen Leib und leichtverdauliche 
Nahrung zu halten, weil der Epilepsie oft 
Vollblütigkeit und Gehirncongestionen zu 
Grunde liegen; hier sind auch Ableitungen 
auf die Haut nützlich. Pferde, die viel Ruhe 
haben, sind täglich zu bewegen. Vermuthet 
man Gehirnödem, so befördere man die Se- 
und Excretionen. Hengste wurden zuweilen 
durch die Castration geheilt. Gemüthsauf- 
regungen vermeide man möglichst, in der 
Umgebung der Epileptiker vermeide man be¬ 
unruhigende Geräusche und Hantirungen, selbst 
grelles Licht, denn die Erfahrung hat erwiesen, 
dass man durch Abhaltung der Lichtstrahlen 
vom Auge, indem man es mit einem schwarzen 
Tuche zubindet, den epileptischen Anfall cou- 
piren kann. Zerrende Narben oder schmerz¬ 
hafte Quetschungen sind zu beseitigen. 

Nächstdem sind die Nerventhätigkeit herab¬ 
setzende, beruhigende Mittel angezeigt: Chloral- 
hydrat in Wasser oder Schleim, das beim 
Nachlass der Fresslust und beim Eintritt eines 
pochenden Herzschlages ausgesetzt werden 
muss; Aether und Schwefeläther, Blausäure, 
Emulsion von bitteren Mandeln oder aqua 
Laurocerasi (für Hunde), unter Zusatz einer 
Solution des Cuprum sulfuric. ammoniacatum 
(0*06) in aquae destill. 60’0 theelüffelweise 
zu geben: Chlorzink, Zinkoxyd, Zinkvitriol, 
Bromkali von chemischer Reinheit und in, 
grossen Dosen bei nachhaltiger Anwendung, 
eine Solution des Argentum nitricum in Wasser 
oder Baldrian-Infusum: Atropin .in kleinen 
Dosen; Morphium, Aconit, Cannabis indica, 
Conium, Hyoscyamus, Belladonna, Nux vomica, 
Indigo, Bryonia, Digitalis mit KalomeL Ein 
Thee- oder Esslöffel voll Kochsalz in den 
Mund gesteckt, soll nicht allein den Anfall 
coupiren, sondern auch bei fortgesetztem 
Gebrauch zur Heilung führen. Auch mit sub- 
cutanen Injectionen von Strychninum sulfuric. 
s. nitric. will man Erfolge erzielt haben. 

Die Homöopathen eröflhen die Cur mit 
Aconitum und geben alsdann Stramonium 
und Belladonna, zwischen den Anfällen auch 
wöchentlich 2—J Gaben Camphora, Hvosc. 
oder Sulfur. (Vergl. Straub, Rocept-Taschen- 
i buch.) Anacktr . 


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EPILEPSIE. — EPISPASTICA. 


607 


Epilepsie als Gewährsmangel muss durch 
wiederholte Beobachtungen der einzelnen 
Anfälle constatirt werden. Die Gewährszeit 
für Epilepsie beträgt: 

28 Tage in Baden (Grossherzogthum), Hessen, 

Frankfurt, Hohenzollern, Württem¬ 
berg; 

29 r „ Nassau; 

30 „ Frankreich und Elsass-Lothringen; 

40 r „ Bayern; 

42 „ „ Sachsen-Coburg-Gotha. Semmer . 

Epilirung der Cilien ist die bei ver¬ 
schiedenen Krankheiten, insbesondere falscher 
Stellung dieser Gebilde nothwendige operative 
Therapie, darin bestehend, dass man das Haar 
knapp an der Mündung seines Follikels mit 
der Cilienpincette erfasst und mit lang¬ 
samem Zuge entfernt. Näheres s.u. „Wimper¬ 
haare des Auges“. Schlampp. 

Epinette v. fci«, unter, und vlpjoi«;, Ver- 
theilung, die Vertheilung nach dem concreten 
Fall. Bei der Geflügelmast an gewendeter Appa¬ 
rat, in einem drehbaren, etageförmig abge- 
theilten Käfig bestehend, der in Fächer getheilt 
ist, in welchen sich die zu mästenden Thiere 
an Ketten oder Riemen gefesselt befinden. Kk. 

Epinotion, xo iictvaitiov (abgel. v. m, 
auf, und xo vüxov, Rücken), Schulterblatt. Sf. 

Epiparoxysmus (v. trJ., nach, und 6 ira- 
po^oaiio's, erneuter Anfall), ein einem Paroxys- 
mus bald (zu früh) nachfolgender Anfall. Sf 
epipa8tU8, iirtittxoTos (v. STtircaaaeiv, auf¬ 
streuen), subst. in cpipastum, das Streupulver= 
Aspergo. Sussdorf 

epiphaenomenus, iit^atvo^evo? (v. hti- 
(patvstv), nachträglich erscheinend, subst. in 
epiphaenomena sc. symptomata, später hinzu¬ 
kommende Krankheitssymptome. Sussdorf. 

Epiphlogisma, zb eTCt*?Xo'ytap.«, die ober¬ 
flächliche Entzündung, Hautentzündung, ent¬ 
zündete Stelle. Sussdorf 

Epiphora (£ir:<popa, der Zufluss, das Her¬ 
vorbrechen), der Thränenfluss, das Thränen- 
träufeln, s. „Thränenapparat u . Schlampp . 

Epiphysis, yj l7tt®oct?(von str/p6s».v), heisst 
in der Anatomie jeder Knochenfortsatz, welcher 
ursprünglich, d. h. während der Entwicklung 
des Knofehens, durch eine besondere Knorpel¬ 
schichte (Epiphysenknorpel) von dem übrigen 
Theile des Knochens getrennt war. Dieselbe 
verknöchert somit stets von einem besonderen 
Ossificationspunktaus. Gemeinhin verstehtman 
darunter die Gelenkenden der Röhrenknochen 
und unterscheidet sie in ein proximales (oberes) 
und distales (unteres). Dieselben, in der Jugend 
deutlich von dem Mittelstücke (Diaphyse) ab¬ 
gegrenzt, verschmelzen früher oder später mit 
diesem vollständig, so dass der betreffende 
Knochen am ausgewachsenen Individuum als 
einheitliches Ganzes erscheint. Die Verwach¬ 
sung der Epiphysen mit der Diaphyse geht nicht 
immer für beide Epiphysen ganz gleichzeitig 
vor sich, so verwächst z. B. die obere. Epiphyse 
des mittleren Mittelfussknochens ebenso wie 
die untere der Phalanx prima schon vor der 
Geburt mit dem Mittelstück, die entgegen¬ 
gesetzte dagegen erst viel später. Das Vor¬ 
handensein getrennter Epiphysen ist für das 


Längenwachsthum des Knochens bedeutungs¬ 
voll; es scheint, dass eine Uebereinander- 
schichtung von Knochensubstanz nur während 
des Bestehens der Diaphysenknorpel mög¬ 
lich ist. Sussdorf. 

Epiphyton (abgel. v. ärn, auf, und xo 
<poxov, Pflanze), Schmarotzerpflanze, jeglicher 
pflanzliche Parasit. Sussdorf. 

Epiplasma, xo eiu«Xaap.a (v. ht'.rcXaaas'.v), 
Salbe, Breiumschlag. Sussdorf. 

Epipler08i8, eTrtttX-qpüiotc (v. ircircXYjpoöv), 
Ueberfüllung, bes. Hyperämie. Sussdorf. 

Epiploke,Yj eiwittXoxrjfv. iitiJcXexstv, hinein¬ 
flechten), Verwicklung, Darmverschlingung. Sf. 

Eplploon, zb iiC’rcXoov (v. intwXstv, darauf 
schwimmen), das Netz, omentum, als das gleich¬ 
sam auf den Eingeweiden des Bauches Schwim¬ 
mende; davon 

Epiploenteroschokele (v. xo Ivtspov, 
Dann, 6 oa^ox, Hodensack, und tj xtqXyj, Bruch), 
Netzdarmhodensackbruch. 

Epiplokele, Netzbruch. 
Epiplomphalokele, Netznabelbruch. Sf. 
Epiporoma, zb $it'.itu>po>p.a (v. iit'.rcwpoöv), 
die oberflächliche Verhärtung, Schwiele, auch 
der Callus an gebrochenen Knochen. Sf. 

Episarcidium (abgel. v. Iiw, auf, und 
yj aap£, Fleisch) = Anasarka als eine zwischen 
Fleisch und Haut befindliche Affection. Sf 
Epi8Che8i8, ^ fcrci'o/eai; (v. Srcs/stv). 
(krankhafte) Zurückhaltung einer (normalen) 
Ausleerung. Sussdorf 

Epi86ma8ia, ^ £ittOYm«ata(v. £?uaY;p.*'ve'.v), 

Krankheitsvorzeichen, Prodrome. Sussdorf. 

Epision, zb eiuatov, s. Ituosiov, Scham¬ 
gegend, Schamhaare, Scham; davon 
Episioedema, Schamödem; 
Episionkus, Geschwulst an der Scham; 
Episiorrhagia, Schamlippenzerreissung; 
tibertr. Blutung aus den Schamlippen; 

Episiorrhaphe, Schamlippennaht. Sf. 
Epispasis, rj tmoi:aai$ (v. iicioicäv, heran¬ 
ziehen), die krankhaft erschwerte Inspiration 
(Galen); dav. adj. epispastica sc. remedia, 
blasenziehende Mittel. Sussdorf 

Epispastica, eine Abtheilung der haut¬ 
reizenden Arzneimittel, welche man je nach der 
Art und dem Grade ihrer Wirkung in Untcr- 
abtheilungen gebracht hat; sie heissen nämlich 
Rubefacientia, wenn sie nur eine Haut- 
röthe, also Hauthyperämie erzeugt haben, oder 
Epispastica, wenn eine wirkliche Haut¬ 
entzündung mit ihren Ausgängen hervorgerufen 
wird, während diese wieder in Vesicantia 
zerfallen, sobald der Ausgang der Entzündung 
in Blasenbildung geschieht oder diese statt 
mit Serum sich mit Eiter füllen — Pustu- 
lantia, Suppurantia. Nur die Concentration 
des Mittels ist es, sowie die Art und Weise 
der Einreibung, welche darüber entscheidet, 
wie weit die Reizung in der Haut geht; eine 
Entzündung wird aber immer mehr oder 
weniger gesetzt, auch fallen meistens die 
Haare aus, welche sich aber bald regeneriren, 
wenn nur eine Exsudation in den Haarbalg 
stattgefunden hat. Inwiefern man durch diese 
hautreizenden, Ausschwitzung und Eiterung be¬ 
dingenden Mittel einen Einfluss auf Krankheit*- 



608 


EPISPHAERIA. — EPITHELIEN. 


Vorgänge im Innern des Körpers auszuüben 
vermag, ist erst in neuerer Zeit näher bekannt 
geworden. Früher glaubte man, durch sie den 
eigentlichen Krankheitsstoff, dieMateria peccans, 
aus dem Körper hinauszuschaffen, Baunscheidt 
hat daher besondere Löcher in der Haut ange¬ 
bracht; später sprach man von der Wirkung 
durch Gegenreiz, von Blutableitung u. s. w., 
ohne aber diese Anschauungen wissenschaft¬ 
lich begründen zu können, man verfiel daher 
in das andere Extrem und verwarf die haut¬ 
reizende Methode ganz, bis sie erst jetzt 
experimentell eine wissenschaftliche Grund¬ 
lage gewonnen hat. Das nähere Verständniss 
hiefür ergab sich erst aus der besseren Er- 
kenntniss der physiologischen Functionen der 
Haut, wobei sich gezeigt hat, dass diese 
namentlich auch Sinnesorgan und dadurch 
Regulator für die Innenwärme, die Respi¬ 
ration, Circulation, also für die wichtigsten 
Stoffwechselvorgänge ist, nicht blos ein Schutz-, 
Athmungs- und Secretionsorgan; es kommt 
übrigens viel darauf an, mit welcher Inten¬ 
sität diese Hautreize gesetzt und mit welchen 
Mitteln sie erzielt» werden. Schwächere 
Hautreize, hervorgerufen durch die Epi- 
spastica rubefacientia und vesicantia, als welche 
für gewöhnlich das Terpentinöl, der Salmiak¬ 
geist, der schwarze Senf, Chrysarobin u. dgl. 
in Anwendung kommen, bedingen zunächst 
Verengerung der peripheren Blutgefässe, Ver¬ 
minderung des Blutgehaltes derselben (z. B. 
bei Gehirnentzündung der Piagefässe), t ge¬ 
steigerten Blutdruqk, verlangsamte Athmung 
und Erhöhung der Innen wärme; starke Haut¬ 
reize, hervorgerufen durch Kanthariden, 
Euphorbium, Brechweinstein, Crotonöl, Glüh¬ 
eisen. faradischen Pinsel, Haarseile, Fonta¬ 
nellen u. s. w., haben vielfach gegentheilige 
Wirkungen gegenüber den schwachen Haut¬ 
reizen, insbesondere Sinken der Temperatur, 
Verlangsamung des Kreislaufes und der Ath¬ 
mung und dadurch Steigerung des Stoff¬ 
wechsels, aber bald Abnahme des Blutgehaltcs 
der inneren Organe, welche bis zur Anämie 
und Schwund des Fettes gehen kann, es kann 
somit bei anhaltender und ausgebreiteter 
Anwendung der epispastischen Mittel der 
Organismus stark mitgenommen werden. Ver¬ 
gleiche auch Derivantia unter „Ableitung“. VI, 
Episphaeria (abgeL v. lut, auf, und t?j 
ccpalpa, Kugel), die Hirnwindungen, Gyn 
cerebri. Sussdorf, 

Epistasis, ij iwiotaoic, (v. lictoxaoO'ai, 
darauf stehen), aas Schwimmen auf der Ober¬ 
fläche, z. B. einer Wolke im Harn, als Gegen¬ 
satz zu Hypostasis. Sussdorf. 

Epistaxis (v. lirtoxaCeiv, tröpfeln), ist 
dasjenige Nasenbluten, bei welchem 
Blut tropfenweise aus der Nase abfliesst, im 
Gegensätze zurRhinorrhagia seuHaemonhagia 
narium (v. piv, Nase; a(p.a, Blut; £arr),Riss), 
dem Nasenblutfluss, bei dem das Blut aus 
der Nase in massig starkem, aber gleich- 
massigem Strome fliesst oder in mehr oder 
weniger starkem Strahle hervorstürzt; in 
diesem Falle ist das Nasenbluten öfter eine 
Theilersclieinung des Lungenblutsturzes (s. 


auch unter „Ausfluss“, „Blutfluss“ und 
„Blutung“). Anacker. 

Epi8trophe, y eit'.oipo<pTq (v. sirioxpe^siv), 
das Umdrehen, die Wiederkehr = Recidiv. Sf. 

Episfropheus, 6 ItctoTpotpeuc, der Um¬ 
dreher, Name für den zweiten Halswirbel, 
weil auf ihm die Drehungen des Kopfes er- 4 
folgen (s. Skelet und Wirbelsäule). Sussdorf. 

Epithelialkrebs, eine Krebsgeschwulst 
mit zahlreichen eingelagerten Epithelzapfen 
und Knoten. Da alle Krebsgeschwülste aus 
Bindegewebe, Gefässen, Rundzellen und ein¬ 
gelagerten Epithelzellenmassen bestehen, so 
ist die Bezeichnung Epithelialkrebs eigent¬ 
lich keine präcise. Sie wird aber von den 
Autoren festgehalten, welche auch einen 
Endothelkrebs und Bindegewebskrebs an¬ 
nehmen (s. Krebs). Semmer. 

Epithelialplatten nennt His den Epi- und 
Hypoblasten als die Anlage der die innere 
und äussere Körperoberfläche überziehenden 
Epithelhäutchen im Gegensatz zu den Binde¬ 
substanzen und Muskelplatten. Sussdorf. 

Epithelien, Epithelgewebe. Aus dem 
bei erster embryonaler Anlage auftretenden 
äusseren und inneren Keimblatte geht ein 
Gewebe hervor, welches den Namen Epithel¬ 
gewebe führt und seiner Genese nach also als 
Zellenbelag aller mit der Aussenwelt in Ver¬ 
bindung tretenden Organoberflächen erscheint. 
Demgemäss findet sich das Epithelgewebe als 
häutiger Ueberzug der allgemeinen Körper¬ 
decke, der Schleimhäute des Verdauungs-, 
Respirations-, Genital-, Harntractus, kleidet 
alle vom Ento- oder Ectoderm stammenden 
Drüsen und deren Ausfiihrungswege aus und 
dient auch zum Aufbau des Zahnschmelzes, 
der Haare, Klauen, Linse, gewisser Nerven¬ 
endigungen etc. Die einzelnen Zellen des 
Epithelialgewebes, welche direct von den 
Furchungszellen Ursprung nehmen und je nach 
ihrer ectodermalen oder entodermalen Abkunft 
als Ecto- oder Entercyten bezeichnet werden, 
nennt man kurzweg Epithelien oder Epithel¬ 
zellen, und erscheinen dieselben unter den 
variabelsten Formen, je nachdem sie durch 
Druck, Zug, Spannung, also durch mechanische 
Einflüsse oder durch ihre Arbeitsleistung zu 
irgend einer Gestalt gepasst wurden. Im All¬ 
gemeinen ist die Zellengestalt für das jeweilige 
Körper- oder Organterritorium typisch, indes 
kann die Form doch nach ganz localen Ver¬ 
hältnissen, z. B. in der Harnblase, zeitlich 
variiren, oder eine Formveränderung ist durch 
die Function und Lebenserscheinungen der 
Zellen bedingt, wie z. B. Drüsenzellen sich 
ändern und die Malpighi’schen Zellen mit der 
Zeit zu kernlosen Schüppchen werden. Für das 
Epithelialgewebe ist aber bestimmt charak¬ 
teristisch, dass die zusammensetzenden Zellen 
dicht an einander liegen, nur durch eine ganz 
spärliche, kaum wahrnehmbare Kittsubstanz 
geschieden sind und dieses Gewebe niemals 
direct von Blutgefässen durchsetzt ist. Je nach 
der Mächtigkeit der zu häutigen Gebilden an 
einander gepassten Zellenlagen unterscheidet 
man ungeschichtetes = einschichtiges Epithel 
von dem geschichteten = mehrschichtigen 



EPITHELIEN. 


609 


Epithel (letzteres ist seiner Dicke halber auch 
makroskopisch isolirbar, Zunge, Haut). Am 
todten Organismus ist die Kittsubstanz, welche 
die Epithelien ähnlich wie der Mörtel die Mauer¬ 
steine mit einander verbindet, sehr fest, am 
lebenden Organismus scheint sie an gewissen 
Partien die Rolle eines weichen, Ernährungs¬ 
saft zuführenden Gewebes zu spielen (Saft¬ 
canalsystem). 

Nafck den physiologischen Functionen 
unterscheidet man Deckepithelien, Drü- 
senepithelien = Enchymepithelien und 
Neuroepithelien. (Die Drüsen epithelien 
s. D r ü s e n, die Neuroepithelien unter N e r v e n- 
endigung.) Der Form nach trennt man die 
Deckepithelien in Platten-, Cylinder- 
und Flimmerepithel; jede dieser Formen 
kommt in ungeschichteter Lage ebenso wie 
geschichtet vor. Bei mehrschichtigem Vor¬ 
kommen ist die Grenze der Gestalt keine voll¬ 
ständige, sondern es besteht hier häufig die 
oberste Lage aus cylindrischen Zellformen, 
während die unteren, tieferen Lagen kegel¬ 
förmige, kubische, rundliche Zellen aufweisen 
und umgekehrt. Man spricht dann bei solchen 
durch Druckwirkung und Wachsthumsmodali¬ 
täten verschieden gestalteten Zellen von Ueber- 
gangsepithel.Das Epithelgewebe sitzt in der 
Regel auf Bindegewebe oder zur Bindesubstanz¬ 
gruppe gehörigen Organtheilen mittelst einer sog. 
Basalmembran. Das eine Ende der Zellen, oder 
bei mehrschichtigen die obere Lage ist frei 
dem Lumen des betreffenden Canals, Hohl¬ 
raumes oder sonstwie der Organoberfläche zu¬ 
gewandt, das andere, basale Ende der Zellen 
oder die untere Lage bei mehrschichtigen ist 
* an der Basalmembran befestigt, u. zw. durch 
eigenthümliche gezähnelte, plattenartig, flügel¬ 
artig oder anderweitig verbreiterte Zellenfort¬ 
sätze (Fussplatten). 

Das Plattenepithel (Fig. 514) kommt 
als einschichtiges an der inneren Fläche des 
vorderen Theiles der Linsenkapsel, im innem 



Fig. 514. Verschiedene Formen von Plattenepithelien. 
a Plattenepithel von der Zungenschleimhaut; b Riffzellen; 
r verhornte Schuppen vom Hufe des Pferdes; d Harn- 
blasenepithelien. 

Ohre und in manchen Drüsenausführungs¬ 
gängen, ferner als Pigmentepithel in der äus- 
sersten Retinaschicht vor; als mehrschichtiges 
wird es an getroffen auf der äusseren Haut und 
ihren Einstülpungen und Fortsetzungen in 
Schleimhäute, so in der Maul- und einem Theil 
der Rachenhöhle, auf der Zunge, im Schlunde, 
der Schlundportion des Pferdemagens, den 
Vormägen der Wiederkäuer, den äusseren Ge¬ 
schlechts- und Harngängen etc. etc. Wie der 
Name besagt, ist das Plattenepithel vorwiegend 

Koch. Encyklopädie d. Thierheilkd. 11. Bd. 


repräsentirt durch plattgeformte dünne Zellen, 
welche nach Art der Pflastersteine (Pflaster- 
epithel) neben einander liegen; bei mehr¬ 
schichtiger Lage sind nur die obersten Lagen 
von platten Zellen hergestellt, die mittleren 
und tieferen 'Schichten zeigen uns noch vollere, 
mehr der Kugelform genäherte Zellen. Nach 
Ellenberger ist der Bau des geschichteten 
Plattenepithels derart, dass auf der etwas ge- 
zähnelten Basalmembran direct weiche, voll¬ 
saftige Zellen (Protoplasten) sitzen, welche von 
kugeliger, cylindrischer oder keulenförmiger 
Gestalt sind und den Namen Basalzellen, 
Ersatzzellen des Epithels führen. Die nächst 
höheren Lagen bieten ähnliche kegel- oder 
keulenförmige Zellen, die zum Theil mit einem 
Basalfortsatz verschiedener Gestaltung ver¬ 
sehen sind und mit diesem zwischen die 
eigentlichen Basalzellen hereinreichen (Fuss- 
zellen, Flügelzellen). Mehr und mehr nach 
aufwärts zur freien Oberfläche einer Platten¬ 
epithelmembran werden die Zellen saftärmer, 
daher trockener, nehmen durch verschiedene 
Druckwirkung plattere Form und besondere 
Eindrücke an, wonach z. B. Zellformen vor¬ 
handen sein können, die den Namen Riff¬ 
zellen führen, weil sie an den Rändern zackig 
und stachelig und auf ihren Ebenen geriffi 
erscheinen und mit diesen Riffen und Zähne¬ 
lungen ineinander hängen, während endlich 
ganz oberflächlich erst die völlig abgeplatteten, 
meist schon zu kernlosen, verhornten Schüpp¬ 
chen umgcstaltcten Zellen liegen. Alle die 
Zellformen, welche im geschichteten Platten¬ 
epithel gefunden werden, sind nichts Anderes 
als physikalisch umgestaltete, ursprünglich 
rundfe Zellen der tiefsten basalen Schichte, wie 
denn beim Embryo die ganze Masse noch vor¬ 
wiegend aus runden Zellen besteht. Die rund¬ 
lichen basalen Zellen gehen eben, je weiter 
sie nach aufwärts geschoben werden, lediglich 
durch Druckwirkung jene Gestaltveränderung 
und bei verschiedenen Härten auch durch 
Umwandlung in Keratin eine chemische Ver¬ 
änderung, die sog. Verhornung ein; die basalen 
Zellen vermitteln den Wiederersatz der an 
der Oberfläche verloren gehenden. Selbst das 
dickste Plattenepithel ist absolut blutge¬ 
fässlos, dagegen besteht zwischen den Zellen 
ein Saftcanalsystem in Form von Spalträumen, 
in welchen vorhandenes Bluttranssudat den 
Stoffwechsel der Zellen bethätigt und mit 
Lymphgefässnetzen in Beziehung tritt. Soweit 
dieses Canalwerk vorhanden, kann man auch 
Lymphoidzellen zwischen den Epithelien an¬ 
treffen, oftmals solche 
mit Pigment beladen. 
Eine besondere Art 
des Plattenepithels ist 
durch die Zellen derPig- 
mentschicht der Netz¬ 
haut repräsentirt (Fig. 
515). Hier findet man 
Zellen, welche gleich 

sechsseitigen Mosaik- 
steinen in einzelliger 

Fig. 515. Zellen der Pig- , /n p j npr TVf pni 

mentscliiehte der Netzhaut ^U einer IViem 

des Rindes. bran vereinigt sind und 

39 



610 EPITHELIOM. 

bei denen der Zelleib braun oder braun¬ 
schwarz durch massenhaft in ihm befind¬ 
liche Pigmentkörnchen gefärbt erscheint, der 
Zellkern indes, weil er pigmentfrei, soweit* 
derselbe nicht vom Zelleibe verdeckt ist, als 
heller Fleck hervortritt. Die ddt Netzhaut, 
resp. den nervösen Elementen derselben zu¬ 
gewandte Fläche dieser Zellen trägt feine 
Fadenfortsätze, welche zwischen die Aussen¬ 
glieder der Netzhautstäbchen und -Zapfen sich 
lagern. Die dem Glaskörper zugewandte Fläche 
der Zellen ist ärmer an Farbstoff als die 
mittlere Partie, und die Pigmentkörnchen 
sind elliptisch oder stabförmig, nach Frisch 
sind es scharfkantige, prismatische Krystalle, 
und bei manchen Thieren sind auch noch 
intensiv gefärbte Fettkugeln in diesem Epithel. 
Diese Pigmentzellen sollen amöboider Bewe¬ 
gung fähig sein. 

Das Cylinderepithel (Fig. 516) findet 
sich vorwegs im Verdauungsschlauch und den 
Ausführungsgängen derVerdauungsdrüsen, zum 



Fig. 516. Cylinderepithelien von der Magenoberfläche des 
Pferdes, a Von der Seite; b von oben gesehen. 

Theil auch in letzteren selbst. Den Namen 
Cylinderzellen wendet man dann an, wenn der 
Zelleib einer Epithclialzelle ein gutes Stück 
länger als breit ist. Solche Zellen können 
nebenher noch verschieden geformt erscheinen: 
kegel-, bim-, becher-, pyramidenförmig; ihr 
Kern kann rund oder oval sein, und ausserdem 
trifft man noch je nach der Function be¬ 
sondere Structurunterschiede (s. Becherzellen, 
Deckelzellen bei Darm). Die Cylinder¬ 
epithelien kommen ebensowohl in einschichtiger 
wie in mehrschichtiger Anordnung vor und 
liegen in letzterem Falle als Ersatzzellen, 
rundliche und Uebergangsformen dieser Epi- 
thelien auf der Basalmembran. Meistentheils 
stellen fadenartige gezähnelte, bandartige Fuss- 
platten, d. h. basale Fortsätze der Cylinder¬ 
epithelien die Verbindung mit dem binde¬ 
gewebigen Boden, resp. der Basalmembran 
her. Betrachtet man eine von Cylinderzellen 
hergestellte Oberfläche von oben, so erkennt 
man ein zierliches Mosaik polygonaler Felder 
— die Umrisse des Zelleibes jeder Cylinder- 
zelle von der freien Fläche aus. Epithclial- 
zellen, welche ebeuso hoch wie lang sind, nennt 
man kubische Zellen. Besitzen epitheliale 
Zellen an ihrer Oberfläche haarartige Fort¬ 
sätze, welche, so lange die Zellen am Leben 
sind, Bewegung zeigen, so nennt man die mit 
solchen Wimpern oder Cilien (s. d.) ausge¬ 
statteten Zellen Flimmerepithelien. Nur 
an wenig Körperpartien, so im mittleren Ohre, 
sind es Platten epithelien, welche Wimpern 
tragen: fast allenthalben treffen wir den Besitz 
von Cilien an Cylinderzellen geknüpft, sowohl 


— EPIZOON. 

an einschichtige wie mehrschichtige, in letz¬ 
terem Falle führt aber nur die oberste freie 
Schicht die Wimperhaare und sind solche 
überall vorhanden, wo es sich um Fortschaffung 
feinster corpusculärer Eiepiente aus Höhlen 
und Canälen handelt (Eileiter, Uterus, Trachea, 
Bronchien, einem Theil der Nasenschleim¬ 
haut etc.). Es gibt noch eine Hauptform der 
Epithelien, welche den Zellenbelag der serösen 
Häute bilden und speciell den Namen* 

Endothel führen; insoweit diese Form 
auf dem Peritoneum und der Pleura nebst den 
diversen Blättern dieser Membranen ihre Lage 
hat, ist sie als echtes Epithelgewebe anzu¬ 
sprechen, soweit indes das Canalwerk der 
Blut- und Lymphgefässe, die Gelenkhöhlen, 
überhaupt die abgeschlossenen, nicht mit der 
Aussenwelt communicirenden Spalt- und Hohl¬ 
räume des Körpers davon ausgekleidet sind, 
haben wir es mit wirklichem Endothel (s. d.) 
zu thun; letzteres Gewebe stammt nämlich 
vom mittleren Keimblatte (Mesoderm) ab. 

Die Epithelialzellen sind Gebilde, welche 
jo nach Localität ihres Sitzes nicht nur ver¬ 
schiedene morphologische Eigenschaften kund- 
thun, sondern damit auch verschiedene physio¬ 
logische Leistungen verbinden. Die Deck- 
cpithelien fungiren als schützende Ueberzüge 
der betreffenden Organe, die Flimmerzellen 
übernehmen die Fortbewegung thicrischer Pro- 
ducte (Ei) und diverser Secrete, auch fremder 
ein gedrungener Elemente, die Drüsenepithelien 
liefern Secrete, welche für den Körperhaushalt 
unentbehrlich sind,oder schaffen StoffWechselpro- 
ducte aus dem Körper, weiters gibt es Formen, 
welche die Resorption von Nährstoffen besorgen, 
und die Pigmentepithelien spielen eine Rolle f 
zur Erzeugung des Sehpurpurs. Die Epithelien 
fallen schon physiologisch verschiedenen rück¬ 
gängigen Metamorphosen anheim und gehören 
zu den am leichtesten sich regenerirenden 
Geweben des Körpers. 

Literatur: Ellenberger, Vergl Histologie der 
Haussäuget,hiere. Kitt. 

Epitheliom. Im weiteren Sinne des Wortes 
versteht man unter Epitheliom eine jede Neu¬ 
bildung, die mit starker Wucherung des Epithels 
oder der Epidermis verbunden ist, wie z. B. 
die Warzen (Papillome), Adenome und Kcra- 
tosen (Schwielen, Leichdörner und Haut¬ 
hörner). Semmtr. 

Epitheln (v. auflegen), Um¬ 
schlag. Sussdorf. 

Epitrichium (abgel. von erct, auf, und 
•q Haar), ein der abgestossenen Ober¬ 
haut der sich häutenden Amphibien und Rep¬ 
tilien morphologisch vielleicht gleichkom¬ 
mendes epidermoidales Häutchen, welches 
von gewissen Säugethieren, darunter Schwein 
und wahrscheinlich auch Pferd, während des 
intrauterinen Lebens zur Zeit des Empor¬ 
wachsens der Haare abgestossen wird, um 
entweder als continuirliche Hülle bis zur 
Geburt bestehen zu bleiben oder schon 
während desEmbTyonallebenszu zerreissen. Sf. 

Epizoon (abgel. v. eitt, auf, und to Cuiov, 
Thier), das auf anderen Organismen vege- 
tirende Lebewesen, Schmarotzerthier; davon 


t 


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EPIZOOTIE. - EQUIDAE. 


61t 


Epizoologia, die Lehre von den Epi¬ 
zoen. Sussdorf 

Epizootie (v. &tcj, über, und Cwöv, Thier), 
Landesseuche, Wanderseuche (Epidemie bei 
Menschen), eine Krankheit, die sich über 
grössere Strecken oder ganze Länder aus¬ 
breitet und entweder durch solche Miasmen 
veranlasst wird, die nicht an bestimmte 
Localitäten gebunden sind und Krankheiten 
hervorrufen, die unter Umständen contagiöse 
Eigenschaften erlangen (Influenza, Katarrhe, 
Pneumonien, Pleuriten, Druse, Cerebrospinal¬ 
meningitis, Gastroenteriten, Rheumatismen), 
oder denen ausgesprochene Contagien, meist 
flüchtiger Natur zu Grunde liegen, wie Rinder¬ 
pest, Schafpocken, Lungenseuche, Maul- und 
Klauenseuche, Staupe, Hühnercholera, Roth- 
lauf, Diphtherie. Aber auch Krankheiten mit 
einem fixen Contagium können oft grössere 
Ausbreitung erlangen und weithin verschleppt 
werden, wie Milzbrand, Hundswuth, Rotz, 
Beschälseuche. Viele der genannten Seuchen 
entstehen aber meist anfangs an einem be¬ 
stimmten Ort als Enzootien und verbreiten 
sich dann durch Ansteckung über ganze 
Länder und Erdtheile, wie z. B. die Rinder¬ 
pest von den Steppen Südrusslands auf die 
nördlichen Gebiete und auf die angrenzenden 
Staaten. Viele Seuchen lassen sich durch 
streng durchgeführte polizeiliche Massregeln 
auf gewisse Gebiete einschränken oder zu 
Enzootien umwandeln, andere dagegen, die 
aus sehr flüchtigen Contagien oder weit ver¬ 
breiteten Miasmen hervorgehen, lassen sich 
durch nichts in ihrer Verbreitung aufhalten, 
wie die Influenza, Staupe, Druse, Diphtherie, 
Rothlauf der Schweine, Hühnercholera, Maul¬ 
seuche, Katarrhe u. a. Viele Epizootien haben 
eine Heimat, aus der sie sich periodenweise 
über die benachbarten Länder ausbreiten. 
Die meisten Seuchen stammen aus Asien und 
wandern daher von Osten nach Westen 
(Rinderpest, Maulseuche,' Influenza, Hühner¬ 
cholera, Cholera des Menschen, Beschälseuche). 
Andere Epizootien entwickeln sich in allen 
Ländern unter Umständen spontan, wie Milz¬ 
brand, Tuberculose, Rotz, Hundswuth, Roth¬ 
lauf, Typhus u. a. 

Literatur: Faulet, Reeherches historiques et 
physiques sur les maladies epizootiqnes, Paris 1775. — 
Laubender, Seuchengeschichte. München 1811. — 
Guersent, Essai sur les ßpizooties, Paris 1816. — 
Schurr er, Seuchenchronik, Tübingen 1823. — Dupuy, 
Traitö historique sur les maladies öpizootiques des bötes 
fl cornes, Paris 1837. — Heusingor, Reeherches de 
Pathologie compar^e, Cassel 1854. — Haubner, Vete- 
rinftrpolizei, Dresden 1869. — Reynal, Traito de la 
Police sanitaire, Paris 1873. — Pütz, die Seuchen und 
Heerdekrankheiten, Stuttgart 1882. Hemmer. 

Epona. <r IwTciova (v. 6 utTtos), die Göttin 
der Pferde (Juvenal). Sussdorf 

Epostoma (abgel. v. zn :, auf, und to 
ogtbov, Knochen), Knochenauswuchs = Perio- 
stom. Sussdorf 

Ep80m, englischer Flecken südwestl. von 
London gelegen, bedeutender Rennplatz, wo¬ 
selbst die Derbyrennen stattfinden. Koch. 

Ep80ffi8alz, soviel als Bittersalz oder 
englisches Salz (s. d.). Vogel. 


Epulis (abgel. v. litt, auf, und t b ooXov, 
Zahnfleisch), eig. jede Zahnfleischgeschwulst, 
dann auch die vom Zahnrand der Kiefer 
sich entwickelnden nicht entzündlichen Ge¬ 
schwülste (Billroth); man unterscheidet Epulis 
fungosa, fibrosa, ossea, carcinomatosa etc. Sf. 

Epulosis, "ri eicouXtuols (v. sitooXetafl-a:, 
vernarben), Vernarbung, davon adj. epulotica 
sc. remedia, vernarbende Mittel. Sussdorf 

Equidae, Pferde (Zoologie). Familie der 
unpaarzehigen Hufsäugethiere, Perissodactyla 
Owen. Sie charakterisiren sich als Zehen¬ 
gänger von wohlproportionirten Körperformen, 
deren Ftisse nur eine wohlentwickelte, an der 
letzten Phalange mit einem Huf bekleidete 
Zehe besitzen. Ihr Gebiss besteht in jeder 
Kieferhälfte aus drei Schneidezähnen, einem 
Eckzahn und sechs Backenzähnen mit qua¬ 
dratischer Kaufläche. Der Körper ist mit kurzen 
Haaren bedeckt, nur im Nacken entwickelt 
sich eine Mähne und am Schwanz ein Schweif 
oder eine Endquaste von längeren Haaren, zwei 
Zitzen in der Weichengegend. 

Die Pferde bilden in der heutigen 
Schöpfung eine scharf begrenzte Familie, 
die von vielen Forschern auch als eigene 
Ordnung der Säugethiere, als Solipeda oder 
Solidungula betrachtet wird. Cuvier ver¬ 
einigte sie unter dem Familiennamen Solipeda 
mit der Ordnung der Pachydermen. Owen, 
auf vergleichende anatomische und paläonto- 
logische Forschungen sich stützend, wies ihre 
nahe Verwandtschaft mit mehreren fossilen 
Säugethierfamilien nach und vereinigte sie 
mit den übrigen unpaarzehigen Hufthieren, 
den Tapiren; Iihinoceronten, den fossilen 
Paiäotheriden, Macrauchenien u. a. in der 
Ordnung der Perissodactyla. 

Die lebenden Equiden haben einen wohl¬ 
proportionirten Körper; ihr Kopf ist mager, 
gestreckt, vertical getragen, die Augen gross 
und lebhaft, die Ohren gross, zugespitzt, sehr 
beweglich, der Hals kräftig, aufrecht getragen, 
der Leib gerundet, fleischig, die Beine schlank 
und kräftig, sie enden mit einem Hufe. Das 
Haarkleid ist kurz, meist dicht anliegend, 
nur am Halse verlängert es sich zu einer auf- 
r echtstehen den oder w r ellig herabhängenden 
Mähne, der kurze Schwanz trägt entweder 
lange Haare von der Wurzel an und bildet 
einen Schweif, oder er ist nur an seiner 
Spitze mit längeren Haaren besetzt. An der 
Innenseite der Beine, oberhalb der Hand¬ 
wurzel, bei Equus auch der Fusswurzelgegend, 
finden sich haarlose, hornig verdickte Epi- 
dermisplatten, die sog. Kastanien. Am Schädel 
ist der Gesichtstheil gestreckt, durchschnitt¬ 
lich zweimal so lang als der Himtheil. Der 
Hirntheil zeigt die Parietalgegend gewölbt 
und wird nach hinten von stark vortretenden 
Occipitalleisten, welche sich rückwärts über 
die Nackenfläche biegen, begrenzt. Die Fron¬ 
talregion ist sehr breit, entweder vollkommen 
flach oder schwach gebogen. Die sehr langen 
Nasenbeine liegen in derselben Ebene wie 
die Stirnbeine und springen weit nach vorne 
über die Nasenhöhle vor. Der Zwischenkiefer 

39 * 



61 2 EQUIDAE. 


ist schmal, am Ende gewölbt und stark zur 
Aufnahme der Schneidezähne; der lange schräg 
aufsteigende Nasalfortsatz verbindet sich nur 
auf eine kurze Strecke mit dem Nasenbeine. 
Der Oberkiefer ist hoch und springt über der 
Backzahnreihe kantig vor. Die Gaumenbeine 
sind sehr kurz, der Hintergrund des harten 
Gaumens liegt dem vorletzten Backzahn gegen¬ 
über. Die Augenhöhle ist nach hinten durch 
den absteigenden Fortsatz des Stirnbeins, den 
Jochfortsatz des Schläfenbeins, nach unten 
durch das Jochbein geschlossen. Der Joch¬ 
fortsatz des Schläfenbeins verhindert, im 
Gegensatz zu den ebenfalls mit geschlossener 
Augenhöhle versehenen Wiederkäuern, die 
Vereinigung des Stirnbeinfortsatzes mit dem 
Jochbein. Die Unterkieferäste sind an der 
Symphyse verschmolzen. Der senkrechte Theil 
jedes Astes ist lang, der Gelenkhöcker quer¬ 
stehend und von vorne nach hinten convex, der 
schmale Kronenfortsatz viel höher als der 
Gelenkhöcker. Es sind 7 Halswirbel, 18 bis 
19 Brustwirbel, 5—6 Lendenwirbel, 5 bis 
6 Kreuzwirbel und 17—21 Schwanzwirbel 
vorhanden. Die sechs auf den mit breiten 
seitlichen Fortsätzen versehenen Atlas fol¬ 
genden Halswirbel haben einen stark verlän¬ 
gerten Körper, der nach vorne eine stark 
convexe, nach hinten eine entsprechend con- 
cave Fläche zeigt, die oberen Dornfortsätze 
sind in allen mit Ausnahme des siebenten 
verkümmert. In der Rückenregion verringert 
sich der opistocoele Charakter der Wirbel¬ 
körper, die Dornfortsätze wachsen an Länge 
bis zum vierten oder fünften Wirbel. Der 
Dornfortsatz des sechzehnten Rückenwir¬ 
bels steht senkrecht, während die vor die¬ 
sem liegenden sich nach hinten, die auf ihn 
folgenden etwas nach vorne neigen. Die 
Querfortsätze des vorletzten und letzten 
Lendenwirbels zeigen auf ihren Hinterrändern 
concave Gelenkflächen, die mit ebensolchen 
convexen, vom Vorderrand des letzten Lumbar- 
und ersten Sacral wirb eis entwickelten Fort¬ 
sätzen gelenken, ein Verhältniss, das nur den 
Equiden unter den Säugethieren zukommt. 
Die Extremitäten zeigen die möglichste Re- 
duction in der Strahlen ent Wicklung. Der Fuss 
berührt nur mit der Spitze der letzten Pha- 
lange der Mittelzehe, die vom Hufe umgeben 
ist, den Boden, die zwei höheren Phalangen 
stehen mit ihren längeren Achsen in einen 
Winkel geneigt zur Unterfläche des Hufes, 
die Mittelfuss- und Mittelhandknochen sind 
wieder senkrecht, der Oberarm und Ober¬ 
schenkel sind in die gemeinsame Körperhaut 
eingeschlossen und geringer Bewegung fähig, 
die Achse des Oberarmbeines schräg nach 
unten und hinten geneigt, die des Ober¬ 
schenkels nach vorne und unten im rechten 
Winkel zum Becken. 

Vom Schultergürtel ist nur eine Scapula 
vorhanden, die lang und schmal ist, kein 
Acromion und nur einen kleinen Coracoid- 
fortsatz besitzt. Der Humerus ist kurz, sein 
Kopf sieht nach hinten; die zwei Vorderarm¬ 
knochen sind verschmolzen, der Schaft der 
Ulna wird sehr dünn, und ihr schwaches 


Distalende bildet schliesslich eine schmale 
Leiste am äusseren Rande des Radius, mit 
dem es verschmilzt. Es sind sieben Hand¬ 
wurzelknochen vorhanden, u. zw. drei in der 
proximalen Reihe, an die sich nach hinten ein 
Pisiforme anschliesst, und drei in der distalen. 
An der Hand fehlt der fünfte und erste 
Finger vollkommen, vom zweiten und vierten 
sind nur die spiessförmigen Mittelhandknochen 
vorhanden, als sog. Griffelbeine, nur der dritte 
Finger ist vollständig entwickelt. Die Becken¬ 
knochen sind verlängert, ihre Längenachse 
bildet mit dem Rückgrat einen spitzen Winkel, 
die Darmbeinkämme sind breit und liegen 
quer. Die Schambeinsymphyse ist sehr lang. 
Am Femur findet sich, wie bei allen Perisso- 
dactylen, ein dritter Trochanter, an den sich 
der grosse Gesässmüskel anheftet. Der Kopf 
trägt eine tiefe Grube für das Ligamentum 
rotundura. Am Vorderschenkel ist das Proxi¬ 
malende der Fibula rudimentär, der Schaft 
nicht durch Knochen vertreten und das Distal¬ 
ende mit der Tibia versohmolzen. Die Fuss- 
wurzelknochen sind in der Zahl von sechs 
bis sieben vorhanden, je nachdem die Ecto- 
und Entocuneiformia getrennt bleiben oder 
verschmelzen, die Zehen verhalten sich wie 
die Finger in der Vorderextremität. 

Das Gebiss der Pferde zeigt in jeder 
Kieferhälfte drei Schneidezähne, einen Eck¬ 
zahn, sechs Backzähne. Das Milchgebiss, wel 
ches bei der Geburt vollständig ist, mit Aus¬ 
nahme der äusseren Schneidezähne, die nach der 
Geburt erscheinen, besteht aus drei Schneide¬ 
zähnen, einem Eckzahn und vier Backzähnen. 
Der vorderste, sehr kleine Backzahn wird nicht 
gewechselt, er fällt gewöhnlich aus, wenn der 
erste bleibende Prämolar auftritt, ausnahms¬ 
weise bleibt er aber auch erhalten und wird 
dann beim Pferde als Wolfszahn bezeichnet. 
Die Schneidezähne stehen dicht gedrängt, 
sind meisseiförmig, und ihre Krone zeigt eine 
Schraelzfalte, welche von oben und hinten 
in die Zahnsubstanz sich ein senkt und auf 
der abgekauten Zahnfläche eine Grube be¬ 
grenzt, die beim Hauspferd als Kunde be¬ 
zeichnet wird. Zwischen den äussersten 
Schneidezähnen und den vordersten Mahl¬ 
zähnen befindet sich eine weite Lücke, das 
Diastema; in diesem tritt näher den Schneide¬ 
zähnen der Eckzahn auf, der aber meist nur 
beim männlichen Pferde entwickelt ist, bei 
dem weiblichen gewöhnlich fehlt. Die Back¬ 
zähne sind gross, dichtstehend, im Ober¬ 
kiefer mit quadratischem Querschnitt, von 
gleicher Grösse, nur der vorderste, Prämo¬ 
lar III, ist grösser und von dreieckigem Quer¬ 
schnitt, die Spitze des Dreiecks nach vorne 
gerichtet, der letzte Mahlzahn, Molar IH, ist 
kleiner als die übrigen und sein Querschnitt 
unregelmässig dreieckig, die Spitze des Dreiecks 
nach hinten gerichtet. Die Structur des 
Zahnes ist sehr complicirt durch Faltung 
und Leistenbildung der Oberfläche und Ein¬ 
lagerung von Cement in die dazwischen ent¬ 
stehenden Gruben oder Thäler, so dass die 
abgenützte Krone auf der Fläche eine eigen- 
thümliche Zeichnung bietet. 


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EQUIDAE. 613 


Man unterscheidet an einem oberen Mahl¬ 
zahn eine Aussenwand, welche anf der abge¬ 
schliffenen Krone die Form von zwei Halb¬ 
monden darbietet, eines vorderen und eines 
hinteren, welche beide mit ihren concaven 
Seiten nach aussen gekehrt sind. Von der 
inneren Seite des vorderen Halbmondes zieht 
eine halbmondförmige Vorderleiste nach innen 
und hinten, und ihre Innenfläche verbreitert 
sich zu einer starken Längsfalte oder einem 
Pfeiler. Vom vorderen Theile des hinteren 
Halbmondes nimmt eine Hinterleiste einen 
ähnlichen Verlauf und hat ebenfalls ihren 
Pfeiler. Die tiefen Zwischenräume oder Thäler 
zwischen diesen Leisten und der Aussenwand 
sind mit Cement ausgefüllt, welches den 
ganzen Zahn umhüllt. Die Backzähne des 
Unterkiefers sind auf dem Querschnitt schmal, 
in der Richtung des Kiefers verlängert. Ihre 
Kaufläche erscheint aus zwei halbmondför¬ 
migen Leisten gebildet, deren Convexitäten 
nach aussen sehen. Das freie Ende jedes 
Halbmondes hat einen Pfeiler, und wo die 
beiden Halbmonde sich berühren, findet sich 
ein grosser Doppelpfeiler. Das Ganze ist von 
Cement umhüllt. 

Die Speiseröhre der Pferde ist eng, an 
ihrer Einmündungsstelle in den Magen ver¬ 
dickt sich die Muskelschicht so bedeutend, 
dass sie das Lumen comprimirt und die 
Schleimhaut sphincterartig vorspringt. 

Der Magen, retortenförmig, mit grossem 
Blindsack, zeigt nach Beschaffenheit der 
Schleimhaut zwei Abschnitte, einen kleineren 
Cardial- und einen grösseren Pylorusabschnitt 
Die Schleimhaut des ersteren Theiles ist weiss- 
lich, glatt, mit einem derben, geschichteten 
Pflasterepithel bekleidet, die des Pylorus- 
abschnittes weich, sammtartig, dunkel gefärbt 
und mit Cylinderepithel bedeckt. In seinem 
mittleren Theil munden die zahlreichen Lab- 
drüsen, in dem Endtheil bis zur Pförtner¬ 
klappe Schleimdrüsen. Der Dünndarm ist 
eng, der Dickdarra sechsmal dicker als der 
Dünndarm, der Blinddarm ungemein gross, 
sein Volumen das Doppelte des Magens. Der 
ganze Darmcanal beträgt beim Pferde achtmal 
die Länge des Körpers. Die Leber ist zwei¬ 
lappig und entbehrt der Gallenblase. 

Das Herz hat eine stumpfkegelförmige 
Gestalt, in der Herzscheidewand entwickelt 
sich ein Knorpel, bei erwachsenen Thieren 
fehlt die eustachische Klappe, und es verbleibt 
blos eine Vena cava anterior. Die Aorta theilt 
sich unmittelbar hinter dem Ursprung in einen 
vorderen und einen hinteren Zweig; der letz¬ 
tere wird Aorta Thoracica genannt, der erstere 
gibt den Kopfarterien und denen der Vorder¬ 
extremitäten den Ursprung; es ist demnach 
ein Truncus anonymus vorhanden ftr die 
Carotiden und die Arteriae subclaviae wie bei 
den Wiederkäuern. 

Die Luftröhre theilt sich nur in zwei 
Bronchi. Beim männlichen Geschlecht (Hengst) 
liegen die Hoden in der Bauchhöhle, doch 
bleibt der Leistencanal beständig offen, und 
die Hoden steigen zur Brunstzeit in einen 
Hodensack hinab; der grosse Penis wird von 


einer Vorhaut bedeckt. Im weiblichen Ge¬ 
schlecht (Stute) ist der Uterus zweihömig. 
Zwei Zitzen sind in der Inguinalgegend vor¬ 
handen. Am Ei fehlt eine Decidua, die Al- 
lantois verbreitet sich über die ganze Innen¬ 
seite des Chorion und bedeckt das gefäss- 
reiche Amnion. Die kleinen Zotten, welche 
dieselbe mit Gefössen versieht, sind gleich- 
massig über die ganze Chorionfläche ver¬ 
theilt. Placenta diffusa. Das neugeborene Thier 
ist schon kurz nach der Geburt im Stande, 
der Mutter zu folgen. 

Die Equiden leben im wilden Zustande 
heerdenweise in den Steppengebieten Asiens 
und Afrikas. Ihre Nahrung besteht in Pflan¬ 
zenstoffen, vorwiegend Gramineen und deren 
Samen und krautartigen Pflanzen. Zwei Formen, 
das Pferd und der Esel, sind schon in vor¬ 
historischen Zeiten vom Menschen gezähmt 
und zum Hausthier gemacht worden und 
gegenwärtig mit dem Menschen Über die 
ganze Erde verbreitet. Die jetzt lebenden 
Equiden können alle einer Gattung, Equus L. 
zugerechnet werden. Doch lassen sich nach 
dem Vorgänge Hamilton-Smith’s drei Unter¬ 
gattungen unterscheiden. 

{. Equus. Die Ohren sind relativ klein, 
die Haare, von der Wurzel des Schwanzes an 
verlängert, bilden einen Schweif. Kastanien 
an den Vorder- und Hinterextremitäten, E. ca- 
ballus L. Das Pferd. Nur noch in gezähmtem 
Zustande bekannt. Dass die zahlreichen Rassen 
von mehreren Arten von Wildpferden her- 
stararaen, ist wahrscheinlich. Die Frage, ob 
die in den Steppen des unteren Dniepr vor¬ 
kommenden wilden Pferde, als Tarpane be¬ 
kannt, verwilderte Hauspferde oder ursprüng¬ 
lich wilde Pferde seien, ist noch nicht end- 
giltig entschieden. E. Przewalskji Po- 
liakow. Kertag der Kirgisen, Taki der Mon¬ 
golen. Ein Wildpferd, das erst in den letzten 
Jahren durch den russischen Reisenden 
Przewalsky in der centralasiatischen Wüste 
entdeckt wurde. Es unterscheidet sich von 
E. caballus durch den im oberen Theile zot¬ 
tigen Schweif und die aufrechtstehende Mähne. 

2. As in us. Die Ohren sind relativ lang, 
der Schwanz nur am Ende mit einer Quaste 
langer Haare versehen. Kastanien nur an den 
Vorderfüssen. Einfarbig grau oder isabell¬ 
farben mit dunklem Rückenstreif und zuweilen 
ebensolchem Schulterstreifen. A. hemionus 
Tall. Kulan der Kirgisen, Dschiggetai der 
Mongolen. In Thibet und der centralasiati¬ 
schen Wüste sowohl im Gebirge als in der 
Ebene lebend. A. onager L. Gurkur, Gaur. 
In Persien, Mesopotamien, Kleinasien, Svrien 
und Arabien. A. taeniopus Rüpp. In Abys- 
sinien und in den Ländern östlich vom Nil 
bis an die Küsten des Rothen Meeres. Wahr¬ 
scheinlich die Stammform des zahmen Esels. 
A. vulgaris. Bei Aegyptem und Semiten vor 
dem Pferde als Hausthier benützt. 

3. Hippotigris. Die Ohren sind mittel¬ 
lang und breit, der Schwanz am Ende lang 
behaart. Die Färbung zeigt auf hellem Grunde 
dunkle Streifen über den ganzen Körper oder 
einen Theil desselben. Kastanien nur an den 


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614 


EQÜIDAE. 


Vorderfassen. H. Quagga Gm. In den Step¬ 
pengebieten Südafrikas bis zum Vaalflusse. 
H. BurchelliGray. In den Steppengebieten 
Südafrikas bis zum 10—12 0 N. B. H. Z e b r a L. 
Süd- und Ostafrika bis Abyssinien. In gebir¬ 
gigen Gegenden. 

Die gegenwärtig lebenden wilden Equiden 
haben demnach sehr localisirte Verbreitungs¬ 
gebiete, sie sind nur auf bestimmte Theile 
des asiatischen und afrikanischen Tieflandes 
beschränkt Aber schon in der Quarternärzeit 
war ihr Verbreitungsgebiet ein viel ausge¬ 
dehnteres. Nach den in Höhlen und Kies¬ 
lagern erhaltenen Knochenresten bevölkerten 
zu jener Zeit, wo der Mensch schon in Europa 
lebte, Heerden von Pferden Europa und Nord¬ 
afrika nicht nur, sondern auch den ganzen 
Continent von Amerika. Man findet Reste 
von mehreren (vier) Arten Equus in dem 
Pampaslehm von Argentinien, eine Art in 
den Höhlen Brasiliens, sechs Arten in Nord¬ 
amerika, wo sie Zeitgenossen des Mastodons 
und des Elephanten waren. Reste von Pferden 
finden sich noch in den Pliocänablagerungen 
Europas, in Indien bis in die jüngere Miocän- 
zeit, deren Säugetliierfauna in den Ablage¬ 
rungen der Siwalikhügel so reichliche Ueber* 
reste hinterlassen hat. 

Die meisten Pferdereste des mittleren 
und höheren Diluviums in Europa dürfen 
dem Equus caballus L. zugerechnet werden, 
das schon damals in grösseren und kleineren 
Formen vorkam; einige im Diluvium von 
Wcsteregeln gefundene Ueberreste führt 
Nehring auf den Dschiggetai, Asinus hemionus 
zurück, der sich zu jener Zeit mit anderen 
Arten der asiatischen Steppenfauna weit nach 
Westen verbreitete. Einer besonderen Art, 
Equus Stenonis Cocchi, die sich durch den 
einfacheren Zahnbau von Equus caballus 
unterscheidet, werden die Pferdereste der 
pliocänen Ablagerungen des Val d’Arno zuge¬ 
schrieben, andere aus den spätpliocänen 
Ablagerungen der Auvergne als Equus fossilis 
Owen. Ober- und Unterkieferzähne eines 
Pferdes und ein Schädel aus spätpliocänen 
Ablagerungen Italiens, welche eine inter¬ 
mediäre Stellung zwischen Equus Stenonis 
und Equus caballus andeuten, werden von 
Forsyth Major auf eine Art bezogen, welche 
er als Equus quaggoides bezeichnet, da sich 
in ihrem Baue Anklänge an den des Quaggas 
zeigen. 

Diluviale Reste vom Esel wurden in 
Italien, Spanien und Frankreich südlich der 
Loire gefunden. Sanson unterscheidet diese 
als Asinus europaeus und leitet von ihm die 
zahmen Eselrassen Südfrankreichs, des Poitou, 
der Gascogne und Spaniens ab. 

Die Pferde Amerikas scheinen vor dem 
Auftreten des Menschen auf diesem Continent 
ausgestorben zu sein, zurückverfolgcn lässt 
sich dort die Gattung Equus bis in das 
obere Pliocän. 

In älteren Ablagerungen Europas, in 
dem jüngeren Miocäu und im älteren Plio¬ 
cän treffen wir auch noch Reste von Huf- 
thieren. welche als Equiden bezeichnet werden 


können; es sind die Arten der Gattungen 
Hipparion und Hippotherium. Das Skelet 
dieser Thiere sowie das Zahnsystem stimmt 
mit dem der lebenden Formen überein, an 
den Füssen aber ist die Reduction der Zehen 
noch nicht so weit vorgeschritten. An die 
Metacarpen und Metatarsen der zweiten und 
vierten Zehe schliessen sich hier je drei 
Phalangen an, deren letzte die Form des 
Hufbeines hat. Diese Seitenzehen sind aber 
viel kleiner als die Mittelzehe und berührten 
den Boden nicht. Sio verhielten sich zu der 
grossen Mittelzehe wie die Afterzehen der 
Wiederkäuer zu den beiden allein den Boden 
berührenden Mittelzehen. In noch älterer 
Zeit, der älteren und mittleren Miocänzeit, 
findet sich ein Hufthiertypus in Europa, 
welcher in seinem Skelet und Zahnbau noch 
sehr an die Pferde erinnert, andererseits aber 
nahe Verwandtschaft zu perissodactylen Sam¬ 
meltypen der Eocänzeit zeigt, dem Palaeo- 
otherium und Palaplotherium, die wir als 
Wurzeltypen für die Rhinoceronten betrachten 
dürfen. Das Anchitherium hat im Skeletbau 
viel Aehnlichkeit mit dem Pferde, aber sein 
Fuss besitzt drei vollständige Zehen, die 
Mittelzehe ist zwar noch etwas stärker als 
die beiden seitlichen, aber diese berührten 
doch den Boden. Am Vorderarm war die 
Ulna vollständig und vom Radius gesondert, 
ebenso scheint die Fibula vollkommen ent¬ 
wickelt gewesen zu sein. Das Gebiss zeigt 
sieben Backzähne, wovon der erste, welcher 
dem hinfälligen Wolfszahn der, Pferde ent¬ 
spricht, von ansehnlicher Grösse ist. Die 
Kronen der Backzähne sind kurz, die Vorder- 
und Hinterleisten weniger gekrümmt als 
beim Pferde, die accessorischen Pfeiler fehlen, 
und die flachen Thäler sind nicht mit Cement 
erfüllt. 

Während in der alten Welt die Stamm¬ 
formen der Equiden sich nicht weiter zurück¬ 
verfolgen lassen, haben die mächtig ent¬ 
wickelten Tertiärformationen Nordamerikas 
Urkunden hinterlassen, welche die ursprüng¬ 
lichen Stammformen der Equiden bis in die 
Eocänzeit zurückverlegen und zugleich zeigen, 
dass dieser Typus seinen Ursprung in der 
neuen Welt besitzt. 

Professor March, welchem die Wissen¬ 
schaft die Darstellung dieser wichtigen 
Funde verdankt, charakterisirt diese Ent¬ 
wicklungsreihe folgendermassen. Im Unter- 
eoeän findet sich die älteste Pferdeform von 
der Grösse eines Fuchses, Eohippus. Das¬ 
selbe besitzt 44 Zähne, die Molaren mit 
kurzen Kronen und verschieden von den 
Prämolaren gestaltet. Ulna und Fibula sind 
vollständig entwickelt und getrennt von 
Radius und Tibia, die Vorderfüsse haben 
vier wohlentwickelte Zehen und das Rudiment 
einer fünften, die Hinterfüsse drei Zehen. 
In den höheren Schichten der Eocänformation 
wird Eohippus durch die Gattung Oro* 
hipp us ersetzt. Hier ist die rudimentäre 
fünfte Zehe an den Vorderfüssen verschwunden, 
und der letzte Prämolar hat die Form der 
Molaren angenommen. In den tiefsten Schichten 



EQUIDAE. 615 


der Miocänformation tritt die Gattung Me so¬ 
ll i pp us auf. Hier sind nur noch drei Zehen 
an den Vorderfüssen vorhanden und das 
rudimentäre Metacarpus einer vierten, drei 
Zehen am Hinterfuss. Zwei Prämolarzähne 
sind wie die Molaren gestaltet. Die Ulna ist 
mit dem Radius verwachsen, die Fibula nicht 
mehr vollständig. In dem oberen Miocän tritt 
eine neue Form auf, Miohippus, das zu¬ 
nächst mit dem Anchitherium Europas über¬ 
einstimmt, aber generische Unterschiede zeigt. 
Drei Zehen an allen Füssen, nahezu von 
gleicher Grösse; es existirt noch das Rudiment 
des fünften Metacarpus. Im unteren Pliocän 
erscheint eine Form, welche sehr nahe dem 
europäischen Hipparion steht, Protohippus. 
An allen Füssen finden sich noch drei Zehen, 
aber nur die mittelste berührt den Boden. 
Endlich erscheint im mittleren Pliocän eine 
Form, welche der Gattung Equus sehr nahe 
steht, Pliohippus, bei der die seitlichen 
Phalangen verschwunden sind, der zweite 
und vierte Metacarpal- und Metatarsalknochen 
aber noch mehr entwickelt ist als in Equus und 
die Kronen der Backzähne noch kürzer sind. 
Die Gattung Equus erseneint in Amerika erst 
in der späteren Pliocänzeit, um noch vor 
dem Auftreten des Menschen wieder zu ver¬ 
schwinden. 

Alles zusammengenommen, darf man nach 
den bis jetzt bekannten geologischen Urkunden 
annehmen, dass die Equiden sich im Norden 
der neuen Welt zuerst von den übrigen 
perissodactylen Hufthieren zu diflerenziren 
begonnen haben und sich allmälig aus mehr- 
hufigen plumpen Geschöpfen zu den flüchtigen 
einhufigen Thieren entwickelt haben, welche 
heute die Steppengebiete der alten Welt be¬ 
völkern. Der Umstand, dass man die Gattung 
Equus in viel älteren Formationen Indiens, 
der jüngeren Miocänzeit, als in Amerika an¬ 
trifft, lässt aber vermuthen, dass die Gattung 
Equus im Centrum der alten Welt sich 
zuerst differenzirt hat, um von dort aus einen- 
theils Europa und Afrika, anderntheils, über 
die zur Pliocänzeit bestehenden Landbrücken 
zwischen der alten und neuen Welt, Amerika 
bis nahe an seine Südspitze zu bevölkern. 
Aus unbekannten Ursachen starben dort diese 
Thiere noch in der Postpliocänzeit aus, und 
erst den europäischen Eroberern der neuen 
Welt war es Vorbehalten, die verödeten Steppen¬ 
gebiete Süd- und Nordamerikas wieder mit 
Heerden dieses Hufthieres zu bevölkern. Studer. 

Vorgeschichte. Die Aufhellung der 
geologischen Vorgeschichte irgend einer heu¬ 
tigen Thierform ist abhängig von zweierlei 
Umständen sehr verschiedener Art. In erster 
Linie vom Zufall, der uns Ueberreste von 
Vorfahren in mehr oder weniger reichem 
Mass und mehr oder weniger glücklicher Aus¬ 
wahl in die Hände spielt. Zweitens von der 
besonnenen Vergleichung solcher Ueberreste 
und der richtigen Einordnung der von ihnen 
gebotenen Merkmale in ein einheitliches und 
nach geschichtlichen und gestaltlichen Anhalts¬ 
punkten möglichst richtiges Bild von Ent¬ 
wicklung. 


Beiderlei Bedingungen sind für die heut¬ 
zutage mit dem Titel Pferd bezeichnete Säuge¬ 
thierform im Verlauf der letzten 50—60 Jahre 
in ungewöhnlich günstigem Masse eingetroffen. 
Während Cuvier, der Schöpfer der Säugethier- 
Paläontologie, noch bis in die Zwanziger¬ 
jahre kaum Anlass fand, von fossilen Pferden 
zu sprechen, gehört heutzutage die Vorge¬ 
schichte dieser Thiere zu den reichsten und 
bestbebauten Theilen von geologischer Thier¬ 
geschichte. 

Einen gewaltigen Vorsprung vor anderen 
Säugethieren bot dabei freilich die merkwürdig 
scharf ausgeprägte und in der Gegenwart fast 
gänzlich isolirte Gestalt der in Rede stehenden 
Thiergruppe. Kaum ein Beispiel lässt sich 
namhaft machen, wo sich die markantesten 
Merkmale der Organisation und gleichzeitig 
diejenigen, die der Erhaltung in fossiler Form 
am leichtesten fähig sind, wie etwa Zähne und 
Fussknochen, in gleichem Masse zu einem 
Gepräge von Bestimmtheit vereinigen, das für 
Abwägung von Modificationen gleich sichere 
Wegweisung bot. 

Schon das populäre Urtheil hat daher 
niemals Bedenken getragen, den Begriff Pferd, 
der streng genommen nur dem bekannten, mit 
einem langhaarigen Schweif versehenen Haus¬ 
thier gilt, auf die zwar anders beschweiften, 
aber doch in der Einhufigkeit und im Gebiss 
sehr ähnlichen Thierformen auszudehnen, die 
in allerlei Variation einen grossen Theil von 
Asien und Afrika bewohnen und von dem 
Pferd unter dem Titel von Halbpferd oder 
Halbesel, von Esel, und bei gestreiftem Fell 
unter demjenigen von Zebra, Quagga u. s. f. 
unterschieden wurden. 

Der Titel Pferd gipfelt also in einer 
Combination von Merkmalen, welche unseres 
Wissens in einer einzigen und vielleicht nur 
unter der Hand des Menschen zu ihrer Cul- 
mination gelangten Thierform vereinigt sind. 
Aber dieser Begriff erweitert sich und schwächt 
sich ab, sobald wir uns unter unzweifelhaft 
wilden Thieren umschauen. Dennoch ist in der 
gesummten neuen Welt so wenig als in Austra¬ 
lien irgend ein noch lebendes Thier in wildem 
Zustand bekannt geworden, das zu der Be¬ 
zeichnung Pferd hätte verleiten können. 

Ganz andere Lehren bot die Paläontologie. 
Sie nöthigte zwar sofort, von der Art der 
Behaarung und der Färbung abzusehen und 
sich auf die Merkmale von Gebiss und von 
Knochenbau und hauptsächlich vom Fussbau 
einzuschränken. Aber hier trat eine Reihe von 
Abänderungen zu Tage, die schliesslich die 
Grenzen auch des weitesten Umfanges des 
heutigen Begriffes Pferdefamilie verwischte 
und diese so scharf bezeichnete Thierform mit 
anderen, freilich grösstentheils nur fossilen in 
so nahe Berührung brachte, dass es für den 
Paläontologen unmöglich geworden ist, zu 
sagen, wo der Titel Pferd beginnt, eine Be¬ 
rechtigung in sich zu tragen. Es vereinfacht 
sich der Zahnbau und complicirt sich der 
Fussbau mit der Zunahme des Alters der 
geologischen Epoche, welcher die Thiere an¬ 
gehören, bis wir endlich Gestalten vor uns 


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616 


EQUIDAE. 


haben, die kaum mehr etwas an sich tragen, 
was berechtigen kann, sie Pferd zu nennen. 

In ähnlicher Weise erweitert sich die geo¬ 
graphische Verbreitung, u.zw. derart, dass nicht 
nur etwa alte und sehr verwischte Typen von 
Pferdegestalt, sondern auch Formen, welche 
diesen Namen ohne allen Zweifel so gut ver¬ 
dienen wie die Mehrzahl ihrer heute noch in 
der alten Welt einheimischen Vertreter, in 
der neuen Welt auftreten, u. zw. in solcher 
Mannigfaltigkeit von besonderen Modificationen, 
dass gegenwärtig aus dem Umfang von Ame¬ 
rika, u. zw. von Oregon bis nach Patagonien, 
eine überaus viel grössere Zahl von Thieren 
bekannt ist, die sicherlich dem Pferdestamm 
angehören, als in dem ganzen Umfang von 
Europa, Asien und Afrika. Gänzlich fremd ist 
dieser Typus, wie überhaupt der gesammte 
Plan der Hufthiere, so viel wir wissen, nur 
Australien geblieben. 

Da also die Vorgeschichte der Pferde in 
Amerika weit ausgedehnter und vollständiger 
am Tage liegt als in der alten Welt, so wird 
es am Platze sein, zuerst die dort gesammelten 
Erfahrungen mitzutheilen. 

Hier stossen wir denn von vorneherein auf 
den nicht unwichtigen Umstand, dass Süd¬ 
amerika es wahrscheinlich niemals zur Ent¬ 
wicklung des Pferdetypus im vollsten Sinne 
des Wortes gebracht hat. An pferdeartigen 
Thieren hat man dort zwar epic ganze Anzahl 
von Arten unterschieden, wovon die grosse 
Mehrzahl der postpliocänen, in Europa etwa 
präglacial zu nennenden Periode, und eine 
einzige dem Pliocän angehört; die ersteren, 
obschon Einhufer, weisen aber in Körpergrösse 
und anderen Merkmalen theils auf Thiere, die 
wir nach dem der alten Welt entnommenen 
Sprachgebrauch vielleicht eher Esel oder 
Zebra nennen würden, während die Mehrzahl 
derselben in der alten Welt keine Vertreter 
hat. Sie sind daher von Owen mit dem beson¬ 
deren Namen Hippidium bezeichnet worden. 
Obschon ftusserlich einhufig, besitzen sie doch 
am Vorderfuss ein Rudiment einer vierten Zehe 
und sind überdies kleine, aber grossköpfige 
Thiere, die sich von allen altweltlichen Formen 
hauptsächlich durch auffällige Länge derNasen- 
beine stark unterscheiden. Bei ihnen sowohl 
als bei einigen der anderen Formen findet sich 
überdies vor der Augenhöhle eine an die 
Thränengrube von Wiederkäuern erinnernde 
Grube, welche den heutigen Pferden fehlt. 
Die einzige Form, die der Tertiärperiode 
(von Patagonien) angehört, ist bereits drei- 
hufig (Anchitheriura). 

In Nordamerika steigt die Anzahl von 
Vertretern des Pferdestammes allem Anschein 
nach weit über das Doppelte der südameri¬ 
kanischen Arten. Wollte man Alles, was von 
verschiedenen Paläontologen dazu gezählt 
worden, als besondere Arten betrachten, so 
dürfte die Anzahl weit über zwanzig steigen. 

In der Reihenfolge der Erdschichten er¬ 
strecken sie sich von dem Diluvium bis in das 
Eocän. Sie lassen also eine viel grössere Ver¬ 
schiedenartigkeit des Baues erwarten als in 
Südamerika und beginnen angeblich mit sehr 


kleinen, 4—5zehigen Thieren von Fuchsgrösse 
im Eocän, um im Diluvium mit Formen von 
dem vollen Gepräge des Pferdes zu schliessen. 

In den jüngeren, postpliocänen Forma¬ 
tionen scheint dabei Nordamerika an Pferden 
ärmer zu sein als Südamerika, aber neben 
fertigen Einhufern merkwürdigerweise noch 
Dreihufer von der vorwiegend altweltlichen 
Gestalt von Hipparion, die in Südamerika noch 
nicht aufgefunden worden ist, zu enthalten. Um 
so reicher fällt die Pferdefauna des Miocän aus. 
Sie enthält neben einer Anzahl von Einhufern, 
von welchen einige zu den Hippidien zu ge¬ 
hören scheinen, reichliche Dreihufer verschie¬ 
denen Grades, d.h. von verschiedener Länge und 
Stärke der Seitenfinger: je weiter wir zurück¬ 
gehen, desto mehr wird die Dreihufigkeit 
herrschend (Protohippus, Hipparion, Mio- 
hippus, Anchitherium u. s. f.). Im Eocän end¬ 
lich treten Thiere auf, die bei immer gerin¬ 
gerer Körpergrösse im Vorderfuss bereits vier 
äusserlich sichtbare Finger und selbst einen 
rudimentären fünften Finger tragen (Orohippus, 
Eohippus u. s. f.) und wo gleichzeitig die bei 
Einhufern allen Graden der Verkümmerung und 
der Verschmelzung mit den Hauptknochen 
ausgesetzten Hilfsknochen der Extremitäten. 
Ulna und Fibula, zu selbständiger Function 
gelangen. In gleichem Masse vereinfacht sich 
der Bau des Gebisses und sicherlich auch 
des Schädels, bis wir endlich Thiere vor uns 
haben, in welchen nur noch die verglei¬ 
chende Anatomie, aber mit immer gerin¬ 
gerer Sicherheit Vorfahren von Pferden zu 
erkennen vermag. 

Obschon man sich bemüht hat, diese 
immer weiter zurückliegenden Etapen mit aller¬ 
lei Namen zu bezeichnen, welche gleichzeitig 
die Zeitperiode angeben sollten, mit der sie zu¬ 
sammenfallen (Plio-, Mio-, Eo-Hippus etc.), so 
istdoch sicher, dass in jeder dieser Epochen, im 
Pliocän, im Miocän, im Eocän allerlei Modifica¬ 
tionen eintraten, die bald vorwiegend das Ge¬ 
biss, oder den Schädelbau, oder den Fussbau 
betrafen, so dass der Entwicklungsplan sich zu 
einem sehr complicirten gestaltet und keines¬ 
wegs für alle Organe gleichen Schritt hält. 
Noch viel gewagter wäre es, etwa eine ur¬ 
sprüngliche Anfangsform der Pferdefamilie 
namhaft zu machen. In Europa hat die Pa¬ 
läontologie, und sicherlich mit vollem Recht, 
die grosse Familie der Paläotherien in den 
Stammbaum der Pferde eingeschaltet und 
wird auch hier nicht stehen bleiben, sondern 
sich bequemen müssen, noch weiter zurück¬ 
liegende Gruppen, wie etwa die Lephiodonten, 
mit hineinzuziehen. In Amerika war man ge¬ 
neigt, auch die sog. Hyracotherien in diesen 
Stammbaum aufzunehmen. Der Ariadnefaden 
wird aber offenbar seine Greifbarkeit ver¬ 
lieren, je weiter er sich von seinem Endpunkt 
entfernt. Sicher ist nur, dass sich das Ge¬ 
leise, so weit es überhaupt verfolgbar ist, 
stets an die durch Dominiren eines einzelnen 
Mittelfingers bezeichnete Structur des Fusscs 
und an Jochzähnigkeit des Gebisses hielt, 
welche beide Merkmale aber in älteren Erd¬ 
epochen im Vergleich zu der Gegenwart so 



EQUIDAE. 


617 


sehr an Mannigfaltigkeit der besonderen Aus¬ 
führung zunehmen, dass die Fährte für den 
einzig äusserlich gebliebenen Pferdehuf und 
für den auf den Gipfel von Complication ge¬ 
stiegenen Pferdezahn zusehends ihre Sicher¬ 
heit verliert. 

Ueberaus viel einfacher als in Amerika 
gestaltet sich die Vorgeschichte der Pferde¬ 
familie in der alten Welt. 

Am wenigsten hat Afrika dazu beige¬ 
tragen, obschon dieser Erdtheil gegenwärtig 
noch mehr als die Hälfte der noch lebenden 
Vertreter der Familie beherbergt. Immerhin be¬ 
kanntlich in Form, die durch kleine Statur 
und eine höchst eigenthümliche Livröe, die 
ja selbst den Esel nicht ausschliesst, ein 
höchst eigenthümliches Gepräge trägt, das 
auf grosse Isolirung dieses Familienzweiges 
schliessen lässt. Allerdings sind denn auch 
die sehr wenigen fossilen Formen, die bisher 
in Afrika zum Vorschein gekommen sind 
(Hipparion und Equus Stenonis), wie sie nur 
dem Nordrande Afrikas angehören, nicht ver¬ 
schieden von denjenigen, welche sich auch in 
Südeuropa und in Asien vorfinden. 

,In der alten Welt sind die grossen Etapen 
der Entwicklungsgeschichte des Pferdes mit 
den Namen Equus, Hipparion, Anchitherium 
bezeichnet worden, an welche sich dann weiter 
-rückwärts der mit vollem Recht nicht mehr 
Equus genannte * Bauplan der Paläotherien 
anschliesst. 

Unter Equus werden Einhufer bezeichnet, 
wie sie sich gegenwärtig nach Merkmalen 
untergeordneterer Art in die bekannten Ge¬ 
stalten von Pferd, Esel, Halbesel, Zebra u.s.f. 
ausbreiten. Derartige Modificationen des Ein¬ 
hufers finden sich schon in ziemlicher An¬ 
zahl, drei bis vier in postpliocänem und plio- 
cänem Terrain von Europa und vornehmlich 
von Südeuropa und von Südasien (Equus 
Stenonis, nomadicus, sivalensis etc.), wovon 
es höchst wahrscheinlich ist, dass einige mehr 
dem Quagga oder Halbesel oder Esel, andere 
aber an Statur und anderen Merkmalen dem 
Pferde ebenbürtig waren. 

Im altweltlichen Pliocän und Miocän 
herrschen neben den nur dem Pliocän unge¬ 
hörigen Einhufern die dreihufigen Hipparien 
und Anchitherien, welche, ähnlich wie die ent¬ 
sprechenden Etapen in Amerika, die theilweise 
bis auf alle Punkte mit den ebengenannten 
altweltlichen Formen zusammenfallen, eine mit 
dem geologischen Alter zunehmende Verein¬ 
fachung des Gebisses und eine Entfaltung des 
Extremitätenskeletes zeigen, die indessen erst 
bei den eocänen Paläotherien zu einer mehr 
oder weniger grossen Gleich werthigkeit zwischen 
den drei Fingern sowie zwischen den zwei 
Gliedern des Vorderarmes und des Unterschen¬ 
kels geht. Auffallend ist der Umstand, dass 
sich auch bei den älteren europäischen Vor¬ 
fahren der Pferde die Thränengrube einstellt, 
von welcher bei den amerikanischen Pferden 
die Rede war. Mindestens die Hipparien sind 
von Mittel- und Südeuropa bis nach Indien 
und China verbreitet. Hippidien scheinen in 
der alten Welt so vollständig zu fehlen wie 


Hipparien in Südamerika, das doch vermuth- 
lich, u. zw. allem Anscheine nach noch im 
Pliocän Anchitherien besass. 

Wenn man versuchen wollte, diesen 
ganzen Vorgang von Entwicklung und von 
allmäliger Metamorphose zusammenzufassen, 
so würde es sich zu empfehlen scheinen, die 
einzelnen Etapen mit bestimmteren Namen 
und die Stärke der Verwirklichung derselben 
mit bestimmteren Zahlen von Species, als es 
im Vorigen geschehen ist, zu fixiren. Solche 
Verzeichnisse finden sich auch Reichlich genug 
fast in allen Arbeiten, die sich mit diesem 
Gegenstand beschäftigt haben. Allein es braucht 
nur wenig Einsicht in die Natur des Gegen¬ 
standes, um wahrzunehmen, dass diese Namen 
und Zahlen einstweilen noch weit davon ent¬ 
fernt sind, als gleichwertig gälten zu dürfen. 
Sie gründen sich ja meist nur auf mehr oder 
weniger fragmentäre Ueberreste, die sich bald 
auf diesen, bald auf jenen Theil der Organi¬ 
sation beziehen und auch von verschiedenen 
Autoren sehr verschieden gewerthet werden; 
das vollständige Geschöpf, so weit es über¬ 
haupt in versteinerter Form der Erhaltung fähig 
ist, kennen wir also nur in den seltensten 
Fällen, und von mancher angeblichen Species 
nur einzelne Zähne oder einzelne Knochen. 

Nicht weniger verschiedener Deutung 
fähig sind in sehr vielen Fällen die Angaben 
über das gedogischc Alter der Schichte, der 
solche Ueberreste an gehören, da namentlich 
für jüngeres Terrain die stratigraphische Taxi¬ 
rung in verschiedenen Erdtheilen ziemlich un¬ 
sicher ist. 

Noch schwerer fällt bei Beurtheilung 
solcher EntwicklungsVorgänge ins Gewicht, 
dass dieselben ja an verschiedenen Orten ver¬ 
schieden rasch ablaufen, oder dass die geolo¬ 
gische Metamorphose der Thiere hier langsam, 
dort rasch sich gestalten kann, ja dass nichts 
wahrscheinlicher ist, als dass sie niemals eine 
ganze Fauna irgend eines Welttheiles oder 
kleineren Bezirkes gleichzeitig betraf, sondern 
ausserordentlich unmerklich bald grössere, bald 
kleinere Fortschritte an einzelnen Individuen 
machte, bis endlich die Modification eine mehr 
oder weniger allgemeine ward. So werden 
also die Documente, die uns schliesslich in die 
Hand fallen, sogar nach den zufälligen Alters- 
stadien, in welchen uns die Thiere überliefert 
wurden, sehr verschieden ausfallen können, 
und für nicht wenige der in der Literatur auf 
sehr spärliche Ueberreste gegründeten Species 
ist es durchaus nicht erwiesen, ob sie nicht 
nur andere Altersstadien von angeblich anderen 
Species derselben Epoche darstellen möchten. 
Wissen wir ja aus der Untersuchung der’ noch 
mit uns lebenden Pferde, in welch starkem 
Masse nicht nur etwa die Körpergrösse, sondern 
auch mit dem Alter der Grad der Reduction 
des Extremitätenskeletes, die überdies am 
Vorder- und am Hinterfuss sehr ungleich aus¬ 
fallt, die Schädelform, die Complication des 
Zahnbaues wechselt, also alle die Merkmale, 
an die wir für die Beurtheilung von Fossilien 
gebunden sind. Und kennen wir ja Fälle 
genug, wo noch unter heutigen Pferden ge- 


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618 


EQUIDAE. 


legentlich sog. Rückschläge oder Entwicklungs¬ 
stillstände eintreten. Bevor wir für jede Species 
gleichzeitig alle Merkmale, u. zw. für deren 
verschiedene individuelle Altersstadien kennen, 
können also sog. Species- oder Genusverzeich¬ 
nisse nur einen sehr allgemeinen Werth bean¬ 
spruchen. 

Trotzdem blickt in dem einstweilen vor¬ 
handenen Material ein gemeinsamer Plan 
der Umwandlung schon deutlich genug durch, 
um ihn mit einigen Zügen formuliren zu 
können. 

Ueberall wo pferdeähnliche Thiere je 
existirten, entwickelte sich in mehr oder weniger 
langer Reihenfolge das mächtige, schlank- und 
säulenfüssige, einhufige, langhalsige Geschöpf, 
das wir schliesslich Pferd nennen, aus An¬ 
fängen von oft geringer Körpergrösse, die wir 
sicher, wenn sie noch lebten, mit ganz anderen 
Namen, vielleicht Tapir oder gar Klippdachs 
u. dgl. bezeichnen würden, falls wir nicht ganz 
neue Namen dafür schaffen müssten, aus 
Thieren mit drei unter sich fast gleichwerthigen 
plumpen Fingern am Hinterfusse, vier oder 
gar fünf am vorderfusse, mit völlig getrennten 
Knochen von Unterschenkel und Vorderarm, 
mit grossem Kopf und freistehenden, wahr¬ 
scheinlich eine Art Rüssel tragenden Nasen¬ 
beinen, mit unvollständig geschlossenen Augen¬ 
höhlen, vor welchen eine Thränengrube liegt, 
mit vorragenden Eckzähnen uhd je sieben 
niedrige, zweijochige Kronen tragenden Back¬ 
zähnen. Das sind die unpaarfingerig ange¬ 
legten Hufthiere, wie sie in grosser Zahl das 
Eocän der nördlichen Hemisphäre bewohnen, 
und über deren eigene Herkunft und noch 
ältere Stammformen wir einstweilen noch auf 
sehr unsichere Speculationen angewiesen sind. 

Zusehends und schon innerhalb der Eocän- 
periode nehmen die Mittelfussglieder an Länge 
und an Ungleichwerthigkeit zu, in stärkerem 
Masse immer im Hinterfuss als im Vordcr- 
fuss; die Seitenzehen werden zu blossen After¬ 
zehen, die Knochen von Unterschenkel und 
Vorderarm verschmelzen allmälig unter sich 
auf immer früheren Altersstufen, und Radius 
und Tibia dominiren immer mehr. Gleichzeitig 
mit solcher Zunahme von Säulenfüssigkeit 
werden die Zähne unter sich gleichförmiger, 
und gewinnen namentlich die Backzähne eine 
immer weitergehende Fältelung ihrer Kauriffe 
und eine immer grössere Höhe und hieinit 
Andauer der Zahnkrone, was sich wiederum 
in einer allmäligen Umgestaltung des Schädel¬ 
baues abspiegeln muss. 

Aus vorwiegend kleinen und plumpen, 
schwerfälligen und vermutlich auf sehr rohe 
Nahrung angewiesenen Thieren, die wohl am 
ehesten den Sumpf und den Wald bewohnten, 
entwickelt sich allmälig die hohe, elegante 
und flüchtige Gestalt der exquisiten Gras¬ 
fresser, die wir jetzt ausschliesslich auf offener 
Weide, in schrankenlosen Steppen und Savannen 
sich ergehen sehen. Sie ist noch dreifingerig 
in der Miocänperiode und bis in das Pliocän, 
wo die ersten Spuren von äusserlicher Ein- 
hufigkeit auftreten. An einzelnen Arten er¬ 
hält sich indes die dreihufige Form bis in das 


Pliocän und tritt, wie schon gesagt, ge¬ 
legentlich noch heutzutage an einzelnen Indi¬ 
viduen auf. 

Hiebei ist nicht zu vergessen, dass sich 
dieser Umbau, obwohl er schliesslich nur 
noch Formen zurückliess, die einander so nahe 
stehen, dass wir sie in ein einziges Genus zu¬ 
sammenfassen, in einer Familie vollzogen hat, 
welche sich einst über den grössten Theil der 
Erde verbreitete und daher in eine grosse 
Zahl von Formen zerfiel, die wir mit einer 
ganzen Menge von lebenden Genus- und 
Speciesnamen zu bezeichnen genöthigt sind. 
Aber auf allen diesen Linien ist dieselbe Ten¬ 
denz der Umbildung erkennbar, nur dass sie 
sich hier mehr in dieser, dort in jener Rich¬ 
tung deutlicher ausspricht und ihre Spuren 
bald vorwiegend im Gebiss, bald im Schädelbau, 
bald im Fussbau zurückliess. Was wir als 
ausgestorbene Genera und Species bezeichnen, 
sind also nur Stillstände verschiedenen Ranges 
und verschiedenen Stadiums in einem grossen 
Entwicklungsgang, der eine einst überaus 
mannigfache Gestalten umfassende Familie 
von Hufthieren gemeinsam beherrscht, aber 
schliesslich eine einzige Gestalt von säulen- 
füssigen Einhufern ohne Thränengrube den 
Sieg gewinnen liess. Was das Erlöschen und 
Zurückbleiben bald dieser, bald jener Mittel¬ 
form bald hier, bald dort herbeiführte, ist 
uns einstweilen vollständig verschlossen. 

Dabei ist offenbar, dass dieser Entwick¬ 
lungsgang in den verschiedenen Theilen der 
Erdoberfläche, wo w ir Stammformen von Pferden 
vorfinden, keineswegs gleichmässigen Schritt 
hielt. Wie man sich schon genöthigt sah, ob¬ 
schon man darin zu weit gegangen sein mochte, 
solche fossil gewordene Formen in den ver¬ 
schiedenen Erdtheilen vielfach mit verschie¬ 
denen Genusnamen zu bezeichnen, so ergibt 
sich, wenn wir uns nur an die augenfälligsten 
Züge der in Rede stehenden Metamorphose 
halten, dass z. B. die Dreihuflgkeit in der 
neuen Welt später verschwand als in der alten, 
und dass die äussere Einhufigkeit in der alten 
Welt vermuthlich früher zu Stande kam als 
in der neuen. Ebenso ist bereite gesagt worden, 
dass die von Owen sog. Form von Hippidium 
der neuen Welt und vorwiegend Südamerika 
ausschliesslich an gehört, ja dass es fraglich 
ist, ob in Südamerika je eine Thiergestalt zu 
Stande gekommen sei, die unserem Hauspferd 
gleichgestellt werden könnte. Auch die Schluss¬ 
gestalten, die Südamerika erzeugt hat, scheinen 
den heutigen afrikanischen Pferden näher zu 
stehen, als diejenigen des nördlichen Theiles der 
alten Welt. 

Da überdies die noch lebenden afrikani¬ 
schen Vertreter der Pferdefamilie, auch abge¬ 
sehen von ihrer besonderen Färbung, in Körper¬ 
grösse sowie in mancherlei Details ihres Baues 
eine niedrigere Stufe der Metamorphose an¬ 
deuten als diejenigen von Asien, so ist man wohl 
zu dem Ausspruch berechtigt, dass die südliche 
Hemisphäre mindestens heutzutage, aber wahr¬ 
scheinlich auch schon in vormenschlicher Zeit 
Formen von älterem Typus beherbergte als die 
nördliche. Die Entwicklung ist also daselbst 



EQUIFERUS. — EQUINE. 


619 


zurückgeblieben und in Südamerika sogar, wenn | 
auch erst in sehr später, aber doch wahr¬ 
scheinlich vonnenschlicherZeit völlig erloschen. 

Für ältere Perioden würden solche geo¬ 
graphische Abwägungen der verschiedenen 
Stadien dep Entwicklungsganges gewagt sein, 
da die Spuren desselben oft ihre Zuverlässig¬ 
keit, noch öfter aber ihre Gleichwerthigkeit ver¬ 
lieren, in je ältere Erdperioden wir zurück¬ 
gehen. Immerhin scheint so viel sicher zu sein, 
dass in der mittleren Tertiärzeit die Blüthezeit 
der Vorgeschichte der Pferde auf Nordamerika, 
u. zw. auf beide Seiten des Felsengebirges fällt. 
So werden wir doch vermuthlich die dort so 
ungewöhnlich reiche Entfaltung der Pferde- 
familie deuten dürfen, wenn auch vielleicht 
deren Vertreter damals in Nordamerika tiefer 
stehen mochten als deren Zeitgenossen in der 
alten Welt. Für die älteste Tertiärzeit, das 
Eocän, scheint einstweilen Europa reichlichere 
und sicherere Spuren von Pferdevorfahren an 
den Tag gebracht zu haben als die neue Welt. 
In der neuen Welt schliesst die Geschichte 
der Pferde und wahrscheinlich mit Pferden 
im vollsten Sinne des Wortes, heben welchen 
freilich auch noch dreihufige Hipparien fort¬ 
lebten, ab im Pleistocän; für Südamerika, wo 
sie es nur zu Hippidicn und vielleicht zu zebra¬ 
ähnlichen Thiereh brachte, vielleicht noch 
später. In Afrika sind sichere Spuren von 
dort einheimischen echten Pferden ebenfalls 
unbekannt; auch die verschiedenen Arten des 
südeuropäischen Pleistocäns scheinen sich, je 
genauer man sie kennen lernt, umsomehr den 
Eseln und den gestreiften Pferden anzuschliessen. 
Den Gipfelpunkt, den offenbar das langschwei- 
fige Hausthier vertritt, treffen wir heutzutage 
bekanntlich im wilden Zustande höchstens, 
aber immer noch in einer sehr niedrigen, den 
Halbpferden noch sehr nahestehenden Rasse, 
im centralen Asien. 

Immerhin wäre es offenbar unrichtig, dieses 
Gebiet als die einzige Quelle des unmittel¬ 
baren Stammes dieses jetzt als Hausthier in 
zahllosen Rassen von sehr verschiedener Er¬ 
scheinung wieder über die gesaramte Erde ver¬ 
breiteten Geschöpfes zu betrachten. Kennen 
wir doch nicht nur körperliche Ueberreste, 
sondern von primitiver Menschenhand gezeich¬ 
nete Abbildungen genug, welche den Beleg 
leisten, dass Pferde, die von gewissen tiefste- 
lienden Rassen des zahmen Thieres sich nicht 
unterscheiden lassen, in grossem Reichthum 
einen guten Theil von Europa zur Zeit des Höhlen¬ 
menschen bewohnten, wofür Belgien, Frank¬ 
reich, die Schweiz und ein Theil von Deutsch¬ 
land reichliche Beispiele bieten. Andererseits 
wissen wir durch Nordenskiöld, dass sogar 
auf den sibirischen Tundren, ja selbst auf den 
Inseln des neu-sibirischen Archipels Ueberreste 
von Pferden in ausserordentlichem Reichthum 
sich in derselben Gesellschaft von wilden 
Thieren finden wie bei den Höhlenmenschen in 
Central- und Südeuropa (Mammuth, Nashorn, 
Auerochs, Schaf u. dgl.). Dies lässt darauf 
schliessen, dass zur Zeit des Menschen min¬ 
destens in der paläolithischen Periode das 
Pferd über einen grossen Theil von Europa 


und Asien sehr stark verbreitet war. Um so 
auffälliger ist es, dass es an manchen Orten, 
wo wir es später als Hausthier mit ebenso¬ 
viel Recht erwarten sollten, fast gänzlich fehlt. 
In den schweizerischen Pfahlbauten, in der 
Periode der geschliffenen Steine und der Bronze, 
wo ein grosser Hausthierstand Sitte war, 
gehören Pferdeüberreste zu den grossen 
Seltenheiten, obschon sie in demselben Ge¬ 
biete in der Mammuthperiode reichlich sind. 
Dies scheint mindestens die Frage zu ge¬ 
statten, ob nicht auch in der alten Weit das 
Pferd dem Schicksal entgegenging, welches 
dasselbe in der neuen Weit erreichte, und ob 
es nicht an manchen Orten die Hand des 
Menschen sein mochte, welche es über diese 
Kiippe, die ihm von Seite natürlicher Ver¬ 
hältnisse drohte, hinüberrettete. 

In diesem Lichte würde die Geschichte 
des Pferdes viele Aehnlichkeiten mit deijenigen 
einer ganzen Anzahl von Thieren bieten, 
welche doch höchst wahrscheinlich in Folge 
der mächtigen Veränderung des Klimas, die 
der jüngsten Frist der Erdgeschichte von dem 
gesammten früheren Wohngebiet der Pferde 
nur den östlichen und südlichen Theil der 
alten Welt, in der neuen Welt nur tropische 
und früher vermuthlich grösstentheils von Wald 
bedeckte Gebiete freiliess, erst aus ihrem ur¬ 
sprünglichen Wohnort als Nomaden vertrieben 
und schliesslich grösstentheils zum völligen 
Erlöschen gebracht wurden. 

Am Schlüsse dieses kurzen Ueberblickes 
über die Vorgeschichte und hiemit auch über 
die frühere Mannigfaltigkeit der Erscheinung 
der Pferdeform mag nur mit einem Wort ge¬ 
dacht werden, welche verschwindende Bedeu¬ 
tung den in neuerer Zeit sowohl in Frank¬ 
reich als in Deutschland gemachten Versuchen 
beigemessen werden darf, die zahllosen localen 
Rassen des gezähmten Pferdes in verschiedene 
Species zu gruppiren. Rütimeyer . 

Equiferus (v. Equus, Pferd, und ferus, 
wild), ein wildes Pferd. 

Equine, Pferdepockenlymphe, wird in 
letzter Zeit, obgleich die Pferdepocke, Horse- 
pox, nicht ganz identisch mit der Kuhpocke 
ist, zur Darstellung von Vaccine für Menschen 
durch Ueberimpfung auf Rinder benützt. So 
berichtet Peuch neuerdings über eine erfolg¬ 
reiche Uebertragung der Pferdepocke auf 
Rinder und dadurch erzielte Vaccination von 
1500 Menschen. Die Pferdepocke wurde im 
vorigen Jahrhundert zuerst von Jenner als 
grease oder soreheels, eine der Menschen- 
blatter ähnliche Krankheit beschrieben. 
Darauf lieferte Loy 1798 eine ausführliche 
Beschreibung der Pferdepocke. Trotzdem 
wurde die Pferdepocke von vielen Autoren 
nachher mit Mauke, Krebs, Wurm, Rotz, 
Aphthenscuche etc. verwechselt. Spinolanannte 
sie Schutzmauke. Von zahlreichen Autoren 
unternommene Uebertragungsversuche fielen 
theils positiv, thoils negativ aus. Im Jahre 1860 
beobachteten Sarrans und Lafosse gleichzeitig 
mit einer Pockenepidemie bei Menschen ein 
enzootischcs Auftreten der Pocken bei 100 





EQUISETUM. — EQÜÜS F0SS1LIS. 


Pferden, und Lafosse erzeugte durch Impfung 
mit der Lymphe Pockenpusteln bei Rindern 
und Menschen. Depaul und Bouley stellten 
1863—1864 durch zahlreiche Versuche fest, 
dass viele der als Mauke, Rhinitis pempigoides, 
Herpes, Stomatitis aphthosa,. Phlyctänen- 
entzündung, Herpes phlyctaenoides etc. be- 
zeichneten Krankheiten weiter nichts waren 
als die Pferdepocken, Horsepox. t 

Die Pocken bei Pferden beginnen mit 
Fieber, Appetitlosigkeit, Abgescnlagenheit, 
Hitze und Schwellung an den Extremitäten, 
Hautröthung, zuweilen Lahmheit, Steifigkeit. 
Nach 3—o Tagen erfolgt allgemeine Pocken¬ 
eruption in Form linsen- bis erbsengrosser 
Knötchen an der Nase, den Lippen, dem 
Kopf, Hals, Bauch und an den Extremitäten. 
Aus den Knötchen entwickeln sich später 
Bläschen und Pusteln, welche entweder bersten 
und eine gelbe Lymphe entleeren oder zu 
braunen Krusten eintrocknen. Auf der Schleim¬ 
haut der Nase und des Maules entstehen von 
vorneherein erbsengrosse Bläschen, nach deren 
Beratung Geschwiirchen Zurückbleiben, die 
aber bald heilen. 

Verwechslungen mit Mauke oder Rotz 
sind wegen der schnellen spontanen Heilung 
der Pferdepocken nicht möglich. In zweifel¬ 
haften Fällen entscheidet die Impfung auf 
Rinder, bei denen sich, falls Pferdepocken 
vorliegen, stets Pocken an den Impfstellen 
entwickeln, was bei Mauke und Rotz nicht 
der Fall ist. Verursacht werden die Pocken 
nach den neuesten Forschungen (seit Chauveau 
nachgewiesen, dass das Pockencontagium an 
feste Partikelchen gebunden) durch specifische 
Mikrococcen, die aber in den Schafpocken, M$n- 
schenblattern, Kuhpocken, Pferde-, Schweine- 
und Hundepocken verschieden sind. Der 
Mensch und jede Thiergattung haben eigene 
Pocken, nur gewähren Kuh- und Pferdepocken 
Schutz gegen Menschenblattern. Die Prognose 
bei Pferdepocken ist stets günstig. Die Be¬ 
handlung besteht einfach in Isolirung der 
Kranken. 

Literatur: Jenner, Loy, Bouley, Zündel, 
Dictionnairc; Pütz, Seuchen und Heerdekrankheiten; 
Bölling er, Ueber Menschen- und Thierpocken. Scmmer. 

Equisetum, Schaft- oder Schachtel¬ 
halm, Equisetaceae, L. XXIV. Verschiedene 
dem Landbau sehr hinderliche Unkräuter, 
welche sehr viel Kieselsäure (Scheuerkraut), 
aber auch zum Theil giftige Substanzen ent¬ 
halten, wie namentlich das Equisetum arvense 
und palustre, Acker- und Wiesenschaft¬ 
halm, verursachen namentlich in den nörd¬ 
lichen Gegenden, wo diese Pflanzen vielfach 
im Heu Vorkommen, zuweilen Vergiftungen 
bei Pferden, bestehend in grosser Schwäche, 
Störungen der willkürlichen Bewegung und 
des Bewusstseins (Coma), hervorgerufen durch 
Hyperämien in den Nervencentren, verbunden 
mit serösen Ausscheidungen im Gehirn, Rücken¬ 
mark, den Gelenken und Sehnenscheiden und 
schliesslich mit allgemeiner Hydrämie. Für 
sich allein sind somit die Schachtelhalme ge¬ 
fährliche Pflanzen, in nur mässigen Mengen 


dem Heu beigemischt aber unschädlich, ebenso 
wenn letzteres ein halbes Jahr gelegen ist 
(Renelt). Vogel. 

Equus asinus fossilis. Diluviale Reste des 
Esels sind bis jetzt noch ziemlich selten und 
werden nur aus einigen wenige» Fundorten 
beschrieben. Die Höhlen von Brengues (1.) 
und Aurignac in Frankreich, die Lindenthaler 
Hyänenhöhle (2.) und die Ablagerungen von 
Langenbrunn in Deutschland, die äipkahöhle 
(3.) in Mähren, eine Spalte im Urkalk bei 
Zuzlawitz (4.) im Böhmerwalde und die Höhle 
Pieczara Borsuöza in Galizien sind die von 
Prof. Woldrich erwähnten Fundorte diluvialer 
Eselreste. Häufiger trifft man den Esel in 
prähistorischer Zeit, so namentlich in der 
Terremare Italiens. Nordmann (5.) beschreibt 
Zähne aus dem Diluvium von Odessa und 
Nerubay und unterscheidet einen Equus asinus 
fossilis minor und einen Equus asinus fossilis 
major. Nehring glaubt, dass die aus der Lin¬ 
denthaler Hyänenhöhle stammenden Wildesel- 
reste derselben Art angehören wie jene aus 
Langenbrunn^ und er will sie auf eine der in 
den Steppen Asiens lebenden Wildeselarten 
zurückführen. Rütimeyer findet, dass die 
Extremitätenknochen von Langenbrunn noch 
kleiner sind als jene unseres Hausesels. So¬ 
wohl Nehring als auch Ecker (6.) wollen die 
obigen Fossilreste nicht mit unserem Haus¬ 
esel, der aus Afrika herüberkam (H. Milne- 
Edwards und Lenormant, Compt. rend. de 
linst. 1867 resp. 1870), in Zusammenhang 
bringen. 

Literatur: 1 . Puel, Ballfitin do la Socifittf g6o- 
logique de France, T. IX. — 2. Nohring, Fossilreste 
eines Wildesels aas der Lindenthaler Hyänenhohle bei 
Gera. Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang XI. 1879. — 
3. Dr. J. Woldrich, Beiträge zar Fnuna der Breccien 
und anderer Dilüvialgebilde Oesterreichs, mit besonderer 
Berücksichtigung des Pferdes. Jahrbuch der k. k. geo¬ 
logischen Reichsanstalt in Wien, 32. Band 1882, Heft IV. 
— 4. Wold Heb, Diluviale Fauna von Zuzlawitz bei 
Winterberg im BOhmerwalde, II. Theil. Sitzungsberichte 
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, 
Band LXXXIY. 1881. — 5. Nordmann, Paläontologie 
Südrusslands, Helsingfors 1858. — 6. Dr. Rehmann 
und A. Ecker, Zur Kenntniss der quaternären Fauna 
des Donauthaies. Archiv für Anthropologie, Band IX. 1876. 

Koudelka. 

Equus fosailfe ist eine bis in die neueste 
Zeit gebrauchte, von Cuvier (1.) eingeführte 
Bezeichnung für quaternäre Reste des Pferdes, 
die sich auch für unsere diluvialen Pferdereste 
bei vielen Autoren bis auf den heutigen Tag 
erhalten hat. Es stellte sich aber bald heraus, 
dass schon für die diluviale Epoche Europas 
sich mehrere Formen des Pferdes unterscheiden 
lassen, und dass demnach jene Bezeichnung 
nicht ausreicht. Nordmann (2.) unterscheidet 
für das Diluvium Equus fossilis major und 
Equus fossilis minor, doch charakterisirt er 
diese beiden Formen nicht ausreichend und 
findet nur in der sehr bedeutenden Länge 
(Höhe) der Zähne der ersteren Form einen 
specifischen Unterschied, der bei vorgeschrit¬ 
tener Zahnusur nicht zu gebrauchen ist. Das 
kleinere Pferd verhält sich wie das Hauspferd. 
Rütimeyer (3.) lieferte die ersten wichtigen 
Beiträge zur Kenntniss der fossilen Ueberreste 
des Genus Equus in Europa und bezeichnete 



EQUUS FOSSILIS. 


mit dem Namen Equus fossilis Owen das Pferd 
aus den vulcanischen Tuffen der Auvergne. 
Später (4.) bestimmte er diese fossile Pferde¬ 
form näher und führte an, dass sie mit dem 
Equus Stenonis Cocchi aus dem lacustren 
Pliocän Piemonts und Toscanas übereinstimme, 
und schlug deshalb vor, für dieses cis- und 
transalpinische Pferd den Namen Equus Ste¬ 
nonis Cocchi beizubehalten. Dieses selbe Pferd 
wurde von Falconer Equus Ligeris, von Lartet 
Equus amensis genannt, und es findet sich 
nach Cocchi hauptsächlich in dem unteren 
toscanischen Pliocän, seltener in dem mittleren. 
Eine sehr wichtige Arbeit über fossile Pferde 
lieferte Dr. Forsyth Major (5.) und berichtet, 
dass das pliocäne Pferd, Equus Stenonis Cocchi, 
das sich durch die Gestalt des‘mittleren Innen¬ 
pfeilers der oberen Backenzähne auf den ersten 
Blick vqn Equus Caballus unterscheidet und in 
dieser Beziehung an Hippariön (s. d.) erinnert, 
nicht identisch sei mit Equus fossilis Owen 
des Prof. Rütimeyer. Der Autor stellt aus Funden 
von Ober- und ünterkieferzähnen aus der Um¬ 
gebung von Chiusi und aus zwei Schädeln aus 
dem Val d’Amo eine Pferdeform auf, welche 
eine mittlere Stellung zwischen Equus Ste¬ 
nonis und Equus Caballus einnimmt, und die er 
wegen der Anklänge derselben an das Quagga 
Equus quaggoides nennt. Es wurden demnach 
in letzter Zeit von dem Genus Equus Gray 
folgende fossile Formen aufgestellt, welche den 
Uebergang vom Hipparion zu unserem Equus 
Caballus vermitteln: Equus Stenonis Cocchi, 
Equus fossilis Owen und Equus quaggoides 
Major, welche sämmtlich dem Pliocän ange¬ 
hören. Sämmtliche dieser Pferdeformen, von 
denen zumeist Zähne, Kieferstücke und geringe 
Fragmente der übrigen Skeletknochen bekannt 
sind, wurden auf Grund der Unterschiede im 
Zahnbau, speciell in der Bildung der Schmelz¬ 
falten aufgestellt, und eine genauere osteo- 
logische Charakteristik fehlt vollständig. Mit 
den diluvialen Pferdeformen, deren 66 eben¬ 
falls mehrere gab, beschäftigte sich Woldrich 
(6.) und unterschied nach sorgfältigen Detail¬ 
studien und Vergleichungen eines reichhaltigen 
Materiales aus der Knochenbreccie von Pola 
in Istrien, sowie aus dem Löss von Nussdorf 
und aus der Sipkahöhle in Mähren etc. vier 
Pferdeformen, die sich im Zahnbau theilweise 
an die pliocänen Pferde, theils an unsere 
heutigen Equus Caballus-Formen anschliessen; 
es sind dies: Equus Stenonis affinis Wol- 
drich, Equus quaggoides affinis Woldrich, 
Equus Caballus fossilis Rütimeyer und Equus 
Caballus fossilis minor Woldrich. Prof. Wol¬ 
drich gelangt schliesslich zu dem Resultate, 
„dass in dem diluvialen Equus Stenonis affinis, 
oder in Equus Caballus fossilis Rütimeyer, 
oder in beiden die Stammform des noch wenig 
bekannten grossen Pferdes der Bronzezeit, 
weiters in ersterem die Stammform unseres 
grossen Equus Caballus L. mit stärkerer se- 
cundärer Schmelzfältelung, in letzterem die 
Stammform unseres sehr grossen Equus Ca¬ 
ballus L. mit einfacher Schmelzfältelung und 
sehr langem Innenpfeiler zu suchen sein wird; 
femers im diluvialen Equus Caballus fossilis 


621 

minor die Stammform des Equus Caballus minor 
der Bronzezeit und weiters die Stammform de» 
kleinen Equus Caballus L. der Sueven und der 
heutigen Gegenwart, in welcher diese Form 
im Verschwinden begriffen ist u . Ausser diesen 
erwähnten pliocänen und diluvialen Pferde¬ 
formen besteht in der Literatur und in den 
Museen eine Menge anderer Bezeichnungen 
für fossile und subfossile Pferdereste, von denen 
zumeist bloss der Name und der Fundort an¬ 
gegeben sind; die häufigsten darunter sind 
folgende: 

Equus adamiticus, gebräuchlich für 
Pferdereste aus diluvialen Ablagerungen. Cocchi 
erwähnt unter diesem Namen oder auch unter 
Equus Larteti eine Pferdeform, welche aus 
einem höheren Horizonte des Pliocän, nämlich 
aus den unteren Schichten vom Val di Chiana 
in Maspino am Hügel dell’Olmo stammt, die 
dem heutigen Pferde näher steht als Equus 
Stenonis Cocchi. Rütimeyer (4.), führt jedoch an, 
dass er dem Namen Equus Larteti weniger 
Gewicht beilege, da er die dem Museum zu 
Florenz gehörigen Originalien, die diesem 
Namen zu Grunde liegen, nicht anders als 
Equus Caballus nennen würde. 

Equus angustidens v. Meyer, s. Hip- 
potherium. 

Equus Caballus belgius benennt San- 
son das Wildpferd der prähistorischen Station 
von Solutrö; es soll nach ihm dem heutigen 
Ardennenpferde am nächsten stehen, und er 
zählt es zu der langköpfigen Rasse, obzwar 
ihm kein einziger erhaltener Schädel zu Ge¬ 
bote stand. Woldrich identificirt das Pferd von 
Solutrö mit seinem Equus Caballus fossilis 
minor und glaubt mit Ecker (7.), dass der 
Tarpan Südrusslands ein directer, im wilden 
Zustande verbliebener Nachkomme dieses dilu¬ 
vialen W^Jdpferdes sein kann. 

Equus Caballus fossilis var. ger¬ 
manica Nehring ist das mittelgrosse prä¬ 
historische Pferd. 

Equus Caballus fossilis latifrons 
Nehring, das kleine in der alluvial-prähistori¬ 
schen Zeit vielfach in Mitteleuropa vertretene 
Pferd, welches mit Equus Caballus fossilis 
minor Woldrich übereinstimmt. 

Equus Caballus primus v. Meyer, 
s. Hippotherium. 

Equus intermedius benannte Major 
ein Pferd aus einer Breccie von Olivola von 

f eringerem Alter als das lacustre Pliocän des 
’al d’Arno, in der Anschauung, dass es zwi¬ 
schen E. Stenonis und E. Caballus stehe, 
welche Ansicht auch Rütimeyer theiltc; später 
vereinigte jedoch Major den Schädel von 
Olivola mit Equus Stenonis Cocchi und hielt 
die Ablagerungen, in denen er gefunden wurde, 
nicht für eine Knochenbreccie, sondern für 
pliocän. 

Equus jujillacus Bravard stammt aus 
dem Diluvium und soll theilweise mit Equus 
robustus zusammenfallen. 

Equus major und 

Equus occidentalis lebten zur Pliocän- 



622 


ERBÄLLEN. — ERBFEHLER. 


zeit in Amerika gleichzeitig mit Elephas primi- 
genius etc. 

Equus parvus, eine zartgebaute Pferde¬ 
form aus den Ablagerungen von Schussenried 
und Hohlefels. 

Equus piscenensis Gervais stammt aus 
dem Diluvium von Pdzenas und ist durch un¬ 
gewöhnlich schlanke erste Phalangen ausge¬ 
zeichnet. 

Equus plicidens Owen (8.) aus der 
Höhle von Oreston, mit starker Fältelung der 
Emailbänder. Rütimever bemerkt, dass er an 
recenten Pferdezähnen die Faltenbildung der 
Schmelzlinie so weit gehen sehe als in der 
Zeichnung von E. plicidens Owen, und auch 
Nordmann zweifelt an der Selbständigkeit 
dieser Pferdeform. 

Equus robustus Pomel wurde in dem 
Diluvium der Auvergne gefunden. Es lebte 
zur interglacialen Epoche in Europa mit dem 
ersten Elephanten {Elephas meridionalis) und 
dem Flusspferd (Hippopotamus major). Auch 
aus Grenelle, Remagen und Nussdorf stammen 
Pferdeknochen, die einem grossen und plump 
gebauten Pferde, Equus robustus, zugeschrieben 
werden. 

Equus primigenius, Reste des Pferdes 
aus diluvialen Ablagerungen; auch nannte so 
v. Meyer das Hippotherium (s. d.). 

Equus spelaeus Owen, das wilde Höh¬ 
lenpferd, wurde von R. Owen (9.) aus der be¬ 
kannten Höhle von Bruniquel bestimmt und 
nur des Vorkommens wegen so benannt, da 
er selbst zum Resultate gelangte, dass sich 
die Zähne dieses Pferdes von E. Caballus in 
der Gesammtheit nicht unterscheiden lassen. 
Owen gibt Abbildungen von zwei Varietäten, 
die eine mit längerem und schmälerem Innen¬ 
pfeiler der oberen Backenzähne, die andere 
mit etwas kürzerem und breiterem Innen¬ 
pfeiler. Uebrigen8 kommen sowohl jn dieser 
Höhle als auch in jener von Thayingen ein¬ 
zelne Zähne «vor, die bis an die Form von 
Equus fossilis Owen anstreifen. Von vielen 
Autoren wird mit Equus spelaeus das kleine 
Höhlenpferd bezeichnet, von dem Knochen als 
sog. „Küchenabfälle“ in den meisten Höhlen 
Europas Vorkommen und dessen Fleisch von 
den Höhlenbewohnern gegessen wurde. Wein¬ 
land glaubt, dass die seit unvordenklicher 
Zeit auf einigen englischen Inseln (Shetland) 
und in dem gebirgigen Wales lebenden halb¬ 
wilden Ponies, welche in Bau, Temperament 
und Nahrungsbedürfniss unserem gewöhnlichen 
Pferde so wenig gleichkommen, noch Reste 
jener kleinen Pferde des Steinalters sind. 

Literatur: 1 . G. Cuvier, Reeherches sur les osse- 
mens fossiles, Paris 1821. 2. Aufl. 1825. — 2. Nord- 
msnn, Paläontologie Südrusslaads, Helsingfors 185S.— 
3. L. Rütimeyer, Beiträge zur Kenntnis* der fossilen 
Pferde u. s. w. Verhandl. d. naturf. Gesellseh. in Basel, 
1863.— 4. Rütimeyer, Weitere Beiträge zur Beurthei- 
lung der Pferde der Quartärnür-Epoche. Abhandl. d. Schweiz, 
palftontol. Gesellsch. 167 5, V. II. — 5. Dr. ForsythMajor, 
Beiträge zur Geschichte der fossilen Pferde insbesondere 
Italiens. Abhandl. d. Schweiz, palftontol. Gesellsch., Bd. IV. 
1877, 1. Th., und Bd. VII. 18SU, II. Th. — 6. Dr. J. N. 
Wold rieh, Beiträge zur Fauna der Breccien u. a. Dilu¬ 
vialgebilde Oesterreichs, mit besonderer Berücksichtigung 
des Pferdes. Jahrb. d. k. k. geolog. Reichsanst. 32. Bd., 
Wien 1SS2, IV. Heft. — 7. A. Ecker, Das europäische 
Wildpferd und dessen Beziehungen zum domestieirteu 


Pferde, Globus 1878, Bd. XXXIV. — 8. British Mammals, 
pag. 293. — 9. R. Owen, Description of the Cavern of 
Bruniquel etc. Philos. Transactions 1869. Koudclka. 

Erhallen, s. Ballenentzündung. 

Erbfehler. Unter diesem Namen versteht 
man nach althergebrachtem und noch jetzt 
geltendem Sprachgebrauch eine gewisse An¬ 
zahl von Krankheiten und Formfehlern des 
Körperbaues, die von den Eltern auf die 
Jungen übergehen. Ihre Anwesenheit schliesst 
die Zuchttauglichkeit der Elternthiere aus. 
Der Name Erbfehler dürfte so alt sein wie 
die Thierzucht selbst, den wir finden bereits 
in den Schriften der römischen Schriftsteller, 
die über Landwirtschaft und Thierheilkunde 
geschrieben haben, einige Krankheiten, die 
für erblich galten. Seit dem Alterthum bis 
zum heutigen Tage hat man eine grosse Zahl 
von Krankheiten in die Kategorie d$r Erb¬ 
fehler eingereiht, ohne darüber klar zu werden, 
ob sie auch wirklich solche sind. Ja es gab 
vor Kurzem noch eine Zeit, wo der Name 
einer solchen Krankheit einfach genügt hat, 
um sie für erblich zu erklären. Erst in der 
neuesten Zeit, als mit dem Fortschritte der 
Thierheilkunde so manche Krankheitsursachen 
entdeckt wurden, hat man den sog. Erbfehlern 
eine grössere Aufmerksamkeit geschenkt und 
dadurch manche bis vor Kurzem noch dunkle 
Punkte der Thierzuchtlehre aufgeklärt. Dessen¬ 
ungeachtet gestehen wir offen, dass noch heut¬ 
zutage die Kenntniss der Erbfehler eines der 
dunkelsten Capitel der Thierzuchtlehre bildet 
und in Folge dessen im alltäglichen Leben 
Schwierigkeiten entstehen, die kaum bewältigt 
werden können. 

Die Erkennung eines Erbfehlers ist wohl 
einfach, schwierig dagegen seine Beurtheilung; 
doch ist es selbstverständlich, dass bei männ¬ 
lichen Thieren das Urtheil viel rigoroser aus- 
fallen wird als bei weiblichen, da ein Männchen 
-während seines Lebens Hunderte von Nach¬ 
kommen- erzeugen kann. Die Schwierigkeit 
der Beurtheilung eines Erbfehlers hat ihren 
Grund darin, dass 1. selbst jene Fehler, die 
exquisit als Erbfehler gelten, nicht immer in 
der Nachzucht erscheinen müssen und des¬ 
halb auch nicht in jedem Falle beobachtet 
werden. Dies ist auch der hauptsächlichste 
Grund, warum viele Thierärzte und Thier¬ 
züchter von der Erblichkeit einer Krankheit 
überzeugt sind, Andere hingegen (die sie an 
den Jungen nicht beobachtet haben) das 
Gegentheil behaupten; 2. weil diese Fehler 
nicht gleich nach der Geburt, sondern in 
einer viel späteren Zeit zum Vorschein 
kommen. Es ist daher erklärlich, warum die 
Erbfehler von den einzelnen Autoren ober¬ 
flächlich und stiefmütterlich behandelt werden. 
Die meisten begnügen sich damit, die Namen 
der einzelnen Erbfehler aufzuzählen, um auf 
diese Weise dem schwierigen Thema aus dem 
Wege zu gehen. 

Zu den Erbfehlern zählt man: i. bei 
Pferden: den Dummkoller, die Monatblindheit, 
den grauen Star, Pfeiferdampf, den Spat, 
Knochenauswüchse, Huffehler, die Stätigkeit 
und das Koppen. Einige wollen noch hiezu 



ERBFEHLER. 


623 


die Fallsacht, den Rotz und die Folilenlähme 
beigezählt wissen; 2. bei Rindern: die Perl¬ 
sucht; 3. bei Schafen: die Traberkrankheit; 
4. bei Schweinen: die Scrofulose. 

Die hier aufgezählten Fehler und Krank¬ 
heiten erscheinen in der Nachkommenschaft 
auf eine zweifache Art, d. i. entweder gleich 
nach der Geburt oder erst in späteren Jahren. 
Gewöhnlich tritt die Krankheit nicht gleich 
nach der Geburt auf; es ereignet sich zwar, 
dass eine kollerkranke Stute ein Fohlen ge¬ 
bärt, welches die Erscheinungen des Kollers 
zeigt, ein an Schafpocken leidendes Mutter¬ 
schaf ein pockenkrankes Lamm zur Welt 
bringt, oder eine an Perlsucht leidende Kuh 
ein perlsüchtiges Kalb wirft, doch müssen 
dergleichen Fälle, da sie höchst selten Vor¬ 
kommen, eher zu den Ausnahmen als zur 
Regel gezählt werden. Sie beweisen nur, dass 
die Infection des Jungen noch während seiner 
Entwicklung im Mutterleibe stattfand. In der 
Regel erscheint jedoch ein Erbfehler oder eine 
Erbkrankheit nicht gleich nach der Geburt, 
sondern nach Jahren, was uns klar beweist, 
dass die Elternthiere dergleichen Krankheiten 
nicht als solche auf ihre Jungen übertragen, 
sondern nur die Anlage zur Entwicklung der¬ 
selben. 

Der Einfluss einer erblichen Krankheit 
lässt sich leicht demonstriren. Ein Fohlen, 
dessen Eltern an Spat oder Ueberbeinen ge¬ 
litten, besitzt diesen Fehler noch nicht bei 
der Geburt, es besitzt höchstens eine gewisse 
Schwäche des Knochensystems. Der Spat und 
die Ueberbeine treten erst später auf, nach¬ 
dem das Thier zum Gebrauche herangezogen 
wurde. Ein Kalb, welches von perlsüchtigen 
Eltern stammt, erkrankt nicht gleich nach "der 
Geburt an der Perlsucht, gewöhnlich erst im 
zweiten oder dritten Lebensjahre. 

Andererseits muss jedoch hervorgehoben 
werden, dass die ererbte Anlage nicht immer 
und nothwendigerweise eine wirkliche Krank¬ 
heit zur Folge hat. Einen gewissen Theil der 
Anlage erhält das Junge ganz bestimmt, selbst 
dann, wenn nur ein Elternthier an der here¬ 
ditären Krankheit gelitten hat, das zweite 
jedoch frei von Erbfehlern war. Ob jedoch 
die ererbte Anlage zur wirklichen Erkrankung 
führen wird oder nicht, hängt von den Ver¬ 
hältnissen und Einflüssen ab, die auf das im 
Wachsthum begriffene Thier einwirken. Nicht 
selten überwiegt der Einfluss des gesunden 
Elternthieres, in anderen Fällen wiederum 
erzeugt die zweckentsprechende Fütterung, 
Wartung und Pflege eine Widerstandsfähig¬ 
keit des Körpers, und es tritt die ererbte An¬ 
lage in dem Grade zurück, dass das Hervor¬ 
treten der Krankheit unterbleibt. Im Gegen- 
theile tritt dagegen bei unzureichender 
Ernährung und fehlerhafter Pflege der Nach¬ 
kommen die vererbte Anlage so stark hervor, 
dass sie zum Auftreten der elterlichen Fehler 
führt. So beobachtet man zuweilen, dass ein 
Schaf während seiner ganzen Lebensdauer 
gesund bleibt, obgleich der Bock, der es er¬ 
zeugt, an Traberkrankheit gelitten hat. Daraus 
wollen Einige den Schluss ziehen, dass die 


Erblichkeit dieser Krankheit eine sehr unbe¬ 
deutende sei, doch mit Unrecht; eine weitere 
Beobachtung zeigt, dass dieses Schaf, mit voll¬ 
kommen gesunden Böcken gepaart, Lämmer 
wirft, die grösstentheils nach Ablauf des 
zweiten oder dritten Lebensjahres in die 
Traberkrankheit verfallen. Die Erklärung 
dieser Erscheinung ist nicht schwer anzu¬ 
geben. Das Schaf hat die Anlage zur Traber¬ 
krankheit vom Vater ererbt, doch blieb diese 
Anlage während des ganzen Lebens verborgen, 
und die Krankheit ist nur deshalb nicht zum 
Ausbruche gelangt, weil das Schaf unter 
günstigen Bedingungen aufgewachsen ist und 
gelebt hat. Seine Nachkommen, auf welche es 
seine Anlagen übertragen hat, verfielen in die 
Krankheit, da dieselben in weniger günstigen 
Umständen als die Mutter verweilten. 

Nicht alle Erbfehler sind für den Züchter 
von gleicher Wichtigkeit, es muss daher jede 
erbliche Krankheit von verschiedenen Gesichts¬ 
punkten aus betrachtet und verschiedenartig 
beurtheilt werden. 

1. Dummkoller. Da die pathologischen 
Veränderungen, die den Dummkoller erzeugen, 
nicht immer dieselben sind, so sind auch die 
Ursachen mannigfacher Art. Unter diesen Ur¬ 
sachen spielt wohl die Erblichkeit eine her¬ 
vorragende Rolle. Hat man ein dummkolleri- 
sches Pferd vor sich* und geht man der Sache 
auf den Grund, so fördern die gepflogenen 
Erhebungen in den meisten Fällen eine für 
uns sehr wichtige Thatsache, dass entweder 
beide Elternthiere oder wenigstens ein Eltern¬ 
thier an derselben Krankheit gelitten hat. 
Trotzdem der Glaube an die Erblichkeit dieser 
Krankheit allgemein unter den Züchtern ver¬ 
breitet ist, müssen wir doch offen gestehen, 
dass in der thierärztlichen Literatur keine 
genau constatirten Fälle von Erblichkeit ver¬ 
zeichnet sind. 

2. Die Mondblindheit und der graue 
Star. Beide Krankheiten werden unter Einem 
abgehandelt, da der graue Star in den meisten 
Fällen nur eine Folgekrankheit der Monat¬ 
blindheit ist, was somit von einer Krankheit 
gesagt wird, gilt auch für die andere. Beide 
Krankheiten sind erblich und dies in einem 
sehr hohen Grade. Die so häufig vorkom¬ 
menden Fälle dieser Krankheiten liefern uns 
hievon einen genügenden Beweis. Die Monat¬ 
blindheit hat schon in manchen Gestüten 
grosse Verheerungen angerichtet, so dass die 
Zucht aufgegeben werden musste. Solch 
traurige Erfahrungen haben namentlich die 
Franzosen zu verzeichnen. Die Ursache dieses 
Uebelstandes bestand darin, dass manHengste, 
die mit einem solchen Fehler behaftet waren, 
zur Zucht verwendete. 

Die Monatblindheit erscheint bei Pferden 
nicht gleich nach der Geburt, sondern erst 
später, am häufigsten zwischen dem fünften 
und siebenten Lebensjahre. Eine grosse Zahl 
von Fällen, die mit grösster Bestimmtheit 
den hohen Grad der Erblichkeit dieser Krank¬ 
heit bezeugen, hat Reynal sowohl aus eigener 
Praxis als auch aus Beobachtungen, die in 
den französischen Gestüten gesammelt wurden, 



624 ERBFEHLER. 


zusaro mengestellt. Aas seinen Beobachtungen 
geht hervor, dass sowohl der Vater als auch 
die Mutter einen ausserordentlichen Einfluss 
auf die Uebertragung der Anlage zur Monat¬ 
blindheit besitzen; doch haben im Ganzen 
und Grossen die Mütter in grösserem Masse 
die Anlage hiezu vererbt als die Väter. Be¬ 
sonders interessant sind jene seiner Beob¬ 
achtungen, die uns beweisen, dass die Anlage 
durch eine ganze Generation verborgen 
bleiben kann und erst in der zweiten Gene¬ 
ration zur wirklichen Erkrankung führt. Nicht 
minder interessant ist die angeführte That- 
sache, dass eine Stute (des Herrn Devilliers) 
acht Fohlen geworfen, von denen die ersten 
vier gesund geblieben sind, da sie zu jener 
Zeit gezeugt wurden, als die Stute noch ge¬ 
sunde Augen besass, während die letzten vier, 
die nach dem Ausbruche der Monatblindheit 
bei der Stute geboren wurden, insgesammt 
erblindeten. 

Was nun den grauen Star betrifft, muss 
hervorgehoben werden, dass man nicht alle 
jene Pferde, welche eine Trübung der Linse 
aufweisen, für zuchtuntauglich erklären darf, 
denn nicht immer ist die Linsentrübung die 
Folge einer überstandenen Monatblindheit. 
So entsteht manchmal eine Trübung durch 
eine mechanische Verletzung des Augapfels 
durch Schlag, Stoss, Stieh etc. Ja es kommt 
vor, dass der graue Star sich bei sehr alten 
Pferden ohne hereditäre Ursache einstellt, 
als sog. Cataracta senilis. Ist die Linsen¬ 
trübung durch einen mechanischen Insult ent¬ 
standen, so sieht man in solchen Fällen keine 
vollständige, sondern nur eine theilweise 
Trübung. Am häufigsten findet man in der¬ 
gleichen Fällen einen grauen Fleck in der 
Linse, von welchem weisse Streifen auslaufen, 
eine Erscheinung, welche die grösste Aehn- 
lichkeit mit einer gesprungenen Eisfläche hat. 
Ausserdem bemerkt man in dergleichen Fällen 
Hornhautnarben, die deutlich dafür sprechen, 
dass die Linsentrübung in Folge einer Ver¬ 
letzung stattfand. Immerhin erheischt die 
Klugheit, über solche Trübungen sein Urtheil 
sehr vorsichtig zu fällen und ein mit solchem 
Defecte behaftetes Thier nicht eher zur Zucht* 
zu verwenden, bevor man nicht von der Nicht¬ 
erblichkeit dieser Krankheit vollkommen über¬ 
zeugt ist. 

3. Der Pfeiferdampf. Es gibt wohl 
manche Ursachen, die dieses Uebel erzeugen, 
unter diesen nimmt jedoch die Erblichkeit ent¬ 
schieden den ersten Platz ein. Wir besitzen näm¬ 
lich eine grössere Anzahl constatirter Fälle, die 
die Erblichkeit dieser Krankheit bezeugen, so 
dass man diesen Einfluss gar nicht abstreiten 
kann. Andererseits muss jedoch hervor gehoben 
werden, dass nicht alle Nachkommen der an 
Pfeiferdampf leidenden Eltern in diese Krank¬ 
heit verfallen — ein Th eil bleibt immer von der 
Krankheit verschont. Der Grad der Erblichkeit 
des Pfeiferdampfes scheint somit kein grosser 
zu sein. Girard Sohn gibt an, dass der Hengst 
Misanthrop, der ein Rohrer war, sehr hübsche 
Fohlen gezeugt hat, die grössere Hälfte seiner 
Producte verfiel jedo.eh im späteren Alter in 


die väterliche Krankheit. Ebenso erzählt 
Renault, dass ein englischer Hengst im 
10. Lebensjahre den Pfeiferdampf acquirirt hat, 
und seit dieser Zeit haben beinahe alle seine 
Nachkommen diese Krankheit ererbt. Merk¬ 
würdigerweise ist der Pfeiferdampf bei diesen 
Nachkommen erst im 10. Jahre zum Vorschein 
gelangt, d. i. in demselben Alter, in welchem 
sich die Krankheit beim Vater einstellte. 

4. Der S p a t ist ein exquisiter Erbfehler, 
da die Nachkommen spatlahmer Pferde gewöhn¬ 
lich in dieses Uebel verfallen. Dieser Fehler 
erscheint jedoch nicht gleich nach der Geburt, 
sondern erst in einem späteren Alter, haupt¬ 
sächlich dann, wenn das Pferd zu einer an¬ 
strengenden Dienstleistung verwendet wurde. 
Zugleich kann man auch beobachten, dass ein 
gewisser Theil der Nachkommenschaft von 
diesem Fehler gänzlich verschont bleibt. Die 
gewöhnliche Ursache des Spates ist der Galop 
oder irgend eine andere anstrengende Gang¬ 
art, bei der das Pferd gezwungen ist, die 
ganze Körperlast auf den Hinterfuss zu über¬ 
tragen; hiebei wird das Sprunggelenk stark 
erschüttert. Ein stark fundamentirtes Pferd 
hält diese Erschütterungen mit Leichtigkeit 
aus, ohne irgendwelchen Schaden zu leiden, 
dagegen Pferde schwächlicher Constitution 
und besonders jene mit schwachen Sprung- 

f elenken und Bänderapparaten verfallen in 
en Spat. Der Spat ist somit ein Zeichen 
schwächlicher Constitution, weshalb auch 
ein jeder solche Hengst und jede solche Stute 
von der Zucht auszuschliessen wäre, nicht etwa 
aus Furcht, dass dergleichen Elternthiere den 
Spat direct auf ihre Jungen übertragen, son¬ 
dern dass sie die schwächliche Constitution 
vererben, besonders jene der Sprunggelenke, 
und damit auch die Anlage zur Bildung des 
^Spates. Hat aber ein stark fundamentirtes 
Pferd sich den Spat in einem späteren Lebens¬ 
alter durch mechanische Insulte, z. B. durch 
Schlag, ungewöhnliche Anstrengungen etc. 
zugezogen — also nicht in Folge der Ver¬ 
erbung — so kann man es ohne Bedenken 
zur Zucht verwenden. 

o. Knochenauswüchse. Ueber Knochen¬ 
auswüchse kann man dasselbe sagen, was 
bereits über den Spat gesagt wurde. Sie sind 
erblich, doch haben sie in der Zucht nicht 
jene Bedeutung wie etwa der Dummkoller, die 
Monatblindheit oder der Spat, da sie eher zu 
den Schönheitsfehlern als zu den wirklichen, 
den Gebrauch des Thieres beeinträchtigenden 
Fehlern gezählt werden müssen. Immerhin 
muss daran festgehalten werden, dass ein mit 
Knochenauswüchsen behaftetes Pferd niemals 
ein mustergiltiges Zuchtpferd sei. 

6. Die Huffehler. Zu diesen gehören: zu 
dünne, zu weiche und zarte, dann brüchige 
Hufe, Zwanghufe, Knollhufe, Hornspalten, 
die hohle Wand und der Strahlkrebs. Der 
grösste Theil der Züchter betrachtet sämmt- 
liche fehlerhafte und unregelmässige Hufe für 
erblich, doch mit Unrecht. Es ist nämlich 
bekannt, dass mit wenigen Ausnahmen die 
fehlerhaften Hufe weder bei Fohlen, noch bei 
unbeschlagenen und nicht arbeitenden Pferden 


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ERBFEHLER. 


625 


auftreten, sondern erst bei erwachsenen, be¬ 
schlagenen oder schwer arbeitenden Pferden. 
Mit einem Worte, die Ursache der fehlerhaften 
Hufe ist im fehlerhaften Beschlag, unpassen¬ 
der Behandlung des Hornschuhes und schwerer 
Arbeit auf einem harten Boden zu suchen. 
Andererseits darf auch nicht ausser Acht ge¬ 
lassen werden, dass die schwächliche und 
Zarte Bauart der Hufe, besonders wenn das 
Horn zu fein und zu dünn ist, geradeso ver¬ 
erbt wird *wie der ganze Körperbau überhaupt. 
Dergleichen Hufe werden ganz bestimmt von 
den Eltern auf die Jungen übertragen. Man 
muss deshalb* die Erblichkeit der Hufe in 
dem Sinne auffassen, dass nicht die Fehlen 
als solche auf die Nachkommenschaft über¬ 
tragen werden, sondern nur d$r schwächliche 
Bau der Hufe, wodurch die Anlage ererbt 
wird, die unter ungünstigen Verhältnissen zur 
Entwicklung des Fehlers führt. Solche Gelegen¬ 
heitsursachen sind: der schlechte Beschlag, 
der Gebraucli zu einer schweren Arbeit etc. 
Erfahrungen, die ich in dieser Hinsicht ge¬ 
sammelt habe, haben mich überzeugt, dass 
die mit einem Hornspalt behaftete Mutter 
Fohlen warf, die im späteren Lebensalter an 
demselben Fehler laborirt haben. Eine nähere 
Untersuchung hat ergeben, dass sowohl die 
Mutter als auch die Nachkommenschaft sehr 
feines und dünnes Horn besassen, wodurch 
die Bildung der Hornspalte erklärlich ist. 

7. Stätigkeit. Dieses Uebcl, durch Ver¬ 
änderungen in der Gehirnmasse bedingt, ist 
erblich. Doch darf nicht -vergessen werden, 
dass die Stätigkeit bei jedem Pferde hervor¬ 
gerufen w r erden kann in Folge von schlechter 
Behandlung und Misshandlungen'"überhaupt. 
In einem solchen Falle ist selbstverständlich 
von der Erblichkeit keine Rede. Leider sind 
uns derzeit keine charakteristischen Merkmale 
bekannt, um die in Folge von Veränderungen 
des Nervensystems entstandene Stätigkeit von 
jener, die durch Misshandlungen verursacht 
wurde, unterscheiden zu können. Es bleibt 
daher nichts übrig, als jedes stätige Pferd, 
welches clie gewöhnlichen Dienste versagt, 
bösartig und t gefährlich ist, von der Zucht 
auszuschliessen. 

8. Das Koppen. Diese Untugend erlernen 
die Pferde nicht nur eines vom anderen, son-" 
dern sie erhalten diese als ein Erbtheil von 
den Eltern. Bis vor Kurzem hat man wohl 
vermuthet, dass das Koppen erblich sei, es 
fehlte jedoch an Beweisen. Ich sah im Gestüte 
Kisber den Hengst Virgilius, der ein Köpper 
ist, und habe daselbst erfahren, dass viele 
seiner Nachkommen diese Untugend ererben. 
Eineif eclatanten Fall von Erblichkeit erzählt 
Collin: Ein anglo-normannischer Hengst, der 
ein Aufsatzkopper war und dessen Untugend 
vomEigenthümer verschwiegen wurde, bedeckte 
viele Stuten. Collin hat genaue Erkundigungen 
über'die Nachkommenschaft eingezogen und 
erfuhr, dass mehr als ein Drittel sämmtlicher 
Fohlen, die dieser Hengst gezeugt, in wenigen 
Monaten nach der Geburt in diese- Untugend 
verfielen, ohne dass den Fohlen irgendwelche 
Gelegenheit zum Nachahmen oder Erlernen 

Koch. Eneyklopädio d. Thierheilkd. ü. Bd. 


dieses Fehlers gegeben war. Das Koppen 
konnte somit nur ererbt worden sein. 

9. Die Fallsu'cht. In früheren Zeiten hat 
man allgemein behauptet, die Fallsucht sei 
eine hereditäre Krankheit. Da nun in neuerer 
Zeit trotz genauer Beobachtungen die Erb¬ 
lichkeit dieser Krankheit sich nicht bestätigt, 
so soll man die Epilepsie aus, der Reihe der 
Erbfehler streichen. 

10. Der Rotz. Ehemals galt der Rotz 
für eine Erbkrankheit. Gegenwärtig unterliegt 
es jedoch keinem Zweifel mehr, dass diese 
Krankheit keine hereditäre sqi, da sie nur in 
Folge der stattgefundenen Infection auftritt. 
Zwar kommen noch heutzutage Fälle vor v 
dass eine rotzkranke Mutter ein Fohlen zeugt, 
welches kurze Zeit nach der Geburt an Rotz 
erkrankt, dennoch können wir dergleichen 
Fälle nicht auf Kosten der Erblichkeit, sondern 
der intra- oder extrauterinen Infection ein- 
rechnen. Auch haben wir keinen Grund, an 
die Erblichkeit der RotArankheit zu glauben, 
selbst dann nicht, wenn ein Nachkomme rotz¬ 
kranker Eltern im späteren Alter an Rotz er¬ 
kranken würde, % da bekanntlich der Rotz nicht 
durch Jahre verborgen bleiben kann. 

11. Die Fohlenlähme. Die meisten Au¬ 
toren zählen die Fohlenlähme zu den Erb¬ 
fehlern und beschuldigen hiebei hauptsächlich 
die Mutter, die den grössten Einfluss auf die 
Entwicklung dieser Krankheit besitzen soll? 
Doch* stimmen alle .darin überein, dass ausser 
der krankhaften Constitution auch Gelegen¬ 
heitsursachen auf die Entwicklung -des schon 
vorhandenen Keimes Her Lähme von grosser Be¬ 
deutung sind. Dies geht schon daraus hervor, 
dass manche Stuten ihren Nachkommen eine 
bedeutende Neigung zur Lähme mitgeben; 
auch gibt es Jahrgänge, in welchen eine grosse 
Zahl von Fohlen dieser Krankheit zum Opfer 
fällt, während sie in anderen gänzlich aus- 
bleibt. Die in der thierärztlichen Literatur 
verzeichneten Fülle von Fohlen- und Kälber¬ 
lähme sprechen deutlich für die Erblichkeit 
dieser Krankheit. Diese Erbkrankheit ist jedoch 
in dem Sinne zu verstehen, dass die fehler¬ 
hafte Constitution der Mutter auch auf das 
Junge übejgeht und es daher in der Jugend¬ 
zeit mannigfachen Krankheiten ausgesetzt ist. 

12. Die Perlsucht. Man beschuldigt 
viele Ursachen, die die Tuberculose des Rindes 
hervorzurufen im Stande wäret!, doch nur eine 
Ursache ist vollkommen sichergestellt, d. i. 
die Erblichkeit. Von den vielen in der Literatur 
verzeichneten Fällen eines exquisiten Einflusses 
der Elternthiere, die die Tuberculose vererben, 
könnten wir wohl genug anführen, wir unter¬ 
lassen es, da sie tägliche Erscheinungen sind. 
Die Anlage zu dieser Krankheit erhalten die 
Rinder schon bei der Geburt, doch nur in 
den allerseltensten Fällen kommt die Tuber¬ 
culose gleich nach der Geburt zum Ausbruche, 
gewöhnlich erst im späteren Alter, sobald die 
Gelegenheitsursache - zur Entwicklung sich 
günstig gestaltet. Um einem Weitergreifen 
der Krankheit Einhalt zu thun, sollen daher 
alle jene Thiere, welche von perlsüchtigen 
Eltern stammen, von der Zucht ausgeschlossen 

40 



626 


ERBGRIND. — ERBKRANKHEITEN. 


werden. Dies gilt insbesondere von den Bullen, 
da sie bekanntermassen ein weit grösseres 
Unheil in der Hürde anstiften als die Kühe. 

13. Die Traberkrankheit. So lange die 
hochveredelte Zucht der Merinoschafe in Europa 
nicht betrieben wurde, galt die Traberkrankheit 
für eine Rarität, ja selbst heutzutage findet 
sie sich nur ausnahmsweise bei der Negretti- 
rasse ein. Bei den groben Landschafen ist die 
Krankheit beinahe unbekannt. Die Krankheit 
erscheint nicht gleich nach der Geburt, sondern 
zwischen, dem zweiten oder dritten Lebens¬ 
jahre, und da nur bei solchen Schafen, die 
von traberkranken Eitern stammen oder deren 
Familienmitglieder traberkrank waren. Zahl¬ 
reiche Erfahrungen haben zur Evidenz be¬ 
wiesen, dass die Krankheit eine erbliche ist, 
indem die Nachkommen eine besondere Krank¬ 
heitsanlage hiezu von den Eitern erhalten. 
Die Verfeinerung und Zartheit des Faserbaues, 
namentlich die übertriebene Veredlung übt 
den nachtheiligsten Einfluss und ist immer 
als die erste Gelegenheitsursache zu betrachten. 
Wie innig die Krankheitsanlage mit der zu 
hoch getriebenen Wollverfeinefung und Verzär¬ 
telung ■ der Schafe zusammenhängt, wird am 
besten dadurch bewiesen, dass die Krankheit 
beinahe ausschliesslich in den Electoral- 
schäfereien zu Hause ist, während andere 
verschont bleiben. Wenn nun von Einigen nur 
die Incestzucht als Hauptursache der Traber¬ 
krankheit beschuldigt wird, so hat dies seinen 
richtigen Grund darin, dass die zu weit ge¬ 
triebene Verwandtschaftszucht wohl die Rassen¬ 
charaktere steigert, zugleich aber auch den 
Nachtheil einer schwachen Constitution und 
des damit verbundenen Uebels mit sich bringt. 

Da die Traberkrankheit unheilbar ist, so 
darf man niemals traberkranke, ja selbst dieser 
Krankheit nur verdächtige Schafe zur Zucht 
verwenden. Jede Ueberfeinerung und Verzärte¬ 
lung der Schafe muss vermieden werden. Nur 
die allerkräftigsten und wollreichen Böcke 
dürfen mit feinen Mutterschafen gepaart 
werden. Besonders hüte man sich vor dem 
Ankäufe der Zuchtthiere aus traberkranken 
oder dieser Krankheit verdächtigen Heerden. 

14. Die Scrofulose bei Schweinen. 
Was die Ursache der Scrofulose anbelangt, so 
steht es fest, dass die Anlage hiezu von den 
Eltern ererbt wird. Ja es sind uns genug Fälle 
bekannt, wo nicht nur die Anlage, sondern 
die Krankheit selbst vererbt wurde. Das letz¬ 
tere ist jedoch nur dann der Fall, w T enn die 
Krankheit in der Familie recht eingewurzelt 
ist; schon in den ersten Tagen und Wochen 
nach der Geburt kommt die Krankheit zum 
Vorschein. Eine gewisse Neigung zu diesem 
Leiden besitzen meist Schweine veredelter 
englischer Rasse, die sich durch einen feinen 
und zarten Bau, weiche Haut, Frühreife und 
grosse Mastfähigkeit auszeichnen. Es liegt 
daher im Interesse der Schweinezucht, die 
Nachkommen kranker, an Scrofulose leidender 
Thiere zur Zucht nicht zu verwenden, da man 
sonst Gefahr läuft, die Ferkeln an Schwind¬ 
sucht zu verlieren. 

Damit haben wir sämmtliche Erbfehler 


aufgezählt und ihre Bedeutung in der Thier¬ 
zucht klargelegt. Für die Praxis resultiren 
daraus folgende Winke: Thiere, die mit einem 
Erbfehler behaftet sind, sollen von der Zucht 
ausgeschlossen werden. Zwar wird eine Erb¬ 
krankheit nicht jedesmal vererbt, denn die 
Thiere erben ja nicht die Krankheit, sondern 
nur die Anlage hiezu. Auch erscheint der 
Fehler nicht gleich nach der Geburt, sondern 
erst im späteren Lebensalter. Die Beurtheilung 
der Erbfehler fällt verschieden aus,* da es 
immer davon abhängt, auf welche Art und 
Weise der Fehler entstanden ist. Diesen soll 
man immer für erblich erklären, wenn die 
.Entstehungsursache unbekannt ist! Anders ver¬ 
hält sich die Sache, wenn mechanische Ein¬ 
wirkungen, Ueberanstrengungen oder hohes 
Alter den Fehler hervorgerufen haben. Aber 
auch solche Thiere sollen von der Zucht aus¬ 
geschlossen werden, sobald eine schwächliche 
Constitution, mangelhaft entwickeltes Knochen¬ 
gerüst, schwache Gelenke oder andere der¬ 
gleichen Fehler damit gepaart erscheinen. Es 
versteht sich von selbst, dass man in Fällen, 
in denen man sich nicht mit voller Bestimmt¬ 
heit von der Entstehungsursache fies Uebels 
überzeugen konnte, selbst dann, wenn* das 
Thier sonst gut gebaut wäre, vorsichtshalber 
die Krankheit lieber für einen Erbfehler er¬ 
klären soll, als sich späteren Enttäuschungen 
preiszugeben. Dergleichen Experimente sind 
zu kostspielig und höchst unpraktisch. Obgleich 
man einerseits durch die Ausschliessung eines 
solchen Thieres von der Zucht die ökonomischen 
Verhältnisse schädigt, so ist andererseits der 
hiedurch entstandene Schaden ein minimaler 
im Vergleiche zu jenen Verlusten, die der 
Züchter erleiden müsste, falls er die Bedeutung 
der Erbfehler unterschätzen würde. Baranski. 

Erbgrind, s. Arthrococcus und Hautkrank¬ 
heiten. 

Erbkrankheiten, morbi hereditarii 
(v. morbus, die Krankheit; heres, der Erbe). 
Zu ihnen rechnet man alle diejenigen Krank¬ 
heiten, welche nachweislich von den Eltern 
constant aut* die Nachkommen übergehen; sie 
basiren mithin auf einer ererbten Disposition, 
auf einem Defect in dem anatomischen Baue 
bestimmter Organe oder organischer Systeme, 
der bereits in den elterlichen Zeugungsstoffen, 
dem männlichen Samen und dem weiblichen 
Eichen, vorhanden ist. In den meisten Fällen 
zeigt sich die Nachkommenschaft nicht sofort 
nach der Geburt mit der Erbkrankheit be¬ 
haftet, sondern diese entwickelt sich erst 
allmälig in späteren Lebensaltern, etwa im 
2.—5. Jahre nach der Geburt, unter der Con- 
currenz schädlicher Einflüsse. Der jugendliche 
Organismus ist an einer oder der anderen 
Stelle leicht reiz- und verwundbar, er vermag 
den Kampf um das Dasein auf die Dauer 
nicht zu bestehen. Von den Erbkrankheiten 
sind die Erbfehler (s.d.) zu unterscheiden; jene 
beruhen auf einer angeerbten Constitution, 
diese auf Abnormitäten im Baue des Körpers, 
welche sich schon bei der Geburt im Exterieur 
des Jungen nachw'eisen lassen und bei den 
Eltern vorfindlich sind. 



ERBKRANKHEITEN. 


627 


Die Erbkrankheiten beruhen in erster 
Linie selbstverständlich auf den Gesetzen der 
Vererbung. Gleiches kann nur von Gleichem 
kommen; der Same und das Ei enthalten 
die. Keime für das Individuum, die in allen 
Theilen die Richtung gebende Anlage für den 
Aufbau des sich entwickelnden Organismus, 
sie sind eigentlich nichts Anderes als eine 
Verjüngung des Stammkörpers. Same und Ei 
gehen in einander auf, bei der Befruchtung 
dringen die Samenfäden durch feine Oeffhungen. 
in das Eichen ein, das Junge ist mithin ein 
Mischproduct von Vater und Mutter, wir 
finden in ihm Aehnlichkeiten von beiden 
wieder. Mit der Verschmelzung von Samen 
und Ei ist das Vorbild für die Gestaltung 
des Individuums fest begründet, sie liefert 
den Boden und den Stoff zum Aufbau des 
Körpers, so namentlich auch den Boden, auf 
welchem sich später die Krankheiten zu ent¬ 
wickeln vermögen. Die mangelhafte anato¬ 
mische Beschaffenheit bestimmter Gewebe 
geht in ihren Grundzügen auf die Zeugungs¬ 
stoffe über, die in jeder Beziehung der genaue 
Abdruck der Eltern sind. Die Vererbung oder 
Heredität ist durchaus beharrlich, wohl aber 
vermögen begünstigende Umstände die Anlage 
zu Krankheiten in den Nachkommen zu steigern, 
so z.B. wenn beide Eltern mit Defecten belastet 
sind oder die Jungen unter Umständen leben, 
welche der Krankheitsentwicklung günstig 
sind; die abnorme Beschaffenheit der Organe 
befestigt sich in den Nachkommen mehr und 
mehr, sie wird zum integrirenden Theile des 
Körpers. Wie schon gesagt, müssen die Erb¬ 
krankheiten nicht immer in jeder Generation 
zum Ausbruche kommen, sie können unter 
günstigen Verhältnissen schlummern, um 
plötzlich wieder bei späteren Generationen 
hervorzubrechen, weil das vorelterliche Funda¬ 
ment noch das gleiche ist. 

Darwin unterstellt als letzten Grund der 
Fortpflanzung undT Vererbung die Pangenesis 
(v. rcäv, alles; yeveois, Zeugung, Ursprung), 
die Zeugung aller Thiere und Pflanzen aus 
wenigen, vielleicht aus einer einzigen Grund¬ 
form. Die Zellen als Einheiten des Körpers 
sollen vor ihrer Umwandlung in ausgebildete 
Substanz kleine, atomenhafte Körnchen ab¬ 
geben, welche im Körper kreisen, bei genü¬ 
gender Ernährung aber durch Theilung sich 
vermehren und in die nämlichen Zellen um¬ 
wandeln. Statt dass sonst die Keimkörnchen 
unmittelbar von den Eltern den Kindern über¬ 
liefert werden, sollen sie auf manche Genera¬ 
tionen in schlummerndem Zustande verpflanzt 
werden und sich später erst durch veränderte 
Lebensbedingungen entwickeln können. 

Zufällig erworbene Abnormitäten vererben 
sich nicht constant, z. B. Warzen, eine durch 
Knochenbruch verbogene oder schiefe Extre¬ 
mität etc.; erst wenn solche Zufälligkeiten 
mit Beharrlichkeit wiederkehren, accommodirt 
sich der Bildungsprocess der Körperform, 
der Zustand wird damit stabil und constant. 
Es können sich somit unter Verhältnissen 
schliesslich alle Krankheiten und Gebrechen 
vererben, am zuverlässigsten alle diejenigen, 


welche in den Geweben bleibende anatomische 
Veränderungen hinterlassen oder von be¬ 
stimmten Stellen aus der Säftemasse inficirende 
Elemente zuführen, chronisch verlaufen und 
unheilbar sind. In letzterer Beziehung in- 
teressiren uns vornehmlich die krebsigen 
Degenorationen verschiedener Organe und 
die Tuberculose. Beide Krankheiten (Krebs 
und Tuberculose) erben in den Familien fort, 
der Krankheitskeim geht auf den Fötus über, 
er vermehrt sich allmälig und offenbart sein 
Vorhandensein erst dann, wenn er bereits 
erheblichere Degenerationen in den Organen 
veranlasst hat. Von dem Tuberkelbacillus 
wird angenommen, dass er ausserhalb des 
Thierkörpers sich gar nicht vermehrt, sondern 
sein Dasein nur ira Organismus fristet. {Zur 
Tuberculose gehören auch der Rotz des 
Pferdes und die Perlsucht des Rindes.)-Die 
Perlsucht kann schon angeboren sein, man 
hat sie bei neugebornen sowie bei 8—14 Tage 
.alten Kälbern vorgefunden, welche von perl¬ 
süchtigen Eltern abstammten. Jessen con- 
statirte in Gemeinschaft mit Semmer frische 
junge Perlknötchen in den Lungen dreier im 
3. Monate der Tragezeit abortirter Kalbs¬ 
fötus. Ueber die Vererbbarkeit des Rotzes 
liegen zuverlässige neuere Beobachtungen nicht 
vor, indes lässt sie sich auch hier analog 
der Tuberculose des Menschen und der Rinder 
unterstellen, wenn schon in den meisten 
Rotzfallen die Infection nachweislich erst im 
extrauterinen Leben stattfindet. Die übrigen 
Infectionskrankheiten lassen den Verdacht 
der Heredität nicht aufkommen, weil sich bei 
ihnen das Contagium vivum ausserhalb des 
Thierkörpers entwickelt und erst nach der 
Geburt aufgenommen wird. Nur die Anlage 
zur Reproduction des Contagii im Thierkörper 
ist hereditär; so ist es ja bekannt, dass Pferde 
für das Rinderpestcontagium, hingegen Rinder 
wieder für das Rotzcontagium durchaus un¬ 
empfänglich sind. 

Die übrigen als Erbkrankheiten bekannten 
Gebrechen beruhen nur auf Vererbung der 
Anlage; es wird von den Eltern irgend ein 
bei ihnen vorhandener Locus minoris resi- 
stentiae auf die Kinder übertragen, an dem 
sich später über kurz oder lang das Leiden 
entwickelt. Gewöhnlich beschränkt sich der 
defecte Locus auf ein einzelnes wichtiges 
Organ oder auf ein organisches System. 
Bezüglich des Gehirns sind als Erbkrank¬ 
heiten bekannt: Anlage zu Schlagfluss, 
Dummkoller, Stätigkeit, Schwindel 
und Epilepsie. In vielen Fällen mag hier 
die Anlage auf einer Schlaffheit der Blut¬ 
gefässe des Gehirns, auf einer leichten Zer- 
reissbarkeit oder Schlaffheit der Gefasswan- 
dungen beruhen, welche dem Blutserum den 
Austritt gestattet. Die Epilepsie beruht häufig 
auf einer angebornen Reizbarkeit des Gehirns 
und der Medulla oblongata, die Erblichkeit 
dieser Krankheit lässt sich bei Menschen bei 
ca. 30% nachweisen. Obersteiner konnte die 
Epilepsie der Meerschweinchen experimentell 
auf deren Junge übertragen. Aehnlich verhält 
es sich mit dem Rückenmark; als wichtiges 

40* 



628 


ERBRECHEN. 


vererbbares Rückenmarkleiäen ist die Traber¬ 
krankheit der Schafe hervorzuheben. Diese 
nistet sich besonders gern in veredelten Schaf¬ 
stämmen ein: ihr sind besonders die Zucht¬ 
böcke unterworfen; sie kann, einmal einge¬ 
rissen. die ganze Zucht vernichten. Die milch¬ 
reichen Rinderrassen, unter ihnen besonders 
die niederländischen Kühe, besitzen eine 
angeborene Disposition zum paralytischen 
Puerperalfieber oder dem sog. Kalbefieber. 
Diese Krankheit fordert , z. B. unter * den 
holländischen, frischmelken Kühen ungewöhn¬ 
lich viele Opfer. Auch Schwäche in der 
Widerstandsfähigkeit der«* Schleimhäute der 
Luftwege und der Alveolen der Lunge ver¬ 
erbt sich, so namentlich die leichte Erkran¬ 
kung an Kehlkopfkatarrh, bei Pferden das 
Lungenemphysem oder das Asthma 
und das sog. Kehlkopfpfeifen oder 
der Pfeifer dämpf, ferner unter den Leiden 
der Yerdauungsorgane eine gewisse Ver¬ 
dauungsschwäche und Reizbarkeit des- 
Darmcanals, die besonders bei Pferden sich 
in häufigen Anfällen von Kolik bemerkbar 
macht. Die Scrofulose zählt ebenfalls zu 
den hereditären Uebeln, sie grassirt am 
häufigsten unter Schweinefamilien, seltener 
unter Fohlen und Rindern; diese Krankheit 
ist wohl auch Lähme genannt worden, wenn 
sie sich mit Gelenkleiden paart. Eine ange¬ 
borene und ererbte Lähme im wahren Sinne 
des Wortes bildet die Fettdegeneration 
der.Muskeln junger Thiere, vorzüglich der 
Ferkel und der Lämmer, die sich durch 
Schwäche in den Bewegungen, Durchfall und 
Abmagerung zu erkennen gibt und ihre Opfer 
theils schon während des fötalen Lebens, 
theils in den ersten Tagen oder Wochen nach 
der Geburt befällt; veredelte, frühreife eng¬ 
lische Rassen sind ihr am häufigsten unter¬ 
worfen und. erliegen ihr meistens. 

Weiter vererben sich Defecte in der 
Construction des Knochengerüstes, eine ge¬ 
wisse Porosität des Knochcngewebe?, 
so dass die Descendenten sehr leicht an 
Rhachitis, Spat, Hasenhacke* Schale, Ueber- 
beinen u. dgl. m. erkranken, desgleichen leicht 
an Gallen, wenn die Sehnen und Sehnen¬ 
scheiden eine angeborene, von den Eltern 
überkommene Schlaffheit besitzen. 

Wichtig wegen ihrer verderblichen Folgen 
sindnoch als Erbkrankheiten die periodische 
Augenentzündung und der schwarze 
Staar der Pferde zu nennen, weil sie stets 
zuvölliger Erblindung führen. Die periodische 
Augenentzündung befällt die Pferde meistens 
erst im 5.—7. Jahre. Leider haben böse Er¬ 
fahrungen in Gestüten nur zu deutlich die 
Heredität dieses Augenleidens erwiesen. Anr. 

Erbrechen, Vomitus s. Emesis (von 
vomere = lp.siv, sich erbrechen), wohl auch 
vomitio, vomitium, vomitum oder emetos 
genannt, ist ein unwillkürliches, gewaltsames 
Ausstossen des Mageninhaltes durch dieCardia 
in die Speiseröhre und von da aus durch 
Maul und Nase nach aussen unter Mitwirkung 
der Magenmuskulatur, des Zwerchfells und 
der Bauchmuskeln. Die Bauchpresse ist für 


das Zustandekommen des Brechactes durchaus 
erforderlieh, durch ihren Druck auf den con- 
trahirten Magen jyird der Mageninhalt haupt¬ 
sächlich bei verschlossenem Pylorus und ge¬ 
öffneter Cardia nach vorne entleert. Durch¬ 
schneidet man die Zwerchfellsnerven und 
lähmt oder durchschneidet man die Bauch¬ 
muskeln (Colin, Gianuzzi), so wird das Er¬ 
brechen unmöglich; auch nach der Durch¬ 
schneidung der motorischen Magennerven 
-erfolgt nur unvollständiges Erbrechen. Vomitus 
kommt auf reflcctorischem Wege zu Stande, 
das Brechcentrum hat seinen Sitz in der 
Medulla oblongata, es kann durch mechanische 
und chemische Reize erregt werden, welche 
auf die Schleimhaut des Verdauungscanals 
vom Maule bis zum Beginne des Dickdarms 
oder des Harn- und Gesclilechtsappar^tes 
einwirken, odef welche vom Blute aus das 
Brechcentrum oder dessen centripetale Fasern 
erregen, wie dies von den Brechmitteln und 
verschiedenen Giften bekannt ist. Mechanische 
Insulte des Brechcentrums erregen dasselbe 
auch direct; wir sehen nicht selten nach 
Gehirnerschütterung, Hin- und Herschaukeln 
auf Schiffen (Seekrankheit) die Thiere vomi- 
tiren. Sehr reizbar bezüglich des Brechcen¬ 
trums sind die Reflexbahnen am Grunde der 
Zunge, im Schlundkopf und in der Umgebung 
der Cardia, sie werden auch bei Reizungen 
des Nervensystems angeregt, denn mit den 
Krampfanfällen ist nicht selten Erbrechen 
verbunden. Herbivoren erbrechen schwerer 
als Camivoren; Schiff sucht den Grund dieser 
Erscheinungin der verhältnissmässig grösseren 
Länge des Bauchtheiles des Schlundes der 
Herbivoren, so dass der Schlund bei den 
Contractionen des Zwerchfelles eingebogen 
und theilweise verschlossen werde. Indes 
erbrechen Wiederkäuer ziemlich leicht, die 
Rumination selbst ist im Grunde genommen 
nichts anderes als ein normales Erbrechen. 
Das schwTrige Erbrechen der Pferde erklärt 
sich aus dem anatomischen Baue des Magens: 
bei ihnen gebt der Oesophagus nicht mit 
allmäliger Erweiterung, sondern „scharf abge¬ 
setzt in den Magen über, auch ist er an der 
Cardia mit einem kräftigen, muskulösen 
Schliessapparat versehen, hingegen erweitert 
sich die Pylorusöffnung trichterförmig nach 
dem Duodenum zu und ist nur locker ge¬ 
schlossen. So kommt es, dass bei etwaigen 
Magencontractionen die Contenta nicht nach 
dem Schlunde hin entweichen können, sondern 
durch den Pylorus austreten; Pferde erbrechen 
sich meistens in das Dudodenum. Bei den 
Camivoren liegen die anatomischen Verhält¬ 
nisse umgekehrt, hier pflanzt sich der Oeso¬ 
phagus mit allmäliger Erweiterung und 
lockerem Verschluss in den Magen ein, 
während der Pylorus ohne Erweiterung in 
den Darm übergeht, fest verschlossen und 
viel weiter von der Cardia entfernt ist als 
bei Pferden. Dem Angeführten gemäss wird 
es erklärlich, wenn wir Vomitus am häufigsten 
im Verlaufe katarrhalischer Affectionen des 
Verdauungscanals, der gastrischen Leiden 
und Beschwerden und bei übermässiger Ab- 



ERBRECHEN. 


629 


sönderung der Magensäure antreflen; unter 
ihnen sind folgende namhaft zurnachen: Ueber- 
ladungen des Magens mit Futterstoffen, be¬ 
sonders mit schwervgrdaulichen, blähenden 
und erschlaffenden, ungewöhnlich kalten oder 
heissen Dingen. Wiederkäuer erbrechen selbst 
nach Ueberfüllung des Pansens mit Grün- 
futter, Malzkeimen etc. gar nicht selten, das 
Futter wirkt dann wie ein Fremdkörper auf 
die Magennerven reizend, auch erschlafft 
durch den Druck 4^ angehäuften Futter¬ 
massen die Cardia, und diesen steht nunmehr 
der Austritt in den Oesophagus offen. Bei 
Rindern beobachtete man ferner Erbrechen, 
wenn die Haube durch einen Riss im Dia¬ 
phragma in die Brusthöhle eingedrungen 
war, bei Pferden, wenn der Magen stark ange¬ 
fallt und der kräftige Widerstand der Schlund¬ 
klappe überwunden oder'deren Muskelfasern 
erschlafft und gelähmt sind,, wie dies bei 
alten Köppern der Fall sein kann. Ist die 
Lähmung des cardialen Sphincter eine Folge 
-der Entzündung der Häute des Magens, indem 
seine Fasern serös durchfeuchtet und erweicht 
sind, so zerreissen in der Regel die Magen¬ 
häute während des Brechactes; Vomitus des 
Pferdes zieht somit meistens den Tod nach 
sich, es wird also mit Recht als ein gefahr¬ 
drohendes Symptom angesehen, es ist jedoch 
nicht die Folge einer Magenzerreissung, 
sondern umgekehrt. 

Weitere Ursachen des Erbrechens geben 
ab: Fremdkörper in der Rachenhöhb und im 
Schlunde, Divertikelbildung im Schlunde, 
Schlunderweiterung, Magenkatarrh, Magen¬ 
entzündung, Magenkrebs, Magengeschwüre, 
Darmentzündung, Tympanitis, Darminvagina- 
tionen, Darmverschlingung, Darm paralyse, 
eingeklemmte Hernien, Staupe und Wuthder 
Hunde, Urämie, Septicämie etc. 

Erscheinungen. Dem Brechacte gehen 
Appetitsverstimmung, Widerwillen gegen 
Nahrung, Uebelkeit, Nausea oder Nausia (von 
vaö?, Schiff, eigentlich Schiffskrankheit), 
Gähnen, Flehmen mit den Lippen als Zeichen 
einer Verstimmung der Magennerven, stärkere 
Speichelabsonderung, Aufstossen von Gasen, 
Würgen, dumpfe Schmerzäusserungen voraus; 
letzteres ist der Fall, wenn Magendarm 
katarrh zugegen ist, alsdann erscheint die 
Zunge auch unrein und mit Schleim belegt. 
Vergiftungen sind mit heftigen Bauchschmer¬ 
zen, häufig auch mit Durchfall verbunden; 
geschahen sie durch xorrodirende Gifte, so 
finden sich Erosionen an den Lippen, am 
Zahnfleisch, auf der Zunge, an den Backen etc. 
vor. Während des Erbrechens beobachten wir 
krampfhafte Zusammenziehungen der Bauch¬ 
muskeln; der Pylorus schliesst sich, hingegen 
öffnet sich die Cardia, der Speisebrei wird 
mit Vehemenz stossweise nach aussen ge¬ 
worfen wobei sich der Kehldeckel auf die 
Stimmritze legt, denn sonst würde das Er¬ 
brochene in die Luftröhre gelangen, was mit¬ 
unter auch geschieht und dann eine Fremd¬ 
körperpneumonie oder selbst Erstickung zur 
Folge hat. Kleinere Mengen des Erbrochenen 
werden aus der Luftröhre mit dem Husten 


entfernt. Bei den krampfhaften Zusammen¬ 
ziehungen des Magens drängt dessen Inhalt 
öfter mit solcher Kraft gegen den Pylorus, 
dass dieser sich etwas öffiiet und ein Theil 
des Inhaltes in das Duodenum gelangt. Nach 
dem Erbrechen enthält der Harn viel Pig¬ 
ment und grössere Mengen harnsaurer Salze, 
die sich später zu Boden setzen. Sind Schlund¬ 
erweiterung oder fremde Körper im Oeso¬ 
phagus amVomitiren schuld, dann machen 
sich Beschwerden und Hindernisse beim Ab¬ 
schlucken bemerklich, das Futter gelangt nur 
theilweise oder gar nicht in den Magen und 
wird unmittelbar nach dem Abschlucken 
wieder ausgeworfen, es ist deshalb nur mit 
Schleim und Speichel vermischt, ohne sauer 
zu riechen, da der Magensaft in ihm fehlt. 

Das Ausgebrochene, Emesma, riecht, so¬ 
fern es aus dem Magen (bei Wiederkäuern 
aus dem Labmagen) kommt, sauer, weil es 
mit Magensaft reichlich durchtränkt ist, 
meistens ist es nur wenig verdaut und er¬ 
weicht, bei Wiederkäuern auch nur grob zer¬ 
kaut und ohne sauren Geruch, wenn es aus 
dem Pansen und der Haube kommt; hier er¬ 
folgt das Erbrechen leicht nach jedesmaliger 
Futteraufnahme, hingegen sind die Thiere 
viel kränker, fiebern, fressen und ruminiren 
gar nicht mehr, treiben etwas tympanitisch 
auf und leiden an Diarrhöe, wenn der Lab¬ 
magen erkrankt ist. Enthält das Ausgebrochene 
Blut, oder besteht es gänzlich aus Blut, so 
wird der Vorgang zum Bluterbrechen, 
Vomitus eruentus (cruor, geronnenes Blut) 
s. Haeinatemesis (afjjia, Blut); hier ist das 
Blut klumpig geronnen, wenn ihm Blutungen 
aus den Magengefässen zu Grunde liegen, 
hingegen mehr verflüssigt und mit Speise¬ 
resten und Magensaft vermischt, wenn es von 
Carnivoren genossen wurde. 

Incarcerirte Hernien, In vagin ationen und 
Verschlingungen der Därme verursachen das 
Kotherbrechen, Ileus s. Miserere (stXelv, 
verwickeln, iniser, elend); antiperistaltische 
Bewegungen schaffen den Darminhalt ’ in 
den Magen, dieser wirft ihn unter Erbrechen 
durch Maul und Nase aus; heftige Schmerz¬ 
äusserungen und hartnäckige Verstopfung sind 
hier die Vorläufer. Auch sonst kann beim- Er¬ 
brechen durch antiperistaltische Bewegungen 
Galle aus dem Duodenum in den Magen über¬ 
treten, wie dies besonders bei stürmischem, 
heftigem und anhaltendem Brechen, der 
Hyperemesis s. Hyperemesia (oirep, über) 
beobachtet wird, sie wird dann mit dem Er¬ 
brochenen nach aussen entleert 

Nicht immer kommt es zu vollständigem 
Erbrechen, zuweilen ist nur Würgen und 
Neigung zum Erbrechen, Vomituritio, 
vorhanden. Die Folgen des Vomitus sind sehr 
verschieden. Bei Magenüberladungen und 
gastrischen Beschwerden ist das Erbrechen 
ein heilsamer Act, den Hunde instinctiv da¬ 
durch herbeiführen, dass sie Gras fressen und 
sich mit den Grashalmen den Gaumen kitzeln. 
Vomitus des Pferdes sowie Haematemesis, 
Miserere und Vergiftungen sind stets bedenk¬ 
lich, sie enden häufig mit dem Tode. Ausser- 



630 


ERBRECHEN ERREGENDE MITTEL. — ERBSEN. 


dem hat ein plötzlich eintretendes, sich 
höchstens innerhalb einiger Stunden oder 
Tage öfter repetirendes Erbrechen keine 
grosse Bedeutung, die es erst erhält, wenn 
es mehrere Wochen hindurch anhält und 
chronisch wird, weil ihm alsdann organische 
Abnormitäten des Magens oder eine unge¬ 
wöhnliche Reizbarkeit des Brechcentrums zu 
Grunde liegen. Die damit verknüpften Uebel- 
stände sind Störungen in der VeVdauung und 
Ernährung, Abmagerung, Schwäche, Hin¬ 
fälligkeit, bei stürmischem und nachhaltigen 
Erbrechen kann Erstickung, Zerreissung oder 
Entzündung eines Baucheingeweides, Zer¬ 
reissung eines Blutgefässes, Apoplexie und 
Paralyse erfolgen. Schweine, Hunde, Katzen 
und Geflügel erbrechen leicht. Für Köpper 
und junge Pferde ist Vomitus kein so gefahr¬ 
drohendes Symptom wie für ältere Pferde und 
Nichtkopper. 

Behandlung. Die Indicationen zur Be¬ 
seitigung des Erbrechens bestehen zunächst 
in Regelung der Diät, Verminderung des 
Nahrungsquantums und möglichster Ver¬ 
meidung der Reize, welche das Erbrechen 
unterhalten. Oefter wird feste Nahrung ganz 
zu meiden und mit flüssiger zu vertauschen 
sein, immer sei sie leicht verdaulich. In den 
gastrisch-katarrhalischen Leiden, bei Magen¬ 
überladungen und Vergiftungen ist die Vomi- 
turitio durch Verabreichung von Emetica 
zum vollständigen Vomitus zu bringen, um 
den Magen zu entlasten, schädliche Stoffe 
zu elirainiren und das Nervensystem umzu¬ 
stimmen. Säurentwicklung in den ersten 
Wegen erheischt säurefilgende Mittel, wie 
Kreide, Magnesia, Natrum bicarbonicum, Kalk¬ 
wasser, Liquor. Ammon, caust., gepulverte 
Holzkohle, Hyperemesis noch Narcotica, wie 
Aether, Inhalationen eines Gemisches von 
4 Th. Stickstoffoxydul und 1 Th. Sauerstoff, 
Opium, Morphin, Extr. hyosc., Aqua lauro- 
cerasi, Verschlucken von Eisstückchen, be¬ 
ruhigende Infuse von Flor. Chamom. roman., 
Fol. menth. piper., Rad. valerian., Sem. Carvi, 
schwarzer Kaffee, gelinde Adstringentien, wie 
Kali carbon., Calcaria carbon., Argent. nitr. 
fus., Plumbum acet., Jodtinctur, Alumen crud., 
Mineralsäuren, Acid. carbolicum, Essig, Ipe- 
cacuanha und Tannin; die letzteren Mittel 
sind namentlich bei alten Magenkatarrhen 
und Erschlaffung der Magenhäute und der 
Cardia indicirt, ihnen folgen zweckmässig 
bittere und roborirende Medicamente. Die 
Adstringentien gibt man in Solutionen. Hiebei 
ist ruhiges Verhalten, Warmhalten des Leibes 
und Einreibung des Bauches mit Spir. cam- 
phorat. zu empfehlen. Die Homöopathen geben 
Coculus, wenn Diarrhöe zugegen ist, Varatrum 
alb., in hartnäckigen Fällen Cuprum. Anr. 

Erbrechen erregende Mittel, s. Emetica. 
Erbrechen verhindernde Mittel, s. Anti- 
emetica, Emetica. 

Erbsen (Pisum sativum) als Futter¬ 
mittel. Werden als Grünfutter sowie behufs 
Körnergewinnung angebaut. Alle Bestand- 
theile dieser Pflanze sind vortreffliche Futter¬ 
mittel. Grünerbsen enthalten: 


13*3-23*9, im 

Mittel 

18 * 5 % Trockensubstanz 

3'2— 3*9 „ 


35 „ stickstoffhaltige Stoffe 

— — „ 


0'6 „ Rohfett 

4*6—10*5 „ 


7*6 „ stickstofffreie Extractstoffe 

3 0— 7*7 * 


5'4 % Holzfaser 

— — „ 

- 

1 4 „ Asche 


Bezüglich ihrer Verdaulichkeit dürften 
sie sich am ehesten mit Grünwicken ver¬ 
gleichen lassen. Sie bilden vornehmlich ein 
gutes Milchfutter, welches der Butter einen 
sehr angenehmen Geschmack verleiht. Lassen 
sich nicht leicht inDürrheu umwandeln, da sie 
schwer trocknen. Dürrlieu enthielt 83*3% 
Trockensubstanz, 14 3% Protein, 2*6% Roh- 
fett, 34 * 2 % stickstofffreie Extractstoffe, 25 * 2 % 
Holzfaser und 7'0% Asche. 

Erbsenkörner enthalten: 


77 9— 911,im Mittel 86‘8 70 Trockensubstanz 
18 * 6—29'9 „ .. 22 ‘4 ., stickstoffhaltige Stoffe 

0-6— 6 3 .. „ 3 0 Rohfett 

41'9—59 * 6 „ 52*6., stickstofffreie Extraetstoffe 

19— 9*2 „ 6*4 „ Holzfaser 

— — „ 2’4 „ ABcbo 


Gehören zu den nährstoffreichsten und 
schmackhaftesten Kraftfuttermitteln. Sind auch 
leicht verdaulich. Von den Nährstoffen ver¬ 
dauten : 


Rohprotein Roh fett 

Wiederkäuer 88,’ 9 % 74*7 % 

Pfordo 83'0 * 6*9, 

Schweine 85—90 „ 36—67 „ 

i. M. 88* 1 * i. M. 49*2 „ 


Stickstofffreie 
Extractstoffe 
93 ’ 3 % 

89 0 „ 
95-99 „ 


Die Körner werden am besten als Schrot, 
mit Häcksel u. dgl. vermengt, verfüttert. Sie 
sind ein vorzügliches Kraftfutter für Zug¬ 
pferde, denen man davon bis zur Hälfte der 
Körnerration geben kann. Vortreffliches Bei¬ 
futter für zurückgebliebene Fohlen (1 —t Pfd.), 
überhaupt für die Aufzucht. Weniger gut 
geeignet für tragende Thiere, weil zu 
stickstoffreich und in grossen Mengen ver¬ 
füttert blähend. Mastfutter ersten Ranges für 
Schweine, weil sie, wie die Gerste, ein 
kerniges,' süsses Fleisch und ebensolchen 
Speck erzeugen. Wirken auch auf die Milch- 
secretion günstig ein: nach grossen Gaben 
wird jedoch die Butter zu hart. 

Erbsenstroh enthält: 


-88'1, im 

Mittel 85*7% 

Trockensubstanz 

-10*1 „ 

„ 7*3 .. 

stickstoffhaltige Stoffe 

3'3 „ 

2*0 

Roh fett 

-39 8 „ 

32'3 

stickstofffreie Extractstoffe 

-51 * 8 

.. 39'2 

Holzfaser 

— „ 

4*9 .. 

Asche 


Eine der gehaltvollsten Strohsorten und 
auch leicht verdaulich. Von sehr gutem Erbsen¬ 
stroh verdauten Wiederkäuer 60*5% Roh¬ 
protein, 45*9% Rohfett, 64*4% stickstoff¬ 
freie Extractstoffe. Kann, wenn in tadel¬ 
losem Zustande, sogar als theilweiser Ersatz 
des Wiesenheues für Jungvieh dienen und ist 
ebensogut geeignet für Rindvieh, Schafe und 
Pferde. Für Milchvieh ist es nur als Neben- 
futter verwendbar, weil zu grosse Gaben die 
Milchproduction übel beeinflussen. Leider sind 
das Erbsenstroh und die Spreu häufig von 
verschiedenen Scbmarotzerpilzen [Mehlthau, 
Eischimmel (Oidium erysiphoides), Schimmel 
(Peronospora Viciae), Rost, Erbsen schoten- 
rost (Gloesporinm Pisi), Schwärze (Clado- 
sporium herbarum) u. a.] befallen und in 



ERCOLANI. — ERDEN. 


631 


diesem Zustande ohne entsprechende Zube¬ 
reitung (Dämpfen) nur in geringen Mengen 
verfütterbar. 

Erbsenspreu enthält: 


85-7-87-8, im 

Mittel 

86-0 % 

Trockensubstanz 

7-2—15*8 „ 


10*3 „ 

stickstoffhaltige Stoffe 

1-0— 47 „ 


2-5 „ 

Rohfett 

30-0—36-6 n 


34 0 * 

.stickstofffreie Extractstoffe 

22*4—41*0 „ 


32 0 * 

Holzfaser 

— — „ 

* 

.7-2 „ 

Asche 


ist also noch wevthvoller wie das Stroh und 
jhrer Zusammensetzung nach mittlerem Wiesen¬ 
heu vergleichbar. Ist in ähnlicher Weise wie 
Stroh verwendbar und ausserdem als Zusatz 
des Kochfutters für Schweine gut geeignet. 

Als Abfälle bei Verarbeitung der Erbsen¬ 
körner zu Mehl u. dgl. sowie beim Schälen 
derselben resultiren verschiedene, ebenfalls, 
als Futtermittel gut verwendbare Materialien, 
als da sind: 




Erbsenkleie 

Erbsenkleie- Erbsen¬ 
mehl malzmehl 

mit Trockensub- 

f SG'3-87-7% 

84-6-87-7% 91 . g0/ 

im M. 86*4 „ yi J 


stanz 

lim M. 87-0 n 


stickstoffhal¬ 

I 71— 8'0 - 

110-16-4. 
imM. 14-7 , 1 " 


tigen Stoffen i 

1 im M. 7" 4 * 

** 

Rohfett | 

1 1-0— 2-6 „ 

1 im M. 1 • 5 „ 

0'7 — 3"S „ 2 .,. 

imM. 1-9 „ * ö ” 


stick stofffr. i 

121-6—35-5 * 

33-4-50-6 , 50 . 9 

‘imM. 40-8. J " 


Extractstoffen 

lim M. 29 0 „ 


Holzfaser j 

141-5—53-7 „ 
lim M. 46"3 „ 

13 6-32-3 „ ö .„ 

im M. 24 ‘ 8 „ ö u * 


Asche 

im M. 2'8 n 

im M. 4 2 „ 2 6 * 


Das Kleiemehl und das Malzmehl sind 
sehr gute Kraftfutterstoffe; bezüglich ihrer 
Verfütterung mag das bei den Körnern 
Gesagte gelten. Erbsenmehl enthält nach 
W o 1 ff: 86 * 6 % Trockensubstanz, 23 * 7 % stick¬ 
stoffhaltige Stoffe, 3'5%Rohfett, 54*5% stick¬ 
stofffreie Extractstoffe, 4‘5% Holzfaser und 
3*5% Asche. Die Erbsenkleie hat wegen 
ihres hohen Rohfaser- und geringen Nährstoff¬ 
gehaltes keinen grossen Futterwerth. Sie dient, 
wie die Reisschalen, häufig zur Verfälschung 
anderer Kleiesorten und von Futtermehlen. Pt. 

Ercolani G. B. Conte, Dr. med., geb. 1817, 
gest. 1884, war erst Professor an der Tbier- 
arzneischule zu Turin, dann zu Bologna. Gab 
1832 das esete italienische thierärztliche 
Journal „Giomale di Veterinaria“ in Gemein¬ 
schaft mit Lessona heraus. 1831—54 erschien 
von ihm „Ricerche storico-analitiche sugli 
scrittori di veterinaria“. 1860 begann Ercolani 
herauszugeben „Nuovi elementi di med. veter.“. 
Ercolani war einer der fruchtbarsten und 
thätigsten italienischen thierärztlichen Schrift¬ 
steller. - Semmtr . 

Erdäpfel, s. unter Kartoffel. 

Erdalkalien (erdige Alkalien) nennt man 
die Oxyde und Oxydhydrate der Erdalkali¬ 
metalle, also Baryt = BaO, Strontian = SrO, 
Kalk = CaO und Magnesia = MgO und die 
entsprechenden Hydroxyde; sie sind sämmt- 
lich weiss, in Wasser schwer löslich, bläuen 
rothes Lackmuspapier und fällen aus den 
Lösungen der meisten Metallsalze Metall¬ 
oxyde und Metalloxydffydrate, sie wirken 
weniger stark ätzend wie die Alkalien, ihre 
Lösungen nehmen aus der Luft Kohlensäure 
auf, unter Bildung von kohlensauren Salzen 
der betreffenden Erdalkalien, welche sich 
auescheiden. Die Lösungen der Erdalkalien 


in Wasser finden mannigfache Anwendung 
in der Medicin und in der chemischen Technik 
(s. Kalkwasser). Das Barytwasser wird bei 
hygienischen Untersuchungen zur Absorption 
der in einem bestimmten Volum Luft ent¬ 
haltenen Kohlensäure benützt (s. Luftana- 
lyse). Loebisch. m 

Erdalkalimetalle (Alkali-Erdmetalle), eine 
Gruppe ton Metallen, welche nach ihrem 
chemischen Verhalten die Stelle zwischen 
den beiden Gruppen, welche man als Alkalien 
und Erden bezeichnet, einnimrat. Man zählt 
nunmehr zu dieser Gruppe die drei Metalle 
Barium, Strontium und Calcium, früher wurde 
auch noch Magnesium hieher gerechnet, 
welches manche Eigenschaften allerdings 
mit diesen gemein hat, jedoch insbesondere 
wegen der Löslichkeit des Schwefel sauren 
Salzes m einer Gruppe mit Zink und 
Beryllium zusammengestellt wurde. Ent¬ 
sprechend der früher üblichen Eintheilung 
wurde demgemäss Magnesiumoxyd unter 
den Erdalkalien mitgerechnet. In ihren che¬ 
mischen Eigenschaften zeigen die drei Erd¬ 
metalle Calcium, .Strontium und Barium eine 
Steigerun g von dem Calci um mit dem niedrigsten 
Atomgewicht 40 beginnend bis zum Barium 
mit dem Atomgewicht 137. Summirt man 
die Atomgewichte von Calcium und Barium 
40 + 137 = 177 und theilt durch 2, so er¬ 
hält man das Atomgewicht des Strontium 87*5 
(statt 88*5), dessen chemisches Verhalten 
thatsächlich in der Mitte zwischen dem von 
Calcium und Barium liegt. So z. B. ist der 
schwefelsaure Baryt ganz unlöslich in Wasser, 
schwefelsaures Strontium schwer löslich darin, 
und schwefelsaurer Kalk leichter löslich. Das 
Bariumhydroxyd ist als Base energischer als 
Strontium- und Calciumhydroxyd, es ist lös¬ 
licher in Wasser urid zeigt die stärkste An¬ 
ziehungskraft zur Kohlensäure, welche es 
auch nicht so leicht beim Erhitzen abgibt 
wie Strontium und Calcium. Auch die Erd¬ 
alkalimetalle zerlegen das Wasser bei ge¬ 
wöhnlicher Temperatur unter gleichzeitiger 
Entwicklung von Wasserstoff, doch auch diese 
Reaction geht bei der Einwirkung von Barium 
auf Wasser mit grösserer Energie vor sich 
ais bei der von Strontium und Calcium. 
Magnesiummetall ist nicht im Stande, das 
Wasser bei gewöhnlicher Temperatur zu zer¬ 
legen, es leistet dies selbst bei Siedhitze nur 
langsam, ein Grundmehr, warum dasselbe nicht 
in dieser Gruppe mitgezählt werden soll. Lh. 

Erdbirnen, s. unter Topinambur. 

Erde, japanische, Terra japonica, der 
getrocknete Baumsaft mehrerer ostasiatischer 
Bäume oder Sträucher, der unter dem Namen 
Katechu officinell ist (s. d.). Vogel. 

Erdtyyi M. (1782—1837) studirte Thier¬ 
arzneiwissenschaft in Wien, wurde erst Cor- 
repetitor, dann Professor für Zootomie und 
Zoophysiologie am Wiener Thierarznei-Institut. 
Erdölyi gab. heraus Schriften über Druse, 
über Anatomie, Physiologie. Alterslehre. Sr. 

Erden werden die Oxyae der Erdmetalle 
genannt, also die Sauerstoffverbindungen von 
Aluminium und den sehr seltenen Metallen 



632 


ERDFLOH. — ERDNÜSSE UND ERDNUSSKÜCHEN. 


Yttrium, Erbium, Cer, Lanthan, Didym. Die 
Erden sind farblos, in Wasser unlöslich, die 
Oxydhydrate der Erdmetalle sind schwache 
Basen, sic bläuen Lackmuspapier. Das Thon¬ 
erdehydrat, Aluminiumoxydhydrat verhält sich 
starken Basen gegenüber wie eine Säure. Lh . 

* Erdfloh* Flohkäfer (Haltica), kleiner 
Blattkäfer mit vier Gliedern an jedem Fusse, 
welcher wegen seines bedeutenden Spring¬ 
vermögens vermittelst seiner verdickten Hinter¬ 
schenkel den Namen Floh erhalten hat, ob¬ 
gleich er mit dem eigentlichen Floh (Pulex), 
welcher zu den Zweiflüglern gehört, nichts 
gemein hat. Alle Erdflöhe — es* leben in 
Europa mehrere hundert Arten — haben 
einen mehr geschlossenen, eiförmigen oder 
halbkugeligen Körper, fadenförmige, ziemlich 
lange Fühler, durch welche sie sich, abge¬ 
sehen von der springenden Bewegung, am 
auffälligsten von aem Rapsglanzkäfer (Meli- 
getlies) mit keulenförmigen Fühlern, mit dem 
sie häufig verwechselt.werden, unterscheiden. 
Ihr Körper zeigt meistens einen metallischen 
Glanz bei meist grünlicher bis schwarzer 
Färbung. Einzelne Arten sind mit Abzeichen 
versehen, so z.B. zeigt der gelbgestreifte Erdfloh 


Fig. 517. Erdfloh, Haltica nemorum. a Larve; b Pupyo; 
c Käfer. 

(Haltica nemorum, Fig. 517) auf jeder Flügel¬ 
decke einen gelben Längsstreifen. Die Larven 
sämmtlicher Arten sind mit drei Paar Brust¬ 
beinen, dunkelgefärbtem Kopfe versehen und 
weiss bis gelb gefärbt. Alle Arten ernähren 
sich von Pflanzen, besonders beliebt sind bei 
vielen Arten die sog. Kreuzblüthler (Kohl¬ 
arten, Raps, Rettig etc.)/ Wegen ihrer grossen 
Anzahl — der Erdfloh hat mehrere Gene¬ 
rationen in einem Jahre — und weil sie 
schon die Keimblätter der eben genannten 
Pflanzen vernichten, überhaupt die Pflanzen 
im zartesten Alter angreifen, werden sie für 
Landwirtschaft und Gartencultur sehr nach¬ 
theilig: sie machen in manchen Jahrgängen 
die Cultur kohlartiger Gewächse geradezu 
unmöglich. Haben die Pflänzchen bereits 
mehrere Blätter, so überwinden sie den Frass 
der Erdflöhe leichter. Jedoch kommt es vor, 
besonders in warmen, trockenen Sommern, 
dass Pflanzen, die bereits zum Umsetzen 
herangewachsen sind, bis zum Absterben 
oder doch Verkümmern zerfressen werden. 
Die Zerstörungen der Erdflöhe sind daran 
erkenntlich, dass die Blätter vielfach durch¬ 
löchert, aber niemals vom Ran3e her ange¬ 
griffen sind. Die Larven vieler Arten leben im 
Blattgewebe und Stengel verschiedener Pflan¬ 
zen; sie sind im Allgemeinen wenig schädlich. 


Bezüglich der Vertilgung des Käfers können 
wir behaupten, dass wir bis jetzt kein sicheres 
Mittel haben, die Pflanzen vollständig vor 
den Erdflöhen zu schützen, eventuell letztere 
zu vertilgen. Brümmer. 

Erdgallkraut, das bei uns allgemein -und 
fast in ganz Europa verbreitete, mit den rosen- 
rothenBlüthen gesammelte Kraut derGen%nee 
Erythraea Centaurium (s. d.). Vogel. 

•Erdmandelöl nennt man das fette Oel 
der Wurzelknollen von Cyperus esculentus L.,* 

- es riecht nach Haselnüssen, schmeckt schwach 
kampherartig und ist reich ah Pflanzenfett, 
lässt sich daher leicht verseifen. Loebisch. 

Erdmann C. G. H., Dr. phil., war Lehrer 
der ‘Chemie, Physik und Pharmacie an der 
.Thierarzneischule zu Berlin. 1841 gab Erd¬ 
mann ein Lehrbuch der Chemie und Pharma¬ 
kologie für Aerzte, Thierärzte und Pharma- 
ceuten heraus. In Gemeinschaft mit Hcrtwig 
verfasste er 1856 eine Receptirkunde und 
Pharmakopöe für Thierärzte, die mehrere Auf¬ 
lagen erlebte. Sertimer. 

Erdmetalle. In diese Gruppe von Me¬ 
tallen gehören Aluminium, Yttrium, Erbium, 
Cer, Lanthan, Didvm, von denen das Alumi¬ 
nium wegen seiner grossen Verbreitung in der 
Erdrinde in Form seiner Sauerstoffverbindung 
A1 S 0 S = Thonerde, der ganzen Gruppe den 
Namen gegeben hat. Die Oxyde der Erd¬ 
metalle sind ebenso wie die der Alkalien und 
Erdalkalien weder durch Kohlenstoff noch 
durch Wasserstoff reducirbar. Hingegen zer¬ 
setzt das Aluminium das Wasser bei höherer 
Temperatur ähnlich dem Eisen unter Bildung 
von Aluminiumoxyd und Entwicklung von 
Wasserstoff. Loebisch. 

Erdnüsse und Erdnusskuchen als Futter¬ 
mittel. Die Früchte oder Samen derErdnuss- 
pflanze (Arachis hypogaea) r welche in den tropi¬ 
schen Ländern (westliches Afrika, Südamerika, 
Ostindien, China, Japan) im Grossen angebaut' 
wird, werden in riesigen Quantitäten behufs 
Oelgewinnung nach Europa importirt. Die 
Samen *), welche man auch Erdmandel, Erd¬ 
pistazie oder Mandudibohne nennt, dienen 
ausserdem in den bezeichneten Ländern als 
Nahrungsmittel; sie kommen in der Erde zur 
Reife, indem sich die Blüthenstiele der frucht- 

- baren Schmetterlingsblüthen (Papilionaecae) 
nach dem Abblühen derart verlängern und 
nach abwärts senken, dass der Fruchtknoten 
schliesslich 5—8 cm tief in die Erde eindringt. 
Die Fruchthülsen enthalten 2—3 längliclie 
Samen, welche rothbraun sind, Zuweilen aucli. 
weisslich. Die Samenlappen sind haselnuss- 
artig, von süsslich-öligem Geschmack und sehr 
ölreich. Sie enthalten: 

93*2 — 93’7, im Mittel 93’5% Trockensubstanz 

— — r - 2S 2 * stickstoffhaltige Stoffe 

31 • 0 — r,rr, . . 41-0 * Rohfett**) 

• — — * 7*2 „ 8tickstofffr.Exfcract8t.offe***) 

— „ 13*0 r Holzfaser 

— -- r - 3'i, Asche • 

*) Nicht zu verwechseln mit den Worzelknollcn von 
Lathyrus tuherosus und Carum bulbocastannm, die man 
gleichfalls Erdnüsse nennt. 

**) Das Erdnussöl enthalt Glyceride dpr Palmitin-, 
Hypngaoa- und Avachinsäure. 

* * * • Dm stfekstofffreien Evtractstoffe bestehen grossen- 
theils aus Starke, etwas Gummi und Zucker. » 





ERDNÜSSE UND ERDNUSSKUCHEN. 


633 


Die besten Erdnüsse kommen aus dem 
Cayor-District in Senegambien (Rufisque), und 
wird aus denselben ein hochfeines Salatöl 
hergestellt. Weniger fein sind die Congo- und 
Zanzibar-Nüsse. Aus indischen Nüssen wird 
nur Oel zu technischen Zwecken (Seifenfabri- 
cation) gewonnen. Die Erduüsse werden ent¬ 
weder mit oder ohne Hülsen verschifft. Die 
erstere Methode ist vorzuziehen, weil die Nüsse 
dabei meist in besserem Zustande in die Oel- 
fabriken gelangen, woselbst aus ihnen das ent¬ 
haltene Oel durch hydraulische Pressung ge¬ 
wonnen wird. Freilich werden die Samen auf 
diese Weise nicht vollständig entölt und ent¬ 
halten die als Futtermittel verwendeten Press¬ 
rückstände noch mehr oder minder beträcht¬ 
liche Fettmengen, was wesentlich zur Er¬ 
höhung des Futterwerthes beiträgt. Eine 
vollständigere Entfettung erzielt man ver¬ 
mittelst Extraction durch Schwefelkohlenstoff. 
•Ersterenfalls resultiren kuchenartige Rück¬ 
stände, die sog. Erdnusskuchen, letzteren- 
falls Mehle, nämlich das Erdnussmehl. Die 
im Handel vorkommenden Erdnussmehle sind 
übrigens zuweilen auch nichts Anderes wie 
gemahlene Kuchen und heissen dann richtiger 
Erdnusskuchenmehl. Am bekanntesten * 
und verbreitetsten sind die Erdnusskuchen, 
von denen man wieder zwei Sorten unter¬ 
scheidet, nämlich geschälte (aus geschälten 
Früchten gewonnene) und ungeschälte (von 
nicht enthülsten Samen herrührend). Die 
ersteren sind entschieden die werthvolleren. 
Sie können nach v. 0liech dadurch noch 
weiter veredelt werden, „dass man vor dem 
Pressen die röthlichbraune Samenhaut und 
den Keimling, welche einen bitteren Geschmack 
besitzen und oft die Ursache sind, dass die 
Kuchen nicht gerne von dem Vieh genommen 
werden, durch Schälen entfernt“. 

Die geschältem Kuchen enthalten: 


87 ö—92 2, im 

Mittel 90‘0% Trockensubstanz 

36-5—52-9 „ 

47*6 „ stickstoffhaltige Stoffe 

17—'75-6 

7 5 Rohfett 

17*2—33'6 „ 

., 24 ’0 „ stickstofffreie Extraetstoffe 

3-8— 8*2 „ 

„ 5'4 , Holzfaser 

— - „ 

„ 6'6 „ Asche 


Sie gehören zu den stickstoffreichsten 
vegetabilischen Kraftfuttermitteln und zeichnen 
sich den ungeschälten Kuchen gegenüber 
vor Allem durch ihren höheren Protein- und 
geringeren Rohfasergehalt aus.. Die- unge¬ 
schälten Kuchen enthalten: 

8s'2—92‘2, im Mittel 90'2% Trockensubstanz 


23 2—37-2 r 

„ 31*0 * 

stickstoffhaltige Stoffe * 

5-1 —11-2 r 

^ 8'9 „ 

Roh fett 

11-9—30-2 * 

, 20*7 „ 

stickstofffreie Extraetstoffe 

191— 28-0 * 

- 22 7 „ 

Holzfaser 

— — * 

„ 69 n 

Asche 


Die Verdaulichkeit der geschälten Erd¬ 
nusskuchen für Wiederkäuer beziffert v. Wolff 
nach einem Verdauungsversuch mit Schafen 
auf 90*9% des Rohproteins, 85*7% des Roh¬ 
fettes und 98 * 1 % der stickstofffreien Extract- 
stoffe. Gute Erdnusskuchen sind von weissröth- 
licher oder weissgrauer Farbe, angenehm süs§- 
lichem Geschmack und zcrtheilen sich, wenn 
man sie in Wasser verrührt, leicht. Wenn man 
mit Wasser verrührtes Kuchenmehl oder der- 
gleichenin einemhohen Trinkglas mit Jodlösung 


versetzt, soll es nach Holdefleiss eine schöne 
Blaufärbung zeigen, während schlechte (verdor¬ 
bene) Kuchen eine mehr grünliche bis schmutzig- 
grüne Färbung annehmen, weil die in ihnen 
vorhandene Stärke sich zersetzt hat. Alle land- 
wirthschaftlichen Nutzthiere verzehren gute 
Erdnusskuchen ihres Wohlgeschmackes wegen 
mit Vorliebe. Die Erdnusskuchen sind besonders ■ 
als Kraftfutter für Milchkühe hoch beliebt, weil 
sie die Milchqualität günstig beeinflussen. Auch 
zürn theilweisen Ersatz des Hafers für Pferde 
haben sie sich gut bewährt. C. Frey tag und 
v. d. Becke empfehlen z. B. Pferden an¬ 
statt 6 kg Hafer nur 4 kg Hafer und 1 kg 
Erdnusskuchen zu geben. Die Pferde erwiesen 
sich nach der Beifütterung von Erdnusskuchen 
feuriger und ausdauernder. In Trankform ver¬ 
abreicht, befördern die Erdnusskuchen den 
Haarwechsel. Man gibt sie übrigens sonst den 
Thieren am besten in Schrotform vor: das 
Schrot wird trocken über das andere Kurz- 
futter gestreut, resp. mit diesem vermengt., 
In letzterer Form sind sie auch als Kraft¬ 
futter für Schafe, Schweine, Jung- und 
Mastvieh gut verwendbar. Andere Beschrän¬ 
kungen, als sich aus dem hohen Nährstoff¬ 
gehalt der Kuchen von selbst ergeben, sind 
bezüglich der Grösse der zu verabreichenden 
Mengen nicht zu beobachten, wenn die Kuchen 
oder Kuchenmehle von tadelloser Beschaffenheit 
sind. Es kommt aber sehr häufig vor, dass 
mit schädlichen Fremdbestandtheilen (Haaren, 
Eisen- und Blechtheilcn, Sand u. dgl.)' ver¬ 
mischte, ferner stark mit Mikroorganismen 
durchsetzte, ranzige und schimmlige Kuchen, 

% sowie auch mit schädlichen Substanzen ab¬ 
sichtlich vermischte Kuchen und Kuchenmehle 
in den Handel gebracht werden. Hiedurch ist 
die Erdnusskuchenfütterung in Misscredit ge¬ 
bracht worden, indem sie nämlich zuweilen 
heftige Verdauungsstörungen (Koliken, Durch¬ 
fälle), Verwerfen der Mutterthiere, Gelenklähme' 
beim Jungvieh, Sterben der Lämmer und 
Milchkühe verursachte. 

Die in den Kuchen oft .reichlich vorhan¬ 
denen Haare rühren von den aus Kameel¬ 
oder Pferdehaar gewebten Presstüchern her. 
Man kann die Haare nur dadurch beseitigen, 
dass die Kuchen gemahlen und ausgesiebt 
werden. Cohn und Eidam fanden in Erd- 
nüsskuchen einen gelben und einen schwarzen 
Aspergillus, ferner mehrere Mucorarten. Diese 
und wahrscheinlich noch andere Mikroorga¬ 
nismen (Bacterium und Micrococcus) ver¬ 
ursachen durch ihre Wucherung in den Erd¬ 
nusskuchen oder auf den Erdnüssen zweifellos 
einschneidende Veränderungen, die sich nach 
Holdefleiss hauptsächlich durch Zurück¬ 
gehen des Eiweissgehaltes kenntlich machen. 
Jedenfalls führen sie zur Entstehung gesund¬ 
heitsschädlicher Zersetzungsproducte, wie z. B. 
von Ptomainen (den Pflänzenalkaloiden ähn¬ 
liche Substanzen), die ja zum Theil sehr giftig 
sind. Dass viele Krankheiten, welche nach dem 
Genüsse zersetzter Nahrungsmittel auftreten, 
durch Ptomaine hervorgebracht werden, scheint 
nach neueren Untersuchungen kaum mehr 
zweifelhaft zu sein. (Bergmann hat eine pto- 



634 


ERDNUSSÖL. — ERDT. 


mainähnliche Substanz [Sepsin] in gefaulter 
Hefe gefunden. Nach den Untersuchungen von 
Brugnatelli, ferner von Pellagio und Erba ist es 
höchst wahrscheinlich, dass die Pellagra [Lepra 
lombardica] auf im faulenden Mais entstehende 
Ptomaine zurückzuführen ist.) Verdächtig 
sind alle chö coladefarbigen, überhaupt 
dunkel gefärbten Kuchen. Sie rühren meist von 
unreifen, beim Seetransport verdorbenen Samen 
her, enthalten ranziges Fett, zersetzte Stärke, 
viele Pilzorganismen und sind daher stets nur 
mit grosser Vorsicht zu verfüttern. Schmecken 
die Kuchen ranzig, bitter und herb, so kann man 
um so bestimmter annehmen, dass sie verdorben 
sind. Besonders zu warnen ist vor den absicht¬ 
lich verfälschten Erdnusskuchen. Dr. Anacker 
fand z. B. in Erdnusskuchen, die sich als in¬ 
tensiv gesundheitsschädlich für Kühe, Kälber, 
Schafe und Ziegen erwiesen hatten, neben 
Pilzwucherungen vielen Sand, Steinchen so¬ 
wie Ricinus- und Crotonöl. Heinrich hat 
einige Erdnusskuchen untersucht, welche wenig 
oder gar kein Erdnussöl, dagegen aber 9% 
eines dunklen, braunen Oeles enthielten (wahr¬ 
scheinlich Baumwollsamenöl), das denselben 
künstlich zu gesetzt worden sein musste. 

Die beim Enthülsen der Erdnüsse resul- 
tirenden Schalen, welche im gemahlenen 
Zustande zur Verfälschung von Leinmehl u. dgl. 
dienten, werden neuestens auch als Futter¬ 
mittel ausgeboten. Bei verschiedenen Proben 
dieser Schalen („Erdnusskleie“) schwankte der 
Proteingehalt zwischen 6*55 und 20*74%, 
der Fettgehalt zwischen 2*85 und 17*34%, 
und sind dieselben mithin nicht ganz werthlos. 
Sie gelten aber gewiss nicht mit Unrecht 
als schwerverdaulich. Pott. 

Erdnussöl. Das aus den Blüthen der in 
Nordamerika häufig wachsenden Gaultheria 
procumbens L. bereitete Gaultheriaöl, im 
amerikanischen Volksmund auch Wintergreen- 
oil genannt. Es ist frisch farblos, wird aber 
an der Luft röthlich, von angenehmem Ge¬ 
ruch und süsslich gewürzhaftem Geschmack. 
Es siedet zwischen 200 und 222 °C. Es ist ein 
Gemenge von etwa °/ 10 des Methyläthers der 
Salicylsäure und l / xo eines dem Pfeiferöl ähn¬ 
lich riechenden Kamphers des Gaultherileus. 
Das Erdnussöl gehört in Nordamerika zu den 
populärsten Hausmitteln zur Einreibung bei 
rheumatischen Schmerzen, auch als Wund¬ 
verbandmittel. In grösseren Dosen (30 g) in¬ 
nerlich als Magenmittel angewendet, wurden 
bei Kindern Vergiftungen beobachtet. Lh . 

Erdöl (Steinöl, Petroleum, Naphtha). Schon 
im Alterthum waren Quellen bekannt, welche 
angezündet brannten. Berühmt waren in dieser 
Beziehung die Quellen von Agrigent inSicilien, 
von Baku in Kleinasien am kaspischen Meere, 
ln neuerer Zeit wurden in Pennsylvanien 
ausserordentlich reiche Quellen von Erdöl 
erschlossen, wodurch dasselbe diesseits und 
jenseits des Oceans zu einem weitverbreiteten 
Beleuchtungs- und Heizmateriale wurde. Die 
Erdöle verdanken ihre Entzündungsfähig¬ 
keit den Kohlenwasserstoffen, aus denen 
sie bestehen. Sie sind nämlich Gemenge 
mehrerer Kohlenwasserstoffe der Sumpfgas- 


und Aethylenreihe. In der homologen Reihe 
der genannten Kohlenwasserstoffe, in welcher 
jedes nachfolgende Glied um 1 Atom Kohlen¬ 
stoff und um 2 Atome Wasserstoff mehr ent¬ 
hält als das vorhergehende Glied, verhält 
sich der Aggregatzustand der Kohlenwasser¬ 
stoffe in der Weise, dass diejenigen mit wenig 
Kohlenstoff bei gewöhnlicher Temperatur gas¬ 
förmig, diehiit mehr Kohlenstoff unter gleichen 
Verhältnissen flüssig und die mit noch mehr 
Kohlenstoff bei gewöhnlicher Temperatur starr 
sind. Das Erdöl besteht demnach aus einem 
Gemenge von leichtflüchtigen, flüssigen und 
starren Kohlenwasserstoffen, welche letztere 
durch die flüssigen in Lösung gehalten wer¬ 
den. Durch die Gegenwart der leicht flüch¬ 
tigen Kohlenwasserstoffe erhält das Erdöl 
die Fähigkeit, schon bei relativ niedriger 
Temperatur sich zu entzünden. Da hiedurch 
beim Gebrauch des Erdöls häufig Explosionen 
stattfanden, war die Industrie darauf bedacht, 
die leichtflüchtigen Bestandtheile von den¬ 
selben zu trennen, in der Weise, dass gegen- 
wärtignur solches Petroleum zur Beleuchtung 
in den hiefür construirten Lampen benützt 
werden darf, aus welchem sämmtliche bei 
80° C. siedenden Kohlenwasserstoffe durch 
Destillation entfernt sind. Ein solches Erdöl 
heisst dann raffinirtes Petroleum. Die wich¬ 
tigsten Producte, welche man bei der De¬ 
stillation des rohenErdöls gewinnt, sind: 
1. Als flüchtigstes Product das bei 30° C. 
siedende Rhigolen. 2. Zwischen 50—60° 
siedend Petrol eumäth er vom spec. Gew. 0*67 
in der chemischen Technik häufig benützt. 

3. Ein etwas höher siedender Petroleum¬ 
äther (II) wird in der Industrie zum Aus¬ 
ziehen von Oel und Fett aus Samen benützt. 

4. Bei 80° C. gewinnt man das Benzin und 
das diesem ähnliche Ligroin, welches schon 
als Brennmaterial in eigens hiezu construirten 
Lampen benützt wird. Alle bisher genannten 
Stoffe haben einen eigentümlichen ätherischen 
Geruch und sind wegen ihrer grossen Flüch¬ 
tigkeit sehr feuergefährlich. Das gereinigte 
Petroleum ist nun von allen diesen Stoffen 
durch Destillation befreit, zeigt das spec. 
Gew. von 0*78—0*82 und brennt nur mit 
Hilfe eines Dochtes. Es ist wasserhell schwach 
gelblich und schillert schön blau. Nachdem 
dieses Brennöl abdestillirt wurde, bleiben noch 
schwere Gele von 0*9 spec. Gew. zurück, 
welche als Schmieröle benützt werden; 
manche Erdölsorten liefern als letzten Rück¬ 
stand feste Kohlenwasserstoffe, welche als 
Paraffin in den Handel kommen. Loebisch. 

Das Erdöl ist als Antiparasiticum offici- 
nell, u. zw. nach der Pharmacopoea Austriaca 
unter dem Namen Petroleum rectificatum und 
nach der Pharmacopoea Germanica als Benzi- 
num Petrolei (s. Benzin und Benzol). Vogel. 

Er d8 eileibe, 8. Cyclamen europaeum. 

Erdschierling. s. Conium maculatum. 

Erdt W. E. H. studirte Thierarzneikunde 
in Berlin, schrieb in Gurlt und Hertwig’s Maga¬ 
zin über Schafkrankheiten, KnochenraehlfÜtte- 
rung, das Thierarzneiwesen im preussischen 
Staate (1861—1862). Semmer. 



- >* REGISTER ZUM ZWEITEN BAND. - 

(Dieses Register vervollständigt, ergänzt und berichtigt die Materie des II. Randes.) 


BUCHELN. 

Buchein, s. Bucheckern. 

Bügel, s. Kehlkopf der Vögel 

Caniramin, eine von Geiger für das Bru- 
cin vorgeschlagenc Benennung, herrührend 
von dem ostindischen Namen der Brechnuss, in 
welcher das Alkaloid Brucin neben Strychnin 
vorkommt. Loe bisch. 

Canis familiaris palustris lado- 
gensis. Beim Durchstich des Siaser Canales 
am Ladoga-See fand man in Weehsellagern 
von Torf und Sand Knochen des Menschen und 
des Hundes nebst Culturspuren. Diese Funde 
wurden wegen der Fauna und der Stein- und 
Bein Werkzeuge in die prähistorische Periode 
zwischen die dänischen Küchcnabfälle (Kjüken- 
möddinger, s. d.) und die Schweizer Pfahl¬ 
bauten, u. zw. in die neolithische Zeit gestellt. 
Prof. Anucin in Moskau berichtet nun. dass 
sich unter den ihm von Prof. Inostranzew 
übergebenen Resten zwei Hundeformen befin¬ 
den, eine kleinere und eine grössere. Die 
kleinere Form Nr. 1 stimmt im Ganzen mit 
Canis familiaris palustris Etitim. (s. d.) über¬ 
ein, besonders mit den stärksten Exemplaren, 
ist jedoch nicht identisch mit demselben: das 
Profil ist minder eingebogen, die Schnauze 
weniger gespitzt, im Allgemeinen war dieser 
Hund minder zahm als der Torfhund. Anucin 
vergleicht diesen v Ladogasee-Hund mit dem 
sibirischen Hund n Safka u und findet die grösste 
Uebereinstimmung, woraus hervorgehen soll, 
dass der Canis familiaris palustris ladogensis 
nicht minder verbreitet war als der Torfhund. 

Canis familiaris Inostranzew. Die 
grössere Hundeform Nr. 2 der am Ladoga-See 
entdeckten prähistorischen Funde stimmt in 
Gestalt überein mit Canis familiaris inter- 
medius Woldrich (s. d.), ist jedoch ebenfalls 
grösser, hat beinahe die Grösse des Bronze¬ 
hundes (Canis familiaris matris optimae Jeitt., 
s. d.): diese Form wird von Anucin Canis 
familiaris Inostranzew benannt. 

Literatur. D. N Anucin, Sobakn, wolk i lisica (Hund, 
Wolf und Fuchs), Moskau 1882. Mit 2 Tafeln. Mittheiluugen 
der anthrop. Gesellschaft in Wien 1883, XIII. Baud, p. 82. 

Koudclka. 

Caraooiiren von caracoler, d. h. schnelle 
Wendung, Schwenkung mit dem Pferde 
machen. Das Pferd führt eine Viertelum¬ 
drehung aus, wobei jedoch nicht an Boden 
gewonnen werden darf. Um schön caracoliren 
zu können, muss das Pferd gut auf der Stelle 
versammelt und darauf erst die Wendung 
gemacht werden. Grassmann . 

Ceremonialge8etz. Im Allgemeinen der 
Inbegriff jener Bestimmungen in den Gesetz¬ 
gebungen der Völker im Alterthume und der 


— EMBRYO. 

heidnischen Völker bis auf unsere Zeit, durch 
welche der Götter-, insbesondere der Opfer¬ 
dienst geregelt wird. 

Da in den meisten Staaten des Alter¬ 
thums die Staatseinlichtung auf theokrati- 
scher Grundlage beruhte und der Götter- 
cultus eine der wichtigsten staatlichen Func¬ 
tionen war, so bildete auch das Ceremo- 
nialgesetz den hervorragendsten Theil der 
Staatsverfassung. 

Im engeren Sinne versteht man unter 
Ceremonialgesetz die auf den Gottesdienst 
Bezug habenden Theile des mosaischen Ge¬ 
setzes. insbesondere die Vorschriften über die 
während der staatlichen Selbständigkeit der 
Juden geübten Opferdienste, wie sie ur¬ 
sprünglich in den. fünf Büchern Mosis fest¬ 
gesetzt wurden und hierauf durch Tradition 
weitere Ausbildung fanden. 

Den Abschluss und die nähere Erklärung 
fand das mosaische Ceremonialgesetz iin 
Talmud. Mansch . 

Cervicalcanal, s. Gebärmutter. 

Chätillonal8. Die mit diesem Namen be- 
zeichneten Schafe gehören dem reinen Me¬ 
rinostypus an (Merinosschaf). Deren Ver¬ 
breitungsbezirk ist, wie schon der Name an¬ 
zeigt, die Umgegend von Chätillon-sur-Seine, 
Hauptstadt des gleichnamigen Arrondisse- 
* ments im Departement Cöte <TOr, eine Hoch¬ 
ebene mit mildem und warmem Klima. Nach 
der Saöne zu finden sich reiche Weiden, 
vorzüglich zur Schafzucht und Viehmast ge¬ 
eignet. Die unter dem Namen Chätillonais 
bekannten Schafe sind wohl reine Merino8- 
rasse, es führen einzelne Heerden, wie die 
von Montenot-Beau zu Nesles, nachweislich 
auf rein spanische Abkunft zurück. Früher 
war bei der Zucht dieses Typus die Produc¬ 
tion einer hochfeinen edlen Wolle der erste 
Factor, weniger wurde auf Formenentwicklung 
Gewicht gelegt; in neuerer Zeit hat man 
auch dieser Rechnung getragen und gestrebt, 
die Formen zu vergrössern und für Fleisch¬ 
bildung geeigneter zu machen, wobei dann 
allerdings den Adel und die Feinheit der 
Wolle Einbnsse erleiden mussten. Als die 
beste Heerde, welche beide Eigenschaften 
am glücklichsten zu vereinigen wusste, wird 
diejenige von Japiot-Cotton gerühmt; ebenso 
die des Herrn A. Maitre in Chätillon, die 
sich noch durch bessere Fleischformen aus¬ 
zeichnen soll. Häufig kommen bei den Chä¬ 
tillonais ungehörnte Böcke vor. Bohm. 

Chevißtschaf. Der Heimatsbezirk des¬ 
selben ist Süd-Schottland, u. zw. ganz speciell 
sind es die Cheviotberge, die nordöstlichsten 



REGISTER ZUM ZWEITEN BAND. 


Ausläufer der schottischen Grenzgebirge. Diese 
Cheviotberge sind eine Reihe einzelner Kegel- 
formen, welche sich theils in ihrer Grund¬ 
fläche berühren, theils durch fruchtbare Thäler 
von einander getrennt sind. Die Vegetation 
auf den Bergkegeln ist bis fast auf die Spitze 
eine ausgiebige; verschiedene Grasarten, wilder 
Feldkümmel und Farrenkräuter gedeihen dort 
vorzüglich und überziehen das Erdreichen 
dichter Decke. Nach Norden zu verlaufen 
diese Bergkegel schliesslich in Haideland, 
nach Süden zu in fruchtbaren Boden. 

Die erste Schilderung des dort heimischen 
'Schafes erhalten wir im Jahre 1792 von 
Sinclair; danach waren die Thiere gut von 
Formen und so gut entwickelt, dass das 
Vordertheil kn Schlachtgewichte dem Hinter- 
theil gleichkam. Nach ihm waren die Thiere 
hochbeinig, erreichten dadurch aber eine 
grössere Marschfertigkeit, was ihnen bei der 
Ueberschreitung von Sümpfen und Schnee¬ 
feldern sehr zu statten gekommen wäre. Das 
Vliess ist nach seiner Angabe ein im Stapel 
kürzeres und dabei in der Decke gut geschlos¬ 
senes. Die Haltung der Thiere scheint in 
jenen Zeiten eine sehr harte gewpsen zu sein, 
denn er nennt sie gute Schneegänger und 
erwähnt, dass sie künstliches Futter nie er¬ 
hielten, als nur, wenn sie gemästet würden. 
D. Low schildert die Thiere als in beiden 
Geschlechtern ungehörnt, mit fast durch- 
gehends weissen Gesichtern, höchst selten 
nur käme ein dunkelgefärbtes (dun) vor. Das 
herYorstehende Auge sei lebhaft, das Ohr 
gross, der Leib lang, daher dasselbe auch 
im Volksmunde dort als „lange Rasse“ be¬ 
zeichnet würde. 

Die Thiere besitzen ein grosses An¬ 
passungsvermögen, fugen sich leicht den ver¬ 
schiedensten Lebensbedingungen; in. flacher, 
nahrhafter Gegend werden sie grösser, ihre# 
ganzen Körperverhältnisse schwerer, massiger, 
in dürftigeren "Gegenden sind sie leichter 
und kleiner. Die Wolle des früheren. Cheviot¬ 
schafes gehörte zu den feinsten Englands, 
wenn auch nicht ganz so fein als die des 
Ryelandschafes, doch gehörte solches noch 
Römer zu derjenigen Gruppe von Schafen, 
deren Wollkleid aus dem reinen, markfreien 
Wollhaare ohne jede Beimischung von Grannen¬ 
haar besteht. Low gibt das Durchschnitts¬ 
gewicht des Vliesses in gewaschenem Zu¬ 
stande auf 1*50 kg an. Das Fleisch wurde 
als ein sehr schmackhaftes gerühmt. 

Mit vorschreitender Cultur haben die 
Züchter dieses Schafes sehr grosse Sorgfalt 
auf dasselbe verwendet, namentlich auf die 
Entwicklung von Fleischformen. Die Er¬ 
nährungsweise ist eine ganz andere geworden, 
man baut Turnips für dieselben, sorgt für 
die Winterszeit auch für gutes, trockenes 
Futter. Um grössere und entwickeltere Fleisch¬ 
formen zu erreichen, wurden vielfache Kreu¬ 
zungen, früher mit der Southdown-, dann mit 
der New-Leicesterzucht vorgenommen. Da¬ 
durch erhielt die Wolle einen ganz anderen 
Charakter. Das heutige improved Cheviot 
slieep trägt eine Wolle von bedeutend grösserer 


Haarstärke wie fiüher, die stark gewellt ist, 
einen seidenartigen Glanz hat und bei zwölf¬ 
monatlichem Wüchse eine Länge von 12 bis 
14 cm erreicht. Das Schurgewicht eines nur 
massig mit Fettschweiss durchsetzten Vliesses 
ist 2^-2 % kg, eignet sich aber nicht mehr 
wie früher zur Herstellung gewalkter Stoffe; 
dagegen wird es von deutschen Fabrikanten, 
namentlich in neuester Zeit zur Herstellung 
eleganter Kammgarnstoffe mit Vorliebe ver¬ 
arbeitet. Bohm. 

Chromogene Spaltpilze. Micrococcus galli~ 
narum. Irrthümlich ist dieser Spaltpilz der 
Hühnercholera unter die „Chromogenen Spalt¬ 
pilze“ gerathen, wohin er nicht gehört. Harz. 

Chymiflcationsmagen, s. Magen der Wie¬ 
derkäuer. 

Civilprocessverfahren oder bürgerliches 
Rechts verfahren erstreckt sich auf die. Ent¬ 
scheidung streitiger Civilrechtssachen und 
steht im Gegensatz zum Criminalprocess. Die 
meisten Sfreitigkeiten im Thierhandel werden 
auf civilrechtlichen Wege entschieden, da sie 
in die Gruppe der Schädigungen des Eigen¬ 
thums und Uebervortheilungen fallen. Nur die 
in böswilliger Absicht vorgenommenen Be¬ 
schädigungen und Tödtungen von Thieren 
und Fälschungen ira Thierhandel gehören vor 
das Criminalgericht. Semmer. 

Code. Im Allgemeinen Gesetzbuch. Im 
Besondern die französische Gesetzsammlung, 
die unter Napoleon I. in den Jahren 1804 bis 
1810 (code Napolöon) publicirt wurde. Sic 
zerfällt in 5 Thcile, u. zw.: Die Codificirung 
des Civilrechtcs (code civil), des Strafrechtes 
(code pönal), des Handelsrechtes (code de 
commerce), des Civilprocesses (code de pro- 
cödure civile) und des Strafprocesses (code 
dMnstruction criminelle). Der Code warde nicht 
allein in Frankreich, sondern auch in jenen 
Theilen Deutschlands publicirt, die zur Zeit der 
Entstehung des Code dem Rheinbunde ange¬ 
hörten. Aber auch nach Beendigung der Fran- 
zosenherrschaft blieb der code civil geltendes 
Recht in diesen deutschen Landen, so in den 
preussischen, bairischen und hessischen Rhein¬ 
provinzen und in Baden. Daselbst wurde" es 
als badisches Landrecht anerkannt. Ausserdem 
gelten alle Theile des Code mit mehrfachen 
Modificationen seit 1865 in Rumänien. Mansch. 

Codex. Im Allgemeinen ein Buch, ge¬ 
wöhnlich wird darunter ein Gesetzbuch ver¬ 
standen. Spcciell wird jedoch mit der Be¬ 
zeichnung Codex jener Theil der justiniani¬ 
schen Gesetzsammlung verstanden, der die 
Rescripte und Verordnungen des römischen 
Kaisers enthält. Er bildet einen Theil des 
corpus juris civilis, wurde im Jahre 529 n. Chr. 
unter der Regierung des Kaisers Justinian 
publicirt und zerfällt in 50 libri, welche wieder 
in Fragmente oder lcges (Gesetzes) zer¬ 
fallen. Als ein Theil des corpus juris civilis 
wurde der Codex auch in Deutschland ein¬ 
geführt und bildete daselbst einen Theil des 
geltenden gemeinen Rechtes. Mansch. 

Coloradokäfer, s. Kartoffelkäfer. 

Dalwitz. Das im Grossherzogthum Meck¬ 
lenburg-Schwerin unweit Teterow gelegene 



REGISTER ZUM ZWEITER BAND. 


Dalwitzer Gestüt des Heinrich Ludwig Grafen 
v. Bassewitz wird nicht nur auf Dalwitz, 
zu welchem Gross-Dalwitz gehört, sondern 
* auch auf den übrigen die Grafschaft bildenden 
Gütern Stechow, an dem Hennig Graf v. ‘Bas¬ 
sewitz, Sohn des Gfafen Heinrich, das Mit¬ 
eigenthumsrecht besitzt, sowie auf Stierow, 
Strietfeld, Gnewitz, Zarnewanz und Barkvieren 
unterhalten. Das Gesammtareal dieser Güter 
beträgt 4687’8 ha, darunter bedeutende Wiesen 
von verschiedener Beschaffenheit. Der ge- 
sammte Pferdebestand zählte 1885 304 Pferde 
und Fohlen. Von ihnen dienen 194 den land- 
-wirthschaftlichen Zwecken und 110 Pferde 
bilden das Gestüt* Dasselbe besteht aus 
5 Beschälern, 19 Mutterstuten, 30 edleren 
Fohlen und 40 Fohlen des Ackerpferdschlages. 
Von den Beschälern stehen 4 in Dalwitz und 
1 in Gnewitz, sie decken nicht nur Gestüts-, 
sondern auch fremde Stuten. Ebenso sind die 
Mutterstuten und Fohlen, letztere in Rück¬ 
sicht auf die jedesmal vorhandenen Futter¬ 
mittel, auf die einzelnen Güter beliebig 
wechselnd vertheilt. Die edleren Fohlen- 
bleiben im ersten und zweiten Jahr bei 
Kraftfutter im Stall, weiden das dritte und 
vierte Jahr mit den übrigen Fohlen, die auch 
das erste und zweite Jahr auf die Koppel 
getrieben werden, zusammen. Das Gestüt 
wurde um das Jahr 1850 gegründet. Der 
* er$te Mutterstutenstamm bestand aus edleren 
Halbblutstuten, die bald durch stärkere ersetzt 
wurden. Als Beschäler fanden englische Voll¬ 
bluthengste Verwendung, unter ihnen von 
1867 bis 1883 der in Basedow, dem gräflich 
Hahn’schen Gestüte, gezüchtete und auf dem 
Turf wohlbekannte Meleager von Blackdrop 
aus der Brown Bess von Glaucus. Zwei der 
gegenwärtigen Beschäler sind von Meleager 
gefallen. Seit 1860 neigt das Gestüt, wie es 
in Mecklenburg zur Allgemeinheit geworden, 
dazu hin, ein massiges Pferd zu züchten, so dass 
z. Z. auch ein Percheron- und ein Pinzgauer 
Beschäler benützt werden. Einige der jetzigen 
Mutterstuten sind von Percheronhengsten ge¬ 
fallen; mit Vollblut gepaart liefern jene zum 
Theil praktische Reit- und namentlich gute 
Wagenpferde. Grassmann .. 

Dialyse, ein Verfahren, welches man an¬ 
wendet, um krystallisirbare Substanzen von 
unkrystallisirbaren Stoffen, den sog. Colloid- 
substanzen (s. d.), welche sich beide in einer 
Lösung befinden, zu trennen. Diese Trennungs¬ 
methode gründet sich auf die von Graham 
ermittelte Thatsache, dass sämmtliche in 
Wasser gelösten Stoffe nach ihrem Verhalten 
gegen feuchte Membranen (thierisch^ Blase, 
vegetabilisches Pergamentpapier) in zwei 
Gruppen gesondert werden können: in solche, 
welche jene Membranen durchdringen, wenn 
sich jenseits derselben Wasser befindet, also 
durch die Membran diffundiren, krystalloide 
Stoffe, und in solche, denen diese Fähigkeit 
abgeht — colloide Stoffe. Diese letzteren 
sind nicht krystallisationsfähig. Senkt man 
also eine Lösung, welche z. B. unorganische 
Salze und Eiweiss enthält, in Gefässen, deren 
Boden durch ein Diaphragma von Pergament¬ 


papier ersetzt ist, in ein grösseres mit Wasser 
efülltes Gefäss zum Theil ein, so diffundiren 
ie Salze allmälig durch das Diaphragma in 
das äussere Wasser hinüber, während das Ei¬ 
weiss als Colloidsubstanz zurückbleibt. Lh. 

Discomyces nannte Rivolta die von Harz 
als Actinomyces bezeichnete Gattung. Harz. 

Oi8Comycetes, s. Ascomycetes.. Harz. 

Disqualification, disqualificirt (latein. 
mangelnde Befähigung, Untauglichkeit — zu 
etwas unfähig, untauglich machen), ist im 
sportsman’schen Sinne der Mangel einer der 
' zur Qualification nach den betreffenden 
Rennbestiramungen (Rennprogramm) gefor¬ 
derten Bedingungen, weshalb ein diesen Be¬ 
dingungen nicht entsprechendes Pferd nicht 
mitlaufen darf, beziehungsweise keinen-An¬ 
spruch auf einen Preis hat. Ein Pferd wird 
disqualificirt, wenn es auf der, Reugeldliste 
steht, ferner wenn es unter unwahren An¬ 
gaben genannt wurde oder unter falschen 
Angaben gelaufen ist. Auch* Trainer, Jockeys 
und Besitzer von Rennpferden können aus ' 
mehrfachen Ursachen disqualificirt sein und 
die Disqualification i\ber dieselben temporär 
oder auch dauernd verhängt werden. Lechntr.* 

E ist die in ophthalmologischen Werken 
häufig gebrauchte Abkürzung für Emmetropie 
(Normalsichtigkeit, s. d.). Dass ein Auge nor¬ 
malsichtig sei, wird dann durch eine Gleichung 
ausgedrückt, wobei .auf die eine Seite daa 
Auge, auf die andere das Symbol für Emme¬ 
tropie (E) zu stehen kommt; es wird also 
die Notiz, das linke Auge eines Patienten sei 
normalsichtig befunden worden, zu schreiben 
sein: L. A. = E (Linkes Auge = Emme¬ 
tropie). Schlampp .. 

Egyptische Pferdezucht. Ueber die Bedeu¬ 
tung der egyptischen Pferdezucht in* ältester 
Zeit wird manches Fabelhafte erzählt. Erst seit 
dem Einfalle der Hyksos scheint die Gattung 
Equus Caballus in Egypten grössere Verbreitung 
gefunden zu haben, und es ist nicht unwahr¬ 
scheinlich, dass dort bis zu unserer Zeit der 
Esel allein als Reit- und Lastthier benützt 
worden ist. — Von verschiedenen Autoren 
wird zwar heute noch Egypten als die Heimat 
des Pferdes bezeichnet, obgleich niemals in 
der Bilderschrift der altegyptischen Baudenk¬ 
mäler Pferde entdeckt sind. Erst beim Aus¬ 
zuge der Juden aus jenem Nillande wird das , 
Pferd als Reit- und Zugthier erwähnt. Pharao 
verfolgte die Juden mit Wagen und Reitern. 

— In späterer Zeit hat dort die Pferdezucht 
ohne Frage eine ziemlich grosse Bedeutung 
erlangt, und es ist dieselbe im ganzen Lande 
sehr umfangreich betrieben worden. Zu Anfang 
des vorigen Jahrhunderts sollen aus Egypten 
mehrfach schöne, rasche Pferde nach Europa 
verschifft worden sein, die hier grossen Beifall 
fanden. Unter der Regierung des Mehemet Ali 
hat die egyptische Pferdezucht einen grossen 
Aufschwung genommen; derselbe errichtete an 
verschiedenen Orten des Nilthaies grosse 
Stutereien, die hauptsächlich mit arabischen 
Hengsten besetzt wurden. Ferner haben auch 
die Mameluken sehr viel zur Verbesserung 


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REGISTER ZUM ZWEITEN BAND. 


der dortigen Zucht beigetragen; sie waren 
nicht nur tüchtige Reiter, sondern verstanden 
auch ihre Pferde gut zu pflegen und die Auf¬ 
zucht. der Fohlen geschickt zu betreiben. — 
Zur Zeit Napoleon I. setzten die tapferen 
Mameluken mit ihren raschen und gewandten 
Pferden die Sieger von Lodi in grösstes 
Erstaunen, und man wusste nicht recht, 
ob man die Reiter oder die Leistungen 
ihrer schönen Pferde mehr bewundern sollte. 
— In den letzten Jahrzehnten hat die Zucht 
und die Dressur der Pferde in Egypten viel 
vom alten Ruhme eingebüsst; diese wie jene 
wurde mehr und mehr vernachlässigt, und nur 
an wenigen Orten fanden sich tüchtige, brauch¬ 
bare Rosse. — Nach einer statistischen Angabe 
des „Journal of the Statistical Society“ in 
London besitzt Egypten etwa 18.200 Pferde 
neben 96.700 Eseln und Maulthieren. Wir 
ersehen aus diesen Zahlen, dass dort der Esel 
und dessen Bastard als Reitthier in ungleich 
grösserer Zahl gehalten und vielleicht auch 
höher geschätzt wird als das Pferd; jener ist 
bekanntlich genügsamer und bei knappem 
Futter dort in der Regel sehr leistungsfähig 
und ausdauernd. — Die egyptischen Pferde, 
welche in der Neuzeit zu uns nach Deutsch¬ 
land gekommen sind, haben wenig Beifall 
gefunden; sie waren klein und durchaus nicht 
so schön wie die Pferde der arabischen Wüste, 
welche der Kaiser Wilhelm vom Sultan zum 
Geschenk erhalten hat. — Der egyptische 
Hengst Saklawi Djedrani und zwei Stuten, 
welche nach Schwarznecker’s Angaben im 
Gestüt zu Graditz gestanden haben, liessen 
Vieles zu wünschen übrig, namentlich war 
der Hengst unschön in der Kopf- und Kruppen¬ 
form. (S. auch Aegyptisches Pferd.) Frey tag. 

Ehlit, ein Phosphorkupfererz, welches- in 
Ehl bei Linz am Rhein gefunden wurde; es 
9ieht dem Malachit (Kupfercarbonat) sehr 
ähnlich, unterscheidet sich von diesem aber 
dadurch, dass es sich in Säuren zwar löst, 
aber nicht braust. Es bildet monokline Kry- 
stalle mit deutlich blätterigem Bruch. Es 
besteht nach seiner chemischen Zusammen¬ 
setzung aus phosphorsaurem Kupferoxyd, 
Kupferoxydhydrat und enthält bis 7% Vana¬ 
dinsäure beigemengt. Loebisch. 

Ehrenpreis, s. Veronica. 

Eichelgrube, s. Männliches Glied. 

Eichelkrone, s. Männliches Glied. 

Eichelwulst, s. Männliches Glied des 
Hundes. 

Eichelzwiebel, s. Männliches Glied des 
Hundes. 

Eichhorst iin Grossherzogthum Mecklen- 
burg-Strelitz, ritterschaftlichen Amts Star- 
gard. Hier wurde zu Ende des achtzehnten 
bis etwa zum Beginn des zweiten Viertels 
dieses Jahrhunderts ein zwar kleines, aber 
durch sein gutes Pferdematerial wohlbekanntes 
Gestüt unterhalten, dessen Besitzer, v. Bre- 
dow, sich des Rufes seltener Pferdekennt- 
niss erfreute. Neben der Benützung einiger 
englischer Pferde wurde hier besonderes Ge¬ 
wicht auf Erhaltung der alten mecklen¬ 
burgischen Rasse gelegt. Grassmann. 


Eidoptometrie, s. u. Sehen (Sehschärfe). 

Eierfressen. Eine Untugend, welche bisher 
wohl nur bei den Hühnern beobachtet worden 
ist und die darin besteht, dass sie ihre 
eigenen oder fremde Eier fressen. 

Ursachen. Zufälliges Fressen zerbro¬ 
chener Eier; Fütterung mit unzerdrückten 
Eierschalen, besonders wenn an diesen sich 
noch etwas Ei-Inhalt befindet; Mangel an 
Kalk im Futter, so dass Windeier oder 
tfliesseier gelegt, welche von den Hühnern 
mit grosser Begierde gefressen werden, und 
ferner die Lust geweckt wird, auch mit 
normaler Schale versehene Eier zu verzehren. 
Diese Untugend kann sich nach und nach 
auf einen grossen Theil des Hühnerbestandes 
ausdehnen und ist nicht leicht wieder zu 
beseitigen, weshalb die Vorbeuge die Haupt¬ 
sache ist. 

Vorbeuge. Man reiche den Hühnern in 
dem Futter genügende Mengen von Eier¬ 
schalen bildender Substanz, besonders den 
eingesperrten Hühnern; den frei herumlau¬ 
fenden Thieren stehen kalkhaltige Stoffe in 
Form von Mauerschutt u. s. w. zur Verfügung. 
Ausser gebrannten Austerschalen, Schlemm¬ 
kreide, Eierschalen, die aber nur in sehr 
zerkleinertem Zustand vorgelegt werden dürfen, 
weil sie sonst, wie oben schon angedeutet, 
Veranlassung zu dieser Untugend sind, würde 
man zweckmässig etwas phosphorsauren Kalk 
dem Futter beimischen. Wenn man die Nach¬ 
ahmung dieser Untugend seitens der anderen 
Hühner fürchtet, so ist es das Beste, den 
Eierfresser, wenn es nicht ein besonders 
werthvolles Zuchtthier ist, zu beseitigen. 
Helfen diese Mittel nicht, so sind Legenester 
eigener Construction, in welchen die Eier, 
wenn sie gelegt, von selbst dem Huhne ent¬ 
zogen werden, angezeigt. Brümmer. 

Elrometer, s. Wollmesser. Nach verschiede¬ 
nen Principien construirte Instrumente, um die 
Feinheit des Wollhaares, d.li. die Grösse seiner 
Querdurchschnittsflädie zu bestimmen. Bokrn. 

Eiroskop, eigentlich Wollprüfer, d. h. In¬ 
strumente zur Prüfung verschiedener von 
der Wolltextilindustrie geforderter Eigen¬ 
schaften des Wollhaares, als Dehnbarkeit, 
Widerstandskraft, Elasticität u. s. w., s. Wolle 
und deren Eigenschaften. Häufig wird Eiroskop 
aber auch gleichbedeutend mit Eirometer 
gebraucht. Bohm. 

Ektopie (ex, aus, und xoico?, Ort), die Orts¬ 
veränderung, Lageveränderung, die wider¬ 
natürliche Lagerung eines Thciles, die Dis¬ 
location oder Deviation eines Organes. 

Ectopia bulbi, die Ektopie des Aug¬ 
apfels; der Augapfel konnte in Folge irgend 
eines Hindernisses sich während der Fötal¬ 
periode nicht innerhalb seiner Augenhöhle 
entwickeln und kam so (unter mehr oder 
weniger bedeutender Verbildung) ausserhalb 
derselben zu liegen. 

Ectopia lentis, die Ektopie der Kry- 
stallinse des Auges; eine angeborene Lage- 
Anomalie der Linse, wobei dieselbe ihre nor¬ 
male Stellung im Pupillargebiete des Auges 
nicht eingenommen hat, sondern während 


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REGISTER ZUM 

ihrer Entwicklungsperiode ausserhalb des¬ 
selben zu liegen kam. Im Gegensätze zu der 
mit auf die Welt gebrachten, meist symme¬ 
trisch auftretenden Ektopie bezeichnet man 
die während des Lebens erworbene Orts¬ 
veränderung der Linse als Luxatio, resp. Sub- 
luxatio lentis s. u. Lens crystallina. Scklampp. 

Eichhund. Schwed. Elghund, Björnhund, 
Fägelhund. Eine Form der wolfshundartigen 
Polarhunde, weiche im nördlichen Norwegen, 
namentlich bei den Lappen und Finnen und den 
Schweden des nördlichen Schwedens vor¬ 
kommt. 

Im allgemeinen Habitus gleicht der Elch¬ 
hund einem starken, kurz und dicht behaarten 
Spitzhund, noch mehr dem grönländischen 
Eskimohund, seine Schulterhöhe variirt von 
50 zu 55 cm. Der Kopf ist mittelgross, länger, 
breiter und viereckiger als beim gewöhnlichen 
Spitz, Oberkopf und Stirn weniger stark ge¬ 
wölbt, doch immerhin die Profillinie vordem 
Auge vertieft. Die Schnauze ist lang und spitz, 
der Nasenrücken gerade, die Lippen gut ge¬ 
schlossen, kaum merklich überfallend. Die 
Ohren sfrid bei der von den Finnen gezüch¬ 
teten Rasse aufrecht und spitz, bei der von 
den Lappen gezüchteten an der Spitze nach 
vorne überhängend. Das Auge mittelgross. 
Iris gelbbraun, der Hals ist etwas über mit¬ 
tellang, muskulös und kräftig, der Rücken 
gerade, die Brust breit, ziemlich tief und gut 
gewölbt, der Bauch wenig aufgezogen. Die 
Läufe sind mittellang, stämmig und gerade. 
Die Ruthe kaum mittellang, stark, kurz be¬ 
haart. Sie wird meist über dem Rücken in 
einem Ringel getragen, und zwar soll der 
Ringel nach rechts liegen. Die Behaarung 
besteht aus kurzem, dichtem Pelz, dessen Wolle 
weich und hellgelblich braun gefärbt ist. Das 
kurze, rauhe Grannenhaar ist braungrau oder 
graubraun mit schwarzen Spitzen. Die Be¬ 
haarung ist überall dicht anliegend, nur an 
den Keulen etwas verlängert. Die Gesammt- 
färbung erscheint einheitlich wolfsgrau oder 
wolfsbraun, nur die Unterseite und die Innen¬ 
seite der Beine ist etwas heller. 

Dient als Haus- und Jagdhund; als letz¬ 
terer leistet er bei Elch-, Bären- und Auer¬ 
hahnjagden vortreffliche Dienste als Hetz¬ 
hund, Leithund und Stellhund. Das Fell wird 
zu Pelz werk verarbeitet. Studer . 

Elektoral8Chaf, s. Merinosschaf. 

Elektoralwollen, s.u. Wolle (Tuchwollen). 


ZWEITEN BAND. 

Eistersprung. Die kleine im Schritt 
ausgeführte, sprungartige Bewegung eines 
Pferdes nach vorwärts, welche in der Weise 
vollbracht wird, dass das Pferd sich steif 
macht, die Vorderfüsse gleichzeitig ein wenig, 
um Boden zu gewinnen, vorsetzt und dabei 
in der Regel mit dem Kopf aufwärts schlägt, 
wird Elstersprung genannt. Der Elstersprung 
wiederholt sich je nach dem Grade des Un¬ 
vermögens des Reit-, seltener aber auch des 
Wagenpferdes oft schon nach wenigen Schritten 
und ist sowohl ein Zeichen als auch sicherer 
Masstab für die Schwäche des Thieres in 
Bezug auf die* an dasselbe gestellten Anfor¬ 
derungen. Er muss beim Reitpferde durch 
gehörige Aufmerksamkeit des Reiters dadurch 
vermieden werden, dass dieser das Pferd in 
stetem Gleichgewicht zu erhalten sucht. Gn . 

Embryo (tö ejxßpoov = „t b £vto<; tv); 
Yaotpös“, Eust., von iv, in, und ßpos'.v, keimen, 
wachsen, also Alles, was innerhalb eines ande¬ 
ren wächst), die Frucht innerhalb der Ei- 
hüllen, d. h. vom Augenblicke der Entstehung 
des Individuums bis zu dessen Durchbruch 
durch die Eihüllen (Haeckel). Neuerdings 
versteht man unter Embryo zuweilen auch die 
Frucht innerhalb der ersten Entwicklungs¬ 
periode, d. i. etwa bis zur Fertigstellung des 
Körpers und der Eihüllen, wonach sie Fötus 
(Fetus) genannt wird. — „Freier Embryo“ 
= Larve. Das Wort kehrt auch in vielen 
Zusammensetzungen wieder, z. B. in 

Embryographia, Beschreibung des 
Embryo; 

Embryologia, Lehre von der Entwick¬ 
lung der Frucht, Entwicklungsgeschichte 
(s. d.); 

Embryophthora, die Abtödtung des 
Embiyo; 

Embryoskopie, die von Preyer einge¬ 
führte Methode der Untersuchung von Hühner¬ 
embryonen in situ mit Rücksicht auf ihre 
Lebensvorgänge mittelst des Ooskops, d. i. 
eines innen geschwärzten, am Ende einen 
unter 45° angebrachten Spiegel tragenden 
Sehrohres, welches die Beleuchtung des Eies 
durch directes Sonnenlicht ermöglicht; 

Embryothlasis, Zerstückelung des 
Embryo im Mutterleibe; 

Embryotomia, anatomische Zergliede¬ 
rung des Embryo, häufiger aber die Zer¬ 
stückelung des Embryo zu geburtshilflichen 
Zwecken etc. Sussdorf. 


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ERRATA. 


Znm I. Band. 

Pag. 608, 1. Spalte, 24. Zeile von nnten lies „Kinder“ statt „Rinder“. 

„ 646, 1. „ 20. „ „ oben n. ff. lies: „allmftlig der Hafer entzogen, bis znletzt nur... 

verfüttert wurden“. 

Znm II. Band. 

Pag. 31, 1. Spalt«, „Büste“ und „Butte L.*‘ sind identisch. 

96, 2. ., 4. Zeile von unten lies „Eierstockbandes“ anstatt „Eierstockes“. 

„ 124, 2. .. 20. „ „ oben „ anstatt „Jänner“ Ende „Februar“. 

128, 1. 26. „ unten „netzartig“ anstatt „unpaarig“; 16. Zeile von unten „einer“ 

anstatt „eines“. 

Pag. 163, 2. Spalte, 6. Zeile von unten lies „Eisbeeren“ statt „Einbeeren“. 

164, 2. „ 3. u. 4. ., „ „glanzenden und fettig anzufühlenden“. 

166, 1. „ 15. ,, „ oben „ „ehoroideus“ statt „choroideis“. * 

166, 2. Spalte, 14. ., „ „ „icterische“ statt „identische“. 

188, 2. „ 20. ., .. oben „Giostra“ statt „Giastra“. ‘ 

„ 230, 1. ., 25. u. 24. „ unten „ „vergänglich gut“ statt „vorzüglich gut“. 

265, 2. „ 7. „ „ oben „ „ Court ivron“ statt „Coortiorou". 

262, 1. „ 7. „ ., unten „ „das Einathmen“ statt „heim Einathmen“. 

275, 2. „ 24. „ „ oben „ ..Derache“ statt „Devache“. 

„ 311, 1. „ 6. „ „ „ „ „Kino“ statt „Vino“. 

316, 1. „ 6. u. 7. „ „ unten ,, „Coprostasis“ statt „Koprostais“. 

„ 325, 1. „ 31. „ „ „ ,. anstatt: „Der Anus wird durch die“ „der Anus wird unter 

Remission der“, 22. Zeile von nnten statt über „den“ über „die“; 2. Spalte, 8. Zeile von oben „Muskelgmppen,, statt 
„Muskelgruppe“. 

„ 444, 1. Spalte, 4., ö. u. 6. Zeile von unten sind die Anfangsbuchstaben der Zeilen verwechselt. 

„ 470 bei der Erklärung der Fig. 458 muss es heissen: gezeichnet von „Mareati“ anstatt von „Dr. Caritä“. 

„ 471 soll bei Figur 464 „Rhabdonema strongyloides“ in Klammem sein. 

„ 474 bei der Erklärung der Tafel XII, 1. Reihe, 3. Figur, muss es heissen, gezeichnet von „Mareati“ 

anstatt von „Dr. Caritä“. 

Pag. 475, 2. Spalte, letzte Zeile lies „acanthotrias“ anstatt „aeantotrios“. 

„ 476, 1. „ 3. u. 4. „ von oben lies „Coenurus cerebralis“ anstatt „Coenurus centralis“; 8. und 

9. Zeile von oben „Cysticercus fasciolaris“ anstatt „Cysticercus fascicularis“; 19. und 20. Zeile von oben „T. aculata“ 

anstatt „T. aculenta“; 17. Zeile von nnten „F. inegastoma“ anstatt „megalostoma“; 14. Zeile von unten „F. multi- 
papillosa“ anstatt „F. mntipapillosa“; letzte Zeile, entfällt „felis“. 

Pag. 481, 2. Spalte, 32. Zeile von unten lies „Haarwechsel“ statt „Harnwechsel“. 

„ 482, 1. „ 15.16. „ „ „ „ „butyricum Prozmowski“ statt „butyrmm Prazmowski“. 

„ 540, 2. „ 23. „ „ „ „ „in die Hirnventrikel“ statt „um die Himventrikel“. 

„ 642, 2. Spalte, 18. Zeile von unten pag. 543, 1. Spalte, 9. Zeile, von unten pag. 544, 2. Spalte, 

16. Zeile von unten lies „Trabekeln“ anstatt „Traberkeln“. 

Pag. 561, 1. Spalte, 26. und 27. Zeile von obon muss es heissen: der Individuen „während des Entwicklungs¬ 
lebens“ u. s. w. 



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