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Encyklopädie der gesammten
Thierheilkunde und ...
Alois Koch
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ENCYKLOPÄDIE
DEB
GESAMMTEN THIERHEILKUNDE
UND
THIERZÜCHT.
ZWEITER BAND.
Brunst — Erdt.
J3* Das am Schlüsse beigefügte Register beliebe man stets zu berück¬
sichtigen , da es theils fehlende Artikel nachträgt, theils die vor¬
handenen Artikel berichtigt und ergänzt.
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Verzeichntes der Herren Mitarbeiter:
Stabsveterinär ABLEITNER, München. — Prof. Dr. ANACKER, Düsseldorf. — Prof. Dr. AZ ART,
Budapest. — Prof. Dr. BAYER, Wien. — Prof. Dr. BARAl^SKI, Lemberg. — Prof. BERDEZ,
Bern. — J. BOHM, Lehrer a. d. Universität Leipzig. — Prof. Dr. A. BRANDT, Charkow. —
Director Dr. BRÜMMER, Kappeln. — Prof. CH. CHAMBERLAND, Paris. — Prof. Dr. COBBOLD,
F. R. S., London. — Dr. HUGO CRAMPE, Proskau. — Veterinärarzt EG GELING, Berlin. —
Prof. Dr. F. EICHBAUM, Giessen. — Prof. Dr. ELLENBERGER, Dresden. — Dr. EVERSBUSCH,
München. — Prof. FESER, München. — Dr. L. FITZINGER (weil.), Wien. — Regierungsrath
Prof. Dr. L. FÖRSTER, Wien. — Prof. Dr. FRANCK (weil.), München. — Prof. Dr. FREYTAG,
Halle. — Prof. Dr. LEONCIO F. GALLEG0, Madrid. — Lieutenant GRASSMANN, Hagenow. —
Prof. Dr. 0. HARZ, München. — Prof. Dr. JOHNE, Dresden. — Docent TH. KJTT, München. —
Veterinärarzt A. KOCH, Wien. — Veterinärarzt iF. KOUDELKA, Husovic. — Staatsrath Prof.
LANGE,* Kasan. — Prof Dr. LECHNER, Wien. — Geheimrath Prof. Dr. LEISERING,
Dresden. — Geheimrath Prof. Dr. LEUCKART, Leipzig. — Prof. Dr. LIAUTARD, New-York. —
Prof. Dr. von LIEBENBERG, Wien. — Prof. LINDQUIST, Stockholm. — Prof. A. J. LOCUSTEANO,
Bukarest. — Prof. Dr. LOEBISCH, Innsbruck. — Veterinärarzt LUNGWITZ. Dresden. — Dr. jur.
A. MANSCH, Wien. — Chef-Veterinär P. MEGNIN, Paris. — Prof. KARL MÜLLER, Berlin. —
Prof. Dr. NEUMANN, Toulouse. — Prof. L. PASTEUR, Paris. — Prof. Dr. E. PERRONCITO,
Turin. — Prof. Dr. PFLUG, Giessen. — Dr. EMIL POTT, München. — Prof. Dr. PROSCH (weil.),
Kopenhagen. — Prof. Dr. H. PÜTZ, Halle. — Prof. Dr. RABE, Hannover. — Prof. Dr.
A. von RUEFF (weil ), Stuttgart. — Prof. RÜTIMEYER, Basel. — Prof. Dr. S. L. SCHENK,
Wien. — Veterinärarzt W. SCHLAMPP, München. — Gestüts-Director G. SCHWARZNECKER^
Marienwerder. — Prof. Dr. SEIFMANN, Lemberg. — Staatsrath Trof. E. SEMMER, Dorpat. —
Dr. 0. SIEDAMGROTZKY, Dresden. — Veterinärarzt F. SMITH, Bangalore (Indien). — Veterinär-
arzt M. STREBEL, Freiburg (Schweiz). - Prof. Dr. STUDER, Bern. — Prof. Dr. SUSSDORF,
Stuttgart. — Prof. Dr. LUDW. v. THANHOFFER, Budapest. — Prof. TEREG, Hannover. —
Königl. Ministerial-Rath Prof. A. TORMAY, Budapest. — Chef-Veterinär Dr. E. VILLORESI,
Cairo. — Prof. Dr. VOGEL, Stuttgart. — Prof. Dr. WEHENKEL, Brüssel. — Prof. Dr.
M. WILCKENS, Wien. — Prof. Dr. WOLPERT, Kaiserslautern. — Prof. E. ZSCHOKKE, Zürich. —
Landesthierarzt A. ZÜNDEL (weil.), Strassburg, u. A.
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ENCYKLOPÄDIE
DER
GESAMMTEN THIERHEILKUNDE
UND
THIERZUCHT
MIT INBEGRIFF ALLER EINSCHLÄGIGEN DISCIPLINEN UND DER SPEC1ELLEN
ETYMOLOGIE.
HANDWÖRTERBUCH
FÜR
PRAKTISCHE THIERÄRZTE, THIERZÜCHTER, LANDWIRTHE
UND THIERBESITZER ÜBERHAUPT.
HERAUSGEGEBEN VON ,
ALOIS KOCH
K. K. BEZIRKSTHIERARZT IN WIEN.
REDACTEUR DER „ÖSTERR. MONATSSCHRIFT FÜR THIERHEILKUNDE", COKKESPONDIRENDES UND EHRENMIT¬
GLIED DES VEREINES DER ELSASS-LOTRRINGL'CHEN THIERÄRZTE, EHRENMITGLIED DER AKADEM. GESELL¬
SCHAFT „LA UNION VETERINARIA“ IN MADRID, CoRRESP. MITGLIED DES KAISERL. RUSSISCHEN VETERINÄR-
INSTITUTES IN KASAN UND DES VEREINES DER VETERINÄKÄKZTE IN ST. PETERSBURG.
MIT 335 IN DEN TEXT GEDRUCKTEN ILLUSTRATIONEN SOWIE II TAFELN.
ZWEITER BAND.
Brunst — Erdt.
WIEN und LEIPZIG.
VERLAG VON MORITZ PERLES.
1885 .
Autoren - Abbr e riatur en.
In der Regel ist jede Abhandlung von dem Autor gezeichnet. Gestattet der Ausgang
der Zeile die Anbringung des vollen Namens nicht, so wird eine Abkürzung in der Weise
vorgenommen, dass der Anfangs- und Endbuchstabe des Namens, bei gleichlautenden Namen
aber beide Anfangs- und der Endbuchstabe gesetzt werden, und zwar:
1. Ableitner
=
Abr.
25. Johne
=
Je.
49. Rabe
=
Re.
2. Anacker
—
Anr.
26. Kitt '
=
Kt.
50. v. Rueff (weil.)
=
Rf.
3. Azary
—
Ay.
27. Koch
=
Klb
51. Rütimeyer
=
Rr.
4. Baranski
=
Bi.
28. Koudelka
=
Ka.
52. Schenk
=
Sk.
5. Bayer
=
Br.
29. Lange
=
Le.
53. Schlampp
=
Sp.
6. Berdez
=
Bz.
30. Lechner
=
Lr.
54. Schwarznecker
=
Sehr.
7. Bohm
=
Bm.
31. Leisering
=
Leg.
55. Seifmann
=
Sn.
8. Brandt
=
Bt
32. Leuckart
=
Let.
56. Semmer
=
Sr,
9. Brümmer
==
Brr.
33. Liautard
=
Ld.
57. Siedamgrotzky
=
Sy.
10. Chamberland
=
Chd.
34. v. Liebenberg
=
Lifl-
58. Smith
=
Sh. .
11. Cobbold
=
Cod.
35. Lindquist
=
Lit
59. Strebei
=
Sl.
18. Crampe
=
Ce.
36. Locusteano
=
Lo.
60. Studer
=
Str.
13. Eggeling
=
Efl.
37. Loebisch
=
Lh.
61. Sussdorf
=
Sf.
14. Eichbaum
=
Em.
38. Lungwitz
Lz.
62. Tereg
=
Tfl.
15. Ellenberger
=
Er.
39. Mansch
—
Mb.
63. v. Thanhoffer
—
Tr.
16. Eversbusch
=
Eh.
40. Megnin
r=
Mn.
64. Tonnay
=
Ty.
17. Feser
=
Fer.
41. Müller
=
Mr.
65. Villoresi
=
VI.
18. Fitzingerfweil.)
=
Flr.
42. Neumann
=
Nn.
66. Vogel
=
VI.
19. Förster
=
For.
43. Pasteur
=
Pr.
67. Wehenkel
=
Wl.
20. Franck (weil.)
==
Fk.
44. Perroncito
=
Po.
68. Wilckens
=
We.
21. Freytag
—
Ffl.
45. Pflug
—
Pfl.
69. Wolpert
=
Wt.
22. Gallego
=
Bo.
46. Pott
=
Pt.
70. Zschokke
=
Ze.
23. Grassmann
=
Giu
47. Prosch (weil.)
Ph.
71. Zündel (weil.)
=
ZI.
24. Harz
=
Hz.
48. Pütz
Pz.
Alle Rechte Vorbehalten.
Dig >d b ‘
^3-BRA
OF THE
UNIVERSITY
OF
B.
Brunst (Aestus vcnereus) ist ein bei
weiblichen Thieren mit der Geschlechtsreife
periodisch eintretender physiologischer Vor¬
gang, welcher sich bei unseren Hausthieren
durch ein charakteristisches äusseres Be¬
nehmen, sowie durch eine Reihe von im
Eierstocke und an den anderen Geschlechts-
theilen vor sich gehenden Veränderungen
kennzeichnet. Die inneren Vorgänge bei der
Brunst bestehen namentlich in der Beratung
eines oder mehrerer Graafscher Follikel und
Loslösung eines oder mehrerer Eier vom
Eierstocke, sowie in einem gesteigerten Blut¬
andrang zu den Genitalien, namentlich zum
Uterus (Brunsthyperämie). Aeusserlich cha-
rakterißirt sich die Brunst durch folgende
Erscheinungen: Leichte Anschwellung und
Röthung der Scheide und des Wurfes; mehr
oder minder starker, schleimiger, zuweilen
gerötheter, eigentümlich riechender Ausfluss
aus der Scheide, welcher angeblich das Männ¬
chen beizulocken bestimmt ist; häufiger, in
kleinen Mengen stattfindender Harnabsatz;
leichtes Anschwellen des Euters, wobei die
Milchsecretion bei milchenden Thieren eine
veränderte Beschaffenheit annimmt; unruhiges,
aufgeregtes Benehmen, Annäherung zum Männ¬
chen, Drang zur Begattung, zeitweises Ver¬
sagen des Futters, Ausstossung eigentüm¬
licher Töne. Bei vielen Thieren, so bei
Muttertieren mit Jungen oder solchen, die
nicht mit männlichen Thieren zusammen
kommen, machen sich die Brunsterscheinungen
nur sehr undeutlich bemerkbar. Diesen Zu¬
stand bezeichnet man mit stiller Brunst. Je
nach der Thiergattung zeigt das Bild der
Brunsterscheinungen • zum Theil bestimmte
Eigentümlichkeiten. Die Stute wiehert, setzt
häufig kleine Mengen Harn ab, wobei die
Schamlippen häufig geöffnet und geschlossen
werden und der Kitzler zum Vorschein kommt.
Die Stute wedelt mit dem Schweife, drängt
zu benachbarten Pferden und stellt sich zur
Begattung an. In seltenen Fällen fliesst etwas
Blut aus der Scheide. Einige zeigen während
der Brunstperiode förmliche Koliksymptome.
— Die Kuh wird sehr unruhig, lässt ein
sehnsüchtiges Brüllen ertönen, sucht andere
Thiere, ja selbst Personen zu bespringen. In
der Heerde läuft sie unruhig umher, steigt
auf die mitweidenden Rinder, verlässt selbst
die Heerde, um den Stier aufzusuchen. Auf
dem Höhepunkt der Brunst versagt sie öfter
gänzlich das Futter. — Bei dem Schafe sind
die Brunsterscheinungen nur schwach. Sie
beschränken sich auf Blöcken. Aufsuchen und
Begleitung des Bockes, auf willige Gestattung
des Begattungsactes. — Die brünstige Ziege
meckert viel, wird unruhig und versagt das
Futter. — Die Sau grunzt viel, wird weniger
reizbar, liebt Berührung und Kratzen, springt
im Freien auf andere Schweine, ist unruhig,
beisst, zeigt grosse Aufgeregtheit und Appetit¬
losigkeit. Die Brunst erreicht in 12—16
Stunden ihre Höhe. Bei gutgenährten Thieren
sind die Brunsterscheinungen wenig auffallend.
Das Brünstigsein der Sau heisst „Rauschen“
— Bei der Hündin besteht eine sehr starke
Hyperämie der Geschlechtstheile. Es tritt
ein reichlicher, meist blutiger Scheidenaus¬
fluss ein. Der Wurf ist stark geschwellt und
hängt tief nach abwärts. Die Hündin ist aus¬
gelassen munter, sucht ins Freie zu gelangen,
um sich in Gesellschaft von Männchen, die
bald durch den Geruch des Scheidenaus¬
flusses in Menge und auf grosse Entfernungen
herbeigelockt werden, herumzutreiben. Sie rut¬
schen zu dieser Zeit häufig auf dem Hintertheil.
— Bei allen unseren Hausthieren haben die
Brunsterscheinungen eine bestimmte, je nach
der Thiergattung kürzere oder längere Dauer.
Dieselbe beträgt
bei der Stute. 2— 3 Tage,
„ dem Rinde. 15—30 Stunden,
„ ,, Schweine. 1— 3 Tage,
„ „ Schafe. 2— 3 „
„ der Ziege. 2— 3 ,,
„ Hündin. 9—14
Bei fruchtbarer Begattung erfolgt die
nächste Brunst erst eine gewisse Zeit nach
der Ausstossung der Frucht. Nur sehr selten
stellen sich während der Trächtigkeit und fast
nur bei Rindern 4—5 Monate nach der statt¬
gefundenen Befruchtung mehr oder minder
deutliche Brunsterscheinungen ein, welche
Erscheinung inan Afterbrunst heisst und die
wohl mit der Reifung eines oder mehrerer
Eier zusammenhängt. Bei nicht stattfindender
Befruchtung kehren die Brunsterscheinungen
periodisch wieder. Die Stute rosst gewöhnlich
schon 5—9 Tage nach der Geburt und wird
falls keine Befruchtung statt hat, gewöhnlich
nach Intervallen von je 9 Tagen wieder brün¬
stig. Die Kuh rindert in der Regel 3—4 Wochen
nach der Geburt und, wenn keine Befruchtung
stattfindet, je alle 3 Wochen. Das Schwein
wird, so lange es säugt, nicht brünstig; nach
dem Abnehmen der Jungen stellt sich die
Brunst gewöhnlich am dritten Tage und bei
nicht erfolgender Befruchtung alle 9—12 Tage
ein. Das Schaf bockt gewöhnlich, wenn es
nicht säugt, 3—4 Wochen, wenn es säugt,
erst 2—4 Monat e nach der Geburt wieder,
und wiedeifl^H^MMdi^£gel die Brunst -
Kocb. Eneyklopldie d. Thierheilkd. II. Bd.
11)6032
CU-berkeley
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2
BRUNSWIG. — RRUST
erscheinungen in Intervallen von 17—25 Tagen.
Die Stute rosst gewöhnlich im Frühjahr, dann
auch im Herbst, die Ziege wird im Herbst,
das Schaf im Herbst und Frühjahr, die übrigen
Hausthiere werden das ganze Jahr brünstig.
Eierstockkranke Kühe zeigen beständig Brunst¬
erscheinungen. Strebtl.
Brunswig studirte Thierheilkunde in Ber¬
lin und Hannover und schrieb 1831 eine Dis¬
sertation über die Heilung der Kolik der
Pferde. Semmer .
Brust — exterieuristisch — ist der am
Pferde, Rinde etc. vorne unterhalb des Halses,
zwischen den Schultergelenken, den Querbeinen
und dem obersten Theil der Vorarme gelegene
und der an den Seiten unterhalb des Wider¬
ristes und hinter den Schultern in der Aus¬
dehnung der Rippen bis zur Lende und dem
Bauche reichende Rumpftheil. Die knöcherne
Grundlage der Brust wird vorne innerhalb des
Rahmens der genannten anatomischen Theile
durch das vordere Ende des Brustbeines mit dem
Habichtsknorpel gebildet, hinter welchem das
erste Rippenpaar steht; nach unten und rück¬
wärts, sowie direct der Wirbelsäule gegen¬
über geben die Theile des Brustbeines mit
dem Schaufel- oder Schwertknorpel die Skelet¬
unterlage ab, während an den Seiten die
wahren und falschen Rippen das Gerüste der
Brust formiren. Von der Grösse und Stärke,
von der Gestalt und der Lagerung der be-
zeichneten Skelettheile, sowie von der Mächtig¬
keit, Strammheit und Actionsfähigkeit des an
die aufgeführten knöchernen Gebilde angela¬
gerten Muskelapparates hängt zunächst Form
und Stärke der Brust, zum Theile das Gefällige
im Baue der Vorhand und in weiterer Bezie¬
hung wohl auch die Leistungsfähigkeit des
Pferdes, und bei dem Rinde ausserdem noch
theilweise die Mastfähigkeit und der Mästungs¬
werth desselben ab. Die Grösse des Abstandes
theils von der unteren Fläche der Brustwirbel¬
körper bis zur oberen Fläche des Brustbeines,
theils der Rippen der einen Seite — selbst¬
verständlich in symmetrischer Art — von jenen
der anderen Seite, sohin die Grösse des senk¬
rechten und des Querdurchmessers der Brust
bedingt die absolute Tiefe und Breite derselben
bezüglich ihres inneren Raumes, während die
relative Breite und Tiefe ihres Umfanges —
Gürtel — von der absoluten Grösse der er¬
wähnten Durchmesser an und für sich, sowie
von der Höhe des Widerristes (Länge der
Stachelfortsätze) und der Beschaffenheit der
Muskulatur abhängig ist. Die Länge der Brust
ist allein bedingt von der absoluten Länge der
Brustwirbelkörper und des Brustbeines: je
weiter insbesondere das letztere sich nach rück¬
wärts erstreckt, um so vortheilhafter ist diese
Länge im Allgemeinen für den Bau der Brust
und insbesondere ihr die Verwendung des
Pferdes im Reitdienste, sowie auch für die er¬
höhte Leistungsfähigkeit in der letztgenannten
Verwendungsweise. Je länger ferner speciell
die wahren Rippen, je dichter dieselben in
ihrer Masse, sowie je breiter sie sind und je
angemessener die Curvenbildung nach aus-, rück-,
ab- und vorwärts zur Länge der Rippen selbst
und des Brustbeines sich gestaltet, um so
tiefer und dabei wohlgeformter, tonnenartiger
und zugleich freier ist die Brust als Ganzes.
Je kürzer, schmäler und schwächer dagegen
die Rippen sind, je näher aneinander sie ge¬
lagert und je gestreckter von den Brustwirbeln
zu dem Sternum (Brustbein) dieselben ver¬
laufen, um so kürzer und schmächtiger wird
die Brust im Allgemeinen, und um so enger
sieht sie von vorne, um so flacher von der Seite
aus, und um so weniger tief steht sie dem
Boden zu. Eine solch’ schlechtbeschaffene Brust
vermag daher im Gegensätze zur tonnenförmi-
gen, tiefen und freien Brust den für den Le-
bensprocess überhaupt und für die Leistungs¬
fähigkeit eines Thieres insbesondere so wichti¬
gen Brustorganen (Herz und Lungen) den an¬
gemessen grossen Raum nicht zu bieten, wes¬
halb auf derartige Defecte in der Formation
und in den räumlichen Verhältnissen der Brust
bei jedweder Gattung unserer grösseren Haus¬
thiere um so sorgfältiger zu achten ist, als
bei den letztgekennzeichneten Eigenschaften
einer Brust im Skeletbaue auch der zugehöri¬
gen Muskulatur die für die entsprechende Ent¬
wicklung und leistungsfähige Action nothwendi-
gen räumlichen Bedingungen fehlen werden.
In regionaler Beziehung wird die Brust ex¬
terieuristisch in die „Vorderbrust“, „Unter¬
brust“ und in die „Seitenbrust“ getheilt, und
werden diese Hauptabtheilungen wieder in
mehrere Partien geschieden, welche namentlich
an der Vorderbrust des Pferdes durch eine
Vertiefung und mehrere Muskelfurchen speciell
derselben ein eigenartiges Gepräge geben. Die
Stelle des Ueberganges der Unterbrust in die
Seitenbrust an und oberhalb der inneren Fläche
des Ellbogengelenkes wird „Achsel“ genannt.Ver-
bindet man die untere Partie der beiden Bug¬
spitzen horizontal durch eine gerade Linie
(Fig. 283, a b) und verlängert diese Linie in wag¬
rechter Richtung vom Bug aus beiderseits über
die Schulter weg nach rückwärts bis zur letzten
Rippe, so werden die Vorder- und die Seitenbrust
in zwei übereinanderstehende ungleich grosse Ab¬
theilungen gebracht, welche an der Vorderbrust
einfach als „obere“ und „untere“ Brust, an den
Seiten als „obere“ und „untere“ Seitenbrust be¬
zeichnet werden. Die obere Brust erstreckt
sich vom Ende des unteren Halsrandes bis zu
der die Buggelenke verbindenden horizontalen
Linie, bezw. in der Mitte bis zum Habichts -
knorpel des Brustbeines. Da einerseits die Aus¬
dehnung des Brustbeines nach vorne und oben
und andererseits der Stand der Buggelenke
bei verschiedenen Thieren ein wechselnd hoher
ist, so ist nothwendig Form und Ausdehnung
der oberen Brust von der Halsform und dem
Stande der genannten drei Factoren, insbeson¬
dere von der Lage der Schulter abhängig. Je
tiefer der Halsaufsatz und je höher bei kurzer,
steiler Schulter die Buggelenke gelagert sind,
und je weiter der Habichtsknorpel nach auf¬
wärts reicht, desto niedriger und kürzer ist die
obere Brust, was nicht nur unschön, sondern
auch nachtheilig für die Leistungsfähigkeit des
Thieres namentlich im Zuge ist, weil auch die
passende Geschirranlage erschwert wird und
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BRUST.
3
überhaupt leicht Brust- und Bugbeulen ent¬
stehen. Die untere Brust ist in den Fällen der
kurzen oberen Brust meist auffallend höher und
räumlich um so grösser, je ausgedehnter die
dürre am vorderen Theile des Brustbeines ist.
Je weiter dieser Bogen bei angemessener Lage¬
rung der Schulter nach unten reicht, um so
ausgedehnter und tiefer wird die ganze Vorder¬
brust, daher diese Curve hierin überhaupt be¬
stimmend für die Form der Brust ist; wo¬
gegen eine kurze und schmächtige untere Brust
immer wenig schätzenswerth erscheint. — Zwi¬
schen dem Ende des unteren Halsrandes und
dem Habichtsknorpel des Brustbeines findet
sich eine seichtere oder tiefere Aushöhlung,
welche man „Brustgrube 14 nennt: sie liegt im
Gebiete der Brust, soll sich genau in der
Mitte der Brust befinden und weder zu tief
noch auch verschwommen, d. h. zu seicht
sein, sondern vielmehr eine nach oben und
unten leicht ausgeschweifte Mulde darstellen.
Der Haarstrich der Brustgrube geht von oben
nach unten und bildet am unteren Ende einen
Haarwirbel. In der unteren Brust liegen die
mittlere und zwei seitliche Furchen. Die mittlere
heisst Brustfurche schlechtweg und die seit¬
lichen werden Seitenbrust- oder auch Arm-
(Armbrust-) Furchen genannt. Die Brustfurche
.(mittlere), welche unter der Brustgrube als
rinnenfbrmige mediane Vertiefung vom Habichts¬
knorpel beginnend nach abwärts läuft, inarkirt
■den vorderen und unteren Rand des Habichts¬
knorpels und des Brustbeines selbst und wird
seitlich begrenzt durch die vorderen (inneren)
-dicken Ränder der breiten Brustmuskeln. Je
stärker und strammer diese Muskeln sind, je
prägnanter dieselben vorspringen, um so tiefer
wird die mittlere Brustfurche und um so hüb¬
scher gestaltet sich dieser Theil der Brust. In
Jieser Brustfurche liegen jedoch weder Nerven
noch Gefässe. Die seitlichen oder Arm- (Arm¬
brust-) Furchen sind in ihrem Verlaufe nach
unten und innen etwas gewundene rinnenför-
migo Vertiefungen, welche von den äusseren
Rändern der breiten Brustmuskeln und von den
Kopfhalsarmbeinmuskeln, bezw. der Muskulatur
■der vorderen und inneren Seite am oberen
Theile der Vorarme gebildet werden. Diese
Furchen sind gleichfalls um so tiefer und aus¬
geprägter, je massiger und derber die sie bil¬
denden Muskeln sind; in diesen Furchen ver¬
läuft jederseits die Bugvene. Der Haarstrich
innerhalb der drei Brustfurchen geht von unten
nach aufwärts, wodurch sich die Brust noch
auffallender von ihrer Umgebung abgrenzt. Die
Breite der Vordeibrust wird von der Länge
und der bedeutenderen Krümmung der ersten
Rippen, sohin von einer mehr oder weniger
weiten Apertur des Thoraxeinganges, dann von
der Mächtigkeit der Muskulatur und theilweise
auch von der Menge des Fettgehaltes zwischen
den Muskeln der Brustwandungen und den
Schulterblättern und endlich auch von der Lage
der Schultern selbst bedingt. Je grösser die
Apertur des Thoraxeinganges zwischen den
ernten Rippen namentlich in der Quere (ohne dass
dieses Verhältnis aber übermässig erscheinen
darf) ist, je massiger die Muskeln speciell in Ver¬
bindung mit Fett sind und je schiefer die Schul¬
tern sich an die Brustwandung anlegen, desto
breiter wird die Brust von vorne her sein.
Nachdem aber die ersten Rippenpaare von den
Schultern bedeckt sind, muss deren Wölbungs-
verhältniss zur Brustbreite mit der diesfälligen
Beschaffenheit der hinter den Schultern liegen¬
den Rippen verglichen werden. Uebermässig
starke Muskulatur kann auch bei flacherer
Rippenstellung eine breite Brust bedingen, stets
aber sind starke, recht stramme Brustmuskeln
theilweise für die Streckung des Schulterge¬
lenkes, insbesondere jedoch für die Hebung des
Rumpfes und Anschliessung des Buggelenkes
gegen den Rumpf (und umgekehrt), sowie zur
Fixirung des Buggelenkes während der Streck¬
action der Schultern ungemein schätzenswerth.
Je grösser die Zahl der Rippen ist, über
welche die Schulterblätter gelagert sind, um so
schiefer werden notwendigerweise die Schul¬
tern zu stehen kommen, und um so breiter
wird dann bei starker Muskulatur, auch wenn
die Wölbung der Rippen keine bedeutende ist,
die Brust sein müssen, während steile Schultern,
flache Rippen und Muskelarmuth das Gegentheil
bedingen. — Die Unterbrust erstreckt sich
nahezu horizontal vom unteren Ende der Vorder¬
brust zwischen den Innenflächen der Vorarme
nach hinten bis zum Schaufelknorpel des Brust¬
beines. Ihre Länge und Breite wird vom Brust¬
beine und theilweise von dem hinteren Theile
des breiten, insbesondere aber vom grossen und
kleinen Brustmuskel bedingt. Die Mächtigkeit
der genannten Muskulatur übt auch Einfluss
auf die Breite und relative Tiefe im Brustbaue.
Die Seitenbrust nimmt hinter der Schulter und
dem Ellbogenhöcker jeder Seite ihren Anfang
und erstreckt sich in ihrer unteren kleineren und
etwas flacher gestalteten Hälfte, nach hinten
keilförmig sich verschm&chtigend, bis zur Weiche:
in ihr verläuft von rück- nach vorwärts die
Sporader oder äussere Brustvene. Die grössere
obere und mehr tonnenartig geformte Hälfte
erstreckt sich bis gegen den Rücken und
die Lende zu, doch lagern innerhalb der un¬
tersten und hintersten, sowie der seitlichen und
oberen hintersten Theile der Brustwandung
(Thorax) ungleich weit nach vorne zu schon
Baucheingeweide, worauf bei der Percussion
der Brust Rücksicht zu nehmen ist. Die räum¬
liche Ausdehnung der Brust bezüglich ihres
ganzen Umfanges nennt man im Exterieur
„Gürtel 44 , das betreffende Mass „Gürtelmass 44 ,
und obwohl ein grosses Gürtelmass einer Brust
selbstsprechend auch eine angemessene Tiefe
dieser Brust in sich schliesst, will man ex-
terieuristisch mit der speciellen Bezeichnung
„Tiefe 44 oder „gute Tiefe 44 der Brust dennoch
etwas Besonderes von der Brust näher be¬
zeichnen.
Eine Brust ist tief oder hat eine gute
Tiefe, wenn an ihr, von der Seite gesehen, der
Abstand vom ebenen Boden, auf welchem das
Pferd steht, bis zur Unterbrust — in der Mitte
zwischen Ellbogenhöcker und Schaufelknorpel
des Brustbeines — gleich ist dem Abstande
vom genannten Punkte der Unterbrust bis zur
höchsten Stelle des Widerristes. So beschaffene
1 *
4
BRUST.
Pferde nennt man auch stämmige, während sie
als hochbeinige bezeichnet werden, wenn der
Abstand vom Boden bis zur Unterbrust wesent¬
lich grösser ist als der von der Unterbrust bis
zur Widerristhöhe. Das Gürtelmass als Brust¬
umfang wird etwas hinter der höchsten Stelle
des Widerristes und unmittelbar vor der Schau¬
felknorpelgegend um die ganze Brust mittelst
des Bandmasses genommen, und soll das Gürtel¬
mass bei einem in der Brust gut gebauten und
vollständig entwickelten Pferde die Bandmass-
höhe des Thieres um 16—25 cm übersteigen.
Bei besonders stämmigen Pferden findet man
ausnahmsweise auch 30—45 cm mehr im Gürtel
als in der Höhe. Ansehnliche Differenzen von
20—25 cm zwischen Gürtel- und Höhenmass
finden sich vorwiegend bei vollends ausge¬
wachsenen und gut gebauten Pferden, während
selbe in den ersten Entwicklungsjahren weniger
auffallend und bei den in der Brust schlecht
gebauten Pferden sehr geringe sein oder gar
ganz fehlen können, wie auch ein umgekehrtes
Verhältniss, dass nämlich die Höhe das Gürtel¬
mass übertrifft, nicht ausgeschlossen ist.
Endlich kann ein Pferd, von der Seite gesehen,
in der Brust tief erscheinen, ohne ein nennens¬
wertes Gürtelmass aufzuweisen, weil der
Thorax wohl tief, aber allzu flach und schmal
ist. Bezüglich der Brust der Fohlen ist zu be¬
merken, dass dieselben in den ersten Lebens¬
wochen scheinbar eine gegen den Boden zu
ansehnlich tiefe Brust besitzen, welcher Um¬
stand darin begründet ist, dass die Anlagerung
der Schulter an die Thoraxwandungen noch
eine sehr laxe und nachgiebige ist, so wie auch
die Schulterblattknorpel noch sehr weich sind,
daher die Brust tief zwischen die Schultern
sich einlagert, zumal auch noch die gehörige
Markirung des Widerristes bei den Fohlen
mangelt.
Brustformen: a) Normale Brust
(Fig. 283). Als normale Brust, welche überhaupt
Fig. 283. Normale Brust.
nur an einem allseitig möglichst ebenmässig ge¬
bauten Pferde proportionaliter beurtheilt werden
kann, ist diejenige zu bezeichnen, welche in Breite,
Tiefe und Länge einerseits zur ganzen Anlage
nach Höhen- und Längenbau, sowie zur Stellung
des Thieres passt und andererseits nach Contour
und Raum in harmonischem Connex zu allen
die Brust begrenzenden Körpertheilen (Hals,
Widerrist mit Rücken, Lenden und Bauch, so¬
wie Schulter und Vorarme) steht. Demnach
soll eine normale Brust inclusive Buggelenke
von vorne ebenso breit wie hinter der Schul¬
ter an der Grenze zwischen oberer und unte¬
rer Seitenbrust und annähernd so breit als
der Abstand der beiden Hüftgelenke sein und
mit Rücksicht auf die Höhe des Thieres ein
schwaches Drittel vom Stangenmasse betragen.
Die Abstände vom Boden bis zur Unterbrust
und von da bis zur höchsten Stelle des Wider¬
ristes sollen sich ungefähr das Gleichgewicht
halten und endlich soll das Gürtelmass die
Bandhöhe um 10 bis 15, die Stangenhöhe um IG
bis 24 cm übertreffen. Die Muskulatur muss
angemessen stark, stramm, in ihren Detailum¬
rissen sehr prägnant und vollkommen actions¬
fähig sein. Die wechselnden Abweichungen von
den vorher skizzirten Einzelnheiten der Brust be¬
dingen nun namentlich bei dem Pferde die
nachstehenden verschiedenen Formen derselben.
b) Löwenbrust — auch „breite“ Brust
(Fig. 284) — ist diejenige, welche durch auffallende
Breite und Tiefe,
letztere aber bei
minder entwickel¬
tem Widerriste,
insbesondere in ih¬
rem Lageverhält¬
nisse zu den Vorar¬
men, ferner durch
stark tonnenför¬
mige Rippenwöl¬
bung und sehr
mächtige Brust-
und Schultermus¬
kulatur ausge¬
zeichnet ist. Diese
_ . . Brustform, mit
F lg . 2«,. U-.Lbn.st. ma8gigem Skelet-
bau überhaupt verbunden, überlastet die Vorhand
auffallend, kommt hauptsächlich bei den schweren,
sehr stämmigen Zugrassen (kaltblütigen Schlä¬
gen) vor und ist fast ohne Ausnahme mit
boden- und zehenenger (zehentreterischer) Stel¬
lung und fuchtelnder Bewegung verbunden,
daher so gebaute Pferde sich niemals zum Reit¬
dienste eignen; dagegen ist für Zugzwecke
diese Brustform sehr geschätzt.
c) SchmaleBrust (Fig. 285); sie wird auch
engeBrust genannt und ist dadurch charakte-
risirt, dass in Folge sehr schwacher Wölbung spe-
ciell der vorderen Rip¬
penpaare, durch steile
Lagerung der Schultern
und durch schwache
Brust- und Schulter-
muskulatur die Brust
vorne sehr schmächtig
und arm aussieht. Der
senkrechte Durchmesser
dieser Brustform, wel¬
che zumeist veredelten
Pferden angehört, ist
mitunter ansehnlich
gross, doch wiegt ein
einseitig guter Factor
den Minderwerth dieser
Fig. 285 . Schmal« Brust Brustform nicht auf,
BRUSTBEULEN.
5
insbesondere dann, wenn zugleich einfach recht
enge oder, was eben viel häufiger der Fall
ist, bodenweite, zehenweite, tanzmeisterische
Stellung mit dieser Brustform verbunden ist.
d) Hahnenbrust (Fig. 286) ist eine ange¬
messen breite und tiefe, dabei aber in Folge des
bedeutend vonra-
genden oberen
Theiles des Brust¬
beines nach vorne
herausgebaute,
stark muskulöse
Brust, welche we¬
niger wegen ihrer
Form, als wegen
ihrer Kraft und
Leistungsfähigkeit
geschätzt ist, zu¬
mal mit ihr mei¬
stens ein allgemein
solides Knochen¬
gerüste, correcte
Stellung der Ex-
tremitaten mit gu- F,ß * 286 Hahn * nbrU8t -
ten Gängen verbunden sind. Diese Brustform
wird am häufigsten an Halbblutpferden ge¬
funden.
e) Ziegenbrust (Fig. 287)ist in mehr¬
facher Beziehung das Gegentheil der Hahnen-
brust; sie ist schmal,
wenig tief und zeigt zwi¬
schen den verhältniss-
mäßsig weit vorragen-
den, dabei hochstehen¬
den Bugspitzen und dem
tief nach hinten liegen¬
den Brustbein eine auf¬
fallend hohle und lange
Brustgrube.Diese Brust
ist nicht nur unschön,
sondern auch kraftlos.
Sie ist überveredelten
Pferden und typenlosen
Kreuzungsproducten
eigen. Mit dieser Brust-
Fig. 287. Ziegenbru*»t.
form ist entweder eine einfach enge oder die bo-
den- und zehenweite etc. Stellung verbunden.
f) HabichtsbrustfFig. 288) ist bezüglich
der Brustbeinlagerung der Hahnenbrust ähnlich,
doch ragt der Ha¬
bichtsknorpel (da¬
her der Name),
weil diese Brust
recht muskelarm
ist, noch auffal¬
lender nach vorne
heraus, weshalb
sie unschön und
in ihrer Leistungs¬
fähigkeit wenig
geschätzt ist.
Diese Brustform,
mit zumeist ziem¬
lich correcter Stel¬
lung vereint,
kommt auch bei
Blute höher-
lm
stehenden Pferden
Fig. 288. Habichtsbrust.
häufiger als bei den sogenannten kaltblütigen
Schlägen vor.
g) Schiefe Brust wird diejenige ge¬
nannt, bei welcher entweder im Thoraxge¬
rüste eine Asymmetrie, oder in der Schulter¬
stellung einer Seite eine Abweichung oder ein¬
seitig eine Atrophie in der Brust- und Schulter-
rouskulatur zugegen ist. Dass solche Thiere
einen unegalen Tritt haben, ist naheliegend.
Als „hängende Brust“ bezeichnet man
jenen Zustand, wenn in Folge ungemein
schlaffer, haltloser Brust- und Schultermuskulatur
bei g leichtzeitig stark nach aussen gedrehten
Ellbogenhöckem und zwischen den Schulter¬
blattknorpeln einsinkendem Widerrist die ganze
Brust tief gegen die Mitte der Vorarme herab¬
sinkt. Man findet diesen Zustand bei alten
breitbrustigen, weitgestellten, überbauten Zucht¬
stuten und auch bei älteren Kühen. — „Vor¬
hängend“ ist jene meist breite und muskulöse
Brust, bei welcher Schultern und Ellbogen
auffallend weit nach rückwärts gerichtet sind,
wie das z. B. bei stark unterständig stehenden
Pferden manchmal vorkommt. — Bei Beschäl¬
hengsten kommt mitunter, werden dieselben,
ohne eben selbst entsprechend breit in der
Brust zu sein, zum Decken recht massiger,
breiter Stuten verwendet, eine stärkere Dehnung
besonders der breiten Brustmuskeln vor, welche
hiedurch schlaffer und etwas hängend werden,
so dass sie von vorneher eine recht tiefe Brust
vortäuschen. Dieser Zustand ist jedoch nur
vorübergehend und daher die eigene Bezeich¬
nung als „Bescliälerbrust“ wohl nicht ge¬
rechtfertigt. — Bezüglich der an der Brust
vorkommenden Defecte ist auf abweichende
Haarfarbe oder kahle Stellen (vorausgegangene
scharfe Einreibungen), auf Narben, besonders
nn der Vorder- und Unterbrust (vom Leder¬
stecken und Haarseilziehen), auf Aderlassnarben
an der Sporader, auf schwielige Verdickungen
und knotige Geschwülste an den Buggelenken
und dem Habichtsknorpel des Brustbeines (Bug-
und Brustbeule) zu achten. Sofeme bei der
Schwerathmigkeit der Pferde (Dampf) die Bil¬
dung einer tiefen Rinne (Dampfrinne) nach
dem Verlaufe der vorderen Enden der falschen
Rippen, sohin in die untere Seitenbrustregion
fällt, ist eventuell auch auf dieses Moment an
der Brust Rücksicht zu nehmen. Ltchner.
Brustbeulen sind durch Quetschung oder
Druck entstandene Vorderbrustgeschwülste
der Zugpferde; sie sind am häufigsten durch
fehlerhafte Kummetlage bedingt und zeichnen
sich durch ihre Schmerzhaftigkeit aus. Diese
Tumoren besitzen sehr starke Wandungen aus
indurirtem Muskel- oder Bindegewebe und ent¬
halten meistens in ihrem Centrum eine ur¬
sprünglich geringe Ansammlung von blutigem
Serum. Häufig bildet sich später eine kleine Abs-
cesshöhle, welche sich immer sehr langsam
ausdehnt und grosse Schmerzen verursacht.
Ihrem Sitze nach werden zwei Arten von Brust¬
beulen unterschieden: 1. die oberflächliche
Brustbeule, welche sich auf oder neben dem
Habichtsknorpel des Brustbeines, und 2. die
tiefe Brustbeule, welche sich über dem Schulter¬
armgelenke in der Tiefe des Armwirbel-Warzen-
Digiti J
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6 BRUSTDRÜSE. -
muskels bildet. Eine antiphlogistische Behand¬
lung führt nur im Beginne des Leidens zurZer-
theilung der Brustbeule. Ist dieselbe sehr
schmerzhaft und der Verlauf langwierig, so sind
feuchtwarme Umschläge (Kataplasmen) wäh¬
rend 2—4 Tagen anzuwenden. Durch letz¬
tere Behandlung wird die Abscessbildung we¬
sentlich befördert, und kann nach kurzer Zeit
eine künstliche Oeffnung der Abscesshöhle er¬
folgen. Veraltete Geschwülste sind durch An¬
wendung von Jodpräparaten in Salbenform zur
Zertheilung zu bringen oder, wenn das nicht
gelingt, auf operativem Wege durch Aus¬
schälen der Geschwulst zu entfernen. Berdet.
Brustdrüse. Die Brustdrüse (Thymus),
Bries, Kalbsmilch, gehört zu den Blutdrüsen
und ist ein transitorisches, nur während des
fötalen Lebens und während der frühesten
Jugendzeit vorhandenes Organ, welches schon
in den ersten Lebensjahren auf dem Wege
der Verfettung zu Grunde geht und ganz
oder bis auf geringe Ueberreste verschwin¬
det. Die Brustdrüse liegt mit ihrem hinteren
unpaarigen Theil in der Brusthöhle unter
den grossen Gefässstämmen bis zum Herz¬
beutel zwischen den Blättern des vor¬
deren Mittelfells. An der ersten Rippe theilt
sich die Drüse in zwei Lappen, welche bei
dem Pferde dicht nebeneinander und durch
Bindegewebe verbunden unter und etwas zur
Seite der Luftröhre nach vom und oben bis
zur Höhe des sechsten Halswirbels verlaufen
und gegen das vordere Ende immer schmäler
werden. Die Drüse ist von einer zarten binde¬
gewebigen Hülle umgeben, weich, schlaff und
von gelbgrauer Farbe; sie besteht aus zahl¬
reichen, durch Bindegewebe locker vereinig¬
ten und demgemäss leicht trennbaren Lappen,
welche sich in immer kleinere und kleinere
theilen lassen. Die kleinsten Läppchen der
Brustdrüse haben einen Bau ähnlich dem der
Lymphfollikel, sie enthalten in einem Netz
von reticulärem Bindegewebe reichlich Zellen,
welche zum Theil mit den Lymphkörperchen
übereinstimmen, theils grösser als die letzte¬
ren sind und ausserdem eigenthümliche Ele¬
mente, welche in der Peripherie aus concen-
trisch übereinander liegenden Schichten be¬
stehen, einen rundlichen, kernähnlichen Körper
umschliessen und als Hassel’sche concen-
trische Körperchen bezeichnet werden. Die
Bedeutung der letzteren ist nicht näher be¬
kannt. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres
ist die Brustdrüse bei den Pferden meistens
vollständig verschwunden. — Bei den Wieder¬
käuern bildet der vordere paarige Theil der
Brustdrüse zwei lange Schenkel, welche durch
einen meist dünnen Strang mit dem hinteren
unpaarigen, in der Brusthöhle gelegenen Theil
Zusammenhängen und sich neben, sowie etwas
unter der Luftröhre bis zum Kehlkopf ver¬
folgen lassen. Die im unteren Theil des Halses
ziemlich dicken Schenkel werden gegen das
obere Ende immer dünner und dünner. Bei
dem Rinde bleiben Reste der Brustdrüse,
welche von reichlich vorhandenem Fettgewebe
umgeben werden, oft bis in das mittlere, so¬
gar bis in das vorgerückte Lebensalter er¬
- BRUSTFELL.
halten. — Die Brustdrüse des Schweine»
verhält sich ähnlich wie die der Wieder¬
käuer; bei den Fleischfressern hat da»
Organ einen viel geringeren Umfang, es er¬
streckt sich namentlich nicht weit am Halse
in die Höhe. Reste der Brustdrüse werden
nicht selten auch bei den Fleischfressern im
mittleren Lebensalter angetroffen. Die Arte¬
rien der Brustdrüse werden von den inneren
Brust- und von den Kopfarterien abgegeben,
sie vcrtheilen sich in dem Organ ähnlich wie
in den Lymplulrüsen: die Venen münden in die
innere Brust- und in die Halsvene, die Nerven
stammen vom Sympathicus. Die Brustdrüse
kommt auch bei den Vögeln vor, wenigstens
werden zwei neben jedem Bronchus gelegene
gefässreiche Körperchen als gleichwertig der
Brustdrüse erachtet. Dem Organe wird eine
ähnliche Function wie den Lymphdrüsen und
Lymphfollikeln zugeschrieben. Müller.
Brustfell (Pleura) ist die seröse Haut,
welche die innere Fläche der Brusthöhle
und die Lungen überzieht, so dass in der
Brusthöhle ebenso wie in der Bauchhöhle
sich Eingeweide und Körperhöhle mit glatten
und feuchten Flächen berühren. Es hat den¬
selben Bau wie das Bauchfell ('s. d.), bildet
jedoch zwei allseitig geschlossene Säcke (Brust¬
fellsäcke), welche fast genau in der Mittel¬
linie zusaminenstossen und dadurch eine als
M i 11 e 1 f e 11 (Mediastinum) bezeichnete Scheide¬
wand darstellen. Man denkt sich den rechten
und den linken Lungenflügel von dem Mittel¬
fell aus derartig in den entsprechenden Brust¬
fellsack eingeschoben, dass sie den letzteren
vollständig ausfüllen. An jedem Brustfellsack
unterscheidet man, abgesehen von dem Mittel¬
fell, ein parietales und ein viscerales Blatt
(Wandblatt und Eingeweideblatt). Das parie¬
tale Blatt zerfällt je nach dem von ihm be¬
kleideten Abschnitt der Brusthöhlenwand in
das Rippen fe 11 (Pleura costalis) und in den
Zwerchfelltheil(Pleura phrenica). Das viscerale,
die Lungen bekleidende Blatt wird Lungenfell
(Pleura pulmonalis) genannt und steht mit dem
Mittelfell, ferner durch Brustfellduplicaturen,
welche als Lungenband (s. Lungen) bezeichnet
werden, mit dem parietalen Blatt in Verbin¬
dung. An der äusseren Fläche des parietalen
Blattes findet sich eine Schicht von elasti¬
schen Fasern, welche an den Rippenwandun¬
gen und am fleischigen Theil des Zwerch¬
fells eine fast zusammenhängende Mem¬
bran — innere B r u s t b i n d e (Fascia endo thora¬
cica) — darsteilen und mit dem sehnigen
Theil des Zwerchfells untrennbar verschmel¬
zen. Die Brustbinde steigt von der Wirbel¬
säule zwischen den Theilungsästen der vor¬
deren Aorta, indem die elastischen Fasern
zum grössten Theil durch Bindegewebszügc
ersetzt werden, herab und geht in das fibröse
Blatt des Herzbeutels über. Der linke Brust¬
fellsack ist etwas kleiner als der rechte, wel¬
cher hinter dem Herzbeutel dadurch in zwei
Theile zerfällt, dass das Rippenfell nach oben zur
hinteren Hohlvene aufsteigt, sich um die letz¬
tere umschlägt, mit dem aufsteigenden Blatt
innig verbunden wieder bis zum Brustbein
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BRUSTFELLENTZÜNDUNG.
7
herabläuft und nunmehr erst in das Mittelfell
übergeht. Auf diese Weise entsteht ein oben
bis zur Hohlvene reichender, seitlich von den
beiden Blättern des Brustfellsackes, hinten
durch das Zwerchfell, vom durch den Herz¬
beutel begrenzter Kaum, welcher den mittleren
Lappen der rechten Lunge aufnimmt. Beide
Brustfellsäcke stossen im Mittelfelle nicht
überall dicht aneinander, es bleiben zwischen
den Brustfellsäcken stellenweise Räume, wel¬
che zur Aufnahme aller, abgesehen von den
Lungen, in der Brusthöhle befindlichen Organe
bestimmt sind und als Mittelfellsräume
(Cavamediastini) bezeichnet werden. Man unter¬
scheidet einen vorderen, mittleren und hinteren
Mittelfellsraum und eine gleichnamige Ab¬
theilung des Mittelfells. Das vordere Mittel¬
fell reicht von dem vorderen Abschluss der
Brustfellsäcke bis zum Herzbeutel und bis
zum Aortenbogen; in dem vorderen Mittel¬
fellsraum liegen die Luftröhre, der Schlund,
die Brustportion des Halsbeugers, grosse
Gefässstämme, das Endstück des Milchbrust¬
ganges, Lymphdrüsen, Nerven und bei neu¬
geborenen, bezw. ganz jungen Thieren die
hintere unpaarige Portion der Brustdrüse. Der
mittlere Mittelfellsraum wird durch das Herz
und durch den Herzbeutel ausgefüllt. Das
hintere Mittelteil zerfällt in einen oberen
und in einen unteren Theil, die Grenze zwi¬
schen beiden wird durch die Stelle ange¬
deutet, an welcher das Mittelfell in das Lun¬
genfell übergeht. In dem Mittelfellsraum des
oberen Theiles liegen die unter den Wirbelkör¬
pern verlaufenden grossen Gefässstämme,
weiter unten der Schlund und die parallel
mit demselben laufenden Gefässe und Ner¬
vender untere Theil ist dünn, spinnengeweb¬
artig und besteht aus einem linken Blatt,
der unmittelbaren Fortsetzung des oberen
Theiles, und aus einem rechten Blatt, welches,
wie oben erwähnt, nur bis zur hinteren Hohl¬
vene aufsteigt. In dem Mittelfellsraum beider
Blätter verlaufen Gefässe und Nerven. Müller.
Brustfellentzündung, Pleuritis s. Pleure-
sis s. Pleuresia (von «Xeopa, Seite oder Brust¬
fell) befallt alle Hausthiere, am häufigsten
die Pferde; sie tritt selten als ein selbstän¬
diges Leiden auf, in den meisten Fällen ent¬
zündet sich die Pleura secundär bei acutem
Rheumatismus, Erysipel, Herzleiden, Infec-
tionskrankheiten und nach vorhergegangener
Lungenentzündung (Influenza, Lungenseuche),
u. zw. auf einer Seite der Brust, wobei je¬
doch ein Uebergreifen auf die andere Seite
nicht ausgeschlossen ist. Das Brustfell selbst
wird in verschiedenem Umfange afficirt, bald
sind es nur kleinere Theile der Rippenpleura,
bald ist es das ganze Rippenfell, am häufig¬
sten aber die Lungenpleura, welche sich ent¬
zündet; in hochgradigen Fällen greift die
Entzündung auf das Mittelfell, das Zwerch¬
fell und den Herzbeutel über. Locale, kleine
Entzündungsherde auf der Pleura geben un¬
bemerkt vorüber, sie hinterlassen jedoch öfter
die Spuren einer vorausgegangenen adhäsiven
oder indurativen Entzündung, bestehend in
einer Exsudation fibrinöser Flüssigkeiten aus
den Gefässen, welche gerinnen, fest werden
und sich zu jungem Bindegewebe organisiren.
Diese Pseudoraembranen verbinden alsdann
die Brustorgane strangartig mit der Rippen¬
wandung, dem Pericardium oder dem Dia¬
phragma, oder das Exsudat bleibt in der
Serosa deponirt und führt hier zu einer binde¬
gewebigen Verdickung. Dies ist der Fall nach
unerheblichen traumatischen Verletzungen des
Thorax und nach Rippenbrüchen. Verdickung
der Pleura stellt sich im chronischen Ver¬
laufe der localen Entzündungsvorgänge ein,
so namentlich bei Lungentuberculose (Rotz,
Perlsucht), wenn die Entzündung auf die
Pleura übergeht; hier zeigt die Pleura nicht
selten eine schwartige, fibröse, feste Ver¬
dickung. Diese Neubildungen lassen öfter
eine deutliche Schichtung erkennen, weil
unter der ersten Schicht der Reiz fortbesteht
und zu neuen Exsudaten den Anstoss gibt.
Je jünger die Pseudomembranen sind, desto
weicher und desto lockerer sitzen sie der
Serosa auf, und umgekehrt. Hochgradiger ent¬
zündet sich die Pleura, wenn sie mit Fremd¬
körpern in Berührung kommt, die vom Schlunde
aus, bei Wiederkäuern von der Haube aus
in die Brusthöhle eindringen (spitze Gegen¬
stände, Nadeln, Nägel, Drahtstücke, Holz¬
stücke etc., Futterstoffe nach Zerreissung des
Schlundes), oder wenn Eiter und Jauche die
Lunge oder degenerirten Lymphdrüsen durch¬
brochen und sich in die Brusthöhle ergossen
hat; nicht selten steigert sich hier die Ent¬
zündung bis zum Brand, bei dem sich ein
Theil der Pleura lederartig abstösst (Brand¬
schorf) oder zu einem schmierigen Brei zer¬
fällt, während die Umgebung hochgeröthet
und aufgewulstet erscheint. Der Eiter kann
zu einer adhäsiven Entzündung zwischen
Lungen- und Rippenpleura führen, in Folge
deren der Eiter abgekapselt wird oder sich
einen Ausgang nach aussen bahnt. Eine der
häufigsten Ursachen beruht auf intensiven
Verkühlungen der Haut. Die Entzündung der
Serosa beginnt mit Stockung der Säftecircu-
lation; die Gefässe unmittelbar unter der
Serosa und die Capillaren der Serosa selbst
erscheinen mit Blut überfüllt, sie treten
als zierliche Gefässnetze hervor; unter dem
Mikroskope kann man beobachten, wie sich an
den Gefässwandungen flockige Klümpchen,
das durchgetretene fibrinhaltige Serum, an¬
häufen und Blutkörperchen, die den Wandun¬
gen massenhaft anliegen, durch die Gefäss-
stomata hindurchzwängen. Die Emigration
dieser Stoffe bedingt eine Trübung der Ober¬
fläche der Pleura, sie verliert ihren Glanz
und ihre Glätte, das Exsudat dringt bis zur
Oberfläche vor und schwemmt das Epithel
hinweg, es lagert als ein schmieriger,
eiterartiger Belag auf ihr, der mit der Zeit
fester, trockener wird und dann eine dem
geronnenen Eiweiss ähnliche, an locker ge¬
backenen Eierkuchen erinnernde Masse dar¬
stellt; der flüssige Theil des Transsudats,
das Serum, sammelt sich in der Tiefe des
Brustraumes an; es ist bei frischer Entzün¬
dung durch beigemischte zellige Elemente
8 BRUSTFELLENTZÜNDUNG.
(Lymphzellen, farblose Blutkörperchen, Kerne
und Epithelien) und Fibrinflöckchen getrübt.
Die Zellen zerfallen und lassen ihre Kerne
frei werden; man findet sie bei der mikrosko¬
pischen Untersuchung in den verschiedenen
Stadien des Zerfalles und mit verschiedenen
Einziehungen an ihrer Peripherie, die Kerne
von fein granulirten Fibrinflöckchen umgeben.
Ueber die Bildung des Fibrins ist das Nähere
unter dem Artikel „Ausschwitzung“ gesagt.
Häufig enthält das seröse Transsudat fibri-
nogene Substanz, es gerinnt alsdann unter
Zutritt der atmosphärischen Luft zu einem
lockeren, gelblichweissenKuchen; Beimischung
von Blutfarbstoff oder von rothen Blutkörper¬
chen verursacht eine mehr oder weniger rothe
Färbung, eine solche von vielen farblosen Zellen
eine eitrige Beschaffenheit. So lange das fibri¬
nöse Exsudat auf der Oberfläche der Rippen¬
oder Lungenpleura und auf dem Herzbeutel noch
weich ist, tritt es bei den Athem- und Herz¬
bewegungen mit den umgebenden Theilen in
Reibung, wodurch es ein zerhacktes, rauhes
Ansehen erhält. Saint-Cyr stellte fest, dass
bereits in 3—4 Tagen die Pleura mit finger¬
dickem Exsudat überzogen sein kann, schon
nach 3—9 Tagen hat es sich zu festeren
Pseudomembranen organisirt. Rindfleisch fand
bereits vom dritten bis siebenten Tage auf
Durchschnitten zahlreiche junge Bindegewebs¬
zellen in der Serosa selbst und neue Gefasse
von auffallend grossem Kaliber und mit zar¬
ten Wandungen, welche die Transsudation
erleichtern; der Druck des festen Exsudats
auf die Gefässe schränkt mit der Zeit die
Transsudation wieder ein, dasselbe verfettet
und verkäst unter der Hand und kann auf
diese Weise wieder resorbirt werden, es kann
aber auch eitrig zerfallen und dadurch eine
grössere Gefahr für den Patienten involviren.
Schüttelfrost und hektisches Fieber kündigen
diesen Vorgang an. Das Transsudat übt
auch auf Zwerchfell, Herz und Lunge einen
üblen Einfluss aus, indem es das Zwerchfell
nach hinten, das Herz nach seitwärts drängt,
die Intercostalräume hervorpresst und die
Lungen comprimirt. Da auch die Blutkörper¬
chen zerfallen und das Hämoglobin resorbirt
wird, so kann nach 7—14 Tagen das Trans¬
sudat heller werden und nach 23—30 Tagen
ganz hell geworden sein, sofern nicht weitere
entzündliche Nachschübe erfolgen oder blut¬
reiche Flächen nicht ausgelaugt werden. Fibri¬
nogen tritt erst in das Transsudat über, wenn
sien nach einigen Wochen die Entzündung
gemässigt hat; zuweilen wird es abgesackt,
öfter finden wir es bei Pferden nur auf einer
Seite der Brusthöhle, wenn die Lückensysteme
des Mediastinums durch Exsudat verklebt sind.
Den geschilderten Vorgängen entspre¬
chend ist der Leichenbefund. Wir sehen
die Pleura stark injicirt, geröthet, getrübt,
mit Blutextravasaten, mehr oder weniger festen
Exsudatmassen versehen, verdickt und durch
falsche Membranen verschiedentlich mit der
Umgebung verlöthet, die Lunge hyperämisch,
verdichtet, camificirt oder hepatisirt, an
anderen Stellen serös-eitrig infiltrirt und em¬
physematos, das Blut wenig decarbonisirt und
locker geronnen, die rechte Herzkammer und
die Hohlvenen vom angostauten Blut dilatirt,
Leber und Meningen hyperämisch, erstere
und das Gehirn serös durchfeuchtet, die Schleim¬
haut des Darmcanales in katarrhalischem Zu¬
stande und im subcutanen Bindegewebe serös-
sulzige Ergüsse.
Symptome. Abgeschlagenheit, Appetit*
Verstimmung etc. gehen dem eigentlichen Krank-
heitsausbruchc vorher, die Entzündung wird
durch Fieberanfälle eingeleitet, wobei sich der
Puls beschleunigt, die Arterie voll und ge¬
spannt fühlt, die Mastdarmtemperatur erhöht
ist, der Durst sich steigert. Bald macht sich
eine Beschleunigung der Respiration bemerk-
lich, die sich durch ihre oberflächlichen Athem-
züge bei Feststellung der Rippen der kranken
Seite auszeichnet; das entzündete Brustfell
soll so viel als möglich den Frictionen der
Lunge beim Athmen entzogen werden, des¬
halb wird auch der Husten unterdrückt und
erst mit der Abnahme der entzündlichen Zu¬
fälle kräftiger und freier. Mit der Zunahme
des Transsudats wird die Respiration kürzer
und beschwerlicher, was sich durch lebhafteres
Spiel der Nasenflügel, Aufsperren der Nasen¬
löcher, Tiefhalten des Kopfes und starke Action
der Bauchmuskeln zu erkennen gibt. Leiden
auch die Lungen mit, dann werden auch die
Vorderfüsse weiter auseinander gestellt, um
der Lungenthätigkeit einen freieren Spielraum
zu verschaffen. Vom Niederlegen ist keine
Rede mehr, geschieht es dennoch, so nur auf
kurze Zeit und auf der kranken Seite. Druck
auf den Brustkasten, namentlich auf die Zwi¬
schenrippenmuskeln, veranlasst die Patienten
zum Aus8tossen von Schmerzenslauten, des¬
gleichen das Gehen und Führen derselben.
Bei Pferden tritt die Pleuritis gewöhnlich
einseitig, bei anderen Thicren beiderseitig
auf, sie schreitet auf weitere Flächen und
bald auch auf die Lungenpleura vor, so dass
sie zur Pleuropneumonie oder Peripneumonie,
d. 1 l zur Brustfell-Lungenentzündung oder
Brustentzündung wird. Das abgesetzte Exsudat
verursacht ein bei der Auscultation der Brust
wahrnehmbares Reiben, das sich mit der Zu¬
nahme des serösen Transsudats verliert. Die
Lungenaffection markirt sich durch bron¬
chiales Schlürfen und Rasseln, verschärftes
Vesiculärgeräusch oder gänzliches Fehlen
desselben (Lungenatelektase), Dämpfung und
Hellerwerden des Percussionsschalles; die
Dämpfung begrenzt sich mit einer leicht fest¬
zustellenden horizontalen Linie, entsprechend
der Höhe des serösen Transsudates und des
festen Exsudats. Oberhalb der Dämpfungs¬
linie hört man tympanitisches Klingen. Das
Serum imbibirt die Intercostal- und Zwerch¬
fellmuskeln, versetzt sie dadurch in paretische
Schwäche, wodurch die Respiration noch mehr
erschwert wird. Mit der Abnahme des Trans¬
sudats wandelt sich der leere Percussionston
allraälig in den helleren, tympanitischen und
sonoren Ton um. Adhäsionen der Lungen mit
der Pleura lassen sich bei der Percussion
durch scharf begrenzte Dämpfung constatiren,
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BRUSTHÖHLE.
9
die Zunahme des flüssigen Transsudats in
der Brusthöhle auch durch die Mensuration
(metiri, messen), denn während anfangs die
kranke Seite verflacht ist und wie eingedrückt
erscheint, nimmt sie mit der Zeit einen
grösseren Umfang ein und steht im Verhält-
niss zur Dyspnoö, zu der sich bei etwas
längerer Andauer auch Oedembildungen zwi¬
schen den Kieferästen, an der Unterbrust und
an den Füssen und ein Blässerwerden der
bisher stark geröthetcn, feurigen Schleimhäute
hinzugesellt. Die Harnentleerungen sind spar¬
sam, der Harn reagirt sauer, er nimmt an
Oxalsäure und Eiweiss zu, während sein Ge¬
halt an Phosphaten, Kohlensäure und Koch¬
salz abnimmt; Abnahme der Säure und Ein¬
tritt einer alkalischen Reaction communiciren
mit Abnahme des Fiebers. Der Absatz der
Fäces ist verzögert, sie selbst sind trocken,
werden aber bei hinzugetretenem Darmkatarrh
diarrhöisch. In den geschilderten Symptomen
treten öfter Remissionen und Exacerbationen
abwechselnd ein, letztere stehen mit entzünd¬
lichen Nachschüben im Zusammenhang. Nach¬
haltige Remissionen, besonders Abnahme der
Körpertemperatur und Zunahme der Fress¬
lust, stellen die Reconvalescenz in Aussicht,
jedoch disponiren die Reconvalescenten zu
Recidiven, womit der Uebertritt in ein chro¬
nisches Stadium gegeben ist, in Folge dessen
sie in asthmatische und kachektische Leiden
verfallen und schliesslich ihnen erliegen. Die
Kachexie hat meistens ihren Grund in eiter¬
artigen Ergüssen — Pleuritis purulenta —
und Uebergang eitrig-jauchiger Zerfallsmassen
ins Blut, wobei die Kräfte aufgerieben werden.
In anderen Fällen nimmt die Pleuritis den
Ausgang in chronische Brustwassersucht. Der
grössere Theil der Patienten erliegt der Krank¬
heit, nur ein kleinerer Bruchtheil kommt
durch, bei dem sich die Pleuritis innerhalb
5—9—14—21 Tagen verliert; in 3—i Wochen
kann das Exsudat vollständig resorbirt sein,
anderenfalls bleiben asthmatische Beschwer¬
den noch monatelang oder zeitlebens zurück.
Lungen- oder Gehirnödem kann den Tod
beschleunigen.
Cur. Man eröffnet sie mit Regelung der
Diät, einem kühlen, luftigen Aufenthalt, einer
kräftigen Laxanz und, falls der Puls voll und
kräftig ist, mit einem Aderlass. Hierauf schreitet
man ohne Säumen zu scharfen Ableitungen
(s. d.) auf die Haut der Rippen oder zu
kalten, nassen Aufschlägen auf die Brust¬
wand. Als innerliche Medicamente sind die¬
selben Antiphlogistica anzuwenden wie gegen
Bronchialcroup und Bronchitis (s. d.), man
versetzt sie nur mit Diuretica (Fenchel, Anis,
Wachholder, Lorbeeren, Digitalis, Scilla,
Aconit, Terpentinöl, Jod, Jodkali, Potasche),
sobald sich Transsudat einstellt; für grössere
Thiere ist zu diesem Zwecke der längere
Zeit fortzusetzende Gebrauch des Stibio-Kali
tartar., für Hunde Kermes in Verbindung mit
Laudanum oder Morphium sehr wirksam.
Digitalis, Tinct. Hellebori viridis und Extr.
Aconiti beruhigen den Puh, Kampher, Arnica,
Alant, Angelica, Caryophyllata, Imperatoria,
China, Salicin etc. heben Schwächezustände.
Die roborirende Heilmethode ist wegen des
leicht eintretenden Collapsus vorzuziehen.
Hunden gibt man ein Vomitiv von Tart. stib.,
Calomel, Apomorphin oder Senf und Salz in
etwas warmem Wasser, auch kann man ihnen
ein Haarseil oder ein Fontanell vor die Brust
legen. Seröse Ergüsse verlangen Stimulantien
und Tonica (Eisen- und Bleipräparate, Catechu,
Tannin, Opium, Ingwer) und leicht verdau¬
liche, kräftige Nahrung, bei stärkerer An¬
sammlung in der Brust die Thoracocentese,
damit die Lungen vom Drucke des Exsudats
befreit werden. Die Punction kann mit jedem
kleinen Trocart (s. Bruststich), sehr zweck¬
mässig auch mit demDieulafoy’schen Aspirator
vorgenomraen werden; zur Erregung einer ad¬
häsiven Entzündung injicirt man nach Abfluss
des Serums kaltes Wasser oder Lösungen von
Carbolsäure, Jodtinctur oder Höllenstein, um
sie bald nachher wieder aufzusaugen. Ewald,
Riel, Fiedler u. A. empfehlen als ungefährlicher
und wenig schmerzhaft die Entleerung des
Serums mit dem Heberschlauch. Er besteht
in einer zugespitzten Punctionsnadel mit
längerem Gummischlauch; beide werden mit¬
telst Trichters mit Carbolwasser gefüllt und
dann die Nadel eingestochen, worauf das
Serum unter Verdrängung des Carboiwassers
abfliesst, das auf erstercs eine saugende
Kraft ausübt. Ist das Serum dickflüssig, so
muss man eine weitere Hohlnadel einstechen,
in deren Canule eine Spritze zum Ansaugen
eingeführt werden kann. Uebrigens muss die
Entleerung langsam und absatzweise ge¬
schehen, damit sich die comprimirte Lunge
wieder allmälig ausdehnen kann. Anacker.
Brusthöhle (Cavum thoracis) ist die
zweitgrösste Höhle des Körpers und zur Auf¬
nahme der Centralorgane der Respiration
und der Circulation bestimmt. Ihre knö¬
cherne Grundlage wird oben durch die Rücken¬
wirbel, seitlich durch die Rippen und
Rippenknorpel, unten durch das Brustbein
gebildet. Als hintere und vordere Brust¬
kastenöffnung bezeichnet man den durch
das Zwerchfell geschlossenen Raum zwischen
den letzten Rippen, bezw. den Raum zwischen
der ersten Rippe der rechten und der linken
Seite. Die vordere Brustkastenöffnung wird
durch die Luftröhre, den Schlund, durch
f rosse Gefässstämme, Lymphdrüsen und durch
as Brustfell verschlossen; Muskeln füllen end¬
lich die Zwischenräume der Rippen so voll¬
ständig aus, dass die Brusthöhle an keiner
Stelle direct oder indirect mit den äusseren
Körperöffnungen im Zusammenhänge steht.
In ihrer Gesammtheit stellen die Wände der
Brusthöhle den Brustkasten oder Brust¬
korb (Thorax) dar. Derselbe hat bei allen
Haussäugethieren die Form eines je nach der
Wölbung der Rippen etwas seitlich zusam-
mengedrückten oder mehr abgerundeten Kegels,
dessen stumpfe Spitze nach vorn und dessen
Basis nach hinten gerichtet ist. Entsprechend
djeser Form nimmt der Quer- und Höhen¬
durchmesser der Brusthöhle nach vorn stetig
ab. Da das Zwerchfell, welches Brust- und
10
BRUSTKASTEN. — BRUSTSEUCHE.
Bauchhöhle scheidet, schräg von oben und hin¬
ten nach unten und vorn verläuft, beträgt der
Längendurchmesser der Brusthöhle unmittelbar
unter den Wirbelkörpern fast das Doppelte
desjenigen, welcher durch Messung von dem
untersten Ende der ersten Rippe bis zum
Schaufelknorpel des Brustbeines gefunden
wird. Längen- und Querdurchmesscr ver¬
ändern sich jedoch je nach den Athmungs-
bewegungen, der erstere erheblicher als der
letztere. Bei den Vögeln fliesst die Brust-
und die Bauchhöhle zusammen, weil das
Zwerchfell rudimentär bleibt. Müller.
Die physikalische Untersuchung derB rust¬
höhle s. Auscultation, Palpation und Per¬
cussion der Brusthöhle. Vogel.
Brustkasten, s. Brusthöhle.
Brustkorb, s. Brusthöhle.
Brustkrallt, s. Anthyllis vulneraria.
Brustleiden, veraltete, als Gewährsfehler.
Ausser bei der Perlsucht, kommt es noch oft
in Folge überstandener Lungenseuche mit
partiellem Absterben einzelner Lungenpartien
zu Cavernenbildung, chronischem Husten und
Siechthum. Ferner veranlassen spitze Körper,
die vom Schlunde oder dem zweiten Magen
aus in die Brusthöhle, die Lungen und das
Herz dringen, chronische Entzündungen, Ver¬
dickungen, Wucherungen, Störungen der Herz-
und Lungenthätigkeit und der Verdauung,
Abmagerung, Abnahme der Milchergiebigkeit
und oft den Tod und geben daher Anlass zu
Klagen vor Gericht. Snnmer.
Brustmittel sind jene Arzneistoffe, welche
die in Unordnung gerathene Secretion der
„Brustorgane 11 , d. h. der Luftröhre, Bron¬
chien und Lungenalveolen, wieder hersteilen
sollen. Sie müssen nach zwei Richtungen
wirksam sein, nämlich die krankhaft ver¬
mehrte Schleimabsonderung beseitigen, also
den Auswurf, die Expectoration vermindern,
oder die stagnirenden Secrete verflüssigen,
dadurch mobil und so den Auswurf möglich
machen, (s. Expectorantia). Vogel.
Bru8trehe, s. Rheumatismus,
Brustseuche der Pferde, Pleuropneu-
monia equorum epizootica s. contagiosa (von
«Xeopa, Brustfell; irvsopuov, Lunge; tat, auf;
Cu>ov, Thier; equus, das Pferd; contagio, die
Ansteckung). Bisher bezeichnete man jedes
seuchenhafte Auftreten eines Brustleidens
unter den Pferden als „Influenza 4 *; nach dem
Vorgänge Dieckerhoffs (cfr. dessen Mono¬
graphie: „Die Pferdestaupe, 44 Berlin 1882)
reserviren wir aber die letztere Bezeichnung
für die Pferdestaupe, d. h. für eine leichtere
katarrhalische ansteckende Krankheit der
Pferde, während wir unter Brustseuche der
Pferde eine seuchenhaft auftretende, an¬
steckende Lungen-Brustfellentzündung ver¬
stehen; wir setzen uns auf diese Weise in
Uebereinstimmung mit der Nomcnclatur der
Menschenheilkunde, welche unter „Influenza 44
ein nervöses Katarrhalfieber begreift. Auch
die englischen Thierärzte unterscheiden zwi¬
schen eigentlicher epizootischer Pleuropneu¬
monie und ansteckendem Katarrhalfieber oder
Influenza. Ich habe in meiner speciellen Pa¬
thologie (Hannover 1879) die Brustseuche eine
Peripneumonia mycotica genannt, weil in den
Krankheitsproducten Pilzbildungen nachge¬
wiesen wurden. Friedberger in München (cfr.
„Zeitschr. für Veter.-Wissensch. 44 1874 u.4877)
constatirte nämlich in dem Transsudate der
Brusthöhle und in den erkrankten Lungentheilen
MikrococcenundMykothrixketten mit zuckender,
schwingender Bewegung, die er als das ent¬
zündungserregende Irritamentum ansieht,indem
diese pflanzlichen Mikroorganismen die Al¬
veolen und das interstitielle Bindegewebe der
Lunge reizen, die Lungencapillaren thromben¬
artig und embolisch verstopfen, so dass es
zur Emigration von Blut- und Lymphe-
bestandtheilen in der bei der Brustfellent¬
zündung geschilderten Weise, ebenso zu Er¬
nährungsstörungen des Lungengewebes kommt.
Die Mikrococcen werden mit dem Blute auch
anderen Organen zugeführt und bringen dort
Obliteration der Capillaren und embolische
Entzündung zuwege, so namentlich eine
herdweise lobuläre Pneumonie, eine Entzün¬
dung des Endocardiums und der Herzklappen
(Friedberger, Köster, Lustig, Anacker), Leber¬
und Darmkatarrh. Man wird sich nicht wun¬
dern, wenn die Mikrococcen auch deletär auf
das Blut einwirken. Franck und Leisering
entdeckten im Blute typhös erkrankter Pferde
ebenfalls Baeterien und Bacterienketten. Die
Brustseuche ist eine Infectionskranklieit, die
sich hervorragend durch ein entzündliches
Brustleiden, öfter mit katarrhalisch-entzünd¬
lichem Mitleiden des Darmcanales und der
Leber complicirt, ausspricht und durch die
Aufnahme eines pflanzlichen Virus in den
Körper hervorgerufen wird, das auch das
Contagium repräsentirt. In den meisten Fällen
gelangt das Virus mit der Luft zuerst in die
Luftwege, dann secundär in die Hinterleibs -
organe, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass
es mit den Nahrungsstoffen, besonders auch
mit dem Wasser gleich von Hause aus Magen,
Darmcanal und Leber inficirt. Pilze gedeihen
am besten bei einem bestimmten Wärme- und
Feuchtigkeitsgrade: in der Tliat sehen wir
die Seuche in feuchten, dunstigen, schlecht
ventilirten, unreinen, auf feuchtem, von Ex-
crementen durchtränktem Boden befindlichen,
mit Pferden überfüllten oder doch in grös¬
seren Mengen besetzten Stallungen auftreten,
wie dies in Cavallerie-, Remonte- und Mar-
ställen und bei Pferdehändlern, Posthaltern
und Fuhrunternehmern häufig der Fall ist.
Die Witterungsverhältnisse sind nicht ohne
Einfluss auf die Entwicklung der Pilze, eine
feuchtwarme Witterung begünstigt sie, wäh¬
rend eine vorausgegangene variable, rauhe
Witterung die Pferde zur Aufnahme der Pilz¬
keime sehr empfänglich macht, weil auf den
erweichten, aufgelockerten, katarrhalisch affi-
cirten Schleimhäuten diese leicht haften und
sich auf ihnen vermehren. In gleicher Weise
disponiren strapaziöse Arbeiten, die Härungs-
periode, erschlaffende, viele Feuchtigkeit hall-
tende Nahrung zur Aufnahme des Virus, w*eil
die Gewebe hiernach erschlaffen, leichter
vulnerabel sind und einen gewissen Feuchtig-
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BRUSTSEUCHE.
11
keitsstand besitzen, der dem Eindringen und
Gedeihen des pflanzlichen Virus äusserst
günstig ist. So sehen wir Pferde, die neu in
einen Stall und damit in andere diätetische
und hygienische Verhältnisse kommen, beson¬
ders wenn sie jung sind, oft zuerst in die
Brustseuche verfallen. Eine weitere Krank¬
heitsursache gibt alsdann das massenhaft
vorhandene, von den Kranken ausgehende
Virus ab, ein Thier steckt das andere an.
Die Contagiosität kann nicht geleugnet wer¬
den, viele Facta aus der thierärztlichen
Praxis erweisen sie, wenn schon die vergeb¬
lichen Impf-, Fütterungs- und Bluttransfu-
sions - Versuche mit Krankheitsproducten,
welche Percivall, Gerard, Hertwig, Rauch,
Dietrichs und Friedberger Vornahmen, da¬
gegen zu sprechen scheinen; diese Versuche
beweisen nur, dass das Virus vom Binde¬
gewebe und Magen aus und im Blute nicht
leicht zur Wirkung kommt; übrigens gelang
es Friedberger, einige Kaninchen mit einge¬
impften kranken Lungentheilen zu inficiren,
sie erlagen der Impfkrankheit. Haase führt
in den „Vorträgen für Thierärzte 1 *, II. Serie,
5. bis 6. Heft, eclatante und überzeugende Fälle
von der Ansteckungsfähigkeit der Brustseuche
von Stephan, Körber, Tetzlaff, Haselbach,
Rauch und Spinola an; oft genug konnte die
Einschleppung der Krankheit durch kranke
Pferde in bisher seuchenfreie Stallungen be¬
obachtet und nachgewiesen werden. Das Con-
tagium ist hauptsächlich flüchtiger Natur, es
tritt in die Luft über und mit ihr in die
Luftwege; Ansteckung durch Träger des Con-
tagiums hat man nicht nachweisen können, aus¬
genommen seuchekranke Pferde, welche häufig
das Contagium verschleppen ; die Empfäng¬
lichkeit dafür erlischt selbst bei den durch¬
seuchten nicht immer. Die Incubationszeit
schwankt zwischen 3 bis 14 Tagen, Rauch
berechnet sie sogar in einem Falle auf 4 Wo¬
chen, der aber nicht beweiskräftig ist, weil
die beiden Pferde, welche die Ansteckung
bewirkt haben sollten, selbst nicht krank,
sondern nur auf einer Weide mit kranken
zusammen gewesen waren. Die Brustseuche
ist eine Ortsseuche, eine Enzootie, das Virus
entwickelt sich unter örtlichen Verhältnissen
auch ausserhalb des Thierkörpers, die Seuche
kann demnach zu jeder Zeit bei uns ori¬
ginär entstehen. Die pathogene Wirkung
der Pilze ist in Kürze folgende: Sie setzen
sich mit besonderen Saugorganen oderHau-
storien in den Geweben fest, wuchern hier zu
vielfach sich verfilzenden Fäden (Thallus oder
Afycelium), aus denen andere Fäden, die Frucht¬
faden oder Conidienträger, hervorsprossen,
welche an ihren Spitzen Körnchen oder
Sporen (Samen) tragen. Aus einer Zweithei¬
lung des Plasmas der Sporen gehen die Mikro-
coccen hervor. Der Wucherungsprocess führt
zu Entzündung und diphtheritischem oder
gangränösem Zerfall der Gewebe. Als eine
feine, leicht permeable und transportable
Masse gelangen sie mit dem Blute in alle
Organe, irritiren selbst die Nervencentren,
geben durch ihre massenhafte Anhäufung in
den feinen Blutgefässen zu Obliterationen und
Embolien Veranlassung und üben zugleich
durch Sauerstoffentziehung und Ausscheidung
von Auswurfstoffen oder Erzeugung eines
chemischen Giftes einen zersetzenden Einfluss
auf das Blut. Wir treffen die auffallendsten
Läsionen in den Körpertheilen an, wo Höh¬
lungen, Vertiefungen, Schleimhautfalten, Ver¬
engerungen, Klappen etc. die Fortbewegung
der Pilzkeime erschweren, so dass sie da¬
selbst längere Zeit verweilen und zerstören
der einwirken. Die Wirkung besteht in Hem¬
mung der Säftecirculation, Hyperämie, in den
Zellen in Wucherung, trüber Schwellung und
fettiger Degeneration. Mitunter leiten die Bac-
terien nur die Krankheitsprocesse ein und
verschwinden alsdann spurlos, wie wir dies
von denSpirobacterien desRecurrensfiebers des
Menschen wissen. Röll und Bruckmüller be¬
trachten in ihren Lehrbüchern die Brust¬
seuche, resp. die Influenza nicht als eine
specifische, mykotische Infectionskrankheit,
sondern als einen acuten, seuchenhaft auf¬
tretenden Bronchialkatarrh, der sich mit
Lungen-Brustfellentzündung und mit Magen-
und Dannkatarrh paart.
Erscheinungen. Dem Ausbruche der
Krankheit gehen Abgeschlagenheit, Verstim¬
mung des Allgemeinbefindens und Husten
einige Tage vorher. Fieber leitet die Brust¬
seuche ein, die Fresslust lässt nach, die
Schleimhäute nehmen eine höhere, dunklere
Röthung an, häufig haben sie einen gelb-
röthliclien Timbre und sondern mehr Schleim
ab, der zur Nase abfliesst oder mit dem
Husten ausgestossen wird. Die Pulse sind auf
50—60, die Athemziige auf 18—25, die Tem¬
peratur auf ca. 39° gestiegen, ihre Frequenz
steigt in der Folge erheblich, die Pulse auf
70—90, die Athemzüge auf 30—60; auch ihre
Qualität ändert sich im Verlauf, während
der Puls anfänglich sich voll fühlt, wird er
später weich, klein, selbst fadenförmig und
unregelmässig, der Herzschlag pochend, die
Respiration kurz, beschwerlich, pumpend,
bauchschlägig, bei entzündlicher Affection des
Larynx und der Trachea brummend, pfeifend,
rasselnd. Laryngitis und Bronchitis kommen
öfter dadurch zu Stande, dass purulente,
jauchige Stoffe aus der Lunge in die Bron¬
chien und Luftröhre übertreten und beim
Entleeren durch die Nase die Gewebe reizen.
Die Dyspnoe ist die Ursache, dass die Pa¬
tienten sich nicht legen, denn das Liegen er¬
schwert das Athmen. Bezüglich der Symptome
und des physikalischen Befundes des Brust¬
leidens, resp. der an Umfang zunehmenden
herdweisen Pneumonie und Pleuritis verweise
ich auf die Artikel „Brustfellentzündung“
und „Bronchitis 11 . Der Mist- und Harnabsatz
ist spärlich und verzögert, der Durst grösser
als sonst. Der Harn hat eine mehr dunkle,
später eine milchartige Farbe, er wird trüb
und eiweisshaltig, seine Reaction eine neu¬
trale oder alkalische, der beim Stehen in
einem Gefässe sich abscheidende Bodensatz
besteht zufolgo der Analysen Sussdorfs aus
phosphor- und kohlensaurem Kalk und kohlen-
12
BRUSTSEUCHE.
saurer Magnesia: der Gehalt des Harns an
Phosphaten, Eiweiss und Schleim nimmt zu,
in demselben Verhältnisse der Gehalt an
Harnsäure und harnsauren Salzen ab. Die
mikroskopische Untersuchung weist im Harn
grosskernige Epithelzellen aus der Blase,
Fibrin- und Colloidcylinder au3 den Harn-
canälchen oder auch Gallenfarbstoffe nach
(vergl. „Blutharnen 41 ). Meistens wird das Sen-
sorium in Mitleidenschaft gezogen, wovon
Mattigkeit, Trägheit, Schlaffheit, Schläfrig¬
keit, Aufstützen oder Herabhängen des Kopfes,
matter Blick, Muskelzittern und Convulsionen
Zeugniss ablegen. Auch das Rückenmark leidet
Öfter paretisch mit, bei Bewegungen bemerkt
man Schwanken mit dem Hintertheil. Für die
Blutalteration sprechen schwacher, kleiner
Puls, kirschrothe, ziegelrothe oder bleifarbige
ecchymotische Schleimhäute, zunehmender
Collapsus und Oedeme an den extremen Kör-
pertheilen, für Endocarditis intermittirender
Puls, abnorme Herzgeräusche, Ausbleiben
eines Herztones und Dyspnoe, für Magen-
Darmkatarrh völliger Appetitmangel, Flatu¬
lenz und Diarrhöe, für Enteritis und Leber¬
katarrh Leibschmerzen, Verstopfung, ikteri-
sche Färbung der Schleimhäute und Empfind¬
lichkeit gegen Druck auf die Lebergegend.
Gelenke und Sehnen schwellen nicht selten
entzündlich an, auch die Augen zeigen sich
mehr oder weniger entzündet, die Augenlider
geschwollen, die Cornea getrübt. Ist die
Nasenschleimhaut mitleidend, dann fliesst aus
der Nase Schleim ab, der Ausfluss nimmt
eine Missfarbe und üblen Geruch an, wenn
der Schleim in den Bronchiolen und Bron¬
chien lange stagnirt oder die Pneumonie den
purulenten Charakter annimmt oder in Brand
übergeht. In grösseren Pferdebeständen greift
die Brustseuche vermöge ihres Contagiums
weiter um sich, neue Krankheitsfälle ereignen
sich anfangs nach 3—7 Tagen einige, später
fast täglich, sie können sich aber auch auf
einzelne Pferde beschränken, was von der
Quantität des Virus, der Individualität der
Thiere, der Pflege und Wartung und von den
günstigen oder ungünstigen Stall- und Witte¬
rungsverhältnissen abhängt. Sind alle diese
Umstände dem Krankheitsverlaufe zuträglich,
ist Pflege und Wartung untadelhaft, der Stall
reinlich und luftig, die Witterung trocken,
hell und beständig, so wird mitunter die
Seuche schon in ihren ersten Stadien coupirt.
Sehr übel influenciren scharfe Nordost winde,
plötzlicher Umschlag des Wetters und nass¬
kaltes, stürmisches Wetter auf den Krankheits¬
verlauf und die Mortalität, bald sterben nur
1—2%, bald 5—10—20%. Der Tod kann
durch Pneumonie, Endocarditis, acuten Hydro-
thorax, Asphyxie und Sepsis erfolgen. Nach¬
lässe und Verschlimmerungen wechseln öfter
miteinander ab. Recidive gehören zu den
Seltenheiten, häufig aber bleiben Nachkrank¬
heiten zurück, unter denen Verdauungsschwä¬
che, Asthma, paretische Schwäche oder wirk¬
liche Paralyse einzelner Körpertheile, Sehnen¬
verhärtung, Deformitäten einzelner Gelenke
oder des Hufes hervorzuheben sind. Die Höhe
der Krankheit steigt bis zum dritten, fünf¬
ten bis neunten Tage, von da ab verlieren
die Symptome an Heftigkeit, das Fieber lässt
nach. Munterkeit und Appetit kehren all-
mälig zurück, in weiteren 5—14 Tagen ist
die Genesung erfolgt, die sich allerdings bei
schweren Complicationen noch um mehrere
Wochen verzögern kann. Hohes Fieber (80 bis
100 kleine, drahtförmige Pulse, Temperatur
41—42° C.), aussetzender Herzschlag, suffoca-
tive Respiration, vorhaltende saure Reaction
des Harns. Krämpfe, Collaps, colliquativer
Durchfall stempeln die Patienten zu Todes-
candidaten. Feuchte, duftende Haut und reich¬
liche Entleerung eines trüben, schleimigen,
neutral reagirenden Harnes sind als kritische
Ausscheidungen anzusehen.
Die Autopsie liefert folgenden Befund:
Abmagerung; seröse Ergüsse ins subcutane
Bindegewebe, in Brust-, Bauchhöhle, Peri-
cardium. Hirnventrikel und Rückenmarkscanal
von schmutzigrother oder blutiger Farbe,
welche öfter Fibrinflocken, Mikrococcen und
Mykothrixketten enthalten und sauer reagiren;
blasse, serös durchfeuchtete, zellig infiltrirte,
körnig getrübte, erweichte Muskulatur, die
stellenweise ihre Querstreifung eingebüsst hat;
Blutaustretungen auf Schleim- und serösen
Häuten; Blut schwarz, syrupartig oder doch
nur locker geronnen, es enthält besonders in
den kleineren Venen und Capillaren des
Herzens und der Alveolen eine Menge Mi¬
krococcen und Bacterien bis zur wurstartigen
Anfüllung damit, öfter auch Hämoglobin-
krystalle und zerfallene Blutkörperchen; die
Schleimhäute in den Luftwegen, besonders
auch die Glottis, bis in die Bronchiolen hinein
entzündlich geschwollen, ecchymotisch. reich¬
lich mit Schleim oder Jauche bedeckt; die
Pleura und das Pericardium mit fibrinösen Auf¬
lagerungen versehen, geröthet, roth und
schwarz gefleckt, verlöthet, verschorft und
verdickt. Lungen aufgepufft, serös-blutig und
zellig - gelatinös infiltrirt, herdweise grau-
röthlich oder gelbgrau hepatisirt, so nament¬
lich in den vorderen Lungenlappen, den un¬
teren Lungenpartien und an der Lungen¬
wurzel, öfter an einzelnen Stellen käsig er¬
weicht oder brandig zerfallen, die Lungen¬
venen stark injicirt, verdickt, mit Thromben
angefüllt, öfter geborsten; Herz erweicht,
dilatirt, öfter fettig degenerirt, Endocardium
und Klappen dunkel geröthet, feinkörnig ge¬
trübt, roth und schwarz gefleckt (nach Lustig
ist die Endocarditis öfter das Cardinal-
symptom, ohne dass Abnormitäten im Be¬
reiche des Respirationsapparates nachgewiesen
werden können; Endocarditis ist ein ständiger
Begleiter der Brustseuche); die Leber hyper-
ämisch, geschwollen, streifig oder gleichmässig
dnnkel geröthet, Leberzellen öfter fettig de¬
generirt, die Schleimhaut in den Gallengängen
katarrhalisch aufgetrieben und verdickt; in
ähnlichem Zustande wie die Leber befinden
sich die Nieren; die Milz öfter etwas aufge¬
trieben, aber nicht erweicht ; die Schleimhaut
des Darmcanals aufgelockert, hyperämisch,
stellenweise fleckig oder gleichmässig ge-
BRUSTSTICH.
13
röthet, zeitig infiltrirt, ihres Epithels ver¬
lustig, Darmdrüsen geschwollen und hypcr-
ämisch, mitunter exulcerirt; Lymphdrüsen
hyperämisch aufgetrieben, markartig dege-
nerirt.
Die Diagnose ist durch den Infections-
gang, die kurz aufeinander folgenden Er¬
krankungen, das entschieden ausgesprochene
entzündliche Mitleiden der Brustorgane, die
ikterische Färbung der Schleimhäute und die
häufigen Complicationen gesichert. Als weiteres
diagnostisches Merkmal bezeichnet Friedberger
die saure Reaction des serösen Transsudats,
das bei einer nicht contagiösen Pleuropneu¬
monie alkalisch reagirt, und das Vorhanden¬
sein von Mikrococcen und Bacterien. Es han¬
delt sich nur um die Verhütung einer Ver¬
wechslung mit der eigentlichen Influenza,
einem leichteren, contagiösen, seuchenhaft auf¬
tretenden Katarrh, oder der Pferdestaupe.
In dieser Beziehung ist Folgendes zu be¬
merken: Die Pferdeseuche, Pleuropneumonia
contagiosa, ist eine einheimische Seuche, die
sich bei uns autochthon entwickelt, die In¬
fluenza eine fremdländische, von auswärts im-
portirte Seuche, deren specifisches Contagium
viel flüchtiger und inficirender ist als das der
Pferdeseuche, sie tritt plötzlich in Erscheinung,
die contagiöse Pleuropneumonie unter deut¬
lichen Prodromen. Die Erkrankung an der
Influenza oder Pferdestaupe ist eine leichte,
Complication mit Pneumonie und acutem Hy-
drothorax gehört zu den Seltenheiten, die
Schleimhaut des Auges ist ödematös infil¬
trirt, nicht gelbröthlich, die meisten Patienten
seuchen durch, nur äusserst wenige sterben
(1—2%), sie befällt fast sämmtliche Coha-
bitanten eines Stalles. Die Pleuropneumoniker
erkranken viel ernstlicher, sie alle schweben
mehr oder weniger in Lebensgefahr.
Behandlung. Vor allen Dingen ist für
Reinlichkeit, reine, frische Luft, gute Pflege,
wenn möglich für Aufenthalt im Freien zu
sorgen, die Wände, Krippen und Raufen sind
hin und wieder mit Carbolwasser zu bespritzen
oder abzupinseln, die Kranken von den Ge¬
sunden sofort zu separiren; auch Chlor¬
räucherungen im Stalle empfehlen sich. Das
Futter muss leicht verdaulich sein, im Ge¬
söff können Säuren, am besten Carbolsäure
oder carbolsaures Natron gegeben werden. !
Statt der Ableitungen auf die Brustwand
applicire man energisch kalte Begiessungen
und Umschläge, um die Körpertemperatur
herabzusetzen, ihre Wirkung ist durch Kalt-
wasserklystiere zu erhöhen. Der Aderlass
unterbleibt am besten, er schwächt zu viel,
da die Patienten ohnehin zur Adynamie hin-
neigen. Deshalb sind auch Antiphlogistica
nur vorsichtig anzuwenden, am meisten zu
empfehlen ist der Tart. stib. zu 15*0 g pro
die, mit Kali chlor, und Natr. subsulfuros.,
alle vier Stunden repetirt. Als Roborantien
empfiehlt Haubner Kampher und Digitalis,
Köhne Ol. Terebinth. mit Tart. stib. und Kali
earb., Rodloff Calomel und Kampher, Andere
Ferr. sulfur., Cupr. sulf., Solutio arsenic.,
China, Kampferspiritus, Aether, Carbolsäure
(1*0—3 0—9*0 :100*0 Wasser), Salicin, Aloe,
Plumb. acet., Alaun, Ingwer, Nux vomica,
Alkohol, Ol. phosphorat. 0*15—3*0 pro die,
Aconit etc. Die englischen Thierärzte hüllen
die Patienten in Decken ein, welche in heisses
Wasser eingetaucht wurden; über die nassen
Decken werden trockene gelegt. Von Zeit zu
Zeit werden die Decken wieder in heisses
Wasser getaucht oder damit begossen, aber
nach 1—2 Stunden entfernt, worauf die Haut
trocken gerieben und mit Seifenliniment und
Opiumtinctur eingerieben wird. Dieses Ver¬
fahren soll während einiger Tage zweimal
täglich in Anwendung kommen. Krüger be¬
nützte das Natrium jodicum subcutan, u. zw.
0*50—0*75 auf 10*0—12*0 Aqua destill.,
täglich zweimal; im Getränke kann Natr.
salicylic. 20*0 gegeben werden. In hoch¬
gradigen Fällen von acutem Hydrothorax wirkt
die Punction der Brusthöhle oft lebensrettend.
Nach dem Erlöschen der Brustseuche sind
die Stallungen genügend zu desinficiren. Anr
Bruststich, Thoracocentese, ist eine Ope¬
ration, welche im Durchstechen der Brustwand
zum Zwecke der Entleerung angesammelter
Flüssigkeiten besteht. An und für sich ist der
Bruststich weniger gefährlich, insoferne Vor-
sichtsmassregeln gegen das Eindringen von
Luft in den Pleuralsack getroffen werden. Die
Operation wird meistens bei acuter und chro¬
nischer Brustwassersucht mit starken Athem-
beschwerden ausgeführt, und es werden dazu
Trocarts kleineren Kalibers, mit Hähnen ver¬
sehen, verwendet. Diese Trocarts, als Brust-
trocarts bezeichnet, kommen in verschiedenen
Constructionen vor, worunter derjenige von
Langdouzi (Fig. 289) als besonders praktisch
Fig. 289. Brusttrocart von Langäuuzi
erwähnt wird, welches Instrument eine getheilet
Canule besitzt. Das Eindringen der Luft kann
damit leicht vermieden werden, indem an dem
gekrümmten Theile eine kurze Kautschukröhre
befestigt und dann in ein mit Wasser gefülltes
Glas eingetaucht wird, was übrigens mit einem
14 BRUSTTHEE. — BRUSTWASSERSUCHT.
einfachen Hahntrocart, wenn auch weniger
bequem, ebenfalls ausgeführt werden kann
(Fig.290). Derselbe Zweck wird mit demBrust-
trocart vom Schuh, dem ein sog. Trog (Fig. 291)
beigegeben ist, erreicht, indem der Trog mit
Fig. 290. Senkrechter Thorax-Darchschnitt • a comprimirte
Lange, b Exsudat, c Herz, d Trocartcaiulo mit Kaatachuk-
rohr.
Fig. 291. Schulischer Trog.
Wasser gefüllt wird. Der Abfluss der Flüssig¬
keit muss langsam geschehen, damit die Cir-
culationsverhältnisse Zeit haben, sich auszu¬
gleichen, weshalb die vielfach empfohlene
Anwendung der Säugpumpe von Dieulafoy
weniger geeignet erscheint. Der Einstich ge¬
schieht beim Pferd zwischen der sechsten und
siebenten oder siebenten und achten Rippe,
beim Rinde ebenfalls, beim Schweine zwischen
der siebenten und achten oder achten und
neunten und beim Hunde zwischen der fünften
bis neunten Rippe. Es wird der mit dem
Zeigefinger begrenzte Trocart unmittelbar über
der äusseren Brustvene nach vorhergegan¬
genem Abscheren der Haare senkrecht ein¬
gestochen. Berdcz .
Brustthee. Früher übliche bestimmte Mi¬
schungen von Arzneimitteln, welche bei Kehl¬
kopf-, Bronchial- und Lungenerkrankungen
katarrhalischer Art von günstiger Wirkung
sind — Species pectorales, wie z. B. Eibisch,
Malven, Leinsamen, Bockshornsamen, Süss¬
holz, Wollblumen, Wasserfenchel, Enula,
Kalmus, Anis u. s. w. Jetzt verordnet man
diese und ähnliche Stoffe ganz dem Einzel¬
fall entsprechend (s. daher Expectorantia). VI.
Brustuntersuchung, s. Auscultation und
Percussion.
Brustverletzungen in gerichtsthierärzt¬
licher Beziehung zerfallen in leichte, schwere
und tödtliche. Die leichten Verletzungen be¬
treffen nur die Haut und Brustmuskulatur,
ohne in die Brusthöhle zu dringen, oder be¬
stehen in kleinen, scharfen, durchdringenden
Schnitt- und Stichwunden ohne Verletzung
der Brustorganc und grösserer Gefässstämrae.
Zu den schweren Brustverletzungen gehören
grosse, penetrirende Brustwunden, complicirt
mit Rippenbrüchen, Verletzungen der Lungen
und des Zwerchfells und grösserer Blut¬
gefässstämme mit Eindringen von Luft in den
Thorax, Blutungen und Vorfällen der Bauch¬
eingeweide in die Brusthöhle, traumatische
Pleuriten und Pneumonien. Tödtlich sind alle
Brustverletzungen mit gleichzeitiger Ver¬
letzung des Herzens und der grossen Gefäss-
stämme (Aorten, Hohlvenen, Lungenarterien.
Lungenvenen). Zerreissung des Schlundes und
Eintritt von Futterstoffen und Getränken in
die Brusthöhle, Zerreissungen der Nevi Vagi
und Phrenici und des Ductus thoracicus
(s. Verletzungen). Scmmer.
Brustwassersucht, Hydrothorax s. Hydrops
pectoris (v. 58t»p, Wasser: foopocj = pectus,
Panzer, Brust). Jede Ansammlung von Serum
in der Brusthöhle wird Brustwassersucht ge¬
nannt. Dem Verlaufe und der Dauer nach
unterscheidet man die acute Brustwassersucht
als Begleiterin der Brustfellentzündung von der
chronischen, Wochen und Monate anhaltenden
als Nachkrankheit der Pleuropneumonie oder
als Symptom einer allgemeinen Hydrämie oder
hydropischen Krase, die darin besteht, dass im
Verlaufe chronischer Krankheiten, bei welchen
der Organismus durch Säfteverluste geschwächt
wird und das Blut an festen und plastischen
Stoffen verarmt, die wässerigen Bestandtheile
im Blute überhandnehmen und unter verstärk¬
tem Blutdrucke aus den überfüllten Gefässen
hindurch gepresst werden. Den acuten Hydro¬
thorax hat man seines Gehaltes an Fibrinogen
wegen auch den lymphatischen oder heissen,
Hydrops calidus, den chronischen, mehr wäs¬
serig-dünnen den serösen oder kalten. Hydrops
frigidus, genannt. Ursachen, Entstehungsweise
und Behandlung sind dieselben wie die der
Bauchwassersucht und der Brustfellentzündung,
weshalb wir darauf verweisen. Die Brust¬
wassersucht tritt am häufigsten bei Pferden und
Hunden nach Pleuropneumonie und Pericarditis
auf, bei anderen Thieren ist sie meistens ein
secundäres Leiden anderer chronischer, zur
hydropischen Krase führender Krankheiten. Das
im Thorax vorhandene Serum belästigt zu¬
nächst die Lungen; anfangs schwimmen sie
auf dem Wasser, bei zunehmender Menge
tauchen sie im Serum unter, werden compri-
mirt und in Folge der Compression hyper-
ämisch, serös-zeilig infiltrirt und endlich atel-
ektatisch. Das Herz wird ebenfalls in seinen
Bewegungen behindert und seine Muskulatur in
Folge seröser Durchtränkung der Fasern in
seiner Contractionskraft geschwächt, wie dies
auch bei den Intercostal- und Zwerchfellmuskeln
der Fall ist. Die Todesursache ist deshalb theils
in der Dyspnoö und Aspbyxie, theils in Herz¬
lähmung und Marasmus zu suchen.
Symptome. Diese gestalten sich je nach
den primären Leiden, aus denen sich die
chronische Brustwassersucht entwickelt, etwas
verschieden. Da, wo sie aus einer Pleuritis
hervorgeht, lässt Schmerz und Fieber nach, die
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BRUSTWURZEL. — BÜBALUS.
15
beim Athmen festgestellten Rippen treten wie¬
der in Action, das Athmen wird dabei mehr
and mehr mühsamer, bauchschlägig, die Athem-
noth zwingt zum Aufreissen der Nasenlöcher
und zu beständigem Stehen, wenigstens ver¬
mögen die Patienten das Liegen nicht lange
auszuhalten. Die Schleimhäute verlieren ihre
Röthe, werden mehr blass und wässerig auf¬
gedunsen, der Puls wird klein und weich, der
Herzschlag prickelnd, flächenhaft oder nur rechts
fühlbar, das Blut staut sich in den Jugularen
an, Oedeme zwischen den Kieferästen, an Brust-
und Bauch stellen sich ein, die Schwäche nimmt
zu. Grössere Wasseransammlung verräth sich,
ausser den bei der Brustfellentzündung ange¬
führten physikalischen Merkmalen, durch un-
dulirendes Plätschern und kluckende Geräusche,
wenn man die Brustwand durch kurze Stösse
erschüttert, oder wenn man kleinere Thiere auf
das Hintertheil setzt. Der rapide Verlust des
Blutes an Wasser erregt einen lebhaften Durst,
es wird deshalb gern viel Getränk aufgenommen,
obschon nur wenig Ham abgesetzt. Die Nutrition
wird hiebei erheblich beeinträchtigt, die Ab¬
magerung macht schnelle Fortschritte, Haare
und Wolle werden trocken und glanzlos, die
Patienten gehen an allgemeiner Entkräftung
nach einigen Wochen, öfter erst nach mehreren
Monaten ein. Auf Genesung ist nur zu hoffen,
wenn die Wasseransammlung keinen hohen
Grad erreicht und die Patienten noch ziemlich
kräftig sind, indess werden den Reconvale-
scenten oft noch Recidive verderblich, die sich
am leichtesten bei nasskalter, rauher Witterung
und nach kärglicher, proteinarmer Fütterung
einfinden. Bei der chronischen Brustwassersucht
ist in der Regel das vorhandene Serum hell
und klar, öfter aber wird es trüb und fibrinös,
wenn neue schleichende, entzündliche Anfälle
sich ereignen; dementsprechend vermissen wir
meistens auf der Pleura alle phlogistischen Er¬
scheinungen, sie ist im Gegentheil blass und
wässerig aufgedunsen. Die Paracentese der
Brust erleichtert die Patienten, sie muss aber
öfter wiederholt werden, weil sich immer wieder
neues Transsudat ergiesst; soll sie wirksam
sein, so muss sie in den ersten Stadien ge¬
macht werden. Hunde leiden gewöhnlich zu¬
gleich an Herzbeutel Wassersucht; es muss dann
auch der Herzbeutel punktirt werden. Das
Verfahren der Paracentese und die bei ihr
nöthigen Cautelen s. u. Bruststich Anacker.
Die Brust- und Bauchwassersucht
der Frucht besteht in einer zunehmenden
Ansammlung von serösen Flüssigkeiten in der
Brust- und Bauchhöhle. Brust- und Bauchhöh¬
lenwassersucht können gleichzeitig, oder es
kann, und zwar meist die Bauchwassersucht
ohne gleichzeitige Brustwassersucht bestehen.
Früchte mit blosser Höhlenwassersucht werden
meistens ausgetragen und bedingen je nach der
Menge des angesammelten Wassers eine ver-
schiedengradig erschwerte Geburt. Die Höhlen¬
wassers acht derFrucht kann erst bei derenGeburt
mit Sicherheit diagnosticirt werden. Besteht
neben der Höhlenwassersucht zugleich Haut¬
wassersucht, so heisst man derart erkrankte
Kälber — man beobachtet nämlich diesen
morbiden Zustand nur bei Kälbern — Speck¬
oder Mond- oder Wasserkälber. Die Ursachen
der fötalen Wassersucht liegen höchst wahr¬
scheinlich in fötalen Kreislaufsstörungen und
dadurch bedingten Stauungen im Systeme der
Hohlvenen, sowie wohl auch in fötalen Nieren¬
erkrankungen. Strebei.
Brustwurzel, echte Engelwurz, s. Ar
changelica officinalis.
Brut nennt man in der Zoologie die
Nachkommenschaft eierlegender Thiere; in
der Botanik werden Ausläufer, Wurzelsprossen,
junge Zwiebeln so genannt.
Bryonia alba, schwarzbeerige Zaunrübe,
Hundsrübe, Tollrübe, Gichtrübe, bei uns
überall an Zäunen mit 3—4 m langen Sten¬
geln umherrankende Cucurbitacee L. XXI. 42;
herzförmig gezähnelte, fünflappige, mit scharfen
Haaren besetzte Blätter; einhäufige gelbgrüne
Blüthen, Doldentrauben, schwarze Beeren. Die
armdicke, rübenförmige Wurzel (Teufelskir¬
schen- oder Faulrübenwurzel),
Radix Bryoniae, enthält ein scharf
bitteres Glykosid, Bryonin, das ähnlich der
Aloö oder Coloquinthen stark abführt, etwas
harntreibend ist und aus diesem Grunde
als Drasticum hydragogum bei Hinterleibs¬
stockungen, Darmstasen, Leberschwellungen,
Wassersüchten, selbst Epilepsie bis vor Kurzem
auch in der Veterinärmedicin Anwendung ge¬
funden hatte. Das Gleiche gilt von der
Bryonia dioica, die jedoch zweihäufige
Blüthen treibt und rothe Beeren trägt; beide
haben ihrer ungleichen und nicht zuver¬
lässigen Wirkungen wegen jetzt der Aloe
weichen müssen, gelten aber nichtsdesto¬
weniger in der Homöopathie als sichere
Mittel. Vogel.
Bubalus, Büffel, Säugethier aus der
Ordnung der Paarzeher, Artiodactyla, Unter¬
ordnung der Wiederkäuer, Ruminantia, Familie
der Hohlhörner, Cavicornia, Unterfamilie der
Rinder, Bovina. Die Büffel unterscheiden sich
von anderen Rindern durch schwach behaarten
Körper, das bis zur Kante des Hinterrandes
der Nasenlöcher unbehaarte Nasenfeld, die
gewölbte Stirn und Hörner, welche abge¬
plattet oder kantig, meist von dreieckigem
Querschnitt, nach hinten gerichtet sind. Das
Verbreitungsgebiet der Büffel erstreckt sich
über Afrika, Ostindien und die Sunda-Inseln
bis Celebes, in gezähmtem Zustande auch
über Südeuropa. Die verschiedenen Arten der
Gattung lassen sich in drei Untergattungen
theilen, die auch geographisch auf bestimmte
Ländergebiete sich vertheilen.
4. Probubalus. Rütim. Diese Unter¬
gattung vermittelt den Uebergang der Anti¬
lopen zu den Rindern. Der Schädel ist lang,
die Parietalzone ausgedehnt und schief nach
der Stirnhöhe aufsteigend, von der Hinter¬
hauptfläche winkelig abgesetzt. Die Hörner
haben einen dreikantigen Querschnitt mit ver-
ticaler Aussenseite und sind gerade, mehr
oder weniger nach hinten gerichtet, an der
Basis geringelt. Diese Form tritt schon in
den mioeänen Ablagerungen der sivalischen
16
BUBO. — BUCHECKERN.
Hügel am Südabhang des Himalaja auf und
ist noch in einer Art, dem Probubalus cele-
bensis Rütim. (Anoa depressicornis), auf der
Insel Celebes bis in die Jetztzeit erhalten.
2. Büffelus. Hier ist der Schädel aus¬
gezeichnet durch die nach allen Seiten gleich-
mässige Wölbung der Stirn, den allmäligen
Uebergang der Stirn in das Occiput, die
gegenüber den Rindern noch bedeutende Aus¬
dehnung der Parietalfläche. die knotigen
Hörner, welche nach unten flach und oben
stumpfknotig sind, wenden sich seitwärts und
abwärts mit mehr oder weniger starker Krüm¬
mung nach hinten; die Hornbasis ist stark ge¬
runzelt, die Spitze glatt. Der Gesichtstheil
ist langgestreckt. Die Arten dieser Gattung
leben noch wild in Indien und auf dem indi¬
schen Archipel. Fossil finden sich die ersten
Reste in spättertiären Ablagerungen (1er Siva-
likhügel als Bubalus sivalensis Rütim. dann
in den pliocänen Ablagerungen des Ner-
buddathales in Indien, B. palaeindicus Falk,
eine kleinere Form, welche sehr nahe mit dem
vorigen verwandt ist, B. Pallasii Rütim. fand
sich im Diluvium von Danzig. Von lebenden
Vertretern kommt in Ostindien und Ceylon
der gemeine Büffel, B. indicus, vor, von dem
eine Varietät, B. arni Sh., existirt, deren
Hörner eine Divergenz von 2 m erreichen
können. Der B. indicus wurde schon in frü¬
heren Zeiten in Indien gezähmt und als Zug¬
thier benützt, von da scheint er frühe nach Per¬
sien verbreitet worden zu sein. Trotzdem dass
Reste eines mit dem indischen Büffel wahrschein •
lieh identischenThieres in diluvialen Ablagerun¬
genitaliens gefunden wurden, war im Beginn dei
historischen Zeit der Büffel in Südeuropa un¬
bekannt, ebenso auch in Aegypten. Erst am
Ende des VI. Jahrhunderts scheint der zahme
Büffel von Kleinasien aus nach Italien ge¬
bracht worden zu sein, wo er sich nur lang¬
sam vermehrte. Gegenwärtig wird der zahme
Büffel in Indien, Kleinasien, Afghanistan,
Armenien, am kaspischen und schwarzen Meere
und in Aegypten gehalten. In Europa trifft
man ihn in Italien, Ungarn, den unteren Donau¬
ländern und Griechenland. Er wird haupt¬
sächlich als Zugthier benützt, in Aegypten
auch der Milch und des Fleisches wegen ge¬
halten. Die zweite Form der Untergattung
Buffelus ist der Sundabüffel, Bubalus son-
daicus Schl., Karbau. Er unterscheidet sich
durch schwächeres, mehr nach hinten ge¬
richtetes Gehörn und hellere Farbe von dem
gemeinen Büffel. Gezähmt und verwildert auf
den Inseln des malayischen Archipels und in
Indien.
3. Bubalus s. s., die Gruppe der Afrika
bewohnenden Büffel, zeichnet sich aus durch
weniger abgeplattete Hörner, welche an der
Basis bedeutend anschwellen und schliesslich
die ganze Stirnfläche einnehmen können. Der
Gesichtstheil des Schädels ist mehr verkürzt
und zugespitzt als bei den vorigen. Eine Art
fossil im Diluvium von Algier, Bubalus anti-
quus. Lebend in Centralafrika. B. brachyceros
Gray, in Südafrika, B. caffer L., beide Arten
nur wild. Studer .
Bubo (6 ßooßtt>v, die Drüsen neben der Scham,
bei Hippokrates besonders die geschwollenen
und entzündeten Leistendrüsen), 1. die ge¬
schwollene Leistendrüse, wie sie bei bösartigen
infectiösen Genitalerkranknngen auftritt; 2. viel¬
fach auch für andere Drüsenbeulen gebräuch¬
lich. Sussdorf\
Bubonokele (6 ßooßtuv, die Leisten¬
gegend, und : t\ xtqXyj, Bruch), Leistenbruch,
Geschwulst in der Leistengegend. Sussdorf
Buccinator, Bucinator, der die gewundene
Trompete (bucina) Blasende. Uebertr. für
Backenmuskel als dem beim Trompetenblasen
besonders in Anspruch genommenen Muskel. Sf
Buch, s. Magen der Wiederkäuer.
Bu charisches Pferd. Die Reisenden, welche
die grosse und kleine Bucharei durchwandert
haben, berichten, dass sie dort eine weit
ausgedehnte und zum Theil auch ziemlich
sorgfältig betriebene Pferdezüchtung gefunden
hätten. Nach neueren Beschreibungen der
bucharischen Pferderasse gehört dieselbe mit
zu den besten des Orients, jedenfalls übertrifft
sie beiweitem die Turkomanen-Rasse. •— Nach
Fitzinger’s Meinung sind die bucharischen
Rosse aus der Kreuzung der hyrkanisch-per¬
sischen mit tangunischen Pferden hervor¬
gegangen, da sie in Bezug auf Form und
Eigenschaften eine Verwandtschaft mit beiden
zu erkennen geben. Man rühmt ihre stolze
Haltung, ihren Muth, die Lebhaftigkeit und
den raschen Gang; es wird sogar berichtet,
dass sie fort und fort springen (galopiren?),
sich häufig bäumen, im Gange drehen, aber
alle diese Bewegungen mit grossem Geschick
und Anstand ausführen. Solche Thiere er¬
fordern selbstverständlich sehr tüchtige Reiter,
die sich aber auch unter der dortigen Be¬
völkerung viel häufiger als bei uns finden
mögen. — Der Gang der bucharischen Pferde
steht in der Mitte zwischen Pass und Galop,
kann vielleicht Halbpass genannt werden, und
ist derselbe bei den Tataren in der Bucharei
ganz besonders beliebt. Die Farbe dieser
Pferde wird verschieden angegeben; Schecken
sollen unter ihnen oft Vorkommen und gern
gesehen sein, weil diese gerade von in¬
dischen Händlern beim Ankauf bevorzugt
werden. Aber auch andere Haarfärbungen
sind nicht selten. In der Bucharei kommen
viele Thiere der kirgisischen Rasse vor, die
jedoch meistens geringer geschätzt werden
als die echten Bucharen, weil sie weniger
Milch zur Kumysbercitung liefern sollen.
Von anderer Seite wird wieder berichtet, dass
die Kirgisenstuten sich durch grosse Milch-
ergiebigkeit auszeichnen. Freytag.
Bucharisches Schaf, s. Zackeischaf.
Bucheckern und Bucheikuchen als
Futtermittel. Die Samen der Buche (Fagus
sylvatica) gehören zu den sog. schädlichen Kör¬
nerfrüchten, indem sie erwiesenermassen den
Pferden, Eseln und Maulthieren giftig sind.
Sie enthalten nämlich einen alkaloidartigen
Körper, das sog. Fagin. Sie sind überdies
wegen ihrer harten Schale schwer verdaulich,
werden aber wegen ihres Oelroichthums in
BUCHECKERNVERGIFTUNG. — BUCHWEIZEN.
17
grossen Mengen gesammelt und behufs Oel-
gewinnung entweder im geschälten oder un¬
geschälten Zustande ausgepresst. Die Press¬
rückstände aus den geschälten Bucheckern
gehören zu den stickstofireichsten Futter¬
küchen, während die aus ungeschälten Samen
viel weniger nährstoffreich und überdies hart,
holzig und schwer verdaulich sind. Es ent¬
halten :
Bucheikuchen
ungeschält
geschält
Trockensubstanz.
79-3—90 0%
ira Mittel 83’9 „
87-5%
Protein.
. 15*8—24*0,,
im Mittel 18*2 „
371 „
Fett .
... 0*4—11 *7 ,,
im Mittel 8*3 „
7*5 „
stickstofffr. Extract-
Stoffe.
. . 21*6—36*3 „
im Mittel 28*3
«9*7 „
Rohfaser.
... 20 8 —26 2 „
im Mittel 23 *9 „
5*5 „
Asche..
. 8*2
7*7 „
Die Bucheikuchen, wie auch die Bucheckern
haben sich besonders zu Mastzwecken (Schweine
und Rinder) vortrefflich bewährt und sind
ein gut verwendbares Kraftfutter für Milch-,
Arbeite- und Schafvieh. Den Pferden, Eseln
und Maulthieren sind auch die Bucheikuchen
unzuträglich. Pott\
Bucheckernvergiftung. Die Buchein,
Buchnüsse oder Bucheckern unserer Buchen¬
wälder, für gewöhnlich nur als Schweine¬
futter benützt, enthalten neben dem wohl¬
schmeckenden Speise- und Brennöl ein nar¬
kotisch giftiges Princip, das in den Press¬
rückständen (Bucheckernkuchen) besonders
stark zum Ausdruck kommt und merkwürdiger¬
weise für Pferde tödtlich ist, während es an¬
deren Thieren nur in sehr grossen Quantitäten,
wie sie gar nicht verfüttert werden, verderblich
ist. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in
Kolikzufallen, Athmungsnoth bei hoch ge¬
steigertem Puls und Schweissausbruch, worauf
Reactionserscheinungen vom Nervensystem
folgen, bestehend in Zittern, Convulsionen,
stierem Blick, Mydriase, Taumeln und schliess-
licher Lähmung des lumbalen Theiles vom
Rückenmark, welcher Paralyse heftige Wuth¬
ausbrüche, tetanische Suffocationserscheinun-
gen vorherzugehen pflegen, denn der Into-
xicationstod geht vom Athnmngscentrum aus,
wo sich auch grössere Hyperämien gewöl^ilich
ausbilden. Die ganzen Buchein sind ihres
starken Oelgehaltes wegen unschädlich und
können selbst Pferden zu mehreren Pfunden
täglich unbedenklich verfüttert werden, die
Presskuchen tödten aber ähnlich den Senföl¬
kuchen schon zu 2—3 Pfund.
Literatur: „Magazin fOr die ge*. Thierh.,“ 1858, S. 42;
1859, S. 456. — „Lander, Zeitung“ ton Wolf 1868, Nr. 20. —
Dammann, Lehrbuch der Gesundheitspflege, Berlin 1883,
S. 519. Vogel.
Buchentheer, Pix liquida fagea, s. Pix
liquida.
Buchmagen, s. Magen der Wiederkäuer.
Buchmüller A. L., Dr., wurde 1813 Pro-
Koch. Encjklop&die d. Thierheilkd. 11. Bd.
fessor für Thierarzneikunde an der Univer¬
sität zu Lemberg und 1823 Professor am
Thierarznei-Institute zu Wien. Buchmüller
gab heraus: 1829 sein „Systematisches Hand¬
buch der Arzneimittellehre für Thierärzte und
Oekonomen“, Handbücher über Chemie und
Naturlehre, 1836, 1845. 1840 erschien von
ihm eine „Allgemeine Pathologie und The¬
rapie der Hausthiere“. Semmer.
Buchoz P» J., Dr. med., gab 1770—1775
ein „Dictionnaire vötdrinaire et des animaux
domestiques* 1 in sechs Bänden mit 60 Ab¬
bildungen, eine Schrift über Hausvögel (1782)
und eine „Mödicine des animaux domestiques“
(1783) heraus. Semmer .
Buchs oder Buxbaum, gemeiner, s. Bu-
xus 8empervirens.
Buchweizen als Futtermittel. Die
Buchweizenpflanze oder das Heidekorn (Poly-
gonum fagopyrum, s. d.) wird allein, häufiger
aber im Gemenge mit einer Sommerhalntfrucht
behufs Grünfuttergewinnung oder sie wird als
Körnerfrucht angebaut. Sie liefert sogar auf
sehr mageren Böden sehr hübsche Futter¬
erträge. Die grüne Buchweizenpflanze enthält:
12*5-17 4
4*5—
0*5 —
5*1 —
3*2
0*8
7*4
4 3— 4-4
im Mittel
od. 15*0%
„ 2 4 „
., 0*6 „
H ö-4„
4*8 *
1*4.,
Trockensubstanz
Protein
Fett
stickstofffr. Extract-
stoffe
Holzfaser
Asche
Bezüglich seiner Verdaulichkeit dürfte sich
der grüne, in der BlÜthe gemähte Buchweizen
ähnlich wie Rothklee (in der Blüthe gemäht)
verhalten. Er ist aber viel wasserreicher und
wegen seines Wasserreichthums nicht einmal
als alleiniges Futter für Rindvieh geeignet.
Man darf dem Rindvieh davon nicht mehr als
50 kg per 1000 kg Lebendgewicht geben, und
es muss bei Erreichung des bezeichneten
Maximalquantums das übrige Futter trocken
sein. Milch und Butter nehmen bei starker
Buchweizenfütterung eine schöne gelbe Farbe
an. Schafen ist der in der Blüthe gemähte,
als Grünfutter verabreichte Buchweizen mit¬
unter schädlich. Geradezu gefährlich für die¬
selben ist der in der Stoppel aufgelaufcnc Buch¬
weizen, welcher daher mit Schafen nicht, und
ebensowenig mit Schweinen, beweidet werden
darf. Herrscht beim Beweiden des Buch¬
weizens starke Sonnenhitze, so werden die
Schafe und Schweine häufig von Tobsucht,
Schwindelzuständen, Kopfanschwellungen, Ju¬
cken der Haut u. dgl. befallen, Krankheits¬
erscheinungen, welche mitunter sogar einen
tödtlichen Verlauf nehmen. Für Pferde ist
grüner Buchweizen seiner Wässerigkeit wegen
bestenfalls nur als Nebenfutter in ganz ge¬
ringer Menge geeignet. Die Umwandlung des
grünen Futters in Heu bereitet seines grossen
Wassergehaltes wegen zu viel Schwierigkeiten.
Ueberhaupit wird Buchweizen meistens als Kör¬
nerfrucht gebaut. Die Buchweizenküruer ent¬
halten :
9
18
BUCHWEIZENAUSSCHLAG. — BUCKELOCHS.
in Mittel
84*6—96*2 od. 86*8% Trockensubstanz
8*6 — 11*2 „
10-1 „
Protein
0*9— 2*7 „
1*5„
Fett
52*1 — 72*7 „
»9 5 „
stickstofffr Eitract-
stoffe
1*5 — 40*2 „
ISO,,
Holzfaser
— —
1-8 „
Asche
Sie sind nicht gerade sehr stickstoffhal¬
tig, jedoch holzfaserreich, gehören daher za
den weniger werthvollen, schwer verdaulichen
Körnerarten. Sie sind aber immerhin ein gut
verwendbares Nebenfutter für Zugpferde,
Schafe, Milchvieh und Mastrinder und ein
Kraftfutter ersten Ranges für Schweine (Auf¬
zucht, Mast- und Zuchtthiere). Bei den Wieder¬
käuern und Schweinen rufen indessen auch die
Buchweizenkörner, wie die anderen Bestand-
theile dieser Pflanze, wenn in grösserer Menge
verzehrt, ausser den oben bezeichneten krank¬
haften Erscheinungen Verstopfungen, Harn¬
zwang, Krämpfe, Fieberzustände, Blasenhals¬
entzündungen, Blasenentzündungen, Schwel¬
lung und Röthung der Magen- und Darm¬
schleimhaut, Blutanhäufung in den Lungen und
im Gehirn hervor. Weisse und weissbunte Thiere
sind den bezeichneten Erkrankungen in höherem
Grade unterworfen, und es treten diese wäh¬
rend des Winters nicht so leicht als im
Sommer auf. Gemeinhin hält man sogar die
Buchweizenfütterung im Winter für ganz ge¬
fahrlos, räth aber doch, damit vorsichtshalber
mindestens zwei Wochen vor dem Weide¬
beginne aufzuhören. Besonders zu erwähnen
wäre ferner die Buchweizenkleie. Sie enthält:
im Mittel
79 ’ 1 — 86 • 8 od. 84*0 % Trockensubstanz
11*6 —
18*5
15-0 „
Protein
2*8 —
4*7
ii
3-5 „
Fett
33*8—
51*4
ii
*3 0 „
stickstofffr. Extract-
stoffe
10*0—
28 3
ii
19-0 „
Holzfaser
—
—
3'4 „
Asche
Die Buchweizenkleie ist relativ protein¬
reich und trotz ihres nicht unbedeutenden
Rohfas ergeh altes ein sehr gutes Mastfutter
für Schweine. Mit Milch gekocht leistet sie
für die Ferkelaufzucht vortreffliche Dienste.
Sie ist jedoch häufig mit Unkrautsamen,
Sand u. dgl. verfälscht. Im Uebrigen gehört
das Buchweizenstroh zu den werthvolleren
Futterstrohsorten. Es enthält:
im Mittel
84*5—90*3 od. 89*0% Trockensubstanz
31- 5*5
ii
*i „
Protein
1*3— 1*6
ii
f* „
Fett
29*9—37*1
ii
3*'9 „
stickstofffr. Extract-
stoffe
35*3—51*8
ii
**•3 „
so,,
Rohfaser
Asche
Es ist zwar rohfaserhaltiger als die meisten
Getreidestrohsorten, daher wahrscheinlich
etwas schwerer verdaulich als diese, ist aber
dafür meistens proteinreicher. Das Stroh taugt
am besten für Schafe und Rinder und bildet
für diese ein schätzenswerthes Nebenfutter.
Vorsicht in Bezug auf die zu verabreichenden
Quantitäten ist bei der Buchweizenfütterung
unter allen Umständen geboten. Pott.
Buchwelzenauaachlag , Fagopyrismus
(vonPolygonum fagopyrum, der Buchweizen). Bei
Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen ent¬
zündet sich zuweilen die Haut nach dem Ge¬
nüsse von Buchweizen, sobald sie in die Sonne
kommen. Es ist mithin kein Ausschlag vor¬
handen, sondern nur eine Hautentzündung, ein
Erythem. In solchen Fällen entwickelt sich nach
dem Genüsse des Buchweizens eine erhöhtere
Thätigkeit der Blutbewegung, dasselbe strömt
in ungewöhnlicher Menge zur Haut, die von den
Sonnenstrahlen gereizt und erwärmt wird. Die
Congestion zur Haut wird erst durch Bewegung
und Sonnenhitze angeregt, denn das Erythem
bleibt gewöhnlich aus, wenn man die Thiere im
Stalle und im Schatten hält, also gegen die Ein¬
wirkung der Sonne schützt. Wir haben es also
mit einem Erythema solare zu thun. Einzelne
wollen das Buchweizen-Erythem auch im Stalle
beobachtet haben; es bleibt in solchen Fällen
fraglich, ob nicht der Buchweizen vielleicht
mit Rostpilzen befallen war, die sich in der
Haut festsetzen und sie entzünden. Beispiele
hiezu liefert das Beweiden befallenen Klees,
nach dem sich zuweilen die Haut der unteren
Fusstheile rothlaufartig entzündet Die Haut
erscheint bei dem Fagopyrismus an mehr oder
weniger ausgebreiteten Stehen gleichmässig
oder streifig höher geröthet wohl auch etwas
aufgetrieben, wenn es zu leichter Transsudation
in das Corium und das subcutane Bindegewebe
kommt. Gewöhnlich geht das Erythem (von
ipoffatvciv, röthen) in 8—12 Stunden wieder
vorüber, ohne anderweitige Nachtheile zu hinter¬
lassen; es ist damit eine fieberhafte Aufregung
des Pulses, Beschleunigung der Respiration
und ein brennendes Gefühl verbunden, es ver¬
schwindet unter Abschuppung der Epidermis.
Nur selten steigert sich die Entzündung bis
zur Bläschenbildung. Congestionen zum Kopfe
finden dabei gern statt. Die Thiere zeigen dann
Eingenommensein des Kopfes, Stumpfsinnigkeit
oder Aufregung, je nachdem das Gehirn oder
die Meningen hyperämisch sind,Tobsuchtsanfalle,
Taumeln nnd Drängen nach rück- oder seit¬
wärts; Schafe sah man sogar apoplektisch ver¬
enden. Zuweilen halten die Erscheinungen ein
paar Tage an, zu denen noch ein leichter Ka¬
tarrh hinzutreten kann. Gewöhnlich werden nur
die weisshaarigen Hautstellen vom Erythem
heimgesucht, weil das schwarze Haar das Licht
abstrbirt. Ruhe und kühles Verhalten genügen
in therapeutischer Hinsicht meistentheils, stär¬
keres Mitleiden des Sensoriums erheischen Ader¬
lass und kalte Befeuchtungen des Kopfes. Anr.
Buckelochs oderZeburind, Bos indicus.
Die Heimat desselben ist (nach Wagner) ein
grosser Theil von Südasien und Afrika. Ob
Vorderindien als eigentlicher Stammsitz des
Buckelochsen bezeichnet werden kann, wie
von verschiedenen Autoren angenommen wird,
steht noch dahin. Er weicht vom Hausrinde
Europas in mehreren Punkten, so z. B. im
Habitus, in der Form, Stellung und Rich¬
tung der Hörner, sowie in der Lebens¬
weise, in der Stimme etc. ab. Ganz beson-
BÜCQUET. — BUDJADINGER RIND.
19
ders charakteristisch ist für diese Species
der Fettbuckel oder Höcker auf dem Wider¬
rist, welcher bei guter Ernährung sehr um¬
fangreich und schwer werden soll. Dieser
Buckel wird aber nicht — wie beim Wisent
— durch eine Verlängerung der Dornfortsätze
der letzten Hals- und vorderen Rückenwirbel,
sondern einfach durch starke Ablagerungen
von Fleisch und Fett gebildet. Der Zoolog
Link nannte das in Ostafrika vorkommende
Zeburind Bos dante und behauptete, dass der
Yerbreitungsbezirk dieser wichtigen, höchst
interessanten Species weit grösser sei, als
man früher angenommen habe. Auch neuerdings
wurde von Afrikareisenden berichtet, dass die
Zeburinder dort sehr weit verbreitet sind.
So z. B. finden sich sehr schöne Rassen der¬
selben in Nubien, Dongola und Sennar. In
Süddongola und der Bahindasteppe trifft man
nur noch Buckelochsen. Die alte ägyptische
Langhomrasse, besonders die leierbömige,
gleicht durchaus dem Sanga der Abessynier;
ihm fehlt zwar — sagt Brehra — der hohe
Fettbuckel, indessen ist dieser auch beim
reinen Buckelochsenschlage Innerafrikas oft
nur sehr schwach entwickelt. Der Hausthier¬
garten in Halle a. S. ist seit Jahren im
Besitze mehrerer Prachtexemplare der Sanga-
Rasse, welche einen ziemlich hohen Buckel
tragen. Bezüglich der Farbe wird angegeben,
dass sowohl Schwarzschecken, Rothschecken,
Braune und Schwarze in Afrika vorkämen.
Ganz wei8sc Zebus, die in Indien oft bemerkt
werden, sollen aber in Afrika selten sein.
Die Thiere dieser Art differiren in der Grösse
ganz bedeutend. In den fruchtbaren Landes-
theilen Acthiopiens, sowie auch in einigen
Bezirken Ostindiens erreichen dieselben eine
bedeutende Grösse (l‘50m und darüber); an
anderen Orten sieht man hingegen ganz kleine,
zierliche Thiere — die sog. Zwerg-Zebus —
welche kaum i m hoch werden. Die grossen
Thiere Indiens, besonders die Brahminen-
Zebus, werden hoch geschätzt und zum Theil
heilig gehalten; andere werden zum Fahren
und Reiten benützt, sollen auch zuweilen den
Postdienst besorgen, und die kräftigsten
Schläge finden zum Lasttragen oftmals Ver¬
wendung. Die meisten Zebus besitzen eine
ganz eigenthümliche Kopfform, gewöhnlich
lang und schmal mit gerader Nasenlinie und
hübschen, lebendigen Augen. Ihre Hörner
sind von sehr verschiedener Länge und in der
Regel gleich vom Grunde aus seitlich aufwärts
gerichtet. Es sollen auch ungehörnte Rassen
in Indien Vorkommen, ja selbst einige, bei
welchen die sehr kurzen Hörnchen — ohne
Hornzapfen — lose am Kopfe niederhängen
(Hengefeld). Endlich ist noch bemcrkenswerth,
dass viele Zebus grosse herabhängende Ohren
und eine feine, weiche Haut mit kurzem
Deckhaar besitzen. Das Hintertheil der afri¬
kanischen Zebus ist auffällig kurz, sehr ab¬
schüssig und erscheint bei guter Pflege eigen¬
tümlich abgerundet. Alle Reisenden rühmen die
grosse Gelehrigkeit dieser Thierart; sie sollen
geschickter, schneller und ungleich gewandter
als unsere europäischen Hausrinder sein.
Ebenso lobt man die Mastfähigkeit und zarte
Fleischqualität der Zebus. Die Milchergiebig¬
keit der Kühe soll stets zu wünschen übrig
lassen, die Qualität der Milch aber gut sein.
Blyth hat ferner noch besonders hervorge¬
hoben, dass die Buckelochsen in der Lebens¬
weise sich nicht unerheblich vom europäischen
Rinde unterschieden; sie suchten in ihrer
Heimat selten den Schatten auf und gingen
niemals freiwillig in das Wasser. Kreuzungen
der Zebus mit Europäern sind schon in
älterer Zeit mit bestem Erfolg ins Werk ge¬
setzt und neuerdings im Hafie’schen Thier¬
garten die verschiedenartigsten Paarungen vor¬
genommen worden, die fast ausnahmslos eine
hübsch geformte Nachzucht geliefert haben.
Es zeigten sich hier auch die Halbblutthiere
(z. B. Gayal Sanga) zur Fortpflanzung befä¬
higt; ein weibliches Thier dieser Kreuzung
ist jetzt (November 1884) tragend und ist
der Erfolg dieser doppelten Kreuzung abzu-
warten. Frey tag.
Bucquet J. B. M., Dr. med., schrieb
1778 über den nachtheiligen Einfluss ver¬
schiedener Gasarten auf Thiere. Setnmer.
Buda-Pest. Veterinärschule, gegründet
1786. Gegenwärtiger Director v. Thanhoffer.
Lehrkörper: Azary, Szabo, Varga, Koloman,
Liebermann, Kraussz. Semmer.
Budd R. H. gab 1816 in England ein
Buch über Hufkrankheiten und Hufbeschlag
heraus. Semmer.
Budjadinger Rind. Der ziemlich fruchtbare
Landstrich an der Jahde und Heere, im Kreise
Ovelgönne des Grossherzogthums Oldenburg,
ist überall wasserreich und die Luft ge¬
sund; er eignet sich ganz besonders zur Zucht
eines grossen Rindviehschlages, welcher sich
dort auch seit ältester Zeit eines guten Namens
erfreut. Die Einwohner sind Friesen und zei¬
gen als solche für die Viehzucht eine ganz
besondere Vorliebe, für den Ackerbau aber
wenig Geschick; dieser wird meistens etwas
vernachlässigt. Das Budjadinger Rind, in der
Regel schwarz und weiss gescheckt, gehört
zu den schwersten Schlägen der norddeutschen
Niederungsrasse; ausgewachsene, gut ernährte
Kühe derselben erreichen nicht selten ein
Lebendgewicht von 700—750 kg, die Stiere
werden 900—1000 kg schwer. In der Körper¬
gestalt hat dieser Vichschlag grosse Aehn-
lichkeit mit dem holländischen; der Kopf
ist noch etwas schwerer, breiter, der Hals
stärker und häufig bewammt. Die Hörner sind
ziemlich stark und oftmals mit den Spitzen
nach vorn aufgerichtet; doch kommt auch das
sog. Kneifhorn nicht selten bei ihnen vor.
Die Aufwölbung ihres Rippenkorbes, sowie
Breite, Stärke und Länge des Hintertheiles
sind untadelhaft. Die Stellung der Hinter¬
beine könnte etwas besser sein. Das Euter
der Kühe ist in der Regel sehr umfangreich,
auch die übrigen Milchzeichen lassen nichts
zu wünschen übrig, und es gehören diese Kühe
unstreitig zu den besten im nördlichen Deutsch¬
land. Milcherträge von 3500—45001 jährlich
gehören bei guter Ernährung nicht zu den
Seltenheiten. Die Qualität der Milch ist von
40 BUDJADINGER SCHAF. — BUJESER RIND.
mittlerer Güte. Budjadingen liefert ansehn¬
liche Quantitäten Butter für den Grosshandel.
Die Ochsen des fraglichen Schlages eignen
sich zum Zuge besser als die Holsteiner und
Holländer und werden daher auch häufig zur
Feldarbeit herangezogen. Ihre Mastfähigkeit
ist gut. Der Viehbandel steht in jenem Land¬
striche in hoher Blüthe; es werden sowohl
"viele Rinder, wie auch frisch milchende Kühe
an die benachbarten Provinzen und Länder
abgegeben. Freytag.
Budjadinger Schaf, s. Marschschaf.
Büffel, s. Bubalus.
Bügelhufeisen. Kurzweg Bügeleisen ge¬
nannt. Ein Hufeisen, an dessen unterer Fläche
ein Bügel mit drei Stützen derartig verbunden
ist, dass eine Stütze am Zehentheile und die
zwei anderen je eine am Schenkelende des
Eisens mittelst Stollschrauben befestigt sind.
Die einzelnen Stützen des Bügels sind unge¬
fähr so lang, als der betreffende Huf weit
ist, sie vereinigen sich in der Mitte, und
dieser Vereinigungspunkt dient dem mit
dem Eisen beschlagenen Hufe als Stütze. Das
Bügelhufeisen ist #in chirurgisches Heilmittel.
Es wird auf den Huf des gesunden Schenkels
aufgeschlagen, um den kranken Schenkel
(z. B. behufs Dehnung der Beugesehnen) zum
Durchtreten zu zwingen. Wird selten ver¬
wendet. Eine zweite, einfachere Form zeigt
eine mehr oder weniger hohe bogenförmige
Vorstülpung beider Schenkelenden. Sie wird
benützt, um kranke Sehnen und Gelenke
während der Behandlung zu unterstützen.
Einfacher, aber ebenso zweckmässig ist ein
Eisen mit entsprechend hohen Stollen. Vergl.
auch Sehnen-Unterstützungs-Eiscn. Lungwitz.
Bündtner Schwein. In Uri und Ober¬
wallis, im sog. Bündtner Lande, kommt nach
Tschudi's Angaben eine Schweinerasse unter
obigem Namen vor, welche klein und zierlich,
stets von schwarzer oder grauschwarzer Fär¬
bung ist und sehr gefällige Körperformen be¬
sitzt. Die Bündtner Schweine gehören zur
Gruppe der romanischen Schweine und haben
grosse Aehnlichkeit mit mehreren italienischen
Rassen, Am gut gebildeten Kopfe stehen die
Ohren aufrecht, die Beine sind fein und kurz,
das Borstenhaar wird nicht sehr stark. Im
Sommer leben diese Thiere ausschliesslich
auf den Bergen von dem Weidegrase; im
Winter werden sie im Stalle regelmässig gut
gefüttert; sie mästen sich leicht und liefern
stets feines Fleisch und wohlschmeckende
Schinken. Die Fruchtbarkeit der Sauen soll
eine befriedigende, aber nicht zu grosse sein.
— Die eigentlichen schwarzen und Veltliner
Schweine Bündtens sind Thiere der sog. Lodi-
liasse; sie zeichnen sich durch ihre Schwere —
54—56 kg — so vortheilhaft aus, dass sie die
kleine Oberländer Rasse wahrscheinlich bald
verdrängen werden. Frey tag.
Bürzeldrüse. Die Bürzeldröse (Glandula
uropygii) ist eine bei den meisten Vögeln
vorkommende zweilappige Drüse, welche ihre
Lage über den Schwanzwirbeln an der Stelle
hat, wo sich die Spulen der grossen Steuer¬
federn des Schwanzes in die Haut einpfianzen.
Sie vertritt die in der Haut der Vögel gänz¬
lich fehlenden Talgdrüsen und sondert eine
fettige Schmiere ab, welche zur Einölung des
Gefieders verwendet wird, so dass letzteres
vom Wasser nicht durchtränkt werden kann.
Die Bürzeldrüse erscheint demgemäss am
stärksten entwickelt bei den Schwimmvögeln,
während sie bei vielen anderen Vögeln mehr
oder minder verkümmert und bei den zur
Classe der Strausse gehörenchen, vielen Papa¬
geien u. 8. w. ganz fehlt. Sie besitzt bei den
Gänsen und Enten zwei besondere Ausführungs¬
gänge und enthält glatte Muskelfasern; letztere
umspinnen zahlreiche Drüsenschläuche, welche
in den jede der beiden Drüsen durchziehenden
Canal einmünden. Müller .
Buffbohne, s. Vicia faba.
Buffon. Georg Louis Ledere, Corate de
B., geb. 7. September 4707 zu Montbard in
der Bourgogne, widmete sich dem Studium
der Naturwissenschaften, durchreiste mit dem
jungen Herzog von Kingston Frankreich,
Italien und England, wurde 1739 Intendant des
Jardin du Roi in Paris und verwendete grossen
Fleiss auf Bearbeitung einer umfassenden Na¬
turgeschichte, wurde' von Ludwig XV. in
den Grafenstand erhoben und starb zu Paris
16. April 1788. Ihm wurde in seinem Geburts¬
orte ein Denkmal gesetzt und in den Champs
ölvsöes in Paris 1856 eine Bronzestatue er¬
richtet. Sein grösstes, unvollendetes Werk:
„Histoire naturelle göndraleet partioulifere,“ ist
eine bedeutende Arbeit, welche grosse Be¬
achtung und Anerkennung gefunden hat. —
Buffon empfahl schon vor 140 Jahren den
Viehzüchtern, rechtzeitig Blutauffrischungen
bei ihren Heerden vorzunehinen, damit eine
Rassenausartung vermieden würde. An vielen
Orten kann eine aus der Fremde eingeführte
Rasse nur dann auf die Dauer fortbestehen.
wenn sie durch gelegentliche und wiederholte
Blutauffrischung vor Ausartung bewahrt wird.
Settegast sagt: „Das ist das Wahre und
Wesentliche der Lehre Buffon’s, die so oft
verdreht und verketzert worden ist. Man wollte
in ihr die Empfehlung gedankenlosen Kreuzens
herausfinden, während sie doch nur ausführte,
dass die Blutauffrischung das sichere Mittel
gewährt, der Rassenausartung vorzubeugen. “Fg.
Buggelenk, s. Gelenke.
Buggelenksl'ähme, s. Schulterlähme.
Buiater, Buiatros (abgel. v. ^ ßoö?, Rind,
und 6 iax-rip, resp. tarpos, Arzt), Rindvieh¬
arzt. Sussdorf.
Buiatrik (abgel. v. rj ßoö<;, Rind, und
y; altpcxTj, Heilkunde), Rindviehheilkunde. Sf
Bujeser Rind. In dem Bezirke Buje in
Istrien kommt ein Rindviehschlag unter dem
obigen Namen vor, der vor etwa 100 Jahren
aus der Kreuzung des alten Istrianer Land¬
viehes mit dem grossen, schweren Rinde der
römischen Campagna entstanden sein soll.
Derselbe ist wie dieses in der Regel von grau-
weisser Farbe, zuweilen auch weissgelb oder
lichtgrau gefärbt und erinnert sowohl in diesem
Punkte, wie in der Körpergestalt nnd Nutz¬
barkeit an die römischen Stammverwandten.
Die Thiere sind von stattlicher Grösse und
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BUKAREST. — BULGARISCHE VIEHZUCHT.
21
Kraft, liefern im Zuge recht Befriedigendes;
die Kühe sind aber schlechte Milchgeberinnen;
es wird jedoch auf diese Eigenschaft in jenem
Bezirke niemals grosser Werth gelegt; man be¬
gnügt sich mit der guten Arbeitsleistung der
Bujeser Ochsen und nützt endlich das Fleisch
derselben verhältnissraässig gut aus. Im ganzen
Küstenlande von Istrien werden fast aus¬
schliesslich die Rinder des fraglichen Schlages
zur Feldarbeit herangezogen und nur aus¬
nahmsweise Thiere anderen Schlages dazu
verwendet. Freitag.
Bukarest. Veterinärschule, gegründet 1861,
Staatsanstalt, welche dem Ackerbauministe¬
riumunterstellt ist. Die Unterrichtsdauer währt
fünf Jahre. Das Lehrercollegium besteht aus
sieben Professoren. Gegenwärtiger Director
Prof. A. J. Locusteano. Kh.
Bukephalos und Bucephalus (v. 6 ßo»$,
Ochs, oder ßoo, Ausdruck des Grossen, und
r k xesaVq, Kopf, ochsenköpfig, grossköpfig). Sf.
Bucephalus. ein thessalisches Pferd,
welches dem König Philipp von Macedonien
für 13 Talente angeboten und später von
Alexander dem Grossen gebändigt wurde,
u. zw. in der Weise, dass er seinen Schatten
nicht gegen das Pferd gehen liess. Plutarch
erzählt, dass der Bucephalus in der Schlacht
mit Ponus ums lieben kam. Nach Arrian
wurde er nur vei wundet und lebte noch
30 Jahre. Bucephalus soll eine sehr breite
(Ochsen-) Stirn gehabt und hiernach seinen
Namen bekommen haben. Das Pferd war
schwarz und besass einen weissen Stern am
Kopfe. Nach dem Tode des Bucephalus liess
Ihm zu Ehren Alexander der Grosse eine
Stadt bauen, die er Bucephalia nannte, und
um das Grab des Pferdes wurden schöne Häuser
errichtet. Freytag.
Bulbus (urspr. lat., dann auch ins Griech.
übertr. h ßoXßo's), Knolle, Zwiebel, ein in
der anatomischen Sprache beliebter Terminus
zur Bezeichnung kugeliger Gebilde, wie B.
oculi, Augapfel, B. olfactorius, Riechkolben,
B. pili, Haarzwiebel, B. urethrae, Harnrührcn-
zwiebel. Sussdorf.
Bulbus, Zwiebel, ist in der Botanik
der unterirdische, monocotyledonische Stamm
gewisser Pflanzen, z. B. der Laucharten,
Porree, Küchenzwiebel, Schalotte, der Herbst¬
zeitlose, der Scilla maritima u. s. w., aus einem
fleischigen Körper (Discus), der nicht selbst
zum Stengel auswächst, vielmehr nach oben
stengeltreibende Knospen, nach unten Wurzel¬
fasern entwickelt, und den diesen anschliessen¬
den Schäften bestehend, welche nach innen
mehr fleischig (Schuppen), nach aussen trocken
papierartig (Häute) erscheinen. Den Haupt¬
bestandteil bilden die fleischigen, scheiden-
oder schuppenfönnigen Blätter.
Unter Knollen, Tubera, versteht man
den verhältnissmässig dicken, kugelförmigen,
fleischigen, unterirdischen Theil der Hauptaxe
(Stengel), der entweder in einem einzigen
Knollen, z. B. bei Colchicum oder Tuber
Jalapae, endigt oder aus demselben Zweige
absendet, wie bei der Salep, Sonnenblume
oder Kartoffel. Vogel.
Bulbus arteriosus. Das erweiterte Stück
am Herzen, in dein der Ursprung der arteriellen
Gefässe liegt. Beim Fischherzen ist er mit
einer muskulösen Wandung, aus spindel¬
förmigen Muskelfasern bestehend, versehen.
Er verhindert, dass der Blutdruck zu stark
auf die Wandungen der feinen Kiemenschlag¬
adern und deren Verzweigungen einwirke,
nimmt das arterielle Blut auf und befördert
dasselbe durch eine gleichmässige Contrac-
tion in die Kiemenschlagadern. Schenk.
Bulgarische Viehzucht. Von den ver
schiedenen Ländern und Provinzen an der
unteren Donau ist bekanntlich das neue
Fürstenthum Bulgarien mit 1162 geogr. Qua¬
dratmeilen oder 68.972 Quadratkilometer und
einer Bevölkerung von 1,998.060 Seelen ganz
besonders günstig für Ackerbau und Vieh-;
zucht. Der Boden des Landes ist an den
meisten Orten überaus fruchtbar und liefert
einen Ueberfluss an Getreide (Mais, Weizen.
Roggen, Gerste, Hafer und Hirse), ferner:
viele Bohnen, guten Tabak und sehr wohl->
schmeckenden Wein. Die Waldarea ist um¬
fangreich und zum Theil recht schön be¬
standen. Von den Hausthieren werden der
Zahl nach am meisten Schafe gehalten, doch
ist leider das Wollproduct derselben nur von
untergeordnetem Werthe. Die Anzahl der
Ziegen soll dort eine ansehnlich grosse sein,
und der Milchertrag derselben wird ziemlich
hoch — zu 2—3 1 per Tag — angegeben.
Neben Schaf und Ziege sind Büffel und Rinder
wichtige Hausthiere für die bulgarische Be-»
völkerung, und in einigen Districten wird ein
brauchbares, wenn auch nur kleines Pferd,
gezüchtet. Hauptsächlich werden nach Kanitz’
Angaben an der Jantra sehr schöne Pferde
gezogen, während das Hornvieh, für dessen
Verbesserung die türkische Regierung nicht
das Geringste gethan hat, nur von massig
kräftigem Mittelschlage ist und der südeuro¬
päischen Steppen-Rasse (Bos primigenius)
angehört. Auf der Reise von Kazanlik über,
den Travnabalkan nach Tirnovo sah jener
Forscher auffallend kleine Rinder, welche
mit den riesigen Stämmen und Kronen der
Nussbäume merkwürdig contrastirten: es
wäre dort, als wenn Vegetation und Fauna
zwei verschiedenen Schöpfungsaltern ange¬
hörten. In Sistover Bezirk wurde die Vieh¬
zucht früher sehr schwunghaft betrieben,
bildete dort die Haupteinnahmsquelle der
bulgarischen Stadt- und Landbevölkerung,,
wurde aber später wieder durch das ihr zum
Zwecke der Tscherkessenansiedlung entzogene
Weideland erheblich reducirt. Erst in der
allerneuesten Zeit hat sich die Viehzucht je¬
nes Bezirkes wieder gebessert. Auch der
Feldbau litt früher durch die mangelnde
Aussaat, und es war durch die verkehr¬
ten Massregeln des türkischen Regiments
zu befürchten, dass Bulgariens gesegneter
Boden dem traurigen Schicksal der anatoli-
schen Provinzen anheimfallen könnte. Vor
den höchst primitiven Ackerwerkzeugen —
Pflug und Egge — gehen entweder Rinder
oder Büffel und nur ausnahmsweise Pferde;
H BULGARISCHE VIEHZUCHT.
letztere werden zur Reiterei oder als Last-
thiere benützt. Kneza und die gleichfalls be¬
deutende Viehzucht treibenden Ortschaften
Jenica, Strupen, Brenica, Vranjak und Ternak
verdanken die Bedingung ihrer Existenz der
mit zwei Armen sie durchfliessenden Gostilica,
welche bei Staronievci in den lsker fallt. In
der Hochebene des reichen Kamenogel (130
Bulgarengehöfte) und seiner isolirten Tscher-
fcessencolonie sah Kanitz viele Rindvieh- und
Pferdeheerden von schönem Schlage. Auf dem
Passe von Ginci bemerkte er auf üppigen
Matten viele schöne Viehheerden. Die Ziegen
finden dort im reichwuchernden Eichen- und
Haselnussgebüsch ergiebige Nahrung. Aus der
Umgebung von Lakatnik wanderten seit der
Tscherkessen-Colonisation viele Viehzüchter
nach dem Kajo Rahovo aus, denn mit der
Etablirung dieser räuberischen Nomaden er¬
schien der Balkandzi (Bewohner der Balkan¬
halbinsel) Haupterwerb, die Viehzucht, welche
als Cardinalbedingung vollste Sicherheit der
oft nur von Knaben gehüteten Heerden voraus¬
setzt, arg bedroht. Trotzdem besass Lakatnik
▼or Jahren noch die grosse Zahl von 40.000
Schafen und 3000 Ziegen. Auch das jenseitige
Osikovo zählte gleich viele Hausthiere dieser
Art. Die einst im Vracaer Kreise blühende Rind¬
viehzucht litt vorzüglich durch die Wegnahme
der besten Weideplätze von Seite der Tscher-
kessen; nach glaubwürdigen Daten sank sie
in zehn Jahren von 200.000 auf 80.000 Haupt,
wodurch selbstverständlich der türkische Fis-
cus damals sehr geschädigt wurde. Westlich
von Berkovica beginnt der Anstieg in Cur-
ven über jene grasreichen Sporne des Bal¬
kans, welche diese Stadt ringförmig um¬
geben und ihre prächtigen Viehheerden auf
das beste nähren. Bei dem grossen Türken¬
dorfe Korak-Köi in wildromantischer Lage
fand Kanitz hohe Zäune mit starken Pfahl¬
thoren, welche wahrscheinlich zur grösseren
Sicherung des zahlreichen Vieh Standes er¬
richtet waren. Der fruchtbare Boden steht
dort meist unter Anbau mit Hanf, Hafer, Mais,
dazwischen sieht man auch schöne Obst¬
bäume, kleine Laubgehölze und ausgedehntes
Wiesen- und Weideland. Letzteres begünstigt
in jener Gegend den starken Heerdenstana;
Büffel, Rinder, Schafe, seltener Pferde, weiden
in grossen Trapps auf saftigen Triften jener
Landschaft. Nicht leicht — sagt unser Ge¬
währsmann — kann man sich ein lieblicheres
Landschaftsidyll denken, dazu die hübsche
Staffage der Bauern und deren Kinder, welche
in bunter Tracht von jener der städtischen
Moslims abweicht. Ebenso trifft man auch in
dem anmuthigen Thale von Bujukdere mitten
zwischen prächtigen Korn- und Maisfeldern,
Weingärten, Obst- und Eichenwäldchen schöne
Heerden von Büffeln, Rindvieh. Schafen und
Ziegen, welche sich auf saftigen Wiesenplänen
umhertumraeln. Jene Landschaft muss überaus
prächtig sein, denn Kanitz sagt wörtlich:
„Man konnte sich leicht in Oberitalien glauben.
Gegen Süden erscheint der Eichwald dichter,
die Ortschaften liegen im Schatten tief ein-
gcrissener Qucrthäler versteckt und im Hinter¬
gründe schliessen die Profile des Balkans von
Sliven das ernste, an Kärnten erinnernde
Landschaftsbild. 41 In der entzückenden Gegend
von Bigirli, südlich vom Preslavbalkan, wel¬
cher der belebende Wechsel von Wasser,
Weide, Feldern und Obstbäumen, von be¬
waldeten Bergen mit leicht gewelltem Terrain
wunderbaren Reiz verleiht, wird trotz des
guten Bodens für das stark bevölkerte Thal
selbst in guten Jahren nur der nothwendige
Bedarf an Brotfrucht producirt: bei mittleren
Ernten werden Mais und Weizen auswärts
gekauft: dahingegen ist dieser Bezirk unge¬
mein reich an schönen Viehheerden und sein
Rohhäuteverkauf nach Osmanbazar sichert
ihm allein schon alljährlich eine bedeutende
Einnahmequelle. Auch in der Umgebung von
Kazanlik gibt es zahlreiche Rinder- und Schaf-
heerden, welche ihren Besitzern gute Rente
liefern. In den gemischt bulgarisch-türkischen
Ortschaften Tatarköi und Koperan findet sich
ein reicher Heerdenstand; ausgedehnte Gras¬
flächen zwischen Eichenwäldern begünstigen
deren zweckmässige Ernährung. Auf der Hoch¬
ebene von Balcik wird alljährlich im Juni
ein Waaren- und Thiermarkt abgehalten, auf
welchem die Züchter der Umgegend ihre an¬
sehnlich grosse Zahl von Pferden nebst Rind
und Kleinvieh zum Kauf ausbieten. Der Kosa
allein soll 140.000 Schafe guter Rasse und
6700 Ziegen besitzen. Von den Producten
des Balciker Kreises werden namentlich Kir¬
schen, Quitten und Honig gerühmt; letzterer
wanderte früher häufig als werthvolles Ge¬
schenk nach Konstantinopel. Die Mehrzahl
aller mitgetheilten Daten empfing Kanitz —
auf Befehl des Kaimakam — von einem
griechischen Mauthbeamten; doch hörte er
von anderer glaubwürdiger Seite, dass der
oben angegebene Viehbestand des Kreises
noch bedeutend grösser sei. Auf dem Hochr
lande unweit Osmanbazar (mit schönen
Wiesenflächen) ist der Viehreichthum sehr
ansehnlich. Der Reisende, welcher nicht an
Ansehen verlieren, vom guten Willen der
Localbehörden abhängen, weder häufigen
Aerger noch Geld- und Zeitverluste erleiden
will, muss sich auf dem primitiven Boden der
Balkanhalbinsel eigene Pferde beschaffen. Zu
den allerschlimmsten, oft sehr peinlichen
Auftritten gehören dort Pferderequisitionen:
man versucht es, dem Reisenden halbblinde,
lahme, hustende und störrige Thiere mit der
Betheuerung aufzunöthigen, dass es keine
anderen im Dorfe gäbe. Am rechten Ufer
eines bis vor zehn Jahren noch ungekannten
dritten Lomarmes, welchen Kanitz nach dem
Hauptorte des neuen Gebietes „Banicka-Lora u
nannte, fand er sehr schönes Ackerland. Der
Culturboden lohnt hier vortrefflich. Die
Herbstaussaat von Körnerfrucht gibt eine
reiche Ernte, die man bereits im Juni ein¬
bringt. Durchschnittlich wird der zehnfache
Ertrag des Samenkornes gewonnen; Roggen
bringt in der Ebene gewöhnlich den zwölf¬
fachen und Mais sogar 200- bis 400fachen
Ertrag; dies Alles, trotzdem der Feldbau
mit Geräthen betrieben wird, die jenen der bib-
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BULGARISCHE VIEHZUCHT. 23
lischen Zeit gleichen, und obschon der Boden
keinen anderen Dünger erhält, als den die auf
den abgemähten Acker getriebenen Viehheerden
zurücklassen. Die Wohlhabenheit jener Land¬
schaft bekundet ganz besonders der auffallend
reiche, nahe den Ortschaften auf fetten Triften
sich umhertreibende Rindviehbestand. Einige
grössere Tschifflikbesitzer geben ihr Weide¬
land in Winterpacht. Vom October bis zum
Mai grasen hier die von den SommergTas-
plätzen im Balkan herabziehenden Heerden,
wofür von den Züchtern derselben ein hüb¬
sches Stück Geld bezahlt wird. Im stark ge¬
wundenen Thale des Topcu und über das
türkische Togmalan weiter hinaus bis zum
bulgarisch-türkischen Orte Gözedze fand Ka-
nitz riesige Viehheerden, so dass es ihm
schwer wurde, vorwärts zu kommen. An vielen
Orten der Balkanhalbinsel wird das Vieh
mit Baumlaub gefüttert, und es sagt Kanitz
ganz treffend: Ein grosser Wohlthäter des
fortwährend im Kampfe ums Dasein ringenden
Balkandzi ist der Elena’s südliche Höhen
beinahe ausschliesslich bewaldende Eichbaum,
denn er gibt nicht nur Bau- und Brennholz,
sondern auch Futter für die Heerden im
Winter, der hier ungemein früh eintritt. Wenn
in den Thälern noch das Obst an den Bäumen
hängt, deckt bereits Schnee des Balkans
Spitzen und pittoreske Contraste erfreuen
dann das Auge des Wanderers. Eine verbes¬
serte Pferdezucht findet man eigentlich erst im
östlichen Theile des Landes, wo aber auch Schaf¬
zucht in bedeutenderem Maassstabe betrieben
wird. Bei Dolni Monastirci sieht man guten
Ackerboden, bewaldete Hügel, Obstbäumo
und Weingärten, dazwischen prachtvolle Büffel -
und Schafheerden, aber auch anderes Vieh an
den rieselnden Tränken in grosser Anzahl. Der
preussische Feldmarschall Graf Moltke be¬
richtete schon im Jahre 1837, dass er unweit
des Städtchens Kazanlik einen grossen Wasser¬
reichthum gefunden habe. Wie in der Lom¬
bardei, werden dort alle Gärten und Felder täg¬
lich aus dem Wasservorrath getränkt, welcher
in Gräben und Rinnen dahinrauscht. Das ganze
Thal der Tuntscha ist ein Bild des gesegnetsten
Wohlstandes und der reichsten Fruchtbarkeit,
ein wahres gelobtes Land; die weiten Felder
sind mit mannshohen wogenden Halmen, die
Weiden mit zahllosen Schaf- und Büffel-
heerden bedeckt Die letzteren lassen sich
durch herbeikommende, ihnen völlig Fremde
niemals stören; sie nehmen ihr Bad, wo sich
nur irgend Gelegenheit dazu bietet. Im Thal
von Travna — mit offener Lage — wird
neben etwas Ackerbau hauptsächlich Schaf-
und Ziegenzucht, auch Hausindustrie betrieben.
Man fertigt dort hübsche Holzschnitzereien.
Ebenso ist in Sliven eine sehr gut ausge¬
bildete Hausindustrie. Schon Hadzi Chalfa
erzählte, dass die Einwohner dieser Stadt
grösstentheils „Kotzenmacher“ wären; doch
sträubte sich sein asiatischer Stolz dagegen,
die Vorzüge ihres Fabrikates vor dem von
Angora und Begbazar der Geschicklichkeit
der Arbeiter zuzuschreiben; erfand sie lieber
in „Slivens Wasser und Luft 44 . In der grossen
Tuchfabrik dieser Stadt arbeiten über 300 Men¬
schen, und es werden daselbst gröbere und
feinere Stoffe, hauptsächlich aber braunes
Seigtuch gefertigt. Es kommen in dieser Fa¬
brik jährlich 120.000 Oka Wolle (zu 10 bis
12 Piaster per Oka) zur Verarbeitung, die
ausschliesslich den Schafen der dortigen
Landschaft entnommen werden. Auf der
Strasse zwischen Lom, Arcer und Vitbol, auf
einer sehr fruchtbaren Hochebene, sieht man
grosse Ziegenheerden, welche sich auf dem
üppigen Rasen lustig urahertummeln. Unweit
Rogosna, etwa 1% Stunden jenseits von
Befibrod, traf Kanitz grosse Schweineheerden,
welche bei einer Eichenwaldoase weideten.
An den Hängen des Ljubes finden sich zahl¬
reiche unbekannte Ortschaften, darunter auch
das durch seine Schweinezucht bedeutende
Kosarnik.
In den Dorfschaften Trenbös, Musüklü,
Radan, Odolar u. s. w. (entlang der Jantra)
werden sehr schöne Pferde gezüchtet; die
Rindviehzucht liegt aber in jener Gegend
noch sehr im Argen; die Rinder sind klein
und schwächlich. Ueber den Rahovicer Pferde¬
markt unweit Tirnovo äussert sich Kanitz
folgendennassen: „Wir drängten uns durch
alle malerischen Scenen zum Rahovicer
Tattersall. Er bot uns womöglich noch ein
sinnverwirrenderes Schauspiel als der Kram¬
markt oder Bazar. Auf einem von Baracken
umschlossenen, nicht allzu grossen Platze
tummelten sich etwa 150—200 Pferde, von
merkwürdig aufgeputzten Gestalten geführt
oder geritten. Was besagen die occidentalen
Sportausdrücke gegenüber den allerlei Kün¬
sten, in welchen die dortigen Verkäufer ihre
vierbeinige Waare zu produciren verstehen?
Eigentlich kennt der türkische Reiter nur
vier Gangarten: den ruhigen Schritt (Jesch-
kin), den rascheren (Kara jeschkin), einen
eigenthümlich beschleunigten Pass (Raschvan)
und den Galopp (Link); dieser letztere geht
bei grösster Eile in „ventre ä terre“ über.
Auf dem Pferdebazar herrscht ein derartiges
Durcheinandeijagen von Reitern und Pferden,
ein solches Rufen, Schreien, Lachen, Fluchen,
Feilschen, dass es Mühe kostet, das Einzelne
im wirren Knäuel zu erfassen.“ Ueber die
Zuverlässigkeit, Sicherheit der bulgarischen
Pferde als Reit- und Packthiere spricht sich
Kanitz mehrfach lobend aus. Der Bulgare sagt:
„Nicht nur über Berge und Wasser, selbst
durch Feuer wird mein Pferd Euch sicher
tragen.“ Kanitz war vollauf zufrieden, dass
sich der erste Theil der Verheissung des
Osmanli bewährte. Die Tscherkessen haben
zur Hebung der Pferdezucht an verschiedenen
Orten mehrfach beachtenswertheAnstrengungen
gemacht. Auf der Hochebene von Kamenopol
mit 130 Bulgarenhöfen und einer isolirten
Tscherkessencolonie beleben ungemein viele
Rindvieh- und Pferdeheerden von schönem
Schlage die ganze Landschaft. Die dortigen
Pferde klettern gleich Katzen an den über¬
einander gethürmten Hängen hinauf. Ermüdete
und von Insecten(Schwesterart der Columbacer
Höhlenmücke) zerstochene Pferde werden mit
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24
BULLA. — BULLE.
Wasser übergossen. Saumpferde-Karavanen
sieht man im Lande häufig; ebenso auch
solche von Eseln und Maulthieren. Zum
Transport der Rosen nach Kasanlik werden
häufig die Grauthiere (d. h. Esel) verwen¬
det; an beiden Seiten des Sattels (Semers)
hängen riesige Körbe, deren Inhalt die Atmo¬
sphäre mit lieblichem Duft erfüllt. Kameele
werden im Süden des Landes, z. B. von
Sliven aus nach Adrianopel, zum Transport
der Wollstoffe benützt. „Wir selbst haben uns auf
der diesjährigen Studienreise mehrfach über¬
zeugt, dass die kleinen, zierlichen Pferde Bul¬
gariens auf den schlechtesten Wegen ihre
Reiter sowohl, wie das ihnen aufgelegte Ge¬
päck bequem und sicher vorwärts bringen,
sie straucheln höchst selten, zeigen eine
fabelhafte Ausdauer bei der Arbeit, z. B. beim
Austreten des Getreides, wie solches dort
noch an den meisten Orten in Gebrauch ist.
Ihre Grösse schwankt zwischen 4*35 und
4*45 m: nur selten trifft man dort Pferde der
Landrasse, welche 1*50 m hoch werden.
Die braune Haarfarbe herrscht vor, und man
sieht in Bulgarien schon viel seltener hell¬
farbige Pferde und Schimmel als an anderen
Orten des Orients. Bei den weisshaarigen
Pferden bemerkten wir häufig schönere Formen,
und der Einfluss der edleren orientalischen
Voreltern, die zur Türkenzeit im Lande zur
Zucht oftmals benützt worden sein sollen, war
auf den ersten Blick bemerkbar.“ Der alttür¬
kische Hufbeschlag, das sog. Pantoffeleisen, ist
heute noch an den meisten Orten in Gebrauch,
und nur einige fremdländische, sowie die Pferde
der fürstlichen Armee werden jetzt mit sog.
englischen Eisen beschlagen. Auf der Sir-Alan
finden sich einige Sennhütten, welche eine
nicht unbedeutende Milch- und Käsewirth-
schaft betreiben. Kanitz berichtet: Allerorts
ertönte dort Pfeifen- und Schalmeienklang;
Ziegen, Schafe und Lämmer kletterten überall
zwischen Fels und Busch umher. Muskulöse
Hirten brachten Topfenkäse, Milch und Erd¬
beeren; die Leute waren dickknochig, hatten
schlichtes blondes Haar und blaue Augen.
Eine Beschreibung der verschiedenen bulga¬
rischen Hausthierrassen wird an anderem Ort
folgen. Frey tag.
Bulla (V. ßosiv, vollstopfen), die Blase,
geht aus einer kugelförmigen Abhebung der
Epidermis von der Cutis durch ein seröses
Transsudat ira Umfange und von der Grösse
einer Erbse hervor. Ist die Abhebung kleiner
als eine Erbse, so wird sie Bläschen, vesicula,
genannt. Anatomisch geht der Blasenbildung
Hyperämie der Haut, seröse Infiltration des
Haut- und Unterhautbindegewebes, Schwellung
der Papillen und eitrige Infiltration der Schleim¬
schicht der Lederhaut voraus. Der Inhalt der
Blase trübt sich später durch Uebertritt von
zelligen Elementen, er wird selten resorbirt,
meistens bersten die Blasen, worauf die Epi¬
dermis sich abschuppt und der Inhalt, mit
Schuppen vermischt, zu einem Schorfe, crusta,
eintrocknet, unter dem die Epidermis sich re-
generirt. Die dünne Homschicht lässt anfäng-
ich die Gefässe durchschimmern, die über¬
heilte Stelle hat, so lange sie dünn ist, eine
hochrothe Farbe. Anf der blasigen Erhebung
fallen in der Regel die Haare aus. Anacker.
Bulldogge, Boule dogue, Bull dog, grosse,
kräftige Hundeform, welche zu der Gruppe
der Doggen gerechnet wird. Der Kopf ist
sehr gross, der Schädel viereckig und hoch,
vorne breit, in der Medianlinie zwischen den
Augen vertieft, der Unterkiefer überragt den
Oberkiefer und ist nach aufwärts gerichtet,
die Fangzähne stehen weit auseinander. Die
Augen sind gross, rund, dunkel und stehen
weit auseinander. Die Schnauze kurz, faltig,
die Nase breit, gross, feucht und schwarz,
die Lefzen sind überhängend und bedecken
das Gebiss vollkommen. Die Ohren sind ent¬
weder aufrechtstehend oder aufrecht stehend
mit überhängender Spitze. Der Hals muskulös
und etwas gebogen mit doppelter Halswarnme,
die Schultern kräftig und schräge, die Brust
sehr breit und tief. Die Vorderläufe sind
kürzer als die hinteren, kräftig und gerade,
die Ellenbogen nach aussen gedreht, an den
Hinterläufen die Kniescheiben und Pfoten
nach auswärts; die Ruthe ist kurz, niedrig
angesetzt und fein, wird wagrecht getragen.
Das Haar kurz, dicht und weich, doch rauh
und steif, wenn man gegen den Strich streicht.
Die Färbung gestromt und weiss, fahlgelb
mit schwarzer Schnauze, braungelb. Die Bull¬
dogge wurde in England schon in vorhisto¬
rischen Zeiten gezüchtet; sie wurde von den
Römern aus England als Canis britannicus
oder Canis Britanna importirt und zu Thier-
kärapfen verwendet. Auch später wurde sie in
England und Frankreich häufig in Thier¬
kämpfen verwendet, ausserdem als Hof- und
Wachhund, in welcher Eigenschaft sie nament¬
lich in England häufig gehalten wird. Str.
Bulldoggpint8cher, s. Bull-Terrier.
Bulle oder Stier nennt man das männ¬
liche Rind, im Gegensätze zu dem weiblichen,
der Kuh. Da der Bulle in der Regel zu einer
grösseren Zahl (ppr. 50) Kühen geführt wird,
so sollte man bei der Auswahl desselben stets
sorgfältig zu Werke gehen; er muss aus einer
sichere Vererbung verbürgenden, constanten
Zucht ausgewählt werden. Der Bulle soll die
seinen Stamm (Rasse) besonders charakteri-
sirenden Eigenschaften gut ausgeprägt be¬
sitzen, um durch ihn eine Vervollkommnung,
Verbesserung der Familie erreichen zu kön¬
nen (s. u. Zucht, Vortheile der Reinzucht).
Der Bulle sollte aus Viehstämmen, die erst
in neuerer Zeit aus verschiedenartigen Kreu¬
zungen gebildet sind, nicht gewählt und ent¬
nommen werden. Anerkannt gute Abstammung
aus miiehergiebigem Stamme ist für den
Zuchtstier von grossem Werth. An Orten, wo
hauptsächlich frühreifes, besonders mast¬
fähiges Vieh verlangt wird, muss man den
Bullen aus solchen Viehstämmen wählen, bei
welchen die Mastfähigkeit als Charakterzug
auf den ersten Blick des sachverständigen
Züchters bemerkbar ist. Wenn die Nachzucht
vorzugsweise zum Zuge dienen soll, so muss
der Bulle nicht nur aus solchen Stämmen
gewählt werden, die sich seit langer Zeit
BULLENBEISSER. — BURÄTISCHE ZIEGE.
25
durch ihre Zugleistungen ausgezeichnet haben,
sondern er muss ausserdem noch in seinem
ganzen Körperbau eine entschiedene Befähi¬
gung zu diesem Nutzungszwecke verkünden
und deshalb starke, gut gestellte Glied¬
massen haben, geschickte Bewegungen und
Ausdauer zeigen. Derbe Haut, gut gestelltes
Horn, feste Klauen etc. sind für das Arbeits¬
vieh durchaus erforderlich. Der Bulle soll im
Allgemeinen eine rege Fresslust und leichte
Verdauung zeigen. Bei der Zucht für Mast¬
zwecke kommt besonders viel auf eine gute
Verdauung und rege Bildungsthätigkeit an. Der
zur Zucht bestimmte Bulle soll vollkommen
entwickelte, gesunde Gcschlechtstheile haben,
weil eine fehlerhafte Beschaffenheit derselben
das Zeugungsvermögcn mehr oder weniger be¬
einträchtiget. Er soll zum Begattungsacte
willig herantreten und denselben normal voll¬
führen. Der Stier darf nicht bösartig sein.
Vom zweiten bis zum fünften Lebensjahre
wird derselbe bei zweckmässiger Haltung
und guter Fütterung zur Zucht verwendbar
sein; sollte er in dieser Zeit etwas zu schwer
werden, so muss durch massige Futterent-
ziehuug dieser Fehler beseitigt werden. Auch
kann man den Bullen hin und wieder zur
Arbeit benützen und hat dann selten zu
fürchten, dass er bis zum fünften Jahre zu
schwer wird. Die Stiere, welche während der
Sommermonate mit den Kühen auf die Weide
getrieben werden und in Folge dessen die
brünstigen Kühe öfter bespringen, als durch¬
aus nothwendig ist, müssen in anderer Weise
gehalten werden, als diejenigen, welche jahr¬
aus jahrein im Stalle verbleiben. Diese letz¬
teren können mehr Kühe befriedigen als die
ersteren. Sobald der Bulle zu kränkeln be¬
ginnt, schwach erscheint, muss er von der
Zucht ausgeschlossen werden. Frey tag.
Bullenbel 83 er. Hunderasse aus der Gruppe
der Doggen, von plumper Gestalt, die musku¬
lös und kräftig ist, mit grossem Kopf, kurzer
und breiter abgestumpfter Schnauze und einer
Längsfurche auf der Nasenscheidewand, lan¬
gen , schlaffen Lippen, halb aufrechten
Ohren. Man unterscheidet eine grosse und
eine kleine Form des Bullenbeissers, ferner
eine doppelnasige Form. Der grosse Bullen-
beisser erreicht eine Schulterhöhe von 65 cm.
seine Gestalt ist plump, aber sehr muskulös
und kräftig, namentlich an den Schenkeln.
Der Kopf ist gross, rundlich und hoch, das
Hinterhaupt sehr breit, mit mässig stark ent¬
wickeltem Knochenkamme, die Stirne stark
gewölbt und zwischen den Augen etwas aus-
gehöhlt. Die Schnauze kurz und hoch, nach
vorne stark abgestumpft und etwas aufge¬
worfen, mit einer meistens stärker ausge¬
prägten Längsfurche an der Scheidewand der
Nase. Die Lippen lang und schlaff und sehr
stark hängend, die Wangenhaut etwas schlot¬
ternd. Die Ohren sind ziemlich lang, nicht
sehr breit, stumpf-spitzig gerundet, nicht be¬
sonders weich, halb aufrechtstehend und über
der Wurzel übergebogen und hängend. Die
Augen Rind verhältnissmässig klein, etwas
schief gestellt und gewöhnlich triefend, die
Augenlider schlaff, die rothe Bindehaut an
der Innenseite sichtbar. Der Hals ist ziem¬
lich kurz, sehr dick und kräftig, der Quere
nach gerunzelt. Der Leib ist gedrungen und
voll und gegen die Weichen nur wenig ein¬
gezogen, der Widerrist erhaben, der Rücken
nicht gekrümmt und in der Mitte etwas ein¬
gesenkt. die Brust breit und tief, die Beine
raittelhoch, dick und stark, die vorderen voll¬
kommen gerade. An den Hinterfüssen keine
fünfte Afterzehe. Der Schwanz ist ziemlich
lang, an der Wurzel dick, gegen das Ende
zu verschmälert und bis unter das Fersen¬
gelenk reichend. Behaarung kurz, glatt
anliegend, etwas grob. Färbung fahl oder
bräunlichgelb, bisweilen schwärzlich über¬
flogen oder gestromt. Schnauzenende, Lippen
und Ende der Ohren mattschwarz. Der Bul-
lenbeisser wird nach Fitzinger schon im ale¬
mannischen Gesetze unter dem Namen Bären¬
fänger erwähnt, später bald als Bullenbeisser
oder Büffelfänger. Er wurde zur Bärenjagd
und zum Einfangen des Rindes gehalten.
Noch jetzt wird er in letzterer Eigenschaft
in Spanien verwendet, ausserdem leistet er
als Wächter des Hauses und Beschützer seines
Herrn, dem er sehr treu und anhänglich ist,
gute Dienste.
Der kleine Bullenbeisser, Doguin,
bedeutend kleiner als der vorige, von der
Grösse eines Vorstehhundes und kleiner, im
allgemeinen Bau zwischen dem grossen Bul¬
lenbeisser und der Bulldogge stehend, aus
deren Kreuzung er hervorgegangen zu sein
scheint. Der Bau ist sehr kräftig, die Brust
breit, der Kopf schwer, im Himthoil breit,
die Schnauze kurz, der Unterkiefer vorragend,
die Schneidezähne stehen häufig unregel¬
mässig. Die Färbung ist hellisabell oder ge j
strömt. Dieses für seine Grösse ausserordent¬
lich kräftige Thier wird als Stubenhund und
mit Vorliebe als Stallhund gehalten. Studer.
Bullenklee, s. Trifolium pratense.
Bullenkopf, s. Kopf — Kopfformen.
Bull-Terrier, Bulldoggpintscher, ein Kreu-
zungsproduct zwischen der Bulldogge und dem
glatthaarigen Pintscher, der den Math und die
Stärke des ersteren mit der Klugkeit und Intel¬
ligenz des letzteren, von dem er die schlankeren
Formen hat, verbindet. Die Grösse des Thieres
variirt, ebenso die Form, je nachdem mehr
oder weniger Bulldoggblut mit dem des Pint-
schers gemischt ist. In England soll ein guter
Bull-Terrier % Pintscher und % Bulldogg
sein, in Frankreich wird gleichwerthige Mi¬
schung vorgezogen, danach ist der Kopf bald
spitzer, bald dicker und stumpfer. Im Allge¬
meinen soll aber der Unterkiefer nicht vor¬
ragend sein. Der Leib ist schlank und kräftig,
das Haar kurz, glatt, die Farbe vorwiegend
weiss. In England wurde der Bull-Terrier
hauptsächlich zum Rattenfangen abgerichtet,
auch für Jagd auf Dachse und Füchse, die er
im Bau aufsucht, zeigt er sich geeignet. S/r.
Buphthalmus (ßo-3; und b x>9-aXp.o;, Ochsen¬
auge), s. Glaucoma congenita.
Burätische Ziege. Die Mongolen am
Baikalsee, besonders aber die Buräten, welche
*6
BURATISCHES PFERD. — BURSATTI.
im südlichen Theile des rassischen Gouverne¬
ments Irkatsk (Ostsibirien) ein Nomaden¬
leben führen, sind im Besitze einer beson¬
deren Ziegenrasse, die zwar klein und zier¬
lich, aber dennoch sehr milchergiebig sein
soll. Aus diesem Grunde hat sie eine grosse
Verbreitung gefunden und kommt jetzt nicht
selten an vielen Orten von Kleinrussland vor.
Die Thiere zeigen im Körperbau und in der
Haarfärbung grosse Aehnlichkeit mit der zot¬
tigen Hausziege des Orients. Weisshaarige
Individuen kommen am häufigsten vor; die
meisten sind hornlos, und gehörnte Böcke
werden niemals zur Zucht verwendet. Ueber
die Abstammung der burätischen Ziege weiss
man nichts Bestimmtes anzugeben; Fitzinger
hielt es für wahrscheinlich, dass dieselbe ein
Blendling sei, hervorgegangen aus der Kreu¬
zung der Bezoar- und Kaschmir-Ziege. Fg.
Burätische8 Pferd, soll aus der Kreuzung
von kalmückischen mit mongolischen Pferden
hervorgegangen sein; dasselbe wird aus¬
schliesslich von den Buräten am Baikalsee
gezüchtet. Es gehört zur Gruppe der leichten
Pferde (Equus velox) und hat ebenso grosse
Aehnlichkeit mit dem mongolischen, wie mit
dem Kalmückenrosse. Diese Rasse ist ungleich
schöner als die kirgisische oder die der Basch¬
kiren. Die Burätenpferde sind klein von Ge¬
stalt, leidlich hübsch geformt, haben einen
feinen Kopf und zierliche Beine mit schön
gestalteten Hufen. Ihre Futteransprüche sind
leicht zu befriedigen; in ihrer Heimat er¬
nähren sie sich hauptsächlich von den Gräsern
und Kräutern, welche auf den trockenen Ge-
birgsweiden wild wachsen; nur bei schwerer
Arbeit gibt man ihnen etwas Körnerfutter.
Fitzinger sagt, dass die fragliche Rasse mit
unglaublicher Leichtigkeit die steilsten Berge
ersteige und mit der grössten Sicherheit über
die gefährlichsten Abhänge hinwegklettere. Fg.
Burdon W. gab 1730 ein Taschenbuch
für Pferdearzneikunde heraus. Semmer.
Burdos, s. Churra-Schaf.
Burgemeister war Prosector an der Thier¬
arzneischule zu Jena; gab 1847 eine Schrift
über Veterinär-Sanitätspolizei heraus. Semmer.
Burger gab 1823 eine Bibliothek der
Veterinärkunde und 1830 eine Veterinär¬
diagnostik heraus. Semmer.
Burgos-Hund, Basset de Burgos. Eine
kleine Hundeform, welche mit der Behaarung
und zum Theil auch mit den körperlichen
Formen des kleinen Seidenhundes die niedere
und gestreckte Gestalt des krummbeinigen
Dachshundes verbindet (Fitzinger). Der Leib
ist ziemlich langgestreckt, die Brust breit, die
Beine kurz, ziemlich stark, die vorderen am
Handgelenke etwas verdickt. Der Kopf ist
ziemlich gross, mit spitzer Schnauze, der
Schwanz wird meist über den Rücken nach
aufwärts gebogen. Die Behaarung lang, zottig
gewellt, weich, fein und glänzend, vorzüglich
am Vorderhalse, der Brust, Bauch, Hinter-
scite der Oberarme und den Schenkeln, an den
Ohren und dem Schwänze, besonders an der
Unterseite desselben, Schnauze und Läufe
kürzer behaart. Färbung gewöhnlich auf der
Oberseite des Körpers, Aussenseite der Ober¬
arme und der Schenkel, sowie am Schwänze
schwarz, Unterseite, Innenseite der Schenkel,
Füsse und Schnauze rostgelb, gelblichweiss
und weiss. Dient als Schosshund. Studer .
Bura8dorfhof, Vorwerk des königlich
preussischen Hauptgestüts Trakehnen im
Kreise Gumbinnen, 1829 vom Landstallmeister
v. Burgsdorf gegründet und meistens mit
guten Matterpferden besetzt. — Nach Frentzel
sind hier in Burgsdorfhof, wie auf den anderen
Vorwerken Trakehnens, seit 1800 stets mehr
englische als orientalische Beschäler zur Bil¬
dung des Gestüts benützt worden, und der
in jener Gegend verbreitete Glaube, dass nur
allein Araber die Trakehner Zucht brillant
gemacht haben, ihre ganze Schönheit und
Pracht auf den Leistungen der früheren Araber
beruhe und, wenn diese nicht wieder zahl¬
reich angewendet würden, erlöschen müsse, ist
falsch. Die daselbst in neuerer Zeit stark
benützten gemischten Vollbluthengste er¬
reichten an Schönheit die besten Orientalen
und übertrafen dieselben beiweitem an Grösse,
Stärke und schöner Schulterlage. Freytag.
Burgunder Pech, s. Pix solida.
Burgunder Rind. Im Osten Burgunds
(Departement Cöte-d’Or) fand man noch vor
etwa vierzig Jahren eine Rinderrasse, welche
den Namen „burgundische“ führte und von
sch warzer oder schiefergrauer Farbe, manchmal
auch schwarz und weiss gescheckt war und
deren Milchergiebigkeit ziemlich befriedigend
genannt werden konnte. Diese Rinder sind
heutzutage durch die Charolais-, norman-
dische etc. Rasse ersetzt. Neumann .
Burgunder Rübe, s. Beta vulgaris.
Burgunder Schwein. Wird in den De¬
partements Yonne und Cöte-d’Or gezüchtet
Die burgundischen Schweine sind weiss, mit
langem, dünnem, plattem Körper, schmalen
Lenden, langen Beinen und hängenden Ohren.
Siesind eher bemerkenswerth durch die Festig¬
keit des Fleisches als durch ihren Mast¬
zustand. Neumann.
Burrhel-Schaf, s. Wildschaf.
Bursatti. Eine von geringen Schmerzen
begleitete, jedoch hartnäckige und schwer
zu behandelnde Hautkrankheit der Pferde
in Indien. Bursat bedeutet Regen; das Lei¬
den ist deshalb so genannt, weil es wäh¬
rend der Regenmonate zu seiner höchsten
Intensität sich steigert, nichtsdestoweniger
aber auch während der heissen Monate vor¬
kommt. Es hat den Anschein, als ob speciell
in den tropischen Klimaten eine Form von
Hautausschlägen bei Menschen und Thieren
vorherrschend sei, deren klinische und patho¬
logische Merkmale wohl nicht immer diesel¬
ben sind, was jedoch durch den Unterschied
des ieweiligen Klimas, die Constitution und
die Art des davon befallenen Individuums sich
erklären mag. Es dürfte wohl kein Zweifel
bestehen, dass die Bursatti-Krankheit ] nahe
mit der Delhi-Beule (Scinde-, Mooltan-, La-
hore- und Aden-Beule), dem Bouton d’Alep
von Biskra, Bassorah, Bagdad und Creta und
den Theman- und Cochinchina Geschwüren
BÜRSATTI.
27
verwandt sei. Die Bursatti ist nicht gleich-
mässig über Indien verbreitet, denn in den
Nordwestprovinzen und in Bengalen ist sie
sehr häufig, während sie im südlichen Indien
oder wenigstens südlich vom Flusse Kistna
weit seltener auftritt. Sie ist die locale Mani¬
festation irgend einer Krankheitsbedingung,
welche nach verschiedenen Autoren durch das
Wasser, die Luft, den Boden, durch Fliegen
oder die Eier eines Insectes verursacht wer¬
den soll. Hohe Temperatur und Feuchtigkeit
werden wieder von Anderen als der Entwick¬
lung der Krankheit sehr förderlich angesehen.
Die Einführung eines specifischen Keimes in
die Wunden wurde ebenfalls als Krankheits¬
ursache angesprochen und auch Fliegen als
Träger des Krankheitsstoffes gehalten. Der
Umstand, dass in Delhi Hunde an der Nase
erkrankten, gab zu der Vermuthung Anlass,
dass das Leiden durch einen parasitischen
Organismus, dessen Träger das Wasser sei,
verursacht werde.
Anatomischer Charakter. Bei der
Section eines Bursatti-Geschwüres ergibt sich
Folgendes: Dasselbe knistert und erweist sich
widerstandsfähig, u. zw. in Folge seiner knor¬
pelartigen Härte. Die Oberfläche ist mit
schwammigen Granulationen bedeckt, welche
dem Drucke wohl nachgeben, jedoch auf einer
Basis von sklerotischem Gewebe, gebildet aus
Streifen von faseriger Structur, die dasselbe
nach allen Richtungen durchziehen, haften
bleiben. Die Farbe ist gelblichweiss; die
Geschwüre enthalten in ihrem Stroma gelb¬
liche Körperchen, deren Grösse zwischen der
eines Stecknadelkopfes bis zu der einer Erbse
variirt (Fig. 292). Diese Körperchen sind
ihrer Gestalt nach unregelmässig, zumeist
Fif. 292. Durchschnitt eines Rnrsatli-Geschwüre* (natür
Ortes«) vom Fessel a Kalkige Körperchen in einem dichten
Stroma, b die geschweige schwammige Oberfläche, c die
Grenze des Geschwüres nnd der Haat, d gesunde Haut, im
Begriffe, bei dem Umsichgreifen des Geschwüres infiltrirt
zu werden.
jedoch rund oder oval mit kleinen, stein¬
harten Höckerchen, dem Anscheine nach ähn¬
lich den körnigen Massen unreinen kohlen-
sauren Kalkes, welcher in Indien zum Strassen-
beschottern verwendet und von den Einge-
bornen „Kunkur“ genannt wird, wonach auch
diese Ablagerungen den gleichen Namen er¬
hielten. Diese Kunkur-Ablagerungen finden
sich durch das ganze Geschwür hindurch, von
dessen Oberfläche bis zur Basis vor; sie sind
in Kapseln gebettet, aus denen sie leicht
entfernt werden können, worauf sie eine ihrer
Grösse entsprechende Höhlung hinterlassen.
Das Aussehen des Geschwüres ist nur leicht
vasculär und kann auch das umgebende Ge¬
webe infiltrirt sein, doch unterliegt die Feststel¬
lung der Grenzen keinerlei Schwierigkeit.
Ein Kunkur besteht aus kohlensaurem Kalk
und enthält 90% organischer und 10% un¬
organischer Substanz. Die Kunkurs oder, wie
wir sie nennen wollen, kalkigen Ablagerungen
oder Knötchen bilden eines der hervorragend¬
sten Kennzeichen dieser Geschwüre und ihnen
wird der von der Bursatti-Krankheit ange¬
richtete Schaden zugeschrieben.
Krankheitssymptome. Das Bursatti-
Geschwür beginnt als Schwellung unter der
Haut, ist hart, aber nicht schmerzhaft beim
Drücken, jedoch sehr juckend. Die Ulceration
der Oberfläche dieser Anschwellung geht
sehr rasch vor sich, so rasch, dass die Ge¬
schwulst oft erst beim Eintreten der Ulcera¬
tion bemerkt wird. Die geschwürige Ober¬
fläche ist rund oder oval, sieht dunkelroth
und livid aus und sondert eine serumähnliche
Flüssigkeit ab. Die Basis des Tumors wird
nun steinig hart, an der Oberfläche nimmt
man kalkige Ablagerungen wahr. Bald bilden
sich neue Geschwüre nächst dem ursprüng¬
lichen, das dazwischen liegende Gewebe wird
rasch zerstört und die kleinen Geschwüre
vereinigen sich zu grossen. Letzteres tritt
wohl nicht stets ein, denn manchmal ist das
Geschwür nicht grösser als ein Schillingstück.
Die schwamraähnliche, schmutzigbraune Ober¬
fläche platzt bald und hinterlässt Risse, aus
denen sich ihr flüssiger Inhalt ergiesst. Viele
glauben, dass die Geschwüre sich durch diese
Flüssigkeit vermehren und ausbreiten, aber
die ThatBachen widersprechen dieser An¬
nahme. Die am meisten ergriffenen Körper¬
teile sind das Gesicht, die Extremitäten,
die Eichel, der Penis und die Maulwinkel.
In gewöhnlichen Fällen genügt der Eintritt
des kälteren Wetters, um die Geschwüre auf¬
zutrocknen, welche jedoch im folgende»
Jahre wieder ausbrechen. Ueber den Antheil,
welchen die kalkigen Körperchen an dem
Wesen der Krankheit haben, herrscht keine
Meinungsverschiedenheit; man ist allge¬
mein der Ansicht, dass dieselben entfernt
werden müssen, und wo dies in richtiger
Weise geschieht, heilt das Geschwür bald.
Die nach der Zerstörung des Gewebes hinter-
lassenen Narben sind gewöhnlich weiss und
wie jene nach Brandwunden gerändert, sie
sind den indischen Pferdekennern wohl be¬
kannt. Manchmal kann man auch ziemlich
grosse kalkige Ablagerungen unter der Haut
fühlen. Sowohl die Narben, als auch diese
Ablagerungen werden als ein krankhafter Zu¬
stand betrachtet.
Ein an der chronischen Bursatti-Krank¬
heit leidendes Thier bietet einen jammer¬
vollen Anblick. Die Reizbarkeit und das Jucken
erreichen ihren höchsten Grad; der Penis
kann theilweise zerstört werden; die Fesseln
und Kronenhaare werden rauh, der Ductus
ad nasum ist oft von Ablagerungen in dem
inneren Augenwinkel verstopft, Thränen rin¬
nen über die Wangen, ätzen deren Oberfläche
und zerstören die Haare; die Winkel der
Lippen sind verdickt, es tritt eine allgemeine
28 BURSATTI.
Schwächung ein, so dass das Tödten des
Thieres das einzig Erübrigende ist. Es ist
indessen durchaus nicht immer der Fall, dass
alle an Bursatti leidenden Pferde in diesen
extremen Zustand verfallen; es gibt im Gegen-
theile genug Fälle, in welchen das Allgemein¬
befinden des Thieres nicht wesentlich gestört
ist; es ist dann eben keine vollständige Sa¬
turation eingetreten, und dies führt zu der
Erwägung des wichtigsten klinischen Merk¬
mals der Krankheit, nämlich der Wiederkehr.
Die kleinen Geschwüre heilen oft spontan im
kalten Wetter, um in der folgenden Regen¬
zeit aufs Neue auszubrechen. Wenn indessen
die kalkigen Ablagerungen sämmtlich ent¬
fernt worden, was durch eine oft wiederholte
und täglich vorgenommene Extraction erreicht
werden kann, so nimmt man die Heilung als
vollzogen an und die Krankheit kehrt nicht
wieder, wenigstens nicht an der Stelle der
ursprünglichen Geschwüre, obgleich es nicht
ausgeschlossen ist, dass sie an anderen Orten
neuerlich auftreten können. Die praktische
Erfahrung lehrt, dass ein Pferd ein Bursatti-
Geschwür nur einmal in seinem Leben
haben kann, oder dass es ein solches auf
weist, welches von Jahr zu Jahr aufs Neue
auftritt. Letzteres führt zu der oben geschil¬
derten Allgemeinaffection. In Bezug auf den
Kunkur soll hier erwähnt werden, dass dies
nicht die einzige Krankheit des Pferdes in
Indien ist, bei welcher man Ablagerungen
von kalkigen Substanzen begegnet, auch die
Leber, die Eingeweide, die Lungen und Ge¬
lenke können durch diesen Process desorga-
nisirt werden, so dass Grund zur Annahme
vorliegt, dass zwischen diesen internen Abla¬
gerungen und dem Auftreten der Bursatti
kein nothwendiger Zusammenhang bestehe,
was insoferne wichtig ist, als in den wenigen
Fällen, in denen Autopsien von der Bur¬
satti zum Opfer gefallenen Thieren vorge¬
nommen wurden, sich ansehnliche kalkige
Ablagerungen in den Organen vorfanden,
welche der Bursatti-Infection zugeschrieben
worden sind. Ich habe nicht die Absicht, dies
zu leugnen, glaube aber, dass derartige interne
Ablagerungen ohne die Mitwirkung der Bur¬
satti Vorkommen können.
Im Beginn dieses Artikels wurde die Auf¬
merksamkeit auf die Thatsache hingelenkt, dass
die Bursatti sehr nahe der Delhi-Beule und
anderen ähnlichen orientalischen Leiden ver¬
wandt sei. Vor einigen Jahren unternahm ich
nun einige Impfversuche, welche damals im „Ve-
terinary Journal“ veröffentlicht wurden. Diesel¬
ben bezogen sich auf 12 Menschen und einen
Hund. Das Resultat war ein negatives. Da noch
über einen anderen Punkt, nämlich ob die
Bursatti durch Inoculation auf Thiere der¬
selben Species übertragbar sei, eine Auf¬
klärung wünschenswerth gewesen, so wurden
auch in dieser Hinsicht praktische Experimente
angestellt, welche jedoch mit Ausnahme eines
einzigen Falles, der ein bereits afficirtes Thier
betraf, das nach stattgehabter Impfung in
das Unterhaut-Bindegewebe eine beträchtliche
Schwellung der Impfstelle aufwies, die mit
grossem Schmerz einherging und eine In¬
duration um die Wunde hinterliess, negativ-
ausgefallen sind.
Krankheitsurs ache. Vor einigen Jahren
war Verfasser durch mikroskopische Beobach¬
tungen zu der Ansicht gebracht worden, dass
ein Pilz eine grosse Rolle bei der Krankheits¬
entwicklung spiele. Die Bursatti ist nämlich
wesentlich ein fibröser Tumor, das Ergebniss
einer specifischen Irritation. Sobald man einen
Theil des Gewebes untersucht, das kürzlich von
dem Leiden befallen worden, kann man beob¬
achten, dass die fibrösen Gebilde dieses Theiles
sich sehr stark vergrössert haben, und dass an
und zwischen den Fibern, theilweise dick, theil-
weise dünner verstreut, sich kleine, rundge¬
staltete Zellen vorfinden, welche mehrfach Kerne
von schwarzer Farbe enthalten. Diese Zellen,
deren Grösse zwischen % 000 — 8 /iooo eines Zolles
schwankt, und welche aie charakteristische In¬
filtration erzeugen, sind rundlich und in Er¬
manglung der Kerne hell, zumeist aber sind
sie mit schwarzen Kernen wie besäet, so dass
sie im Durchschnitte ein tiefbraunes oder
schwarzes Aussehen darbieten (Fig. 293). Unter
der Einwirkung von Essigsäure oder Aetzkali
Fig. 293. Mikroskopischor SchDitt durch ein Bun-atti-Ge-
schwftr, zeigt die fibröse Structur, sowie die pigmenthalti¬
gen Zellen.
können sie beträchtlich aufgehellt werden. Sie
liegen immer zwischen den Fasern des die
Gewächse bildenden Gewebes und sind manch¬
mal derart angehäuft, dass der Schnitt völlig
undurchsichtig ist, wodurch die fibröse Structur
des Gebildes, die dasselbe in allen Richtun¬
gen durchzieht, nur undeutlich wahrgenommen
werden kann. Das Alter des Geschwüres hat
anscheinend keinen Einfluss auf das Aussehen
desselben; cs sind weder die Haarbälge, noch
die Talg- und Schweissdrüsen afficirt, in der
That nichts ausser der einfachen Infiltration
des Theiles, den ich im Jahre 1879 die „speci-
fisebe braune Zelle“ nannte, vorhanden. Die
bindegewebigen Räume der oberflächlichen
Schichten des Coriums beginnen nun zu ent¬
arten und werden durch eine undurchsichtige,
gestaltlos aussehende Masse ersetzt; die Papil-
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BURSATTI. *9
larkörper sind in ihrer Grösse stark reducirt,
obgleich die Epidemiisschichten in ihrer Quan¬
tität stark angewachsen sein können. Diese Re-
duction in der Grösse der Papillarkörper ist
eine ganz gleichförmige Veränderung. Nunmehr
beginnt in jedem Theil des Geschwürs die Bil¬
dung der sog. Kunkur-Körper. Diese Körper
sind ein höchst charakteristisches Merkmal der
Geschwüre. Dem mikroskopischen Anschein nach
sind dieselben den in psammomatösen Aus¬
wüchsen gefundenen Körpern sehr ähnlich. Sie
sind rund oder oval, dunkler gefärbt als der
umgebende Theil; zuerst weich und käseähnlich,
werden sie später steinhart. Sie beginnen vor¬
erst als eine einfache Zellengruppirung um einen
Mittelpunkt; die äussersten Lagen desselben
sind abgeflacht, und in gewisser Beziehung
gleicht der Körper einem Zellennest von Epi¬
thelioma. Von einem Beobachter wurden die
Geschwüre cancroide Epithelioma genannt. In
kurzer Zeit verschwindet das zellenartige Ausse¬
hen dieses Körpers, welcher nun die Grösse einer
Erbse erreicht haben mag. Beim Durchschnitt
sieht man, dass er aus concentrischen Schichten
mit einem dunkleren centralen Kern besteht
(Fig. 294). Sobald die Ablagerung alt gewor¬
den, tritt eine Verkalkung ein. Sie wird nun
Fig. 294. Kunkur-Durchsehnitt, stark vergrössert.
so hart, dass sie nicht geschnitten werden
kann; wird aber dennoch ein Einschnitt ver¬
sucht, so kann eine confuse Masse, welche con-
centrisch um einen Mittelpunkt angeordnet ist,
beobachtet werden. Die Hinzufügung eines
Tropfens Salzsäure verursacht ein Aufbrausen
der Masse bei gleichzeitiger Entweichung von
Gasblasen, ein Beweis, dass die Zusammen¬
setzung zum grössten Theile, wenn nicht gänz¬
lich, von kohlensaurem Kalk gebildet ist.
Therapie. Die Behandlung zerfällt ihrer¬
seits in zwei Unterabtheilungen: die präven¬
tive und die curative.
Präventive Behandlung. Zuvörderst
hat man den Zutritt von Fliegen zu den Wun¬
den hintanzuhalten. Meyrick theilt mit, es sei
ihm niemals vorgekommen, dass eine recente
Wtlnde bursattisch geworden, sobald dieselbe
vor Fliegen geschützt wurde. Er bemerkte auch
bei Füllen, welchen die Augenwimpern fehlten,
das Erscheinen von Bursatti-GeschWülsten an
der conjunctiven Membran des Augenlides,
während dies bei Pferden, welche diese Wim¬
pern besassen, nicht der Fall war. Es kann
wohl keinem Zweifel unterliegen, dass Nachr
lässigkeit und sorglose Stallbehandlung ihren
Antheil an dem Erscheinen dieser Krankheit
haben, denn der obgenannte genaue Beobachter
bemerkt, dass die Bursatti sehr häufig unter
den aus den ehemaligen bengalischen Gestüten
stammenden, der Regierung gehörigen Stuten
vorkam, besonders wenn dieselben der Obsorge
eingeborner Pächter überlassen waren, welche
diese Pferde arg vernachlässigten. Viele be¬
trachten die in Rede stehende Krankheit als
ansteckend, deshalb sollten alle constitutionell
mit derselben inficirten Hengste castrirt, in
bösen Fällen jedoch getödtet werden. Zu der
Behandlung wäre noch hinzuzufügen, dass der
Hygiene die sorglichste Aufmerksamkeit ge¬
schenkt werden sollte; reine Ställe, Reinhaltung
auch der Umgebung derselben, gesundes Fut¬
ter, gutes Trinkwasser, Vermeidung allzu vieler
Thiere in einem Raume, dies sind die besten
prophylaktischen Vorkehrungen.
Curative Behandlung. Die in Vor¬
schlag gebrachten Heilmittel sind sehr zahl¬
reich und zumeist kräftige Caustica. Ich selbst
kann am besten rathen und prakticire immer:
unmittelbare Excision der Geschwulst und ihrer
umgebenden Theile; dies ist das sicherste und
am meisten zufriedenstellende Mittel, beson¬
ders bei chronischen Geschwülsten. In den
frühesten Stadien genügen wohl auch Kata-
plasmen, welche die sich bildenden Verhär¬
tungen erweichen, die sodann durch die eiternde
Oberfläche der Geschwulst wie eine schwammige
Excrescenz ausgedrückt werden können; hierauf
wird mit Lapis geätzt. Bei constitutioneller
Bursatti muss das ganze System ins Auge ge¬
fasst werden. Wenn die Excision nicht vorge¬
nommen wird, muss man sich an die Caustica
halten. Potassae fusa, Argent. nitr. sind hie¬
bei sehr nützlich, aber ausserdem muss die
cauterisirte Oberfläche täglich mit der Zange
nach den kalkigen Ablagerungen abgesucht
werden, welch letztere stets zu entfernen sind.
Schlussbemerkung. Wodurch werden
nun diese charakteristischen Körper in den Ge¬
schwüren gebildet? Ich habe mich mit die¬
sem Gegenstand seit d. J. 1878 beschäftigt, trotz¬
dem bin ich noch nicht voll ständig in der
Lage, hiefür eine durchaus befriedigerifle Er¬
klärung zu geben. Es ist höchst wahrschein¬
lich, dass ein Fungus eine hervorragende
Rolle spielt, doch haben wir, wie bereits
erwähnt, andere Affectionen, welche mit Bur¬
satti nicht einmal verwandt sind, und bei denen
Verkalkungen in Knötchen Vorkommen, welche
mit jenen der in Rede stehenden Krankheit
identisch sind. Geht nun eine directe Verwand¬
lung des Bindegewebes in die kalkige Masse
vor, oder erfolgt die Ablagerung in den Lymph-
räumen, oder aber wird die kalkige Ablagerung
in oder durch den Fungus hervorgebracht?
Bis jetzt bin ich noch nicht in der Lage, dieses
Problem zu lösen, neige mich aber der letzt¬
angeführten Ansicht zu. Wenn von dem Ge¬
schwür zum Behufe einer Untersuchung etwas
abgeschnitten oder abgeschabt und mit Zu¬
setzung von Potasrhe und Glycerin mikroskopisch
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30 BURSERACEAE.
beobachtet wird, so findet man ein zartes, aber
ausgedehntes Mycelinm des Fungus. Das ganze
Stroma eines Bursatti-Geschwüres ist von
diesem Mycel durchzogen, dessen Auffindung
mit Schwierigkeiten verbunden ist; es ist so
dünn, dass es blos % 0 ooo e ^ ne8 Zolles im
Diameter misst. Die Fäden sind lang und
können so weit verfolgt werden, als das Speci-
men sich erstreckt. Die in Glycerin und in
Wasser angcstellten künstlichen Culturen mit
diesem Pilz ergaben, dass sich das Mycelium
in regelmässigen Abständen segmentirt, sich
Hyphen mit langen Sporangien, welche mit
einer granulösen Masse gefallt sind, bilden,
die, wenn sie durch das Bersten der Hülle
zum Austritte gelangt, sowuhl in der Grösse
als dem Aussehen nach der specifisch braunen
Zelle des Geschwüres gleicht. Auch maulbeer-
artige Sporangien gelangten als eine Form der
Hyphenendigung zur Ansicht. Die Culturen in
Glycerin bewirkten einen höheren Grad der
Entwicklung, das Mycelium ist grösser als in
den Wasserculturen, es erheben sich von dem¬
selben dünne Hyphen oder Conidiophoren mit
je einem sphärischen Knötchen, aus welchem
feine Sterigmata auswachsen. Diese Culturen
beweisen, dass es sich hier um einen Aspergillus
handelt, welchen ich vorläufig Aspergillus Bur-
flatticus heissen will. Was die pathologische
Bedeutung dieses Pilzes anbelangt, so bemerke
ich, dass es mir gelungen ist, im Wege der
subcutanen Inoculation ein typisches und ganz
charakteristisches Geschwür hervorzurufen, wel¬
ches jedoch stets innerhalb 14 Tage bis drei
Wochen mit Narbenbildung heilt. Es erübrigt mir
nur mehr, einige Worte hinzuzufügen in Betreff des
möglichen Ursprunges, woher der Pilz stammt.
Während langer Zeit habe ich das Trinkwasser
in Verdacht gehabt, und die bemerkenswerthe
Leichtigkeit, mit welcher sich dieser Pilz im
Wasser entwickelte, verleiht dieser Theorie
thatsächlich einige Berechtigung. Indessen mag
auch das Futter eine nicht unwahrscheinliche
Quelle sein, umsomehr als das Gras, welches
den Pferden in Indien verfüttert wird, täglich
von jedem beliebigen Platz genommen wird,
sei derselbe nun geeignet oder nicht, rein oder
unrein. Der Ursprung des Fungus und die Art und
Weise, in welcher er in den Organismus gelangt,
ist aber bisher noch in Dunkel gehüllt Smith .
Burseraceae oder Amyrideae, Balsam-
bänme, den Suraachgewüchsen ähnlich, be¬
sitzen aber eine zwei- bis fünffächerige Nuss
(Steinfrucht). Meist tropische, durch schleim¬
harzige Säfte ausgezeichnete Sträucher und
Bäume, von denen jedoch hiedurch nur zwei
bemerkenswerth sind:
Boswellia serrata. L. X. 4. Indischer
Weihrauchbaum, aus welchem durch Ein¬
schnitte der echte oder ostindische Weih¬
rauch, Gummi oder Resina Olibanum, Thns, von
selbst ausfliesst. Er besteht aus Harz, Gummi
und ätherischen Oelen und hat innerlich ähn¬
liche, jedoch ebenfalls schwache Wirkungen
wie das Ammoniakgummi, findet jedoch keine
Anwendung mehr und dient höchstens, auf
Kohlen gestreut, zu angenehm riechenden
Räucherungen.
BÜSCHPFERDE.
Balsamodendron Myrrha. EchterMyr-
rhenbaum. L. VIII. 4. Der aus der Rinde dieses
an der Südgrenze Arabiens wachsenden Bäum¬
chens von selbst ausfliessende, zu gelblichen
oder röthlichbraunen Körnern erhärtende Saft
bildet in Gemeinschaft mit dem des Balsamo¬
dendron Ehrenbergianura die überall be¬
kannte Myrrhe,
Myrrha, Gummi, Resina Myrrha, welche
zum grösseren Theil aus Schleimharz und
3—4% angenehm riechendem ätherischen Oel
besteht. Ihre mediciniache Bedeutung hat in
neuerer Zeit sehr abgenommen, ja sie findet
innerlich in der Thierheilkunde gar keine
Anwendung mehr. Hinsichtlich ihrer pharma-
kodynamischen Richtung kommt die Myrrhe
dem Ammoniakgummi am nächsten und ist
nur etwas mehr reizend und leichter verdau¬
lich; in früheren Jahren spielte sie eine Rolle
bei chronischen Katarrhen der Respirations¬
organe, namentlich Blennorrhöen, bei Schleim¬
flüssen aus den Genitalien u. s. w., lauter
Zustände, in denen jetzt Senega, Enula, Theer
und namentlich Inhalationen mit Recht vor¬
gezogen werden. Aeusserlichhatsie in Form der
Tinctura MyTrhae (4:5 Weingeist)
wegen ihrer leicht reizenden adstringirenden
und antiseptischen Eigenschaften recht gute
Wirkungen in der Wundbehandlung aufzu¬
weisen, ist aber auch hier, obwohl mit Un¬
recht, ausser Mode gekommen. Vogel.
Buscatina, Buscorina (v. r t ßoöc, Rind,
undxö oxü>$. axaxo's, Koth), Buskatin, Buskorin,
der Duftstoff des Rinderkothcs. Sussdorf.
Busch J. D. studirte Medicin, war von
1783 an Director der Thierarzneischule zu Mar¬
burg; gab seit 1829 eine deutsche Veterinär-
Zeitschrift heraus. Von 1806 -1809 erschien
von ihm ein System der theoretischen und
praktischen Thierheilkunde in vier Bänden.
Er schrieb ferner über Rinderpest, Schaf¬
pocken, Lungenseuche und gab 4801 ein Re-
cept-TaschenbuCh heraus. Semmer.
Buschendorf gab 1797 ein „Neues Taschen¬
buch für Pferdefreunde, Pferdeärzte und Be-
schlagschmiede u heraus. Semmer .
Bu8chir-Esel s. Bagdad-Esel.
Buschpferde. Die kleinen englischen
Forester Ponies, welche hauptsächlich in den
ausgedehnten Waldstreckeil der Grafschaften
Southampton und Hampshire gezüchtet werden,
nennt man bei uns sehr oft Buschklepper oder
Buschpferde. Diese Thiere sind kaum 1 20 m
hoch, haben einen ziemlich dicken Kopf,
kurzen, starken Hals, kurzen Rumpf mit vor¬
stehenden Hüften und etwas flachen Beinen.
Kraft, Ausdauer und Sicherheit im Gange
macht sie für den Dienst in bewaldeter Berg¬
landschaft ganz tauglich. Ihres guten Tem¬
peramentes wegen eignen sie sich sehr gut
zur Reiterei für Kinder und altersschwache
Personen. In Russlands nördlichen Gouverne¬
ments werden vorwiegend die sog. Wald¬
pferde aufgezogen, welche von den Deutschen
jener Gegenden nicht selten Buschklepper
oder Buschpferdchen genannt werden: es
sind dieselben meistens kleine, unansehnliche
Geschöpfe mit langen, struppigen Haaren,
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BÜSCHSCHWEIN. — BUTTER.
31
aber ziemlich starken Gliedmassen; sie ver¬
richten selbst bei kärglicher Nahrung willig
ihre Dienste bei der Feldarbeit wie im Zuge
schwerer Lasten auf den gewöhnlich sehr
schlechten Feldwegen. Im Winter auf der
Schneebahn leisten sie mehr als im Sommer,
und sie erscheinen dann oftmals vor den
Schlitten der Iswostschiks in St. Petersburg
und Moskau. Sie ertragen die härteste Winter-
kalte in der Regel ganz gut und kommen
häufig gar nicht in den Stall; sie müssen
Schutz hinter Mauern, unter Schuppen oder
in den Nadelholzwaldungen suchen. Von ver¬
schiedenen Reisenden wurde noch neuerdings
berichtet, dass in Russland alljährlich eine
ansehnlich grosse Zahl dieser Waldpferde
durch die Kälte und den Hunger zu Grunde
gehe. Freytag.
Bu8Ch8Chwein (od. Larvenschwein, Poto-
mochoerus africanus) ist ein Vertreter des pin-
selohrigen Schweines von Süd- und Mittelafrika,
wird in der Regel etwas grösser und stärker
als das Pinselschwein Guineas, aber nicht
ganz so gross und stark wie unser europäisches
Wildschwein. Bis auf eine leicht übergebogene
Nackenmähne und einen ziemlich starken
Backenbart ist das Borstenhaar am ganzen
Körper ziemlich gleich lang und von grau¬
brauner Färbung. Nur der Nackenkamm und
die Barthaare sind weiss. — Das erste lebende
Exemplar dieser Species erhielt 1852 der
Thiergarten von London, und es sind diese
Schweine bis auf den heutigen Tag in anderen
europäischen Thiergärten nur spärlich ver¬
treten. Sie erfordern einen warmen Stall in
sonniger Lage und Raum zum Wühlen im
Erdreich. An länglich erschienen die Thiere
dieser Art fast unzähmbar, doch gelang es
geschickten Wärtern, sie nach und nach ruhiger
zu machen. Im Londoner Garten sind Vorjahren
vier Junge von der Buschsau geboren worden, die
aber sofort von dieser aufgefressen wurden. Fg.
Busse, Magister der Thierheilkunde, hatte
in Berlin studirt und war später beim kaiser¬
lichen Marstall in Petersburg angestellt. Er
begann 1854 die Herausgabe eines russischen
veterinärmedicinischen Journals, schrieb über
Staroperation, Castration mit dem Ecraseur
und 1857 über die Beschälseuche im süd¬
lichen Russland. Semmer.
Busse L. Th. besuchte die Thierarznei¬
schule in Wien, hörte Vorlesungen an der
Universität und der polytechnischen Schule,
ging dann nach Berlin, Dresden und München,
machte 1836 in Berlin sein Staatsexamen UDd
ging dann nach Posen in ein Cavallerieregiment
und dann nach Petersburg an die medico-
chirurgische Akademie, richtete eine Muster¬
schmiede ein, besuchte die russischen Reichs¬
gestüte und machte Reisen nach Hulland,
Belgien und England, gab seit 1854 ein rus¬
sisches veterinärmedicini8che8 Journal heraus,
schrieb viele Artikel im militärmedicinischen Jour-
nal und in der Zeitschrift der freien ökonomischen
Gesellschaft in Petersburg, wurde 1857 Magister
der Veterinärmedicin; schrieb über Hufbeschlag
1858, mit 42 Tafeln, über Hunderassen, mit
25 Tafeln, über Hautkrankheiten, Krankheiten
des Geflügels, der Hunde und Schweine, Mass-
regeln gegen Thierseuchen, eine populäre Thier¬
heilkunde; über Exterieur, Remontepferde, Be¬
schälseuche, Pferdebremsen, fehlerhafte Milch,
Koliken etc. Semmer.
Butter. Unter Butter versteht man die
Form, in welcher das Fett der Kuhmilch in
den Handel und zum Genuss kommt. Um das
Milchfett in dieser Form zu erhalten, bedarf
es einer anhaltenden und kräftigen Erschütte¬
rung der in der Milch oder im Rahm enthaltenen
kleinen, höchst fein vertheilten Fetttröpfchen,
wodurch letztere aus dem unterkühlten, flüs¬
sigen Zustande in den festen Aggregatzustand
übergehen und sich bei fortgesetztem Schla-
en des Butterungsmaterials durch Aneinan-
erkleben der fest gewordenen Fettpartikelchen
zu zusammenhängenden Fettmassen — die
rohe Butter — vereinigen. Dieser rein
physikalische Vorgang — der Butterungs-
process — ist nur innerhalb bestimmter Tem¬
peraturgrenzen (10—24° C.) möglich und er¬
folgt am besten bei gesäuerter ganzer Milch
oder dem Milchbuttern bei 47—18°C., bei
saurem Rahm bei 45—16°C. und bei süssem
Rahm bei 41—12°C. Anfangstemperatur. Die
in der Molkerei verwendeten Apparate, welche
die Erschütterung des Butterungsmateriales
(Milch oder Rahm) zum Zwecke der Butter¬
gewinnung zu besorgen haben, heissen Butter¬
fässer. Dieselben haben die verschiedenartigste
Einrichtung und Form und werden hiernach
eingetheilt in Stossbutterfässer, Schlagbutter¬
fässer mit liegender oder stehender Welle,
in Rollbutterfässer und in Wiegen- oder
Schaukelbutterfasser. Für den Betrieb im
Kleinen empfehlen sich die Schlagbutterfässer
mit liegender Welle (von Lefeldt, Schäfer,
Schmidt, Dürkoop) und für den Grossbetrieb
jene mit stehender Welle, von denen das
dänische oder holsteinische am meisten An¬
wendung findet. Ein gutes, brauchbares Butter¬
fass muss leichte Reinigung und Lüftung ge¬
statten, einfache und dauerhafte Construction,
dichten Verschluss besitzen, leicht zu hand¬
haben sein, geringen Kraftaufwand beim Aus¬
buttern benöthigen und die Ausbutterung
möglichst vollkommen erreichen lassen. Im
Allgemeinen liefern die Butterfässer in 25 bis
45 Minuten, längstens in einer Stunde fertige
Butter aus dem angewendeten Materiale; am
schnellsten findet die Buttergewinnung aus
saurem Rahm, am langsamsten aus süsser
Milch statt. Im Allgemeinen buttert man den
Rahm, nachdem er schwach sauer geworden.
Zu diesem Zwecke wird daher auch der süsse
Rahm, wie er nach den neueren Ausrahm¬
methoden (Swartz’schem oder Centrifugalver-
fahren) gewonnen wird, in der Rahmtonne an
einem 12—15°C. warmen Orte 12—24 Stun¬
den stehen gelassen, bis er den richtigen
Grad des Dickwerdens oder der Säuerung er¬
reicht hat. Seltener wird die Butter aus süs¬
sem Rahm gewonnen, obwohl diese Methode
zur Gewinnung feiner, haltbarer Tafelbutter
vorzuziehen ist. Das Milchbuttern geschieht
am besten mit nicht vollständig geronnener,
also nicht völlig saurer, sondern nur dick
tl BUTTER.
licher Milch. Es bietet den Vortheil, dass
der ganze Aufrahmprocess entbehrlich wird,
besitzt aber die Nachtheile, dass nur saure
Buttermilch abfällt, ein grösseres Flüssigkeits •
volumen und mit mehr Arbeit verbuttert wer¬
den muss, und die erhaltene Butter häufig
nicht von ausreichender Güte und Haltbar¬
keit ist. Die dem Butterfasse entnommene
rohe Butter enthält noch viele Milchbestand-
theile (Buttermilch), welche ihren Ge¬
schmack, ihr Aussehen und besonders ihre
.Haltbarkeit beeinträchtigen würden, deshalb
durch Kneten mit der Hand oder eigene Vor¬
richtungen (Handbutterkneter oder die Rotir-
butterknetmaschine) entfernt werden müssen.
Ein Auskneten in Wasser ist nur bei Butter
aus stark gesäuertem Rahm räthlich, denn
bei Butter aus süssem oder schwach saurem
Material verliert dieselbe dadurch viel von
ihrem Aroma und charakteristischem Wohl¬
geschmack. Das Kneten der Butter wird so
lange fortgesetzt, bis keine Buttermilch mehr
abfliesst und die Butter in ihrer ganzen Masse
möglichst gleichmässig aussieht und den ge¬
wünschten Glanz und ein feinkörniges Ge¬
füge angenommen hat. Ist dies geschehen,
so gibt man dem fertigen Product — der
süssen Tafelbutter — auch äusserlich
eine schöne Form entweder mit der Hand oder
mittelst eigener Holzformen. Die gemodelte
Butter von bestimmtem Gewicht wird zum
Versandt in der neuesten Zeit in Pergament¬
papier eingeschlagen und dann in Kistchen
zum Postversandt gebracht. — An vielen
Orten, z. B. in Norddeutschland, wird für den
gewöhnlichen Gebrauch die Butter gesalzen;
es entspricht dies einer üblichen Geschmacks¬
richtung, hat aber auch den Zweck, sog.
Dauerbutter, d. h. Butter von grösserer
Haltbarkeit herzustellen. Das Salzen bedingt
dies einerseits durch die vollständigere Beseiti-
gungder Buttermilch, andererseits durch directe
Beschränkung von Zersetzungsvorgängen. Man
verwendet reines Kochsalz von bestimmtem Kör¬
nungsgrade, je nach der Geschmacksrichtung
derConsumenten 2—6%. Ausser dem Salzen ist
auch das Färben von natürlicher zu weisser
Butter üblich geworden und wird von bestimm¬
ten Consuintionsorten, z. B. England, Spa¬
nien etc., geradezu verlangt. Die Farbe der
natürlichen Butter ist nach der Jahreszeit
und der Fütterung eine wechselnde; bei Stall¬
fütterung und mit Stroh ist sie fast weiss,
bei Grünfütterung und Weidegang schön gelb.
Das Färben zu heller Butter geschieht gegen¬
wärtig nur noch mit in Oel gelöstem, käuf¬
lichem Orleanfarbstoff (Bixin), welcher in ab¬
gemessener Menge (5 g auf 100 kg Milch oder
dem daraus gewonnenen Rahm) vor dem Ver¬
buttern dem Butterungsmaterial im Butter¬
fasse innig beigemischt wird. Im Handel
unterscheidet man gewöhnlich folgende Butter¬
sorten :
1. Frische Butter, süss oder unge¬
salzen und schwach gesalzen: die feinsten
Sorten als Thee-, Tisch- und Tafelbutter zu
sofortigem Consum.
2. Dauerbutter für weiteren Versandt
und mit mindestens vierwöchentlicher Halt¬
barkeit, Ist stets gesalzen.
3. Präservirte Butter, meist in luft¬
dicht zugelötheten Blechdosen für den über¬
seeischen Export.
An norddeutschen Hafenplätzen wird
die Butter noch unterschieden in Winter-
oder Stall butter (Altmilch-, Frischmilch¬
butter) und in Gras- oder Sommerbutter,
u. zw. Mai-, Vorsommer-, Nachsommer- oder
Stoppelbutter.
Nach dem Butterungsmateriale unter¬
scheidet man die Butter in Milchbutter,
wenn sie aus ganzer Milch, in Rahmbutter,
wenn sie aus Rahm, in Vorbruch- und in
Molkenbutter, wenn sie aus den nach dem
Verkäsen der fetten Milch übrigbleibenden
Molken erhalten wird. Die beim Centrifugal-
Ausrahmverfahren, d. i. aus Centrifugenrahm
erhaltene Butter wird auch als Cen tri fugen¬
butt er bezeichnet. Letztere, sonst richtig
bereitet und behandelt, gilt als die beste und
haltbarste. Die Zusammensetzung der Butter
ist sehr schwankend und hängt vor Allem
von der Gewinnungsmethode ab. Der Haupt¬
bestandteil ist das Fett, welches bei gut
ausgearbeiteter Waare nicht unter 80% und
selten über 88% vorhanden ist. Die mittlere
percentische Zusammensetzung ist die fol¬
gende bei:
gesalzener
Butter
a) gewa- b) unge¬
sehen waschen
stark ge¬
salzener
od.Dauer-
bntter
ungesalzener Butter
a) gewa- b) unge¬
sehen waschen
Wasser_ 13 00
12*50
960
15-26
14 42
Fett. 83 96
8415
8375
83-69
84 00
Eiweissstoffe 0'47
0-60
065
0-60
080
Milchzucker 0 45
0'5O
0 60
040
060
Asche, Sali 2*12
220
5 50
0*15
018
lOO'Ou
100-00
100 00
100*00
100 00
Das Butterfett als solches ist ein Ge¬
menge mehrerer Glyceride. d. i. der neutralen
Aether des Glycerins mit einer Reihe von
Fettsäuren, von welchen ausser den festen
Gliedern, als; Laurin-, Arachin-, Myristin-,
Palmitin- und Stearinsäure, auch die Ameisen¬
säure, Essigsäure, Buttersäure, Capron-, Ca-
pryl-, Caprin- und Oelsäure zu nennen sind.
Durch das Vorkommen der Glyceride, einer
Reihe flüchtiger Fettsäuren, ist das Butter-
fett in physikalischer und chemischer Bezie¬
hung von anderen, besonders thierischen
Fetten wesentlich verschieden. Es besitzt ein
höheres specifisches Gewicht (0*865—0*868
bei 100° C.; 0*9t 1—0 870 zwischen 15 bis
30° C.), einen niedereren Schmelz- und Er¬
starrungspunkt, ersteren bei 31—32*5, letz¬
teren bei 19—24°C.: die chemische Zusam¬
mensetzung weist einen geringeren Kohlen¬
stoffgehalt (75 63%), einen niedereren Wasser¬
stoff- (11*87%) und einen höheren Sauer¬
stoffgehalt (12*50%), und dementsprechend
einen geringeren Gehalt von Neutralfetten der
festen Fettsäuren gegenüber anderen Thier¬
fetten nach. Eine wichtige Veränderung er¬
leidet die Butter beim Liegen an der Luft
und bei Lichteinwirkung; sie nimmt Sauer¬
stoff aus der Luft auf, wird gelblich, ent¬
wickelt freie flüchtige Fettsäuren, welche ihr
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BUTTEBAU SBEUTE. — BUTTERMILCH.
33
einen ranzigen, talgigen Gernch und Geschmack
verleihen; dieser Zustand tritt um so früher
und in um so höherem Grade ein, je mangel¬
hafter die Gewinnung, Bearbeitung und Auf¬
bewahrung der Butter besorgt wurde. Feser.
Butterausbeute. Zu 1 kg Butter braucht
man in der Regel 301 Kuhmilch. Wo man
diese Butterausbeute im Jahresdurchschnitt
aus der gesammten verarbeiteten Milch er¬
hält, darf man zufrieden sein. Es entspricht
diese Ausbeute dem mittleren Fettgehalte
von3%%, nachdem vom Gesammtfettgehalte
einer Milch nach dem gewöhnlichen Aufrahm¬
verfahren circa 80 V* in den Rahm gehen
und von diesem durch das Buttem im Durch¬
schnitt wieder 95% des darin enthaltenen
Fettes als Butter gewonnen werden. Die Aus¬
beute an Butter aus einer Milch oder einem
Rahme ist abhängig von deren Fettgehalt,
von der Ausrahmmethode, von dem Grade
des Ausbuttems, dann aber auch vom eigenen
Gehalt der Butter an Fett, Wasser und an¬
deren Milchbestandtheilen. Alles, was die drei
erstgenannten Verhältnisse erhöht, vergrössert
auch die Butterausbeute. Die vollständigere
Ausrahmung der Milch durch Centrifugal-
maschinen nat die Butterausbeute aus der
Kuhmilch in grossen Wirtschaften um 10
bis 20% gesteigert. Als Anhaltspunkt für die
Beurtheilung der Erträge von Milchkühen kann
folgende Mittheilung gelten:
Es kommen auf jeden Centner (ä 50 kg)
Lebendgewicht der Kuh jährlich
Ton guten Milchkühen 800 kg Milch u. dav. 10 s /a kg Butter
, mittleren „ 250 M „ „ „ 8 „ „
„ geringen „ 200 „ „ „ „ 67i „ „
Dabei ist zu Grunde gelegt, dass eine
gute Milchkuh das Sechsfache ihres Lebend¬
gewichts oder die Hälfte des Gewichts an
verzehrtem Heu oder gleichwerthigern Futter
an Milch gibt und zu i kg Butter min¬
destens 281 Milch erforderlich sind. Aus¬
nahmen nach oben und unten sind nicht
selten; so wurden einerseits viel höhere Milch¬
erträge (bis zum Sechzehnfachen des Lebend¬
gewichtes einer Kuh) und andererseits sehr
fette Milchsorten beobachtet, welche schon
mit 151 1kg Butter lieferten. Feser.
Butterbaum, 8 . Bassia butyracea.
Butterblume, s. Ranunculus.
Butterfehler. Sie entstehen in Folge
fehlerhafter Behandlung der Milch, des Rahms,
der Bearbeitung der Butter, sowie durch un¬
geeignete Verpackung, Aufbewahrung und beim
Transport. Die wichtigsten Butterfehler sind:
1. Futtergeschmack. Entsteht durch
ungeeignete Fütterung und Anwendung solcher
Futtermittel, welche den Geschmack und das
Aroma der Butter beeinflussen. Schädlich
wirken in dieser Beziehung verdorbenes, ver¬
schimmeltes, gefrorenes, stark beregnetes
Futter; viel Haferstroh, Erbsen- und Wicken¬
schrot, Kartoffelschlämpe verfüttert machen
die Butter bitter, Kohlrüben scharf und un¬
angenehm.
2. Stall- oder Kuhschwanzge¬
schmack wird durch unreinliche Haltung der
Kühe, unterlassenes Reinigen der Euter beim
Melken, ungenügendes Durchseihen der Milch
und zu lange Aufbewahrung in dunstigen
Stallungen veranlasst.
3. Rauchige und dumpfige Butter
bildet sich durch Aufbewahrung der Milch,
des Rahms oder der fertigen Butter in un¬
reinlichen, dumpfigen Localen mit verdorbener
Luft
4. Oelige und säuerlich - ölige
Butter macht sich bei unrichtiger Säuerung
des Butterungsmaterials, z. B. mit altem, ver¬
dorbenem Rahm, saurer Milch oder Butter¬
milch.
5. Talgige Butter entsteht besonders
durch ungehinderten Luft- und Lichtzutritt.
6. Fischige oder thranige Butter
wird bei übermässiger OelkuchenfÜtterung,
fehlerhafter Rahmsäuerung, besonders bei alter
Butter beobachtet.
7. Bittere Butter stammt von bitterer
Milch (s. Milchfehler), VerfÜtterung bitterer
Futterstoffe, z. B. Lupinen, und wird auch bei
Verdauungskrankheiten und fehlerhafter Rahm¬
behandlung beobachtet.
8. Dicke, trübe, matte Butter ent¬
steht durch sog. Ueberarbeitung, wenn der
richtige Feuchtigkeitsgrad beim Kneten nicht
veranlasst wird oder die Butter zu kalt oder
zu warm geknetet wurde.
9. Flammige Butter zeigt sich durch
unrichtige, ungleichmässige Färbung oder
Salzung fleckig, streifig.
10. Käsige oder milchige Butter
entsteht durch mangelhafte Ausknetung der
Buttermilch; solche Butter wird bald ranzig
und schimmelig, letzteres besonders bei
Aufbewahrung an feuchten, dumpfen Orten.
11. Staffige Butter oder der StafF, be¬
sonders an Dauerbutter auftretend nach La¬
gern in fehlerhaft behandelten Holzgebinden
bei Luftzutritt Solche Butter schmeckt un¬
angenehm, ranzig-süsslich.
12. Zu stark gefärbte Butter oder
zu weisse Butter. Ersteres ist durch zu
starken Zusatz von Butterfarbe, letzteres durch
Winter-, besonders Strohffttterung bedingt. —
Die den Butterfehlern beigegebene kurze Be¬
schreibung ihrer Bildung gibt zur Verhütung
der genannten Butterfehler hinreichende Fin¬
gerzeige. Feser .
Buttermilch ist die beim Verbuttern des
Rahms oder ganzer Milch nach Ausscheidung
der Butter gewonnene weissliche Flüssigkeit,
welche bei richtig geleitetem Butterungspro-
cess nicht mehr äs %, höchstens %% Fett,
ausserdem im Mittel 3*60% Käsestoff, 0*3%
Eiweiss, 3’7% Milchzucker, 0*52% Asche
neben 91*7% Wasser enthält. Ihre Zusammen¬
setzung ist nach der milchwirthschaftlichen
Betriebsweise sehr verschieden und besonders
von der Rahmgewinnungsmethode, der Concen-
tration des Rahmes, der ursprünglichen Zu¬
sammensetzung der ganzen Milch, der Zeit¬
dauer der Rahmaufbewahrung, der mehr oder
weniger vorgeschrittenen Säuerung, bei der
sich ein Theil des Milchzuckers als Milch¬
säure vorfindet, abhängig. Wird süsser Rahm
verbuttert, so bleibt auch süsse Buttermilch
Kock. Encyklopldi« d. Thierheilkd. II. Bd.
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34 BUTTERPULVER. — BUTTERVERFALSCHÜNGEN.
neben der ausgeschiedenen Butter übrig; beim
gewöhnlichen Verbuttern sauren Rahmes ist
sie stark sauer und enthält bereits fein ge¬
ronnenen Käsestoff. Die süsse Buttermilch
nimmt nach kurzer Zeit einen widerlich
bitteren Geschmack an, der bei ursprünglich
saurer Buttermilch nicht auftritt. Die Butter¬
milch ist ein beliebtes Nahrungsmittel für
Menschen und Thiere und kann auch in Ver¬
mischung mit abgerahmter Milch zur Käse¬
fabrikation verwendet werden. Durch Ver¬
buttern alten, stark sauren Rahmes gewonnen,
ist sie jungen Kälbern in Folge der massigen
Pilzvegetationen gefährlich; sie wird dann
nur noch von älteren Thieren vertragen, am
besten aber an Schweine verfüttert. Feser .
Butterpulver. Unter diesem Titel kommen
von verschiedenen Handelsfirmen Präparate in
den Handel, welche nach Angabe der Fabri¬
kanten die Zeit des Butterns verkürzen, die
Ausbeute an Butter erhöhen und die Güte
und Haltbarkeit der Butter verbessern sollen.
Dies ist aber Alles nicht der Fall, denn diese
Pulver bestehen nur aus Soda, Natrium bi-
carbonat., Alaun, Borsäure, Borax u. dgl., also
' aus Stoffen, welche erfahrungsgemäss ohne
Einfluss auf das Buttern und den Butterungs-
process sind. — Wo sich Schwer- oder Nicht-
verbutterbarkeit eines Butterungsmaterials er¬
gibt, suche man die Abhilfe nie in Anwen¬
dung von solchen Butterpulvern, sondern in
Erforschung der Ursache dieses Verhaltens
und in Beseitigung derselben, d. i. in Regelung
der Butterungstemperatur, guter Einrichtung
und Füllung desButterfasses,normaler Säuerung
und Reinhaltung des Butterungsmaterials, Be¬
seitigung von Milchfehlern. Feser.
Buttersäure, C 4 H 8 0,. Sie entsteht bei
verschiedenen Gährungsprocessen, zumal bei
der sog. Buttersäuregährung des Zuckers,
welche ebenso wie die Essigsäuregährung
durch einen eigenen Spaltpilz eingeleitet
wird. Dieser Spaltpilz kommt auch im Miste
der Thiere vor und wird als Cloistridium
butyricum bezeichnet. Ueberdies findet sich
Buttersäure in Tamarinden, in Johannisbrot
und in anderen Pflanzen, im übelriechenden
Saft, welchen viele Laufkäfer ausspritzen, in
ranziger Butter, ausserdem neben Milchsäure
im Sauerkraut und in den sauren Gurken.
Die Buttersäure bildet eine ölige Flüssigkeit
von stark saurem Geschmack und ranzigem
Geruch, sie löst sich in Wasser, Alkohol und
Aether, wird jedoch aus der wässerigen Lö¬
sung durch Chlornatrium abgeschieden. Die
Buttersäure vereint sich mit Basen zu leicht
löslichen krystallisirbaren Salzen. Loebisch.
Butterschmalz oder geschmolzene, aus¬
gelassene Butter ist die von den milchigen
Beimengungen, d. i. von Eiweissstoffen, Milch¬
zucker und Wasser durch Erhitzen und Ab¬
setzenlassen möglichst befreite Butter, um
das so vorzugsweise für sich erhaltene Milch¬
fett lange Zeit unverändert und von reinem
Geschmack zu erhalten. Die feinste Qualität
wird aus frischer, gut ausgekneteter Butter
dadurch erhalten, dass man dieselbe bei 80
bis 100° C. so lange erwärmt, bis sich auf
der Oberfläche kein Schaum mehr bildet. Letz¬
terer wird vorsichtig abgenommen und nach
völliger Entfernung die klar gewordene
flüssige Butter sorgfältig von der unten an-
gesammelten, schwereren, trüben Wasser¬
schichte getrennt. Gute Butter gibt 80—83 %,
fettarme Butter oft nur 75% und weniger
reines Schmalz. Feser.
Butterverfälschungen. Die Marktbutter
ist erfahrungsgemäss vielen Fälschungen aus-
gesetzt. Ausser einem absichtlich veranlassten
hohen Wassergehalt der Butter — man kann
Wasser in ziemlich hohen Quantitäten, bis zu
30%, einkneten — beobachtet man Bei¬
mischung fremder Stoffe, wie gekochter Kar¬
toffeln, Stärke, Mehl u. s. w., und in neuerer
Zeit besonders häufig den Zusatz anderer
thierischer Fette, als: Schweinschmalz, Talg
und Oleomargarin oder sog. Kunstbutter. Be¬
züglich der Wassereinverleibung kann man
von einer guten, vollwerthigen Butter ver¬
langen, dass sie nicht über 18% Wasser ent¬
halte, das Butterfett nicht unter 80 % betrage
und die übrigen Bestandtheile nur zu 2—6 %
Vorkommen (s. Butter). Am genauesten gißt
über dieses Verhältniss die chemische Analyse
Aufschluss, doch reicht für gewöhnliche Zwecke
die Prüfung einer Butter auf ihren Fettgehalt
mittelst der von Birnbaum in Karlsruhe vor¬
geschlagenen Methode aus, nach welcher ein
30 cm langes, 15 mm weites, an einem Ende
zugeschmolzenes Rohr, welches in 100 Theile
getheilt ist, mit im Wasserbade zum Schmelzen
gebrachter Butter gefüllt, darauf mit einem
Korke luftdicht verschlossen und dann mit
einem Tuche umwickelt und mittelst eines
Bindfadens und einer Stange in rotirende
Bewegung versetzt wird, so dass sich nach
60—80 Umdrehungen das Fett der Butter
von ihren übrigen Bestandtheilen abgeschieden
und abgegrenzt hat und ersteres am Glase
nach Percenten abgelesen werden kann. Die
Verfälschung der Butter mit festen, mehligen
Stoffen ist leicht mit Hilfe des Mikroskopes
und der specifischen Stärkereaction mit Jod
zu erkennen. Schwieriger ist es, die Bei¬
mengung anderer thierischer Fette zu er¬
kennen. Um darüber ins Reine zu kommen,
bedient man sich folgender Methoden: a) Der
mikroskopischen Prüfling der zu einem dünnen
Häutchen unter dem Deckglas zusammen-
gepressten Butterprobe: Echte Butter zeigt
nur runde, feine Kügelchen neben Kochsalz¬
würfeln bei gesalzener Butter, fremder Zusatz
dagegen nadel- und federartige Fettbüschel
und Krystalle. b) Der Schmelzung über freiem
Feuer: Schweinschmalz entwickelt hiebei den
eigentümlichen Schweinbratengeruch. Wird
mit der Butterprobe ein dünner Baumwoll-
draht getränkt, angezündet und nach kurzem
Brennen ausgeblasen, so verräth sich ein
Talgzusatz durch den charakteristischen stin¬
kenden Geruch eines verlöschenden Talg¬
lichtes. c) Des Magarimeters von Dr. A. Mayer:
Mittelst dieses Apparates wird durch ein Aräo¬
meter das specifische Gewicht einer in einem
Glascylinder befindlichen und durch selben
umgebendes kochendes Wasser geschmolzenen
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BUTYL. — C.
35
Butterprobe bestimmt. Bei Zusatz fremder
Fette ergibt sich ein niedereres specifisches
Gewicht, unter 0*867. d) Des chemischen
quantitativen Nachweises der in der zu unter¬
suchenden Butterprobe vorhandenen Neutral¬
fette, resp. der daraus darzustellenden festen
oder flüchtigen Fettsäuren. Als oberste Grenze
ist ein Gehalt von 90% unlöslicher fester
Fettsäuren bei der Butter nach ihrer Ver¬
seifung und Zersetzung der erhaltenen Seife
mittelst verdünnter Salz- oder Schwefelsäure
zu constatiren, während Kindstalg 95 * 7, Ham¬
meltalg 95' 8, Schweinschmalz 95*7, Olivenöl
96*1, Oleomargarin oder Kunstbutter 95*5%
ergeben würden, also viel mehr, als reiner
Naturbutter zukommt. Feser.
Butyl, C 4 He, ist das einwerthige Radical
des Butylalkohols, es wird von Butan, C 4 H 10 ,
dem gesättigten Kohlenwasserstoff der Fett¬
säurereihe, abgeleitet, welcher den Ausgangs¬
punkt der Butylverbindungen bildet, als deren
wichtigste wir die Buttersäure nennen. Lh.
Butyphus (abgel. v. yj ßoö?, Rind, und
d xö^po«;, Typhus), Rinderpest. Sussdorf.
Butyrometer, s. Laktobutyrometer.
Butyrum, Butter, ein sehr mildes Fett
der Kuhmilch (Butyrum vaccinum). früher zu
Salben, besonders für das Auge, benützt, hat
aber keinerlei Vorzüge vor dem Schweinfett,
im Gegentheil wird es als das Gemisch einer
grossen Menge der verschiedensten flüssigen,
festen und flüchtigen Glyceride durch das
leichte Freiwerden der letzteren früher ranzig
(s. Adeps suillus). Vogel.
Buxus sempervirens, gemeiner Buchs¬
oder Buxbaura, bei uns als Zwergbuchs zu
Einfassungen in Gärten häufig gezogen, ein
immergrüner Strauch der Ordn.Euphorbiaceen,
Farn. Buxaceae, L. XXI. 4. Die Pflanze ist aus¬
gezeichnet durch ein giftiges, mit dem Bebeerin
der Bebeerurinde (Cortex Bibiru) identisches
Alkaloid, das
Buxin, welches in seinen physiologi¬
schen Wirkungen dem Chinin an die Seite
gestellt werden muss und vielleicht noch eine
Rolle spielt; auch sind schon Vergiftungen, be¬
sonders bei Schweinen, vorgekommen, während
die anderen Hausthiere, welche die abge¬
schorenen Sprösslinge ebenfalls nicht ungeme
fressen, viel weniger empfindlich sind. Die
toxischen Erscheinungen haben Aehnlichkeit
mit den Taxinwirkungen des Eibenbaumes,
Taxus baccata (s. d.). und bestehen in Er¬
brechen, Durchfall, Schwindel, Betäubung,
weiten Pupillen, verlangsamterRespiration, con-
vulsivischen Zuckungen, Kolik und heftigen
Magenschmerzen, so dass die Thiere jämmer¬
liche Schreie ausstossen; der Tod erfolgt
durch Asphyxie. Schwarzes Blut und Ent¬
zündungen des Magens und häufig auch des
Darmes sind die postmortalen Zeichen. VI.
Byssus Linn., Vail., Humb. (von ßoaso?,
feines Gewebe), Gruft-, Schwindelschimmel. So
nannte man früher eine Anzahl von seiden- oder
vielmehr spinnengewebeartig feinen sterilen
Mycelanfängen diverser Pilze, falls ihr Ha¬
bitus flockig war. Selbstverständlich ist diese
Gattung heute nicht mehr existenzfähig. Immer¬
hin werden aber auch derzeit noch ähnliche
Mycelien als byssusartig bezeichnet. Byssus
werden auch seidig feine, einer Drüse entstam¬
mende, eiweissartige Fäden mancher Muscheln
genannt, mittelst deren sich diese Thiere oft
an der Unterlage befestigen, so bei Pisna no-
bitis u. A. Was die Alten unter Byssus ver¬
standen, ist derzeit noch nicht sichergestellt;,
wahrscheinlich war ihr Byssus Leinenfaser und
das daraus gewonnene Gespinnst. Das griechi¬
sche Wort kommt vom hebräischen Buz, feines
Gespinnst. Harz.
c.
(Artikel, die unter C vermisst werden, sind unter K n&chzuschUgen.)
C wird als anatomische Abbreviatur ge¬
braucht für: Dentes canini, Haken- oder
Hauzähne (s. Zähne). Die Gebissformeln ent¬
halten unter Anderem die Bezeichnung Cj-f,
womit angedeutet werden soll, dass das be¬
treffende Thier oben und unten jederseits
«inen Hakenzahn besitzt. 2. Ossa carpalia,
Hand- oder Vorderfusswurzelknochen, z. B.
G 1 , C 11 , C“ 1 , C™ für die Knochen der Meta¬
carpalreihe des Carpus. Sussdorf.
C. Eine viel gebräuchliche Abbreviatur
auf den lateinischen Recepten; sie bedeutet:
«um, mit. Vogel.
Mit o wird auch die Secundasorte der Wolle
<s. d.) bezeichnet. Koch.
C. C. oder conc. cont. bedeutet auf den
Recepten concisa contusa, d. h. zerschneide
und zerstosse. Man wendet beide Ausdrücke
an, um dem Apotheker die Form der Verab¬
reichung bestimmter Arzneimittel anzudeuten,
welche einer gewissen Präparation bedürfen.
Dies ist gewöhnlich der Fall bei trockenen
Vegetabilien, z. B. Blättern, Blüthen, Wurzeln,
Stengeln, Rinden, Hölzern, welche für sich oder
als Species in zerschnittenem Zustande
besser zum Eingeben oder Extrahiren, zu Bä¬
hungen u. s. w. sich verwenden lassen;
dabei sucht man den einzelnen Theilen eine
möglichst gleiche Grösse zu geben und ver¬
wendet hiezu entsprechende Messer, bezw.
Hack- und Wiegemesser; um die Stoffe aber
nicht zu sehr zu verpulvern, lässt man sie,
wie bei sehr trockenen Vegetabilien, im Keller
oder an den Dampfapparaten erst etwas Was¬
ser aufnehmen (anziehen). Das Zerstossen,
contusio, geschieht bei solchen Substanzen,
welche sich schwer zum Zerschneiden eignen,
wie frische Blätter, Wurzeln oder Kräuter,
3*
36
CABALLÜS. — CADAVER.
welche dann in einem Stampftroge oder Mör¬
ser durch Pistille von Holz oder Metall zer¬
kleinert werden. Vogel.
Caballus, griech. xaßdXXinf, persisch gabal,
deutsch Gaul, wahrscheinlich orientalischen
Ursprungs, aus dem Hebräischen entnommen,
ist der classischen Prosa fremd und diente
auch bei Dichtern mehr zur Bezeichnung des
gewöhnlichen Kleppers. In der Systematik
bezeichnet es als Speciesname in Equus ca¬
ballus die Species Pferd. Sussdorf.
Cabero F. G., einer der fruchtbarsten
spanischen thierärztlichen Schriftsteller zu
Ende des XVII. und Anfang des XVHI. Jahr¬
hunderts. Er schrieb eine Reihe von Vertei¬
digungsschriften der Thierärzte gegen die
Angriffe der Menschenärzte und Streitschriften
gegen seine Collegen. Dr. Fr. Suarez de
Ribeira hatte in seiner Schrift „Templa-
dor medico* mit Verachtung von Thieiärzten
gesprochen. Dagegen schrieb Cabero 1727
eine Verteidigungsschrift unter dem Titel:
„Templador Vetennario de la Furia vulgär,
en defensa de la facultad veterinaria o medi-
cina de las bestias, y de los Albeytares peritos
y doctos.“ Im Jahre 1728 schrieb er ein
Werk: „Curacion racional de los irracionales
y conclusiones veterinarias,“ in welchem er
nachzuweisen sucht, dass die Menschenheil¬
kunde in allen Grundsätzen der Thierheil¬
kunde gleich ist. 1729 erschien seine „Veteri¬
naria apologdtica“. 1731 gab er heraus:
„Apendice dogmatico al Templador y Con¬
clusiones veterinarias contra la sceptica apro-
bation del Dr. Martin Martinez al libro de
Sande,“ eine Streitschrift gegen Dr. Martinez,
der die Thierheilkunde schmäht Seine 1732
erschienene Schrift: „Adicion racional y me-
tOdica ä la curacion de la lupia tumorosa y
destierro de ignorancias y de los errados
conceptos de J. A. Moraleda,“ ist gegen seine
Collegen Fr. Benavides in Madrid und Mora¬
leda in Sevilla gerichtet, die ihn angegriffen
hatten. Sein Werk: „Instituciones de Albey-
teria,“ Madrid 1740, erlebte eine ganze Reihe
neuer Auflagen (die letzte 1830). Sein letztes
Werk: „Adiciones ä las Instituciones de Albey-
teria,“ erschien 1756 zu Madrid. Semmer.
Caoaoabfalle als Futtermittel. Hieher
gehören: Cacaorinde, die ein gutes, aber
zu theures Kraftfutter bildet, das man abge¬
kocht an Kälber mit gutem Erfolg verfüttert
hat. Sie enthält 11*13 % Wasser, 7 * 28 % Asche,
25*87% Protein, 8*22% Fett, 13*35% Roh¬
faser, 34*15% stickstofffreie Extractstoffe.
Ebenfalls ein Kraftfuttermittel wäre Cacao-
pulver (Cacaokuchen), welches enthält:
86*0—92*6 im Mil
16*9—19*8 „ „ 17*8 i, Protein
8 0—16*8 „ „ 12*2 „ Fett
— „ „ 82 9 „ stickstofffreie Extractstoffe
— — „ „ 18*8 „ Holsfiuer
— — s, „ 7'6 „ Asche. Pott .
Caohexie, Cachexia (von xaxfc;, schlecht,
und lliq, Beschaffenheit), ein pathologischer
Zustand mit fehlerhafter Säftemischung, Stö¬
rung der Ernährung und Blutbildung, Ab¬
nahme der Temperatur, Anämie und Hydrämie.
Man hat verschiedene Arten von Cachexien
tel 88 ‘ 8 •/„ Trockensubstanr
je nach den Ursachen aufgestellt, so z. B.
eine Krebscachexie, mercurielle Cachexie,
Sumpfcachexie, Bleicachexie etc. Eine be¬
sondere Gruppe bildet die
Cachexia aquosa, Fäule, Wassersucht,
Hydrämie, wie sie besonders häufig unter den
Schafen in nassen Jahrgängen, bei Aufnahme
wenig intensiven, schlechten und verdorbenen
Futters, bei Magen-Darmkatarrhen und Wurm-
seuchen, insbesondere der Leberegelseuche,
Distomatosi8, Phthisis verminosa, Cachexia
verminosa auftritt und grosse Verluste an¬
richtet. Die erkrankten Thiere leiden an
Verdauungsstörungen und Durchfällen, magern
ab, werden bleichsüchtig, schwach und gehen
schliesslich an allgemeiner Erschöpfung zu
Grunde. Bei der Section findet man alle
Körpergewebe blass, schlaff das Blut wässerig,
Transsudate in der Brust- und Bauchhöhle und
im Herzbeutel, den Darm mehr oder weniger
katarrhalisch afficirt und bei den Wurm¬
seuchen die betreffenden Parasiten; bei der
Leberegelseuche massenhaft Leberegel in den
erweiterten, verdickten, incrustirten Gallen¬
gängen der bindegewebig entarteten (scir-
rhotischen) Leber (s. Leberegelseuche), bei
der Magenwurmseuche der Schafe Strongylus
contortus im Labmagen (s. Magenwurm¬
seuche); bei der Anämie der Hunde Ankylo-
stoma (Dochmius trigonocephalus) im Dünn¬
darm und Trichocephalus depressiusculus im
Dickdarm; bei der Bandwurmseuche der Schafe
Taenia expansa im Dünndarm (s. Bandwurm¬
seuche); bei der Lungenwurmseuche der Schafe
Strongylus filaria in den Bronchien und bei
den Kälbern Strongylus micrurus, bei Schweinen
Strongylus paradoxus in den Luftwegen (siehe
Lungenwurmkrankheit der Schafe) etc. Bei der
Cachexia boum tuberculosa, Perl¬
sucht, findet sich neben Abmagerung, Blut-
armuth und Blutwässerigkeit eine allgemeine
Tuberculose oder Anhäufung von Perlsucht¬
knoten und Knötchen in den Lungen, den
Verdauungsorganen, Geschlechtstheilen etc.
(8. Tuberculose). Semmer.
Caohoil, der eingetrocknete wässerige
Auszug verschiedener Catechusäure enthal¬
tenden Pflanzen, der, mit Lakritzensaft ver¬
mengt, ein adstringirendes Mittel gegen Pha¬
rynx- und Lungenkatarrhe (Hustenmittel) dar¬
stellt, im Ganzen aber bei uns nur selten
praktische Anwendung findet (s. Catechu). VI.
Cacio cavallo, eine der wichtigsten Käse¬
sorten Italiens, meist in Flaschenkürbisform,
in der Regel aus ganzer Kuhmilch mittelst
Lab bereitet und durch Beihilfe kochenden
Wassers geformt. Feser.
Cadaver (von cadere, sterben), das (nicht
der) Cadaver, Leichnam, ist das Stammwort
für cadaverös, cadaverisch. Sussdorf.
Cadaver,Behandlung derselben bei den
verschiedenen Thierseuchen. Die Cadaver an
besonders gefährlichen Seuchen (wie z. B. an
der Rinderpest und den Schafpocken) gefal¬
lener Thiere müssen vernichtet werden. Das
geschieht am zweckmässigsten durch Verbren¬
nung derselben, wozu für ein grosses Thier-
cadaver circa 6 kbm guten Holzes erforderlich
Digitized by v^ooQie
CADEÖL. — CAFFEINUM.
37
sind. Ein anderes zweckmässiges Verfahren
zur Unschädlichmachung der Cadaver ist das
Auflösen derselben in Schwefelsäure und die
Benützung der Rückstände nach Entfernung
der Schwefelsäure als Düngungsmittel. In
Ermanglung von Holz und Schwefelsäure
müssen die Cadaver, nachdem die Felle
derselben durch Kreuz- uhd Querschnitte
werthlos gemacht und mit Petroleum, Thieröl
oder roher Carbolsäure übergossen worden sind,
mindestens 4—6 Fuss tief verscharrt werden,
wobei man sie noch mit Aetzkalk oder Asche
bestreut oder mit Kalkmilch oder roher Carbol-
säure übergiesst. Das Verscharren muss an
abgelegenen, umzäunten oder mit Gräben um¬
zogenen Orten geschehen, zu denen das Vieh
(auch Hunde und Wölfe) keinen Zutritt hat.
Ausser Rinderpest sind es diejenigen Infec-
tionskrankheiten, die von den Thieren auf
Menschen übergehen, wie Milzbrand und Rotz,
bei welchen die Cadaver der Gefallenen oder
Getödteten sofort vernichtet (verbrannt, in
Schwefelsäure aufgelöst) oder nach Zerstö¬
rung des Felles und gehöriger Desinfection
an abgelegenen Orten tief verscharrt werden
müssen. Bei allen anderen Infectionskrank-
heiten können die Cadaver der Gefallenen
theilweise ausgenützt werden. Die Felle können
nach sorgfältigem Austrocknen oder nach vor¬
heriger Desinfection mit Aetzkalk oder Chlor¬
kalkwasser, Chlorgas oder Dämpfen schwefliger
Säure oder auch mit Sublimat- und Carbol-
säurelösungen und nachherigem Austrocknen
in den Handel gebracht werden. Wo Gerbereien
in der Nähe sind, können auch ausgetrocknete
Felle nach vorheriger Desinfection gleich dem
Process des Gerbens unterworfen werden. Das
Fleisch von Thieren, die an verschiedenen
Infectionskrankheiten, ausser Rotz, Milzbrand,
Septikämie, Pyämie, septischem oder pyämi¬
schem Puerperalfieber, Brandpocken, Hunds-
wuth, leiden, kann, falls die Thiere zeitig ge¬
schlachtet worden, an Ort und Stelle von
Menschen consumirt werden. Das Fleisch von
Gefallenen kann ebenfalls an Ort und Stelle
den Hunden verfuttert werden (zuweilen auch
den Schweinen). Die Knochen können, nachdem
sie desinflcirt und getrocknet worden, in die
Knochenmühlen gehen. Ebenso können die
Hörner und Klauen nach Desinfection und
vollständigem Austrocknen benützt werden.
Das Ausschmelzen des Fettes kann in allen
Fällen ausser Milzbrand, Rotz und Hunds-
wuth (wo eine Infection während der Mani¬
pulation zu befürchten ist) gestattet werden, da
durch Siedehitze fast alle Contagien zerstört
werden. Jegliche Ausnützung von Cadavem in
Folge von Infectionskrankneiten gefallener
oder getödteter Thiere ist aber nur unter ge¬
höriger veterinärpolizeilicher Aufsicht zu ge¬
statten. Semmer.
CadeÖl, Huile de Cade, Oleum cadinum,
ein aus dem Juniperus oxycedrus, einer Cupres-
sinee, vielfach gewonnenes brenzliches, dem flüs¬
sigen Peche ähnliches Oel, welches statt des
Theers insbesondere £egen Räude angewendet
und sehr gerühmt wird. Die antiparasitische
Wirkung steht zwischen Theer und Kreosot. VI.
Cadmium, Cd, ein weisses, zähes Metall,
welches in seinen chemischen Eigenschaften
eine grosse Aehnlichkeit mit dem Zink zeigt
und nur in geringer Menge als Begleiter des¬
selben in den Zinkerzen vorkommt. Es wurde
1817 von Stromeyer und Hermann entdeckt.
Man gewinnt es als Nebenproduct bei der
Darstellung von Zink; da es nämlich flüchti¬
ger ist als dieses, so ist es in den ersten
Destillationsproducten der Zinkerze enthalten.
Das Cadmium hat ein Atomgewicht von 111*6,
ein specifisches Gewicht von 8*6, schmilzt
bei 315° und siedet bei 860°. Von den Ver¬
bindungen desselben sind die wichtigsten:
CdS, Cadmiumsulfid, eine schön gelbe Ver¬
bindung, welche in der Wasser- und Oel-
malerei, auch zum Färben von Seifen benützt
wird; das CdJ„ Cadmiumjodid, findet in der
Photographie Anwendung; das Cadmium¬
amalgam, welches frisch bereitet knetbar ist,
jedoch bald erhärtet, dient zum Plombiren
hohler Zähne. Loebisch.
caecigenus (von caecus, blind, und gig-
nere. entstehen), blind geboren. Sussdorf.
caecus, blind, als anatomische Bezeich¬
nung für blind endigende Anhänge gewisser
Hohlorgane, so in Saccus caecus, Blindsack
des Magens, Intestinum caecum, Blind¬
darm etc. Sussdorf.
Cäment (lat. caementum [von caedere,
fällen], der rohe, unbehauene Stein, wie er
aus den Steinbrüchen kommt) ist der tech¬
nische Ausdruck für die Osteoidsubstanz des
Zahnes (s. Cement). Sussdorf
Caen-Pferd. Eine Benennung, mit welcher
die Kaufleute manchmal normandische Pferde
bezeichnen, welche aus dem Departement
Calvados herstammen. Neumann.
Caesalpinlaceae, Cäsalpinien, eine be¬
deutende Familie der Ordnung Leguminosae,
deren Blüthen jedoch zygomorph sind, aber
nicht schmetterlingförmig, und denen meist
10 freie Staubgefässe zukommen. Es sind
nur tropische Gewächse, meist Holzpflanzen
(über 1500 Arten), und befinden sich darunter
die wichtigen Farbhölzer Fernambuk- oder
Brasilienholz, das Braunholz, Blut-, Blau¬
oder Camp&cheholz, der echte, als Nahrungs¬
mittel für Menschen und Thiere verwendete
Johannisbrotbaum (Ceratonia siliqua), dessen
Hülsen auch ein berühmtes Brustmittel sind,
sowie Arzneipflanzen, wie der Tamarinden¬
baum mit seinem süsssäuerlichen Hülsen¬
mark (Abführmitel auch bei uns, Pulpa Tama-
rindorum), die Sennesblätter (s. d.) und der
Copaivbalsam von Copalfera officinalis. VI.
caesareus, Adj. von Caesar, dem Familien¬
namen des durch C. Julius Cäsar so berühmt
gewordenen Julischen Geschlechtes, erlangte
schon frühzeitig die Bedeutung kaiserlich,
weil C. Julius Cäsar als der erste Dictator
des römischen Reiches eine kaiserliche Ge¬
walt erhielt. Daher auch Sectio caesarea, der
Kaiserschnitt etc. Sussdorf
Cafelöffei voll, s. Medicinalgewicht.
Caffeinum oder Coffeinum; das Alkaloid
ist in neuerer Zeit als anregendes Gehirn-
und Herzmittel bekannter geworden und kann
38
CAINOTHERIUM. — CALCARIA CHLORATA.
häufig die Digitalis ersetzen (s. die Stamm¬
pflanze [Kaffeebaum] unter Coffea arabiea). VI.
Cainotherium, fossiler Wiederkäuer in
mehreren Variationen, von dem zahllose
Funde vorliegen, welche für phylogenetische
Folgerungen von grosser Bedeutung sind. Kitt.
Cairo, Veterinärschule, gegründet 1830
zu Abou Zabel. An derselben wirkten Clot-
Bey, Pretot, Hamont, Prince, Gregoire, Laforge,
L abatut. Semmer.
Cajeputöl, Oleum Caieput, grünliches
ätherisches Oel einer Myrthacee der Molukken,
das früher als reizendes Gewürzmittel An¬
wendung fand, jetzt aber verlassen wor¬
den ist. Vogel.
Calabarbohne, Faba Calabarica, enthält
als hauptwirksamen Stoff das in neuester Zeit
in der Thierheilkunde zu grosser Berühmt¬
heit gelangte Alkaloid Physostigmin oder
Eserin (s. die Stammpflanze Physostigma
venenosum). Vogel
Calabreser Hund. Chien de Calabre. Cala-
brian Dog. Italienischer Wolfshund. Eine
schöne, grosse Hunderasse, welche zu der
Gruppe der Schäferhunde gerechnet werden
muss. Er erreicht eine Schulterhöhe von 55
bis 60 cm, ist kräftig gebaut, mit hohen, starken
Läufen. Der Kopf ist mittelgross, länglich,
das Hinterhaupt breit, die Stirn gewölbt, die
Schnauze spitz, die Ohren schmal, aufrecht
und an der Spitze etwas umgebogen. Im All¬
emeinen erinnert der Kopf etwas an den
es Wolfes. Der Schwanz wird bogenförmig
nach aufwärts gekrümmt getragen. Das Kör¬
perhaar ist lang, zottig gewellt und weich,
am längsten am Halse, am Bauch, an der
Hinterseite der Beine und am Schwänze, wo
es auf der Unterseite desselben in langen
Fransen herabhängt. An den Ohren, der Vor¬
derseite der Beine und an den Pfoten ist das
Haar beträchtlich kürzer, das Gesicht ist sehr
kurz und glatt anliegend behaart. Die Fär¬
bung ist schneeweiss, selten etwas mit fahl¬
gelb gemischt. An den Seiten des Kopfes
kommen hin und wieder ein bis zwei falbe
oder rostfarbige Flecken vor. Diese Hunde
dienen als Hüter der Schafheerden in den
Abruzzen. Studer.
Calamus aromaticus, frühere Bezeichnung
des Kalmus (s. die Aroidee Acorus Ca¬
lamus). Vogel.
Calberla-Masse (von Bunge zuerst zu¬
sammengesetzt und später von Calberla
verändert und damit für gewisse Zwecke ver¬
bessert) ist eine der sog. „Einbettungs¬
massen“, in die man zu histologischen Unter¬
suchungen bestimmte Objecte einlegt und
dortselbst einschmelzen lässt, um sie in
feinste, in ihrem Zusammenhänge am wenig¬
sten gestörte Schnitte zerlegen zu können.
Als ganz besonders brauchbar wurde folgende
Zusammensetzung von Otto Becker für die
Linse des Auges — deren Einbettung
grossen Schwierigkeiten begegnet — em¬
pfohlen : Eiweiss wie Dotter möglichst frischer
Eier werden tüchtig verrührt, sodann für
jedes Ei 7—8 Tropfen wasserfreien Glycerins
zugesetzt, nochmals gut verrührt und das
Gemisch nun durch ein feines Flanelltuch
filtrirt. Mit dem Filtrate wird das vorher ge¬
härtete Präparat, welches in einer oben
offenen, eckigen Schachtel (Einsatz einer
schwedischen Zündholzschachtel) mittelst
Karlsbader Nadeln freischwebend erhalten
wird, übergossen und das Ganze dann im
Wasserbade so lange Alkoholdämpfen aus-
gesetzt, bis die Masse fest geworden (was bei
einem halbirten Auge in zwei Stunden ge¬
schehen ist). Hierauf lässt man in Alkohol
von gewöhnlicher Concentration das Ganze
nachhärten. Ist der erwünschte Härtegrad
erreicht, so klebt man das Ganze mit Gummi
auf Kork fest und schneidet auf dem Mikrotom
unter Alkoholbenetzung; man kann hiebei
Schnitte von 0*01 mm erhalten. Die Eiglycerin¬
mischung nimmt die zur Färbung des Prä¬
parates verwendeten Tinctionsmittel an und
begünstigt die Entwicklung niederer Orga¬
nismen.
Literatur: M. Bresgen, Virchow’s Arch., Bd. 66.
— Otto Becker, Zur Anatomie der gesunden und
kranken Linse. 1883, pag. 12 und 13. Schlampp.
Calcaneum, calcaneus (von calx, die
Ferse), Ferse und übertragen der die Grund¬
lage derselben bildende Knochen, das Fersen¬
bein, Sprungbein. Sussdorf.
Caloaria, Kalk (eigentlich Kalkofen),
wird aber auch für einzelne Kalkpräparate
gebraucht, officinell jedoch nur von der
Pharmacopoea Germanica für Chlorkalk und
gebrannten Kalk; für die Kalksalze und deren
Präparate wird jetzt überall die Bezeichnung
Calcium angewendet, obwohl der richtige
lateinische Ausdruck Calx heisst, der aber
medicinell fast ausser Gebrauch gekom¬
men ist. Vogel.
Calcaria carbonica, s. Calcium carbonicum.
Calcaria caustlca, Aetzkalk, s. Calcaria
usta.
Calcaria chlorata, Ph. G. Chlorkalk
(s. d.), Calx chlorata, Calcaria hypochlorosa,
Calcaria oxymuriatica. Nach der Pharma¬
copoea Austriaca heisst der Chlorkalk Cal¬
cium hypochlorosum, unterchlorigsaures Cal¬
cium, s. d. (Subchloras calcicus, Bleichkalk).
Hypochlorate oder Chlorure de chaux, chloride
of lime, bleaching powder, Calce sottoclorosa.
Wirksam im Chlorkalk ist das Chlorgas und
der Kalk, aus denen er besteht; für inner¬
liche Zwecke kommen daher die zusammen¬
ziehenden, austrocknenden, selbst etwas kau¬
stischen Eigenschaften des Kalkes neben den
desodorisirenden und desinficirenden des Chlors
in Betracht. Nachdem jedoch das wegen seines
Gehaltes an Chlorgas ohnedies etwas variable
Präparat sich ausserordentlich leicht (schon
an der Luft) zersetzt und das Endprodukt
der Einwirkung der Magensäuren nur die
Bildung von Chlorwasserstoff (Salzsäure und
schwer lösliches magensaures Calcium) ist,
so darf man keine allgemeinen Chlorwirkun¬
gen von ihm erwarten, denn wenn auch Spu¬
ren von Chlor ins Blut gelangten, müssten
auch sie in Salzsäure umgewandelt werden.
Jetzt ist das sonst ungemein kräftige Arznei¬
mittel für Allgemeinwirkungen obsolet, da
CALCARIA
man ohnedies jetzt sichere antiseptische Blut¬
mittel hat; früher ist es namentlich gegen
typhöse Processe, Influenza, Rothlauffieber,
Milzbrand, Blutharnen, ja selbst gegen Rotz
und Wurm (Hertwig) gerühmt worden. Da¬
gegen erzielt man heute noch von Contact-
wirkungen des unterchlorigsauren Calciums
gute Erfolge, indem es durch seine säure¬
widrigen, leicht adstringirenden, fäulniss-
widrigen und geruchzerstörenden Wirkungen,
welche sich während seines Aufenthaltes in
Magen und Darm mit grosser Sicherheit ent¬
falten, falschen Gährungen und meteoristischen
Auftreibungen zuvorkomrat und deswegen bei
Fütterung verdorbener Nahrungsmittel, bei
Aufblähungen, Lecksucht, Wollfressen, Dys¬
pepsien, putriden Vorgängen, Durchfällen,
Ruhr u. s. w. innerlich verwendet wird, nur
darf es nicht länger als 1—2 Tage fortgegeben
werden, da es sonst den Thieren zuwider
wird, das Wiederkäuen sistirt und durch
Bildung grösserer Mengen magensauren Kalkes
die Verdauung ruinirt. Man gibt es einigemal
im Tage Pferden zu 10*0—20’0, Rindern zu
20*0—50*0, den kleinen Thieren zu 2*0—5*0
entweder in aromatischen Aufgüssen mit
Spiritus oder besser in Latwergen, die am
zweckmässigsten durch Mehl gebunden wer¬
den. In der Hundepraxis verbindet man mit
Chlorkalk bittere, würzige Tincturen.
Aeusserlich ist Chlorkalk bei richtiger
Verwendung ebenfalls ein hochgeschätztes
Mittel und steht jetzt auch seine oft bestrit¬
tene desodorisirende Wirkung ausser Zweifel.
Besonders dienlich ist er, mit Wasser zu
einem dicklichen Brei angemacht, zu chirur¬
gischen Verbänden überall da, wo zu geringe
oder zu starke, üble Wundsecretion sich be-
merklich macht und eine Abwechslung im
Verband nöthig erscheint, auch eröffnet er
meist den Reigen der Wundmittel bei atoni-
schen Geschwüren und beobachtet man bei
ihm eine raschere Heilung, die vornehmlich
der Kalkwirkung zuzuschreiben ist. Zu Ein¬
spritzungen seiner Lösungen in die Scheide
und den Uterus darf nur 1—2% Chlorkalk
dem Wasser beigegeben werden. Endlich ziehen
ihn viele Praktiker auch gegen den Strahl¬
krebs in Gebrauch, wobei er erst nach den
stärkeren Aetzmitteln (Salpetersäure, Chlor¬
zink u. s. w.) zur Verwendung kommt, denn
er vermag nur die nachwuchernden Zotten¬
spitzen abzutödten, welche dann als eine
schmierige Masse mittelst eines hölzernen
Spatels abgestreift werden können. Zur Ver¬
nichtung von üblen Gerüchen in Stallungen,
Sectionsräumen u. s. w. entwickelt man Chlor¬
gas aus Chlorkalk, indem man diesen mit
etwas Wasser oder Essig übergiesst; desinfi-
cirendeEigenschaften haben aber diese Dämpfe
nicht, denn Chlor tödtet die Mikroorganismen
(am sichersten den Rotz- und Tuberkelbacillus)
erst, wenn die Dämpfe massenhaft aufsteigen,
wozu grosse Mengen des Kalkes (1—2 kg)
erforderlich sind; besser benützt man hiezu,
um sicher zu gehen, die Guyton-Morveau’schen
Räucherungen (s. d.), meist geben aber die
einzelnen Veterinärgesetzgebungen hiezu die
CHLORATA. 39
nöthigen Vorschriften, denn mit medicamen-
tösen Entpestungsmitteln allein ist noch nicht
geholfen, und gibt es noch energischere Mittel,
als den Chlorkalk. Bei der Entwicklung von
Chlorgas sind mindestens 5 g frischer Chlor¬
kalk und 10 g Salzsäure auf 1 kbm Luftraum
zu rechnen, und zum Anstreichen von Gerät¬
schaften, Wänden, Raufen u. s. w. bedient
man sich einer Chlorkalkmilch von 10 / 0 .
Chlorinhalationen sind mit Recht
ganz ausser Gebrauch gekommen, die Thiere
werden von dem irrespirablen Gase, auch
wenn es nur mittelst Wasser oder Hausessig
entbunden wird, zu empfindlich berührt; ausser¬
dem hat man jetzt ebenso gute Desinficientien
selbst für Lungengangrän, ohne dass heftiger
Hustenreiz erzeugt wird (Carbolsäure, Theer,
Kreosot, Terpentinöl, Brom), am besten eignet
sich das Verbrennen gleicher Theile Theer
und Terpentinöl; nur gegen die Lungen¬
würmerkrankheit kann das Mittel ebenfalls
therapeutisch verwendet werden, da der Husten
hiebei dienlich ist.
Die Guyton-Morveau’schen Chlor¬
räucherungen sind die stärksten, es müssen
daher bei ihrer Anwendung Menschen und
Thiere entfernt werden und sind die betref¬
fenden Räumlichkeiten mindestens 8 Stunden
lang damit anzufüllen. Man nimmt hiezu
3 Chlornatrium, 2 Braunstein und übergiesst
mit so viel (zur Hälfte mit Wasser ver¬
dünnter) roher Schwefelsäure, dass eine breiige
Consistenz entsteht. Zu bemerken ist noch,
dass gefärbte Stoffe, Teppiche, Schabracken
u. dgl., der bleichenden Einwirkung des Chlors
halber ihre Farbe verlieren. Für Hühner¬
ställe, Volieren empfiehlt Perroncito auf 100 kbm
Stallraum 3 kg Chlorkalk, 1 * 5 kg Schwefel¬
säure und ebensoviel Wasser.
Aqua chlorata oder Chlori (Chlorum
solutum, Liquor Chlori, Aqua oxymuriatica.
Chlorina liquida; Eau chloröe; chlorine water:
aqua di cloro). Diese officinelle Lösung von
Chlorgas in Wasser muss mindestens 0 * 4 Chlor
enthalten und bildet dann eine klare Flüssig¬
keit von erstickendem Gerüche, welche im
frischen Zustande blaues Lackmuspapier ohne
Röthung bleichen soll, an der Luft Chlorgas
abgibt und am Tageslichte sich unter Frei¬
werden von O und Bildung von Chlorwasser¬
stoffsäure zersetzt. Die Wirkungen des giftigen
Chlors kommen hier am reinsten zum Vor¬
schein, es hat daher ganz dieselben Indi-
cationen, w r ie sie oben beim Chlorkalk ange¬
geben worden sind, d. h. es werden jetzt nur
mehr die Contactwirknngen benützt, u. zw.
besonders bei Indigestionen, chronischen und
acuten Aufblähungen. Magen-Darmkatarrhen,
bei manchen profusen Ausleerungen, die
anderen Mitteln Trotz bieten u. s. w. Im An¬
fang erregt es in leichtem Grade den Appetit,
indem es der Bildung von Salzsäure Vor¬
schub leistet, ist daher ein gelindes ver-
dauungsbefördemdes Mittel, das zugleich auch
etwas die Darmentleerung anhält, wird aber
im Ganzen nicht häufig oder nur in Ab
wechslung mit anderen Pepticis ange¬
wendet. Gelangt Chlorgas in den Athmungs-
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CALCARIA HYPOCHLOROSA. — CALCARIA USTA.
tract, so erregt es nicht blos heftigen
Husten und krampfhafte Verengerung der
Glottis, sondern bald auch Entzündung, Er¬
stickungszufälle und selbst Tod. Das Blut ist
dabei flüssig und schwärzlichroth, das Fleisch
riecht nach Chlor und ist bei Schlachtthieren
werthlos geworden; doch toi eriren Rinderund
selbst Pferde grosse Gaben, und zwar über
1 kg. Bei Vergiftungen kommen örtlich die¬
selben Erscheinungen zum Vorschein, wie solche
die kaustischen Alkalien erzeugen, und als Ge¬
genmittel würde sich leichtes Schwefelwasser¬
stoffwasser, verdünntes Ammoniak (Salmiakbil¬
dung), noch besser Inhalation grösserer Wasser¬
dampfinengen empfehlen. Chlor ist ausgezeich¬
net dadurch, dass es ausserordentliche Affi¬
nität zum H hat und dieses allen Organen
rasch entzieht, so dass unter Freiwerden von 0,
der in statu nascendi intensive oxydirende
Eigenschaften entfaltet, die ursprüngliche Mo-
lecularstructur verloren geht, d. h. es zu An¬
ätzungen kommt, denn an die Stelle des
Wasserstoffes tritt Chlor und Salzsäure und
auch die Albuminate gerinnen. Ebenso zer¬
störend wirkt Chlor aber auch auf die nie¬
dersten Organismen, ganz besonders auf die
Fäulnisserreger und üblen Gerüche, so dass
es kein besseres Desinfectionsmittel, besonders
für gährende Fäcalien, Dungstätten etc., gibt;
die Schizomyceten werden aber nur durch
starke Mengen Chlors vernichtet, das ge¬
wöhnliche Räuchern z. B. in Stallungen,
Quarantainen, Bahnhöfen reicht weit nicht
aus. — Aeusserlich kommt Chlorwasser unter
ähnlichen Anzeigen in Gebrauch, wie beim
Chlorkalk angegeben wurde; am meisten hat
es sich Ruf erworben bei fötiden Vorgängen,
brandigen Ulcerationen, Pustula maligna, dann
bei contagiösen Affectionen der Bindehaut, Infil¬
trationen derselben (vorausgesetzt, dass die Ent¬
zündung gebrochen) und bei diphtheritischen
Zuständen. Als Augenmittel ist es besonders
von den Specialisten hoch geschätzt, bei den
übrigen Zuständen empfiehlt sich jedoch bei
Thieren, besonders was die desodorisirenden
Zwecke betrifft, besser der Chlorkalk. Aeusser¬
lich ist keine Verdünnung nöthig, nur auf
die Schleimhäute, nämlich eine Vermischung
mit gleichen Theilen Wasser; bei Conjuncti-
viten namentlich auch des Geflügels (mit
oder ohne Kamillenthee) wäscht man mittelst
eines weichen Pinsels täglich einmal den
Bindehautsack gut aus. Innerlich Pferden
100 • 0—150 * 0 , Rindern 1 50 • 0—250 * 0, Schwei¬
nen, Schafen 30*0—60*0 und Hunden 2’0 bis
5’0 pro dosi. Bei Blausäurevergiftung (oder
Cyankalium) ist Chlor kein Gegengift, eher
bei Phosphorvergiftungen des Geflügels zu
1 Theelöffel öfters. Bei Diphtherie des Rachens
u. s. w. werden jetzt keine örtlichen, sondern
nur mehr inhalatorische Desinficientien an¬
gewendet, am besten Dämpfe von Theer,
Terpentinöl, Carbolwasser und Brom. Vogel.
Calcaria hypochlorosa, s.Calcaria chlorata.
Calcaria oxymuriatica, s.Calcaria chlorata.
Calcaria phosphorica, s. Calcium phos-
phoricum.
Calcaria soluta, s. Calcaria usta.
Calcaria sulfurata, s. Calcaria usta und
Calcium oxysulfuretum solutum.
Calcaria sulfurica usta, gebrannter Gyps,
s. Calcium sulfuricum ustum.
Calcaria usta Ph. G. Gebrannter Kalk,
Aetzkalk, Calcaria caustica. Ungelöschter Kalk.
Lebendiger Kalk, Calxviva. Nach der österr. Ph.
Calcium oxydatum, Calciumoxyd. Chaux vive;
unslaked lime, quicklime; calce viva. Der ge¬
wöhnliche Kalkstein (oderKreide, Kalktuff, Mar¬
mor) ist kohlensaurer Kalk oder Calcium,C0 8 Ca,
in den Hauptbestandtheilen und wird durch
Glühen seiner Kohlensäure und des Wassers
beraubt, so dass nur mehr ausser den Neben-
bestandtheilen das Calciumoxyd, CaO (s. d.),
zurückbleibt. Bringt man dieses mitthierischem
Gewebe in Berührung, so holt es sich das im
Kalkofen verlorene Wasser wieder mit grosser
Begierde und bringt so die ganze Molecular-
structur in Unordnung, denn ein solches Ge¬
webe zerfällt, indem gleichzeitig eine Er¬
hitzung desselben, Zersetzung der Albuminate
und Verseifung der Fette stattgefunden hat.
Es ist somit eine Aetzung erfolgt, der Aetz-
schorf (die zerfallene Gewebsmasse) ist aber
nur ein kleiner und dünner, weil ein Zer-
fliessen und Umsichgreifen in die Breite und
Tiefe nicht möglich war (wie z. B. bei dem
im Gewebswasser sich leicht lösenden Aetz-
kalium), das Calciumoxyd hat sich vielmehr
mit dem Gewebswasser zu Calciumhydroxyd,
H s CaO,. umgewandelt, das aber trocken ist
(gelöschter Kalk, der kaum mehr angreift);
ausserdem bildet die Verbindung von Kalk
und Eiweiss ebenfalls ein hartes Pulver, so
dass also der Aetzkalk ein nur leicht corro-
direndes, mehr austrocknendes Mittel ist und
auch demgemäss nur zu oberflächlichen Ge¬
webszerstörungen dienen kann, z. B. bei
üppigen Granulationen, feuchten Warzen,
kleineren Neubildungen, wo er aber durch
rasche Kernwucherung baldige Vernarbung
und besseren Heiltrieb erzielt als das Aetz-
kali, das durch Zerfliessen stark um sich
greift, dessen Zerstörungen man daher weniger
in der Hand hat. Um die Gegensätze beider
Mittel auszugleichen und das eine durch das
andere zu corrigiren, verwendet man in der
Chirurgie gerne die Verbindung beider, wo¬
durch das
Pulvis causticus Viennensis, Wiener
Aetzpulver, entsteht, zusammengesetzt aus
6 Calciumoxyd und 5 trockenem Aetzkali
(Kalihydrat); wegen der bequemeren Anwen¬
dung für manche Fälle bereitet man sich aus
dem Pulver durch Zusatz von etwas Mehl
und Wasser die
Pasta caustica Viennensis, mit der
man je nach Erforderniss stärker oder leichter
fortätzen kann. Schon nach fünf Minuten be¬
ginnt der Gewebsangriff und dauert20—40 Mi¬
nuten. Die Vernarbung ist stets eine gute.
Der Aetzkalk erfordert wie der Gyps eine sorg¬
fältige trockene Aufbewahrung. Weitere Anwen¬
dung findet das Mittel noch bei hartnäckigen
Hautkrankheiten, wo es mit Wasser zu Kalkmilch
abgelöscht wird; auch dann übt es noch leicht
ätzende Einwirkungen aus und wird gerne mit
' ^ OT TH€
UNIVERSITY
OF
CALCIUM.
Schwefel verbunden (s. Räudeheilmittel und
Calcium oxysulfuretum solutum). Man kocht
i Kalk, 2 Schwefel und 20 Wasser zu 12
Theilen ein (Calcium sulfuretum, Schwefel¬
calcium) und wäscht damit die betreffenden
Stellen. Besonders bewährt bei dem so lästigen
Pruritus ist auch die Vermischung von 1 Aetz-
kalk mit je 2 Theer und Fett. Desgleichen
tödtet er alles Ungeziefer, indem die Haut
derselben, selbst die chitinhaltige der Milben,
gründlich zerstört wird. Dadurch und durch
seine Wohlfeilheit ist er auch ein berühmtes
Heilmittel gegen Räude (s. d.) geworden, wo
er in Verbindung mit Potasche, Tlieer, Hirsch¬
horaöl, Schwefel, Carbolsäure u. dgl. ausge¬
dehnte Anwendung findet. Gegen das Unge¬
ziefer in Geflügelstallungen wird jetzt viel¬
fach der Kalkstaub der Kalkbrennereien ver¬
wendet, indem man diesen gegen die Decke
und Wände, sowie in alle Ritzen und Fugen
wirft und auch auf dem Boden umherstäubt,
um ihn dann mit dem Miste zu entfernen
(Zürn); ebenso desinficirt man mit Kalkmilch
in der wirksamsten Weise die Stallungen, in
denen z. B. Verkalben, Euter- und Nabel¬
entzündungen etc. ausgebrochen sind; er ist
in dieser Weise den (nicht desinficirenden)
Carboidämpfen weit vorzuziehen. Als Gegen¬
mittel bei Anätzungen mit Kalk, Hineinfallen
in Kalkgruben ist Wasser unzweckmässig,
besser Oel oder auf kleinere Stellen Zucker;
Kalksaccharat ist unlöslich. Endlich kann
frisch gebrannter Aetzkalk auch zum Aus¬
trocknen feuchter Stallungen und anderer
Räumlichkeiten verwerthet werden.
Aqua Calcariae Ph. G. Kalkwasser.
Aqua Calcis Ph. A.; Calcaria soluta, Liquor
Calcis. Eau de chaux; lime water; idrato di
calce sciolto. Besprengt man gebrannten Kalk
(Calciumoxyd, CaO) mit % Vol. Wasser (1:4),
so bewegt er sich unter Erhitzen, stösst
Wasserdämpfe aus und zerfällt zu einer weissen
amorphen Masse, d. h. zu Calciumhydroxyd,
Ca(0H)„ oder gelöschtem Kalk, der mit 3 bis
4 Theilen weiteren Wassers die Kalkmilch
zum Anstreichen gibt und 1:100 das offici-
nelle Kalkwasser. Es bildet eine klare, alka¬
lische Flüssigkeit, welche gut verschlossen
werden muss, um nicht an der Luft sich
durch Aufnahme von Kohlensäure zu trüben
(Calciumcarbonat). Der Kalkgehalt dieses
Aqua Calcis ist jedoch ein äusserBt geringer,
denn Aetzkalk löst sich erst in 800 Wasser,
der Bodensatz obiger Mischung 1:100 wird
daher weggegossen. Das Mittel ist vorwiegend
ein säurewidriges, daneben aber auch, wie
schon oben beim Chlorkalk angegeben wurde,
ein milde zusammenziehendes, tonisirendes,
septisches, das besonders für den Magen und
Darm berechnet ist, wo es die Drüsensecretion
mit grosser Sicherheit beschränkt, daher
Diarrhöen anhält, namentlich wenn sie durch
darmreizende Säuren, wie bei den Säuglingen,
erzeugt worden sind, und wobei mit den Fett¬
säuren unlösliche, die Verdauung bald be¬
lästigende Kalkseifen gebildet werden, die
ein zusammenhängendes, die Darmdrüsen be¬
deckendes Häutchen bilden, unter welchem
41
auch Darmgeschwüre wie unter einem Pflaster
zur Heilung gelangen. Der grösste Theil des
Kalkantheils geht indess mit dem Darminhalt
ab, ein kleinerer Theil wird resorbirt und der
Schluss der Wirkung ist bei fortgesetzter An¬
wendung eine durch die Beschränkung der
Drüsensecretion hervorgerufene Indigestion
und Verstopfung. Sonach macht man von dem
Mittel nur 1—2 Tage je 1—3mal täglich Ge¬
brauch (bei längerer Dauer der Krankheit
zieht man den kohlensauren Kalk herbei, s. d.).
u. zw. ausser bei Durchfällen auch bei Auf¬
blähungen, wobei viel CO, absorbirt wird,
bei Rhachitis (s. Calcium carbonic. und phos-
phoric.) und bei jenen folliculären Verschwä¬
rungen, welche Diarrhöen zu unterhalten
pflegen und die Folgen acuter und chronischer
Darmkatarrhe sind. Der Nutzen ist hier un¬
leugbar, da die blossliegenden, gereizten, die
Peristaltik fortwährend anreizenden Nerven¬
enden jetzt eine die Heilung wesentlich för-.
dernde kalkige Schutzdecke erhalten. Viele
machen jedoch aus obigen Gründen keinen
Gebrauch von dem Mittel und ziehen jene
Stoffe vor, welche keine Appetitlosigkeit, kein
Erbrechen und keine Obstipation nach sich
ziehen, wie z. B. Kreide, Wismut, Silber¬
nitrat. Der Nutzen bei Schleimflüssen aus den
Luftwegen, Geschlechtstheilen ist ein zu ge¬
ringer, ebenso hat man Kalkwasser zur Lö¬
sung von Croupmembranen wieder verlassen
und den desinficirenden Inhalationen den
Vorzug gegeben, wie auch die Wirkung als
Antidot bei Vergiftungen mit Säuren eine
viel zu schwache genannt werden muss. Die
Gaben müssen grosse sein, Pferd 1—31,
Rind 1—5 1, Schafen, Schweinen %—11 und
Hunden 50—100*0; bei heftigen acuten Me¬
teorismen giesst man am besten gleich Kalk¬
milch ein, den 10. bis 20. Theil obiger Dosen,
bei Säuglingen sind kleine, aber öftere Gaben
in der Milch sehr vorteilhaft und kann da¬
mit arab. Gummi, Anis, Eier, Bouillon, Bitter¬
mandelwasser, Rheum- oder Eisentinctur,
Rothwein, Chinin u. dgl. verbunden werden,
bei grossen Hausthieren mit Aufblähung
Spiritus, Erdöl, Terpentinöl, Oleum Carvi una
später kleine Gaben Aloö, Salzsäure etc.
Aeusserlich kann Kalkwasser ebenfalls viel¬
fach Nutzen bringen, wie als Austrocknungs¬
mittel bei Decubitus, nässenden Hautaus¬
schlägen (mit Aqua Picis), Geschwüren, stark
secernirenden Wunden; einen besonders guten
Ruf geniesst auch die alte, aber vortreffliche
(Stahl’sche) Mischung gegen Verbrühungen
und Verbrennungen ersten und zweiten Grades,
nämlich gleiche Theile Kalkwasser und Leinöl,
sowie das Glycerin mit 5—10% Aqua
Calcis. Vogel .
Calcium, Ca, ein Metall., zu der Classe
der Erdalkalimetalle gehörig. Es kommt in
der Natur nicht gediegen vor, auch nicht in
der Oxydverbindung; hingegen gehören viele
Salze des Calciums zu den weitverbreitetsten
chemischen Bestandtheilen der Erdrinde und
sind von gleich grosser Bedeutung für die
Ernährung und das Wachsthum von Thier
und Pflanze. Als Calciumcarbonat, C0 3 Ca,
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42 CALCIUM CARBONICUM. —
bildet es den Kalkstein, die Kreide und den
Marmor und kommt in Quellwasser gelöst
vor, bildet die Schalen von Schnecken, Mu¬
scheln und Eiern, Korallen. Mit Schwefel¬
säure verbindet sich das Calcium zu Gyps, mit
Phosphorsäure zu Apatit und Phosphorit, mit
Flusssäure zu Flussspath. Im Meerwasser finden
wir es als Chlorcalcium gelöst, mit der unter¬
chlorigen Säure bildet es den Bleichkalk.
Trotzdem man jedoch das Brennen des Kalk¬
steins schon im Alterthum kannte, wurde das
metallische Calcium erst 1808 von Davy durch
Elektrolyse aus Calciumchlorid dargestellt.
Es ist ein gelbes Metall, dessen Atomgewicht
39*9, specifisches Gewicht 1*58, es ist härter
als Blei, zähe und hämmerbar, an feuchter
Luft wird es rasch oxydirt, es zersetzt das
Wasser schon bei gewöhnlicher Temperatur
unter Entwicklung von Wasserstoff“, bei Roth-
glühhitze verbrennt es an der Luft mit glän¬
zendem gelben Licht. Loebisch.
Calcium carbonicum, kohlensaurer Kalk,
Calciumcarbonat (s. d.); Calcaria carbonica.
Kreide. Creta alba, oder nach der Ph. Austr.
Calcium carbonicum nativum, besteht in fos¬
silem Zustande fast nur aus kohlensaurem
Kalk (mikroskopische Thierschalen), C0 3 Ca,
sie genügt daher für thierärztliche Zwecke
oder bedient man sich der durch Schlämmen
gereinigten Kreide, Creta elutriata seu
depurata, während der officinelle kohlen saure
Kalk ganz rein ist und durch Fällen von
Chlorcalcium mit reiner Soda erhalten wird:
Calcium carbonicum praecipita-
tum, Creta praeparata, Carbonas Calcis
praecipitatus Ph. A. Wegen der leichten Ver-
drängbarkeit der Kohlensäure bildet sich bei
inneilicher Verabreichung alsbald magen¬
saurer Kalk, Kreide ist daher vorwiegend ein
säuretilgendes Arzneimittel und wird auch am
häufigsten bei abnormer Gährung im Magen
und Darm gegeben, wobei die für den Magen
so wohlthätige Kohlensäure frei wird; im
Darm weiter hinten verliert sich der Magen -
säureantheil allmälig immer mehr und das
Mittel wird wieder zu einfach kohlensaurem
Kalk, der, im Wasser unlöslich, zum grös¬
seren Theil durch die Fäces wieder abgeht,
ein anderer Theil ist aber resorbirt worden
und kommt als Calciumcarbonat in ziemlich
grosser Menge im Harn der Thiere wieder
zum Vorschein, während beim Menschen die¬
ses im Harn völlig fehlt. Während dieser
Passage durch den Alimentarschlauch machen
sich dieselben Kalkwirkungen bemerklich, wie
sie schon oben beim Kalkwasser (s. unter
Calcaria usta) näher angegeben worden sind.
Auf die Dauer geht die Anwendung des Mit¬
tels, wenn es auch etwas besser als Chlor¬
kalk ertragen wird, auch nicht, und wenn es
darauf abgesehen wäre, dem Körper mehr
Kalk zuzulühren, so eignet sich hiezu besser
das phosphorsaure Calcium oder das präparirte
Knochenfuttermehl (s. d.). Aus diesem Grunde
ist auch der Werth des kohlensauren Kalkes
bei Rhachitis ein zweifelhafter, und fehlt es
hiebei wahrscheinlich gar nicht an im Körper
ankommenden Kalkmengen, da diese ja in
CALCIUM PHOSPHORICUM.
allen Futterarten und der Milch reichlich ent¬
halten sind, sondern eher an der Verdauung,
Resorption und Assimilation der erdigen Kör-
perbe9tandtheile. Sonach wäre die Kreide in
der Thierheilkunde hauptsächlich nur ein
leicht zu beschaffendes Antacidum, müsste
aber bei habitueller Säurebildung (Pyrosis)
mit den leichter umzusetzenden kohlensauren
Alkalien, insbesondere dem Natriumcar¬
bonat (der Bildung von Kochsalz wegen), in
Abwechslung kommen, es wird jedoch von
Rindern und Pferden in den unten angege¬
benen Dosen wochenlang gut ertragen (siehe
auch Calcium phosphoricum). Dosis für das
Pferd 5*0 — 10*0: Rind 10*0—30'0; Schaf
5*0—10*0; Schwein 1*0—3*0; Hund 0*3 bis
3 * 0, täglich mehrmals mit Kochsalz, Glauber¬
salz, Enzian. Schafgarben, Wachholderbeeren,
Eisen. Bei Vergiftungen durch Säuren so viel
als erforderlich mit Wasser als Schüttel-
mixtur. Aeusserlich ganz entbehrlich. Vogel.
Calcium chloratum, Chlorcalcium, CaCl»,
s. d. (nicht zu verwechseln mit Chlorkalk)
ist ein dem Chlornatrium ähnlich zusammen
gesetztes Salz, das aber in der Veterinär-
medicin keine Anwendung findet, sondern nur
als Trocknungsmittel für Gase und Flüssig¬
keiten dient. Vogel.
Calcium hypochlorosum, unterchlorig¬
saurer Kalk, die officinelle Bezeichnung
des Chlorkalkes nach Ph. A. (s. Calcaria
chlor ata). Vogel
Calcium oxydatum, Calciumoxyd, ist der
gebrannte Kalk (s. Calcaria usta). Vogel.
Calcium oxysulfuratum solutum Ph. A.,
Kalkschwefelleberlösung, Schwefelcalciumlö¬
sung, Solutio Calcii oxysulfurati. Solutio Vle-
m i n c k x. Diese als V1 e m i n c kx’sches Räude¬
mittel in bestem Rufe stehende Lösung ist in
Oesterreich-Ungarn officinell vorgeschrieben
und wird auf folgende Art bereitet: Man bespritzt
30 Theile zerstossenen frischen Aetzkalk mit
20 Theilcn Wasser und gibt dem so ge¬
löschten Kalkpulver 60 Theile Schwefelblu¬
men bei. Die Mischung (Calciumoxysulfuret,
foie de soufre calcaire, sulfuret of calcium)
wird in gut verstopftem Glase aufbewahrt und
sobald obige Lösung verlangt wird, kocht
man 3 Theile der Mischung mit 20 Theilen
Wasser unter beständigem Aufrühren zu
12 Theilen ein und colirt. Das Waschmittel
ist auch bei Behandlung räudiger Thiere be¬
währt und muss nach acht Tagen wiederholt
werden. Die Lösung enthält Fünffachschwefel¬
calcium und ist die beste aller derartigen
Bereitungsvorschriften (s.Räudeheilmittel). VI.
Calcium phosphoricum, Calciumphosphat
(s. d.), phosphorsaurer Kalk oder Kalk erde,Cal¬
caria phosphorica, Phosphas Calcis. Phosphate
calcaire; phosphate of lime; calce fosforica.
Die Kalkverbindung wird bei innerer Medica-
tion unter dem Einfluss der Magensäuren in
saures Phosphat umgewandelt, jedoch nicht
zersetzt, denn es geht als solches ins Blut;
der grössere Theil wird mit den Excrementen
ausgestossen, die ungewöhnlich trocken zum
Vorschein kommen; der weisse feste Mist
der Hunde besteht fast ganz aus phosphor-
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CALCIUM SACCHARATUM. — CALCIUM SüLFURICUM USTUM. 43
saarem Kalke. Letzterer kann in Verbindung
mit Kochsalz lange Zeit, ohne die geringste
Concoctionsstörung zu veranlassen, fortge¬
geben werden, und Rinder z. B. vertragen ihn
zu 100‘0—200*0 viele Monate lang. Die
Wichtigkeit des Mittels und die Bedeutung
für das Blut ist aus der Physiologie bekannt,
und welche Wichtigkeit den Kalksalzen über¬
haupt (wozu noch Chlorcalcium und Calcium¬
carbonat tritt) zukommt, erhellt schon daraus,
dass Thiere, denen man sie entzieht, kachek-
tisch werden, insbesondere aber, wenn es an
phosphorsaurer Kalkerde gebricht. Letzteres
soll nun bei der Rhachitis und Knochenbrü¬
chigkeit der Fall sein, das Mittel spielt daher
bei beiden Erkrankungen eine hervorragende
Rolle, mit welchem Rechte, ist jedoch insbe¬
sondere nach den schönen Versuchen von
Weiske, Wildt und Milne-Edwards wieder
zweifelhaft geworden, nachdem es sich her¬
ausstellte, dass die verschiedenartigsten Bei¬
mengungen von Erdphosphaten zum Futter
einen Einfluss auf die Zusammensetzung der
Knochen nicht ausübten, und selbst bei jun¬
gen, im Wachsthum begriffenen Thieren hat
sich weder bei Mangel an Kalk, noch an
Phosphorsäure irgend eine bemerkenswerthe
Aenderung im Skelete ergeben. Die Frage
der Behandlung genannter Thierkrankheiten
ist daher immer noch eine unerledigte, so
lange jedoch bessere Mittel nicht gefunden
sind, sucht man wenigstens den beobachteten
Ueberschuss an ausgeschiedener Phosphor¬
säure durch leichte, aber fortgesetzte Gaben
des Mittels zu decken, die übrigen Ernäh¬
rungsstörungen, wie sie besonders Roloff so
schön festgestellt hat, der Natur überlassend.
Von dem Calciumphosphat (oder aufge¬
schlossenem Knochenmehl) reicht man dem
Pferde 10*0—20*0, Rindern 20*0—50*0,
Kälbern, Lämmern 5*0—10*0, Hunden 0*5
bis 2*0 pro dosi, insbesondere mit bitteren
und gewürzhaften Mitteln, weil auf Herstellung
einer geregelten Verdauung und Assimilation
ein Hauptgewicht gelegt werden muss. VI.
Calcium saccharatum, Zuckerkalk, Cal-
caria saccharata, ist eine Verbindung von
Rohrzucker mit Kalk, welche Bedeutung da¬
durch gewonnen hat, dass sie nach den Huse-
mann’schen Versuchen an Thieren sich als
einziges Antidot bei Carboivergiftungen er¬
wiesen hat und auch besser als Kalkwasser
von den Säuglingen vertragen wird. Man gibt
es diesen löffelweise alle Stunden in Lösungen
mit Glycerin \: 10—20. Vogel.
Caloium sulfuratum, s. Calcaria usta und
Calcium oxysulfuratum solutum.
Calcium sulfuricum ustum Ph. G., ge¬
brannte schwefelsaure Kalkerde. Calcaria sul-
furica usta. Gebrannter Gyps. Gypsum ustum.
Gypse calcine, vitriol de chaux; burnt gyp¬
sum; calce solforica, gesso (s. Gyps). Der
fast völlig durch Glühen entwässerte schwe¬
felsaure Kalk, CaS0 4 , bindet 2 Molecule
Wasser, löst sich aber erst in 1:400 Theilen
Wasser und muss gemahlen als weisses amor¬
phes Pulver wegen seiner grossen Absorptions¬
fähigkeit für Wasser gut aufbewahrt werden.
Dieser Gyps findet hauptsächlich aus dem
Grunde chirurgische Anwendung in der Thier¬
heilkunde, weil er die Eigenschaft hat, durch
Verrühren mit der Hälfte Wasser das im
Glühofen verlorene Krystallwasser mit grosser
Begierde alsbald wieder chemisch zu binden
und so einen Brei zu bilden, der in längstens
einer Viertelstunde zu einer festen, unver¬
rückbaren Masse erstarrt. In diesem Zu¬
stande bildet er ein ebenso einfaches als
billiges Verbandschutzraittel (Scepasticum
contentivum) bei Luxationen, Knochenbrüchen
und um auf geschwollene, chronisch verhärtete
und verdickte Theile nach allen Seiten einen
andauernden und zugleich glcichmässigen
Druck auszuübon. Das rasche Trocknen des
Breies ist ein Hauptvorzug, und kommen ihm
die übrigen Contentivverbände, wie sie durch
Gummi arabicum, Kleister, Wasserglas u. s. w.
hergestellt werden, an Stärke und Sicherheit
nicht gleich, letztere können daher nur Anwen¬
dung in leichten Fällen und bei den kleineren
Hausthieren finden. Höchstens könnte man
sagen, dass in der Schwierigkeit der Ab¬
nahme des Gypsverbandes eine kleine Incon-
venienz gelegen wäre, indess kann auch
dieses Geschäft durch Aufweichen mit war¬
mem Wasser und Durchschneiden mittelst
eines scharfen, starken Messers, dessen sich
z. B. die Gärtner bedienen, erleichtert werden.
Man hat mehrere Arten von Gypsverbänden.
die je nach dem Einzelfalle ihre Vortheile
haben. Die älteste, schon von den Arabern
gebrauchte Form ist
1. der Gypsguss, wie er bei den Thie¬
ren um die letzten Zehenglieder angelegt
wird, indem man diese in einen leichten
Holzkasten stellt und letzteren mit dickem
Gypsbrei ausgiesst; der Kasten wird nach
einer halben Stunde entfernt. An Stelle des
Gypses ist in neuerer Zeit auch das mit
Kiesel (Silicum) vermengte Tripolith (s. d.)
verwendet worden, welches schneller erhärten
und eine grössere Bindekraft und Festigkeit
besitzen soll, dessen Vorzüge aber noch nicht
näher constatirt sind. Ausserdem kann man
diesen Guss auch aus freier Hand anlegen,
indem man den Brei in entsprechender Dicke
um die betreffende Stelle anlegt, gut ver¬
schmiert und die Mitte dicker hält; um die
antiseptische Verbandmethode damit combi-
niren zu können, lässt man einige Stellen
(Fenster) offen. Behufs grösserer Sicherheit
des Gusses verwendet man den sog. Modellir-
gyps, der auch in den Apotheken in Noth-
fällen erhältlich ist und in gut verschlossenen
Schachteln vorräthig gehalten wird. Das be¬
treffende Glied wird vorher eingeölt und mit
einer weichen, dünnen Binde umgeben, Her-
vorragungen aber sind des Schutzes der
Haut wegen mit Watte auszupolstcrn. Zuletzt
wird der frische Guss mit der nassen Hand
gleichmässig überstrichen und womöglich an
den äusseren Rändern und denen der Fenster
durth einen Firniss wasserdicht gemacht, um
das Abbröckeln zu vermeiden.
2. Der Gypsverband wird durch Bin¬
den hergestellt, welche aus weitmaschigem
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44
CALCUTTA-PONY. — CALLENBERG
Zeug, am besten Gaze oder Flanell, bestehen,
mehrere Meter lang sind und auf beiden Sei¬
ten trocken mit Gypspulver reichlich bestreut
werden. Nun rollt man dieselben und taucht
sie entweder in kaltes Wasser so lange, bis
keine Luftblasen mehr entweichen, um sie
dann ohne Verzug umzuwickeln, oder be¬
feuchtet man die Gypsbinden erst während
des Anlegens mit Wasser. Schliesslich werden
die äussersten Touren durch weiteren Gyps-
brei je nach Erforderniss verstärkt, wie man
auch immer den sich aus den Maschen und
Gängen ausquetschenden Brei sorgsam ver¬
streicht. Der ganze Verband darf aber nicht
plump und zu schwer werden, da er sonst
von aen Thieren nicht lange geduldet wird;
man hilft daher oft durch Einbinden von
Schienen aus Pappe, Holz, Guttapercha¬
platten, Hobelspänen, gehechelten Hanfbündeln
u. dgl. nach, welche immer der Länge nach
eingegypst werden. Verwerflich ist das Durch¬
ziehen der Binden durch den Gypsbrei, das
eine rasche Beendigung des Geschäftes bei
der immer mehr steif werdenden Masse ver¬
hindert (die Lagen sind 3—6fach und muss
alles Schnüren vermieden werden). Beschleu¬
nigt kann das Erstarren werden, indem man
warmes Wasser (60—80°C.) nimmt oder etwas
Kochsalz, Alaun, Wasserglas oder Cement
beifügt, was bei unruhigen Thieren besonderen
Vortheil gewährt; verlangsamt wird es durch
Zusatz von mehr Wasser, d. h. gleiche Theile
Gyps und Wasser, oder durch Zusatz von
Kleister, flüssigem Leim, Bier, Milch oder
Borax. Sollte der Gyps nicht mehr ganz frisch
sein, so erhitzt man ihn in einer Pfanne, bis
keine Wasserdämpfe mehr ausgestossen werden.
In neuester Zeit hat der Gyps Con-
currenz erhalten durch ein neues Material für
erhärtende Verbände, nämlich durch den
plastischen Filz (poroplastic feit), den
man sich jetzt auch selbst hersteilen kann,
indem gewöhnliche 6—8 mm dicke Filzplatten
mit einer Mischung von 1 Schellack und
1% Spiritus imprägnirt werden. Der Filz
wird dadurch plastisch, d. h. er schmiegt sich
bei Erwärmung in beinahe siedendem Wasser
der Körperoberfläche sehr leicht an und hat
sich so bei ausserordentlicher Festigkeit be¬
sonders wegen seiner Leichtigkeit überall be¬
liebt zu machen gewusst.
Eine weitere Verwendung findet Gyps
auch bei Strahlkrebs, um einen längeren
gleichmässigen Druck zu erzielen, es müssen
aber dadurch die Weichtheile an den Rändern
von den Hornmassen abgedrängt werden. Der
Brei wird einfach zwischen die Eisenarme
eingegossen und die Festigkeit durch Ein¬
legen von platten Holzstäbchen oder einigen
Hanfwischen erhöht; eine Hauptbedingung
bleibt jedoch, vorher von dem Messer und den
Desinfectionsmitteln sachgemässen Gebrauch
zu machen. Endlich verwendet man den Gyps-
verband noch bei schlaffen Gelenken, ver¬
härteten und verdickten Sehnen, aber .auch
bei frischem Sehneuklapp, nachdem der Theil
vorher mit Watte umgeben worden ist. Es
darf das Thier dann erst zur Arbeit verwendet
werden, wenn alles Lahmgehen verschwunden
ist. Schliesslich verwenden manche Thierärzte
auch Gypsmehl bei stark secernirenden Wunden
und Geschwüren, bei Flächenblutungen, und
empfiehlt sich zum Wundverband ganz be¬
sonders die Combination von Theer in ver
schiedenem Verhältniss; dieses Theergyps-
pulver ist zugleich stark antiseptisch, besteht
aus 1 Theer und 5—10 Gyps und hat sich
auch als vortreffliches Vernarbungsmittel be¬
währt. In der Hygiene und Landwirtschaft
endlich wird Gyps wegen seiner grossen Ab-
und zu diesem Behufe in Stallungen und auf
Dungstätten urahergestreut. Vogel .
Calcutta-Pony, s. Indisches Pferd.
Calendula offlcinaito, Ringelblume, Rin¬
gelrose, eine bei uns wohlbekannte Coraposite
(Cynaree L. XIX.), 0*5 m hoch, mit kahn¬
förmigen Früchten, auf dem Rücken gefurcht,
blüht im Sommer safrangelb, Blätter sehr
entfernt gezähnt. Ihre Blätter und die Blüthen-
körbchen, Herba et Flores Calendulae, Fleurs
de Souci, Marygold Flowers, haben ein eigen¬
tümliches, nach Leichen riechendes (Todten-
blume) äterisches Oel, orangegelben Farb¬
stoff, Calendulin (Ringelblumenschleim), und
werden häufig noch als ein diuretisches, auf¬
lösendes und selbst eröffnendes Arzneimittel
benützt. Vogel.
Calisayarinde, Cortex Chinae Calisayae,
eine der drei Rindensorten verschiedener Cin-
chonaarten (China regia Calisaya, Königs¬
china), wie sie die Ph. A. neben der Cortex
Chinae fuscus oder griseus und der C. Chinae
ruber aufgenommen hat, und welche verschie¬
denen Gehalt an Chinin und Säuren besitzen.
Die deutsche Phannakopöe schreibt jetzt nicht
mehr verschiedene Sorten vor, sondern ver¬
langt nur mehr im Allgemeinen „Cortex
Chinae 11 cultivirter Cinchonen, besonders aber
der Cinchona succirubra, deren rotbraunes
Pulver bis über 3*5% Alkaloide enthält. VI.
Callenberg, eine herzogliche Musterfarm
in der Nähe von Coburg, sehr schön am Fusse
des gleichnamigen Berges gelegen, ist ge-
wissermassen eine Copie der Shaw-Farm zu
Windsor, welche der verstorbene Prinz Albert,
ein Bruder des jetzt regierenden Herzogs von
Sachsen-Coburg-Gotha, dort für England ge¬
gründet hat. Letzterer hat die volks- und
landwirtschaftlichen Errungenschaften seines
— leider zu früh verstorbenen — Bruders
nach dem Festlande und schon vor mehr
als 20 Jahren nach Deutschland gebracht und
die Callenberger Farm in der Absicht ge¬
gründet, dass sie den strebsamen deutschen
Landwirten als Mittel diene, sich zu be¬
lehren, und manche zweckmässige englische
Wirthschaftseinrichtung bei uns einzubürgern.
Zu der quästionirten Farm gehören die beiden
Vorwerke Kropfweihers und Eichhof, und sie
umfasst im Ganzen ein Areal von 848 Morgen
Culturboden nebst 29*847 Morgen Karpfen¬
teichen. Die Felder stehen grösstenteils in
hoher Cultur; Drainage und Tiefcultur sind
überall durchgeführt. Der Boden ist nur
zum geringeren Theile als ein besonders
CALLENBEKG.
45
fruchtbarer zu bezeichnen: meistens ver¬
witterter rother Keupersand, der auf blauem,
undurchlassendem Keuper ruht. Auf einzelnen
Feldern herrscht strenger Thon vor; ausser¬
dem trifft man dort Lehm, Sand und san¬
digen Lehmboden. Die Tiefe der Ackerkrume
wechselt zwischen 10 und 40 cm. Fast durch-
gehends werden Beete von 14—18 Furchen
gepflügt. — Die Gebäude der Farm sind in
jeder Beziehung musterhaft aufgeführt worden
und stehen in der inneren wie äusseren Ein¬
richtung denjenigen nicht nach, welche in
Windsor errichtet sind. Der Hof mit seinen,
in regelmässig länglichem Viereck gestellten,
langen und schmalen, einstöckigen Gebäuden,
mit flachen, mit Steinpappe gedeckten Dächern,
dem Feimenhofe statt des fehlenden Scheunen¬
raumes und dem Wahrzeichen englischen Be¬
triebes : dem hohen Kamine, ist weithin sichtbar
und zeigte schon vor zwei Decennien allen
Besuchern, dass dort die Dampfkraft an die
Stelle thierischer Arbeit treten sollte. — Die
Viehställe sind solid und gut gebaut, ohne
Raumverschwendung etc. Besonders zweck¬
mässig ist der hohe Futtergang im Kuhstalle
hergestellt. Am Boden des Hauptganges laufen
zwei Eisenschienen, und auf ihnen rollt leicht
und schnell ein kleiner Wagen mit dem Futter
aus dem grossen Futterraume heran. — Die
Klappenverschlüsse der Ventilation, wie auch
hohe Wandungen in den Ställen begünstigen
die nöthige Luftcirculation in denselben. Die
Dungstätte ist mit einem Pappdache versehen;
ihre Holzsäulen ruhen auf Steinen. Der Dünger
aus den verschiedenen Ställen wird sorgfältig
gemengt In der Nähe des Kuhstalles befindet
sich das Milchhaus oder die Molkerei mit
allen neuerdings geforderten Einrichtungen zur
Herstellung „edler“ Butter und schmackhafter
Käsesorten. — Der Feiraenhof, hinter dem
Kuhstalle gelegen, lässt bezüglich seiner
zweckmässigen Bauart nichts zu wünschen
übrig; die Feimen ruhen nicht auf dem Boden,
sondern 6 Reihen ä 5 Stück grosser Quader,
etwa 65 cm hoch die Bodenfläche überragend,
tragen ein Balkengerüst, welches, mit Prügel
und Schilf bedeckt das Feimlager bildet. Das
Dach ist durch den Aufbau des Heues aus
diesem selbst gebildet mit Stroh eingedeckt
und es hat der ganze Haufen die Gestalt
eines Hauses mit französischem Dache. Er ist
sehr gross und in demselben wird alleB Heu
der Farm untergebracht. Um die lästigen Nage-
thiere sicher abzuhalten, ist die obere Hälfte
der Steine mit einer glatten Blechkappe über¬
zogen, welche wohl zugleich auch als Schutz¬
mittel gegen allzu rasche Verwitterung dient.
Die regelmässig und gut gebauten Feimen
auf Callenberg gewähren einen höchst be¬
friedigenden Anblick. Sie sind dort der billig
gebaute Scheunenraum, welcher an anderen
Orten durch hohe Herstellungs- und Unter¬
haltungskosten oftmals die Rente unserer Land¬
güter lum nicht geringen Theile verschlingt.
Ganz besonders schön ist auf der Callen¬
berg-Farm der Viehstand. Die Pferde gehö¬
ren den grossen schweren Schlägen des Con-
tinents an; sie stammen zum Theil aus Bra¬
bant. Flandern und derPerche, anderenteils
aus Steiermark, und es können letztere als
schöne Repräsentanten der Pinzgauer Rasse be¬
zeichnet werden. Alle werden regelmässig, gut,
zweckmässig ernährt und leisten bei der Arbeit
im bergigen Terrain durchaus Befriedigendes.
Die Anforderungen, welche dort an das Zug¬
vieh — Pferde wie Ochsen — gestellt wer¬
den, sind nicht unbedeutend. Die Pferde
werden im Alter von 1%—2 Jahren durch
zuverlässige Händler in den oben genannten
Ländern angekauft, die Ochsen aber auf dem
Gute selbst gezogen, und es gehören diese
ausnahmslos der Schwyzer Rasse an, welche
sich stets durch leichten Gang im Geschirre
auszeichnet. Nach den Mittheilungen des
Herrn Gutsdirectors Messmer wurden in den
letzten 20 Jahren etwa 50 Kühe und 15 Stiere
im Canton Schwyz angekauft und auf der
Farm stets rein gehalten, so dass jetzt der ganze
Bestand an Rindvieh als Vollblut-Schwyzer
bezeichnet werden kann. Die guten Eigen¬
schaften dieser anerkannt schönen Rasse,
welche a. a. 0. der Encyklopädie bespro¬
chen werden, besitzt auch das in Callen¬
berg aufgezogene Vieh, und es soll hier
nur kurz erwähnt werden, dass sich dasselbe
dort leicht und gut acclimatisirt hat, ins¬
besondere haben die Schwyzer den Ueber-
gang vom gewohnten Weidegange zur aus¬
schliesslichen Stallfütterung ohne Nachtheile
überwunden. Es wurden auf dem Gute im
Sommer 1884: 80 Haupt Kühe, 6 Stiere und
40 Stück Jungvieh gehalten. Die Kälber wer¬
den zum Theil an benachbarte Güter zur Zucht
abgegeben und stets gut bezahlt. — Das
Jungvieh steht gewöhnlich auf dem Vor¬
werke Eichhof. Sämmtliche Thiere werden
vortrefflich ernährt und sauber gehalten. Die
Kälber lässt man nie zum Saufen an die
Mutter, sondern tränkt dieselben drei Monate
lang aus dem Kübel mit frischer Milch; später
erhalten sie gequetschten Hafer und feines
Heu. — Die Kühe bekommen zur Zeit der
Winterfütterung per Stück und Tag 1 kg
Oelkuchen. Der Milchertrag dürfte im Durch¬
schnitte per Jahr und Stück auf 2500 1
zu veranschlagen sein. Schafe werden auf
der Farm nicht gehalten. — Die Schweine
gehören zur Berkshire- und Yorkshire Rasse
und sind theilweise Geschenke Ihrer Maje¬
stät der Königin von England. Die Frucht¬
barkeit der Sauen wird sehr gerühmt Man
hält 2 Eber und 12 Sauen, die im Durch¬
schnitt 20 Ferkel per Stück im Jahre liefern
sollen. Der Futterzustand des Borstenviehes
ist untadelhaft. Jedes ausgewachsene Schwein
hat seinen eigenen Raum im schön gebauten
Stalle. Die Fütterung besteht aus Haferspreu
mit gekochten Kartoffeln, Spülicht, Molkerei¬
abfällen und im Sommer aus grünem Klee. —
Endlich wäre noch zu bemerken, dass auf der
Farm (auf dem Eichhofe) schon vor 1865 der
Versuch gemacht worden ist, asiatische Masken¬
schweine zu züchten; dieselben wurden zum
Theil rein gehalten, andererseits mit eng¬
lischen Rassen gekreuzt; die Nachzucht fand
keinen Beifall, und es wurde in Folge dessen
46 CALLOSITAT. — CALORIMETER.
diese Zucht sehr bald wieder aufgegeben. —
Der Geflügelhof enthält verschiedene schöne
Hühner- und Taubenrassen, die sich einer
besonders sorgfältigen Pflege zu erfreuen
haben. Frey tag.
Callosität, v. callus, Schwiele, Verdickung
der Haut, Wundränder etc. Koch.
Callus, neugebildete Knochenmasse, wel¬
che bei Knochenbrüchen (s. Fracturen) die
Bruchenden verbindet. Koch.
Cal mar. Loligo Lam. Gattungsname für
Mollusken aus der Classe der Kopffüsser,
Cephalopoda, Ordnung der Zweikiemer, Di-
branchiata, Unterordnung der Zehnfüsser, De-
capoda. Die Vertreter der Gattung haben
einen länglichen, nach hinten zugespitzten
Körper, dessen Hinterende von zwei drei¬
eckigen, an der Spitze meist zusammenstos-
senden Flossen umgeben ist. Acht Arme mit
zwei Reihen von Saugnäpfen umgeben den
Mund, dazwischen stehen noch zwei lange
Fangarme, die an ihrem verbreiterten Ende
vier oder mehr Saugnapfreihen tragen. Diese
Fangarme sind nur theilweise in Scheiden
zurückziehbar. Eine hornige Schale findet
sich im Mantel abgesondert. Vierundzwanzig
Arten in allen Meeren. Im Mittelmeere und
im atlantischen Ocean leben: Loligo vulgaris
Lam. und Loligo subulata Lam., deren Fleisch
gegessen wird. Studer .
Calmus, Kalmuswurzel, s. Acarus Calamus.
Calomel, Hg 4 Cl„ Quecksilberchlorür. Das
künstlich dargestellte Quecksilberchlorür
scheint schon im XVI. Jahrhundert als Arznei¬
mittel verwendet worden zu sein. Damals
wurde es mit mysteriösen Namen, wie Draco
mitigatus, Aquila alba, Mercurius dulcis, be¬
legt. Der Name Calomel, richtig Kalomel (von
xaXojjLsXac, schön schwarz), rührt aus der zwei¬
ten Hälfte des vorigen Jahrhunderts her und
deutet an, dass sich das Präparat mit Alkalien
schwärzt. Das Quecksilberchlorür kommt je¬
doch auch als Mineral, als Quecksilberhornerz,
in der Rheinpfalz, bei Almaden und in Idria vor.
Zur Darstellung des Calomels für den Arznei¬
gebrauch erhitzt man ein inniges Gemisch
von Quecksilberchlorid (Sublimat) mit Queck¬
silber in einem Kolben; es geht hiebei der
Calomel als farbloses Sublimat über, welches
ein gelbliches Pulver liefert; lässt man jedoch
die Dämpfe des Calomels zugleich mit Wasser¬
dämpfen in einen geräumigen Ballon treten,
so verdichten sich dieselben zu einem zarten
weissen Pulver (englischer Calomel). Der Ca¬
lomel gibt beim Präpariren ein sehr feines
wcisses bis blassgelbliches Pulver, welches
aus mikroskopisch kleinen Krystallen besteht,
ist geruch- und geschmacklos, färbt sich am
Licht grau, beim Erhitzen gelb, ist unlöslich
in Wasser, Weingeist und Aether, wird jedoch
durch kochendes Wasser und kochende Säuren
zersetzt. Durch Alkalien, Alkalicarbonate wird
Calomel unter Bildung von Quecksilberoxydul
geschwärzt. Nach der Pharmakopöe soll de-
stillirtes Wasser, mit Calomel geschüttelt und
die Flüssigkeit sodann filtrirt, das Filtrat
beim Abdampfen keinen Rückstand hinter¬
lassen, ein solcher würde auf Verunreinigung
mit Sublimat oder mit löslichen Salzen
deuten. Die pharmakologische Verwendung
s. Hydrargyrum chloratum. Loebisch.
Calomel vegetabile wird neuerer Zeit
auch das Podophyllin genannt, das ähnliche
eröffnende Wirkungen besitzt wie der metal¬
lische Calomel (s. Podophyllum peltatum). VI.
Calorimeter. Unter diesem Ausdruck ver¬
steht man einen Apparat, welcher dazu dient,
die bei irgend einem chemischen oder physi¬
kalischen Processe entwickelten Mengen von
Wärme (Calor) zu bestimmen. Häufig reicht
hiezu der gewöhnliche Wärmemesser, das
Thermometer, aus, es gibt jedoch Wärmemen¬
gen, welche sich mit diesem Instrument nicht
messen lassen, für die man daher eine be¬
sondere Vorrichtung construirt hat. Hier han¬
delt es sich nur um solche Wärmemengen,
welche im thierischen Organismus erzeugt
und wieder verausgabt werden, und um diese
genau zu messen, dazu dient insbesondere
das Calorimeter. Als hauptsächlichste Wärme¬
quelle gilt die Oxydation der Eiweisse, Fette
und Kohlehydrate der Nahrungsmittel; der
Kohlenstoß 1 wird zu Kohlensäure verbrannt,
der Wasserstoff zu Wasser oxydirt; ferner
entsteht Wärme durch Umsetzung der me¬
chanischen Arbeit, denn wie chemische Spann¬
kräfte in Wärme übergehen, ist dies auch
mit jener der Fall. Die mechanische Arbeit
des Herzens z. B. wird zum grössten Theile
durch die Reibungswiderstände des Blutes
in den Capillaren consumirt, sie erscheint aber
wieder in Gestalt von Wärme, die Muskel¬
arbeit liefert daher ebenfalls einen Theil der
Wäimeeinnahmen des Körpers, denen die
Wärmeausgaben, wie sie hauptsächlich durch
Fortleitung, Ausstrahlung, Veränderung des
Aggregatzustandes der Körperbestandtheile
u. 8. w. geschehen, gegenüberstehen. Die
Summe der von einem Thiere abgegebenen
Wärmemengen muss nun gesucht werden, und
dies ist eine der Hauptaufgaben desjenigen
Abschnittes der Physik, welcher unter dem
Namen Calorimetrie bekannt ist. Bei der
Construction des Calorimeters muss eine be¬
sondere Sorgfalt auf Vermeidung jedes Wärme¬
verlustes des zu messenden Gegenstandes
verwendet werden, es wird daher die Wärme
desselben auf ein Medium übertragen (Was¬
ser, Quecksilber), dessen Temperatur man vor
und nach der Operation mittelst eines Ther¬
mometers genau bestimmt. Das gewöhnliche
Calorimeter, wie es zu physikalischen und
physiologischen Untersuchungen verwendet
wird, besteht aus einem Kasten von Zink¬
blech, in welchen das lebende Thier gesetzt
wird; diesen Kasten bringt man in einen
grösseren, und der Raum zwischen beiden
wird mit Wasser von allen Seiten her um¬
geben, so dass nicht die geringste Wärme¬
menge der Messung entgehen kann. Damit
das Thier in dem geschlossenen inneren Ka¬
sten athmen kann, geht von diesem eine kurze
Röhre nach aussen, und damit auch die Wärme
der ausgeathmeten Luft nicht verloren gehe,
läuft ein zweites (luftabführendes) Rohr nicht
direct nach aussen, sondern schlangenförmig
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CALORLMETER.
47
durch den Zwischenraum beider Kasten, um
an das hier befindliche Wasser die Wärme
abgeben zu können. Aus der Temperatur der
Wasserschichte lässt sich nun die Wärme¬
abgabe des Thieres leicht berechnen, man
geht aber nicht von Decimalgraden aus, son¬
dern hat eine bestimmte Basis oder Einheit
aufgestellt, von der alle Messungen der
thierischen Wärme ausgehen. Eine solche
Wärmeeinheit oder
Calorie entspricht nämlich derjenigen
Wärmemenge, welche erforderlich ist, um
1 1 Wasser von 0° auf 1°C. zu bringen.
In dieser Weise gelang es, die Grössenver¬
hältnisse der Bildung der Wärme im Thier¬
körper aufzufinden, und haben sich nach Helm-
holtz und Barral folgende Zahlen ergeben:
In 24 Stunden erzeugt ein Pferd 20700 Wärme-
einheiten und reicht diese Wärmemenge aus,
das Fünfzigfache seines Körpergewichtes (zu
400 kg angenommen) in Wasser um 1° zu
erhöhen oder, mit anderen Worten, nach Ga-
varret, um rund 200 1 Wasser von 0°
zum Sieden zu bringen. Ein erwachsener
Mensch producirt in derselben Zeit das Zehn¬
fache weniger, d. h. 2700 Calorien. Da nun
die Temperatur der Warmblüter sich stets
constant verhält (Homoiothermen, Pferd. 37 *5
bis 38*2°, Mensch 37*3°), so muss auch
ebensoviel Wärme, als gebildet worden,
immer wieder verloren gehen, es verliert also
das Pferd in 24 Stunden 20700 Wärmeein¬
heiten, der Mensch 2700. Von diesem Wärme -
Verlust kommt der grösste Theil auf die Fort¬
leitung und Ausstrahlung der Körperober¬
fläche, und zwar fast 70 %, auf Verdunstung
von den Lungen 25%, der Rest von 5%
vertheilt sich auf die Abgaben behufs Er¬
wärmung der kälteren eingeathmeten Luft,
Erwärmung der Nahrungsmittel im Magen
und auf jene Wärme Verluste, die durch die
Ausscheidung von Harn und Mist entstehen.
Diese Zahlen gelten nur für den ruhenden
Körper, anders verhält es sich mit dem ar¬
beitenden. Wie Wärme in mechanische Kraft
übergehen kann, so entsteht auch ein Theil
der thierischen Wärme, durch mechanische
Kräfte, z. B. durch Stoss, Reibung, Bewe¬
gung; die lebendige Kraft des Herzens wird
durch die Hindernisse im Circulationssystem
in Wärme umgesetzt, ebenso erzeugt die Be¬
wegung der mit Muskeln ausgestatteten Or¬
gane wieder Wärme so die Bewegung der
Skeletmuskeln, des Magens und Darmes, und
selbst die elektrischen Ströme der Muskeln,
Nerven und Drüsen werden in Wärme umge¬
wandelt. Stets geschieht nun diese Umwand¬
lung der einen Kraftform in die andere nach
ganz bestimmten Verhältnissen, und hat man
diese ebenfalls herausgefunden; sie geschieht
immer derart, dass eine bestimmte Wärme¬
menge in eine bestimmte Arbeitsgrösse (oder
Elektricitätsmenge) übergeht und umgekehrt.
Dementsprechend besteht ein ganz bestimmtes
numerisches Verhältniss zwischen der durch
eine bestimmte Arbeitsgrösse zu erzeugenden
Wärmemenge und umgekehrt; um diese zu
messen, muss ebenfalls eine Arbeitseinheit
aufgestellt werden, was auch von Joule ge¬
schehen ist. Dieser hat nämlich gefunden,
dass diejenige Wärmemenge, welche nöthig
ist, um 1 kg Wasser von 0° auf 1° zu er¬
höhen, gleich ist der Arbeit, welche erfor¬
derlich ist, um in einer Secunde 1 kg auf
425 m Höhe zu bringen; somit ist 1 Calorie
äquivalent mit 425 Kilogrammmeter, oder, mit
anderen Worten, da man 1 kgm, d. h. die
Arbeit, 1 kg auf 1 m zu heben, als Arbeits¬
einheit bezeichnet, so ist eine Wärmeeinheit
= 425 Arbeitseinheiten. Man bezeichnet
diesen Werth als das mechanische Aequi-
valent der Wärme. Verrichtet sonach der
Körper Muskelarbeit, so sind auch seine
Wärmeeinnahmen vergrössert, wie schon aus
der Zunahme der Eigenwärme bei der Arbeit
und der CO,-Aushauchung hervorgeht (beim
Gehen des Pferdes steigt die Wärme um ca.
1°, beim Menschen um 0*7°, bei länger
dauerndem Traben bis zu 1*5°, beim Tetanus
um 3—4°). Wie viel von dieser gesteigerten
Verbrennungswärme nach dem physikalischen
Gesetze der Erhaltung der Kraft in mechani¬
sche Arbeit umgewandelt wird, ist ebenfalls
berechnet worden, und ergeben sich für die
thierische Maschine ähnliche Verhältnisse wie
für die Dampfmaschinen; bei letzteren gehen
jedoch colossale Wärmemengen unbenützt ver¬
loren, denn (theoretisch) wird höchstens der
achte Theil der durch das Kohlenfeuer dem
Kessel mitgetheilten Wärme in Arbeit verwan¬
delt, % gehen also verloren; erheblich besser
angelegt ist nach Helmholtz die thierische Ma¬
schine, denn sie ist im Stande, in maximo den
fünften Theil ihrer Verbrennungswärme in Ar¬
beit umzusetzen. Betreffs der Ermittlung der
Wärmeabgabe des ganzen Thieres für eine be¬
stimmte Zeit musste man ebenfalls Einheiten
schaffen, d. h. vergleichbare Werthe, und hat
man diese in der Physik auf Körperge¬
wichtseinheiten reducirt. Danach gibt an
Wärme ab
1 kg Pferd
in
1
Stunde
21
Calorien
1 „ Mensch
r
1
f
2*3
F
1 „ Schaf
r>
1
r »
2*6
T)
1 „ Hund
r?
t
r»
4*0
F
1 „ Gans
F
1
r»
50
F
1 „ Taube
rt
l
r>
10*1
F
1 * Fink
n .
1
n
38-0
Ti
Hieraus ergibt sich die ebenso inter¬
essante als höchst überraschende Thatsache,
dass, je kleiner das Thier ist, um so grösser
seine Wärmeabgabe, und lässt sich dies daraus
erklären, dass die wänneausstrahlende Körper¬
oberfläche nicht in demselben Verhältniss ab-
nimmt als das Körpergewicht. Dementspre¬
chend ist also der Wärmeverlust eines Hundes
schon fast doppelt, der der Gans dreimal und
der des Finken über fünfzehnmal so gross als
der des Pferdes. Endlich haben die dies¬
bezüglichen calorimetrischen Untersuchungen
der Physiker ergeben, dass bei der Verbren¬
nung einer Substanz unter Entwicklung von
Licht, also ausserhalb des Körpers, nicht
mehr Wärme entsteht, als bei der Oxydation
innerhalb des Körpers Verbrennungswärme
gebildet wird, es lassen sich jedoch die Zahlen
48
CÄLTHA PALUSTRIS. — CAMARGUE-PFERD.
nicht sehr genau angeben, indem wohl die
Wärmeabgabe dnrch das Calorimeter exact
erhoben werden kann, bei Berechnung der im
Körper verbrannten Stoffe ergeben sich je¬
doch Fehler. So entstehen bei der Verbren¬
nung von
1 g H zu Wasser ... 34’ 5 Calorien
n CO,. 8-1 *
1 n Eiweiss. 4*3 „
1 „ Fett. 9*1 „
1 „ Zucker. 3*3 „ VI.
Caltha palustris L., Sumpfdotterblume.
Perennirendes Kraut ans der Familie der
Ranunculaceae, mit einem dicken, fast knol¬
ligen Wurzelstock, daB grosse Büschel bildet
und ganze Flecken bedeckt. Stengel 30 cm
hoch, aufrecht oder theilweise niederliegend.
Grundständige Blätter lang gestielt, rundlich
bis herzförmig, am Rande gekerbt. Stengel¬
blätter kurz gestielt oder sitzend, kleiner.
Blüthen nur aus Kelchblättern bestehend, gross,
goldgelb. Die Pflanze findet sich auf sehr
feuchten Wiesen und zeigt dem Landwirth
an, dass es keine Wiese höherer Classe ist
und der Entwässerung bedarf, v. Liebenberg.
Calumbo, Radix Calumbo, die ofßcinelle
Bezeichnung der Ph. A. für die Colombo¬
wurzel, welche die Ph. G. als Radix Colombo
aufführt (s. Jateorhiza Columba). Vogel.
Calvo Fern., zu Ende des XVI. und An¬
fang des XVII. Jahrhunderts, gab 1584 ein
Buch heraus unter dem Titel: „Libro de Al-
beyteria, en quäle se tratta del Cavallo, y
Mulo, y Jumento,“ 6. Auflage, Madrid \ 675,
eine Compilation der Schriften seiner Vor¬
gänger. 1623 erschien von ihm zu Alcala de
Henares eine neue Ausgabe des Werkes von
de la Reyna mit Anmerkungen. Semmer.
Calx, die frühere Bezeichnung für Kalk,
jetzt nirgends mehr officinell gebraucht, son¬
dern vulgär für Calx viva (s. d.).
Calx vlva oder Calx extincta, gelöschter
Kalk; Calx usta, gebrannter Kalk (s. Calcaria
usta); Aqua Calcis, Kalkwasser; Calx Caustica,
Aetzkalk, der hie und da noch usuelle Ausdruck
für Calx Antimonii cum sulfure gilt für die
Spiessglanzpräparate, die Calx Marcasitae ist
das Wismutoxyd und Calx chlorata Chlor¬
kalk (s. d.). Vogel.
Calyclflorae, kelchblüthigePflanzen,Kelch-
blüther, bezeichnet die erste Reihe der Poly-
petalae, Classe Dicotyledoneae; medicinell
ohne Bedeutung. Vogel.
Camard. Trigla lineata L. Fisch aus der
Unterlasse der Knochenfische, Teleostei, Ord¬
nung der Stachelflosser, Acanthopteri, Familie
der Panzerwangen, Cataphracti. Gattung
Trigla. Art. 20—30 cm lang, roth und braun
gefleckt, mit blauen Fleckeil auf den Brust¬
flossen, die bis zum dritten oder vierten Strahl
der Afterflosse reichen. Im Mittelmeer und
an der atlantischen Küste Europas. Wird ge¬
gessen. Studer.
Cflmarero A. G. studirte Thierheilkunde
in Madrid und war von 1852 an als Lehrer der
Thierheilkunde in Leon thätig. Semmer .
Camargue-Pferd. Dieses Pferd erhält
seinen Namen von der Insel Camargue, welche,
von sumpfiger Bodenbeschaffenheit, im Rhone-
Delta gelegen ist. Es kommt dort in fast
halbwildem Zustande vor, ebenso wie in der
weitläufigen Ebene des Crau am linken Ufer
dieses Flusses. Die Tradition verlegt seinen
Ursprung bis zur Einführung arabischer und
numidischer Pferde durch die Römer um das
Jahr 626 a. u. c., dann bis zum Aufenthalt
der Sarazenen gegen das Jahr 730 und end¬
lich in die Zeit der Kreuzzüge. Unter der
Regierung Ludwigs XIV. konnten die wegen
ihrer Religion verfolgten Camisards ihre
Cavallerie mit den in der Camargue gebor-
nen und aufgezogenen Pferden ausrüsten. Die
Rasse, welche einstens viel reichlicher ver¬
treten war als heutzutage, hat den Gegen¬
stand eines obwohl beschränkten Handels
ebildet. Gegenwärtig nimmt diese Rasse
eständig an Bedeutung ab und dient heute
nicht viel mehr als zur Bestreitung localer
Bedürfnisse. Im Nachstehenden möge eine
Schilderung des Aussehens dieses Pferdes
nach Gayot folgen. Es ist klein, sein Höhen-
mass variirt wenig und bewegt sich zwi¬
schen 1*32—l *34m. Es ist selten von der
für die leichten Cavalleriepferde erforder¬
lichem Grösse. Die Haarfarbe ist stets grau-
weiss. Obwohl es ziemlich corpulent ist, ist
sein Kopf gewöhnlich eckig, aber gut ange¬
setzt ; die Ohren sind kurz, das Auge lebhaft,
hoch oben stehend, der Hals gerade, zart;
die Schulter ist gerade und kurz, aber der
Widerrist hoch; der Rücken ist hervorsprin¬
gend, die Hüfte breit, aber lang und schlecht
angesetzt; die Kruppe ist kurz, häufig ab¬
schüssig wie beim Maulthier; die Schenkel
sind mager, die Fesseln kurz, dick und stark.
Die Extremitäten sind trocken, aber zu dünn;
die Articulation des Knies ist unzulänglich
und die Sehnen sind schwach; der Gang ist
sehr sicher, die Hufe von guter Beschaffenheit,
aber breit und zuweilen ein wenig platt. Das
Camargue-Pferd ist schnell, mässig, lebhaft,
muthig und befähigt, harten Entbehrungen
und den Wetterunbilden Trotz zu bieten. Es
hat sich seit Jahrhunderten wenig verändert,
ungeachtet des beklagenswerten Zustandes,
in dem es durch Vergessen und Sorglosig¬
keit gehalten wird. Dieses Pferd bildet
Heerden, welche Manaden heissen und aus
20—100 Stück Hengsten, Stuten und Füllen
jeden Alters bestehen. Der Hengst, welcher
Grignon genannt wird, ist im Allgemeinen ein
Pferd, das sich durch seine Schnelligkeit und
Ausdauer bei den Rennen (Ferrades) bemerk¬
bar macht, die darin bestehen, auf den
grossen Heideflächen die Stiere und Kühe zu
verfolgen, die sodann mit dem Glüheisen
markirt werden. Diese Pferde werden sonst
selten zu etwas Anderem als zum Ausstampfen
des Getreides nach spanischer Manier ver¬
wendet, eine höchst erschöpfende Arbeit,
welche übrigens mehr und mehr im Ver¬
schwinden begriffen ist und durch die An¬
wendung der Walzen verdrängt wird. Da¬
durch wird aber andererseits wieder eine
Reduction der Camargue-Rasse herbeigeführt;
CAMARGUE-RIND. — CAMERA LUCIDA.
49
in den benachbarten Departements, beson¬
ders aber in jenem der Aube, ist dieselbe in
Umbildung begriffen, verschönert und ver-
grössert sich, so dass sie sich eignen wird, Re-
monten für die leichte Cavallerie zu liefern. Nn.
Camargue-Rind. Die Insel Camargue er¬
nährt, ausser ihren Pferden, zahlreiche Rinder-
heerden, welche dort in voller Freiheit leben
und von berittenen Hirten überwacht werden.
Jedes Thier dieser Heerden trägt ein ihm von
seinem Besitzer aufgedrücktes Brandzeichen.
Diese Operation, welche sich in den Arenen
von Arles vollzieht, gibt Gelegenheit zur Ab¬
haltung von Volksfesten, welche im Provcn-
(jalischen Ferrades genannt werden. Nachdem
die Thiere zu Beginn dieser Feste zusammen¬
getrieben werden, um sie in den Arenen zu
vereinigen, beginnen die berittenen Männer
mit den jungen, ungezähmten Thieren ein
Kampfspiel aufzuführen. Die Carmague-Rasse
ist von kleinem Wuchs, 1*30 m im Durch¬
schnitt, der Widerrist ist höher als die Kruppe.
Die Hörner sind dünn, verhältnissmässig lang,
nach oben und ein wenig nach aussen ge¬
richtet. Der Kopf ist lang, das Maul schmal,
der Hals dünn, der Unterleib geräumig, die
Brust eng, die Fttsse verhältnissmässig lang.
DasFleisch ist hart und zäh. Die Gangartist
lebhaft und rasch. Das Flotzmaul, die Augen¬
lider und die Hörner sind immer schwarz, meist
auch die Behaarung, mit Ausnahme weniger
Thiere, welche roth gefärbt sind. Es wurden mit
Erfolg gekrönte Versuche gemacht, die Eigen¬
schaften dieser Rinder zu verbessern und den
Charakter dieser Rasse schmiegsamer zu
machen. Diese Versuche werden noch besser
gelingen in dem Masse, als die Cultur nach
und nach das Pastoralsystem auf der Insel
verdrängen wird. Zur Zeit ist jedoch die
Camargue-Rasse von geringem Werthe. Nn.
Camelina (abgel. von xdpLYjXoc, Kameel),
das Pockengift bei Kameelen. Sussdorf.
Camelopardalis. Die Giraffe, welche schon
hinsichtlich ihres Exterieurs eine isolirte
Stellung unter den wiederkäuenden Hufthieren
einniramt und namentlich ihrer eigenartigen
Stirnzierde halber merkwürdig ist, wird von
Rütimeyer „eine überaus bizarre Form der
Hirsche“ genannt. Die beiden hornähnlichen
Prominenzen ihres Schädels, von der be¬
haarten Haut überzogene Knochenzapfen, sind
nämlich einem Hirschgeweih ohne Zapfen
homolog, da sie gleich dem Geweihe als
Hautverknöcherungen heranwachsen, indess
nie mit dem Stirnbeine völlig verwachsen. In
fossilen Species ist sie nicht nur in der Sub-
himalayaformation der Sivalikkette von Indien
gefunden worden, sondern muss nach den
Resten, welche Gaudry aus Pikermi bei Mara¬
thon zusammengestellt, iin miocänen Attika
heerdenweise gelebt haben (Helladotherium
Duvemoy). Kitt.
Camelus. Von den beiden Kameelarten,
von denen heutzutage das einhöckerige (Came¬
lus Dromedarius) über die afrikanischen
Wüsten verbreitet ist, das zweihöckerige (Ca¬
melus bactrianus) den centralasiatischen Völ¬
kern als Hausthier dient, sind fossile Reste
Koch. Encyklopädie d.Thierheilkd. II. Bd.
an den gleichen Orten, wo die gezähmten
Thiere heute noch leben, gefunden worden.
Indess bieten dieselben für entwicklungs¬
geschichtliche Momente weniger Anhalts¬
punkte als die interessanten Wiederkäuer¬
reste aus amerikanischem Boden. Marsh und
Leidy haben eine ganze Reihe kameclartiger
Fossilien (Poebrotherium, Protolabos, Pro-
camelus, Pliauchenia, Camelus, Auchenia) be¬
schrieben, an welchen sich eine allmälig
fortschreitende Reduction des Gebisses und
der Extremitäten vollzog. Kitt
Camembert-Käse ist ein weicher Lab¬
käse aus ganzer oder wenig entfetteter Kuh¬
milch, ursprünglich in der .Normandie fabri-
cirt. Die Form ist flach cylindrisch, die Höhe
3 cm, der Durchmesser 10 cm. Das Stück wiegt
circa 300 g. Reif besitzt er eine dünne, gelb-
röthliche Rinde, einen zarten, beinahe dick¬
flüssigen Teig vom Geschmack der Brie-
Käse. Feser.
Camera lucida (Camera [camara, xa-
jüidpa]) = Kammer, auch die Wölbung, ge¬
wölbte Decke eines Zimmers, auch eine mit
gewölbtem Bretterdach verseheneieichte Barke
bei den Ponticrn; Lucidus = lichtvoll, hell,
von lux, lucis = Licht, Feuer, Glanz) oder
clara, lichte Kammer. Unter Camera lucida
versteht man solche Apparate, mit welchen
man Gegenstände nach der Natur oder mikro¬
skopische Bilder aufnimmt. Die zur mikro¬
skopischen Bildaufnahme dienende Camera
lucida ist entweder ein mit Spiegel, oder
mit spiegelnder Glaslamelle, oder endlich mit
Prismen versehenes kleines, mit dem Ocular
des Mikroskopes verbindbares Gehäuse. Die
Methode der Zeichnung ist folgende: Man
sieht durch das Prisma auf eine Papierfläche,
wo man das projicirte Bild des abzuzeichnenden
Gegenstandes und zugleich die Spitze des
zeichnenden Stiftes sieht. Man kennt mehrere
Systeme, u. zw.: Die
Camera lucida von Zeiss (Fig. 295)
ist mit zwei Prismen versehen. Durch das
eine, rechtwinkelige Prisma werden die von
der Objectivfläche und dem Stifte bei d
durch ein zweites, gleichseitiges, unter einem
Fig. 295. Zeiss Camera lucida i'natQrl. Grosse).
4
50 CAMERARIUS.
Winkel von 27° gegen das erstere geneigte
Prisma kommenden Strahlen auf die Zeichen¬
fläche gesendet. Die Schrauben a b dienen zur
Richtigstellung des Apparates, c zur Befesti¬
gung desselben am Mikroskop.
Camera lucida von Wollaston. Sie
besteht im Wesentlichen aus einem vierseitigen
Prisma, welches einen rechten und einen
stumpfen Winkel hat. Die eine Fläche des
Prismas ist gegen das Object gekehrt, dessen
Zeichnung man entwerfen will. Der vom Ge-
enstande kommende Lichtstrahl dringt durch
iese Fläche in das Prisma ein, erleidet an
der zweiten Fläche eine und an der dritten
Fläche eine zweite totale Reflexion und tritt
vom Prisma rechtwinkelig zu der oberen
Fläche desselben ins Auge des Zeichners.
Das Auge wird so über diese obere Fläche
des Prismas gehalten, dass man durch die
eine Hälfte der Pupille das reflectirte Bild
des abzuzeichnenden Gegenstandes sieht,
während man durch die andere Hälfte der
Pupille an dem Prisma-Eck vorbei nach einer
horizontal liegenden weissen Papierfläche
sieht, auf welcher man das projicirte Bild
des Gegenstandes und zugleich die Spitze
des Bleistiftes wahrnimmt.
Camera lucida von Sömmering. Diese
ist ein kleines Metallspiegelchen, welches an
einer horizontal befestigten Metallstange oben
und in der Mitte der Ocularlinse aufgehängt
ist. Von der einen Seite blickt man in den
Spiegel hinein, wo man das projicirte Bild
sieht, und, neben den Spiegel sehend, nimmt man
dasselbe auf einem zu der Sehlinie recht-
winkelig aufgestellten Papierblatte und zugleich
die zeichnende Bleistiftspitze wahr.
Camera lucida von Amici-Norbert.
Norbert’s nach Amici construirte Camera
lucida besteht aus einem gerade über der
Mitte des Oculars anzubringenden, mit einer
unter 45° aufgestellten dünnen Glasplatte
bedeckten Rohre und einem der Glasplatte
gegenüber aufgcstellten, recht winkeligen Glas-
prisma, welches von einem kleinen Messing¬
pfeiler getragen wird. Das Prisma ist um
eine horizontale Axe drehbar. Vom Zeichen¬
papier und der Bleistiftspitze werden die
Lichtstrahlen durch die Prismafläche und
Glasplatte ins Auge reflectirt, während die
Lichtstrahlen vom mikroskopischen Gegen¬
stände durch das erwähnte und mit der Glas¬
platte bedeckte Rohr ins Auge gelangen.
Camera lucida vonRadvaner. Diese
ist nach Muster des amerikanischen Umbro-
glas - Zeichenapparates (Neutral Tint Glass
Reflector) construirt und besteht aus einem
gewöhnlichen Deckglase, welches man am
einfachsten am Rande des Oculars mit Wachs
unter 45 0 befestigt und dem gegenüber man
ein auf ein Zeichenbrett gezogenes Papier
aufstellt. RadvaneCs Apparat ist auch noch
mit einer kleinen Haltevorrichtung, mit welcher
man das Ganze am Ocular befestigen kann,
versehen.
Camera lucida von Chevalier und
Oberhäuser-Hartnack. Dieselbe ist folgen-
dermassen construirt: In einem knieförmigen
— CAMPER.
Metallrohre sind Linsen und ein Prisma be¬
festigt. Der verticale Röhrentheil wird anstatt
des Oculars in das Mikroskoprohr gesteckt;
am Ende des horizontalen Rohres ist ein win¬
ziges Prisma befestigt, durch welches man
auf einer horizontal neben dem Mikroskope
aus gebreiteten Papierfläche das auf dieselbe
projicirte Bild mit der zugleich sichtbaren
Bleistiftspitze abzeichnet.
Camera lucida von Nachet. Nachet
hat seine neuere Camera lucida nach Govi's
Angaben folgendermassen construirt: Die
Lichtstrahlen fallen durch das Rohr des
Mikroskopes und durch das Ocular auf pa-
rallelopipede Doppelprismen. Die Prismen
sind durch eine sehr feine, durchsichtige
Goldschichte von einander geschieden, von
welcher das Bild auf ein Prisma, von da auf
ein zweites Prisma und von diesem auf das
neben dem Mikroskope befindliche Papier
geworfen wird. Gleichzeitig sehen wir die
Spitze des Bleistiftes durch entgegengesetzte
Strahlenreflexion und können die Umrisse des
Bildes mit dem Stifte nachzeichnen.
Camera lucida von Seibert. Dieselbe
besteht aus zwei Spiegelchen, welche im Innern
eines Gehäuses an den einander gegenüber¬
stehenden Flächen befestigt sind. Von dem
Spiegelchen, welches oberhalb des Oculars
angebracht ist, wird in der Mitte das Amal-
am weggewischt. Der ganze Apparat, resp.
as Gehäuse ruht auf einer kleinen Säule
und kann mit Hilfe eines Ringes am Oculare
befestigt werden. Die vom mikroskopischen Ob¬
jecte kommenden Strahlen gelangen durch den
vom Amalgam befreiten Punkt des Spiegel -
chens hindurch in das Gehäuse und zum Auge.
Gleichzeitig werden aber auch diese Strahlen
auf das gegenüber angebrachte Spiegelchen
und von diesem auf das neben dem Mikroskope
angebrachte Blatt Papier geworfen.
Die Abbö’sche Camera lucida, welche
in neuester Zeit von Zeiss angefertigt wird,
ist eine vervollkommncte Construction des
Zeiss’schen Apparates. Sie ermöglichet eine
deutlichere Sichtbarkeit des Zeichenstiftes
und eine gleichmässigere Bildschärfe, sowie
selbst bei den stärksten Objectivsystemen
keinen Lichtverlust. v. Thanhoffer.
Camerariu8, deutscher Arzt, Professor der
Medicin in Tübingen und Schriftsteller über
Rindviehseuchen; im XVIII. Jahrhundert. Abr.
Camora P. L., Proto-Albeytar des König¬
reichs Navarra, gab 1588 zuLogrono ein Werk
über Behandlung der Pferde, Maulthiere und
anderer Hausthiere mit einem Anhang über
Reitkunst heraus. Semmer.
Campe, französischer Stallmeister und
Bearbeiter der Hippiatrik, im XVTI. Jahr¬
hundert. Ableitner.
Campecheholz, s. Blauholz.
Camper P. (1722—1789), Professor zu
Amsterdam und Gröningen, schrieb 1769 über
die in Holland herrschende Rinderpest und
stellte Impfversuche an. 1778 erschien von
ihm eine preisgekrönte Abhandlung: „Ueber
die vorzüglichste Ursache der. ansteckenden
Krankheit unter dem Hornvieh.“ Semmer.
Digitized by v^oogie
CAMPER. — C AN ALIS.
51
Camper A. G., Sohn des Vorhergehenden,
gab eine Abhandlung über Krankheiten, die
sowohl den Menschen als den Thieren eigen
sind, heraus. Semmer.
Campher, Camphol, auchLaurineencampher,
C lo H ie O, eine weisse, körnig krystallinische
zähe Masse von eigentümlich starkem Geruch
und brennendem bitterlichen Geschmack, findet
sich in allen Theilen des in China und Japan
einheimischen, auf den Sundainseln cultivirten
Campherbaumes, Laurus Camphora L. Aus
den zerschnittenen Holztheilen dieses Baumes
wird der Campher durch Wasserdampf aus¬
getrieben und in geeigneten Gefassen con-
densirt. In Europa wird der rohe Campher
durch Sublimation gereinigt und kommt in
Form von durchscheinendem Brot mit krystal-
linischer Structur in den Handel. Auch die
ätherischen Oele von Mentha, Salbei, Majoran
u. s. w. scheiden beim Stehen in der Luft
campherähnliche Stoffe ab. Der Campher ver¬
dampft schon bei gewöhnlicher Temperatur,
schmilzt bei 175° und siedet bei 204°. Er
löst sich in 1000 Th. kalten Wassers, in
% Th. Alkohol, reichlich in Holzgeist, Aether
und Chloroform, Schwefelkohlenstoff, und dreht
die Polarisationsebene nach rechts. Auf das
Wasser geworfene Stückchen schwimmen darauf
mit rotirender Bewegung. Durch wasserent¬
ziehende Substanzen wird der Campher in
mehrere Kohlenwasserstoffe zerlegt, u. zw. ent¬
steht hiebei in grösster Menge C, 0 H„ (Cyraol),
daneben auch Toluol und XyloL Mit Salpeter¬
säure gekocht, nimmt er Sauerstoff auf und
geht in Camphersäure, C 10 H t8 0 4 , über. Mit
Brom und Jod vermag sich der Campher direct
zu vereinigen. Der Campher findet Anwendung
als Heilmittel, in neuerer Zeit auch Broin-
campher, ersterer überdies auch in der Technik
zur Darstellung von Celluloid und Spreng¬
gelatine. Bezüglich der arzneilichen Verwen¬
dung s. die Stammpflanze Cinnamomum
Camphora. Loebisch.
Campine-Huhn, eine in der nordbelgischen
Landschaft Campine (vlämisch Kempen) ge¬
züchtete Varietät des Hamburger Huhnes
(s. d.). Wilckens.
Canadisches Pferd. Dasselbe hat nach
Schwarznecker’s Mittheilung fast unvermischt
sein normannisches Blut erhalten, ähnelt
in der Kopfform und Ohrstellung dem alt¬
spanischen Pferde. Die meisten Thiere dieser
vielgenannten nordamerikanischen Basse sind
klein, kaum l*60m hoch, tragen sich aber
gut, stolz; ihr Hals ist hoch aufgerichtet,
mit starker Mähne geziert, die Brust ist breit
und voll; ihre Schultern stehen etwas steil
und sind meistens schwer zu nennen; ebenso
ist ihr breiter Rücken stark, die Kruppe rund
und fleischig. Die Aufwölbung des Bippen-
korbes lässt Einiges zu wünschen übrig.
Schwarznecker nennt ihre Beine geradezu
bewunderungswürdig; sie besitzen vortreff¬
liche Sehnen und kräftige, kurze Fessel mit
Behang; charakteristisch ist ferner noch ihr
starker Schweif mit krausen Haaren, wie
solche bei anderen Rassen fast niemals Vor¬
kommen. Ihre Schnelligkeit ist nicht besonders
gross, dagegen aber lobenswertli ihre Aus¬
dauer, Genügsamkeit und Klugheit. Sie be¬
sitzen im Schritt und Trabe eine hohe Action
und erscheinen dabei rund im Knie. Canadische
Pferde sind bereits mehrfach nach Europa
überführt worden, in den Edinburger Pferde¬
bahnwagen verwendet, zeigen sich dieselben
sehr dauerhaft. Ihre Körperschönheit konnte
H. v. Nathusius, welcher sie dort gesehen
hat, nicht loben, wohl aber ihre Leistun¬
gen in der Trabgangart. Kreuzungen der
canadischen Stuten mit englischen Vollblut¬
hengsten lieferten eine Nachzucht, die sich
durch Kraft, gute Gänge und eine eiserne
Constitution auszeichnet. Nach Fitzinger ver¬
trägt die fragliche Rasse die Kälte besser
als jedes andere unserer Hausthiere. Freytag.
Canallculi lacrymalis, s. Thränenapparat.
Canalis, m. (urspr. Adj. von canna, xavva,
also rohrförrnig), Rinne, Röhre, ist ein auch
in der Anatomie beliebter Ausdruck zur Be¬
zeichnung cylindrischer Hohlgänge, welche
meist zum Durchtritte von Gefässen und
Nerven etc. dienen. So sind noch gebräuchlich:
C. a 1 i m e n t a r i u s, der Verdauungsschlauch. —
C. alveolaris. der Zahnhöhlencanal, welcher
im Ober- und Unterkieferbein als enge Fort¬
setzung des C. irifraorbitalis, resp. C. infra-
maxillaris Nerven und Gefässe zu den Incisivi
und Canini führt. — C. caroticus, s. Felsen¬
bein. — C. centralis, s. Centralcanal des
Rückenmarkes. — C. cochlearis, Schnecken¬
canal, s. Gehörorgan. — C. columnae spi-
nalis, medullae spinalis, s. vertebralis, der
Wirbelcanal. — C. cruralis, der Schenkel¬
canal, welcher als unregelmässig vierseitiger
Raum an der medialen Fläche des Ober¬
schenkels neben dem M. vastus internus und
zwischen dem M. sartorius einer-, dem M. pec-
tineus und gracilis andererseits vom Canal,
inguinal, endlich durch das Lig. Poupartii ge¬
trennt herabsteigt und oberhalb der unteren
Beckenwand seinen Anfang, in der Mitte des
Oberschenkels dagegen sein Ende nimmt. In
ihm liegen lateralwärts die A. und. V. crural.,
medial davon die A. und V. epigastrie, infi,
vom der N. saphenus (daher eventuell die
Nothwendigkeit einer Erweiterung desselben
vom medialen Winkel aus nach vom). —
C. Fallopii = C. spiralis = Aquaeductus
Fallopii, s. mittleres Ohr und Aquaeductus.
— C.Fontanae, s. Auge.— C. inframaxil-
laris, Unterkiefercanal, s. Unterkieferbein.—
C. i n f r a o r b i t a 1 i s, der Oberkiefer- oder Unter¬
augenhöhlencanal, s. Os maxillare superius. —
C. inguinalis, der Leistencanal, ein seitlich
comprimirter trichterförmiger Raum, welcher
zwischen dem M. obliqu. abdomin. ext., resp.
dessen Endsehne (Lig. Poupart.) einerseits
und dem M. obliqu. abdomin. int. und M.
abdomin. transvers. andererseits die untere
Bauchwand perforirt. Er nimmt seinen An¬
fang mit dem Annulus abdominalis, Bauch¬
ring, etwa 5 cm vor dem Ram. horizontal, des
Schambeins, und erreicht sein Ende schief
nach hinten mit dem der anderen Seite con-
vergirenden Annulus inguinalis, Leistenring,
einer schmalen, circa 7 cm beimPferde messenden
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52
CANALIS HYAL01DEUS. —^CANARIENVOGEL.
Spalte, welche auch bei dem weiblichen Thiere
vorhanden ist, während diesem (exclusive Hün¬
din, daher auch das Vorkommen von Leisten¬
brüchen bei dieser) der Zagang zum Leisten-
canale fehlt. Der C. inguinal, bildet die Ver¬
bindung zwischen dem Cavum abdominis und
scroti und vermittelt so den Eintritt des de-
scendirenden Hodens aus der Bauchhöhle in
den Hodensack beim Fötus, den Durchtritt
des Samenstranges beim geborenen Thiere.
In seinem vorderen lateralen Winkel verkehren
die Gefässe des Hodens, während seinen hin¬
teren Winkel der Samenleiter passirt, ein
Hinweis auf die Nothwendigkeit einer Er¬
weiterung des Bauchringes von dem medialen
hinteren Winkel aus. — C. lacrimalis, Thränen-
canal, s. Auge und Thränenapparat.— C. op¬
ticus, s. Keilbein. — C. petro-basilaris und
etrosus, s. Felsenbein und mittleres Ohr. —
. pterygo-palatinus, Gaumencanal, zwi¬
schen Gaumen und Oberkieferbein (s. d). —
C. radicis, der Zahnwurzelcanal, s. Zähne. —
C. sacralis, der Kreuzbeincanal. — C. Sten-
sonianus s. naso-palatinus, der Stenson-
sche Canal oder Nasengaumengang, ist der
(beim Pferde allein gegen die Maulhöhle blind
abgeschlossene) die Verbindung von Nasen-
und Maulhöhle vermittelnde Canal, welcher auf
dem unteren Horne des Nasenscheidewand¬
knorpels basirt, beim Rinde bis 7 cm lang das
Gaumengewölbe in der Gegend der Dentes
canini durchsetzt und seitlich von einer flachen
Schleimhautpapille, „Gaumenhügel,“ in die
Maulhöhle mündet. Er ist ein Ueberrest der
embryonalen Nasenfurche, der Verbindung
des Nasensäckchens mit der primitiven Mund¬
höhle und soll Geschmacks- und Geruchsinn
in gegenseitige Beziehungen treten lassen. —
C. thoracicus, der Milchbrustgang, s. Lymph-
gefasse. —C. transversarius, der Querfort¬
satzcanal der Halswirbelsäule (s. d.). — C. Vi¬
di anus, ein an der Schädelbasis zwischen der
Wurzel des Process. pterygoid. des Keilbeines
und dem Pflugscharbein sich hinziehender
Gang, welcher den N. Vidianus (s. N. tri-
geminus) aus der Fossa spheno-palatina an
die Schädelbasis treten lässt. Sussdorf.
Canalis hyaloideus, s. Corpus vitreum.
Canalis Petiti, s. Zonula Zinnii.
Canarienvogel. Serinus canarius Koch.
Bekannter Stubenvogel aus der Ordnung der
Singvögel, Oscines, Familie der Finken, Frin-
gillidae. Der wilde Vogel lebt auf den ca-
narischen Inseln, Madeira, Cap Verden und
Azoren. Derselbe ist auf der Oberseite gelb¬
grün, mit schwärzlichen Schaftstrichen und
sehr breiten, hell aschgrauen Federrändern;
die Unterseite ist gelb, am Bauche weisslich;
Flügel und Schwanz schwärzlich. Der Canarien¬
vogel lebt vorwiegend in lichtem Gehölze und
in Gärten, er brütet im März auf nicht zu
dicht belaubten Bäumen, auf denen er sein
Nest bereitet. Im XVI. Jahrhundert wurde
der Vogel nach Europa gebracht und durch
die Zucht in mannigfacher Weise verändert.
So ist die citron- bis goldgelbe Färbung des
Stubenvogels ein Product der künstlichen
Zuchtwahl. Studcr .
Krankheiten der Canarien Vögel. An
dieser Stelle soll nur der häufigsten und vorzüg¬
lichsten Krankheiten der Canarienyögel ge¬
dacht werden, da die übrigen Krankheiten*
soweit sie ein specielles Interesse darbieten,
unter gesonderten Namen beschrieben werden.
Schmarotzer auf der Haut und in
den Federn. Die in der Gefangenschaft
lebenden Canarienvögel werden hauptsächlich
von Milben und Federlingen geplagt. Sind die
Schmarotzer in grösserer Zahl vorhanden, so
verlieren die Vögel die gewohnte Munterkeit*
sie lassen selbst in der Fresslust nach und
gedeihen nicht recht, inan sieht sie häufig
mit dem Schnabel in den Federn herum¬
suchen, um sich der Plagegeister zu entle¬
digen; untersucht man das Federkleid, so
kann man sich von deren Gegenwart über¬
zeugen, man findet sie auch im Bauer, be¬
sonders an den Sitzhölzern. Von Milben findet
man meistens die gewöhnliche Vogelmilbe*
Dermany8sus avium, es kommen aber auch
hier Krätzmilben und Federbalgmilben vor;
die Federlinge (Läuse) gehören meistens
der Gattung der Philopteriden an. Zur Be¬
seitigung der Schmarotzer ist Reinlichkeit
das erste Erforderniss. Das Bauer ist öfter
in der Woche mit heisser Lauge auszuwaschen*
wobei besonders die Sitz- oder Springhölzer
zu berücksichtigen sind, da sie den Lieblings¬
sitz der Schmarotzer abgeben. Frischer Sand
sollte täglich eingestreut werden; selbstver¬
ständlich ist das Trinkwasser und Wasser
zum Baden täglich zu erneuern, denn Baden
ist den Vögeln ein Bedürfniss. Auf die Haut
streiche man zwischen die Federn etwas
Anis- oder Rosmarinöl oder ein wenig Peru¬
balsam, oder wasche die Thierchen mit einem
Decoct von Anissamen, auch kann man ihnen
etwas persisches Insectenpulver zwischen die
Federn streuen.
Die Entzündung der Bürzeldrüse
oder die Darre, Adenuropygiitis (von d^v*
Drüse, glandula uropygii, die Fettdrüse der
Vögel). Die Bürzeldrüse hat ihre Lage oberhalb
des Schwanzes an der oberen Fläche der
Schwanzwirbel. Die entzündete Drüse schwillt
an, wird dunkelroth und schmerzhaft, wobei
Fieber, Trauern und Verstopfung zu be¬
merken ist. Mit der Zeit sammelt sich das
eiterartig gewordene Secret in den Aus¬
führungsgängen der Drüse an, man bemerkt
alsdann auf der Oberfläche der Drüse einen
weissgelblichen Fleck, der mit einer Nadel
oder einem feinen Bistouri zu öffnen ist, damit
das abnorme Secret ausgedrückt werden kann.
Die kleine Wunde kann mit einer Borsäure¬
lösung ausgepinselt werden. Die schmerzhafte
Spannung lindert man durch Einreiben von
erwärmtem Fett oder Oel oder von Glycerin
in die Drüse.
Hypertrophie der Krallen und
Atrophie der Zehen. Die Krallen er¬
reichen nicht selten eine ungewöhnliche Länge,
es setzen sich an ihnen und den Zehen
Excremente fest, so dass diese Theile ver¬
dickt und incrustirt erscheinen. In Folge des¬
sen vermögen sich die Vögel nicht mehr auf
CAN ARIENVOGEL.
53
ihren Stangen festzuhalten, sic fallen bei den
wiederholten Versuchen hiezu herab, kauern
nun ermüdet und kraftlos in einer Ecke des
Bauers auf dem Boden, sie verlieren selbst
die Fresslust und sind scheinbar ernstlich
krank. Verkürzt man die Krallen mit der Schere
bis zur normalen Grosse und reinigt die Zehen
von dem anhaftenden Schmutze, so kehrt sofort
die gewohnte Munterkeit zurück. Der Koth
muss in lauwarmem Wasser vorher aufge¬
weicht werden, damit sich die Oberhaut nicht
mit ablöst, was Schmerzen verursacht. Sitzt
der Koth lange Zeit als eine harte Kruste
auf den Zehengliedern, so bringt er diese
zum Schwinden, wir sehen deshalb nicht
selten Canarienvögel mit fehlendem letzten
Zehengliede, weil dasselbe schliesslich sich
ablöst; Zwirnsfaden oder Haare, die sich um
die Zehen herumgeschlungen haben, bewirken,
wenn sie nicht frühzeitig abgelöst werden,
ebenfalls ein Abfallen eines oder mehrerer
Zehenglieder.
Wahrend der Mauser, bei welcher die
Oberfedem zum Herbste hin gewechselt wer¬
den, zeigen sich die Vögel sehr angegriffen,
nervös verstimmt, matt, hinfällig und zu
Krankheiten disponirt, der Gesang verstummt,
er kehrt erst allmälig nach der überstandenen
Mauser wieder; während derselben sind die
Thierchen vor Erkältung, Zugluft, Nässe und
Nahrungsmangel zu bewahren. Haupterforder-
ni8s bleibt Reinlichkeit und reine Luft.
Von katarrhalischer Augenent¬
zündung werden hiebei die Vögel leicht
befallen; die Augenlider schwellen und but¬
tem (vermehrte Schleimabsonderung), die
Augen werden geschlossen gehalten. Diese
sind mit kaltem Wasser, Flieder- oder Karnil-
lenthee öfter auszuwaschen, in hartnäckigen
Fällen setzt man auf 30 g der Flüssigkeit
0 • 09 g Zinc. sulfuricum oder Lapis ophthal-
micus hinzu.
Der Katarrh der Athmungsorgane,
der sog. Pips (von Pipen abgeleitet), kann
sich von der Nasen- und Maulhöhle aus bis
in die Lungen erstrecken. Die hervorragend¬
sten Symptome sind Ausfluss von Schleim
aus Nase und Schnabel, bei erschwerter, zu¬
weilen pipender Respiration und allgemeinem
Trauern. Pfeifende Athmungsgeräusche spre¬
chen für ein entzündliches Mitleiden der
Rachenhöhle und des Kehlkopfes (Bräune),
Schmerz beim Druck auf den Brustkasten für
ein solches der Lungen. Hier empfiehlt sich
Grünfutter, das Auspinseln der Nase und des
Mauls mit mildem Oel und das Einathmen
heisser Wasserdärapfe, auch kann man etwas
Ammoniumchlorid (0*06) oder Kalium sul-
furicum (0*50), in Wasser gelöst, bei ent¬
zündlicher Affection des Kehlkopfes oder der
Lungen Nitrum (alle 2 Stunden 0*01—0*03)
in Gummischleim geben und die Kehle, resp.
die Brust mit Spiritus camphorat. oder Liquor
Ammon, caust. einreiben.
Durchfall wird gern durch fett- und
ölreiche Nahrung hervorgerufen, namentlich
wurde er bei ausschliesslicher Fütterung mit
Hanfsamen beobachtet und ist dann öfter
mit Hautjucken verbunden. Die Dauer des
Darmkatarrhs, resp. Durchfalls beläuft sich
auf 3—6 Tage, wenn er in Darmentzündung
übergeht, nur auf 10—12 Stunden. Die kleinen
Patienten sind warm zu halten, man reicht
ihnen reinen Gummischleim oder mit mini¬
men Dosen Calomel (0*005 g) versetzt, oder
Kamilleninfusum mit Opium (0*01 g), alle
zwei Stunden den achten Theil, oder Tinctura
Rhei vinosa (0*0i—0*03g), oder mehrere
Tropfen der Douglas’schen Mixtur, einer Mi¬
schung von Acid. sulfuric. und Ferrum sul-
furic. in etwas Wasser; gegen Darmentzün¬
dung wendet man Nitrum wie bei Lungen¬
entzündung an.
Appetitlosigkeit ist meistens mit
Verstopfung verbunden, beide gehen aus
Diätfehlern hervor. Canarienvögel bedürfen
zu ihrer Nahrung, ausser frischem Wasser und
Sand, nur der Sämereien; am besten bekommt
ihnen ein Gemisch von Canariensamen, zer¬
drücktem Hanfsamen und Sommerrübsamen,
hin und wieder gibt man dazwischen etwas
Grünes, z. B. Kohl, Salat, Brunnenkresse.
Appetitlosigkeit verlangt eine Aenderung des
diätetischen Regimes, man nehme hier seine
Zuflucht zu den Bechstein’schen Universal-
Nahrungsmitteln (cfr. Bechstein, „Die vor¬
züglichsten Singvögel im Zimmer,“ Ulm 1827),
deren Compositionen die folgenden sind: Man
weicht eine altgebackene Semmel (Weissbröt¬
chen) in frisches Wasser ein, drückt nach
gehöriger Erweichung die Semmel aus, be-
giesst sie mit Milch und mischt etwas Weizen¬
gries hinzu; oder: man zerreibt eine gelbe
Rübe (Mohrrübe) auf dem Reibeisen, weicht
etwas Semmel in Wasser, presst das Wasser
wieder aus und verreibt beides in einem
Napfe mit zwei Händen voll Weizengries oder
hülsenfreiem Gerstenschrot. Beide Mittel sind
jeden Morgen frisch zu bereiten, sie dürfen
nie sauer verfüttert werden. In das Trink¬
wasser kann ein rostiger Nagel gelegt wer¬
den, oder man gibt ein wenig Kreide oder
Magnesia carbon. in einem Pfefferminzinfu-
sum oder in einem Decoct von Kalmus oder
Ingwer. Gegen Verstopfung benützt man
Schleim, Oel. Ol. Ricini (10—20 Tropfen) und
führt statt eines Klystiers einen in Oel ge¬
tauchten Nadelkopf in die Cloake, auch kann
man ein Klystier von Seifenwasser setzen.
Gicht oder rheumatische Arthri¬
tis gibt sich zu erkennen durch Schmerz in
den Beinen, gespannte, schmerzhafte Bewe¬
gung, vieles ruhiges Liegen auf dem Boden
des Vogelbauers und durch anfänglich schmerz¬
hafte, später unschmerzhafte Auftreibung der
Gelenke. Hier sind die Patienten warm, tro¬
cken und reinlich zu halten; man verabreicht
ihnen Salmiak oder Salpeter in einem Infu-
sum von Kamillen oder Fliederblumen, dann
auch Natr. salicylicum (0*005—0*01 g), wo¬
bei die Beine mit fcampherspiritus, Salmiakgeist
oder einer Mischung von Ol. Hyoscyami coct.
und Morphinum (7*0:0*06 g) einzureiben sind.
Epilepsie. Hertwig klagt u. A. als
Ursache der Epilepsie den Aerger über andere,
in der Nähe befindliche Vögel oder Menschen
54
CANCER. — CANIS.
an (cfr. „Magazin für Thierheilkunde“, 1849).
Während der Anfälle bemerkt man Zit¬
tern , Wanken, Verdrehen der Augen und des
Halses, Umfallen, Zappeln mit den Beinen;
nach kurzer Dauer dieser Symptome kehrt
die frühere Munterkeit zurück. Ruhe, magere
Diät und beruhigende, krampfstillende Mittel
geben hier die Heilmittel ab, z. B. Bella¬
donna (0*005—0*01 g), Chloralhydrat(0*06bis
0*10g stark mit Wasser verdünnt), Zincunt
oxydat. s. Zinc. valerianicum (0*03—0*06 g)
in Baldrianinfusum. Anacker.
Cancer, eine aus einem bindegewebigen,
gefässhaltigen Stroma mit eingelagerten Epi-
thelzellenzapfcn bestehende Neubildung, (s.
Krebs). Setnmer.
Cancroid oder Epitheliom, frühere Be¬
zeichnung für einen Plattenepithelkrebs mit
einem bindegewebigen Stroma und eingela¬
gerten Epithelzellenkugeln und Zapfen, in
welchen die Plattenepithelzellen zwiebelscha¬
lenartig übereinander gelagert angetroffen
werden (Fig. 29(1). Nur das Centrum der Kugeln
Fig. 296. Caucroid aus Plattenepithel. Epithelzellennester.
und Zapfen enthält deutlich ausgeprägte, kern¬
haltige Plattenepithelzellen, nach den Rändern
zu sind die Zellen abgeflacht und dicht über-
Fig. 297. Cancroid aus Epithelzellenzapfen im lockeren
Bindegewebe, das mit kleinen Rundzellen infiltrirt ist.
a Epithelzellen, b Rundzellen.
einander gelagert,ohne deutliche Contourenund
ohne deutlichen Kern (Fig. 297), s. Krebs. Sr.
Candlenüsse undC an dl e n u s s- (C an dl e-
nuts-) Kuchen. Die nussartigen Früchte von
Aleurites trilobata, welche sehr ölreich sind,
werden behufs Oelgewinnung entschält und
gepresst. Die verbleibenden Rückstände die¬
nen als Viehfutter. — Die entschälten Nüsse
enthalten:
94 •7—95*6 im Mittel 95*1 % Trockensubstanz
22‘7—23'8 „ 23 ‘2 „ Protein
59-2-63-0 „ „ 60*1 „ Fett
— — „ „ 6'7 „ stickstofffreie Extractstoffe
1"6— 2'7 „ 2*0 „ Holzfaser
— — „ „ 3"ß „ Asche
Die nach den geschälten Nüssen verblei¬
benden Pressrückstände (Kuchen) enthalten:
92‘1—93’1 im Mittel 92*3 % Trockensubstanz
62-3—57 1 „ „ 54-1 „ Protein
8-9—10 6 „ „ 9*6 Fett
14 ‘ 2—17 * 6 „ „ 15* 9 „ stickstofffreie Extractstoffe
3'8— 6 8 * „ 4*2 „ Holzfaser
— — , f 8‘5 „ Asche
Die Candlenutskuchen gehören zu den
stickstoffreichsten Oelkuchen und sind
zufolge ihres geringen Rohfasergehaltes auch
leicht verdaulich. Man kann von ihnen aber
nur geringe Mengen verfüttern, da sie sonst
eine purgirende Wirkung äussern. Am be¬
liebtesten sind sie als Mas tfutter für Rind¬
vieh, an welches man bis 1 U per 1000 U
Lebendgewicht verabreichen darf. Pott.
Caniden, s. Hund.
Caniniatrica (abgeleitet von canis, Hund,
und v) taxptxY) sc. tex VY J, Heilkunde), die
Hundeheilkunde. Sussdorf.
Canis familiaris f ossilis. Unter diesem
Namen nimmt Pictet den Hund für das Dilu¬
vium als ein wildes Thier an, und es erscheint
ihm sicher, dass während der Diluvialepoche
eine oder mehrere wilde Species gelebt haben,
die dem Chien domestique (Haushund) nahe
standen und nicht der heutige Wolf, Schakal
oder Fuchs waren. Ebenso meinte Blainville,
dass der Hund „chien u von keiner jetzt leben¬
den wilden Species abstamme, ^ondern von
einer Species, welche im Diluvium gelebt
hat und einer geselligen, sanften Natur ge¬
wesen sei. De Serres, Dubreuil und Jeanjean
berichten über diluviale Hundereste aus der
Höhle Lunel-Viel bei Montpellier. Uebrigens
haben schon Esper, Rosenmüller, Goldfuss,
Buckland, Tournal und Cuvier von Knochen¬
resten des Hundes gesprochen, welche mit
diluvialen Thieren gefunden wurden, und
Schmerling führt ausdrücklich an, dass die
von ihm in den belgischen Höhlen gefundenen
Hundereste desselben, d. h. diluvialen Alters
seien wie die anderen mit gefundenen Knochen.
Canis familiaris interinedius W.
Unter den prähistorischen, bei Wcikersdorf in
Niederösterreich durch den Grafen G. Wurm¬
brand gemachten Funden wurden Prof. Dr.
J. Woldricli Schädel und Knochen eines
Hundes zur Untersuchung übersendet, der
denselben als eine neue Rasse unter dem
oben angeführten Namen von den Hunden
der Stein- und Bronzezeit (Canis f. palustris
Rütm. und Canis f. matris optimae Jeitt.)
unterschied. Seitdem ist dieser Hund bereits
CANNABINEAE. — CANNABIS SAT1VA.
35
vielfach auch in anderen prähistorischen An¬
siedlungen gefunden worden, und nach Strobel
entspricht er in Italien der Eisenzeit; er soll dem
Schafhund, Canis rudo, am nächsten kommen.
Literatur: Prof. Dr. Joh. N. Wold*ich. lieber
eiben nenen Haushund der Bronzezeit aus den Aschenlagern
von Weikersdorf, Pal kau und Ploscha. Mitth. der anthrop.
Ges. in Wien, 1877.
Canis familiaris matris optimae
Jeitt. Unter den zahlreichen Resten mensch¬
licher Thätigkeit, als Stein- und Knochen¬
werkzeugen, Bronzegeräthen, Scherben von
Thongeschirren etc. etc., fanden sich in dem
Olmützer Pfahlbau in Mähren auch inter¬
essante Thierreste von Pferd, Rind, Schaf,
Schwein, Haushuhn und vom Hund. Ausser
dem Torfhund (Canis f. palustris Rütm.) der
Schweizer Pfahlbauten wies Prof. L. H. Jeit-
teles eine neue, grössere und kräftigere Rasse
nach, welche er mit dem systematischen
Namen Canis f. matris optimae (nach seiner
verstorbenen Mutter) belegte. Dieser Haus¬
hund, welcher der Bronzezeit angehört, wurde
seitdem in vielen prähistorischen Fundstätten
verschiedener Länder nachgewiesen. Naumann
schreibt ihm zwei jetzige Formen zu, u. zw.
den Windhund, Canis grajus, und einen grös¬
seren Jagdhund (Parforcc-Hund).
Literatur : Die vorgeschichtlichen Alterthürner der
Stadt OlroOtz und ihrer Umgebung von Prof. L. H. Jeit-
teles. Mitth. der anthrop. Ges. in Wien, 1872.
Canis familiaris palustris. Prof.
L. Rütimeyer in Basel constatirte unter den zahl¬
reichen Thierresten der Schweizer Pfahlbauten
auch eine ziemlich constante Hundeart, welche
er genau fixirte, unter dem Namen Torfhund
beschrieb und später als eigene Art (Canis
f. palustris) aufstellte. Er vergleicht den
Torthund, der von den Schweizer Pfahlbauern
der Steinzeit in gezüchtetem Zustande, also
als eigentlicher Haushund gehalten wurde,
mit dem heutigen Jagd- und Wachtelhund;
Prof. Jeitteles nähert ihn dem Canis pomera-
nus L. und den heutigen kleineren Rassen.
Studer identificirt mit diesem prähistorischen
Hunde den Haushund der Papuas, „CanisHibe-
rinae“,QuoiGaimard und Rütimeyer bestätigen
.diese Ansicht. Strobel berichtet, dass dem
Torfhund der Jagdhund, Canis bracco, ent¬
spreche. Aber nicht nur in den Schweizer
Pfahlbauten wurden Reste dieses prähistori¬
schen Hundes aufgefunden, auch in anderen
Ländern, sowie auch in prähistorischen An¬
siedlungen am Lande findet er sich während
der Steinzeit verbreitet. Nach Studer variirt
schon gegen Ende der Steinzeit in den Pfahl¬
bauten der Canis f. palustris Rütim., beson¬
ders der Grösse nach, und es entsteht die
Aufgabe, auf Grund dieser subfossilen Funde
und osteologischen Vergleiche mit den jetzt
lebenden Hunderassen den allmäligen Ueber-
gang in die historische Zeit nachzuweisen.
Literatur: Prof. L. Kütimeyer, Fauna der
Pfahlbauten. Neue Denkschr. der Schweiz. Ges. f. d. ges.
Naturw, 1862. — Prof. L. HL Jeitteles, Die Stamm¬
vater unserer Hunderassen, Wien 1877.
Canis familiaris Spalletti. Prof.
Dr. Pelegrino Strobel in Parma bestätigte in
der Terremare dell’ Emilia und in verwandten
Fundorten Italiens nicht nur die bis daher
\
gekannten drei prähistorischen Hunde: Canis
f. palustris Rütim., Canis f. matris optimae
Jeitt. und Canis f. intermedius Wold., son¬
dern es gelang ihm auch, noch eine vierte
typische Form in der Terremare von Bagno
bei Rubiera nachzuweisen, welche er zu Ehren
der Eigenthümerin, Comtesse Gabriela Ra-
sponi Spalletti, mit dem obigen systemati¬
schen Namen bezeichnet. Diese Form ist die
kleinste der bis jetzt aufgestellten vier prä¬
historischen Hunde und Strobel nähert sie dem
heutigen Spitz, Canis pomeranus L. Dieser
Hund der Terremare gehört dem Uebergang
der Steinzeit zur Bronzezeit an und sowohl
Strobel, als auch Canestrini berichten, dass
er den Bewohnern nicht blos als Hilfsthier,
sondern auch als Nahrungsthier gedient hat
(Strobel: „Le razze del Cane nelle terremare
dell’ Emilia,“ 1880).
Canis ferus nennt Bourguignat den
Hund der ältesten Diluvialzeit, welcher nach
seiner Ansicht ein wildes Thier war, aber
sanfter und geselliger als der Wolf; er setzt
ihn an Stelle des von Pictet („Traitö de
palöontologie,“ 1853, p. 203) aufgestellten
Canis f. fossilis. Im Laufe der prähistorischen
Zeit sollen durch Zähmung dieses Hundes die
jetzt lebenden Hundearten entstanden sein.
Neuere Gelehrte, so namentlich Prof. Woldrieh,
glauben an mehrere diluviale Hundearten,
welche später vom Menschen gezähmt wurden.
Canis hercynicus nennt Prof. Wol
drich eine unter den diluvialen Thieren von
Zuzlawitz im Böhmerwalde aufgefundene
diluviale Hundeform, welche er mit dem prä¬
historischen Canis f. Spalletti Strob. in Be¬
ziehung bringen zu können glaubt.
Canis Mikii ist eine von Prof. J. Wol-
drich in Wien neu aufgcstellte, wilde dilu¬
viale Hundeart, deren Reste aus der mähri¬
schen Höhle Öertova dira bei Neutitschein
stammen. Von diesem Hunde sind bis jetzt
nur ein Oberkiefer- und ein Unterkieferfrag¬
ment bekannt. Das Unterkieferfragment hat
ungefähr die Grösse eines Schakalkiefers,
Lupus aureus Gray, die Stärke des horizon¬
talen Astes nähert sich der eines sehr alten
Fuchses, Vulpes vulgaris Gray. Das Ober¬
kieferfragment zeigt auch charakteristische
Abweichungen, sowohl vom Fuchse, als auch
vom Schakal. Prof. Woldrich vermuthet, dass
der diluviale Canis Mikii (nach dem Wiener
Entomologen Prof. J. Mik) der Stammvater
des prähistorischen Canis f. palustris Rütim.
ist, dem er an Grösse und Bau nahekommt
(8. a. Hund, Vorgeschichte desselben).
Literatur: Beiträge zur Geschichte des fossilen
Hundes etc., von Prof. Dr. Joh. Nep. W o 1 d f i c h. Mitth.
d. anthrop. Ges. in Wien, 1881. Koudclka,
Cannabineae, Hanfgewächse, nesselartige
Landpflanzen (Urticinae) mit gegenständigen
Blättern, Fruchtknoten mit zwei Narben und
einer hängenden Samenknospe, einfächerig;
ein einsamiges ungeflügeltes Nüsschen. Von
diesen Kräutern ist neben dem Hopfen (Hu-
mulus Lupulus s. d.) von besonderer Wichtig¬
keit der gemeine Hanf, Cannabissativa(s.d.) VI.
Cannabia sativa, der gemeine Hanf,
L. XXII. 5. Stengel bis i m hoch, Blätter ge-
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36 CANON. — CANTHARIDES.
tingert, 5—9 Blättchen, lanzettlich gesägt.
Die männlichen Pflanzen sind etwas kleiner
(Stanbhanf, Pimmel): die weiblichen heissen
Samenhanf (Masch). Die Pflanze liefert wegen
ihrer starken Bastfasern unseren Hanf, die
Samen das Oleum Cannabis und die Blätter
in ihrem Vaterland Persien und Indien ein
berauschendes, opiumähnlich wirkendes Ge¬
tränke, Haschisch. Offlcinell ist
Herba Cannabis indicae, Summitates
Cannabis indicae, Chanvre indien, Indian
hemp; die Zweigspitzen der weiblichen Pflan¬
zen oder die davon abgestreiften rauhhaari¬
gen Blätter liefern ein narkotisches Princip
in Form eines braunen Harzes, Cannabin
(Haschischin), vielleicht auch des ätherischen
Oeles Cannaben, möglicherweise auch beider
zusammen und kommt dasselbe in dem Hanf
Indiens reichlicher vor als in dem unse-
rigen; beide Pflanzen sind jedoch identisch,
die Bezeichnung Cannabis indica gegenüber
der des Cannabis sativa ist daher nicht ge¬
rechtfertigt, die Sonne Indiens ist eben kräf¬
tiger als die unserige. Das Kraut kommt als
Bhang oder Haschisch und als die stärkere
Ganja in Handel, die Blätter beider sollen
aber grün sein, aromatisch riechen und daher
wenig Stengel enthalten. Das active Princip
scheint mehr das Cannabin zu sein, und hat
man jetzt eine Verbindung als
Cannabinum tannicum hergestellt,
welches die merkwürdige Eigenschaft hat,
ein berauschendes, schlaferzeugendes Mittel
(Hypnoticum) ersten Hanges zu sein, ohne
jedoch wie das Opium zu obstipiren, die Ver¬
dauung zu stören oder das Bewusstsein zu
verändern. Im Ganzen stellt sich der indische
Hanf als ein angenehmeres Opium heraus und
wird er auch in diesem Sinne angewendet,
hauptsächlich gegen schmerzhafte Zustände,
Neurosen und bei Thieren bei dem Starr¬
krampf, gegen den Röll besonders das
Extractum Cannabis indicae ange¬
wendet hatte. Die Wirkungen verhalten sich
ziemlich ungleichmässig, bei einzelnen Indi¬
viduen sogar unzuverlässig, auch liegen nur
spärliche Erfahrungen vor, die einander theil-
weise widersprechen, es lässt sich daher
heute keineswegs ein abgeschlossenes Urtheil
über die Verwendbarkeit des Mittels in der
Thierheilkunde abgeben; die Blätter spitzen
lassen sich für sich nicht gut anwenden,
auch sind die beiden obigen Präparate, abge¬
sehen von dem Preise, nicht immer ganz rein.
Dosis des nur in Weingeist löslichen Extrac-
tes für Pferde 3*0—8*0, öfter im Tage, je
nach dem Effecte; für Hunde 0 3—0*6. Ein
Narcoticum für letztere Thiere ist auch die
Tinctura Cannabis indicae (1*20),
welche zu 5—20 Tropfen und mehr gereicht
wird; bei grossen Hunden braucht man öfters
das Doppelte. Von dem gerbsauren Cannabin
ist die Gabe noch nicht näher bekannt, doch
beträgt sie heim Menschen für hypnotische
Zwecke 0*3—0*5 dieses Pulvers. Vogel.
Canon (griech. 6 y.ava>v, Regel), die Cur-
methode. Sussdorf,
Canquoin'sche Paste, sehr bequemes und
bewährtes Aetzmittel, bestehend aus gleichen
Theilen Zinkchlorid und Roggenmehl. Behufs
des Wegätzens von Neubildungen auf der
Haut, besonders Krebsen, trägt man die Paste
stark messerrückendick auf, zweckmässiger
aber ist es, erst die Epidermis zu entfernen,
was mittelst Salmiakgeist oder concentrirter
Salpetersäure am besten zu erreichen ist;
ebenso können Einschnitte in die Neubildung
gemacht werden, um von hier aus die Zer¬
störung vorzunehmen, oder man schneidet, um
die Entfernung der gebildeten Aetzschorfe zu
vermeiden, in diese ein, um von Neuem die
Paste zu appliciren. Der Schorf, sich selbst
überlassen, beginnt am 10. bis 12. Tage abzu¬
fallen. Vogel.
Cantharidea, spanische Fliegen, richtiger
Pflasterkäfer, Lytta (Cantharis) vesicatoria.
Muscaehispanicae. Mouches d'Espagne: blister-
beetle, blistering fly; cantaridi. Wirksam ist
nur das sehr scharfe Cantharidin (s. d.), und die
eigentümlich fettartigen Körper haben blos
die Bedeutung einer besseren Löslichkeit des
Scharfstoffes. Applicirt man Cantharidin‘oder
das gebräuchlichste Präparat desselben, die
Cantharidensalbe, auf die behaarte oder ge¬
schorene Haut der Thiere, so entsteht Röthung
und Entzündung der Cutis, und das Exsudat
sammelt sich unter der Epidermis an, welche
zu Blasen emporgehoben wird; in dem gel¬
ben, alkalischen Inhalte letzterer ist auch
Cantharidin enthalten, und man hat so eine
tüchtige Hautentzündung geschaffen, welche
jedoch nicht tief in das Coriumgewebe vor¬
dringt und deswegen auch nicht die Haar¬
zwiebeln zerstört. Diese mit Schonung der
Haare verbundene und doch mit grosser
Sicherheit erfolgende entzündungserregende
Wirkung machen die Canthariden zu einem
der werthvollsten und unentbehrlichsten Arz¬
neimittel der Thierheilkunde, welche höchst
ausgiebigen Gebrauch von dem „Vesicatorium u
macht, und kann es bei Pferden, wo Haarver¬
luste meist ängstlich vermieden werden müs¬
sen, durch kein anderes Phlogogenum ersetzt
werden. Schliesslich bersten die Blasen, die
entblösste Lederhaut liegt offen da und das
Exsudat trocknet zu Borken ein, hat jedoch
die Haarschäfte gelockert, so dass sie meist
ausfallen. Unter dem Schutze dieser Schorfe
regenerirt sich die Epidermis und wachsen
die Haare wieder nach. Je nach der Vita¬
lität des Hautorganes vergehen mehrere
Stunden, bis die ersten Vesicä auffahren, die
volle Wirkung lässt aber gewöhnlich 24 Stun¬
den auf sich warten, und bis zur spontanen
Abstossung der Krusten vergeht ein Zeitraum
von 7—10 Tagen. Beschleunigt wird die er-
stere Wirkung durch Beigabe von Oel oder
Fett zu dem Pulver der Käfer oder durch
Lösung des extrahirten Cantharidins in Oel,
Collocßum oder Fett. Erfolgt der Eingriff
stärker oder wird die Salbe u. s. w. in kur¬
zen Zwischenräumen, mehrmals eingerieben,
so erfolgt nicht nur eine Verschwärung der
Cutis, sondern auch Aufsaugung des Cantha¬
ridins. d. h. eine Vergiftung (Cantharidismus).
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CA NTH ARIDES.
57
wobei die Nieren, in denen die Ausscheidung
hauptsächlich geschieht, am stärksten an¬
gegriffen werden; ausser der sich besonders
auf die Epithelien der Harncanälchen be¬
schränkenden Nephritis parenchymato9a ent¬
stehen aber auch Entzündungen der Schleim¬
häute, besonders Gastro-Enteritis mit Er¬
brechen und Durchfall, Nervenzufalle wie bei
Atropin und eine gewisse Erregung im Sexual -
Systeme mit vermehrtem Harndrange. Diese
Erhöhung der Geschlechtslust erfolgt nur bei
massigen Gaben und wahrscheinlich in Folge
eines Kitzels der betreffenden Theile des
männlichen und weiblichen Geschlechts¬
apparates, eine Erhöhung der Potenz ist je¬
doch mit dem rein hyperämischen Vorgänge
nicht verbunden. Gegenmittel der Vergiftung:
Bekämpfung der Entzündung der betreffenden
Theile, viel schleimige Substanzen, aber keine
Oleosa, die nur da9 Cantharidin weiter lösen
würden. Schon bei 0*06 des Pulvers innerlich
treten bei Hunden Ecchymosirung der Blasen-
Schleimhaut, selbst Cystitis, Injection der
Nieren, Schmerzen u. s. w. auf, bei 1*0 Nieren¬
entzündung; sehr stark wird auch das Ka¬
ninchen, die Katze und der Mensch ergriffen:
letzterer stirbt auf 2 g und auch bei Pferden
können schon 15*0, bei Rindern 25*0 zum
Tode führen; beim Cantharidin ist die Todes¬
dose fast hundertmal kleiner, während das
Geflügel ungleich weniger afficirt wird, aber
keineswegs immun ist
Innerlich gestalten sich die Canthariden
sonach zu einem allgemeinen Reizmittel, ins¬
besondere für die gastrischen und uropoötischen
Organe, es wäre aber viel zu gefährlich, sie
als ein verdauungsbelebendes oder gar diure-
tisches Mittel praktisch zu verwerthen, nach¬
dem man viel bessere Mittel besitzt, auch
kommen keine anderen Effecte zu Stande als
die angegebenen; höchstens kann der Versuch
gemacht werden, das Pulver oder die Tinctur
zur Erhöhung mangelhafter Geschlechtslust
anzuwenden, die Brunst zu fördern. Pferden
gibt man zu diesem Behufe 0*5—2*0 Pulvis
Cantharidum, Rindern 2 0—4*0; Schafen,
Schweinen 0 * 20—0‘50pro dosi, Hunden 0 10
bis 0*15 pro die als Aphrodisiacum, nöthigen-
falls mehrere Tage lang, und ist für Kühe
z. B. eine Tagesgabe von 15*0 noch un¬
gefährlich, das Mittel lässt aber gar häufig
im Stich, nachdem das Ausbleiben der Brunst
meist in histologischen Veränderungen des
Sexualapparates beruht; auch ist zu bemerken,
dass der Cantharidingehalt der gepulverten
Käfer ein variabler ist, ebenso die Empfäng¬
lichkeit der Hausthiere.
Aeusserlich macht man von dem Can-
tharidenpulver in der Wundbehandlung (als
Reizmittel bei Torpidie, Beförderung der
Eiterung und Heiltendenz) jetzt nur mehr
selten Gebrauch, die Hauptbedeutung des
Mittels liegt vielmehr in der vesicatorischen
Action. Hauptsächlich will man derivatorische
Entzündungen hervorrufen, um entzündliche
Affectionen z. B. der Haut, des Zellgewebes,
der Muskeln, Blut- und Lymphgefässe, Sehnen,
Gelenke, Bänder, Knochen, Nerven zu massigen,
schleichende Entzündungen und deren Folgen
zu zertheilen oder innere Entzündungen
rascher zu beseitigen, wie z. B. des Gehirns
und seiner Häute, der Augen, der Brust- und
Bauchorgane (s. hautreizende Methode). Zu
diesen Zwecken benützt man am häufigsten
die Verbindung des Pulvers mit Fett als
Unguentum Cantharidum, Cantha-
ridensalbe, Reizsalbe, Ung. irritans oder epi-
spasticum, Spanischfliegensalbe, Zug- oder
Käfersälbchen, Scharfsalbe. Onguent de can-
tharides, cantheride-ointment, unguento canta-
relle. Die Zusammensetzung wird verschieden
angegeben, die einfachste ist aber zugleich
die beste. Die Salbe der Ph. G. combinirt
sich aus 1 Pulver und 4 Olivenöl und wird
12 Stunden digerirt; diese Verbindung wäre
die denkbar beste, wenn sie nicht mit gelbem
Wachs stark durchsetzt wäre, das bei Thieren
das Einziehen in die Haut erheblich er¬
schwert, sie ist daher unbrauchbar. Pro usu
veterinario enthalten die übrigen Pharma-
kopöen verschiedene Recepte, welche alle
der Beimengung von Klebmitteln halber
(Wachs, Terpentin, Theer, Pech, Harz) weitaus
nicht so zweckmässig sind, als die unter
Digestion bewirkte Verbindung des Cantha-
ridenpulvers mit Fett 1:4; 1:5 ist ebenfalls
bewährt und die stärkste Salbe für die Pferde¬
praxis. Für das Rindvieh ist Crotonöl mit
Terpentinöl 1:10—15 oder die Brechweinstein¬
salbe 1:4 Fett (Pockensalbe) vorzuziehen. Bei¬
mengungen weiterer Stoffe, wie der klebenden,
verhindern allerdings das Abfliessen im Sommer,
indess muss jede Salbe vollständig in die
Haut eingerieben und beim Ausschwitzen des
anderen Tages nachgerieben werden; will je¬
doch in jenen Fällen, wobei anfdie eingeriebene
Stelle behufs stärkerer Wirkung noch eine
Schichte der Salbe aufgetragen wird, das Ab-
träufcln vermieden werden, schützt man die
Haut durch Einreibung einer einfachen Cerat-
salbe oder bedeckt sie mit einer Schichte
von Leimen. Meist ist das Abscheren und
Waschen der Haut vor der Inunction noth-
wendig und bei theer- oder pechhaltigen Salben
das Annähern eines Glüheisens während des
Einreibens. Ist die Ausschwitzung unergiebig,
kann nach 12 oder 2 t Stunden eine weitere
Portion verordnet werden, mehrere, z. B.
3—4 Wiederholungen sind aber dem Haar¬
wuchs gefährlich. Nach der Abheilung kann
wieder begonnen werden; soll jedoch öfter
nacheinander eingerieben werden, wie bei
schleichenden Entzündungen, so empfiehlt sich
die schwächere Salbe 1: 5—6 Fett oder Vase¬
line, sowie die Tinctur mit Terpentinöl 1:1—2.
Verstärkt wird die Scharfsalbe am besten
mit Euphorbium 1:8 Salbe, höher zu gehen
ist nicht rathsara. Die sich bildenden Schorfe
sind erst abzubähen, wenn sie trocken und
adhärent geworden sind, vorheriges Einfetten
unterstützt dieses Geschäft wesentlich. Bei
frischen Knochenauftreibungen leistet die
Jodquecksilbersalbe 1:8—10 in der Regel
bessere Dienste. In England ist das Blistern
sehr gewöhnlich, und ist eine der häufigsten
Zusammensetzungen folgende: Canthariden-
58
CANTHARIDIN. — CAOUTCHOUC.
pulver uml Euphorbium 2, Sublimat 1, Erdöl 8,
Wachssalbe 12; ebenso ist eine bewährte Ver¬
stärkung Euphorbium 1, Spanischfliegenpul¬
ver 3, Lorbeeröl 4, grüne Seife 10. Um die
Wirkung anhaltender zu machen, wie bei
alten Verdickungen, Piephaken, Hautsklerosen,
Spat, Sehnenklapp, gibt Haubner folgendes
bewährtes Reccpt an, das als bestes
Emplastrum anglicum acre (Ern-
plastrum cantharidum perpetuum, Zugpflaster)
gelten kann und gegenüber anderen schwer
klebenden gut haftet: Spanischfliegenpulver 13,
Euphorbiumgummi 3,Burgunderharz 11.Mastix,
Kolophon, Safranpflaster, Terpentin, schwarzes
Pech, Bolus je 6. Die gut vermengten Stoffe
werden über gelindem Feuer zu einer homo¬
genen Pflastermasse in Stangen geformt. Beim
Verbrauch wird das Pflaster in der Wärme
(nicht zu heiss!) verflüssigt und so mit einem
Spatel einige Millimeter dick aufgetragen und
sogleich mit geschnittenem Werg bedeckt und
verstrichen. Das englische Pflaster bleibt
liegen, bis es (etwa nach 12 Tagen) von
selbst abfällt.
Collodium cantharidatum, Collo-
dium cantharidale oder vesicans. Die offici-
nelle, syrupdicke Auflösung von Schiessbaum¬
wolle in Cantharidinäther fixirt sich gut,
kann nicht abgeleckt werden oder ablaufen
und trocknet sofort; das Präparat ist aber
gewöhnlich für die behaarte Haut der Thiere
zu schwach, eignet sich daher nur für empfind¬
liche Subjecte und feinere Hautstellen. Immer
müssen, wie bei allen Scharfstoffen, die Beuge-
Hachen von der Einreibung verschont bleiben
und ist dafür zu sorgen, dass die Thiere sich
nicht scheuern können.
Tinctura Cantharidum (1:10)erleich¬
tert die innerliche Anwendung behufs Er¬
höhung des Geschlechtstriebes (s. oben),
indem man sie in schleimigen Vehikeln dem
Futter in besonderer Ration beimengt. Pferd,
Rind 10*0—15*0 pro dosi, Schaf, Schwein
40—50 Tropfen auf zweimal im Tage, Hund
2—10 Tropfen, öfter im Tag; falls kein Er¬
folg, ist nach 2—3 Tagen zu wiederholen;
fetten Thieren muss an Futter abgebrochen,
mageren zugeiegt werden. Aeusserlich benützt
man die Tinctur, wenn längere Zeit eine
Reizung gewünscht wird, ohne dass zu frühe
Borken eintreten; verstärkt wird sie am
besten mit 2 Tbeilen Ol. Terebinthinae.
Ebenso dient sie zur Beschleunigung des
Haarwachsthums mit grüner Seife, zu Ein¬
reibungen der Hufkrone, reizenden Injectionen
in die Fistelgänge. Vogel.
Cantharidin, Cantharidinsaure, C^H^O,,
ein scharfer Stoff, welcher, auf die Haut und
die Schleimhäute gebracht, ein Gefühl von
Brennen, in grösseren Mengen selbst exsu¬
dative Entzündung verursacht, er findet sich
in geringer Menge, 2—5 pro Mille, in ver¬
schiedenen Käferarten, doch werden am häufig¬
sten die spanischen Fliegen, Lytta vesicatoria,
Cantharis vesicatoria, für denselben benützt.
Die Cantharidinsaure bildet farblose Prismen,
die sich in höherer Temperatur verflüchtigen,
sie löst sich leicht in fetten Oelen, Aetlier,
Chloroform, Benzol, nur sehr wenig in kaltem
Wasser und Weingeist. Während das Cantha¬
ridin bei Menschen, Säugethieren und Vögeln
als heftiges Gift wirkt, ist es für Igel, Hühner
und Frösche ganz unschädlich. Im Munde
erzeugt das Cantharidin wegen seiner Schwer¬
löslichkeit keinen Geschmack, die leicht lös¬
lichen cantharidinsauren Salze schmecken je¬
doch nicht scharf, sondern bitter. Locbisch.
Canthoplastik oder Kanthoplastik (von
xavd-o's, Winkel, und rcXdsactv, bilden) be¬
zeichnet ein operatives Verfahren, welches eine
Erweiterung der Augenlidspalte bezweckt. Bei
gut fixirtem Kopfe führt der Operateur das
stumpfe Blatt einer starken geraden Schere
in horizontaler Richtung so weit hinter den
Augenwinkel, dass er erwarten darf, die vor
dem knöchernen Orbitalrande liegenden Weich-
theile mit kräftigem Schlage zu durchtrennen.
Etwas umständlich, der Sicherheit der Opera¬
tion jedoch förderlich ist es, das Blatt der
Schere in der Rinne einer vorher in den
Bindehautsack eingeführten, gefurchten Sonde
zu leiten. Manche verwenden ein Messer mit
kleiner, sichelförmiger Klinge, das, in den
Lidsack eingeführt, an einer vorher genau be-
zeichneten Stelle herausgestossen wird, worauf
man, die Klinge durchziehend, die Weichtheile
trennt.
Die Canthoplastik ist indicirt als
Vor- und Nebenact bei Ausschälung des
Bulbus und Ausweidung der Augenhöhle, wo
dann das Eindringen gegen den Augapfel
und die Orbita bedeutend erleichtert wird;
nach erreichtem Zwecke vereinigen einige
Nähte die Lidwinkel wieder. Als selbständige
Operation wird sie bei Ankyloblepharon
und Blepharophimosis ausgeführt (s. An¬
kyloblepharon). Zweckmässig ist es, nach
Enucleationen etc. etc. die correspondirenden
Punkte der äusseren Haut durch einige
Nähte zu vereinigen; es geschieht dies,
indem man die Wunde in der Weise
durch Auseinanderziehen mit den Fingern
klaffen macht, dass aus dem anfangs fast
horizontalen Schnitt
nahezu verticaler wird
Der Operateur
umfasst die Conjunctiva in der Mitte der
Schnittlinie, durchsticht sie mit einer feinen,
mit einem Seidenfaden versehenen Nadel,
lässt die Conjunctiva los und hebt die äussere
Haut ebenfalls in der Mitte der Wunde auf,
durchsticht sie gleichfalls mit der Nadel und
vereinigt durch Schliessung des Knotens die
entsprechenden Schleimhaut- und Hautränder.
In derselben Weise wird unter- und oberhalb
noch eine Naht angelegt. Das Einlegen eines
fremden Körpers verhindert das Verkleben
der Wundlippen. Schlampp .
Canthu8 (= dem griech. 6 xayO-o's), der
Augenwinkel, bei den lat. Classikern nur für
den eisernen Reifen um das Rad gebräuch¬
lich. Sussdorf.
Caoutchouc, Cautchouc, Gummi elasti-
cum, Federharz (s. Kautschuk). Vogel.
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CAPALOfi. — CAPILLARGEFASSE. 59
Capaloe, eine der besten und in der
Thierheilkunde gebräuchlichsten Aloesorten
(s. Aloe). Vogel.
Capaun, v. ital. Cappone, Benennung eines
castrirten und gemästeten Hahnes, Kapaun.
Capaunen oder Capaunern, das Verschneiden
der Hähne (s. Castration). Koch.
Capelet, le, Stollbeule, Steingalle, Piep¬
haken. Sussdorf.
Capillargefässe. Die Haargefässchen wur¬
den 1661 von Malpighi in der Lunge und
Harnblase des Frosches gelegentlich der De¬
monstration des Blutkreislaufes entdeckt und
mit Rücksicht auf ihr haarfeines Kaliber den
Haarröhrchen (capillus, Haupthaar) des Physi¬
kers an die Seite gestellt. Dieselben schieben
sich als Verbindungsglied zwischen Arterien
und Venen ein und vermitteln vermöge ihrer
äusserst zarten Wandungen den Austausch
der Stoffe zwischen Blut und Gewebsflüssig¬
keiten.
Anatomisch-Histologisches. Die Ca-
pillaren als für das unbewaffnete Auge un¬
sichtbare feinste Röhren gehen meist ohne
bestimmte Grenze aus den Arterien hervor
und in die Venen über. In den Geweben und
Organen selbst bilden sie im Allgemeinen den
Formen und der Gruppirung der Gewebs-
elemente sich anpassende Netze von ver¬
schiedenster Maschenweite und von differentem,
wenn auch in engen Grenzen schwankendem
Röhrendurchmesser. Immer steht die Summe
der Gefassquerschnitte, also die gesammte
Gefässoberfläche, im Verhältnis zu der
Thätigkeit der Organe. Es ist verständlich,
dass die Lunge als das den Gasaustausch
zwischen Blut und atmosphärischer Luft ver¬
mittelnde Organ das engste Capillametz mit
grosser Röhrenweite besitzt, ähnlich verhalten
sich eine Anzahl von Drüsen, secernirenden
Schleimhäuten etc., während die nervösen
Centralorgane, fibrösen Häute, Sehnen, Bänder
weitmaschige Haargefässnetze aufzuweisen
haben. Dagegen fehlen in einzelnen Geweben,
wie in den Epithelialhäuten und epidermoi-
dalen Gebilden, sowie in den Knorpeln etc.
Capillaren und Blutgefässe überhaupt gänz¬
lich. In den zottigen Erhebungen der Schleim¬
häute etc. biegen ferner die feinsten Arterien
in der Nähe der freien Spitze vielfach ohne
Herstellung von Netzen um, um sofort in
ein«- capillare Vene überzugehen. In noch
anderen Organen, in welchen eine zu der Er¬
nährung derselben unverhältnissmässig grosse
Menge Blutes nur unter gewissen Verhält¬
nissen zur Erfüllung rein mechanischer Zwecke
angestaut wird, wie in den Schwellkörpern
zwecks der Erection, existiren nicht überall
capilläre Uebergangsgcfässe, sondern es mün¬
den hier noch relativ weite Arterien direct
in die ergiebigen Räume des Schwellnetzes
ein. In ihrem Baue erscheinen die Capillaren
zunächst als structurlose, kernhaltige, dünn¬
wandige Röhren, deren Wand indessen bei
Behandlung mit dem die Zellgrenzen so schön
offenbarenden Silbernitrat (0 * 25—0 * 5 %ige Lö¬
sung) sich als eine durch Aufrollung und Ver-
löthung membranartig aneinander gekitteter
spindelförmiger, der Längsaxe parallel ge¬
stellter Zellen von dem Charakter der En¬
dothelzellen entstandene zarteste Haut erweist.
Sie wird deshalb auch Endothel-, Perithel¬
rohr, Zellhaut etc. genannt. In derselben be¬
finden sich zwischen den Zellgrenzen, die
Kittsubstanz durchbrechend, grössere und
kleinere Oeffnungen, Stomata und Stigmata,
die man bald als präformirt betrachtet, bald
auf den früher gelegentlich erfolgten Durch¬
tritt von farblosen Blutzellen zurückführt.
Nicht überall scheint die Capillarwand ein
blosses Endothelrohr zu sein, möglicherweise
findet sich vielmehr in weiter Verbreitung
an der äusseren Oberfläche desselben eine zarte,
vollkommen homogene Membran (Chrzon-
szeewski), die Ran vier ein Rudiment der La¬
mina clastica interna der kleinen Arterien
nennt. In gewissen Organen und an den
Uebergangsstellen der Capillaren in die an¬
schliessenden Gefasse gesellt sich dieser ein¬
fachen Zellhaut eine Adventitia zelligen,
feinfaserigen oder netzförmigen Charakters
hinzu, die theils als Bindeglied die Capillare
an die Nachbargebilde anheftet, theils als
Lymphbahn Verwendung findet.
Physikalisch -Physiologisches. 1.
Die so ungemein zarten, die Dicke von 1 bis
1 *5 p. kaum überschreitenden Capillargefäss-
wandungen sind in ganz vorzüglichem Grade
permeabel, sowohl für Gase und Flüssigkei¬
ten, wie für belebte körperliche Bestandteile
der Säfte. Dadurch gestatten sie eine Fil¬
tration und Diffussion von Gasen und Flüs¬
sigkeiten, wie auch die Emigration der farb¬
losen Blutzellen; dadurch ermöglichen sie die
Ernährung der Gewebe und den Wiederersatz
des Verbrauchten, dadurch auch den Eintritt
von Ernährungsmaterial aus den Verdauungs¬
organen in das Blut. Der Durchtritt der Leu-
kocyten durch die Gefässwandungcn kann
direct unter dem Mikroskope beobachtet wer¬
den, die dünnen serösen Membranen kleiner
Thiere bieten, an einer Stelle gereizt, ein
günstiges Feld dazu. 2. Die Dehnbarkeit der
Capillarwandungen ist eine beschränkte, Zcr-
reissungen treten deshalb in ihnen leicht auf.
3. Die Capillaren besitzen ferner Contractili-
tät; sie können sich in continuo zusammen¬
ziehen, sie sollen sich nach Stricker auch an
beschränkter Stelle ausdehnen und wieder
verengen, und selbst Sprossen hervortreiben,
die sie bald wieder zurückziehen, bald ver¬
längern, hohl werden und mit auderen in
Verbindung treten. Die Contractilität ist,
wie überall, so auch hier die Eigentümlich -
keit des Protoplasmas der Zellen; sie steht
wohl unter dem Einflüsse des Nervensystems,
das auch ihnen feinste Fibrillen sendet,
welche die Capillaren mit langgezogenen
Netzen umspinnen und an deren Wandungen
mit knopfförmigen Verdickungen enden. Ja
möglicherweise besitzen auch sie periphere
Ganglien (bei Frosch und Eidechse wurden
solche an de:i Capillaren der Niere und Zunge
nachgewiesen), die sie unter Umständen un¬
abhängig von dem Centralnervensystem ihr
Kaliber ändern lassen. Durch ihre Contracti-
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60 CAPILLITIÜM. -
lität haben die Capillaren auch einen gewis¬
sen Einfluss auf die Blutströmung'; durch Er¬
weiterung ihres Lumens vermindern sie
Stromgeschwindigkeit und Blutdruck, durch
Verengerung desselben erzielen sie das Gc-
gentheil. 4. Die Summe der Querschnitte der
-zu einer Arterie gehörigen Capillaren ist be¬
trächtlicher als deren Durchmesser; dadurch
steigt der Gesammtquerschnitt des Capillar-
systems auf das 500- bis 700fache desjenigen
der Aorta an. Das ist von grosser Bedeutung
für die Abnahme der Stromgeschwindigkeit
und des Blutdruckes, sowie für das Ver¬
schwinden der pulsatorischen Erscheinungen
gegen die Peripherie. Die Entwicklung der
Capillargefässe ist schon vielfach Gegenstand
der Untersuchung gewesen. Die alten An¬
schauungen, dass sie aus der Verschmelzung
blasig sich auftreibender Zellen hervorgehen,
deren Halle zur Capillarwand, deren Kerne zu
den Capillarkernen sich umgestalten, sind
verlassen. Für sehr wahrscheinlich dagegen
gilt, was Koelliker für die Gefässbildung im
embryonalen Fruchthofe lehrt. In der ur¬
sprünglich gleichartigen Zellenraasse diffe-
renziren sich netzartig verbundene Zellen¬
stränge solider Beschaffenheit, die sich all-
mälig unter Flüssigkeitsausscheidung un¬
regelmässig aushöhlen, Verdickungen der
Wände (sog. Blutpunkte) hinterlassend, welche
das Material zur Bildung der Blutzellen ab¬
geben sollen. Sicher ist ferner durch die Be¬
obachtung in dem Schwänze der Kaulquappe
constatirt, dass sich die oben angedeuteten
ursprünglich soliden Protoplasmasprossen der
Gapillarwand durch Aushöhlung in Hohlgänge
umwandeln, die unter Vermehrung der
Kerne und Verbindung mit benachbarten Ge-
f&ssen die Vergrösserung der Capillarnetze
erzielen. Sussdorf.
Capillitium, Haargeflecht. Bei vielen Ga-
stromyceten findet man in den Tramen der
Gieba neben den vorwiegenden feineren
Fäden dickere, röhrige, oft scheidewandlose
Hyphen, welche ein unter sich anastomo-
sirendes Strangnetzwerk bilden. Während nun
bei eintretender Reife die obgenannten feineren
Zellfäden sammt den Basidien verflüssigt
werden und verschwinden, bleibt das maschige
Netzwerk röhriger, derberer Fäden erhalten,
eine zusammenhängende, lockere, wollige Masse
darstellend, die als Capillitium oder Haarge¬
flecht bezeichnet wird. Ein ähnliches Hyphen-
geflecht, mit derselben Bezeichnung belegt,
kommt auch bei einigen Tuberaceen (Ela-
phomyces) vor. Endlich nennt man auch Ca¬
pillitium eine bei vielen Myxomyceten vorkom-.
mende, oft vielfach verzweigte haarfeine Faser-
masse, ein Skelet darstellend, welche bei und
während der Formirung der Sporangien vom
Protoplasma abgeschieden wird. Harz.
Capita oder Capsulae Papaveris, die un¬
reifen, opiumhaltenden Köpfe des Mohns
(s. Papaver somniferum). Vogel.
Cappadoci8che8 Pferd, auch edles nato-
lisches genannt, ist aus der Paarung von
abchasischen Tscherkcssen-Hengsten und ge¬
meinen turkomannischen Stuten hervorge-
CAPRONSÄURE.
gangen; dasselbe ähnelt in seinen Körper¬
formen am meisten dem kurdistanischen Rosse,
ist aber etwas grösser als dieses. Das Zucht¬
gebiet der cappadocischen Pferde erstreckt
sich über einen grossen Theil von Kleinasien
und ist nicht mehr — wie früher — auf Anadoli
oder Natolien beschränkt. Die Thiere sind von
mittlerer Grösse, werden selten Aber 1*50 m
hoch, sind dabei von kräftiger, hübscher Ge¬
stalt, besitzen einen feinen, zierlichen Kopf an
einem hübschen, gut aufgesetzten Hals; ihr
Leib ist schlank, gestreckt, die Brust nicht
besonders breit, das Hintertheil aber sehr
kräftig entwickelt. Ihre Beine sind zwar fein,
jedoch von fester Knochensubstanz; der Schweif
könnte etwas höher angesetzt sein und besser
getragen werden. Man rühmt dieser Rasse
nach, dass sie äusserst gutmüthig und leicht
zu reiten sei; dazu kommt noch, dass sie sehr
dauerhaft ist und die meisten Pferde der¬
selben bis in ein hohes Lebensalter zur Arbeit
benützt werden können. Schon im alten Cappa-
docien galt die Pferdezucht für ein achtbares,
einträgliches Gewerbe; es wurde berichtet,
dass von dort alljährlich viele Rosse nach
anderen Ländern transportirt worden wären;
wir bezweifeln aber, dass die bei den alten
Römern unter dem Namen „cappadocische
Pferde 14 nnd in der heiligen Schrift unter
der Benennung „thogarmische Rosse 11 ange¬
führten Thiere derselben Rasse angehört
haben, welche heute in Kleinasien unter jenen
Namen vorkommt. An verschiedenen Orten
von Natolien werden schon seit längerer Zeit
edle arabische Hengste zur Verbesserung der
alten Landrasse benützt, und es ist nicht zu
leugnen, dass auf diese Weise gute Erfolge
erzielt worden sind. Freytag.
Capra (Fern. v. Caper) L. Die Ziege,
Geiss.
Caprin&äure, C lo H lo O t , eine Fettsäure,
welche in der Butter, im Cocosnussöl und in
vielen anderen Fetten vorkommt, sie schmilzt
bei 30° und siedet zwischen 468—270° unter
theilweiser Zersetzung. Das Baryumsalz der¬
selben krystallisirt aus Alkohol in fettglän¬
zenden Schuppen und Nadeln. Loebisch.
Caprioie, vom franz. Caprice, Grille, Laune,
Eigensinn, plötzlicher Einfall in musikalischer
Beziehung, Phantasiestück. Ein Scliulsprung
der Pferde wird so genannt, bei welchem die- •
selben fast senkrecht in die Höhe springen,
die Vorderfasse in den Knien gebeugt haltend
und in der Luft schwebend, mit den Hinter¬
füssen ausschlagen, um mit den letzteren
wieder zuerst den Boden zu erreichen (s. a.
Gangarten, künstliche). Koch.
Capronsäure C e H lt O t . Entsprechend den
isomeren Alkoholen der Fettreihe mit 6 Koh¬
lenstoff, gibt es mehrere isomere Capron-
säuren. Die normale Capronsäure findet sich
in der Natur theils im freien Zustande vor,
wie im Schweiss. theils bildet sie als Gly¬
cerinäther den Bestandtheil einiger Fette.
Sie entsteht auch bei der Oxydation von
Eiweisskörpern und von höheren Fettsäuren,
auch als Oxydationsproduct des normalen
Hexylalkohols wurde sie gewonnen. Sie bil-
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CAPRYLSÄURE. — CARBO LIGNI PULVERATUS.
61
det ein Gel von specifischem Gewicht 0*946
bei 0 # , erstarrt bei—18®krystallinisch and siedet
bei 205°. Das Baryumsalz derselben ist in
Wasser leicht löslich. Loebisch.
Caprylsäure, C 8 H 10 0„ normale Octyl-
säure, findet sich neben der Caprinsäure im
Cocosnussfett, ferner im Weinfuselöl und in
mehreren Pflanzenölen, sie entsteht bei der
Oxydation des normalen Octylalkohols, kry-
stallisirt aus Alkohol in Nadeln, die bei 16°
schmelzen, und siedet bei 232—234°. Das
Baryumsalz löst sich in 50 Th. kochenden
Wassers und krystallisirt in fettglänzenden
Schuppen. Loebisch.
Capsicum annuum et longum, Beissbeere,
spanischer Pfeifer, Piper hispanicum, unga¬
rischer Pfeffer, Paprika, die reife, durch grosse
Schärfe ausgezeichnete Frucht beider genannten
Solaneen, L. V. 1.; ursprünglich von West¬
indien stammend, jetzt auch bei uns cultivirt
und als Speisepfeffer verwendet. Beide tragen
schön glänzende, meist rothe Früchte (Beeren)
mit dünnem Pericarp und gelblichen Samen,
welche einen noch nicht näher bekannten
Scharfstoff, Caspicol, enthalten und früher
officinell waren als
Fractus Caspici. Das rothe oder roth-
gelbe Pulver, in Ungarn und Serbien als
Gewürz besonders beliebt, erregt schon in
kleinen Mengen im Mund und Magen Brennen
und Wärmegefühl, ist daher ein appetit- und
verdauungserregendes Mittel, das auch bei
Thieren da und dort verwendet wird, voraus¬
gesetzt, dass keine Reizungen vorher schon
zu Grunde liegen. Man gibt das Mittel messer¬
spitzweise oder verwendet die
Tinctura ^Japsici in der Hundepraxis
zu 5—20 Tropfen. Zum Einreiben als Haut¬
reize sind beide Präparate entbehrlich. Der
Cayennepfeffer, Piper Cayennense,
ist dem Paprika botanisch nahe verwandt,
stammt aber von Capsicum Brasilianum oder
fastigiatum, dessen Früchte viel kleiner und
runzelig, sowie von glänzend orangegelber
Farbe sind. Sie kommen im Handel fein ge¬
pulvert vor und sind noch schärfer als der
spanische Pfeffer. Vogel.
Capsula lentis, s. Lens crystallina.
Capsula Tenoni, s. Auge (Augenmuskeln).
Cap8ulae gelatinosae, kleine, aus weisscm
Leim geformte, etwa eine Messerspitze Arznei¬
substanz haltende, bleistiftdicke, 0*5—1 *0 cm
lange Kapseln, welche sich wie eine Nadel¬
büchse schliessen und gut verschlucken lassen.
Zum Eingeben widerwärtiger Medicamente
auch in der Hundepraxis sehr bequem. In
neuester Zeit stellt man auch Kapseln aus
Hornstbff dar (s. Capsuiae keratinosae). VI.
Capsuiae keratinosae, aus einer hornähn¬
lichen Masse wie die kleinen Gelatinekapseln
hergestellt, dienen ebenfalls zum Eingeben
für die kleinen Hausthiere, sie sind jedoch
im Magen nicht lösbar, sondern erst im Darm,
wo sie dann auch ihren medicamentösen In¬
halt abgeben. Man will damit nicht allein den
Magen mit letzteren unberührt lassen, also
durch Mediciniren den Appetit nicht alteriren,
sondern auch die betreffenden Arzneistoffe
chemisch unverändert in den Dünndarm ge¬
langen lassen. Vogel .
Capsuiae Papaveris, so viel als Capita
Papavcris. Vogel.
Cap8ullti8, ein älterer, jetzt obsoleter
Ausdruck für eine Trübung der Kapsel der
Krystalllinse des Auges, welcher aus jener
Zeit stammt, in welcher man den Star als
einen entzündlichen Vorgang auffasste (siehe
Cataracta). Schlampp.
Capt gab 1760 zu Genf ein Buch heraus
unter dem Titel: „Les admirables Secrels et
Remfedes“ (ein populäres Thierarzneibuch). Sr.
Caracciolo P. gab 1566 in Venedig ein
Buch über Hippiatrie mit Beschreibung der
inneren und äusseren Krankheiten der Pferde
unter dem Titel: „La Gloria del Cavallo^
heraus, in welchem er mehrere spanische
Thierärzte citirt. Semmer.
Caramel wird die braune amorphe Masse
genannt, welche beim Erhitzen des Rohr¬
zuckers auf 190—200 °C. entsteht Die Masse
schmeckt intensiv bitter, verliert jedoch diesen
Geschmack in verdünnter Lösung. Es dient
wegen seines starken Färbvermögens zum
Braun- oder Gelbfärben von Bier, Essig, Wein
und Liqueuren und kommt als sog. Zucker¬
couleur in den Handel. Aus Traubenzucker
erhält man Caramel, wenn man ihn mit 2%%,
Aetznatron und 5% Wasser kocht, bis er in
eine dunkelbraune Masse umgewandelt ist. LJu
Carbamid, s. Harnstoff.
OH
Carbaminsäure, CO NH , ist die Amin-
* OH
säure der hypothetischen Kohlensäure GO^g,
sie ist im freien Zustande nicht bekannt,
sondern nur in Verbindungen, in welchen der
Wasserstoff des Hydroxyls durch Metalle oder
Kohlenwasserstoffreste substituirt ist. Kommen
trockene Kohlensäure und trockenes Ammoniak¬
gas zusammen, so entsteht das Ammonium-
salz der Carbaminsäure. Nach E. Drechsel
entsteht der Harnstoff im Blute aus carbamin-
saurem Ammoniak durch Wasserentziehung;
co m *' ~ H *° = co nh;
Carbamins. Ammon. Wasser Harnstoff"
Demnach muss die Carbaminsäure im Blute
vorhanden sein, wie dies thatsächlich von
Drechsel nachgewiesen wurde. Loebisch.
Carbo Ligni pulveratus Ph. G., Holz¬
kohlenpulver. Carbo Ligni depuratus Ph. A. r
Carbo purus oder vegetabilis. Buchen- oder
Fichtenkohle wird so lange erhitzt, bis sie
keine Dämpfe mehr abgibt, und dann als Pulver
nachgeglüht, damit vollends alle Kohlensäure,
Feuchtigkeit und das Ammoniak entweicht. Da¬
durcherlangt sie zufolge ihrer Unzahl von leeren
Räumen eine bedeutende Absorptionskraft für
Riech- und Farbstoffe, für Fäulnissgase und
fötide Stoffe aller Art, aber auch chemische
Kräfte, durch welche sie namentlich basische
Metallsalze zerlegt, indem sie ihre Oxyde
fallt. In erster Linie hat man sie behufs Auf¬
saugung Übler Secrete zum Wundverband be¬
nützt und als Pulver bei jauchigen Wunden.
Geschwüren, Decubitus, nässenden Hautaus-
62 CARBO VEGETABILIS. — CARBONYLVERBINDUNGEN.
schlagen aufgestreut, ihre Bedeutung ist aber
überschätzt worden, denn sie kann aus dem
Grunde nur wenig leisten, weil ihre Poren
sich bald mit Flüssigkeit füllen und so das
Mittel seine Wirksamkeit rasch einbüsst. Im
trockenen Zustande, z. B. beim Aufstellen des
gereinigten Kohlenpulvers in Schalen, des-
odorisirt sie Sectionssäle, Kvankenlocale, Ab¬
tritte u. dgl. mit grosser Sicherheit, Zer-
setzungsprocesse werden aber niemals durch
Kohle aufgehoben, im Gegentheil begünstigt,
wenn man sie z. B. dem Miste, den Düng¬
stätten aufstreut, dagegen bindet sie (nament¬
lich Torfkohle) Phosphorsäure und Ammoniak,
hebt den Geruch auf und erhöht den Werth
des Düngers für ökonomische Zwecke ganz
wesentlich, therapeutisch kann sie jedoch jetzt
ganz gut entbehrt werden, denn auch inner¬
lich verabreicht bei üblen Gerüchen aus dem
Maule, gasigen Auftreibungen, ammoniakali-
schcn Zersetzungen, stinkenden Durchfällen
ist ihr Werth ein sehr geringer und hat man,
abgesehen davon, dass die scharfen, spitzigen
Splitterchen in die Lungensubstanz, Magen¬
darmschleimhaut nacligewiesenermassen ein-
dringen können, jetzt ausserdem bessere und
sichere Mittel für obige Zwecke insgesammt. VI.
Carbo vegetabilis, Holzkohle, s. Carbo
Ligni pulv.
Carbolismus, CarbolsäurcVergiftung, s.
Acidum carbolicum.
Carboljute ist nass und trocken im Handel:
letztere ist bequemer und wird dadurch her¬
gestellt, dass 1 Pfund Jute (s. d.) mit einer
Lösung von 50*0 Carbol und 200*0 Colo-
phonium in 550*0 Spiritus und 250*0 Glycerin
durchgearbeitet wird und, sobald die Fasern
durch Verdunstung des Weingeistes anein¬
ander zu kleben beginnen, ausgezupft und
getrocknet wird. Die so bereitete Carboljute
ist weit besser als die früheren Präparate,
welche bald den Carbolgehalt verloren. VI.
Carbolöl, s. Acidum carbolicum.
Carbolsäure, C«,H-.OH, Phenyalkohol,
Phenol. Die Carbolsäure ist in chemischer
Beziehung ein Derivat des Benzols, C e H«, aus
welchem sic entsteht, wenn 1 H desselben
durch OH substituirt wird. Die chemischen
Individuen, welche in dieser Weise entstehen,
nennt man im Allgemeinen Alkohole (s. d.),
und die Carbolsäurc ist das erste Glied der
aromatischen Alkohole, welche man als Phe¬
nole bezeichnet, und daher der Name Phenyl¬
alkohol der chemisch richtige Name derselben.
Sie wird fabriksmässig aus dem Steinkohlen-
theer gewonnen, aus dem Nebenproduct, welches
bei der trockenen Destillation der Steinkoh¬
len, wie sie zur Beratung von Leuchtgas
dient, gewonnen wird. Aus dem Steinkohlen-
tlieer wird nämlich durch fractionirte Destil¬
lation ein bei 180—220° destillirendes Pro¬
duct gewonnen: das schwere Steinkohlen-
Theeröl, in welchem sich die Carbolsäure
neben Anilin und Naphthalin findet, aus die¬
sem wird die Carbolsäure durch ihre Lös¬
lichkeit in wässeriger Natronlauge getrennt.
Physiologisch wichtig ist die Entstehung der
Carbolsäure als Product der Pankreas- und
Darmverdauung der Eiweisskörper (s Ver¬
dauung). Die im Darmcanal freiwerdende
Carbolsäure wird im Blute und in den Ge¬
weben zu Phenylschwefelsäure umgewandelt
und gelangt als solche in den Harn, demge¬
mäss kann man aus dem normalen Harn
des Menschen und der Säugethiere minimale
Mengen von Carbolsäure abscheiden, welche
allerdings bei gewissen krankhaften Zustän¬
den. namentlich bei solchen, welche eine
Occlusion des Darmes bedingen, vermehrt
werden (s. a. Harn).
Die chemisch reine, ganz wasserfreie Car¬
bolsäure bildet eine neutrale, farblose, aus
langen Prismen bestehende Masse von eigen-
thümlichem theerähnlichen Geruch und von
brennendem Geschmack. Bei 45 °C. verflüs¬
sigt sie sich zu einer öligen Flüssigkeit,
welche bei 183° C. siedet. Die Carbolsäure löst
sich in 20 Th. Wasser und ist in jedem Ver¬
hältnis mischbar mit Weingeist, Aether,
Chloroform, Glycerin, verdünnter Natronlauge.
Die rohe Carbolsäure, vorzugsweise zur Des-
infection von Aborten, Eisenbahmvaggons.
Senkgruben, auch Ställen benützt, stellt eine
braunrothe Flüssigkeit von der Consistenz
eines Syrups mit stark theerartigem Gerüche
dar und ist in Wasser viel schwerer löslich
als die reine Carbolsäure. Man erkennt die
Carbolsäure an folgenden Reactionen: 1. Stark
verdünnte wässerige Lösungen derselben wer¬
den durch neutrale Lösung von Eisenchlorid
violett gefärbt; diese Reaction wird durch
einen Ueberschuss von Eisenchlorid und
von freier* Säure aufgehoben. 2. Ein mit
Salzsäure befeuchteter Fichtenholzspan wird
durch Phenol an der Sonne dunkelblau ge¬
färbt. 3. Mit Bromwasser im Ueberschuss
versetzt, entsteht in einer verdünnten Lösung
von Carbolsäure ein gelblichweisser Nieder¬
schlag von Tribromphenol. 4. Mit Millon’s
Reagens gekocht, färbt sich eine Lösung von
Carbolsäure intensiv roth. Die Carbolsäure
ist ein energisches Protoplasmagift, welches die
Flimmerbewegung der Zellen und die Bewe¬
gungen der weissen Blutkörperchen zu hin¬
dern im Stande ist, sie wirkt tödtend auf nie¬
dere Organismen schon in sehr geringer
Menge, doch wirkt sie, in grösserer Menge
resorbirt, auch bei den höchsten Thierclassen
als energisches Gift. In der Heilkunde findet
sie demgemäss wegen ihrer antiparasitären
Wirkung mannigfache Anwendung (s. Acidum
carbolicum). In der Technik wird sie zur Dar¬
stellung der Pikrinsäure, der Saliclysäure und
mancher Theerfarbstoffe verwendet. Loebisch.
Carbona8 ist die Bezeichnung mancher
Pharmakopöen für die kohlensauren Verbin¬
dungen, die aber jetzt fast überall verlassen
und durch das Adjectiv carbonicum ersetzt
worden ist; so hat z. B. die Ph. A. die Aus¬
drücke Carbonas ammoniae, C. calcis, C. lixivae
oder potassae (Kali), C. sodae u. s. w. VI.
Carbonylverbindungen nennt man in der
organischen Chemie die Derivate der Kohlen¬
säure. Nimmt man von der hypothetischen
Kohlensäure, CO(OH)„ die beiden OH weg,
dann bleibt ein Rest oder Radical CO übrig,
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CAKCANI. — CARHAIX-PFERD.
63
welches Carbonyl heisst. Das Kohlensäuregas
ist C0=0, Kohlensäureanhydrid. Von den
praktisch wichtigen Carbonylverbindungen
nennen wir das Carbonylchlorür, COCl„ auch
Phosgengas, welches sich bei der Zersetzung
des Chloroforms an der Luft bildet, sehr
giftig ist und vielleicht bei mancher Chloro¬
formnarkose den dabei auftretenden plötzlichen
Tod verchuldet, ferner das Kohlenoxysulfid-
gas, COS, welches in manchen Schwefelquellen
natürlich vorkommt. Loebisch.
Carcani J. schrieb 1714 zu Mailand
über die unschädliche Benützung des Plei
sches, der Felle und des Talges der an der
damals herrschenden Rinderpest gefallenen
Thiere. Semmer.
Carcinom (von xapxt'vo<;, Krebs), siehe
Krebsneubildung. Semmer.
Cardia, richtiger Kardia, das griechische
T t xapBta (daher auch kardia und nicht kardia
zu sprechen), bedeutet: 1. das Herz und t. den
Magenmund, die Einpflanzungsstelle des
Schlundes in den Magen, und übertragen den
Magen selbst. Der Ausdruck ist nach Heister
darauf zurttckzuführen, dass der Magenmund
beim Menschen in der sog. Herzgrube liegt.
Davon das Adj. cardiacus, z. B. in cardiaca
sc. remedia, herzstärkende Mittel. Von Kardia
abgeleitet finden sich zuweilen noch in Brauch:
Cardialgia, besser Kardialgia (yj xap-
StaXYia, von xap8:a und xb Skyos, Schmerz),
Magenschmerz, Magenkrampf.
Cardiamorpliia, besser Kardiamorphia
(von xapoia und apop^os, ungestaltet), Herz-
raissbildung.
Cardiauxc, besser Kardiauxe (von xapäia
und r aojij, Vermehrung), Herzvergrösserung.
CJardiopcrikarditis, besser Kardioperi -
karditis (von xapfo'a und xo irsp'.xap8:ov. Herz¬
beutel, und End. itis), Herzbeutel- und Herz¬
entzündung.
Cardioplethora, besser Kardioplethora
(von xapoia und ^ Anfüllung), die
Hyperämie des Herzmuskels.
Card itis, besser Karditis (vonxap&ia und
End. itis), Herzentzündung. Sussdorf
Cardiaca. Wie man Mittel hat, um bei
Behandlung innerlicher Krankheiten die Herz-
thätigkeit herabzusetzen, so gibt es auch
solche Arzneistoffe, welche die Arbeitsleistung
des Herzens vermehren, indem sie die Gan¬
glien des Myocardiums anregen und aus diesem
Grunde von altcrsher als Cardiaca (Myo-
cardiaca) bezeichnet werden. Solche herz¬
stärkende Arzneimittel gehörenden Excitantien
an, wie z. B. Bier, Wein, Kalisalze, Am¬
moniak, als Hauptmittel hat sich aber der
Kampher erwiesen. Alle diese Mittel dürfen
nur vorsichtig angewendet werden, denn so¬
bald sic in grösserer Menge im Blute an-
kommen. wird das Herz zu stark erregt, und
an die Stelle der erhöhten Arbeit tritt eine
Verminderung, Ermüdung, ja selbst Erschö¬
pfung und der Tod ein, denn gerade beim Herzen
macht man die Beobachtung, dass einer Er¬
regung sehr rasch eine Depression folgen
kann. Eine andere Art herzstärkender Wir¬
kung kommt auch der Digitalis zu, welche
ein prononcirtes Herzmittel aus dem Grunde
ist. weil sie eine Volumszunahme der ein¬
zelnen Herzpulsationen veranlasst, mit welcher
eine Verlangsamung der Contractionen und
auffällige Steigerung des Blutdruckes ver¬
bunden ist, so dass grössere Ruhepausen für
das ermattende Herz eintreten und doch das
Blut wieder besser in Gang gebracht wird.
Als Ersatzmittel, für das Digitalin kann jetzt
auch das Caffein gelten, ebenso in gewisser
Beziehung das Adonidin und Convallamarin.
In ähnlicher Weise wirkt auch das Helle¬
borein, Muscarin, Physostigmin. Nicotin,
Veratrin, Antiarin und namentlich das Atropin
in kleinen Gaben, das ebenfalls eine ausge¬
sprochene Verlangsamung der Herzschläge
erzeugt, u. zw. durch primäre Erregung theils
des Vagustonus im Gehirn, theils der hem¬
menden Apparate im Herzen selbst. All diese
Wirkungen der angegebenen Mittel sind und
dürfen nur transitorische sein, alle Cardiaca-
effecte sind somit nur an die Zufuhr ganz
bestimmter Mengen der in Rede stehenden
Herzgifte gebunden, es müssen dieselben so¬
nach auch sehr genau und sachgemäss dosirt
werden. Direct und ausschliesslich auf das
Herz berechnet ist von all den angegebenen
Alkaloiden und Glykosiden indess nur das
Fingerhutkraut. Vogel.
Cardini gab 1845 in Frankreich ein
„Dictionnaire d’Hippiatrique et d*Equitation u
heraus, mit Benützung der neuesten Werke
der Thierärzte. Semmer.
Cardiopalmus (von xapota, Herz; r:a).po;,
Klopfen), s. Herzklopfen.
Carditto, s. Herzkrankheiten, resp. Herz¬
entzündung.
Cardobenedictenkraut, Herba Cardui be-
nedicti, ein dem Enzian gleich wirkendes
Mittel (s. die Stammpflanze Cnicus bene-
dictus). Vogel.
Cardol, C tl H ao O„ wurde von Städeler
das aus dem Pericardium der Nüsse von
Anacardium occidentale dargestellte scharfe
Oel benannt: es löst sich in Alkohol und
Aether, nicht in Wasser, es erzeugt auf der
Haut Blasen ähnlich dem Cantharidin. Milder
wirkt ein ähnliches Oel, aus Semecarpus
Anacardium bereitet. Loebisch.
Cardoleum, der blasenziehende, ölige Stoff
der Elephantenläuse (s. Anacardiaceen), wel¬
chem ähnliche Wirkungen zukommen wie den
Canthariden (Cardoleura vesicans), der aber
bei Thieren hinsichtlich seiner praktischen
Brauchbarkeit noch nicht genügend geprüft
worden ist und auch theurer zu stehen kommt,
doch kann schon jetzt gesagt werden, dass
der vesicatorische Effect bei Pferden eher
stärker ist als der der Cantharidensalbe. es
sind jedoch mehrere Präparate in den Handel
gebracht worden. Vogel.
Carelll G. schrieb 1856 über Influeuza der
Füllen in Neapel. Semmer
Carhalx-Pferd. Diese Abart des bretoni-
schen Bidets, von einer Grösse von etwa
1 • 40 m, mit eckigen Formen, ist heutzutage
verschwunden in Folge von Kreuzungen, die
sie vergrössert und zu einem sehr hübschen
64
CARHAJX-R1ND. — CARIESP1LZ.
Reitpferd umgebildet haben. Sie erhielt ihren
Namen von der kleinen Stadt Carhaix, welche
an der äussersten Ostgrenzc des Departements
Finistere liegt. Neumann.
Carhaix-Rind. Eine locale Abart der
bretonischen Rasse, die sich höchstens durch
die Farbe unterscheidet, welche fast immer
rothscheckig ist. Neumann .
Carica Papaya, der Papayabaum Süd¬
amerikas (Melonenbaum), der aber botanisch
noch nicht näher bekannt ist. Bei Einschnitten
in die grünen Früchte und den Stamm quillt
ein Milchsaft, Papayotin, hervor, welcher
mit Alkohol behandelt das
Papainum, Papain, niederschlagen
lässt; es zeichnet sich dadurch aus, dass es
ungemein peptonisirende Wirkungen auf hart
gekochte Eier und Fleisch hat, die noch
bedeutender sind als die der besten Pepsin¬
präparate, denn das Ferment verdaut das
Tausendfache seines Gewichtes und noch
mehr von Fibrin und bei hypodermatischem
Gebrauche entsteht sogar eine der Verdauung
ähnliche Erweichung des Bindegewebes. Hier¬
nach hat man an dem Papain ein vortreffli¬
ches Digestionsmittel bei Magenleiden, na¬
mentlich wenn es an Magensaft gebricht,
sowie bei den Dyspepsien, gastrischen Ka¬
tarrhen, Wurmleiden, denn das pflanzliche
Pepsin löst Helminthen mit Leichtigkeit auf
und zeichnet sich gegenüber dem thierischen
und dem Pankreatin noch weiter dadurch aus,
dass es nicht blos in saurem, sondern auch
in alkalischem Medium peptonisirend wirkt.
Dieser besonders auf thierisches Gewebe auf¬
lösenden Wirkung wegen benützt man Papain
in der Menschenheilkundc auch gegen Neu¬
bildungen, Krebse u. dgl. In der Hunde¬
praxis ist das Mittel noch weiter zu prüfen. VI.
Carle« der Knochen und Zähne (von
xai’pttv, anfressen), Beinfrass, Knochenfrass,
bone-rottenness, carie, ist eine ulcerative Zer¬
störung der Knochen und Zähne; sie verhält
sich zur Ostitis (Knochenentzündung) ähnlich
wie die Geschwürsbildung in den Weichtheilen
zur Entzündung derselben. Der Caries oder
Geschwürsbildung am Knochen geht eine
schmerzhafte Entzündung und Schwellung des
Knochens voraus. Der abgesonderte Knochen¬
eiter ist dünn, jauchig, übelriechend, miss-
farbig, grau oder schwärzlich und mit kleinen
nekrotischen Knochenpartikelchen gemischt.
Die cariöse Knochenfläche ist gelb- oder roth-
braun. rauh, ihre Umgebung grünlichgelb,
allmälig weiter zum gesunden Knochen hin in
Roth übergehend. Die cariösen Knochen¬
schichten sind mürbe, brüchig, mit Rundzellen,
Detritus oder jauchigem Eiter infiltrirt, mit
Lacunen (Howship’schc Lacunen) durchsetzt,
die Knochenkörperchen mit Fetttröpfchen an¬
gefüllt. Die Knocheneiterung zerfällt in eine
Caries simplex und Caries fungosa. Bei der
Caries simplex erfolgt ein einfacher molecu-
lärer nekrotischer Zerfall der Knochensubstanz
mit Bildung eines Defects (Usur). Sic kommt
vorzugsweise an den Gelenksenden nach Zer¬
störung der Gelenksknorpel und durch Druck
und Reibung der gegenüberliegenden Knochen¬
enden zu Stande. Bei der fungösen Caries
kommt es zu bedeutenderen Granulationen
und fungösen Wucherungen von missfarbigera
Aussehen, die nachher wieder eitrig zer-
fliessen. Die Diagnose auf Caries ist aus der
Beschaffenheit des ausfliessenden dünnen,
schwärzlichen, mit Knochensplitterchen ge¬
mengten Eiters leicht zu stellen. Beim Ein¬
führen der Sonde in die Fistelöflnung bei
tiefgelegener Knochencaries stösst man auf
die rauhe, unebene Knochenfläche. Die Pro¬
gnose ist bei unbedeutender oberflächlicher
Caries günstig, bei tiefgreifender bedeutender
cariöser Zerstörung (der Beckenknochen, Wir¬
bel, Gelenksflächen) ungünstig zu stellen.
Ohne Behandlung schreitet die Caries meist
progressiv fort und richtet grosse Zerstörungen
an. Die Ursachen der Caries sind Verwun¬
dungen und Contusionen der Knochen, Ein¬
dringen fremder Körper, Fracturen, Entzün¬
dungen, Eiterungen und Brand in der Um¬
gebung der Knochen, die auf Periost und
Knochen übergreifen. Sie kommen daher am
häufigsten vor bei Nageltritten und anderen
Hufkrankheiten am Hufbein, an den Wirbel¬
knochen bei WiderriBtschäden, Genickbeulen
und Fisteln, in Folge von Gelenksentzün¬
dungen an den Gelenksflächen, ferner als
Begleiterscheinungen von Knochenkrankheiten
(Ostitis, Osteomyelitis, Periostitis, Sarkomen,
Carcinomen an den Knochen), von Rotz, Tu-
bercnlose und Scrophulose.
Behandlung: Bei Caries oberflächlich
ä ener Knochen ist es zweckmässig, alles
haft afficirte Knochengewebe auszuscha¬
ben bis an die Grenzen des gesunden, oder
man brennt die cariösen Stellen gründlich
mit dem weissglühenden Eisen aus, worauf
sich der Brandschorf abstösst und der Defect
durch Knochenneubildung ausgefüllt wird.
Wenn nach Abstossung des Schorfes sich noch
cariöse Stellen zeigen, so müssen diese noch¬
mals gebrannt werden. Wo man mit dem
Brenneisen nicht ankommen kann oder darf,
da wendet man zum Aetzen der cariösen
Stellen Chlorantimon, concentrirte Mineral¬
säuren und Alkalien, Kreosot und Carbol-
säure an. Cariöse Zähne, die leicht zu Ent¬
zündung der Alveolen, Zahnfisteln und Knochen¬
wucherungen führen, sind von vorneherein
durch Ausziehen zu entfernen.
Literatur: Chirurgie von Bert wi g etc. — Zünde 1,
Dictionraire. Scmmcr.
Cariespilz. Der muthmassliche Erzeuger
der Zahncaries oder desZahnfrasses,Leptothrix
buccalisRobin („Hist. nat. dcsvdgdt. parasit.,“
p. 345). Ein Spaltpilz (Fig. 298), welcher gleich
anderen Verwandten in mehreren Vegetations¬
formen vorkommt, u. zw. als langer, dünner,
oft scheinbar ungegliederter Faden, der mit¬
unter unregelmässige Schraubenwindung zeigt,
sodann als Stäbchen, Bacterien und Coccen.
Alle farblos, von 0*7—1*2 Mikr. Durchmesser
Bewimperte Schwärmer sind bis jetzt nicht
beobachtet. Nach Behandlung mit verdünnten
Säuren (Schwefel-, Salz-. Citronen-, Wein-,
Essigsäure) wird der Inhalt, aber nicht die
Membran, durch wässerige Jodlösung blau
CARILLO. — CARM1NATIVA.
65
gefärbt. Diese Reaction bleibt indessen zu¬
weilen aus. Der Pilz ist ein ständiger Be¬
wohner der Mundhöhle des Menschen, aller
Fleischfresser, des Schweines und mancher
Pflanzenfresser, woselbst er die Schleimhäute,
den Zahnschleiin etc. bewohnt; auch im Zahn¬
stein kann man ihn nach Entfernung des
Kalkes mittelst Säuren leicht nachweisen.
Gesunde, normale Zähne werden von Lepto-
thrix buccalis nicht angegriffen, wenn die¬
selben aber stellenweise verletzt, ihres
Schmelzes beraubt werden, so vermag der
Fig. 298. Leptothrix buccalis. A Colonie aus dem mensch¬
lichen Zahnschleim, aus Fäden und Coccen bestehend. B
Uariöser Zahn, Längsschnitt mit Nestern von Leptothrix.
C Zahncanälchen mit Leptothrix-Coccen und -Bacillen.
Pilz in die Zahnsubstanz einzudringen. Solche
Verletzungen geschehen häufig durch unvor¬
sichtige Behandlung der Zähne mit harten
und scharfen Gegenständen, namentlich häufig
bei Entfernung von Speiseresten oder Entfer¬
nung des Zahnsteines u. s. w. mit Metall¬
gegenständen. Ferner aber leiden in Folge
reichlicher Säurebildung durch Spaltpilze im
Munde bei nachlässiger Pflege und Mangel
an Reinlichkeit die Zähne durch diese Säuren
ausserordentlich; sie werden oberflächlich an¬
gefressen und so dem Cariespilz der Eintritt
ungemein erleichtert. Besonders nachtheilig
soll es, wie allgemein angenommen wird, sein,
Fleischreste zwischen den Zähnen nach den
Mahlzeiten nicht zu entfernen, da gerade Ei¬
weisssubstanzen für die Spaltpilze ein vorzüg¬
liches Ernährungsmaterial darstellen. Der
Pilz dringt nun überall, wo verletzte Zahn¬
oberflächen Vorkommen, in die Zahncanäl¬
chen ein, verbreitet sich in denselben durch
den ganzen Zahnkörper, erweitert schliesslich
Koch. Encyklopädie d. Thierheilkd. 11. Bd.
durch Säurebildung diese feinen Röhren, wo¬
bei häufig grosse kugelige, backofenartige
Höhlungen entstehen, die von Coccen und
Stäbchen ganz ausgefüllt werden, schliesslich
auch zu zwei oder mehreren oder noch grös¬
seren Massen verschmelzen. Gleichzeitig gehen
die eiweisshaltigen Bestandtheile des Zahnes,
insbesondere die Pulpa, in stinkende Zer¬
setzung über. Zuletzt bricht der morsch und
porös, cariös gewordene Zahn zusammen.
Impft man nach Lebert die Leptothrix buc¬
calis auf und in die Hornhaut, so entsteht
schwere Eiterung unter Entwicklung langer,
feiner, gegliederter Fäden und Ketten von
Bacillen. Harz.
Carillo studirte Thierheilkunde in Madrid
und war Lehrer an der Veterinärschule zu
Cordova. Semmer .
Carlier A., berühmt durch seine Werke
über Schafzucht: .,Traitö de betes ä laine”
zu Ende des XVIII. Jahrhunderts. Semmer
Carlin, s. Mops.
Carlina aucalia, stengellose Eberdistel
oder Eberwurz, eine prachtvolle Cjnaree un¬
serer Gebirge und Voralpen mit schnee-
weissem, strahlenden Hüllblättchen, einköpfig.
Früher war sie als
Radix Carlinae officinell und diente
in der Veterinärpraxis wegen ihres scharfen
ätherischen Oeles als ein Reizmittel für die
Haut (im Infus) und innerlich als drastisches
Abführmittel, besonders für Pferde (Ross¬
wurzel); die eröffnende Wirkung war jedoch
eine unsichere, die Wurzel musste daher
weichen, als die zuverlässige Aloö besser be¬
kannt wurde. Vogel.
CarUbader Salz, s. Karlsbader Salz.
Carmin, rother, wird der Farbstoff der
Cochenille (einer Schildlaus) genannt. Er
wird gewonnen, indem man die Cochenille
mit Wasser unter Zusatz von etwas Alaun
oder oxalsaurem Kali and Salpeter kocht und
die klare Flüssigkeit in einer flachen Schale
an der Luft stehen lässt. Er besteht aus
Canninsäure (C 17 H 18 0 10 ), verbunden mit
Spuren von Kalk und Thonerde, ist geruch-
und geschmacklos und leicht löslich in Am¬
moniak. Die ammoniakalische Lösung des
Carmin8 heisst auch flüssiger Carmin. Er
dient als Färbemittel, auch in der Mikro¬
skopie zum Tingiren bestimmter Gewebs-
bestandtheile, ferner als Schminke. Durch vor¬
sichtiges Erhitzen von trockenem Carmin er¬
hält man ein dunkel purpurrothes, violettes
sehr beständiges Pulver, welches als gebrann-,
ter Carmin in den Handel kommt. Loebisch.
Carminativa nennt man von altersher
jene Arzneistofle, welche geeignet sind, über¬
mässige Mengen im Darme gebildeter Gase
(Blähungen, Flatus) zu beseitigen. Haupt¬
sächlich handelt es sich hier um Kohlen¬
säure, neben welcher jedoch in pathologi¬
schen Zuständen auch andere Gase, Kohlen¬
wasserstoff, Schwefel- und Phosphorwasser¬
stoff, auftreten können. Solche blähungtrei¬
bende, carminative Mittel haben dann die
Aufgabe, die Gase mechanisch oder chemisch
zu binden, zu absorbiren, wohin die kohlen
jitizechby
Google
66
C ARMINTIN CTION. — CARPALKNOCHEN.
sauren Alkalien, die Kohle u. s. w. gehören
oder deren Entwicklung zu hintertreiben —
Antiseptica: Benzin, Terpentinöl. Erdöl, Bitter¬
stoffe, Salzsäure— und die schon gebildeten
Luftarten dadurch auszutreiben, dass durch
Reizmittel die peristaltische Bewegung an¬
geregt und beschleunigt wird. In diese letz¬
tere Kategorie gehören besonders die Gewürz -
Stoffe und ätherischen Oele (Aromatica, Ter¬
pene und Kampherarten), wie Kamillen,
Fenchel, Anis, Kümmel, Pfefferminze, Quendel,
Thymian, Radix Calami und Pvrethri, Absinth,
Ingwer, Zimmtim Aufguss, dann Ammoniak,
Kampher, Aether, Hoffmann’s Tropfen u. s. w. VI.
Carmf ntinction, s. Mikroskopische Technik.
Carnification der Lungen (v. caro, Fleisch,
und facere, machen), Carnificatio pulmonum,
ein Zustand, wo die Lungen durch Compres-
sion von im Thorax angehäuften Exsudaten,
eingedrungene Luft, Neubildungen etc. oder
durch aufgehobenen Luftzutritt durch Ver¬
schluss der zuführenden Bronchien vollkom¬
men luftleer (atelektatiscli) werden, collabiren
und eine fleischähnliche Farbe und Beschaf¬
fenheit annehmen. Die Carnification der Lun¬
gen ist entweder angeboren (hei todtgebornen
Früchten) oder im späteren Leben entstanden
und betrifft die ganze Lunge oder nur ein¬
zelne Theile derselben. Semmer.
Carnivorus (caro, camis, f., Fleisch, und
vorare, fressen), fleischfressend. Der Ausdruck
Camivoren dient zur Bezeichnung aller fleisch¬
fressenden Thierarten; auch gewisse Pflanzen-
arten, welche Eiweissverdauungsvermögen be¬
sitzen und sich von Insecten etc. nähren,
werden carnivore Pflanzen genannt. Sussdorf
Carolaisisches Rind. Ein Name, welcher
häufig den Rindern von Ariegc (s. d.) und
denen der Ost-Pyrenäen beigelegt wird. Nn.
Carossiers, s. Kutschpferd.
Carotis, richtiger Karotis, sc. Art., die
Kopfarterie, leitet ihren Namen von der irri¬
gen Ansicht her, dass Compression dieser Ar¬
terie einen soporartigen Schlaf, 6 xotpo? der
Griechen, erzeuge. Daher sie auch von Ve-
salius A. soporifera genannt wird. Andere
leiten den Namen von vj xapa, Kopf. ab. Ihren
Verlauf und Theilung 8. Blutgefässe. Sf.
Carotiadriise, Glandula carotica, Ganglion
intercaroticum, wurde von Luschka ein hanf-
bis linsen- oder gurkenkerngrosses derbes,
zuweilen körniges Organ von rüthlieher Farbe
genannt, welches der medialen Fläche der
Carotis communis des Menschen und vieler
Säugethiere in nächster Nähe von deren
Theilungsstelle anliegt. Dasselbe ist nach dem
Vorgänge J. Amold’s als verkümmerter Rest
embryonaler Gefässausbreitungen (Kiemen-
gefässe) zu deuten. Andere finden darin wegen
des Vorkommens reicher Mengen von Gang¬
lienzellen ein nervöses Organ. Heppner schil¬
dert dasselbe aus einer Bindegewebskapsel
und bindegewebigem Stroma zusammengesetzt,
in dessen rundlichen Maschen „Drüsenballen“
von lappigem Bau und gewöhnlich von einem
Arterienstämmchen durchzogen gelagert sind.
Bräunliche „Drüsenkörner“, von fein gra-
riulirter Molecularmasse erfüllt, fügen die
Läppchen und Ballen zusammen. In dem
Hüllstroma finden sich Netze cerebrospinaler
und sympathischer Nervenfasern, die einzelne
und ganze Gruppen von Ganglienzellen ent¬
halten. Die Carotisdrtise ist wie die Thymus
und Thyreoidea als eine aus dem Epithel
einer Kiemenspalte sich entwickelnde Drüse
aufzufassen. Sussdorf
Carpalknochen, Vorderfusswurzel, Vorder¬
knieknochen, Ossa carpi, sind sieben oder acht
Knöchelchen, welche das solide, doch sehr be¬
wegliche Bindestück zwischen den Vorarm- und
Mittelfussknochen darstellen. Sie entsprechen den
Handwurzelknochen des Menschen und sind bei
den verschiedenen Thieren sehr ungleich geformt
und entwickelt. Die Carpalknochen sind in zwei
übereinander liegenden Reihen angeordnet: die
Vorarm- oder Radialreihe und die Schienbein¬
oder Metacarpalreihe. Während letztere mit
dem Schienbein durch ein straffes Gelenk zu
einem Ganzen verbunden ist, kann die Radial¬
reihe als ein knöcherner, zersplitterter Menis¬
cus, ähnlich einem Zwischengelenkknorpel, auf¬
gefasst werden, indem sie sowohl nach auf- als
nach abwärts wechselgelenkig verbunden ist.
Gewöhnlich sind in jeder Reihe vier Knochen,
wobei aber ein oder zwei solcher mehr als Seh-
samknochen anzusehen sind. Die Nomenclatur ist
leider bis heute noch keine einheitliche. Schwab
benannte die Knochen nach ihrer Form beim
Pferd, Gurlt nach der Anatomie des Menschen.
Gegenbauer nach ihrer Lagerung und Bedeu¬
tung. Sie heissen beim Pferd,
obere Reihe, von innen begonnen:
n. Schwab
würfelförmiges
Bein
keilförmiges
Bein
vieleckiges
Bein
Hakenbein
n. Garlt
Os naviculare
Os semilunare
Os triquetrum
n. Gegenbauer
Os carpi ra¬
diale
Os interme-
dium
Os carpiulnare
Os pisiforme Os acccesso-
rium
untere Reihe, medial begonnen:
n. Schwab
erbsenför¬
miges Bein
halbmond¬
förmiges Bein
kahnförmiges
Bein
kugelförmiges
Bein
n. Gurlt
Os multangu-
lum majus
Os multangu-
lum migus
Os capitatum
Os haraatum
n. Gegenbauer
Os carpale
primuru
Os carpale
secundum
Os carpale
tertium
Os carpale
quartum
Das erbsenförmige Bein fehlt dem Pferd
meistens und wird vom innem langen Seitenband
eingeschlossen; das Hakenbein ist der Sehnen¬
knochen von den beiden Mittelfussbeugemuskeln
M. extensor carpi ulnaris und M. flexor carpi
ulnaris, so dass nur sechs Knochen die Last
auf das Schienbein übertragen. Die Aufeinander¬
lagerung der Knochen ist im Allgemeinen der¬
art, dass ein unterer Knochen zwei obere unter¬
stützt, und die Richtung der Gelenksflächen
weist daraufhin, dass die Knochen durch die
Belastung auseinander gedrängt werden können,
was allerdings durch die zahlreichen Zwischen-
CARPOGONIUM.
CARROUSSEL.
67
knockenbänder beschränkt wird. Darin liegt
die Elasticität des Vorderknies, welche beim
Pferd beträchtlich, dagegen bei den mehrzelligen
Thieren weniger noth wendig ist, weil sie vom
Unterfuss geboten wird. So sind beim Rind
zwei Knochen in der unteren Reihe (halbmond¬
förmiges und Kahnbein), bei den Fleischfressern
zwei in der oberen Reihe (würfelförmiges Bein und
Keilbein) miteinander verwachsen. Die oberen
und unteren Gelenksflächeu sind gross, die seit¬
lichen klein, unterbrochen. Die vorderen Flächen
sind ziemlich eben, breit; die hinteren schmal
und höckerig. Die Hakenbeine stehen nach
rückwärts rechtwinkelig ab, sind bei Pferd und
Schwein seitlich zusammengedrückt, blattför¬
mig, beim Rind und den Fleischfressern cylin-
drisch. Die Vögel besitzen zwei Handwurzel¬
knochen. Zschokke.
Carpogonium, wohl auch Archicarpium,
die weibliche Zelle oder der weibliche Zellen-
complex bei kryptogamischen Pflanzen; so bei
Pilzen (Flechten), Algen, Moosen und Far¬
nen etc.; bei den beiden letzteren ist es die
Eizelle des Archegoniums. Im Uebrigen ist
Carpogonium meist gleichbedeutend genommen
mit Ascogonium. Harz.
Carpospongus (abgel. von 6 xapscoc, Hand¬
wurzel, und 6 orcoy yo», Pilz, Schwamm), Vor-
derfusswurzel- (Knie-) Schwamm. Sussdorf.
Carpus, richtiger Karpos, 6 xap^os, die
Hand- oder Vorderfusswurzel, der von dem
griechischen xapcpsiv, zusaramenziehcn, ein¬
schrumpfen, dann auch zusamraenlesen, fassen,
greifen, abzuleitende technische Name des
aus 6—8 Knochen zusammengesetzten obersten
Theiies der Hand, resp. Vorderfusses. Man
kann den Ausdruck Karpos direct mit der
greifenden Thätigkeit der menschlichen Hand
in Verbindung bringen. Man kann jedoch bei
dieser Ableitung auch an die gegen den
Unterarm und die Mittelhand etwas einge-
gezogene Contour der Handwurzelpartie
denken. Sussdorf.
Carracciolo, italienischer Schriftsteller
über Hippologie und Hippiatrik im XVII. Jahr¬
hundert. Ableitner.
Carragheenmoo8 oder irländisches Perl¬
moos (Chondrus crispus und mamillosus), zwei
Meeralgen, die im getrockneten Zustande eine
lappige, hornartig durchscheinende lockere
Masse bilden, welche sich beim Kochen fast
ganz in Schleim auflöst und sehr stärkereich
ist. Die in grossen Massen an den nördlichen
und westlichen Küsten Irlands wachsenden
Pflanzen dienen wie die Renthierflechte und
das isländische Moos gelegentlich zur Fütte¬
rung des Rindviehes. Das Carragheenmoos ist
aber stickstoffreicher als die letztge¬
nannten beiden Pflanzen: es enthält 81*2%
Trockensubstanz, 9 * 4 % Protein, 55 * 5 % stick¬
stofffreie ExtractstofFe (Lichenin),2*2% Holz¬
faser und 44*2% Asche. Es dient auch als
menschliches Nahrungsmittel, als lösendes,
reizstillendes Heilmittel (es enthält etwas Jod)
und zu verschiedenen technischen Zwecken. Pt.
Carriere ist die schnellste Bewegungsart
des Pferdes, welche man im deutschen auch
mit dem Namen „Rennlauf 11 bezeichnet und
bei der man im Gegensätze zum gewöhn¬
lichen Galopp nicht drei, sondern nur zwei Huf¬
schläge hört (s. Gangarten). Leckner.
Carriere gab 1837 heraus seine: „Traitö
sur la maladie des betes ä laine connue sous
le nom de cachexie aqueuse ou pourriture.“ Sr.
Carr0U88el, auch Carrussel, franz. car-
rousel, ital. carosöllo, stammt wahrscheinlich
vom lateinischen carrus, der Wagen, und
sella, der Reitsattel, ab, nannte man im Mittel-
alter die Wettstreite der Ritter im Fahren,
Ringstechen, Scheibenwerfen, Stossen u. s. w.,
welche bei festlichen Veranlassungen an den
Höfen der Fürsten mit vielem Aufwande und
grossem Pomp gehalten wurden. Diese Spiele
sind sehr alt; am fränkischen Hofe werden
sie zuerst 842 erwähnt, wo Karl der Kahle
und Ludwig der Deutsche zum Zeichen ihrer
Versöhnung Carroussels durch die ritterliche
Jugend halten Hessen. Später wurden sie
durch die Turniere verdrängt, traten aber wieder
an deren Stelle, als diese mit der alten Ritter¬
schaft allmälig in Verfall kamen. Wie bei
den Turnieren ward später auch beim Car-
roussel von Damen, welche sich zuweilen
selbst, in Wägen sitzend und nach Ringen
stechend, am Spiele betheiligten, dem Sieger
mit dem Kranze der Preis ertheilt. Die
Schönheit und Geschicklichkeit der Pferde,
die geschmackvolle Anordnung, die Costttmi-
rung der Reiter und Pferde, verbunden
mit einer guten Musik, bestimmen den
Werth eines Carroussels, welches noch
immer als Glanzpunkt der Feste bei grossen
Feierlichkeiten erscheint. Anbei folgt ein
Carrousselplan: Nach dem unter den Klängen
eines Marsches erfolgten Einzug und den
Fig. 299. Flan eines C’arreusselä.
68
CARROUSSELREITEN. — CARUM CARVI.
üblichen Ehrenbezeigungen vor den höchsten
Anwesenden sprengt entweder ein Reiter
allein sein Pferd in den Galopp rechts an
oder zwei zugleich, der eine rechts, der an¬
dere links galoppirend, und reiten nach den
aufgehangenen Ringen (Fig. 899, 1 und 1), um
sie mit den Lanzen herunterzunehmen und im
Galopp einem aufgestellten Knappen oder
Diener abzugeben. Die aufgestellten Köpfe
von Pappe (II und 2) werden mittelst eines
kurzen Lanzenstosses vom Reiter ange-
spiesst, welcher hierauf in kleiner Volte
den aufgestellten Knappen umreitet und sich
aus dessen Hand im Vorüberreiten den Wurf¬
spiss überreichen lässt, um diesen kräftig auf
die Scheibe (III und 3) zu werfen. Ist man
hierauf dem Kopfe von Pappe (II und 2) auf
8—10 Schritte nahe gekommen, so feuert man
ein blind geladenes Pistol auf ihn ab, der
durch den Anprall des Papierpfropfens zur Erde
fällt. Der Reiter zieht hierauf den Säbel und
haut mit gutem Augenmasse nach den rechts
und links aufgestellten Köpfen (IV und 4).
Nach den Köpfen V und 5 kann mit dem
Säbel oder Degen gestochen werden. Mit
den vorüberreitenden Gegnern werden Hiebe
mit flacher Klinge gewechselt Noch auf die
verschiedenste Weise kann das Carroussel
anziehend gemacht werden. Beim Carrous¬
sel wird meistens im Galopp, verbunden mit
Renngalopp geritten, öfters kann im Galopp
gewechselt und dann und wann parirt werden.
Das Abreiten erfolgt nach den üblichen Ehren¬
bezeigungen. Im Jahre 1879 wurde zu Ehren der
goldenen Hochzeit des deutschen Kaiserpaares
zu Berlin ein glänzendes Reiterfest, ein Car¬
roussel abgehalten. Die Herren waren durch¬
wegs Cavallerie-Officiere, u. zw. die besten
Reiter der preussischen Armee, die Damen
Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft.
Im April 1880 fanden drei Carrousselvor-
stellungen zu Ehren der silbernen Hochzeit
des österreichischen Kaiserpaares für die
Armen Mährens, Schlesiens, Istriens, Dal¬
matiens, Galiziens und der Stadt Wien statt
und zeichneten sich durch ihren glänzenden
Verlauf aus. Der Gang der Vorstellungen war
folgender: Während aas Musikcorps über der
Kaiserloge den Einzugsmarsch intonirte, flogen
die Thüren der Manfcge auf und an der
Spitze des Zuges erschien der Herold, hinter
ihm vier weitere Herolde mit den Wappen
jener Kronländer, für welche der Ertrag des
Festes bestimmt war, dann folgten die be¬
rittenen Reisigen und die Jäger zu Pferde,
ferners die Hirschjagd mit mehreren Cava-
lieren zu Pferd, drei Koppeln edler Jagdhunde
und Jägern zuPferd und zu Fuss, die Gems-
jagd mit Cavalieren auf Ponies, Trommlern
und Pfeifern, sowie Jägern — gebürt. Tirolern
— zu Fass. Nun erschien die Falkenjagd,
bestehend aus 12 Damen und 12 Herren, und
die Wildschweinjagd, beide gefolgt von einem
Cortfege von Cavalieren. Die Nachhut bestand
aus berittenen Reisigen und Jägern zu Pferde.
Im Zuge befanden sich prächtige zwei- und
vierspännige Galawagen und ein vierspänniger
Wildwagen. Nachdem der Zug die Manage
verlassen, erschienen die Falkenjäger, um
eine Quadrille im Schulgalopp auszuführen.
Die • 12 Paare bestanden aus hohen und
höchsten Personen. Die zweite Piöce war das
Reiten der Herren, welches aus complicirten
Figuren bestand und brillant ausfiel. Es
folgte die Quadrille der Herolde, geritten in
den Gängen der hohen Schule. Das nun
folgende Reiten der Reisigen — 24 Garde¬
reiter auf trefflichen Lipizzanerschimmeln —
und Jäger — 24 Unterofficiere des zweiten
Uhlanen- und sechsten Husarenregimentes auf
ihren Dienstpferden — war wohl die schönste
Pifcce und erregte allgemeine Bewunderung.
Hierauf folgte ein Carrousselfahren von acht
Zweispännern, gelenkt von den besten Wagen¬
führern. Das nun folgende Vierspännerfahren
zeigte die berühmtesten Viererkutscher der
Welt, welche dieselben leiteten. Den Schluss
bildete ein Kopfcarroussel, in dem 47 der
besten Reiter die aufgestellten Hürden nahmen
und die aufgesteckten Thierköpfe während
des Galoppirens theils herunterhieben, theils
mit der Lanze herunterstachen. Aehnliche
Carrousselreiten finden gar nicht selten auch
bei Cavallerieregimentem statt, welche zur
Feier des 25-, 50-, 100- oder 200jährigen
Jubiläums des bestehenden Regimentes aus¬
geführt werden.
Zu Volks- und Kinderbelustigungen ist
gegenwärtig das Carroussel eine Vorrichtung,
bei welcher auf Messen, Jahrmärkten etc.
hölzerne Pferde, Wägen etc. an das Ende von
kreuzweise übereinander gelegten Balken be¬
festigt sind, so dass sie sich horizontal um
den Mittelpunkt drehen lassen (sog. Ringel¬
spiel): Apparate zum Ringstechen sind auch
zuweilen angebracht. Ableitner.
Carrousselreiten ist die schulgerechte
Ausführung künstlicher Figuren durch Reiter
und Reiterinnen auf Pferden, welche in neuerer
Zeit nicht selten zur Ausführung kommen
und einen wesentlichen Theil des Carroussels
ausmachen. Ableitner.
Cart-horse, s. Englisches Karrenpferd.
Cartflago, -inis, f., Knorpel, davon carti-
lagineus und cartilaginosus, knorpelig, ist in
der lateinischen Nomenclatur zahlreicher
Knorpel des Körpers in Verwendung. Die¬
selben finden bei den betreffenden Apparaten etc.
ihre Besprechung. Sussdorf.
Cartwright, englischer thierärztlicher
Schriftsteller und Mitarbeiter am „Veterina-
rian.“ Semmer.
Carum Carvi L., gemeiner Kütnmel,
V. CI., 2. O., ein zweijähriges Kraut aus der
Familie der Umbelliferen, mit spindelförmiger
Pfahlwurzel, aufrechtem, verzweigtem, 50 bis
60 cm hohem Stengel. Blätter doppelt gefiedert.
Blättchen fiederspaltig mit linealischen Zipfeln,
die untersten Paare an dem gemeinschaft¬
lichen Blattstiel kreuzweise gestellt. Dolden
mit 8 — 10 Strahlen, ohne Hülle oder mit
1—2 kleinen, linealen Deckblättchen. Blumen¬
krone weiss oder röthlich, Blüthe: Mai, Juni,
Reife: Juni, August. Theilfrüchtchen gewöhn¬
lich etwas gekrümmt mit fiinf deutlichen,
fadenförmigen Rippen. In reinem Bestände
CARUNCULA. — CASElN.
69
wird der Kümmel als Futterpflanze nicht ge¬
baut, dagegen säet man gerne eine kleine Menge
(4—8 kg per Hektar) davon auf Wiesen und
Weiden aus, auf denen er sich durch mehrere
Jahre erhält, sobald die Samenbildung ver¬
hindert wird. Der Kümmel wird von den
Thieren gerne gefressen, er soll die Milch-
secretion befördern, die Verdauungsorgane
stärken und das Aufblähen der Thiere ver¬
hindern. v. Liebenberg .
Fructus Carvi, Semen Carvi, Semen
Cumini pratensis, Wiesenkümmel (Cumin des
prfes, caraway-seeds, semi di carvo). Einzig
wirksam ist das officinelle ätherische Oel
Oleum Carvi. das, in Weingeist lös¬
lich, isomer mit Terpentinöl ist und aus den
beiden Stoffen Carven und Carvol besteht;
es ist reichlich namentlich in den Früchten
höherer Lage und nördlichen Klimas bis
zu 7% enthaltend und daher neben dem
Terpentinöl eines der wohlfeilsten Oleo-
aetherea der Veterinärmedicin. Dem Fenchel
ähnlich veranlasst Kümmel in Folge des län¬
ger andauernden Reizes auf den Darmcanal
eine reichlichere Durchblutung des Darmrohres
und deswegen lebhaftere Peristaltik und Ab¬
sonderung, demzufolge steht er auch im
Rufe eines kräftigen, Blähungen abtreibenden
Mittels (Carminativum, s. d.) sowohl, als eines
die Verdauung belebenden Aromaticums, das
zugleich, wie viele Umbelliflorae, mit Bier als
Galactogogum vom Volke benützt wird: die
Hebung der Verdauung liegt letzterer Wirkung
hauptsächlich zu Grunde. Aber auch in der
Pferde- und Rinderpraxis hat sich Kümmel
recht beliebt gemacht bei Indigestion, Wind¬
koliken und anderen Flatulenzen, trägem Mist-
absatze, geringen Wanstcontractionen u. dgl.;
Pferden gibt man das Pulver 40*0—20*0,
Rindern 30*0—100*0, Schafen, Schweinen
5*0—15 0, Hunden 1—2 Tropfen des äthe¬
rischen Oeles mit Zuckermehl oder einige
Gramm des Pulvers im Aufguss, mit kleinen
Gaben Aloe, Glaubersalz, Terpentinöl, in
dringenden Fällen als Thee zu 3—5% mit
Spiritus, Ammoniak, Asa foetida, Schwefelleber,
meist aber mit Kochsalz auf dem Futter oder
Brot. Den kleinen Hausthieren sind grössere
Gaben des Oleum Carvi gefährlich, dem Un¬
geziefer schon zu wenigen Tropfen tödtlich.
Der Hund stirbt auf 4*0. Römischer Kümmel
s. Cuminum Cyminum. Vogel.
Carunenla (lat. Diminutivum von caro,
Fleisch), das Fleischwärzchen, überhaupt jede
warzenartige Erhebung einer Oberfläche; so
in Caruncula lacrimalis, Thränenkarun-
kel, C. sublingualis, Hungerwarze oder
Hungerzize mit der Ausmündungsöffnung des
Ductus Whartonianu8 und D. Bartholinianus
am Boden der Maulhöhle; endlich C. uteri,
die Fruchthälterwarze. Sussdorf.
Caruncula lacryraalis, s. Thränenapparat.
Caryophyllatawurzel, Nelken- oder Bene-
«lictenwurzel, Radix Caryophyllatae, s. die
Stammpflanze Geum urbanum. Vogel.
Caryophyllin, C^H^O*, eine in den Ge¬
würznelken vorkomraende Substanz von neu¬
traler Reaction, ohne Geruch und Geschmack,
unlöslich in Wasser, löslich in kochendem
Weingeist, aus welchem sie in Nadeln beim
Erkalten auskrystallisirt. Von concentrirter
Schwefelsäure wird das Caryophyllin mitrosen-
rother, dann blutrother Farbe gelöst. Loebisch
Casanova B., von 1796—1822 Professor
an der Veterinärschule zu Turin, schrieb über
Räude 1821. Semmer.
Cascarilla, Cascarillrinde, die Rinde
wohlriechenden Crotons, der Euphorbiacee
Croton Elutheria, eines Strauches in West¬
indien. Die wirksamen Bestandteile sind
Gerbsäure, 1—3% ätherisches Oel und ein
Bitterstoff Cascarillin, dem Salicin nahe ver¬
wandt. Vermöge dieser Bestandtheile ge¬
staltet sich die angenehm riechende, gewürz¬
hafte, bitter schmeckende Rinde, welche als
Cortex Cascarillae in der österreichi¬
schen Pharmakopöe (Ph. A.) officinell aufge¬
führt wird, zu einem tonisireuden Araaro-
aromaticum, das den Uebergang der China
zu den Würzstoffen bildet und so bei Atonien
des Magendarmcanals zur Hebung des Appe¬
tites, Beschleunigung der Reconvalescenz nach
erschöpfenden Krankheiten dient. Das Stoma-
chicum hat bis jetzt in der Veterinärmedicin
wenig Anklang gefunden, und liegen daher
keine weiteren Erfahrungen vor; als Tonicum
muss ihm jedenfalls die Chinarinde vorge¬
zogen werden, und was die zweite Wirkung
betrifft, so besitzen wir an unseren einheimi¬
schen bitteraromatischen Pflanzenstoffen wohl¬
feilere Mittel; doch wird die angenehme
Tinctura Cascarillae (Ph. A. 1:5
Spiritus) in der Hundepraxis von manchen
Praktikern den magenstärkenden Mixturen zu
20—60 Tropfen mit Vorliebe beigegeben.
Dosis der Rinde bei Pferden 10*0—20*0. VI.
CaseYn, Käsestoff, wird eine eiweiss¬
artige Substanz genannt, welche die Haupt¬
menge der in der Milch der Säugethiere vor¬
kommenden Eiweisskörper bildet, u. zw. fin¬
det sich das Casein in der frischen Milch
aufgelöst und zeigt in seinen chemischen
Eigenschaften grosse Aehnlichkeit mit dem
durch freies Alkali veränderten Eiweiss, mit
dem sogenannten Kalialbuminat; es gerinnt
nicht beim Kochen seiner Lösung, also beim
Kochen der Milch, hingegen scheidet es sich
beim Abdampfen derselben auf der Ober¬
fläche als eine Haut ab, die, wenn sie ent¬
ferntwird, sich immer wieder erneuert; ebenso
wie Kalialbuminat wird auch Casein aus sei¬
nen Lösungen durch verdünnte Säuren ge¬
fällt. Es scheiden verdünnte Essigsäure und
Milchsäure das Casein aus der Milch aus,
ebenso die verdünnten Mineralsäuren; m einem
Ueberschuss von Essigsäure wird jedoch das
Casein wieder gelöst. Ausser durch Säuren
wird das Casein auch durch Kälberlab —
Labmagen, der vierte oder eigentliche Magen
des Kalbes — gefällt, und dieses Fällungs¬
mittel ist es, mit welchem das Casein bei der
Käsebereitung aus der abgerahmten Milch
abgeschieden wird. Die Fällbarkeit des Ca¬
seins durch Kälberlab, d. h. durch ein unor-
ganisirtes Ferment — Labferment — wird
von einigen Chemikern als Unterschied zwi-
70
CASPISCH-TATARISCHES PFERD. — CASSIA ANGUSTIFOLIA.
sehen Kalialbnminat und Casein geltend ge¬
macht, jedoch hält Soxhlet beide Substan¬
zen für identisch. Dieser ist der Ansicht,
dass auch bei der Fällung durch Lab die
Milchsäure derjenige Stoff ist, welcher das
Casein in den unlöslichen Zustand überführt.
Nasse zeigte jedoch, dass das Casein sein
charakteristisches Verhalten in der Milch
nicht der Gegenwart von Alkalisalzen, son¬
dern der von Erdphosphaten verdankt, und
dass die Gerinnung einer Caseinlösung durch
das specifische Labferment auch bei Ab¬
wesenheit von Milchzucker, bezw. Milchsäure
eintritt. Für einen Unterschied zwischen
Milchcasein und Kalialbuminat sprechen auch
die Ergebnisse neuerer Untersuchungen; so
zeigte unter Anderen 0. Hammarsten, dass
das durch Säuren gefällte Casein von we¬
sentlich anderer Beschaffenheit ist, als das
durch Lab gefällte, er zeigte, dass bei der
Caseinfällung durch Lab den Kalksalzen eine
bestimmte Rolle zukommt. Das aus der Milch
in irgend einer Weise ausgeschiedene Casein
schliesst stets den gesammten Fettgehalt der
Milch ein. Will man demnach chemisch rei¬
nes Casein darstellen, so muss dieses durch
Ausziehen mit Aether vom Fett befreit wer¬
den. Hoppe-Seyler und Lubavin fanden über¬
dies in dem Milchcasein als beständigen Be
standtheil einen den Zellkernen eigenthüm-
lichen, der Einwirkung der Verdauungssäfte
widerstehenden Stoff, das Nuclein. In der
chemischen Zusammensetzung scheint das
Casein in der Milch der verschiedenen Säuger
gleich zu sein. Es enthält C 53*47%,
H 7*13%, N 15*83% und einen Gehalt
an Schwefel von 0*8—1*1%. In Bezug auf
die Fällbarkeit des Caseins aus der Milch
ist bekannt, dass es aus der Milch der Kuh
in derben Flocken ausfällt, hingegen aus der
Milch der Stute und der Eselin in dünnen,
zarten Fäden, so wie aus der Frauenmilch;
da nun im Magen die zarten Fäden des
Stuten-Caseins vom Magensaft leichter an¬
gegriffen und gelöst werden, als die derben
Flocken des Caseins der Kuhmilch, so hält
man die Stutenmilch für ein besseres Surrogat
der Frauenmilch als die Kuhmilch. Das Ca¬
sein wird hauptsächlich in der Form von Käse
als Nahrungsmittel verwerthet. In der Chirur¬
gie benützt man eine Mischung von Kalk
und Käse zur Bereitung von permanenten
Verbänden ähnlich dem Gypsverband. LA.
Caspisch-tatarisches Pferd soll von den
wilden tatarischen Rossen abstammen und
wird jetzt von den Kaufmännischen Tataren
gezüchtet, welche an der Westküste des caspi-
schen Sees wohnen. Es ist ein Thier von
geringer Grösse, aber gut, kräftig gebaut,
besitzt einen zierlichen Kopf mit schwach ge¬
wölbtem Nasenrücken und kleinen, feinen
Ohren. Sein Hals ist ziemlich kurz und etwas
tief aufgesetzt, der Leib gestreckt, die Brust
breit, die Lenden sind kräftig, der Rücken
mit stark hervortretendem Widerriste ist
scharf und das hohe Kreuz leidlich gut ab¬
gerundet. Diese Pferde besitzen feine, trockene
Beine mit starken Sprunggelenken, langen
Unterfüssen und schön geformten Hufen. Nach
Fitzinger sind fast alle Pferde dieser Rasse
kühn, unerschrocken und vortreffliche Schwim¬
mer; auch rühmt man ihre grosse Ausdauer
im Dienst. Ihr Gang ist hart, besonders breit
gestellt werden die Beine beim Traben. Auf
den heimatlichen Weiden finden sie fast
überall Salz, welches sie vom Boden ab¬
lecken und sie sollen an anderen Orten, wo
solches fehlt, nicht gut gedeihen. Die Schnel¬
ligkeit dieser Pferde soll erstaunlich gross
sein. Frey tag.
Cassia acutifolia oder lenitiva (Senna
acutifolia), sowie eine zweite Senna-Cassie, die
Cassia angustifolia, bilden miteinander
die bekannten Sennesblätter. Beide Cassia-
arten, zu denen sich auch die Cassia obovata
gesellt, sind wildwachsende krautähnliche Ge¬
wächse, welche den Leguminosen (Cäsalpineen
L. X.) an gehören. Die erstere wächst beson¬
ders in Oberägypten und Nubien und kommt
über Alexandria nach Europa, ist deswegen
auch unter dem Namen der
Alexandrinischen Senna bekannt.
Die Fliederblättchen sind lederartig, spitz, ei¬
förmig, oben grün, unterseits bläulichgrün,
am Rande gewimpert und von den sehr ähn¬
lichen Arghelblättern der Solenostemma Ar¬
ghel mehr oder weniger durchmischt, die aber
nicht purgiren; man erkennt sie daran, dass
sie mehr graulichgrün sind, dicker, runzelig
und einnervig. Die indischen oder
Tinnivelly-Sennesblätter der zweiten
oben genannten Senna-Cassie sind ebenfalls
sehr wirksam, obwohl sie früher verpönt waren,
nur dürfen sie nicht älteren Datums sein, was
man an der bräunlichen, gelblichen Farbe
(statt der grünen) leicht erkennen kann. Offi-
cinell sind beide als
Folia Sennae und bekannt als eines
der ältesten und gebräuchlichsten Abführ¬
mittel; wirksam ist fast ausschliesslich die in
Wasser lösliche glykosidische Cathartinsäure,
welche hauptsächlich an Calcium und Magne¬
sium gebunden ist und sich ausserordentlich
leicht zersetzt, die Blätter verlieren daher
durch Liegen wesentlich an Wirksamkeit.
Das Sennakrol und Sennapikrin sind nur
Bitterstoffe, ausserdem ist ein Farbstoff ent¬
halten und das süsse Cathartomannit. Obwohl
nun die Sennesblätter bei allen Hausthieren
durch starke Erregung der Peristaltik dra¬
stisch abführen, finden sie doch nur Anwen¬
dung bei Schweinen und in der Hundepraxi s.
und auch hier. ist das Mittel wegen des
widerwärtigen bitteren Geschmackes und unan¬
genehmen Geruches schwer einzugeben und
erregt leicht Erbrechen: dagegen hat es den
grossen Vortheil, dass mit grosser Zuverlässig¬
keit eine breiige, viel Wasser enthaltende und
schmerzlose Darmentleerung erfolgt, welcher
der andauernden aber ungefährlichen Reizung
des Dickdarms wegen keine Verstopfung nach¬
folgt, wie z. B. den salinischen Laxantien
und dem Rheum; auch verdienen die Sennes¬
blätter den Vorzug da, wo man es mit grosser
Indifferenz des Darmcanals, habituellen Ver¬
stopfungen zu thun oder es zugleich auf Ent-
CASTAGNOLE.
fernung hydropischer Ergüsse abgesehen hat.
Am einfachsten gibt man das billige
Pulvis Foliorum Scnnae mit etwas
Manna oder Bittersalz, u. zw. kleinen Hunden
zu 2 * 0—5 * 0, grossen 8 * 0— 1 2 * 0, Schweinen bis
zu 15*0; die Wirkung erfolgt bei mittlerer
Dosirung in mehreren Stunden, noch schneller,
wenn man nur den kalten Aufguss der Blätter,
über Nacht gestanden und morgens eingegeben,
verwendet und 1—2 Tropfen concentrirte Salz¬
säure hinzugibt, die sowohl den Geschmack
verbessert, als den Schlusseffect erhöht Sehr
beliebt ist auch das
Wiener Tränkchen, InfusumSennae
compositum, Aqua laxativa Yiennensis
(5 Blätter auf 30 Wasser und 10 Manna,
nach der Ph. G. auch 5 Natro-Kalium tarta-
ricum); man gibt jede Stunde einen Esslöffel
voll, bis Wirkung eiugetreten. Besser schme¬
ckend ist
Syrupus Sennae, der mit Fenchel,
Zucker und Spiritus bereitet wird und entwe¬
der Hunden und Katzen löffelweise oder als
Zusatz in anderen Mixturen gereicht wird.
Das reine purgirende Princip,
Acidum catharticum e Senna, hat
sich bei meinen Versuchen an Hunden, selbst
subcutan angewendet, nicht als brauchbar er¬
wiesen. Vogel.
Castagnole. Brama Raji Bl. Schn. Fisch
aus der Unterclasse der Knochenfische, Te-
leostei, Ordnung der Stachelflosser, Acantho-
pterygii, Familie der Makrelen, Scombridae.
Gattung Brama. Der Fisch wird 50—70 cm
lang, hat einen hohen, seitlich comprimirten
Körper, kleine Schuppen und tief gegabelten
Schwanz, der stacheltragende Theil der
Rückenflosse ist klein, der folgende Abschnitt
lang und im Beginn hoch. Die Farbe matt
silberfarbig. Im Mittelmeere und an der ost¬
atlantischen Küste vom Cap der guten Hoff¬
nung bis in die Nordsee. Das Fleisch wird
geschätzt. Studer.
Caatley (1781—1833), studirte Thierarz¬
neikunde in London, schrieb viele Aufsätze
im „Veterinarian.“ Semmtr.
Caatoreum, das Präputialsecret des Bi¬
bers, Bibergeil, enthält hauptsächlich Fette,
Ammoniakbasen und Benzoösäure, auch etwas
Phenol und wurde ähnlich dem Baldrian oder
Moschus beim Menschen früher vielfach gegen
Neurosen angewendet, ist aber jetzt fast ver¬
lassen und für Thiere gar nie gebraucht
worden. Vogel.
Caatoröl (Castor Oil), Oleum Castoris,
ein hie und da für das Ricinusöl gebrauchter
Ausdruck (s. Ricinus communis). Vogel.
Caatration. Die Castration (von castrare,
verschneiden) ist eine Operation, durch welche
die Functionen der Geschlechtsdrüsen (Hoden
oder Eierstöcke) absichtlich aufgehoben wer¬
den. Sie ist wohl die älteste chirurgische
Operation, welche an Thieren ausgeführt wird
und scheint dieselbe im 3. Buche Moses, Cap. 22,
Vers 24, in vier verschiedenen Methoden er¬
wähnt zu sein (Ihr sollt auch dem Herrn kein
Zerstossenes, oder Zerdrücktes, oder
Zerrissenes oder Zerschnittenes opfern
CASTRATION. 71
und sollt in Eurem Lande solches nicht thun).
Nach Hesiodes waren bei den Griechen der
sechste, der achte und der zwölfte Tag des
Monates als günstig zu ihrer Ausführung be¬
zeichnet. Xenophon spricht von der Castra¬
tion der Hengste, Stiere und Hunde; Aristo¬
teles, im IV. Jahrhundert vor Chr., erwähnt
diese Operation bei Mutterschweinen, Vögeln,
sowie bei weiblichen Kameelen; die Römer
dehnten dieselbe auf alle männlichen Haus-
säugethiere und ebenso auf weibliche Schweine
und das Geflügel aus. Es scheint sogar, dass
sie die Castration der Fische Vornahmen.
Mago von Carthago (II. Jahrhundert vor Chr.)
ist der erste, welcher der Castration mittelst
Kluppen erwähnt. Plinius führt die Castration
des männlichen Kameels an; Absyrtus und
Vegetius erwähnen das Abbrennen der Hoden
bei Pferden. Der Letztere schreibt über den
Starrkrampf, welcher als Folge dieses Ver¬
fahrens eintritt. Unter Heinrich VII. wurde in
England durch ein Verbot gegen das gemein¬
schaftliche Weiden von Hengsten und Stuten
die Castration sehr verbreitet, dann aber im
späteren Mittelalter wieder weniger geübt und
es galt sogar das Reiten eines Walachen un¬
würdig für einen Edelmann. Heutzutage wird
die Castration sehr häufig ausgeführt und dient
theils zu Heil-, theils zur Verfolgung ökonomi¬
scher Zwecke und kann sowohl bei männlichen
als bei weiblichen Thieren ausgeführt werden.
Sie ruft bei denselben Veränderungen hervor,
welche, kurz zusammengefasst, folgende sind:
1. Grössere Mastfähigkeit, 2. sanfteren
Charakter, welche Eigenschaft die Lenk¬
samkeit und Gebrauchsfähigkeit bei Arbeits-
thieren sehr erhöht, 3. schmackhafteres
Fleisch und 4. Aenderung der Körper¬
form, wobei im Allgemeinen bei männlichen
Thieren die Vorhand sich weniger, die Nach¬
hand hingegen mehr entwickelt.
Die zu castrirenden Thiere werden in
der Regel im jugendlichen Alter operirt, weil
dann die Wirkung eine grössere und die
Operation weniger gefährlich ist. Es gibt eine
sehr grosse Anzahl verschiedener Methoden
der Castration; selbstverständlich sind nicht
alle von gleicher Bedeutung, viele sogar als
gefährlich oder grausam zu bezeichnen und
deswegen werden von den Thierärzten nur
einige Hauptmethoden wohl mit vielen, je¬
doch meistens unwesentlichen Abänderungen
ausgeführt. Einige Methoden haben, da sie
nach dem heutigen Standpunkte der Chirurgie
nicht mehr zu rechtfertigen sind, nur einen
geschichtlichen Werth. So wird das Klopfen der
Hoden, das Brennen oder Durchstechen oder
auch das Zerquetschen derselben heutzutage
von Thierärzten nicht mehr geübt. In der
Zeit, in welcher man die Führung des Mes¬
sers aus Unkenntniss der anatomischen Ver¬
hältnisse mehr scheute, waren allerdings die
unblutigen Castrationsmethoden mehr ge¬
bräuchlich als jetzt. Durch die Einfuhruug
der antiseptischen Wundbehandlung sind aber
die blutigen Methoden noch weniger gefähr¬
lich als früher und es steht zu erwarten, dass
die oben angeführten, hauptächlich in wärmeren
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7t CASTRATION.
Gegenden zum Theil noch üblichen Castra*
tionsniethoden als zu schmerzhaft auf einzelne
Thiergattungen und einzelne Fälle beschränkt
werden.
In Folgendem werden wir weniger auf
die systematische Classification, als auf die
Wichtigkeit der Methoden Rücksicht nehmen.
Da sowohl die anatomischen Verhältnisse, wie
auch die auszuführenden Operationen bei jeder
Thiergattung andere sind, so scheint es an¬
gezeigt, die Castration nach denThiergattungen,
an welchen sie meistens vorgenommen werden,
ausführlich zu beschreiben. Um jedoch die
Systematik zu berücksichtigen und Wieder¬
holungen zu vermeiden, so werden zunächst
die anatomischen Verhältnisse der Geschlechts¬
organe behundelt, sowie eine Uebersicht der
bei männlichen Thieren angewendeten Castra¬
tionsmethoden gegeben.
A. Castration der männlichen Thiere.
Anatomisches: Die Fortpflanzungs¬
organe der Säugethiere, welche hiev haupt¬
sächlich in Betracht kommen, bestehen bei
beiden Geschlechtern aus einer Reihe ganz
analoger Gebilde, welche im Wesentlichen aus
folgenden Theilen zusammengesetzt sind:
1. Zwei Geschlechtsdrüsen (Testikel und
Ovarien): 2. Ausführungscanäle für das
Drüsenproduct (Samen- und Eileiter): 3. Be¬
hälter für dasselbe (Samenbläschen, männ¬
licher und weiblicher Uterus); 4. gemein¬
schaftlicher Ausführungsgang für Harn- und
Geschlechtsproducte (Harnröhre und Vagina).
Geschlechtsorgane der männlichen
Thiere (anatomische Uebersicht). Von aussen-
her betrachtet sind die männlichen Geschlechts¬
drüsen, die Hoden oderTestikeln, durch mehrere
Membranen geschützt und liegen bei den
Herbivoren vor der Schamgegend während
bei den Omnivoren und Carnivoren dieselben
weiter nach rückwärts unterhalb des hinteren
Sitzbeinausschnittes sich befinden.
Die allererste Hülle wird durch eine
sackartige Divertikelbildung der allgemeinen
Decke, welche als Sero tum bezeichnet wird,
gebildet; in der Medianlinie desselben befindet
sich eine Naht, die sog. Raphe. Diese Haut
ist beim Pferd, Schweine und Kaninchen
nackt, bei Wiederkäuern und Fleischfressern
fein behaart, sie enthält zahlreiche und gut
ausgebildete Talgfollikel. In der Medianlinie,
der Naht entlang, kommt bei Pferden, Hunden
und namentlich Kaninchen eine sehr deut¬
liche Längsfurche vor, während bei Wieder¬
käuern und besonders bei Schweinen diese
sehr schwach angedeutet ist. Die innere Fläche
dieser Scrotalhülle ist mit einer aus organischen
Muskelbündeln bestehenden dünnen Schichte
in innigster Verbindung. Dieselbe wird als
Fleischhaut oder Dar tos bezeichnet. Die
Fleischhaut ist besonders bei Wiederkäuern
gut entwickelt und zieht die Scrotalhaut bei
ihrer Zusammenziehung in kleine Falten
(Runzeln) zusammen. Die Dartos steigt in
der Medianebene in die Höhe und bildet so¬
mit eine Scheidewand, welche den Hodensack
in zwei für sich bestehende Säcke theilt.
Weiter nach innen kommt eine dritte
Hülle vor, bestehend aus fibrösem Gewebe,
die allgemeine Scheidenhaut (Tunica
vaginalis). Zwischen dieser und der Dar¬
tos ist eine reichlich vorkommende lockere
Bindegewebslage vorhanden. Die Letztere ist
namentlich bei jungen Thieren weitmaschig,
während sie bei älteren aus kürzeren und
derberen Fasern besteht. Die allgemeine
Scheidenhaut entspringt aus der Quer¬
bauchbinde und ist seitlich und aussen mit
einer verschieden starken Muskelschichte über¬
zogen, welche HodenmiLßkel (Muse, cre-
master externus) genannt wird; dieser Muskel
zieht die Scheidenhaut in die Höhe. Die innere
Fläche des von der allgemeinen Scheiden¬
haut gebildeten Sackes ist mit einer Fort¬
setzung des Bauchfelles (Parietalblatt der
besonderen Scheidenhaut) überzogen: in der
Höhe des Schweifes des Nebenhodens, welcher
mit dem entsprechenden Theil der allgemeinen
Scheidenhaut durch kurzes und straffes Binde¬
gewebe verbunden ist, springt das Parietal¬
blatt auf den Nebenhoden über und breitet sich
über denselben, den Hoden und den Samen¬
strang als Visceralblatt der besonderen Schei¬
denhautaus. Die oben beschriebene, aus straffem
Bindegewebe bestehende Verbindung des Ne¬
benhodens mit der allgemeinen Scheiden¬
haut wird von den meistenThierärzten fälsch¬
lich als Nebenhoden band bezeichnet (s. u.);
diese Bindegewebsbrücke setzt sich eigentlich
noch ausserhalb der allgemeinen Scheidenhaut
bis zur Dartos in Form einer dickeren Binde¬
gewebslage fort und scheint ein Ueberbleibsel
des Leitbandes der Hoden (Gubernaculum
Hunteri) zu sein. Der Hoden (Testikel) liegt
innerhalb des Visceralblattes der besonderen
Scheidenhaut, welches den Nebenhoden und
den Samenstrang umhüllt, und ist derselbe
selbst durch eine fibröse Hülle, die eigene
Haut des Hodens (Membr propria testi-
culi), umschlossen. DerTestikel hat die Form
einer Bohne, deren grösserer Bogen nach
vorn und unten gerichtet ist; bei Wieder¬
käuern steht die Längsachse desselben mehr
vertical. Die Blutgefässe des Scrotum, Dartos
und allgemeinen Scheidenhaut stammen von
der äusseren Schamarterie und gehen
wieder in die gleichnamigen Venen zurück.
Die Lymphgefässe stehen mit den Leisten¬
drüsen in Verbindung. Die Blutgefässe des
Hodens und Nebenhodens stammen von der
inneren Saraenarterie und gehen in die
innere Samenvene über; dieselben bilden am
vorderen Rande des Samenstranges ein Geföss-
geflecht, welches als rankenförmiges Ge¬
flecht (Plexus pampiniformis) bezeichnet
wird. Am hinteren Rande des Samenstranges
steigt der Samenleiter nach aufwärts und
zwischen demselben und dem rankenförmigen
Geflecht sind einige schwache glatte Muskel¬
fasern, der innere Hodenmuskel (Cre¬
master internus), bemerkbar. (Ueber weitere
anatomische V erhältnisse s. Geschlechtsorgane.)
Die Nerven stammen aus dem Lenden-
eflecht (äusserer Samennerve) und aus dem
amengeflecht der sympath. Nerven.
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CASTRATION. 73
Castrationsmethodea Die Castra¬
tionsmethoden bei männlichen Haussäuge-
thieren können in folgende Gruppen eingetheilt
werden:
A. Castration mit Entfernung der Hoden:
I. Auf unblutigem Wege (d. h. ohne
Öeffnung des Hodensackes):
1. Das Abbinden des Hodensackes;
2. das Abkluppen des Hodensackes.
II. Auf blutigem Wege (d. h. mit Öeffnung
des Hodensackes):
1. Das Abkluppen desS am ens trän -
ges: a) Mit bedeckten Testikeln und
Samenstrang; b) mit unbedeckten
Testikeln und Samenstrang; c) mit
unbedeckten Testikeln und bedeck¬
tem Samenstrang:
2. die Unterbindung des Samen¬
stranges: a) mit bedeckten Te¬
stikeln und Samenstrang; b) mit
unbedeckten Testikeln und Samen¬
strang; c) mit unbedeckten Testikeln
und bedecktem Samenstrang;
3. das Abschaben des Samenstranges;
4. das Abreissen des Samenstranges;
5. das Abdrehen des Samenstranges;
6. das Ab quetschen des Samen¬
stranges ;
7. das Abbrennen d. Samenstranges;
8. das einfache Abschneiden des
Samenstranges.
B CastrationmitBeibehaltung der Hoden:
1. Die Bistournage;
2. das Klopfen der Samenstränge;
3. die subcutane Un tcrbindung:
a) des vorderen Theiles des Samen¬
stranges; b) der Samenarterie allein.
Nicht mehr gebräuchlich: die subcutane
Unterbindung des Samenleiters, das Klopfen
der Hoden, das Brennen mit Durchstechen
desselben.
Die Castrationsmethoden letzter Gruppe,
mit Beibehaltung der Hoden, sind ganz vor¬
zugsweise in den wärmeren Gegenden üblich:
sie haben den Vortheil, dass keine Wunde
nothwendig wird, sind jedoch unsicherer als
die anderen und werden meistens nur bei
Wiederkäuern in Anwendung gebracht. Bei
diesen Methoden wird der Blutzufluss zu den
Testikeln durch Drehen. Klopfen oder Unter¬
binden der inneren Samenarterie gehemmt,
wodurch allmälig eine Atrophie des Hodens
bedingt wird. Der unverletzte Hodensack füllt
sich später bei Mastthieren mit Fett, wo¬
durch der sog. „Griff“ gebildet wird, welcher von
den Metzgern einiger Gegenden (z. B. Frank¬
reichs) gesucht wird, so dass diese Castra¬
tionsmethoden dadurch verbreitet werden.
Nicht alle Castrationsmethoden sind in
einer Gegend im Gebrauche; meistens wer¬
den bei jeder Thiergattung nur eine oder
höchstens zwei angewendet, namentlich ist
dieses in zuchttreibenden Ländern der Fall,
während da, wo seltener castrirt wird, die
Operationsmethode einzig und allein vom
Tnierarzt abhängig ist. Eine positive Bevor¬
zugung der einen Methode über alle anderen
lässt sich kaum aufstellcn, indem der eine
Operateur diese, der andere jene mit bestem
Erfolge ausführt; bei keiner Operation spielen
die individuellen Verhältnisse des Chirurgen
eine so grosse Rolle, wie bei der Castration,
bei welcher jeder Praktiker eine eigene, wenn
auch kleine Modiffcation des Operationsmodus
einführt und die guten Resultate derselben
zuschreibt. Im Folgenden werden die einzelnen
Methoden möglichst unparteiisch beschrieben,
und soweit möglich, nicht nach der persön¬
lichen Auffassung eines Einzelnen, sondern
nach den Ergebnissen der allgemeinen
Erfahrung beurtheilt.
Mehrere Methoden können bei verschie¬
denen Thiergattungen in Ausführung kommen;
wir werden dieselben da beschreiben, wo sie
eine grössere Bedeutung haben, und beginnen
mit der Castration der Einhufer.
Castrirte männliche Pferde werden mei¬
stens als Walachen (oder Mönche) bezeichnet:
einige Autoren meinen deshalb, dass die
Castration des Pferdes von der Walachei aus
nach Deutschland gebracht worden sei: der
Umstand, dass in Frankreich ein solches Pferd
Cheval hongre (von hongrois, Ungar) genannt
wird, dürfte diese Annahme einigennassen be¬
kräftigen.
Männliche Pferde werden castrirt: 1. um
sie lenksamer und damit brauchbarer zu
machen, 2. um sie von der Zucht auszu-
schliessen und 3. namentlich, um sie mit Stuten
im zweiten und dritten Jahre auf der gleichen
Weide halten zu können. Die Castration wird
seltener als Heiloperation, z. B. in Fällen von
Sarcocele. Hodenkrebs, Hodenfisteln, Wunden,
Hernien u. 8. w. ausgeführt. Die Verände¬
rungen, welche durch dieselbe im Thierkörper
hervorgerufen werden, sind folgende: Weniger
laute und seltenere Stimme, weniger massive
Vorhand, entwickeltere Nachhand, überhaupt
feinere Gliederung. Die Hoden des Pferdes
sind meistens ungleich entwickelt, der linke
ist meistens grösser und wiegt 10—30 g mehr
als der rechte. Jeder Hoden wiegt im Durch¬
schnitte bei zweijährigen Fohlen 150—175 g.
Die Scrotalhaut ist unbehaart, bei dunkel¬
haarigen Pferden und weiss gewordenen
Schimmeln schwarz pigmentirt. Ihre Längs¬
achse ist mehr horizontal, als bei anderen
Thieren gelegen.
Männliche Pferde werden meistens im
Alter von zwei Jahren castrirt; um diese Zeit
sind die Körperformen genügend entwickelt,
um ohne Nachtheil auf deren ferneres Wachs¬
thum die Operation vornehmen zu können.
Verwerflich ist es, die Thiere zu früh zu
castriren, indem ihre Vorhand, namentlich
der Widerrist, sich nach der Castration nicht
mehr, wie es sonst der Fall wäre, ausbildet.
Allerdings steigt die Operationsgefahr mit
der Alterszunahme, immerhin ist die Erstere
bei zweijährigen Thieren nicht sehr gross.
Es werden die Fohlenhengste meistens im
März und April und nur selten im Herbst
castrirt. Bei Kälte, rauher Witterung wie bei
grosser Hitze ist die Vornahme der Castration
unrathsain.
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74
CASTKATION.
Eine eigentliche Vorbereitung zur Opera¬
tion durch strenge Diät, Laxiren und Blut¬
entziehen ist vollständig nutzlos, indem die
Thiere durch dieselbe schon genügend ge¬
schwächt werden. Bei älteren Hengsten, welche
um diese Zeit in geschlechtlicher Aufregung
sind, ist jedoch knappe Kost oder ein kleiner
Aderlass oder auch eine Laxanz einige Tage
vor der Operation am Platze.
Einzig und allein werden die zu castriren-
den Thiere am Operationsmorgen nicht ge¬
füttert, damit ihr Magen weniger überfällt
sei; es ist dies übrigens eine Vorsichtsmassregel,
welche bei allen Fällen der grösseren Haus-
thiere mit Recht empfohlen wird.
Die Castration kann beim Pferde
im stehenden Zustande ausgeführt werden, es
ist jedoch dieses Verfahren trotz aller an¬
geblichen Vortheile nicht zu empfehlen, da
ungünstige Ereignisse nur zu oft die Folge
einer solchen unsicheren Stellung bei der
Operation mit vollkommenster Sicherheit aus¬
geführt werden. Eine andere Befestigungs¬
und Lagerungsmethode ist die von Hering, bei
welcher der rechte Hinterfuss mittelst einer
Spannleine an einem mit einem Ring ver¬
sehenen Gurte festgehalten wird.
Ist das Pferd in die gewünschte Lage
gebracht, so kniet der Operateur unmittelbar
hinter der Kruppe, und reinigt den Hodensack
und seine Umgebung mit einem trockenen
Tuche oder mittelst eines schwach befeuchteten
sauberen Schwammes; die zu starke Be¬
feuchtung der Haut bewirkt nicht nur eine
Contraction der Dartos, sondern auch eine
Zurückziehung des Hodens gegen den Leisten¬
canal. Nach geschehener Reinigung müssen
die Testikel und die Samenstränge auf das
Vorhandensein von pathologischen Zuständen,
namentlich Hodensackbrüche, sorgfältig unter¬
sucht werden, weil der Operationsmodus da¬
durch verändert wird. Bei Pferden kommen
F>g- 300. Lagerung und Fesselung des l’ferdes zur Castration.
Operation wurden. Die Thiere werden auf die
linke Seite auf ein erhöhtes Strohlager ge¬
worfen und der rechte Hinterfuss über dem
Fessel mit einer Plate-Ionge (Spannleine,
Langriemen) versehen. Diese Letztere wird
über die äussere Fläche der Schulter bis zum
Kammrande, von dort unter dem Hals, dann
über die Vorderbrust, über sich selbst, unter
dem rechten Unterschenkel, hinter der Achilles¬
sehne an die äussere Schenkelfläche geführt
und das Ende einem Gehilfen, welcher hinter
dem Rücken des Thieres niederkniet, an¬
vertraut. Hierauf wird der so befestigte Fuss
aus dem Fesselriemen gezogen und unter
Ziehen der Plate-longe bis in die Höhe des
Buggelenkes (bei älteren Thieren etwas weniger
hoch) gebracht. Das Ende derselben wird
dann zwischen ihr und den oberen Theil des
Schienbeines durchgezogen und das Schienbein
und der Fessel mit circa drei kriechenden
Touren umwickelt (s. Fig. 300). Durch eine
solche Lagerung wird die Leistengegend des
Pferdes möglichst abgedeckt und kann die
hauptsächlich folgende Methoden zur Aus¬
führung:
1. Die Castration mittelst Kluppen:
a) auf den bedeckten Samenstrang, .b) auf
den unbedeckten Samenstrang;
t. die Castration durch Abdrehen des
Samenstranges;
3. die Castration durch Abbrennen des
SamenstTanges.
Weniger gebräuchlich sind: die Unter¬
bindung des Samenstranges, das Abquetschen
desselben und die Bistournage.
Kluppen methode. Hengste werden
hauptsächlich mittelst Kluppen castrirt. Diese
Letzteren bestehen aus zwei Halbcylindern von
15—18 cm Länge und sind auf der Fläche,
mittelst welcher dieselben sieh berühren, mit
einer Rinne zur Aufnahme eines Aetzmittels
versehen (Fig. 301). Das Aetzmittel (Kupfer¬
vitriol oderQuecksilbersublimat) wird entweder
mit Mehl, Tragant oder arabischem Gummi
und etwas Wasser zu einem Teig geformt und in
die Kluppenrinne gestrichen, oder es wird das-
0 ASTRATION.
75
selbe über die vorher mit Mehlteig oder Talg
ausgefüllte Rinne gestreut, wobei darauf ge¬
achtet werden muss, dass kein Aetzmittel
neben derselben zurückbleibe. Eine solche
Kluppenrinnenausfüllnng sollte immer eine
Fig. 301. Gewöhnlich«* Kluppe geöffnet, a Abgedachte
Fläche zur Freilegung der Ligatur, b Abdachung des vor¬
deren Kluppenendes zum Offnen, c c hinteren Kluppenende.
festere Consistenz haben und deshalb einige
Tage zura Voraus bereitet werden, da sonst
die zu weiche Masse bei der Application der
Kluppen über den Samenstrang vollständig
durch die gepressten Weichtheile aus der
Rinne gedrängt wird.
Man gebraucht mehrere Arten von Klup¬
pen, wovon die folgenden besonders hervor¬
gehoben werden:
Die gewöhnlichen Castrirkluppen aus
Holz, bei welchen das vordere Ende zum
leichteren Oeftnen abgedacht, während der
hintere Theil cylindnsch abgerundet ist.
Circa 2*5 cm von den Enden entfernt, be¬
findet sich je eine ringförmige Rinne,
welche zur Aufnahme einer Ligatur bestimmt
ist. Behufs leichterer Durchschneidung
der letzteren beim Abnehraen der Kluppen
können sehr zweckmässig die Kluppenkanten
zu beiden Seiten der hinteren Ligaturrinne
mit dem Messer zurückgeschnitten werden,
wodurch die Ligatur an dieser Stelle eine
Art Brücke bilden muss, welche leicht zu
zerschneiden ist (Fig. 302 a). Die Ligatur
der Kluppen soll mit starken Bindfaden in
Fig. 302. Gewöhnliche Kluppe, geschlossen, s Einkerbung
znr Freilegung der Ligstur, b Abdachung zum Oeffnen
der Kluppe.
Form einer chirurgischen Schlinge (Castrir-
schlinge) vgl. Fig. 324 ausgeführt werden. Bei
den Chamierkluppen sind die vorderen Enden
mittelst eines Chamieres verbunden (Fig. 303).
Die Castrirkluppen von Rueff werden mittelst
eiserner Ringe geschlossen und bieten daher
eine grosse Solidität (Fig. 304). Um die
Compression des Samenstranges noch besser
zu sichern, hat Bouillard eine aus Eichenholz
verfertigte kantige Kluppe construirt, welche
durch ihre zweckmässige Einrichtung beaeh-
tenswerth erscheint; es ist dieselbe aus zwei
flachen Holzstücken, die sich durch ihre mit
Hohlrinne versehenen Kanten berühren, ge¬
bildet; ihr vorderes Ende ist charnierartig
Fig. 303. Chamierkluppe.
Fig. 3o4. Kluppe von Rueff. a lesLtebender Ring, b coni-
sche Kluppenenden mit ringförmigen Kinnen, c Schlusmring.
mit Draht befestigt (Fig. 305). Solche
Kluppen zeichnen sich durch ihre Billigkeit
aus, ihr Preis ist nicht höher als derjenige
der gewöhnlichen Kluppen (ca. 50 Pfennige das
Paar); dieser günstige Umstand bietet den
Fig. 3u5. Kluppe von Bouillard.
grossen Vortheil, dass man bei jeder Castra¬
tion neue Kluppen verwenden kann, was
übrigens in Anbetracht des Werthes eines Pfer¬
des mehr als gerechtfertigt erscheint. Sollen
jedoch diese Kluppen wieder gebraucht wer¬
den, so sind dieselben abzuwaschen, in Wasser
zehn Minuten lang zu kochen und nachher
mittelst Carbolwasser zu desinficiren. Da die
Kluppen durch ihren mehrmaligen Gebrauch
sich verbiegen und dann nicht mehr genü¬
gend comprimiren, werden sie nach Berdez
vor dem Kochen sehr zweckmässig an beiden
Enden mit ca. 3 mm dicken Hölzchen ver¬
sehen und in der Mitte fest zusammengebun-
den, wodurch sie wieder gerade werden
(Fig. 306). Die Kluppen werden entweder auf
den blossgelegten Samenstrang (Castration mit
unbedeckten Testikeln und Samenstrang).
76
CASTRATION.
oder auf den von der allgemeinen Schei¬
denhaut bedeckten Samenstrang angelegt,
im ersteren Falle können dieselben kürzer
telst des Bistouris bis auf die allgemeine
Scheidenhaut getrennt, wonach dasselbe ein
grösseres Klaffen der Scrotalwunde zulässt.
Fig. 30tf. Klappenreinigung nach Berdez.
sein und ca. 15 cm Länge haben, im zwei¬
ten Falle müssen die Kluppen, weil sie
mehr Gewebe zu fassen ha¬
ben. eine Länge von ca. 18 cm
besitzen. Zum festen Schliessen
der auf den Samenstrang ange¬
legten Kluppen werden sog.
Kluppenzangen (Fig. 307) oder
Kluppenschrauben (Fig. 308)
gebraucht. Die ersteren können
auch mit einer Vorrichtung
zum Einstellen versehen wer¬
den. Die Ausführung der Ca¬
stration mittelst Kluppen er¬
heischt die Oeffnung des Ho¬
densackes in der Weise, dass
die Scrotalliaut und die Dartos
allein oder mit denselben noch
die allgemeine Scheidenhaut
sowie deren seröser Ueberzug
durchgeschnitten werden, wo¬
nach die Castration mit be¬
deckten oder unbedeckten
Testikeln unterschieden wird.
Castration mit bedeck¬
ten Testikeln: Der Opera¬
teur erfasst den rechten Ho¬
densack und presst den betref¬
fenden Testikel mit der linken
Hand nach rückwärts, wo¬
durch die Scrotalhaut gespannt
und glänzend wird. Sollte das
Thier den Testikel durch den
Cremaster externus in die Höhe
gegen den Leistenring hinauf¬
ziehen, so soll der Operateur
einen Augenblick warten, bis
der Muskel erschlafft. Hiebei
kann man zur Beförderung der
Operation das Pferd an den
Lenden klemmen, wodurch die
Spannung des Muskels bald tig. 308. Kiuppen-
nachgibt. Dann wird ein stark schraube oder
geballtes Bistouri in der vollen Ca vin r oiIiPh Ube
Hand gehalten und unter Auf¬
stützen des Daumens auf die obere Fläche
des Hodensackes ein Schnitt, welcher gleich¬
zeitig Scrotalhaut und Dartos interessirt,
vom vorderen bis zum hinteren Ende des
Hodens ausgeführt (Fig. 309). Die klaffende
Hautwunde lässt durch das vorliegende
lockere Bindegewebe die allgemeine Schei¬
denhaut, die nicht verletzt wird, durch-
blicken. Das erwähnte Bindegewebe wird
durch leichtes Ueberfahren des Testikels mit-
Kig. 307. Kluppen¬
zange.
Fig. 3u9. Ausführung des Uodensackschnittes.
Hierauf werden die Wundränder gefasst und
durch Zerreissung der vorkommenden Ad¬
härenzen bis gegen den Inguinalcanal zurück-
gedrängt. Hinten, gegen den Schweif des
Nebenhodens, sind die Bindegewebszüge straffer
und reichlicher, so dass hier häufig mit
Schere oder Messer nachgeholfen werden
muss. Nach Zurückschiebung der Scrotalhaut
erscheint der Cremaster externus deutlich,
die an einem Ende zugebundenen Kluppen-
theile werden in Form eines V geöffnet und nun
von vorn nach hinten über die allgemeine
Scheidenhaut und den äusseren Hodenmuskel
so hoch als möglich angelegt, mit der Zange
festgedrückt und mittelst einer Ligatur gut
zugebunden (Fig. 310). In Frankreich werden
alsdann die Hoden nicht immer abgeschnitten,
sondern häufig mehrere Tage bis zu ihrer spon-
Fig. 310- Castration mit bedeckten Testikeln. a Neben¬
hodenschweif, b allgemeine Scheidenhant mit dem Ende des
Äusseren Hodenmuskels, c zurückgezogener Hodensack.
CASTRATION.
77
t&nen Ablösung, welche nach 10,14—20 Tagen
erfolgt, an den Klappen hängen gelassen. In
der Mehrzahl der Fälle jedoch werden jetzt
die Kluppen, nachdem dieTestikeln unmittelbar
darunter mit einer Schere abgelöst, nach 3
bis 4 Tagen entfernt, was weit rationeller ist.
Die Vortheile der Castration mit bedeckten
Testikeln sind folgende: 1. Unmöglichkeit
der Einwirkung der Luft auf den Samen¬
strang und des Eindringens derselben in die
Bauchhöhle; 2. Verhütung der Zerrung des
Samenstranges, da die allgemeine Scheiden-
haut die Kluppen trägt; 3. Verhütung von
Eingeweidevorfällen. Die Nachtheile sind:
1. Möglichkeit der Einklemmung von Netz¬
oder Dannstücken; 2. weniger vollständige
Compression des Samenstranges. Diese beiden
Nachtheile lassen sich jedoch durch sorg¬
fältige Untersuchung und Anwendung von
starken, gut zusammengepressten Kluppen
vermeiden.
Castration mit unbedeckten Te¬
stikeln. Diese Castrationsmethode ist viel
üblicher als die vorige; sie wird in der Weise
ausgeführt, dass der Scrotalschnitt die Haut,
die Dartos, die allgemeine Scheidenhaut und
ihren inneren serösen Ueberzug betrifft. Diese
Membranen werden, wenn möglich, auf ein¬
mal durchgeschnitten, wobei jedoch die Ver¬
letzung des Hodens selbst vermieden werden
soll. Sofort nach ausgeführtem Schnitte tritt
der Testikel aus der Wunde, theils durch
sein eigenes Gewicht, theils durch die Zu¬
sammenziehung der Dartos und namentlich
des äusseren Hodenmuskels, hervor. Mit dem
Hoden fliesst in der Regel etwas klares Serum
aus. Bei der Ausführung des Schnittes ist es
nothwendig, dass das Bistouri rasch geführt
werde, da sonst der Testikel vor Vollendung
desselben hervorquillt. Der so abgedeckte
Nebenhoden hängt jedoch durch straffes, kurzes
Bindegewebe mit der allgemeinen Scheiden-
Fig. 311. Castration mit unbedeckten Testikeln. a Zurück¬
gezogener Hodensack, b allgemeine Scheidenhant, c ran-
kenftrmiges Geflecht, d auf den unbedeckten Saraenstrang
angelegte Klappe, e hinterer Rand des Samenstranges,
f Kopf des Nebenhodens, g Schweif des Nebenhodens,
h Testikel.
haut zusammen. Viele Operateure trennen
diese Verbindung mittelst des Bistouri oder
der Schere, während andere dieselbe bestehen
lassen. Die zu dieser Castrationsmethode er¬
forderlichen kürzeren Kluppen werden in glei¬
cher Weise, wie oben beschrieben, angebracht
(Fig. 311); es empfiehlt sich, die eben erwähnte
allgemeine Scheidenhaut oberhalb ihrer Ver¬
bindung mit dem Schweif des Nebenhodens
in die Kluppen zu fassen, weil dieselben dann
den Samenstrang weniger belasten und ein
schlaffes Herunterhängen desselben dadurch
vermieden wird; auch kann nach geschehenem
Schnitte die allgemeine Scheidenhaut an ihrem
vorderen, hinaufgezogenen Theile gefasst und
die Kluppen über sie angelegt werden (Castra¬
tion mit bedeckten Testikeln und unbedecktem
Samenstrang von Degive). Diese letzte Ope¬
ration wird jedesmal ausgeführt, wenn Ein¬
geweide im Inguinalcamde sichtbar werden i
oder wegen der Weite desselben solche aus- /
zutreten drohen.
Die Castration durch Abdrehen
(Torsion) des Samenstranges bietet den
grossen Vortheil der Vermeidung von fremden
Körpern, wie Kluppen und Ligatur, in der
Wunde und auf dem Samenstrang.
Mehrere Autoren unterscheiden eine
„freie“ und „beschränkte“ Torsion bei
der Castration männlicher Thiere; die erstere
wenn auch ausführbar, ist, nach Versuchen zu
beurtheilen, wohl kaum in praktische Anwen¬
dung gekommen, da die Drehung des Samen¬
stranges sich bei derselben weit über den
Inguinalcanal bis zur Douglas’schen Falte
fortsetzt und nicht nur unnöthige Schmerzen,
sondern gefährliche Zerrungen des Bauch¬
felles verursacht. Die beschränkte Torsion
(Torsion bomäe) geschieht in der Weise, dass
der Samenstrang quer einige Centimeter über
den Nebenhoden mittelst einer Zange (bei
grösseren Hausthieren genügt dazu die Hand
nicht) festgehalten wird. Diese Zange wird als
„fixe Zange“ (Pince fixe) bezeichnet (Fig. 312a);
Fig. 312, Torsionszangen nach Keynal; a fixe, b beweglich
Zange.
78
CASTKATION.
derTestikel wird mit der Hand oder der Samen¬
strang einige Centimeter unter der fixen Zange
mit einer zweiten, welche dann in der Achse
desselben gehalten wird, gefasst und gedreht,
bis eine Ruptur erfolgt. Die zweite Zange wird
als bewegliche Zange (Pince mobile) bezeich¬
net (Fig. 312 b).
Nachdem die Drehung eine feste Zu¬
schnürung des Samenstranges bewirkt hat.
ist es sehr zu empfehlen, den gedrehten Theil
durch die Auseinanderhaltung der Zangen zu
strecken, indem dadurch nicht nur die Ruptur
erleichtert wird, sondern durch die Zurück¬
ziehung der inneren Gefassmembranen eine
sicherere Obliteration derSainenarterie bedingt
wird. Nach der bewerkstelligten Trennung
des Samenstranges wird die fixe Zange vor¬
sichtig und langsam geöffnet: stellt sich eine
Blutung ein, so wird der Samenstrang etwas
weiter oben gefasst und die Operation wieder¬
holt, aber langsamer ausgeführt.
Castration durch Abbrennen des
Samenstranges. Diese namentlich in Frank¬
reich früher häufig ausgeführte Operation
bietet die gleichen Vortheile wie die Castra¬
tion durch Abdrehen, indem auch hier keine
fremden Körper in der Wunde Zurückbleiben.
Das Abbrennen wird in der Weise ausge-
ftthrt, dass der Samenstrang blossgelegt (Ca¬
strationsmethode mit unbedeckten Testikeln)
und mit einer flachen eisernen Zange bis
2 cm über den Nebenhoden gepresst und
festgehalten wird, worauf derselbe mittelst
eines Glüheisens unmittelbar unter der Zange
in langsamen Zügen durchgebrannt wird. Die
hiezu zu verwendenden Zangen können einfach
(Fig. 313) oder doppelt sein, wie die Zange
von Huart (Fig. 314). in welcher beide vorher
Fig. 313 Zange znr Castration durch Brennen des Samen-
btranges.
blossgelegte Samenstränge gleichzeitig einge¬
klemmt werden. Die Brenneisen, welche zum
Abbrennen des Samenstranges gebraucht
werden, sind entweder messerförmig (Fig. 315)
oder keilförmig (Fig. 316). Einige Mi¬
nuten nach geschehener Trennung wird die
Zange allmälig gelüftet und schliesslich ent¬
fernt. Wird jedoch eine Blutung beobachtet,
so wird der {Samenstrang ca. % cm höher in
die Zange gefasst und von Neuem mit dem
Glüheisen cauterisirt. Diejenigen Operateure,
welche sich dieser Methode bedienen, sind
Fig. 315. Fig. 316.
Messcrfiörmigea Brenneisen. Keilförmiges Brenneisen.
alle sehr zufrieden damit und rühmen die
günstigen Resultate derselben. Neben diesen
drei Hauptmethoden können auch noch andere
bei der Castration des Pferdes gebraucht
werden; es werden dieselben jedoch nur selten
ausgeführt und wird deswegen ihre Beschrei¬
bung nur einer summarischen Erörterung
unterworfen.
Die Unterbindung des bedeckten
oder unbedeckten Samenstranges wird
in gleicher Weise eingeleitet wie die be¬
schriebene Anlegung der Kluppen, es ist
jedoch zu bemerken, dass die Unterbindung
des unbedeckten Samenstranges mittelst einer
Ligatur, wegen der Contractilität desselben
sowie wegen der grossen Empfindlichkeit des
Peritonaeums beim Pferde einige Gefahr bei
allfälligem Zurückziehen desselben in den
Leistencanal bietet, wesshalb diese Methode
kaum zur Ausführung gelangt.
Das Abquetschen des Samenstranges
mit dem Ecraseur (s. Abquetschen) würde
bedeutende Vortheile haben, wenn die noth-
wendig zu beobachtende Langsamkeit in der
Ausführung der Operation den Thieren nicht
zu grosse Schmerzen verursachen würde.
Immerhin ist diese Methode beachtenswcrth,
da sie bei pathologischen Zuständen des
Samenstranges, wie z. B. beim Vorkommen
von Champignons, von den gleichen Autoren,
die sie wegen der leichten Entstehung von Her¬
nien als zu gefährlich bezeichnen, empfohlen
wird.
Die Bistournage ist eine namentlich
in Südfrankreich ausgeübte Castrations¬
methode (dieselbe ist jedoch meistens von
Empirikern und Castrirern von Beruf an-
gewendet); sie besteht eigentlich in einem
„subcutanen Zudrehen 14 der Samenstränge,
wodurch die in denselben enthaltenen Blut¬
gefässe obliteriren und eine Atrophie der
Hoden erzielt wird.
Nachbehandlung Castrirte Pferde
werden behutsam vom Lager aufgestellt und,
da viele mit Schweiss bedeckt, tüchtig mit
Strohwischen abgerieben und leicht bedeckt.
Der Gang ist etwas gehemmt, namentlich ist
CASTRATION.
79
eine etwas weite Stellung und steiferes Halten
der hinteren Gliedmassen zu beobachten. Sollte
das Thier eine zu ausgesprochene Steifigkeit
in den Lenden und der Kruppe erkennen
lassen, so ist dieses ein Zeichen, dass die
Samenstränge zu stark gezerrt worden oder
durch zu hoch angelegte Kluppen gespannt
sind. Sind Kluppen verwendet worden, so
sollen dieselben bei gut ausgeführter Operation
nicht parallel liegen, sondern hinten in der
Weise convergiren, dass sie einen V bilden
und die Scrotalwundränder ohne Pression be¬
rühren. Sitzen die Kluppen zu fest nach oben
gepresst, so wird bei der sich nachher ein-
stellenden Entzündungsschwellung die Span¬
nung zu gross, was zu Complieationen ge¬
fährlicher Art führen kann. Hängen die Kluppen
hingegen herunter, so befindet sich der Samen¬
strang unter sehr ungünstigen septischen Be¬
dingungen; diese Erscheinung tritt vorzugs¬
weise bei schlaffen Thieren ein; in einem
solchen Falle ist die sofortige Anlegung einer
zweiten Kluppe über die erste, welche dann
durch die Section des Samen Stranges ent¬
fernt wird, angezeigt. Das Schweifhaar wird, um
eine Einklemmung in die Kluppen und eine
Verunreinigung desselben beim Wedeln zu
verhüten, aufgebunden. Dem Thiere wird
leichtverdauliche Nahrung in geringerem Quan¬
tum verabreicht. Zur Vorsicht werden die
castrirten Thiere, damit sie die Kluppen mit den
Zähnen nicht abreissen können, kurz an¬
gebunden. Viele Operateure giessen, bevor
das Pferd das Lager verlässt, reines Oel zur
Milderung des Reizes, Abhaltung der Luft
und Vermeidung von Verklebungen in die
Scrotalwunde ein: diese Massregel ist zu
empfehlen. Jeden Tag wird die Wunde mit
einein Bauschen aus reinem Werg oder mit
Carbolwatte. die vorher befeuchtet ist, ge¬
reinigt.
Sind Kluppen verwendet worden, so wer¬
den dieselben am zweiten bis vierten Tage
durch Aufschneiden der Ligatur mittelst eines
hakenförmigen Taschen- oder eines Huf¬
messers abgelöst. Werden dieselben zu früh¬
zeitig abgelöst, so ist der zwischen den Klup¬
pen eingeklemmte Theil des Samenstranges
noch zu fest mit dem oberen Stück desselben
verbunden, um schnell eliminirt werden zu
können, was zur Folge hat, dass sehr leicht
Resorption von septischen Stoffen stattfinden
kann. Dieser Vorgang scheint übrigens durch
die nach solcher frühen Abnahme der Kluppen
sich immer einstellenden Fieberbewegung und
die Vermehrung des Scrotaloedems bestätigt
zu werden. Auch ist das öftere Einführen des
vorherein geölten Zeigefingers in die Wunde, um
allfällige Adhärenzen zwischen Dartos und
Samenstrang aufzuheben, nicht rathsam. Nach
IS—24 Stunden stellt sich gewöhnlich ein
leichtes Wundfieber ein und schwellen dann
die Scrotalwundränder und auch später die
Vorhaut mässig an; es stellt sich dann ein
Ausfluss von zuerst dünnflüssigem serösblutigem
Exsudat ein, welcher Ausfluss später trüber
und zuletzt eiterig wird. Die Heilung ge¬
schieht durch Eiterung und dauert dieser
Process bis zur gänzlichen Vernarbung der
Wunde ca. 4—6 Wochen.
Castration der männlichen Wieder¬
käuer. Die männlichen Wiederkäuer werden
castrirt, um ihre Mastfähigkeit zu erhöhen,
ihr Fleisch schmackhafter, sowie auch solche,
die zur Arbeit verwendet werden, lenk¬
samer zu machen. Durch die Castration
wird, wenn frühzeitig ausgeführt, die Kör¬
perform namentlich bei den grossen Wie¬
derkäuern bedeutend modificirt: so werden
der Kopf länger, die Hörner mehr entwickelt,
der Hals gestreckter, die Lenden und die
Kruppe breiter. Bei den männlichen Wieder¬
käuern sind die Hodensäcke mehr länglich
und vertical gestellt (Fig. 317); der grosse Bo¬
gen der Testikel ist nach vorne gerichtet. Der
Fig- 317. Testikel der Wiederkäuer. * Samenleiter, b ran-
kenftrmiges Geflecht, c Kopf des Nebenhodens, d Schweif
des Nebenhodens, e Testikel.
Kopf des Nebenhodens ist somit oben,
der Schweif desselben unten, der letztere ist
bei kleinen Wiederkäuern leicht durchfühlbar.
Die Stiere werden in jedem Alter castrirt,
jedoch wird die Operation meistens im jugend¬
lichen Alter von 6—12 Wochen vorgenommen;
später ausgeführt, verändern sich die Körper¬
formen weniger. Die zu castrirenden Thiere
werden vor und nach dem Operationstage auf
strenge Diät gesetzt, überhaupt ist diese
Massregel bei den Wiederkäuern im Allge¬
meinen vor jeder eingreifenden Operation zu
80 CASTRATION.
beobachten, weil sonst die bei jedem Fieber
sich einstellende Störung in der Rumination
zu bedeutenden krankhaften Complicationen
in den Verdauungsorganen führen kann.
Die bei Wiederkäuern in Anwendung ge¬
brachten Castrationsmethoden sind:
1. Die Unterbindung des Samen¬
stranges: a) mit bedeckten und b) mit unbe¬
deckten Testikeln;
2. das Abdrehen des Samenstran¬
ges;
3. das Abbrennen des Samen¬
stranges;
4. das Abreissen des Samenstran¬
ges;
5. das Abkluppen des Hodensackes
und
6. das Abbinden des Hodensackes.
Weniger gebräuchlich sind folgende Me¬
thoden :
7. die Bistournage;
8. das Klopfen der Samenstränge;
9. die subcutane Unterbindung;
10. die Anlegung einer Kluppe:
a) überden bedeckten, b) über den unbedeck¬
ten Samenstrang;
11. das lineare Abquetschen;
12. das Abschaben des Samen¬
stranges.
Beim Castriren grösserer Wiederkäuer
wird, wenn das Scrotum geöffnet werden muss,
das Thier zunächst niedergeschnürt und fest¬
gebunden ; einige Operateure führen zwar die
blutige Operation am stehenden Thiere aus;
abgesehen von dem gefahrlosen und leichten
Niederschnüren desselben ist es sicherer und
besser, dieselbe am liegenden Thiere vorzu¬
nehmen. Soll das Scrotum geöffnet werden,
so geschieht dies in der Weise, dass der
Schnitt über dem grossen Bogen des Testikels,
also vorne bis zum untersten Ende des
Scrotalsackes geführt wird, damit die Wund-
secrete frei abfliessen können (Fig. 323). Ge¬
schieht dies nicht, so sammeln sich die
letzteren im untersten Theile des Hodensackes
an, wo sie leicht verjauchen und dann zu
septischen Complicationen Veranlassung geben
können.
Die Castrationsmethode der Unterbin¬
dung des Samenstranges mittelst einer
Ligatur ist bei Wiederkäuern, da die Anle¬
gung von Kluppen wegen des senkrechten
Hautschnittes weniger bequem ist als bei
Einhufern, sehr üblich, hiebei muss die zu
verwendende Ligatur nicht zu dünn und auch
nicht zu dick sein; im ersteren Falle schneidet
sie die Gewebe durch, was Blutungen verur¬
sachen kann, im zweiten comprimirt sie die¬
selben nicht genügend. Die Ligatur kann auf
dem bedeckten oder auf dem unbedeckten
Samenstrang ca. 2 cm über dem Nebenhoden¬
kopf angelegt und der darunter liegende
Theil 1 cm von derselben abgeschnitten wer¬
den. Unmittelbar nach geschehener Trennung
zieht sich der Samenstrangstumpf, die Ligatur
mitnehmend, etwas zurück: um nun einestheils
die Gefahr der Zurückziehung derselben in
die Bauchhöhle, andemtheils die zu frühe Zu¬
heilung der Scrotalwunde zu verhüten, ver¬
binden einige Operateure die aus der letzteren
herabhängenden Ligaturen miteinander (Ver¬
fahren von J. Meyer in Zürich), was sehr
zweckmässig ist. Die Ligatur wird beim An¬
legen über den Samenstrang zu einer Castrir-
schlinge geformt und fest zusammengeschnürt.
Die Anlegung einer Ligatur auf dem be¬
deckten Samenstrang, also über der allgemeinen
Scheidenhaut, ist wegen der Unmöglichkeit
des Lufteindringens in den Peritonealsack sehr
zu empfehlen (Verfahren von
Meyer). Das Abdrehen und
das Abbrennen des Samen¬
stranges sind in gleicher
Weise wie beim Pferde aus¬
zuführen. Beim Abdrehen
wird zum Fassen des Sa-
menstranges die Tögl’sche
Zange noch vielfach als fixe
Zange gebraucht (Fig. 318).
Beide Methoden haben den
eminenten Vortheil, dass
bei ihrer Anwendung keine
Ligaturen und Kluppen not¬
wendig werden, sind je¬
doch in Bezug auf Blutung
nicht immer vollständig
sicher.
Das Abreissen des
Samenstranges wird bei
ganz jungen Wiederkäuern,
bei Lämmern z. B., in fol-
gender Weise ausgeftthrt:
Das zu castrirende Lamm
wird von einem stehenden Gehilfen dem sitzen¬
den Operateur (Schäfer) von der Bauchseite prä-
sentirt; der Letztere fasst das äusserste Ende
des Scrotalsackes des Thieres und drängt
dadurch die beiden Testikel zurück, hierauf
wird der zwischen Daumen und Zeigefinger
der linken Hand gehaltene Hautzipfel mittelst
eines scharfen Messers quer durchgeschnitten.
Durch Pressen der Samenstränge mit den am
Halse des Scrotums angelegten beiden Händen
werden die Testikel gleichzeitig aus ihren
Fächern ca. 1—2 cm weit herausgedrückt
(Fig. 319), die Samenstränge beiderseits mit-
Fig. 319. Ca^tratioD der Larara er. a abgesebnittones Hoden-
t*ckeude, b b hervortrete nie Testikel.
telst Daumen und Zeigefinger festgehalten,
und nachdem der Operateur die beiden Testikel
mit den Zähnen gefasst, werden die beiden
Samenstränge durch Rückwärtsbewegung zer¬
rissen.
Digitized by v^oooie
CASTRATION.
81
Das Anlegen von Kluppen über
den Hodensack. Diese Castrationsmethode
wird vorzugsweise bei Stieren in Anwendung
gebracht; sie bietet den Vorthei], dass die
Compression nach Bedarf verstärkt werden
kann, was bei grösseren Thieren, wo viel
Masse durchgequetscht werden muss, von
grossem Vortheile ist. Die Kluppen, welche
zu diesem Zwecke dienen, sind meistens
Charnierkluppen aus Eisen, Stahl (Fig. 320)
oder auch aus Holz mit Metallbeschlag
(Fig. 321); sie dürfen nicht zu breit sein, da
Fig. 320. Scbraubcnklappe.
sonst die Quetschung der Weichtheile man¬
gelhaft ist. Meistens sind sie flach und be¬
rühren sich durch eine Kante, statt durch
321. Schraabenklappe zum Abklappen des Hoden¬
sackes.
eine Fläche. Die gebräuchlichsten Kluppen
sind in vorstehenden Figuren abgebildet, wes¬
halb eine besondere Beschreibung überflüssig
ist. Die Kluppe wird quer oberhalb des
Hodens am eingeschnürten Theile des Hoden¬
sackes angelegt und mittelst der Schraube
fest zugeschlossen; während zehn Tagen wird
die Kluppe nach Bedarf weiter zu geschraubt,
dann das Scrotum unterhalb derselben abge¬
schnitten oder man wartet, bis die abge-
kluppten Theile von selbst herunterfallen, was
nach ca. 14 Tagen einzutreten pflegt. Bei
kleinen Wiederkäuern wird der Hodensack
meistens nach drei Tagen entfernt. Zum Ab¬
kluppen bedient man sich verschiedener In¬
strumente, worunter wir das von Magne beson¬
ders erwähnen (Fig. 322).
Fig. 322. Sch raabenklappe ron Magne.
Das Abbinden des Hodensackes
wird bei kleinen Wiederkäuern sehr häufig
ausgeführt. Die Methode ist leicht und ver¬
langt wenig anatomische Kenntnisse, weshalb
sie von Landwirthen öfters in Anwendung
kommt. Es wird zur Vornahme der Operation
eine feste runde Ligatur von 2—3 mm Durch-
Koch. Encyklopldie d. Thierheilkd. 11. Bd.
messer verwendet; eine dünnere schneidet die
Scrotalhaut durch und eine zu dicke Ligatur
kann nicht genügend fest angezogen werden.
Die Ligatur wird als eine sog. Castrirschlinge
über den Hals des Hodensackes (Fig. 323 a) ange -
legt, ihre Enden werden an kurze Holzstäbe be-
Fig. 328. Castration der kleinen Wiederkäuer, a Höhe, in
welcher das Abbinden oder das Abkluppen vorgenommen
wird, b Form and Richtung des ScroUlschnitte« bei der Ca¬
stration mit Oeffnang des Hodensackes.
festigt und nun wird die Schlinge fest angezogen
und bis zum Abfallen des Hodensackes gelassen
(Fig. 324). Die Hauptsache hiebei ist die feste
Zusammenschnürung der in der Schlinge be¬
findlichen Weichtheile, da sonst eine Resorp-
F»g. 324. Castration durch Abbinden des Hodeasacke*
mittelst der Castrirschlinge.
tion der in den brandig abgestorbenen Thei-
len gebildeten Jauche vorkommt, wodurch
Septikämie eintritt und die Thiere rasch zu
Grunde gehen. Hierbei muss nicht vergessen
werden, dass die bedeutende Compression,
welche in den ersten Stunden von der Schlinge
ausgeübt wird, sehr bald nachlässt, indem die
eingeschnürten Gewebe unter der Ligatur
82 CASTRATION.
seitlich ausweichen. Aus diesem Grunde hat
man es versucht, die Hanfligatur durch ein
elastisches Material, welches nie locker wird,
zu ersetzen, und dazu sog. Kautschukfaden von
1*5—2*5mm Dicke verwendet (s. Elastische
Ligatur).
Der Hodensack wird sofort nach der
Operation kalt und stirbt alsbald brandig ab.
Sollte nach einigen Tagen die Ligatur zu
locker sein, so legt man eine zweite über die
erstere an.
Die Bis tour nage (nach dem Franz, von
bis, zweimal, und tourner, drehen) ist eine
bei Wiederkäuern leicht ausführbare Operation,
bei welcher, wie der Name es deutet, zweierlei
Drehungen ausgeführt werden. Grössere Thiere
kann man stehend operiren, kleinere werden
hiezu auf den Rücken gelegt. Die Castration
durch Bistournage wird in folgender Weise
vorgenommen:
Fig. 325. Bistournage. Das Hinaufschieben der Testikel.
' Fig. 326. Bistournage. Das Herabdrücken der Testikel.
1. Werden die [Adhärenzen zwischen
Dartos und allgemeiner Scheidenhaut durch
starkes Hinauf- und Hinabschieben der Testi¬
kel gelockert (Fig. 325 u. 326), die allge¬
meine Scheidenhaut folgt hierbei wegen ihrer
straffen Verbindung mit dem Nebenhoden den
Bewegungen dieses Organes.
2. Wird der eine Testikel, um Platz zu ge¬
winnen, gegen den Leistencanal zurückge¬
schoben, während derjenige, an welchem ope-
rirt wird, gegen den Grund des Scrotums ge¬
drückt wird.
3. Der beinahe vertical hängende Testi¬
kel wird dann in der Weise durch Händedruck
in seiner Lage verändert (Fig. 327), dass dessen
unteres Ende (Schw r eif des Nebenhodens) unter
die Scrotalhülle nach rück- und aufwärts steigt,
während dessen oberes Ende nach vorn und
abwärts gleitet, so; dass in der neuen Stel¬
lung, wobei das Scrotum selbst in keiner Weise
verändert ist, der Schweif des Nebenhodens
oben, der Kopf desselben unten, der grosse
Bogen hinten und der Samenstrang voran liegt
(Fig. 328). Um diese Umwälzung leichter
vorzunehmen, wird der Samenstrang über dem
Kopfe des Nebenhodens mittelst Zeige- und
Mittelfingers leicht fixirt und etwas abwärts
gedrückt.
Fig. 827. Bistournage. Umdrehung des Tostikels
Fig. 328. Bistournage. Zudrehen des Samenstranges.
4. Ist einmal der Testikel umgewendet
(Fig. 328), so wird der Samenstrang um den¬
selben zwei- bis viermal gedreht, wobei er
von vorn nach aussen unter die Scrotalhaut
bewegt wird. Der zugedrehte Samenstrang
lässt sich durch die Hüllen befühlen und er¬
scheint als spiralig gewundener runder und
harter Strang (Fig. 329). Durch das Zudrehen
des Samenstranges wird derselbe kürzer, was
Digitized by Google
CASTRATION.
83
man übrigens an der Annäherung des Hodens
gegen die Leistengegend bemerken kann; der
Hoden wird dann fest an die untere Oeffnung
des Inguinalcanales gepresst, der andere
Hoden in das Scrotum gedrückt und auf
gleiche Weise operirt.
5. Sind beide Hoden nach der Operation
gegen den Leistencanal hinauf geschoben
worden, so fasst der Operateur das nun leere
Scrotum und schnürt dasselbe mittelst einer
breiten Ligatur so hoch wie möglich ein, damit
die Testikel nicht wieder in dasselbe treten
und sich aufdrehen können (Fig. 330). Die
Ligatur darf nur mässig angezogen werden, da
man die Blutcirculation im Scrotum nicht zu
beeinträchtigen hat. Nach kurzer Zeit, sogar
nach einer Stunde schon, ist das Abgleiten
der locker angebrachten Ligatur kaum mehr
zu befürchten, da der hinter derselben sich
befindende leere Scrotalsack sich mit Exsudat
füllt. Die angebrachte Ligatur wird nach
Fig. 329. Bustournage. Dm Zudrehen des Saraenstranges.
Fig. 330. Biatournage (Schluss der Operation), a Die zuge-
drehten Samenstrange, b der leere Hodeusack, c die Li¬
gatur.
36—48 Stunden wieder entfernt, indem nach
dieser Zeit durch Adhärenzen und Ent¬
zündungsanschwellung keine Gefahr des Zu-
rückdrehens mehr eintritt. Die Bistournage
eignet sich vorzugsweise bei kleineren Wieder¬
käuern und scheint bei älteren Schaf- und
Ziegenböcken weniger gefährlich zu sein als
andere Methoden, obschon während einiger
Tage die Thiere bedeutende Schmerzen zu
empfinden bekunden. Die Ausführung der
Operation selbst nimmt nur kurze Zeit in
Anspruch, z. B. bei kleineren Wiederkäuern
und einiger Uebung seitens der Operirenden
2—3 Minuten.
Das Klopfen der Samenstränge.
Diese Operation ist wie die vorige in süd¬
lichen Gegenden Frankreichs üblich und be¬
steht in der Quetschung des Samenstranges,
um in denselben eine Obliteration der dem
Hoden Blut zuführenden Gefässe zu bewirken.
Das Klopfen der Samenstränge lässt sich auf
folgende Weise bei Wiederkäuern ausführen:
Es werden zwei ca. i m lange runde Hart¬
holzstäbe von etwa 3 cm Durchmesser quer
Fig. 831. Castration durch Klopfen de« Sainenstrange*.
a oberer (hinterer) Holzstab, b unterer (vorderer) Holz-
*tab, c Stelle, auf welcher der Samonstrang geklopft wird.
Fig. *»33. Castratioi» durch
Klopfen der Samenstrange.
a oberer (hinterer; Stab,
b unterer (vorderer) Stab,
c Stelle, worauf das Klopfen
ausgeführt wird.
über den Scrotumhals angelegt, so dass der
eine vor, der andere hinter demselben zu
liegen kommt (Fig. 331 und 332); die Enden
der Stäbe werden durch zwei Gehilfen stark
zusammen gepresst und in der Weise um ihre
Achse gedreht, dass sich der vordere Stab
unten, der hintere oben befindet^ und der
Hals des Scrotums eine Sförmige Krümmung
erfährt (Fig. 333). Die Gehilfen halten die
r>*
Fig 332. Castration durch
Klopfen der Sameustr&nge,
erste Stellung der Stabe,
a hinterer, b vorderer Stab.
84 CASTRATION.
Stäbe in dieser Stellung fest gepresst, wor¬
auf der Operateur hinter das Thier tritt,
mit der einen Hand den Hodensack nach
abwärts drückt, während er mit der anderen
mittelst eines Hammers t —3 Schläge auf
den Theil des Samenstranges, welcher auf
dem unteren Stabe ruht, gibt. Der dazu zu ver¬
wendende Hammer ist aus Buchsholz mit Blei¬
einlage gefertigt: in Ermanglung eines solchen
kann auch ein Beschlaghammer verwendet
werden. Sollte die Operation das erstemal
nicht gelingen, so kann dieselbe ohne Nach¬
theil später wiederholt werden, was mit der
Bistournage nicht der Fall ist. Die Thiere
scheinen während der Operation wenig zu
leiden, jedoch stellt sich nach 2—3 Tagen
in der Regel ein mässiges Fieber ein.
Die subcutane Unterbindung (Ca¬
stration ä l’aiguille) besteht in der Obliteration
der inneren Samenarterie oder des vorderen
Theiles des Samenstranges durch eine Ligatur,
welche mittelst einer Wundnadel angelegt
wird. Die Operation ist sehr einfach und kann
namentlich bei Stieren in Anwendung gebracht
werden; zu diesem Zwecke wird der hintere
FUSS der zu operirenden Seite mittelst einer
Spannleine nach vorn gezogen, während der
Operateur hinter das Thier niederkniet. Der
Hoden wird fest gefasst und durch Spannung
des Samenstranges dieser auf dem gestreckten
linken Zeigefinger fühl- und sichtbar gemacht,
worauf die mit der Ligatur (Seide) versehene
ekrümmte Wundnadel am vorderen Rande des
amen8tranges zwischen demselben und der in¬
neren Wand der allgemeinen Scheidenhaut ein¬
gestochen wird. Die Nadel wird so weit ge¬
rührt, dass der vordere Theil des Samen¬
stranges (Gefasstheil) überschritten wird und
dann nach Aussen durchgestossen und durch
die gleiche Oeffnung, diesmal an der äusseren
Seite des Samenstranges, durch die erste
Einstichsöflhung herausgenommen, wonach die
auf diese Weise um den Samenstrang gelebte
Ligatur angezogen und fest verbunden wird
(Fig. 334). Das von Serres angegebene Verfah¬
ren, wonach die Nadel nur einmal durch eine
Fig. 334. Halbschematische Darstellung der subcutanen
Unterbindung des Samenstranges. (Querschnitt oberhalb
der Testikel.) a rechter Samenstrang, b linker Samen¬
strang, cc Samenleiter, d rechter unterbundener vorderer
Samenstrangtheil, e vorderer Theil des linken Samenstranges,
f von der Dartos gebildete Scheidewand, g Hodensack,
h i Wegrichtung der Nadel mit Ligatur, k Holzstibchen,
Aber welches die Ligatur befestigt wird.
einzige Ein- und Ausstichöfihung geführt wird,
lässt sich trotz der wiederholten Erwähnung in
der Veterinär-Literatur nicht ausführen, ohne
dass die krumme Nadel vollständig einge¬
stochen und dann subcutan weiter geführt
wird, was gegenüber dem erzielten unbedeu¬
tenden Vortheile, nur eine Stichöflhung zu er¬
zeugen, zu schwierig und gefährlich erscheint.
Eine Modification der subcutanen Unter¬
bindung wird in der Weise ausgeführt, dass
der ganze Samenstrang von der Ligatur ge¬
fasst wird, was jedoch unnöthige Schmerzen
verursacht.
Die subcutane Unterbindung ist leicht
auszuführen und verlangt nur kurze Zeit. Damit
die Ligatur nicht in’s Innere des Scrotums
zurückgezogen werde, wird dieselbe nach Ein¬
schnürung des Samenstranges an ein Holz¬
stäbchen befestigt oder mit der Ligatur der
anderen Seite verbunden.
Was das Klopfen, das Brennen und Durch¬
stechen des Hodens anbelangt, sind diese Me¬
thoden als barbarisch und gefährlich zu be¬
zeichnen und verdienen nur bei Erwähnung
der Geschichte der Castration aufgeführt zu
werden.
Die empfohlene subcutane Unterbindung
des Samenleiters allein führt, wie vorausgesehen
werden kann, zu Entzündungen, Abscess-
bildungen und ist daher zu verwerfen.
Die Anlegung von Kluppen über den
bedeckten oder unbedeckten Samenstrang ist
bei Wiederkäuern nicht üblich, weil durch
dieselben die Scrotalhaut, die ja bei Wieder¬
käuern nur vorne aufgeschnitten wird, zu weit
hinaufgeschoben werden würde.
Was das lineare Abquetschen an¬
belangt, so dürfte dasselbe bei Wiederkäuern,
da diese Thiere weniger reizbar sind als die
Einhufer und wegen der Enge des Inguinal-
canales Hernien seltener Vorkommen, vorteil¬
hafte Anwendung finden.
Das Ab schaben des Samen Stranges
wird nur bei ganz jungen Wiederkäuern aus¬
geführt; bei starker Entwicklung der Samen-
gefässe, wie sie bei älteren Thieren vorkommt,
ist jedoch die Einstellung einer Blutung nicht
ausgeschlossen (s. Castration der Schweine)
Castration der männlichen Sch weine.
Männliche Schweine werden zum Zwecke
der schnelleren Mästung und zur leichteren
Haltung mit weiblichen Thieren castrirt. Diese
Operation kann sowohl bei jungen als bei
älteren Thieren ausgeführt werden. Die zu
verwendenden Castrationsmethoden sind je
nach dem Alter oder der Uebung zu wählen.
Die Testikel des Schweines liegen mehr nach
rückwärts (Fig. 335), sie sind in flacheren
Scrotalsäcken eingeschlossen und erreichen
ein Gewicht von ca. 150 g, sind somit so gross
als diejenigen der Pferde. Der Inguinalcanal
ist bei diesen Thieren sehr weit, so dass
Leisten- und Hodenbrüche verhältnissmässig
häufiger Vorkommen als bei anderen Thieren.
Werden die männlichen Schweine nicht
zur Zucht verwendet, so können sie im Alter
von 4—8 Wochen castrirt werden; es ist je¬
doch zu bemerken, dass, wenn sie etwas
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CASTRATION. 85
älter operirt werden, die Maskelanlage mehr
entwickelt, und deshalb deren Verwerthung
zu gewissen Zwecken vortheilhafter wird. Die
Bemei8terung älterer Eber ist nicht immer
ein leichte Sache. Folgendes Verfahren, das
Fi g. 836. Stellung der Tesiikel beim Schweine.
der Referent mit Vortheil angewendet hat,
lässt sich der Einfachheit wegen sehr
empfehlen. Es wird eine Strickschlinge an
der linken hinteren Gliedmasse des Thieres
über dem Tarsalgelenk befestigt und das
Thier aus dem Stalle an eine Gitterwand,
einen Gartenzaun oder in Ermanglung eines
solchen in die Nähe eines Baumes geführt.
Dann wird ein zweiter starker, aber weicher,
doppelt zu einer einfachen Schlinge zusam¬
mengelegter Strick von einem Gehilfen ge¬
halten und hierauf die gebundene Gliedmasse
fest angezogen; das Thier versucht zu ent¬
weichen und öffnet das Maul zum Schreien;
die oben erwähnte Schlinge wird in diesem
Augenblicke (von rückwärts her) leicht und
rasch durch das Maul, über den Oberkiefer
und hinter den Hauzähnen angelegt, die
Enden durch das Gitter gezogen oder um den
Baum gelegt und nachdem der Kopf des Thieres
so nahe und so tief wie möglich an diesem
angebracht worden, mittelst einer Schlinge,
die leicht aufzulosen ist, befestigt Das so
gefesselte Thier sucht im ersten Augenblicke
sich zu befreien, erkennt aber bald die Macht¬
losigkeit seiner Befreiungsversuche und er¬
gibt sich in sein Schicksal. Es wird nun Stroh
geholt und ein Lager auf der linken Seite des
Thieres bereitet. Der Gehilfe, welcher den
linken Hinterfuss festhält, begibt sich nach
rechts, ein anderer Strick wird an dem linken
Vorderfuss befestigt und während ein kräf¬
tiger Gehilfe das Thier auf das Lager stösst,
ziehen die anderen an den Stricken. Ist das
Schwein am Boden, so werden ihm die mit
weichen Tuchlappen eingewickelten vier Füsse
mit den bereits angebrachten Stricken kreuz¬
weise über einander gebunden. Junge Ferkel
werden entweder auf einen Tisch gelegt, oder
von einem sitzenden Gehilfen festgehalten,
welcher das Thier an den Beinen zwischen
seine Schenkel einklemmt, in der Weise, dass
die Bauchseite des Thieres oben und dessen
Hintertheil auf die Knie des Gehilfen zu
liegen kommen. Die Castrationsmethoden, die
bei Schweinen in Anwendung kommen, sind:
Bei älteren Thieren die Anlegung
einer Kluppe oder einer Ligatur auf den
bedeckten oder unbedeckten Samen¬
strang, bei jüngeren Schweinen das Abdrehen
und Abreissen, das Abschaben oderauch
das einfache Abschneiden des Samen¬
stranges. Die zu verwendenden Kluppen
brauchen nur 8—10 cm lang zu sein. Wird
die Ca8tration mit bedeckten Testikeln aus¬
geführt, so empfiehlt sich vorerst, eine genaue
Untersuchung der im Hodensacke liegenden
Organe vorzunehmen, wenn man nicht Gefahr
laufen will, Darmschlingen in die Kluppen
oder die Ligatur einzuklemmen, was selbst¬
verständlich den Tod des Thieres nach sich
ziehen würde. Bei der Castration mit unbe¬
deckten Testikeln darf die Scrotalwunde viel
kleiner sein als bei der vorerwähnten Methode.
Die Kluppe oder die Ligatur wird jedoch sehr
zweckmässig auf einen Theil der allgemeinen
Scheidenhaut angelegt, damit Zerrungen des
Samenstranges möglichst verhütet werden.
Es wird meistens zur Verhinderung des Ab-
gleitens, der Nebenhoden oder wenigstens ein
Theil desselben unter der Ligatur oder den
Kluppen gelassen; die Letzteren können nach
24—48 Stunden schon entfernt werden. Das Ab -
drehen und Abreissen des Samenstranges wird
folgendennassen ausgeführt: Nach Blosslegung
des Samenstranges wird die V erbindung zwischen
der allgemeinen Scheidenhaut und den Neben¬
hoden mit der Schere aufgehoben, der Samen¬
strang der Länge nach geschlitzt und etwas her¬
vorgezogen. Mit der linken Hand wird der¬
selbe oberhalb der gemachten Oeffhung festge¬
klemmt, während mittelst des durch die letz¬
tere gesteckten Zeigefingers der rechten Hand
der Samenstrang rasch und bequem gedreht
wird. Ist derselbe strickartig, so wird er etwas
angezogen, noch ein paarmal gedreht und
vollends zerrissen, worauf er sich dann in den
Leistencanal zurückziehen kann. Das Abscha¬
ben des Samenstranges soll eine aus Indien
oder China durch die Engländer nach Europa
gebrachte Castrationsmethode sein; sie besteht
darin, dass der biossgelegte Samenstrang, auf
den Zeigefinger der linken Hand gehalten
und gespannt, mittelst des Rückens oder des
wenig scharfen schneidenden Randes eines
beinahe senkrecht zum Samenstrang gehaltenen
Bistouris schichten weise getrennt wird. Hie¬
bei werden die Blutgefässe zunächst einseitig
getrennt und können die Tunica media
und intima sich noch während der Spannung
der Tunica adventitia ins Lumen des Gefässes
zurückziehen. Ist der vordere (Gefäss-) Theil
des Samenstranges in dieser Weise durch¬
getrennt, so kann der Rest desselben einfach
durchgeschnitten werden.
Das einfache Abschneiden kann nur
bei jüngeren Thieren von 4—6 Wochen in
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$6
CASTRATION.
Anwendung kommen, da bei älteren die fol¬
gende Blutung, wenn nicht gerade tödtlich,
doch nachtheilig wird. Bei dieser Methode
wird der blossgelegte Samenstrang leicht ge¬
spannt und unmittelbar über den Nebenhoden
mit einem scharfschneidenden Bistouri auf
einmal getrennt.
Castration des Hundes. Die Castra¬
tion der männlichen Hunde ist eine verhält-
nissmässig seltenere Operation, sie wird, gegen
habituell erregten Geschlechtstrieb und gegen
den bei diesem Zustande sich einstellenden
Drang, das Haus zu verlassen, vorgenommen.
Da die Hundebesitzer die Castration ihrer
Hunde häutig aus Unkenntniss der Folgen
dieser Operation verlangen, so sind die Tliier-
ärzte verpflichtet, dieselben darüber zu be¬
lehren. Die castrirten Hunde verlieren durch
die Castration ihre besten Eigenschaften,
werden träge, theilnahmslos und ausser¬
ordentlich schnell fett, Jagdhunde ver¬
lieren jede Lust, das Wild zu verfolgen oder
aufzuspüren und sollen zum grossen Tlieil
ihren feinen Geruchssinn einbüssen.
Die Testikel liegen beim Hunde wie beim
Schweine hinterhalb der Schenkelspalte uud
nicht wie bei den Einhufern und Wiederkäuern
in der Leistengegend. Bei älteren Thieren ist
die Dartos öfters mit der allgemeinen Schei¬
denhaut fest verbunden, so dass eine Trennung
derselben schwierig wird.
Hunde werden am bequemsten auf einem
Tische, nachdem man denselben das Maul
und die vier Füsse mit breiten Binden ge¬
bunden hat, operirt.
Die in Anwendung kommenden Castra¬
tionsmethoden sind: Die Unterbindung des
Samenstranges mit bedeckten oder unbedeckten
Testikeln; das Abschaben, das Abdrehen
und Abreissen des Samenstranges, welche
Operationsmethoden wie bei Schweinen und
anderen Thieren ausgeführt werden. Es ist
jedoch zu bemerken, dass beim Hunde die
aus derScrotalwunde herabhängenden Ligatur¬
enden weder unter sich noch mit denen der
anderen Seite verbunden werden dürfen, da die
Gefahr des Abreissens dadurch erhöht wird.
Castration der Katze. Männliche
Katzen werden häufiger castrirt als Hunde,
die operirten Thiere bleiben lieber zu Hause
und werden ebenfalls fett; namentlich be¬
kommen sie ein schön glänzendes Haar. Die
Operation an und für sich bietet keine
Schwierigkeit, wohl aber die Befestigung des
Öfters sehr gefährlichen Thieres. Das Ein¬
stecken desselben (Kopf voran) in einen
Stiefel oder dichten Sack ist nur scheinbar
bequem, indem dasselbe ziemlich leicht mit
den hinteren Pfoten herauskommen kann. Die
einfachste Art des Haltens ist folgende: Der
Gehilfe hält die Katze mittelst der linken
Hand an einer angelegten Halshautfalte auf
einem Tische (nahe einer Ecke) fest; fasst
mit der rechten Hand den rechten Hinterfuss
am Tarsus und Metatarsus, führt den¬
selben rasch schief über den Hals und packt
zugleich die gebildete Hautfalte, indem er
den Kopf des Thieres gleichzeitig fest auf
den Tisch herabdrückt. Mit der freigewordenen
linken Hand fasst er den Schwanz und drückt
das Kreuz des Thieres ebenfalls auf den
Tisch, jedoch so, dass die Scrotalgegend
1—2 cm ausserhalb der Tischkante freifiegt.
Das Thier sucht freilich den Kopf und das
Kreuz vom Tische zu heben und krallt sich
zu diesem Zwecke fest an denselben an. Die
Hauptsache hierbei ist das energische und
feste Halten des Thieres in dieser Lage und
muss der Gehilfe zum Ausharren ermahnt
werden, da in der Regel das erboste Thier
die Sache nicht leicht zum zweitenmal an
sich machen lässt. Unter Beobachtung der
an gegebenen Verhaltungsmassregel bietet diese
expeditive Methode keine Schwierigkeit und
keine Gefahr.
Ist das Thier festgehalten, so gilt es, die
Operation so schnell wie nur möglich auszu¬
führen. Zu diesem Zwecke wird entweder der
Hodensack beiderseitig rasch eingeschnitten
oder kann das äusserste Ende desselben mit¬
telst einer Schere quer abgeschnitten werden.
Die Testikel werden dann leicht ausgedrückt,
gefasst uud der nachfolgende Samenstrang
durch rasches Herausziehen zerrissen oder mit
dem Bistouri abgeschnitten. Die Katze wird
vom Gehilfen sofort in einen vorgehaltenen
Korb gesteckt und eingesperrt. Eine Nach
behanalung ist nicht nothwendig.
Castration der Kaninchen. Die Ca¬
stration dieser Thiere wird zur Erhöhung der
Mastfähigkeit und auch zum Zwecke des ge¬
meinschaftlichen Haltens von männlichen und
weiblichen Kaninchen in einem gleichen Raume
vollzogen. Castrirte Kaninchen unter sich und
mitWeibchen verhalten sich indifferent, werden
jedoch von Uncastrirten nicht geduldet und ver¬
folgt, weshalb letztere einzeln gehalten werden
sollen. Bei Kaninchen sind die Leistencanäle
sehr weit, weshalb auch ausser der Rammei¬
zeit die Testikel sich in dieselben und sogar
bis in die Bauchhöhle zurückziehen können.
Die Scrotalsäcke sind unbehaart und befinden
sich in der Leistengegend, jedoch etwas rück¬
wärts gelagert und sehr dünnwandig; beide
Hodensäcke sind von einander scharf ge
trennt. Die Castration kann durch Abbinden
des Hodensackes, Abschaben oder Abschneiden
des Samenstranges geschehen. Beim Abbinden
des Hodensackes kann jedes Hodensackfach
für sich mit einer Ligatur versehen werden;
nach geschehener fester Zuschnürung lässt
man die Testikel, bis sie sich selbst ablösen,
hängen. Bei den anderen Methoden ist es
wegen der grossen. Gefahr von Eingeweide¬
vorfällen dringend geboten: 1. Die Scrotal-
wunden möglichst klein zu machen und 2. beim
Abschaben und beim Abschneiden den Samen¬
strang so wenig wie möglich herauszuziehen
(da Eingeweide sonst leicht nachfolgen). In
Folge dessen empfiehlt sich das einfache
Abschneiden mehr als das Abschaben. Ca¬
strirte Kaninchen erreichen öfters ein sehr
grosses Gewicht; solche von den grösseren
Rassen sogar 5—6, selbst 8 kg.
Die Castration von Parkthieren, wie Rehe
und Hirsche, kann manchmal durch Ver-
CASTRATION.
87
letzungen, oder auch wegen ihrer Gefährlich¬
keit für Personen oder Thiere geboten sein;
dieselbe wird nach den gleichen Methoden,
wie sie bei kleinen Wiederkäuern üblich sind,
ausgeführt. Eigentümlich ist, dass bei ca-
strirten Rehen und Hirschen die Entwicklung
des Geweihes eine wesentliche Transformation
erleidet; dasselbe wird nämlich nicht mehr
regelmässig abgelegt und ist auch dessen
Wachsthum abnorm (s. Geweih).
Castration der Cryptorchiden. Die
Cryptorchiden sind Thiere, bei welchen die
Testikeln nicht bis in die Hodensäcke ge¬
langt sind. Bekanntlich sind diese ursprüng¬
lich in der Bauchhöhle sich entwickelnden
Drüsen durch einen wesentlich aus glatten
Muskelfasern bestehenden Bandapparat, das
Hunter’sche Leitband der Hoden (Gubernacu-
lum Hunteri), mit der hinteren Abtheilung
desHodensackes verbunden (Fig. 336 G). Dieses
Inguinal- oder Abdominal-Cryptorchidie (s.
Monorchidie) bezeichnet.
Die Operation der Castration wird bei
solchen geschlechtlich immer aufgeregten
Thieren, namentlich beim Pferde, das als
„Kiber“ bekannt ist, nothwendig. Sie kann
auf verschiedene Art geschehen, vor Allem
ist jedoch die genaue Exploration der Ingui¬
nalgegend von Aussen sowie von Innen durch
den Mastdarin erforderlich, da in einzelnen
Fällen dadurch der zurückgebliebene Testikel
in den Leistencanal gestossen werden kann.
Das Thier wird liegend, wie bei der ge¬
wöhnlichen Castration, operirt. Das leere
Scrotum wird mit Phenyllösung gewaschen
(die Hände und der Arm des Operateurs
ebenfalls), die Scrotaihaut zu einer Falte ge¬
legt und mit dem Bistouri in der Richtung
der Längsaxe des Körpers ein Schnitt von
9—12 cm gemacht. Die darunter liegende
< 7 . (x. C. vag. V. ur .
Fig. 886. Das Herabsteigen der Hoden ans der Bauchhöhle in den Hodensack nach Eichbaum. M. orch. Meecrchium,
T. Hoden, G. vag. llohlranm der Tonic, vag. communis, G. Gubernacnlum Hunteri, C. Convolut des Vas deferens, V. ur.
Vesica urinaria, P. Penis, V. c. Vena cava posterior, A. Aorta.
Band zieht durch seine allmälige Verkürzung
die Hoden durch den Leistencanal in die Ho¬
densäcke. Auf dieser Wanderung kann es je¬
doch Vorkommen, dass ein oder beide Testi¬
kel in der Bauchhöhle oder dem Leistencanal
Zurückbleiben. (Professor Dr. Eichbaum hat
über den Descensus Testiculorums sehr inter¬
essante Untersuchungen angestellt, s. österr.
Monatsschrift für Thierheilkunde Jahr 1883
Nr. 1).
Solche Thiere, bei welchen beide Hoden
zurückgeblieben sind, werden als Cryptorchi¬
den, solche, bei welchen nur ein Hoden zu¬
rückgeblieben ist, werden als Monorchiden,
und der Zustand, je nachdem der oder die
Hoden im Inguinalcanal oder in der Abdomi¬
nalhöhle (Bauchhöhle) zurückgeblieben, als
Dartoshaut wird ebenfalls mit dem Messer
sorgfältig getrennt und nun die zugespitzt
gehaltene eingeölte Hand gegen den äusseren
Leistenring, welcher namentlich gegen den
Schambeinrand fühlbar ist, eingebohrt. Selbst
verständlich wird die Operation sehr er¬
leichtert, wenn der Operateur eine kleine
Hand besitzt. Sitzt der Testikel im Inguinal -
canal, so ist derselbe von der allgemeinen
Scheidenhaut umgeben und wird diese mit
den Fingern einige Oentimeter weit losprä-
parirt und darauf in eine kleine Falte ge¬
zogen, welche dann mittelst eines Herniotoms
oder einer Schere angeschnitten wird; diese
Oeffnung wird nun nach Bedarf und Möglich¬
keit erweitert, der in der Regel verkümmerte
Testikel am Schweif des Nebenhodens ge-
88 CASTRATION.
fasst and langsam nach Aussen gezogen. In
Fällen, bei welchen der Testikel schwer zu
fassen ist, kann eine gelöffelte Steinzange mit
Vortheil verwendet werden. Liegt der Testikel
noch in der Baachhohle, so befindet sich der¬
selbe in der unmittelbaren Nähe des oberen oder
inneren Inguinalringes (Fig. 336 T): in diesem
Falle muss die Hand weiter dringen und der
Peritonealüberzug durchgebohrt werden, worauf
der Testikel mit 3 Fingern gefasst und in
den Inguinalcanal gezogen wird. Ist der In¬
guinalcanal zu eng oder ganz obliterirt, so
konnte der Bauchschnitt neben demselben in
der Richtung nach Aussen geführt werden,
was aber wegen der Gefahr der Peritonitis
bei dem Pferde sehr bedenklich erscheint.
Mit Geduld und Geschicklichkeit bringt man
die Hand meistens durch den Inguinalcanal
hindurch. Sind die Testikel herausgezogen
oder wenigstens in den unteren Theil des
Canales gelangt, so lassen sich dieselben
durch Abbrennen, Abkluppen, Unterbindung,
Abdrehen oder Abquetschen nach der bei der
normalen Castration angeführten Operations¬
weise leicht entfernen. Das lineare Abquet¬
schen dürfte wohl unter den anderen Methoden
den ersten Rang einnehmen (Degive). Vor¬
sichtshalber ist nach der Operation die Scro-
talwunde durch eine Naht während 24 Stun¬
den zu verschliessen, damit keine Eingeweide-
vorfailc entstehen: die durch die Erweiterung
des Canales erzeugte Reizung führt bald zu
dessen Schwellung (Entzündungsschwellung),
so dass diese Gefahr nur in den ersten Stun¬
den nach der Operation zu befürchten ist.
Castration der männlichen Vögel.
Die Castration der männlichen Vögel kommt
eigentlich nur beim Haushahn vor, obschon
Enten, kleinere Gänse, grössere Tauben sich
ebenfalls dazu eignen. In der Mehrzahl der
Fälle wird diese Operation durch Köchinnen
ausgeführt und zeigen dieselben manchmal
eine ausserordentliche Gewandtheit darin. Der
castrirte Hahn wird als Kapaun bezeichnet
und lässt sich durch die Veränderung seiner
Stimme und grosse Mastfahigkeit von den Un-
castrirten unterscheiden. Die Operation selbst
ist leicht auszuführen, erheischt aber, um gün¬
stige Resultate zu liefern, einige Uebung. Die Ge¬
schlechtsdrüsen des Hahnes liegen in der Kör¬
perhöhle und zwar in der Höhe der letzten
Rippenfortsätze, unmittelbar unter dem vor¬
deren Ende der Nieren (Fig. 337). Diese letz¬
teren sind sehr zart und ist deren Verletzung
meistens tödtlich. Die Testikel sind von
bohnenförmiger Gestalt und nur durch ihre
Gefässe und ihr sehr lockeres Bindegewebe in
ihrer Lage gesichert; ihre Grösse variirt sehr
nach Rasse, Alter und Jahreszeit. Das Alter
von drei Monaten scheint für die Castration
das günstigste zu sein. Nach den Beobach¬
tungen des Referenten sind im Allgemeinen
die Hähne, welche einen einfachen Kamm
tragen, diejenigen, welche am leichtesten
castrirt werden, indem sie meistens gut
entwickelte und daher leicht erreichbare
Testikel besitzen. Die Operation wird in
folgender Weise ausgeführt: Der Operateur
hält den Hahn an den Füssen, den Kopf
desselben unter den Arm nehmend, und zwar
so, dass der Rücken des Vogels nach
unten gerichtet ist; für Ungeübtere ist jedoch
die Verwendung eines Gehilfen anzurathen.
Der Letztere sitzt auf einem hohen Stuhle
Fig. 337. Castration des Hahnes, a Herz, b b Testikel.
c c Nieren, d Schnitt in der Banchwand.
oder besser auf einem Tische und hält den
zu operirenden Hahn so, dass dessen Rücken
auf seinen Knien ruht und dessen Hinter- %
theil gegen den Operateur gewendet ist.
Zunächst werden rechts oder links in der
Gegend zwischen dem hinteren Ende des
Brustbeines und dem After die Federn einzeln
ausgerupft, dann eine Hautfalte zwischen diesen
beiden Punkten angelegt und vorläufig ein
Hautschnitt von 2 * 5 cm in dieser Richtung
gemacht, worauf die Musculatur und schliess¬
lich das Bauchfell zum Vorschein kommt.
Das Letztere wird mit einer Pincettc gefasst,
etwas in die Höhe gehoben und angeschnitten.
Die so erzeugte kleine Oeffnung wird dann
erweitert und auf diese Weise der seitliche
Luftsack, dessen Wandung bei jedem Athem-
zuge hin und her bewegt wird, abgedeckt.
Wenn die Operation in der rechten Flanke
aasgeführt wird, kann derselbe ohne Bedenken
angeschnitten werden, insofern er sich un¬
mittelbar vor der Oeffnung lagert und nicht
zur Seite geschoben werden kann. Nun wird
der eingeölte Zeigefinger der rechten Hand
durch die klaffende Wunde in die Körper¬
höhle und zwischen Eingeweide und Bauch¬
wand bis zur Wirbelsäule eingeführt. Der
rechte Testikel wird zunächst als 12—18 mm
langes und 8—12 mm breites bohnenförmiges
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CASTRATION. 89
Gebilde von derber Consistenz gefühlt, worauf
derselbe mit etwas gebogener Fingerspitze
nach ab- und auswärts von seinen Adhärenzen
befreit und schliesslich völlig frei wird. Der
so abgelöste Testikel wird sofort längs der
Bauch wand mittelst der etwas gebeugten dritten
Phalanx nach aussen gezogen, wobei derselbe
in der Regel vor der Oeflhung dem Finger
ausweicht und unter die Darmschlingen ge¬
langt Ist dieses nun geschehen, so verliere
man keine Zeit mit dem Wiederauffinden des
Testikels, denn abgesehen von der Verlän¬
gerung der Operation wird hierbei das Bauch¬
fell unnöthig gereizt und sehr häufig verletzt.
Der linke Testikel wird auf gleiche Weise
wie der rechte aufgesucht und dann mittelst
des Fingers an die Wirbelkörper sachte ge¬
presst und abgestreift. Eine Hauptsache ist
es, bei der Operation nur die Pulpa des Fin¬
gers zu gebrauchen, da mit dem Nagel zu leicht
Verletzungen erzeugt werden. Ist der zweite
Testikel abgelöst, so wird die äussere Wunde
durch die Kftrschnernaht geschlossen. Das
Liegenlassen der Testikel in der Bauchhöhle
hat nicht den geringsten Nachtheil, es pfropft
sich derselbe an irgend einer Stelle der
Bauchwand oder der Eingeweide ein und wird
schon innerhalb weniger Tage zum grössten
Theil resorbirt. Die ganze Operation vom Be¬
ginne bis zum Ende dauert bei einiger Uebung
nicht mehr als 2—4 Minuten. Damit der
castrirte Hahn von den nicht castrirten leicht
unterschieden werden kann, wird unmittelbar
nach ausgeffthrter Operation der Kamm des¬
selben mit der Schere aufgeschlitzt oder
V förmig ausgeschnitten.
Wenn unmittelbar nach beendigter Ope¬
ration der castrirte Hahn seine Federn schüt¬
telt und mit den Flügeln schlägt, so ist man
sicher, dass die Castration von gutem Er¬
folge begleitet sein wird. Senkt er aber den
Kopf und vermag er sich nicht auf den
Beinen zu halten, lässt er ferner die Flü¬
gel hängen und hält die Augen halb ver¬
schlossen, so verzichte man lieber auf die
geringen Chancen eines günstigen Ausganges
und tödte das Thier sofort, um es wenig¬
stens als Suppengeflügel zu gebrauchen. Die
Nahtligatur wird von selbst eliminirt und
können nach wenigen Tagen die jungen Ka¬
paunen ins Freie gelassen werden. Am ersten
und zweiten Tag bekommen dieselben in
Milch aufgeweichtes Brot und werden in tro¬
ckenen, vor Luftzug geschützten Räumen ge¬
halten. Die Sterblichkeit mag bei einiger Fer¬
tigkeit zwischen 2 und 7% der Operirten
betragen, was in Anbetracht des geringeren
Werthes und der Benützung der missglückt
Operirten als ein günstiges Resultat bezeichnet
werden kann. In Frankreich (Bresse) gibt es
Frauen, die in dieser Operation eine solche
Uebung und Fertigkeit erlangen, dass sie von
hundert kaum ein bis zwei Stück verlieren
und zur Ausführung der Operation nie mehr
als zwei Minuten verwenden.
Die Castration der Enten, Gänse etc. ist
insofeme schwieriger, als der Finger des
Operateurs meistens zu kurz ist, um bei
diesen Thieren die Testikel bequem abstreifen
zu können. Die Kapaunen erreichen ein Ge¬
wicht von 2*5—3kg und darüberund reprä-
sentiren somit einen Geldwerth von 4 bis
7 Mark. Es wäre daher sehr zu wünschen,
dass diese Operation ausser Frankreich eine
rössere Verbreitung finden würde, indem
ie Nachfrage nach gutem Geflügel immer
grösser wird.
B. Castration bei weiblichen Thieren.
Die Castration weiblicherThiere wird eben¬
falls von den älteren Schriftstellern erwähnt,
so führen Aristoteles (384—321 v. Chr.) und
Plinius der Aeltere (23—79 n. Chr.) die Ca¬
stration des weiblichen Kameeles und des
Schweines an. Dieselbe besteht in der Extir-
pation der Eierstöcke und dient theils als
Heiloperation (bei Entartung), theils zur Ver¬
folgung ökonomischer Interessen (Mastfähig¬
keit, erhöhte Brauchbarkeit etc.); sie wird
jedoch wegen der schwierigeren Ausführung
und grösseren Gefahr seltener als die Ca¬
stration männlicher Thiere vorgenommen. Im
Allgemeinen sind die weiblichen Geschlechts¬
organe nach dem gleichen Typus wie die¬
jenigen männlicher Thiere zusammengesetzt
und bestehen aus folgenden Theilen: 1. Den
am Eingang des Beckentheiles der Bauch¬
höhle befindlichen Eierstöcken; 2. den Fallo-
pischen Röhren; 3. der Gebärmutter sammt
ihren Hörnern; 4. der Scheide und 5. dem Wurf.
Die Eierstöcke (Ovarien) sind ge¬
paarte Geschlechtsdrüsen von länglich-rund¬
licher Gestalt; sie bestehen aus einem Binde-
gewebsstroma, in welchem die Eierstockblasen
(Graafsche Follikel) in verschiedener Anzahl
eingebettet sind und das Ei enthalten. Nach
Berstung der Graafsehen Follikel entwickeln
sich durch Bildung einer bindegewebigen
Narbensubstanz die sog. gelben Körper, welche
jedoch nach einigen Monaten zum grössten
Theile wieder resorbirt werden. Die Eier¬
stöcke sind mit einer fibrösen Hülle versehen
(Tunica propria), über welche ein vom Bauch¬
fell stammender seröser Ueberzug sich breitet.
Jeder Eierstock hängt an der inneren (me¬
dialen) Fläche des breiten Mutterbandes, wo
er durch zwei Bandverstärkungen (das obere
und das untere Eierstockband) theils an dem
vorderen Rande desselben, theils an dem Ge¬
bärmutterhorn fixirt wird (Fig. 338). Ganz in
dessen Nähe und theilweise mit ihm verbunden
befindet sich die von zwei serösen Blättern
gebildete trichterförmige Muttertrompete, an
deren freiem Rande zarte und zackige Fort¬
sätze (Fransen) Vorkommen. Vom Grunde
dieses Trichters setzt sich eine geschlängelte
Röhre zwischen den beiden Blättern des breiten
Mutterbandes (der Eileiter) bis zun» Gebär-
mutterhorne fort. Die Gebärmutterhörner sind
Verlängerungen des Gebärmutterkörpers,
welche die Form eines Schlauches haben und
nach vorn und aussen divergiren. Ihre Wan¬
dungen sind wie diejenigen der Gebärmutter
selbst aus drei Häuten zusammengesetzt:
1. Einer Schleimhaut, welche die innere Aus¬
kleidung darstellt: 2. einer Muskclschichte
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90
CASTRATION.
und 3. einer serösen Umhüllung, welche von
den breiten Mutterbändein stammt. Die letz¬
teren entstehen aus dem Lenden- und Nicren-
theile des Bauchfelles und sichern die Lage
der Gebärmutter und ihrer Hörner, an deren
concaven Rändern sie sich befestigen. Weiter
Fig. 338. Rechter Eierstock der Kuh. U rechtes Gebärmutter¬
horn, L breites Mutterband, 1/ dessen vorderer Rand,
0 Eierstock, R Rauch fellfalte, an welcher derselbe aufge¬
hängt ist, S oberes Eierstorkband, T unteres Eierstock¬
band, A. EierstockaTterie, V Eierstockvene, I Eileiter,
P Muttertrompete, X deren gefranster Rand, Z Einmttn-
dnng des Eileiters in das Gebärmutturborn. (Nach Leisering.)
hinten am Beckeneingange schnürt sich der
Gebärmutterkörper ein und bildet den Gebär¬
mutterhals (Collum uteri), an welchem die
Muskelschichte eine bedeutende Stärke be¬
sitzt. Die Höhlung der Gebärmutter com-
municirt nach rückwärts durch einen engen
Canal mit der Scheide (Vagina). Dieser enge
Canal besitzt somit eine vordere Oeffnung
nach der Gebärmutter (innerer Muttermund)
und eine hintere Mündung nach der Scheide
(äusserer Muttermund), welche letztere mehr
oder weniger stark in die Höhlung der Vagina
hervorragt. Die Scheide stellt einen geräumigen
Vorhof dar, an dessen unterer Wandung die
Hamröhrenmündung vorkommt; zwischen
dieser und der äusseren Scheidenöffnung be¬
findet sich der Kitzler (Clitoris). Die Scheide
liegt in der Beckenhöhle unmittelbar unter
dem Mastdarme und ist mit diesem und mit
den Beckenwandungen durch lockeres Binde¬
gewebe verbunden. Nur der vordere Theil ist
mit einem serösen Ueberzuge, welcher vom
Bauchfelle stammt, versehen; da wo der
seröse Ueberzug den oberen vorderen Theil
der Scheide verlässt, um den Mastdarm zu
überziehen, entsteht eine Ausbuchtung, die
„Excavatio recto-uterina u , welche bei der Ca¬
stration durch die Vaginalmethode eine wich¬
tige Rolle spielt (vgl. Fig. 347). Unter dem
vorderen Ende der Scheide zwischen ihr und
der Harnblase bildet das Bauchfell ebenfalls
eine Ausbuchtung, welche als Blasen-Trag-
sackausbuchtung (Excavatio vesico-uterina)
bezeichnet wird. Es besitzt somit die Scheide
nur vorne einen serösen Ueberzug, während
weiter rückwärts dieselbe in losem und weit¬
maschigem Bindegewebe gelagert ist.
Bei der Castration weiblicher Thiere
müssen die Eierstöcke aus der Bauchhöhle
herausgenommen werden und können hiezu
mehrere Methoden in Anwendung kommen, je
nachdem dieselbe von dieser oder jener Seite
geöffnet wird. Die Oeffnung der Bauchhöhle
zum Zwecke der Castration kann bei den
weiblichen Hausthieren von vier Seiten aus
geschehen: 1. Durch die Flanke, 2. durch
die Scheide, 3. durch die weisse Linie
und 4. durch den Mastdarm. Die erste,
als Flankenmethöde bekannt, ist die älteste
und kann bei allen Hausthieren zur Anwen¬
dung kommen. Die zweite und die vierte
können nur bei grösseren und die dritte nur
bei kleineren Thieren ausgeführt werden.
Die Castration der Kuh. Unter den
grösseren Thieren nimmt die Castration der
Kuh den ersten Rang ein und wird deshalb
hier zuerst beschrieben. Diese Operation hat
keineswegs einen ausschliesslich modernen Ur¬
sprung, indem dieselbe schon von Olivier de
Serres in seinem „Thöätre d’agriculture“
(1600) unzweifelhaft erwähnt wird. Nach
Delabtre-Blain (1803) ist die Castration der
Kuh in England im letzten Jahrhundert häufig
ausgeführt worden. Es scheint jedoch dieselbe
im ersten Drittel des gegenwärtigen so ziem¬
lich selten vorgekommen zu sein. Nachdem
nun im Jahre 1831 in einer industriellen
Zeitschrift ein Aufsatz über die von Thomas
Winn im Natchezlande (Louisiana) ausge¬
führte Castration der Kühe erschienen war,
verbreitete sich diese Operation nicht nur in
den Vereinigten Staaten sondern auch in
Europa wieder. So publicirte Levrat, Thierarzt
in Lausanne (Schweiz), im Februar 1833 über
die von ihm ausgeführte Castration der Kuh
eine kurze Abhandlung. Um die gleiche Zeit
operirte Trachsler in Oerlikon bei Zürich nach
der nämlichen Methode. Von da an wird diese
Operation häufig Gegenstand von Aufsätzen
in der Veterinär-Literatur, so von Regere (1834),
Putot (1838), Lorin (1841), Aubin (1845),
Rey (1847), Seifert aus Steiermark (1847),
Charlier(1850), Prangö(1850), Colin (1858) etc.
Die Castration der Kuh wird zum Zwecke
der Entwicklung der Mastfahigkeit, sowie der
Verlängerung der Lactationsperiode nach zwei
Methoden ausgeführt: die Castration durch
die Flanke (Levrat) und die Castration
durch die Scheide (Charlier).
Die von Charlier sehr warm empfohlene
Castration der Kühe soll nach demselben
hauptsächlich folgende Zwecke erfüllen:
1. Grössere Mastfahigkeit. 2. grössere Milch-
secretion, 3. schmackhafteres Fleisch. Was
jedoch die grössere Milchsecretion anbelangt,
so lässt sich dieses nur behaupten von Kühen,
die vor der Operation durch krankhaft erhöhten
Geschlechtstrieb für die Lactationsperiode,
in welcher sie sich befanden, zu wenig Milch
CASTRATION.
91
lieferten. Die Milehsecretion kann allerdings ,
über 20 Monate nach der Operation andauern, j
jedoch eibt es eine Menge von Fällen, wobei '
eine bedeutende Abnahme der Milehsecretion \
eintrat. Der Hauptvortheil der Castration ,
liegt indessen in dem Umstande, dass die
Thiere, die dann keine Milch mehr geben,
bereits gemästet erscheinen. Kühe sollten 4
bis 6 Wochen nach dem Gebären des 4., 5.
bis 6. Kalbes castrirt werden.
Castration durch die Flanke. Diese
Operation wurde von Levrat an der linken,
später von Putot, Desbans, Rey, Charlier etc.
an der rechten Flanke aasgeführt. Die mei¬
sten Operateure schnitten die Rauchwand
schichtenweise bis zum Peritonaeum in schiefer
Richtung von der oberen Flanke aus durch, so
dass die Wunde circa 12—15 cm Länge erhielt
(Fig. 339). Dann wurde die Hand und der Arm
durch die erzeugte Oeffnung eingeführt und die
Fig. 339. Castration dnreh Flanken schnitt nach Levrat.
Ovarien durch Torsion oder Ausschälen ent¬
fernt, worauf die äussere Wunde mittelst
Zapfen- oder Kürschnernaht verschlossen
wurde. Obschon diese Castrationsmethode bis
zum Jahre 1850 die einzige war, die zur Aus¬
führung gelangte, wird sie heutzutage von
keinem Thierarzt mehr unternommen, indem
die neuere Methode weit günstigere Resultate
liefert.
Castration der Kühe durch die
Scheide. Charlier veröffentlichte im Jahre
1850 eine neue, von ihm erfundene Castra¬
tionsmethode, die darin besteht, die Ovarien
durch einen Schnitt in der Wandung der
Scheide zu erreichen und zu extirpiren. Die
Vortheile dieser letzteren sind so gross gegen¬
über der Flankenschnittmethode, dass sie so¬
zusagen die einzig ausgeführte ist. Zudem ist
dieselbe sehr einfach und leicht vorzunehmen:
obschon bei einigen Operateuren die Zahl der
mit ungünstigem Ausgange begleiteten Fälle
, eine grosse ist, so kann dieses Resultat
| nur auf die Operationsweise der Betreffenden
' zurückgeführt werden; unter Beobachtung
| aller Cautelen ist diese Operation keineswegs
, zu den gefährlichen zu zählen. •
Vor Allem lege der Operirende ein grosses
Gewicht auf die richtige Answahl der Thiere;
alte, anämische und abgezehrte phtisische
Kühe, die von den Landwirthen gleichsam
als erstes Probirstück dem Thierarzte zur
Operation übergeben werden, dürfen überhaupt
aus leicht begreiflichen Gründen nicht verwen¬
det werden. Insoferne keine Ernährungsstörung
eingetreten, bieten nymphomanische (stier-
süchtige) Thiere nicht eine besondere Ge¬
fahr, cs sei denn, dass deren Ovarien be¬
deutenden Umfang aufweisen würden, was
übrigens durch Exploration durch den Mast¬
darm leicht im voraus ermittelt werden kann;
Thiere mit chronischen Flüssen aus Scheide
und Gebärmutter müssen vorher durch ratio¬
nelle Behandlung von dieser Erkrankung ge¬
heilt werden.
Die zu castrirende Kuh wird Abends zu¬
vor schon etwas knapp und am Opera¬
tionsmorgen gar nicht gefüttert. Die Opera¬
tion kann am besten im Stalle geschehen,
insoferne zu beiden Seiten des Thieres freier
Platz zur Aufstellung der Gehilfen übrig ge¬
lassen wird. Der Kopf der Kuh wird an der
Krippe kurz angebunden und durch einen
Gehilfen gehalten; zu beiden Seiten des
Kreuzes wird je ein kräftiger Mann, wovon
der eine den Schwanz des Thieres zur Seite
zieht, aufgestellt. Einige Operateure lassen
von diesen Letzteren je einen armdicken Holz¬
sparren kreuzweise unter dem Bauche und
neben den Flanken des Thieres halten. Diese
leicht auszuführende Befestigungsmethode ist
ebenfalls bei Untersuchungen der Becken¬
organe sehr zu empfehlen, jedoch in Folge
eigener Erfahrung nicht unumgänglich noth-
wendig. Rathsam ist es, vor der Operation
die Thiere eine bis zwei Minuten lang im
Hofe herumzuführen, damit der Mastdarm
entleert werde. Das Einführen der Hand in
den Mastdarm zum Zwecke der Entleerung
desselben sollte vom Operateur vor der Ope¬
ration vermieden werden, da unmittelbar nach¬
her die gleiche Hand in die Bauchhöhle ge¬
führt wird. Nun wird eine l%ige wässerige
Carbollösung in die Scheide, wenn aus der¬
selben der geringste Ausfluss bemerkbar ist.
eingespritzt. Die Hände werden sorgfältig mit¬
telst derselben Carbollösung, die in genügender
Menge (3—41) vorhanden sein muss, gewaschen.
Einer besonderen Prüfung sind die Nägel zu
' unterziehen; überhaupt wird nach den Grund¬
sätzen der strengen Antisepsis gehandelt.
Wenn mehrere Operateure trotz Missachtung
dieser Vorschrift mit Erfolg operiren, so ist
doch diese Vorsicht bei der Castration einer Kuh
niemals ausser acht zu lassen. Alle später zu
gebrauchenden Instrumente werden bis zu ihrer
Verwendung in besagte Lösung getaucht. Nun
wird die mit reinem Baumöl oder Fett über-
strichene Hand über den vorher Teingewa¬
schenen Wurf einigemale gestrichen, wodurch
92
CASTRATION.
die Thiere an die Berührung gewohnt werden.
Zunächst wird die leere rechte Hand lang¬
sam in die Scheide eingeführt, der Mutter¬
mund aufgesucht und zugleich die normale
Beschaffenheit der Scheide constatirt, hierauf
wird nun die eigentliche Operation nach ver¬
schiedenen Verfahren ausgeführt.
Verfahren von Charlier. Charlier ver¬
wendet zur Castration der Kühe durch die
Scheide 1. einen Scheidenspanner, 2. ein ver¬
borgenes Bistouri, 3. eine lange Schere,
4. eine Eierstockzange und 5. einen Finger¬
hut. Der Scheidenspanner (Fig. 340) besteht
aus einem polirten gebogenen Stahlstab, an
welchem gegen vorne ein ca. 2 cm langer und
dünner, jedoch abgerundeter Stift zum Ein¬
führen in den Muttermund angebracht ist;
dieser Stab ist ferner mit einem gefensterten,
flachen, nach rückwärts gebogenen Fortsatz
versehen, durch dessen Oeffhung die obere
Scheidenwand eingeschnitten wird. Seitlich
und abwärts befinden sich ca. 2 cm breite
flache Stahlfedern, welche mit dem vorderen
Theil der Stange charnierartig verbunden
sind. Diese Federn können mittelst einer
Schraubenvorrichtung, welche sich am Hefte
des Instrumentes befindet, aus der sie zur
Hälfte einhÜllendenHülse bogenförmig gespannt
werden (Fig. 341). Das verborgene Bistouri
Fig. 341. Geöffneter Scheiden-
spanner von Charlier (von Oben
gesehen).
hat die Form eines Hakenmessers und kann
zwischen den beiden Hefttheilen durch einen
Knopf zurückgezogen werden (Fig. 342 und 343).
Der Fingerhut hat die Form eines solchen und
ist am Ende offen und mit kantigen Rändern
versehen (künstlicher Nagel) (Fig. 345). Die
Fig. 340. Geschlos¬
sener Scheiden¬
spanner von Char¬
lier.
Eierstockzange besteht ans einer Art grosser
federnder Pincette mit gefensterten und ein¬
gekerbten Binden. Ihr Verschluss wird mittelst
Fig. 344 Haltung des verborgenen Bistouri.
einer etwas conisch erweiterten röhrenförmigen
Hülse, welche über die zwei federnden Arme
geschoben wird, bewerkstelligt (Fig. 346).
Die Operation selbst wird in
folgender Weise vorgenommen: Zu¬
nächst wird die linke eingeölte Hand
in die Scheide gebracht, dann der
geschlossene Scheidenspanner ein¬
geführt, am Muttermund fixirt und
aufgespannt, wodurch die Wandun¬
gen der Scheide weit ausgedehnt
werden. Die linke Hand wird her¬
ausgezogen und nun die mit dem ver¬
borgenen Bistouri bewaffnete rechte
Hand in die Höhlung der Scheide
eingeführt. Das Bistouri wird ge¬
öffnet und so in der vollen Faust
gehalten, dass der Rücken dessel¬
ben gegen den Muttermund, die
Schneide nach dem Scheideneingang
gerichtet ist (Fig. 344). Die Spitze des
Instrumentes wird in
den vorderen Winkel
des am Scheidenspan-
ner befindlichen Fen¬
sters in die Wand der
Scheide eingestochen
und der Schnitt ge¬
gen den Operateur
in der ganzen Aus¬
dehnung des Fen¬
sters nach hinten er¬
weitert (Fig. 347).
Fig.
Fig. 345. Finger¬
huk nach Charlier.
346 .
Eierstock-
z&nge nach
Charlier.
CASTRATION.
93
Durch Nachfühlen mit dem gestreckten Zeige¬
finger wird die erzeugte Wunde geprüft
und sollte das Peritonaeum nicht durch¬
schnitten worden sein, der Schnitt wie¬
derholt. Hierauf wird der Scheidenspanner,
der nun nicht mehr nothwendig ist, ge¬
schlossen und behutsam zurückgezogen,
nachdem das Bistouri beim Herausziehen der
Hand aus der Scheide entfernt worden. Die
rechte Hand wird nun wieder eingeführt und
zwei Finger (Zeige- und Mittelfinger) durch
die erzeugte Wunde in die Bauchhöhle ge¬
streckt und der linke Eierstock gesucht. Das
Auffinden des Eierstockes ist keineswegs
schwierig; wenn der Schnitt richtig ausgeführt,
findet man denselben an der inneren Fläche
mittelbar über denselben eingeklemmt und
weiter oben mittelst der, mit oder ohne Fin¬
gerhut bewaffneten Hand festgehalten, wor¬
auf die Trennung des Eierstockes durch
Drehen der Zange erfolgt (Fig. 350 u. 351).
Der gegenüberliegende Eierstock wird
nun mit der anderen Hand in gleicher Weise
in die Scheide gezogen und extirpirt. Charlier
gebrauchte in letzterer Zeit statt des cora-
plicirten und theueren Scheidenspanners einen
einfachen Scheidenhalter (fixateur du vagin)
(Fig. 352 u. 353). Das von ihm aufgestellte
Verfahren hat viele Modificationen erhalten,
wovon die folgenden am meisten bekannt
sind:
Verfahren von Colin. Colin verwendet
Fig. S47. Cutration der Kuh nach Charlier. a Beckensymphytm, b Excavatiu veaico uterina, c Harnblase,
d Excaratio recto uterina, e Gebärmutter mit dem rechten Horne and Eistocke, f Mastdarm.
des unmittelbar seitlich der Oefinung befind¬
lichen breiten Mutterbandes meistens etwas
nach abwärts angehängt. Derselbe wird zwi¬
schen die beiden Finger gefasst und in die
Scheide gezogen, worauf die geschlossene
Eierstockschere (Fig. 348) eingeführt wird.
Mittelst der letzteren wird der unten dick
anzuffihlende Theil des Bandapparates des
Eierstockes (unteres Eierstockband) 1 cm tief
einge8chnitten(Fig.349) und die Schere wieder
entfernt. Nun wird, während der Eierstock
immer noch in der Scheide festgehalten wird,
die geschlossene Eierstockzange eingeführt,
der Eierstock gefasst und die Bandinasse un-
nur drei Instrumente. 1. ein convexes Bi¬
stouri mit verschiebbarem stumpfem Schneide -
decker (Fig. 354), 2. eine Eierstockzange
(Fig. 355) und 3. eine Charnierklammer zum
Halten des Eierstockbandes während der
Torsion (Fig. 356).
Die Operation differirt von derjenigen
von Charlier in folgenden Punkten: 1. Ein¬
facheres Instrumentarium, weil kein Scheiden-
Spanner und keine Schere erforderlich ist;
2. der Schnitt wird in der Weise ausgeführt,
dass er von hinten nach vorne geschieht.
Indem kein Scheidenspanner in Gebrauch
kommt, wird die obere Scheidenwand durch
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94
CASTRATION.
Fig. 349. Einschneiden des Eierstockbandes mittelst der Schere.
Fig. 348. Schere
nach Charlier.
Fig. 850. Ausführung der Torsion des Eierstockes mittelst der Eierstockzange.
Fig. 351. Anwendung des Fingerhutes
von Charlier.
Fig. 352. Neuer Scheideuhalter von Charlier.
Fig. 354. Scheidenbistouri
von Colin.
das Strecken des Armes gespannt; 3. wird
statt des Fingerhutes eine Klammer gebraucht.
Verfall re n von Busse. Derselbe be¬
werkstelligt die Ablösung des Ovariums mit¬
telst des Ecraseurs von Chassaignac.
Verfahren von Prange. Prange unter¬
bindet das Eierstockband mittelst einer Ligatur,
welche dann nach der Operation durch die
Wunde nach aussen hängend bis zur Ab¬
lösung des von derselben eingeschnürten
Theiles des Bandes belassen wird. Der Eierstock
wird sogleich nach der Unterbindung abge¬
schnitten.
Die Unterbindung des Eierstockbandes
und der Eierstockarterie mittelst Catgut,
welches dann kurz abgeschnitten und der
Resorption in der Bauchhöhle überlassen wird,
ist eine moderne Verbesserung, die alle Be¬
achtung verdient. Knüsei in Luzern ver¬
wendet hiezu selbst präparirtes starkes
Catgut mit sehr günstigem Erfolge.
Verfahren von J.Richter (in Schwein-
furt). Derselbe zieht oberhalb des Mutter¬
mundes die obere Wand der Scheide zu einer
Querfalte, welche dann mittelst einer langen,
der Kante nach gebogenen Schere (Fig. 357) in
der Mittellinie durchschnitten wird. Die
Wunde wird mit den Fingern erweitert und,
nachdem der Eierstock in die Scheide gezo¬
gen. dessen Bänder mittelst einer im rechten
Winkel gebogenen Zange (Fig. 358) festge¬
halten, worauf der Eierstock durch Torsion
abgetrennt wird. Hiebei kann unter Umstän¬
den ein messerförmiges Instrument in der
CASTRATION.
95
Form einer rechtwinkelig gebogenen Baum¬
schere zum Abschaben des Eierstockbandes
verwendet werden.
Verfahren von Bösenroth. Bei die¬
sem Verfahren wird eine Längsfalte der
Scheidenwand gebildet und diese
mittelst einer der Fläche nach ge¬
bogenen Schere eingeschnitten. In
dieser Weise bekommt der Schnitt
eine quere Richtung zur Längsachse
der Scheide.
Verfahren von G. Richter
in Bischoffsheira. Derselbe bildet eine
Querfalte, welche von ihrer Basis
aus mittelst eines ein geführten gera¬
den Messers durchgestochen und
nach abwärts durchgeschnitten wird.
Nachdem der Eierstock in die Scheide
gezogen, wird das untere, dann nach
Umdrehen des Bandapparates auch
das obere Eierstockband eingeschnit-
ten und der Eierstock durch Tor¬
sion abgelöst.
Verfahren von Wallraff in
Chur. Derselbe, welcher im Canton
Graubünden viele Kühe castrirte,
verwendete nur ein stark geballtes,
Fi*. 855.
Eierstock -
zange nach
Colin.
Fig. 356. Klammer von Colin.
Fig. 357. Richter'sche Schere.
gewöhnliches Bistouri, um den Scheiden¬
schnitt in gleicher Weise wie Colin aus¬
zuführen. Den Eierstock löste er mittelst des
Daumennagels von seinen Verbindungen los.
Verfahren von Walther. Walther ver¬
wendet einen gefensterten Scheidenhalter
(Fig. 359), uni den Schnitt nach Charlier aus¬
zuführen. Beim Hineinziehen der öfters ver-
grösserten Ovarien unterstützt derselbe die
Wandung der Scheide mittelst einer von
aussen gehaltenen Richter’schen Zange. Der
Eierstock wird dann mit der Hund abgedreht.
Alle oben erwähnten Verfahren werden
mit mehr oder weniger Variationen von den
praktischen Thierärzten ausgeführt: sehr
selten ist es, wenn Einer nach einiger Er¬
fahrung nicht in irgend einem Punkte eine
Abänderung vornimmt und kann deshalb be¬
hauptet werden, dass die Castration der
Kühe mit so vielen Varianten, als es Operateure
gibt, zur Ausführung gelangt.Diese Erscheinung
ist auch begreiflich, da die Erfahrung die
an jedem Verfahren haftenden Mängel zur
Erkenntniss bringt und die individuelle Ge¬
schicklichkeit bald diesen, bald jenen Vor¬
theil ausnützt. Ueber die angeführten Ver¬
fahren lassen sich folgende auf Erfahrung
basirte Beurteilungen angeben:
Das Charlie r’sche V e r f a h r e n erfordert
eine zu grosse Anzahl Instrumente, welche
theuer sind: der Scheidenspanner und der
Seheidenhalter sind leicht zu entbehren. Das
Colin’sche Verfahren bietet den grossen
Vortheil der Vereinfachung, die Anwendung
der Klammer ist indessen von geringerem
Effect als der Fingerhut von Charlier. Die
Ausführung des Schnittes ohne Scheiden-
spanuer kann mit dem Colin’schen Messer
96
CASTRATION.
sehr leicht, exact und gefahrlos bewerkstelligt
werden. Dieses Verfahren ist übrigens auch
deswegen am meisten verbreitet. Das Ver¬
fahren von Busse, wobei zur Ablösung des
Eierstockes ein Ecraseur verwendet wird, be¬
sitzt bedeutende Vortheile, da eine Torsion
und eine Zerrung des Bandapparates voll¬
ständig vermieden wird, jedoch erfordert
das Durchquetschen zu viel Zeit, während
bei rascherem Vorgehen, wie die Erfahrung
in letzter Zeit erwiesen, Verblutung durch die
Eierstockarterie möglich ist. Beim Verfahren
von PrangÖ, welches wohl selten zur Aus¬
führung gelangte, ist die Einwirkung einer
nach aussen hängenden und bis in die Bauch¬
höhle reichenden gewöhnlichen Ligatur sehr
zu befürchten, da dieselbe die Wundheilung
verzögern muss und der Zutritt der Luft in
die Bauchhöhle längere Zeit hiedurch ermög¬
licht wird. Die Anwendung einer aus starkem
Catgut bestehenden Ligatur, wie sie Knüsei
in Luzern gebraucht, ist als ein wesent¬
licher Fortschritt im Verfahren von Prange
anzuführen, was indessen auch durch die
günstigen Resultate bestätigt wird.
Das Verfahren von J. Richter scheint
den Vortheil zu bieten, dass Baucheingeweide
weniger verletzt werden; dasjenige von
Bösenroth hat wahrscheinlich wegen der
Bildung eines zur Längsachse der Scheide quer
verlaufenden Schnittes, wodurch leicht eine Ver¬
letzung der benachbarten Gebilde möglich ist,
keine Verbreitung gefunden. Das Verfahren
von G. Richter scheint Nebenverletzungen
der Scheide beim Durchstechen der Scheiden¬
falte, sowie bei der Erweiterung des Schnittes
zu leicht veranlassen zu können.
Das Verfahren von Wallraff ist wohl
das einfachste von allen, es lässt sich jedoch,
besonders bei älteren Kühen, der Eierstock
nicht immer leicht auslösen. Es bildet dieses
den grellsten Gegensatz zum Charlier’schen
Verfahren. Dasjenige von Walther lässt, ab¬
gesehen von der Verwendung eines Scheiden¬
halters, keine Nachtheile
anführen.
Das Verfahren von
Weber lässt sich in
gleicher Weise beurthei-
lcn, wie dasjenige von
Busse; bei diesem wird
ebenfalls ein Ecraseur
verwendet, dessen Kette
jedoch durch einen Haken
ersetzt wird (Fig. 360).
Nach eigener Erfah¬
rung, gestützt auf durch¬
wegs günstige Erfolge,
kann folgende Variante
hier angeführt werden:
Der Scheiden schnitt wird
mit dem Colin’schen Bi¬
stouri ausgeführt, der
Eierstock in die Scheide
gezogen und ein am Ende
gebogener Draht- oder
Ketten-Ecraseur(Fig.361)
unmittelbar über dem
Fig 360. Ende des
Web ergehen Ecraseur?.
Eierstock angesetzt und rasch fest angezogen:
hierauf wird der Eierstock mit der Hand
einige Mal abgedreht und abgerissen; bei
älteren Kühen ist das vorherige Einschneiden
des unteren und oberen Eierstockbandes zur
Erleichterung des Ablösens zu empfehlen
A\
c
[a
8
Fig. 861. Castraiion der Kuh. A Ecraseur (gekrümmt),
a Schraube, b Flügelmutter, c Handhabe, d Eieretock,
e Drmhtschlinge.
Nach Ablösung des Eierstockes wird der
Ecraseur ohne vollständige Durchquetschung
des Bandapparates und der Arterie wieder
geöffnet und entfernt.
Die Vortheile dieser Operationsweise
sind: 1. Die Verwendung weniger Instrumente;
2. Sicherstellung des Bandapparates vor
Weiterdrehung; 3. rascheres Operiren als
dies beim Durchquetschen mit dem Ecraseur
der Fall ist; 4. Verhütung der Blutung; 5. mög¬
lichste Beschränkung der comprirairten Stelle
des zurtickbleibenden Eierstockes.
Die bei der Castration der Kuh durch
die Scheide überhaupt zu beachtenden Punkte
sind folgende: 1. Grösste Reinlichkeit und
CASTRATION.
97
Desinfection der Hände und der zu verwen¬
denden Instrumente; 2. Ausführung des Schei¬
denschnittes unmittelbar über dem Gebär-
mattermund in der Richtung der Medianlinie;
3. Verhütung der Ablösung des Bauchfelles
beim EinfÜhren der Finger durch die Schei¬
denwunde; 4. Verhütung der Fortpflanzung der
Drehung und Zerrung des breiten Becken¬
bandes beim Abdrehen des Eierstockes. —
Die Gefahr der Verletzung innerer Organe
(Mastdarm, Pansen, Dannschlingen) bei der
Ausführung des Schnittes ist gering, sie wird
meist von Ungeübten gefürchtet, während sie
erfahrungsgeinäss nur bei ganz ungeschickter
Haltung des Messers eintreten kann. (Beim Co*
lin’schen Verfahren wird das Bistouri an der
Klinge selbst zwischen Daumen und Zeige¬
finger gehalten.)
Als interessant mag hier noch die von
A. Trachsler, anlässlich der Eierstockunter¬
suchung stiersüchtiger Kühe, versuchte Ca¬
stration auf unblutigem Wege erwähnt
werden. Diese Operation ist zwar nur
experimentell (von Trachsler zuerst und dann
von Berdez 1870) zur Ausführung gelangt.
Obschon der günstige Ausgang der Versuche
die Möglichkeit dieser Castrationsmethode
dargethan, ist doch diejenige von Charlier weit
überlegen. Es wurde in folgender Weise ope-
rirt: Nachdem der Mastaarm ausgeräumt
und die mit einer einfachen Schlinge ver¬
sehene Hand in denselben eingeführt, wurde
der eine Eierstock aufgesucht und mit der
Darmwand ins Lumen des Mastdarmes ge¬
zogen, worauf das Ganze durch die mittelst
eines Schlingenträgers zugedrehte Ligatur
festgehalten werden konnte (Fig. 362).
schienen, ausser bei der Zuschnürung, keine
besonderen Schmerzen zu empfinden, und
trotzdem sie am ersten Tage öfters auf den
Mastdarm drängten, behielten sie regen Appetit
und stellte sich kein Fieber ein. Zur Vor¬
sicht wurden die Thiere mit etwas Glauber¬
salz gefüttert, um die Excremente weich zu
erhalten. Zwischen dem 11. und 14 Tage
lösten sich die abgebundenen Eierstöcke los:
bei der eine Woche nachher vorgenommenen
Section fanden sich die Operationsstellen ver¬
narbt, die breiten Mutterbänder theilweise
mit dem Mastdarmüberzuge verwachsen und
das Lumen des Mastdarmes nur etwas ver¬
engt. Es frägt sich, abgesehen von den übrigen
Zufälligkeiten dieser Methode, ob die Ver¬
wachsung der breiten Mutterbänder mit der
beweglichen Mastdarmwand nicht eine an¬
dauernde Reizung der in denselben verlaufenden
Samennerven bedingen würde, was bei der
kurzen Dauer des Experimentes nicht con-
trolirt werden konnte. — Die Castration
der Kühe hat namentlich als Heiloperation
gegen Nymphomanie (Stiersucht) eine grosse
Bedeutung; es ist jedoch ausdrücklich davor
zu warnen, Thiere, welche an verbreiteter
Tuberculosis leiden, zu operiren, da bei
denselben die Castration mit zu grosser Ge¬
fahr verbunden ist. Die durch Eierstockcysten
hervorgerufene Stiersucht braucht nicht immer
durch die Ovariotomie beseitigt zu werden, da
in diesem Falle die von Zangger empfohlene
Zersprengung der Cysten durch die in den
Mastdarm eingeführte Hand leicht bewerk¬
stelligt werden kann und welche unblutige
und gefahrlose Operation bei sicherer Dia¬
gnose immer eine zeitweilige, sehr häufig eine
bleibende Heilung des Zu¬
standes herbeiführt.
Nachbehandlung. Ca-
strirte Kühe werden nach
der Operation häufig von
kolikähnlichen Schmerzen
befallen; dieselben pflegen
jedoch nicht lange anzu¬
dauern und genügt in der
Regel ein ruhiges Verhal¬
ten zu deren Beseitigung.
Sehr wichtig ist die Be-
Fig. 362. Schematische Darstellung der Castrationsmethode durch den Vastdarm. rücksichtigung der bei Wie-
(Trachaler.) Von oben gesehen, a Vordere, b hintere MastdarmOffnung (After), derkäuern SO wichtigen Ver-
c c EientAck«, d d breit. HetterUnd«. e e du Aetiehen der Ligatur. dauungsverhältnisse, indem
Die endgiltige Unterbindung des von der
Mastdarmwand überzogenen Eierstockes wurde
mit einer sog. Castrirschlinge, an deren beiden
Enden ein kurzes rundliches Holzstück be¬
festigt war, bewerkstelligt; hiebei musste, um
Zerrungen zu vermeiden, das eine Ligatur¬
ende durch die weit in den Mastdarm einge¬
führte Hand nach vorne, und das andere
von Aussen nach rückwärts gezogen werden.
Der erste Eierstock wurde etwas weiter gegen
die Bauchhöhle, der andere etwas mehr rück¬
wärts unterbunden, damit die Beiden einander
gegenüberstehenden das Lumen des Mastdar¬
mes nicht zu sehr verengen. Die Ligaturenden
wurden ca. 30 cm vom After entfernt abge¬
schnitten und hängen gelassen. Die Thiere
Koch. Encjrkloptdie d. Thierheilkd. II. Bd.
nach allen eingreifenden Operationen die Ru-
mination bei denselben mehr oder weniger ge¬
stört ist; aus diesem Grunde ist es sehr zu
empfehlen, den Thieren während 24—36 Stun¬
den keine feste Nahrung zu verabreichen,
weil sich sonst gefährliche Indigestionen ein¬
stellen können. Während dieser Zeit gibt
man den Thieren Mehltränke mehrmals des
Tages* und beginnt nachher allmähg leicht
verdauliches Futter zu füttern. Viele Thiere
bekunden keine Temperaturerhöhung, scheinen
von der Operation wenig afficirt und zeigen
grossen Appetit; man wird in allen Fällen
gut thun, vorsichtig zu sein, indem eine Fieber¬
bewegung sich in den nächsten Tagen noch
immer einstellen kann. Die Milchsecretion
98
CASTRATION.
wird durch die Castration nur in den ersten
Tagen beeinträchtigt; es kann dieses sowohl
der knappen Fütterung als der Operation
selbst zugeschrieben werden. In vielen Fällen
wird die Milchsecretion vermehrt, jedoch ist
die erzielte Vermehrung nicht so beträchtlich,
wie häufig behauptet wird. Will man die
Milchsecretion berücksichtigen, so ist die Ca¬
stration 6—10 Wochen nach dem Werfen des
Kalbes vorzunehmen, früher ist es wegen
des Gebärmutterausflusses nur ausnahmsweise
möglich. Bei vielen castrirten Kühen erhält
sich die Milchsecretion 10—12, sogar über
20 Monate; bei anderen tritt die Mastfähig¬
keit in den Vordergrund und sistirt die Milch¬
secretion bald nach der Operation, während
sich ein ausserordentlich günstiger Ernährungs¬
zustand einstellt.
Castration der Stute. Die Castration
der Stute wird nur als Heiloperation ausge¬
führt; sie kommt deshalb auch seltener vor.
In Anbetracht der grösseren Empfindlichkeit des
Bauchfelles bei Pferden ist sie eine gefährliche
Operation, welche nur gegenüberThieren in An¬
wendung kommt, die durch andauernde Ueber-
reizung der Geschlechtsorgane ohne Gefahr
nicht mehr gebraucht werden können und
daher ein geringeres Risico bilden, indem sic
in diesem Zustande wenig oder keinen Werth
haben. Die anatomischen Verhältnisse der
Geschlechtsorgane, welche bei der Castration
der Stute zur Berücksichtigung gelangen,
sind:
1. Engerer Scheideneingang, wodurch
das Einführen der Hand manchmal erschwert
wird;
2. grössere Entfernung der Ovarien von
der Scheide, indem dieselben unter dem Psoas
an verhältnissmässig kurzen Bändern befestigt
sind;
3. grössere Volumen der Ovarien, welche
ein reichlicheres Bindegcwebsstroma besitzen;
4. Vorkommen einer Bauchfell-Duplicatur,
die eine Art Tasche bildet, Eierstocktasche
genannt, in welcher der Eierstock theilweise
versteckt liegt.
Die Castration der Stute wird heutzutage
durch die Scheide ausgeführt, da die übrigen
Methoden; durch die Flanke und durch die
Medianlinie der Bauchwand, viel mehr Gelegen¬
heit zu Eingeweidevorfällen und zu Peritonitis
bieten. Die Operation wird in gleicher Weise
wie bei der Kuh stehend ausgeführt, jedoch
müssen folgende Modificationen eintreten:
a) Der Scheidenschnitt muss 8—10 cm lang
sein, um die ganze Hand in die Bauchhöhle
gelangen zu lassen; b) die Eierstöcke können
nur selten in die Scheide gezogen werden
und müssen deshalb in der Bauchhöhle,
nachdem die Ränder der zwei Eierstock¬
bänder eingeschnitten, abgedreht werden. Die
Nachbehandlung ist dieselbe wie bei der
Kuh und soll der Vorsicht halber länger fort¬
gesetzt werden.
Ovariotomie beim Schafe. Weibliche
Schafe werden jetzt weit seltener castrirt als
früher. Die günstigste Zeit zur Operation ist
ein Alter von 6—9 Wochen. Die Castration
wird durch den Flanken schnitt (links) ausge¬
führt. Der Eierstock wird durch Herausziehen
des betreffenden sehr langen und gewundenen
Gebärmutterhomes, an dessen Ende er sich
befindet, leicht gefunden und durch Abdrehen
oder einfaches Abschneiden extirpirt. Die
Hautwunde wird mittelst Kürschnernaht ge¬
schlossen und die Naht nach 10—12 Tagen
entfernt Nach Daubenton sollen die castrirten
Lämmer nur am ersten Tage krank erschei¬
nen, indem sie nicht saugen und steifen Gang
zeigen.
Die Castration der Ziege, die noch sel¬
tener unternommen wird, kann auf gleiche
Weise ausgeführt werden, soll aber gefähr¬
licher sein.
Die Castration des weiblichen
Schweines wurde früher bei Thieren ge¬
meiner Rassen sehr häufig ausgeführt; durch
Fig. 863. Geschlechtsorgan© des weiblichen Schweines, von
oben gesehen, ft ft Eierstöcke, b b Muttertrompeten mit
Eileiter, c c Geb&rmutterhörner, d Harnblase, e Gebärmutter -
hals
die Einführung der englischen frühreifen und
mastfähigeren Rassen ist die Castration der
weiblichen Schweine nicht mehr nothwendig,
da dieselben sich ohnedies leicht mästen
lassen. Das günstigste Alter zur Castration
ist dasjenige von 6—12 Wochen,
es können jedoch ältere Mutter¬
schweine ohne zu grosser Gefahr
castrirt werden.
Die Ovarien des Schwei¬
nes sind an ihrer Oberfläche
ganz besonders bei älteren Thie¬
ren uneben; die Mutterbänder
lang und die Gebärmutterhömer
vielfach gewunden (Fig. 363). Ca¬
stration durch Flankenschnitt;
Zur Operation verwendet man
ein geballtes Bistouri oder
ein sogenanntes Castrirmesser
(Fig. 364), eine Schere, und eine
Wundnadel mit Ligatur. Die
Fig. 364. Castrir- Thiere werden je nach ihrer
messer. Grösse auf einem Tisch oder
auf dem Boden an der linken Flanke ope-
rirt. Der Flankenschnitt wird einige Centi-
meter vom äusseren Darmbeinwinkel in schiefer
CASTRATION.
99
Richtung nach vorn und unten und in einer
Awdehnang von 3—3% cm ausgeführt. Man
braucht hierbei nicht die ganze Dicke der
Bauchwand zu trennen, da die Bauchmusku¬
latur und das Bauchfell sehr leicht mittelst
des gestreckten Zeigefingers durchgestossen
werden kann, was zur Vermeidung der Los¬
lösung des Peritonaeums von der Bauchwand
rasch und unter bohrender Bewegung zu ge¬
schehen hat. Ist der Finger in die Bauchhöhle
gelangt, so sucht man den gewundenen Theil
des linken Gebärmutterhomes auf, zieht es
in die Wunde und bringt dessen vorderes
Ende nach aussen, worauf der Eierstock leicht
aufgefunden wird; nach Ablösung durch Ab¬
drehen oder Abschneiden kann mittelst des
herausgezogenen linken Gebärmutterhomes
das rechte erreicht und durch Nachziehen der
rechte Eierstock gefasst und operirt werden.
Die äussere Wunde wird mittelst Kürsch-
nemaht geschlossen. Weibliche Schweine
können auch von der weissen Linie aus operirt
werden (chinesische Methode); bei dieser Me¬
thode wird eine Sonde durch die Scheide bis
in die Gebärmutter geführt, dann die Bauch¬
wand in der Mittellinie, 6—8 cm vom Scham¬
beinrand, in der Ausdehnung von 3—4 cm ge¬
öffnet. Durch Bewegen der Sonde wird die
Gebärmutter nahe an die Oeflhung gebracht
und mittelst eines stumpfen Hakens hervor¬
gezogen, worauf wie bei der Flankenmethode
verfahren wird.
Zum bequemen Operiren können hierbei
die Thiere an den Hinterbeinen aufgehängt
werden, was den Vortheil hat, dass die Ein¬
geweide der BauchöfFnung weniger anliegen.
Castration der Hündin. Hündinnen
werden wegen des (für deren Besitzer) lästigen
Läufigwerdens hin und wieder castrirt. Die
Operation wird in gleicher Weise, wie beim
Schweine, ausgeführt, nur ist zu bemerken,
dass der Bauchschnitt höher angebracht sein
muss und dass der rechte Eierstock sehr
häufig wegen der kürzeren breiten Mutter¬
bänder nicht nach Aussen gebracht werden
kann, was dann einen zweiten Bauchschnitt
auf der rechten Seite bedingt. Wenn auch
beide Schnitte am gleichen Tage ausgeführt
werden können, so ist es doch rathsam, vier¬
zehn Tage abzuwarten.
Die Anwendung der chinesischen Methode
ist nicht zu empfehlen.
In allen Fällen ist das Aufsuchen der
leichter zu findenden Gebärmutterhörner als
das der Eierstöcke anzurathen.
Die Castration der Hündin bietet keine
grosse Gefahr, da die Sterblichkeit 2: 70 be¬
tragen kann (Berdez).
Die Castration der Katze wird selten
verlangt und bietet zwei Schwierigkeiten:
Das Fesseln des Thieres und das Auffinden
des gerstenkorngrossen Eierstockes. In einem
gegebenen Falle wurden die zwei hinteren
Füsse des Thieres mittelst einer breiten
Spiralbinde aneinandergeschlossen und deren
Pfoten gut eingewickelt, während Kopf, vor¬
dere Gliedmassen und Brust in ein Stiefelrohr
gesteckt wurden. Der Eierstock konnte nur
durch Herausziehen der, unter dem in die
Bauchhöhle eingeführten Zeigefinger, befind¬
lichen Eingeweide aufgefunden werden.
Die Castration der Henne soll
darin bestehen, dass der zwischen Sacrum
und Mastdarm befindliche weissaussehende
Eileiter durchschnitten wird (Fig. 365). Ein
eigentliches Ablösen des Eierstockes ist nicht
wohl ohne bedeutende Gefahr möglich. Die
diesbezüglichen Versuche scheinen diese
Schwierigkeit nur zu bestätigen und es fragt
sich, ob überhaupt die Ovariotomie bei Vögel
je unternommen wurde. Die Operation ist
wenigstens nirgends mit Sicherheit auf¬
geführt.
Fig. 365. Eierstock der Henne. Bei den Vögeln ist nur ein
Ovariutn linkerseits vorhanden, das rechte ist rudimentär,
a Schlund, b Luftröhre, cc Lungen, d Zwerchfell, e Ova-
rinm in Traubenform, zosammengesatzt aus zahlreichen
in der Entwicklung begriffenen Eichen, e' Barbe (Stigma),
e" Narbenförmige Vertiefung (sog. Kelch) eines bereits ab¬
getrennten Eies, c"' sehr entwickeltes Ei, f sehr langer,
breiter und beweglicher Eihilter, f Trichter des Eilei¬
ters, f" Eileiter, f"' Mündung des Eileiters in die Cloake,
g Gekröse des Eileiters, h Cloake.
C. Zufälle und ungünstige Kreignisse nach
der Castration.
1. Das Eindringen von Luft in die Bauch¬
höhle.
Das Eindringen von Luft in die Bauch¬
höhle durch den offenen Leistencanal bei
männlichen, sowie durch die offene Scheide
oder Bauchwand bei weiblichen Thieren ist
eine nicht selten vorkommende Erscheinung,
welche häufig ohne üble Folgen begleitet ist,
jedoch in einzelnen Fällen Veranlassung zur
Bauchfellentzündung geben kann. Bei Pferden
soll hiebei namentlich beim Aufstehen des
7 *
100
CASTRATION.
Thieres die Luft unter Bildung eines eigen¬
tümlichen Geräusches eindringen. Später ist
dieses Eintreten von Luft in die Bauchhöhle
durch die Schwellung des Samenstranges
weniger möglich. Bei der Castration weib¬
licher Thiere durch die Flanke tritt trotz der
geübten Vorsicht sehr häufig Luft ein, weniger
aber bei der Castration durch die Scheide,
da durch den äusseren Luftdruck in der Regel
die Schamlippen an die Instrumente oder den
Arm des Operateurs angedrückt werden und
so ein hermetischer Verschluss erzielt wird.
Das Eindringen der Luft muss durch alle
Vorsichtsmassregeln möglichst verhütet wer¬
den, was in der Mehrzahl der Fälle gelingen
mag; ist trotzdem Luft in die Bauchhöhle
gedrungen, so lässt sich nur bei der Castra¬
tion der weiblichen Thiere durch die Flanke
ihre Einwirkung auf das Bauchfell durch Ein¬
giessen reinen (nicht ranzigen) Baumöles in
grösserer Menge schwächen. Ueble Folgen
dieser scheinbar unzweckmässigen Behandlung
hat die vielseitige Erfahrung nicht constatirt
und ihre Anwendung im Gegentheil sehr vor¬
teilhaft erscheinen lassen. Bei experimentellen
Versuchen in dieserHinsichthatman beobachtet,
dass schon einige Stunden nach dem Ein¬
giessen das Oel mit der Serosität des Bauch¬
felles eine weissliche Fettemulsion bildet, die
nach 24 Stunden beinahe vollständig resorbirt
wird.
2. Vorfällen des Darmes oder
Netzes bei oder nach der Castration, a) Bei
männlichen Thieren. Dieses sehr unangenehme
Ereigniss stellt sich bei schon vorhandenen
Hodensack- oder Leistenbrüchen oder in Folge
Anwendung der Bauchpresse bei erweitertem
Leistencanal während der Operation oder un¬
mittelbar nachher ein. Wenn Darm schlingen
oder Netztheile sofort nach Oeffnung der
Testikelhüllen hervorquellen, oder wenn be¬
merkt wird, dass der Leistencanal beim
Zurückziehen der Hoden übermässig erweitert
ist, so ist es rathsam, die Castration durch
Kluppen oder Unterbindung mit bedeckten
Testikeln, selbst wenn die allgemeine Scheiden¬
haut schon geöffnet worden wäre, auszuführen.
In solchem Falle werden die Kluppen oder
die Ligatur nach Reposition der vorgefallenen
Baucheingeweide so hoch wie möglich ange¬
legt. Ist der Vorfall nach der Castration cin-
getreten, so wird das Thier, selbst wenn der
Samenstrang wegen Zurückziehung desselben
nicht mehr zu erreichen wäre, m gleicher
Weise operirt. Der Eingeweide Vorfall kommt
bei Pferden und ganz besonders häufig bei
Schweinen und Nagethieren, am seltensten
bei Wiederkäuern vor. b) Bei weiblichen
Thieren: Eingeweidevorfälle treten bei der
Castration weiblicher Thiere sehr häufig
während der Operation, ganz besonders bei
der Castration der weiblichen Schweine und
der Hündinnen ein. Bei diesen Thieren wird
zur leichteren Auffindung des Eierstockes das
Gebärmutterhorn hervorgezogen, wobei häufig
Darmschlingen und auch Netzstücke nach
aussen gelangen. Obschon solche Vorfälle
keine besondere Gefahr bieten, so müssen die¬
selben so schnell wie möglich reponirt wer¬
den, was mit der Pulpa der eingeölten Finger
zu geschehen hat. Sind indessen die ausge¬
tretenen Eingeweide durch Staub, Sand, Streu
oder Excremente ntheilchen verunreinigt, so
müssen dieselben vor ihrer Reposition durch
vorsichtiges Ausspülen mittelst lauwarmen
Wassers gereinigt werden. Darmschlingen
dürfen nicht abgerieben werden, da sonst der
Epithelialüberzug des serösen Ueberzuges
Schaden leidet und sehr leicht peritonitische
Zufälle dadurch bedingt werden. Verunreinigte
oder längere Zeit der Luft exponirte Netz¬
theile können ohne Schaden mit der Schere
amnutirt werden. Vorgefallene Eingeweide
sina Verletzungen ausgesetzt und können
durch dieselben gefährliche, oft tödtliche
Complicationen herbeigeführt werden.
3. Blutung. Die meisten Castrations
methoden verdanken ihre Entstehung der Be¬
rücksichtigung dieses wichtigen Punktes. Sie
stellt sich in Folge ungenügender Oblitera¬
tion der Samcngefässe ein und obschon die¬
selbe nur in seltenen Fällen die Verblutung
des Thieres herbeizuführen vermag, kann sie
durch übermässige Schwächung desselben
dessen Ernährungsverhältnisse bedeutend mo-
dificiren, selbst den Tod des Thieres bedin¬
gen. Die Blutung kann bei männlichen Thie¬
ren aus zweierlei Blutgefässen stattfinden:
aus den Gefässen des Scrotums und aus den
Gefässen des Samenstranges; der verursachte
Blutverlust tritt bei und unmittelbar nach der
Operation oder erst nach einiger Zeit ein.
Man kann somit eine primäre und eine
secundäre Blutung unterscheiden; die erstere
entsteht sehr oft beim einfachen Ab¬
schneiden, Durchbrennen, Durchquetschen,
Abdrehen, Abschaben und Zerreissen des
Samenstranges, während die letztere meistens
in Folge zu frühzeitiger Entfernung oder Ab-
reissens der auf denselben angelegten Klup¬
pen beobachtet wird. Bei den Blutungen
aus den Serotalwandungen (äussere Scham¬
arterien) kann die Blutstillung mittelst Kälte,
Adstringentien etc. versucht werden, worauf
die Tamponade angewendet wird. Zu diesem
Zwecke wird die Sero tal wunde mittelst Werg,
Carboljute oder besser Carbolwattc (im trocke¬
nen Zustande) ausgefüllt und die Scrotal-
wundränder darüber durch die Naht ein¬
ander genähert. Nach 24 Stunden können
dann die Hefte gelöst werden, aber die Aus¬
füllung kann in der Wunde bleiben, bis sie von
selbst hcrausfällt. Bei Blutungen aus dem
Samenstrang ist dessen Aufsuchen und das
Anlegen einer Ligatur oder einer Kluppe auf
denselben nothwendig. Sollte indessen der
Samenstrang wegen seiner Zurückziehung in
die Bauchhöhle nicht mehr zu erreichen sein,
so ist das Thier sorgfältig zu fällen und die
Hand in den Leistencanal, wie bei der Castra¬
tion der Cryptorchiden, selbst bis in die
Bauchhöhle einzuführen, um den Samenstrang¬
stumpfen zu fassen und nach aussen zu ziehen.
In gewissen Fällen kann die Unterbindung
innerhalb des Leistencanales unter Benützung
einer Levret’schen Doppelröhre nothwendig
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CASTRATION.
101
werden. Bei Hunden stellen sich in Folge Ab-
reiftsens der Ligatur, beständigen Beleckens
der Wunde, sowie Rutschens auf dem Hinter-
theil häufig hartnäckige Blutungen ein.
Bei weiblichen Thieren ist die Blutung
meistens eine innere, so dass man ihre Gegen¬
wart nur aus den schnell sich entwickelnden
Symptomen der Anämie erkennen kann. In
Folge der durch Blutverlust sich einstellenden
Blutdruckverminderung sistirt die Blutungvon
selbst Bei kleineren Hausthieren, bei Hün¬
dinnen z. B., ist eine Verblutung, selbst wenn
die Thiere während der Brunstperiode castrirt
wurden, kaum möglich; bei grösseren Haus¬
thieren und ganz besonders bei der Kuh kann
der durch Blutung der Eierstockarterie be¬
dingte Schwächezustand die völlige Unthätig-
keit der complicirten Verdauungsorgane gerade
im Moment, in welchem die Thiere den erlittenen
Verlust durch Nahrungszufuhr decken sollten,
herbeiführen, was die Gefahr noch bedeutend
erhöht Da nachher das Versäumte nicht nach¬
geholt werden kann, ist es rathsam, die Ab¬
lösung des Eierstockes so auszuführen, dass
eine Blutung vermieden wird, jedenfalls ist
ein zu rasches Vorgehen bei dessen Ab¬
trennung unvorsichtig.
4. Kolik. Castrationskolik. Die Ca¬
strationskolik stellt sich meistens unmittelbar
nach der Castration ein, sie ist sowohl bei
männlichen als bei weiblichen Thieren zu
beobachten. Diese Kolik ist der Ausdruck
eines inneren Schmerzes und kann bei den
verschiedensten Operationsmethoden Vorkom¬
men ; ihre Behandlung besteht in Führen der
Thiere und wo dieses nicht zulässig, na¬
mentlich bei unterdrückter Peristaltik, in Ver¬
abreichen einer leichten Laxans. Allgemeine
Frictionen über den ganzen Körper sind eben¬
falls zu empfehlen. Die Castrationskolik ver¬
schwindet in der Regel nach einigen Stunden;
dauert sie länger, so lässt sich befürchten,
dass peritonitische Vorgänge sich einstellen.
In solchem Falle kann bei vollblütigen Thieren
ein Aderlass oder die innere Verabreichung
von Kal. nitr., Tart. stib., Natr. salicyl., Aether.
sulf.,Camph. etc., sowie diesubcu-
tane Injection von Morph, acet.
(in Solution 1:30) angezeigt sein.
Einklemmungen des Darmes
und des Netzes bei Anwendung
von Kluppen oder Ligatur über
den Hodensack oder den bedeckten
Samenstrang bedingen selbstver¬
ständlich auchKolikschmerzen; ge¬
naue Untersuchung der Verhält¬
nisse vor der Ausführung der Ca¬
stration wird vor diesem tödtlich
verlaufenden Ereigniss schützen.
5. Oe dem der Sero talgegend. In Folge
des auf die äussere Schamvene ausgeübten
Druckes seitens der durch Entzündung der
verletzten Theile hervorgerufenen Schwellung
stellt sich bei Pferden regelmässig ein Oedem
des Scrotums, des Schlauches und sogar des
Bauches ein. Diese Erscheinung ist vorüber¬
gehend und wird durch mässige Bewegung
bekämpft; es gibt jedoch Fälle, wobei die
bedeutende Schwellung des Schlauches die
Harnemission erschwert: durch Scarificationen,
kalte Bähungen, Einreiben von grauer Queck¬
silbersalbe etc., durch Anbringung einer Ban¬
dage zur Unterstützung des schwer gewordenen
Theiles kann jedoch dieser Zustand mit Erfolg
behandelt werden.
Oedeme, welche später, etwa 7—8 Tage
nach der Castration auftreten, lassen dann auf
Einstellung einer Samenstrangentzündung
schliessen.
6. Ab8cessdesHodensackesundder
Leistendrüsen. In Fällen, wobei die Scro-
talwunde zu klein ist und zu schnell ver¬
wachsen kann, füllt sich die Höhlung des
entzündeten Hodensackes mit Eiter, welcher
Zustand als Hodensackabscess namentlich bei
Hunden beobachtet wird. Diese Complication
bietet an und für sich keine Gefahr und wird
durch einen ergiebigen Schnitt beseitigt. —
Abscedirung der Leistendrüsen wird nament¬
lich bei Pferden wahrgenommen; dieselbe stellt
sich circa 8—15 Tage nach der Castration ein
unter den Erscheinungen einer Lahmheit der
Gliedmasse der betreffenden Seite und unter
Aeusserung bedeutender Schmerzen bei Druck
auf die Drüsengegend. In solchen Fällen wird
die Umgebung der Drüse zur Beförderung der
Eiterung mit Althaeasalbe, Digestivsalbe,
Fett etc. eingerieben und sobald eine deut¬
liche Fluctuation wahrzunehmen ist, wird der
Abscess geöffnet, worauf der Zustand bald in
Heilung übergeht.
7. Beckenabscess. Charlier beschreibt
einen zwischen Mastdarm und Scheide sich
entwickelnden phlegmonösen Abscess, welcher
in Folge der Castration durch die Scheide
bei Kühen (namentlich zur Winterszeit) beob¬
achtet wird. Die Symptome dieser Compli¬
cation sind: Auftreibung der Flanken, Kolik¬
anfälle, Stellung wie beim Harnabsetzen; bei
der Untersuchung durch den Mastdarm wird
ein mehr oder weniger grosser Tumor auf
der oberen Scheidenwand gefühlt, welcher
später deutliche Fluctuation erkennen lässt.
Ein solcher Beckenabscess bietet keine grosse
Gefahr, da derselbe sich in der Regel ins
Lumen der Vagina ergiesst. Charlier empfiehlt
jedoch dessen frühere Oeffhung mittelst eines
Concav-Bistouris oder des von ihm erfundenen
flachen Trocart (Trocart ä absces) (Fig. 366),
bestehend aus einer flachen Röhre mit Seiten¬
öffnung, in welche eine schmale Klinge mit¬
telst eines geknöpften Stäbchens gestossen
werden kann. Das Instrument wird von der
366. Abscesstrocart (Einführung desselben).
102 CASTRATION.
Hand begleitet in die Scheide gebracht und
bis zum durchfühlbaren Abscess geführt,
worauf die Klinge vorgeschoben und die Spitze
des Instrumentes bis in denselben eingestossen
wird; durch Hin- und Herziehen des Instru¬
mentes wird die Stichöffnung erweitert und
kpnn der Eiter ausfliessen. Bei Reinhaltung
der Wunde durch Einspritzungen kann die
Heilung nach wenigen Tagen eintreten
8. Gangraen der Scrotalwunde
(Brand). Der Brand der Scrotalwunde ist keines¬
wegs eine seltene Erscheinung nach der Castra¬
tion; er entsteht namentlich in Folge vonCircu-
lationsstörung bei intensiver Entzündung der
verletzten Theile. Die Erscheinungen, unter
welchen er sich einstellt, sind folgende:
Starke und schnell sich ausbreitende, Ode¬
matöse, im Beginne schmerzhafte Schwellung
der Leistengegend, welche die innere Schen¬
kelfläche, die untere Flanke, den Bauch und
die Unterbrust erreicht; schlechte Beschaffen¬
heit der Wundsecrete, welche einen üblen
Geruch annehmen, Vorkommen von Schüttel¬
frösten, hohes Fieber, Appetitlosigkeit, nach
5—6 Tagen Tod unter septicämischen Er¬
scheinungen. Der Brand der Castrationswunde
ist eine der gefährlichsten Folgen dieser
Operation und muss durch streng-antiseptische
Behandlung in seiner Ausbreitung gehemmt
werden. Bei grösserer Ausdehnung müssen
die ergriffenen Theile mittelst Messer und
Glüh eisen entfernt werden. Die gleichzeitige
Verabreichung innerer Mittel ist ebenfalls zu
empfehlen: Salicylsaures Natron (im Beginne)
und Chinarinde in grösseren Dosen sind dann,
trotz des hohen Preises der letzteren, in der
Bekämpfung der drohenden allgemeinen Blut¬
vergiftung in erster Linie zu verwenden.
9. Peritonitis (Bauchfellentzündung).
Die Bauchfellentzündung tritt, nach Gourdon,
ewöhnlich vom zweiten ois sechsten Tage nach
er Castration ein, seltener später. Das von
dieser Krankheit befallene Thier fiebert; nach¬
dem die Wundsecretion aufgehört hat, stellt
sich ein starkes Oedem der Schenkel und
der unteren Bauchwand ein, der Rücken ist
stark gewölbt, die Flanken aufgezogen, ctfe
vier Gliedmassen nahe beisammengestellt;
unter den Erscheinungen des eingetretenen
Brandes der Scrotalwunde wird das Thier
immer schwächer und geht 5—6 Tage nach
Ausbruch der Krankheit zu Grunde. Bouley
legt in ätiologischer Hinsicht grösseres Ge¬
wicht auf die Einwirkung der Kälte, sowie
auf die bei der Operation verursachten Zer¬
rungen, als auf die Einwirkung der atmo¬
sphärischen Luft auf den peritonealen Ueber-
zug des Samenstranges, da die Peritonitis
ebenso häufig bei der Castration mit bedeckten
Testikeln vorkomme. Bei weiblichen Thieren
stellt sich die Bauchfellentzündung häufig
ein, namentlich erweist sich die Stute als
sehr empfindlich, während die Kuh und das
Schwein grössere Verletzungen des Perito-
naeums sehr gut vertragen. Die Behandlung
der Peritonitis ist leider, obschon Heilung
beobachtet wurde, selten von Erfolg.
Es wird die Wunde desinficirt, bei Pfer¬
den die Bauchwand mit grauer Quecksilber¬
salbe eingerieben, bei anderen Hausthieren
Sinapismen aufgelegt oder kalte Umhüllungen
gemacht. Innerlich Salpeter, Glaubersalz, bei
hartnäckiger Verstopfung auch Klystiere.
10. Tetanus (Starrkrampf).DieUrsachen
des Starrkrampfes sind hier hauptsächlich in
der Verwundung (Wundstarrkrampf) zu suchen;
da jedoch zu gewissen Zeiten diese Erkran¬
kung eine grössere Verbreitung erlangt, so
werden atmosphärische Einflüsse auch neben
der Verwundung und Erkältung als ätiolo¬
gische Momente angesehen. Ganz besonders
werden kleine Wiederkäuer in Folge der Ca¬
stration vom Starrkrampf befallen. (Näheres
s. Starrkrampf.)
11. Innerer Bauchbruch desOchsen
(Ueberwurf). Diese nicht ganz seltene chirur-
ische Erkrankung entsteht durch Zerreissuug
er in der Bauchhöhle vorkommenden und
den Samenleiter einhüllenden Bauchfellfalte,
in welcher eine Darmschlinge eingedrungen
und festgehalten wird. Der innere Bruch des
Ochsen wird meistens nur rechts beobachtet
und lässt sich, einige Zeit nach der Castra¬
tion (ganz besonders nach der Bistournage),
durch folgende Merkmale erkennen: Wölbung
der Lenden, Schleppen der hinteren Glied¬
masse. Kolikanfälle, Verstopfung und Fieber.
Die Diagnose wird durch Mastdarmexploration
sichergestellt, indem der Samenstrang als
dicker harter Strang über weicher anzu¬
fühlenden Darmschlingen erscheint. Die ein¬
geklemmten Darmstücke gehen in Folge Blut-
circulationsstörung in Brand über, was den
tödtlichen Ausgang der Krankheit nach einigen
Tagen herbeifihrt. Die Behandlung besteht
in Ablösung der eingeklemmten Darmschlinge
1. durch Bergab führen der Thiere; 2. durch
manuelle Verschiebung vom Mastdarme aus;
3. durch blutige Operation mittelst Flanken¬
schnitt und Durchschneidung der über die
Darmeinklemmung befindlichen Samenstrang¬
brücke. (Näheres s. Eingeweidebrüche.)
12. Lähmung der Nachhand. Die Läh¬
mung der Nachhand soll bei der Castra¬
tion der Kühe durch die Scheide hin und
wieder beobachtet worden sein. Eine solche
Erscheinung lässt sich (nach Franck, Hand¬
buch der Geburtshilfe) vielleicht als vorüber¬
gehende Reflexlähmung des Hintertheiles in
Folge Verletzung der Scheide und des Uterus
erklären. Bei der Castration des Geflügels
kommt sie hie und da vor und kann dann
als sicheres Zeichen einer beim Einführen
des Fingers in die Bauchhöhle geschehenen
Verletzung oder Reizung des Hüftnerven (N.
ischiadicus) angesehen werden. Die Behandlung
besteht in Einreibung flüchtig reizender Me-
dicamente.
13. Samenstrang-Entzündung, Sa¬
menstrangverhärtung, Champignon
und Samenstrangfistel. Die Entzündung
des Samenstranges ist eine nothwendige Folge
der Castration, sie ermöglicht die Verwach¬
sung desselben mit seiner Umhüllung, der
Leistencanalwandung. Unter normalen Hei¬
lungsvorgängen stellt sich in den ersten
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CASTRATION.
103
24 Standen nach der Operation eine seröse
Infiltration des Samenstranges ein, wodurch
(nach Bouley) eine Annäherung der beiden
Peritonealüberzüge eintritt, in Folge welcher
deren Verwachsung erzielt wird. Stellt sich
aber eine zu reichliche Exsudation ein, so
wird dieselbe eiterig und ist dann die oben¬
erwähnte Verwachsung unmöglich. Es stellt
sich diese Erscheinung jedesmal bei zu
starker Entzündung der Theile ein; unter
solchen Bedingungen schwillt der Samenstrang
noch mehr an, es stellt sich in demselben eine
reichliche Bindegewebswucherung ein, welche
vorzugsweise den in der Scrotalwunde her¬
vorragenden Samenstrangstumpfen betrifft
und welche dann als Champignon aufge¬
fasst wird.
Der Champignon stellt somit eine
profuse Bindegewebsneubildung des unteren
Endes des Samenstrangstumpfes dar. Diese nicht
besitzen scheinen, ist die Infection niemals
direct bewiesen worden und dient dieselbe,
vorderhand wenigstens, als ein sehr bequemer
Deckmantel für bewusste oder noch mehr für
unbewusste, jedoch in der Regel existirende
Operationsfehler.
Obschon, streng genommen, der Name
Champignon (Pilz) vorzugsweise auf den am
Ende des Samenstranges sich entwickelnden
pilzähnlichen Tumor sich zu beziehen scheint,
begreift man nach Bouley unter dieser Be¬
zeichnung alle verhärteten Tumoren des un¬
teren Theiles des Samenstranges.
Solche Tumoren werden nach ihrem Sitze
in extrascrotale und in subcutane Cham¬
pignons unterschieden (Bouley). (Diese Be¬
zeichnungen könnten vielleicht in: Aeusscre
und innere oder „sichtbare“ und „unsicht¬
bare“ umgewandelt werden.) Die „subcu-
tanen“ (inneren oder unsichtbaren) Cham
Fjg. 868. Gekrümmte Kloppen.
Fig. 869. Doppel¬
te bre ton LevTet.
selten vorkommende Neubildung ist das Pro¬
duct einer zu intensiven Entzündung des
Samenstranges, welche letztere durch folgende
Bedingungen sich einstellt: zu langsam aus¬
geführte Castration, Zerrung des Samenstran¬
ges (z. B. beim Anlegen der Kluppen), zu
hohes Anbringen der Kluppen oder Ligatur,
Einwirkung der Luft auf den herunterhän¬
genden Samenstrang, Zu frühes Abnehmen
der Kluppen, unvollständige Compression des
Samenstranges, sowie alle übrigen Verhält¬
nisse, welche eine Reizung dieses Gebildes
bedingen können.
Unter den ursächlichen Momenten der
Bildung des Champignons wird von vielen
Operateuren die Infection angeführt. Ab¬
gesehen von der einfachen, rein bindegewe¬
bigen Structur, welche solche Tumoren zu
pignons werden wieder in drei Arten unter¬
schieden: 1. Die extra-inguinalen (aus¬
serhalb des Leistencanales befindlichen); 2. die
intra-inguinalen (innerhalb des Leisten¬
canales befindlichen), und 3. die intra¬
abdominalen (innerhalb der Bauchhöhle
vorkommenden).
Die Champignons bedingen durch ihre
Gegenwart schon im Initiaistadium krank¬
hafte Erscheinungen, deren Kenntniss von
Wichtigkeit ist; damit behaftete Thiere zeigen
eine gewisse Steifigkeit in den Bewegungen
der Nachhand, die Lenden sind nach auf¬
wärts gewölbt und auf Druck unempfindlich.
Ist der Champignon einseitig, so sind die
Lenden auf der kranken Seite seitwärts ein¬
gebogen und die Wirbelsäule daher seitlich
gekrümmt: beim Gehen wird die Gliedmasse
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104
CASTRATION.
nach Aussen unter „mähender“ Bewegung vor¬
gesetzt.
Die Thiere fiebern öfters, der Ernährungs¬
zustand leidet sehr, das Haar wird struppig
und schliesslich gehen sie unter steter Abma¬
gerung zu Grunde. Im Innern des Champignons
kommt es häufig zu eiterigen Infiltrationen,
die endlich nach aussen sich Bahn brechen
und schliesslich zu Fisteln Veranlassung ge¬
ben, welche als Samenstrangfisteln be¬
zeichnet werden.
Unter allen Champignons sind die
„äusseren“ die gutartigsten; sie erreichen
öfters die Grösse eines Menschenkopfes und
können sehr rasch diese Dimensionen an¬
nehmen. Ihre Oberfläche ist röthlich und un¬
eben (blumenkohlartig) (Fig. 367J; ältere sind
zerklüftet, mit blutigeiterigem, bereits in Ver¬
wesung begriffenem Exsudat bedeckt und bluten
bei der leisesten Berührung. Was die Behand¬
lung des Champignons und der Samenstrang¬
fistel anbelangt, so ist dieselbe eine rein chirur¬
gische. Aeussere Champignons werden in der
Weise operirt, dass wenn möglich über die¬
selben auf den gesunden Theil des Samen¬
stranges gekrümmte Kluppen wie bei der
Castration angelegt werden (Fig. 368). Auch
kann mit grossem Vortheil der Ecraseur lindaire
von Chassaignac verwendet werden. Bei in¬
tra-inguinalen Champignons wird eine mit¬
telst einer Doppelröhre (Fig. 369) oder eines
Schlingenträgers angebrachte Ligatur zur
Unterbindung des Samenstranges gebraucht.
Die intra-abdominalen Champignons, als
die gefährlichsten von Allen, werden mittelst
weiss glühendem, lang zugespitztem Brenneisen
vom Inguinalcanal aus erreicht; auch kann
einfach der in jeder Schmiede vorhandene
Löschspiess dazu verwendet werden. Selbst¬
verständlich wird diese Art Champignons vor
der Operation in Bezug auf Lage und Aus¬
dehnung durch den Mastdarm genau unter¬
sucht werden müssen. Das Brenneisen wird
hiebei unter drehender Bewegung bis in den
Champignon geführt, was in der Regel nicht
auf einmal geschehen kann; durch das Brennen
wird ein Canal erzeugt, durch welchen der
später in eiteriger Schmelzung begriffene
Champignon nach aussen sich entleeren kann.
Dieses Mittel ist begreiflicher Weise nicht
ohne grosses Risico anzuwenden, bildet jedoch
eine letzte Zuflucht in der Behandlung dieser
prognostisch ungünstigen Erkrankung. Die
Champignons kommen vorzugsweise bei Pfer¬
den vor, sind jedoch auch bei Wiederkäuern,
Hunden und Schweinen beobachtet worden.
Literatur: Gorlt & Hertwig, Chirurg. Anat.
und Oper&tionslehre für Thier&rzte, Berlin 1847. —
Charlier, De la Castration des Vaches, Paris 1856. —
Bouley & Reynal, Dictionnaire pratiqne, Paris 1857. —
Gourdon, Traitd de la Castration, Paris 1860. — Förster,
Instrumenten- und Verbandlehre, Wien 1861. — Förster,
Compendium der Operationslehre, Wien 1867. — Hurtrel
d'Arboral. Dictionnaire de m&lecine, de Chirurgie et
d'hygtäne vetörinaires, Paris 1874. — Hering, Handbuch
der thierftrztl. Operationslehre, dritte Auflage, Stuttgart 1879.
—Peuch & Toussaint, Präcis de Chirurgie v^tcrinaire,
Paris 1877. — Degive, Manuel mödecine opöratoire
vetärinaire Bruxelles 1880. — Signol, Aide mömoire du
v£törinaire, Paris 1884. — Liautard, Animal Castra¬
tion, New York 1884 etc. etc. ßerdes.
Castration in Indien. Die Castration
wird in Indien heutzutage an allen jenen
Pferden, welche für Armeezwecke bestimmt
sind, vorgenommen. Dies war noch vor wenigen
Jahren nicht der Fall; Regimenter und Bat¬
terien wurden mit arabischen und persischen
Pferden beritten gemacht; man fand aber
damals, dass die nicht verschnittenen Pferde
sowohl bei den Exercitien als im Stalle so
viel zu schaffen gaben, dass beschlossen wurde,
sämmtliche Armeepferde zu castriren. Hiegegen
wurden jedoch wieder gewichtige Bedenken
erhoben; so wurde beispielsweise geltend
gemacht, dass vom Standpunkte der Arbeits¬
leistung aus ein verschnittenes Pferd niemals
mit einem nicht castrirten in Vergleich ge¬
bracht werden könne. Doch wurde die An¬
gelegenheit durch ein nicht ganz werthloses
praktisches Experiment entschieden. Es wurden
drei Versuche gemacht, deren letzter die
Frage entschied. Zweihundert Pferde des
15. Husarenregimentes — einhundert castrirte
und einhundert nicht castrirte — mussten
einen Marsch von ca. 800 Meilen (engl.) an-
treten. Die letzten 400 Meilen wurden in
Eilmarsch zurückgelegt. Es wurde blos ein
einziger Ruhetag zugestanden und die letzten
sechs Märsche mussten in einem Verhältniss
von 30 Meilen per Tag gemacht werden, all
dies unter der glühenden Sonne Indiens und
mit Mann und Ausrüstung im ungefähren Ge¬
wicht von 250—308 Pfund. Es wurde nun ge¬
funden, dass die Castrirten sich ebenso tüchtig
wie die Nichtcastrirten bewiesen, obwohl sie erst
sechs Monate vorher der Operation unter¬
zogen wurden. Von jener Zeit an wurden
sämmtliche Pferde castrirt. Die Operation ist
in Indien nicht ohne Gefahren. Peritonitis
und Tetanus, ebenso Samen strangfisteln
sind häufig die Folgen derselben. Die Jahres¬
zeit, in welcher die Operation vorgenommen
wird, ist wohl zu berücksichtigen. Sowohl
die trockene Jahreszeit als das kalte Wetter
sind zu vermeiden; andererseits geben die
Fliegen während der heissen Jahreszeit, wie
bei allen Wunden, auch hiebei Anlass zu
vielerlei Unannehmlichkeiten. Der Bericht
über 10.305 Castrationsoperationen, welche
in Südindien vollzogen wurden, wurde im
„Quarterly Journal of Veterinary Science in
India“ von M. Adams veröffentlicht. Da alle
hiebei in Betracht gezogenen Thiere nach
einer und derselben Methode, nämlich durch
Schaben des Samenstranges mit einem ge¬
zähnten Messer, castrirt wurden, da fenler
alle fast von gleichem Alter waren und sich
unter gleichartigen hygienischen und klima¬
tischen Verhältnissen befanden, so ist diesem
Berichte ein grosser Werth beizumessen.
Die Gesammtzahl der operirten Pferde war,
wie erwähnt, 10.305, und von diesen sind
2*63% den Folgen der Operation erlegen.
Die Todesfälle erfolgten bei 1*12% durch
Peritonitis, bei 0*73% durch Samenstrang¬
fisteln, bei 0*21% durch Hämorrhagie, bei
0*15% durch Tetanus. Bei Peritonitis trat der
Tod nach dem 6., bei Krebs nach dem 7.,
bei Tetanus nach dem 15. Tage ein. Die
CASTRIRPULVER.
Monate, welche die meisten Todesfälle auf¬
wiesen, waren Mai, September, October und
November: die günstigsten März, April und
Juli. Die über die Temperatur gemachten
Beobachtungen zeigten, dass dieselbe bis zum
3. Tage anstieg und sich bis zum 8. auf
gleicher Höhe hielt, worauf sie fiel. Der nor¬
male Stand wurde am 13. Tag nach der
Operation erhalten. Die Eingebornen in Indien
castrircn niemals ihre Pferde, wohl aber die
zu Arbeitszwecken bestimmten Stiere. Die
Operation wird Mulling genannt und auf
folgende Weise vollzogen: Das in vollkommen
wildem Zustande befindliche Thier wird in
einen geschlossenen Raum getrieben, gebunden
und sodann geworfen; die Hinterfüsse werden
stark vorwärts gezerrt, worauf eine Ligatur
über das Scrotum und den Samenstrang ge¬
strichen und leicht angezogen wird. Sobald die
Strangulation vollständig ist, werden die
Testikel an den Schenkel gelegt und der
„Operateur 11 , bewaffnet mit einem gekrümmten
dicken Stock von etwa zwei Fuss Länge,
führt nun mit aller Kraft einen wuchtigen
raschen Schlag auf die Hoden; ein solcher
Schlag genügt, um die Integrität des Organs
zu zerstören. Die Testikel werden nun an
den anderen Schenkel gelegt und in ähnlicher
Weise behandelt. Das Ganze des Scrotum-
inhaltes und des Samenstranges wird nun
durch wiederholte Schläge in eine Art Brei
verwandelt. Sodann wird etwas Fett aufge¬
legt und die Operation ist vollendet. Dieser
widerliche, barbarische Vorgang wird aller¬
dings nur von den Eingebornen vollzogen,
welche behaupten, dass, derselbe sehr zuver¬
lässig und selten von bösen Folgen begleitet
sei. Wenn dies auch der Fall sein mag, so
sollte diese abscheuliche Tortur dennoch
durch eine gesetzliche Vorkehrung eingestellt
werden. Smith.
Castrirpulver, Aetzmittel zur rascheren
Abtödtung der Samenstränge, auf die Kluppen
verwendet (s. Pulvis ad castrandum). Vogel.
C&suisiik (abgel. von Casus, Fall) nennt
man in der Medicin die Zusammenstellung
von Krankheitsfällen, welche für die Beur¬
teilung einer Krankheit in ihren verschiedenen
Beziehungen wichtig sind. Sussdorf.
Cai&Iepsia, s. Catalepsis (von xata-
kafißavetv, festhalten). die Starrsucht oder
wächserne Steifheit. Die Krankheit besteht in
einem anhaltenden, geringgradigen Krampfe
8ämmtlicher motorischer Muskeln, bei dem
Bewusstsein und Empfindung theilweisc oder
ganz, die Willenskraft total aufgehoben ist.
Die kataleptischen Thiere sind nicht im Stande,
sich vom Platze zu bewegen oder aus eigenem
Antriebe die Lage eines ihrer Gliedmassen zu
verändern, wohl aber wird jede Stellung bei¬
behalten, die man den einzelnen Körperteilen
gibt, denn diese lassen sich wie Wachs biegen.
Die unwillkürlichen Muskeln sind von der
krampfhaften Contraction nicht betroffen, sie
functioniren regelmässig, so namentlich das
Herz, der Darm und die Respirationsmuskeln.
Da bei der Catalepsie zugleich Störungen in
den Gehirnfunctionen beobachtet werden, so
— CATAPLASMA. 105
lassen diese auf anatomische Veränderungen
im gesammten Central - Nervensystem, vor¬
züglich jedoch in den vorderen motorischen
Wurzeln des Rückenmarks mit Sicherheit
schliessen. Worin die anatomischen Verän¬
derungen bestehen, konnte bisher nicht nach¬
gewiesen werden, ebensowenig kennt man
mit Zuverlässigkeit die Reize, welche auf die
Nerven einwirken und sich reflectorisch im
tonischen Muskelkrampf auslösen; sie müssen
stark und anhaltend sein oder schnell aufeinan¬
der folgen, wenn sie eine tetanische Contraction
der Muskeln bewirken sollen. Die Reize können
mechanische oder chemische sein (Körper¬
erschütterungen, Belästigung des Magens und
Darmcanals durch schwer verdauliche Nahrung
oder Eingeweidewürmer, Säugen der Mutter-
thiere, Veränderungen in der Dichte des
elektrischen Nervenstromes durch Erkältungen,
Rheumatismus etc., Veränderungen in der
Teitur der Nerven durch Gemüthserregungen,
wie Schreck, Sehnsucht). Vorausgegangene
Himleiden mit Hinterlassung von anatomischen
Veränderungen in den Nervenfasern und Gan¬
glien, ebenso der Geburtsact scheinen die
Thiere zur Catalepsie zu disponiren, wahr¬
scheinlich wird die Disposition durch be¬
stimmte Veränderungen in der Blutcomposition
verstärkt, sei es, dass bestimmte Säuren im
Blute auftreten, oder dass das Blut mit Serum
überladen wird (Anämie). Sehr wahrscheinlich
ist auch der Wärme- und Elektricitätsgehalt
der Luft von Einfluss auf die Entstehung der
Catalepsie, denn Wärme und Elektricität sind
für das Nervensystem erregende Reizmittel.
Bisher ist Catalepsie nur selten bei Thieren
beobachtet worden, und zwar nur bei Pferden
und Hunden, ohne dass dadurch ausgeschlossen
wäre, dass auch andere Thiergattungen davon¬
befallen werden könnten. Die Dauer beträgt
im Falle der Reconvalescenz einige Tage,
längere Andauer pflegt den Tod herbeizuführen.
Als Heilmittel sind Purganzen (Calomel,
Aloö, Gummigutti, Crotonöl), krampfstillende
und erschlaffende Medicamente zu versuchen,
z. B. Kampher, Ammonium carbonic., Arsenik,
Curare, Chloralhydrat, Inhalationen von Chloro¬
form und Aether, warme Bäder etc. Anacker.
Cataplasina, Breiumschlag, s. Bähungen.
Unter dem Ausdruck
Cataplasmaad decubitum wird nicht
mehr das leicht hart werdende Bleitannat,
Plumbum tannicum pultiforme, verstanden,
sondern in der Ph. G. ist jetzt ein besonderes
Sälbchen hiefür vorgesehen, das man auf
Excoriationen, luxuriirende Wunden, bei Ge¬
schwüren, Kronentritten, Mauke u. dgl., be¬
sonders gerne aber auf durch Aufliegen (De¬
cubitus) entstandene Wundflächen streicht, und
das die Heilung wesentlich beschleunigt. Diese
gleichsam als Cataplasma dienende Salbe
(Ph. G.) heisst:
Unguentum Plumbi tannici, gerb¬
saure Bleisalbe, und wird durch Eingiessen
von basisch essigsaurem Bleioxyd in Eichen¬
rindenabkochung, wodurch eben das gerbsaure
Blei als Brei gefällt wird, bereitet, oder indem
man ex tempore 1 Gerbsäure mit 2 Bleiessig
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106. CATARACTA.
verreibt und mit 17 Schweinfett zu einer
(gelblichen) Salbe macht. Vogel .
Cataracta, Syn. Catarrhacta (von xaxa-
paxtaTQ? oder xaxappaxTjs, herunterwerfen,plötz¬
lich unterbrechen, wegen der Unterbrechung
des Lichtdurchganges durch das Auge); Glau-
cosis, Glaucosies; Hypochyma, Hypochysis;
Suffusio, S. aquae, Aquae Descensus; franz.:
la cataracte; engl.: cataract, ital.: cataratta,
span.: catarata; Staar oder (besser) Star,
grauer Star, Starblindheit. Wie bei allen
Krankheiten, bei denen man ein so reich¬
haltiges Sortiment von Namen und Bezeich¬
nungen, die theils früher gebraucht wurden,
theils zur Jetztzeit noch gang und gäbe sind,
zusammenstellen kann, und man den Schluss
auf eine bei einzelnen Persönlichkeiten und zu
verschiedenen Zeiten wechselnde Anschauung
bezüglich der Erkennung ihres Wesens und
des zu Grunde liegenden Processes zu ziehen
berechtigt ist, so gilt dies ganz besonders
für den Star; es liegt in der reichhaltigen
Nomenclatur ein Theil der Geschichte dieses
Leidens selbst. Sehr interessante historische
Aufschlüsse gibt uns Otto Becker in seiner
Einleitung zur „Pathologie und Therapie des
Linsensystems 44 (Gräfe-Sämisch, Handbuch
der ges. Augenheilkunde, 41 Bd. V, erste Hälfte).
Das Wort „Cataracta 44 — welches jetzt neben
dem deutschen Ausdruck „Star 44 die allgemein
acceptirte Bezeichnung ist — stammt ohne
Zweifel von dem griechischen xaxappyfvofA'
(xaxa^aaou>) und wurde deshalb wohl auch
„Catarrhacta 44 geschrieben. Jedoch als Be¬
zeichnung für eine Augenkrankheit haben die
Alten es nicht gebraucht, vielmehr begegnet
uns dieser Ausdruck erst im Jahre 1150, wo
er von dem salernitanischen Arzte Platärius
unter den das Sehen beeinträchtigenden Krank¬
heiten mit den Worten aufgefünrt wird: „Ca¬
taracte visus inter conjunctivam et corneam
tunica nascuntur et uveam tunicam subal-
bidam reddunt. 44 Es ist anzunehmen, dass die
Araber, welche sich der Lehre von Hippo-
krates und Galen auf das Engste anschlossen,
den Vorgefundenen Ausdruck oko/ogis über¬
setzten und dann, als die Salernitaner die
Worte des Albulcasis und Avicenna ins
Lateinische übertrugen, diesen der früher ge¬
bräuchliche Ausdruck abhanden gekommen
war und sie nun den Namen „Cataracta 44
schufen. In der lateinischen Uebersetzung
des Albulcasis von Görard de Crömone
(geb. 1114) finden wir als Ueberschrift eines
Capitels die Worte: „De cura aquae quae
descendit in oculo vel Cataracta. 44 DerZeit nach
fällt diese Stelle so ziemlich mit den Worten
des Platärius zusammen, und es dürfte
demnach „Cataracta 44 ursprünglich im Sinne
des herabfallenden Wassers gebraucht worden
sein. In der That findet sich im Avicenna
für grauen Star der arabische Ausdruck nuzul-
el-mä’, welches wörtlich ebenfalls das Herab¬
fallen des Wassers bedeutet. Späterhin wurde
auch diese Deutung so gründlich verwischt,
dass Ambroise Parö (geb. 1517) Cataract mit
dem französischen „coulisse 44 übersetzte, wo¬
gegen Laurentius Heister das Wort „Fall¬
gattern 14 einführte. Damit schwand auch die
Vorstellung der herabfallenden Flüssigkeit
und wurde vielmehr angenommen, dass sich
zwischen Cornea und Glaskörper an irgend
einer Stelle — die nach verschiedenen Autoren
eine wechselnde ist — ein Häutchen bilde.
Erst 1705 erkannteBrisseau, dass der eigent¬
liche Sitz des Stares in der Linse zu suchen
sei. In den griechischen Schriften der Alten
kommen nur die Ausdrücke YXaoxwatt« oder
YXauxtujjia oder uito'^vct? vor, welch letzteren
Ausdruck die lateinisch schreibenden Autoren
mit „Suffusio 44 übersetzten. So gebraucht Ce 1-
sus und nach ihm Publius Vegetius Rena¬
tus von Voltcrra dieses Wort, namentlich der
letztere Autor befasst sich in seiner in der
zweiten Hälfte des V. Jahrhunderts erschie¬
nenen „Ars veterinaria s. Mulomedicina 44 mit
Augenkrankheiten, so z. B. beschreibt er u. A.
in Cap. XVII seines Werkes eingehend die
Lagerung des Thieres zur Staroperation. Das
deutsche Wort „Star 44 , das als Wurzelverbum
das goth. „stairan 44 unbeweglich 9tehen hat,
bedeutet so viel wie „Starre 44 des Auges (stierer
Blick). Zum ersten Male wird die Bezeichnung
von einem Thiere gebraucht und zwar in den
aus dem VIII. Jahrhundert stammenden kero-
nischen Glossen bei der Hyäne: „Hyaena
bestia staraplint cujus pupillae lapideae sunt,
des seha augono stani sint. 44 Sobald man aber
sich gewöhnt hat, einen Krankheitsprocess
mit einem Symptom, das ihm neben vielen
anderen Krankheiten auch zukommt, zu be¬
zeichnen, musste man, um ganz heterogene
Dinge nur einigermassen aus einander halten
zu können, dem Namen ein Epitheton bei¬
fügen; so entstand der „schwarze 44 , „grüne 44
und „graue 44 Star, ja George Bartisch
spricht in seiner 1583 erschienenen „Ophthal -
modouleia 44 sogar von einem „weissen 44 ,
„gelben 44 und „blauen 44 Star. Allmälig erst
gewöhnte man sich, das Wort „Star 44 nur in
der Verbindung „grauer Star 44 zu gebrau¬
chen und damit eine Linsentrübung zu be¬
zeichnen.
Definition: Als „Cataracta 44 oder
„grauen Star 44 bezeichnet man jede in dem
— normaler Weise allerorts vollständig durch¬
sichtigen — Linsensystem des Auges auf¬
tretende Trübung, mögen die Ursache derselben
und die ihr zu Grunde liegenden pathologisch-
anatomischen Processe sein, welche sie auch
immer wollen. Hiebei ist es ganz gleich-
giltig, ob der Linsenkörper oder seine Kapsel
in ihrer ganzen Ausdehnung getrübt sind,
oder ob nur einzelne Theile oder engst-
umschriebene Gebiete eine solche Veränderung
in ihrer Durchsichtigkeit zeigen; vielmehr
ist eine so beschaffene Stelle, die selbst über
die Grösse eines Punktes nicht hinausgeht,
ebensogut eine Cataract wie eine dichte,
mächtige, das ganze Areal der Linse ein¬
nehmende Trübung. Ebensowenig wie durch
die Grösse der Opacität kann der Begriff*
„Star 44 alterirt werden durch Veränderungen
der topographischen Lage der Linse. Für ge¬
wöhnlich durch das Ligamentum Suspensorium
lentis (Zonula Zinnii) in ihrer Lage erhalten,
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CATARACTA.
107
kann — abgesehen von der sog. Ectopia len¬
tis — die Linse veranlasst werden, in Folge
einer Verflüssigung des Glaskörpers (Synchysis)
oder als Folge traumatischer Insulte, Con-
tusionen des Bulbus, nach vorhergegangener
Zerreissung ihres Aufhängebandes ihren Ort
zu verlassen und nach hinten in den Glas¬
körper zu fallen oder nach vorne in die vor¬
dere Augenkammer zu luxiren, sobald sie
vollständig und in allen ihren Theilen aus
der Pupille nach vorne getreten ist, oder zu
subluxiren, wenn sie bei Dehnung oder un¬
vollständiger Zerreissung der Zonula Zinnii
eine Verschiebung und Axendrehung eingeht
und so mit einem Segmente in die Vorder¬
kammer hineinragt. Derartige nach vorne in
die Augenkammer luxirte, resp. subluxirte
Linsen gehen im Laufe der Zeit in Folge des
eänderten Zuflusses von Nährmaterial und
er Einwirkung des Kammerwassers in ihrem
Gewebe Metamorphosen ein, deren End¬
resultat eine Trübung ist, welche als echte
Cataract aufgefasst werden muss. Von dieser
Art des Stares, bei welcher der Linse selbst
angehörige, in gesundem Zustande durch¬
sichtige Elemente getrübt sind und den sie
als Cataracta vera bezeichnet wissen
wollen, unterscheiden manche Autoren patho¬
logische Zustände, bei denen sich trübe und
undurchsichtige Massen, welche mit anderen
festen Theilen des Auges nicht im Zusammen¬
hänge stehen, der vorderen oder hinteren
Fläche der Linse, resp. deren Kapsel anlagern,
als Cataracta spuria, falscher Star. Es
sind dies meist Residuen einer abgelaufenen
Iritis, die nach hinten gegen die Vorderfläche
der Linsenkapsel fibrinöse oder eitrige Ex¬
sudate gesetzt, welche sich dann der Kapsel
angelöthet und dort, wie man sich ausdrückt,
organisirt haben. Besonders häufig kommt es
vor, dass, wenn eine sog. hintere Synechie
der Iris in Folge vorausgegangener Entzün¬
dung dieser Membran sich entweder spontan
gelöst oder bei medicamentöser Behandlung
— namentlich wenn man etwas spät dazu
gekommen ist — zerrissen wurde, ein kleiner
Theil der pigmentirten Rückfläche der Regen¬
bogenhaut mit auf der Linsenkapsel sitzen
bleibt, so dass man (sehr häufig bei der Irido-
choroiditis recidiva des Pferdes) schwarze
Punkte und Flocken von der Grösse eines Steck¬
nadelkopfes bis zu der einer Erbse oder mehr
in Linien- und Flächenform ausgezogene, za¬
ckige und vielgestaltete Pigmentirungen der
entweder noch gesunden und sonst durch¬
sichtigen oder bereits in ihrem Gewebe cata-
raetös getrübten Linse vorne aufgelagert findet.
Legt sich die Linse bei einem Durchbruch
der Cornea nach aussen an die Hornhaut an,
um nach Verschluss der Perforationswunde
wieder zurückzutreten, so kann es kommen,
dass Reste des Narbengewebes, welches mit
der vorderen Linsenkapsel verklebt ist, an
ihr haften bleiben und so mitgenommen
werden — Cataracta capsularis an¬
terior spuria. Hingegen fallen membranöse
Gebilde, welche mit der Iris einerseits, mit
der vorderen Linsenkapsel andererseits in
Verbindung stehen (so z. B. die als ein aus
dem Fötalleben herstammendes Residuum
aufzufassende Membrana pupillaris perse-
verans), nicht unter die Kategorie der fal¬
schen Cataracte. Und wie nun die vordere
Linsenkapsel von Seite der Vorderkammer aus
mit derartigen Bildungen beladen werden
kann, so kann die äussere Fläche der hinteren
Kapsel vom Glaskörper her Auflagerungen er¬
halten, die dann gewöhnlich das Bild des
sog. hinteren Polarstares zeigen, ohne jedoch
intra vitam stets als Cataracta spuria er¬
kannt werden zu können. So beschreibt
H. Müller („Gesammelte und hinterlassene
Schriften zur Anatomie und Physiologie des
Auges“, Bd. 1) eine „eigentümliche Form
von hinterem Polarstar“ aus dem Auge einer
jungen Ziege, die als eine ausserhalb der
Kapsel liegende, mit der embryonalen gefäss-
haltigen Kapsel zusammenhängende Trübung
aufzufassen war; v. Ammon beschreibt einen
derartigen Fall vom Kaninchen. Der Fall,
den Mayerhausen („Zeitschr. f. vergleichende
Augenheilkunde,“ II. Jahrg.) als „ungewöhn¬
lich langes Persistiren der Tunica vasculosa
lentis beim Kaninchen“ beschreibt, gehört
ebenfalls hieher.
Um sich das Verständniss bei Beschrei¬
bung von Cataracten gegenseitig zu erleich¬
tern, hat man in anatomischer Hinsicht eine
Unterscheidung in Kapselstar, Cataracta
capsularis (Fig. 370a) — es ist nur die
Linsenkapsel allein Sitz einer Trübung — und
in Linsenstar (im engeren Sinne), C. lenti¬
cularis, gemacht; letzteren trennt man wieder
in Rindenstar, C. lenticul. corticalis
(Fig. 370 b) — die Trübung liegt in der
Rindenschichte der Linse — und in Kemstar,
C. lenticul. nuclearis (Fig. 370c) — der
centrale Kern allein ist cataractös verändert.
Sind sowohl der Linsenkörper wie die Kapsel
Fig. 370. Linsendurchschnitte. a Kapselst ar, b und c Lin¬
senstar und zwar: b Cortikalstar, c Kernstar (schematisch).
gleichzeitig getrübt, so hat man die C. cap-
sulo - lenticularis. Sitzt die Trübung in
der Axe der Linse, so spricht man von
einem centralen oder axialen Star, C. cen¬
tralis s. axialis; ist so ziemlich genau
das Centrum der Linse ergriffen und nur
dieses allein, so hat man es mit einer C. cen¬
tralis lenticularis zu thun, im Gegensatz
zu jenen axialen Trübungen, welche mehr
gegen den vorderen oder hinteren Pol der
Linse zu gerückt sind und die man dann als
C. centralis anterior et posterior oder
C. polaris anter. et post. — vorderen und
hinteren Polarstar — bezeichnet. Je nachdem
CATARACTA.
108
nur ein Theil des Linsengewebes oder dieses
in seiner ganzen Masse ergriffen ist, hat man
eine theil weise Trübung, C. parti alis, oder
eine vollkommene, C. tot alis. Da jedoch
keine intra vitam acquirirte C. totalis, sei
sie auch noch so dicht und verbreite sich
der Process auf jede einzelne Linsenfaser,
plötzlich und auf einmal entsteht, vielmehr
sich allmälig aus einer C partialis heraus-
entwickelt, dürfte man den Ausdruck C. par¬
tialis eigentlich nicht für die Formen theil-
weisen Stares in Anwendung bringen, welche
nach Erfahrung und Voraussicht zu einer
C. totalis führen, und es verwendet eine An¬
zahl Autoren dafür den Namen C. progres¬
siva, während sieden Ausdruck C. part. für
solche Linsentrübungen reserviren, bei welchen
der Process wirklich sich aufnur einen Theil des
Linsenareales definitiv beschränkt. Hinsichtlich
der Gestalt, Farbe und Consistenz des Stares
haben sich für einzelne, häufiger vorkoramende
Starformen gewisse Namen in der Augenheil¬
kunde eingebürgert; so spricht man von Star¬
punkten, C. punctata — kleine und kleinste,
einzeln oder zu mehreren in Kapsel oder
Linsenkörper sitzende punktförmige Trübun¬
gen; Balkenstar — die Punkte haben sich
zu mehr weniger dicken Strichen ausgezogen;
Sternstar, C. stellata — die einzelnen
Punkte haben sich so gruppirt, dass daraus
eine sternartige Figur entsteht; C- nigra,
Grauschwarzstar; Perlmutterstar — die
einzelnen, nicht allzu grossen Trübungen haben
das Aussehen conglobirter, glänzender Schüpp¬
chen; weicher Star, C. mollis; harter Star,
C. dura; gemischter Star, C. mixta— harter
Kern mit auffallend weicher Corticalis. Die
Extreme in der Consistenz der Stare werden
angegeben als C. fluida s. lactea (wegen
seiner milch weissen Farbe), C. lapida,
C. calcarea, C. gypsea, C. arido-sili-
quosa. Jede Cataract, welcher Art sie sonst
auch sein mag, die mit der Iris durch eine
Verlöthung (hintere Synechie) verwachsen ist,
heisst C. accreta.
Von grosser Wichtigkeit für die Prognose
und die allenfalls einzuschlagende Therapie
ist es, zu entscheiden, ob man es mit einem
primären Star oder einer erst secundär er¬
folgten Cataractbildung, C. consecutiva s.
secundaria (welch 1 letzterer Ausdruck auch
für den sog. Nachstar in Gebrauch ist) zu
thun hat. Während im ersteren Falle das Auge
— eben bis auf die Starbildung — als ge¬
sund bezeichnet werden muss und einen be¬
stimmten anderweitigen Krankheitsprocess
nicht nach weisen lässt (so namentlich bei
C. congenita und C. senilis), gibt es
hingegen wieder Erkrankungen des Bulbus,
die in ihrem weiteren Verlauf, in ihrem Fort¬
schreiten ziemlich regelmässig das Linsen¬
system in Mitleidenschaft ziehen und eine
Cataract hervorrufen — C. consecutiva
(z. B. bei der recidivirenden Iridochoroiditis).
Diagnostik der Cataract. So leicht
und einfach es auch sein mag, einen wohl-
ausgebildeten totalen oder partiellen Star auf
den ersten Anblick mit blossem Auge als
solchen zu erkennen, über seine anatomische
Ausbreitung, allenfalls das ungefähre Alter und
die Consistenz klar zu werden, ebenso unmö¬
glich ist es, ohne Zuhilfenahme optischer
Hilfsmittel feine und feinste, besonders in den
hinteren Abschnitten der Linsenmasse ge¬
legene Trübungen aufzufinden und als der
Linse angehörig festzustellen. Erst mit der
Verbesserung der Methode der seitlichen Be¬
leuchtung und der Einführung des Augen¬
spiegels in die Augenheilkunde ist es uns
vergönnt, ein gewonnenes Untersuchungs-
resultat mit apodiktischer Sicherheit aus-
sprechen zu dürfen, so dass die objective
Diagnose des Stares jetzt zu den glänzend¬
sten Resultaten der physikalischen Unter¬
suchungsmethode zu zählen ist. Um ein Lin-
sensytem bezüglich seiner Durchsichtigkeit
und Functionsfähigkeit sowie auf die Lage¬
rung desselben hin untersuchen zu können,
ist es vor allen Dingen absolut nothwendig,
sich dasselbe in seiner ganzen Ausdehnung
zur Anschauung zu bringen, also nicht nur
den für gewöhnlich bei Tagesbeleuchtung in,
resp. hinter der Pupille sichtbaren Abschnitt
zu exploriren, sondern auch den normaler
Weise von der Iris verdeckten Theil der
Untersuchung zugänglich zu machen, indem
man eine Dilatation der Pupille, u. zw. eine
Mydriasis ad maximum herbeiftthrt, was durch
mittelst Augentropfgläschen oder Haarpinsels
zu bewerkstelligende Instillation einer l°/ ? igen
Lösung von Homatropin leicht zu erreichen
ist; in der Regel wird eine einmalige Einträufe¬
lung von dem gewünschten Effect bereits
begleitet sein; sollte wider Erwarten nach
10—15 Minuten eine Erweiterung der Pupille
nicht eingetreten sein, so ist — sobald man
von der Güte des angewendeten Präparates
überzeugt ist — bei Wiederholung der In¬
stillation eine gewisse Vorsicht anzuwenden,
da die Möglichkeit sehr nahe liegt, dass man
es mit Synechien zu thun hat, deren forcirte
Zerreissung von üblen Folgen begleitet sein
kann. Durch die Anwendung von Homatropin
vermeidet man eine zu lange Dauer der
Mydriasis und die bei schwefelsaurem Atro¬
pin auftretenden Blendungserscheinungen. An¬
derenfalls kann man durch nachträgliche
Instillation einiger Tropfen einer 1 %igen
Lösung von salicylsaurem Eserin (Physostyg-
min) die Mydriasis in kurzer Zeit zum Ver¬
schwinden bringen. Die so für die Unter¬
suchung vorbereitete Linse erfährt — selbst¬
verständlich im verdunkelten Raume — eine
Beleuchtung mit auffallendem wie auch in
durchfallendem Lichte. Zu ersterem Zwecke
concentrirt man durch eine Sammellinse
von kurzer Brennweite und grosser Oeff-
nung das Licht einer Lampe (s. Beleuch¬
tung focale und Ophthalmoskopie) so auf die
Linse, dass die Spitze des auf diese Weise
erzeugten Lichtkegels in die Mitte der Pu¬
pille zu liegen kommt und durchforscht nun
die so hell erleuchtete Linse systematisch in
allen ihren Theilen; gut ist es, durch leichtes
An- und Abrücken des projicirenden Convex¬
glases die Spitze des Lichtkegels bald mehr
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CATARACTA.
in die vorderen, bald mehr in die hinteren
Schichten des Linsensystems im Auge zu
legen, um so die Linse gewissennassen
schichtenweise zu durchsuchen. Sind Trü¬
bungen vorhanden, so verursachen dieselben
einen grauen, weissen oder sonst veränderten
Reflex, indem sie die Lichtstrahlen nur theil-
weise oder auch gar nicht ins Innere des
Auges dringen lassen, dieselben vielmehr
zurückwerfen. Eine Quelle für Täuschungen
könnte der Umstand werden, dass in Linsen
älterer Thiere bei dieser Art der Beleuchtung
ab und zu ein leichter Seidenglanz bemerkt
werden kann, der jedoch nicht pathologisch
ist, sondern seine Erklärung durch im höheren
Alter auftretende physiologische Processe fin¬
det. Auf derartige Zustände machte bei Thieren
zuerst Berlin aufmerksam. Man findet näm¬
lich relativ oft bei älteren Pferden bei Spiegel¬
beleuchtung in der Linse in den mittleren
und den Randtheilen, in concentrischer An¬
ordnung, bogenförmig verlaufende „Linien 11 , die
abwechselnd, je nach der Bewegung des Unter¬
suchers, des Spiegels oder des untersuchten
Auges hell erleuchtet oder schattig aussehen.
Ebenso wenig sind zu dem Processe „Star“
zu rechnen die von demselben Autor be¬
schriebenen und gedeuteten radiären strich-
förmigen und concentrischen Linsenreflexe,
welche erstere auf einer Dichtigkeitsdifferenz
in den Rindenschichten beruhen, während die
letzteren auf eine höhere Brechkraft des Lin-
senkemes gegenüber der Rindensubstanz zu¬
rückzuführen sind. Durch beide Veränderungen
wird ein unregelmässiger Astigmatismus der
Linse erzeugt. Derartige und manche andere
Irrthümer zu verhüten, schliesst sich derfocalen
Beleuchtung eine Augenspiegeluntersuchung
(mit durchfallendem Lichte) an, die überhaupt
einen integrirenden Bestandteil jeder Linsen¬
untersuchung bildet. Durch den Spiegel wird
hinter der Linse ein erleuchtetes Feld geschaffen,
vor dem dieselbe in einem durchaus durch¬
sichtigen Medium, um mich so auszudrücken,
schwimmt. Ist das Linsensystem durchsichtig,
so nimmt man von demselben nichts wahr.
Finden sich in demselben aber Theile, welche
getrübt und daher für Licht wenig oder gar
nicht durchgängig sind, so erscheinen dieselben
vor dem erleuchteten Augengrunde nicht er¬
leuchtet, also dunkel oder schwarz, indem sie
das rückkehrende Licht abhalten. Auch inso-
ferne wird das Resultat der focalen Beleuch¬
tung durch die Spiegeluntersuchung ergänzt,
bezw. rectiflcirt, als bei ersterer allerfeinste
und zarte Trübungen oft nicht mehr wahr¬
genommen werden können, während sie der
Spiegel als staubförmige, kleinste Wölkchen
noch erkennen lässt. Trübungen in den vor¬
dersten Theilen des Glaskörpers, die oft mit
blossem Auge und bei seitlicher Beleuchtung
so deutlich gesehen werden, dass man ge¬
neigt ist, sie in die hinteren Schichten der
Linse zu verlegen, werden bei der Spiegel¬
untersuchung leicht daran erkannt, dass sie
bei Drehungen, die das untersuchte Auge macht,
die entgegengesetzte Bewegung wie die Horn¬
haut vollführen, während Linsentrübungen
10 9
sich immer in derselben Richtung fortbewegen
wie der vordere Abschnitt des Bulbus. Es
rührt dies daher, dass der Drehpunkt des
Auges direct hinter der Linse liegt und dass
alle hinter demselben gelegenen Gebilde den
umgekehrten Weg zurücklegen müssen. Aus¬
serdem ist ein Glaskörper, der Trübungen
besitzt, meist bis zu einem gewissen Grade
verflüssigt, was zur Folge hat, dass die in
ihm suspendirten Körper auch dann, wenn
das Auge bereits aufgehört hat, sich zu drehen,,
noch leichte schwingende oder rückläufige
Bewegungen machen, während im Gegensatz
dazu eine Linsentrübung mit dem Momente
eingetretener Ruhe des Augapfels ebenfalls
unbeweglich erscheint. Das durchfallende Licht
verliert für die Diagnose der Cataract seinen
Werth, wenn eine Trübung so ausgebreitet
und dicht ist, dass dieselbe ein Leuchten der
Pupille verhindert: in solchen Fällen wirkt
der Augenspiegel ähnlich wie die seitliche
Beleuchtung. Sind Trübungen oder Flecke der
Hornhaut verhanden, so ist zu bedenken, dass
dieselben bei einigem Umfange und bei seit¬
licher Beleuchtung, Schatten bis auf die Linse
werfen können. Sich über die ganze Hornhaut
erstreckende Maculae, Trübungen des Vorder¬
kammerwassers, Exsudate in demselben, Iri¬
tis u. s. w. benehmen uns die Möglicheit, eine
Cataract zu erkennen, oder schränken die¬
selbe doch bedeutend ein.
Um den Ort, welchen die Trübung inner¬
halb der Linse einnimmt, annähernd bestimmen
zu können, reicht für gewöhnlich die Augen¬
spiegeluntersuchung aus. Sobald man es aber
mit Linsen zu thun hat, welche derart
intensiv getrübt sind, dass man einen auch f
nur einigermassen deutlichen Reflex aus dem
Augeninnem nicht mehr erhält, verliert die
Spiegelung für diesen Zweck ihren Werth
und man greift, um doch noch die Locali-
sirung der Trübung festzustellen im Stande zu
sein, zu den sog. Purkinje-Sanson 1 sehen
Flammbildchen. Hält man nämlich ein
Licht von der Seite her gegen das Auge eines
Thieres, so wird dasselbe von den spiegelnden
Flächen des Auges reflectirt und man be¬
obachtet drei kleine Spiegelbildchen der
Flamme: je eines von der Hornhaut und der
vorderen Fläche der Linse entworfen, also
von convexen Spiegeln reflectirt und daher
aufrecht, und ein drittes von der einen con-
caven Spiegel vorstellenden hinteren Linsen-
fläche, daher umgekehrt. Ist nun in den
tieferen Theilen der Linse eine Trübung vor¬
handen, so muss das von der hinteren Kapsel
entworfene Reflexbild an der Stelle fehlen,
wo die Trübung ist. Liegt die letztere im
Glaskörper, nahe hinter der Linse, so ist
das Bildchen stärker als in der Norm, da
jetzt der Spiegel durch die Glaskörperopacität
gleichsam einen Belag bekommt, in Folge
dessen er stärker reflectirend wirkt. Das
Fehlen oder Verschwomraensein des genannten
Linsenbildchens spricht also stets dafür, dass
die tieferen Theile der Linse entweder völlig
oder doch stark getrübt sind. Bei diffuser
Linsentrübung verschwindet, während das
110
CATARACTA.
vordere Kapselbild überall sichtbar gemacht
werden kann, das hintere ganz oder es er¬
scheint verschwommen und alsdann zu¬
gleich schwach gefärbt. Ein Umstand, wel¬
cher zu diagnostischen Irrthümem zu füh¬
ren geeignet ist, bleibt noch der Erwähnung
werth. Hat eine Linse eine Lockerung
ihrer anatomischen Fixation erfahren und ist sie
in Folge einer Dehnung oder partiellen Zer-
reissung ihres Aufhängebandes mit einem
Segmente aus dem Pupillargebiete heraus in
die vordere Augenkammer getreten (Subluxation
der Linse), so zeigt sich bei focaler Beleuch¬
tung bereits der in solcher Weise vorgerückte
Linsenrand als ein heller, bogenförmiger
Streifen, welcher dann bei Spiegelbeleuchtung
vollkommen dunkel und schwarz erscheint
(Fig. 371), ohne dass die Linsensubstanz hier
an Durchsichtigkeit eingebüsst zu haben
braucht. Es rührt diese
Erscheinung von der to¬
talen Reflexion des Lich¬
tes am Linsenrandc —
welcher nun die Spitze
eines Prismas darstellt —
her. Daher erscheint bei
Beleuchtung von vorne
derselbe hell, indem die a
von der Loupe ansgehen- Jf f^ m Oberen Seg-
den Strahlen an ihm 80 mente in die vordere
schief auffallen, da88 sie Augenkmmmer »ttbloxirten
nicht weiter gehen, son- Lmse *
dem alle in das Auge des Beobachters
zurückgeworfen werden. Wenn darauf der
Untersucher den Augenspiegel benützt, so er¬
scheint der Rand schwarz; denn das Licht,
welches er durch den Augenspiegel aus dem
Auge bekommt, wird an der Stelle, wo der
Linsenrand sich befindet, ebenfalls total reflec-
tirt, also ins Innere des untersuchten Auges
zurückgestrahlt. Schliesslich ist für die par¬
tielle Dislocation der Linse aus dem Pupillar¬
gebiete charakteristisch, dass die Theile des
Augengrundes, z. B. die Sehnervenscheibe,
doppelt erscheinen. Dies rührt aber daher,
dass das aus dem Auge zurückkommende Licht,
welches der Augenspiegel hineingeworfen,
dasselbe auf zwei ganz verschiedenen Wegen
verlässt, einmal durch den Theil der Pupille,
in dem sich die Linse noch befindet, das
anderemal durch den linsenlosen Theil.
Bezüglich der bei Linsenuntersuchungen
mittelst des Augenspiegels (durchfallendes
Licht) benöthigten Intensität der Beleuchtung
ist zu bemerken, dass möglichst schwache
Flammen verwendet werden sollen, während
man gleichzeitig die lichtschwächsten
Spiegel (Plan-Spiegel) zur Anwendung bringt.
Wollte man eine grelle Beleuchtung oder
lichtstarke (Concav-) Spiegel benützen, so
liefe man Gefahr, sehr feine und staubförmige
Trübungen der Linse in dem geschaffenen
Lichtmeer, in dem sie gleichsam ausgelöscht
werden, einfach zu übersehen. Bedeutend er¬
schwert sich der Untersucher die Stellung
seiner Diagnose, wenn er zum Zwecke von
Linsenexplorationen sich corrigirender Gläser
bedient, die er in seinen Spiegel einschieben
wollte; er stellt damit sein Auge wohl scharf
für den Augenhintergrund ein. an dem er ja
alle Details zu erkennen befähigt wird, über¬
sieht dagegen die seinem Auge nähergelegenen
Veränderungen in der Linse. Es ist daher
Regel, bei jeder Untersuchung mit dem Augen¬
spiegel, welche eine Erforschung der Linse,
überhaupt sämmtlicher brechenden
Medien zum Zwecke hat, nie ein Concav-
oder Convexglas in den Spiegel ein¬
zusetzen, vielmehr den Spiegel allein nur
als solchen zu benützen.
Pathologie und Aetiologie der
Cataract. Wenn wir oben die Cataract als
jede, unter welchen Umständen auch immer,
auftretende Trübung, als einen theil weisen
oder vollständigen Verlust der Durchsichtig¬
keit des Linsensjstems definirt haben, so ist
damit bereits ausgesprochen, dass es nicht
ein und immer derselbe Process sein kann,
der solche Veränderungen herbeiführte; es
sind vielmehr eine Reihe verschiedenster
pathologischer Vorgänge, die sich in Kapsel
und Linsenkörper, hier sowohl in den sub-
capsulären Epithelien als auch in den Linsen¬
fasern (die aber auch als modificirte epithe¬
liale Bildungen aufzufassen sind) abspielen, alle
aber den gleichen Schlusseffect zur Folge haben:
dass sie die Brechkraft der Linse an der er¬
griffenen Stelle verändern, so einen Contrast
zwischen gesundem und krankem Gewebe
herbeiführend, welcher seinen Ausdruck als
Trübung findet. Es ist dies ein Verhältniss,
ähnlich wie z. B. bei den Herzklappenfehlern,
bei denen eine Klappe durch mannigfaltige
Aenderung ihrer Form, Gestalt, histologischen
Textur etc. erkrankt sein kann, die schliessliche
Folge jedoch stets dieselbe bleibt: Insuffi-
cienz der Klappe und Stenose ihres Ostiums.
Der graue Star ist ein häufig, ja im Ver¬
gleich zu Erkrankungen der übrigen Theile des
Bulbus geradezu so unverhältnissmässig häufig
auftretendes Augenleiden, dass man nothwen-
dig dazu kommen musste, gewisse prädispo-
nirende Ursachen dafür zu suchen, zu denen
nur eine Gelegenheitsursache noch hinzutreten
darf, um Cataractbildung hervorzurufen. Und
in der That hat man durch genaueres Stu¬
dium der Art und Weise, wie die Linse ihre
Ernährung bewerkstelligt, in derselben ein
Organ gefunden, welches bei so hoher Digni¬
tät und einfacher Zusammensetzung ganz
eigcnthümliche Ernährungsbedingungen be¬
sitzt. Die Linse ist durch eine geschlossene,
structurlose und für geformte Elemente nor¬
maler Weise undurchgängige Membran voll¬
ständig abgegrenzt. Bis gegen Ende des
Embryonallebens liegt dieser Membran die
gefässhaltige Kapsel vollständig auf, deren
Gefasse ohne Zweifel während der ganzen
Dauer ihrer Entwicklung das Material für
die Ernährung und das Wachsthum der
Zellen und Fasern innerhalb der Kapsel
liefern. Nach Rückbildung der gefasshaltigen
Kapsel tritt nun das eigcnthümliche Ver¬
hältniss ein, dass die Linse nur mittelst der
Fasern der Zonula Zinnii mit den festen Thei-
len des Auges unmittelbar in Verbindung
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CATARACTA.
111
steht. Ihre Ernährung kann daher, da die
Zonulafasem weder Nerven noch Blutgefässe,
noch etwa Lymphbahnen besitzen, nur von
den die Linse nach vorne und hinten um¬
gebenden flüssigen Medien des Auges, also
entweder vom Kammerwasser, oder vom Glas¬
körper, oder von beiden zugleich aus ge¬
schehen. Diese Medien besitzen aber auch
wieder, ebenso wie die Linse, weder Nerven
noch Gefässe. Die interessanten Injections-
versuche, die Deutschmann, Schöler,
Uhthoff und Andere angestellt haben, er¬
gaben, dass die Ernährungsflüssigkeit in der
Aequatorialgegend der Linse, zwischen den
Blättern der Zonula Zinnii gehend, in die
Linse eintritt und allmälig concentrisch gegen
den Kern zu vorrückt, dessen Stoffwechsel in
Folge davon ein nur viel trägerer sein kann.
Eine Bestätigung dieser Befunde müssen wir
darin erblicken, dass in der Gegend des
Linsenäquators die Zellenneubildung eine
physiologisch viel lebhaftere ist als im Lin¬
senkern. Auf diese Weise wird uns die Häufig¬
keit der Linsenerkrankungen einigermassen
verständlich. Bis vor nicht gar langer Zeit
nahm man als Ursache des Stares ganz
allgemein Vorgänge fast ausschliesslich re¬
gressiver Natur (Atrophie, degenerative Zu¬
stände) an und schrieb der activen Betheili¬
gung der intracapsulären Zellen nur eine
ganz nebensächliche Bedeutung zu. Wo man
eine solche wahrnahm, sprach man von einer
Entzündung; so spricht Iwanoff von einer
Phakitis, Horner von entzündlicher Kapsel-
cataract und Knies charakterisirt die Star¬
bildung überhaupt als parenchymatöse Ent¬
zündung, in deren Verlauf dann Regenera¬
tionsvorgänge von Seite der nicht zerstörten
Elemente hinzutreten. Dass über diese Ver¬
hältnisse nicht schon früher Klarheit ge¬
schaffen wurde, lag zumeist in den bedeu¬
tenden technischen Schwierigkeiten, welche
die Linse den Untersuchungen entgegensetzte.
0. Becker hat nun nachgewiesen, dass
nicht allein regressive, sondern vielmehr,
u. zw. am häufigsten progressive Processe
(Wucherung, Neubildung) der Starbildung
zu Grunde liegen. Diese abnorme Zellpro-
duction äussert sich: 1. als Wucherung des
Kapselepithels, 2. als Bildung bläschenartiger
Zellen und 3. als Bildung eines epithelialen
Ueberzuges an der Innenseite der hinteren
Fläche. Alle diese Arten von Zellneubil¬
dung kommen bei den verschiedenen Formen
des grauen Stars, wenn auch in verschie¬
denem Grade und verschiedenem Verhältniss,
zur Beobachtung. Auffallend dabei ist es aber,
dass den gleichen Producten ganz verschie¬
dene Ursachen in- und ausserhalb der Linse
zu Grunde zu liegen scheinen. Wie sich dies
bei den einzelnen Formen der Cataract ver¬
hält, will bei deren näherer Besprechung
erörtert werden. Was die regressiven Meta¬
morphosen anbelangt, so gehen nach Becker
sowohl die Linsenfasern, wie auch die intra¬
capsulären Zellen solche ein. Erstere werden
bei Bildung des Linsenkernes, bei der sog.
Sclero8irung der Linse, von einem Processe
ergriffen, den man als eine einfache Atrophie
bezeichnen kann. Auch bei den intracapsu¬
lären Zellen kann man Bilder finden, welche
sich wohl nur durch Atrophie erklären lassen.
Allen innerhalb der unverletzten Kapsel vor¬
kommenden Zellen, sowohl den Zellen des
normaler Weise vorhandenen Epithels der
vorderen Kapsel, wie insbesondere sämmt-
lichen neugebildeten Zellen, ist in hohem
Masse die Tendenz gemeinsam, bald und
schnell einem der regressiven Processe anheim¬
zufallen: so findet häufig in das Gewebe der
Linse eine Ablagerung von Kalksalzen statt,
die als Petrification auch in anderen Geweben
bekannt ist. Die wichtigsten Starformen sind:
1. Der Wundstar, Cataracta traumatica,
2. der Altersstar, Cataracta senilis, und 3. der
consecutive (oder secundäre) Star, Cataracta
consecutiva.
1. Die Cataracta traumatica verhält
sich bezüglich ihrer Aetiologie und Pathologie
am einfachsten. Sie kann sowohl durch die
Linse direct treffende Insulte (Stich, Schuss)
hervorgerufen werden, indem durch ihre Form
dazu geeignete Körper die Augenhüllen per-
foriren und den Zusammenhang der Linse
stören, als auch die Folge von Zusammen¬
drückung und Erschütterung (contusio) des
Bulbus sein und wird dann im letzteren Falle
als indirecter, im ersteren als directer Wund¬
star bezeichnet. Im Falle directer Linsenver¬
letzung wird man stets die eine oder die
andere Complication vorfinden, sei es, dass
man in frisch untersuchten Fällen die Ver¬
letzung der Bulbushüllen — der Cornea oder
des Scleralbandes — entdeckt, Blutansamm¬
lungen in der vorderen Kammer, Zerreissung
der Zonula Zinnii, Iriswunden und beginnende
Verlöthung mit der Linse u. s. w., sei es,
dass in älteren Fällen Narben angetroffen
werden, die — sobald sie in die Cornea zu
liegen kommen — fast immer gut sichtbar
sind und in ihrer Formation und der Lage
zur Linsentrübung hin auf die Möglichkeit
oder Wahrscheinlichkeit stattgehabten Traumas
aufmerksam machen; nur ganz feine, etwa
mit der Nadel gestochene Verletzungen der
Cornea hinterlassen eine sichtbare Narbe nicht,
während die gleichzeitig angestochene Linse
sich trübt. Eindringendc stechende oder
schneidende Instrumente treffen wohl nie die
Kapsel allein, sondern verwunden meist einen
Theil der Linsensubstanz mit. Das Schicksal
einer derartig verletzten Linse gestaltet sich
etwa folgendermassen: Die mit dem Humor
aquaeus in Berührung kommenden Krystall-
theile trüben sich zunächst, imbibiren sich
mit Kammerwasser, blähen sich auf und zer¬
fallen in kleine Partikelchen, welche schliess¬
lich ganz aufgelöst und resorbirt werden. Hat
ein Theil der Linsenmasse diese Wandlung
durchgemacht, so kommt, vorausgesetzt, dass
die Kapselwunde noch offen ist, ein anderer
Theil an die Reihe, welcher dasselbe Schicksal
erleidet, bis in dieser Weise der ganze Kry-
stallkörper aufgesaugt und das Pupillargebiet
frei wird. Die Linsenkapsel restiri als zartes,
durchsichtiges, bei Focalbeleuchtung seiden-
112
CATARACTA.
glänzend erscheinendes Häutchen und consti-
tuirt einen sog. Nachstar. In anderen Fällen
schliesst sich die Kapselwunde, nachdem ein
Theil der Linse abgestossen und resorbirt wor¬
den, so dass das Kammerwasser keinen Zugang
zum Rest der Linse hat, welche in ihrer nun¬
mehrigen Grösse und reducirten Gestalt viele
Jahre hindurch als traumatische Cataract per-
sistirt. Diese Cataract kann total sein — es
ist also die ganze Linsenmasse starig ver¬
ändert — sie kann aber auch partiell bleiben,
indem der Zerfallsprocess stehen bleibt und
die übrigen Linsendistricte verschont. Ganz
kleine Kapselwunden können sich sofort wieder
schliessen, so dass dem Kammerwasser der
Zutritt zum Kry stallkörper verwehrt und letz¬
terer vor starigen Veränderungen verschont
bleibt. Bei einer Contusio bulbi kann die
Linsenkapsel gesprengt werden und die Linse
trübt sich dann durch Contact mit den flüs¬
sigen Medien des Auges in derselben Weise
wie beim directen Wundstar. Ob Erschütterun¬
gen des Auges, welche weder von Berstung der
Kapsel noch Zerreissung der Zonula begleitet
sind, eine Linsentrübung hervorrufen können,
ist noch nicht entschieden. Bemerkenswerth
ist jedoch die Thatsache, dass Berlin durch
Prellung von Kaninchenaugen mit einem ela¬
stischen Stabe Trübungen in der vorderen
Corticalsubstanz erhielt. Für Cataractbildung
muss eine Contusion des Auges auch in dem
Falle verantwortlich gemacht werden, wenn
Fig. 372. In die vordere Augenkammer loxlrte, geblähte und
starig degenerirte Linse mit Geftseprossung in der Cornea
(Pferd). Die Iris ist trichterförmig nach rückwärts gedrängt.
eine auf diese Weise in die Vorderkammer
luxirte, resp. subluxirte Linse sich später¬
hin trübt. (Fig. 372).
2. Der senile, Greisen- oder Altersstar,
Cataracta senilis, kommt, wie der Name
dies schon besagt, raeistentheils bei alten
Thieren vor. Der Zeitpunkt, bis zu welchem
die Starbildung gewöhnlich aufzutreten pflegt,
ist bei den verschiedenen Thierarten eine
verschiedene; so soll nach Hertwig beim
Pferde ein Altersstar nur äuserst selten und
dann meist nicht vor dem 36. Lebensjahre
sich entwickeln. Hunde und Katzen werden
sehr häufig zwischen dem 14. und 16. Jahre,
eingesperrte Vögel mit 10—15 Jahren star¬
blind. Dass bei den übrigen Hausthieren
die Cataracta senilis nicht oder nur aus¬
nahmsweise zur Beobachtung gelangt, liegt
wohl hauptsächlich in dem Umstande, dass
man dieselben aus ökonomischen Rücksichten
und Gründen nicht das Alter erreichen lässt,
welches sie zur Starbildung disponiren würde.
Doch ist es kein gerade zu seltener Befund,
dass man alte Kühe mit einer Starform be¬
haftet findet, welche äusserlich das Ansehen
einer senilen Cataract zeigt, und wo man bei
der nachträglichen Section des Auges keine
Veränderungen findet, die den Star als einen
consecutiven erklären liessen, so dass man zur
Annahme, es mit Greisenstar zu thun zu
haben, einigermassen berechtigt ist. Da der
Altersstar in einer Involutionsperiode sich
entwickelt und in genetischem Zusammenhang
mit derselben steht, so ist es leicht zu ver¬
stehen, dass er gemeiniglich die Linsen beider
Augen befällt. Die in der Linse gelegene,
vom Alter abhängige, zur Cataractbildung
disponirende Ursache ist die Sclerose der
Linse, die Kembildung derselben. Es ist eine
von Pristley Smith zuerst gefundene That¬
sache, dass Linsen, in denen sich eine senile
Cataract entwickelt, ein kleineres Volumen
besitzen als gleichalterige, gesunde, sich nicht
trübende Linsen; hieraus muss der Schluss
gezogen werden, dass eine excessive Schrum¬
pfung, ein Excess in der Rückbildung die
Einleitung zur cataractösen Veränderung des
Linsenkörpers bildet. In Folge der ungleichen
Schrumpfung der peripheren Fasern und
Schichten weichen diese auseinander, bilden
Lücken zwischen sich, in denen sich die
zwischen den Gewebselemcnten befindliche
Flüssigkeit in abnormer Weise ansammelt.
Diese ursprünglich normale, auch im Bre¬
chungsindex den Formelementen gleiche Flüs¬
sigkeit veranlasst, weil sie in den Lücken
stagnirt, abnorme Diffusionsvorgänge zwischen
ihr und dem Inhalt der Linsenfasern, in Folge
deren die letzteren einen Theil ihres Inhaltes
verlieren, gegen den sie einen Theil ihrer eigenen
Bestandtheile abgibt. Die Zwischenwände der
einzelnen Lückenabtheilungen sind doppelt
contourirt und auch der Länge nach sind sie
zu beiden Seiten von einer doppelten Contour
eingefasst. Die Einwirkung solcher Flüssig¬
keitsansammlung auf die Form der benach¬
barten Schichten ist eine sehr mannigfache.
Alle Stadien, von der punktförmigen molecu-
laren Trübung bis zum Auftreten stärker
lichtbrechender Tröpfchen in den Fasern, von
der runzeligen Begrenzung bis zu dem Bilde
quergestreifter Fasern, das Aufquellen mit
Uebergang zu cylindrischen Röhren lassen
sich eben so häufig wahrnehmen, wie die
Endstadien des Zerfalles, das Verschieben
der Schichten, Abbrechen, Zerbrechen und
Zernagtsein einzelner Fasern, Eiweisskugeln,
molecularer Brei, Kalkkörner, Fett, Chole-
stearinkrystalle.
So lange ausschliesslich in der Peripherie
oder ausnahmsweise einzelne trübe Streifen
auch vor oder hinter dem Kerne sich ge¬
bildet haben, spricht man von beginnender
Cataract (Cataract incipiens). Ist die
Trübung der Rindensubstanz weiter vorge¬
schritten, so bedient man sich des Ausdruckes
CATARACTA.
113
unreifer Star (C. non dum matura). Als
reif (C. matura) bezeichnet man die Cataract,
sobald die Rindenschichte vollständig trübe
geworden ist. Hin und wieder bedient man
sich noch der weiteren Unterscheidung der
C. maturescens, welches Stadium dem der
Reife unmittelbar vorhergeht.
Das Stadium der Reife erkennt man
daran, dass bei seitlicher Beleuchtung keine
dunklen Partien mehr zu unterscheiden sind,
und dass bei der Spiegeluntersuchung auch
bei erweiterter Pupille kein Licht aus dem
Augengrunde mehr zurückkehrt. Als ein be¬
sonders charakteristisches Merkmal wird der
sog. „Schlagschatten der Iris“ angenommen.
Wegen der ausserordentlichen Feinheit der
Linsenkapsel wird der Pigmentsaum der Iris
bei vollständig getrübter Rindensubstanz der¬
selben unmittelbar anzuliegen scheinen. Liegt
hinter der Iris ausser der Kapsel noch
durchsichtige Rindensubstanz, so wird bei
seitlicher Beleuchtung zwischen dem Pupillar-
rande der Iris und der vordersten, das Licht
reflectirenden getrübten Schichte der Rinde
ein schwarzer Zwischenraum sich zeigen, aus
dessen Breite man auf die Quantität der noch
nicht getrübten Rindensubstanz schliessen
kann.
3. Der consecutive Star, Cataracta
consecutiva, ist als Folgezustand ander¬
weitiger Erkrankungen von Theilen des Auges
aufzufassen, wobei schliesslich die Linse mit
in den Process hineingezogen und cataractös
verändert wird. So führen namentlich Ent¬
zündungen des Uvealtractus, sowohl im vor¬
deren als im rückenwärtigen Abschnitte, also
jegliche Form von Iritis, Cyclitis, Irido-
choroiditis (bes. Iridochoroiditis recidiva des
Pferdes), selbst Retinochoroiditis, sowie Ver¬
änderungen im Glaskörper in letzter Reihe
zur Bildung von Cataract. Ist das in Rede
stehende Leiden einseitig, so ist es auch der
Star, sonst aber kann auch die „choroideale“
Cataract an beiden Augen Vorkommen. Die
choroidealen Stare sind meist totale, doch
beginnen sie sehr häutig als partielle, nament¬
lich als eorticale Stare; die Totalstare sind
meist ziemlich weich und haben oft einen
eigentümlichen bläulichen Schimmer. Sehr
oft sind sie mit kalkigen Ablagerungen an
der Kapsel und mit wirklichen Kapselstaren
verbunden. Die vordere und hintere Cortical-
cataract, sowie der hintere Polarstar können
sehr lange als solche bestehen bleiben oder
nur sehr langsam auf die Umgebung sich
verbreiten, führen aber endlich zur Trübung
der ganzen Linse. Nicht selten bestehen
gleichzeitig mehr oder weniger zahlreiche
hintere Synechien; man spricht alsdann von
angewachsenem Stare, Cataracta ac-
creta.
In einer consecutiv starig erkrankten
Linse kommt es zu einer abnormen, oft ganz
ezcessiven Production von Zellen, welche
nicht, wie man früher wohl annahm, als von
aussen eingewanderte Eiterzellen anzusehen
sind, sondern durch Proliferation der Kapsel-
epithelien entstehen.
Um künftighin die Classification einer
Cataract annähernd zu ermöglichen, hat
0. Becker den Versuch einer Systematik der
Linsenkrankheiten gemacht.
Becker theilt die Linsenkrankheiten ein
in Missbildungen der Linse, in pathologi¬
sche Veränderungen der ursprünglich nor¬
mal gebildeten Linse, welche ohne Ein¬
wirkung äusserer Gewalt auf das Auge ent¬
stehen, und in Veränderungen der ursprüng¬
lich normal gebildeten Linse, welche durch
von aussen auf das Auge einwirkende Gewalt
herbei geführt werden. Diese Hauptgruppen
gliedert Becker in folgende Unterabthei¬
lungen :
I. Missbildungen der linse.
A. Missbildungen der Linse ohne
nachweisbare pathologische Verände¬
rungen in anderen Theilen des Auges:
1. Cataracta centralis lentis; 2. C. fusiformis,
Spindelstar (eine die ganze Länge der Linsen-
aie einnehmende Trübung); 3. C. polaris
posterior vera; 4. C. zonularis; 5. gekerbte
Linse; 6. Lenticonus anterior et posterior
(ein regelmässig gebauter, durchsichtiger
Kegel ragt weit aus der Pupille in die vordere
Kammer oder nach Rückwärts in den Glas¬
körper hinein).
B. Missbildungen der Linse mit
nachweisbaren pathologischen Ver¬
änderungen im übrigen Auge:
a) Missbildungen des Linsensystems,
welche mit Anomalien im Bereiche der Arteria
hyaloidea, resp. der gefässhaltigen Linsen¬
kapsel Zusammenhängen: 1. Die Linse bei
Anophthalmus und Mikrophthalmus; 2. Cata¬
racta membranacea congenita accreta; 3. C. po¬
laris posterior spuria.
b) Missbildungen der Linse in Folge un¬
symmetrischer Entwicklung der ZonulaZinnii
1. Coloboma lentis; 2. andere Formanomalien
der durchsichtigen Linse; 3. Ectopia lentis.
II. Pathologische Zustände des ursprüng¬
lich normal gebildeten Linsensystems,
welche ohne Einwirkung äusserer Ge¬
walt entstehen.
A. Die Verbindung der Linse mit
ihrem Aufhängeband ist nicht gelöst.
a) Einseitige Cataract, bedingt
durch einseitiges Augenleiden, a) Die
Linse wird dadurch, dass sie vorübergehend
oder dauernd mit erkrankten, festen, gefäss¬
haltigen Theilen des Auges in Berührung tritt,
theilweise getrübt, Kapselcataract: 1. Cata¬
racta polaris anterior congenita et acquisita;
2. C. capsularis anterior, ß) Die Linse wird
in Folge dauernder directer Berührung mit
erkrankten, festen, gefässhaltigen, normalen
oder pathologisch veränderten Theilen des
Auges total getrübt: 1. Beginnende totale
Trübung durch Verkleben der Linse mit
einem Irisgranulom; 2. Cataracta complicata;
3. Perforation der Linsenkapsel, y) Die Linse
wird in Folge eines einseitigen Augenleidens
total getrübt, ohne abnorme Adhäsionen ein-
Koch. EncykJopftdie d. Thierheilkd. II. Bd.
8
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114 CATARACTA.
gegangen zu sein: Cataracta mollis ex cho-
roidite.
b) Constitutioneller Star, a) Das,
wenn auch seiner Natur nach unbekannte
constitutionelle Leiden bedingt zunächst eine
Aderhaut- oder Netzhauterkrankung und diese
die Cataract: Cataracta choroidealis. ß) Ein
Zwischenglied zwischen constitutionellem Lei¬
den und Linsentrübung ist nicht bekannt.
Hieher gehören die doppelseitigen Totalstare:
1. Cataracta capsulo-lenticularis oculi utriusque;
2. C. Morgagniana o. utr. (als C. Morgagniana
bezeichnet man einen Totalstar, bei welchem
als secundäre Metamorphose eine Verflüssi¬
gung der Corticalis der Linse auftritt, welche
sich in ein trübes, kalkmilchähnliches Fluidum
auflöst, in welchem dann der gewöhnlich sehr
kleine sclerosirte Kern herumschwimmt; neben
der Verflüssigung der Corticalis kann die
Kapsel auch kalkige Beschläge aufweisen);
3. C. fluida congenita oc. utr.; 4. C. mem-
branacea congenita; 5. C. senilis.
B. Die Linse befindet sich nicht
mehr in normaler Verbindung mit der
Zonula Zinnii und hat in Folge dessen
die tellerförmige Grube theilweise
oder ganz verlassen. Spontane Luxation
und Subluxation (Kapselcataract, Synchysis
corporis vitrei — GlaskiTrperverflüssigung —
Staphylombildung etc. etc.).
III. Pathologischa Zustände der ursprüng¬
lich normal gebildeten Linse, welche durch
von Aussen wirkende Gewalt veranlasst
werden.
A. Durch stumpfe Gewalt: 1. Cata-
ractbildung durch Erschütterung. Trauma¬
tische Luxation.
B. Durch Stich und Schnitt: 1. Un¬
absichtliche Verletzung, Wundstar; 2. ab¬
sichtliche operative Eingriffe.
Prognose. Die Functionsstörungen, wel¬
che in Folge einerStarbildung an dem ergriffenen
Auge sich einstellen, sind je nach Form, La-
gerung^ntensität und Dichtigkeit der Trübung,
je nachdem der Bulbus anderweitig miterkrankt
oder vor pathologischen Vorgängen sonst un¬
behelligt ist, verschieden in ihrer Art und
Schwere. Ob bei einer denkbar dichtesten
Trübung der Linse eines Thierauges eine
absolute Undurchlässigkeit für Lichtstrahlen
besteht, lässt sich objectiv wohl nicht mit
der wünschenswerthen Sicherheit feststellen
und muss bei mangelnden Anhaltspunkten
für ein subjectives Empfinden auch wohl da¬
hingestellt bleiben. Dürfte man jedoch Schlüsse
per analogiam vom Menschen hier verwerthen,
so liesse sich anführen, dass bei diesem ein
Verlöschen der Lichtempfindung bis zum letzten
Funken gar nie statt hat; der Kranke kann
vielmehr — selbstverständlich dürfen dann
die lichtempfindenden und leitenden Theile
des Auges nicht verändert sein — bedeutende
Differenzen in der Helligkeit immer noch
unterscheiden und sich klar werden, ob er
sich in einem hell und grell erleuchteten oder
in einem verdunkelten Gemache befindet
Weniger dichte, jedoch über das ganze Linsen¬
areal verbreitete Trübungen erzeugen das Ge¬
fühl, als ob ein verhüllender Schleier ihm vor
das Auge gezogen wäre. Partielle Stare, welche
nur einen gewissen Tlieil der Linsenmasse
occupiren, müssen nach zwei Gesichtspunkten
hauptsächlich bemessen werden: einmal nach
ihrer Grösse und ihrem Sitze und dann nach
der vorhandenen Möglichkeit oder Wahrschein¬
lichkeit der Vergrösserungund des Ueberganges
in einen Totalstar. Je mehr eine Veränderung
von der Gestalt der Starpunkte excentrisch
sitzt, mehr in die für gewöhnlich von der
L*is verdeckte Linsenzone fällt, desto weniger
Störungen wird der Star verursachen und gün¬
stiger zubeurtheilen sein. Noch sei hier der weit
verbreiteten, jedoch völlig irrigen Ansicht in
berichtigender Weise Erwähnung gethan, dass
eine Starbildung, je dichter sie sei, desto
hochgradigere Sehstörungen verursache und
umgekehrt, je leichter und zarter, einem
feinen Nebel vergleichbar ein Partialstar sich
ansehen lasse, desto weniger Einfluss übe er
auf das Sehen aus. Angenommen, ein Star¬
fleck von der Grösse einer Erbse sitze mitten
in der Pupille eines Pferdes, so wird, wenn
derselbe sehr dicht ist. eben an dieser Stelle
kein Licht mehr passiren können, diese Stelle
fällt vollständig aus, während die übrigen
Theile der Linse für Lichtstrahlen normal
durchlässig sind; ist nun aber der gleiche
Starfleck nur als zarte Trübung angelegt,
so werden eine gewisse Anzahl von Licht¬
strahlen ihn noch passiren können, es tritt
aber nun eine Diffusion des Lichtes
zwischen der getrübten Stelle und den
angrenzenden gesunden Partien ein,
in Folge dessen das Sehen überhaupt viel
undeutlicher wird, als wenn bei einer
dichten Startrübung eine circumscripte Stelle
für Licht ganz verlegt wäre.
Doch ist die Vorhersage des Stares
quoad Sehvermögen stets eine zweifelhafte,
meist eine ungünstige. Es muss hier ganz
scharf unterschieden werden zwischen dem
primären und dem consecutiven Star; bei
ersterem ist eine (operative) Hilfe mög¬
lich, bei letzterem jede Therapie vergeblich,
wenn man nicht im Stande ist, das Grund-
leiden zu heben oder so weit wenigstens zu
bessern, dass dieses kein Hindemiss für ein
gntes Sehvermögen mehr ist (was meist aber
nicht möglich ist).
Das Schicksal operirter Stare hängt dann
noch davon ab, ob die Nachbehandlung in
richtiger Weise geleitet werden kann, und
aus diesem Grunde war das Resultat einer
Cataract-Extraction bis jetzt meist ein proble¬
matisches; mit zunehmender Möglichkeit, die
Nachbehandlung rationell und consequent
durchführen zu können, steigen allmälig die
Aussichten auf besseren Erfolg auch bei dieser
Operation.
Therapie der Cataract. Die Therapie
der Linsentrübungen kann gegenwärtig nur
eine rein operative sein; eine medicamentöse
Behandlung ist — obwohl wenige Präparate
unseres Arzneischatzes nicht vom Standpunkte
reiner Empirie und Specnlation aus schon
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CATARACTA.
115
versucht und angepriesen worden sind, um
alsbald der verdienten Vergessenheit anheim
zu fallen — gegenwärtig ohne allen und jeden
Erfolg. Dem Umstande, dass wir lange Zeit
vollständig im Unklaren über die Ursachen
und den Process der cataractösen Entartung
waren, ist es zuzuschreiben, dass eine ganze
Masse Mittel experimentell angewendet wor¬
den ist.
Ob es späteren Zeiten, in denen uns die
Physiologie und Pathologie der Linse alle
nötliigen Aufschlüsse gegeben haben wird,
gelingt, eine medicamentöse, erfolgreiche
Therapie einzuschlagen, muss vorderhand
dahingestellt bleiben; doch ist der Gedanke,
auf solchem Wege der Behandlung einstens
eine bestehende Linsentrübung wieder zur
Aufhellung zu bringen, nicht so ganz von
der Hand zu weissen.
Der Gedanke, auf operativem Wege einen
Star zu heilen und so das Sehvermögen des
damit behafteten Patienten theilweise wieder
herzustellen, ist schon über 2000 Jahre alt,
und man suchte denselben sowohl beim
Menschen, als beim Thiere zu realisiren. So
wurde eingangs bereits erwähnt, dass P. V e-
getius Renatus im V. Jahrhundert sich
mit Staroperationen beim Thiere eingehend
beschäftigte. Sehr interessant ist die That-
sache, dass man starig getrübte Linsen ent¬
fernte, resp. in den Glaskörper hinunterstiess,
-ohne zu ahnen, dass man es hier mit der
Linse zu thun habe, vielmehr jahrhunderte¬
lang der Ansicht war, ein Häutchen vor sich
zu haben, das die Folge von Gerinnungen
sei und sich in die Pupille hineingelagert
habe. Eine derartige, von Brisseau 1705
operirte cataractöse Linse war es auch, welche
später bei der Section des Auges im Glas¬
körper aufgefunden wurde und den Operateur
veranlasste, die neueLehre aufzustellen, welche
den Star in die Linse verlegt und so zu
unserer heutigen Anschauung führte.
Die Staroperation hat den Zweck, den
nachtheiligen Einfluss, den die getrübte Linse
auf das Sehen ausübt, aufzuheben oder die
durch dieselbe bedingte Entstellung zu be¬
seitigen. Dies kann auf verschiedene Weise
erreicht werden: 1. Man entfernt die Linse
aus dem Pupillarbereich, ohne sie jedoch aus
dem Auge herauszunehraen, sondern versenkt
dieselbe in den Glaskörper— Depressio s.
Reclinatio lentis. 2. Man entfernt die
Linse aus dem Auge, wobei ein grösserer
Schnitt in Cornea oder Sclera vorherzugehen
hat, durch welchen man die Linse austreten
lässt— Extractio lentis. 3. Man kann die
Linse an ihrer Stelle belassen und durch
Oeffnung ihrer Kapsel der Einwirkung des
Humor aquaeus preisgeben und so deren Re¬
sorption bewerkstelligen—Discissio lentis.
4. Kann man endlich bei partieller Verdun¬
kelung der Linse durch Anlegung einer
künstlichen Pupille seitlich Licht einfallen
lassen — Iridectomie bei Cataract. Bei
den ersteren drei Operationsmethoden hat
man zu bedenken, dass im günstigsten Falle
und bei Abwesenheit jeder Complication mit
Erkrankungen anderer Bulbustheile schliess¬
lich ein aphakisches (linsenloses) Auge re-
sultirt, das — auch ideal operirt und geheilt —
hochgradig hyperopisch ist und nur durch
Vorsetzen von Convexgläsem in die Lage
kommen kann, unter Neutralisirung ^seiner H
hinreichend helle und scharfe Netzhautbilder
zu sehen. Bei jedem Star, den man operiren
will, steht man — vorausgesetzt natürlich,
dass hiezu überhaupt die Indicationen vor¬
handen sind — vor der Frage, ob im con-
creten Falle bei dem betreffenden Thiere,
dem man natürlich seine Aphakie nicht stän¬
dig durch Vorsetzen von Convex gläsern corri-
giren kann, ein nahezu erblindetes oder ein
schwachsichtiges Auge von höherem Werthe
ist. Während beim Pferde (dessen Star aber
sehr oft ein consecutiver und daher a priori
inoperabel ist) die Beantwortung dieser Frage
eine wechselnde sein mag, so ist es beim
Hunde entschieden an gezeigt, den grauen
Star — sobald er überhaupt operirt werden
kann — zu entfernen und so ein wenn auch
unvollständiges Sehvermögen herzustellen.
Was die Reclination oder Depres¬
sion anbelangt, so ist dieselbe zwar die älteste
und einfachste Form der Cataractoperation,
die schon von den Griechen und Römern ge¬
übt wurde, jetzt jedoch wegen ihres unsiche¬
ren Erfolges und ihrer unter Umständen für
das Auge sehr gefährlichen Folgen willen
vollständig verlassen ist. Wohl war es sehr be¬
quem und angenehm, eine nur ganz kleine
Nadelstichwunde in der'Cornea zu haben, die
Linse aus ihrem anatomischen Zusammenhänge
mit dem Auge zu lösen, umzulegen und in das
Corp. vitr. zu versenken. Allein oft schon ganz
kurze Zeit nach vorgenomraener Operation
zeigte sich die Unzulänglichkeit solchen Ver¬
fahrens, indem die Linse — selbst wenn der
Glaskörper auch nicht verflüssigt war —
wieder aufstieg und das Pupillargebiet von
Neuem für Licht versperrte — Aufsteigen
des Stars — so dass sie noch ein oder gar
mehrmals hinabgedrückt werden musste.
Bleibt sie jedoch glücklicherweise — man
hat das aber gar nicht in der Hand — im
Glaskörper liegen, so wirkt sie hier als Fremd¬
körper, der einen fortwährenden Reiz ausübt,
indem sie auf dem Ciliarkörper auf- und an-
schlägt bei allen Bewegungen, die das Auge
macht, dadurch eine Cyclitis, Iridochoroiditis,
Panophthalmie provocirt, so dass das rasch
gewonnene Sehvermögen gewöhnlich von
kurzer Dauer ist. Fast ebensowenig wie
von der vorhergehenden Methode scheint man
in der Thierheilkunde mit der (beim Men¬
schen in der Mehrzahl der Fälle geübten)
Extraction praktische Resultate erzielt zu
haben. Das Wesen dieses operativen Ver¬
fahrens besteht darin, dass man eine genü¬
gend grosse Hornhautschnittwunde anlegt,
die Linse mit oder ohne instrumentale Hilfe
entbindet und zur Schnittöflhung nach aussen
befördert. Bezüglich des Schnittes haben
sich zwei ganz bestimmte Methoden heraus¬
gebildet: die Extraction mittelst des Lap¬
penschnittes und die durch Linear-
8*
Digit ^Jby
Google
116
CATARACTA.
schnitt. Beim ersteren bildet man mittelst
des Beer’schen Starmessers (das ein keil¬
förmiges Messer von der Gestalt eines recht¬
winkeligen Dreieckes ist, dessen eine Kathete
im Messerrücken und dessen Hypothenuse in
der Messerschneide gegeben ist) (Fig. 373),
durch einen ziemlich genau halbkreisförmi¬
gen, dem Hornhautrande pa¬
rallel verlaufenden Schnitt eine k
lappenförmige Wunde in der \
Cornea (Fig. 374). Eine der- j\
artig lappenförmige Wunde be- A
sitzt eine grosse Klaffungsfähig- 1 j \
keit, wodurch sie sehr geeig- j \
net wird, auch grosse Stare || A
austreten zu lassen. Die be- I 1 \
deutende Gefahr jedoch, welche i \
eine Abtrennung der Hornhaut j]i||.|,|\
in so grosser Fläche mit sich ■■|||r
brachte, führte dazu, dass man
mittelst einer Lanze (Fig. 375
und 376) eine geräumige Lan- S
zenwunde in der Hornhaut an¬
legte, durch welche dem Star I
der Austritt verschafft wird— j
Linearschnitt (Fig. 377).
Eine dritte, in der jüngsten
Zeit von Berlin und Evers- {
husch mit gutem Erfolge beim
Hunde und bei der Katze ge- j
übte Operationsmethode, von H
der es scheint, dass sie in der
Thierheilkunde sich zu bewäh- Fig. 373. sur¬
ren im Stande ist, und die »«»eriiichBeür.
deshalb cultivirt und in ihren Indicatio-
nen genauer präcisirt zu werden verdient,
ist die Discission der Linsenkapsel; sie
hat die Einschneidung der vorderen Linsen¬
Fig. 374. Lzppenachnitt mittelst des B e e rachen Starmessers.
instrumenten übliche Form. Das zu ope-
rirende Auge wird vorher so lange atropini-
sirt, bis eine maximale Mydriasis erreicht ist;
a b
Schmales Lan- cknng des Lanxen-
zenmesser. messen.
zu operiren, ohne den Eintritt der letzteren
abzuwarten, ist inopportun und gefährlich,
da man einmal bei enger Pupille nicht in der
Lage ist, die Schnitte in der gewünschten
Fig. 377. Lineanchnitt mittelst des Lanzenmessers.
* kapsel in mehrfacher Richtung — nicht Zer¬
stückelung der Linse selbst — zur Aufgabe.
Dir Zweck ist, eine bleibende Lücke mitten
in der vorderen Kapsel zu schaffen, damit
die Linse der Einwirkung des Kammerwas¬
sers ständig ausgesetzt werde, bis sie aufgelöst
und resorbirt ist und damit alsdann die vordere
Kapsel möglichst vollständig aus dem Pupil-
larbereiche beseitigt sei. Man bedient sich da¬
bei eines eigens construirten Instrumentes, der
sog. Discissionsnadel (Fig. 378), welche man
von der Cornea aus auf die Linsenkapsel
aufsetzt — Keratonyxis. Die Nadel trägt
vorne eine zweischneidige kleine Lanze,
welche auf einem cylindrischen — ja nicht
konischen — Halse aufsitzt, der relativ zur
Schneide so dick ist, dass er die von der
Schneide gesetzte Wunde stopfe, ohne sie
beim Verschieben zu dehnen oder zu quet¬
schen. Das Heft der Nadel hat die bei Augen-
Ausdehnung anlegen zu können, andererseits
sehr leicht die Iris mit der Nadel verletzen
wird, welche diesen Insult dann mit einer
mehr oder weniger heftigen Entzündung be¬
antwortet, ein Ereigniss, das doppelt unan¬
genehm werden kann, da Verlöthungen der
Regenbogenhaut mit der ebenfalls verwun¬
deten Linsenkapsel häufige Folgen sind.
Ausserdem hat die Iris bei enger Pupille von
der nachträglich sich blähenden und vergrös-
sernden Linse später zu leiden. — Nachdem
das Thier narkotisirt (ob und in wie weit
die Narkose durch das kürzlich in der ophthal-
miatrischen Praxis aufgetauchte und sehr
prompt wirkende Cocainum muriaticum er¬
setzt werden kann, durch welches Mittel eine
vollständige, tiefe Anästhesie der Hornhaut
bewirkt wird, muss erst durch Versuche fest¬
gestellt werden, s. Cocain), placirt sich der
Operateur in der Weise (kleinere Thiere kommen
CATARACTA.
117
auf einen Tisch zu liegen), daes er sich dem
Kopfe des Thieres gegenüber befindet; der An¬
griff geschieht stets von aussen und unten her
(Fig. 379). Ein Assistent hält die Augenlider
geöffnet (diese Hilfe ist hier dem Einlegen
des Sperrelevateurs vorzuziehen), der Opera¬
teur ergreift mit der Pincette (Fig. 380) eine
Bindehautfalte und fixirt so mit der linken
Hand den Bulbus, während er die rechte
Hand — die Nadel in der bekannten Schreib¬
federhaltung, den Goldfinger wie überhaupt
bei allen Augenoperationen eingeschlagen,
den kleinen Finger zur Ver-
grösserung der Stützfläche für
die Hand ausgestreckt — auf den
Kopf fest auflegt (Fig. 381). So¬
dann theilt er sich die Hornhaut
durch eine horizontale und eine
durch deren Mitte gelegte verti-
cale Linie im Gedanken in vier
Quadranten, deren äusseren un¬
teren er halbirt und in der Mitte
derHalbirungslinie den Punkt für
den Einstich bestimmt (Fig. 382).
Die Schneide- des Instrumentes
gegen den hinteren, resp. vorde¬
ren Pol des Auges sehend, wird
nun die Nadel in einer Rich¬
tung eingeführt, als ob sie die
ciliare Insertion der Iris im obe¬
ren inneren Quadranten treffen
solle, durchläuft also die vordere
Augenkammer in diagonaler Rich¬
tung; bevor jedoch dieses Ziel
erreicht und wenn zugleich die
Nadel bis an den Hals eingedrun¬
gen ist, wird die Spitze der Na- p . n -
del auf den Punkt 1 (Fig. 382) cissionsiadei.
der Linsenkapsel aufgesetzt und
nun führt man mit der Nadel eine
hebelförmige Bewegung aus, wo¬
bei sich der Stiel hebt, die Spitze gegen den
Punkt 2 zu senkt, dabei immer die Linsenkapsel
auf dem ganzen Wege zerschneidend. Um je¬
doch den gewünschten Kreuzschnitt zu vollen¬
den, ist es nötliig, dass man die Nadel jetzt um
a gerade,
b sichelför¬
mige Nadel.
Fig. 879. JO innerer oberer, JU lasserer oberer, AO lasse¬
re? oberer and ÄU lasserer unterer Quadrant der Horn¬
haut, E Einsticbpankt für die Discissionsnadel, A^(erster)
Aufsatzpunkt auf der Linse.
90° dreht, an Punkt 3 aufsetzt und unter
langsamem Senken des Stieles zu Punkt 4
hinföhrt. Nun wird es nöthig, um keinen
Kreuzschnitt in der Cornea zu machen, die
Nadel wieder um ihre 90° zurückzudrehen,
so dass die Lanze in derselben Haltung das
Auge wieder verlässt, in der sie es betreten.
Im ganzen Verläufe der Operation soll kein
Kammerwasser austreten, als höchstens beim
Einstich der Nadel ein kleiner [Tropfen, und
man verhütet dieses unangenehme Ereigniss,
welches eine momentane Verkleinerung der
Kammer und damit Beschränkung
des Operationsraumes zur Folge
hat, auch ganz gut, wenn anders
man die Hornhautwunde nicht mit
der Nadel zerrt und quetscht,
sondern die Einstichstelle als das
Hypomochlion für die Hebelbe¬
wegungen der Nadel betrachtet.
Nachbehandlung. Streng
nöthig ist gleichmässige Tem-
perirung des Lichtes und stete
Erweiterung der Pupille mittelst
Atropin. Empfehlenswerth ist es,
die Erhöhung des Druckes in
der vorderen Augenkammer, wel¬
che das Atropin bewirkt, durch
öftere Instillation einer 2%igen
Lösung von Cocain muriaticum
zu beseitigen und so die hier un¬
erwünschte und lästige Neben¬
wirkung des Atropinsalzes zu neu-
tralisiren. Die Hornhautwunde
bleibt meist nach Entfernung
der Nadel geschlossen, etwa ab¬
gelaufenes Kammerwasser rege-
nerirt sich rasch. Treten örtliche
Fig. 380. Fixa- Reizerscheinungen auf, so sind
ftrT.n Balboa kalte Umschläge und grosse Ruhe
nach Waldau, indicirt, unter Umständen auch
ein Laxans.
Fig. 381. Discisaion der Linse beim Hunde.
Geht die Resorption der Linse ausnahms¬
weise besonders langsam von statten und hat
das Auge unverkennbar
darunter zu leiden — die
Aufsaugung bis zum völ¬
ligen Verschwinden der
Linse kann normaler Weise
schon eine Reihe von Wo¬
chen in Anspruch neh¬
men — so empfiehlt es
sich vorteilhaft, eine
dea^Krenzschnlttaa 0 aof Punctio “ der Hornhaut
der Linsenkapsel. vorzunehmen. Durch eine
118
CATARRH.
2 bis höchstens 3 mm lange Wunde wird
das Kammerwasser successive entleert, jedoch
die Linse unberührt gelassen. Das Vor¬
wärtsrücken der Linse erweitert oder sprengt
die früher gesetzte Kapselöffnung, kann sogar
bisweilen eine Lücke in der bereits zerklüf¬
teten Linse bewirken. Die Resorption erfolgt
dann rascher, wahrscheinlich deshalb, weil
das mit Linsenelementen gesättigte Kammer¬
wasser entleert und durch frisches ersetzt
wird. Diese Procedur ist ungefährlich und
kann öfter wiederholt werden, als die Dis-
cission selbst. Sollte jedoch ein Erfolg nicht
bemerkbar werden, dann ist man genöthigt,
die Discission selbst zu wiederholen, indem
man entweder die früher vielleicht nicht ge¬
nügend ausgefallenen Schnitte in der Linsen¬
kapsel erweitert oder neue anlegt.
Hat man es mit einem partiellen Star zu
thun (welcher mitten in der Pupille sitzt)
und von dem man der Form, Farbe, dem ge¬
netischen Ursprünge und der Beobachtungs¬
dauer nach annehmen darf, dass er sich auf
das ergriffene Territorium der Linse be¬
schränkt und nicht mit der Zeit den ganzen
Krystallkörper ergreift, so sieht man von der
totalen Zerstörung der Linse durch Discission
ab — derartige Stare quellen auch ziemlich
ungleich und rufen dadurch oft unangenehme
Reactionserscheinungen hervor — und schafft,
nachdem man sich überzeugt, dass Compli-
cationen mit anderen Augenleiden nicht vor¬
handen sind, für die Lichtstrahlen einen
neuen Weg, indem man auf dem Wege der
Iridcctomie (s. d.) eine künstliche Pupille
anlegt. Dieses Verfahren gewährt ausserdem
den grossen Vortheil, dass man das Auge
nicht künstlich aphaktisch macht und so das
Sehvermögen an und für sich bedeutend herab¬
setzt.
Literatur: OttoBecker, Pathologie und Therapie
des Linsensystems, Handbuch der gesammten Augenheil¬
kunde, V. Bd., erste Hälfte, Cap. VII, 1875.—0. Becker,
Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse, 1884. —
Gerlach. Handbuch der geiichtlichen Thierheilkunde 1872,
pag. 311—316. — Hertwig, Praktisches Handbuch der
Chirurgie 1874, pag. 126—133. — Arlt, Operation »lehre,
Handbuch der gesainmten Augenheilkunde, Bd. III, Cap. II,
pag. 249—328. Schlampp.
Caiarrh, Catarrhus seu Inflammatio ca-
tarrhalis s. Coryza (von xata^clv, herab-
fliessen; yj xrfpo(a, der Schnupfen). Catarrh
wird jeder Ausfluss von Schleim aus den na¬
türlichen Körperüflfnungen genannt, der auf
einer leichten Entzündung der Schleimhaut
basirt. Für gewöhnlich versteht man unter
Catarrh nur einen schleimigen Auswurf aus
der Nase, also eine Entzündung der Schleim¬
haut der oberen Luftwege, der Nase, des
Mauls und der Rachenhöhle, wohl auch noch
eine Entzündung leichteren Grades der Luft¬
röhre und der gröberen Bronchien. Eine Ent¬
zündung der Schleimhaut der Augen bezeichnet
man als catarrhalische Augenentzündung, eine
solche des Kehlkopfes und der Luftröhre als
Luftröhrencatarrh, und wenn sie mit Schling¬
beschwerden verbunden ist, als catarrhalische
Bräune; eine solche des Mauls als Stomatitis
catarrhalis, Maulentzündung, des Darmes als
Durchfall, der Harnröhre als Tripper, der
weiblichen Geschlechtstheile als weissen Fluss.
Das Wesen des Catarrlis besteht in entzünd¬
licher Reizung des Schleimhautgewebes, ver¬
möge deren dasselbe blutreicher, hyperämisch
wird. Die Capillaren strotzen von Blut, sie
erschlaffen und erweitern sich, so dass das
Blut in ihnen langsamer fliesst und Zeit ge¬
winnt, die flüssigen Bestandteile durch die
schlaffen Gefässhäute hindurchtreten zu lassen.
Hiebei wird die Schleimhaut röther und quillt
auf, die hyperämischen Schleimdrüsen sondern
in erhöhtem Masse zunächst einen mehr
dünnen, wässerigen, bald dicker und zäher
werdenden, mit abgestossenenEpithelien reich¬
lich vermischten Schleim ab, der zur Nase
abfliesst; unter der Hand treten auch farblose
Blut- und Lymphkörperchen in ihn über, und.
sofern Capillaren zerreissen, Blut in Substanz:
der Schleim erscheint alsdann blutig ge¬
streift, die Schleimhaut blutig gefleckt, später,
nach Umwandlung des Hämoglobins in Pig¬
ment, bräunlich, rostfarbig gefärbt. Da, wo
sich die Epithelien reichlich abgestossen haben,
erscheint die Schleimhaut wund, erodirt, mit¬
unter bilden sich auch nach Erguss von Serum
unter das Epithel kleine Bläschen. Nach fet¬
tigem Zerfall der Zellen und Resorption des
Detritus und Serums kehrt die Schleimhaut
zu ihrer normalen Beschaffenheit zurück. Be¬
darf es hierzu eines Zeitraumes von 7—14 Ta¬
gen, so nennt man den Catarrh einen acuten,
erfolgt in dieser Zeit die Restitutio ad inte¬
grum nicht, so bleiben Schleimhaut und Schleim¬
drüsen verdickt, auch das bindegewebige
Stroma vermehrt sich und die Schleimabson¬
derung wird stabil, mithin der Catarrh zum
chronischen; er greift dann gern auf die Um¬
gebung, namentlich auf die Lungen, wohl
auch auf den Darm über, wobei sich Ab¬
magerung einstellt, weil dem Körper viele
Eiweissstoffe verloren gehen. Der acute Catarrh
wird von mässigem Fieber begleitet, das sich
durch erhöhte Mastdarmtemperatur, aufgereg¬
ten Puls und etwas beschleunigte Respiration
ausspricht, ohne dass die Fresslust und das
Allgemeinbefinden merklich getrübt ist. Die
Haupterscheinungen bestehen in Ausfluss von
reinem weissen Schleim aus der Nase und,
falls Kehlkopf und Luftröhre mitleiden, in
einem anfangs etwas schmerzhaften und des¬
halb unterdrückten, später kräftigen, lockeren
Husten, der durch Druck auf den Kehlkopf
leicht hervorgerufen werden kann. Häufig ist
auch die Conjunctiva aufgelockert und höher
geröthet, sie sondert dann Schleim ab, der sich
im inneren Augenwinkel ansammelt oder die
Augenlider verklebt. Ein entzündliches Mit¬
leiden der Rachenschleimhaut macht das Ab-
schlucken der Nahrung beschwerlich. Die Nase
der Hunde und das Flotzmaul der Rinder
fühlt sich trocken an, manche Patienten lassen
ein stärkeres Eingenommensein des Kopfes
und eine mehr oder weniger erhebliche Ab-
geschlagenheit erkennen. Tritt plötzlich grosse
Athemnoth unter pfeifenden, zischenden Ge¬
räuschen ein, so ist die Schleimhaut der
Stimmritze serös aufgewulstet; der Zustand
selbst wird nun Glottisödem genannt. Fremd-
CATARRH. H9
körper und Croupmembranen im Kehlkopf
verursachen ähnliche Geräusche; um vor Ver¬
wechslungen gesichert zu sein, hat man auf
Fremdkörper zu untersuchen. Glottisödem
fährt leicht zum Erstickungstode. Nicht selten
steigert sich der Luftröhrencatarrh zur Ent¬
zündung der Bronchien und Bronchiolen
(s. Bronchialkrankheiten). Lockert sich die
Nasenschleirahaut stark auf, wobei auch ein
zäherer Schleim sich in den Nasengängen an¬
sammelt, so wird das Athmen schnaufend,
schloddernd, ein Vorgang, der in den engen
Nasengängen der Schweine am leichtesten
eintritt und zu der Bezeichnung „Schnüffel-
krankheit“ geführt hat. Die Schwellung er¬
greift mitunter die Weichtheile des Kopfes,
namentlich den Rüssel und die Submaxillar-
drüsen. Schweine, Hunde und Katzen erbrechen
sich öfter, die letzteren beiden Thiergattungen
hört man auch niesen, bei ihnen ist der Nasen-
catarrh als „Staupe“ bekannt (s. d.), er geht
hier gern in Bronchitis, Lungenentzündung
über und complicirt sich leicht mit Entzün¬
dung und Schwellung der Tonsillen, ferner
mit Magen-Darmkatarrh, Augenentzündung,
Convulsionen und Krämpfen, verbunden mit
Hinfälligkeit, Schwäche, völligem Appetit¬
verlust, Abmagerung, Schwäche im Hinter-
theil und wirklicher Paralyse der Hinterhand,
wovon der Grund in Hyperämie der Meningen
des Gehirns und Rückenmarks mit nachfol¬
genden serösen Transsudaten zu suchen ist.
Bei kleinem Pulse und unter Colliquationen
(copiösem, fötiden Nasenfluss und Durchfall)
gehen die Patienten kachektisch ein. Bei den
Einhufern complicirt sich der einfache Catarrh
gern mit entzündlicher Anschwellung der Sub-
maxillardrüsen und der Lymphgefässe des
Kopfes, er wird dergestalt zu dem Symp-
tomencomplexe, der uns als Druse oder Stren¬
gei bekannt ist. Bei ihnen und den Rindern
geht der Nasenkatarrh öfter auf die Kopf¬
höhlen (Stirnbein- und Oberkieferhöhlen) über,
es siedeln sich in dem stagnirenden Schleime
leicht FäulnissStoffe und Pilze (Mikrococcen)
an, die zum septischen Zerfall des Trans-
und Exsudats und zum brandigen Zerfall des
oberen Theils des Schleimhautgewebes führen
(s. die Artikel „Ausfluss 1 *, „Auswurf* 1 , „Aus¬
schwitzung“ und „Diphtherie“). Die Krank¬
heit wird auf diese Weise zum bösartigen
Catarrhalfieber oder brandigen Kopfcatarrh,
dessen Symptome in Kürze folgende sind:
Starkes Fieber, 50—90 kleine weiche, acce-
lerirte Pulse, Mastdarmtemperatur von 40
bis 42°, Athembeschwerden, Schnaufen, An¬
schwellung und Hitze des Kopfes, Ecchy-
mosen auf der Nasenschleimhaut, Appetits¬
verlust; missfarbiger, mehr oder weniger
blutiger, stinkender, mit Gewebsfetzen ver¬
mischter Nasenfluss : borkenartige, missfarbige,
fibrinöse Exsudatauflagerungen auf der Nasen¬
schleimhaut, unter denen die Schleimhaut
wund, excoriirt erscheint; die Excoriationen
präsentiren sich als geschwürartige Substanz¬
verluste mit hochrothem Grunde und unregel¬
mässig ausgezackten, aufgewulsteten Rändern.
Schlingbeschwerden sind vorhanden, wenn die
geschwürige Zerstörung auf die Rachenhöhle,
Kehlkopf und Luftröhre übergreift. Verstopfung,
später Diarrhöe, grosse Schwäche. Stumpf¬
sinnigkeit, Convulsionen der Gesichtsmuskeln,
klonische Krämpfe, epileptische Anfälle,Oedem-
bildung an den herabhängenden Körper¬
stellen, Absatz eines dunkel gefärbten, eiweiss-
und schleimhaltigen Harns und Verfall der
Kräfte geben anderweitige Symptome ab, der
Tod erfolgt eventuell nach 4—5—21 Tagen.
Rinder leiden zugleich an einer Nephritis,
Cystitis und Trübung der Cornea in Folge
einer zelligen Infiltration, öfter gepaart mit
einer Iritis und Keratitis bei Erguss eines
gelbgrünen Exsudats in die vordere Augen¬
kammer; das Sehvermögen ist hiebei gänz¬
lich aufgehoben. Das Ergriffen werden mehrerer
oder sämmtlicher Thiere desselben Stalles
spricht für eine Infection; der Infectionsstoff
entwickelt sich in niedrigen, dunstigen Stal¬
lungen mit schlechten Jaucheabzügen oder
Jaucliebehältem in unmittelbarer Nähe des
Stalles. Professor Esser konnte die Krank¬
heit durch Einimpfen des Schleims nicht auf
andere Rinder übertragen. Auch das Haus¬
geflügel wird öfter von Catarrh der Schleim¬
häute der Luftwege heimgesucht, er nimmt
hier gern den eitrig-fibrinösen und croupösen
Charakter an und wird „Pips“ genannt, wenn
sich croupöse Massen auf der Zunge und in
der Rachenhöhle ablagern, in Folge dessen
die Respiration angestrengt, pipend und
asphyktisch, das Schlingen erschwert und
schmerzhaft wird. In manchen Fällen ent¬
zündet sich die Cornea, der Herzbeutel und
das Herz. Die hautartige, weissgelbliche Croup-
raasse wird in günstig verlaufenden Fällen
innerhalb 2—6 Tagen auf dem Wege der Eite¬
rung abgestossen und Genesung erfolgt nach
2—3 Wochen. Andernfalls nehmen Schwäche,
Anämie, Abmagerung und der eitrigeAusfluss bis
zum 8.bi8l5. Tage zu, die Temperatur schwankt
zwischen 41*6—42*5°, sinkt aber im Stadium
des Marasmus und Collapsus auf 39—38®
(s. Trinchera, „La clinica veterin.“, 1800). Der
Verlauf ist häufig chronisch, die Dauer be¬
trägt 60—70 Tage; oft tritt der Pips seuchen¬
artig auf, weil er ein Contagium entwickelt
(s. Catarrh unter Canarienvögel-Krankheiten).
Die Augen sind oft hochgradig catarrhalisch
entzündet und die Augenlider so verklebt,
dass sich das Geflügel wie blind benimmt,
auch kommt es öfter zu Abscessbildungen in
dem subcutanen Bindegewebe unterhalb der
Augen (s. Anacker, „Thierarzt“, 1882).
Der chronische Catarrh charakteri-
sirt sich durch seine Andauer, periodisches
stärkeres Auftreten, ohne ganz zu verschwinden,
und durch seine Fieberlosigkeit. Der abflies-
sende Schleim ist theils dünn, hell und
rein, theils kleisterartig, gelbgrünlich, krüm-
lich, eiterartig und übelriechend, an den
Nasenrändern zu schmierigen Borken ver¬
trocknend. Die Missfarbe und der üble Ge¬
ruch rührt von der Anwesenheit von Fäul-
nissbacterien her. Die Menge des abfliessenden
Schleims variirt sehr, sie nimmt bei warmer,
trockener Witterung ab, der Schleimfluss kann
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120
CATARRH.
unter solchen Verhältnissen ganz zurücktreten,
um sich bei nasskalter, feuchter, veränder¬
licher Witterung desto stärker wieder einzu¬
stellen. Auf diese Weise wird der Catarrh
zum „Schleimfluss, Blenorrhoea“ (s. d.), er
besteht lange Zeit ohne Trübung des Allge¬
meinbefindens, wohl aber magern endlich die
damit behafteten Thiere ab, die Schleimhäute
verlieren dann ihre lebhafte, rothe Farbe, die
Conjunctiva wird zuerst in Mitleidenschaft ge¬
zogen, sie wird mit der voranschreitenden
Anämie blass und sondert ebenfalls beständig
Schleim ab. Husten wird auch hier häufig
gehört. Die Schleimhaut in der Nase, meistens
auch in den Kopfhöhlen, findet sich degenerirt,
sammetartig aufgelockert, mit fungösen Wu¬
cherungen versehen oder schwielig verdickt
(Wucherung des Bindegewebes), anämisch,
nicht selten auch blutig punktirt, denn die
Schwielen und die verdickten und verlängerten
Drüsenschläuche comprimiren die Blutgefässe
und geben derart zu Zerreissungen der¬
selben Anlass, so dass kleine Blutungen er¬
folgen ; nicht selten ist das submucöse Binde¬
gewebe gelatinös infiltrirt, schwellen die
Follikel knötchenartig an und vereitern (folli-
culäres Geschwür), immer aber sind Ober¬
kiefer und Stirnhöhlen, bei Pferden zuweilen
die Luftsäcke mit einem dicken, krümlichen,
körnigen, eiterartigen, grauen, periodisch mit
Blutstreifen vermischten Schleim angefüllt,
der periodisch schwächer oder stärker zur
Nase abfliesst, letzteres ist namentlich der
Fall, wenn man den Kopf senkt und auf die
Luftsäcke Druck ausübt. In der Regel sind
die Kopfknochen (Stirn-, Oberkiefer- und
Nasenbein), resp. der Luftsack der leidenden
Seite aufgetrieben und geben einen matten
Percussionston, mit der Zeit werden durch
das eitrige Secret auch die Lymphgefässe der
Nasenschleimhaut und die Kehlgangsdrüsen
gereizt, sie schwellen an, die Drüsen bleiben
aber lappig und beweglich, sie werden nicht,
wie beim Rotz, kugelig, gleichmässig hart und
liegen dem Unterkiefer nicht fest an, weil es
nicht zur Entzündung des interacinösen und
die Drüse umgebenden Bindegewebes kommt.
Der Catarrh der Luftwege geht meistens aus
einer örtlichen Reizung der mit der Aussen-
welt communicirenden Schleimhäute hervor.
In den meisten Fällen liegt die Ursache in
einer jähen Abkühlung der vorher erhitzten, in
hyperämischem Zustande befindlichen Schleim¬
haut durch kaltes Getränk, Zugluft oder sonst
stark bewegte und sehr kalte, rauhe, ozon¬
reiche Luft, wie sie bei Nordostwinden und
bei dem Wechsel der Jahreszeiten vorkommt.
Nach anstrengenden, erhitzenden Bewegungen
disponiren die Thiere sehr zu catarrhalischen
Erkrankungen, besonders bei rauhem, stürmi¬
schem, veränderlichem Wetter; ebenso besitzen
junge, zart organisirte, verweichlichte, in
warmen, dunstigen Stallungen gehaltene Thiere,
bei denen die organischen Gewebe erschlaffen,
Reconvalescenten, kärglich oder mit gehalt¬
losen Futterstoffen genährte, heruntergekom¬
mene, im Haarwechsel oder in der Mauser
befindliche oder geschorene Individuen eine
hervorragende Disposition. Feuchtwarme und
mit Fremdkörpern verunreinigte Luft, z. B.
mit scharfen Dämpfen, Rauch, Staub, Sand,
Fäulnissbacterien, Pilzen. Sporen, Coccen,
reizt und entzündet die Schleimhaut, nicht
minder Parasiten, z. B. Bremsenlarven (Pferde
und Schafe), Pentastomen (Hunde), Grega-
rinen (Geflügel), sofern diese Dinge Gelegen¬
heit finden, in grösseren Mengen in den Or¬
ganismus einzudringen. Pilze und Pilzsporen
können den Thieren mit schimmligem, von
Brand und Rost befallenem Streumaterial zu¬
geführt werden. Wir sehen fast alle Infections-
krankheiten (Milzbrand, Rotz, Perlsucht,
Tuberculose, Wuth, Aphthenseuche, Lungen¬
seuche, Pocken, Rinderpest, Masern, Schar¬
lach etc.) unter catarrhalischen Erscheinungen
beginnen, weil der specifische Infectionsstoff
zunächst mit den Schleimhäuten in Berührung
kommt. Auch Neubildungen auf den Schleim¬
häuten, namentlich Polypen, reizen die Schleim¬
häute durch ihren Druck und machen sic
durch die Hemmung der Blutcirculation hyper-
ämisch.
Behandlung. Gutartige, regelmässig
verlaufende Catarrhe heilen unter einem zweck¬
entsprechenden diätetischen Verhalten; Letz¬
teres besteht in Verabreichung eines leicht
verdaulichen, wenn möglich schleim- und
zuckerhaltigen Futters (Kleiengeschlapp, Lein¬
kuchengesöff, Grünfutter, die verschiedenen
Rübenarten, Quecken, Malz, Gerstenabkochung,
Leinsamenschleim), in mässig warm und rein¬
lich gehaltenen, gut ventilirten Stallungen,
wenn thunlich und bei günstiger Witterung
Aufenthalt im Freien und Vermeidung von
Erkältungen. Das Einathmen von heissen
Wasserdämpfen oder den Dämpfen schleimiger
Decocte oder der verdunstenden Jodtinctur
oder einer Mischung von Carbolsäure und
Salmiakgeist zu gleichen Theilen erschlafft
die gespannten, hyperämischen Schleimhäute,
mildert die Schmerzhaftigkeit, erleichtert und
befördert den Schleimabfluss. Bei kleineren
Thieren (Schweinen, Hunden, Katzen) leisten
Brechmittel ähnliche Dienste, sie vermögen
bei frühzeitiger Anwendung den catarrhali¬
schen Process zu coupiren oder doch einer
baldigen Heilung entgegen zu führen. Catarrhe
entzündlichen, fieberhaften Charakters erfordern
ein medicamentöses Einschreiten, es sind hier
die gelind den Darmcanal eröffnenden, die
Schleimabsonderung befördernden Salze und
Pflanzenstoffe angezeigt, so die Kali-, Natron-,
Spiessglanz- und Ammoniumpräparate, Schwe¬
fel, Süssholz, Honig, Fenchel, Anis, Wachholder,
Flieder, Kamillen, Althäa, Salbei, Pfefferminz,
Digitalis, Alant, Kalmus, Senega, für kleinere
Thiere, namentlich Hunde, das Kali aceticum
mit Natr. nitric., Syrup. Althaeae, Extr. Aco-
niti aquos., Morph. acetic.,Aqua laurocerasi etc.
Einhüllungen des Halses in feuchte Tücher
mit darüber gelegten, fest anschliessenden
wollenen Tüchern oder Decken mildern eben¬
falls den Schmerz, sie befördern die Schleim-
absonderung in den entzündeten Schleimhäuten
der Rachenhöhle und der Luftröhre und die
Diaphorese der Haut. Die höheren Grade der
CATCHWEIGHT. — CATGUT.
121
entzündlichen Reizung werden durch mehr
oder weniger scharfe Einreibungen in die
Haut der Umgebung der leidenden Theile
gemildert (s. Ableitung). Ueber die Behand¬
lung des Kehlkopf- und Luftröhrencatarrhs
finden sich die näheren Angaben bei den
Bronchialkrankheiten und der Bronchiorrhöe
(8. d.). Das bösartige Catarrhalfieber er¬
heischt eine energischere Heranziehung des
antiphlogistischen Heilapparates, namentlich
die schärferen Ableitungen an Hals und
Schenkeln (Kantharidensalbe, Sinapismen,
Terpentinöl mit Crotonöl), kalte Ueberschläge
und Douchen auf den Kopf und Aderlass.
Das Getränk versetze man mit metallischen
Säuren (Acid. sulfur. seu Acid. hydrochlor.);
zu Inhalationen eignen sich ihrer antisepti¬
schen und lösenden Wirkung wegen schleimige,
mit Ol. Terebinth. oder Acid. carbolicum ver¬
setzte Decocte. Zu Anfang der Krankheit gebe
man die abführenden Neutral- und Mittelsalze
(Kali nitric., Natr. nitr., Kali sulfuric., Kali
chloric., Natr. subsulfuros., Ammon, hydro¬
chlor., Ammon, carbon.) in Verbindung mit
bitteren, gewürzhaften und narkotischen Medi-
camenten. Bei Neigung zur Sepsis können
Maul und Nase mit schwachen Solutionen
des Kali hypermangan., des Kali chlor, oder
des Acid. carbol. crystallis. ausgespritzt wer¬
den, innerlich sind hier Carbolsäure, die
Mineralsäuren, Aetherarten, Eisenpräparate,
China, Kampher, Tannin, ätherisch ölige Pflan¬
zenstoffe und Aloö in minimalen Dosen und
Räucherungen mit Terpentinöl, Theer, Chlor
oder Carbolsäure indicirt. Ist Kopfhöhleu-
catarrh vorhanden, so sind die Oberkiefer-
und Stirnhöhle zu trepaniren, um den dort
angehäuften Schleim mittelst Ausspritzungen
mit warmem Wasser entfernen zu können;
hierauf werden täglich Ausspritzungen von
Spir. camphorat. oder von gleichen Theilen
Wasser und Glycerin unter Zusatz von etwas
Acid. carbol., oder von verdünnter Jodtinctur
oder einer schwachen Solution des Zinc. s.
Cupr. sulfuric., Sublimat oder Argentum nitr.
fus. applicirt. Ist die Schleimhaut bereits sehr
verdickt, dann müssen die Solutionen con-
centrirter sein. Die Trepanationswunden sind
durch Einlegen von Tampons bis zur Heilung
des Catarrhs offen zu erhalten. Sollte der in
den Höhlen vorhandene Schleim sehr zähe
oder concrementartig sein, so erleichtern In-
jectionen von angesäuertem Wasser den Ab¬
fluss des Schleimes. Diese Behandlung muss
circa einen Monat lang fortgesetzt werden.
Bei chronischem Catarrh finden gelind reizende,
die Schleimhäute tonisirende Medicamentc
ihre Anwendung; als solche sind namhaft zu
machen: Schwefel- und Spiessglanzpräparate,
Terpentin, Ammoniakgummi mit Fenchel,
Dill, Anis, Wachholderbeeren, Alant, Ange-
lica, Pimpinell, Decocte von Cort. Salicis, Cort.
Chinae, Rad. Colombo, Cort. fruct. Juglandis,
Solutionen von Tannin, Catechu, Alaun,
Plumb. acetic., Ferr. sulfuric., Argentum nitric.
Diese Decocte und Solutionen eignen sich
auch zu Ausspritzungen, Staubinhalationen
mittelst des Pulverisateurs, oder als Pulver
zum Einblasen in die kranken Höhlen. Für
die kleineren Thiere können auch die Bal¬
same, z. B. Perubalsam, benützt werden. In¬
halationen empyreumati8cher Dämpfe sind
ebenfalls von guter therapeutischer Wirkung;
man erzeugt sie, wenn man Haare, Zucker,
Salmiak, Wachholderbeeren, Essig, Terpentin,
Theer, Carbolsäure auf glühende Kohlen bringt,
resp. träufelt. Ein Mitleiden der Luftsäcke
der Pferde erfordert die gleiche Behandlung
wie der Kopfhöhlen-Catarrh, nur müssen be¬
hufs örtlicher Anwendung der dort namhaft
f emachten Medicamente die Luftsäcke mit
em Messer oder Trocart eröffnet werden.
Die Homöopathen geben bei acuten Catarrhen
zunächst Aconitum, wonach sie Pulsatilla,
Bryonia, Dulcamara und Lycopodium folgen
lassen; im chronischen Catarrh werden alter-
nirend Arsenik, Belladonna, Schwefelleber und
Baryta carbonica gegeben (Straub, „Thierärztl.
Recept-Taschenbuch“). Anacker .
Catchweight ist am Turf beliebiges „Ge¬
wicht“, d. h. ein Pferderennen, bei welchem
ein bestimmtes Gewicht des Reiters nicht
vorgeschrieben, resp. gefordert wird, wes¬
halb bei einem derartigen Rennen, „race at
catch weight“ genannt, der Reiter weder vor
noch nach dem Rennen gewogen wird. Catch
weight kommt jedoch fast ausschliesslich nur
bei Privatrennen vor. Lechner .
Catechu, Katechu, der eingetrocknete
wässerige Auszug des Holzes verschiedener ost-
asiatischer Bäume der Familie der Rubiaceen,
namentlich der Uncaria Gambir, Areca Ca¬
techu und ihrer Betelnüsse (s. d.). Dieses
Palmencatechu oder Gambir stellt eine braune
erdige Masse (Terra Japonica) dar, welche als
Hauptbestandteil Catechin, d. h. Catechu-
säure enthält, und die sich (ähnlich wie die
Gallussäure in Galläpfelgerbsäure) in Catcchu-
gerbsäure um wandelt. Letztere ist stark zu¬
sammenziehend, hat jedoch keinerlei Vorzüge
vor unseren einheimischen Adstringentien, so
dass sie kaum angewendet wird, und eigent¬
lich in Vergessenheit gerathen ist. Vogel.
Catout, aus Schafdärmen dargestellte
Fäden oaer Stränge, die nach der Listerischen
Antiseptik zum Unterbinden der Gefässe und
zu Nähten, welche in die Operationswunden
versenkt werden müssen, verwendet werden.
Das Material muss selbstverständlich streng
antiseptisch hergestellt werden und möglichst
so beschaffen sein, dass es ohne Schaden
einheilt oder selbst resorbirt werden kann.
Aus diesem Grunde hat Lister einen thieri-
schen Stoff gewählt, d. h. Darmsaiten, welche
in der Art präparirt werden, dass man sie
mindestens zwei Monate lang in eine Emul¬
sion legt, welche aus 5 Theilen Oel und
1 Theil Acid. carbol. liquef. besteht. In dieser
Flüssigkeit bleiben die Catgutstränge aufbe¬
wahrt, vor dem Gebrauche legt man sie aber
(eine halbe Stunde vorher) in Carbolwasser,
weil Carbolöl nicht ganz vor Mikroben schützt.
Für gewöhnlich zum Nähen von Wunden kann
man Catgnt ebenfalls benützen, man zieht aber
jetzt einen anderen thierischen Stoff, die
122 CATHAERETICA. — CAUTER,
carbolisirte Seide vor, bestehend aus ge¬
wöhnlicher Nähseide, welche eine halbe bis
eine Stunde lang in 5%igem Phenolwasser
gekocht und auch in diesem aufbewahrt wird
(Phenolseide, Czerny), oder man benützt die
sog. antiseptische Seide, welche trocken in
einem Glase aufbewahrt wird, nachdem sie zuvor
eine Stunde lang in einer heissen Mischung von
1 Theil Phenol und 10 Theilen Wachs ge¬
legen hatte. Für thierärztliche Zwecke legt
man sich so viele Seidenfäden zu einem Näh¬
strange zusammen, als der einzelne Fall er¬
fordert. Sie ist jetzt allgemein zum Nähen
gebraucht (s. auch Seide). Vogel.
Cathaeretica. Die Eintlieilung der Aetz-
mittel in solche, welche das thierische Ge¬
webe nur oberflächlich zerstören — Cathaere¬
tica — und solche, bei denen der Angriff tief
in das Gewebe geschieht — Escharotica— ist
ohne wissenschaftliche und praktische Be¬
deutung, denn bei energischer, bezw. leichter
Anwendung der kaustischen Mittel kann die
eine Kategorie in die andere übergehen und
lassen sich auch sonst beide nicht strenge
auseinander halten. Zu den cathaeretischen
Mitteln zählen übrigens nur die Vitriole, der
gebrannte Alaun und Kalk, der Kupferalaun,
das essigsaure und salpetersaure Kupfer, das
Bleinitrat, das Chlorwasser, der Chlorkalk u. a.
(s. Aetzen). Vogel.
Cathartica, Reinigungsmittel in Beziehung
auf den Darmcanal, Abführmittel, welche das
Darmrohr ausleeren, indem sie flüssige Ent¬
leerungen veranlassen, und wobei man es auf
andere, entferntere Wirkungen nicht abgesehen
hat (s. Drastica). Vogel.
Cato Marcus Portius (von 234—149 vor
Chr.) gab sich mit dem Behandeln von Thier¬
krankheiten ab und schrieb darüber in seinen
Abhandlungen, „De re rustica.“ Semmcr.
Cattaneo D. G., Repetitor bei der Vete¬
rinärschule in Mailand, schrieb 1845 ein
Werk über Geburtshilfe, worin er sich fran¬
zösischen und deutschen Schriftstellern an¬
lehnt. Semmer.
Cattunhund, s. Dalmatinischer Hühner¬
hund.
Cauda, Schwanz (davon caudatus, ge¬
schwänzt), benutzt man in der anatomischen
Nomenclatur zur Bezeichnung schwanzähn¬
licher Gebilde, z. B. Cauda equina des Rücken¬
markes, d. i. dessen hinteres, pferdeschweif¬
ähnliches Ende; Cauda pancreatis, d. i. der
sehr schmächtige linke Lappen der Bauch¬
speicheldrüse; Cauda epididymidis, Neben¬
hodenschweif etc. Vielfach bedient man sich
auch in der topographischen Anatomie des
Ausdruckes caudal (s. d.). Sussdorf.
Caudal. Bei den anatomischen Beschrei¬
bungen denkt man sich stets den Körper der
Thiere in der aufrechten, während des Lebens
unter normalen Verhältnissen wahrzunehmenden
Stellung. Die Bezeichnungen vorn, hinten, oben,
unten können jedoch leicht Anlass zu Miss¬
verständnissen geben, weil einzelne Körper-
theile, z. B. der Kopf, eine schräge Lage haben,
und weil die genannten bei dem Menschen zu¬
treffenden Bezeichnungen häufig für die Be¬
schreibung der entsprechenden Theile am Kör¬
per der Thiere nicht passen. Um die Lage
genauer bezeichnen zu können, und um ver¬
schiedene Anschauungen über die Begriffe vorn
und hinten beispielsweise am Kopfe zu verhüten,
bedient sich Franck in seinem anatomischen
Handbuche vielfach der Bezeichnung caudal
(schweifwärts) und nasal (nasenwärts) statt
der Ausdrücke vorn, bezw. hinten. Aus den¬
selben Gründen sind die Bezeichnungen dorsal
(rückenwärts) und ventral (bauchwärts) statt
oben, bezw. unten in der Veterinäranatomie viel¬
fach gebräuchlich. Müller.
Causer Ed. hatte Thierheilkunde in Lon¬
don studirt und gab 1822 eine Schrift über
Krankheiten der Respirationsorgane heraus. Ar.
Causse de rodez-Schaf, s. Bergschaf.
Causse - Rind — race de Causse. Zu den
dem Braunvieh der Alpen in der Farbe glei¬
chenden Rindern der Gebirge im mittleren
und südlichen Frankreich gehört auch das¬
jenige Rind, welches den vorstehenden Namen
führt. Dasselbe ist verbreitet über die frucht¬
baren Gelände der Kalkgebirge auf dem rechten
Ufer des Aveyron und bildet mit der auf den
wenig fruchtbaren Gängen der Schiefergebirge
auf dem linken Ufer des Aveyron heimischen
race de Jögatas die beiden Unterrassen der
race de Rouergue. Letztere ist nur wieder
eine Unterrasse der race d’Aubrac. Hieraus
erhellt, dass wir es bei der race de Causse
mit einer untergeordneten Rasse, von be¬
schränkter Bedeutung und geringer Individuen¬
zahl zu thun haben. Dieselbe erfreut sich in
ihrer Heimat eines guten Rufes, hat aber
ausserhalb desselben keine Bedeutung. Es ist
über diese Rasse nichts bekannt geworden,
was allgemeines Interesse beanspruchen könnte.
Literatur: 0. Rolide „Die Rindviehzucht“; Journal
d'&gricult. pratiq. etc. Cratnpc.
Caustica, Aetzmittel (s. Aetzen).
Cau8ticum antimoniale, das officinelle
Stibium chloratum solutum Ph. G. (s. d.)
oder Stibium chloratum Ph. A., Antimon¬
butter, welche sich beim Auflösen von Spiess-
glanzoxyd oder Dreifach-Schwefelantimon in
concentrirter Salzsäure bildet, indem Anti-
monchlorür (s. d.), SbCl 3 , entsteht. Das Mittel
gehört zu den Aetzstoffen und beruht der
kaustische Effect zum grössten Theile auf
dem Gehalt an Salzsäure, ist daher ganz ent¬
behrlich, wird auch nur mehr selten ange¬
wendet und muss dem Zinkchlorid, das viel
bessere Heiltendenz zurücklässt, weit unter¬
geordnet werden. Vogel.
Cauter und Kautör, lat. und griech.
6 xaorqp (von dem griech. xaieiv, brennen), das
Brenneisen, Brenninstrument. Sussdorf.
Cauterium, das Brenneisen als Zerstö¬
rungsmittel thierischen Gewebes, thermisches
Aetzmittel welches die unmittelbare Appli¬
cation des Glüheisens (s. Brennen) voraussetzt
(gegenüber der Anwendung desselben par
distance), es wird daher dieses Brennen als
Cauterium actuale bezeichnet, zum
Unterschied von jenen caustischen Arznei¬
mitteln, welche in ähnlicher Weise chemisch
eineGewebscorrosion zuwege bringen und auch
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CAUTSCHUK. — CELEBES-SCHWEIN. 123
Cauterium potentiale von altersher
genannt werden (s. Aetzen). Vogel .
Cautschuk, s. Kautschuk.
Caverna, die Höhle, Loch, von Plinius auch
für die Afteröffhung der Thiere gebraucht,
wird jetzt nur mehr auf die in den Schwell¬
oder cavernösen Körpern sich findenden
grossen Venenräume, sowie auf die sich pa¬
thologisch durch Gewebseinschmelzung bil¬
denden Höhlen der Lunge etc. bezogen, davon
das adj. cavernosus. Sf.
C a v e r n e vomica, Lungengeschwür, ist ein
durchZerfall von Lungengewebe oder erweiterter
Bronchien gebildeter Hohlraum in den Lungen.
Am häufigsten entstehen Cavemen bei Lungen-
tuberculose und bei Bronchiektasien und zer¬
fallen danach in tuberculöse undbronchiektati-
sche Cavemen. Ferner können sich Cavemen
entwickeln durch Peribronchitis, Broncho¬
pneumonien, metastatische Infarcte und Ab-
scesse sowie lobuläre und lobäre käsige pneu¬
monische Herde. Durch käsige Entartung
und Zerfall der ein gelagerten Tuberkeln, Ent-
zündungs- und Eiterherde und der Wandung
erweiterter Bronchien entstehen zunächst
unregelmässige, von weichen Massen um¬
grenzte Bäume, deren Inhalt aus käsigen
Zerfallsmassen, angehäuftem Schleim und bei
Luftzutritt auch wohl aus jauchigen Sub¬
stanzen gebildet wird. Bei längerem Bestehen
werden die Wandungen der Cavemen mehr
glatt und von einer bindegewebigen Kapsel
umkleidet. Durch Zusammenflüssen mehrerer
kleinerer Cavemen entstehen grosse Hohl-
räurae von buchtiger Gestalt. Kleinere Ca-
vernen werden oft abgekapselt, schrumpfen
zusammen, obliteriren mit Hinterlassung
einer Pigmentschwiele. Bei grösseren Caver-
nen werden die Wandungen oft mit Kalk¬
salzen incrustirt, rauh und hart und ihr In¬
halt mit Schleim gemengt. In anderen Fällen
vergrössern sich die Cavemen durch progres¬
siven Zerfall des Lungengewebes in ihrer Um¬
gebung, es kommt bei Zerstörung von Blut¬
gefässen zu mehr oder weniger bedeutenden
Blutungen, beim Durchbruch der oberfläch¬
lich gelegenen Cavemen in die Brusthöhle zu
Pneumothorax, oder die Cavemen verwachsen
mit der Costalpleura (Adhäsionen). Semmer.
Cavernöse Körper, bezw. cavernöses
Gewebe, s. Männliche Geschlechtsorgane.
CavernÖ8e8 Atomen, s. Auscultation der
Lunge und Amphorisches Athmen.
Cayenne-Hund, s. Alicantischer Hund.
Cayennepfeffer, s. Capsicum annuum.
Cayote, mexicanischer Name eines Wild¬
hundes, der häufig in den Prairiegebieten von
Neu-Mexico, Arizona, Mexico und in Cali-
fomien vorkommt. Derselbe wurde von Esch-
holz unter dem Namen Canis ochropus be¬
schrieben. Später wurde diese Art von Wag¬
ner als Varietät des über das ganze Prärie-
ebietNordamerikas verbreiteten Prairiewolfes,
anis latrans Say, erklärt Der allgemeine
Habitus ist der des Wolfes, nur steht das
Thier viel niedriger auf den Beinen und ist
die Schnauze relativ länger und spitzer,
fuchsähnlich. Die Länge beträgt von der
Schnauzenspitze bis zur Schwanzspitze 1 bis
1 * 4 m, wovon 40 cm auf den Schwanz kom¬
men; die Schulterhöhe kaum 5ö cm. Der Pelz
ist dicht, namentlich die Ruthe stark behaart
und buschig; die spitzen, an der Basis breiten
Ohren ebenfalls stark behaart. Die Färbung
ist ein schmutziges Gelbgrau, auf dem
Rücken schwärzlich, am Ohr und Nasen¬
rücken rostfarben, Hals und Beine gelblich,
die Unterseite weisslich, die Schwanzspitze
schwarz. Die Pupille ist, wie bei allen Wöl¬
fen, rund. Bei der als Canis ochropus unter¬
schiedenen Varietät ist die Hauptfarbe des
Pelzes mehr gelblichbraun, an Kopf, Beinen
und auf dem Rücken mit ockerfarbener Bei¬
mischung. Der Canis latrans bewohnt zahl¬
reich das Prairiegebiet Nordamerikas vom 55°
nördl. Br. bis Mexico; er jagt in Rudeln.
Seine Stimme ist ein kurzes Bellen, auf das
ein gedehntes Heulen folgt. Studer m
Cazakee-Pferd, s. Indisches Pferd.
Caza8 D. N. de Mendoza studirte Me-
dicin und Thierheilkunde in Madrid und Al-
fort, wurde Director der Veterinärschule in
Madrid. 1830 erschien von ihm: „Tratado
elementar completo de veterinaria“: 1832:
,.Elementes del esterior del caballo, y juris-
prudencia veterinaria i4 ; 1833: „Elementos de
anatomia patologica madedos de seguir de
orden de S. M. en la ensenanza de los alum-
nos de la Real Escuela veterinaria“ und
eine vollständige Bibliothek für Viehzüchter
und Landwirthe in 7 Bänden. Semmer .
Cedrium, bei den alten Römern die Be¬
zeichnung für den Holzessig. Vogel.
Celebes-Schwein. Auf der Insel gleichen
Namens, sowie auf Sulla-Mangoli und Buru
kommt eine sehr eigentümliche Species der
Gattung Sus vor, welche gewöhnlich Hirsch¬
eber (Porcus Babyrusa oder Sus Babyrusa)
genannt und nach neueren Angaben ebenso
gross wie ein mittlerer Esel wird. Diese
Schweine sind schlank gewachsen, erscheinen
hochbeiniger als alle anderen Glieder der
Familie Setigera. Sie besitzen einen kurzen,
kräftigen Rüssel, kleine, wimperlose Augen
und kurze, schmale Ohren. Die starken Haken¬
zähne des Hirschebers wachsen in auffallen¬
der Länge aus dem Maule hervor, krümmen
sich etwas sonderbar nach rückwärts, so dass
man sie mit einigem Rechte mit Hörnern
vergleichen kann. Ihre Behaarung ist sehr
spärlich, nur am Schwanzende findet sich eine
längere Haarquaste. Die Europäer haben
(nach Fitzinger) den ursprünglichen Landes¬
namen Babi-Rusa, welcher so viel als Eber
und Hirsch bedeutet, ohneweiters übersetzt
und angenommen.
Ausser diesem Hirscheber kommt auf der
Insel Celebes noch ein anderes Wildschwein
(Sus celebensis) vor, welches nach Gray’s Be¬
schreibung nicht mit jenen verwechselt wer¬
den kann. Dasselbe gehört zur Gruppe der¬
jenigen Wildlinge, die in ganz Asien, vom
Kaukasus an bis zum Amur und vom 45. Breite¬
grade an bis zum Nordabhange des Himalaya
verbreitet sind und im Leibesbau grosse Aehn-
lichkeit mit den Wildschweinen von Syrien
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124 CELLE.
und Palästina zeigen. Diese asiatischen Wild¬
schweine fehlen fast überall auf den Hoch¬
steppen, kommen aber im Thianschan-Ge-
birge noch oberhalb der Waldgrenze vor. Fg.
Celle. Königlich preussisches Landgestüt*
in der Landdrostei Lüneburg der Provinz
Hannover, besitzt nur 9 ha Wiesen- und Garten¬
land; Ackerland fehlt daselbst gänzlich, und
es muss daher der Bedarf an Futter durch
Ankauf gedeckt werden. Das Wasser ist von
sehr guter Beschaffenheit, auch das Klima
jener Landschaft milde und entspricht der
geographischen Lage des Ortes, mitten in der
Lüneburger Heide.
Geschichte. Das Gestüt Celle wurde
im Jahre 1735 unter der Regierung des
Königs und Kurfürsten Georg II. ge¬
gründet. Es begann seine Wirksamkeit mit
12 holsteinischen Hengsten, die mit grossem
Geschick von einem Sachverständigen ausge¬
wählt worden sein sollen. 1748 fanden sich in
Celle bereits 40 tüchtige Beschäler, die zur Ver¬
besserung des alten Landschlages wesentlich
beitrugen. Unter dem Stallmeister Eiderhorst
wuchs bis zum Jahre 1764 die Anzahl der
Hengste auf 90 Stück an. Leider hörte später
die Wirksamkeit des Gestütes auf die Landes¬
pferdezucht nahezu zwei Jahrzehnte fast voll¬
ständig auf, und erst 1790 konnte unter dem
zuverlässigen Stallmeister Koch eine Besse¬
rung derselben constatirt werden. Man kaufte
damals mit Vorliebe Mecklenburger Hengste
und sorgte für gute Haltung und Pflege der¬
selben. Nach und nach gelangten aber auch
schon in jener Zeit englische Vollblutpferde
zur Aufstellung, und der gute Erfolg der sorg¬
fältigeren Zucht blieb im Lande nicht aus.
Während der Kriegsjahre und unter der Re¬
gierung des Königs Jöröme von Westphalen
hörte die Zucht von Pferden in Hannover
nahezu vollständig auf. Die Gestütshengste wur¬
den noch rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges
nach Mecklenburg gebracht. Erst 1814 wurde
das Celler Gestüt wieder hergestellt und durch
den Ankauf brauchbarer Hengste wesentlich
verbessert. 1816 übernahm ein sehr tüchtiger
Pferdekenner, H. v. Spörken, die Verwaltung
des Gestütes, und es gelang demselben in
verhältnissmässig kurzer Zeit, die dortige
Zucht ungemein zu heben. 1818 zählte man
in Celle bereits 110 und 1839 schon 120 bis
130 Beschäler. 26 schön gebaute Vollblut¬
hengste kamen damals aus England in das
Gestüt, und es scheint, dass hauptsächlich
unter der Regierung des Königs Ernst August
sehr viel geschehen ist, um die Landespferde¬
zucht von ganz Hannover zu verbessern und zu
vermehren. Der König befahl, dass in Celle
210—212 Hengste als Landbeschäler benützt
werden sollten. Seit 1866 — unter preussi-
scher Herrschaft — ist der Hengstbestand
daselbst etwas zurückgegangen, auch soll die
Qualität desselben nicht mehr so werthvoll
als in früherer Zeit sein. Schwarznecker
sagt zwar in Bezug auf die hannoverische
Pferdezucht: „Einen Rückgang der Zucht unter
Preussens Scepter, den man wohl in neuester
Zeit — etwas gesucht — behaupten hört,
wird man Mühe haben zu beweisen, denn
selbst wenn das Hengstmaterial in Celle wirk¬
lich nicht mehr die frühere Güte haben
sollte, so hängt die Zucht im Lande nicht
ausschliesslich von diesem, sondern ausserdem
von circa 400 in der ganzen Provinz wirkenden
Privatbeschälern ab.“ Im Frühjahr 1869 trat
an die Stelle des verstorbenen Oberstall¬
meisters v. Spörken der jetzige Dirigent,
Landstallmeister von Unger, welcher ernst¬
lich bemüht ist, den alten guten Namen des
Celler Gestütes und der hannoverischen Pferde¬
zucht zu rehabilitiren. Seit Einverleibung des
Königreiches Hannover in den preussischen
Staat trat das Celler Landgestüt ganz in die
Reihe der übrigen Landgestüte und depen-
dirt jetzt direct vom Ministerium der land¬
wirtschaftlichen Angelegenheiten etc. Von
Celle aus werden die Hengste von Anfang
Jänner bis Ende Juni auf Stationen in das
Land geschickt, wo sie für 3—15 Mark Deck¬
geld die Begattung der Stuten besorgen; so¬
bald eine Stute ein Fohlen geworfen hat,
werden noch 9 Mark Fohlengeld erhoben.
Die von der Gestütsverwaltung ausgegebenen
Füllenscheine sind zuverlässige Geburtsur¬
kunden; für Fohlen von Vollbluthengsten
werden diese Scheine in blauer, für Füllen
von Halbbluthengsten und Stuten nachge¬
wiesener Abkunft in rother und für Fohlen
von Halbbluthengsten und Stuten unbekannter
Abkunft Scheine von weisser Farbe ausge¬
geben. Es gibt dort im Ganzen 66 Deck¬
stationen, welche mit zwei oder drei Hengsten
beschickt werden. Die Anzahl der Beschäler
schwankt zwischen 187 und 200. Nach
Schlägen vertheilte sich der Bestand bei der
letzten Besichtigung folgendermassen:
1. Leichter Reitschlag mit_17 Hengsten
2. Leichter Wagenschlag mit.. 32 „
3. Starker Reitschlag mit. 93 „
4. Starker Kutsch- und Arbeits-
schlag mit. 45 „
Es sind daselbst jetzt 25 Vollblut- und
162 Halbbluthengste aufgestellt. Einen Ge¬
stütsbrand hat dieser Zuchtplatz niemals ge¬
führt. Die Provinz Hannover exportirt alljähr¬
lich eine ansehnlich grosse Zahl von Pferden
— viele derselben schon im Fohlen alter von
6 Monaten bis 1% Jahre — und manches
schöne Thier wandert nach Mecklenburg,
Sachsen, Thüringen, Süddeutschland und in
ausserdeutsche Länder, wo sie später nicht
selten, z. B. in Italien und Spanien, als
Mecklenburger bezeichnet werden. Es ist nicht
zu leugnen, dass unter den günstigen Auf¬
zuchtsverhältnissen in Mecklenburg die han¬
noverischen Fohlen zu stattlicheren Pferden
heranwachsen, als in den engen Ställen und
bei der etwas knappen Ernährung in der
Lüneburger Heide. Ganz bedeutend ist die
Pferdezucht in der Umgebung von Aurich;
es fanden sich daselbst bei der vorletzten
Zählung 190 Fohlen auf 1 Quadratmeile.
Man wirft den hannoverischen Pferden sehr
häufig vor, dass sie sich etwas langsam ent¬
wickelten, eigentlich erst im sechsten Lebens¬
jahre zum vollen Dienste heran gezogen werden
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CELLULA. — CELLULOSE.
12S
konnten, allein es trifft dieses nur in einigen
Districten zu; die grosse Mehrzahl der Fohlen
entwickelt sich so rasch und gut wie in den
anderen Ländern und Provinzen des nörd¬
lichen Deutschland. Unstreitig besitzen sehr
viele jener Pferde recht hübsche Formen, eine
stattliche Grösse (1*60—l*80m) und gute
Gangarten. Die hannoverischen Carrossiers
sind in London meistens sehr gesucht und
werden in der Regel besser bezahlt als die
Ostpreussen. Sehr edle Reitpferde und viele
gute Mutterstuten liefert das alte Herzogthum
Verden, sowie auch die Grafschaft Hoya. Die
Remonte-Commissionen haben früher in Han¬
nover jährlich 800—1000 Pferde angekauft,
da aber in der Neuzeit die Preise für schöne,
edle Pferde dort immer höher gestiegen sind,
der Export von Jahr zu Jahr zugenommen
hat, so hat man sich genöthigt gesehen, die
leichteren und billigeren Remonten aus den
östlichen Provinzen zu beziehen. Viele Hip¬
pologen und Cavalleristen behaupten, dass
das hannoverische Reit- und Wagenpferd in
der Ausdauer den „Preussen“ nachstände;
von anderer Seite wird das Gegentheil be¬
hauptet. Haltung und Fütterung sprechen
bekanntlich bei solchen Fragen wesent¬
lich mit.
Bezüglich der grossen Ausdauer und
Leistungsfähigkeit der hannoverischen Pferde
sagte der Rittmeister Graf von Klinkowström
bei den Versammlungen der Commission zur
Förderung der Pferdezucht in Preussen Fol¬
gendes: „Die erste Escadron des 20. Dragoner¬
regimentes habe nach der Schlacht an der
Lisaine am 20. Jänner 1871 bei Glatteis und
Schnee 14 Meilen in 12% Stunden zurück¬
gelegt, ohne zu füttern. Am folgenden Tage
habe die Escadron an einem kleinen Gefechte
theilgenommen und habe dann wieder 13 Meilen
in 12 Stunden zurückgelegt, trotz Eis und
Schnee. Obgleich also die Pferde an zwei
Tagen nur ein Nachtquartier und einmal
Futter erhalten haben, ist doch kein Pferd
liegen geblieben, die Escadron hatte vielmehr
am 22. Jänner weiter marschiren können. Die
Escadron bestand damals aus % hannoverischer
Pferde. Nach langjähriger eigener Erfahrung
könne er die grosse Leistungsfähigkeit dieser
Rosse in vollem Masse anerkennen.“ Die
jetzigen Leibpferde Seiner Majestät des Kaisers
von Deutschland sind vor dem Ankauf für
den kaiserlichen Marstall Chargenpferde der
hannoverischen Armee gewesen, also nicht etwa
besonders ausgesuchte Zuchtproducte. Auch
dies spricht für die Tüchtigkeit der Zucht
in jener Provinz. Freytag .
Cellula (Dimin. von cella, Behältniss, ab¬
geleitet entweder von dem lat. celare, ver¬
bergen, verstecken, oder von dem hebr. kele,
der Verschluss, verschlossener Ort), eigent¬
lich ein Kämmerchen, ein kleiner Hohlraum,
wird in der anatomischen Nomen clatur noch
vielfach für kleinere, insbesonders lufthaltige
Hohlräume angewendet, so in Cellulae eth-
moidales, Siebbeinzellen, C. medulläres, Mark¬
zellen der Knoehenspongiosa, C. pulmonales,
Lungenzellen, C. tympanicae, Paukenzellen etc.
Die älteren Anatomen bezeichneten damit auch
die Lücken im lockeren Bindegewebe und
nannten dieses daher geradezu „Zellgewebe“.
In der neueren Anatomie deckt sich in letzterer
Hinsicht damit nur noch der Begriff der Zelle,
als des organisirten Elementarbestandtheilea
des Körpers. Sussdorf,\
Cellulatio, ein von cellula abgeleiteter
und in neuerer Zeit für Zellenbildung, Zellen¬
wucherung gebrauchter Ausdruck. Sussdorf
Cellulose. Mit dem Namen Cellulose fasst
man derzeit eine Gruppe von Pflanzenstoffen
zusammen, welche zu den Kohlenhydraten
zählen, und die eine elementare Zusammen¬
setzung von C e H 10 O ß haben. Cellulose bildet
nicht nur den Hauptbestandteil der Wan¬
dungen der Zellen und Gefässe sämmtlicher
Pflanzen, sondern auch aller im Verlaufe der
Vegetationsdauer auf den Zellen entstehenden
Ablagerungen, sie entsteht in den Pflanzen
aus anderen Kohlenhydraten, wie Zucker,
Stärke, welche von Protoplasma aufgenommen
und in Form einer zusammenhängenden Cellu¬
losemembran abgeschieden werden. Während
des Wachsthums der Pflanzen wird die Cel¬
lulose sauerstoffärmer und kohlenstoffreicher,
indem sie in andere, zur Cellulose ge¬
zählte, aber von dieser doch verschiedene
Substanzen übergeht; diese Stoffe sind die
Holzsubstanz, die Korksubstanz, das Medullin
im Mark des Flieders, Fungin in den Schwäm¬
men u. s. w., sämmtlich Körper, welche che¬
misch noch nicht genügend charakterisirt
sind, und die man auch als unreine Cellulose
auffasst. Die Cellulose, welche in der mensch¬
lichen Nahrung wegen der geringen Mengen,
in denen sie darin vorkommt, keine grosse Rolle
spielt, ist jedoch desto wichtiger für die
Pflanzenfresser, da sie %—% der Nahrung
derselben ausmacht. Da nach Obigem die
Cellulose als einheitlicher Körper in den
Pflanzen nur in geringer Menge vorkommt,
sondern hauptsächlich in ihren organisirten
Formen, wie Holzfaser, Kork u. s. w., so
einigte man sich in der Ernährungslehre dahin,
sämmtliche als Cellulose nach ihrer Ent¬
stehung zu betrachtenden Stoffe der Pflanze
als „Rohfaser 11 zu bezeichnen und in den
Analysen der Nahrungsmittel diese Gruppe
von Körpern als solche zusammenzufassen und
in Rechnung zu bringen. Fast rein kommt
die Cellulose im Flughaar der Baumwollen¬
früchte, also in der reinen Baumwolle vor,
ferner in jungen Blatt- und Blüthentheilen und
im Fleisch mancher Früchte. Zur Darstellung
von reiner Cellulose behandelt man zweck¬
mässig Hollundermark, Baumwolle, auch weisse
Leinwand, schwedisches Filtrirpapier der
Reihe nach mit Wasser, verdünnter Kalilauge,
verdünnter Essig- oder Salzsäure, Weingeist,
Aether und schliesslich mit siedendem Wasser.
Der nun bleibende Rückstand, bei 110 °C.
getrocknet, ist chemisch reine Cellulose. Emu
solche hat ein specifisches Gewicht von 1 ’25
bis 1'45, ist unlöslich in Wasser, Alkohol,
Aether, sie wird gelöst durch eine Lösung
von Kupferoxyd in Ammoniak — das sog.
Schneider’sche Reagens. Durch Neutralismen
Digitized
Google
m
CELSUS. — CENTIGRAMMA.
dieser Lösung wird die Cellulose in Form
von kleinen Flocken ausgefällt. Durch Jod
allein wird die Cellulose nur braun oder gelb
gefärbt, bei gleichzeitigem Zusatz von Jod¬
kalium, Jodzink und Schwefelsäure wird sie
jedoch schön blau. Die Cellulose wird gelöst
durch concentrirte Säuren und Laugen; hiebei
wird sie in Dextrin und Zucker überführt,
thcils zerfällt sie in Humussäuren. Locbisch.
Die Cellulose, eine in allen vegetabili¬
schen Futtermitteln vorkommende, stärkeähn¬
lich zusammengesetzte Substanz wurde noch bis
vor Kurzem als der Stärke und dem Zucker
gleichwerthiger Nährstoff angesehen. Man
nahm an, dass der von der sog. Holz- oder
Rohfaser als verdaulich geltende Theil Cellu¬
lose oder Zellstoff sei. Neuere Untersuchungen,
ausgeführt von Tappeiner und Weiske. haben
uns jedoch gezeigt, dass die Cellulose im
Verdauungscanal der Wiederkäuer nicht eigent¬
lich verdaut, sondern nur durch einen Gährungs-
process (Sumpfgasgährung) gelöst, resp. zer¬
setzt wird. Die so gelöste Cellulose oder Roh¬
faser kann somit nicht als assimilirtes Kohle¬
hydrat gelten und daher auch nicht als Nähr¬
stoff bei Futterberechnungen berücksichtigt
werden. Die Cellulose wird zum Theil schon
im Pansen der Wiederkäuer durch Spaltpilze
in Kohlensäure, Sumpfgas, Aldehyd, Essig¬
säure und in eine buttersäureähnliche Säure
umgewandelt. Aehnliche Zersetzungsvorgänge
erfolgen noch im weiteren Verlauf des Ver-
dauungscanales der Thiere. Freilich werden
durch die Auflösung der Cellulose im Ver¬
dauungscanal der Thiere viele von derselben
fest umschlossene Nährstoffe (Protein, Kohle¬
hydrat, Fett) freigelegt und so der Verdauung
überliefert. Im Uebrigen beschränkt sich der
Werth und die Bedeutung der Cellulose und
der aus derselben der Hauptsache nach be¬
stehenden Rohfaser darauf, den pflanzlichen
Futtermitteln ein grösseres Volumen zu ver¬
leihen, die den Verdauungssäften dargebotene
Angriffsfläche zu vergrössem und so indirect
eine bessere Verdauung und Ausnützung der
Futtermittel zu begünstigen. Man vermischt
deshalb absichtlich zu concentrirte Futter¬
mittel mit voluminösen, rohfaserreichen Sub¬
stanzen (Strohhäcksel u. dgl.). Pott.
Cel8U8 Aurelius Cornelius schrieb unter
Kaiser Tiberius ein encyklopädisches Werk
über Heilkunde, Ackerbau und Thierheil¬
kunde. Sommer .
Celtisohes Pferd, s. Englisches, irisches
und schottisches Pferd.
Cement (Zahnkitt, subst. osteoidea, cae-
mentum, cortex osseus, crusta petro so). Das
Cement ist seiner chemischen und histologi¬
schen Beschaffenheit nach echte Knochensub-
stauz, und besitzt demnach Knochenzellen,
welche in sog. Knochenhöhlen liegen, letztere
sind meist gross und mit einer grossen Zahl
Kalkcanälchen zur Anastomose versehen. Da¬
gegen sind Havers’sche Canäle (Gefässröhren)
spärlich vertreten; ausserdem anastomosiren
die Kalkcanälchen und die in denselben vor¬
handenen Ausläufer der Knochenzellen auch
mit den Zahnbeinröhrchen (s. Dentin). Die
Cementsubstanz findet sich an menschlichen
Zähnen und denen der Carnivoren (schmelz¬
höckerige Zähne) nur als dünner Ueberzug
der Zahnwurzeln; bei schmelzfaltigen und
zusammengesetzten Zähnen ist Cement auch
als dicke Lage auf und zwischen den Zahn¬
kronen, resp. ihren Buchten vorhanden und
verkittet die Einzelzähnchen. Kitt.
Cementation nennt man das Verfahren,
welches angewendet wird, um Metalle durch
Erhitzen mit pulverförmigen Körpern, den
sogenannten Cementirpulvern, auf ihrer Ober¬
fläche, oder in der ganzen Masse chemisch
zu verändern. Bekanntlich ist das Stabeisen
an Kohlenstoff ärmer als der Stahl; um nun
aus Stabeisen Ceinentstahl zu bereiten, bringt
man das erstere in flachen Stäben mit Holz¬
kohlenpulver in aus feuerfestem Thon ange¬
fertigte Gefässe und setzt sie mehrere Tage
lang der Rothglühhitze aus, wobei das Stab¬
eisen von aussen nach innen zu langsam
Kohlenstoff aufnimmt. Wird Kupfer mit Zink¬
erzen cementirt, so verwandelt es sich an
der Oberfläche durch Aufnahme von Zink in
Messing. Schmiede Überziehen schmiedeiseme
Wagenachsen mit einer Stahldecke durch
Glühen der Asche-in Kästen mit Blutlaugensalz,
Leder, Hornschnitzen und anderen thierischen
Substanzen. In diesem Falle sind es die aus
diesen Stoffen entstehenden Cyanverbindungen,
welche ihren Kohlenstoff an das glühende
Eisen abgeben. Loebisch.
cenchroü, die lateinische Form für das
griech. 6 und yj xeyypos, Hirse; das
Adjectiv cenchrodes für aas griech. xsyypiooYj;
oder xey)rpost8vjs, hirsekornartig, hirsekorn¬
gross. Sussdorf.
Centaurea iaoea L. Gemeine Flocken¬
blume. Perennirende Pflanze aus der Familie
der Compositen. Stengel 30—100 cm hoch,
verästelt. Blätter lanzettlich, untere fieder-
spaltig oder entfernt buchtig oder ganz-
randig. Hüllblätter gewölbt, rundlich eiförmig,
unzertheilt oder zerrissen oder kammförmig ge¬
franst. Blüthchen pfirsichblüthenroth. Scliliess-
früchtchen ohne Federkrone. Blüthe: Juni bis
October. Diese Pflanze ist auf Wiesen sehr
verbreitet, vermehrt die Heumenge, wird aber
vom Vieh nicht gefressen. Zur Vertilgung ist
das Ausstechen nothwendig; Bewässerung
macht sie verschwinden. v. Liebenberg.
Centaurium minus, Herba Centaurii mi-
noris, Tausendgüldenkraut, eine bittere Gen-
tianee (s. die heutige botanische Bezeichnung
Erythraea Centaurium). Vogel.
Centaurus, 6 xevtaopoe (wahrscheinlich
von 6 xaöpo«; und xevtsü», Stierstecher), ein
wilder thessalischer Volksstamra, der in einem
Kampfe mit den benachbarten Lapithen un¬
terging. Nach späterer Fabel waren die Ken¬
tauren zweigestaltige Ungeheuer, halb Mensch,
halb Ross. Der wichtigste unter ihnen war
Kentaure Cheiron. Sussdorf.
Centigramma (abgel. von centum, hun¬
dert, und to Ypapifjia, eigentlich das Einge¬
grabene) = der hundertste Theil eines Gram-
CENTIMETRUM. —
mes. Es wird in der Receptur mit 0*01 be¬
zeichnet (s. Medicinalgewicht). Sussdorf,
Centimetrum (abgel. von centum und
x b pitpov, Mass), d. i. der hundertste Theil
eines Meters (s. d.). Sussdorf.
CentipelNo (abgel. v. centum und pellis, f.,
Fell), schon bei Plinius für den dritten Magen
der Wiederkäuer, den Psalter, wegen seiner
blätterigen Einrichtung gebraucht. Sussdorf.
centradiaphanes (latinisirte Ableitung von
tö xsvtpov, die Mitte, a priv. und foacpav-qs,
durchsichtig), in der Mitte undurchsichtig. Sf
Centralbewegung ist diejenige Bewegung,
welche durch eine gegen einen unveränder¬
lichen Mittelpunkt gerichtete Kraft bestimmt
wird. Es wirke in der Figur 383 auf den Kör¬
per a eine Kraft in der Form eines einmaligen
Stosses so ein, dass er dadurch in einer be¬
stimmten Zeit, z. B. in einer Secunde, in der
Richtung von a b bis b fortgetrieben werden
musste; gleichzeitig stehe er aber unter der
continuirlichen Einwirkung einer anderen Kraft,
welche ihn nach dem Punkte c, u. zw. mit
solcher Intensität hinziehe, dass er ihr allein
folgend in derselben Zeit, wie von ab nach
ac gelangen müsste. Daraus ist leicht er¬
sichtlich, dass sich der Körper a weder in
der Richtung ab, noch in der Richtung ac
fortbewegen kann, sondern dass er einer mitt¬
leren Richtung folgen muss, bei welcher der
Einwirkung beider Kräfte nach Verhältniss
ihrer Intensität Rechnung getragen wird.
Diese mittlere Richtung ergibt sich, wenn man
aus a b und a c das Parallelogramm a b c d
constrnirt und die Diagonale a d zieht, welche
die wirkliche Bewegung des Körpers reprä-
sentirt. Ist der Körper aber in d angelangt,
so wird er dem Gesetz der Trägheit zufolge
durch den anfänglichen Stoss von d nach e,
wenn Kraft m nicht vorhanden, und von d
CENTRALCANAL. 127
nach f gehen, wenn bloss Kraft m vorhanden:
es resultirt also in Wirklichkeit die Diagonal¬
bewegung d bis g. Auf gleiche Weise ergeben
sich die Diagonalbewegungen g h, hi, i k
u. s. w., wobei aber angenommen wird, dass
die nach c hinziehende Kraft nicht ununter¬
brochen oder stetig, sondern in kleinen Inter¬
vallen in a, d, g, h etc. stoss weise wirkt. Wenn
nun die nach m hin wirkende Kraft stetig
wird, was wir betrachten können als unend¬
lich rasche Aufeinanderfolge von Stössen, so
entsteht eine krumme Linie in der Form des
Umfanges eines Polygons von einer unendlich
grossen Anzahl unendlich kleiner Seiten. Aus
der Betrachtung der Figur ist leicht nachzu¬
weisen, dass die Flächeninhalte der Dreiecke
a m d, m d g etc. einander gleich sind und
daraus folgt als allgemeines für die Central¬
bewegung geltendes Gesetz: in gleichen Zeiten
beschreibt der Leitstrahl (Radius vector)
(a m in der Figur) gleiche Flächenräume.
In der Mechanik heisst dieses Gesetz „Princip
der Erhaltung der Flächen“. Eine Kraft,
welche stets durch denselben festen Punkt
gerichtet ist, ertheilt einem freien Punkte,
dessen Bewegungsrichtung mit der Richtung
der Kraft einen Winkel bildet, eine Centrai-
bewegung und heisst Centralkraft. Beschreibt
der bewegliche Punkt hiebei einen Kreis, so
entsteht eine kreisförmige Centralbewegung.
Bei derselben wirken nach entgegengesetzter
Richtung zwei gleiche Kräfte, welche sich
gegenseitig aufheben: die Centripetalkraft
nach dem Mittelpunkte, durch welche das
Bewegliche auf den Umfang des Kreises er¬
halten wird, und die Centrifugalkraft (Flieh-
Schwungkraft). Diese ist der Widerstand des
bewegten Punktes gegen die stetige Aenderung
seiner Richtung. Ist das Bewegliche an einem
Faden befestigt, so wird derselbe gespannt.
Die Spannung beweist, dass Centripetal- und
Centrifugalkraft einander gleich sind. Um die
Gesetze der kreisförmigen Centralbewegung
durch den Versuch kennen zu lernen, bedient
man sich der Schwung- oder Ccntrifiigal-
maschine. Die Bewegung der Planeten um
die Sonne ist eine Centralbewegung. Die Ab¬
plattung der Erde und die Abnahme der
Schwere von den Polen gegen den Aequator
sind die Folgen der durch die Achsendrehung
der Erde hervorgerufenen Centrifugalkraft.
Die Abplattung beträgt 1:300, d. h. die
Differenz zwischen dem grossen und dem kleinen
Durchmesser verhält sich zum grossen wie
{ : 300. Eine solche centrale Bewegung mit
Zieh- und Fliehkraft ist auch bei Thieren zu
beobachten, die bei schneller Bewegung und
erhöhter Gangart kleinere Kreise zu durch¬
laufen haben, wie im Circus, der Kunstreiterei
und den Reitschulen. Ableitner.
Centralcanal des Rückenmarks nennt
man den engen, von cylindrischem Flimmer-
epithelium ausgekleideten und von einer
dickeren Lage Ependyms (Substantia gelati-
nosa centralis, Virchow's centralem Ependym-
faden) umscheideten Canal, welcher das
Rückenmark im Anschluss an die flirnkam-
mem vom vorderen bis zum hinteren Ende
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128 CENTRALISATION. — CENTRALNERVENSYSTEM.
durchzieht Er stellt einen Lymphraum dar,
der sich als Ueberrest des weit grösseren
Canales des Medullarrohres aus der Embryo¬
nalzeit erhält. Sussdorf.
Centralisation im physiologischen Sinne
ist das Verhältniss der Subordination ein¬
zelner Theile des Körpers unter ein gemein¬
sames leitendes Princip, dessen Sitz ein Cen¬
tralorgan, und das ist bei allen weiter ent¬
wickelten Thieren das centrale Nervensystem,
darstellt. Ihrem Grade nach ist die Centra-
lisation eine sehr verschiedene in der Thier¬
reihe ; sie hängt namentlich von der Zahl der
Organe ab, welche dem Centralorgane unter¬
stellt sind, wie auch von der Grösse des
Einflusses, den dasselbe auf deren Thätigkeit
ausübt. Die höchste Centralisation ist in
den Vögeln und Säugethieren gegeben, am
wenigsten ist dieselbe dagegen in system¬
losen Individuen, wie Coelenteraten etc., ent¬
wickelt. Sussdorf.
Centrainervensystem. Die Anatomie un¬
terscheidet ein centrales und peripheres
Nervensystem. Das centrale Nervensystem hat
seinen Sitz in dem Gehirn und Rückenmark,
sowie in den Nervenganglien (Nervenknoten),
welche dem Verlaufe der Nerven eingeschaltet
sind. Anatomisch ist dasselbe charakterisirt
durch das Vorhandensein von Ganglienzellen,
welche mit sämmtlichen Theilen des thierischen
Körpers durch Ausläufer (Nervenfasern, deren
Summe das periphere Nervensystem darstellt)
in Verbindung stehen. Es finden sich deshalb
auch in den sog. Nervencentralorganen Nerven¬
fasern vor, die, bevor sie zu den peripheren
Theilen ziehen, meist eine Strecke weit die
sog. Nervencentralorgane durchsetzen. Diese
centralen Gebilde (Nervenzellen) stehen auch
untereinander in Verbindung, eine für die
Physiologie der Nervencentralorgane sehr
wichtige Thatsache. Diese Verbindungen der
Nervencentren werden theils durch sich ver¬
zweigende und unpaarig zusammentretende
feinste Fäserchen, welche von den Fortsätzen
(Protoplasmafortsätze) der Nervenzellen ent¬
springen, vermittelt, theils existiren innerhalb
der Centralorgane eigene diesem Zwecke die¬
nende Nervenfasern, welche von Nervenkern
zu Nervenkern ziehen. Man pflegt solcher in¬
tercentraler Nervenfasern drei verschiedene
Arten zu unterscheiden. Die sog. Commissur-
fasern verbinden bilateral symmetrische Punkte
miteinander; die sog. Associationsfasern ver¬
knüpfen verschiedene Centra eines und der¬
selben Hälfte des Centralnervensystems, ins¬
besondere eines bestimmten Theiles der Centrai¬
nervenorgane; die „Projectionsfasern“ endlich
bringen die Centra der Grosshirnrinde mit
solchen in Zusammenhang, welche an anderen
Stellen des centralen Nervensystemes gelegen
sind. — Die Nervenzellen bilden mit dem sie
aufnehmenden bindegewebigen Gerüste (Neu-
roglia) und den darin verkehrenden Gelassen
die graue Substanz (substantia cinerea) des
Nervensystems. Dieselbe ist an dem Gehirn
theils peripher, also in der Rinde gelagert
(„peripheres“ oder „Rindengrau“), theils findet
sie sich in der Umgebung der sog. Kammer¬
räume, also mehr im Centrum des Organes
(„centrales“ oder „Höhlengrau“). Am Rücken¬
mark tritt nur die letztere Anordnungsweise
auf. Fasern dagegen, welche nebst den sie
beherbergenden Gerüsten und den Gefässen
die weisse Masse (substantia medullaris) com-
poniren, nehmen in letzterem Organe die
Rindenschicht ein, während sie im Gehirn
mehr central, oft aber hier wie dort die
graue Substanz zerklüftend, angebracht sind.
Das Centralnervensystem ist zur Hauptsache
in die sog. Animalhöhlen des Körpers ein¬
gelagert, das Gehirn in diejenige des Kopfes
(Schädelhöhle), das Rückenmark in diejenige
des Rumpfes (Rückenmarkscanal). Eine An¬
zahl centraler Nervengebilde findet sich auch
im Bereiche der Visceralhöhlen vor, theils frei
und nur durch Fäden verknüpft (Knoten des
sympathischen Grenzstranges), theils in die
Viscera selbst eingefügt (Ganglienzellen des
Herzens, der Lunge, des Magens und Darm-
canales etc.). Die ganze letztere Gruppe hat
man vielfach als periphere Ganglien den
ersteren als centrales und auch als Ganglien-,
sympathisches oder vegetatives Nervensystem
dem Cerebrospinal' oder animalen Nerven¬
system gegenübergestellt. Die physiologische
Unterscheidungsweise, welche durch den Namen
vegetatives, resp.' animales Nervensystem ge¬
geben ist, wird durch die der älteren Physio¬
logie entstammende Anschauung begründet,
dass das erstere insbesondere den Vegetativ¬
vorgängen, also den Vorgängen der Ernährung
und Absonderung, das letztere denjenigen der
geistigen und Sinnesthätigkeit und der will¬
kürlichen Bewegung als den allein dem Thiere
zukommenden Processen vorstehe — eine An¬
schauung, die dem Standpunkte der heutigen
Physiologie nicht mehr ganz entspricht, da
zahlreiche Verbindungen zwischen „beiden“
Nervensystemen nachgewiesen sind und da es
vor allem auch nicht an Thatsachen fehlt,
welche das Eingreifen des cerebrospinalen Ner¬
vensystems in die Vorgänge des „vegetativen“
Lebens zur Evidenz ergeben. — Physiologisch
erweist sich das centrale Nervensystem in
erster Linie als ein Centralorgan in des Wortes
strengster Bedeutung, gegenüber welchem
sämmtliche Apparate und Functionen des
Thierorganismus in einem Verhältnisse der
Abhängigkeit, resp. Subordination stehen. Es
ermöglicht und vermittelt dabei entweder die
Thätigkeit der betreffenden Organe oder es
greift nur in die Art und den Grad der Aus¬
führung der Einzelprocesse ein, modificirt sie,
steigert sie oder drückt sie herab. Diese
Thätigkeit des centralen Nervensystems ist
entweder eine automatische, d. h. (scheinbar)
ohne äussere AnregungenzuStande kommende,
oder sie ist der Erfolg gewisser auf sie über¬
tragener Reize und wird dann zu einer Reaction
auf die gegebene Anregung hin; der so von
ihr ausgelöste Vorgang heisst ein reflec-
torischer Vorgang oder Reflex. Das centrale
Nervensystem ist fernerhin der Sitz der see¬
lischen und geistigen Thätigkeiten; in ihm
kommen die sinnlichen Wahrnehmungen zum
Bewusstsein, von ihm gehen alle Willens-
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CENTRALORGANE. — CENTRIFÜGALVERF ÄHREN.
129
impnlse. vor allem die willkürlichenBe wegungen
aus. Schliesslich influencirt und beherrscht es
die Ernährungsvorgänge vielleicht zahlreicher
oder aller Gewebe, sicher jedenfalls diejenigen
der von ihm ausgehenden Nerven (trophische
Centra). Alle diese Vorgänge sind auf ein¬
zelne Ganglienzellengruppen oder Centra ver¬
theilt, keinem derselben liegen verschieden¬
artige Functionen ob. Die Thätigkeit der ein¬
zelnen Centra*ist dabei entweder eine ganz
vorübergehende oder eine dauernde (tonische),
oder eine intermittirende periodische, sogar
in regelmässigem Rhythmus erfolgende (rhyth¬
mische). Die Schilderung der Nervencentral-
organe s. Nervensystem. Sussdorf.
Centralorgane nennen wir 1. diejenigen
Organe, welche durch ihre weitgehenden Ver¬
bindungen mit allen einzelnen Organen und
Theilen des Körpers den Ablauf aller Einzel¬
acte und Functionen beeinflussen und dadurch
deren harmonisches Ineinandergreifen ver¬
mitteln. In den Centralorganen dieser Art
findet deshalb eine gewisse Centralisation,
d. h. Subordination zahlreicher Processe unter
ein gemeinsames leitendes Princip statt. Cen¬
tralorgan in diesem Sinne ist einzig das cen¬
trale Nervensystem. 2. Centralorgane nennen
wir aber auch diejenigen Organe, welche den
Mittelpunkt eines Apparates und damit den
Hauptsitz von dessen Thätigkeit darstellen.
Die Lunge z. B. ist das Centralorgan des
Respirationsapparates, weil sich in ihr der Gas¬
austausch zwischen Blut und atmosphärischer
Luft vollzieht; das Herz ferner ist das Central¬
organ des Circulationsapparates, weil es durch
seine Thätigkeit fort und fort die Ursache
für die Strombewegung des Blutes schafft etc. Sf.
Centrifugalaufrahmung, s. Aufrahmungs¬
theorie.
Centrifugalverfahren in der Milchwirth-
schaft. Dasselbe hat sich in den letzten Jahren
in sehr grosser Ausdehnung im milchwirth-
schaftlichcn Betriebe eingebürgert. Gegen¬
wärtig stehen mehr als 5000 Centrifugen zur
Milch entrahmung im praktischen Betrieb.
Nachdem schon im Jahre 1859 der Professor
der Veterinärmedicin, Medicinalrath Fuchs in
Karlsruhe, einen Centrifugalapparat zur Rahm¬
ausscheidung für die Milchprüfung construirt
hatte und Professor Prantl im Jahre 1864
einen solchen für die Milchverarbeitung zur
Rahmgewinnung zur Ausstellung brachte, ge¬
lang es zuerst dem deutschen Ingenieur Leh-
feldt in Schöningen, brauchbare Milchcentri-
fugen för die Milchwirthschaft herzustellen
(im Jahre 1877). Gegenwärtig besitzen wir für
das Milchcentrifugiren zum Zwecke der Rahm¬
gewinnung ganz vortreffliche Apparate, welche
zur vollen Zufriedenheit der Besitzer arbeiten.
Am bekanntesten sind ausser der Lehfeldt’schen
Centrifugc (Modell 1883) die von de Laval
(Fig. 384 u. 385), dann die Nielsen-Petersen’sche
oder dänische von Burmeister und Wain in Ko¬
penhagen. Bei jeder dieser Milchcentrifugen
wird in einer zur raschen Rotation befähigten
Metalltrommel in Folge ungemein zahlreicher
Umdrehungen (bis zu 6000mal in derMinute > die
in continuirlichem Strahl zufliessende Milch
Ko eh. Eucjklopädie d. Thierheilkd. 11. Bd.
mittelst der Centrifugalkraft in Rahm und Ma¬
germilch geschieden und diese durch besondere
Vorrichtungen gesondert zum Abfluss gebracht.
Die Vortheile, welche dieses neueste Ent-
Fig. 384. Separator von de Lava). (Bergendorfer Eisen¬
werk bei Hamburg).
rahmungsverfahren bietet, sind ganz eminente:
Die Forderung an ein gutes Entrahmungsver¬
fahren, Milch, Rahm und Magermilch während
der Ausrahmung vollkommen süss zu erhal¬
ten, wird hiermit am vollkommensten erfüllt;
die Milch kann unmittelbar nach dem Melken
— noch kuhwarm — sofort und direct der
vollkommensten Entrahmung unterworfen
werden; es geschieht dies in der denkbar
kürzesten Zeit; die Leistungsfähigkeit geht
so weit, dass eine Maschine bereits 1000 1 in
einer Stunde auszurahmen vermag; es kann
mit den neuesten Maschinen jede beliebige
Höhe der Entrahmung erreicht werden und
ist die Ausrahmungsgrösse auch während des
Ganges der Centrifugen zureguliren; die er¬
haltene Magermilch hat bei der vollständigen
Entrahmung nur noch 0’1% Fett, während
sie bei früheren Methoden noch mindestens
0*5% Fett enthält: daher rührt die beob¬
achtete höhere Butterausbeute von mindestens
10%; die Maschinen arbeiten continuirlich
mit verhältnissmüssig wenig Kraftaufwand:
sie existiven bereits für Göpelbetrieb, so dass
ein Pferd schon ausreicht, die Centrifugc so¬
wohl als gleichzeitig das Butterwerk zu ver-
9
130
CENTRIFÜGENMILCH. - CEPHAfiLIS 1PECACUANHAE.
sehen; bei den kleineren Maschinen ist schon
* eine halbe Pferdekraft für den Betrieb aus¬
reichend. Die Maschinen sind solid, haltbar
gebaut, bedürfen selten der Reparatur, sind
leicht zu handhaben, sicher und gefahrlos,
gut und schnell zu reinigen, machen sehr
f eringe Ansprüche an Raumbedarf und sonstige
Irfordernisse, wie Wasser, Eis und Geschirr.
— Die Milchausrahmung ist für Milch-
Fig 385. Separator von de Laval im Durchschnitte. A Trom¬
mel, a Milchzulanfgeftss, BC Raum für Magermilch und
Rahm, b Ablaufrohre, welche die Magermilch durch die Oeff-
nung c zum Abflüsse bringt, C Ablauf für den Rahm, 1 m n o
Trommelwelle, k Scheibe lür den Triebriemen, D Gestelle.
wirthschaften, die grosse Mengen Milch ver¬
arbeiten müssen, die einfachste, vollkommenste,
sicherste und billigste. Die erhaltenenProducte
sind stets vollkommen süss und unverdorben,
daher haltbarer und brauchbarer sowohl für
die Buttergewinnung aus dem Rahm, als für
die Verkäsung und anderweitige Verwerthung
der Magermilch. Feser.
Centrifugenmilch. Milch, welche mittelst
einer Centrifuge oder eines sog. „Separators“
entsahnt worden ist. Dieselbe dient wie andere
sog. Magermilch zum Füttern des land¬
wirtschaftlichen Nutzviehes, besonders der
Kälber. Pott. .
Centrifugenrückstände bei der Rüben¬
zuckerfabrikation. Die bei der Rüben¬
zuckergewinnung durch Ausschleudern des
Saftes in Centrifugentrommeln verbleibenden
Rückstände. Bezüglich ihrer chemischen Zusam¬
mensetzung stehen sie nahezu in der Mitte
zwischen den sog. Diffusionsrückständen
(s. d.) und den Zuckerrübenpresslingen (s. d).
Sie enthalten:
15*0—18*0 im Mittel 16*0% Trockensubstanz
0*9— 1*0 „ „ 0*9 „ Protein
— — „ 0*1 „ Fett
4*3—12*4 „ „ 10*7 „ Stickstofffr. Kxtractstoffe
2*6—3*9 „ ., 3*1,, Holzfaser
— — „ „ 1*2 „ Asche
In Betreff ihrer Verfütterung und Con-
servirung gilt das bei den Diffusions¬
und Pressrückständen Gesagte. Sie kommen
übrigens in neuerer Zeit immer seltener vor,
weil die meisten Zuckerfabriken zu dem sog.
Diffusionsverfahren übergegangen sind oder
den Rübenzucker durch Auspressen des Rüben
breies gewinnen. Pott.
Centro8teo8Clero$i$ (latinisirte Ableitung
von xo xevtpov, ooxeov, Knochen, und
oxXripo«;, hart, fest), die Centralosteosklerose
= östeosclerosis centralis. Sussdorf.
Cephaelfe Ipecacuanhae, Brechwurzel,
Brechwurz, brechenerregende Kopfbeere, ein
Halbstrauch Brasiliens aus der Familie der
Rubiaceen (Coffeaceae) L. V. 1., deren Wurzel
ein berühmtes Arzneimittel ist. Die Drogue
besteht aus den verdickten Mitteltheilen der
Wurzelfasern und bildet mehrere Zoll lange,
nach oben und unten verschmälerte, wurm-
förmig gekrümmte Stücke, welche durch feine
Längsstreifen und kreisförmige, in kurzen Ab¬
ständen von 1 mm, aufeinander folgende
Wülste ausgezeichnet sind und weissgraue
Farbe haben sollen. Geschmack ekelhaft
bitter. Die unter dem Namen
Radix Ipecacuanhae überall offici-
nelle Wurzel (Fig. 386) enthält das sehr giftige
Alkaloid Emetin, dem die Brechwirkung zu¬
kommt, das aber für sich allein auch Purgir-
mittel ist, während die Wurzel selbst zwar
ebenfalls Emeticum ist, aber keine Diarrhöe
erzeugt, sondern im Gegentheil diese sogar hebt,
und deswegen auch als Ruhrmittel bekannt
ist. Rutherford hat das Wurzelpulver bei
Hunden direct in den Darm eingeführt und
wohl eine stärkere Injection der Schleimhaut,
nicht aber Abführen hervorgerufen. Der Grund
des antidiarrhoeischen Effectes ist in dem
Gehalte an glykosidischer Ipecacuanha-
gerbsäure und Amylum gelegen. Das Er¬
brechen durch Emetin, welches heftige Rei¬
zung und selbst Entzündung der Schleimhäute
(ganz ähnlich wie der Tartarus emeticus) er¬
regt, erfolgt wahrscheinlich in Folge Reizung
der Magennerven reflectorisch, jedoch nicht
immer sicher, wie die Einwirkung auf den
Darm ebenfalls; man gibt daher bei Menschen
und Thieren den Ipecacuanhabrechpulvem
immer etwas Brechweinstein bei; man kann
sich bei Diarrhöen auch nicht ganz auf die sto¬
pfende Wirkung verlassen, es wäre denn, dass
man ihnen als Unterstützungsmittel Opium (ge¬
wöhnlich das Dowerische Pulver) beigibt. Das
theure Emetin selbst wird nicht für sich allein
angewendet und tödtet Katzen schon zu 2,
CEPHALE.
131
Hunde zu 20—30 cg durch Kräfteverfall und
Gastroenteritis.
Als Brechmittel wirkt Pulvis Rad.
Ipecac. nur in grossen Gaben, denn kleine
veranlassen blos Würgen und Ekel (Nau-
seosum); dabei bleibt es sich gleich, ob man
sie per os oder subcutan reicht, der Brech¬
weinstein dagegen wirkt viel stärker, behelligt
aber auch mehr die Thiere, deswegen bemerkt
Fig. 386. Echte Ipec&caanha-Pflaiue and Wnrzel.
man auch trotz heftigen Erbrechens durch
die Wurzel keine Collapserscheinungen und
gewöhnlich auch kein Durchschlagen nach
hinten. Wo man daher nur eine Eutleerung
des Magens, nicht aber auch des Darmes
wünscht, wie z. B. bei Vergiftungen, wird
das Mittel für sich allein gegeben, gegen¬
wärtig aber das viel sicherere Apomorphin
vorgezogen. Dosis: Schwein 1 * 0—2 *5, grosse
Hunde ebensoviel, kleine 0*5—1*0 entweder
mit lauwarmem Wasser verschüttelt oder als
Pulver mit ebensoviel Amylum, dass das Mittel
besser auf der Magenschleimhaut verschmiert.
Man verschreibt stets mehrere der obigen
Gaben (2—3) und gibt diese bei zögernder
Wirkung nach 10—15 Minuten nach. "Reines
Emetin gibt man zu 4—8 mg als Pulver oder
in Losung.
Als Brustmittel findet die Brechwurz
ebenfalls Anwendung und es ist festgestellt,
dass kleine Gaben ebenso sicher die Secre-
tion der Bronchialschleimhäute anregen, die
Ezpectoration befördern, als grosse Hyperämie
und Bronchitis erzeugen; es scheint daher,
dass das Emetin bestimmte Beziehungen zu
den Athmungs- und Digestionsschleimhäuten
hat, die jedoch nicht näher bekannt sind,
immer ist aber auch liier der Schlusseffect
ein nicht ganz zuverlässiger; wo es sich daher
besonders um Verflüssigung zäher Schleim¬
massen in den Luftröhrenastverzweigungen
handelt, zieht man gegenwärtig das posi¬
tivere Apomorphin oder Pilocarpin vor, welche
in ganz kurzer Zeit eine sehr reichliche Ab¬
sonderung dünnen, serösen Schleimes zur
Folge haben, während die expectorirende
Brechwurzwirkung wahrscheinlich nur in Er¬
regung von Husten besteht. Jedenfalls passen
die genannten Mittel nur bei Brustaffectionen
mit spärlichem Secret (wie das Atropin* bei
zu reichlichem), und dürfen sie dann auch in
dem fieberhaften Stadium zur Anwendung ge¬
langen. Am zweckmässigsten ist hier der Auf¬
guss der Wurzel und verschreibt man, um
kein Erbrechen aufkommen zu lassen, nur
leichte Dosen, 1:150—200, stündlich einen
Kaffee- oder Esslöffel voll, mit süssen Mitteln,
Malzextract, Salmiak, Anis u. s. w.
Gegen Diarrhöen verfahrt man in ähn¬
licher Weise, zieht aber etwas grössere Dosen
vor, denen man Opium zusetzt. Dosis 0*5
bis 1*0 auf 100*0 leichten Fenchelthee, den
man ebenso gut klystieren, als in Verbindung
mit Gummi oder Amylum, Opiumtinctur u. dgl.
gebeu kann.
Syrupus Ipecacuanhae ist in der
Hundepraxis gerne benützt und leicht beizu¬
bringen. Die Ipecacuanha ist hier zu 1% ver¬
treten. Als Brechmittel reicht man es zu
einem Esslöffel voll (besser Brechwein), bei
Brustleiden und als stopfendes Mittel setzt
man es anderen geeigneten Mitteln, Mix¬
turen, bei.
Tinctura Ipecacuanhae (1:10). Als
Brechmittel verschreibt man 15 g und gibt sie
theelöffelweise bis zur Wirkung. Desgleichen
gibt man
Vinum Ipecacuanhae (1:10 Xeres)
zu 10—20 Tropfen als Expectorans oder bei
Durchfällen und als Brechmittel für schwache
Individuen theelöffelweise. Gegen zu starkes
Erbrechen (Hyperemese) leisten Gerbsäure,
Chloralhydrat oder etwas mit Eis abgekühlter
Rothwein gute Dienste. Vogel.
Cephale, die lat. Form des griech. kephale
(•?} xs<paXirj, von dem hebr. käphäph, krümmen,
beugen, rund, hohl machen [?]), der Kopf, das
Haupt etc., wird in vielfachen medicinisch
gebräuchlichen Zusammensetzungen getroffen;
so spricht die Anatomie von einem Encepha-
lum, Gehirn, Vena cephalica, Bugader, grosse
innere Hautvene (s. Blutgefässe), die ihren
Namen von dem arabischen Al-kifnl oder Al-
köfäl, zum Kopf gehörig, weil bei Kopf leiden
zum Aderlässen benützt, ableitet. Die Patho¬
logie kennt u. A.:
Cephalaemia (von xrpaXVj und xo a:piai
Blut), die Blutüberfüllung des Kopfes.
Cephalitis (von x$<paX^ und Endung
itis), die Kopf- und Gehirnentzündung = En¬
cephalitis.
Cephaloedema (von xs<paXtj und xo
otSyjiia, Wassergeschwulst), ödematöse Kopf-
gescnwulst, äusserer Wasserkopf.
9*
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13t CEPHALOPODEN.
Cephalophyma (von xeqpaX^, und xb
cpöfia, Geschwulst), Kopfgeschwnlst.
Cephalopyosis (von xefcu-iq und
xüu)3i<;, Eiterung), Kopfabscess, Eiterung am
oder im Kopfe. Sussdorf.
Cephalopoden, Cephalopoda von xe^aXV)
Kopf und irooc Fuss, KopffÜsser. Höchste
Classe des Typus der Mollusken. Die Cepha¬
lopoden sind Weichthiere mit deutlich geson¬
dertem Kopf, der zwei grosse seitliche Augen und
eine Anzahl die Mundöffnung umstehende, meist
mit Saugnäpfen versehene Arme trägt. Der Fuss
stellt einen durchbohrten Trichter dar, durch
welchen einestheils das verbrauchte Athem-
wasscr ausgestossen wird, anderenteils der
After und die Geschlechtsorgane ausmünden.
Der meist kegelförmige Mantel umschliesst
eine Athemhöhle, in welcher die Kiemen ge¬
legen sind. Der Mantel kann eine äussere,
oft spiralgerollte und gekammerte Kalk¬
schale ausscheiden oder eine innere Kalk¬
oder Horaschale. Die Cephalopoden sind ge¬
trennten Geschlechts und leben im Meere. Der
Kumpf dieser Thiere erscheint in der Längs¬
achse bedeutend verkürzt, so dass die After¬
öffnung und diejenige der Athemhöhle, welche
das hintere Körperende bezeichnen, nahe der
Mundöffnung zu liegen kommen, dafür ist die
Rückenfläche bedeutend erhaben, meist kegel¬
förmig und umhüllt von dem sackförmigen
Mantel. Die Arme, welche in bilateraler An¬
ordnung den Mund umstehen, entsprechen den
Kopfsegeln anderer Mollusken (nach Leuckart),
nach der Auffassung Huxley's dem vorderen
Abschnitt des Fusses. Sie sind in der Zahl von
acht vorhanden und tragen an ihrer, dem
Munde zugekehrten Seite Saugnäpfe, deren mus¬
kulöse Scheibe noch durch Haken, die sich
von ihrem Centrum aus erheben (Onychotheutis)
oder durch Horazähne, die ihren Rand um¬
geben, verstärkt sein kann. Innerhalb des
Kranzes von Armen können noch zwei lange,
bald mehr, bald weniger in Scheiden zurück-
ziehbare Fangarme auftreten, welche nur an
ihrem verbreiteten Ende Saugnäpfe tragen
(Decapoda). Bei der Gattung Nautilus sind
an Stelle der Arme acht Gruppen von cylin-
drischen, einziehbaren Tentakeln vorhanden.
Der Mantel, welcher den hohen Dorsaltheil des
Körpers umschliesst, bildet nach hinten, wo
er sich von der Körperhaut abhebt, eine Höhle,
die Athemhöhle, in der die vier (Tetrabran-
chiata) oder zwei (Dibranchiata) Kiemen liegen.
Der Eingang in diese Höhle wird vermittelt
durch zwei seitlich vom Kopfe gelegene spalt¬
artige Oeffnungen, der Ausgang für das ver¬
brauchte Athemwasser durch den trichterartig
durchbohrten Fuss. Der Mantel kann eine in¬
nere oder eine äussere Schale absondern. Die
innere Schale entwickelt sich in einer beson¬
deren Rückentasche des Mantels und stellt
entweder eine flache, federförmige oder lanzett¬
förmige Platte dar, die aus einer biegsamen
Hornsubstanz (Conchyolin) besteht, oder ein
spongiöses, von Kalksalzen erfülltes platten¬
artiges Gebilde (Os sepiae) darstellt. Die äussere
schale ist entweder dünn und kahnförmig
(Argonauta) oder dick, spiral aufgerollt in
einer Ebene oder aufsteigend oder gerade;
ihr Hohlraum durch Querwände in eine Reihe
hintereinander liegender Kammern getheilt.
Die weiteste, vorderste Kammer dient dann
zur Aufnahme des Thierkörpers, die folgenden
sind mit Luft gefüllt und stellen einen hydro¬
statischen Apparat dar. Durch sämmtliche
Kammern zieht sich eine röhrenförmige Ver¬
längerung des Thierkörpers, der Sypho. Solche
Schalen bieten die lebenden Nautilus, die fos¬
silen Ammoniten, Orthoceras etc. etc. Der
Trichter erhebt sich an der Bauchseite des
Rumpfes aus der breiten Mantelspalte und er¬
scheint als eine cylindrische, nach vorn ver¬
engerte, bei Nautilus nach hinten gespaltene
Röhre, welche mit ihrer breiten Basis in der
Mantelhöhle beginnt und von hier das durch
die Mantelspalte ein gedrungene Athemwasser
und die Excremente und Geschlechtsproducte
nach aussen entfernt.
Die innere Organisation zeigt eine hohe
Stufe der Entwicklung. Das Nervensystem
zeichnet sich durch Concentration und Grösse
seiner Ganglien aus. Die drei für die Mol¬
lusken charakteristischen Gangliengruppen
bilden eine vom Oesophagus durchwachsene
Masse, welche von einem inneren Knorpel,
dem Kopfknorpel, umschlossen wird. Es lässt
sich eine suprapharyngeale Partie unter¬
scheiden, von der die starken Augennerven
zu den beiden mächtigen, seitlich am Kopfe
stehenden Augen abgehen, und eine subpha¬
ryngeale Partie, die wieder in einen vorderen
und hinteren Abschnitt, beide durch Cora-
missuren mit den suprapharyngealen Gang¬
lien verbunden, zerfällt: der vordere Abschnitt
gibt die Nerven zu den Armen ab, ferner
die Trichter- und Gehörnerven zu einem im
Kopfknorpel gelegenen Gehörorgan, der hintere,
Ganglion viscerale, zwei grosse Mantelnerven,
welche jederseits zu zwei grossen Ganglien,
den Ganglia stellata, anschwellen. Die Ver¬
dauungsorgane beginnen im Centrum der
Arme mit einer Mundöffhung, die von einer
ringförmigen Hautfalte umgeben ist. Der mus¬
kulöse Schlund besitzt zwei schnabelartige
Kiefer und einen Zungenwulst mit Reibplatte.
Der Oesophagus nimmt zwei Paare von
Speicheldrüsen auf und mündet in einen weiten,
meist in einen Blindsack ausgezogenen Magen.
Der Chylusdarm bildet wenig Biegungen und
mündet im Enddarme in der Mittellinie der
Mantelhöhle nach aussen. Im Anfangstheil
seines Verlaufes nimmt er den Ausführungsgang
der Leber auf. Das muskulöse, in der Median¬
linie des Körpers gelegene Herz nimmt seitlich
die beiden Kiemenvenen auf und vertheilt das
arterielle Blut durch eine vordere Aorta ce-
phalica und eine hintere Aorta abdominalis
im Körper, wo aus Capillarnetzen das venöse
Blut theils in Lacuncn, theils in Venen über¬
geht, welche sich in einer grossen, neben der
Aorta verlaufenden Hohlvene sammeln. Diese
spaltet sich in zwei oder vier das Blut zu
den Kiemen führende Stämme, die muskulöse
Wandungen haben und pulsiren. Die Harn¬
organe sind schwammig traubige Anhänge
an den beiden Kiemenarterien, die in beson-
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CERA. 133
deren Baachfelltaschen liegen, welche in den
Mantelraura münden. Ein weiteres Excretions-
organ ist der sog. Tintenbeutel, ein bimförmiger
Sack, dessen stielförmiger Ausführungsgang
mit dem After nach Aussen mündet Er entleert
eine intensiv schwarze Flüssigkeit, die Sepia. Die
Geschlechter sind getrennt, die männlichen Ge~
schlechtsorgane bestehen in einem unpaaren
Hoden, die Samenelemente entleeren sich in
eine die Geschlechtsdrüse umgebende Bauch¬
felltasche, von der ein langer Samenleiter
entspringt, der, nachdem er noch eine Pro¬
statadrüse und einen Spermatophorensack auf¬
genommen, in die Mantelhöhle ausmündet.
Aehnlich gebaut sind die weiblichen Ge¬
schlechtsorgane. Auch hier liegt der Eierstock
in einer Bauchfelltasche, von der ein doppelter
oder einfacher Eileiter in die Mantelhöhle
mündet. Die Begattung geschieht entweder
direct, indem die Thiere sich mit ausgebreiteten
Armen aneinanderheften, die Oeffnungen der
Trichter aufeinanderlegen, wobei die Samen -
elemente in die weibliche Geschlechtsöffhung
entleert werden, oder indirect, indem beim
Männchen ein eigentümlich umgewandelter
Arm (Hcctocotylus) zuerst die Spermatozoiden
aufnimrat und diese auf das Weibchen über¬
trägt. Dabei wird bei einzelnen Arten der
Arm abgelöfit und verbleibt einige Zeit in der
weiblichen Mantelhöhle. Die meist in trau-
bigen Massen abgelegten Eier entwickeln
sich durch partielle Furchung, wobei sich auf
dem grossen Dotter eine Keimscheibe bildet,
die sich in das spätere Thier umwandelt, das
allmälig den grossen Dottersack in sich auf-
nimmt. Die Cephalopoden leben im Meere
und nähren sich von lebender Beute. Ihre
Bewegung geschieht theils durch Kriechen
vermittelst der Arme, theils durch Schwimmen,
wobei die bei vielen Arten vorkommenden
Seitenflossen die Bewegung unterstützen, die
Propulsion aber geschient durch das Ausstossen
von Wasser aus dem Trichter.
Viele Arten erreichen eine ungeheure
Grösse, es sind Individuen von über 10 m
Länge bekannt geworden. Nach der Zahl der
Kiemen zerfallen die Cephalopoden in zwei
Hauptordnungen:
1. DieTetrabranchiatamitvierKiemen.
Diese Ordnung tritt, aus den hinterlassenen
Harttheilen zu schliessen, schon in der Silur¬
formation in zahlreichen Formen auf und ist
in der heutigen Schöpfung nur noch durch
die Gattung Nautilus mit vier Arten in der
Südsee und dem indischen Ocean vertreten.
Die Tetrabranchiata besitzen eine äussere
ekammerte Schale, die von einem centralen
ypho durchzogen wird, statt der Arme acht
Tentakelgruppen um den Mund, ein ge¬
spaltener Trichter und Augen ohne Cornea
und Linse.
2. Die Dibranchiatamit äusserer oder
innerer Schale, oder nackt, mit 8—10 Armen
in der Umgebung des Mundes und Augen,
die eine Linse besitzen. Dahin werden ge¬
rechnet:
Die Ammonitiden mit äusserer ge¬
kammerter Schale und ventralem Sypho, deren
Schalen fossil vom Devon bis in die Kreide
Vorkommen.
Die Octopoda mit acht Armen, nackt
oder mit äusserer Schale, Octopus, Argonauta.
Die Decapoda mit zwei Fangarmen
zwischen den acht Mundarmen, dahin gehören
die Gattungen Sepia, Loligo u. A. S/udcr.
Cera. Bienenwachs. An sich selbst
dient das Wachs nicht zur menschlichen
Nahrung, sondern nur, wenn es in Form von
Waben ist und noch Honig enthält, als sog.
Scheibenhonig. Bekanntlich ist im Bienen¬
stöcke das Wachsgebäude der Hauptbestand¬
teil desselben, indem es zur Aufnahme der
Brut dient, derselben Wärme und Schatz bietet
und dem Bienenvolke ein Aufbewahrungort
der Nahrung ist. Das Wachs ist wie der
Honig ein Secretionsproduct der Bienen, und
es wird von diesen mittelst des im Früh¬
jahr und im Sommer gesammelten Blüthen-
staubes gebildet. Wenn diese Thierchen gute
und reichliche Nahrung gemessen, so dass sich
durch die Verdauung derselben mehr körper¬
liche Stoffe entwickeln, als zur Erhaltung des
Körpers nöthig sind, so wird durch den Ueber-
schussanNahrungsstoff das Wachs in speciellen
Drüschen gebildet, dessen Production also auf
ähnlichen Bedingungen beruht wie die Fett¬
bildung bei anderen Thieren. Das Wachs
dient den Bienen zur Bereitung der Betten
und Wohnungen der Jungen so wie der Vor¬
rathsräume. Sie bauen, so lange ein Bedürf¬
nis für solche Aufbewahrungsorte vorhan¬
den ist. Erst wenn der Wachsbau vollendet,
wird der Honig in die Wachszellen ein¬
geräumt und sobald eine derselben gefüllt
ist, wird sie mit einem Deckel von Wachs
geschlossen. Wenn die Bienen Wachs aus¬
schwitzen, müssen sie mehr Honig, Pollen und
Wasser consumiren, als sonst zu ihrer Erhaltung
nöthig ist; es ist berechnet worden, dass zur
Erzeugung von 1 g Wachswaben ungefähr die
Nahrung consumirt wird, welche zur Produc¬
tion von 10 g Honig gedient hätte; es ist
auch constatirt worden, dass ein Volk, wel¬
ches im Frühjahr einen Vorrath an leeren
Waben hat, doppelt oder dreifach so viel
Honig liefert als ein anderes, welches die
Waben erst bauen muss Die Bienenzüchter sind
in Folge dessen daraufgekommen, den Bienen
den Wachsbau zu ersparen, indem sie in ihre
Wohnungen leere Wachswaben (durch Schleu¬
dermaschinen geleert) einfügen und so zu
sagen die Bienen zwingen, nur Honig zu
erzeugen; dadurch verlieren aber die Honig¬
scheiben viel von ihrem Werth.
Die Honigwaben bestehen aus zu einer
Art Kuchen zusammen gestellten Zellen, die
eine Mittelwand besitzen, an welcher zu beiden
Seiten die sechseckigen Zellen aufrecht und ein¬
ander gegenüber stehen. Die Zellen sind von
verschiedener Grösse, je nachdem sie Brut¬
oder Honigzellen sind; letztere sind auch
tiefer. Die Waben haben 25—35, selten 45 mm
Dicke, besonders in der Mitte. Man unter¬
scheidet Vollwaben, d. h. Waben, welche den
ganzen Raum des Mobilrähmchens oder des
Korbes einnehmen, unregelmässige Waben,
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134
CERATITES. — CERDAGNE-RIND.
wenn sie nicht flach anfliegen, Theilwaben,
wenn sie an einem Theil mehr oder weniger
abgerundet und nicht fertig gebaut sind,
nur %, %, oder % einer Wabe bilden. Einige
Waben sind mit Honig gut angefüllt, andere
mehr oder weniger leer; man unterscheidet
auch helle, dunkle und andere Waben, meist
je nach der Farbe des Honigs, dessen Ge¬
schmack je nach den Blumen, auf welchen
Pollen gesammelt wurden, sich ändert und
auch auf den Werth der Honigscheiben Ein¬
fluss hat. Nebst dem Honig enthalten die
Wabenzellen auch die abgestorbenen Bienen-
eier oder die Maden, bisweilen auch todte
Bienen. Verdeckter Honig wird vorgezogen;
er unterscheidet sich gewöhnlich von ver¬
deckten Brutzellen dadurch, dass die Deckel¬
chen nicht so glatt und gewölbt sind wie bei
den letzteren und gewöhnlich eine mehr weiss-
liche Farbe haben. Die chemischen Bestand¬
teile des Wachses kommen hier nicht näher
in Betracht; es sind dies Myricin und freie
Cerolinsäure mit einer Ceroleln genannten Fett¬
substanz, welche bei 28° C schmilzt.—Eine Ver-
fälschung des natürlichen Wachses in Honig¬
scheiben kommt nicht vor, wohl aber eine
Verfälschung des Honigs selbst. Verfälschun¬
gen grober Art, wie mit Mehl, Stärke, Leim,
sind leicht zu erkennen; die Nachweisung von
Stärkezucker wird hingegen schwer, beson¬
ders weil die Zusammensetzung des Honigs
selbst eine veränderliche ist und sehr ver¬
schiedene Zuckerarten darin Vorkommen. Ver¬
giftungen durch Wachs oder eher durch Honig
sind zuweilen in tropischen Gegenden vor¬
gekommen, wenn die Bienen auf Giftpflanzen
geschwärmt haben. — Die Statistik gibt für
Frankreich im Jahre 1883 eine Zahl von ca.
2,500.000 Bienenstöcken an, für Deutschland,
fast 3,000.000. Jedoch besteht stets noch eine
grosse Einfuhr von Honig nach Deutschland,
u. zw. von ca. 3500 Tonnen, sowie von ca.
600 Tonnen Wachs. Zundel.
Cera flava, gelbes Wachs, Cera citrina,
rohes Wachs; cire jaune, bees (or yellow)
wax, cera gialla. Das Bienenwachs, eine fett¬
artige Substanz, die aber kein Glycerin ent¬
hält (s. Wachs), findet keine medicinische
Anwendung mehr, denn es wird weder resor-
birt, noch kann es als einhüllendes und bei
Durchfällen den Darminhalt verklebendes und
zurückhaltendes Mittel dienen, wie früher ge¬
schehen; es verlässt vielmehr den Dickdarra
unverändert. Aber auch zu pharmaceutischen
Zwecken wird seine Eigenschaft, den Salben die
Consistenz zu erhöhen und leicht mit Oelen
und Fetten zu verschmelzen, nur selten in der
Thierheilkunde verwerthet, wo feste Salben,
Pflaster, Bougies u. s. w. wenig in Gebrauch
kommen. Das weisse Wachs ist nur gebleichtes
gelbes Wachs.
Unguentum cereum, Wachssalbe, dar¬
gestellt durch Zusammenschmelzen von 3
gelbem Wachs mit 7 Olivenöl, dient nur zum
Einreiben der Haut, um sie vor dem Herab-
fliessen scharfer Arzneimittel, vor der Ein¬
wirkung des Eiters, der Jauche u. s. w. zu
schützen.
Charta cerata, Wachspapier, mit Wachs
getränktes Papier, dient den Apothekern als
Tectur von Salben und als Enveloppe leicht
feucht werdender Pulver, stark riechender Sub¬
stanzen oder Pflaster.
Taffetas ceratus, Wachstaffet,• dar¬
gestellt durch Tränken von Taflet mit öligem
Wachs, dient hauptsächlich als ein imper-
spirables Deckmittel, um die Wärmeausstrah¬
lung und Verdunstung feuchter Arzneimittel
auf der Haut zu verhindern, wodurch Kata-
plasmen ersetzt werden können; ausserdem
erhält es feuchte um die Haut gelegte Lappen
lange Zeit als solche und wird dadurch zu
einem mächtigen Erweichungs- und Zerthei-
lungsmittel, wie z. B. bei Rheumatismen, An¬
schwellungen, Drüsen u. s w. Zu gleichem
Zwecke wird jetzt auch vielfach das Gutta¬
perchapapier verwendet, und haben beide das
Geschäft der Erweichung, Schmelzung und
Zertheilung, wie es früher durch Umlegen
von schweren wollenen Lappen, Schafpelzen
u. 8. w. geschah, wesentlich vereinfacht.
Cera arborea, Baumwachs, dient oft
zum Verschmieren von Hornspalten, Ausfüllen
von Kluften in dem Hufe, zum Schutz kranker
Klauen und Nägel namentlich bei Menagerie-
thieren, Zimmervögeln etc. Es wird als
solches oder durch Zusammenschraelzen von
gleichen Theilen Terpentin, Fichtenharz,
gelbem Wachs und Talg dargestellt, mit
Curcuma gefärbt und in Stangen gerollt;
früher war es als Ceratum Resinae Pini oder
Emplastrum citrinum officinell. Vogel.
Ceratites (Keratites) lapis, s. Unicornu
fossile.
Ceratum, so viel als Wachspflaster, eine
Art Mittelding zwischen Pflaster und Salbe.
Man hat in den Apotheken verschiedene der¬
artige pflasterähnliche Mischungen, bestehend
aus Wachs, Harz, Oel, Walrath, zum An¬
kleben an die Haut, Bedecken von Exco-
riationen, und wird solchen Ceraten vielfach
auch ein Arzneimittel beigemengt und diesen
dann der entsprechende Namen gegeben, z. B.
Ceratum Picis, C. Pini, Plumbi u. s. w. Sie
sind, die Wachssalbe etwa ausgenommen, in
der Thierheilkunde alle überflüssig. Cerate
sind ausserdem auch solche Salben, denen
man durch Wachs eine steifere Consistenz
ertheilen wollte. Vogel.
Cercarien (von xepxos, Schwanz) nennt
man die geschlechtslose Brut der Saug¬
würmer.
Cercomyotomia (von xepxoc, Schwanz
und 6 u.5(, Muskeln, ij tojjlyj, Schnitt), Schweif-
muskelschnitt. Sussdorf.
Cercos, besser Kerkos = r { xepxos,
Schwanz, davon Cercomyotomia = Schweif¬
muskelschnitt.
Cerdagne-Rind, race de la Cerdagne. Die
Rinder der französischen Seite der Pyrenäen
stimmen in ihren zoologischen, also in ihren
Rasse-Eigenschaften überein und bilden hier¬
nach eine in sich abgeschlossene Rinder¬
gruppe. Dieselbe zerfällt in mehrere Unter¬
abtheilungen. Die zwischen denselben beste¬
henden Unterschiede sind eine Folge der ört-
CERDAGNE-SCHWEIN. — CEREBRANTIA. 135
liehen und der dadurch bedingten wirth-
schaftlichen Verhältnisse, unter welchen
die betreffenden Viehstämme gehalten wer¬
den. Diese Unterschiede betreffen namentlich
die Grösse und Schwere der Thiere,
nebenbei unerhebliche Abänderungen der
Farbe; im geringeren Grade ihre wirt¬
schaftlichen Leistungen: Milchergiebigkeit,
Befähigung zum Dienste im Zuge und Mast¬
fähigkeit. Beim Eingehen auf alle hiebei in
die Erscheinung tretenden Unterschiede Hessen
sich für jedes einzelne Pyrenäenthal recht
wohl eine oder mehrere Rassen aufstellen,
und hiedurch die ohnedies übergrosse Zahl
der französischen Rinder-Rassen noch um ein
ganz WesentHches vermehren. Das Pyrenäen¬
vieh stimmt in der Farbe mit dem Braun -
vieh der Alpen überein. Es ist also einfarbig,
braun, braungelb, gelbgrau u. s. w. und aus¬
gestattet mit einem hellfarbigen Rückenstreif
und einem sogenannten Rehmaul. In seinem
Körperbau besitzt es alle Eigentümlich¬
keiten des Gebirgsviehes: stämmigen Rumpf,
starke Wamme, hochangesetzten Schweif,
starkknochige Beine. Diesen Eigenschaften
stehen wenig empfehlenswerte wirtschaft¬
liche Leistungen zur Seite. In dieser Bezie¬
hung vermag das Vieh nur die geringen An¬
sprüche seiner Besitzer zu befriedigen. Diese
aber müssen sich damit trösten, dass unter
den obwaltenden ungünstigen Wirtschafts¬
verhältnissen ihrer Heimat auch mit grösserer
Sorgfalt sich nicht viel mehr erzielen lassen
würde, als man seit altersher ziemlich mühelos
erreicht. Das Vieh begeht im Sommer die
Gebirgsweiden. Leider währt diese Zeit ver-
hältnissmässig reichlicher Ernährung nur
wenige Monate. Den langen Winter steht das
Vieh im Stalle und muss sich an dem Futter
genügen lassen, das seine Besitzer den Som¬
mer über mit vieler Mühe eingeschafft haben.
Unter diesen Umständen bleibt die körper-
Hche Ausbildung der jungen Thiere zurück
und kommt die Leistungsfähigkeit der alten,
namentüch in Bezug auf Milchproduction,
nicht zur vollen Entfaltung. Die hier in Rede
stehende Race de la Cerdagne führt diesen
Namen nach ihrem Verbreitungsbezirke, der
alten Grafschaft Cerdagne, und ist der Haupt¬
sache nach in den Hochthälern der Pyrenäen
zu Hause. Das Vieh ist nur von geringer
Grösse und Schwere. Seine Milchergiebigkeit
ist gering. Auch in den sonstigen Leistungen
genügt es nur sehr bescheidenen Anforde¬
rungen. Eine Bedeutung ausserhalb seiner
Heimat hat es bisher nicht erlangt. Crampc.
Cerdagne-Schwein. Dieses Schwein bietet
nichts dar, was ihm irgend welche wirthschaft-
liche Bedeutung verleihen könnte. Es ist über
dasselbe nichts weiter zu berichten, als das
Folgende: Zur Zeit der alten Gallier ver¬
standen es die Bewohner des Verbreitungs¬
bezirkes dieses Schweines, der nachmaligen
Grafschaft Cerdagne, sich mit den das Land
mit Krieg überziehenden Römern auf guten
Fuss zu stellen und sich dieselben durch
Getreide- und Viehlieferungen zu verbinden.
Bei letzteren haben Schweine eine besonders
wichtige Rolle gespielt. Diesem Umstande
verdankt das Cerdagne-Schwein ein Interesse,
das es anderenfalls nicht haben würde. Crampc.
Cerealien, von Ceres, Göttin des Acker¬
baues, im Allgemeinen jene Samen der cul-
tivirten Gramineen, welche zu Mehl verrieben
werden, im Gegensatz zu den Samen der
Leguminosen, welche nur ausnahmsweise zur
Mehlbereitung dienen und zum grossen Theil
vom Menschen in Form von Muss oder Brei
genossen werden. Locbisch.
Cerebralia, gleichbedeutend mit Cere¬
brantia, s. d.
Cereforalsyaiem. Man fasst darunter zu¬
weilen das Gehirn nebst dem gesammten
davon ausgehenden und dahin führenden
Nervensystem nebst Sinnesapparaten zu¬
sammen; im Specielleren sind darunter Ge¬
hirn und Gehimnerven zu verstehen. Sf.
Cerebrantia, Gehirnmittel. Wenn es Arz¬
neistoffe gibt, denen eine besondere Beziehung
zum Gehirn (Cerebrum) zugeschrieben wird,
so können darunter nur solche verstanden
werden, welche es überhaupt auf das Nerven¬
system abgesehen haben und deswegen im
Allgemeinen als Neurotica bezeichnet werden.
Aber auch der Begriff der Letzteren ist kein
streng abgeschlossener, sondern es sind diese
Nervenmittel nur als ein Abstractum pro
concreto aufzufassen, insoferne sie nicht immer
und nothwendig das Nervensystem in seiner
Gesammtheit, also mit allen seinen Centren
angreifen, sondern in der Regel vorwaltend
nur einzelne Bezirke, wie z. B. das Gross¬
oder Kleinhirn, die Medulla oblongata, den
Sympathicus u. s. w.; auch müssen hiebei
immer zweierlei Wirkungen unterschieden
werden, denn entweder veranlassen sie eine
Steigerung der Thätigkeit in den besonders
betroffenen Abschnitten (Excitantia, Irritantia)
oder eine Herabsetzung derselben (Narcotica,
Hypnotica, Sedantia). Bildet sich dabei ein
ausgesprochenes Concretum heraus und werden
dabei insonderheit die Functionen des Ge¬
hirns alterirt, so heisst man solche Neurotica
speciell auch Cerebralia oder Cerebrantia und
kann die genannte Doppelwirkung ganz wohl
auch von einem und demselben Arzneistoffe
ausgehen, wie z. B. der Alkohol erst anregt,
belebt, die psychischen Functionen, nament¬
lich die Willens thätigkeit hebt, also primär
ein Nervenerquickungs-, bezw. Gehirnrestau¬
rationsmittel ist, je nach der Dauer und Inten¬
sität der Einwirkung aber eine Depression
des Gehirns, Narkose hervorruft. Dasselbe
gilt vom Aether, dem Opium und seinen
Basen, von der Belladonna etc. für gewisse
Gehirnabschnitte, so dass dabei die auffäUig-
sten Uebergänge von der einen Wirkung auf
die entgegengesetzte beobachtet werden können.
Was speciell die Gehirnmittel betrifft, so be¬
merkt man bei ihnen in vielen Fällen eine
eigenthümliche aber bestimmte Reihenfolge
von cerebralen Erscheinungen, aus denen ver-
muthet werden muss, dass die einzelnen Ge¬
hirnprovinzen nicht zu gleicher Zeit betroffen
wurden. Zuerst tritt meist die Excitation her¬
vor, dann folgt Betäubung, hierauf Störung
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136
CEREBRIN. — CEREVISIA.
der Coordinationsbewegungen, zuletzt Still¬
stand des Herzens und Tod. In anderen Fällen
werden die Coordinationsbewegungen zuerst
in Unordnung gebracht und es folgen eigen¬
tümliche, meist Zwangsbewegungen, wie der
bekannte Manfcgegang nach Morphin-Injec-
tionen bei Pferden, nach Codeln, Santonin
bei Hunden, oder wird der Nervus facialis vor¬
waltend betroffen (Zuckungen der Gesichts¬
muskeln), der Nervus opticus (Mydriase, Myose),
der Vagus u. s. w.; Atropin bedingt neben
Steigerung der Erregbarkeit des Inspirations¬
centrums vom Gehirn aus vorübergehend
Lähmung der Endzweige des Lungenvagus,
Blausäure wirkt auf diese reizend, ebenso
Muscarin auf die peripherischen Endungen
des Herzvagus, Apomorphin auf das Brech-
centrum des Gehirns, Pilocarpin auf das
Speichelcentrum im verlängerten Marke bei
allen Säugetieren und doch gehen alle ge¬
nannten Effecte vom Gehirn aus, allerdings
ohne dass wir auf mehr als Hypothesen an¬
gewiesen sind, wenn es sich darum handelt,
die Ursache dieser Nervenwirkungen oder gar
die (wahrscheinlich vorliegende) chemische
Action auf die Nervensubstanz zu erklären.
Gehirnanregende, belebende Mittel
(Analeptica cerebri) sind: Die Alkoholica
(Wein, Bier, Schnaps), Ammoniak, Aether,
Kampher, Coffein.
Gehirn betäubende, schmerzstillende
Mittel (Soporifica, Anaesthetica, Anodyna):
Alkoholica, Aether, Chloroform, Chloralhydrat,
Bromoform, Jodoform, Paraldehyd, Aethyliden-
chlorid, Morphin, Narcotin, Thebain, Chinin,
Cannabis, Milchsäure.
Gehirnkrämpfe stillende Mittel:
Aetherische Oele, Morphin, Chloralhydrat,
Chloroform, Bromkalium.
Gehirnlähmende Mittel (Paralysantia):
Morphin, Chloroform, Coniin. Vogel.
Cerebrin. Ein in der Gehirn- und Nerven¬
substanz, in kleiner Menge auch in Eiter¬
körperchen und in dem elektrischen Organ
des Torpedos vorkommende Substanz von der
Zusammensetzung: C 5t H 110 N,0 M . Unlöslich
in kaltem Alkohol und Aether, löslich in
heissem Alkohol. Wird Cerebrin in concen-
trirter Schwefelsäure gelöst und die Lösung
in Wasser gegossen, so fällt eine stickstoff¬
freie Substanz aus, welche den Namen Cetylid
erhielt; diese liefert beim Schmelzen mit Kali
Palmitinsäure. Loebisch.
Cerebrosplnalfiüöslgkeli nennen wir die
Gesammtheit der in den Hüllen sowie den
Höhlen von Gehirn und Rückenmark befind¬
lichen Flüssigkeit. Sie zählt zu den sog.
Transsudaten, wässerigen Ergüssen, welche
wir richtiger als die Lymphe der betreffen¬
den Organe aufzufassen haben. Als Subdural¬
flüssigkeit füllt sie den Raum der Duralscheide,
als Subarachnoidealflüssigkeit den der Arach-
noidealscheide der Nervencentralorgane aus,
als Kammerwasser findet sie sich in den Hirn¬
ventrikeln und dem Centralcanal des Rücken¬
marks. Die chemische Zusammensetzung ist
von zahlreichen Forschern für die in nor¬
maler Quantität, wie auch für die in abnorm
grosser Menge bei chronischen Gehirner¬
krankungen ergossene Flüssigkeit untersucht
worden. Immer fiel der grosse Kaliumgehalt
derselben auf, wie er mit der ebenfalls
bedeutenden Kaliumaufspeicherung in den
nervösen Centralorganen leicht in Zusammen¬
hang zu bringen ist. Nach C. Schmidt fanden
sich in der Rückenmarksflüssigkeit des Hun¬
des unter 11*8% 0 festen Bestandtheilen
2*4°/ 00 organische Stoffe und 9’4%<, anorga¬
nische Salze. Sussdorf.
Cerebrospinalnervensystem nennt man
Gehirn und Rückenmark nebst deren peri¬
pheren Ausläufern im Gegensatz zu dem
sympathischen oder Gangliennervensystem.
Wegen seiner Functionen als Vermittler zahl¬
reicher Vorgänge und Thätigkeiten (geistiges
Leben, willkürliche Bewegung etc.), welche
speciell nur dem Thiere zukommen, wird es
auch das animale Nervensystem genannt.
Näheres s. Gehirn, Rückenmark und Nerven. Sf.
Cerebrum, Gehirn (vielleicht von der
altgriech. Form xotp für xapot, xapYj, Kopf?),
gibt einer Menge in der Medicin gebrauchter
Worte Ursprung so:
Cerebellum als Deminutiv, das Klein¬
hirn.
Cerebriformis, gehirnartig.
Cerebritis, Gehirnentzündung.
Cerebrosis, Himwuth, ete. etc. Sf.
Cerevisia, Bier (s. d.), das bekannte, ein
gegohrenes Gerstenmalzinfus darstellende Ge¬
tränke, welchem nichts als ein Hopfenaufguss
zugesetzt werden darf, und das häufig auch
diätetisch bei kranken Thiercn Anwendung
findet. Vermöge seiner Bestandtheile kann es
als directcs Nahrungsmittel betrachtet werden,
und wenn es auch nicht gerade durch Gehalt
an Nährstoffen sich auszeichnet, so ist doch
sein Gehalt an Kohlenhydraten und Eiweiss
aus dem Grunde von hohem Werth, weil diese
ungemein leicht ins Blut gelangen und rasch
assimilirt werden. Hiezu kommt die ver¬
dauungsbefördernde Action der Kohlensäure,
des Alkohols und des bitteren Hopfenöls. In¬
dessen kann Bier bei den Thieren nur in
verhältnissmässig kleinen Quantitäten als ein
schätzbarer Bestandtheil der Diätetik ange¬
sehen werden, wenigstens wenn damit nur pep¬
tische Erfolge erzielt werden wollen, denn eben
die Thierver8uche(Buchner)haben gelehrt, dass
die Eiweissverdauung nicht gefördert, sondern
in gewissem Grade beeinträchtigt werde, in-
soferne ein Theil der Magensäurc durch die
im Bier enthaltenen phosphorsauren Salze
ebunden wird; wenn man daher schwache
ubjecte, Reconvalescirende mittelst dieses
spirituösen Würzmittels mehr zu Kräften
kommen lassen will, ist es auch erfahrungs-
emäss zweckmässiger, ihnen dasselbe vor
em Füttern zu verabreichen, und zwar am
besten (statt des Eingusses) im Futter, in
Mehl- oder Brotsuppen, mit Eiern, Malzextract
(Warmbier, Biersuppen) u. dgl. Grosse Por¬
tionen heben bei geschwächten Individuen,
wie der Wein auch, die Verdauung sogar
ganz auf oder es entstehen Blutwallungen nach
dem Kopfe, Dumpfheit und Mattigkeit. Will
CERIUM. — CERTIFICAT.
137
man jedoch mehr die restaurirenden, er¬
quickenden, das Nervensystem in leichtem
Grade anregenden Wirkungen des Alkohol¬
gehaltes (1 — 3%) eines pit gegohrenen ge¬
wöhnlichen Braunbieres den Kranken zugute
kommen lassen, so eignet sich hiefür ent¬
schieden besser der Wein (s. Yinum).
Maltum Hordei, Gerstenmalz, ist
gekeimte, in der Keimung unterbrochene und
nachher gedarrte Gerste, welche vielfach
wegen der milden und zugleich belebenden
Wirkung auf die Verdauungsorgane als leicht
verdauliches Nahrungsmittel für alle Haus-
thiere verwendet wird und vermöge ihres
Gehaltes an leicht löslicher Diastase, an
Dextrin und Glykose (Malzzucker, Maltose,
s. Gerste) demulcirend bei Reizungszuständen
der Schleimhäute, namentlich auch denen der
Respirationsorgane einwirkt. Malz besitzt be¬
sonders kräftige Wirkungen in Beziehung auf
die Ueberführung von Amylum in Dextrin
und geschieht gleichzeitig auch eine Umwand¬
lung des Dextrins in Zucker, so dass auch
die Proteinstoffe ihre plastische Action voll
und leicht entfalten können. Besonders vor¬
teilhaft erweisen sich diese Wirkungen bei
jungen Thieren, bei mangelhaftem Wachsthum,
Defecten an Nährsalzen, Rhachitis, bei chro¬
nischen Magen- und Lungenkatarrhen. Drüsen¬
leiden, Schwächekrankheiten und Kachexien
aller Art. Die Verfütterung muss aber längere
Zeit andauern und der sonstige Zustand der
Kranken im Auge behalten werden; Zusätze
von Kochsalz, aromatischen Mitteln, Eisen,
Schwefelantimon u. dgl. sind daher meist
notwendig.
Maltum tostum, geröstetes Malz, er¬
höht zufolge des Gehaltes an anregenden brenz¬
lichen Stoffen die belebende Einwirkung auf
die Verdauungsorgane wesentlich, die Thiere
müssen sich aber ebenfalls, wie an das Malz,
erst gewöhnen.
Extractum Malti, Malzextract, dar¬
gestellt durch Einkochen des Gerstenmal¬
zes und Abdampfen bis zur Extractdicke,
ohne dass damit eine Gährung verbunden
wird. Schon vermöge der darin enthaltenen
Stickstoffkörper, 8 %, und Kohlenhydrate, 55 %
(Dextrin und Glykose), ist das früher offici-
nelle Präparat unstreitig als Nahrungsmittel
und Plasticum (3*5% Nährsalze, besonders
Erdphosphate) anzusehen und liegt ein beson¬
ders zu schätzender Werth auch in dem Ver¬
mögen der Diastase, das Stärkemehl in Zucker
umzuwandeln und so die Assimilation der
Amylaceen bei den Fleisch- und Pflanzen¬
fressern zu befördern. Abhängig ist der Grad
der Nährkraft von dem Gehalte an Maltin,
der allerdings in den verschiedenen Extract-
sorten des Handels variirt. Man gibt das
Malzextract den Säuglingen und meist nur
den kleineren Hausthieren löffelweise mehr¬
mals täglich in den oben bei Malz ange¬
gebenen Leiden und verbindet damit entspre¬
chende Arzneimittel, z. B. Jodkalium, Arsenik,
Phosphor (bei constitutionellen Knochenkrank¬
heiten), vermeidet aber die Anwendung der
käuflichen und zugleich medicamentösen Malz-
extracte, z. B. das Extractum Malti saccharo-
ferratum, jodatum u s.- f., da der Gehalt an
diesen Stoffen nicht immer zuverlässig ge¬
nug ist. Vogel.
Cerium, ein seltenes Metall, welches in
Begleitung zweier anderer seltener Metalle,
des Lanthans undDidyms in einem in Schweden
vorkommenden Mineral — Cerit — von Klap-
roth und später von Berzelius aufgefunden
wurde. In seinen chemischen Eigenschaften
steht das Cerium, dessen Atomgewicht 141*2 ist,
dem Aluminium ziemlich nahe, andererseits
ist es leichter entzündlich als Magnesium und
verbrennt mit grossem Glanze. Das metal¬
lische Cerium wird in grösserer Menge durch
Elektrolyse des Ceriumchlorids dargestellt.
Es bildet mit Sauerstoff Verbindungen von
Ce t O ;l , Cersesquioxyd, und CeO„ Cerdioxyd;
diesen beiden Oxyden entsprechend gibt es
Salze des Ceroxyduls und des Ceroxyds. Von
den Salzen des Ceriums ist von praktischer
Wichtigkeit das schwefelsaure Ceroxydul¬
oxyd, dessen Lösung ein empfindliches Reagens
auf Strychnin bildet, mit welchem zusammen¬
gebracht blauviolette Oxydationsproducte ent¬
stehen, welche sich nicht so rasch verändern
als die mit Kaliumbichromat und Schwefel¬
säure erzeugten, daher man die entsprechende
Farbcnreaction bei Anwendung von Cerlösung
länger beobachten kann. Loebisch.
Certiflcat. Mit diesem Ausdruck wird im
Allgemeinen jeder Schein, jede als Beweis
dienende schriftliche Zusicherung (Beglaubi¬
gungsschein, Zeugniss) bezeichnet und im
öffentlichen Verkehr in Anwendung gebracht.
Ursprungscertificate werden beim Zollwesen
verwendet, aus welchen die Abstammung von
Waaren oder Producten aus einem Staate, mit
welchem eine Uebereinkunft über Verkehrs¬
erleichterungen im Allgemeinen oder auf eine
Zollbegünstigung in Bezug auf einzelne Gegen¬
stände besteht, zu ersehen ist. Ausganpcerti-
ficate auf Mess- und Marktplätzen werden den
Kauf leuten ausgestellt, welche die Vereins-
ländischen Messen mit gewissen ausländischen
Waaren besuchen, die die Erfüllung der regula-
tivmässigen Bedingungen, einMessconto für die
Dauer der Messe beim Zollamte des betreffen¬
den Platzes eröffnen. Die Orts- und Gemeinde¬
behörden, mitunter auch die Districts- und
Bezirkspolizeiämter, stellen Certificate als
Viehpässe zum Ausweise des in der Gegend
herrschenden Gesundheitszustandes derjenigen
Thiere aus, die eine Zollgrenze zu passiren
haben. Die Certificate werden sonach von Be¬
hörden und von denselben autorisirten Per¬
sonen ausgestellt, unter welch’ letztere auch
die Thierärzte zählen, welchen amtliche Func¬
tionen übertragen sind. Diese Thierärzte
haben in ihrer Eigenschaft als vom Staate
aufgestellte, sachverständige Organe über den
Gesundheitszustand der Hausthiere und über
die Abwehr von Thierseuchen zu wachen und
sind daher berechtigt, bei der Ein- oder Aus¬
fuhr von landwirtschaftlichen Thieren über
das Grenzgebiet zweier verschiedener Länder
behufs des Weidebezugs über den Gesund¬
heitszustand der Thiere Certificate auszustellen,
138 CERÜMEN. -
damit die Thierbesitzer sich den polizeilichen
Vollzugsorganen gegenüber aus weisen können.
Ebenso werden von ihnen zuweilen solche Cer¬
tificate über den Gesundheitszustand der
Thiere, die im Verkehr, im Handel und
Wandel auf die Handels- und Marktplätze
gebracht werden, ausgestellt. Desgleichen er-
theilen sie solche Beglaubigungsscheine für
thierische Genussmittel, die zum öffent¬
lichen Verkauf in den Verkehr kommen und
als Handelswaare betrachtet und behandelt
werden. Ableitner.
Cerumen (neulat. von cera, Wachs, ab¬
geleitet), aurium, das Ohrenschmalz (s.d.). Sf.
Ceru88a ist keine Wachsverbindung, für
welche sie häufig genommen wird, sondern
eine alte Bezeichnung für Bleiweiss, welche
die Ph. G. jetzt wieder aufgenommen hat
und für welche die Ph. A. Plumbum carbo-
nicum gesetzt hat (s. letzteres). Vogel.
Ceru it, Weissbleierz, auch Bleispath,
ist das als Mineral in der Natur vorkommende
kohlensaure Bleioxyd. Es krystallisirt im rhom¬
bischen System, isomorph mit Aragonit und
Salpeter meist in Drusen und Büscheln. Härte 3
bis 3*5, specifisches Gewicht = 6 4. durch¬
sichtig, stark strahlenbrechend, weiss, in’s
Gelbe, Graue spielend. Es ist ein Zersetzungs-
product von Bleiglanz und kommt auf Gängen
mit demselben vor in Bleistadt, Böhmen, in
Bleiberg, Kärnten, im Erzgebirge. Loebisch .
Cervicalcanal, s. Gebärmutter.
Cerviden, Cervus, s. Hirsche.
Cervix (wahrsch. das hebr. ereph, arab.
gereph, keref, Nacken), Nacken mit Einschluss
des Hinterhalses, Genick, ist in der allge¬
meinen Topographie die dorsale Halspartie,
wie auch der ganze Hals. Sein Adjectiv,
cervicalis, wird zur Kennzeichnung am Hals
gelegener Theile verwendet, z. B. Vertebrae
cervicales, Halswirbel etc. Der Ausdruck ist
aber auch für halsartig verengte Abschnitte
eines Organes in Brauch, so in Cervix uteri,
Gebärmutterhals etc. Sussdorf.
Cestodes (abgel. von 6 xectdc, Gürtel
und io Gestalt) also gürtelförmig, so
Cestoden = Bandwürmer. Sussdorf.
Ce8tracionte8 sind eine Familie der
Placoiden Agass.(Knorpelfische,Körnschupper),
deren fossile Arten bis zur Tertiärformation
gefunden werden. Man hat von ihnen bis
jetzt hauptsächlich nur Zähne und Schädel-
theile entdeckt. Ihre Zähne sind stumpf, haben
eine breite, platte Krone, die einen dicken
Schmelzüberzug mit verschiedenen Falten,
Streifen und Punkten besitzt; die Wurzel ist
knöchern, breit und schwammig und steckt
nicht in Zahnhöhlen, sondern ist nur durch
Bänder mit dem knorpeligen Kiefer verbunden.
Die Cestraciontes, zu welchen Agassiz die
Genera Psammodus und Acrodus rechnet,
haben sich wahrscheinlich hauptsächlich von
Schalthieren genährt und ihre Hauptepoche
fällt in die Kohlenformation. Die hier lebenden
Gattungen sind auch noch ira Jura durch
viele neue ersetzt; von da an aber sterben
CETACEEN.
sie aus und ragen nur durch die Gattung
Cestracion mit wenigen Arten im grossen
Ocean in unsere Zeit. Koudelka.
Cetaceen, Cetacea, Natantia, Fischsäuge-
thiere, Wale. Ordnung der Säugethiere mit
nur zwei vorderen, flossenartigen Extremitäten,
spindelförmigem, nacktem Körper und einer
wagrecht gestellten Flosse am Schwanzende.
Die Cetaceen sind grosse Säugethiere, deren
ganze Organisation dem Wasserleben angepasst
ist. Der Körper ist spindelförmig, in der
Mitte am dicksten, nach hinten sich allmälig
verjüngend, vorn geht der zuweilen mächtig
entwickelte Kopf ohne äusserliche Halsein¬
schnürung in den Rumpf über. Die Haut ist
dick, höchstens an der Schnauze bei einzelnen
Arten mit Borsten versehen, sonst nackt. Die
Cutis ist mächtig entwickelt und ausseror¬
dentlich fettreich. Die vorderen Extremitäten
stellen äusserlich einheitliche Flossen dar,
die hinteren sind bis auf Rudimente des
Beckens verkümmert. Hautfalten auf dem
Rücken können unpaare Flossen darstellen.
Das Gebiss besteht bald aus Schneide- und
Backenzähnen, letztere mit breiten Kronen,
denen in der Jugend ein Milchgebiss vor-
hergeht (Herbivora), bald aus gleichartigen
kegelförmigen Zähnen, welche nicht gewech¬
selt werden (Denticete), bald fehlt es voll¬
kommen, und an seine Stelle treten dann
grosse Hornplatten am Gaumen, sog. Barten
(Mysticete). Aeussere Ohren fehlen am Kopfe,
die Nasenlöcher stehen entweder an der Spitze
der Schnauze (Herbivora) oder auf der oberen
Fläche des Kopfes, durch Klappen verschliessbar
(Carnivora). Das Skelett zeichnet sich durch die
Verkürzung der Halswirbelsäule, deren Wirbel
zuweilen verwachsen sind, aus. Das Skelett der
vorderen Extremitäten, das sich an einen schlüs¬
selbeinlosen Schultergürtel anheftet, zeigt
die Elemente der Säugethier-Extremität, nur
sind die langen Knochen auffallend verkürzt
und abgeplattet und die Zahl der Finger¬
glieder vermehrt (6—42). Der Uterus ist
zweihörhig und die Placenta diffus. Die Ceta¬
ceen leben in allen Meeren, sich schwimmend
fortbewegend; einige Arten gehen auch in
Flüsse, wenige sind vollkommene Süsswasser¬
bewohner. Ihre Nahrung besteht bei den Her-
bivoren aus Pflanzen, bei den Carnivoren aus
verschiedenen Wasserthieren, bei den Zahn¬
walen sind es Fische und namentlich Tinten¬
fische, die ihnen zum Opfer fallen; bei den
Bartenwalen niedere Seethiere, namentlich
Salpen, Copepoden, Pteropoden und Quallen.
Es gehören zu den Cetaceen die grössten
lebenden Säugethiere. Einzelne Arten von
Bartenwalen erreichen eine Länge von 60 bis
100 Fuss, so der Finnfisch, Balaenopterarostrata
und Megaptera boops. Vom Menschen werden
die Cetaceen hauptsächlich zur Gewinnung
des Thranes gejagt. Man unterscheidet zwei
Unterordnungen:
1. Die Herbivora, pflanzenfressende
Wale mit vorderen Nasenöffnungen und brust¬
ständigen Milchdrüsen, mit einem Gebiss, das
aus zwei mitunter hauerartigen Schneide- und
Backenzähnen mit breiten Kronen besteht.
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CETACEUM. —
Dahin gehören die Gattungen Manatus, Hali¬
core, Rhytine.
2. Die Carnivora, fleischfressende Wale
mit grossem Kopf, an dessen oberer Fläche
die Nasenlöcher stehen, Kiefern mit konischen
gleichartigen Zähnen oder zahnlos, dafür
Barten am Gaumen. Dahin gehören die Del¬
phine, Pottfische und die Bartenwale. Sfr.
Cetaceum, Walrath, s. d.
Cetraria islandica L., isländisches Moos,
Tartschenflechte (Lichen islandicus, Physica
islandica), eine Flechtenart nicht blos Islands,
sondern auch der meisten deutschen Gebirge.
Thallus blattartig, aufsteigend, lappig-viel¬
theilig, oberseits braungrün, unten weisslich,
Apothecien kastanienbraun. Die knorpelige,
fast lederartige isländische Flechte ist als
Lichen islandicusofficinell und zeichnet
sich durch den Gehalt an Amylum und Bitter¬
stoff aus; letzterer theilt sich in zwei bitter
schmeckende Säuren, Cetrarsäure und Lichen-
stearinsäure (s. d.), und ersteres in das mit
Wasser stark aufquellende Stärkemehl Lichenin
(20%) und in eine unlösliche jodbläuende
Stärke (10%). Beim Abkochen gelatinisirt
das Moos zufolge seines Licheningehaltes.
Durch Maceriren in Wasser geht der Bitter¬
stoff verloren, und kann dann das Mittel (wie
die Amylaceen) zur Noth als Nahrungsmittel
dienen. Der Stärkemehlgehalt der Pflanze
kann bei Krankheiten kaum eine Rolle spielen,
wohl aber sind es die beiden Säuren, welche
das isländische Moos zu einem brauchbaren
Amarum machen, das in manchen Gegenden
auch vielfach für die Thiere und von Menschen
gebraucht wird, aber gegenüber den anderen
Bittermitteln keine besonderen Eigentümlich¬
keiten besitzt; es bleibt sich daher ganz gleich,
ob man Enzian, Centaurium, Cardobenedicteu
etc. oder das isländische Moos gibt. Indi-
cationen hiefür liegen vor bei Mangel an
Appetit, Atonie des Magens und Darmcanals,
bei mangelhafter Verdauung und daraus resul-
tirender allgemeiner Schwäche, Magendarm¬
katarrhen, Wurmleiden u. s. f.; ganz besonders
aber passen bittere Mittel bei chronischen
Verdauungsfehlern und bei falschen Gährungen
im Magen (s. Amara). Dosis: Pferd 5 * 0—15'0,
Rind 15*0—30*0, Hunden 10*0 pro die, als
Pulver oder im Decoct (1:45 Wasser, nicht
weniger, sonst wird dasselbe zu dick); in
letzterem findet sich sowohl die Cetrarsäure,
als auch die Flechtenstärke; will man aber
nur den Bitterstoff, so ist das Infus vorzu¬
schreiben. Die Gelatine bereitet man sich
durch Abkochung 1 : 6 Wasser. Vogel .
Cetrarsäure, auch Cetrarin genannt, ist
eine aus dem isländischen Moos, Cetraria is¬
landica. dargestellte Säure C 18 H la 0 8 ; sie
schmeckt sehr bitter, löst sich fast gar nicht
in Wasser, die Lösungen in Alkalien sind
gelb. Die Cetrarsäure wurde auch thera¬
peutisch gegen Wechselfieber versucht: sie
ist höchst wahrscheinlich an der tonischen
Wirkung des isländischen Mooses betlieiligt. Lh.
Cetti, ital. Abt. Naturf. und Verf. einer
Naturgesch. der sardinisch. Hausthiere im
XVIII. Jahrhundert. Ableitner.
CEYLONMOOS. 139
Ceyionmoos, Jaffhamoos, Agar-Agar, Fu-
cus amylaceus, Bulung der Javaner, Dongi-
Dongi der Makasseren, Tjentjan der Chinesen.
Diese Drogue stammt ab von einigen zu den
Florideen oder rothen Meeresalgen gehörigen
Arten. Bildet gelblichweisse, wiederholt dicho-
tom verzweigte, stielrundliche, 1—3 mm dicke,
10—20 cm lange Stäbe (Javanisches Agar-
Agar, von Sphaerococcus lichenoides
Ag., Gigartina candida Lam, Plocaria candida
Nees ab Es., einer an den Küsten von Ma¬
lakka, Sumatra, Java, Borneo, Molukken und
Philippinen wachsenden Pflanze abstammend).
Oder sie kommt vor in 30 bis 50 cm oder
längeren, 0*5 bis ca. 4 cm dicken gefurchten,
geflügelten, scharfkantigen gelblichweissen,
oft fast farblosen Stäben (Makassar - Agar-
Agar, ostindisches Carragheen, echtes Ceylon¬
moos, die momentan bei uns meist gesehene
Drogue) von Eucheuma Sphaerococcus Ag.,
gelatina Ag., sowie von Eucheuma Gi¬
gartina Grew. spinosum Ag. und wahr¬
scheinlich noch anderen Florideen stammend,
die sich an den Küsten von Indien, Ceylon
und mit obiger bis Süd-China und Japan
finden. Eine dritte Sorte kommt von Süd-China
und Japan als chinesische Hausenblase, ja¬
panische Tjentjan zu uns und stammt an¬
geblich in erster Linie von Gelidium Amansii
Lam., zweifellos aber auch von den bereits
oben angeführten Stammalgen der beiden
übrigen Agar-Agarsorten.
Die ursprünglich hell carminrothen Pflan¬
zen verlieren in Folge der Präparationen:
wiederholtes Auswaschen und Trocknen an
der Sonne, ihre Farbe mehr oder weniger
vollständig und kommen als Prima-Waare
fast ganz farblos im Handel vor.
Agar-Agar oder Tjentjan u. s. w. bildet
seit den ältesten Zeiten, d. i. seit mehreren
tausend Jahren, ein sehr beliebtes Nahrungs¬
mittel der Eingebornen Indiens, des indischen
Archipels und Chinas. Englische und hol¬
ländische Aerzte führten es zuerst in den
Arzneischatz ein; in England empfahl es na¬
mentlich O’Shaughnessy. Etwa um das Jahr
4840 oder 1842 gelangte es über England
nach Deutschland. Der anatomische Bau stimmt
einigermassen überein mit dem des Carragheens;
die Zellenwände bestehen an der Peripherie
aus Pflanzenschleim, im Centrum und bis zum
Lumen daneben aus einer Modification von
Amyloid, wird nämlich mit Jodlösung nicht
blau, sondern blass rothviolett gefärbt. Payen
fand 4859 eine gummiähnliche Substanz da¬
rin, die er Gelose nanDte, die nach Porum-
baru nach der Formel C 6 H 10 O s zusammen¬
gesetzt ist ur.d nicht gerinnt. Den Hauptbe¬
standteil jedoch bildet der darin reichlich
enthaltene Pflanzenschleira, welcher bewirkt,
dass 4% bis 2 Theile der Drogue beim Kochen
mit 100 Theilen Wasser eine noch bei 70 °C.
feste Gallerte liefern. Wegen dieser Eigen¬
schaft wird Agar-Agar sehr häufig zu Pilz-
culturen vorteilhaft verwendet. (Siehe Cultur-
methoden.) H. Greenish wies im Agar-Agar
sieben Kohlenhydrate nach, die alle mit di-
luirter Schwefelsäure Zucker liefern: in Wasser
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140 CEZARD. — CHAETOPODEN.
leicht löslicher Schleim, gallertbildende Sub¬
stanz (Lichenin, Gelin und Goömin), Stärke,
parabinartige Substanz, Metarabin, Holzgummi
und Cellulose. Ueberdies wären noch etwas
Protein, Salze und Spuren von Fett anzuführen.
Als besonders interessant möge hier noch
erwähnt werden, dass die essbaren Nester,
oder essbaren Vogelnester, von den ost¬
asiatischen Völkerschaften als Genussmittel
überaus hoch geschätzt, von der Salangan- oder
javanischen Schwalbe, Hirundo javanica, aus
den oben angeführten, Agar-Agar liefernden
Algen bereitet werden. Diese Schwalbe ist
besonders häufig auf Java, woselbst sie in
Höhlen und Spalten hoher Ealkfelsen in grosser
Gesellschaft nistet. Namentlich sind es auf
Java die Ortschaften Bongkop und Bandong,
welche allein jährlich über eine halbe Million
Gulden für diesen Leckerbissen einnehmen.
Das Brüten findet vier Mal im Jahre statt,
wobei jedesmal ein neues Nest gebaut wird.
Die Sammler nehmen dabei nur etwa die
Hälfte der vorhandenen Nester, da dieselben
noch vor dem Ausschlüpfen der Jungen ge¬
erntet werden müssen und daher die Brut
zerstört wird. Würden sie alle Nester ent¬
fernen, so wäre dies gleichbedeutend mit
der Ausrottung der Schwalben. Alte, mit Fe¬
dern etc. verunreinigte Nester werden gelegent¬
lich auch gesammelt; sie bilden eine minder
geschätzte und billigere Waare.
Die sechs Höhlen von Bandong liefern
jährlich 14.000, jene von Bongkop 500.000 Stück
Nester, wobei ca. eine Million der Vogelbrut ver¬
nichtet wird. 100 Nester wiegen 600 bis
700 g. Wie auf Java kommt die Salanganschwalbe
noch auf anderen Inseln jenes Weltstriches
vor und wird überall in derselben Weise ver-
werthet. Die Hauptabnehmer für die Nester
sind die reichen und vornehmen Chinesen,
welche sie gleich Soja, Katzenaugen, Fleder¬
mausflügeln, Hahnenkämmen und anderen an¬
geblich kostbaren Delicatessen bei ihren Mahl¬
zeiten verzehren. Ganz besonders werden auch
von Europäern die aus den Vogelnestern be¬
reiteten Suppen gerühmt. Harz,
Cezard N., Chef des Höpitaux et des
Forges an der Veterinärschule zu Alfort,
später Thicrarzt am königlichen Stalle und
Generalinspector der französischen Veterinär¬
schulen. Semmtr.
Chabert P. (1737—1814), war erst Huf-
und Fahnenschmied, studirte von 1763—1766
an der Veterinärschulc in Lyon und wurde
1766 Lehrer des Hufbeschlags an der Veterinär¬
schule zu Alfort und 1779 Director der Schule;
war Gegner der Contagiosität des Rotzes.
Chabert gab gemeinsam mit Flandrin und
Huzard eine Sammlung von Beobachtungen
in sechs Bänden heraus. Er schrieb über Wurm¬
krankheiten, Hautausschläge, Druse. Lahm¬
heiten, Lungenentzündung, Mondblindheit,
Rotz, Gewährsmängel etc. (1796—1805). Sr.
Chabert’8Che8 Oel, Wurmöl, s. Hirsch¬
hornöl unter Oleum animale foetidum.
Chaerophyilum ailveatrs L. (Anthriscus
silvestris Hoffm.), Waldkerbel, Kälberkropf,
perennirende Pflanze aus der Familie der
Umbelliferen; sie bildet eine Pfahlwurzel und
einen 0*5—1 m hohen aufrechten, behaarten,
verzweigten Stengel; untere Blätter lang ge¬
stielt, doppelt gefiedert mit eirund-lanzett-
lichen, zugespitzten Abschnitten, tief fieder-
spaltig und gezähnt, obere Blätter kürzer ge¬
stielt, kleiner. Dolden mit 8—10 Strahlen,
Hülle fehlt oder aus 1—2 Blättchen bestehend.
Hüllchen aus mehreren Blättern bestehend.
Blüthen klein, weiss, manchmal gelblich oder
grünlich. Frucht gegen 6 mm lang, länger als
ihr Stiel, selten nur eben so lang, glatt und
glänzend, Fruchtschnabel nicht deutlich ab¬
gesetzt, nur den fünften Theil der Fruchtlänge
betragend. Blüthe Mai. Diese Pflanze ist ein
Wiesenunkraut, das besonders an schattigen
Stellen das Gras verdrängt; dem Vieh ist sie
unschädlich. Sie wird häufig mit Conium
maculatum, dem grossen Schierling verwechselt,
der giftig ist und auf Wiesen sich niemals
vorfindet. v. Li ebenberg.
Chaetociadium Berk, et Br. von yattirj,
Haar, Borste, und xXaäoc, Zweig. Auf Mucor-
arten parasitisch lebende Pilze, deren Gonidien-
träger baumartig verzweigt sind. Ihre End¬
verzweigungen tragen auf sehr kurzen seit¬
lichen Stielchen, oder fest sitzend, rundliche
Köpfchen einzelliger Gonidien. Das Mycel
treibt Haustorien in die Zellen des Wirthes
und entnimmt diesem mittelst derselben die
erforderlichen Nährstoffe. Die Copulation und
Bildung von Zygosporen (wie bei Mucor)
wurde von Brcfeld entdeckt. Gleich wie alle
Mucorecn sind auch diese Pilze in ihren
vegetativen Organen scheidewandlos. Merk¬
würdig ist es, dass hier ein Pilz auf einem
ihm so nahe verwandten anderen parasitirt.
Chaetociadium Jo ne sii Berk, et Br.
Lebt parasitisch auf Mucor Mucedo und ande¬
ren Mucoreen. Die Gonidienträger sind Bo¬
trytis-artig, daher früher der Name Botrytis
Jonesii. Harz .
Chaetopoden (Chaetopoda, Borstcnfüsscr,
Borstenwürmer. Ordnung der Gliederwürmer,
Annelides, der höchsten Classe des Typus der
Würmer, Vennes). Die Chaetopoden haben einen
langgestreckten, cylindrischen oder von oben
nach unten abgeplatteten Körper, welcher
durch regelmässig aufeinanderfolgende Ein¬
schnürungen in gleichartige Ringel, Segmente,
getheilt ist. Diese äussere Segmentirung wie¬
derholt sich im Innern des Körpers insofern,
als die Leibeshöhle durch quere Scheidewände
(Dissepimente), deren Anheftpunkt den Ein¬
schnürungen der Körperhaut entspricht, in
ebensoviel hintereinanderliegende Fächer zer¬
fällt, in deren jedem sich die Organisation des
vorhergehenden wiederholt (homonome Seg¬
mentirung). Jedes Segment trägt äusserlich
zwei Paare von Bündeln chitiniger Borsten, von
denen zwei dorsolateral, zwei ventrolateral
stehen und entweder in Taschen der Haut mit
der Basis ein gesenkt (Obligochacten) oder in
besonderen Höckern (Fussstummel, Parapodien)
eingelagert sind (Polychaeten). Bei den letz¬
teren können dazu noch am Rücken paarige
Anhänge hinzutreten, wie Kiemen als ver¬
ästelte Ausstülpungen der Körperhaut und
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CHAIGNEBRUN. — CHAMPAGNER-SCHWEIN.
14t
Cirren als fühlerartige Fäden. Die beiden vor¬
dersten Segmente des Körpers sind gewöhnlich
von den übrigen Segmenten differencirt. Das
erste Segment wird als Kopflappen unter¬
schieden, es hat keine Borsten und trägt die
Augen und bei den Polychaeten als Tast¬
organe dienende Palpen, das zweite Segment
hat auf der unteren Seite die längliche Mund-
spaltc und entbehrt ebenfalls der Borsten.
Diese beiden Segmente können als Kopfseg¬
mente unterschieden werden. Der Verdauungs¬
canal verläuft meist in gerader Richtung vom
Munde zum After, der am Hinterende gelegen
ist. Er zeigt häufig im Beginn einen musku¬
lösen Schlundkopf, der, mit Papillen oder
Hornzähnen ausgerüstet, als Rüssel vorgestreckt
werden kann. Der Darm erleidet beim Durch¬
tritt durch die Dissepimente successive Ein¬
schnürungen, um sich in den Kammern wieder
zu erweitern, oft sich zu förmlichen seitlichen
Blindsäcken auszudehnen. Das Gefasssystem
besteht aus einem dem Darm aufliegenden
Rückengefäss und einem Bauchgefass, beide
stehen in den einzelnen Segmenten und am
vorderen und hinteren Ende durch Gefass-
schlingen in Verbindung. Die Excretions-
organe sind paarige Schläuche mit nach der
Leibeshöhle offenen Wimpertrichtern, die seit¬
lich an der Aussenfläche ausmünden. Sie wie¬
derholen sich paarig in jedem Segment. Das
Nervensystem besteht aus einem Ganglienpaar,
das im vordersten Segment über dem Oesophagus
liegt und durch Commissuren, die den Schlund
umgeben, mit zwei Nervensträngen in Ver¬
bindung steht, welche am Bauche verlaufen
und in jedem Segmente zu paarigen Ganglien
anschwellen. Von Sinnesorganen kommen
Augen vor und Tastorgane, die entweder in
Hautpapillen oder an den Fühlern und Cirren
angebracht sind. Die Geschlechter sind ent¬
weder getrennt, bei den meisten Polychaeten,
oder in einem Individuum vereinigt, bei den
meisten Oligochaeten. In letzterem Falle sind
es in bestimmten Segmenten liegende Hoden
und Ovarien, die mit besonderen Ausführungs¬
gängen versehen sind oder bei denen die Seg-
inentalorgane bestimmter Segmente diese Func¬
tion übernehmen. Bei den getrennt geschlecht¬
lichen Formen entstehen Eier oder Sper-
matozoiden an der Leibeswandung und werden
durch die Segmentalorgane nach aussen ge¬
führt. Die Entwicklung geschieht entweder
direct (Oligochaeten) oder es kommt aus dem
Ei eine bewimperte Larvenform, die sich erst
ira Verlauf des freien Lebens in das vollkom¬
mene Thier verwandelt. Neben der geschlecht¬
lichen Fortpflanzung kommt auch bei ein¬
zelnen Chaetopoden (Naideen, Syllis) eine un¬
geschlechtliche Fortpflanzung durch Theilung
vor. Die Chaetopoden leben theils in feuchter
Erde, so die Regenwürmer, theils im Süss¬
wasser, zum grössten Theile im Meere, theils
kriechend, theils schwimmend, theils in selbst¬
gebauten Röhren an festen Gegenständen an¬
geheftet. Man unterscheidet zwei Ordnungen :
1. Die Oligochaeten, bei denen die
aus wenig Borsten bestehenden Bündel in die
Haut ein gesenkt sind. Sie sind Zwitter und
leben theils in feuchter Erde, so die Regen¬
würmer, Lumbriciden, theils im Schlamme der
süssen Gewässer, zum geringsten Theile im
Meere.
2. Die Polychaeten. Meeresbewohner,
bei denen die Borsten in besonderen Fuss-
höckern, Parapodien, eingesenkt sind und bei
denen neben den Borsten noch Kiemen und
Cirren Vorkommen. Sie sind grössten theils
getrennten Geschlechtes. Studcr.
Chaignebrun, Henri Audouin de, schrieb
1757 über die damals in Frankreich herr¬
schende Rinderpest. Semmer.
Chalara Corda, Schlaffgliederpilz (von
yaXapos, schlaff). Schimmelpilze von den
Eigenschaften und dem Habitus des Milch¬
pilzes (siche Arthrococcus), mit dem sie
vielleicht identisch sind. Auch der Käse¬
gliederpilz, Sporendonema Casei, gehört in
die Nähe. Chalara mycoderma Bon. ist wohl
z. Th. Arthrococcus lactis, z. Th. Saccharo¬
myces Mycoderma. Harz.
Chala8i8 (rj xaXaats, das Nachlassen,
Erschlaffen, Atonie; yaXaoog apfrpwv, Ver¬
renkung). Davon als adj. chalasticus in Chalas-
ticum sc. remedium, erweichende erschlaffende
Arzneimittel. Sussdorf.
Chalazae (r, Hagel, Korn), die
Hagelschnüre, das sind spiralig gedrehte Aus¬
läufer der Membrana chalazifera, welche letz¬
tere das Albumen des Vogeleies um den
Eidotter bildet. Sussdorf.
Chalazonephriti8 (abgel. von ij
Hagel, Schlossen, Korn etc. — 6 vctppo's,
Niere, — itis = Entzündung), die körnige
Nierenentzündung, als Stadium der inter¬
stitiellen Bindegewebswucherung und Schrum¬
pfung (dah. = Schrumpfniere) bei der Bright-
schen Krankheit, also die chronische Form
der Nephritis, welche zur Granularatrophie
der Niere führt. Sussdorf
Chalaz08f8, (von yaXaC« Finne, Nagel,
Gerstenkorn), Finnenkrankheit; s. Finnenkrank¬
heit der Schweine und Rinder. Semmer.
Chamaeleon minerale wird auch das ge¬
wöhnliche Kalimanganat genannt (Kalium
manganicum crudum), weil aus ihm unter
raschem Farbenwechsel von Grün in Roth
das Permanganat entsteht und die Lösungen
je nach ihrer Concentrirtheit auffallende Farben-
nuancirungen annehmen. Vogel.
Chambert L., französischer Veterinär, er¬
hielt 1813 für eine der Ackerbaugesellschaft
zu Paris eingesendete Abhandlung eine goldene
Medaille. Er schrieb ein zweibändiges Werk
über Thierzucht. Koch.
Chamille, Chamomilla, die Kamille, s. die
Stammpflanze Matricaria Chamomilla L.
Champagner-Schwein. Am Anfänge des
vorigen Jahrhunderts scheinen die holländi¬
schen Schweine besonders geschätzt worden
zu sein. Später kamen französische Rassen
an die Reihe: das Lothringer und das Cham¬
pagner-Schwein. Beide sind vielfach in Deutsch¬
land eingeführt und zur Verbesserung der
heimischen Schläge verwendet worden. Ganz
besonders gilt dieses für das Champagner-
Schwein. Es besass eine zeitlang eine sehr
142
CHAMPIGNON. — CH ARMOISE-SCHAF.
grosse Bedeutung. Die landwirtschaftlichen
Schriftsteller jener Zeit sind seines Lobes
voll und berichten, dass zahlreiche Stämme
von Champagner-Schweinen zur Begründung
von Stammzuchten in Deutschland und Oester¬
reich eingeführt wurden. Auch nach Ungarn
gelangten solche. Noch heute rühmt man
das Champagner - Schwein als Grundlage
der berühmten Zucht zu Schlanstett in
der preussischen Provinz Sachsen. Mit dem
Bekanntwerden der verbesserten englischen
Schweine - Rassen erlosch die Bedeutung
des Champagner - Schweines. Gegenwärtig
kommt die Rasse als Zuchtmaterial ausser¬
halb ihrer Heimat nicht mehr in Betracht.
Das Champagner - Schwein jener Zeit, von
dem in Vorstehenden die Rede war. ge¬
hörte der Gruppe der wildschweinsähnlichen
Hausschweine an und innerhalb dieser zu
der Unterabtheilung der grossohrigen Schweine.
Dieselben waren meist einfarbig weiss, er¬
reichten je nach der Art ihrer Haltung und
Ernährung ein Gewicht bis zu 500 kg und
zeichneten sich durch lange, breite, nach
vorn überhängende Schlappohren aus. Von
diesen grossohrigen Schweineu gab es zahl¬
reiche Rassen, richtiger Schläge, die in Pom¬
mern, Mecklenburg, Holstein, Friesland, Hol¬
land, Frankreich u. s. w. angetroffen wurden.
Besondere Sorgfalt in der Zucht war jeden¬
falls die Veranlassung, dass unter diesen vielen
Schlägen das Schwein der Champagne den
Vorzug erlangte und lange Zeit bewahrte. Ce.
Champignon. Unter Champignon versteht
man jene pilzähnlichen gestielten Geschwülste,
welche einige Zeit nach der Castration aus
der Wunde im Hodensacke hervorragen und
ihren Ursprung entweder von der Fleisch¬
haut oder manchmal vom unteren Ende des
tief herabreichenden Samenstranges nehmen.
Sie bestehen aus Granulationsgewebe, in den
älteren Partien aus jungem Bindegewebe. Die
Grösse derselben variirt von der einer Nuss
bis zur Faustgrösse und noch darüber. Die
Oberfläche ist meist höckerig, roth von Farbe
und mit Eiter und Krusten bedeckt. Als Ur¬
sache müssen wir alle Reize beschuldigen,
welche die Wundflächen treffen; ob Witte¬
rungsverhältnisse, namentlich Kälte, einen
Einfluss ausüben können, ist fraglich, dagegen
scheint bei einzelnen Individuen eine beson¬
dere Disposition zu bestehen. Französische
Autoren gebrauchen das Wort Champignon auch
für jene Processe am Samenstrange, welche
wir als Samenstrangfisteln bezeichnen. Wäh¬
rend die Wucherungen, die von der Fleisch¬
haut ausgehen, ohne besonderen Belang sind
und durch Kupfervitriol, Alaun etc. oder noch
rascher mittelst Schere und Messer leicht zu
beseitigen sind, machen jene, die am unteren
Ende des Samenstranges aufsitzen und durch
die vernarbende Castrations wunde einge¬
schnürt werden, mitunter sogar eine Abtra¬
gung des unteren Endes des Samenstranges
nach vorheriger Erweiterung der Oeffnung im
Hodensacke nöthig (s. a. u. Castration). Br.
Chanker8euche, s. Beschälseuche und
Bläschenausschlag der Geschlechtstheile. Sr.
Ctianvalon, französischer Schriftsteller
über Thierarzneikunde und Viehzucht; im
XVIII. Jahrhundert. Ableitner.
Charakter. In der Thierzucht spricht
man von Charakter der Wolle (s. Wollkunde)
und von eigenthümlichen Charakteren der In¬
dividuen und Rassen. Einige Zootechniker
behaupten, dass jede Rasse ihren besonderen
Charakter besässe, und dass man bei der
Züchtung, Haltung und Pflege auf den Cha¬
rakter derselben ganz besondere Rücksicht
nehmen müsse. Bei den einzelnen Individuen
spricht man von gutem und schlechtem Cha¬
rakter und will damit andeuten, dass ein Thier
entweder leicht, bequem zu behandeln, leicht
zu reiten oder zu fahren oder dass es anderer¬
seits bei der Behandlung Schwierigkeiten
macht, böse oder unaitig sei. Freytag.
Charkow, Veterinär-Institut, gegründet
1839 und reorganisirt als Schule 1852 und
1873 in ein Institut umgewandelt. An dem¬
selben wirkten Galitzki, Ostrowski, Paljuta.
(Gegenwärtig Melnitschenko, Brandt, Gordejew,
Ostapenko, Danilewski, Nowopolski.) Semmer.
Charlemagne, französischer Ockonom und
Schriftsteller über Schafpocken und ihre Be¬
handlung; im XVIIL Jahrhundert. Ableitner.
Charles, Ärztin Besangon, gab 1744 seine
Beobachtung über Rinderpest heraus. Semmer.
Charies-Hund, s. King Charles.
Charlier, studirte Veterinärmedicin in Al-
fort, schrieb 1845 über Hydrämie, Anämie und
Cachexie der Pferde und Schafe, über Koliken
und Tympanitis und über Castration der Kühe
von der Scheide aus. Semmer.
Charmoi86-Schaf. Dieser Name wurde
einem Schaftypus beigelegt, welcher von
H. Malingid in seinem Pachthof La Charmoise
(Departement Loir et Cher) gezogen wurde.
Dieser Typus ist in Frankreich zu einer
wahren Celebrität gelangt, u. zw. besonders
in Folge der theoretischen Discussionen, deren
Gegenstand er war. Malingid hatte sich um
das Jahr 1835 zum Ziele gesetzt, in Frank¬
reich eine Rasse heranzuziehen, welche die
englischen Rassen ersetzen sollte, deren end-
giltige Acclimatisation in diesem Lande fast
unübersteiglichen Hindernissen begegnet. Um
nun seinen Zweck zu erreichen, kreuzte er
seine Heerde, welche aus mischblütigen Schafen
(Solognoter, Berrichoner, Tourangeller Rasse
und Merinos) bestand, mit Widdern von
reiner Newkent-Rasse. Durch methodischen
Vorgang gelang es ihm, eine Familie zu
bilden, welche mit den Newkent-Schafen eine
derartige Aehnlichkeit hatte, dass die äusseren
Unterschiede sehr häufig schwer festzustellen
waren: dieselbe Regelmässigkeit der Formen,
dieselbe Grösse und zumeist auch dasselbe
Wollkleid. Die Newkent-Rasse hatte bis zu
einem Punkt Überwogen, um fast völlig den
französischen Stamm zu absorbiren; letzterer
hatte jedoch auf die Producte einen starken
Theil seiner Rusticität und seiner sonstigen
Eigenschaften, besonders aber die Schmack¬
haftigkeit des Fleisches, übertragen, woraus
die Ueberlegenheit der von Malingiö mit dem
Namen Charmoise belegten Rasse über jene
CHARNIERGELENK. —
der Newkent-Rasse hervorging. Er behauptete
nämlich, thatsächlich durch Kreuzung eine
neue Rasse herangezogen zu haben, eine
Meinung, welche zahlreichen Widersachern
begegnete, unter denen in erster Reihe
A. Sanson auftrat. Die Ereignisse scheinen
nun auch Letzterem Recht gegeben zu haben,
denn die Charmoise-Rasse ist fast völlig ver¬
schwunden, sei es nun in Folge von deren
Instabilität oder aber weil es den Nach¬
folgern Malingiö’s an Ausdauer und anderen
materiellen und moralischen Eigenschaften
mangelte, welche eben für die Durchführung
eines zootechnischen Unternehmens von sol¬
cher Wichtigkeit unerlässlich sind. Neumann.
Charniergelenk oder Wechselgelenk ist
eine bewegliche Knochenverbindung, wobei die
Bewegung nur in einer Ebene, um die Quer¬
achse der Knochen möglich ist (siehe Ge¬
lenke). Zschokke.
Charolais-Rind. Von sämmtlichen fran¬
zösischen Rassen ist diese die für Schlacht¬
zwecke durch deren Tauglichkeit hiezu wich¬
tigste. Ihr Ursprungsort ist die alte Provinz
Charolais, welche heutzutage zum Departe¬
ment Saone et Loire gehört. Von jeher war
der Boden dort mit nahrhaften Futterge¬
wächsen bestanden, auch war das Vieh dort
stets seit einer Reihe von etwa 50 Jahren
Gegenstand eifrigster Pflege und des Be¬
strebens nach Vervollkommnung. Die Rinder
erlangten dadurch einen massigen und langen
Körper, mit stark reducirtem Skelet, leichten
Kopf, feine Hörner, kurze und wenig volumi¬
nöse Glieder, einen Hals von mittelmässiger
Kraft, fast völlig einer Wamme entbehrend;
eine breite und tiefe Brust, starke Lenden
and Kruppe, Hinterbacken und Schenkel,
deren sehr entwickelte Muskeln bis fast zu den
Sprunggelenken hinab sich erstrecken, indem
sie einen convexen Vorsprung bilden. Die Haut
ist dick geblieben, dabei jedoch sehr weich
und geschmeidig geworden. Die wenig ent¬
wickelten Euter sind eben genügeud, um das
Kalb entsprechend zu säugen. Die Haarfarbe
ist in Folge einer aufmerksamen Auswahl
weiss und erinnert an die Nuance der Rahm¬
farbe. Die Ochsen werden auf der Weide ge¬
mästet. Sie werden im Allgemeinen am Ende
des vierten Jahres geschlachtet, nachdem sie
vorher einige Zeit zur Arbeit angehalten
worden, bei welcher sie sich sehr kräftig und
leistungsfähig erwiesen. Mit ihrem Fleisch
wird ganz insbesondere die Stadt Lyon appro-
visionirt. Nach Comevin wurden im Jahre 1876
in dieser Stadt 8262 Ochsen dieser Rasse ge¬
schlachtet. Sechs Probewägungen haben als
Lebendgewicht einen Durchschnitt von 520 kg
ergeben, als Nettoergebniss 57*3 per 100 und
für die Haut 32 kg. Das Maximalergebniss
war bei einem Lebendgewicht von 702 kg:
428 kg netto an Fleisch oder 61 per 100;
das Minimum mit 535 kg Lebendgewicht
289 kg netto Fleisch oder 54*1 per 100. Das
Maximalgewicht der Haut war 41 kg. — Das
Fleisch ist zart aber nicht besonders schmack¬
haft. Die Industrie der Weidemästung, welche
so rasch und so vorzüglich im Charolais ge-
CHEILOANGIOSKOPIE. 143
dieh, wo sie einen beträchtlichen Gewinn ab-
warf, hat sich auf die benachbarten Departe¬
ments Allier, Cher und besonders Nifcvre aus¬
gebreitet. Die Ochsen dieses letzteren De¬
partements wurden lange Zeit hindurch mit
dem Namen Nivernais-Ochsen belegt. Sie
unterschieden sich von den Charolais-Rindern
durch eine gröbere Structur, einen kräftigeren
Knochenbau, einen stärkeren Kopf, eine
grössere Tauglichkeit zur Arbeit, aber eine
geringere zur Mast. Nach und nach hat durch
fortgesetzte Mischung mit Charolaisblut, durch
sorgfältige Wahl, durch massvolle Verwendung
der Durham, welche der Charolais-Gruppe
stets von Nutzen war, der Rinderbestand
des Niövre-Departements den Charakter der
Charolais angenommen und unterscheidet sich
nicht mehr von diesen. Aber die Zucht hat
jetzt im Nievre-Departement eine grössere
Wichtigkeit und eine bedeutendere Ausdehnung
als im Departement Saone et Loire erlangt
und bei den grossen Thierausstellungen ist
es zumeist das erstere, welches dem Cotentin
die ersten Preise mit Erfolg streitig macht. Nn .
Charple, zerzupfte alte Leinwand (Linteum
carptum), war seither ein bekanntes Auf¬
saugungsmittel für Wundsccrete aller Art in
der Chirurgie, ist aber jetzt als Verbandmittel
gefallen, indem es als stete Trägerin einer
Menge von Mikrozymen und Contagien gegen
alle antiseptischen Grundsätze verstösst. Haupt¬
sächlich wird jetzt die Charpie durch Baum¬
wolle auch in der Thierheilkunde ersetzt,
desgleichen durch Jute Gaze oder Holzwolle. VI.
Charta cerata, Wachspapier, s. Cera flava.
Cha8ma (xö yofop.*), Oeffnung, auch für
Schlund, Rachen. Sussdorf.
Chastenay H. gab 1817 in Paris heraus:
Instruction sur les diverses maladies des betes
ä laine, avec les remfedes curatifs les plus
salutaires. Semmer.
Chaumontel studirte in Alfort und war
seit 1802 Professor der Klinik daselbst, ver¬
öffentlichte mehrere Aufsätze und war Mit¬
herausgeber des „Cours d’Agriculture“. Er war
ein Gegner der Contagiosität des Rotzes (1809
bis 1834). Semmer.
Cheddar-KIse, nach dem Cheddarthale in
der englischen Grafschaft Somerset benannter,
5—50 kg schwerer, cylindrischer, im Mittel
40 cm breiter, 30 cm hoher, aus ganzer Kuh¬
milch hergestellter, harter Labkäse, welcher
gegenwärtig in sehr grossen Mengen in den
nordamerikanischen Sammelmeiereien bereitet
wird und im Handel als amerikanischer
Cheddar erscheint. Feser.
Cheiloangiositopie (xi xslXoc, die Lippe,
xb dfretov, das Crefäss, oxorccu», sehen, Lip-
pengefäss-Beobachtung). Hie mit bezeichnet C.
Hu et er jene physikalische Untersuchungs¬
methode, welche uns in den Stand setzt, die Blut¬
gefässe am lebenden Warmblüter mikroskopisch
betrachten und beobachten zu können, uns
einen Einblick in die Gefässbahnen des ge¬
sunden wie erkrankten Organismus zu ver¬
schaffen. Während beim Menschen die Lip¬
penschleimhaut das passendste Object für
derartige Untersuchungen abgibt — woher
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144
CHEILOS. — CHEMIE.
auch der Name genommen ist — erweist sich
dieselbe beim Thiere in Folge der stärker
entwickelten Epithelialschichte, häufiger Pig-
mentirung etc. etc. viel weniger geeignet.
Man ist hier vielmehr darauf angewiesen —
und die ersten und meisten und wichtigsten
Experimental-Untersuchungen wurden so ge¬
macht — die Angioskopie an der Palpebra
tertia vorzunehmen (s. d.). Schlampp .
Cheiloi (x6 /elXoc, latinisirt chilus),
Lippe, Schnauze, Rüssel, Rand, Saum, findet
sich in zahlreichen Zusammensetzungen, z. B.
Cheilitis, Lippenentzündung,
Cheilonkos, Lippengeschwulst,
Cheiloparalysis, Lippenlähmung. Sf.
Chele (vj yyjXt)), gespaltene Klaue der
Wiederkäuer, Schweine, auch Huf desPferdes.S/*.
Chemie (von ich giesse, nach An¬
deren vom hebräischen Cham, schwarz, auch
heiss) ist die Wissenschaft von den stofflichen
Veränderungen der Körper. Es lassen sich
nämlich die mannigfaltigen Veränderungen —
Erscheinungen — welche wir an den Natur¬
objecten unmittelbar wahmehmen und auch
durch Versuche herbeizuführen im Stande
sind, in zwei Gruppen trennen, je nachdem
die an dem Körper sichtbaren Erscheinungen
ohne Aenderung des stofflichen Bestandes
desselben ablaufen oder eine solche herbei¬
führen. Die Erscheinungen ersterer Art heissen
physikalische, die der letzteren werden
chemische genannt. Ein Stab aus weichem
Eisen wird durch die Wirkung des elektri¬
schen Stromes in den magnetischen Zu¬
stand versetzt, er hat die Fähigkeit erhalten,
weiches Eisen anzuziehen; bringen wir den
Eisenstab nun wieder ausserhalb des Wirkungs¬
kreises des elektrischen Stromes, so verliert
er den magnetischen Zustand, es hat also der
Eisenstab während des Versuches wohl eine
Aenderung seines Zustandes erfahren, doch
wurde er dabei stofflich nicht verändert, die
Wirkung des elektrischen Stromes auf das
weiche Eisen äusserte sich demnach in einer
physikalischen Erscheinung. Erhitzen wir nun
denselben Eisenstab an der Luft bis zur Roth-
glut, so werden wir nach dem Entfernen der
Wärmequelle wahrnehmen, dass das Eisen
diesmal stofflich verändert wurde, der metal¬
lische Glanz des Eisenstabes ist nicht mehr
da, er ist mit einem schwarzen Beschlag be¬
deckt, welcher kein metallisches Eisen mehr
ist, sondern ein ganz anderer Stoff mit an¬
deren Eigenschaften — es hat in diesem Falle
ein chemischer Vorgang stattgefunden. Die
Kräfte nun, welche die stofflichen Verände¬
rungen der Körper bewirken, Wärme, Elektri-
cität, hoher Druck, sind bald im Stande,
die Körper in ihre stofflichen Bestandtheile
zu zerlegen, bald bedingen sie die Vereinigung
mehrerer einfacher Stoffe zu neuen Körpern
mit Eigenschaften, welche ganz verschieden
von denen ihrer Componenten sind. Das Be¬
streben der Chemiker, die Körper in einfache
Stoffe zu zerlegen, welche durch keine Kraft
mehr weiter zerlegt werden können, führte
zur Auffindung der chemischen Grundstoffe,
auch Elemente genannt. Bis nun sind 65
solcher chemischer Elemente bekannt, welche
den stofflichen Bestand des Weltalls bilden.
Sämmtliche Körper sind demnach entweder
einfache, wie die Elemente, z. B. Gold, Silber,
Jod u. s. w., oder zusammengesetzte, d. h. aus
mehreren Elementen bestehend, so besteht
das Kochsalz aus Chlor und Natrium, das
Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff, der
Zucker aus Kohlenstoff, Wasserstoff und
Sauerstoff. Indem die Chemie sämmtliche
stofflichen Veränderungen der Körper ihrer
Betrachtung unterzieht, zerfallt sie nach den
speciellen Zwecken, welche bei der chemischen
Untersuchung verfolgt werden, in verschiedene
Zweige. Die analytische Chemie erforscht
die Zusammensetzung der Körper, indem sie
dieselben in einfachere Bestandtheile, manch¬
mal bis zu den Elementen herab, zerlegt; sie
charakterisirt die Elemente und Verbindungen
nach den Erscheinungen, welche bei dem Zu¬
sammenbringen derselben mit anderen Körpern
auftreten, die sog. Reactionen; so wird z. B. J o d
daran erkannt, dass es Stärkekleister blau
färbt, und Stärke wieder dadurch, dass sie von
Jod blaugefärbt wird. Begnügt man sich bei
der chemischen Analyse allein damit, die
einzelnen Bestandtheile einer Verbindung
durch ihre Reactionen erkannt zu haben,
dann nennt man sie eine qualitative, werden
aber auch die Mengen bestimmt, in welchen
die einzelnen Körper in einer Verbindung
Vorkommen, dann ist die Analyse eine quan¬
titative. Die synthetische Chemie sucht
nach den Gesetzen, welche bei der Vereinigung
von Elementen und von Verbindungen unter
einander wirksam sind. Sie prüft die Ergeb¬
nisse der Analyse, indem sie nach denselben
die zerlegten Körper wieder auf chemischem
Wege künstlich darzustellen sucht. Während
man noch vor vierzig Jahren annahm, die
Chemiker könnten höchstens Mineralien künst¬
lich aus ihren Elementen darstellen, ist es
nunmehr gelungen, eine grosse Anzahl von
Körpern, welche in dem Pflanzen- und Thier¬
organismus gebildet werden, sog. organische
Körper, aus ihren Elementen synthetisch dar¬
zustellen. Man ist nun im Stande, Harnstoff,
Alkohol, Milchsäure, Essigsäure u. s. w., eine
grosse Anzahl von Farbstoffen des Pflanzen¬
reiches aus ihren Elementen aufzubauen, und
die Resultate der synthetischen Chemie haben
auf gewisse landwirtschaftliche Productionen
und auf die Industrien, die sich mit Farb¬
stoffen beschäftigen, neuerdings auch auf die
Arzneimittellehre einen eingreifenden Einfluss
ausgeübt. Zugleich führten die synthetisch
chemischen Versuche zu bestimmten Vor¬
stellungen über den atomistischen Bau der
chemischen Verbindungen, welche uns den
Begriff der Constitution der Verbindungen
vermitteln. Ausser diesen beiden Richtungen
der chemischen Forschung, der analytischen
und synthetischen, welche, je nachdem sie
Körper des Mineralreiches oder der belebten
Wesen, hauptsächlich die Verbindungen des
Kohlenstoffes, in Betracht zieht, überdies in
die unorganische und organische Chemie
zerfällt, welche beide man auch als theoretische
CHEMISCHE SCHÄDLICHKEITEN. —CHEMISCHE ZEICHEN U. FORMELN. 145
oder allgemeine Chemie bezeichnet, wollen
wir auch der physikalischen Chemie ge¬
denken, derjenigen Wissenschaft, welche die
Beziehungen zwischen den chemischen Vor¬
gängen und physikalischen Erscheinungen
registrirt. — Während sich die reine oder
theoretische Chemie mit der Erforschung der
chemischen Vorgänge, ohne Rücksicht auf
die Verwerthung der erlangten Resultate zu
anderen Zwecken beschäftigt, bringt es an¬
dererseits die grosse Verschiedenheit der
Objecte, welche wir auf ihren stofflichen Be¬
stand zu prüfen haben, und ferner die grosse
Verwendbarkeit der chemischen Kenntnisse
auf den mannigfaltigsten Gebieten der mensch¬
lichen Thätigkeit mit sich, dass es zahlreiche
Gebiete der angewandten Chemie gibt,
auf welchen die Methoden der chemischen
Untersuchung nur für bestimmte Objecte und
im Dienste einzelner Wissenszweige verwertket
werden. In diesem Sinne gibt es eine Chemie
der Ackerkrume, eine Chemie des Harnes,
eine Gährungschemie, metallurgische Chemie,
Phyto- und Zoochemie, Biochemie, Chemie der
Fettstoffe, der Farbwaaren u. s. w. Mit der
Auffindung von Giften in Leichentheilen be¬
schäftigt sich die gerichtliche Chemie, mit dem
Nachweis der Verfälschungen der Nahrungs¬
mittel, die Nahrungsmittelchemie. Locbisch.
Chemische Schädlichkeiten als Krank¬
heitsursache kommen meistens in derNähe
von Fabriken in Betracht, insoferne bei den
in diesen betriebenen Gewerben gasförmige,
flüssige oder feste Stoffe entwickelt werden,
welche eingeathmet oder mit den Nahrungs¬
mitteln eingeführt, ebenso wie auf die Arbeiter,
auch auf die in der Nähe der Fabriks¬
anlage lebenden Thiere gesundheitsschädlich
einwirken können. Die Unschädlichmachung
dieser Stoffe ist Aufgabe der Gewerbehygiene,
welche für diesen Zweck bei den einzelnen
Gewerben specielle Vorschriften aufstellt.
Als chemische Schädlichkeiten wirken beson¬
ders: 1. Schwefelige Säure, deren Dämpfe
bei der Schwefelsäure-, Alizarin- und Strohhut¬
fabrikation durch hohe Kamine an die Luft
abgeliefert werden müssen; 2. Chlordämpfe,
diese entwickeln sich bei der Darstellung des
Chlorkalkes und auf den Bleichereien; 3. Koh¬
lensäure in grosser Menge hat sich bisher
nur in Gährkellern schädlich erwiesen;
4. Kohlenoxyd verursacht bisweilen bei Ar¬
beitern an Hochöfen Vergiftungen; 5. Ar¬
senik (arsenige Säure), welcher noch immer
zur Darstellung von Farben — Schweinfurter-
grün, Anilinfarben — verwendet wird; 6. Blei
in Form von Bleioxyd, Bleiweiss, Bleizucker;
7. Phosphor in Form von phosphoriger
Säure,namentlich in Zündholzfabriken, schliess¬
lich 8. Quecksilber, dessen Dämpfe na¬
mentlich auf Arbeiter und nicht minder auf
die landwirtschaftlichen Hausthiere, sowie
auch die vorerwähnten chemischen Schädlich¬
keiten nachtheilig einwirken. Loebisch.
Chemische Zeichen und Formeln. Schon
die alten Alchemisten bedienten sich tlieils
der Abkürzung, theils der Geheimhaltung
Koch. EncyUoptdie d.Thierheilkd. II. Bd.
wegen bestimmter Zeichen, um damit gewisse
Stoffe zu bezeichnen. Feuer wurde mit Ai
Gold als Oi Eisen mit (j 1 , Kupfer durch %
bezeichnet. Während in dieser Zeichensprache
mit der Benennung des Stoffes die ganze
Bedeutung des Zeichens erschöpft war, belehren
uns die Zeichen und Formeln der modernen
Chemie über auf systematischer Grundlage
aufgebaute chemische Thatsachen in kurzer
und bündiger Form. Das richtige Verständniss
der chemischen Zeichen und Formeln ver¬
mittelt uns eine Summe von chemischen Kennt¬
nissen in der einfachsten Weise, wie sich dies
aus Folgendem ergeben wird. Zunächst wurden
als Zeichen für die Elemente die Anfangs¬
buchstaben ihrer lateinischen Namen gewählt:
0 Sauerstoff von Oxygenium, C Kohlenstoff
von Carbonium u. s. w. Wenn mehrere Ele¬
mente denselben Anfangsbuchstaben haben, so
unterscheidet man sie durch Anhängen eines
zweiten kleinen Buchstabens, und zwar zumeist
des dem Anfangsbuchstaben des Namens zu¬
nächst folgenden, z. B. Br für Brom, Be für
Beryllium, jedoch As für Arsen und St für
Stibium (Antimon), Hg für Hydrargyrum.
Ausserdem dass das chemische Zeichen uns
das Element anzeigt, drückt es aber auch die
Gewichtsmengen aus, in welchen ein bestimmtes
Element in die Verbindung eintritt. Das
Zeichen CINa sagt nicht nur, dass Kochsalz
aus den Elementen Ci und Na besteht, son¬
dern es belehrt uns auch über die Gewichts¬
mengen, in welchen Chlor und Natrium im
Molecul CINa enthalten sind. Es bedeutet
nämlich CI zugleich die Gewichtsmenge, mit
welcher ein Atom Chlor in eine chemische
Verbindung eintritt also das Atomgewicht
des Elementes, welches bei Chlor (Wasserstoff
als Einheit gesetzt) 35*5 beträgt, und bei
Na = 23 ist, es bedeutet demnach das Sym¬
bol CINa die Verbindung von Chlor mit Na¬
trium, welche auf 35*5 Gewiclitstheile Chlor
23 Gewichtstheile Natrium enthält und deren
Moleculargewicht 35 * 5 -f- 23 = 58 * 5 beträgt.
Doch verbinden sich die Elemente nicht nur
in einfachen, sondern auch in multiplen Ver¬
hältnissen miteinander, und um auch diese
Thatsache durch die chemische Zeichensprache
zum Ausdruck zu bringen, hat man sich da¬
hin geeinigt, die Anzahl der Atome des einen
Elementes, welche sich mit einem oder mehreren
Atomen eines anderen Elementes zu einem
Molecul verbinden, in der Weise anzuzeigen,
dass man rechts an den Fuss der Symbole
jene Zahl setzt, welche die Anzahl der Atome
anzeigt, in welcher die Elemente in die Ver¬
bindung eingetreten sind. Schreibt man dem¬
nach S0 4 H # , Schwefelsäure, so ist damit an¬
gezeigt, dass die Verbindung aus einem Atom
Schwefel S (32), aus 4 Atomen Sauerstoff
(4 X 16 = 64) und aus 2 Atomen Wasser¬
stoff (2) besteht. Eine an die linke Seite
eines chemischen Zeichens gesetzte Zahl multi-
plicirt nicht nur das eine Element, neben
welchem es sich befindet, sondern sämmtliche
andere Symbole bis zur nächsten Interpnnkti-
rung (Komma, Punkt, -f- oder — Zeichen).
So bedeutet PtCl 4 .2KCl, dass im Platin-
10
146
CHEMOSIS. — CHESTERKÄSE.
Chloridkalium, PtCl 4 mit 2 Atomen Kalium
und mit 2 Atomen Chlor verbunden ist. Die
chemische Formel dient überdies dazu, uns die
chemischen Zersetzungsvorgänge sowohl in
qualitativer, als in quantitativer Art in büu-
diger und übersichtlicher Form vor Augen zu
führen. Wenn ich in der Formel ausdrücken
will, dass das chlorsaure Kalium beim Er¬
hitzen in Chlorkalium und Sauerstoff zer¬
fällt, so schreibe ich C10 a K = KCl -f- O f ,
die Richtigkeit der Gleichung zeigt sich darin,
dass rechts und links vom Gleichheitszeichen
eine gleiche Anzahl von Elementen vorhanden
ist; wir haben links 1 Atom Chlor, 1 Atom
Kalium und 3 Atome Sauerstoff und ebenso
rechts. Zugleich belehrt uns diese Formel über
die Mengenverhältnisse, nach welchen der Pro-
cess verläuft. Nach der obigen Formel liefert
ein Molecul C10 3 KCl = 35 * 5 + 0 8 =(3X16)=
48 + K = 39, also 122 * 5 Gewichtstheile, ein
Molecul KCl = 74*5 Gewichtstheile und
48 Gewichtstheile Sauerstoff. Nach diesen
Daten lässt sich leicht berechnen, wie viel
z. B. 100 Gewichtstheile chlorsaures Kalium
Sauerstoff liefern, mit dem einfachen Ansatz
122*5 : 48 = 100 : x = wo x = 39 2. Eine
hervorragende Wichtigkeit haben in neuerer
Zeit die sogenannten Constitutionsformeln
erhalten, welche geeignet sind, unsere Vor¬
stellungen über gew isse chemische Functionen,
welche den Elementen innerhalb der Verbindun¬
gen zukommen, uns vor Augen zu führen. Wäh¬
rend die empirische Formel S0 4 H Ä mich nur
darüber belehrt, welche Elemente in einer
bestimmten Anzahl die Schwefelsäure bilden,
sagt die Formel S0 4 H t 0, welche die gleiche
Anzahl von Elementen enthält, aus: dass
ich mir die Schwefelsäure bestehend aus
einem Schwefelsäureanhydrid SO. und Wasser
OH
H f O vorstellen kann; die Formel SO* qjj
belehrt mich darüber, dass in der Schwefel¬
säure 2 Atome Sauerstoff mit dem Radical
SO* in der Weise verbunden sind, dass je
eine Affinität derselben durch H gesättigt wird,
welche 2 Wasserstoffe demgemäss nur durch
Vermittlung der 2 extraradicalen Sauerstoffe
mit SO* verbunden sind. Solche Wasserstoffe
sind es aber allein, welche in den Sauerstoff¬
säuren durch Metalle ersetzbar sind. Besonders
in der organischen Chemie sind die Consti¬
tutionsformeln unentbehrlich zum Verständ¬
nisse der zahlreichen isomeren Verbindungen,
d. h. solcher, welche aus einer gleichen Anzahl
von Elementen bestehen und dennoch ver¬
schiedene chemische und physikalische Eigen¬
schaften zeigen (s. Isomerien). Loebisch.
Chemosis (tq y^p.o>ot^, v. r\ xyjjay], eine
Muschel mit klaffenden Schalen, v.
offen stehen) bezeichnet eine Schwellung der
Lidbindehaut, als deren Wesen eine seröse
Durchtränkung in Folge einer Transsudation
in und unter ihr Gewebe anzunehmen ist.
Der Vorgang, welcher die Chemosis veran¬
lasst, kann ein verschiedener sein: man nimmt
als ursächliche Momente an: 1. Eine Stauung
im venösen Abflüsse aus der Conjunctiva,
2. einen entzündlichen Vorgang in derselben
und 3. einen entzündlichen Vorgang in den¬
jenigen Geweben, die einen mit den Strom¬
gebieten der Bindehaut communicirenden Ab¬
fluss besitzen, so namentlich bei Iritis und
Cyclitis.
Eine sehr häufige Begleiterscheinung ist
die Chemosis bei der Pferdestaupe (Diecker-
hoff), wo sie mit mehr diffuser Röthung oder
Injection der Bindehaut, ikterischer Färbung
des scleralen und subconjunctivalen Gewebes
ab und zu auch partiellem Oedem der Cornea,
Lidkrampf und Lichtscheue vergesellschaftet,
neben einer Steigerung der Körpertemperatur
oft das einzig constatirbare Symptom ist. So
beobachtete Friedberger gelegentlich der
im Frühjahre 188t stattgehabten Invasion
dieser Seuche bei 80% seiner Patienten der¬
artige Augenleiden mit mehr weniger ausge¬
sprochener Chemosis. Ausserdem kann Che¬
mosis auftreten bei der einfachen Conjuncti¬
vitis catarrh., Lidabscessen, eiteriger Infil¬
tration der Umgebung der Lider, bei Schwel¬
lung und Eiterung im Zellgewebe der Orbita
und schliesslich als Theilerscheinung bei all¬
gemeiner Hydropsie. Während bei leichteren
Formen conjunctivalen Oedems die Membran
sich leicht geschwellt, hellrosa- bis tiefroth,
feucht, wässerig und glänzend präsentirt,
wird sie mit Zunahme der Intensität allmälig
blässer, voluminöser; sowohl am Scleraltheil,
als auch am Fornii und dem Lidtheile der
Bindehaut (an der Conjunctiva palpebr. ganz
besonders bei der Pferdestaupe) bilden sich
mehr weniger durchsichtige Falten, die immer
mehr anschwellen, schliesslich ganz den Bulbus
verdecken können und zur Lidspalte als blasse,
durchsichtige Wülste hervorquellcn und so
den Schluss derselben hindern.
Die Therapie ist vor Allem gegen das
Grundleiden zu richten. Sind bei zu starker
Wulstbildung Ernährungsstörungen benach¬
barter Theile (namentlich in der Hornhaut)
zu befürchten, so ist eine rationelle Vornahme
der Massage indicirt. Schlampp .
Chenocholalsäure oder Chenocholsäure.
c„h 44 0 4 , ist ein Spaltungsproduct der in der
Gänsegalle vorkommenden Taurochenochol-
säure, aus welcher sie durch Kochen mit
Baryt erhalten wird. Sie ist unlöslich in Was¬
ser, löslich in Alkohol und Aether und kry-
stallisirt nur schwer aus einer mit Wasser
versetzten Lösung. Die Lösungen reagiren
sauer und geben die Pettenkofer’sche Reac-
tion auf Gallensäuren. Loebisch.
Chenu gab 1816 in Paris heraus seine
„Traite de la boiterie“. Semmer.
Cherry Fred. Clifford, englischer Veterinär
im 18. Jahrhundert, gab 1842 heraus „The art
of shveing horses. By the Sieur de Solleysel“:
mit Bemerkungen von ihm. Koch.
Cherry W. A. veröffentlichte mehrere Ar¬
tikel im Veterinarian (1846) über Rheumatis¬
mus, Drüsenleiden etc. Semmer.
Cheshire-Käse, s. Chesterkäse.
Chesterkäse ist ein in den englischen
Grafschaften Cheshire und Shropshire aus
CHEVROTINS.
ganzer Milch hergestellter harter, hochcylin¬
drischer Labkäse von 20—50 kg Gewicht mit
festem, wachsartigem Teig und eigenartigem
pikanten Geschmack. Fes er.
Chevrotins oder Geiskäsli aus der ro¬
manischen Schweiz, jetzt auch im Solo-
thurner Jura aus Kuhmilch gemacht. Weich¬
käse, klein, flachcylindrisch, dienen für den
Localconsum. Feser .
Chiacon Fernando gab 1551 heraus „Trac-
tado de la Cavaleria“. Koch.
Chiasma (ri> ycaapct), das Zeichen des X?
anatom. Terminus für sich kreuzende Faser¬
züge, z. B. Chiasma nervorum opticorum,
die (übrigens unvollkommene) Sehnervenkreu¬
zung, s. Nervus opticus. Sussdorf.
Chiasmus (6 /} aopöc), Kreuzschnitt.
Chiastolith, eine Abart des Andalu-
sits. Die im schwarzen Thonschiefer einge¬
wachsenen rhombischen Krystalle von meist
graulicher oder gelblicher Färbung enthalten
längs der Achse verlaufende und auch diagonal
gelagerte Einlagerungen von schwarzer kohliger
Materie, so dass der Querbruch der säulen¬
förmigen Krystalle eine schwarze Zeichnung
erkennen lässt, welche an den griechischen
Buchstaben / erinnert, daher der Name des
Minerals. Der Chiastolith ist ein Thonerde¬
silicat, und findet sich im Thonschiefer immer
nur da, wo dieser von Granit durchbrochen
wird, als metamorpliische Zone, welche dem
Granit anliegt, um nach aussen in den ge¬
wöhnlichen Thonschiefer überzugehen; kommt
vor bei Strehla in Sachsen, im Fichtelgebirge,
in den Pyrenäen, auch in Nordamerika. LA.
Chfber. Eine Bezeichnung der Einge-
borncn Indiens für eine diesem Lande eigen¬
tümliche Hautkrankheit, welche die Pferde
befällt, wenn dieselben während der Regen¬
zeit zu lange weiden oder auch sonst, wenn
überhaupt starker Thau auf die Wiesen ge¬
fallen ist. Obgleich schon seit längeren Jahren
in diesem Lande, ist mir doch bisher noch
kein derartiger Erkrankungsfall bei einem
Pferde vorgekommen, u. zw. aus dem einfachen
Grunde, weil die Truppenpferde eben nicht
den erwähnten veranlassenden Ursachen aus¬
gesetzt werden. Ich beschränke mich daher
bei Beschreibung dieser Krankheit auf das
Resumö einer Publication des inspicirenden
Veterinär-Arztes Meyrich C. V. S. über diese
Krankheit. Dieselbe gleicht dem Herpes
(Mauke?) und besteht in einem Bläschen-
Ausschlag um die Kronen, etwa einen Zoll
oder mehr oberhalb der Hufe, welcher sich
manchmal über die Ballen erstreckt. Nach¬
dem die Bläschen bersten, bleibt eine ex-
coriirte Fläche zurück, welche oft Monate
bis zur gänzlichen Heilung braucht. Gelegent¬
lich bedeckt sich nach einiger Zeit diese
Oberfläche mit einer haarlosen Haut, welche
so hart und dick werden kann, dass sie ein
hornähnliches Ansehen bekommt. Die Chiber-
krankheit tritt gemeiniglich auf, wenn Pferde
von nassen Weiden heimgebracht und ihre
Fü8se nicht abgetrocknet werden. Die Weide
muss übrigens auch sumpfig sein, da bei einem
— CHIMAERA. 147
Abweiden gut drainirten Landes diese Krank¬
heit nicht vorzukommen pflegt. Meyrich setzt
voraus, dass in dem thauigen Gras irgend
ein specielles Irritans vorhanden sei, welches
aus den Sümpfen stammt, durch die beständige
Berührung mit den Füssen beim Herumgehen
der Pferde die Bläschen hervorbringt und
durch das Trocknen des Thaues auf der Haut
noch concentrirt wird. Die Behandlung ist im
frühen Stadium eine höchst einfache, eine
Waschung mit Lin. Chlor, ist genügend.
Bei chronischen Fällen ist die Anwendung
von Arsenik und die wiederholte Application
von Vesicantien auf die Kronen das Em-
pfehlenswertheste. Smith.
Chileslscheü Pferd. Dasselbe stammt, wie
die meisten anderen Südamerikaner, von der
spanisch-andalusischen Rasse ab und soll schöner
und dauerhafter als die Rosse von Paraguay
sein. Man lobt ihren Fleiss bei der Arbeit,
auch ihr lebendiges, feuriges Temperament,
und behauptet, dass sie den echten Andalu-
siern im Werthe nicht nachstehen. Sie haben
einen kleinen, gut geformten Kopf mit einer
massigen Ramsnase; ihr Hals ist hübsch ge¬
bildet, der Rücken sehr kräftig und das gut
abgerundete Kreuz bei nur leidlich guter Er¬
nährung fleischig. Ihr dicker Schweif ist ziem¬
lich hoch, doch nicht besonders frei ange¬
setzt. Die dünnen aber dabei derben Beine
haben harte, dauerhafte Hufe. Passgänger kom¬
men unter den chilesischen Pferden häufig vor,
und es sind solche ganz besonders beliebt.
Neuerdings sind Pferde dieser Rasse nach Eu¬
ropa (Frankreich) gekommen und sollen hier
gute Abnahme gefunden haben. Frevtag.
Chilisalpeter, NO„Na, Natriumnitrat, sal¬
petersaures Natron. Der Chilisalpeter kommt
in Peru und in Bolivia in 1—40 m starken
isolirten Schichten vor, welche mit Ablage¬
rungen von Kochsalz und borsaurem Kalk
wechseln. Das aus dem rohen Chilisalpeter
durch Umkrystallisiren gewonnene reine sal¬
petersaure Natron krystailisirt in wasser¬
freien, würfelähnlichen Rhomboedern, daher
auch der Name Würfelsalpeter. Es schmeckt
kühlend, ist leichter löslich als der Kalisal¬
peter, schmilzt bei 313°; da es an der Luft
leicht Wasser anzieht, ist es für die Berei¬
tung des Schiesspulvers nicht anwendbar.
Für sich erhitzt, verliert es Sauerstoff und
wandelt sich zu salpetrigsaurem Natron um.
Der Chilisalpeter findet Anwendung als Arz¬
neimittel, zur Darstellung von Salpetersäure
und salpetersauren Salzen, in der Schwefel¬
säurefabrikation, als Düngmittel, auch zum
Einpöckeln des Fleisches, schliesslich auch
zu Kältemischungen, indem es sich im Wasser
unter Temperaturerniedrigung löst. Mischt
man 1 Th. Natriumnitrat mit 4 Th. Wasser,
so sinkt das Thermometer in der Lösung bis
— 10*6°C.Ueberdie Chilisalpeterwirkung
s. das officinelle Natrium nitricum. Locbisch.
Chimaera (fj Ziege), ein fabel¬
haftes feuerspeiendes Ungeheuer, das vorn
Löwe, mitten Ziege, hinten Drache gewesen
sein soll. Sussdorf.
D' *
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448
CHINA. — CHINESISCHE THIERZUCHT.
China, Chinarinde and deren arzneiliche
Bedeutung, s. die Stammpflanze C i n c h o n a und
deren Alkaloide.
Chinas (chinesische Hühner), s. Cochins.
Chinesische Thierzucht. Chinesisches
Pferd. Die in China vorkommenden Pferde
gehören nach Ham Smith’s und Fitzinger’s
Untersuchungen zur Gruppe des leichten
Pferdes (Equus velox) und sind wahrscheinlich
die kleinsten, zierlichsten im östlichen Asien.
Auf dem Holan-Gebirge, in der Provinz Xensi
sollen noch vor zwei Jahrhunderten wilde Pferde
an getroffen worden sein, und es ist nicht unmög¬
lich, dass ein grosser Theil der jetzt in China vor¬
kommenden zahmen Pferde von jenen Wild¬
lingen abstammt. Die Chinesen nennen die¬
selben Myautze und schätzen sowohl ihre Lei¬
stungen als ihr gutes Temperament sehr hoch.
Bestimmte Angaben über die Grösse dieser
Rasse fehlen gänzlich; alle Reisenden nennen
sie klein, dabei aber voll und stark; sie be¬
sitzen ein breites, starkes Kreuz, können aber
auf besondere Körperschönheit keine Ansprüche
machen, auch sollen sie nicht so rasch und
geschwind in ihren Bewegungen sein, wie viele
andere Rassen des leichten Pferdes in Mittel-
Asien. Ein tückisches, boshaftes Wesen soll
bei den chinesischen Pferden oft bemerkt
worden und es sollen besonders die Hengste
wild und nicht leicht zu bändigen sein; um solche
Thiere zahm und lenksam zu machen, müssten
sie rechtzeitig verschnitten werden, dann aber
wären sie etwas leichter zu zähmen, würden auch
bald folgsam und willig bei der Arbeit. Für den
Kriegsdienst soll die fragliche Rasse nicht
tauglich sein, weil die meisten Thiere sich furcht¬
sam zeigten und selbst beim blossen Wiehernder
muthigen tartarischen und mongolischen Rosse
die Flucht ergriffen. Für die Reiterei und den
Dienst im Marstalle des Kaisers von China
benützt man hauptsächlich Pferde aus der
Mongolei, und es sind daselbst in den Steppen
neuerdings mehrere grosse Gestüte eingerichtet
worden, welche hauptsächlich für die Bedürfnisse
der Hofhaltung und der Armee die nöthige Anzahl
Pferde liefern.
Ueber die Esel des himmlischen Reiches
sprechen sich die Reisenden meistens günstiger
als über die dortigen Pferde aus; sie sollen
gross, kräftig sein und neben dem Rinde haupt¬
sächlich zur Feldbestellung benützt werden.
Pferde verwendet man nur ausnahmsweise
zur Arbeit im Felde.
ChinesischesRind. Bekanntlich verbietet
dieLehredesFo oder Buddha, welche in Chinaam
weitesten verbreitet ist und gewissermassen
die Staatsreligion genannt werden kann — der
Kaiser ist dort Oberpriester — den Genuss
des Rindfleisches; in Folge dessen erklärt es
sich auch, dass die Rind Viehzucht im Reiche
nur geringe Verbreitung gefunden hat. Soviel
uns bekannt, trinken die Chinesen keine Kuh¬
milch und überlassen dieselbe fast ausschliess¬
lich den Kälbern ihrer Kühe. In den meisten
Provinzen, wo Rinder Vorkommen, bevor¬
zugt man solche, die sich zur Arbeit tauglich,
d. ln genügend kräftig, willig zeigen und den
Pflug zu ziehen im Stande sind. Hauptsächlich
werden Zebus oder Buckelochsen (s. unter
BuckelochB) gehalten, die wahrscheinlich von
Indien aus nach China eingeführt worden
sind. In einigen Bezirken sollen auch Yaks
zur Arbeit benützt werden. Ob aber Büffel und
Gayals in China als Hausthiere Vorkommen,
wie von Einzelnen behauptet wird, konnten wir
leider nicht genau ermitteln. In China leben
mehr als 100.000 Christen, 1,500.000 Muha-
medaner und 50,000 Juden, und wir halten
es für unwahrscheinlich, dass diese wie jene
Rindviehzucht betreiben und zu diesem Zwecke
fremdländische Rinder herbeigeholt haben. In
den Hafenorten, wo viele Europäer wohnen,
sollen zu deren Milchbedarf chinesische Frauen
gemolken werden.
Chinesisches Schaf. Von ungleich
grösserer Wichtigkeit und Bedeutung als die
chinesische Rindviehzucht ist dort die Haltung
und Züchtung der Schafe. Diese Thiergattung
ist im Reiche der Mitte sehr zahlreich und
wahrscheinlich in verschiedenen Rassen ver¬
treten, die fast alle zur Gruppe der Fett¬
schwanz- und Fettsteissschafe gehören. Das
Klima des Landes soll an den meisten Orten
für die Schafzucht sehr günstig sein; die Thiere
entwickeln sich rasch und gut, kommen schon
im zweiten Lebensjahre zu einer stattlichen
Grösse und zeichnen sich durch eine grosse
Fruchtbarkeit aus. Nach Gayot und Moll
werfen die Zibben dort zweimal im Jahre
und liefern in jedem Wurfe 2—4, ja sogar
5 Lämmer. Rouher hat im Jahre 1863
hornlose Schafe der Ongti-Rasse nach Frank¬
reich eingeführt, die hier sehr befriedigt haben
soll. Moll und Gayot beschreiben die chinesi¬
schen Schafe folgendermassen: Grosse, kräftige
Thiere mit vollem Rumpf, hohem Widerrist,
langem Halse und einem grossen Kopfe mit
gebogener Nasenlinie; die Lenden sind gut
entwickelt, das Hintertheil fällt nach rückwärts
ab und der Leib ist sehr umfangreich. Die
langen Beine sind in den Oberarmen sehr mus¬
kulös, die Unterfüsse auffällig kurz aber kräf¬
tig gebaut. Der Schwanz ist sehr stark ent¬
wickelt, wenn auch nicht ganz so stark wie
bei der Rasse von Caramanien, so doch viel
breiter als bei allen gewöhnlichen Rassen
Frankreichs. Das Vliess wird von langen Haa¬
ren gebildet, die ziemlich fein sein sollen.
Man rühmt ganz besonders die gute Qualität
des Fleisches und es hat möglicherweise dieser
Umstand hauptsächlich dazu beigetragen, mit
jener chinesischen Rasse Acclimatisations-Ver¬
suche in Frankreich anzustellen.
Chinesisches Schwein. Die Schweine¬
zucht erfreut sich in China eines recht guten
Namens und es ist uns w r ohl bekannt, dass ge¬
rade das Schwein seit ältester Zeit das wich¬
tigste Hausthier für die Chinesen gewesen ist.
Den grossen Werth desselben — zur Veredlung
unserer Hausschweine — haben die europäi¬
schen Seefahrer schon im vorigen Jahrhundert
erkannt, und es sollen zuerst portugiesische
Matrosen chinesische Schweine eingefangen
oder ein getauscht und mit nach Europa ge¬
bracht haben. Fitzinger nannte das chinesische
Schwein Sus sinensis; derselbe unterschied bei
CHINIDIN.
149
dieser Species drei Rassen, welche er chinesische,
capische und serinesische nannte. H. v. Nathu-
sius-Hundisburg hielt Fitzinger’s Unterscheidung
für unhaltbar und war der Meinung, dass man
nur allein vom „indischen Schweine“ als be¬
sondere Art sprechen könne. Unser Gewährs¬
mann beschreibt dasselbe folgendermassen:
„Der horizontale Durchmesser des Rumpfes ist
annähernd gleich dem perpendiculären Durch¬
messer der Brust, demnach sind die Rippen
stark gewölbt. Der Rücken ist zwischen Hüfte
und Becken eingesenkt, breit, die Brusttiefe
grösser als die Länge der Beine vom Elbogen
bis zur Sohle, dies zuweilen im Verhältnisse
von 2:1. Die Ohren sind kurz, aufrecht, die Stirn
ist hoch; die Profillinie des Gesichtes concav,
der Rüssel kurz und sehr robust. Die Farbe
schwarz, schwarzgrau und schwarz mit rothem
Schein, Bauch, Füsse und Kehle sind zuweilen
auch weiss gefärbt. Die an der Küste Chinas
lebenden Schläge kommen in allen Farben vor,
sind oft weiss, zuweilen gefleckt, und in dieser
Form eine durch Cultur veränderte Rasse,
welche oft so kurzbeinig ist, dass bei einiger-
massen gutem Futterzustande ihr Bauch die
Erde berührt. Die Glieder bleiben bei dieser
Form jedoch im Vergleich mit den englischen
Culturrasscn stark.“ Von den physiologischen
Eigenschaften ist ganz besonders die Mast¬
fähigkeit lobend zu erwähnen; dieselbe ist
ausserordentlich gross und wahrscheinlich die
bedeutendste aller bekannten Schweinerassen.
Nicht zu loben ist die geringe Fruchtbarkeit
der chinesischen Sauen; sie liefern gewöhnlich
nur 4—5 Ferkel in einem Wurfe, selten 6 Stück.
Die Vererbungsfähigkeit der Rasse ist sehr
gross; schon bei einmaliger Kreuzung über¬
trägt sie ihre Eigenschaften auf die Nachzucht
mit grösster Sicherheit. Die Fleischqualität
dieser Thiere sagt unserem Geschmacke nicht
recht zu; dasselbe ist in der Regel zu stark
mit Fett durchwachsen, auch meistens zu
weichlich, ganz besonders dann, wenn die
Thiere stark mit öligen oder animalischen Stoffen
ernährt werden. Aus diesem Grunde hat bei
uns in Oesterreich und Deutschland die Rein¬
zucht mit chinesischen Schweinen nur wenige
Liebhaber gefunden, wo hingegen die Kreu¬
zungen mit diesem Blute an vielen Orten die
besten Erfolge geliefert haben. Die Futter¬
ansprüche bezüglich der Qualität der Nähr¬
mittel sind bei den chinesischen Kreuzungs-
producten nicht entfernt so gross, wie bei dem
Reinblut, welches ganz besonders sorgfältig
ernährt und gepflegt werden muss. Die chine¬
sischen Schweine sind über alle Erdtheile ver¬
breitet und die jetzt neuerdings so viel gerühmten
Poland-China-Schweine von Nordamerika ver¬
danken unstreitig ihre guten Formen und
grosse Mastfähigkeit jener asiatischen Rasse. Fg.
Chinesische Ziegen. Missionär Na¬
cken, welcher vor einiger Zeit aus China nach
Deutschland zurückgekehrt ist, berichtet, dass
neben Schaf und Schwein auch die Ziege ein
wichtiges, sehr geschätztes Hausthier der
Chinesen sei. Es gibt daselbst mehrere Rassen,
welche sich durch Grösse und Haarfärbung
von einander unterscheiden. In den nördlichen
Provinzen sind die Ziegen von kleiner, zierlicher
Gestalt, liefern aber ein grosses Quantum
Wolle (nahezu soviel wie die dortigen Schafe)
und es steht dieses Product seiner Weichheit
wegen ziemlich hoch im Preise. Wahrschein¬
lich ist diese Rasse der Kaschmir-Ziege nahe
verwandt.
Erwähnt sei hier endlich noch, dass in China
das baktrische, zweihöckerige Kameel oder
Trampelthier (Camelus bactrianus), welches im
Osten und hauptsächlich in der Mitte Asiens
ein wichtiges Haus- und Lastthier genannt wird,
in ansehnlich grosser Zahl vorkommt und zwar
vorwiegend in den nördlichen Provinzen. Der
Name Trampelthier ist für diese Species ganz be¬
zeichnend, denn seine Gestalt ist so schwerfällig,
plump, dass neben ihm das Dromedar geradezu
zierlich erscheint. Meistens ist die Behaarung
derTrampelthiere dichter, reichlicher als bei den
Dromedaren und die Haarfarbe dunkler (tief
braun) als bei letzteren. In der Regel wird
das Trampelthier etwas grösser und schwerer,
als das Dromedar, die Beine sind aber etwas
kürzer, und gerade hiedurch erscheint das
Thier so missgestaltet. Die Chinesen sollen
die Züchtung dieser Thiergattung recht gut
verstehen und deren Haltung, Fütterung etc.
mit Sorgfalt betreiben. Man verwendet diese
Thiere hauptsächlich zum Waarentransport,
seltener zum Reiten; ihr Gang ist zu langsam,
schleppend. Von Peking aus gehen al)jährlich
viele grosse Caravanen (zum Theil mit Thec)
bis weit durch ganz China hindurch und bin
nach dem asiatischen Russland. Hin und wieder
erscheinen sie auch in den südlichen Gouver¬
nements des europäischen Russlands; ihr dicker
Haarpelz schützt sie auf den weiten Reisen
gegen die grosse Kälte jener Gegenden vor¬
trefflich. Die Brunstzeit der Trampelthiere fällt
noch in die Winter zeit — von Februar bis An¬
fang April — und es werfen die Stuten nach
einer Tragezeit von 11—13 Monaten ein oder
zwei Junge, die ein drolliges Aussehen zeigen
und sich ziemlich langsam entwickeln. Freytag .
ChinesischerHund. Chinesedog,Chien
chinois. Diese Rasse gleicht im Habitus sehr
dem Spitz oder Pommer. Der Leib ist ge¬
drungen, der Kopf mittelgross, die Stirn ge¬
wölbt, die Schnauze ziemlich lang, die Ohren
breit, aufrechtstehend, an der Spitze etwas
überhängend und nach vorn geneigt. Der
Schwanz wird bogenförmig über den Rücken
gekrümmt. Die Behaarung lang und fein. Die
Färbung einfarbig schwarz, ebenso Rachen¬
höhle und Zunge, es kommen auch rostrothe
und gelbe Individuen vor. Wird in Hinter¬
indien, Japan und China gehalten, in letzterem
Land auch als Nahrungsmittel verwendet. Str,
Chinesische Katze. Varietät der Haus¬
katze, mit langen, weichen, seidenartigen Haaren
bekleidet und mit Hängeohren. Sie wird in
China gemästet und gegessen. Studer.
Chinesisches Huhn, s. Seidenhühner.
Chinidin auch Conchinin, C t0 H, % N,0„ ein
Alkaloid der Chinarinde, welches nach Koch
und Hesse aus allen echten Chinarinden er¬
halten wird. Es krystallisirt aus erkaltendem
130
CHIN1DINUM SULFURICUM. — CHIRURGIE.
Weingeist in grossen glänzenden Prismen,
schmeckt bitter und verhält sich in seinen
Reactionen dem Chinin sehr ähnlich, auch
die therapeutische Wirkung der Chinidinsalze
ist der der Chininsalze ausserordentlich nahe¬
stehend. Loebisch .
Chinidinum sulfuricum, s. Cinchona.
Chininum und seine Salze, s. Cinchona.
Chinioideum, s. Cinchona.
Chinioidinum, s. Cinchona.
Chinium, Quinia, in der Pharmacopoea
Austriaca auch für Chininum gebraucht. VI.
Chinoidin. Das Chinoidin ist eine che¬
misch noch nicht genau charakterisirte Base,
welche nach Winckler in der Hauptsache
aus amorphen Umwandlungsproducten der
Chinabasen, neben etwas unverändertem Chi¬
nin, Cinchonin und Harz besteht, es wird sehr
häufig neben Chinin gegen intermittirende
Krankheitsformen angewendet. Loebisch.
Chinolin, C 9 H 7 N, kommt im animalischen
Theer, sog. Knochentheer, auch im Stein-
kohlentheer Yor und entsteht auch bei der
Destillation von Chinin und Cinchonin mit
Aetzkali, daher der Name. Es bildet eine
scharf riechende, bitter schmeckende Flüssig¬
keit von 1*08 sp. G., schwer löslich in Was¬
ser, leicht in Alkohol und Aether. Das Chi¬
nolin wurde auch synthetisch durch Erhitzen
eines Gemenges von Anilin, Nitrobenzol, Gly¬
cerin und Schwefelsäure dargestellt. Es wirkt
fäulnisswidrig und das weinsaure Chinolin
wurde daher auch bei zyraotischen Krank¬
heiten zur Herabsetzung der Fiebertempera¬
tur als Heilmittel versucht.
Die arzneiliche Verwendung von Chino¬
lin so wie seine Salze, s. Cinchona. Lh.
Chinova8äure, C J4 H 88 0 4 . Diese Säure
wurde von Hlasiwetz als Spaltungsproduct
des in allen Chinarinden vorkommenden Chi-
novins erhalten. Lockeres krystallinisches
Pulver, unlöslich in Wasser, löslich in Al¬
kalien. Die ammoniakalische Lösung ist rechts¬
drehend. Loebisch .
Chinovige Säure, C 84 H 38 0 3 , findet sich in
den grünen Theilen von Thuja occidentalis L.,
sowie in den Nadeln von Pinus sylvestris,
eine weisse spröde Masse, in Wasser unlöslich,
in Weingeist, Aether und Alkalien leicht
löslich. Loebisch.
Chinovin, Chinovabitter, C ao H 88 0 8 . Ein in
den Chinarinden vorkommendes Glycosid,
welches durch Salzsäure in weingeistiger Lö¬
sung in Chinovasäure und Chinovinzucker
gespalten wird. Amorphes Harz, löslich in
Weingeist Loebisch.
Chionyphe Carteri (von x“»v, Schnee, und
Gewebe, Faden), ein in Indien den so¬
genannten Madurafuss erzeugender parasiti¬
scher Pilz des Menschen. Harz .
Chiretta. Ein werthvolles bitteres toni¬
sches Heilmittel, das in Indien als thera¬
peutisches Remedium in starkem Gebrauch
steht und von einer Pflanze aus der Familie
Gentiana stammt. Dasselbe wirdbei schwachen,
herabgekommenen Pferden, besonders solchen,
welche schwere Krankheiten überstanden
haben, als stärkendes und appetitanregendes
Mittel in Anwendung gebracht. Es wird ge¬
wöhnlich in Form einer Infusion verabreicht,
kann aber auch gepulvert mit dem Futter
vermischt gegeben werden. Smith.
Chiron (Xsipiov), ein Centaur der griechi¬
schen Mythe, 1350—1270 v. Chr., welcher
umfangreiche* Kenntnisse in der Arzneikunst
besessen und Lehrer des Asklepios etc. ge¬
wesen sein soll. Er war selbst Sohn des
Saturn und der Phillyra. Sussdorf.
Chlronomon (abgel. von r t /slp, Hand, und
vep.siv, theilen etc.), nach Probstmayr: der,
welcher mit der Hand theilt, Zerschneider, Pro-
sector. Sussdorf.
Chirurgie. Eine exacte Definition des
Wortes Chirurgie zu geben, ist ungemein
schwer, denn welchen Theil der ärztlichen
Kunst und Wissenschaft man mit dem Namen
Chirurgie und welche Krankheiten man als
chirurgische zu bezeichnen hat, darüber hat
mehr der Gebrauch als die wissenschaftliche
Untersuchung entschieden. Die Trennung
zwischen interner Medicin und Chirurgie ist
eine künstliche und der ganze Unterschied
läuft da hinaus, dass die Chirurgie vorzugs¬
weise, aber keineswegs ausschliesslich, die zu
Tage liegenden äusserlich sichtbaren Schäden
umfasst, jene Krankheiten also, welche der
ärztlichen Behandlung auf operativem oder
mechanischem Wege zugänglich sind, oder
bei welchen, wie die Abstammung des Wortes
Chirurgie (x&Ip, die Hand, und epYov, das
Werk) besagt, die Hand werkthätig eingreift
(was aber wieder nicht für alle Fälle gilt).
Die Grenze zwischen interner Medicin und
Chirurgie festzustellen ist nicht möglich und
bei vielen Krankheiten, die als rein interne
gelten, bringt ein operativer Eingriff Heilung
(Tracheotomie, Pansenschnitt, Darrastich,
Bruststich etc.), ebenso werden die Mehrzahl
der Hautkrankheiten nicht zu den chirur¬
gischen Krankheiten gezählt, obschon sie rein
äusserliche sind. Das Gebiet der Chirurgie
in der Menschenheilkunde erweitert sich ge¬
genwärtig von Tag zu Tag, denn bei den
enormen Fortschritten der operativen Tech¬
nik, insbesondere in Folge der antiseptischen
Wundbehandlung werden viele Krankheiten
durch die Hand des Chirurgen geheilt
oder doch gebessert, welche noch vor weni¬
gen Jahren als ausschliesslich der internen
Medicin angehörig betrachtet wurden. (Re-
sectionen von Darmstücken bei innerer Ein¬
klemmung, Invagination, Resection bei Magen¬
krebs, Exstirpation der kranken Niere, der
Milz etc.) Leider müssen wir gestehen, dass
das Gebiet der Veterinär-Chirurgie ein be¬
deutend eingeschränkteres ist als das der
Menschen-Chirurgie, denn es handelt sich hier
nicht allein das Leben des Individuums um
jeden Preis, selbst mit Opferung einzelner
Theile seines Körpers, zu erhalten, sondern
hauptsächlich darum, den früheren gebrauchs¬
fähigen Zustand der Thiere möglichst wieder
herzustellen. Aber selbst wenn wir dieses im
Stande wären, so kommt in vielenFällen noch die
Zeit in Betracht, welche eine derartige Heilung
in Anspruch nehmen würde; es tauchen da
CHIRURGIE. 151
ökonomische Fragen gewichtiger Natur auf,
ob es dem Eigenthümer nicht rentabler er¬
scheint, das Capital, welches durch die Er¬
haltung und die Behandlung des Thieres,
durch den Entgang des Nutzens etc. ver¬
schlungen wird, für den sofortigen Ankauf
eines neuen, gesunden, ihm gleich den ge¬
wünschten Nutzen verschaffenden Individuums
zu verwenden. Diese beiden Umstände sind
es hauptsächlich, welche bei manchen chirur¬
gischen Erkrankungen wohl zu erwägen sind.
Auf einen weiteren grossen Ucbelstand ist noch
hinzuweisen, u. zw. auf die Unmöglichkeit bei
dem Unverstände und der Widersetzlichkeit
der Thiere, die nöthigen Heilbedingungen in
exacter Weise durchzuführen, wodurch gar oft
trotz der Opferwilligkeit des Besitzers und
der Geduld des Thierarztes die gewünschte
Heilung nicht zu erzielen ist.
Der Umstand, dass die Chirurgie es
meist mit offen zu Tage liegenden Schäden
zu thun hat, erleichtert die Diagnose und die
Behandlung, und insofern ist anzunehmen,
dass man viel früher mit der Chirurgie und
rein chirurgischen Hilfeleistungen sich be¬
fasste, bevor man an die Diagnose der inneren
Krankheiten nur dachte, dass somit die
Chirurgie den ältesten Theil der ganzen Heil¬
kunde bildet.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich,
eine vollständige Geschichte der Chirurgie
zu bringen; erwähnenswerth aber ist es doch,
dass von den thierärztlichen Schriftstellern
des Alterthums manche Operationen ange¬
geben werden, welche wir heute noch aus-
führen, dass manche von denselben geübte
Operation in Vergessenheit gerieth und erst
später wieder neuerlich erfunden werden
musste. Das Mittelalter dagegen brachte uns
viele unsinnige chirurgische Eingriffe (Fei-
seln, Nagelschneiden, Gaumenritzen etc.),
deren Ausrottung erst in der neuesten Zeit
gelang. Seit der Gründung der Thierarznei¬
schulen wurde die Chirurgie erst als Wissen¬
schaft betrieben und es erschienen ausser
zahlreichen, werthvollen kleineren Arbeiten
von den verschiedensten Autoren noch Lehr¬
bücher über Chirurgie von Dieterichs,
Strauss, Hertwig, Armbrecht Fricker, Pütz,
Stockfleth, Gourdon, Peuch-Toussaint, Lanzi-
lotti-Buonsanti; über Operationslehre von
Gurlt, Hertwig, Hering, Vogel Falke, Förster;
über Instrumenten- und Verbandlehre
von Förster. Bayer.
Prähistorische Chirurgie. Gleichwie
sich die ersten Anfänge der Medicin überhaupt
bis in das graueste Alterthum verfolgen lassen
und wir ihren primitiven Spuren bei den einfach¬
sten Naturvölkern begegnen, ebenso können
wir an der Hand scheinbar unbedeutender
Funde die Ausführung chirurgischer Operationen
schon in der prähistorischen Zeit nachweisen.
Operative Eingriffe wurden, hauptsächlich in
das menschliche Leben, schon in einer Zeit
vollführt, als der Mensch seine nothwendig-
sten Geräthe und Werkzeuge aus blossem »Stein
und Knochen verfertigte, da ihm die Kennt-
niss jedweden Metalles mangelte. An einer
Reihe aufgefundener, menschlicher Schädel,
welche dieser prähistorischen, sogenannten
Steinzeit entstammen, hat man untrügliche
Merkmale der operativen Entfernung von Kno¬
chenpartien nachgewiesen. Dr.Pruniöres machte
auf diese Eigentümlichkeit einiger Cranien
schon im Jahre 1873 bei der Versammlung
der Association fran^aise zu Lyon und in dem
darauf folgenden Jahre zu Lille aufmerksam
und legte die Beweisstücke vor. Der berühmte
Craniologe Broca hielt in einer Sitzung des
internationalen anthropologischen Congresses
zu Budapest einen höchst interessanten Vor¬
trag über trepanirte prähistorische Schädel
aus den Höhlen und Dolmengräbern der jün¬
geren Steinzeit Frankreichs. Nach ihm wurde
die Trepanation entweder durch Herausschneiden
des Knochenstückes mittelst eines scharfen
Feuersteinmessers oder einer Feuersteinsäge
ausgeführt, oder es wurde die betreffende
Stelle des Schädels so lange geschabt, bis eine
Oeflfnung daselbst entstand. Dies schloss er
aus der Beschaffenheit der trepanirten Stellen
der von ihm untersuchten Cranien. Später
wurden von anderen Forschern weitere Be¬
lege zur prähistorischen Chirurgie, speciell zur
Trepanation des Schädels, aus zahlreichen
Gräbern der neolithischen Periode geliefert.
Derartige Funde besitzen wir aus Frankreich,
Deutschland, Oesterreich (Mähren, Böhmen),
Portugal, Peru etc. Es ist von Interesse, dass
die Operation wahrscheinlich in derselben Weise
gemacht wurde, wie sie von den noch jetzt
lebenden „Steinmenschen“ auf den Südsee¬
inseln geübt wird. In der Sitzung vom 19. Sep¬
tember 1882 der 55. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte in Eisenach zeigte
Tillmanns in seinem Vortrage über prähisto¬
rische Chirurgie, dass die Naturvölker der
Gegenwart, z. B. die Australier und die Süd-
see-lnsulaner, welche etwa auf derselben Cul-
turstufe stehen, wie die Menschen der prähi¬
storischen Steinzeit in Europa, nach überein¬
stimmenden Berichten von Reisenden selbst
schwierige Operationen, wie die Castration der
Frauen und die Trepanation des Schädels und
der Extremitätenknochen mittelst ihrer Stein¬
instrumente mit Erfolg auszuführen verstehen.
Die Ovariotomie wird von den australischen
Eingeborenen aus verschiedenen Ursachen aus¬
geführt, unter anderen sogar auch, um die Ver¬
erbung bestimmter Krankheiten, z. B. der Taub¬
stummheit, zu verhindern. Die Operation wird
durch Schnitt parallel dem Ligam. Poupart.
beiderseits ausgeführt. Reisende haben der¬
artig mit Erfolg castrirte Frauen, resp. Mäd¬
chen gesehen. Bei der Trepanation des Schä¬
dels und der Extreraitütenknochen wird nach
Spaltung der Weichtheile der Knochen mittelst
Feuerstein allmälig dnrehgeschabt. Bei Ge¬
hirnverletzungen werden die verletzten Gehirn-
theile entfernt und ein entsprechend grosses
Gehirnstück von einem eben getödteten Schweine
vorübergehend „behufs rascherer Heilung“
applicirt. Ferner erwähnte Tillmanns die Mika¬
operation bei den Australiern, d. h. die Steri-
lisirung der Männer durch Spalten der unteren
Fläche des Penis von der Harnröhrenmündung
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152 CHITIN.
bis zum Scrotum, sodann eine in der That
staunenswerte Methode des Abortus bei den
Eskimos durch Eröffnung der Eihäute mittelst
einer besonders präparirten Seehundsrippe.
Endlich demonstrirte Tillmanns das chirurgische
Instrumentarium der Südsee-Insulaner, be¬
stehend aus Feuersteinen, Steinmessern, ge¬
schärften Knochen kleiner Thiere, Haifisch¬
zähnen u. s. w. Wir ersehen aus diesen Be¬
legen, dass trotz der äusserst primitiven Hilfs¬
mittel die chirurgische Behandlung schon bei
Naturvölkern eine sehr wichtige Rolle spielt,
und mit vollem Rechte können wir dies auch
auf die prähistorische Bevölkerung Europas
beziehen, da dieselbe einst auf einer ähnlichen
Culturstufe stand. Aber nicht nur an Menschen,
sondern auch an den schon in der jüngeren
Steinzeit (neolithische Periode) gezüchteten
Nutzthieren mussten operative Eingriffe geübt
worden sein; zumindest besitzen wir Belege,
dass schon in der Pfahlbauzeit die Castration
des Rindes bekannt war und Anwendung fand.
Bekanntlich betrieben die Schweizer Pfahl¬
bauern eine ganz rationelle Viehzucht und man
hat wiederholt in der Fundschichte mitten
unter Bronzen und alten Topfscherben, nebst
anderen Resten aus dieser Zeit, Hornzapfen
vom Rind gefunden, welche weder Stieren
noch Kühen, sondern nur Ochsen angehören
konnten. Koudtlka.
Chitin, C l4 H, e N,0 l0 , bildet den Haupt¬
bestandteil in den Körperdecken und den
Anhängen (Stacheln, Schuppen, Haaren) der
Insecten und Gliederthiere. Man erhält es am
leichtesten aus den Flügeldecken der Mai¬
käfer, indem man dieselben nacheinander mit
Wasser, Alkohol, Aether, concentrirter Essig¬
säure und mit Kalilauge auszieht. Der Rück¬
stand ist Chitin, eine farblose Masse, die
Form des Gewebes zeigend, aus welchem es
dargestellt wurde. Beim Kochen mit concen¬
trirter Salzsäure zerfällt es in Glykosamin
und Essigsäure. Lotbisch .
Chlamydosporen (vonykap.6?» Kleid, Hülle)
hat man eine Menge der verschiedenartigsten
Gonidien bei Pilzen genannt. Am zweck-
massigsten belegt man mit dieser Bezeichnung
jene intrahyphealen Vermehrungszellen, welche
häufig zumal bei Schimmelpilzen an Mycel-
fäden sich bilden, indem kleine Zellen der*
selben sich durch Scheidewandbildung ab¬
gliedern. Sie sind reich an Protoplasma,
besitzen Exo- und Endosporium und ver¬
mögen nach längerer oder kürzerer Ruhe
wieder auszukeimen und ein neues Mycelium
zu bilden. Sie kommen sehr häufig vor bei
Pilobolus, Penicillium glaucum, manchen
Mucor-Arten, Aspergillus glaucus u. a. Bei
Aspergillus nigrescens Robin habe ich einige
Male Chlamydosporen von tief schwarzbrauner
Färbung beobachtet. Im Allgemeinen scheinen
sich die Chlamydosporen namentlich auf
älteren Mycelien gerne zu bilden. //arg.
Chlor, von yXwpo'c, grünlichgelb, Atomgew.
35*5, ein Element, von Scheele im Jahre 1774
entdeckt, kommt in der Natur nicht im freien
Zustande vor, jedoch sehr verbreitet mit einer
grossen Anzahl Metallen verbunden, als Chlor-
- CHLOR.
natrium — Kochsalz — in massigen Lagern,
als Chlorkalium und Chlormagnesium, als Chlor¬
blei, Chlorsilber in mehreren Mineralien; überdies
kommen die Chloralkalien auch noch gelöst
im Quell- und Meerwasser und in den pflanz¬
lichen und thierischen Gewebsflüssigkeiten so¬
wie in den thierischen Excreten vor. Um freies
Chlor darzustellen, bringt man gleiche Gewichts-
theile von Braunstein (Manganhyperoxyd) und
Kochsalz zu einem abgekühlten Gemisch von
2 Th. Schwefelsäure und 2 Th. Wasser in
einen Kolben, welcher mit einem Gasent¬
wicklungsrohr versehen ist, und erwärmt
gelinde; hiebei erhält man einen gleichmässigen
Strom von Chlorgas. Auch durch Erhitzen von
Braunstein mit Salzsäure allein erhält man
Chlor. Das Chlor ist bei gewöhnlicher Tempera¬
tur ein grünlich gelbes Gas von erstickendem
starken Geruch, welches, schon in geringer
Menge und mit Luft verdünnt eingeathmet,
die Schleimhäute des Respirationstractes stark
reizt und Erstickungsanfalle hervorruft. Das Chlor
ist in Wasser leicht löslich, I Volumen Wasser
nimmt 3 Volumen Chlorgas auf. Eine gesättigte
wässerige Lösung von Chlor führt den Namen
Aqua Chlori, auch Liquor chlori — Chlor¬
wasser. Dieses hat alle chemischen Eigen¬
schaften des Chlorgases und wird häufig dort
an gewendet, wo man die Wirkung des Chlors
erzielen will. Das Chlorgas hat ein specifisches
Gewicht von 2*45, es lässt sich bei einem
Druck von vier Atmosphären und bei einer Tem¬
peratur von 15° C. zu einer gelben Flüssig¬
keitverdichten, bei gewöhnlichem Atmosphären¬
druck durch Abkühlen auf —40° C.
Das Chlor bildet mit sämmtlichen anderen
Elementen Verbindungen, und zwar vereinigt
es sich mit den meisten Metallen schon bei
gewöhnlicher Temperatur direct und bildet mit
ihnen Chloride. Kupfer, Antimon, Arsen, Wis-
muth und Phosphor vereinigen sich mit Chlor
so energisch, dass sie, in ein mit Chlorgas ge¬
fülltes Glas geworfen, sich daselbst entzünden
und mit hellem Glanz zu den entsprechenden
Chloriden verbrennen. Mit Wasserstoffgas ver¬
bindet sich Chlor ebenfalls; hiebei entsteht C1H,
Chlorwasserstoffsäure, jedoch nur unter bestimm¬
ten Bedingungen. Ein Gemenge von gleichen
Raumtheilen Chlor und Wasserstoffgas bleibt
nämlich im Dunkeln aufbewahrt unverändert,
im zerstreuten Tageslicht vereinigen sich beide
nur langsam, lässt man aber directes Sonnen¬
licht oder chemisch wirksame Strahlen (blau,
violett und ultraviolett) darauf einwirken, so
findet die Vereinigung beider Gase unter hef¬
tiger Explosion statt. Die grosse Anziehungs¬
kraft des Chlors zum H bewirkt es auch, dass
das Wasser durch Chlor zersetzt wird, hiebei
entsteht nach der Gleichung: CI, + H,0 =
2 HCl + 0 = Salzsäure und Sauerstoff wird
frei. Da diese Zersetzung des Wassers durch
Chlor besonders leicht unter Mitwirkung des
directen Sonnenlichtes stattfindet, muss auch
das Chlorwasser, soll es die Brauchbarkeit nicht
verlieren, in schwarzen Gläsern oder im Dunkeln
aufbewahrt werden. Der Eigenschaft, das Was¬
ser unter Bildung von freiem Sauerstoff, wie
oben erwähnt, zu zerlegen, verdankt das Chlor
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CHLORATHYLENUM. — CHLORALUM HYDRATÜM. 153
sowohl seine energisch desinficirende als auch
bleichende Wirkung. Beide Wirkungen übt das
Chlor eben nur bei Gegenwart von H,0 aus;
bei der Zerlegung dieses freiwerdenden Sauer¬
stoffes greift es in dem einen Falle die Krank¬
heitsträger an, im anderen Falle die Farben und
zerstört dieselben.
Um mittelst Chlorgas zum Zwecke der
Desinfection sogenannte Chlorräucherungen
auszuführen, sind mehrfache Vorschriften an¬
gegeben, deren brauchbarste ich hier wegen
ihrer praktischen Wichtigkeit anführen will.
Nach Letheby bringt man auf eine Untertasse
von Porzellan 1 Theelöffel gepulverten Braun¬
stein und setzt nach und nach unter Umrühren
% Tasse starke rohe Salzsäure zu (1 Th.
Braunstein zu 4 Th. concentrirte rohe Salz¬
säure). Stellt man die Untertasse auf einen
erwärmten Ziegelstein, so tritt die Chlorent¬
wicklung rascher ein. Die Gegenwart von
lebenden Wesen muss in den Räumen, wo
Chlor entwickelt wird, vermieden werden.
In neuerer Zeit hat Clemens zu Chlor¬
räucherungen eine Mischung von 8 Th. einer
concentrirten Lösung von Kupferchlorid, 1 Th.
Chloroform und 48 Th. Weingeist empfohlen:
diese wird in eine gewöhnliche gläserne Spi¬
rituslampe gegeben und dann an gezündet, hie¬
bei sollen sich desinficirende Chlorkupferdämpfe
entwickeln, welche die Luft vollständig des-
inflciren. Clemens empfiehlt bei Rinderpest,
die Chlorkupferlampe in den Ställen in Gegen¬
wart der Thiere brennen zu lassen und zu¬
gleich ein Gemisch von 11 Spiritus, 8 g Chlor¬
kupfer und 16 g Chloroform, täglich 1 Thee¬
löffel voll, auf 8—3mal im Getränke vertheilt,
den Thieren als Arznei zu geben, auch sollen
Boden und Streu öfters mit derselben Mischung
besprengt werden.
Das Chlor tritt in vielen organischen Ver¬
bindungen an die Stelle von Wasserstoff ein:
man bezeichnet den Ersatz von 1 Atom Was¬
serstoff durch ein einwerthiges Element oder
durch ein einwerthiges Radical als Substi¬
tution. So ist z. B. Chloroform, CHCl a , ein
Sumpfgas, CH 4 , in welchem 3 Atome Wasser¬
stoff durch 3 Atome Chlor substituirt sind. Das
durch Substitution in einer organischen che¬
mischen Verbindung gebundene Chlor ist nur
dann an seinen Reactionen zu erkennen, wenn
die betreffende Verbindung zerstört wird, dem¬
gemäss kann man das Chlor im Chloroform
nicht direct durch salpetersaures Silber als
Chlorsilber nachweisen, wie in der Chlorwasser¬
stoffsäure, sondern das Chloroform muss vor¬
erst durch höhere Temperatur zerlegt werden,
um den Beweis liefern zu können, dass Chlor
darin enthalten ist. Loebisch .
Das freie Chlorgas findet vielfach thier¬
ärztliche Verwendung, wird jedoch, da es als
solches nicht zu haben ist, zum Gebrauche
erst aus verschiedenen Chlorverbindungen
entwickelt. Direct enthalten ist es im Chlor¬
kalk und Chlorwasser (s. daher Calcaria chlo-
rata und Aqua chlorata); ebenso wird es hie
und da dem Kochsalz entnommen (s. Guy¬
ton -Morveau’sche Chlorräucherungen unter
Calcaria chlorata). Vogel.
Chiorithylenum, Aethylenchlorid oder
Elaylchlorür, s. Aethylenum chloratum.
Chlorithylidenum oder Aethylidenum bi-
chloratum, s. Aethylenum chloratum.
Chloral, C t HCl a O. Es wird erhalten, wenn
man trockenes Chlorgas in Alkohol leitet.
Durch die Einwirkung des Chlors geht der
Aethylalkohol zunächst in Aldehyd über und
dieser setzt sich mit einer neuen Menge Chlor
in der Weise um, dass Chloral entsteht:
C,H 4 0 +3 CI, = C,HC1.0 +3 HCl.
Aldehyd Chloral
Das Chloral ist eine farblose Flüssigkeit von
schwach melonenähnlichem Geruch und scharfem
Geschmack, welche bei 94° siedet, sich mit
Alkohol und Aether mischt und mit Wasser
zu einer krystallinisehen Masse verbindet,
welche das Hydrat des Chlorals darstellt,
C,HCl a 0.H,0, und als Chloralhydrat be¬
zeichnet wird (s. Chloralum hydratum). Auch
mit Alkohol verbindet sich das Chloral zu
einer krystallinisehen Verbindung, in wel¬
cher 1 Molecul Alkohol die Stelle von H,0
einnimmt, Chloralalkoholat. Das Chloral wurde
von Liebig im Jahre 1838 entdeckt, von
Liebreich im Jahre 1869 als Narcoticum in
die ärztliche Praxis öingeführt. Auch als An¬
tidot des Strychnins ist das Chloral wichtig. Lh
Chloralum hydratum, Chloralhydrat,
Hydras Chlorali. Erst in neuerer Zeit in die
Heilkunde eingeführt, ist es jetzt schon als eine
höchst bedeutsame Bereicherung des Arznei¬
schatzes erkannt worden, trotzdem es dem Chlo¬
roform ganz nahe kommt. Oertlich in die Haut
eingerieben, irritirt es ziemlich heftig und er¬
regt Schmerz in concentrirten Lösungen, ja
es kommen ihm hier, wie auf Wunden, selbst
kaustische Eigenschaften zu, welche nur ver¬
mieden werden können, wenn leichtere Lösungen
genommen werden, nämlich nicht über 15%ige.
Subcutan entsteht durch concentrirte Lösung
eminente Zerstörung und Mortification der
Haut bei allen Thieren, während nur 10%ige
Solutionen selbst bei trachealen Einspritzun¬
gen gut ertragen werden. Chloralhydrat ge¬
hört auch (wie das Chloroform) zu den stark
fäulnis8widrigen Mitteln, u. zw. schon in sehr
diluirten Lösungen, und beruht diese Wirkung
auf einer eigentümlichen Beeinflussung der
Eiweisskörper, die jedoch nicht coagulirt zu
werden brauchen. Wunden bleiben auf 1 bis
8%ige Lösungen gerade so aseptisch, wie
bei 5%igem Carbolwasser, und würde man
Chloralhydrat auch zum Wundverband her¬
beiziehen, wenn es nicht ebenso gute und wohl¬
feilere Mittel genug gäbe. Auch gegen schmerz¬
hafte äusserliche Zustände ist es ganz ent¬
behrlich und zieht man ihm mit Recht Chloro¬
form vor. Gegen Rauschbrandbacillen hat es
sich schon zu 3% sehr wirksam erwiesen.
Ob, dem Blute zugeführt, das leicht lösliche
und resorbirbare Hydrat eine Zersetzung er¬
fährt, vielleicht wie in anderen alkalischen
Flüssigkeiten eine Spaltung in Ameisensäure
und Chloroform (und weiterhin in Salzsäure),
ist möglich, wird aber immer mehr bezweifelt,
nachdem das so leicht nachweisbare Chloro-
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154
CHLORAMMONIUM. — CHLORHYDRAS MORPHYCUS
form niemals in chloralisirten Thieren ge¬
funden werden konnte; es ist daher wahr¬
scheinlicher geworden, dass Chloral ähnlich
wie viele andere chloroformähnlich wirkende
Methanabkömmlinge als solches für sich zur Wir¬
kung gelangt, ohne also gespalten zu werden.
Dass das Gehirn zunächst von dem Angriff be¬
troffen wird, geht daraus hervor, dass eines der
frühesten und hauptsächlichsten Symptome der
Ohloralwirkung Schläfrigkeit ist, welche auf
grössere Dosen in tiefen Schlaf und vollständige
Bewusstlosigkeit übergeht, ohne dass dabei aber
die Empfindlichkeit oder gar Reflexerregbar¬
keit aufgehoben wäre; letzteres geschieht
erst auf sehr hohe und gefährliche Gaben,
wobei auch die Rückenmarksganglien in Mit¬
leidenschaft gezogen werden. Sonach erweist
sich das Mittel in erster Linie als ein Nar-
coticum (Hypnoticum) ersten Ranges, das je¬
doch die Empfindung nicht wesentlich alterirt,
wenn die gewöhnlichen Schlafdosen gereicht
werden; es eignet sich sonach auch nicht sehr
als Anaestheticum und muss ihm mit Rück¬
sicht auf letzteren Umstand das Chloroform
weit vorgezogen werden, das noch Empfin¬
dungslosigkeit in ungefährlicher Weise schaflft,
auch wenn schon alle .Hautreflexe erloschen
sind. Dass bei einer derartigen, durch tiefen
Schlaf charakterisirten Depression des Ge¬
hirns auch Pulsschlag und Athem vermindert
werden, ebenso der Stoffwechsel, ist leicht
einzusehen. Tod durch Paralyse des Respira¬
tionscentrums (oder diastolischen Herzstill¬
stand) erfolgt aber erst, wie gesagt, in sehr
hohen Gaben, die bei allen Hausthieren genau
bekannt sind; das Mittel hat daher bedeutend
an Gefährlichkeit verloren. Mittelgrosse Hunde
schlafen auf 6*0—8*0 mehrere Stunden,
Katzen schon auf 2 0—3*0 mehr als 12 Stun¬
den, Pferde auf 100*0—150*0. Todesgabe für
Katzen ist 6*0, für Hunde 10*0—18*0 und
bei Pferden kommt man niemals in die Lage,
vollständige Schlafdosen zu verabreichen, die
für den Fortbestand des Lebens bedenklich
wären, denn hiezu sind über 200 g nöthig.
Wichtig ist, das Verhalten des Pulses und
Athmens im Auge zu behalten (s. Chloro¬
form), sowie das der Pupille, die sich wäh¬
rend des narcotischen Schlafes stark veren¬
gert hat; schon die geringste Erweiterung
jedoch deutet im weiteren Verlauf ebenso
Gefahr an, wie starke Verflachung der Athem-
züge, Verminderung und Unregelmässigkeit
des Herzschlages. Die künstliche Erzeugung
von Schlaf kann bei den Hausthieren nur
ausnahmsweise die Indication des Mittels ab¬
geben, wohl aber, wenn es sich um allzu ge¬
steigerte Reflexerregbarkeit, allgemeine, rein
nervöse Gereiztheit, Convulsibilitäten u. dgl.
handelt. Am meisten passt Chloralhydrat bei
krampfhaften Affectionen aller Art, z. B. bei
Krampfliusten, grosser, nervöser Aufregung,
Ueberempfindlichkeit des Magens bei Hyper-
emesis, excessiven Contractionen des Uterus
(Krampfwehen), hauptsächlich aber bei Wund¬
starrkrampf aller Haüsthiere, während bei
erethischen Fiebern, Eklampsien, bei Epi¬
lepsie, Veitstanz die Chloralwirkungen keine
Erfolge aufzuweisen haben. Bei Tetanus ist
das Mittel häufig von sichtlicher Wirkung,
obwohl alle schwereren Fälle mit Tod ab¬
gehen und Chloral stets erfolglos ist. sobald
seine Anwendung erst in jenem Stadium er¬
folgt, in welchem Puls und Athem schon zu
steigen beginnen. Immerhin hat sich von
allen Tetanusmitteln das Chloralhydrat am
geeignetsten erwiesen und jetzt fast allge¬
mein das Morphin aus dem Felde geschla¬
gen, ganz besonders ist dies aber der Fall,
wenn die Starrkrampffälle frühzeitig genug
zur Behandlung gelangen. Dosis für Pferd
und Rind 30*0—50*0 mit Schleim (1 kg) in¬
nerlich oder auf zwei Klystiere innerhalb einer
Stunde, täglich 2—3 solche Dosen. Tritt in
einigen Tagen Besserung nicht ein, versucht
man kleinere Gaben (15*0—20*0), die aber
alle 2—3 Stunden (per elysmam) mit viel
Schleim zu appliciren sind. Beim Krampf¬
husten der Hunde kann Chloral nur pallia¬
tive Wirkung schaffen, keine abkürzende, die
eher dem Chinin zukommt. Dosis 0*5—2*0
innerlich mit Gummischleim oder weissem
Syrup. In der Geburtshilfe ist sein Nutzen
meist nur ein geringer, denn selbst im tief¬
sten Schlafe geschehen noch Uterincontrac-
tionen, doch nehmen diese an Intensität er¬
heblich ab. Dosis bei tetanoiden Geburts¬
wehen: Pferd und Kuh 100*0, Hund wie oben.
Morphin subcutan oder Branntwein (Rind
%—11) ist hier meist vorzuziehen. Für sub-
cutane Zwecke eignet sich Chloralhydrat, wie
oben schon gezeigt, nicht, dagegen wird in
Frankreich viel Gebrauch von ihm gemacht
zu trachealen Einspritzungen zu 2 0—10*0
für Pferde, in reichlich Wasser gelöst. —
Die Vergiftung durch Chloralhydrat wird in
derselben Weise behandelt, wie es beim
Chloroform angegeben ist. Aehnliche Wir¬
kungen kommen auch den übrigen Methan¬
abkömmlingen der fünfwerthigen Kohlen¬
wasserstoffe zu, nämlich dem Bromalhydrat
und Butylchloral (Crotonchloral [s. d.]). VI.
Chlorammonium und seine arzneiliche
Bedeutung, s. Ammonium chloratum.
Chlorantimonwirkungen, s. Liquor Stibii
chlorati oder Causticum antimoniale.
Chlorat, alte Bezeichnung für Chlorsäure,
s. Chloretum. Vogel.
Chlores8ig8äurewirkungen, s. Acidum
aceticum.
Chloretum, die ältere Bezeichnung für die
salzsauren (Chlor-) Verbindungen oder Chlo¬
ride, welche früher auch als muriatische Salze
bezeichnet wurden, z. B. Chloretum Antimonii,
Spiessglanzchlorid; Chloretum Ammoniae,
Zinci, Hydrargyri. Derartige Basen und Me¬
talloxyde erhalten jetzt die Bezeichnung
„chloratum“, während chloricum die chlor¬
sauren Verbindungen angibt. bezw. die Chlor¬
säure als Chlorat an gedeutet wird. Vogel.
Chlorhydras Ammoniae. (Ph. A ), Chlor¬
ammonium, s. Ammonium chloratum, Sal¬
miak. Vogel.
Chlorhydras morphious nennt die öster¬
reichische Pharmakopoe auch das salzsaure
Morphium, s. Morphium hydrochloricum. VI.
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CHLORINA. — CHLOROFORM.
155
Chlorina liquida, verflüssigtes Chlorgas.
Chlorwasser, s. Calcaria clilorata. Vogel .
Chlorit, von yXiopds, grün, gehört zu den
wasserhaltigen krystallinischen Silicaten. Der
Chlorit besteht aus Kieselsäure, Talkerde,
Thonerde, Eisenoxydul und Wasser und kry-
stallisirt in dünnen, sechsseitigen Tafeln. Er
erscheint in krystallinischen, schuppigen Mas¬
sen, auch erdig, zeigt eine Härte =3 1—1*5,
spec. Gew. 2*8—3, durchsichtig bis durch¬
scheinend, auf der Spaltfläche perlmutterglän¬
zend, oder auch berggrün in’s Schwärzliche
spielend. Vor dem Löthrohr brennt er sich
weiss. Der Chlorit bildet den Chloritschiefer,
der oft mit Quarz gemengt deutlich geschichtet
in den Alpen am Monte Rosa, Grossglockner,
ferner in Schottland, im Ural vorkommt: auch
in der Urschiefergruppe tritt Chloritschiefer
neben Glimmer und Thonschiefer auf, dem¬
gemäss in der centralen Hauptkette der Alpen,
den Salzburger Alpen, überdies auch auf Erz¬
lagerstätten. Loebiseh.
Chlorkalk (Bleichkalk). Lässt man Chlor¬
gas auf gelöschten Kalk ein wirken, so entsteht
hiebei unterchlorigsaurer Kalk (CaOCl 2 ) und
Chlorcalcium (CaCl*). Der käufliche Chlorkalk ist
ein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalk
und Aetzkalk, er bildet ein weisses Pulver
mit einem Geruch nach unterchloriger Säure,
indem schon die Kohlensäure der Luft diese
aus ihrer Verbindung mit dem. Kalk frei¬
macht. Die wässerige Lösung schmeckt scharf
salzig und wirkt durch allmälige Abgabe von
Sauerstoff schwach bleichend. Setzt man eine
Säure hinzu, so wird die unterchlorige Säure
frei gemacht, welche, indem sie sich in Chlor
und Sauerstoff zersetzt, energischer bleichend
wirkt. Versetzt man daher Chlorkalk mit Salz¬
säure, so zersetzt sich die frei werdende unter¬
chlorige Säure unter Entwicklung von Chlor.
Der Chlorkalk findet als Bleichmittel und als
Desinfectionsmittel, auch als Arzneimittel häufig
Anwendung. Um grössere Räume mit Chlor¬
kalk zu desinficiren, streut man entweder
den frischen Chlorkalk aus, oder stellt den¬
selben in offenen flachen Gefässen hin und
feuchtet mit wenig Wasser an. Zum Anspritzen
der Wände und Decken, sowie zum Reinigen der
Fussböden benützt man Lösungen von 1 Th.Chlor¬
kalk in 10—12 Th.Wasser. Giesst manaufChlor¬
kalk Salzsäure oder bespritzt man die mit Chlor¬
kalk befeuchteten Stellen unmittelbar nachher
mit verdünnter Salzsäure, dann kommt es
augenblicklich zur Entwicklung von Chlor,
während der Chlorkalk ohne Zusatz von Säure
nur allmälig in dem Maasse, als er durch die
Kohlensäure der Luft zerlegt wirkt, Chlor ent¬
wickelt. Sind in einem Raume farbige Objecte
zu schonen, dann darf man nicht mit Chlor¬
kalk räuchern, weil die Chlordämpfe die Farben
zerstören; in solchen Fällen wendet man besser
Dämpfe von Schwefligsäure - Anhydrid an.
Die arzneiliche Bedeutung des Chlorkalk
s. Calcaria chlorata. Loebiseh.
Chlormercur. Mit dieser Benennung wird
in älteren Schriften bald CalomeL, Queck-
silberchlorür, HgCl, bald Sublimat, Queck¬
silberchlorid, HgCl a , bezeichnet. Loebiseh.
Chlornatrium, auch Natriumchlorid, Koch¬
salz, NaCl, findet sich in mächtigen Lagern
meistens der Triasformation als Steinsalz, in
Auflösung in den aus den Salzlagem ent¬
stammenden Salzsoolen, im Meerwasser, in
kleinerer Menge in jedem Quellwasser. Be¬
rühmte Salzlager sind die von Wieliczka in
Galizien, von Stassfurt, Reichenhall in Deutsch¬
land, Cordova in Spanien, Salzlager finden
sich in Oesterreich besonders reichlich in
Hall, Hallein, Hallstadt. Natrium und Chlor
verbinden sich beim Erhitzen direct zu Koch¬
salz. Das gewöhnliche Kochsalz enthält immer
etwas Natriumsulfat. Calciumsulfat und Mag¬
nesiumchlorid, die Gegenwart des letzteren
verleiht ihm die Eigenschaft, an der Luft
feucht zu werden. Das Chlomatrium bildet
Würfel, es ist in heissem Wasser nicht viel
löslicher als in kaltem; 100 Th. Wasser lösen
bei 0° 36 Th., bei 100° 39 Th. Salz auf, es
enthält daher eine gesättigte Kochsalzlösung
in 100 Th. etwa 26*5 Th. Kochsalz. In ab¬
solutem Alkohol ist es fast unlöslich. Es
schmilzt bei 776° und verdampft bei Weiss¬
glut ziemlich leicht. Wird als Speisesalz und
Viehsalz angewendet. — Ueber die arzneiliche
Wirkung s. Natrium chloratum. Lh.
Chloroform, CHC1 8 , dreifach gechlortes
Sumpfgas, entsteht bei der Einwirkung von
Chlorkalk auf Weingeist, Aceton und andere
organische Körper und bei der Zersetzung
des Chlorals durch Natron- oder Kalilauge.
Um Chloroform darzustellen, destillirt man
3 Th. Alkohol, 50 Th. Chlorkalk und 100 Th.
Wasser aus einer geräumigen Retorte. Das
Chloroform geht mit den Wasserdämpfen in
die Vorlage über, wo es sich als schweres
Oel am Boden ansammelt. Man reinigt es
durch Schütteln mit Schwefelsäure und nach-
herige Destillation, es stellt eine farblose,
ätherisch riechende Flüssigkeit von süsslichem
Geschmack dar, welche bei 61° C. siedet,
vom specifischen Gewichte 1*525 bei 0°. Das
Einathmen der Dämpfe des Chloroform ver¬
ursacht Bewusstlosigkeit. Es löst Jod mit
purpurvioletter Farbe auf. Mit reiner concen-
trirter Schwefelsäure gemischt, muss Chloro¬
form farblos bleiben. Ein Chloroform, welches
auf dem Wasserbade bei einer Temperatur
von A4 0 nicht vollständig tiberdestillirt, ist
unbrauchbar. Saure Reaction, welche das mit
Chloroform geschüttelte Wasser annimmt,
weist auf Salzsäure hin, Braunfärbung durch
concentrirte Schwefelsäure ist durch einen
Gehalt an Alkohol oder an empyreumatischen
Stoffen bedingt. Loebiseh.
Das Chloroform ist neben dem Bromo-
form und Jodoform (s. d.) eines der drei¬
fachen Substitutionsproducte der Ethane und
Abkömmling der dreiwerthigen Radicale
CnHn 2—1. Da es in Ameisensäure (Acidum
formicicum) zerfällt, gehört es zu den For-
mylverbindungen und ist auch das wichtigste
derselben, Formyltrichlorür, Form vl um tri-
chloratum (Trichlormethan. CHC) 3 ). Das
Chloroform ist jetzt neben dem Aethyläther
therapeutisch das Hauptmittel zur Herbei¬
führung einer allgemeinen Gefühllosigkeit
156
CHLOROFORM.
(Anaesthesie) und Bewusstlosigkeit zugleich,
obwohl ihm durch andere Alkoholradicale,
x. B. dem Aethylaldehyd (Aethylidenoxyd),
Paraldehyd, Aethylendichlorür, Aethyliden-
chlorid (s. Aethylenum chloratum) n. A. der
erste Rang streitig gemacht worden ist; auch
ist es an Stelle des Alkohol getreten, der
früher den genannten Zwecken allein diente,
denn Chloroform ist erst 1847 als anaesthe-
sirendes Mittel erkannt worden. — Oertlich
auf die Haut applicirt, verflüchtigt es sich
rasch und erzeugt Verdunstungskälte, eine
Folge, die des Chloroform preises wegen nur
selten oder gar nicht zu Eühlungszwecken
thierärztlich verwendet wird, auch eignet sich
hiezu besser der noch flüchtigere Aether. Bei
Einreibungen in die Haut darf man keine narcoti-
sirenden örtlichen, d. h. schmerz linderndeEffecte
erwarten, im Gegentheil irritirt und röthet es
die Haut stark; will man daher ftusserlich
schmerzstillend einwirken, muss es mit Oel
oder Fett (zu gleichen Theilen) verdünnt
werden; in dieser Weise ist Chloroform das
beste äusserliche Narcoticum bei Erregung
der peripheren Nerven und bedarf es auch
keiner Beigabe narcotischer Extracte, wie es
häufig geschieht. Desgleichen ist es den Mor-
phinsälbchen vorzuziehen, die gar keine anal*
gesirenden Wirkungen haben. In dieser Weise
(oder 1:2—3 Oel) erweist sich das Mittel
recht brauchbar bei allen äusserlichen schmerz¬
haften Zuständen, Rheumatismen, Entzün¬
dungsgeschwülsten u. dgl., selbst bei Pru¬
ritus. — Bei innerlicher Mediation erfolgt der
Angriff des am besten durch Inhalation in
den Körper geführten Mittels zunächst auf
das Grosshirn, nachdem das Blut keine nach¬
weisbaren Veränderungen erlitten hat. Da
Chloroform sich besonders dadurch auszeich¬
net und sich so vortrefflich verwenden lässt,
dass auch bei völliger Anaesthesie der Thiere
immer noch motorische Erregungen zu Stande
kommen (Hautreflexe) und selbst nach schon
eingetretener Lähmung der quergestreiften
Muskelfasern, wie der glatten in den Ge-
fässwandungen und der Pupille, doch der
Herzmuskel und der Athraungsapparat noch gut
fortfunctioniren, so geht daraus hervor, dass
die sensiblen Nervenzellen der grauen Sub¬
stanz der beiden Hirnlappen zunächst ge¬
troffen werden und erst später die motorischen
und reflexvermittelnden Gehirnzellen (zum
Unterschied von den Nervenfasern), sowie die
spinalen Ganglien; die Chloroformnarcose
hat somit noch nichts Beängstigendes, wenn
auch schon die Hautreflexe erloschen sind, es
beweist diese letztere Erscheinung vielmehr
nur, dass die Bewusstlosigkeit nunmehr eine
vollständige und damit auch genügende ist.
Sonach hat diese künstlich geschaffene Nar-
cose viele Aehnlichkeit mit dem natürlichen
Schlafe, wo ebenfalls die motorische Erreg¬
barkeit fortdauert. Letztere erlischt beim
Chloroform schlafe zuletzt auf der Cornea und
in der Nasenschleimhaut, es kann daher die
Narcose ganz wohl so lange fortgesetzt wer¬
den, bis die Thiere überhaupt auf äusßere
Reize (Nadelstiche) nicht mehr reagiren;
Gefahr tritt erst dann ein, wenn das gegen
Chloroform äusserst widerstandsfähige Herz
ebenfalls engagirt worden ist, was sich alsbald
durch grosse Verlangsamung und Unregelmäs¬
sigkeit des Pulses kundgibt, sowie durch
immer seichter werdendes Athmen. Um sicher
zu gehen, lässt man sich am besten die Puls-
schläge laut vorzählen und behält die Tiefe
und Regularität der Respirationszüge auf der
Höhe der Anaesthesie im Auge. Ebenso gibt
auch die Pupille Anhaltspunkte, denn diese
ist während der vollen Bewusstlosigkeit stark
verengt, eine in diesem Stadium erfolgende
allmälige Erweiterung signalirt aber Gefahr.
Eine Todesdosis lässt sich bei den einzelnen
Hausthieren nicht angeben, denn die Empfäng¬
lichkeit variirt sehr und geht auch bei der
Application eine verschiedene Menge ver¬
loren. Der Tod erfolgt durch Synkope, geht
also vom Herzen aus, es kann aber auch
früher schon das Respirationscentrum gelähmt
werden, denn die Ganglien des Myocardiums
arbeiten meist noch fort, auch wenn das Ge
hirn und verlängerte Mark bereits der Para¬
lyse verfallen sind. Merkwürdig ist auch
beim Chloroform (wie beim Chloralhydrat,
Opium und Alkohol), dass der Betäubung
stets eine primäre Erregung vorhergeht und
erst beim Ansteigen der Narcose eine all¬
mälige Verlangsamung der Circulation und
Athmung Eintritt. Welche Vorgänge inner¬
halb der Nervenzellen der grauen Hirnsub¬
stanz stattfinden, konnte noch nicht eruirt
werden, die Veränderungen sind aber wahr¬
scheinlich nicht anatomischer Art, denn schon
5—20 Minuten nach Aufhören des Chloro-
formirens erfolgt das Erwachen, ohne dass
irgend eine Alteration des Befindens der
Thiere nachweisbar wäre, wohl aber kommt
es offenbar zu chemischen Veränderungen,
sofern die Eiweisskörper grössere Neigung
zum Zerfall zeigen und auch in der Art be¬
einflusst werden, dass bei chloroformirten
Thieren z. B. das Myosin in geronnenem Zu¬
stande an^etroffen wird. Letzterer Umstand
ist auch die Ursache der früher eintretenden
Muskelstarre nach dem Tode, wo nach Chloro¬
form charakteristische anatomische Zeichen
nicht zu finden sind. — Klinische Anwen¬
dung findet das Mittel trotz seiner hervor¬
ragenden Eigenschaften relativ wenig in der
Thierheilkunde, namentlich seit man gegen
die verschiedenen nervösen Erregungszustände
noch andere treffliche Mittel hat, wie Morphin,
Chloralhydrat, Bromkaliura, mit denen auch die
meisten krampfhaften Affectionen bekämpft wer¬
den (s. Chloralum hydratum). Unübertroffen
steht jedoch Chloroform da als Anaestheticum bei
chirurgischen Operationen, zu welchem Behufe
es am besten durch Inhalation dem Blute
zugeführt wird, u. zw. entweder pur oder mit
dem etwas milder vorgehenden Aether (1 Chlo¬
roform, 2—5 Aether). Kleinere Thiere lässt
man bei übergehaltenem Taschentuche direct
aus dem Medicinglase einathmen, grösseren
Thieren steckt man einen mit der Flüssig¬
keit getränkten kleinen Schwamm in eine
der Nasenöffhungen oder man hat hierzu be-
CHLOROFORMIUM. — CHLORWASSERSTOFFSÄURE. 157
sondere Apparate, bei denen aber stets das
gleichzeitige Inspiriren von genügender at¬
mosphärischer Luft gesichert sein muss. Die
weiteren Sicherheitsin assregeln sind schon
angedeutet worden. Für die grossen Haus¬
siere hält man etwa 50—100 g bereit, bei den
kleineren genügen schon 10—15 g. Hunde sind
empfindlicher als die Herbivoren, doch weni¬
ger als der Mensch, Katzen tolerircn aber so
wenig das Mittel, dass man sie lieber gar
nicht chloroformirt. Je kleiner die Thiere,
desto grösser die Vorsicht; die Annahme je¬
doch, dass Aether minder gefährlich sei, ist
keine ganz richtige, denn Aether lässt nur
länger auf seine Vollwirkung warten und er¬
zeugt auch kürzere Narcosen. Die Betäubung
tritt bald ein, denn schon nach 5—10 Minuten
tritt Bewusstlosigkeit ein, deren Dauer sich
nach dem Einzelfalle zu richten hat; sie kann
sich selbst auf eine Stunde erstrecken; in
letzterem Falle ist das Vorausschicken einer
vollen Dose Morphin subcutan anzurathen,
um dann erst (nach 5—8 Minuten) durch
Chloroform die Betäubung auf den gewünsch¬
ten Grad zu steigern und auf demselben zu
erhalten. Subcutane Einspritzungen sind eben¬
falls üblich, der Localeffect ist nicht zu
fürchten, wie beim Chloral; vielfach werden
daher (mit Branntwein verdünnte) Chloro¬
formdosen sogar tracheal verwendet. Manche
Praktiker verlassen sich, um sicher zu gehen,
ganz auf das oben genannte Verhalten des
Schlafes, noch sicherer ist aber immer die
Art der Athmung und der Rhythmus des
Pulses. Beginnt letzterer aufzuhören, muss
jedes weitere Inhaliren ausgesetzt werden und
ist Lebensgefahr eingetreten, sorgt man als¬
bald für energische Reizung der Hautnerven
(am besten mit kaltem Wasserstrahl, Einrei¬
bungen mit Ammoniak), Einleitung künst¬
licher Respiration, Hervorziehen der Zunge
u. s. w., vorsichtige Strychnin- oder Kampher-
gaben können ebenfalls versucht werden.
Gegen Krampfwehen hat sich Chloroform
nicht sehr zuverlässig erwiesen, indem die
Contractionen fortdauern, auch wenn Betäu¬
bung schon eingetreten, doch haben sie
wesentlich an Intensität verloren (s. auch
Chlor alum). Vogel.
Chloroformium, s. Chloroform.
Chlorophyll (Blattgrün, Pflanzengrün), die
Ursache der grünen Farbe der Pflanzen, in
denen es an Protoplasma gebunden und in
geringer Menge vorkommt, u. zw. selten gleich-
mässig vertheilt, meist in Körnern, welche
aus einem eiweissartigen Stoff mit einer sehr
geringen Menge Chlorophyll bestehen. Den
Chlorophyllkörnern kann der Farbstoff durch
90% Alkohol entzogen werden. Die alkoholi¬
sche Lösung des Chlorophyll ist grün im
durchfallenden Lichte, bei starker Concen-
tration roth und zeigt eine blutrothe Fluor-
escenz. Charakteristisch für die Lösung des
Chlorophylls ist dessen Absorptionsspectrum. In
verdünnter Lösung zeigt sich im mittleren
Roth ein schwarzer Streifen, ein zweiter im
Beginn von Gelb, ein dritter im Grüngelb,
ein vierter ira Grün. Schüttelt man eine al¬
koholische Chlorophyllösung mit Ligroin, so
geht vorzugsweise blaues Kyanophyll über,
während im Alkohol gelbes Xantophyll zurtick-
bleibt, das Blattgrün bestände demnach aus
einem Gemische zweier Farbstoffe. Von
höchster Wichtigkeit für das gesammte or¬
ganische Leben der Natur ist die Function,
welche dem Chlorophyll zukommt, indem es
die Pflanze befähigt, aus der in der Atmo¬
sphäre vorhandenen Kohlensäure den Sauer¬
stoff abzuscheiden und den Kohlenstoff zu
assimiliren, d. h. zu einem Bestandtheil der
Pflanze umzuwandeln. Mittelst des Chloro¬
phylls unter Mitwirkung des Sonnenlichtes
zerlegt also der Pflanzenorganismus die Kohlen¬
säure in Kohlenstoff und in Sauerstoff. Zur
Erklärung dieser Rolle des Chlorophylls nimmt
man an, dass dem Chlorophyll die Fähigkeit
zukommt, Lichtstrahlen in ihrem Brechungs-
verraögen zu verändern und hiedurch Kraft
disponibel zu machen, durch welche zunächst
Kohlensäure im Chlorophyllapparat lo9e ge¬
bunden wird. Diese lockere Verbindung soll
nun durch Einwirkung des Sonnenlichtes in
der Weise zerlegt werden, dass einerseits das
Chlorophyll regenerirt wird und andererseits
ein Kohlehydrat oder ein Kohlenwasserstoff
entsteht. Das Chlorophyll selbst entwickelt
sich nur in den dem Lichte ausgesetzten
Pflanzentheilen, es ist eisenhaltig und bedarf
Eisen zu seiner Bildung; fehlt dieses, so
werden die Pflanzen bleichsüchtig. Manche
giftige und bittere Substanzen, welche in der
am Sonnenlicht wachsenden grünen Pflanze
Vorkommen, verschwinden, wenn man die
Pflanze im Dunkeln aufzieht, so z. B. der
Bitterstoff des wildwachsenden Spargels, wenn
man den Spargel im Dunkeln cultivirt. Lh.
Chlorräucherungen, s. Calcaria chlorata.
Chlorsäure, HC10 3 , Acidum chloricum,
eine Sauerstoffsäure des Chlors, nur in wäs¬
seriger Lösung als freie Säure bekannt. Die
chlorsauren Salze entstehen neben den Chlo¬
riden, wenn man auf einige Metallhydrate
Chlor in der Wärme einwirken lässt. So
bilden
6 KOH + 6 CI = 5 KCl +
Kaliumhydroxyd Chlor Kaliumchlorid
KC10 a + 3 H a O
Chlorsaures Kalium.
Zersetzt man in Wasser lösliches chlorsaures
Barium mit Schwefelsäure, so fällt unlöslicher
schwefelsaurer Baryt nieder und man erhält
die Chlorsäure in wässeriger Lösung. Im
Vacuum concentrirt stellt die Lösung eine
syrupartige Flüssigkeit dar, welche stark
oxvdirend wirkt und sich schon bei 40° in
Sauerstoff und Ueberchlorsäure zersetzt. Das
chlorsaure Kalium dient zur Darstellung des
Sauerstoffes und als Heilmittel. Loebisch.
Chlorsäure# Kali, Wirkungen desselben,
s. Kalium chloricum.
Chlorum solutum, s. Aqua chlorata unter
Calcaria chlorata.
Chlorwasser und seine therapeutische An¬
wendung, s. Calcarhv chlorata.
Chlorwasserstoffsäure, C1H, Salzsäure.
Acid. hydrochloric. vcl muriaticum, ist eine
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158
CHLORZINK. — CHOCOLADE.
Wasserstoffsäure des Chlors, entstanden durch
die Verbindung von Chlor mit Wasserstoff;
sie kommt im freien Zustande in geringer
Menge in den vulcanischen Gasen vor, ferner
im Magensaft der Menschen und Säugethiere.
Sie entsteht durch Vereinigung von CI- und
H-Gas unter dem Einfluss des directen Sonnen¬
lichtes oder chemisch wirksamer Strahlen,
auch durch Einwirkung von Chlor auf Wasser
und auf wasserstoffhältige organische Stoffe.
Im Grossen wird die Salzsäure jedoch dar¬
gestellt, indem man Kochsalz durch Schwefel¬
säure zersetzt: S0 4 H 9 -j- 2 ClNa = S0 4 Na 9 -f-
2 C1H, hiebei bildet sich schwefelsaures Na¬
trium und gasförmige Salzsäure. Letztere ist
ein farbloses Gas, welches an der Luft starke
Nebel bildet. Sobald nämlich die Chlorwasser¬
stoffsäure mit Luft in Berührung kommt,
zieht sie die in der Luft stets vorhandenen
Wasserdämpfe an und bildet mit diesen kleine
Bläschen — Nebel. Die C1H ist in Wasser
sehr löslich und bildet damit eine stark saure
Flüssigkeit vom spec. Gew. 1*2, welche im
Handel Salzsäure heisst, an der Luft raucht
und 40% Chlorwasserstoffsäure enthält. Die
wässerige verdünnte C1H wird in der Medicin
angewendet, sie löst viele Metalle unter Bil¬
dung von Chloriden. Auf Quecksilber, Silber,
Gold und Kupfer wirkt sie nicht ein; mit
löslichen Silbersalzen — Silbernitrat,—erzeugt
sie eine Fällung von unlöslichem Chlorsilber.
Die pharmacodynamische Verwendung s. Aci¬
dum hydrochloricum. Loebisch.
Chlorzink, sein therapeutisches Verhalten
und seine chirurgische Bedeutung, s. Zincum
chloratum.
Chtnel G. (1747—1806) studirte Thier¬
heilkunde in Wien, war Lehrer der Thierheil¬
kunde in Lemberg, schrieb 1787 über die Leber¬
egelseuche und über den Genuss des Fleisches
kranker und gesunder Thiere. Semnur.
Choanen (choanae, von yodvY), Trichter)
sind die hinteren (oberen) Nasenöflhungen,
welche vom Grund der Nasenhöhlen in den
Schlundkopf führen (s. Nasenhöhlen). Sie
werden aussen durch die Gaumen- und Flügel¬
beine begrenzt, innen durch das Pflugschar¬
bein und durch die knorpelige Nasenscheide¬
wand von einander getrennt. Jede Choane
hat bei den Pferden eine länglich ovale
Form, etwa 7 — 8 cm Länge und 3—3 * 5 cm
Breite. Bei den übrigen Hausthieren sind diese
Oeflhungen verhältnissmässig länger, schmäler
und tiefer. Müller.
Chocolade. Ein Fabricat, welches recht¬
lich aus den enthülsten Bohnen des Cacao-
baumes, unter Zusatz von Zucker und ver¬
schiedenen Gewürzen, mit Ausschluss aller
sonstigen Zusätze, wären diese auch unschäd¬
lich, bereitet sein soll. Die Cacaobohne, kurz¬
weg auch Cacao genannt, ist der Same der
gurkenähnlichen Frucht des auf den sundi-
schenund philippinischen Inseln angebauten, in
Mittelamerika heimischen Baumes Theobroma
Cacao Linne. Die Bohnen werden entweder
an der Luft oder an der Sonne getrocknet (ordi¬
näre Sorten) oder, wie dies in Caracas der Fall
ist, in Haufen gew orfen, mit Erde zugedeckt,
einer gelinden Gährung unterworfen und erst
dann getrocknet. Durch letzteres Verfahren
verlieren die t Bohnen einen Theil ihres Bit¬
terstoffes und werfen beim Rösten leicht ihre
Hülsen ab. Zur Beurtheilung der Qualität der
Cacaosorten dienen folgende Anhaltspunkte:
die dunkelbraunen und rauhen Bohnen sind
werthvoller als die hellfarbigen und glatten,
die Hülse derselben soll möglichst erhalten,
die Mandel voll, von rötlicher Farbe im In¬
nern, von mässig bitterem Geschmack und
geruchlos sein. Das Chocolade- oder Cacao-
pulver des Handels ist schon ein Product der
gerösteten Bohne, welches grossen Fälschun¬
gen ausgesetzt wird, indem man es theils von
Fett befreit, theils durch Zusatz von Mehl,
Stärke und* Zucker eine unrechtmässige Ge¬
wichtsvermehrung desselben herbeiführt.
Echte Cacaomasse enthält sämmtliche
chemischen Bestandteile der Cacaobohne, we¬
niger die der Schalen: 43—53% Fett (Cacao-
butter und Spuren von flüchtigem Oel),
3*46 Cacaoroth, .10—18% Stärke und Gummi.
13% Pflanzeneiweiss und 1 *5 % Theobromin.
Durch diesen hohen Gehalt an Fett, Stärke
und Eiweiss erhält die Cacaomasse einen
hohen Nährwerth und durch ihren Gehalt
an dem Alkaloid Theobromin, welches mit
dem Thein nahe verwandt ist, wirkt sie auch
ähnlich dem Thee und Kaffee als gelind er¬
regendes Genussmittel; auch die geringen
Mengen flüchtigen Oeles, welche sich beim
Rösten der Cacaobohnen entwickeln und
diesen das eigentümliche Aroma verleihen,
tragen zur erregenden Wiikung der Chocolade
bei. Die Zusätze, welche die Cacaomasse be¬
hufs Herstellung einer billigen Chocolade
erfährt, sind zum Theil gesundheitsschädlich,
zum Theil nicht. Als Zusatz müssen wir auch
die Hülsen der Cacaobohne betrachten,
welche, da sie 11—12% der Bohne betragen,
in grosser Menge zur Erzeugung mittlerer
Chocoladesorten verwendet werden, zum
grössten Theile werden diese übrigens in Irland
zur Darstellung eines Getränkes verwendet,
welches durch Zusatz von Hülsenfrüchten
nahrhaft gemacht wird. Um den Zusatz von
Hülsen in einer Chocolade zu erkennen,
bedarf es der Kenntniss der mikroskopisch-ana¬
tomischen Structur der Schale. Um mit dem
Mikroskop zu prüfen, muss man erst die
im Wasser löslichen Bestandteile aus der
Chocolade auswaschen, abfiltriren, den Rück¬
stand trocknen und mit Aether das Fett
ausziehen. Man erkennt dann die Cacaohülsen
an dem braunen grosszelligen Gewebe, wel¬
ches eine Menge Spiralfasern enthält. Der
Cacao zeigt ein kleinzelliges Gewebe, ange¬
füllt mit runden Stärkemehlkörperchen, welche
20—25mal kleiner sind als die der Mehl¬
arten, weshalb man sie zweckmässig bei
300—500maliger Vergrösserung untersucht.
Die unverfälschte echte Chocolade
wird aus den enthülsten Bohnen ohne jeg¬
lichen Zusatz in der Weise bereitet, dass man
die grob gestossenen Bohnen in einem eiser¬
nen Kessel bei mässiger Wärme mit einer eiser¬
nen Keule so lange zerreibt, bis sie zu einem
CHOLÄMIE.
159
ganz zarten Brei geworden, welchen man in
Formen von Weissblech vertheilt und darin
erhärten lässt; sie stellt eine braunrothe,
feste Masse dar, welche im Munde leicht
zergeht, ohne dabei schleimige oder sandige
Stoffe zurückzulassen und schwach aromatisch
bitter schmeckt. Die eben geschilderte Cho-
colademasse wird auch als Gesundheits-
chocolade bezeichnet. Als Vanillen-
chocolade wird eine Masse angeführt,
welche 4 g Vanille auf 1 kg. Chocolade ent¬
hält. In neuerer Zeit wurde der Versuch ge¬
macht, gesetzlich Chocolade. als eine Mi¬
schung zu normiren, deren Muttersubstanz
allerdings die oben geschilderte echte Choco¬
lade bildet, welche aber ausserdem an Zu¬
sätzen neben Gewürzen und Zucker noch
Stärke, Mehl, Traganth, Salep u. dgl enthält
(Griessmayer). Als Beispiel für die Zusammen¬
setzung von Chocolade-Compositionen führen
wir an: Kaiffa, bestehend aus 500 Cacao,
750 Salep, 1000 Sago, 1250 Reismehl,
250 Grütze, 250 Moosgallerte, 6000 Zucker
und 50 Vanille. Die reinen Chocoladen bei
uns enthalten 15—20% Fett, 2% Asche und
wenigstens 0*3% Theobromin; durch den
Vergleich dieser Zahlen mit den oben für
reine Cacaomasse gegebenen lässt sich die
Verdünnung ersehen, welche die Cacaomasse
durch die Zusätze erfahren hat.
Die häufigsten Verfälschungen der Cho¬
colade sind nun: 1. Die Verwendung einer
Cacaomasse, welcher das natürliche Fett —
die Cacaobutter — entzogen wurde, zur Her¬
stellung der Chocolade. Als Ersatz wird
Wachs, Stearin, Paraffin, Hammel- und
Rindertalg verwendet. Diese Fälschung lässt
sich mit Sicherheit dadurch erkennen, dass
man die zerriebene Chocolade mit Aether
behandelt und in gelinder Wärme verdunsten
lässt. Das reine Cacaofett verbleibt hiebei
als weisse, feste und spröde Masse, deren
Schmelzpunkt bei 34° C. liegt. Fremde Fett¬
stoffe müssen dann durch specielle Reactionen
identificirt werden. 2. Es werden der Cho¬
colade Getreide- und Hülsen fruchtmehle,
Kartoffelstärkemehl in verschieden grosser
Menge beigefügt. Diese Fälschung kommt
dem Geschmacke des Publicums nach einem
Getränke entgegen, welches möglichst dick
sein soll, während reine Chocolade dünn¬
flüssig ist. Mehlhaltige Chocolade läuft sehr
langsam durch's Filter, auf diesem bleibt ein
förmlicher Kleister zurück. Der Nachweis der
zugesetzten Mehlsorte wird mittelst des Mi-
kroskopes geliefert durch Auffinden der für
die verschiedenen Mehle charakteristischen
Stärkekörner (8. Amylura). 3. Als Verfälschungen
mineralischer Art wurden in der Chocolade aufge¬
funden: Kreide, Gyps, Schwerspath, Ziegel¬
mehl, Zinnober, Eisenocker, Bolus armenicus.
Die echte Chocolade liefert nur sehr wenig
Bodensatz, der sich auch nur sehr langsam
abscheidet. Nach König deutet mehr als
3*56% Aschengehalt der Chocolade stets
auf einen Zusatz von Mineralstoffen. 4. Als
Verfälschung von geringerer Tragweite wird
auch der Ersatz der theueren Vanille in der
Chocolade durch billige Gewürz- und Riech¬
mittel — Perubalsam, Benzoeharz etc. geübt.
Es gehört demnach die Chocolade zu den am
häufigsten gefälschten Genussmitteln, ja es
kommen sogar Chocoladen in Handel, welche
ohne Cacao blos aus grobem Schiffszwieback.
Kleienmehl und Ziegelsteinstaub bereitet
wurden. Auf die Gegenwart von Cacao in
einer Chocolade prüft man durch den Nach¬
weis des Alkaloides desselben, des Theo-
bromins (s. d.). Loebisch.
Cholämie (von /oXy;, Galle, und aijxa,
Blut). Vergiftung des Blutes mit Galien-
bestandtheilen, Gallenfarbstoffen, Gallensäuren
und Gallensalzen. Die mit der Cholämie ver¬
bundene Gelbfärbung der Gewebe wird als
Gelbsucht bezeichnet (s. Icterus). Die Cho¬
lämie kann entstehen durch Resorption der
schon gebildeten Galle bei behindertem Ab¬
fluss, oder durch übermässige Gallenproduction,
oder durch gehinderte Leberfunction. Bei be¬
hindertem Gallenabfluss in den Darm wird
die Galle von den Lymph- und Blutgefässen
aufgenommen und so ins Blut gebracht. Die
Ursachen des behinderten Gallenabflusses sind:
Katarrhalische Schwellungen der Schleimhaut
der Gallenausführungsgänge, Verengerungen
oder Verschluss derselben durch Neubildungen,
Gallensteine, Concremente und Parasiten
(Leberegel, Spulwürmer), behinderte Athem-
bewegungund aufgehobener Druck des Zwerch¬
fells auf die Leber, Verminderung der Vis a tergo
durch Abnahme des Seitendrucks in den Pfort¬
aderverzweigungen durch Thrombose der Pfort¬
ader und der Interlobularvenen. Die Folgen
des behinderten oder aufgehobenen Gallen-
abflu8scs in den Darm sind zunächst Ver¬
dauungsstörungen, behinderte Resorption der
Fette, Abmagerung, die Fäces verlieren ihre
braune Farbe und werden je nach der auf¬
genommenen Nahrung blassgrau oder hell¬
grün, übelriechend. Der Uebertritt der Galle
aus den überfüllten Gallengängcn in die
Lymphbahnen erfolgt schon einige Stunden
nach Eintritt des Hindernisses. Das Blut ent¬
hält schon in den ersten 24 Stunden, der
Harn nach 48 Stunden Gallenfarbstoffe und
nach einigen Tagen erfolgt deutliche Gelb¬
färbung der sichtbaren Schleimhäute und der
Sclerotica (Icterus). Sämmtliche Gewebe, auch
die Knochen und Zähne, am meisten aber die
Leberzellen und die Epithelien der Harn-
canälchen werden mit Gallenfarbstoffen in-
filtrirt und verfallen nachher der albuminösen
Trübung und Fettmetamorphose. Auch sämmt¬
liche Körperflüssigkeiten, Secrete, Excrete
und Transsudate, sind gelb gefärbt, und ein
Theil der Gallenfarbstoffe wird beständig
durch den Harn und Schweiss abgeführt.
Weit nachtheiliger noch als die Gallenfarb¬
stoffe wirken die Gallensäuren im Blute. Die¬
selben lösen zunächst die rothen Blutkörperchen
auf und wirken weiterhin nachtheilig auf das
Muskel- und Nervensystem. Die Muskel-
thätigkeit wird abgeschwächt oder ganz ge¬
lähmt, die Herzcontractionen und Athoinzüge
werden verlangsamt, die Temperatur sinkt
unter die Norm. Die Affection des centralen
160 CHOLAGOGA.
Nervensysteme manifestirt sich durch Apathie,
Ooma, Sopor nach vorübergehender Aufregung
(bis zur Tobsucht). Ein Theil der Gallen¬
säuren wird ebenfalls durch Harn und Schweiss
eliminirt. Der Cholesteringehalt des Gehirns
und Blutes nimmt bei der Cholämie zu, da
das Cholesterin nicht mehr in gehöriger Weise
mit der Galle in den Darm ab geführt werden
kann. Der Verlauf der Cholämie ist acut oder
chronisch und endet mit Genesung oder Tod
durch Einwirkung der Gallenfarbstoffe und
Gallensäuren auf die Gewebe und das Blut,
durch Störung der Leberfunction und der
Muskel- und Nerventhätigkeit. Bei Sectionen
findet man sämmtliche Gewebe, besonders die
Drüsenzellen, mit körnigem Zellenpigment in-
filtrirt, Pigmentkörnchen im Blut, Fett¬
degeneration der Muskeln und Drüsen. Die
Prognose ist bei vorübergehender Cholämie,
wie sie z. B. als Begleiterscheinung der In¬
fluenza bei Pferden auftritt, günstig, bei
selbständiger Cholämie der Schafe, Hunde
und Schweine ungünstig.
Therapie. Abführmittel, Calomel, dop¬
peltkohlensaure Salze, Brechmittel, Senfteige
auf die Lebergegend, Bewegung.
Literatur i Allgemeine Pathologie von W»gner,
Cohnheim, Stricker, Sarooel KOhne etc. Sr.
Cholagoga, gallentreibende Mittel. Von
jeher hat man geglaubt, annehmen zu müs¬
sen, es existiren bestimmte Arzneistoffe, welche
eine besondere Beziehung zur Leber haben
und damit auch in directem Zusammenhang
mit der Gallenbereitung zu bringen seien;
man hat sie deswegen auch Lebermittel, He-
patica, genannt: als solche gelten besonders
einige gelbaussehende und dabei bittere Mittel,
z. B. die Aloö, das Rheum, das Leberkraut
und andere Pflanzen aus der Ordnung der
Lebermoose (Muscineae, Hepaticae), sowie
Jalape, Bitterklee, Taraxacum , Bryonia,
Glaubersalz, Bittersalz, Calomel, Tartarus u. a.
Man sieht, unter diesen Stoffen figuriren be¬
sonders auch solche, die Abführen erzeugen,
und es ist noch nicht lange her, dass man
überhaupt einem Medicamente cholagoge Wir¬
kungen vindicirte, wenn nach seinem Ge¬
brauche stark gallige, lettige Färbung der
Darmentleerungen auftrat. Letztere Annahme
ist nun eine durchaus irrige, wie auch Erhöhung
der Darraausscheidung noch lange nicht gleich¬
bedeutend mit Verstärkung der Gallensecre-
tion ist, dagegen kann jetzt nicht geleugnet
werden, dass es in der That gewisse Mittel
gibt, w elche es ganz besonders auf das gallen¬
bereitende Organ abgesehen haben, denn man
findet sie hier wieder notorisch vor, sie ver¬
weilen in der Leber kürzere oder längere
Zeit, indem diese ein Lieblingsdepot für sie
ist, während andere Organe von ihnen unbe¬
rührt bleiben. So ist dies der Fall mit dem
Alkohol, dem Phosphor, den meisten Metall¬
salzen, dem Icterogen der Lupinen u. s. w.,
welche auch vorzugsweise oder ausschliesslich
in der Leber krankhafte Veränderungen her-
vorrufen (fettige Entartung, gelbe oder rothe
Atrophie). Ferner hat man die Erfahrung ge¬
macht, dass sie bei einzelnen Leberkrankhei¬
ten, Gallenstörungen, Gelbsüchten gegenüber
anderen Mitteln auffällig gute Dienste leisten.
Allerdings hat man stricte Beweise für die
heilsamen Wirkungen auf die Leber nicht bei¬
zubringen vermocht und schliesslich auch ge¬
funden, dass gerade icterische Zustände in den
meisten Fällen mit gar keiner Erkrankung der
Leber in causalem Zusammenhang Btehen,
man ist daher in der letzten Zeit in das
andere Extrem verfallen und hat eine Einwir¬
kung der Arzneimittel auf die Gallensecretion
geleugnet oder sie nur indirect zugegeben.
Erst die Experimentation der neuesten Zeit
hat darüber Licht verbreitet und bestimmte
Nachweise geliefert. Zuerst war es Pescho-
lier, welcher 1876 bei Thieren gefunden, dass
manche Substanzen, in erster Linie die Ipe-
cacuanha, in toxischen Gaben, die Zuckerbil¬
dung in der Leber cessiren machen, andere sog.
Lebermittel aber, wie Calomel, mit der Gallen¬
bereitung oder Ausscheidung gar nichts zu
thnn haben. Später, 1879, hat dann Ruther¬
ford durch seine interessanten Thierversuche
festgestellt, dass es allerdings specifische
Gallenmittel gäbe, aber wohl zu unterscheiden
sei, ob die Leber unmittelbar getroffen werde,
also die cholagoge Wirkung als eine directe
Action auf die Leberacini, bezw. auf die
Leberinnervation aufzufassen sei oder der
unzweifelhaft vorliegende gallentreibende
Effect nur ein secundärer sei, entstanden
durch reflcctorische Wirkungen von Seiten
der gereizten Darmschleimhaut und des damit
verbundenen gesteigerten Hinflutens von Blut
auch nach der Leber. Die Beweise für erstere
Aufstellung sind von ihm dadurch erbracht
worden, dass einzelne Arzneimittel, wie das
phosphorsaure Ammonium, das benzoösaure
und salicylsaure Natrium, die Brechwurzel u. s.w.
eine Steigerung der gesammten Leberthätig-
keit hervorbringen, ohne einen erheblichen
Einfluss auf die Intestinalschleimhaut auszu¬
üben; er hat diese Mittel, zu denen auch die
Salpetersäure und das Königswasser gehören,
deswegen Hepatic. stimulants genannt; das¬
selbe ist der Fall bei dem Podophyllin, so-
ferne cs nur in ganz kleinen' Dosen gegeben
wird, denn die cholagoge Wirkung hört als¬
bald auf, sobald Purgiren eintritt. Ausser¬
dem ist nachgewiesen worden, dass die Gal¬
lenbereitung gar nicht alterirt zu werden
braucht, auch wenn ein vermehrter Blutzu¬
fluss nach der Leber stattfindet. Den Beweis
hiefür lieferte insbesondere das Ricinusöl,
welches, wie bekannt, eine prononcirte Er¬
weiterung der Darmcapillaren und damit eine
Hyperämie auch im gesammten Pfortader¬
systeme veranlasst, mit der Gallenausschei¬
dung aber gar nichts zu schaffen hat, im
Gegentheil diese notorisch vermindert. Dass
es ferner Arzneimittel gibt, die auf das Leber¬
parenchym direct einwirken, geht daraus her¬
vor, dass zum Unterschied von den die Leber
reizenden Stoffen die Leberthätigkeit herab¬
gesetzt wird, die Gallenabsonderung also eine
Beschränkung erfährt. In diese Kategorie von
Lcbermitteln gehören jetzt der Salmiak und
das Calomel, ebenso das essigsaure Blei und
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CHOLAGOGA.
161
in gelindem Grade, wie schon erwähnt, das
Olenm Ricini; merkwürdigerweise zählt hie-
her nach Rutherford auch das Bittersalz,
während das so nahe verwandte Natriumsulfat
ein ungemein sicheres und kräftig wirkendes
Cholagogum ist Aus diesen Untersuchungen
resultirt nun, dass die früher bestandene
Ansicht von der Existenz gallentreibender
Mittel doch ihre Berechtigung hatte, wenn
sie auch nur auf rein therapeutische Erfah¬
rungen basirt war und ein grosser Theil der
hieher gerechneten Arzneimittel gestrichen
werden muss, wie namentlich Taraxacum,
Trifolium fibrinum und Calomel, während den
anderen sog. Lebermitteln nur indirect chola-
goge Wirkungen zukommen, insoferne sie
primär eine Reizung der Darmwand, der
Drüsencomplexe derselben und damit auch
des benachbarten Pfortadergebietes erzeugen.
Dies gilt nach Rutherford nunmehr von der
Alo6, Jalape. den Coloquinthen, dem Rheum,
Colchicum, Glaubersalz, Doppelsalz, Tartarus,
dem phosphorsauren Natrium, sowie dem Iri-
din, Evonymin, Juglandin und anderen Stoffen.
Da mit der abführenden Wirkung dieser Mit¬
tel auch eine Vermehrung der Darmperi¬
staltik nothwendig verbunden ist, so muss
wahrscheinlich ein Theil der oft so günsti¬
gen Wirkungen beim Icterus auf Rech¬
nung des Umstandes geschrieben werden, dass
an der Mündung des Lebergallenganges be¬
findliche Hindernisse des Galleneintritts in
das Darmrohr mechanisch fortgeschafft wer¬
den; man wird daher gut thun, Gallenabson¬
derung von Gallenexcretion scharf ausein¬
anderzuhalten. Ausserdem darf für praktische
Zwecke nicht ausser Acht gelassen werden,
dass ein gewisser Gegensatz zwischen der
Secretion der Leber und der des Darms be¬
steht und dass viele dieser Mittel nur cholagog
sind, wenn sie in Purgirdosen zur Anwendung
kommen, keineswegs aber darf aus einer
stärkeren Gelbfärbung der Defäcationen eine
gallentreibende Action der zuvor gegebenen
Arzneimittel entnommen werden. Gallenfarb¬
stoffe können im Darmkothe auch dadurch
stärker auftreten, dass, wie Wasilieff darge-
than hat, das Bilirubin und Biliverdin im
Darmcanal nicht grösstentheils zerstört wird,
wie dies durch die hier stattfindende Fäulniss
normalerweise zu geschehen hat; werden daher
Medicamente . gegeben, welche diesen Fäul-
nissprocess inhibiren, so erhalten sich die
Farbstoffe und färben abnorm gelb. Dies
ist z. B. bei dem stark antiputriden Calomel
der Fall, das offenbar nur dadurch in den
Ruf eines besonders Cholagogen Mittels
gelangt ist, während gerade das Gegentheil
stattfindet. Das Quecksilbersublimat ist zwar
ebenfalls, ja noch stärker fäulniss widrig und
schafft trotzdem sehr gelbe Kothmassen, es
rührt dies aber daher, dass es ein ungemein
gallenerregendes Gift ist, die Galle daher
überreichlich in den Darm eintritt, das Su¬
blimat aber längst aus demselben resorbirt
worden ist.
Auf die Leber selbst will man thierärztlich
nur in bestimmten Fällen einwirken, wie
Koch. Encyklofftdie d. Thierheilkd. II. Btl.
z. B. bei ungeregelter Verdauung, wenn an¬
dere Mittel im Stiche lassen, bei manchen
Magendarmkatarrhen, intermittirenden Gelb¬
färbungen der Sclera, bei Kollererscheinungen,
starken Fressern, allzu reichlicher Ernährung,
Adipöse, abdomineller Vollblütigkeit u. s. w.,
oder wenn man stärkere Transsudationen aus
der Pfortader in das Darmlumen veranlassen
will, um Exsudate in anderen Organen zur Auf¬
saugung zu zwingen. Am zweckmässigsten
combinirt man in allen diesen Fällen bei
den grossen Hausthieren die Aloö mit Glau¬
bersalz, bei den kleinen den Tartarus depu-
ratus oder natronatus mit Ipecacuanha in
kleinen aber fortgesetzten Gaben. Wenn
man, wie häufig, bei kranken Thieren von
Störung der Leberfunctionen spricht, kann
darunter veterinärmedicinisch wohl nur eine
Unregelmässigkeit in der Gallenabsonderung
verstanden werden, denn andere Zustände
der Leber werden bei der Schwierigkeit ihrer
Diagnose nicht leicht festzustellen sein. Eine
Verminderung der Gallensecretion lässt sich
etwa durch gestörte Digestion und auffallend
blasse Färbung des meist trockener abge¬
henden Darminhaltes erschliessen, es kommen
aber unter solchen Umständen ohnedies die
genannten Mittel an die Reihe, und was eine
krankhafte Steigerung der Leberfunction be¬
trifft, das man auch als Biliosität zu
bezeichnen pflegt, so ist zu beachten, dass
diese erfahrungsgemäss meistens acute Darm¬
katarrhe, beziehungsweise galliges Erbrechen
hervorruft; die damit Hand in Hand gehende
Hypersecretion wird am zweckmässigsten mit
die Gallenabsonderung vermindernden und
zugleich antikatarrhalischen Mitteln bekämpft
und taugen hiezu vorzüglich das schwefel-
saure Magnesium mit Calomel, später der
Salmiak und in hartnäckigen Fällen das
Bleiacetat. Mangelhafte Gallenbereitung mit
nachfolgendem Hang zu Verstopfungen kommt
am häufigsten in der Hundepraxis zur Beob¬
achtung und verdient hier das salicylsaure Na¬
trium, das Natriumphosphat und die Brechwurz
eine ausgiebigereAnwendung, als es gewöhnlich
geschieht, selbst wenn dadurch auch brechen-
erregende Wirkungen zu Stande kommen,
von denen ja bekannt ist, dass sie einen
fördernden Einfluss auf die Gallenbereitung,
respective den Gallenabfluss ausüben. Letz¬
teres kann nicht bezweifelt werden, wie in
letzter Zeit von mehreren Seiten geschehen,
denn jede Reizung der Magennerven muss
reflectorisch auch eine Beschleunigung der
Darmbewegung und damit des Eintritts der
Galle umsomehr bedingen, als dies auch um¬
gekehrt der Fall ist, d. h. eine vermehrte
Darmthätigkeit auch kräftigere Contractionen
insbesondere des Pylorus und seiner Um¬
gebung nach sich zieht.
Gallenabsonderung erregende Mit¬
tel ohne Reizung der Darmthätigkeit sind so¬
nach: benzoesaures und salicylsaures Natrium,
phosphorsaures Ammonium, Ipecacuanha (in
kleinen aber fortgesetzten Gaben), Salpeter¬
säure, Acidum chloro-nitrosum. Mit Erregung
der Darmthätigkeit: Aloe, Rheum, Jalape,
11
162 CHOLALSÄURE. — CHOLERA DER HÜHNER.
Podophyllin (letzteres nur in dosi refracta),
sowie phosphorsaures Natrium, Sublimat,
Glaubersalz und Doppelsalz.
Gallen ab sonderung vermindernde
Mittel. Als solche können vorerst nur fol¬
gende mit Bestimmtheit aufgestellt werden:
Ricinusöl, Calomel, Bittersalz und Chlor¬
ammonium. Vogel.
Cholal8äure, auch Cholsäure, C^H^O«,
ist das stickstofffreie Spaltungsproduct der
in der Galle der meisten Wirbelthiere vor¬
kommenden Gallensäuren, deren wichtigsten
die Glycocholsäure (s. d.) und Taurochol-
aäure (s. d.) sind, aus diesen spaltet sie sich
bei Einwirkung von Säuren, Alkalien und
Fermenten ab. Sie bildet tetraödrische Kry-
stalle von intensiv bitterem Geschmack, in
Wasser wenig, in Alkohol und Aether leicht
löslich, und zeigt rechtsseitige Circumpolari-
sation. Die Lösungen geben mit Zucker und
Schwefelsäure die Pettenkoferische Gallen-
reaction (s. Galle). Loebisch.
Chole, Cholos (V]/oXtq, 6 yo'Xos, Galle),
findet sich in vielen auf Gallenlrildung, Er-
giessung etc. bezüglichen medicinischen Ter-
minis, z. B.
Cholagogus (xoXaytoyds, und £yeiv,
führen, leiten), Galle abführend,
Cholecystis (abgeleitet von tq xjotcs,
Blase), Gallenblase,
Cholelithos und Cholelithiasis (von
6 Xtfl-o$, Stein, resp. ■*) XtO*taaic, Steinbildung),
Gallenstein, Gallensteinbildung,
Cholericus b. Plin., gallensüchtig,
Cholorrhoea (von -fj £oiq, Fluss), an¬
haltender Gallenabfluss,
Cholosis, Gallenkrankheit im Allge¬
meinen etc. etc. Sussdorf.
CholeYnsäure, s. Taurocholsäure.
Cholepyrrhin (Hein), identisch mit amor¬
phem Bilirubin.
Cholera der Hühner, Hühnerseuche, Hüh¬
nerpest, Cholera des poules, Maladie öpi-
zootique des animaux de basse-cour, eine
seuchenartige Krankheit, die vorzugsweise
die Hühner ergreift, sich periodenweise
über ganz Asien und Europa ausbreitet
und beträchtliche Verluste unter dem Geflügel
verursacht. Die Krankheit, welche unter Er¬
brechen, Durchfall, Appetitverlust, vermehrtem
Durst, rapider Abmagerung, Apathie und Tod
unter Convulsionen auftritt, wurde in früheren
Jahrhunderten vielfach mit der seuchenartig
auftretenden croupösen Rachen- und Darm¬
entzündung, mit Anthrax, Darmkatarrhen und
anderen Gefltigelseuchen verwechselt. Die
Seuche, welche im Jahre 1600 in Italien unter
dem Geflügel herrschte und von Aldrovandi
in seiner Ornithologie beschrieben wird,
scheint die Hühnercholera gewesen zu sein.
Moscati beobachtete die Seuche 1770 in Brescia.
Im Jahre 1789 wurde eine ähnliche Krankheit
von Baronio in Mailand beschrieben. Tytler
beobachtete die Cholera unter den Hühnern
in Indien 1817 und 1818 und Searle 1828.
Die Krankheit hatte einen sehr acuten Ver¬
lauf und bei der Section fand sich der ganze
Darmcanal entzündet. Während der Cholera¬
epidemien in den Jahren 1830, 1831 und 1832
wurde die Krankheit in Europa beobachtet
und eingehender beschrieben. Die Hühner¬
cholera trat zuerst 1830 in Russland und
Polen, 1831 in Deutschland und Ungarn und
dann 1832 in Italien und Frankreich auf und
wurde von Erd, Radius, Karrer, Grognier.
Olivier, Leboucher, Breschet, Cariöre, Blachier
und Devilliers beschrieben. Grognier consta-
tirte, dass das Verfüttern der gefallenen
Hühner an Hunde und Schweine und das
Verzehren kranker geschlachteter oder gefal¬
lener Hühner durch Menschen keine Gesund¬
heitsstörungen verursachte. Im Jahre 1836
wurde die Hühnercholera von Maillet an der
Seine beobachtet. In den Jahren 1849—1852
herrschte sie wieder in Frankreich und wurde
von Renault, Reynal, Delafond und Salles be¬
schrieben. Reynal constatirfe die Verimpfbar-
keit der Krankheit, indem er mit dem Blute
der Kranken und Gefallenen gesunde Hühner,
Gänse, Enten, Tauben und Sperlinge inficirte,
die in 12—48 Stunden starben. Auch starben
Hunde in 54—72 Stunden, Kaninchen in
10 Stunden und ein Pferd in 48 Stunden in
Folge der Impfungen, und die Seuche liess
sich von all diesen Thieren wieder auf die
Hühner zurückimpfen, die in 10—48 Stunden
starben. Als virulent erwies sich frisches und
bis zu 96 Stunden altes Blut, alle Körper-
ewebe und Flüssigkeiten, die Galle, der
chleim, das Humor aqueus, der Darminhalt,
das Eigelb. Diese Versuche wurden von Dela¬
fond, Renault und Hartmann bestätigt. Ob¬
gleich Hering, Salles und Hahn eine An¬
steckung durch Zusammenstellen und ein¬
fache Berührung annehmen, fielen die in die¬
ser Beziehung von Delafond, Renault und
Reynal angestellten Versuche, sowie auch
Fütterungsversuche negativ aus. In den
Jahren 1865 und 1866 wüthete die Hühner¬
seuche in Ungarn und wurde von Hartmann
unter dem Namen Hühnerpest beschrieben.
1871 und 1872 trat die Krankheit in Nord¬
italien auf, wo sie von Sanctarchangelo be¬
schrieben wurde und 1873 beobachteten Zündel
und Moritz dieselbe im Eisass, wobei diese
Autoren schon Bacterien im Darm und Blute
constatiren konnten, ohne jedoch diese ge¬
nauer zu beschreiben. Im Jahre 1876 wurde
die Hühnercholera in Ostindien (Mandschurei,
China, Amur) beobachtet und zeigte sich 1877
im europäischen Russland. Hier wurde die
Krankheit in Dorpat von E. Semmer näher
erforscht und bei den Gefallenen im Darm
massenhafte Mikrococcen, zweigliederige Kett¬
chen und Stäbchen (Fig. 387) und im Blute
Mikrococcen und Diplococcen constatirt
(Fig. 388). Durch Verfütterung der Einge¬
weide gefallener Hühner wurde die Krankheit
stets auf gesunde Hühner übertragen. 1878
trat die Krankheit in Italien und Frankreich
auf und wurde von Perroncito, Toussaint
und Pasteur erforscht und beschrieben.
Toussaint und Pasteur stellten Reinculturen
der Mikroorganismen der Hühnercholera
im Harn und Hühnerbouillon her und wiesen
nach, dass Verimpfungen dieser cultivirten
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CHOLERA DER HÜHNER.
163
Mikroorganismen die Krankheit hervor-
rnfen. Dabei gelang es Pasteur, festzu¬
stellen, dass durch fortgesetzte Culturen bei
Zutritt reiner filtrirter Luft die Mikrococcen
der Hühnercholera sich progressiv immer
mehr und mehr abschwächen und zuletzt bei
s '- ® 1 P-
e.WJt'fX-'*'
Fig. 387. D&rminhalt bei HQhnercholera.
Fig. 888. Blot bei Ilahnercbolera (Blutkörperchen and
Mikrococcen).
den damit geimpften Hühnern nur eine leichte
Erkrankung verursachen und dabei doch ihnen
eine vollkommene Immunität gegen die Seuche
verleihen. Diese Entdeckung veranlasste Pa¬
steur, seine erfolgreichen Mitigationsversuche
mit dem Anthrax- und Rothlaufcontagium an¬
zustellen.
Symptome. Beim ersten Auftreten der
Seuche werden die Hühner mitten in bester
Gesundheit plötzlich traurig, apathisch, be¬
kommen einen schwankenden Gang, ge¬
sträubtes Gefieder, hängende Flügel, der
Kamm und Kehllappen wird blass mit blauen
Rändern, die Thiere verlieren ihren Appetit,
haben starken Durst, aus dem Schnabel und
den Nasenlöchern fliesst zäher Schleim; bald
stellt sich Durchfall ein mit Entleerung dünner,
schleimiger, gelblicher Fäces, denen zuweilen
Blutstriemen beigemengt sind, es treten Kolik¬
erscheinungen ein, die Hühner liegen mit an
den Leib gezogenen Füssen und geschlossenen
Augen, stehen nicht gern auf. Gegen das
Ende sinkt die Temperatur, die Thiere werden
cyanotisch und verenden ruhig oder unter
Convulsionen.
Section. Cadaver nach längerer Dauer
der Krankheit Gefallener stark abgemagert,
zuweilen cyanotisch, die Federn am After
mit dünnen, breiigen Fäces beschmutzt, die
Gewebe gelblich tingirt. Die Mägen enthalten
normale Futterstoffe oder sind leer. Im Darm¬
canal dünnflüssige, graugelbe oder bräunlich¬
gelbe Massen, die aus Schleim, runden granu-
lirten Zellen, Epithelzellen, Kernen, Detritus,
Futterresten, massenhaften Mikrococcen, zwei¬
gliederigen Kettchen und Stäbchen bestehen
(s. Fig. 387). Darmschleimhaut mürbe, ge¬
schwellt, mit Ecchymosen bedeckt. Die Darm¬
zotten ihres Epithels beraubt, mit körnigen
Massen und farblosen Blutkörperchen infiltrirt,
stellenweise stark injicirt; ihre Gefässe er¬
weitert, mit farbigen und farblosen Blutkör¬
perchen angefüllt. Die Leber in den ersten
Stadien dunkelbraun, blutreich, die Leber¬
zellen feinkörnig infiltrirt, nach längerer
Dauer der Krankheit gelblich, in Fettmeta¬
morphose begriffen. Lungen hyperämisch, in
den Bronchien Schaum. Das Blut missfarbig,
braunroth, eingedickt, enthält die gleichen
Mikrococcen wie der Darm (s. Fig. 388).
Verlauf und Ausgang. Der Verlauf
der Krankheit ist anfangs, bei ihrem ersten
Auftreten, ein sehr rapider, die erkrankten
Thiere verenden entweder in ganz kurzer
Zeit oder in höchstens 10—12 Stunden. Das
Incubationsstadium nach erfolgter Fütterung
mit dem Darm Gefallener ist ein sehr kurzes.
Gegen das Ende der Epizootie nimmt die
Krankheit einen subacuten Charakter an, die
Krankheit dauert mehrere Tage an. Die Thiere
erkranken erst mehrere Tage nach der Füt¬
terung (bis zu 14 Tagen) und verenden oft
erst 2—3 Wochen nach der Aufnahme des
Contagiums.
Die Diagnose ist aus den angeführten
Krankheitserscheinungen, dem Sectionsbefund,
dem seuchenartigen Auftreten der Krankheit
leicht zu stellen. Verwechslungen mit dem
Croup (Pips) sind wegen der fehlenden Croup¬
membranen im Rachen, und mit dem Anthrax
wegen der fehlenden Blaufärbung des Kam¬
mes, Fehlen der Ecchymosen und schwarz-
braunen Flecken in der Muskulatur und der
Abwesenheit der Anthraxbacillen leicht zu
vermeiden. Die Prognose bei der Hühner¬
cholera ist stets ungünstig, da fast ausnahmslos
alle erkrankten Hühner fallen. Gegen das
Ende der Seuche, beim Erlöschen derselben,
kommen aber leichtere Erkrankungen mit
Genesung vor.
Aetiologie. Die Hühnercholera gehört,
wie die Cholera des Menschen, mit der sie
aber keineswegs identisch ist, zu den mias-
raatisch-contagiösen Krankheiten. Sie stammt
wie diese aus Asien und wird durch einen
specifischen Mikrococcus veranlasst oder ver¬
breitet. Meist inficiren sich die Hühner und
andere Vögel durch Aufnahme verunreinigten
Futters und Wassers. Am häufigsten werden
Hühner befallen, nächstdem Gänse und Enten,
seltener Truthühner, Perlhühner, Tauben.
Fasanen, Pfauen u. a.
Behandlung. Reines, gekochtes Futter,
reines angesäuertes Trink wasser, Tannin. Eisen -
vitriol, Chlor, Kali hyperraanganicum, Carbol-
säure, beständiges Ausreinigen und Auslüften
der Hühnerställe. Zündel empfiehlt Vogel¬
beeren, Einbeeren und Infuse von Tannen¬
sprossen.
Polizeiliche Massregeln. Vermeidung
des Imports fremder Hühner zur Zeit des
Herrschens der Seuche, sofortige Trennung
der Gesunden von den Kranken, Parcellirung
11 *
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164
CHOLEBAPILZ. — CHOLESTEATOM.
des Geflügels, Verbrennen oder tiefes Ver¬
scharren der Gefallenen, Einsperren der
Kranken in besondere Ställe, die nachher
sorgfältig desinficirt oder verbrannt werden
können. ZurDesinfection eignet sich kochendes
Wasser mit Mineralsäuren und Chlor. Der
Export von Hühnern aus Seuchenställen ist
zu untersagen.
Literatur: Aldrovandi,Ornithologie. Bologna 1600.
— Baronio’s Instr. vöt. IV, Paria 1793. — Heasinger,
Recherches de pathologie conparde. Cassel 1847. —
Grognier, Recueil 1832. — Maillet, Recueil 1836. —
Delafond, Recneil 1851. — Bouley et Reynal, Nonv.
Diction., Tome 8. Paria 1857. — Hering, Pathologie. Stutt¬
gart 1858. — Ravitsch, Seuchenlehre. Petersburg 1866.
— Hartmann, Die Hühnerpest. Wien 1866. — Benion,
Maladies des animaux de basse-cour. Paris 1873. — Z Q n d e 1,
Gesundheitszustand im Unter-Eisass. 1873 —. Sanct-
archangelo, Gazetta medico-veterinär!a 1873. — Z0nde 1,
Dictonnaire, Paris 1875. — E.Semmer, Die Hflhnerpest,
Zeitschrift ihr Thlermedicin 1878. — Pasteur, Cholera
des poules. Recueil 1879. — Toussaint, Cholera des
poules. Recueil 1879- — Perroncito, 1879 — Piltz,
Seuchen- und Heerdekrankheiten. Stuttgart 1882. Semmer.
Die Cholera kommt bei den übrigen Haus-
thieren als selbständige Seuche zwar nicht
vor, dennoch sind aber choleraähnliche Er¬
krankungen unter den Hausthieren, besonders
zur Zeit des Herrschens der Cholera unter
den Menschen beobachtet worden. So be¬
obachteten Tytler, Chalmers, Searle, Jameson
und Banken eine choleraähnliche Krankheit
unter Wiederkäuern, Pferden und Elephanten
in Indien. Hering beschreibt 1831 eine seuchen¬
artige choleraähnliche Krankheit unter den
Pferden in Stuttgart, Hildebrand sah cholera¬
ähnliche Krankheiten unter allen Hausthieren
beim ersten Auftreten der Cholera in Oester¬
reich. Dick in Edinburgh, Cherry und Fer-
gusson in England beobachteten choleraähn-
fiche Erscheinungen unter den Pferden, ebenso
Hodgeson in Calcutta. Leconturrier beschreibt
eine choleraähnliche Krankheit unter den
Schweinen 1855. Otto führt einen Fall von
Infection mit Cholera bei Schweinen an,
welche die Fäces Cholerakranker genossen
hatten und Lindsey führt einen gleichen Fall
von einem Hunde an. Chanceller inficirte
Hühner durch Fütterung mit Cholerafaces.
Nach Legras und Gougeon können Thiere
mit frischen Choleradejectionen inficirt werden.
Im Jahre 1870, als die Cholera in Dorpat
endemisch auftrat, starb ein Hund und ein
Füllen unter choleraähnlichen Erscheinungen
und der Sectionsbefund war fast identisch
mit dem der Choleraleichen der Menschen.
Popow übertrug die Cholera durch frische
Dejectionen (Ham, Fäces) auf Thiere, der
Ausbruch erfolgte 1—3 Tage nach der Füt¬
terung. In Bombay starben 1881 750 Katzen
unter choleraähnlichen Erscheinungen und
1883 starben zur Zeit einer Choleraepidemie
in Siruse viele Katzen. Andere Autoren, wie
Mayer, Marechal, Loire, Eichstädt, Gutmann,
Batschinski, die französische Commission
unter Thuillier und Roux und die deutsche
unter Koch’s Leitung erhielten bei ihren
Thierversuchen in Egypten und Indien nega¬
tive Resultate. Neuerdings berichtet aber
Richards aus Calcutta, dass es ihm gelungen
sei, mit den von Koch bei der Cholera con-
statirten kommaförmigen Bacillen Thiere zu
inficiren. Die Frage, ob die Cholera des
Menschen als solche oder nach gewissen
Modifikationen auf Thiere übertragbar ist oder
nicht, bleibt daher vorläufig noch offen, ob¬
gleich es neuerdings auch Koch in Berlin
durch directes Einbringen der Cholerabacillen
in den Darm und den Franzosen in Marseille
gelungen ist, Thiere zu inficiren. Semmer.
Cholerapilz des Menschen. Bereits
wurde von mir unter .Bacterien“ (s. d.) des da¬
mals eben erst von R.Koch entdeckten Cholera¬
pilzes Erwähnung gethan. Inzwischen hat
sich das Dunkel nichts weniger als gelichtet.
Die kommaförmigen Bacillen kommen nach
Bonner und nach französischen, englischen und
italienischen Gelehrten auch bei ganz Ge¬
sunden, sodann bei Cholera nostras vor.
Während sie nach Koch in der Form eine
gewisse Constanz zeigen, variiren sie nach
Anderen bedeutend in ihrem Querdurchmesser.
Einige hervorragende Gelehrte betrachten die
fraglichen Kommabacillen gar nicht als die
Erreger der Cholera. In jüngster Zeit hat
Emmerich im Blute bei alten, von ihm unter¬
suchten Cholerakranken und in Choleraleichen
einen Spaltpilz gefunden, der von dem Koch-
schen durchaus verschieden ist. Dieser soll
nach ihm die Cholera hervorrufen. Man kann
daher gegenwärtig über den Cholerapilz
nichts Sicheres mittheilen. Sollten sich die
bis dato bestehenden Zweifel und Wider¬
sprüche über die Cholera-Ursache lichten, so
werde ich später bei „Spaltpilze“ das Be¬
kanntgewordene mittheilen. Harz.
Cholerapilz der Hühner. Micrococcus
gallinarum, Pasteuris Microbe du cholöra
des poules. Ein blass- bis goldgelber, auf
Nährgelatine, in Hühnerbouillon, aber auch
in Mistdecoct, auf Glycerinstärkekleister, auf
Brot und Kartoffeln cultivirbarer Micrococcus.
Meist sind 2 Individuen vereint, doch kommen
auch mehrere oder nur einzelne kugelrunde
Individuen vor. Semmer beobachtete auch
Stäbchen. Der Pilz erzeugt nach Einfüh¬
rung in den Magen mittels Futter die ge¬
fährliche, Hühnercholera genannte, Krank¬
heit, welche übrigens ausser bei Hühnern
noch bei Gänsen und Enten, sowie beim
Truthahn beobachtet wurde. Die Krankheit
wurde zuerst von Pasteur eingehend studirt.
Nach ihm wird der Pilz nach oftmaliger
Umzüchtung in sterilisirter Hühnerbouillon
und anderen Medien allmälig weniger ge¬
fährlich; impft man nun (nach ihm) Hühner
mit diesem, durch den Einfluss des Sauer¬
stoffes weniger gefährlich gewordenen, also
mitigirten Pilze, so erkranken sie nur mehr
in geringem Grade und werden gleichzeitig
unempfänglich (immun) für den gewöhn¬
lichen, sonst sehr gefährlichen Cliolerapilz. Hz.
Cholesteatom (von /oXvj Galle, oxeap
Talg, Cholesterin), Perlgeschwolst, Perlkrebs,
eine aus einer bindegewebigen Kapsel und
einem weissen stearinähnlichen, fettig glänzen¬
den und anzufiihlenden halbfesten Inhalte von
blätteriger Anordnung bestehende Neubildung.
Die Cholesteatome sind meist klein, kirsch-
CHOLESTERIN. — CHOLIN.
165
kern-, selten nuss- bis hthnereigross. Ihre
Kapsel besteht ans einem gefässarmen Binde¬
gewebe, das gefässlose Fortsätze nach innen
schickt, der Inhalt ist zusammengesetzt aus
zarten, platten, kernlosen, runden oder poly¬
gonalen Zellen, Fetttröpfchen und Cholesterin-
krystallen, denen in älteren Geschwülsten auch
Kalksalze beigemengt sind. Die Cholesteatome
wurden früher zu den Epithelialgeschwülsten,
speciell zur Gruppe der Krebse gezählt, bis
Yirchow ihre Entwicklung aus der Pia mater
nachwies und sie den Endothelgeschwülsten
zuzählte. Die Cholesteatome kommen vor
an der Pia mater des Gehirns, an dem Plexus
choroideis, seltener in der Haut, den Knochen,
Hoden, Eierstöcken; sie gehören den gutartigen
Geschwülsten an, wachsen sehr langsam,
machen keine Metastasen und geben keinen
Anlass zu operativen Eingriffen. Nur die grös¬
seren Cholesteatome an der Hirnbasis und den
Hirnventrikeln können durch Druck Läh¬
mungen, Apoplexien, Hirncongestionen, Trans¬
sudationen in den Ventrikeln und den Tod ver¬
ursachen.
Literatur: Cruveilhier, J. Hüller, Rokitansky,
Förster, Waldayer, Virohow, Völkmann, über Oeschwülste,
Zünde], Dictionnaire. Semmrr
Cholesterin (Cholestearin), CjeH^O. Das
Cholesterin ist eine Substanz, welche ihren
Namen mit Unrecht führt. Es kommt dieser
Körper weder ausschliesslich in der Galle vor,
noch ist derselbe zu den Fetten zu zählen. Das
Cholesterin findet sich ausser in der Galle vor¬
zugsweise in jungen Geweben (Dotter des
Vogeleies, Fischeier), dem Nervenmark, im
Sperma meist in Begleitung von Neutralfetten
und Lecithin. Es ist ferner nachgewiesen in
den rothen Blutkörperchen (0*05%), im
Serum (0*02—0*23%), in den serösen Flüs¬
sigkeiten, in der Krystalllinse, der Milz, dem
Schweiss, dem Wollfett der Schafe und der
Vernix caseosa. Besonders reichlich tritt es
auf in rasch wuchernden Neubildungen und
bei Cystenbildung im Inhalt derselben. Eine
relativ grosse Ausbeute an Cholesterin liefern
die Cholesteatome der Adergeflechte und die
Cholesterinsteine der Gallenblase. In wach¬
senden Pflanzen, namentlich im reifenden
Samen ist es ebenfalls gefunden worden. Zur
Darstellung des Cholesterins eignen sich am
besten die Cholesterinsteine wegen ihres gros¬
sen Gehalts an Cholesterin. Nach Maly wer¬
den sie zerdrückt, in einem Kolben mit star¬
kem Alkohol gekocht, auf einem Warmwasser¬
badtrichter heiss filtrirt. Beim Erkalten kry-
stallisirt das Cholesterin aus, wird abgepresst
und wiederholt aus heissem Alkohol, Petro¬
leum, Chloroform oder Aether umkrystallisirt.
Das Cholesterin krystallisirt aus heissem,
Alkohol oder Aether in dünnen, farblosen,
perlmutterglänzenden monoklinen Tafeln oder
bei raschem Auskrystallisiren in kleinen Schüpp¬
chen. Das aus Petroleum oder Chloroform er¬
haltene Cholesterin ist wasserfrei, bildet sei¬
denglänzende Nadeln, welche bei 137° zu
einem farblosen Oel schmelzen. Es ist unlös¬
lich in Wasser, verdünnten Säuren und
Alkalien. Alkohol löst in der Kälte nur Spuren.
Ausser den oben genannten Lösungsmitteln
löst es sich leicht in Methylalkohol, Eisessig,
Essigäther, Schwefelkohlenstoff, Benzin, Benzol,
Toluol und Terpentinöl, ebenso in den wäs¬
serigen Lösungen der Gallensäuren und ihren
Salzen, in Fetten und fetten Oelen. Die ge¬
eignetsten Reactionen, durch welche man
Cholesterin nachweisen kann, sind folgende:
Phosphorsäure bewirkt beim Erhitzen Braun¬
färbung. Mit Salpetersäure auf dem Tiegel¬
deckel abgedampft, gibt Cholesterin einen
gelben Fleck, welcher nach Zusatz von Am¬
moniak sich röthet. Eine Lösung des Chole¬
sterins in Chloroform mit dem gleichen Vo¬
lumen concentrirter Schwefelsäure geschüttelt,
wird blutroth bis purpurfarben. Einige Tropfen
der rothen Chloroformlösung in ein Schälchen
gegossen, werden blau, grün, dann gelb. Die
Schwefelsäure unter dem Chloroform zeigt
grüne Fluorescenz. Tereg.
Cholesterinsäure, C g H 10 O s . Eine durch
Erwärmen von Cholesterin oder von Cholsäure
mit Salpetersäure dargestellte Säure, welche
in Wasser und Alkohol leicht löslich ist. Lh.
Cholet-Rind. Auf dem Pariser Markte
wird der Name Cholet-Rasse der parthenaisi-
schen oder Poitevin-Rasse (s. d.) beigelegt.
Cholet ist eine Ortschaft im Departement
Maine et Loire, wo die bedeutendsten Vieh-
märkte, zumeist mit Thieren der parthenaisi-
schen Rasse beschickt, abgehalten werden.
Aber ausserhalb des Bereiches von Paris und
besonders im Poitou und Anjou, bezeichnet
man mit obigem Namen eine Varietät der
parthenaisischen Rasse, welche in den Um¬
gebungen von Cholet vorkommt. Dieselbe ist
verhältnissmässig klein (l’50m im Durch¬
schnitt) und besser für die Schlachtzwecke
geeignet. Das Skelet ist zarter. Das Fleisch,
dessen Ergebniss ein reichliches genannt
werden kann, ist sehr geschätzt. Die Ochsen
von Cholet arbeiten wenig; sie werden vor¬
wiegend von Mästern gekauft, welche in der
Auswahl der tauglichsten Thiere eine grosse
Erfahrung haben. Die auf die Cholet-Varietät
bezüglichen Details werden bei Beschreibung
der Parthenais-Rasse, von der sie eine Abart
bildet, gegeben werden. Neumann.
Cholin (Sinkalin, Neurin). Eine organische
Base, welche beim Kochen von Galle, Ochsen¬
hirn, auch von Eidotter mit Aetzbaryt frei
wird. Ueberdies kommt sie auch im Flieeen-
schwamm neben dem Alkaloid desselben,
dem Muscarin vor, welches als Oxy-
cholin oder Oxyneurin aufgefasst werden muss.
Das Cholin ist ein Spaltungsproduct des im
Gehirn vorkommenden Protagons und des im
Eidotter, Caviar vorkoramenden Lecithins.
Nach seiner chemischen Constitution ist es
Trimethyläthoxyliumhydrat, d. h. ein Am¬
moniumhydroxyd, dessen 1 Wasserstoff durch
Aethoxyl, die übrigen 3 Wasserstoffe durch
Methyl substituirt sind, demnach N(C,H 5 0)
(CH # ) a OH. Das Cholin ist auch synthetisch von
Wurtz dargestellt. Es ist ein stark alkalisch
reagirender Syrup, dessen Salze an der Luft
meist zerfliesslich sind. Loebisch.
CHOLMOGOR’SCHES RIND. — CHONDROIDE.
m
Cholmogor’8Che8 Rind. Dascholmogorische
Rind führt seinen Namen nach der Landschaft
Cholmogor im Gouvernement Archangel und ist
niederländischen Ursprungs. Peter d. Gr. hatte
einen Stamm des stärksten und milchreichsten
Viehes ankaufen und mit grossen Kosten nach
Russland bringen lassen. Hier wurde es in
eine Gegend, die seiner Heimat glich, auf das
weite Wiesengelände des Kreises Cholmogor,
allerdings im hohen Norden, unter dem 65°
n. B. gelegen, verpflanzt. Die Rasse hat sich
bis zum heutigen Tage rein erhalten, in ihren
Eigenschaften aber mancherlei Veränderungen
erlitten. Da inzwischen auch das Vieh in Hol¬
land verändert worden ist, so besteht zwischen
diesem und dem gegenwärtigen cholmogorischen
Vieh nur geringe Uebereinstimmung, sowohl
in der Gestalt, als auch in den wirthschaft-
lichen Leistungen. Im Allgemeinen hat letzteres
den Typus des Niederungsviehes bewahrt. Das
cholmogorische Vieh ist also russisches Nie¬
derungsvieh und gehört zu dem grössten,
schwersten und milchreichsten, das Russland
aufzuweisen hat. In der Grösse und Schwere
kann es auch mit ausländischen Rassen con-
curriren, in der Milchergiebigkeit aber nicht.
Demungeachtet ist die Rasse für russische
Verhältnisse überaus werthvoll. Demgemäss
hat sie weitere Verbreitung erlangt und wird
gegenwärtig auch vielfach im Innern von
Russland gefunden. HiefÜr ist ganz besonders die
landwirtschaftliche Ausstellung zu St. Peters¬
burg im Jahre 1869 massgebend gewesen, wo¬
selbst cholmogorisches Vieh unter anderm auch
seitens der kaiserlichen Farm von Zarskoye-
Selo ausgestellt war und durch seine guten
Eigenschaften die Rasse empfahl. Das Gewicht
der Kühe aus Zarskoye-Selo betrug 12 bis 14 Ctr.;
der schwerste Bulle (Alter nicht angegeben)
wog 19 Ctr., ein gemästeter Ochs sogar
21 Ctr. Ueber den jährlichen Milchertrag
cholmogorischer Kühe liegen mehrere wesent¬
lich von einander abweichende Angaben vor.
Dieselben bewegen sich zwischen 1500 Liter
und 2500 Liter. Im Uebrigen besteht Ueber¬
einstimmung darin, dass dieRasse von Cholmogor
mehr Milch liefert, als irgend eine andere der
in Russland heimischen Rassen, aber auch
viel und gutes Futter verlangt und verkümmert,
wenn seinen Ansprüchen an Ernährung und
Pflege nicht genügt wird. Bemerkenswerth
ist, dass von den vielen ausländischen Rassen,
die mit grossen Kosten nach Russland gebracht
worden sind, die holländische Niederungsrasse
die einzige ist, die in dem cholmogorischen
Vieh nicht nur sich erhalten, sondern auch
eine hohe Bedeutung für die russische Land¬
wirtschaft und Rindviehzucht erlangt hat. Ce.
Choloidinsäure, C„H ag O*, soll durch
Kochen der Cholalsäure oder der Säuren der
Rindsgalle mit Salzsäure oder Schwefelsäure
entstehen, doch ist die Existenz einer Säure
von der obigen Zusammensetzung noch nicht
endgiltig festgestellt. Loebisch.
Choloma, Chol osis (xo yi 6 Xtup.a, ^ yu>-
Xtoat's von ycmXoov), schon bei fiippokrates für
Lähmung, Verrenkung, Lahmheit gebraucht. Sf.
Cholurie,von yo\r h Galle, und oopelv, harnen.
Absonderung von Gallenbestandtheilen, beson¬
ders Gallenfarbstoffen, mit dem Harn, wobei
der Harn eine dankel gelbbraune oder grün¬
lich braune, auch schwärzliche Farbe annimmt.
Die Krankheit kommt vor bei gehindertem
Gallenabfluss aus der Leber (Cholämie und
Icterus) und als Complication des Blutharnens,
der Haematurie bei Rindern. Der Harn ist in
letzterem Falle statt roth, mehr grünlich oder
schwärzlich-roth. Durch Zusatz von Salpeter¬
säure wird der Harn erst grün, dann blau,
violett, und endlich roth und gelb. Sämmtliche
Gewebe, besonders die sichtbaren Schleimhäute,
nehmen oine identische Färbung an; die ab¬
gesonderte Milch ist gelb, ja selbst das Milch¬
serum ist gelblich gefärbt. Die Thiere leiden an
profusen Durchfällen, Tympaniten, Verdauungs¬
störungen, und magern schnell ab. Semmer.
Chomel Jean Bapt. Louis (1671—1748)
schrieb 1745 über die Rinderpest. Koch.
Chondrin und Chondrogen. Behandelt
man reine Knorpel längere Zeit mit kochendem
Wasser, so löst sich aus denselben eine Sub¬
stanz, welche aus der Lösung durch Essig¬
säure fällbar ist und Chondrin genannt wurde.
Die Substanz, welche Chondrin beim Kochen
mit Wasser liefert, wurde Chondrogen genannt,
in dieser Substanz sind die Knorpelzellen mehr
weniger weit von einander entfernt eingebettet.
Das Chondrin wird neben Leim und Mucin
(Schleimstoff) zu den sogenannten albuminoiden
Körpern gezählt, man fand die Zusammen¬
setzung des Chondrins C 47 7 H 6 ’7, N 13*86,
0 81*04 und S 0*60. Neuere Untersuchungen
stellen es als zweifelhaft hin, ob Chondrin
eine einheitliche Substanz ist. Behandelt man
nämlich Trachealknorpel mit Kalkwasser oder
verdünnter Natronlauge, so extrahiren diese
alkalischen Lösungen aus dem Knorpel einen
Körper, der sich in allen Eigenschaften iden¬
tisch mit dem Mucin zeigt. Behandelt man
hierauf den Knorpel mit kochendem Wasser,
so löst sich derselbe, und die Lösung ist nun
nicht mehr durch Essigsäure fällbar, gelatinirt
jedoch beim Erkalten. Demnach wäre Chon¬
drin ein Gemenge von Leim und Mucin. Durch
Kochen von Chondrin mit verdünnter Schwefel¬
säure wurde ein reducirender Körper erhalten,
die Chondroglycose, doch auch der reducirende
Körper ist im Mucin enthalten, und wurde
als Bestandtheil desselben anerkannt, so dass
gar kein Anhaltspunkt vorhanden ist, das Chon¬
drin als chemisches Individuum gelten zu
lassen. Auch aus der Cornea lässt sich mit
kochendem Wasser eine durch Essigsäure fäll¬
bare Substanz extrahiren, welche früher für
Chondrin gehalten wurde, aber ebenfalls nichts
Anderes ist als ein Gemenge you Leim und
Mucin. Loebisch .
Chondroide (von yovSpos, Knorpel, und
I 180 ? Art, Beschaffenheit) nennt man einge¬
dickte zusammengeballte Conglomerate von
Eiter und Schleim, von knorpelähnlicher Con-
sistenz und Beschaffenheit in den Luftsäcken
der Pferde, wie sie sich bei chronischen
Luftsackkatarrhen bilden. Auch werden die
zuweilen frei in den Gelenken, besonders im
Kniegelenke angetroffenen Knorpelplättchen(Ge-
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CHONDROM. — CHORDA DORSALIS. 167
lenkmäuse) als Chondroide bezeichnet. Die
letzteren bestehen aus wirklichem Knorpelge¬
webe und sind als Derivate der Gelenkknorpel
(gestielte Enchondrome, die sich nachher ab-
lösen) zu betrachten. Die Chondroide der
Gelenke verursachen oft bedeutende Schmerzen
bei der Bewegung und starkes Hinken, wäh¬
rend die Chondroide der Luftsäcke, wenn ihre
Zahl nicht eine sehr grosse ist, ohne Nach¬
theil lange in den Luftsäcken liegen bleiben
können. Semmer.
Chondrom (von x^poc Knorpel), s.
Knorpelgeschwulst, Knorpelneubildungen. Sr.
Chondros (6 xovSpoc). 1. Korn, Graupe,
Pille,2. Knorpel, ist in zahlreichen Zusammen¬
setzungen der medicinischen Terminologie
gewöhnlich unter der letzteren Bedeutung an¬
zutreffen, so z. B. in
Chondristos (von /ov8po<; und 6 laxog,
Gewebe), Knorpelgewebe,
Chondrokatagma (von /ovSpoc und *b
xdt<xYp.a, Bruch), Knorpelbruch.
Chondrologia (von xov8posund6 Xo'yos)
Knorpellehre.
ondroma, Chondrophyma (von
Chondromalakia (von Y°vfy°S und
rj piaXaxiu, Erweichung), Knorpelweichheit.
Chondroperiostoma (von xovSpos und
zö nep tooteov, Beinhaut und End. oma für Ge¬
schwulst), die knorpelige Beinhautgeschwulst
etc. etc. Sussdorf.
Chorda (+ 4 X°P^)i Darm, Darmsaite, Saite,
ein in der anatomischen Terminologie ge¬
bräuchlicher Ausdruck für cylindrische Fä¬
den etc., so in
Chorda dorsalis (Rückensaite), s. d.
Chordae tendineae, Klappensehnen,
nennt man die von den Papillarmuskeln des
Herzens entspringenden, beim Pferde bis ra¬
benfederkiel-starken und vom Endocardium
überkleideten Sehnenzüge, welche sich meist
verästelt theils an den freien Rand, theils an
die Kammerfläche der Atrioventrikularklap¬
pen festsetzen. Die von einem Papillarmuskel
stammenden Chorden treten immer an zwei
Klappenzipfel. Sie sollen ein Ueberschlagender
Klappen in das Atrium gelegentlich des An-
drängens der Blutmasse während der Kam¬
mersystole verhüten (Näheres s. Herz).
Chorda tyrapani, Paukensaite, nennt
man den Verbindungsfaden des VII. Nerven,
welchen derselbe zum Ram. lingual, trigemini
sendet. Die Paukensaite zieht vom Knie des
VH. Nerven durch die Paukenhöhle, tauscht
daselbst mit dem N. petros. superficial maj.
Fäden aus und legt sich nach Passirung der
Glaser’schen Spalte und medial an der Art.
maxill. int. vorbeiziehend dem Ram. lingual,
nerv. V an. — Die Chorda leitet hauptsäch¬
lich centripetal. Durch dieselbe werden wahr¬
scheinlich sensible Fasern vom Trigeminus
dem Facialis zugesandt, wie sie andererseits
auch Fasern für tactiie und thermische Sen¬
sibilität, sowie (vielleicht vomGlossopharyngeus
stammende) Geschmackfasern und Vasodilata¬
toren für die Zunge enthält; schliesslich ist
sie auch mit centrifugalleitenden Secretions-
nerven und Vasodilatatoren für die Subma-
xillar- und Sublingualdrüse ausgestattet.
(Näheres über diese Bedeutung des Nerven
für all diese Processe, s. unter diesen wie
auch specielle Nervenphysiologie.)
Chordae vocales, Stimmsaiten, wahre
Stimmbänder nennt man jene von einem
elastisch-fibrösen Bande (Schildgiesskannen¬
band) und von einer Schleimhaut beider¬
seits überzogenen Falten, welche sich,
die Stimmritze begrenzend, von der Schild-
knorpelcommissur je zu dem betreffenden
Processus vocalis der Gieskannenknorpel
nach rückwärts, somit divergirend hin ziehen,
und als membranöse Zungen für die Stimm¬
bildung bedeutungsvoll sind (Näheres s. Kehl¬
kopf und Stimme). Sussdorf.
Chorda dorsalis (Rückensaite). Unter die¬
sem Namen versteht man eine Zellenmasse,
welche, strangförmig angeordnet, in der Längs¬
achse des Embryos liegt und früher als ein
charakteristisches Merkmal zur Unterscheidung
der Wirbelthiere von den Wirbellosen ange¬
sehen wurde. Durch die Untersuchungen Ko-
walewski’s wurde ein solcher Zellenstrang auch
an den Embryonen der Ascidien nach gewie¬
sen, welchen dieser Autor der Chorda dorsalis
der Wirbelthiere gleichstellt. Somit entfällt es,
dieselbe als Unterscheidungsmerkmal zur Ein¬
teilung des Thierreiches in Wirbelthiere und
Wirbellose zu bezeichnen. Sie wurde auch als ein
knorpeliger Strang beschrieben, eine Eigen¬
tümlichkeit, welche die Chorda in den ersten
Entwicklungsstufen des Thieres nicht zeigt.
Ihre Provenienz mit Rücksicht auf die ersten
Anlagen im Keime ist erst in den letzten Jahren
festgestellt worden. Während man dieselbe in
den früheren Jahren als knorpelig angelegt
und aus dem Mesoderm hervorgegangen be¬
trachtete, wird sie jetzt allgemein als ein Pro¬
duct des äusseren Keimblattes (Ectodenns)
beschrieben. Besonders schön ist dies an den
Knochenfischen zu verfolgen, wo die Chorda
und das Nervensystem in einem bestimmten
Stadium der Entwicklung von einander un¬
trennbar einer gemeinschaftlichen Zellenmasse
angehören und erst später isolirt werden. Diese
erste Anlage der Rückensaite, aus dem Ectoderm
hervorgegangen, bezeichnet man als den eigent¬
lichen Chordatheil. Um diesen lagert sich
später der. skeletogene Theil der Chorda, wel¬
cher ein Product der Elemente des Mesoderms
ist, die um die angelegte Chorda sich befin¬
den. Dieser ist es, dessen Elemente sich knor¬
pelig umwandeln und die erste Chor da-Anlage
umgeben. Die erste Anlage der Chorda besitzt
auf ihrer Oberfläche einzelne nebeneinander
gelagerte Zellen, welche sich auf der Ober¬
fläche gleichsam wie ein einschichtiges Epithel
ausbreiten. Sie sind bei den Embryonen der
Selachier sehr deutlich zu sehen. Man be¬
zeichnet sie alle zusammen als Cuticula
chordae. Mit diesem Namen benannte man frü¬
her den die Chorda dorsalis umhüllenden schma¬
len Saum von embryonalem Bindegewebe. Die
Chorda dorsalis ist gegen das Schwanzende
und gegen das Kopfende allmälig dünner. Am
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168
CHORDAKNOPF. — CHORION.
hinteren Ende reicht sie bis in den äussersten
Schwanztheil und vorne bis unterhalb der vor¬
dersten Gehirnblase. Ueber die vorderste Endi¬
gungsweise war man längere Zeit strittig. Es
stellte sich aber in den letzten Jahren heraus,
dass sie vorne mit einem knopfförmigen Ende
aufhört. Dieser Theil wird Chordaknopf
genannt. Der Chordaknopf vereinigt sich
mit den umgebenden Elementen des mittleren
Keimblattes und dem obersten kuppelförmigen
Abschnitte des Darmdrüsenblattes, um sich an
der Bildung der Hypophysis cerebri zu bethei¬
ligen. Die Chorda dorsalis ist ein Gebilde,
welches nur während des embryonalen Lebens
persistirt. Im postembryonalen Zustande be¬
stehen Reste derselben bei einigen Thieren.
Bei den höheren Wirbelthieren schwindet sie
vollständig. Die Elemente der eigentlichen
Chorda sind in späteren Stadien in der Achse
der Zwischen wirbelbänder angehäuft, während
sie im knorpeligen, bezw. knöchernen Wirbel¬
körper fehlen und bleibt nur die feine Lücke,
in denen sie sich befanden, von den Zellen der
Cuticula ausgekleidet, zurück. Es bietet daher
ein frontaler Schnitt durch die Wirbelkörper
das Bild einer perlschnurartigen Chorda. Am
Clivus Blumenbachii sollen nach Virchow
Reste der Chorda dorsalis das Bildungsma¬
teriale für Neubildungen, welche hier als Gal-
lertsarcome gefunden werden, abgeben. Schenk .
Chordaknopf, s. Chorda dorsalis.
Chordapouo, s. Chordapsum, die Darm¬
einschnürung oder Darmverengerung
(von x°P 8 ^ Darm, Schnur, und Ärcxttv, fest-
halten), gibt sich durch die Symptome einer
Kolik zu erkennen; das Wort „Chordapsus 44
wurde deshalb auch häufig von den alten
griechischen und römischen Schriftstellern für
„Kolik 41 (von xokixo's, Grimmdarm) überhaupt
gebraucht. Galenus verstand darunter eine Ent¬
zündung der Dickdärme, noch Andere ver¬
standen darunter das Kotherbrechen, Deus,
weil sich bei Umwegsamkeit des Darmrohrs
öfter der Darminhalt per os entleert; eine
solche kommt zu Stande durch Verdrehungen,
Verschlingungen, Ineinanderschiebungen und
Einschnürungen einzelner Darmpartien in na¬
türlichen oder abnormen Oeffhungen innerhalb
der Bauch- oder Beckenhöhle. Anacker .
Chorea, von x°P* ta i Tanz, Chorea St. Viti-,
Veitstanz, chorde, choreomania, corea, danse de
St. Guy, eine chronisch verlaufende, perioden-
weise auftretende Cerebrospinalneurose mit un¬
willkürlichen convulsivischen epileptiformen
clonischen Contractionen einzelner willkür¬
licher Muskelgruppen, die entweder nur die
Muskeln des Vordertheils oder des Hintertheils,
oder einer Seite oder aber sämmtliche Mus¬
keln des Rumpfes und insbesondere aller vier Ex¬
tremitäten ergreifen. Die einzelnen Anfälle
machen Remissionen und mehr oder weniger
lange Intermissionen und bleiben meist wäh¬
rend des Schlafes aus. Der Veitstanz kommt
am häufigsten bei Hunden und nächstdem bei
Pferden vor; selten bei Rindern. Während der
Anfälle werden die verschiedenartigsten Zuckun¬
gen der Muskeln am Gesichte, Hals, Rumpf
und den Extremitäten ausgeführt, wobei die
Thiere oft in eine tanzende Bewegung gerathen
und sich im Kreise drehen. Dabei ist der
Willenseinfluss auf die willkürlichen Muskeln
nicht ganz aufgehoben und es können auch
zweckmässige, willkürliche, geordnete Bewe¬
gungen ausgeführt werden, Gefühl und Reflex-
thätigkeit, Circulation, Respiration, Verdauung
und Temperatur sind nicht gestört. Die Pro¬
gnose ist bei Hunden meist ungünstig, da Hei¬
lung selten, bei Pferden und Rindern dagegen
günstiger, weil hier Heilung häufiger eintritt.
Hunde werden im Laufe der Zeit schwach,
anämisch, magern ab und gehen schliesslich
unter Lähmungserscheinungen zu Grunde. Die
pathologische Anatomie des Veitstanzes bietet
bisher nichts für die Krankheit Typisches. In
vielen Fällen sind Hirn und Rückenmark un¬
verändert, in anderen Fällen hat man Hyper¬
ämien, Anämien, Verdickungen der Hirn- und
Rückenmarkshäute, Verhärtungs- und Erwei¬
chungsherde im Rückenmarke constatirt, ohne
jedoch etwas Constantes, dem Veitstanz Eigen-
thümliches nachweisen zu können. Auch die
Ursachen der Krankheit bleiben bisher unbe¬
kannt. Man hat eine erbliche Anlage ange¬
nommen und bei Hunden den Veitstanz in
Folge von Staupe, Diarrhöen, Wurmleiden etc.
auftreten sehen. Die Behandlung besteht in An¬
wendung kalter Bäder und Verabfolgung von
Nux vomica, Asa foetida, Arsenik, Zinkoxyd,
Argentum nitricum, Bromkalium in steigender
Gabe. Semmer.
Chorioidea (Histologie und Pathologie),
8. Aderhaut.
Chorioidealdrüse (glandula chorioidealis),
fälschliche, in früheren Zeiten gebrauchte Be¬
zeichnung für die bei den Knochenfischen,
dem Seehund und Walfisch mächtig (bis 1 *5 mm
und darüber) entwickelte Chorioidea (Fig. 389),
deren schwammiger
Bau ältere Zoologen
annehmen liess, man
habe es hier mit einer
wirklichen Drüse zu
thun (Andere hielten
sie für einen Muskel).
Es handelt sich je¬
doch um eine aus den
die Aderhaut normal
aufbauenden Gewebs-
elementen zusammen¬
gesetzte Membran,
deren Gefässe zu einem mächtigen Wunder¬
netz sich entwickelt haben, das sich wie ein
schwammiges Polster in die Substanz der
Chorioidea einschiebt. Scklampp.
Chorioidealruptur, s. Aderhaut.
Chorioiditis (xö x°P t0V ’ corium, die Haut,
u. zw. der gefässhaltige Theil der Haut, die
Gefässhaut; Aderhaut des Auges; ähnlich
sein), die Aderhautentzündung, s. unter „Uveal-
tractus 44 . Sp.
Chorion, Lösung desselben. Der Geburts¬
act ist erst dann ein vollendeter, wenn mit
der Frucht auch die Fruchthüllen (sog. Nach¬
geburt) ausgestossen sind. Die Lösung des
Chorions und die Ausstossung desselben mit
der Fötalplacenta erfolgt entweder schon am
Fig. 889. Chorioidealdrüse des
Hechtes, a Selens, b Chorioidea,
o Retina. Vergrössert. (Nach
Leackart.)
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CHORION LAEYE. —
Ende der Geburt, in ganz vereinzelten Fäl¬
len (beim Pferde und beim Rinde) auch schon
vor derselben, oder erst eine oder mehrere
Stunden, selbst Tage nach derselben, so bei
den Wiederkäuern, namentlich beim Rinde.
Bei der Stute erfolgt die Trennung der Ei¬
häute häufig schon während der Geburt und
das Junge wird mit den sämmtlichen Ei¬
häuten geboren, oder dieselben werden un¬
mittelbar nach dem Jungen durch die letzte
Geburtswehe ausgestossen. In der Regel wird
jedoch die völlige Lösung und Ausstossung
der Eihtlllen durch die Nachgeburtswehen
vermittelt. Beim Pferde erfolgt der Abgang
der Nachgeburt meist während der ersten
halben Stunde, seltener erst innerhalb zweier
Stunden und nur in vereinzelten Fällen 3 bis
4 und selbst mehr Stunden nach der Geburt,
in welchen Fällen die manuelle Ablösung an¬
gezeigt ist (s. unter Nachgeburt). Bei
aer Kuh erfolgt die Lösung des Frucht¬
kuchens von dem Mutterkuchen fast ausnahms¬
los erst nach der Geburt. In der Regel geht
bei dieser Thiergattung die Nachgeburt
2—4—6 Stunden nach der Geburt ab; beim
Schafe und bei der Ziege findet dies meist
nach 1—2—3 Stunden statt. Beim Rinde wird
die Nachgeburt sehr häufig, ganz besonders
bei Frühgeburten, 6—8—11 Tage im Frucht-
hälter zurückgchalten, was seinen Grund
theils in der festen Verbindung zwischen
Frucht- und Mutterkuchen, theils darin hat,
dass die Contractionen des Uterus nicht
direct auf die Fruchtkuchen einwirken kön¬
nen, weil die Karunkeln gestielt sind und in
diese Stiele sich keine muskulösen Elemente
vom Fruchthälter aus hinein erstrecken. —
Beim Schweine sind die Fruchtkuchen nur
locker mit der Fruchthälterschleimhaut ver¬
bunden und es erfolgt deren Lösung in der
Regel schon während der Geburt und deren
Ausstossung, sofern die Chorions nicht ver¬
wachsen sind, meist unmittelbar nach der
Geburt der zugehörigen Frucht. Nicht so
selten werden auch eine oder mehrere Nach¬
geburten von einem nachfolgenden Jungen
vor sich hergeschoben. Bei Verwachsung der
Chorions je eines Fruchthälterhomes gehen
sämmtliche Fruchtkuchen des betreffenden
Hornes zugleich ab. — Beim Fleischfresser,
bei welchem Frucht- und Mutterkuchen innig
verbunden sind, löst sich das Chorion nicht
mit dem Fruchtkuchen vom Mutterkuchen,
sondern es werden mit dem Chorion Frucht-
und Mutterkuchen gleichzeitig ausgestossen.
In Folge dieser Lösung des Mutterkuchens
tritt an den Placentarstellen des Frucht-
hälters eine wirkliche Verwundung und eine
geringfügige, nur sehr kurze Zeit dauernde
Blutung ein. Die nächsten Gründe für die
Lösung der Nachgeburt liegen ohne Zweifel
theils in den Contractionen des Uterus, theils
in dem geminderten oder völlig aufgehobenen
Blutzuflusse zu den Chorionzotten. Strebei.
Chorion laeve nennt man denjenigen Theil
des Chorions, der die Zwischenräume der
eigentlichen Fruchtkuchen einnimmt. Auf der
Oberfläche dieses Choriontheiles bilden sich
CHRANOWSKOI SAWOD. 169
in der ersten Zeit der fötalen Entwicklung
Zöttchen aus, die sich aber nur in den sel¬
teneren Fällen weiter entwickeln und dann in
Vertiefungen — Crypten — der Uterusschleim¬
haut hineinragen. Strebei.
Chorion villosum ist derjenige Theil des
Chorions, auf dem die eigentlichen Frucht¬
kuchen sitzen. Strebei.
Chorionzipfel heisst man den peripheren
eingestülpten, functionsunfähigen, gefäss-
losen Theil an den beiden Polen des Chorion¬
sackes. Strebei.
Chorioretinitis, s. unter „Uvealtr actus“
und „Retina 4, (Retinitis).
Chorologie (abgel. von yj y<opa, Wohn¬
ort, und 6 Xo'yoc, Lehre) nennt Haeckel die
gesammte Wissenschaft von der räumlichen
Verbreitung der Organismen sowohl auf der
Erdoberfläche wie oberhalb und unterhalb
derselben. Sie kann in doppelter Art und
Weise betrieben werden, entweder rein stati¬
stisch und als solche ist sie eine Thier- und
Pflanzengeographie, oder auch ätiologisch, und
von diesem Gesichtspunkte sucht sie nach
den Ursachen für die Eigenthümlichkeiten
dieser geographischen Verbreitung. Während
in der erst angedeuteten Weise Alei. v. Hum¬
boldt für das Pflanzenreich und Berghaus u. A.
für das Thierreich vorgingen, fand Ch. Dar¬
win in der Untersuchung der Ursachen der
Pflanzen- und Thierverbreitung eine bedeu¬
tungsvolle Stütze seiner Transmutations- und
Descendenztheorie, indem er die chorologi-
schen Erscheinungen als die „nothwendigen
Wirkungen der natürlichen Züchtung im
Kampfe um das Dasein“ darzustellen ver¬
stand. Sussdorf.
Chränowskoi sawod (XpinoBCKoft rocy-
AapcTfieHHuä KOHCKÜt aasoÄ'B), berühmtestes
Krongestüt Russlands, benannt nach dem
benachbarten Dorfe Chränowoje, gelegen im
Gouvernement Woronesch, 19 km von der
Kreisstadt Bobrow und 58 km von der Station
Liski der Woronesch-Roslow'schen Eisenbahn.
Dasselbe wurde ursprünglich, während der
Regierung der Kaiserin Katharina II., im
Jahre 1778 vom Fürsten Orlow gegründet
und gelangte bereits zu dessen Lebzeiten, be¬
sonders wegen seiner vielleicht unübertroffen
dastehenden Traber, zur Berühmtheit. Unter
Nikolaus I. im Jahre 1845 wurde es von der
Krone erworben und durch Hinzuziehung des
gräflich Rostoptschin’schen Gestütes verstärkt,
welches letztere sich durch seine vorzüglichen
Renner auszeichnete. Grossartig in seinen
baulichen Anlagen, macht es gegenwärtig auf
den Besucher gewissermassen den Eindruck
von Vernachlässigung und Verödung, ein Ein¬
druck, welcher auch darin seine Bestätigung
findet, dass 1845 der Bestand an Pferden
sich im Ganzen auf über 2000 Stück belief,
während er gegenwärtig bis ungefähr auf die
Hälfte zurückgegangen. Uebrigens wurden in
der neuesten Zeit von der Regierung ener¬
gische Massregeln zur Hebung sowohl dieses,
als auch aller übrigen Krongestüte ergriffen.
Der Chränowskoi sawod zerfällt in folgende
drei Abtheilungen, deren Bestand an Pferden
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170 CHREMETISMA. — CHROM.
wir nach dem „Almanach der Hauptverwaltung
für Gestütswesen 44 für das Jahr 1883 mit¬
theilen: 1. Eine Abtheilung für englische
Vollblutzucht, mit sechs Beschälern, von
denen einer mit 22.000 Rubel in England
bezahlt wurde, und mit 39 Mutterstuten;
2. eine Abtheilung für Reitpferde mit neun
Beschälern, theils eigener Zucht (Orlow’sche
Rasse), theils englisches Voll- und Halbblut
und mit 95 Mutterstuten; 3. eine Abtheiiung
für Traber mit 15 Beschälern Orlow’scher
Rasse und 107 Mutterstuten. (Die in Chräno-
woje, sowie auch in allen übrigen russischen
Krongestüten gezüchteten Pferde werden am
Halse, unter der Mähne mit einer Krone ge¬
brannt, u. zw. die des Reitschlages an der
linken, die des Traber- und Wagenschlages
an der rechten Seite.) — Ausser dem Gestüte
befindet sich in Chränowoje noch eine, gleich¬
falls kaiserliche Beschälstation (Depöt) mit
20 Hengsten vom Reitschlage, 31 Traber¬
hengsten, 27 Hengsten des Wagenschlages
und 32 Hengsten des Arbeitsschlages. Brandt.
Chremettama (xö ypep.extop.a), das Ge-
wieher der Pferde. Sussdorf.
Chremma (xo yptupta, von yptirxsoO-a,
sich räuspern), Auswurf == sputum. Sussdorf.
Christholz, die getrocknete Rinde des
levantinischen, den flüssigen Storaxbalsam
liefernden Baumes Liquidamber orientalis (s. d.),
wird des angenehmen Geruches wegen zu
Räucherungen benützt. Vogel.
Christophskraut, Actaea spicata, Ranun-
culacee, L. XIII. 1; sammt der Wurzel
brechenerregend und laxirend, jetzt aber nicht
mehr im Gebrauche. Vogel.
Christwurz, schwarze Niesswurz, fast
identisch mit der weissen oder grünen (siehe
Helleborus niger). Vogel .
Chrom und dessen Verbindungen.
Chrom (Cr, Atomgewicht 56 • 5) ist ein Metall,
welches nicht weit verbreitet, auch nicht gedie¬
gen vorkommt; die wichtigsten Erze, in denen es
vorkommt, sind der Chromeisenstein, eine
dem Magneteisenstein isomorphe Verbindung,
aus Chromoxyd und Eisenoxydul bestehend,
Cr t FeO*, in Amerika, Norwegen, ausserdem
das Rothbleierz, PbCrO*, das natürliche vor¬
kommende chromsaure Bleioxyd. Die Verbin¬
dungen des Chroms zeichnen sich alle durch
ihre schöne Färbung aus, und auch im Smaragd,
Spinell, Olivin tritt Chrom als färbender Be¬
standteil auf, auch im Meteoreisen wurde es
nachgewiesen. Man erhält Chrom als Metall,
indem man Chromchlorid mit Chlornatrium
und Zink im Tiegel schmilzt, als krystallini-
sches Pulver, welches schwerer schmilzt als Pla¬
tin und sich beim Glühen an der Luft nur
schwer oxydirt. Es ist unlöslich in verdünnter
Salpetersäure, leicht löslich in Salzsäure und
erwärmter Schwefelsäure. Schmilzt man das
Metall mit Salpeter, so entsteht chromsaures
Kalium. Die Verbindungen, CrO, Chrom-
oxydul, und Cr,0 3 , Chromoxyd, entsprechen den
analogen Verbindungen des Eisens und sind
starke Basen, welche mit Säuren Salze bilden,
die Verbindung Cr0 3 , ist jedoch ein Säure¬
anhydrid und löst sich im Wasser zu einer
stark saueren Flüssigkeit, welche als wässerige
Lösung der Chromsäure betrachtet werden
muss. Das vom Chromoxydul, CrO, ableitbare
CrCl,, Chromochlorid, ist ein weisses Salz
und löst sich in Wasser mit blauer Farbe, die
Lösung nimmt an der Luft begierig Sauer¬
stoff auf und geht dabei in ein Chromidsalz
über. Die Lösungen der Chromidsalze haben
eine grüne Farbe, aus ihnen fällt Ammoniak,
grünes Chromhydroxyd, Cr t (OH)„, welches beim
Glühen in ein grünes Pulver, Cr t 0 8 , Chrom¬
oxyd übergeht, das zum Grünfärben von
Glas und in der Porzellanmalerei dient. Auch
der Smaragd verdankt seine schöne grüne
Färbung dem Chromoxyd. Das Chromoxyd
bildet ebenso wie das Eisenoxyd und die Thon-
erde Alaune, das sind Doppelsalze von schwe¬
felsauren Alkalien und schwefelsaurem Chrom¬
oxyd, Eisenoxyd oder Thonerde, welche mit
24 Molecülen Wasser isomorph dem Kalialaun
krystallisiren. Der Chromalaun bildet dunkel¬
violette Krystalle.
Die Chromsäure kommt in der Natur
im Rothbleierz (s. oben) vor. Schmilzt man
eine Chromoxydverbindung 'mit Salpeter und
kohlensaurem Kali, so wird diese oxydirt, es
entsteht eine gelbe Schmelze, welche neutrales
Kaliumchromat, K t Cr0 4 , enthält. Setzt man zur
Lösung dieses Salzes so viel Schwefelsäure als
nothwendig ist, um die Hälfte des Kaliums
abzusättigen, so erhält man eine gelbrothe Lö¬
sung, aus welcher beim Verdampfen saures
chromsaures Kali, Kaliumbichromat, K t Cr t 0 7 ,
auskrystallisirt, ein Salz, welches im Handel unter
dem Namen rothes chromsaures Kali vorkommt
und zur Darstellung verschiedener Chromfarben
und Chrompräparate benützt wird. Versetzt
man eine concentrirte Lösung eines chrom-
sauren Salzes mit Schwefelsäure im Ueberschuss,
so scheidet sich das Chromsäureanhydrid, CrO s ,
in scharlachrothen wasserfreien Krystallen aus.
Das Chromsäureanhydrid löst sich leicht in
Wasser und in Alkohol. Es ist ein sehr ener¬
gisches Oxydationsmittel. Man benützt es zu
Oxydationen in der Form eines Gemenges von
saurem chromsaurem Kali und Schwefelsäure,
zur Darstellung vieler chemischer Präparate,
in der Bunsen’schen galvanischen Batterie.
Wirkt die Chromsäure durch Abgabe von
Sauerstoff oxydirend, so wird sie zu Chrom¬
oxyd reducirt und die frühere gelbrothe Fär¬
bung der Lösung geht in’s Grüne über. Lh.
Die Chromsäure ist im Jahre 1840
von Hannover in die mikroskopische Tech¬
nik eingeführt worden. Die Lösungen der
Chromsäure und der chromsauren Salze sind bei
histologischen Arbeiten unschätzbare Erhär¬
tungsflüssigkeiten. Chromsäure im Wasser ge¬
löst (0* 2-0*5—1%—2%, oder auch 0*02 bis
0 05%ige Lösungen, endlich auch 1—2 Th. auf
10.000 Th. Wasser) wird für Erhärtung feinerer
Organe, sowie Embryonen angewendet (1 bis
2%). Beim längeren Stehen in derselben wer¬
den die Knochen entkalkt und schnittfähig,
hauptsächlich, wenn die Chromsäurelösung auch
mit etwas Salzsäure vermengt wird. Verdünnt
(0*025—0*05%) wirkt Chromsäure maceri-
rend ein und wurde von Deiters für Isolation
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CHROMA. — CHROMATOSIS. 171
der Nervenzellen und von M. Schultze bei
Untersuchung der Sinnesnerven angewendet.
Aeusserst verdünnt (1—2 Th. auf 10.000 Th.
Wasser) ist sie von Ranvier zur Demonstra¬
tion der Kittleisten der Muskelzellen des Her¬
zens, von Waldeyer aber in 0*05%iger Lö¬
sung zur Isolation der Pfeiler des Gehör¬
organes benützt worden.
Chromsäure mit Platinchlorid
[gleiche Theile von Platinchloridlösung (1 *400)
und von Chromsäure] wird zur Demonstration
des Gerüstes der Retina angewendet. Die
Chromsäure wird neuerlich in der neapolita¬
nischen zoologischen Station auch mit Cor-
rosiv (gesättigte wässerige Lösung von Cor-
ro9iv mit Chromsäurelösung so lange gemengt,
bis die gemischte Flüssigkeit dunkel stroh¬
gelb erscheint) vermengt als Erhärtungsflüs¬
sigkeit benützt.
Chromsaures Ammoniak (rothes oder
doppelt chromsaures Ammoniak; Ammonium
bichromicum; chem. Formel = [(NH 4 ),Cr,0 7 ]).
Seit Gerlach benützt man dasselbe mit gros¬
sem Vorth eil zum Härten des Centralnerven¬
systems (1—4%ige Lösung); bei der Härtung
fängt man mit 2%iger Lösung an und hört
mit 3—4%iger auf. In Alkohol gelöst, wird
dasselbe auch mit Erfolg benützt (Ref.). Man
kann auch, damit die gänzlich gehärteten
Präparate nicht brüchig werden, nach der ge¬
hörigen Härtung diese in Alkohol aufbewahren
(Ref.), ebenso wie die in Chromsäure gehär¬
teten Präparate (Frey). Ganze Gehirne oder
Stücke vom Rückenmarke werden nach 3 bis
5 Monaten in dieser Flüssigkeit schnittfahig;
kleine Stückchen werden aber viel früher zur
Untersuchung brauchbar. 1—2%ige, ja auch
stärkere Lösungen von chrorasaurem Am¬
moniak werden von Heynold für die Unter¬
suchung der Schweissdrüsen benützt.
Einfach chromsaures Kalium (chem.
Formel = K,Cr0 4 ) wurde von Robin be¬
nützt und
Einfach chromsaures Ammonium
(chem. Formel = (NH 4 ) t Cr0 4 ; 1—5%) von
Heidenhain zur Untersuchung der Niere an¬
gewendet.
Doppelt chromsaures Kalium (Ka¬
lium bichromat.; Kalium bichromicum, saures
chromsaures Kalium; chem. Formel = (K t Cr 2 0 7 )
wurde früher auch für Härtung des Centralnerven¬
systems und feinerer Organe benützt. Hie und
da benützt man sie auch heute; hauptsächlich
aber für die sehr gute Müller'sche Augen¬
flüssigkeit (chromsaures Kalium = 2—2*5 g;
schwefelsaures Natron = lg; destülirtes
Wasser = 100 g), welche zu folgenden Zwecken
angewendet wird: 1. Zum Härten und zur
Untersuchung von Retinapräparaten; 2. zum
Härten und zur Untersuchung des Central -
nervenBystems; 3. zum Härten und zur Unter¬
suchung der Embryonalorganc; 4. zum Härteu
und zur Untersuchung der Schleimhäute;
5. zum Härten und zur Untersuchung der
Flimmer-Epithelien; 6. von Czerny und Lan-
gerhans mit Speichel gemengt (gleiche Theile),
ist sie nach mehrtägigem Ein wirken eine gute
Macerationsflüssigkeit für das Epithel der Con-
junctiva und Mundhöhle. v. Thanhoffer.
Von den Chrompräparaten wird in der
Thierheilkunde jetzt nur mehr Gebrauch ge¬
macht von der Chromsäure, Acidum chromi-
cum und dem doppelchrorasauren Kali, Kalium
bichromicum. Siehe die lateinischen Bezeich¬
nungen beider Stoffe. Vogel.
Chrona (to xpäjia), die Oberfläche, die
Farbe der Oberfläche, in vielfachen Zusam¬
mensetzungen vorkommend; davon auch das
Adjectiv chromatisch, gefärbt. Sussdorf.
Chromat 08 is, s. Chromatismus, der
gefärbte Zustand der normalen Gewebe und
der Neubildungen (von /pü>p.a, Farbe, XP 40 "
uau'Csiv, färben). Den Farbstoff, Pigmentum,
liefert in den meisten Fällen das Blut, man
spricht deshalb auch, wenn die Färbung eine
schwarze ist, von Pigmentirung, und sofern
das Pigment in Form feiner Körner in das
Gewebe eingestreut erscheint, von Pigment¬
infiltration. Die rothen Blutkörperchen ver¬
danken ihre Farbe dem Blutfarbstoff oder
Hämoglobin, einem krystallisirbaren, eisen¬
haltigen Eiweisskörper. Aus einer Hämoglo¬
binlösung scheiden sich die Hämoglobinkry-
stalle in Form rhombischer Tafeln und Pris¬
men aus; sie zerfallen schnell in Eiweissstoff
und den eigentlichen Blutfarbstoff, das Häma¬
tin, wobei die rothe Farbe ins Gelbe, Grüne,
Braune und Schwarze übergeht. Das Häma¬
tin krystallisirt in kleinen, schiefen, rhombi¬
schen, mehr oder weniger rothen Säulen, die
leicht zu einem schwarzgrauen Pulver zer¬
fallen. Aehnliche Krystalle bilden sich in
dem aus den Gefässen ausgetretenen Blute,
die, wenn sie kein Eisen enthalten, Häma¬
toidin genannt werden. Dem entsprechend
finden wir pigmentirtes Gewebe überall und
häufig da vor, wo früher einmal chronische
Hyperämien, Hindernisse im Blutumlaufe oder
kleine Blutungen aus den Capillaren statt¬
gefunden hatten. Hierbei werden die flüssi¬
gen Bestandtheile des Blutes schnell resor-
birt, nur die Blutkörperchen bleiben liegen
und durchwandeln die eben genannten Meta¬
morphosen. Dyskrasische Zustände begünsti¬
gen die Auflösung des Blutfarbestoffes, der¬
selbe tritt hier öfter aus den unverletzten
Blutscheiben in die umgebenden Flüssig¬
keiten und die Secrete oder Excrete über und
färbt sie schmutzigroth. Auch amöboide Zel¬
len vermögen rothe Blutkörperchen oder Blut¬
farbstoff in sich aufzunehmen und erscheinen
dadurch pigmentirt. Der deponirte aufgelöste
Blutfarbstoff wird am meisten von den Ge¬
webszellen, weniger von der Intercellular¬
substanz angezogen; in den Zellen bleibt
hierbei der Kern häufig ungefärbt, man er¬
kennt ihn in den pigmentirten Zellen als
weissen Punkt. Ist dies der Fall, dann wird
die Function der Zellen nicht merklich be¬
einträchtigt; erst wenn der Zellenkcrn ver¬
drängt wird, zerfallt die Zelle und das Pig¬
ment lagert nunmehr als ein feinkörniges,
schwarzes Pulver (Melanin) frei im Gewebe.
Die Form der Körnchen ist bald rund, bald
eckig, bald liegen sie zerstreut, bald in grös-
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172 CHROMATOSIS.
seren Massen bei einander, sie bilden theils
schwarze, tintenartige Flecke, theils Streifen
und Haufen. In der Milz und Leber lagert
das Pigment nicht selten so dicht, dass diese
Organe an vielen Stellen ganz schwarz aus-
sehen. In der Leber sind alsdann nicht nur
die Zellen, sondern auch das interlobuläre
Bindegewebe und die interlobulären Pfort¬
aderäste davon erfüllt: schwarze pigmentirte
Lebern sind häufig bei Schafen, seltener bei
Pferden angetroffen worden; ich selbst fand
derartige Lebern sehr oft bei ganz gesunden
geschlachteten Schweinen, Schafen und Och¬
sen (s. Thierarzt 1877), zuweilen war die
Leber nur an vereinzelten Stellen von
schwarzen Punkten und dergleichen unregel¬
mässigen Streifen durchsetzt, andere Male
bildete die Pigmentablagerung mehr oder
weniger in die Tiefe eindringende dicke
Stränge oder ausgedehntere zusammenhän¬
gende Massen, die nur hin und wieder einen
Rest des normalen Parenchyms zwischen sich
inselartig einschlossen. Sehr wahrscheinlich
ist die Ursache der Pigmentation in der
Leber in chronischen Hyperämien und Blut¬
stauungen in Folge von Indigestionen, träger
Verdauung, Leberkatarrh, mechanischen Rei¬
zungen des Leberparenchyms durch Druck,
Quetschung etc., von Erschlaffung und Er¬
weiterung der Pfortaderverzweigangen etc. zu
suchen, weil sonst keine Pigmentablagerungen
in anderen Organen vorfindlich waren. In der
Umgebung der pigmentirten Stellen fand ich
die Gefässe stark injicirt, so dass sie als
kleine, feine, rothe Streifen sichtbar wurden;
zwischen ihnen waren eine Menge theils zer¬
fallener, theils unversehrter Blutzellen depo-
nirt. Bruckmüller (pathol. Zootomie) traf bei
Pferden die Pigmentablagerung in der Leber
neben solcher in der Milz und Haut an. In
der Milz tritt das Pigment in der Form von
Knoten und einer allgemeinen Infiltration
auf; in diesem Falle erscheint die Milz ver¬
dickt, derb und schwarzbraun. Auf der
Schleimhaut des Darmcanals und in den
Lyraphdrüsen gehört die Pigmentirung zu
den normalen Vorkommnissen; diese Organe
sind dann schwarz gefleckt oder die Schleim¬
haut erscheint in typhösen Krankheiten wie
mit Russ bestaubt fAalhaut); ebenfalls häufig
wird sie auf der Pia mater, an der Basis des
Gehirns und in der Umgebung der Aderge¬
flechte in Form von Punkten und Knötchen,
seltener auf den Meningen des Rückenmarks
und in der Bauchspeicheldrüse vorgefunden.
Im Gehirn etc. haftet das Pigment an den
Ganglienzellen und ihren Scheiden. Nach
wiederholten Lungenhyperämien scheidet sich
Pigment punktförmig und fleckig im Lungen¬
parenchym ab; Pigmentanhäufung zwischen
den Lungenläppchen alter Hunde betrachtet
Bruckmüller fast als normalen Zustand. Das
pigmentirte Gewebe zeigt öfter stellenweise
eine gelbliche oder schiefergraue, braune und
schwärzliche, seltener eine röthliche Farbe.
Pigmentation kann ausserdem an allen serö¬
sen Häuten und Organen Vorkommen. In der
Haut kennt man sie, abgesehen von Argyria
(s. d.), als Nigrities, s. Nigritudo (niger.
schwarz); hier sind besonders die Zellen der
Schleimschicht pigmentirt, bei Pferden ist
auch zuweilen das Corium so dicht von Pig-
mentkörnem durchsetzt, dass die Talgdrüsen
und Haarfollikel atrophiren und die Haare
ausfallen. Gelangt von der Milz aus viel
Pigment ins Blut, so wird der Zustand zur
Melanämie, das Pigment wird nicht nur in
den meisten Geweben, sondern auch in Neu¬
bildungen, z. B. Krebsknoten, Sarcomen, ab¬
gesetzt, es kommt auch zur Bildung massen¬
hafter schwarzer Knoten, der sog. Melanome
(s. d.). In der Melanämie (von [Ukas, schwarz)
ist das Blut dünnflüssig, es enthält Pigment
theils in den Blutzellen, theils ist es dem
Plasma bei gemischt und bleibt in den Capillaren
der Lungen, der Leber, der Nieren, der Milz,
der Haut, in den Gehirngefässen etc. stecken,
veranlasst hier Pigmentirung oder Melanosis,
wobei sich die Thiere mit der Zeit auch
anämisch, marastisch, hinfällig und abgema¬
gert zeigen, die Schleimhäute eine blasse
Farbe annelimen, der Puls klein, das Haar
glanzlos, spröde, leicht ausziehbar, das Schwanz-
und Mähnenhaar wellig und kraus wird, selbst
Erscheinungen einer Gehirnreizung, Gehirn¬
depression oder Paralyse zu Stande kommen:
gern bilden sich seröse Ergüsse in die Kör¬
perhöhlen; die Capillaren sind öfter durch
Pigmentkörner verstopft. Am häufigsten wird
das Melanin im subcutanen Bindegewebe,
u. zw. in der Umgebung der Parotis, des
Schulterblattes, des Oberschenkels und der
Scham, bei Pferden, besonders Schimmeln in
der Umgebung des Afters und am Schweif
abgesetzt. Pigraentablagerungen kommen ver-
hältnissmässig am seltensten in den Muskeln,
Knochen und Sexualdrüsen vor. Bei hellfar¬
bigen Thieren ist eine Anlage zur Melanosis
nicht zu verkennen, bei dunkelfarbigen findet
das Pigment seinen normalen Absatz in Haut
und Haar. Brugnone beobachtete, dass ein
Schimmelhengst des sardinischen Gestüts
Chivasso Melanome auf alle seine Descen-
denten vererbte; ähnliche Beobachtungen
machte Gohier (Annales de l’agric. fran^.,
Tome 40). Erschöpfende Anstrengungen, con-
tinuirliche Ernährungsstörungen und Krank¬
heiten begünstigen die fragliche Disposition,
sie wird oft erst von älteren Thieren erwor¬
ben. Virchow sah sie nach septischen Krank¬
heiten hervortreten. Der Vorgang der Pig¬
mentirung ist als Melanosis bezeichnet wor¬
den, Lebert gebrauchte dafür den Ausdruck
Xanthosis (von SavO-os, gelb; Xanthämatin
ist gleich einer Abart des Hämatins), Lobstein
den Ausdruck Kirrhonosis (von Locke).
Das diffus eingestreute Pigment kann später
resorbirt werden. Manche Autoren sprechen
den Nebennieren die Bestimmung zu, die
Pigmentbildung in den normalen Grenzen zu
erhalten, eine Ansicht, zu der Perosino hin¬
neigte (v. Giorn. d. Veterin. 1858), seitdem er
bei einem Pferde ausser einem Melanom im Mit¬
telfleische nirgends Pigment abgelagert fand.
Chromatose der Gewebe oder der Con-
creraente kann auch in selteneren Fällen von
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CHROMATOSIS.
173
den Farbstoffen des Harns und der Galle her¬
rühren. Den Harnfarbstoff untersuchte Thu-
dichum (Henle’s Bericht pro 1864). Nach
ihm enthält der frische Harn eine färbende
gelbe Substanz, das Urochrom, das durch
Oxydation an der Luft eine rothe Farbe an¬
nimmt; durch Zersetzung mit Säuren bilden
sich aus dem löslichen Urochrom drei unlös¬
liche Substanzen, nämlich ein Harz, das Uro-
pittin, eine harzige Säure, die Onychmylsäure
und das Uromelanin neben anderen flüchtigen
Körpern. Das Uromelanin hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit dem grünen Farbstoffe der
Galle. Jaffe nannte deshalb diesen Farbstoff
Urobilin, das den Harn roth und rothbraun
färbt; auch gelöstes Hämoglobin verleiht dem
Harne eine rothe Farbe. Oefter haben Harn¬
steine eine braune Farbe, denn die harnsau¬
ren Salze scheiden sich beim Erkalten des
Harns als ein gelbröthlicher Bodensatz ab.
Die Harn säur ekrystalle haben eine gelbbraune
oder röthliche Farbe, die harnsauren Steine
oder Urate eine rosa- oder ziegelrothe Farbe,
bei Hinzutritt von Kalk- und Ammoniak¬
magnesia eine gelbe Farbe, die oxalsauren
Concretionen oder Oxalate eine dunkelbraune
oder graue Farbe, nach Hinzutritt von kohlen¬
saurem Eisenoxydul nehmen sie metallischen
Glanz an. Cystinsteine besitzen eine matt¬
gelbe Farbe. Der Gallenfarbstoff, das Bili¬
rubin, ist ein Abkömmling des Blutfarbstoffes
der Carnivoren und Omnivoren; bei den Herbi-
voren verwandelt sich das Bilirubin durch
Oxydation in einen grünlichen Farbstoff, das
Biliverdin. Wird die Galle lange in den Gal¬
lengängen zurückgehalten, so tritt der Gallen¬
farbstoff in das Blut, in die Milch und in
den Ham über, er wird alsdann in allen
organischen Geweben abgesetzt und färbt sie
intensiv gelb, selbst gold- und citronengelb,
den Harn braun oder orangefarbig. Der
Ueberlritt der Gallenpigmente in das Blut
stellt die Cholaemia, das Gallenblut, ein sol¬
cher in den Ham die Choluria oder das fal¬
sche Blutharnen dar (von voXoc, Galle, al^a,
Blut, oöpov, Harn). Der Harn der Cholurie
nimmt während des Stehens an der Luft eine
grünliche Farbe an, er färbt eingetauchte
Leinwand gelb. Erwähnt sei noch, dass man¬
che Arzneimittel dem Harn eine dunklere
Farbe geben, z. B. Rheum und Senna eine
bräunliche bis blutrothe Farbe, Sem. cinae
eine kirschrothe, Pix liquida, Carbolsäure etc.
unter Hinzutritt der Luft eine oliven- bis
schwarzgrüne Farbe. Reichlich verfüttertes
Bohnen- oder Erbsenstroh, Rapskuchen, Klee¬
heu ete. verursacht den Absatz eines dunk¬
leren Harns. Die Grünfärbung des Harns nach
Carbolsäure beruht auf Oxydation des sich
im Organismus bildenden Hydrochinons
(vergl. Siedamgrotzky-Hofraeister’s Anleitung
zur mikroskopischen und chemischen Dia¬
gnostik). Der Farbstoff der Krappwurzel,
Rubia tinctorum, geht leicht in das Blut
über, er färbt das Blut, den Harn, die Milch,
selbst die Galle und die Knochen roth. Aehn-
lich verhält sich der blaue Farbstoff Indigo
der Papilionaceen, z. B. des Waid, Isatis
tinctoria, der Baptisia tinct., des Polygonum
tinctorium etc. Schon Dioscorides kannte das
lv$ixov ßa<pixo'v = indische Färbmittel. Die
fettige Degeneration verleiht den davon be¬
troffenen Geweben öfter eine mehr oder weni¬
ger intensive Gelbfärbung. So beruht die gelbe
Gehirnerweichung, Encephalomalacia flava
(srxetpaXov, Gehirn, p.aXaxd<;, weich, flavus,
gelb), auf einer fettigen Degeneration einzel¬
ner Gebirntheile, u. zw. des Nervenmarks,
der Neuroglia und der Gefässwandungen, die
Geliirntheile verflüssigen sich und bekom¬
men eine hell- oder schwefelgelbe Farbe.
Capillare Blutungen färben die erweichte Ge-
hirnraasse roth, sie führen die rothe Gehirn¬
erweichung herbei. Finden sich in der er¬
weichten Himsubstanz noch graue Faser¬
bündel der Neuroglia vor, so haben wir die
graue Gehirnerweichung vor uns.
Abnorme Färbungen bietet öfter die Milch
dar. Der Farbstoff der Futtermittel geht eben¬
so in die Milch über, wie der Farbstoff der¬
selben in andere Se- und Excrete. Gelbe Rüben,
Ranunculaceen, Safran, Rhabarber etc. färben
die Milch gelblich, wenn sie an milchgebende
Thiere verföttert werden, Rubia tinctorum, die
Galium- und Orchideen-Arten röthlich. Blut
kann nach dem Verfüttern scharfer, reizender
Stoffe, z. B. junger Triebe der Tannen, Ranun¬
culaceen, Polygoneen etc. in den Drüsenbläs¬
chen des Euters in die Milch übertreten und
ihr eine rothe Farbe geben (s. Blutmelken).
Ganz besonders aber interessirt uns eine Pig-
mentirung der Milch unter dem Einflüsse von
Pilzen; die Milch, in feuchten, dunstigen Räu¬
men aufbewahrt, nimmt zuweilen Fäulniss-
erreger aus der Familie der Bacterien in sich
auf, welche den Käsestoff der Milch in eine
Pigmentgährung versetzen, es bilden sich als¬
dann auf der Milch gelbe und blaue vereinzelte
Flecke, die allmälig dunklere Nüancirungen
annehmen, sich mehr und mehr ausbreiten
und schliesslich die gesammte Milch blau
färben. Die Farbenschattirungen spielen öfter
ins Gelbe, Grüne oder Rothe hinüber: bedeckt
sich die Milch mit einem weissen Pilzlager,
so erscheint sie blaugrau. Ehrenberg nannte
den Pilz Vibrio synxanthus, Fuchs aber Vibrio
xanthogenus, Hessling, Hoflmann und Fürsten¬
berg „Penicillium glaucum“, dessen Schwärmer¬
zellen sich in der Luft verbreiten. NachHueppe’s
Untersuchungen (cfr. Kitt in der Nr. 3 der
Revue für Thierheilkunde und Thierzucht
1885) ist es ein Spaltpilz in Stäbchenform, der
sich durch Theilung vermehrt und Sporen ent¬
wickelt. Unter seiner Einwirkung bemerkt man
im Rahme der Milch grau- bis himmelblaue
Flecke, die sich in allmälig sauer werdender
Milch auch auf den Käsestoffausbreiten und diesen
bläuen können. In sterilisirter Milch verursacht
Bacterium syncyanum, wie man den Pilz der
blauen Milch später nannte, nur graue Flecke.
Späterinder ganzen Milch eine schiefergraue oder
mattblaue Färbung, in Fleisehwasser-Pepton-
gelatine eine grünliche Färbung: in den grünen
Pilzculturen geht die Farbe mit der Zeit ins
Braune, nach Zusatz von Oxydationsmitteln
ins Blaue über. Kitt cultivirte blaue Milch
174 CHROMIDEN. — CHROMOGENE SPALTPILZE.
auf sterilisirten Kartoffelscheiben, wonach gelb¬
liche Flecke, in der Umgebung graublaue, mit
der Zeit mattschwarze Flecke entstanden. Aus-
gesäeto Macerirflüssigkeit rief hier rothe Co-
lonien hervor; der Träger des rothen Farbstoffes
war eine Hefeform; eine grün, weissumsäumte
Colonie bestand in einer Sehimmelpilz-Ansied-
lung aus der Luft. Die Pigmentgährung der
Milch tritt am leichtesten bei Grünfütterung,
feuchtwarmer, gewitterschwüler Luft und bei
alkalischer Beschaffenheit ein, schnelle Säurung
verhindert sie. Nach Michailow (Centralbl. für
medicin. Wissenschaften 1885, Nr. 5) scheiden
sich animalische Farbstoffe aus Essig-Albumin¬
lösungen aus, wenn man Ammoniumsulfat hin¬
zusetzt; der Farbstoff' lässt sich durch Alkohol
ausziehen; je nachdem man den Alkohol mit
einem Alkali oder einer Säure versetzt, erhält
man gelb oder rosa gefärbte, grün-fluorescirende
Lösungen, welche die Gmelin’sche Gallen-
farbstoffreaction geben. Bekanntlich bilden sich
bei den in Fäulniss übergehenden Leichen in
der Haut, in den Muskeln und den mit Blut
versehenen Organen grüne Flecke, sogenannte
Todtenflecke, Livores mortis, deren Ursache in
der Bildung der Pristley’schen Materie aus
diffundirtem Blutfarbestoff in das Blutserum und
die Gewebe gesucht wurde. Pellacini (1. c. Nr. 6)
stellte fest, dass hier die grüne Färbung aus einem
Körper hervorgeht, der das Resultat einer Ver¬
bindung von Schwefelwasserstoff, der sich aus
dem Eiweiss entwickelt, mit Blutfarbstoff' ist;
dieser Körper besitzt alle Eigenschaften des
künstlich dargestellten Sulfhämoglobin. Er¬
mangeln die Gewebe der Blutgefässe, so beruht
die Grünfärbung derselben bei der Fäulniss aut
einer Verbindung des Schwefelwasserstoffes mit
einem Globulin, dem „Sulfovitellin“. Auch in
brandigen Theilen des Organismus scheidet sich
aus dem Blute das Hämatin in feinen Krystallen
ab, welche ihnen eine schwarze Farbe ver¬
leihen und als Valentin’sche Brandkörperchen
bekannt sind. Anacker,
Chromiden, Chromidae. Familie der
Knochenfische aus der Ordnung der Pharyn-
gognathae, der Fische mit verwachsenen
Schlundknochen. Ausgezeichnet durch den
meist hohen, länglichen oder gestreckten
Körper, der von Kammschuppen bedeckt ist.
Mit einer Stachelstrahlen führenden Rücken¬
flosse und brustständigen Bauchflossen, kleinen
Zähnen, die nur auf den Kiefern, nicht am
Gaumen stehen. Die Chromiden umfassen
19 Gattungen mit circa 100 Arten, welche
die süssen Gewässer Afrikas und Südamerikas
bewohnen. Sie sind theils pflanzenfressend
und zeichnen sich dann durch gelappte Zähne
und zahlreiche Darmwindungen aus, theils
fleischfressend mit spitzen Zähnen. Eine der
artenreichsten Gattungen ist Chrorais Gthr.,
von der eine Art Chromis niloticus Cuv. im
Nil vorkommt und gegessen wird. Studer.
Chromidien (von yptufia, Farbe) hat
Stitzenberger die Gonidienzellen der Flechten
zu nennen vorgeschlagen. Dieselben werden
heute geeigneter einfach als „Algenzellen“
bezeichnet. Harz.
Chromogene Spaltpilze. Zahlreiche Spalt¬
pilze sondern Farbstoffe verschiedenartiger
Natur ab. Dabei können sie in allen ihnen als
Nährboden dienenden Substanzen chromogen
bleiben oder unter gewissen Bedingungen
farblos werden. So erzeugt Bacterium cyano-
genum, der Pilz der blauen Milch, in und auf
Milch, Kartoffeln, Mandelmilch, Reisbrei,
Stärkekleister, Bohnencasein reichlich einen
blauen Farbstoff, während sich dieser Pilz
auf Quitten-, Flohsamen-, Eibischschleira,
Gummilösung, Zuckersyrup und Glycerin zwar
sehr gut, aber ohne Pigmentbildung ver¬
mehrt. Die meisten bekannt gewordenen
chromogenen Spaltpilze erzeugen, wie es
scheint, immer Pigmente. Zu den chromo¬
genen Schizomyzeten gehören:
1. Micrococcen. So Mikrococcus auran-
tiacus, M. chlorinus, M. cyaneus, M. gallinarum
(8. Cholerapilz der Hühner), M. lutens, M. pyo-
cyaneus, M. prodigiosus, M. violaceus, über
welche man unter „Micrococcus“ nachschla¬
gen möge.
2. Bacterien und Bacillen. Bacterium
synxanthum, Bacterium (Bacillus) syncyanum,
beide unter „Bacterien“ (s.d.) erwähnt. Zu diesen
gesellen sich noch ferner Bacillus ruber Frank
und Cohn, Bacillus erythrosporus Cohn und
B. brunneus Schröt. Beide sind nur in der Stäb¬
chenform bekannt. — B. ruber (Fig. 390)
stellt lebhaft bewegliche Stäbchen dar, welche
häufig auf gekochtem Reis, gekochten Kar¬
toffeln u. s. w. Vorkommen und ein mennig-
rothes bis ziegelrothes Pigment abscheiden.
Die Stäbchen sind bald einzeln, bald zu 2—6
fadenförmig aneinander gereiht. Zuweilen
findet man in ihnen 2—4 fettglänzende, stark
lichtbrechende Körnchen. — B. erythrosporus.
Gleichfalls bewegliche, kurze, dünne Stäbchen,
die auf faulendem Fleischwasser, Fleischcxtract-
lösungen, Leimwasser, Eiweisslösungen etc.
als kleine, schüppchenförmige, kahmpilzartige
Inseln, bilden, im Centrum ziegelroth,am Rande
weiss,erscheinen oder zusammenhängendeHäute
darstellen. Bildet im Inneren schmutzig-rothe
Sporen. Nicht selten kommen lange, dünne,
gegliederte Fäden neben den Stäbchen und
Stäbchenketten vor, in denen dann häufig
kettenförmige Sporenbildung, ähnlich wie bei
Bacillus subtilis auftritt. Nach Verschleimung
und Auflösung der Membran sinken die ovalen
Sporen zu Boden. (Miflet in Cohn, Beitr. z.
Biol. d. Pfl. 1879. Bd. III. I.S. 128). Bacillus
(Bacteridium Schröter) brunneus wurde
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CHROMOGENE SPALTPILZE.
175
von Schröter in Mais- und in Kartoffel¬
abkochungen gefunden; sondert einen brau¬
nen, nicht näher untersuchten Farbstoff ab.
3. Sonstige Spaltpilze. Von den in¬
teressanteren gehört hieher die Beggiatoa
rubescens (Lank.), B. roseo-persicina Zopf
(Fig. 391). Nicht seltene Bewohner süsser und
salziger Gewässer, namentlich massig auftretend
in fliessenden und stehenden Wässern, welche
Fig. S91. Beggiatoa roseo-persicina. I Fadenform, theils
deutliche, theils scheinbar keine Quertheilungen zeigend.
Einige Fftden enthalten einige bis zahlreiche Schwefel-
körnchen. II Fftden, durch fortgesetzte Quertheilung bei
a in Coccen, bei b erst in Kurzscheiben, dann durch verti-
cale Scheidewftnde in Coccen zerfallend. III und IV Zoo-
glöacolonien, durch Zweitheilung der bei II gebildeten
Coccen entstanden. V Bewimperte Coccen (Monaden).
VI Desgleichen zu Schw&rmcolonien vereint. VH grossere
bei *) sich theilende Monaden. VIII Schw&rmende Bacillen
oder Vibrionen. IX Spirillen (Ophidomonas).
Cloakenausflüsse aufnehmen, oder die andere
faulende thierische oder pflanzliche organische
Substanzen reichlich enthalten. Besonders
häufig findet man den Pilz in Brauerei- und
Fabnksabwässern. Er scheint im Sommer wie
im Winter mit derselben Leichtigkeit zu ge¬
deihen. Bildet dichte Rasen und Filze als
Ueberzüge von Steinen u. s. w.; seine Fäden
sind 1—7 Mikr. dick und indem sie sich mit
dem einen Ende festsetzen, zeigen sie einen
Gegensatz zwischen Basis und Spitze. Die
Gliederung ist bald sehr deutlich, bald kaum
bemerkbar; sie wird jedoch leicht erkannt nach
der Färbung mit Anilinfarben nach der ge¬
wöhnlichen Weise, oder auf Zusatz von Pikrin¬
säure, oder Platinchlorid und Chromsäure.
Der Pilz ist in allen seinen Theilen durch
Bacteriopurpurin (s. oben) roth, violettroth
oder rothbräunlich gefärbt. Die feineren Fäden
desselben zergliedern; die Glieder runden
sich zu Coccen; die derberen Fäden zerfallen
nach Zopf durch Quertheilung der Glieder in
flache, dünne Scheiben, die abermals durch
senkrechte (der Längsachse des Fadens pa¬
rallele) Theilung in zwei Zellen zerfallen, so
dassdie ursprünglichen Gliedzellen des Fadens
in vier Tochterzellen zerfallen. Diese runden
sich ab und stellen Coccen dar, die schliesslich
sich von einander trennen, durch Zweitheilung
weiter sich vermehren und so Colonien von
sehr verschiedener unregelmässiger Gestalt
bilden, auch nach Schleimabsonderung Zoo-
glöen darstellen können. Diese Coccusformen
wurden früher von Lankaster als eigene Art
unter dem Namen Bacterium rufescens be¬
schrieben, und Cohn nannte sie (Beitr. z. Biol.
I. 3. S. 157) Clathrocystis roseo-persicina.
Die Coccen vergrössern sich später wieder: sie
können Cilien erhalten und dann einzeln als Mo¬
naden (Fig. 391 IV) oder als Kugel- oder Maul-
beercolonien (Fig. 391 V, VI) ausschwärmen,
oder sie wachsen aus zu ovalen (Fig. 391 VII)
oder sehr langen (Fig. 391 VIII) Schwärmern,
oder endlich die Coccen wachsen wieder zu Fä¬
den aus. Nicht selten trennen sich Fadenstücke
los und zeigen dann häufig Vibrionen- oder
oscillarienartige Bewegung. Die Cocci wie die
Gliederstücke der geraden oder gewundenen
Fäden können sich schraubenzieherförmig oder
spiralig winden und drehen und sich abgliedernd
zu bewimperten spirillenartigen Schwärmern
gestalten; man hat sie in diesem Stadium früher
rar selbständige Organismen gehalten und als
Ophidomonas bezeichnet. Hieher gehört Ophi-
dom. sanguinea Ehrbg. Alle diese Formen
entstehen gewöhnlich oder manchmal nicht
gleichzeitig neben einander. Verschiedene Er¬
nährungsweisen, wohl auch Temperaturen,
scheinen die eine oder die andere dieser
Formen vorzugsweise entstehen zu lassen.
Bemerkenswerth ist der reiche Gehalt
an Schwefelkömchen, der gleich wie bei Beg¬
giatoa alba (s. Ophidomonas) bei den ruhenden,
wie bei den schwärmenden Zuständen sich
bemerkbar macht. Sie besitzen die Fähigkeit,
gelöste Sulfate unter Abscheidung von H a S
zu reduciren und dabei Schwefel in der Form
kleiner Körnchen (Fig. 391IV, V, VI, VII, VIII)
in sich abzulagern. Von ihnen bewohnte Ge¬
wässer haben daher nicht selten einen starken
Geruch nach Schwefelwasserstoff.
Zu dieser Pilzart gehören mehrere, meist
schwärmende Formen, die man früher für eigene
Arten gehalten hat. So Monas vinosa Ehr.,
welche das Wasser oft weinroth färbt und aus
2—4 Mikr. grossen, kugeligen oder ovalen
Schwärmern (Fig. 391 HI—VI) besteht. Ferner
gehören hieher: Bacterium rubescens, Monas
Okenii, M.erubescens, M.gracilis, Chromaticum
(Monas) violascens, Monas Warmingii, Rhabdo-
monas rosea, Spirillum sanguineum, S. viola-
ceum, Merismopedia littoralis, M. Reiten -
bachii etc.
Die chemischen und physikalischen Eigen¬
schaften der von den Spaltpilzen abgeschie¬
denen Pigmente differiren theilweise in hohem
Grade; indessen weiss man zumal über deren
chemische Constitution und sonstige Eigen¬
tümlichkeiten bis jetzt noch sehr wenig.
Einige derselben, so namentlich der von Micro-
coccus prodigiosus abgeschiedene Farbstofi.
176
CHROMOGERE SPALTPILZE.
sind den Anilinfarbstoffen vielleicht naheste¬
hend. Nach ihren Löslichkeitsverhältnissen
und der Art der Farbe zerfallen die wich¬
tigsten:
1. In Alkohol, Wasser und Säuren un¬
löslich: a)Das Bacteriopurpurin.Sonannte
Lankaster den bei Beggiatoa, bereits unter
„Bacterien u (s. d.) kurz citirten Farbstoff.
2. In Alkohol löslich, in Wasser un¬
löslich, hieher:
Rothe Pigmente, a) Das Pigment der
Rosahefe, Saccharomyces glutinis Fres. b) Das
Pigment von Micrococcus prodigiosus. Ein
blutrothes Pigment bei neutraler Reaction,
geht es bei Ueberhandnahme freien Alkalis
in Orange, Ziegelroth und Gelb nach Schröter
über. Die alkoholische Lösung reagirt neutral,
ist gelbroth, beim Abdampfen hinterbleibt ein
karminrother Rückstand. Aether löst davon
Etwas auf, ohne sich selbst zu färben: auf
Zusatz von Essigsäure tritt jedoch lebhaft
rothe Färbung ein. Alkali färbt die alko¬
holische Lösung gelb. — Schwefel-, Salpeter-
und Essigsäure färben das Pigment zuerst
roth, dann violett oder veilchenblau. Auf Zu¬
satz von grösseren Mengen Schwefelsäure,
Salpetersäure, oder von wenig Salzsäure wird
jedoch der Farbstoff zerstört. Alkalien ver¬
wandeln die rothe Farbe durch Orange in
Gelb. Säuren stellen Roth wieder her. In
Rexroth’s Spectroskop, dessen Spectrum durch
eine Scala in 150 Theile getheilt, und wo
der Anfang des Natriumstreifens auf 50 zu
stehen kam, zeigte die concentrirte alkoho¬
lische Lösung jenseits 59 vollkommene Ab¬
sorption aller Strahlen, die verdünntere Lösung
ein schwarzes Absorptionsband von 62—68, so¬
dann Verdunkelung, von 75 wieder vollständige
Absorption. — Die mit etwas Essigsäure ver¬
setzte Lösung zeigte bei starker Concentration
die scharf abgeschnittene Absorption schon
von 56 an, bei Verdünnung war die Absorption
von 59 an scharf abgeschnitten, etwas Blau
und Violett schimmerten von 100 an durch.
Bei noch grösserer Verdünnung schwarzer
Absorptionsstreifen von 59—80, dann Ver¬
dunkelungen bis 110 u. s. w. — Fuchsin¬
lösung zeigte ein ähnliches, jedoch keineswegs
identisches Verhalten; es istnicht, wie Erdmann
seinerzeit nachzuweisen suchte (Journ. f. pract.
Chem., herausgegeben von Erdmann und
Werther. Leipzig 1866, p. 385—407), mit den
Anilinfarbsoffen nahe verwandt.
Gelbe Pigmente, c) Micrococcus lu-
teus.
3. In Wasser lösliche Pigmente kommen
vor bei: a) Micrococcus aurantiacus Cohn.
(1. c. Bd. I. 2. p. 154.) Das Pigment ent¬
steht namentlich reichlich bei der Cultur auf
Kartoffelscheiben, b) M. chlorinus. Dieses
Pigment wird auf Säurezusatz nicht geröthet,
sondern entfärbt, c) M. cyaneus Cohn und
Schröter (Bd. I. 2. p. 122, 156). Schön dunkel¬
blau, zuweilen grünblau; wird durch Säuren
roth, durch Alkalien wieder blau, nähert
sich demnach dem Lacmuspigment, fluores-
cirt nicht und besitzt ein Spectrum ohne Ab¬
sorptionsstreifen, jedoch ist die schwächer
brechende Hälfte etwas verdunkelt. Ist auch
in Alkohol löslich, d) M. violacens. Pigment
chemisch nicht näher untersucht, entsteht
namentlich reichlich bei der Cultur des Pilzes
auf gekochten Kartoffelscheiben, e) B. synxan-
thum. Das Pigment der gelben Milch (s. u.
„Bacterien“). f) B. cyanogenum (Fig. 392), B.
syucyanum (s.u. „Bacterien“). Der Farbstoff der
Fig. 892. Bacterlum cyanogenum« 1 Bacterien. II Des¬
gleichen, von Gallertkapseln umschlossen. III laolirte Indi¬
viduen und Reihen von Bacterien und Micrococcen. IV Ba¬
cillen. V Desgleichen, mit beginnender Sporenbildung.
blauen Milch, der ihn erzeugende Pilz kommt
hauptsächlich in dem Küstengebiet der Ostsee,
resp. in der norddeutschen Tiefebene vor. Das
Pigment lässt sich auf jeder Art von Milch
(Mensch, Schaf, Ziege, Stute, Esel und Hund)
durch Impfung vermehren. Ebenso produciren
dasselbe die Organismen auf Mandelmilch, Kar¬
toffeln, Reisbrei, Bohnencasein, Arrow-root,
sodann nach Steelsen in einer Mischung von
neutralem milchsaurem Ammoniak und der
Cohn’schen Nährlösung für Bacterien, nicht aber
auf Hühnereiweiss, Blutserum, chemisch rei¬
nem Casein, Eibisch-. Schwarzwurzel-, Quitten¬
schleim, Salep, Gummi arabicum, Gummi Tra-
ganth, Hausenblase u. s. w.
Im Lichte ist das Pigment sehr leicht
zerstörbar. Mineralsäuren, Alkalien und Salze,
Chlor u. s. w. wirken nicht oder nur sehr langsam
auf den Farbstoff ein. Erdmann glaubte seiner¬
zeit (1. c.), derselbe sei gleich dem des Hostien¬
blutes ein Körper der Anilingruppe. Und Neelsen
fand das spectroskopische Verhalten ähnlich
dem von Triphenyl-Rosanilin (Cohn. Beitr. III.2,
pag. 213). Beide geben einen Absorptions¬
streifen im Gelb. Durch Behandlung mit
Kalilauge erhält man aus dem Milchblau
einen ziegelrothen Farbstoff, der nach Neelsen
in seinem spectrischen Verhalten Aehnlichkeit
mit Eosin zeigt. Da er jedoch in Alkohol
fast unlöslich ist, Eosin sich aber sehr leicht
darin löst, so können sie nicht identisch sein.
Er löst sich besonders leicht in säurehaltigem
Wasser und in Glycerin, ist aber unlöslich in
Aether, Chloroform, zersetzt sich höchst leicht,
z. B. in wässeriger Lösung schon während
CHROMSÄUREPILZE. — CHRYSANTHEMUM.
177
der Filtration; in Glycerin gelost verblasst
er bei Luftzutritt schon nach wenigen Stunden,
im Dunkeln nach 1—2 Tagen. Säuren ver¬
ändern das Blau nicht, Ammoniak erzeugt
einen violetten Ton, kaustische und kohlen¬
saure fixe Alkalien verwandeln ihn in einen
schön rothen, gelöst bleibenden Farbstoff, der
schliesslich ziegelroth wird und schwach
fluorescirt. Durch Kochen wird der Farbstoff
zerstört. Die einfachen Bacterien sind 2 * 5 bis
3*5, die Doppelbacterien 5*5—6*0 Mikr. lang,
sehr mobil, die Mikrococcen ca. 1—1*5 Mikr.,
die Bacillen 10—18 Mikr. lang, g) Micro-
coccus pyocyaneus Gessard, erzeugt den Farb¬
stoff des „blauen Eiters“, der von Fordos
genau studirt und als Pyocyanin bezeichnet
wurde. Löslich in Wasser und in Chloroform;
krystallisirt aus Chloroform in langen Nadeln,
zuweilen in Lamellen und Prismen. Die neu¬
trale wässerige Lösung ist blau, die an¬
gesäuerte roth; letztere wird durch Alkalien
wieder blau und verhält sich so ähnlich wie
Lackmus. Reducirende Stoffe färben das Pig¬
ment gelb, durch oxydirende Substanzen geht
es in Pyoxanthin über, das gleichfalls im
„blauen Eiter“ enthalten ist. Gold-, Platin-
und Quecksilberchlorid, Phosphormolybdän -
säure und Tannin fällen das Pyocyanin, Ferrid-
cyankalium wird zu Ferrocyankalium reducirt.
Die rothen Pigmente von Bacillus ruber
und B. erythrosporus (s.u. „Bacterien“) und das
in im Alkohol lösliche violette Pigment von
Bacterium ianthinum sind bis jetzt weder
physikalisch noch chemisch genau unter¬
sucht worden. Hart.
Chromsäurepilze nannte Zürn Pilzvege¬
tationen, die in schwachen Lösungen von
Chromsäure auf und neben den zu erhärten¬
den Objecten Vorkommen. Offenbar lagen sterile
Mycelien von Mucor spec., vielleicht auch von
Aspergillus glaucus vor. Wenn auch die ge¬
gebenen Daten keinerlei Anhaltspunkte liefern,
welche Pilzarten überhaupt Vorgelegen haben
können, so ist doch das Factum, dass Pilze
in stickstoffhaltigen Lösungen von Chrom¬
säure zu wachsen vermögen, nicht ohne ein
gewisses Interesse. Hart.
Chronische Krankheiten (von xpovos, lang-
dauernd), lange andauernde oder lebens¬
längliche, meist fieberlose Krankheiten, im
Gegensätze zu den schnell verlaufenden, fieber¬
haften, acuten Krankheiten (s. d.). Gewöhnlich
bezeichnet man Krankheiten, die länger als
40 Tage andauern, als chronisch; es lässt sich
aber eine scharfe Grenze zwischen acuten
und chronischen Krankheiten nicht ziehen,
da sehr schnell verlaufende schon nach 14 Tagen
als chronisch und lebenslängliche als acut
bezeichnetwerden, wenn sie in einigen Monaten
mit dem Tode enden. Chronische Krankheiten
sind: Rotz. Tuberculose, Herzleiden, Ne ubildun-
gen, Steine, Parasiten, veraltete Katarrhe etc. Sr.
Chrono« (6 xpo'vog), Zeit, tritt in man¬
cherlei Zusammensetzungen auf, um damit
einen Zustand oder Vorgang als langwierig,
dauernd etc. zu bezeichnen, z. B. in
Chronhepatitis, eine chronische, also
langdauernde Leberentzündung etc.
Koch. Encyklopidle d. Thierheilkd. II. Bd.
Chroniometrorrhoea (von xpo'voc, ^
jAetpa, Gebärmutter, und ij Fluss), chro¬
nischer Gebärmutter- (Schleim-) Fluss etc. Sf.
Chrudimer Pferd. In dem 61 Quadrat¬
meilen grossen Kreise Ostböhmens am Abhang
der Sudeten und auf dem böhmisch-mährischen
Plateau wird seit ältester Zeit die Züchtung
eines sehr brauchbaren Pferdeschlages betrie¬
ben, der weit über die engeren Grenzen seiner
Heimat bekannt ist und von verschiedenen
österreichischen Hippologen als einer der be¬
sten im ganzen Königreiche Böhmen hinge¬
stellt wird. Die Rosse des fraglichen Schlages
eignen sich ganz vortrefflich für den Dienst
in der schweren Cavallerie, können aber auch
grösstentheils zu Artillerie-Bespannung, wie
zum Kutschdienste verwendet werden. Die
weniger schön gewachsenen Exemplare benützt
man in den dortigen Gross- und Klein-Wirth-
schaften zur Feldarbeit und ein ansehnlich
grosser Procentsatz der Chrndimer Fohlen
kommt alljährlich in den Handel. Zur Regie¬
rungszeit des Kaisers Josef H. wurden in jener
Gegend holsteinische und mecklenburgische
Hengste eingeführt, die viel zur Verstärkung der
alten Rasse beigetragen haben; später benützte
man englische und eine kurze Zeit sogar spa¬
nische und neapolitanische Beschäler zur Ver¬
besserung und Veredlung der Chrudimer Zucht.
Die Figuren wurden in Folge dessen schöner
und die Gangarten der Thiere gefälliger, so
dass viele derselben in den Staatsequipagen
erscheinen konnten. Im kaiserlichen Gestüte
zu Kladrub — unweit Pardubitz — ist der
Typus des Chrudimer Pferdes am schönsten
vertreten. Siehe unter „Kladrub“. Freytag.
Chrysamminsäure entsteht als wichtig¬
stes Oxydationsproduct der Aloö mittelst
Salpetersäure neben Picrinsäare und Oxal¬
säure. Die Säure bildet in Wasser schwer
lösliche gelbe Krystalle, ist leicht löslich in
Alkohol und bildet mit Kalilauge grüne
Krystalle von chrysamminsaurem Kali. Die
Chrysamminsäure wurde von Liebermann
und Giesel als Tetranitrodioxvanthrachinon,
C 14 H 4 (N0 # ) 4 0 t , aufgefasst und ist demnach
ein Derivat des Anthracens. Loebisch.
Chrysanthemum, Chamomilla, Ph. A.
(Compositae-Senecionideae) L. XIX., das Ka¬
millen-Mutterkraut, auf wüsten und bebauten
Orten durch ganz Europa wachsend (s. Ma-
tricaria Chamomilla Ph. G.). Vogel .
Chrysanthemum Leucanthemum L.
(Leucanthemum vulgare Lamk), gemeine Wu¬
cherblume. Perennirendes Kraut aus der Fa¬
milie derCompositen mit aufrechtem, einfachem
aber schwach verzweigtem Stengel, 0 • 3—0 * 6 m
hoch, kahl oder schwach behaart. Grund¬
ständige Blätter, verkehrt eirund und kurz ge¬
zähnt, lang gestielt, Stengelblätter schmal,
sitzend, mit wenigen kurzen Zähnen. Blüthen-
köpfchen einzeln, gross, Hüllblättchen mit
braunem Hautrande; Scheibenblüthchen gold¬
gelb, zahlreich, klein, Strahlenblüthen weiss,
mehr als 10 mm lang. Blüthe: Juni bis
August. Kommt sehr häufig auf Wiesen und
Weiden vor und wird vom Vieh sehr gerne
gefressen. v. Liebenberg .
12
178 CHRYSANTHEMUM.
Chrysanthemum scgetum L., Saat-Wu¬
cherblume; einjährige Pflanze, aus der Familie
der Compositen mit aufrechtem, kahlem bis
30 m hohem Stengel mit wenigen sparrigen
Zweigen. Untere Blätter gestielt, verkehrt
eirund, obere schmäler, mit herzförmigem
Grunde den Stengel umfassend, an der Spitze
verbreitert und gewöhnlich mit drei tief ein¬
geschnittenen Zähnen. Blüthenköpfchen gross,
Hüllblättchen mit breitem Hautrande. Strahlen-
und Scheibenblüthchen gelb. Bliithe vom Juni
bis September. Es ist diese Pflanze eines der
schädlichsten Unkräuter, besonders in Sommer¬
getreide auf Lehmboden. Seine Verbreitung
ist eine sehr bedeutende, weil die Samen
verfliegen. Zu seiner Bekämpfung ist noth-
wendig, dass sie gemeinschaftlich von den Be¬
wohnern einer ganzen Gegend vorgenommen
wird, und zwar durch Jäten, Verhinderung
der Samenbildung, durch Hackfrucht und Grün-
futterbau, eventuell durch Brache, v. Lg.
Chrysarobin bildet zu ungefähr 80 Per¬
cent den wirksamen Bestandtheil des sog.
Bahiapulvers (s. d.), aus welchem es durch
kochendes Benzol extrahirt werden kann. Es
ist ein Reductionsproduct der Chrysophan-
säure (8. d.). Das Chrysarobin erscheint als
blassgelbes, warzig-krystallinisches Pulver,
leicht löslich in Benzol, Eisessig und Chloro¬
form; die Lösung in erwärmter Kalilauge
wird bei Berührung mit Luft roth gefärbt —
Umwandlung in Chrysophansäure. Ueber die
therapeutische Anwendung siehe Bahia¬
pulver. Loebisch.
Das Chrysarobin verursacht in Sal-
benform eine starkes Erythem der Haut und
wird besonders in der Menschenheilkunde gegen
Exantheme mit Vorliebe angewendet, hat aber
bei denselben Krankheiten der Hausthiere den
gehegten Erwartungen nicht ganz entspro¬
chen. Seine Anwendung ist bei der Stamm¬
pflanze Andira Araroba näher angegeben. VI.
Chrysoberyll. Ein Beryll enthaltendes was¬
serfreies Silicat, welches in rhombischen rectan-
gulären Säulen in Krystallen von bedeutender
Grösse im Glimmerschiefer in Marschendorf
(Mähren) und im Granit in Amerika, in Ge¬
schieben und Flüssen in Ceylon vorkommt.
Bruch muschelig, Härte 8 * 5, specifisches Ge¬
wicht 3*65—3*8, glasglänzend, Seitenflächen
vertical gestreift, grünlich weiss, olivengrün,
grünlich grau, selten smaragdgrün. Die durch¬
sichtigen Varietäten dienen als Schmuck¬
steine. Loebisch.
Chrysolith (aus xpoco'Ci Gold, und X&oc,
Stein), gehört zu den wasserfreien Silicaten
und besteht aus Talksilicat mit Eisenoxyd ver¬
bunden. Er krystallisirt in rhombischen Prismen
und wird in dieser Form edler Chrysolith genannt,
während der in rundlichen Massen, in Körnern
eingesprengt vorkommende als gemeiner
Chrysolith, auch als Olivin bezeichnet wird.
Der edle Chrysolith kommt besonders in Ober-
egypten und Brasilien vor und wird als Edel¬
stein verwerthet, während der Olivin in Basalt
und Lava eingewachsen gefunden wird. Der
Chrysolith hat muscheligen Bruch, weissen
Strich, Härte 6*5—7, specifisches Gewicht
— CHURRA-SCHAF.
3*3, ist durchsichtig, oliven- oder spargelgrün¬
gelb, zuweilen ins Blaue spielend. Loebisch.
Chrysophansäure (von ypooo's, Gold, und
<patWv, scheinen), C 15 H 10 0 4 , findet sich in meh¬
reren Flechten, in den Wurzeln mehrerer Rheum-
Arten, in der Rhabarberwurzel, in den Blättern
und Wurzeln verschiedener Sauerampferarten,
auch in den Sennesblättem und wird am besten
aus der gepulverten Rhabarberwurzel mit
schwachem kalihaltigen Weingeist extrahirt,
in die abfiltrirte Flüssigkeit wird Kohlensäure
eingeleitet, W'obei sich die Chrysophansäure in
gelben Flocken abscheidet. Durch wieder¬
holtes Umkrystallisiren zuerst in Benzol, dann
aus Eisessig oder Weingeist erhält man
die Chrysophansäure in orangegelben, gold¬
glänzenden Nadeln. Sie löst sich kaum in
kaltem, etwas mehr im kochenden Wasser.
Von 'wässerigen Alkalien und Ammoniak wird
sie mit schön rother Farbe gelöst. Mit Zinkstaub
erhitzt entsteht aus Chrysophansäure Methyl-
anthracen. Die Chrysophansäure geht auch in
den Harn über, wenn Rheum als Medicament
verabreicht wurde. Der saure Harn der Carni-
voren erscheint hiedurch gelb, grüngelb bis
bräunlich gefärbt, der alkalische Harn der
Herbivoren erscheint mehr orange- bis braun-
roth gefärbt, wodurch immerhin ein Verdacht
auf Blutfarbestoff entstehen kann. Fügt man
zu einem Harn, der Chrysophansäure enthält,
Kalilauge, so wird er scharlachroth, auf Säure¬
zusatz schwindet die Farbe wieder. Die durch
Alkalien erzeugte Rothfärbung verschwindet
auch unter der Einwirkung reducirender Mittel,
z. B. nach Zusatz von Zinkstaub. Loebisch.
Chrysopras (aus xpoads, Gold, und itpaoioc,
lauchgrün), gehört zu den Quarzen, und zwar
zu dem nur selten und in kurzen Säulen kry-
stallisirenden gemeinen Quarz. Der Chrysopras
kommt in Platten und stumpfeckigen Stücken
im Serpentin bei Frankenstein in Schlesien
vor, er zeigt splitterigen Bruch und ist apfel-
grün, grünhchweiss und olivengrün gefärbt Die
grüne Färbung rührt von Nickeloxyd her. Lh.
Chunos. Nach einem in Peru üblichen
Verfahren conservirte Kartoffeln. Die im Was¬
ser ordentlich durchgeweichten Kartoffeln
lässt man gefrieren, wäscht sie alsdann und
presst sie, wobei die Schale abfällt. Die so
entschälten Knollen werden schliesslich an der
Sonne oder durch Ofenwärme getrocknet und
werden dadurch in einen steinharten, die
weitere Aufbewahrung ohne besondere Um¬
stände ermöglichenden Zustand versetzt. Sie
enthalten nach Meissl: 13*03% Wasser,
0 * 4 % Zucker, 0 * 6 % Dextrin u. dgl., 81 * 84 %
Stärke, 2*31% Protein, 014% Asparagin,
1 * 13 % Rohfaser, 0 * 18 % Fett, 0 * 36 % Asche. Pt.
Churra-Schaf oder Burdosschaf. Die
ersten Mittheilungen über dieses Schaf bringt
uns Lasteyrie in seinen Abhandlungen über das
spanische Schaf aus dem Jahre 1800. Das¬
selbe gehört darnach nicht zu den „Wander¬
schafen“ Spaniens und gibt die gröbste Wolle
(Lana churra heisst auch die Wolle dieser
Thiere, Panno burdo, grobes Tuch). Die Thiere
sind grösser und länger als die Merinos
Spaniens. Der feine kleine Kopf, so wie die
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CHYLASMA. — CHYLUSGEFÄSSE.
179
dünnen Beine sind nicht mit Wolle bedeckt.
Nach Petri („Das Ganze der Schafzucht“ 1825)
sind die Churras in der Grösse des Körpers,
der Gestalt des Kopfes, der Füsse und des
Wuchses, sowie auch in der Farbe des nackten
Bauches, der rothen Füsse etc. dem Muflon
ähnlich, was Fitzinger veranlasst, die Churras
als aus einer Kreuzung der Merinos mit dem
Muflon entstanden anzunehmen. Die männ¬
lichen Thiere sind fast immer gehörnt, die
Hörner denen des Merinowidders sehr ähn¬
lich, die weiblichen Thiere stets ungehörnt.
Die Wolle ist eine durchaus markfreie,
nicht zu tief gestappelte und eignet sich daher
noch zur Herstellung gewalkter Stoffe; die
Farbe derselben wechselt bald einfarbig,
gelblich weiss, röthlich, braun oder schwarz,
bald scheckig. Auch für die Mästung soll
sich das Thier ganz gut eignen, bei gutem
Futter rasch zunehmen und ein schmackhaftes
Fleisch liefern. In den Gebirgsgegenden ist
dieser Schlag kleiner und behender, er wird
dort Aconchadas genannt. Bohm .
Chylasma (von yoXoöv, zu Saft machen),
nach Eisenmann die eiterartige Flüssigkeit
aus Geschwüren und üppig granulirenden, in
der Heilung begriffenen Wunden. Sussdorf
Chylurie, von yokds, Chylus, Speisesaft,
und o5?ov, Harn, auch Galacturie oder Fibri-
nurie genannt, ein Zustand, wobei der Harn eine
milchige Färbung annimmt und reich an Fett,
Albumin und Lymphkörperchen w ird (die wahr¬
scheinlich aus den Lymphgefässen der Nieren
stammen). Die Chylurie tritt meist perioden¬
weise bei sonst ganz gesunden Individuen auf
und ist nicht zu verwechseln mit Pyurie bei
Katarrhen und Entzündungen der Harnwege
und mit Albuminurie bei Nierenentzündungen.
Therapie: Adstringentien, Tannin.
Literatur: Lionel Beate, Golding Bird, Neubauer,
Vogel. Semm . r.
Chylus. Unter Chylus versteht man die¬
jenige gerinnbare Flüssigkeit, welche sich in
den Cbylusgefassen findet und durch Resorption
aus dein Darmcanale in dieselben gelangt
Der Chylus ist also zum grossen Theile ein
Verdauungsproduct, verdaute und resorbirte
Nahrung. Er besteht aus einer Flüssigkeit und
geformten Elementen. Die Flüssigkeit trägt
wesentlich die Eigenschaften des Blut- und
Lymphplasmas an sich. Sie enthält die
Fibringeneratoren, Alkalialbuminate, Serum-
albumin, Paraglobulin, Pepton, Leucin, Zucker,
milchsaure Salze u. dgl. und zeigt Verschieden¬
heiten je nach der Natur und Menge der ge¬
nossenen Nahrung, dem Verdauungs- und Re¬
sorptionsvermögen der Thiere etc. An ge¬
formten Elementen findet man im Chylus
Leucocyten, Elementar- und besonders Fett¬
körnchen. Der reichliche Gehalt an Fett¬
kügelchen charakterisirt den Chylus. er ist
so bedeutend, dass der Chylus ein milchiges
Aussehen erhält (daher der Name, Milchsaft),
^nnd gewissermassen eine Fettemulsion, wie
aie Milch, darstellt. Die Fettkörnchen messen
2—4 p. im Durchmesser, sind mit einer
eiweissartigen Hülle umgeben und lassen die
Brown’sche Molecularbewegung erkennen. Die
Lymphkörperchen (Leucocyten) treten im Chylus
in geringerer Menge als in der Lymphe auf.
Sie bestehen aus einem gequollenen Eiweiss¬
körper, dem löslichen Paraglobulin, Lecithin,
Cerebrin, Cholesterin, Fett, Nuclein etc. Aus
der Zusammensetzung des Chylusplasma und
der Lymphkörperchen und der Thatsache des
bedeutenden Fettgehaltes erkennt man den
Gehalt des Chylus an organischen Körpern.
Man findet dieselben unorganischen Stoffe,
wie im Blute und der Lymphe. Carl Schmidt
fand in 1000 Theilen Chylus vom Pferde:
Chlornatrium.5*84
Natron.1*17
Kali.0-13
Schwefelsäure .0*15
Phosphorsäure.0*05
Phosphorsauren Kalk.0*20
Phosphorsaure Magnesia . .0*05
Eisen in Spuren.
Die Mengen des Chylus sind schwer bestimmbar.
Sie nehmen während der Verdauung zu, so
dass sich dann die weissen Chylusgefässe in
praller Füllung im Mesenterium und Darm¬
canale scharf markiren. Während des Hungern
nimmt die Chylusmenge ab, die Gewisse col-
labiren und sind nicht mehr sichtbar. Eg.
Chylusgefässe nennen wir die Lymph-
gefässe der die Nahrungsstoffe absorbirenden
Organe, des Magens und Darms (exclusive
Mastdarms). Sie führen nach Passirung der
Mesenterialdrüsen die Lymphe dieser Organe
gemischt mit einem Theile der aus demMagen-
und Danninhalt aufgesaugten Nahrungsstoffe
dem Milchbrustgange zu. Die Wurzeln dieser
Gefässe müssen demgemäss derBedeutung der¬
selben als Absorptions- und Resorptionsorgane
nach nicht blos mit den Spalten und Lücken
des Gewebes, in dem sie entspringen, sondern
auch mit dem Darmlumen in directer oder
indirecter Verbindungstehen. Die Saftcanälchen
des Organparenchyms verhalten sich zu ihnen
wie in allen anderen Organen, offene Com-
municationen lassen diese „wandungslosen“
Gänge in die Lymphgefässeeintreten(s.Lymph-
gefässe). Die Zugangspforten für die auf¬
gesaugten Nahrungsstoffe sind keine eigent¬
lichen Stomata an der inneren Darmoberfläche,
sondern hier vermitteln dünne Wandungen
(Epitheloberhäutchen, poröses Gewebe der
Schleimhaut) einen indirecten Diffusions- und
Filtrationsverkehr zwischen dem Darminhalt
und den-in der Darmwandung gelegenen Lymph-
capillaren; auch die dem adenoiden Gewebe
der Schleimhaut reichlich eingesprengten
Lymphoidzellen sowie die Darmepithelien selbst
scheinen sich vermöge ihres Migrationsver¬
mögens, resp. ihrer Contractilität dabei
wesentlich zu betheiligen (s. Resorption). Im
eigentlichen Verdauungsmagen (rechte Magen¬
ab theilung des Pferdes und Schweines, Lab¬
magen des Wiederkäuers, Magen der Fleisch¬
fresser), wie im Darme bilden die Wurzeln der
Chylusgefässe in die verschiedenen Wandungs¬
schichten eingefügte Netze. In der Schleim¬
haut des Magens und Darmes beginnen sie
als „oberflächliche Chylusgefässe“ vielfach
zwischen den Drüsen und in den Zotten mit
12*
180 CHYMIFICATION. — CICÜTA VIROSA.
kolben artig erweiterten Stämmchen (centraler
Chylusraum) oder schlingenförmig; vielfach
existiren in den oberflächlichen Lagen der
Schleimhaut, wie im Blinddarm des Pferdes
(Ellenberger), capilläre Lymphgef&sse über¬
haupt nicht. Es finden sich dann, wie in den
Organparenchymen, nur „wandungslose“Gänge,
welche, wie die tieferen Schleimhautschichten,
ihre Lymphe zu einem submucösen Lymph-
gefässnetze führen, das auch die oberfläch¬
lichen, zunächst die Lymphfollikel des Darmes
passirenden Ghylusbahnen schliesslich auf¬
nimmt. Die aus diesem tieferen Netze hervor¬
gehenden, nunmehr klappenhaltigen Lymph-
gefasse durchbohren die Muskellage der Darm¬
wand und empfangen hiebei die Abzugscanäle
der vielschichtigen Netze, welche die Lymph-
gefüsse in der Muskelhaut herstellen. An dem
Gekrösrande des Darmes, an der kleinen und
grossen Curvatur des Magens anlangend, treten
sie in die betreffenden Bänder, resp. Gekröse
ein, passiren vor oder nach Durchsetzung
derselben die benachbarten Lymphdrüsen (s. d.)
und vereinigen sich nun, vom Darm kommend,
zu dem Truncus lymphaticus intestinorum,
dem Saugaderstamme des Darmes, der sich
mit dem Truncus coeliacus, dem Eingeweide¬
stamm, dem Sammelstamm der Lymphe von
Magen, Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse, ver¬
bindet. Die LymphgefÜsse des Magens fliessen
an dessen Blindsack mit den Milzlymphgef&ssen
zusammen und bilden so mit diesen den An¬
fang jenes Eingeweidestammes. Näheres über
die LymphgefÜsse der Bauchorgane (s. „Lymph-
gefässe“). Sussdorf.
Chymiflcation. Man verstand darunter die
Umwandlung der aufgenommenen Nahrungs¬
mittel in eine dünnbreiige Masse, den Chymus
(s. „Verdauung 11 ). ElUnberger.
Chymus. Als Chymus, Speisebrei, be-
zeichnete man den Mageninhalt, wie er sich
nach Ablauf der Magenverdauung präsentirt
und in das Duodenum übergeht. Thatsächlich
trifft man bei den Haussäugethieren einen
wirklichen Speisebrei nur ausnahmsweise an.
Der Mageninhalt erscheint bei denselben mehr
trocken als breiig (s. „Verdauung“). Er.
Cicatricula (Deminut. von cicatrix), kleine
Narbe, nennt man vielfach die Keimscheibe
des Vogeleies, eine kaum linsengrosse, ca.
0 3 mm dicke Lage weissen Bildungsdotters
an der Oberfläche des Vogeleidotters, von wel¬
cher aus die Entwicklung des Embryo ihren An¬
fang nimmt (s. „Ei u. Embryologie“). Sussdorf.
Cicatrisatio (neulat.), Narbenbildung,
Vernarbung. Sussdorf.
Cicatrix, (abgel. von ^ xm'c oder xtxos,
der hervorquellende Saft und latpt£, Hei-
lung), Narbe. Sussdorf.
Cichorie gemeine oder Wegwartwurzel,
stammt von Cichorium Intybus und liefert
die bekannte Culturpflanze, die als Kaffeesur¬
rogat dient und kaum mehr eine arzneiliche Be¬
deutung hat. Sie gehört den Corapositen (Zun-
genblüthern,Cichoraceae,L.XIX)an und wächst
auch überall an Wegen und Rainen wild. Vgl.
Cichorienwurzei und -Blätter als
Futtermittel. Die Wurzeln der Cichorie
(Cichorium Intybus), die für gewöhnlich nur
behufs Darstellung des bekannten Cichorien-
kaffee-Surrogates cultivirt wird, bilden ein be¬
liebtes Beifutter für Pferde, denen man davon
bis zu 1J/* 1 per Haupt im zerkleinerten Zu¬
stande gibt. Die Pferde bekommen danach
angeblich ein glänzenderes Haar und soll die
Cichorienwurzel vor Allem zur Gesunderhal¬
tung der Haut beitragen. Die mitunter ausge¬
sprochene Meinung, dass anhaltender Cicho¬
riengenuss bei Menschen und Thieren die Seh¬
kraft schwäche, beruht wohl auf einem Irr-
thum.
Die Cichorienblätter gelten als ein
vorzügliches Milchfiitter. Sie lassen sich aber
nicht trocknen, indem behufs Einheimsung
der Cichorienwurzeln die Blätter mit der
Wurzelkrone abgehauen werden müssen und
weil nämlich die letztere leicht anfault. Man
muss sie daher behufs Conservirung in Braun¬
heu umwandeln oder einsäuern. Frische Blätter
enthielten bei 54*4% Trockensubstanz, 9*2%
Protein, 25*2% stickstofffreie Extractstoffe,
2*3% Fett und 8*2% Holzfaser; Cichorien¬
braunheu: 68*7% Trockensubstanz, 11*1%
Protein, 2*8% Fett, 30*9% stickstofffreie
Extractstoffe, 10% Holzfaser. Das Braunheu
und die frischen Blätter sind also sehr protein-
reich. Pott.
Cicuta vlr 08 a, giftiger Wasserschierling,
eine bei uns überall an Gräben, Sümpfen und
Flussufern wachsende Schirmpflanze (Umbelli-
florae—Umbelliferae), L. V. 2, unser giftigstes
Doldengewächs. Der Stengel ist 1 • 5 m hoch,
rund, röhrig, ästig, die grossen langgestielten
Blätter sind zwei- bis dreifach gefiedert, Fieder¬
lappen lineallanzettlich, gesägt, die Dolde ist
zusammengesetzt, meist ohne Hülle, die Hüll-
chen vielblättrig, borstenförmig, Blüthe (Juli,
August) weiss, die Früchte kugelig. Der unter¬
irdische Theil des Stengels ist nur walzen¬
förmig verdickt, wird aber doch als „Wurzel 1
bezeichnet; diese ist hellbraun, geringelt, mit
zahlreichen Fasern besetzt und fleischig. Auf
dem Durchschnitt bemerkt man circa zehn
viereckige, fast parallel übereinanderstehende
Fächer, welche einen hochgelben stinkenden
Saft enthalten, die Pflanze riecht überhaupt
eigenthümlich und ist schon deswegen ver¬
dächtig, weil auch die Ausdünstung Schwindel
erregt. Trotzdem dass der besonders in der
Wurzel enthaltene giftige Bestandteil, ein
harzartiger Stoff, Cicutoxin (fast identisch mit
dem Pikrotoxin der Kokkelskörner, s. Anamirta
Cocculus), zu den bei uns häufigsten vegeta¬
bilischen Vergiftungen Veranlassung gibt,
berichtet die Literatur nur wenig von den In-
toxicationserscheinungen; Taumeln und Be¬
wusstlosigkeit, brennender Schmerz in der
Magengegend, Kolik, Erbrechen, Schaum vor
dem Munde, Mydriase, epileptiforme Krämpfe
sind die Haupterscheinungen. Der Wasser¬
schierling wird nicht mehr in der Heilkunde
angewendet, in der er t unter die Narcotica zu
rechnen wäre, welche hauptsächlich auf das
peripherische Nervensystem einwirken, denn
Grosshirn und Rückenmark werden nicht an¬
gegriffen oder doch nur secundär, und der
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CICUTOXIN.
Tod erfolgt, nachdem heftige Erregung im
verlängerten Mark vorhergegangen, unter Läh¬
mung der Respiration. Sonach hat die Cicuta
ausschliesslich nur Intoxicationsinteresse und
besteht die Behandlung in Brechmitteln, dann
in Verabreichung von Opium, Chloroform, ganz
besonders aber von Chloralhydrat. Vogel.
Cicutoxin, die wirksame Substanz des
Wasserschierlings — Cicuta virosa — ein
zähflüssiger amorpher, sauer reagirender Kör¬
per, der sich in Alkohol, Aether, Chloroform,
ziemlich reichlich in heissem Wasser und ver¬
dünnten Alkalien löst, es tödtet zu 5 cg intern
oder 7 mg in Infusion per Kilo Katzen, Hunde
in etwas grösserer Dosis und ruft nach Art
des Pikrotoxins Krämpfe hervor. Loebisch .
Cidarideae, Echinodermen aus der Classe
der Seeigel, Echinoidea, Ordnung der Regularia,
reguläre Seeigel, Unterordnung Cidarideae.
Dieselben haben eine fast kugelige, an der Mund¬
seite abgeplattete Schale, die aus fest ver¬
bundenen Skelettstücken besteht. Die Poren¬
felder sind schmal, dagegen die Zwischen¬
porenfelder sehr breit mit zwei Reihen grosser
Stachelwarzen, die lange, oft keulenförmige
Stacheln tragen. Die Cidarideae treten schon
im Beginn der Secundärzeit, im Trias auf
und erlangen in der Jura- und Kreidezeit ihre
formenreichste Entfaltung. In den heutigen
Meeren findet man ihre nicht zahlreichen Ver¬
treter meist in grösseren Wassertiefen auf Sand
oder Schlammgrund; zwei Familien, die Cida-
ridea mit den lebenden Gattungen: Cidaris,
Phyllacanthus, Porocidaris, Dorocidaris, Gonio-
cidaris und die Sälenidae mit den lebenden
Gattungen Peltastes und Salenia, beide
Vertreter der Tiefseefauna angehörend. Studer .
Ciliae, s. „Wimperhaare.“
Ciliarfalten, Ciliarfortsätze, s. „Uveal-
tractus',,
Ciliarkörper, Corpus ciliare, Strahlen¬
körner des Auges, s. „Corpus ciliare“ und
„Aaerhaut“.
Ciliarmuskel, s. „Musculus ciliaris.“
Cilien. Flimmer- und Wimperhaare,
haar- oder blättchenförmige Anhängsel thie-
rischer oder pflanzlicher Zellen, welche Aus¬
wüchse dieser Protoplasmakörper darstellen
und auf deren Oberfläche sitzen. Wirbel¬
lose Thiere, vor allem viele Infusorien,
sind mannigfaltig mit Cilien versehen. Bei
allen Wirbelthieren findet sich Cilienbelag
an Epithelialzellen geknüpft, welche sodann
als Flimmer-Epithel bezeichnet werden und
meist in flächenhafter Ausbreitung stehen.
So trägt die Oberfläche der Eier, Embryonen
und niederen Entwicklungsstufen vieler Wür¬
mer, die Epidermis, Darmschleimhaut, bei
Coelenteraten, Würmern, Echinodermen, Mol¬
lusken, Fischen Amphibien, die Respirations¬
wege, die excretorischen Bahnen des Genital¬
apparates bei den Hausthieren, das Ependym
des nervösen Centralcanals bei eben diesen in
allgemeiner Verbreitung Flimmer-Epithelien.
Die Form der Cilien ist in der Regel die
äusserst zarter, schlank kegelförmiger Här¬
chen, welche hei den Hausthieren meist zu
10—20 auf einer Zelle sitzen; es kommen
— CILIEN. lfll
jedoch auch weniger an einer Zelle vor T
wie denn die Samenkörper nur eine einzige
Cilie tragen, die gewöhnlich sehr lang ist
und den Namen Geisselfaden führt und auch
hier einer Epithelialzelle angehört, als welche
der Samenkörper seiner Genese nach zu be¬
trachten ist. Ist eine cilientragende Zelle
von einer Membran umhüllt, so durchbohren
die Flimmerfortsätze diese Membran, da sie
von dem Protoplasma ihre Entstehung nehmen
(Engelmann), oder sie entspringen von einer
dünnen glashellen deckelartigen Zellschichte,
welche an der absterbenden Zelle sich los¬
löst. Die Flimmerhaare functioniren als
Bewegungsmechanismus, indem sie über die
ganze Organfläche hin gleich einem vom
Winde bewegten Kornfelde sich rhythmisch
und gleichzeitig senken und heben, und hier¬
durch eine auf ihrer Oberfläche liegende
Flüssigkeitsschichte in bestimmte Strömung
bringen. Da die Schwingungen der Cilien
sehr rasch vor sich gehen (eine Cilie senkt
sich 3—5mal in der Secunde) und in der Ge-
sammtheit eine gewisse Richtung einhalten,
so ist die Arbeitsleistung eine erhebliche,
mitunter ohne optische Hilfömittel erkennbare.
Die Flimmerbewegung erhält sich nämlich
nach dem Tode der Thiere, besonders bei
kaltblütigen, noch mehrere Stunden lang,
bis eben die betreffenden Zellen selbst
abgestorben sind, und kann durch Zusatz alka¬
lischer Flüssigkeiten, Wärmezufuhr etc.
längere Zeit forterhalten werden. Streut man
z. B. auf die intacte Luftröhrenschleimhaut
eines frisch geschlachteten Thieres feinstes
Kohlepulver in minutiöser Quantität, so kann
man die Weiterbeförderung desselben mit
blossem Auge erkennen. Die Wirkung der
Cilien zur Fortbewegung des Eies durch die Ei¬
leiter zum Uterus, der Schleimflöckchen, Staub¬
partikel von den feineren Bronchien hinauf
zum Kehlkopf ist bekannt, die Bewegungs-
f&higkeit der wimpertragenden niederen Thiere
und ihrer Jugendzustände, namentlich die leb¬
hafte langedauernde Mobilität der Samenfäden
und der Epithelialzellen von der Rachen¬
schleimhaut des Frosches dürfte jeder Mikro -
skopiker aus eigener Anschauung kennen.
Literatur: Eagelmann, Protoplasma and Flimmer-
bewegang in Heraann's Haadb. d. Physiol., Bd. I., 1879. Kt.
Bei den Pflanzen sind die Cilien oder
Wimperfäden haarförmige, oft höchst feine
Fortsätze schwärmender Individuen niederer
Organismen. Bei den Moosen und Gefäss-
kryptogamen kommen sie noch bei den männ¬
lichen Befruchtungszellen, den Antherozoiden
oder Spermatozoiden vor. Wohl gewöhnlich
stellen sie Fortsätze des Protoplasmas (des
Bewegungsprotoplasmas) dar und dienen so
auch meist (oder immer) zur Bewegung oder
als Steuerorgane, wenngleich sehr viele beweg¬
liche Spaltpilze existiren, die der Cilien gänz¬
lich entbehren. Lange und einzelne oder ge¬
paarte Cilien nennt man gewöhnlich Geissel-
fäden (Flageilum). Bald kommen sie einzeln
vor; so bei den meisten mundlosen Infusorien,
bei vielen schwärmenden Mikrococcen, bei den
zu Clathrocystis gehörigen Monaden, Sapro-
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182 CIMARRONES.
legniaschwärmern u. s. w. Bald findet man 2,
selbst 3 an einem Ende oder an beiden. Letz¬
teres zuweilen bei Spirillum, ersteres, d. h. 2
an einem Punkte entspringende bei den
Schwärmern von Saprolegnia spec., bei Spi¬
rillum, bei sehr vieleu Algenzoosporen, z. B.
bei fast allen Zoosporeen u. s. w.
Diese Cilien sind wegen ihrer ausser¬
ordentlichen Zartheit oft kaum oder nur mit
den besten Instrumenten zu erkennen; nicht
selten aber bedarf es eigener Kunstgriffe, um
sie zur Anschauung zu bringen. Die besten
Mittel, dies zu erreichen, bestehen in der
Tinction der Organismen.
Als Färbemittel dienen verschiedene Sub¬
stanzen. Haematoxylin, Pikrinschwefelsäure,
Platinchlorid in Verbindung mit Chromsäure,
insbesondere aber die verschiedensten Anilin¬
farben. Das Färben wird an den frischen,
noch nassen oder feuchten Spaltpilzen oder
nach Koch an dem zuvor getrockneten Prä¬
parate ausgefiihrt. Methylviolett, Fuchsin und
Anilinbraun, sogen. Neubraun oder Bismarck¬
braun, Dahlia- und Gentianaviolett liefern
unter allen die besten Resultate. Nachdem
die die Spaltpilze enthaltende Flüssigkeit
in möglichst dünner Schichte auf einem
Deckgläschen ausgebreitet wurde, lässt man
diese je nach Umständen an der trockenen Luft
oder 2—10 Minuten lang bei 100—110° C.
trocknen, oder man legt das mit der Bac-
tericii8chichte überzogene Deckgläschen in
absoluten Alkohol. Das Verfahren hat den
Zweck, zunächst die die Spaltpilze beglei¬
tenden Eiweisskörper zum Gerinnen zu bringen,
sie unlöslich und für die Imprägnation mit
Farbstoffen weniger empfänglich zu gestalten;
auch haften die Pilzmassen nach einer dieser
Behandlungsweisen viel fester an dem Glase
als zuvor und lösen sich nachher auch bei
anhaltendem Liegen in Wasser nicht mehr
leicht los.
Nachdem dies geschehen, wird mit einem
oder auch mit einigen der oben angeführten
Pigmente tingirt, ausgewaschen und nach
dem Trocknen mit Cedemöl oder Berga¬
mottenöl und Canadabalsam eingeschlossen.
Für die mit Bismarckbraun gefärbten Objecte
geht meist auch Glycerin sehr gut. Nunmehr
zeigen die stärksten Oel-Immersionen die
Cilien in der Regel schön; mitunter eignet
sich aber die photographische Aufnahme ganz
besonders, um die Cilien zur Anschauung zu
bringen. In anderen Fällen führt directe
Beobachtung der lebenden frischen, im Wasser
befindlichen Objecte, oder Behandlung mit
0 * 25 procentiger Sublimatlösung zum er¬
wünschten Ziele.
Manchmal scheinen diese Organe nach
den Untersuchungen van Tieghenrs (Bullet,
soc. bot. de France, T. 26, i 879, p. 37) nicht
Eiweiss-, sondern Membranfortsätze zu sein;
im letzteren Falle würden sie wahrscheinlich
mit den Bewegungserscheinungen ihrer Träger
nichts zu thun haben. Harz.
Cimarrones nennen die Eingeborenen von
Südamerika die wilden oder verwilderten Rosse,
welche in den dortigen Pampas umherstreifen.
Nach den uns von verschiedenen Reisenden
gelieferten Beschreibungen dieser Pferde kön¬
nen sie auf besondere Schönheit keinen An¬
spruch machen; im Gegentheile sollen viele
derselben geradezu hässliche Thiere sein. Sie
besitzen einen schweren Kopf, dicke Beine,
einen grossen, von dem ausschliesslichen Rauh¬
futter weit ausgedehnten Leib und tragen auf
dem Halse eine lange, zottige Mähne. Der
schlechte, etwas tief an gesetzte Schweif ist
sehr dick. Ueber die Haarfarbe dieser Pferde
werden verschiedene Angaben gemacht. Ein¬
zelne behaupten, dass Braune und Rappen in
den Pampas am häufigsten Vorkommen und
Schecken gänzlich mangelten. Von anderen Rei¬
senden wird berichtet, dass bei jenen Rossen
ein einheitlicher Charakter gänzlich fehlte und
Pferde von verschiedener Grösse und Gestalt,
auch alle möglichen Haarfärbungen bei ihnen
vorkämen. Alexander v. Humboldt hat uns
in seinen „Ansichten der Natur“ eine höchst
interessante Beschreibung von der Lebens¬
weise der südamerikanischen Wildpferde ge¬
liefert: „Schwellen nun allmälig die Flüsse,
welche die Ebene südlich begrenzen: der
Arauca, Agure und Payara an, so zwingt die
die Natur alle Thiere, welche in der ersten
Hälfte des Jahres auf dem wasserleeren, staubigen
Boden verschmachteten, als Amphibien zu
leben. Ein Theil der Steppe erscheint uns wie
ein unermessliches Binnenwasser. Die Mutter¬
pferde ziehen sich mit den Füllen auf die
höheren Bänke zurück, welche inselförmig
über dem Seespiegel hervorragen. Mit jedem
Tage verengt sich der trockene Raum. Aus
Mangel an Weide schwimmen die zusammen-
gedrängten Thiere stundenlang umher und
nähren sich kärglich von der blühenden Gras¬
rispe, die sich über dem braun gefärbten gäh-
renden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken,
viele andere werden von den Crocodillen er¬
hascht, mit dem zackigen Schwänze zer¬
schmettert und verschlungen. Nicht selten be¬
merkt man Pferde und Rinder, welche, dem
Rachen dieser blutgierigen, riesenhaften Ei¬
dechsen entschlüpft, die Spur des spitzigen
Zahnes am Schenkel tragen.“ — Auch Brehm
berichtet über die Cimarrones manches Be-
achtenswerthe; er sagt, dass dieselben den
Farmern oftmals lästig werden, weil sie nicht
nur unnützer Weise gute Weide ab fressen,
sondern auch die Hauspferde entführen. Wenn
sie letztere sehen, eilen sie in vollem Laufe
herbei, begrüssen ihre Artgenossen freundlich
mit Gewieher, schmeicheln ihnen und treiben
die willfährigen ohne grossen Widerstand ihren
Gesellschaften zu. Reisende gerathen hiedurch
nicht selten in Verlegenheit. „Die Wilden der
Pampas essen das Fleisch der Cimarrones,
namentlich das von Fohlen und Stuten her-
rührende sehr gern. Sie fangen sich auch manche,
um sie zu zähmen; die Spanier hingegen machen
keinen Gebrauch von ihnen. Nur da, wo Holz
mangelt, tödten sie bisweilen eine fette Stute,
um das Lagerfeuer mit dem Knochenfette des
Thieres zu verstärken. Höchst selten fängt
man einen Wildling, um ihn zu zähmen.“ An¬
dere Reisende beschreiben eingehend, auf
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CINABLÜTHEN. — CINCHONA.
183
welche Weise das Einfangen der Wildlinge
in’8 Werk gesetzt wird; mit der Wurfkugel,
welche sich um die Beine der Thiere schlingt,
werden sie zum Falle gebracht Dann werden
sie gefesselt und an einer 20 m langen,
festen Schnur nach Hause geführt. Freytag .
Cinabliithen, Flores Cmae, Wurmsamen,
Zittwersamen irrigerweise genannt, es sind
aber die noch nicht geöffneten Blüthenkörb-
chen der Artemisia maritima oder Cina (s. d.)
und somit keine Samen. Das Wurmmittel
findet jetzt nur mehr Anwendung in Form
seines extrahirten und allein wirksamen Haupt¬
bestandteiles, nämlich des Santonins, siehe
daher Santoninum. Der Wurmsamen ist in der
Ph. A. unter der Bezeichnung „Cina u officinell,
in der Ph. G. unter „Flores Cinae u . Vogel.
Cinchona L. Fieberrindenbaum,Chinabaum;
grosse und berühmte Baumfamilie Südamerikas,
den Rubiaceae-Cinchoneae angehörend, L. V. 1.,
welche in über 20 verschiedenen Arten vor¬
kommt und die bekannte Chinarinde liefert. Es
sind stattliche, prachtvoll rosablühende Bäume
von 30—40 m Höhe und 1—2 m Dicke, deren
ursprüngliche Heimat die sog. Chinazone von
Südamerika ist; dieses Cinchonenreich erstreckt
sich von Bolivia durch Peru und Columbia
hindurch und wachsen hier in einer See¬
höhe von 1200—3500 m auf den Anden, be¬
sonders auf deren östlichen Abhängen. Die
Vegetation ist hier eine immergrüne, denn in
diesen Nebelregionen regnet es bei Zimmer¬
wärme volle 9 Monate lang. Der ausserordent¬
lich starke und über die ganze Erde verbrei¬
tete Gebrauch der China-Alkaloide legte es
nahe, dass bei der Sorglosigkeit, mit der die
Halbindianer beim Einsammeln der Rinden
verfahren, die Cinchonabäume, die nicht
dichte Waldungen, sondern nur kleinere
Gruppen in Wäldern von anderen Bäumen
bilden, völlig ausgerottet würden; man hat
sie daher jetzt auch in anderen tropischen Län¬
dern cultivirt, insbesondere auf Java, Ceylon,
Jamaica und in Vorderindien. Die wichtigsten
Species sind Cinchona officinalis (Fig. 393)
mit den Varietäten C. uritusinga und con-
daminea, C.micrantha, C. Calisaya vera, C. succi-
rubra und in neuester Zeit die asiatische
C. Ledgeriana. Von all diesen und anderen Cin-
chonaarten hat die österreichische Pharma-
kopoea nur die Rinden von folgenden Cin-
chonen zugelassen:
1. Cortex Chinae Calisayae, Calisa-
ya-China, Cortex chinae regius, Königs-China¬
rinde (Süd-Peru und Ostindien).
2. Cortex Chinae fuscus oder gri-
seus, braune oder graue Chinarinde, Peru-
Chinarinde und
3. Cortex Chinae ruber, rothe China¬
rinde von C. succirubra. Sämmtliche Sorten
enthalten 1—2% Alkaloid, die letztere 2*5%;
die deutsche Pharmakopoea gestattet die
Zweig- und Stammrinden aller Cinchonen, sie
müssen aber mindestens 3*5% Alkaloide ent¬
halten, was besonders bei der zuletzt genannten
Art Ostindiens zutrifft (s. Chinarinde). Als heil¬
kräftige Principien der Rinde sind verschiedene
Pflanzenbasen anzusehen, unter denen jedoch
das (in 4 Salzen ofticinelle) Chinin weitaus
das kräftigste ist und neben dem in allen
Rindensorten eine Modification sich findet,
welche nicht zum Krystallisiren zu bringen ist
und deshalb Chinioidin heisst, sowie eine dem
Chinin isomere Base, das Chinidin oder Con-
chinin und zwei von diesen nur durch ein
Sauerstoffatom weniger in ihrer Zusammen¬
setzung verschiedene Alkaloide, das Cincho¬
nin und Cinchonidin. Die übrigen der China
eigentümlichen Stoffe sind für den thierärzt¬
lichen Gebrauch von untergeordneter Bedeu¬
tung, so die Chinovasäure oder das Chinovin
(Glykosid), die Chinagerbsäure mit ihrem Oxy-
dationsproduct Chinaroth, sowie eine organi¬
sche Säure — Chinasäure, an welche die Al¬
kaloide in der Drogue gebunden zu sein
scheinen. Da die China-Alkaloide sich in ihren
Wirkungen völlig gleichen oder nur quanti¬
tative und sehr geringe qualitative Wirkungs¬
differenzen aufweisen, das Chinin aber das
stärkstwirkende von den obengenannten vier
Alkaloiden ist, so macht es auch diese über¬
flüssig und kann nur das bei der Bereitung
des Chinins gewonnene amorphe Abfallspro-
duct Chinoidin wegen seines billigen Preises
thierärztlich in Frage kommen. Die Be¬
sprechung des Chinins in pharmakodynamischer
Beziehung ist somit massgebend für sämmt¬
liche Chinabasen, doch sollen am Schlüsse auch
die dem Chinin ähnlich wirkenden, aber syn¬
thetisch dargestellten Präparate Chinolin, Kairin,
Kairolin und Antipyrin kurz aufgefuhrt werden.
Als China-, d.h. Chinin Wirkungen sind
folgende zu betrachten: Die Lösung der Salze der
184
CINCHONA.
Chinabasen findet im Magen keine Schwierig*
keiten, es kommt daher der grösste Theil der¬
selben bald im Blute an, um jedoch schon nach
15 Minuten durch den Harn (als amorphes Chinin
und als Dihydroxylchinin) wieder ausgeschieden
zu werden; zum Glück bleibt indessen Chinin
bei Kranken viel länger im Körper zurück,
indem es von den Parenchymzellen einige
Zeit festgehalten wird und so eine merkwürdige
Alteration des Stoffwechsels zu Stande bringt
(Protoplasmagift). Von erheblicher Art ist zu¬
nächst die feindliche Action auf die Mikro¬
organismen, welche schon in proportional sehr
kleinen Gaben hauptsächlich gegen die Fäul-
niss- und Gährungserreger gerichtet ist, und
zwar ungleich mehr als gegen die Bacillen;
doch kommt hier China der Salicylsäure und
dem Carbol am nächsten, so dass Bossbach
in ihr einen Benzolkern vermuthet. Es stimmt
dies auch mit den therapeutischen Erfahrungen
überein; das theure Chinin hat daher den
beiden letzten Mitteln in neuerer Zeit fast
weichen müssen und sind manche seiner In-
dicationen ganz weggefullen; auch hier ist
die antiputride Wirkung wohl nur auf Ver¬
änderungen zurückzuführen, die in den Eiweiss¬
körpern des Protoplasmas Vorgehen und den
Bactericn ihren Ernährungsboden ruiniren,
man bemerkt daher insbesondere bei septi-
kämischen und typhösen Zuständen regel¬
mässig einen hemmenden Einfluss auf das
Fortschreiten derselben, wenn grosse Gaben
(Pferden 20*0—30*0, Hunde 1*0—5*0) ein-
eingeführt werden: indessen kommen hier
Heilungen nur zu Stande, wenn die Ursache
der Fäulniss, der septische Herd selbst getroffen
werden kann, was, wie bei putridem Zerfall der
Gewebe, Gangränescenz der Lunge zum Bei¬
spiele, seine grossen Schwierigkeiten hat; auf
locale pathologische Vorgänge und deswegen
auch auf fortwährendes Nachrücken fauliger Ma¬
terien vermag sonach Chinin keine Einwirkung
auszuüben, kräftiger und sicherer ist diese je¬
doch bei rein typhösen Erkrankungen und jenen,
welche auch bei den Thieren aus Malariagiften
entsprungen sind. Von hohem Interesse sind
die Chininwirkungen bei allen Warmblütern
auf das Blutleben und den Stoffwechsel. Das
Punctum saliens liegt, wie jetzt besonders von
Binz, Bossbach, Zuntz, v. Böck u. A. dargethan
wurde, darin, dass die Chinintheilchen, wenn
sie aus den Capillaren in die Organzellen ein¬
getreten sind, das Zellenalbumin vor den
Angriffen des Sauerstoffes schützen, so dass
dieses der Oxydation grösseren Widerstand
entgegensetzen kann, die Eiweisszersetzung
daher vermindert wird und grosse Eiweiss¬
ersparnisse erzielt werden können. Mit dieser
Verlangsamung des Eiweissumsatzes ist aber
auch nicht blos eine Schonung des Kräfte¬
zustandes, insbesondere bei Fiebern (ähnlich
wie beim Alkohol) verbunden, sondern auch
eine Hemmung der Gährungsvorgänge, die
ja auf ähnlichen Zersetzungsprocessen be¬
ruhen, jedoch ebenfalls nur dann, wenn so
viel Chinin gegeben wird, dass seine Theil-
chen in die Gewebe des ganzen Körpers
möglichst zahlreich einziehen und so aller-
wärts eine Bednction des Stoffwechsels zu
Stande kommen kann. Die Oxydations-Be¬
schränkung beruht vornehmlich darin, dass
die rothen Blutkörperchen grosse Sauerstoff¬
mengen binden, festhalten und dadurch sogar
vergrössert werden, also die O-Abgabe im
Oxyhämoglobin wesentlich erschwert wird
(Manasseln), und was die weissen Blutzellen
betrifft, so erfahren diese in speciftscher Weise
eine Art Lähmung, wodurch sie (schon auf
kleine Chiningaben) an Zahl abnehmen und
zugleich ihre ihnen eigenthümliche amöboide
Beweglichkeit einbüssen; die nächste Folge
ist dann, dass die Emigration derselben ge¬
hemmt wird und damit auch Eiterungen,
leukämische Zustände, Milzschwellungen be¬
schränkt oder sistirt werden können. Welch
günstiger Einfluss damit insbesondere für
fieberhafte Vorgänge geschaffen wird, liegt
jetzt auf flacher Hand, ebenso ist durch die
Eiweissersparniss auch eine Erklärung der
bekannten roborirenden Eigenschaften der
Chinarinde gegeben. Ein ähnlicher paraly-
sirender Effect kommt ferner zu gleicher Zeit
auch im Bereiche der motorischen Herz- und
Gefässnerven zu Stande und kann es nicht
ausbleiben, dass damit eine Beruhigung der
aufgeregten Herzthätigkeit, Verlangsamung
des Pulses, consecutive Erweiterung der
(peripheren) Arterien und Sinken des Blut¬
druckes, bei toxischen Gaben selbst Lähmung
des Vagus, Tod durch Erstickung Hand in
Hand geht; desgleichen muss dieser fieber-
erniedrigenden Wirkung in Folge der oben
ausgeführten, den Chemismus der Zellen direct
einschränkenden Action auch eine Verminde¬
rung der Blutwärme nebenherlaufen, es ist
daher wohl diese nicht unerhebliche Herab¬
setzung des gesammten Stickstoffumsatzes an
der Abnahme des wärmebildenden Processes
im ganzen Körper Schuld, denn bei Hunden
beträgt die Verminderung der Harnstoff-
exeretion schon im Anfänge der Chininwirkung
mehr als] 30%. Fast denselben lähmenden
Einfluss auf das vasomotorische System zeigt
auch die Salicylsäure und der Alkohol m
grossen Gaben, es können daher Beide in
antipyretischer Hinsicht das Chinin vertreten
oder unterstützen; von den narkotischen
Stoffen kennt man diese Wirkung schon
länger, man macht daher in neuerer Zeit
mit grossem Vortheil hievon Gebrauch und
verbindet mit den genannten Stoffen insbe¬
sondere das Opium. Hienach hätte man fol¬
gende Wirkungen zu verzeichnen: 1. Chinin
ist wie die aromatischen Verbindungen ein
stark fäulniss- und gährungswidriger Stoff;
2. ein Blutgift, das den Stoffwechsel in der
Art beeinträchtigt, dass das Zellenprotoplasma
direct sammt den Blutkörperchen betroffen
wird; 3. es findet eine Parese des vasomo¬
torischen Apparates statt, in Folge deren die
Erregbarkeit des Vagus herabgesetzt wird,
Herzschlag und Puls an Frequenz abnimmt,
ohne dass erhebliche schädliche Nebenwir¬
kungen eintreten, im Gegentheil wird durch
Eiweissersparniss eine Krafterhaltung erzielt,
die von hohem Werthe ist; 4. mit der Er-
GINCHON A.
185
niedrigung des Fiebers ist auch eine solche
der Körpertemperatur verbunden, da jedoch
die Ursachen des Fiebers höchst verschiedene
sind, wirkt China auch nur auf gewisse
Fieber, auf andere nicht oder kaum und der
Puls sinkt nur, wenn die gesteigerte Wärme-
bildung in den Organzellen an seiner ver¬
stärkten Frequenz Schuld trägt, jene geht
daher der Abnahme der Pulsschläge voran.
Hienach würde sich das Mittel besonders für
entzündliche und infectiöse Fieber qualifi-
ciren, wenn sie einen ausnahmsweise hohen
Grad angenommen haben oder auf einem
solchen persistiren; nachdem man jedoch von
dem theuren Arzneistoff sehr hohe Gaben
nothwendig hat und man zu einem ähnlichen
Ziele mit der billigeren Salicylsäure, dem
Alkohol und mit energischer Kaltwasserbe¬
handlung kommt, ja gewöhnlich mit letzterer
schon allein, ist man, wie schon erwähnt,
neuerdings von den Chininbasen mehr und
mehr abgekommen und wenn es sich um Ge¬
fahren handelt, welche vornehmlich aus allzu
rascher Eiweisszersetzung in dem Herzfleisch
entspringen, so kann auch durch entsprechende
Gaben von Branntwein. Wein, Kampher u. s. w.
vorgebeugt werden, keinesfalls aber eignet
sich Chinin für gewöhnliche Fieberkrank¬
heiten, am wenigsten für solche mit ausge¬
sprochenen Localisationen; ausserdem wird
jetzt bei septikämischen Processen auch viel¬
fach statt des Chinins von der Carbolsäure
und dem borsauren Natron in möglichst
grossen Gaben innerlich Gebrauch gemacht.
Chininum selbst wird der Schwerlös¬
lichkeit wegen £ar nicht benützt, viel zweck¬
mässiger erweisen sich seine Salze, von
denen das
Chininum sulfuricum, schwefelsaure
Chinin, das basische wie amorphe, bevorzugt
wird; obwohl das salzsaure Chinin,
Chininum hydrochloricum, ent¬
schieden vorzuziehen ist; in ihm entwickeln
sich keine Schimmelpilze, wie im vorgenannten,
es ist viel löslicher und resorbirbarer, ausser¬
dem auch wirksamer, denn es enthält 8 bis
9% mehr Alkaloid und wird besser ertragen,
namentlich wenn ihm etwas Salzsäure beige¬
geben wird. Da es nur in grossen Gaben
absteigende Fiebercurven zu erzeugen vermag,
ist die Dosis bei hochgradigen, lebensgefähr¬
lichen Fiebern für das Pferd 15*0—85*0,
für den Hund 1*0—3*0 und 5*0. Am besten
in Pillen, nötigenfalls mit Opium, Kampher
oder der häufigen Appetitstörung wegen mit
Salzsäure, die Wiederholung gibt das Thermo¬
meter an. Zu beachten ist die empirische
Thatsache, dass Chinin um so kräftiger ein¬
wirkt, wenn der Höhepunkt seines Effectes
mit der natürlichen (morgendlichen) Remis¬
sion zusammenfallt, man gibt es daher am
zweckmässigsten des Abends und stets die
volle Gabe auf einmal oder in halbstündiger
Pause auf zweimal, niemals in verzettelten
Gaben, die nutzlos sind. Hunde erbrechen
f erne und bei trächtigen ist schon rascher
'od unter Collaps nachgefolgt. Für subcutane
oder tracheale Injectionen eignet sich nur
das Chlorid der Base und auch hier sind bei
Hunden schon Todesfälle vorgekommen, es
muss daher sehr sorgfältig dosirt werden und
darf nur der vierte Theil, höchstens die
Hälfte der innerlichen Gabe eingespritzt
werden. Gegen Typhus des Pferdes jetzt viel¬
fach in Gebrauch.
Conchininum, erst in neuerer Zeit ein-
geführt, ist ebenfalls sehr wirksam, besonders
als Antizymoticum, auch etwas billiger und
erfordert das voluminöse, schwammige Pulver
dieselbe Dosirung. Als Roborans und Magen¬
mittel Pferd 8*0—5*0, Hund 0*08—0 05 pro
dosi, ebenso das Chinin.
Chinoidinum oder Chinioidinum ist
ein wohlfeiles Präparat, das jedoch der har¬
zigen Bestandtheile wegen nicht krystallisirt,
deswegen unrein und nicht ganz zuverlässig
ist, doch erreicht man mit ihm oft recht gute
Resultate, wenn es in 8—3mal grösseren
Gaben als Chinin ordinirt wird. Es bleibt bei
der Chinindarstellung als Abfall zurück und
ist wesentlich eine Mischung von amorphem
Chinin, Cinchonin, Chinidin, Cinchonidin,
Chinaroth und Harz. Die Verabreichung in
Weingeist ist am wirksamsten und eignet es
sich dann auch zu Klysmen; dasselbe ist der
Fall mit der
Tinctura Chinioidini, bestehend aus
8 zu 15 Spiritus und 1 Salzsäure. Gabe für
Pferde 30*0—60*0 und mehr, für Hunde
8 * 0 — 10 * 0 .
Chinolinum, ein neueres, synthetisch
dargestelltes Präparat (s. d.), hat ebenfalls
(mit Weinsäure verbunden) als Chinolinum
tartaricum thierärztliche Anwendung erfahren,
wird aber schlecht ertragen und hat die ge¬
hegten Erwartungen nicht erfüllt, auch ist
die Wirkung auf Bacterien nur eine schwache.
Kairinum hydrochloricum(s.Kairin),
ebenfalls synthetisch dargestellt (Oiyhydro-
methyl-Chinolin), steht dem Chinin sehr nahe
und muss in ihm ein (hydrirter) Chinolinkern
gesucht werden. In erster Linie ist Kairin
Antipyreticum, als welches es besonders gegen
Pneumonie, Brustseuche, Pferde- und Hunde¬
staupe versucht wurde (Friedberger, Fröh-
ner u. A.), ohne sich jedoch besonders hervor-
zuthun; bei Hunden treten ausserdem unan¬
genehme Nebenwirkungen, Speichelfluss, er¬
höhte Reflexerregbarkeit, Convulsionen u. s. w.
hervor, es taugt daher nicht für die sog.
nervöse Form der Staupe. Dosis: Pferd
10-0—15*0, Hund 1*0—4*0 pro die.
Antipyrinum, ein in neuester Zeit dar¬
gestelltes synthetisches Alkaloid, ein Chino¬
linderivat, daher dem Kairin und Chinin sehr
verwandt, hat offenbar sehr bedeutende tem¬
peraturherabsetzende Wirkungen, die sich
selbst auf gesunde Individuen erstrecken und
ohne Beschwerden ertragen lassen, nament¬
lich bleiben Collapserscheinungen aus und
kommt eine längere Apyrexie zu Stande, als
bei den oben genannten Basen. Obwohl bil¬
liger als Chinin, muss es in doppelter Gabe
verabreicht werden, eignet sich jedoch sehr
gut auch zu subcutaner Application, da es
sich in heissem Wasser sogar 8:1 löst: in
186
CINCHONA.
letzterer Form kann es ausgiebig auch bei
Thieren verabreicht werden (Hunden zu 1 • 0 bis
8*0), es liegen aber derzeit, wie auch bei
dem jüngst hergestellten Thallin, noch keine
Erfahrungen vor, auf Grund deren ein Urtheil
über die Bedeutung des Mittels abgegeben
werden könnte.
Cortex Chinae, Chinarinde (Fig. 394).
Man schreibt ihr in der Thierheilkunde coörci-
rende und tonisirende Wirkungen zu, sie
zählt daher zu den Stärkungsmitteln, u. zw.
wohl der genannten protoplasmatischen Wir¬
kungen wegen, sowie der dadurch gesetzten
Fig. 394. Chinarinde.
Ersparnisse an Eiweisssubstanzen, sowie auch
wegen der in der Rinde enthaltenen Gerb¬
säure. Indessen kann diese Stärkung offenbar
sich nur auf in der Reconvalescenz befind¬
liche Fieberkranke beziehen und nur indirect,
denn wahre Stärkung des Körpers resultirt
nur aus der Beschaffung einer grösseren Menge
von rothen Blutkörperchen und hier können
blos die protelnreichen Nahrungsmittel ein-
treten, nicht Arzneimittel, Leberthran etwa
ausgenommen. Indessen ist nicht zu verken¬
nen, dass der China auch vermöge der starken
Bitterkeit ihrer Alkaloide, die nur vom Strych¬
nin übertroffen wird, stomachische Eigen¬
schaften nach Art der Amara zukommen, wo¬
durch sowohl falsche Gährungen in den Ver¬
dauungswegen gehoben werden, als auch auf
reflectorischem Wege eine leichte Vermehrung
der Magensecretion bedingt wird; es ist aber
gut einzusehen, dass man mit den bitter¬
gewürzhaften Mitteln hier weiter kommt, um¬
somehr, als die neuesten Untersuchungen er¬
geben haben, dass China einen Einfluss auf
die bessere Verdauung der Albuminate nicht
auszuüben vermag, jedenfalls kann daher das
Chinin wie die Rinde für peptische Zwecke
entbehrt werden. Dagegen bleibt es unbe¬
nommen, wenn sie zur Wiederherstellung des
verlorengegangenen Gewebstonus, nament¬
lich der Darmfasern herbeigezogen wird;
ebenso bei reinen Schwächezuständen, symp¬
tomatischer Dyspepsie (Atonie der Verdau¬
ungsorgane), Neigung zu Durchfällen u. s. w.
und kann hier der Rinde die Möglichkeit
der Wiederherstellung, ja selbst der Besse¬
rung der Ernährung und damit auch der Stär¬
kung des Gesammtkörpers keineswegs ab¬
gesprochen werden. Dies gilt besonders bei
Darreichung des Mittels nach consumirenden
Krankheiten, bei der daraus entspringenden
Inappetenz und gänzlichem Darniederliegen
der Digestion, sie ist daher ein Hauptmittel
der Genesungsperiode und der Verzögerung
der Erschöpfung; ihre Wirkungen kommen
denen des Weines und Alkohols hier sehr
nahe, nur muss die Rinde auch hier in etwas
grösseren Gaben gereicht werden, oder man
setzt ihr eines der billigeren Alkaloide (Chi-
nioidintinctur) mit etwas Eisen, aromatischen
Mitteln, Malz- oder Fleischextract, Kochsalz,
Salzsäure, Kampher (subcutan) bei. v. Boeck
hat berechnet, dass bei Hunden hiebei fast
60 g Eiweiss täglich im Körper erspart wer¬
den können. Für Fieber selbst taugt die Rinde
nicht, denn sie müsste in viel zu massigen
Gaben gegeben werden, da sie höchstens
3—4% Basen enthält und so die Verdauung
namentlich der Albuminate nur ruiniren
müsste, ebenso aber auch repräsentiren die
China-Alkaloide nicht die gesammte tonisirende
Wirkung der Rinde, obwohl Herabsetzung
des Fiebers, Hebung von Diarrhöen ja auch
gleichbedeutend ist mit Stärkung des Kör¬
pers; es spielen somit auch das Chinova-
bitter, die Chinasäure (5—8%) und die China-
gerbsäurc besonders der rothen Rinden
(10—12%) eine Rolle. Am wenigsten gehen
die genannten Stoffe in Lösung bei Infusionen
der Rinde mehr im Decoct, noch kräftiger
ist das Pulvis corticis chinae rubri selbst,
am wirksamsten aber sind die Rindenprä¬
parate. Dosis der Rinde für Pferde 10*0 bis
20 # 0, Rinder 20*0—60*0, Schafe, Ziegen,
Schweine 5*0—15*0, Hunden 2*0—5*0 zwei-
oder dreimal täglich mit oder ohne obige
Beimengungen. Aeusserlich ist das antisep¬
tische Mittel bei der Trockenbehandlung der
Wunden und Geschwüre nicht zu verachten.
Gegenangezeigt ist China entschieden bei
acuten Magendarmkatarrhen und chronischen
Verschleimungen des Verdauungstractes. Von
den einheimischen Rinden kommt ihr nur die
der Weide, Cortex Salicis, nahe und wird
von dieser auch in der Rindviehpraxis von
vielen Thierärzten Gebrauch gemacht. Dosis
wie oben.
Tinctura Chinae, in Oesterreich nicht
officinell, aus der braunen Rinde bereitet
(1: o), rothbraun, stark bitter, als Tonicum
und zur Nachcur sehr wirksam. PferdlO’O—15*0,
Hund zu 20—50 Tropfen mehrmals im Tage.
Tinctura Chinae composita, zu¬
sammengesetzte Chinatinctur, enthält Enzian,
CINCHONIDIN. — CINNAMOMUM CASSIA. 187
Orangeschalen und Zimmt, rothbraun, bitter¬
aromatisch, sehr kräftiges Magendarmmittel.
Hund zu 40—50 Tropfen, wie oben.
Yinum Chinae, 1:3, Xereswein, roth-
braun, klar. Entbehrlich, wie auch die China-
rindenextracte; besser ist, guten Wein extra
zu geben und nicht verbittert. Vogel.
Cinchonidin (oder Conchidin) wird aus
dem käuflichen Chinoidin (s. d.) gewonnen,
bildet überdies den Hauptbestandteil einer
billigeren Chinarinde, der China Bogota; in ge¬
ringer Menge findet es sich auch in allen echten
Chinarinden, es ist isomer mit Cinchonin (s. d.),
schmeckt weniger bitter als Chinin, krystal-
lisirt aus Weingeist in grossen Krystallen,
die saure Lösung fluorescirt nur schwach. Es
bildet neutrale, saure und übersaure Salze.
Sein Verhalten im Organismus ist ähnlich dem
Cinchonin und den übrigen Chinaalkaloiden,
doch soll es noch stärker toxisch wirken wie
Chinin, in hohen Dosen auch Krampf
erregend. Loebisch.
Cinchonin, C w H, 4 N, 0, ein Alkaloid, wel¬
ches gegen 4*5% in der grauen Chinarinde
(China Huanco) enthalten ist, doch kommt es
auch in den übrigen Chinarinden vor und wird
gewöhnlich als Nebenproduct bei der Dar¬
stellung des Chinins gewonnen. Es bildet
wasserfreie Prismen, die in Alkohol löslich, in
Wasser und Aether unlöslich sind und bei
448—454° schmelzen. Die Salze sind im All¬
gemeinen löslicher als die des Chinins; es
wirkt auf den gesunden und kranken Or¬
ganismus ganz wie Chinin, jedoch quantitativ
schwächer. Loebisch .
Cinerea clavellati, der frühere, jetzt ver¬
lassene pharmakologische Ausdruck für das
Tohe kohlensaure Kali (s. „Kalium carbo-
nicum“). Vogel.
Cinnabarlt, Zinnober, ist das Schwefel¬
quecksilber Hg S (Mercuri8ulfid oder Queck-
silbersulftir), welches in der Natur nur unrein
vorkommt, künstlich dargestellt aber entweder
amorph und dann schwarz krystallisirt und des¬
wegen auch Quecksilbermohr, Aethiops mineralis
(s. d.) heisst. Dieses schwarze Schwefelquecksil¬
ber, Hydrargyrum sulfuratumnigrum sowohl, als
die scharlachrothe krystallinische Modification
des schwarzen Mercurisulfids, aus dem es durch
Sublimation oder auf nassem Wege durch
Schütteln mit einer Lösung von fünffach
Schwefelkalium dargestellt wird (künstlicher
Zinnober) und welche auch unter dem Namen
Hydrargyrum sulfuratum rubrum bekannt ist,
wurde früher gegen Hautausschläge und Skro-
phulosis häufig angewendet, es sind aber beide
Präparate, zu denen auch noch der Aethiops
antimonialis (s. d.), das Hydrargyrum stibiato-
sulfuratum zu zählen ist, jetzt vollständig ent¬
behrlich und deswegen weder in der öster¬
reichischen, noch deutschen Pharmakopoea
officinell. Der grüne Zinnober endlich (Rin-
mann's Grün) wird durch Glühen von Zink¬
oxyd mit Kobaltsalzen gewonnen und findet
ebenfalls keine thierärztliche Verwendung mehr.
Das österreichische Cinnabarit oder Zinnober
ist ein Chromat und dient nur als Farbe. Vogel .
Cinnamomum Cassia, Cassienzimmtbaum.
eine Lauracee Chinas, Cochinchinas und der
Sundainseln (Java), Cinnamomum aromaticum.
deren Zweigrinde den gemeinen Zimmt
(s. d.), die Zimmtcassie (Kanelil) darstellt, zu
einfachen Röhren von mattrotlibrauner Farbe
eingerollt in Handel kommt und überall offi-
cinell ist als
Cortex Cinnamomi Ph. G. oderCortex
Cinnamomi chinensis, Ph. A.; chine¬
sischer Zimmt, Cortex Cassiae cinnamomeae:
Cassia vera; cannelle de chine; cassia bark:
corteccia de cassia. Neben diesem chinesischen
Zimmt war früher in der Ph. G. auch der
Ceylonzimmt, der in der Ph. A. als Cortex
cinnamomi Zeylonici bezeichnet ist und der
von einer anderen Species, Cinnamomum Zeylo-
nicum, abstammt, officinell. Derselbe ist von
feinerem Aroma, aber viel theurer und daher
entbehrlich. Der Javazimmt steht zwischen
beiden. Wirksam ist in dem Rindenbast das
feurig schmeckende, liebliche, ätherische Oel,
welches sich durch Oxydation an der Luft
sehr leicht in Zimmtsäure und Zimnitaldehyd
umwandelt; ausserdem ist noch enthalten
ziemlich viel Gerbstoff, dann Zucker, Harz
und Gummi. Das höchst angenehme Mittel
concentrirt alle Wirkungen der Gewürze, d. h.
der verdauungsbelebenden, magenstärkenden,
reizenden Medicamente, welche zugleich Darm¬
gase zum Weichen bringen (Stomachicum und
Carminativum ersten Ranges), Darmschmerzen
dadurch lindern und eine reichlichere Secretion
im ganzen Verdauungstracte veranlassen, acut
katarrhalische Zustände sind daher ausge¬
schlossen. Spärliche Magensaftabsonderung
charakterisirt letztere, und deswegen ist
Zimmt ein Hauptmittel bei ihnen erst, wenn
das Fieber völlig gebrochen ist, doch ist in
diesem Stadium Salzsäure immer vorzuziehen.
Sonst tritt noch Indication ein bei allen ga¬
strischen Atonien, wobei Zimmt vor Allem
die wurmförmige Bewegung kräftig einleitet
oder vermehrt. Ob er auch ähnliche Contrac-
tionen im Uterus anregt oder dadurch gar
Uterinblutungen stillt, ist zweifelhaft, jeden¬
falls ist ihm nach dieser Richtung das jetzt
dynamisch besser bekannte, zuverlässigere
Secale cornutum vorzuziehen. Zimmt findet
für die angegebenen Zwecke nur in der Hunde¬
praxis Anwendung, ist aber noch zu wenig
benützt. Das leicht applicable und deswegen
auch als Geschmackscorrigens verwerthb&re
Mittel gibt man zu 0*4—1*0 pro dosi, 3*0
bis 5*0 pro die als Pulvis (mit Zucker) oder
in Electuarien und im Thee, in der Milch,
mit Wein u. s. w. Sehr passend ist auch die
offi ein eile
Tinctura Cinnamomi (1:5), welche
süsslich aromatisch und zugleich etwas styp-
tisch schmeckt und zu 40—60 Tropfen den
Hunden verabreicht wird. Nach Geburten,
Metrorrhagien wird sie besonders gerühmt,
nicht etwa um auf das Genitalsystem speciell
einzuwirken, sondern die damit im Zusammen¬
hang stehende Erschöpfung zu heben, man
verbindet daher mit ihr Rothwein, Eisen u. dgl.,
alle halbe Stunde einen Theelöffel voll.
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188
CIRCASSISCHES PFERD. — CIRCUS.
Syrupus Cinnamomi vermengt man
gerne mit unangenehm schmeckenden Arznei¬
mitteln in der Hundepraxis, und dient er dann,
wie auch die noch gewürzreichere Tinctura
aromatica (Zimmt, Cardamomen, Ingwer,
Nelken, Galgant), gegen Dyspepsien und
Diarrhöen, die aus Erkältung, Ueberfressen,
Indigestion, Koliken u. dgl entstanden sind.
Dosis kaffeelöffelweise. Vogel.
Circassisches Pferd, s. Tscherkessisches
Pferd.
Circumpoiarität. Zur Erklärung der
eigentümlichen Verbreitung der Thierformen
auf unserer Erdoberfläche hat G. Jäger eine
Theorie aufgestellt, welche die Verbreitung
der Thierwelt aus der allmäligen Erkaltung
der Erdkruste und der successiven Verände¬
rung ihrer Temperaturverhältnisse zu erklären
sucht. Danach soll beim Uebergang der
Erde vom feurig flüssigen in einen festen Zu¬
stand an den zuerst erstarrenden Polen das
thierische Leben aufgetreten sein. Mit grös¬
serer Erkaltung der Pole sind die in einem
tropischen Klima entstandenen Thiere äqua-
torialwärts gewandert und ersetzt worden
durch solche, welche sich einer weniger
warmen Temperatur angepasst haben; dieser
Process wiederholte sich immer wieder mit
dem Kälterwerden der Pole. (Polflüchtigkeit der
Organismen.) Bei dem Vorschieben der Orga¬
nismen nach dem Aequator erweiterte sich ihr
Verbreitungsgebiet zum Ring und dieser dif-
ferencirte sich nach den verschiedenen Posi¬
tionen der geographischen Länge. Wir hätten
danach zwei polare Schöpfungscentren, von
denen aus äquatorwärts die Erde bevölkert
wurde; da eine fortwährende Auswanderung
von den Polen aus stattfand, so müssen die
äquatorialen Zonen den grössten Reichthum
an Formen haben. Die Arten, Gattungen, Fa¬
milien etc., welche sich zwischen Aequator und
Polen ringförmig über die Erdoberfläche ver¬
breitet finden, bezeichnet J. als circumpolare
Arten, Gattungen, Familien etc., ihre fossilen
Stammformen sind am Pol zu suchen.
Literatur: 0. Jager, zoologische Briefe; J&ger
im Handwörterbuch der Zoologie, 2. Bd., pag. 163. Studei'.
Circumvolutio (neulat. von circumvolvere),
die Umwälzung, also eine Vorlagerang, z. B.
der Eingeweide. Sussdorf.
Circus (v. xtpxdO, Kampfspielplatz in
Rom, ursprünglich für Ross- und Wagenrennen,
später für alle Arten der circensischen Spiele
bestimmt. Der römische Circus war, wie der
Hippodromus der Griechen, oben offen, von läng¬
lich runder Gestalt, eine halbe Ellipse darstellend,
aber weniger breit als jener, weil nur vier Wagen
neben einander auffuhren. Derselbe war von
drei Stockwerke hohen Galerien, welche die
stufenweise erhöhten Sitze der Zuschauer bil¬
deten, und einem Canal, Euripus genannt, um¬
geben. Diese Galerien ruhten auf Gewölben,
unter denen die zum Kampf bestimmten, wilden
Thiere aufbewahrt wurden. Den längeren
Durchmesser des mit Sand bestreuten Platzes
(arena), auf welchem die Spiele gehalten wurden,
bildete eine 4' hohe und gegen 12' breite Mauer
(spina), an deren beiden Enden sich je drei
Säulen (metae) mit einem Fussgestelle befan¬
den, um welche die Kämpfer siebenmal um¬
lenken mussten, ehe der Preis bestimmt wurde.
Mitten in der Spina errichtete Cäsar den aus
Egypten gebrachten 132' hohen Obelisk. Am
berühmtesten war der Circus maximus, wel¬
cher nach Dionys von Halikarnass 9331' lang
und 2187' breit gewesen und Plätze für über
200.000 Zuschauer gehabt haben soll. Nach¬
dem er unter Nero abgebrannt, begann der
Wiederaufbau unter Trajan; unter Constantin
wurde er vollendet. Doch auch von diesem
sind nur wenige Ueberreste vorhanden.
Nach diesem war der Circus Flaminius der
älteste, in der 10. Region ausserhalb der Stadt,
dessen Gründung auf den Censor C. Flaminius
zurückgeführt wird. Von dem Circus des Cara-
calla sind noch bis jetzt Ruinen im besten
Zustande unter dem Namen il Circo oder
Giastra di Caracalla vorhanden. Die Spiele (ludi
Circenses) waren: 1. Wettrennen zu Pferd
und zu Wagen, woran Männer vom höchsten
Rang theilnahmen; 2. gymnastische Kämpfe;
3. die trojanischen Spiele, Kampfspiele zu Pferd,
von J. Cäsar erneuert; 4. Thiergefechte, in
welchen Thiere mit Thieren oder mit Ver¬
brechern und Freiwilligen kämpften; 5. Nach¬
ahmung von Seegefechten, zu welchem Zwecke
der Circus unter Wasser gesetzt werden konnte.
Ausser Rom hatten noch viele andere Städte,
selbst ausserhalb Italien, wie Athen, Jerusalem
und andere ihre Circusse; namentlich aber
hatte Egypten solche von ungeheurem Umfange.
Später gab es in mehreren Städten Italiens circus¬
artige Räume für Ballspiele; ein noch gut
erhätener findet sich zu Perugia. Die Stier¬
gefechte (s. d.) gehören noch »jetzt zu den
Lieblingsvergnügungen der Spanier und der
Peruaner; sie finden in Madrid und in allen
grösseren Städten Spaniens im Coliseo de los
Toreros statt, einem Circus, mit stufenweisen
Sitzen umgeben, über welchen sich eine Reihe
Logen erhebt. Hahnenkämpfe (s. d.) finden in
England, Persien, auf Java und bei den In¬
dianern, in Peru im Coliseo de Gallos, einem
Amphitheater mit zweckmässiger Arena statt.
Am häufigsten aber werden diese Circusse
heutzutage noch für Kunstreiter errichtet,
wobei es feststehende und nur vorübergehende
gibt. Die ausgezeichnetsten ersterer Art sind
der Cirque olympique auf den Elysäischen
Feldern zu Paris, von Hittorf errichtet, mit
Raum für 6000 Personen. Neben ihm besteht
der Hippodröme, der zur Aufführung grosser
Reitergefechte, militärischer Episoden, Kämpfe
mit wilden Thieren u. dgl. bestimmt ist.
Ausser Wien hat auch Berlin einen ganz
massiven Circus in maurischem Stil von pracht¬
voller Ausstattung. An seine Arena stösst ein
Theater, dessen Bühne 25 Meter breit und
20 Meter tief ist; der Zuschauerraum kann
2500 Personen aufhehmen. Auch in München
wird in der nächsten Zeit ein solcher massiver,
aus mehreren Gebäuden bestehender Circus
gebaut, womit grosse Pferdestallungen, Woh¬
nungsräume, Theater und Concertsäle, Bade¬
anstalten etc. verbunden werden. Vorüber¬
gehende, meistens aus Holz aufgebaute Circusse
CIRRHAGRA. —
werden noch in jenen grösseren Städten, wo
keine massiven vorhanden sind, zeitweise auf-
gebant, in denen die wandernden Kunstreiter-
truppen ihre Vorstellungen geben. Ableitner.
Cirrhagra (xtffdc, Locke, und Sypa, Beute),
Weichselzopf. Plica polonica, eine Verfilzung
der Haare, besonders der Mähnen und Schweif¬
haare der Pferde, aber auch langhaariger Hunde
und Rinder zu zusammenhängenden schmutzigen
klebrigen Büscheln durch ein nässendes Haut-
secret, gemengt mit Talg, Schweiss, Epidermis-
schuppen, Staub, Schmutz und verschiedenen
Pilzen. Der Weichselzopf entsteht durch ver¬
nachlässigte Hautpflege und Anhäufungen von
Unreinigkeiten, die einen Reiz auf die Haut
ausüben und eine exsudative Hautentzündung
verursachen. Durch das Exsudat werden die
Haare verfilzt und verklebt und nachher siedeln
sich Schizomyceten und Pilze in denselben
an. Der Nachweis, dass der Weichselzopf
durch specifische Pilze verursacht werde, ist
bisher nicht geliefert worden, obgleich von
einigen Autoren besondere Pilze bei der Plica
polonica gefunden und beschrieben worden sind.
Günsberg betrachtet einen Pilz, den er Tricho¬
phyton plicae polonicae nennt, als Ursache
der Krankheit und Walter fand einen Pilz,
Trichophyton sporuloides beim Weichselzopf.
Jedoch können diese Pilze später hinzuge-
kommten sein und in den verfilzten Haar¬
büscheln und auf der entzündeten Haut einen
günstigen Boden für ihre Entwicklung gefun¬
den haben. Die Behandlung des Weichsel¬
zopfes besteht in gründlicher Reinigung
und Auswaschen der verfilzten Haare (die auch
abgeschoren werden können) mit Lauge oder
Seifenwasser und Anwendung von Sublimat
und Kalilösungen. Semmer.
Cirrhu8, Cirrus, ursprünglich Haarlocke,
so auch der Schopf des Pferdes (Veget.) und
allerhand Haarbüschel bei den verschieden¬
sten Thieren. Cirri tibiales nennt Veget. Renat.
die Hornwarzen, Kastanien der Pferde. Sf.
Cista heisst auf den Recepten Schachtel,
bedeutet daher soviel als Scatula; man kann
aber, etymologisch genommen, unter ersterem
lateinischen Ausdruck nur eine grosse Schachtel
verstehen. Vogel.
Cito, schnell, ist eine auf Recepten üb¬
liche Bezeichnung, durch welche man an¬
deuten will, dass die Dispensation der verlang¬
ten Arznei unverzüglich zu geschehen habe,
der Apotheker daher die übrigen Recepte,
welche vor diesem übergeben worden sind,
zurücklegen soll. Das „Cito“ wird ganz oben
auf das Recept geschrieben und ein- oder zwei¬
mal unterstrichen. Vogel.
Cito G. A. schrieb in Neapel im 16. Jahr¬
hundert über die Erkenntniss und Behandlung
der Krankheiten der Pferde und Rinder. Sr.
Citronen, s. Aurantiaceen. Sie finden in
der Thierheilkunde sammt ihren Derivaten
kaum Anwendung, sind daher entbehrlich. Vogel.
Citronen8äure, C 6 H 8 0 7 , wird im Grossen
aus dem Citronensaft gewonnen, sie findet sich
überdies weit verbreitet im Pflanzenreiche,
meist in Begleitung der Aepfelsäure und Wein¬
säure. Um die Säure aus Citronensaft darzu-
CLADOSPORIÜM. 189
stellen, kocht man diesen zunächst auf, um die
Eiweissstoffe abzuscheiden, filtrirt und sättigt
das Filtrat mit kohlensaurem Kalk und mit
Kalkmilch. Es scheidet sich das Kalksalz der
Citronensäure aus, dieses wird mit Schwefel¬
säure zerlegt und das Filtrat zur Krystalli-
sation eingedampft. Die Citronensäure krystal-
lisirt in grossen rhombischen Prismen mit
1 Molekül Krystallwasser, sie schmeckt ange¬
nehm sauer, löst sich in 4 Th. Wasser, leicht
in Alkohol, sehr schwierig in Aether. Die
Citronensäure ist eine dreibasische Säure und
bildet demgemäss drei Reihen von Salzen.
Versetzt man eine wässerige Lösung von Ci¬
tronensäure in der Kälte mit Kalkmilch, so
entsteht keine Fällung, erst beim Kochen
scheidet sich der tertiäre citronensäure Kalk
aus. Von den Salzen sind wichtig das
citronensäure Eisenoxyd, ein rothbraunes Pul¬
ver, ferner das Magnesiasalz der Citronensäure,
welches als Brausepulvermischung benützt
wird. Loebisch.
Citrus, Citrone, die reife Frucht von zwei
ursprünglich in Ostindien einheimischen, jetzt
auch in den Ländern des Mittelmeeres culti-
virten Bäumen aus der Familie der Auran-
tiaceae (s. d.), nämlich des Citrus Limonum
und Citrus medica (L. XVIH. 9). Die erstere
ist auch unter dem Namen Sauercitrone '
oder Limone bekannt und liefert die officinelle
Citronensäure, Acidum citricum
und von Letzterer, sowie dem Citrus secumana
mit der ausserordentlich schwammigen Schale
stammt das bekannte Gewürz Citronat, welches
mit geschmolzenem Zucker bereitet wird.
(Succate).
Cortex Fructus Citri, Citronenschale.
Die von den reifen Früchten abgelöste und
getrocknete Fruchtschale, welche aus einer
äusseren, runzlich punktirten, an mit ätheri¬
schem Oele gefüllten Zellen reichen gelben,
aromatischbittern und einer inneren schwam¬
migen, weissen Schicht besteht. Von Letzterer
i befreit, bildet sie das Gelbe der Citronenschale
(Flavedo corticis citri); der Geruch ist ange¬
nehm würzig; der Geschmack angenehm bitter¬
lich.
Oleum Fructus Citri, Citronenöl, wird
aus der Schale durch Destillation bereitet, ist
mitdemTerpentinöl durchaus identisch und einer
der angenehmsten Stoffe für geruchs- und ge¬
schmacksverbessernden Zusatz von Pulvern als
Oelzucker in der Hundepraxis (Elaeosaccharum
citri). Letzterer wird bereitet, indem man zu
2 g Zuckermehl 1 Tropfen Citronenöl beigibt.
Die Citronenschale dient ausserdem zur Be¬
reitung von Aqua carminativa und Spiritus
aromaticus, die Citronensäure zu angenehmen
kühlenden Getränken (Limonaden) bei fieber¬
haften Krankheiten der Hunde zu 0*1—0*2%;
durch ihren Gehalt an Alkali-Citraten ist sie
zugleich leicht diuretisch. Vogel.
Clado8porium, Link, Astspom, Gonidien-
formen verschiedener Sphaeriaceen von peni-
cilliumartigem Habitus. Mycel und die meist
bäum-, seltener strauchartigen Hyphen reichlich
septirt und gleich den in einfachen oder ver¬
zweigten Ketten vorkommenden Gonidien
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190
CLADOTHRICHEEN. — CLADOTHRIX.
dunkel gefärbt, meist oliven- bis schwarzgrün,
zuweilen gelbgrün. Wo sie in dichten Rasen
Vorkommen, erscheinen dieselben schwarz grün.
Die Sporen (Gonidien) sind bald kugelrund,
bald elliptisch oder oval bis lanzettförmig.
Gewöhnlich sind die untersten Glieder der
Sporenketten durch quere Scheidewände in
zwei- bis dreitheilige Sporen verwandelt. Die
bekannteste Art ist Cladosporium herbarumLk.,
gleich den zahlreichen anderen Arten häufig
auf abgestorbenen Zweigen und Blättern, fau¬
lendem Heu und Stroh das ganze Jahr hin¬
durch, besonders häufig aber vom Herbst
bis zum Frühjahr vorkommend. Manche Formen
sind sehr gewöhnlich auf verschiedenen ver¬
dorbenen Speisen, namentlich aber kommen
sie auf Extracten und Wurzeln, die an feuchten
Orten aufbewahrt werden, vor. Auch auf Honig,
auf fettigem altem Papiere, auf Schmierseife,
an Fenstern von Stallungen und Kellern kann
man sie oft beobachten. Der genaue Zusammen¬
hangsnachweis mit bestimmten Sphaeriaceen-
arten ist erst bei einigen Arten erbracht. Harz.
Cladothrlcheen, Zweighaarpflanzen (von
%Xd3oc, Zweig, und Tpfydc, Haar), eine Gruppe
von Spaltpilzen, welche in der Form von
Mikrococcen, Bacterien. Bacillen, Spirillen
und langen Fäden Vorkommen, welche letztere
durch Aneinanderlegung von (isolirten) ver¬
schiedenen Fäden falsche Verzweigungen
(Dichotomieen) zeigen. Es gehören dahin
zwei Arten, welche beide farblos sind und
grosse Aehnlichkeit mit Leptothrix besitzen,
sich von dieser jedoch durch die constante
Pseudoverzweigung unterscheiden. Hart.
Cladothrix, Cohn, Beitr. I. 3, p. 185.
Zweighaar der Gattungscharakter stimmt mit
dem Gruppencharakter überein (s. Clado
thricheen).
Cladothrix dichotoma Cohn, 1. c.
Zweigabeliges Zweighaar (Fig. 395). Ein
Fig. 896. Cladothrix dichotoma Cohn. I Fadenformen, bei
a einlach und einem Substrat aufsitzend. 11 Desgleichen
vergr. 111 Ein langer, spirochftteartiger Zweig. IV Vibrio»
und spirillenartige Formen; bei a mit Cilien. VI und
VII Zn Mikrococcen, Bacterien und Bacillen zergliedernde
Formen.
sehr häufiger Pilz aller mit organischen
Substanzen verunreinigten stehenden und
fliessenden Gewässer. Die feinen langen
Fäden trifft man häufig auf absterbenden
Algen und allen möglichen anderen Wasser¬
bewohnern; sie wurden als Leptothrix pära-
sitica von Kützing bezeichnet. Nicht selten
färben sie sich durch Eisenoxyd braun oder
rostgelb; so nannte sie Kützing Leptothrix
ochracea. Tritt namentlich häufig auf in Fa¬
briksabwässern, insbesondere von Brauereien,
Gerbereien u. s. w. Auf Algen u. s. w. bildet
die Fadenform circa \—4 mm hohe, oft seiden¬
glänzende Rasen. Die Fäden werden 2—3 Mikr.
dick, sind gleichmässig walzenförmig, sie
sondern durch Vergallertung ihrer Membran
Schleim ab, welcher die sich von Zeit zu Zeit
abtrennenden Glieder gleichsam wie innerhalb
einer Scheide festhält. Diese letzteren wachsen
weiter und bleiben in ruhigen Gewässern
haften, wodurch mitunter ansehnliche, schein¬
bar dichotom verzweigte Colonien entstehen.
Variirt ungemein in seiner Form, namentlich
drehen und biegen sich die Fäden oft in der
verschiedensten Weise; so dass Spirochäten,
Vibrionen und Spirillen entstehen. Die ge¬
drehten, wie die gewundenen Glieder trennen
sich los, nehmen Eigenbewegungen an und
erhalten zuweilen Wimpern (Fig. 395, IV bei a).
Diese Bewegungen längerer Fäden erinnern
dann an die der Oscillarien oder sie gleichen
diesen vollkommen. Endlich können durch
Weiterzergliederung der Schrauben etc. Bac¬
terien, Bacillen und Mikrococcen entstehen,
aus denen dann durch Auswachsen wiederum
Fäden hervorgehen.
Cladothrix Foersteri, Zopf, Strepto-
thrix Foersteri Cohn (Eig. 396). Dieser in sei¬
nem Habitus mit dem vorhergehenden ziem¬
lich genau übereinstimmende, vielleicht damit
identische Pilz wurde von Gräfe 1855 in
Concrementen der Thränencanälchen des
menschlichen Auges entdeckt und seither
zu wiederholten Malen beobachtet. Coccen,
CLAIMING. — CLAVICEPS.
191
Stäbchen und lange gerade Fäden, welche
in dessen Gesellschaft von Gräfe, Waldeyer,
Förster und Cohn beobachtet wurden, dürften
wohl ebenfalls, gleichwie bei voriger Art, zu
C. Foersteri gehören. Harz.
Claimfng-Stake8 (Forderungs - Rennen)
wird jenes Rennen genannt, in welchem durch
die Proposition festgestellt ist, dass alle in
diesem Rennen concurrirenden Pferde um
einen bestimmten Preis gefordert werden
können. Der Sieger dieses Rennens wird um
den angesetzten Preis gefordert; jedes der
anderen Pferde um den angesetzten Preis und
unter Zuschlag des Werthes, welchen der Sieg
im Rennen beträgt. Das Kaufrecht steht in
erster Linie dem Eigenthümer des zweiten
Pferdes zu, dann allen Uebrigen nach der
Reihenfolge, in welcher ihre Pferde am Sie¬
gespfosten angelangt sind. NurDeijenige ist zu
einer Kaufsforderung berechtigt, der ein Pferd
im Rennen laufen liess, wobei aber der Sieger
im Rennen erst zuletzt dieses Recht an¬
sprechen darf. Die Kaufsforderung muss
schriftlich innerhalb einer Viertelstunde nach
dem betreffenden Rennen bei einem der Ste¬
wards (Verwalter u. dgl.) oder bei dem Rich¬
ter, dem ,Wäger oder auch bei dem Renn-
secretär eingebracht werden. Lechntr.
Clangor (griech. yj xXoiyy von xXäCev,
schreien), ein allgemeiner Ausdruck für die
Stimme der Thiere. Sussdorf.
Clapier, le, eig. der Kaninchenbau, dann
übertr. auf fistulöse, hie und da buchtig er¬
weiterte Geschwürsgänge: grosses Hohlge¬
schwür etc. Sussdorf
Clarendon Thom. gab 1847 in Dublin ein
Buch heraus über den Huf und dessen Krank¬
heiten. Semmer.
Clark Bracy (1773—1860) studirte in
London Thierarzneikunde, schrieb 1796 über
Oestrus, war Theilnehmer an dem Journal
de Mödecine vdtörinaire und veröffentlichte
viele Artikel über den Pferdehuf und Huf¬
beschlag. Semmer.
Clark Charles, Neffe des Vorhergehenden,
gab einige Zeit hindurch ein veterinär-
medicinisches Journal unter dem Titel: „The
Hippiatrist“ heraus, das gegen den „Veteri¬
nären“ und die Londoner Thierarzneischule
gerichtet war. Semmer.
Clarke James, gab 1782 ein Werk über
Behandlung des Pferdes und über Hufbeschlag
heraus. Semmer.
Cla886n8prung. Das Verfahren bei der
Paarung in Schafheerden ist ein sehr verschie¬
denes, entweder lässt man unter die ganze
Mutterheerde die für die Paarung bestimmten
Böcke zu denselben den Tag über, man nennt
solches den wilden Sprung und rechnet
dabei 40—50 Mutterschafe auf einen Bock,
oder aber man theilt die Mutterheerde je nach
deren verschiedenen Körper-Eigenschaften und
dem Wollcharakter in verschiedene Classen,
bringt in dieselbe Classe Thiere von mög¬
lichst gleichen Eigenschaften und wählt den¬
selben entsprechende Böcke für jede Classe,
um auf diese Weise die daraus zu erwartende
Nachzucht dem vorgesteckten Zuchtziele
näher zu bringen. Ist die Mutterheerde
nicht sehr gross, so bildet man wo möglich
so viel Classen, als man Böcke zur Verwen¬
dung nöthig hat; ist die Mutterheerde dafür
zu gross, so wählt man für jede in ihren
Woll- und Körpereigenschaften möglichst
gleichartig zusammengestellte Classe mehrere
ebenso in allen ihren Eigenschaften gleich¬
artige Böcke und lässt solche nur Mutter-
thiere der für sie bestimmten Classe decken.
Man nennt solches den Classensprung.
Das Paarungsgeschäft hiebei geschieht dann
entweder in der Form des freien Sprunges,
wo dann die Böcke den ganzen Tag mit ihrer
Classe zusammen sind; diese Art der Paarung
findet hauptsächlich dann statt, wenn die
Paarungszeit in den Winter fallt, zu welcher
die Thiere schon aufgestellt sind, man daher
jede Classe in eine besonders abgegrenzte
Abtheilung bringen kann. Man rechnet auch
hier ca. 50 Schafe für jeden Bock, oder aber
man wendet den „Handsprung 11 an, d. h.
man lässt täglich ein- oder mehrere Male
zur Paarungszeit durch einen sog. ..Sucher¬
oder Probirbock“ die jedesmal brünstigen
Schafe aussuchen und bringt solche mit dem
für die Classe, zu welcher sie gehören, be¬
stimmten Bock behufs Paarung zusammen.
Hier kann man schon bis 60 Schafe für jeden
Bock rechnen. Bei hochgezüchteten Heerden,
in welchen jedes Mutterschaf numerirt ist,
findet Individualpaarung und stets im
Handsprunge statt, d. h. es wird bei Beginn
der Paarungszeit für jedes einzelne Mutter¬
schaf derjenige Bock bestimmt, welcher dem
Leiter der Zucht der qualificirteste für Errei¬
chung des Zuchtzieles ist. ßohm.
Clater Fr. schrieb 1783 ein populäres
Buch über Pferdearzneikunde unter dem Titel:
„Every man his own Farrier“, das trotz seiner
Mängel circa 30 Auflagen erlebte und ins
Französische, Deutsche und Russische über¬
setzt wurde. 1810 erschien von ihm ein Buch
unter dem Titel: „Every man his own Cattle
Doctor.“ Semmer.
Clathrocystis (von Clathrus, xXetfi-pov,
Gitter, und xoarq, xostts, Blase), roseo-per-
sicina Cohn. Bacterium rubescens Lankest
(s. Beggiatoa roseo-persicina unter „Chromo-
gene Spaltpilze 11 ). Hart.
Claudus, lahm, davon abgel. claudicatio.
claudigo, clauditas, das Lahmen, Hinken,
Lahmheit etc. Sussdorf.
Clava (vom hebr. Kalaf [mit Keulen],
Schlägen), Keule nennt man das vordere ver¬
dickte Ende des Funiculus gracilis des
Rückenmarks (s. d.). Sussdorf.
Clavlceps, Tul., Cordyceps Fr. p. p., Ken-
trosporium Wallr. (von Clava, Keule, und
xscpaX t], Kopf, xsvtpov, Sporn), Keulenkopf¬
pilz. Die Fruchtträger dieser Pilze entsprin¬
gen einem Dauermycelium (Sclerotium): sie
sind stielförmig, schwellen an der Spitze
köpf- oder keulenförmig an und tragen hier in
peripherischen Kammern (Perithecien) die
Schläuche mit acht langen, einfachen, faden¬
förmigen Sporen. Die Pilze bewohnen wäh¬
rend der ersten Entwicklungsstadien die
192
CLAV1CEPS.
Fruchtknoten verschiedener Gramineen; die
Sporen erzeugen auf und in denselben ein
Mycelium, aus dem nach aussen sich Stiel-
chen erheben, welche Gonidien ab schnüren,
die ihrerseits wiederum neue Mycelien auf und
in anderen, zuvor noch gesunden Frucht¬
knoten erzeugen. Schliesslich gehen die My¬
celien, nach Resorption des Fruchtknoten¬
gewebes, dessen Epidermis allein erhalten
bleibt, in ein längliches, hartes Dauermyce-
lium über. Das Dauermycelium (Sclerotium)
trägt an seiner Spitze noch die genannten
Ueberreste des Gräserfruchtknotens in der
Form eines meist weisslichen Häubchens. Die
wichtigste Art ist: Claviceps purpurea Tul.
Dieser Pilz befällt die Fruchtknoten von
Secale, Triticum und Hordeum, namentlich
häufig die erstgenannten unseres Roggens. Die
Gonidien wie die Sporen (der Schläuche) be¬
fallen zur Blüthezeit die Ovarien der ge¬
nannten Pflanzen, auf die sie durch Wind
und Insecten gelangen. Im Frühjahr sieht
man aus dem Dauermycel (Fig. 397 III, IV)
die stielförmigen Träger (Receptaculum, Stro¬
ma) einzeln oder in grösserer Zahl erschei¬
nen. Sie würden in überaus grosser Menge
hervorbrechen, wenn sie genügende Nahrung
/
Fig. 397. Claviceps purpurea Tal. I Roggea&hrchea, deren
eine Blume ein Mutterkorn erzeugte. II Ein solches ver-
gTössert. III und IV Zirei Sclerotien mit je einem bis
mehreren Frnchttrigern. V Oberer Thell eines solchen
vergr., die Perithecien (Kammern) zeigend. VI Eine Kam¬
mer mit den Schlauchen vergr. VII Zwei Schlauche mit
Sporen. VIII Keimende Schlauchsporen. IX Sphacelia sege-
turo. X Gonidien; dieselben keimend bei a; a Sporidien
erzeugend.
finden würden. In der Natur nehmen die zuerst
erscheinenden den übrigen die ReservestofFe
weg und verhindern sie dadurch, in nam¬
hafter Zahl aufzutreten. Man kann jedoch
künstlich Hunderte von Fruchtträgern erzen¬
en, wenn man ein Sclerotium in dünne
cheiben zerschneidet und diese nun in Nähr-
stofflösungen bringt. Jede Scheibe bringt
jetzt ein bis einige Receptacula hervor. Die
Receptacula mit ihren kopfförmigen Anschwel¬
lungen stellen nun die Schlauchpilzform dar,
die von Tulasne als Claviceps purpurea be¬
zeichnet wurde (Fig. 397 III, IV, V). An der
Peripherie des Kopfes finden sich zahlreiche
Kammern (Fig. 397 V, VI), jede derselben mün¬
det nach aussen in einer warzenförmigen Erha¬
benheit und enthält im Innern zahlreiche
Schläuche (Fig. 397 VII) mit je acht fadenför¬
migen, langen, dünnen, einzelligen Sporen.
Diese Sporen gelangen nun auf die jugendlichen
Fruchtknoten der obgenannten Gräser; hier
keimen sie alsbald (Fig. 397 VIII); die Keim¬
schläuche dringen in den (Roggen-) Frucht¬
knoten ein, leben auf dessen Kosten und ent¬
wickeln sich, indem sie alle dem Frucht¬
knoten zufliessenden Nährstoffe für sich ver¬
wenden, zu einem üppigen Mycelium. Dieses
Mycel sendet nun nach aussen eine grosse
Menge von Stielzellen, welche (Fig. 397 IX) an
ihrer Spitze zahlreiche Gonidien abschnüren.
Gleichzeitig wird an der Oberfläche des be¬
fallenen Fruchtknotens ein zuckerhaltiger,
sehr süss schmeckender Saft abgesondert,
in dem die Gonidien meist suspendirt liegen.
Man kannte früher nicht die Zugehörigkeit
dieser Pilzform zu Claviceps, und Leveilld
nannte dieselbe seiner Zeit Sphacelia sege-
tum. Zahlreiche Insecten, namentlich Dipte¬
ren und Ameisen verzehren nun den abge¬
schiedenen Zucker, und indem sie auch die noch
gesunden Fruchtknoten nach Zucker absuchen,
bringen sie mit ihren Beinen etc. auch auf
diese die Gonidien der Sphacelia, die nun
ihrerseits alsbald auskeimen und abermals
ein Mycelium mit Sphaceliagonidien hervor-
rufen. Hinsichtlich der Keimung dieser Go¬
nidien sei noch bemerkt, dass sie nach
J. Kühn auf den Mycelschläuchen kleine Spo¬
ridien (Fig. 397 Xa) hervortreiben, welche ihrer¬
seits wieder Keimschläuche erzeugen, die nun
in die Fruchtknoten eindringen. Schliess¬
lich verschwinden die Sphaceliagonidien und
aus dem Mycel derselben entwickelt sich nun
ein hartes, kornförmiges, aussen braunes bis
violetrothes Dauermycelium. Auch dieses
wurde früher für eine eigene, selbständige
Pilzart gehalten und von de Candolle als
Sclerotium Clavus bezeichnet (Fig. 397 bei
I und II mit Fruchtträgern). Das Dauer¬
mycel kann nun den Winter über gleich einem
Samen ruhen, um im Frühjahr in der feuchten
Erde wiederum die Receptacula hervorzubrin¬
gen und den Cyclus von Formen aufs Neue
durchzumachen. Das Sclerotium Clavas ist
seit alter Zeit medicinisch verwerthet worden
unter dem Namen „Secale cornutum“, Ergot
de seigle (franz.), Mutterkorn. Es ist giftig,
zeigt einen etwas unangenehmen Geruch und
CLAVICULA. — CLEVER-RIND.
193
schmeckt widerlich, etwas kratzend, ist etwa
doppelt so lang als ein Roggenkorn, gefurcht
oder oft stumpf-dreikantig, im Innern weiss bis
rosa. Hauptbestandteile sind: Sclerotinsäure
1 • 5— 4 5%, Scleromucin 2—3%, ferner Fett,
Mannit, Mycose. Sodann die Alkaloide: Ecbo-
lin, Ergotin, Ergotinin an Ergotsäure gebun¬
den, Picrosclerotin, und verschiedene Pig¬
mente: Scleroerythrin, Sclerojodin, Scleroxan-
thin u. s. w. In grösserer Menge dem Mehle
beigemengt, erzeugt es angeblich die manch¬
mal (in Missjahren) epidemisch auftretende
Kriebelkrankheit. Das Mutterkorn soll bei
50 Ä C. anhaltend getrocknet, sodann in Fla¬
schen wohl verkorkt und versiegelt aufbe¬
wahrt werden, da es bei geringem Feuchtig¬
keitsgehalte alsbald schimmelt und verdirbt.
Wenn irgend möglich, ist es jedes Jahr frisch
zu sammeln. Die arzneiliche Verwendung des
Mutterkornes s. u. Secale cornutum. Harz.
Clavicufa (Deminut. von clavis), Schiös¬
selchen, diente als xXsic schon den alten
Griechen zur Bezeichnung des Schlüsselbeins,
während die Römer (Celsus) dasselbe jugulum
nannten. Nach Hyrtl soll der Name von der
Querlage des Knochens nach Art eines Riegels
abzuleiten sein. Dasselbe stellt einen Knochen
des Schultergürtels dar, der aber nur dort
entwickelt ist, wo die Vorderextremität auch
noch anderen Zwecken als der Locomotion
dient. Daher erklärt sich der gänzliche Man¬
gel des Knochens bei den meisten unserer
Hausthiere und die reducirte Ausbildung noch
bei Hund und Katze; bei ersterem bildet er
ein dreieckig*schildförmiges 6—7 min breites
und langes, bei letzterer ein schwach S för¬
mig gekrümmtes Knöchelchen, das bei beiden
Thieren dem sog. Schlüsselbcinstreifen des
M. sterno-cleido-mastoideus eingelagert ist.
Bei allen anderen Säugern, insbesondere den¬
jenigen, deren Brustgliedmasse in jeglicher
Richtung frei beweglich ist, wird die Clavi-
cula zu einem selbständigen Skelettknochen,
der einerseits (Extremitas stemalis) mit dem
Brustbein, andererseits (Extremitas acromia-
lis) mit dem Gräteneck articulirt. Beim Vogel
verwächst der Knochen, wo er ausgebildet
vorhanden, meist mit dem der anderen Seite
zur Furcula, einem gekrümmt gabelförmigen
Knochen, der ventralwärts mit der Crista
sterni, dorsal mit dem Os coracoideum ver¬
bunden ist. Die Clavicula ist physiologisch
bedeutungsvoll als Strebepfeiler, welcher den
regelrechten Abstand des Schulterarmbein-
gelenkes von der Seitenwand des Thorax ein¬
hält und ein wichtiger Ansatzpunkt ist för eine
grössere Anzahl von Muskeln, die auf Kopf,
Rumpf und Vorderextremität wirken. Sf.
Clavus 8ecalinu8, so viel als Claviceps
purpurea. Vogel.
Clement, Chef de Service in Alfort, schrieb
über Bauchfell- und Lungenentzündung und
über die Wirkung des Brechweinsteins im
Recueil de mddec. vötörinaire. Scmmer .
Clementiner Schaf ist eine Bezeichnung
für das macedonische Fettschwanz-Schaf
(s. d.).
Cleveland-Pferd. Dasselbe galt bis vor
Koch. Encyklopldie d. Thierheilkd. IT. Bd.
20 und 30 Jahren für das beste Kutschpferd
Englands, es verdankte seinen Namen „Cleve-
land-Bay u einmal seinem Heimatsbezirke in
der englischen Grafschaft York und anderseits
der prächtigen kastanienbraunen Haarfarbe,
welche diese Pferde fast ausnahmslos besassen.
Das Vale of Pickering wird als der Stamm¬
sitz dieser Rasse bezeichnet, welche jedoch
niemals ganz festtypirt gewesen sein soll. Zum
Transport grosser Reise- und Postwagen auf
zum Theil noch schlechten Landwegen war
der Cleveländer durchaus geeignet; es waren
in der Regel grosse, stattliche Rosse mit kräf¬
tigen Gliedmassen, hübscher Kopfform, gut
aufgesetztem Halse und ausgezeichnet ge¬
formter Kruppe. Der gut angesetzte Schweif
wurde hübsch getragen. Als Mängel galten bei
diesen Pferden ihr etwas zu kurzer Brustkasten
und ihre zu schwammige Textur. Auch ihre
Action war oftmals nicht rasch genug, und
man sah sich, um dieses zu verbessern, mehr¬
fach genöthigt, die Stuten von Cleveland,
überhaupt von ganz Yorkshire, mitVollblut-Hen g-
sten zu paaren, wodurch an manchen Orten
ein sehr leistungsfähiger Kutschschlag ent¬
standen ist. Die Nachfrage nach Cleveländer
Pferden war zu Anfang dieses Jahrhunderts
in Yorkshire sehr bedeutend und sie wurden von
In- und Ausländern so theuer bezahlt, dass
in Folge dessen zu viel gutes Zuchtmaterial
exportirt wurde. Schwarznecker glaubt, dass
zum Theil durch die Herstellung fester Strassen
und durch die in Mode gekommenen leich¬
teren Fuhrwerke jener alter Pferdeschlag zer¬
stört und überflüssig geworden ist In London
kann man heute noch im Marstalle der Köni¬
gin und bei anderen Grossen des Reiches die
Reste der alten Cleveländer Zucht zu sehen
bekommen; in Rotton-row (Hydepark) erschei¬
nen zuweilen stattliche Viergespanne von
grossen, braunen Rossen (ohne Abzeichen), die
man als die Nachkommen der altrenommirten
Cleveland-Bays bezeichnet. Aus der Kreuzung
von Cleveland - Stuten mit Vollbluthengsten
sind nicht allein tüchtige Carrossiers, sondern
auch kräftige, sehr brauchbare Jagdpferde
(hunters) hervorgegangen, welche wohl im
Stande sind, ansehnliche schwere Reiter in
den Sattel zu nehmen und sicher über das
Terrain zu bringen. Das alte Cleveländer
Ross erfreute sich auch als Zugthier bei der
Feldarbeit eines guten Namens; man benützte
hierzu vorwiegend solche Exemplare, welche
auf besondere Körperschönheit keinen Anspruch
machen konnten, aber starke Knochen und
gute Sehnen besassen. Nach Deutschland sind
früher ziemlich viele Cleveländer Hengste ge¬
kommen, man hat sie sowohl in Hannover,
wie in Oldenburg zur Zucht von Kutschpferden
benützt, und wenn dieselben auch nicht immer
und überall einen nachhaltigen Suceess ge¬
habt haben, so ist doch nicht zu leugnen,
dass die Oldenburger Pferdezucht zum nicht
geringen Theile ihre guten Erfolge den Cleve-
länder Braunen zu verdanken hat. Frey lag.
Clever-Rind, ein den Holländern nahe
verwandter schwarzscheckiger Schlag im nord¬
westlichen Theile des preussischenRegierungs-
13
19A
CLEVE’SCHES SCHWEIN. — CLOSTRIDIUM.
bezirkes Düsseldorf, von etwas leichteren For¬
men und gröberen Knochen und Hörnern, auch
etwas weniger milchergiebig als der hollän¬
dische Marschschlag. fVilekens.
Cleve’8che8 Schwein Jm Regierungsbezirke
Düsseldorf, in der Umgegend von Düsseithal,
des alten Herzogthums Cleve, wird die Züch¬
tung einer Schweinerasse betrieben, welche aus
England stammt, schon vor langer Zeit von
dort nach jener Gegend eingeführt sein und
sich stets durch gute Eigenschaften ausge¬
zeichnet haben soll. Der Verbreitungsbezirk
jener Rasse hat sich in Folge dessen schnell
erweitert; sie ist im ganzen westlichen Deutsch¬
land bis nach Baden, Württemberg und Bayern
vorgedrungen und hat dort. wesentlich zur
Verbesserung der alten, hochbeinigen Land¬
schläge beigetragen. In der Körpergestalt zeigt
das Cleve’sche Schwein ungleich grössere Aehn-
lichkeit mit dem chinesischen oder portugie¬
sischen, als mit dem grossohrigen Schweine
(Sus Macrotis) von Central-Europa. Die Ent¬
wicklung der Ferkel geht rasch von statten,
die Mastfahigkeit der Thiere ist sehr zu loben,
und es erreichen ausgewachsene Exemplare
bei zweckmässiger Ernährung nicht selten ein
Gewicht von 250—300 kg. Ihr Fleisch ist
zart und wohlschmeckend. Sie besitzen einen
kleinen, kurzen Kopf mit aufrechtstehenden
Ohren: der dicke Hals ist kurz, der Rumpf
von mittelmässiger Länge, aber von beträcht¬
licher Breite und Tiefe. Ihre Füsse sind kurz
und fein von Knochen. Rücken und Kreuz bilden
eine gerade Linie. Gewöhnlich sind die Cleve -
sehen oder Düsselthaler Schweine von weisser
Hautfarbe und ihre feinen Borsten stehen nicht
sehr dicht auf dem Körper. Man rühmt ihr
ruhiges Wesen und sagt, dass sie sich gern
reinlich halten. Nach Weiss’ Mittheilungen
lieferten zwei 11 monatliche Schweine dieser
Rasse zusammen 317 kg reines Schlacht¬
gewicht und 36 kg Blut und Eingeweide. Fg.
CIKchy gab 1828 heraus: „Memoire sur la
gastro-entönte des animaux domestiqaes.“ Sr.
CHma, s. Klima.
Clitoriü, s. Kitzler, bezw, Geschlechts¬
organe.
Cloaci8mu8 (abgel. von cloaca, Abzugs¬
canal), der pathologische oder auf einer Hem¬
mungsmissbildung beruhende Harnabgang
durch den Anus. Sussdorf.
Cioake. Als Cloake bezeichnet man das
durch den After nach aussen sich öffnende
Endstück des Darmcanales, wenn in das letz¬
tere die Ausführungsgänge, des Harn- und
Geschlechtsapparates ausmünden. Eine der¬
artige Einrichtung findet sich bei den Vögeln,
Reptilien, Amphibien, bei den zur Classe der
Monotremen gehörenden Säugethieren (Schna¬
belthier, Ameisenigel), unter den Fischen bei
den Plagiostomen (Haifischen, Rochen) und
den Lungenfischen (z. B. Lepidosiren). Die
Cloake der Vögel ist erheblich weiter als der
Mastdarm, an dessen Einmündungsstelle sich
eine starke Schleimhautfalte vorfindet. Die
Harnleiter öffnen sich nach innen von den
Samenleitern, bezw. von dem Eileiter der
linken Seite (der rechte Eierstock und der
dazu gehörige Eileiter fehlen fast allen Vögeln). 1
Die Ausmündungsstellen der Harn- und Samen¬
leiter markiren sich häufig durch kleine
Papillen, die Ausmündung des linken Eileiters
stellt eine verhältnissmässig breite Spalte dar.
Bei einigen Vögeln (z. B. Enten, Gänsen)
birgt die Cloake ausserdem ein dem männ¬
lichen Gliede der Säugethiere entsprechendes
Begattungsorgan. Müller.
Clostridium Prazm. (von Faden),
Kahn- oder Schiffchenbacterie. Stimmt mit
Bacterium (s. Bacterien) überein, unterscheidet
sich nur dadurch von demselben, dass die,
Dauersporen bildenden, Stäbchen kahnförmig,
citronenförmig, elliptisch, spindelig bis kaul¬
quappenförmig werden. Bildet Bacterien,
Bacillen (die zuweilen Vibrionen artig ge¬
krümmt sind) und feine, lange, gegliederte,
unverzweigte, leptothrixartige Fäden, welche
jedoch zum Unterschiede von Leptothrix und
Verwandten keinen Gegensatz von Basis und
Spitze erkennen lassen.
Clostridium polymyxa Prazm.(Unter¬
suchungen über die Entwicklungsgeschichte
etc. einiger Bacterienarten, Leipzig 1880, p. 37),
Gallertclostridie (von tcoXo?, viel, und p.t>6a,
Schleim, Brei, Gallerte).Bildet auf Zuckerrüben
und Kohlrüben knorpelige, lappige, krause Zoo-
glöacolonien, in welchen Fäden aus längeren
oder kürzeren Stäbchen liegen. Im Gegensatz
zu C. butyricum besitzt der Pilz ein weit
grösseres Sauerstoffbedürfniss; er scheidet
leichfalls ein, Amylum und Cellulose lösen -
es, Ferment ab. Blaufärbung mit Jod tritt
aber nur ein bei Ernährung mit Amylum.
Clostridium butyricum Prazm.,
Vibrion butyrique Pasteur, Amylobacter Clos¬
tridium Tröcul, Bacillus Amylobacter van
Tieghem, Bacterium Navicula Reinke et Berth.,
Buttersäurepilz (Fig. 398). Verursacht in Zucker¬
und anderen Kohlenhydratlösungen Butter-
säuregährung. Findet sich insbesondere in über¬
reifen oder faulenden Gurken, Kürbissen und Me¬
lonen, Zuckererbsen und grünen Bohnen, Gelben
Fig. 398. Clostridium butyricum Prazm I. Die gewöhnliche
Bacillusform. II. Sporenbildende Sttbchen. III. Keimende
Sporen.
CLOT. — CLYDESD ALE-PFERD.
195
Rüben, in nassfaulen Kartoffeln, im Sauerkraut,
im reifenden Käse. Bildet sich und gedeiht
vorzüglich in Auflösungen von milchsaurem
Kalk, in Maischen, in Lablösungen, in mit
Kalk, Magnesia, Zinkoxyd u. s. w. versetzter
Milch, in mit Eiweiss und den obigen Basen
versetzten Rohr-, Trauben- oder Milchzucker¬
lösungen, zumal bei höherer (35—40* C.)
Temperatur; ebenso in ähnlich beschaffenen
Mannitlösungen u. s. w. Entsteht in Flüssig¬
keiten, welche der Milchsäureg&hrung unter¬
liegen, aber erst nachdem sämmtlicher Zucker
in Milchsäure übergeführt wurde. Diese Pro-
cesse gehen bei höherer Temperatur rascher
vor sich, als bei niederer. Die günstigste Tem¬
peratur für seine Entwicklung ist 35—40° C.;
über 40° C. gedeiht er weniger gut, des¬
gleichen unter 30° C. Gegen Siedhitze ist
der Buttersfturepilz viel empfindlicher als
Bacterium subtile. Ob der Buttersäurepilz
mit dem Milchsäurepilz identisch ist oder
nicht, ist bis heute noch nicht fest¬
gestellt. Bei Sauerstoffabschluss gedeiht er
vorzüglich; es scheint sogar, nach Pasteur's
Untersuchungen, reichliche Sauerstoffzufohr
wie Gift auf ihn zu wirken, ihn selbst zu
tödten. Sehr interessant ist, wie van Tieghem
entdeckte (Bullet, de la Soc. bot. de France,
T. J4, 1877. — Compt. rend. 1879, P. 88,
T. 89), die Abscheidung eines Fermentes,
welches Cellulose und Amylum direct und
rasch in Lösung bringt Das Innere des
Pilzes*wird durch Jod blaugefärbt Diese
Reaction tritt aber nicht nur nach der Re¬
sorption von Cellulose oder von Amylum ein,
sondern auch unter Ausschluss beider bei
der Cnltur in Glycerin, milchsaurem Kalk,
in Käse, in Lösungen von Zucker und anderen
Kohlenhydraten etc. Der Buttersäurepilz
scheint beim Reifen des Käses eine wichtige
Rolle zu spielen. Hart.
Ciot, geb. 1795, Chef des Medicinal-
wesens in Egypten, gründete eine Veterinär¬
schule in Abou- Zabel, die 1837 nach Cairo
verlegt wurde. Semmer.
Clumber-Spaaiel. Eine kleine Form des
seidenhaarigen spanischen Wachtelhundes, die
lange Zeit nur in der Familie der Newcastle
in England gehalten und gezüchtet wurde,
gegenwärtig aber auch bis Deutschland ver¬
breitet ist. Im Allgemeinen zeigt er einen
langgestreckten Leib, ziemlich niedrige Beine,
von denen die hinteren höher sind, schönen
Behang. Der Kopf erscheint gross und lang,
der Schädel flach mit hohem Hinterhauptbein,
die Schnauze stark und kräftig, die Nase
gross, fleischfarbig mit dunkler Spitze. Augen
gross und tiefliegend, haselnussbraun. Ohren
gross und lang, mit geringer Feder, an den
Backen anliegend. Hals lang, kräftig und
muskulös. Schultern stark und vorstehend.
Brust tief, Körper lang mit sehr tiefen Rippen.
Vorderläufe gerade und kurz, starkknochig
und gut bcfedert. Hinterläufe mit starken,
kräftigen Keulen. Pfoten gross. Schwanz tief
angesetzt und hängend getragen. Haar nicht
zu lang, ohne Kräuselung, seidig und dicht.
Farbe weiss mit citronengelben Abzeichen und
kleineren regelmässigen Fleckchen an der
Schnauze. Jagt immer stumm. Studcr .
Clydesdale-Pferd. Unter den schweren
Zug- und Arbeitspferden von ganz Gross¬
britannien nimmt der Clydesdaler seit langer
Zeit eine hervorragende Stellung ein. Dessen
Heimat findet sich im südwestlichen Schott¬
land, an den Ufern der Clyde, woselbst diese
Rasse zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
auf Veranlassung eines Herzogs von Hamilton
aus der Kreuzung von Lanark-Stuten und
Flamänder Hengsten gebildet sein soll. —
Schwarznecker, H. v. Nathusius - Althal¬
densleben und andere deutsche Hippologen
stellen den Clydesdaler als den besten Re¬
präsentanten des schweren Arbeitspferdes hin.
Die Symmetrie der Linien, die Lagerung und
Winkelstellung der Knochen, die Leichtigkeit
in der Bewegung sind bei einem Körper¬
gewichte von 600—800 kg geradezu erstaunens-
werth und es erscheint der Clydesdalei; fast wie
eine grosse Quartausgabe zu dem Vollblut*
Octavbande. (Schwarznecker.) Ihre. Grösse
schwankt zwischen 1*70 und l*80m; der
Kopf dieser Pferde ist meistens gerade und
nur bisweilen ein wenig gebogen. Die Stirne
ist breit und der Unterkopf hübsch gebildet.
Ihr Hals ist von mittlerer Länge, nicht ganz
schwer, wie bei anderen britischen Karren¬
pferden, auch die Mähne nicht zu stark ent¬
wickelt. Der prononcirte Widerrist ist zu¬
rückgelagert, ihre ziemlich schräg stehenden
Schultern sind von ansehnlicher Länge und
besitzen vortreffliche Muskeln. Die breite und
tiefe Brust hat häufig einen Umfang von 2 m
und darüber. Der gerade Rücken ist in der
Nierenpartie gut geschlossen. Ihre Flanken
könnten wohl zuweilen etwas voller sein. Das
breite, muskulöse Kreuz, von ansehnlicher
Länge, dacht sich nach hinten mässig ab.
Der Schweif ist nicht zu tief angesetzt und
wird in der Regel gut getragen. Ihre Vor¬
arme und Unterschenkel sind kräftig, lassen
nichts zu wünschen übrig, besonders schön
sind Vorderknie und Sprunggelenke articulirt.
Ihre kurzen, breiten Schienbeine sind mit
derben Sehnen bestens ausgestattet und
meistens besitzen sie feste, gesunde Hufe.
Minder lobenswerth ist der sehr starke, weit
an den Beinen hinauf reichende Behang,
welcher leicht Veranlassung zu Unbequem¬
lichkeiten gibt; ihre unteren Gliedmassen
erfordern aus diesem Grunde auch stets eine
sorgfältige Reinigung (Waschen und Baden)
nach der Arbeit. — Die braune oder schwarz-
braune Haarfarbe, zuweilen mit Abzeichen,
ist jetzt bei der fraglichen Rasse vorherrschend;
in früherer Zeit sollen Rappen beliebter ge¬
wesen sein. (David Low.) Die Thiere besitzen
ein gutes Temperament; sie zeigen sich bei
der Arbeit fleissig. rasch im Gange und ge¬
wöhnlich sehr ausdauernd. Die Züchtung der
Clydesdaler erstreckt sich jetzt über viele
Grafschaften von Grossbritannien und Irland:
auch in Nordamerika und Australien wird
diese Rasse fortgezüchtet. In Deutschland
hat sie sich neuerdings eingebürgert; unsere
Staatsgestüte und verschiedene Private (s. u.
13 *
496 CLYSMA —
Althaldensleben) haben Hengste und Stuten
zur Aufstellung gebracht, und es finden an
verschiedenen Orten die Beschäler dieser Rasse
von Clydesdale grosse Nachfrage bei der Zucht.
Eine grössere Anzahl schottischer Pferde¬
züchter hat eine besondere Clydesdaler
Pferdezucht-Gesellschaft gegründet, welche
folgende Zwecke in's Auge fasst: 1. Die
Reinheit des Clydesdaler Pferdeschlages (breed)
zu erhalten und die Züchtung desselben
möglichst zu fördern; 2. die Stammbäume
der Thiere zu sammeln, festzustellen, zu be¬
wahren und später zu veröffentlichen, nebst
anderen nützlichen, auf dieselben bezüglichen
Mittheilungen: 3. die allgemeinen Interessen
der Züchter und Besitzer besagter Pferde zu
fördern; 4. verdächtigen oder zweifelhaften
Stammbäumen der als Clydesdaler benannten
Pferde nachzuforschen und die als falsch be-
zeichneten Angaben zu veröffentlichen; 5. Strei¬
tigkeiten in Fragen, die sich auf besagte
Pferde beziehen, zu prüfen und zu erledigen.
Um den Beitritt zu dieser Gesellschaft zu
ermöglichen, sind verschiedene Aufgaben von
Seiten der Züchter zu lösen; es würde zu
Weit führen, auf diese hier noch näher ein¬
zugehen. Freytag.
Clysma, richtiger Klysma (tö xXoofjia),
ursprünglich jedes Wundwasser, dann übertr.
das Klystier. Sussdorf.
Clyster und xXoo-nrjp (lat. 'und griech.),
Klystier, Klystierspritze, ebenso
Clysterium (v. xXoox^ptov), Kly¬
stierspritze. Sussdorf.
Cnlcfn, C 42 H ge O t 5 . Wurde aus den Blät¬
tern von Cnicus benedictus Gärtn. dargestellt
und soll sich auch in anderen verwandten
Compositen finden. Seiden glänzende Nadeln
von neutraler Reaction, von sehr bitterem Ge-
schmacke, in Wasser schwer löslich, leicht in
Weingeist, sehr wenig in Aether. Mit kalter
concentrirter Schwefelsäure gibt Cnicin eine
rothe Lösung, die auf Wasserzusatz violett,
auf Zusatz von Ammon gelb wird. Wurde von
Bouchardat als Antitypicum höher gestellt als
Salicin. Es bewirkt nach Scribe brennende Hitze
im Pharynx, Wärme im Epigastriuin, Kolik.
Therapeutisch noch wenig erforscht. Loebisch.
Cnicus benedictus, die Spinnendistel
oder Kardobenedicte (Centaurea benedicta
L. XIX. Compositae-Cynareae), deren blühende
Zweige und Blätter in Deutschland als
Herba Cardui benedicti (Folia Car-
dui benedicti, Chardon bönit, Blessed Thistle)
officinell sind. Die bei uns wildwachsende
Pflanze ist durch ihre fast fusslangen Blätter
ausgezeichnet, die bodenständig und fieder-
theilig sind und einen geflügelten, stachligen
Stiel haben; die grossen Blüthenköpfchen,
welche gelbe Zwitterblüthen einschliessen,
sind von spinnwebig behaarten Deckblättern
umhüllt und in dem stachligen Hüllkelch
eingeschlossen. Wirksam ist der in kaltem
Wasser wenig lösliche Bitterstoff Cnicin,
ausserdem sind aber auch noch reichliche Al¬
kalisalze (Magnesium, Calcium, Kalium) ent¬
halten; das Mittel rangirt sonach zu den
Amara salina, hat jedoch nur schwache phy-
COALTAR.
siologische Wirkungen und wird auch nur da
benützt, wo die Pflanze häufig wächst. Wie
das Leontodon Taraxacum und das cholem-
saure Natrium (Galle) leistet es Dienste bei
„atonischer Verdauungsschwäche“ oder wenn
mit dyspeptischen Zuständen eine Trägheit
der Darmentleerung besteht; ob diese An¬
nahme richtig ist und man nicht mit etwas
Enzian uni Glaubersalz ungleich weiter
kommt, mag dahingestellt bleiben. Dosis
beim Pferd 15 \0—30'0, Rind 30*0—i 00-0,
Schaf 40*0—15*0, Hund in wässrigem oder
weinigem Infus zu 5 ■ 0—10 * 0 in 200 • 0 Wasser;
Extractum Cardui benedicti zu 0*5—1*0 in
Pillen. Vogel.
Coagulabilität heisst man die Fähigkeit
einer Substanz, unter gewissen Umständen
zu gerinnen, also Gerinnungsfähigkeit, Gerinn¬
barkeit. Sussdorf.
Coagulatio (lat das Gerinnen, Zusammen¬
laufen einer Flüssigkeit, von cogere = con-
agere) bezeichnet den Vorgang, welcher eine
tropfbare Flüssigkeit in eine festere, gallertige
Form übergehen oder sich in solcher eine
mehr oder weniger zusammenhängende Masse
bilden lässt. Zahlreiche Flüssigkeiten des
thierischen Körpers, insbesondere Blut,Lymphe,
Milch zeigen diese Gerinnungsfähigkeit, wenn
sie aus dem Körper entnommen werden, d. h.
unter andere Bedingungen kommen. Regel¬
mässig sind cs irgend welche stofflichen Ver¬
änderungen, meist durch fermentative Einwir¬
kungen angeregt, welche dem ProcesSe vor¬
ausgehen und ihn bedingen. Er besteht jeder¬
zeit in der Ausscheidung einer festeren (fest¬
weichen, gallertigen) Substanz, die in der
Flüssigkeit entweder präformirt, vielleicht
durch gewisse Verbindungen mit anderen
Körpern in Lösung erhalten sich findet (z. B.
Caseingerinnung der Milch) oder durch Neu¬
bildung einer solchen aus gewissen schon prä-
existirenden oder unter den veränderten Be¬
dingungen selbst erst sich bildenden Com-
ponenten (Fibrinbildung bei der Blut- und
Lymphgerinnung). Die Gerinnung von Lö¬
sungen fester Körper von Eiweiss wird durch
Wasserentziehung, Erhitzung etc. bewerk¬
stelligt. (Näheres darüber s. unter den be¬
treffenden Stichworten, wie Blutgerinnung,.
Milchgerinnung etc.) Das ausgeschiedene fa¬
serige oder flockige Gerinnungsproduct wird
Gerinnsel oder Coagulum genannt; freilich
verstand man unter diesem Namen ursprünglich
das gerinnen-machcnde Mittel, also z. B. daa
Lab. Sussdorf.
Coalescenz (von coalescere), eine noch
nachweisbare Verschmelzung zweier ursprüng¬
lich getrennter Knochenstücke zu einem einzi¬
gen, z. B. die Verschmelzung des O.c.* und O.c.*
zu dem Os capitato-trapezoideum in der Me-
tarcapalreihe desCarpus vom Wiederkäuer oder
des O.t. 1 und O.t.* zu dem sog. Pyramiden¬
beine in derMetarsalreihedes Pferdetarsus. Sf
Coaltar (nicht zu verwechseln mit Colca-
thar) ist das bei der Leuchtgasbereitung
aus Steinkohlen zurückbleibende Ncbenproduct
Theer, Steinkohlentheer, Oleum Lithanthracis,
dessen Wirkungen, s. Pix liquida. Vogel.
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COAPTATIO. — COCHENILLE-FACKELDISTEL. 197
Coaptatio, die ([geschickte] Zusammen¬
fügung, z. B. vonW undrän dern,Bruchenden etc.),
öbertr. die Anpassung an gegebene Verhält¬
nisse, also auch im Kampfe um’s Dasein. Sf.
Cob nennt man in England das mittel¬
grosse starke Pferd, welches für die gewöhnliche
Reiterei in den Parks, auf den Heerstrassen und
im Felde benützt wird und väterlicherseits von
guter, edler Abkunft ist. Vollbluthengste
werden dort häufig mit einer schon durch
mehrere Generationen veredelten Stute zu¬
sammengeführt, und es entsteht aus dieser
Paarung oftmals ein kräftiges, leistungsfähiges
Thier mit guten Formen, welches oftmals im
Herbst zu den grossen Hetzjagden benützt
wird. Die Grösse dieser Pferde übersteigt
selten l*60m. Die Gangarten sind bei den
besseren Cobs sehr zu loben. Ohne besondere
Knieaction durchlaufen sie im Trabe 5 engl.
Meilen und marschiren im Schritt 10 bis
\t Meilen in einer Stunde. Frey tag.
Cobaltum, Benennung für gediegenes
Arsen, welches durch Sublimation von Arsen¬
kies in Form einer bröcklichen krystallinischen
Masse erhalten wird. Loebisch.
Cooa, Cocablätter, Folia Cocae, kurz¬
weg Coca genannt, herkommend von einer
besonders am östlichen Abhänge der Cor-
dilleren cultivirten Pflanze aus der Familie
der Erythroxyleen, welche für die süd-
amerikanische Bevölkerung von Chile, Peru,
Bolivia und Brasilien ein unentbehrliches
Genussmittel (zum Kauen, wie Tabak) ist,
das dem Kaffee und Thee in seinen Wirkungen
nahe steht und einen Zustand schafft, welcher
die dortigen Einwohner zu anstrengenden
Arbeiten bei knapper Nahrung befähigt. Wirk¬
sam ist in diesen Blättern, welche jährlich
inungeheurenQuantitäten (über löMillionen kg)
verbraucht werden, ein dem indischen Hanf
ähnlich kommendes narkotisches Princip Co¬
cain, das jetzt als locales Anaestheticum zu
grosser Berühmtheit gelangt ist und aus der
Pflanze Erythroxylon Coca (s. d.) extrahirt
wird. Es stellt ein Salz dar, das
Cocalnum hydrochloratum heisst.
Die Wirkung ist schon von Montegazza er¬
kannt worden und sagt derselbe, dass Coca
den Hunger und Kummer vergessen mache
und dem Erschöpften ein Labsal sei; man
gab das Cocain auch überangestrengten
Soldaten zu 1 cg, worauf sie wieder leistungs¬
fähig wurden. Wahrscheinlich beruht die
Wirkung in einer Anaesthesie der Magen¬
nerven, denn die Stillung des Hungers ge¬
schieht sogleich. Aber auch andere Schleim¬
häute werden unempfindlich und fand dies
zuerst Anrep in Rossbach’s Laboratorium in
Würzburg, worauf Koller aus Wien erstmals
medicamentösen Gebrauch von dem Alkaloid
machte. Er träufelte einige Tropfen einer
2%igen Lösung auf die Conjunctiva und fand
bei Thieren und Menschen, dass diese völlig
analgetisch gemacht wurde, denn man konnte
sie beliebig einschneiden, zwicken, ja selbst
zerkratzen, ohne dass der geringste Schmerz
eäussert wurde. Diese totale Anaesthesie
auert zwar nur 5—8 Minuten, sie lässt sich
aber durch weiteres Einträufeln weniger
Tropfen der obigen wässrigen Lösung, die
auch bis zu 20% verstärkt werden kann, bis
zur Dauer von % Stunde und länger aus¬
dehnen. Seit Ende 1884 ist nun diese ebenso
überraschende als merkwürdige Cocain¬
wirkung in Tausenden von Fällen controlirt
und allseitig bestätigt worden, so dass die
Ophthalmiatrik durch ein äusserst werthvolles
Analgeticum bereichert worden ist, das gegen¬
wärtig nicht weniger als Wundermittel Auf¬
sehen erregt, als seinerzeit die Chinarinde
gegen das Wechselfieber, und zwar umsomehr,
als auch andere Schleimhäute und Organ-
gewebe anaesthesirt werden können, nur
müssen die Lösungen um so concentrirter
gemacht werden, je grösser die Fläche ist. Ob
jedoch durch das Mittel auch die allgemeinen
Anaesthetica, welche erst vom Gehirn aus Un¬
empfindlichkeit erzeugen, wie Aether, Chloro¬
form aus der Schanze geschlagen werden,
müssen erst weitere Erfahrungen lehren, die
zur Zeit noch nicht vorliegen. Vogel.
Cocalnum hydrochloricum oder muriati-
cum, aus der Stammpflanze Erythroxylon Coca,
8. Coca.
Coccaceen, Kugelbacterien (von xoxxos
Kern, Korn, Kugel), Mikrococcen, d. h. Spalt¬
pilze, von denen man nur die Kugel- oder
Coccusform kennt. Die Kugelindividuen,
meist kaum ein Mikr. gross, sind dabei isolirt,
oder sie können perlschnurartig aneinander
gereiht sein. Hieher gehören Leuconostoc und
Mikrococcus.
Coccenartige Formen können bei den
verschiedenartigsten Spaltpilzen Vorkommen;
also nicht allein bei den Coccaceen. So auch
bei Bacteriura, Beggiatoa (Siehe „chromogene
Spaltpilze“), Leptothrix, Cladothrix, Creno-
thrix. Meist sind die Cocci nur von Mikrmm.
oder geringerer Grösse. Hin und wieder
kommen bedeutend grössere vor, die dann
als Makrococcen, im Gegensatz zu ersteren,
den Mikrococcen, bezeichnet werden. Bewim¬
perte Coccen nennt man wohl auch Monaden
(Monas). Hart.
Coccesolen (abgel. von 6 xoxxoc, coccum,
Beere, und 6 ocuX^v, Röhre), nach J. Berres
die (peripheren Endorgane [?] der) allgemeinen
Gefühlsnerven. Sussdorf.
Cocculi indicl, Kokkelskörner (Grana Coc-
culi, Nuces oder Semina, Fructus, Baccae
Cocculi), s. Anamirta Cocculus). Vogel.
Cocculi pissatorii, Fischkörner, Läuse-
körner, Synonyma für Kokkelkörner, s. Ana¬
mirta Cocculus. Vogel.
Cocculus palmatus, Handblättriger Mond¬
samen (Menispermium palmatum der Ordnung
Polycarpicae - Menispermaceae L. XXII. 6.),
eine Schlingpflanze des südlichen Afrika, deren
Wurzel die Colombo ist, s. Jateorrhiza Co-
lumbo. Vogel.
Cocouius 8Ubero8U8 der fischtodtende
Mondsamen Ostindiens, enthält ein heftiges
narkotisches Gift, s. Anamirta Cocculus. Vogel.
Cochenille - Fackeldistel , Nopalpflanze,
Opuntia coccinellifer (Opuntinae - Cactaceae,
DigitizecL
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198
COCfflNHUHN. — COCON.
L. XII. 1), auf welcher der Coccus cacti, die
Cochenilleschildlaus lebt, s. Kochenille. Vogel.
Cochinhuhn (Cochinchina-Rasse, Shan-
ghaes, Chinas), ein in Ostasien einheimisches
Huhn, das zuerst im Jahre 1843 in Europa
eingeführt wurde; der erste Stamm gelangte
in den Besitz der Königin Victoria von Eng¬
land. Ira Jahre 1847 wurden mehrere Stämme
von englischen Züchtern aus China und ins¬
besondere aus dem Hafen von Shanghai ein¬
geführt. Seitdem hat sich das Cochinhuhn
über ganz Europa und Nordamerika als eine
der besten Culturrassen verbreitet. Das Cochin¬
huhn hat eine hohe, stattliche Figur, der Kopf
ist verhältnissmässig klein, der etwas kurze
Schnabel hat eine kräftige Wurzel und ist
papageiähnlich gebogen, der einfache und auf¬
rechtstehende Kamm ist straff, aber von feiner
Textur und trägt an seinem oberen Rande
tiefe und regelmässige Kerben; die feinen
Kehllappen sind etwas länger als die Ohr¬
lappen, beide von rother Farbe. Der ziemlich
kurze Hals wird etwas nach vorn getragen,
wie auch die ganze Haltung nach vorn ge¬
neigt ist. Der Rumpf ist breit und kurz; er
erhebt sich in dem breiten Satteltheile gegen
den kurzen, schrägstehenden Schwanz, dessen
Sichelfedern (beim Hahn) nur kurz sind und
abwärts hängen. Die Brust ist sehr breit und
tief, die Flügel sind klein und kurz, die
Handschwingen unter den Armschwingen ganz
versteckt. Die Unterschenkel sind von Flaum¬
federn umhüllt, die Fersen mit weichen, ge¬
bogenen Flaumfedern besetzt. Die kurzen und
kräftigen Läufe stehen weit auseinander und
sind an der Aussenseite dicht befiedert. Die
Zehen sind gross, gerade und gleichmässigaus-
gebreitct.DieCochins werden in folgenden Far¬
benschlägen gezüchtet: g e 1 b e, mit röthlichgel-
ben Halsfedern bei Hahn und Henne, röthlich-
gelben Rücken-, Schwanz- undFlügeldeckfedem
beim Hahn, im Uebrigen mit graugelbem Gefie¬
der bei Hahn und Henne; rebhuhnfarbige
mit brauner Grundfarbe bei Hahn und Henne,
blauschwarzer Brust und grünschwarzer Sichel
beim Hahn; weisse mit rein weissera Ge¬
fieder und zuweilen strohgelber Schattirung
am Rücken und Sattel (was die Abstammung
von den gelben erkennen lässt); schwarze
mit glänzend schwarzem Gefieder; Kukuk¬
sperber mit bläulichgrauer Grundfarbe und
dunkelgrauer Bänderung. Bei allen diesen
Farbenschlägen sind Schnabel und Füsse
gelb, nur bei den schwarzen Cochins kommen
auch hornfarbige Schnäbel vor. Eigenthümlich
ist die tiefe und kräftige Stimme der Co¬
chins. Die wirtschaftlichen Eigenschaften
sind insgesammt sehr werthvolle. Sie sind
sehr gute Leger, gute Brüter und Führer; ihre
Eier sind gross und von blassgelbröthlicher
Farbe. Die Cochins sind mastfahig, doch ist
ihr Fleisch etwas grobfaserig: sie sind wegen
ihrer harten Constitution leicht zu halten,
auch in engen Räumen, doch beanspruchen
sie viel Futter. Wilckens.
Cochlearia Armoracia, gemeiner Meer-
rettig und bekannte Cnieifere (Armoracia
rusticana), enthält in ihrer diätetisch benützten,
besonders im Herbst durch ihre Schärfe sich
auszeichnenden Wurzel, welche früher auch als
Radix Armoraciae officinell war,
mehrere dem ätherischen Senföl sehr nahe¬
stehende, scharfe, schwefelhaltige Oele. Im
frischen Zustande zerrieben oder zerquetscht
kann die Wurzel als energischer, entzündungs¬
erregender Hautreiz dienen, eine Wirkung,
die aber zweckmässiger dem schwarzen Senf
überlassen bleibt. In kleinen Gaben regt das
Mittel den Appetit gelinde an und ist Diure-
ticum, aber thierärztlich nicht verwendet. VI.
Cochlearia officinalis, gebräuchliches Löf¬
felkraut, Crueifere L. XV., 1, eine an den See¬
küsten der kalten Zone wachsende Pflanze,
deren frische Blätter sammt dem blühenden
Stengel als
Herba Cochleariae seit Jahrhunderten
ein Mittel ersten Ranges gegen Wassersucht,.
Rheumatismus und besonders Scorbut waren,
das jetzt aber gänzlich verlassen wurde. VI.
Cochlearibus, die Andeutung auf manchen
Reeepten, dass die Arznei löffelweise genommen
werden soll. Vogel.
Cocker. Mit diesem Namen bezeichnet
man in England eine Form kleiner, lang¬
haariger Wachtelhunde, welche zur Jagd auf
kleines Federwild benützt werden. Man unter¬
scheidet von diesen Hunden den englischen
Cocker, English Cocker, von eleganten For¬
men, mit abgerundetem Hirntheil des Kopfes,
hoher Stirne, ziemlich spitzer Schnauze, mittel¬
langen Ohren, die mit langen, welligen Haaren
bedeckt sind, kräftigen, kurzen Beinen. Der
Schwanz, der lang und abstehend getragen wird,
wird meist gestutzt. Die Behaarung ist wellig
und fein, seidenartig, die Farbe ist schwarz-
milchweiss, häufig schwarz und weiss oder roth
und weiss gefleckt. Der Cocker von Wales,
Welsh Cocker, ist grösser und kräftiger, die
Haare, die seidenartig sind, sind lang an
den Ohren und Beinen, nur der Schwanz ist
kurz behaart. Die Färbung ist schwarz oder
kastanienbraun. Der Cocker von Devonshire
ist ähnlich den vorigen, weiss oder braun,
oder weiss mit orangefarbenen Flecken. Sir.
Cocolum bedeutet soviel als das Coc-
torium (s. d.). Vogel.
Cocon. Viele Insecten mit vollkommener
Verwandlung umgeben sich, wenn sie aus
der Larvenform in das Puppenstadium über¬
gehen, mit einem Gespinnst aus Seidenfäden,
das die Puppe vollständig umgibt und Cocon
genannt wird. Die Seidenfäden sind das
Secret von Drüsen, sogenannten Spinndrüsen,
welche, entweder den Speicheldrüsen homolog,
an der Unterlippe der Larve ausmünden, so
bei Schmetterlings- und Blattwespenraupen
oder am Hinterende des Körpers gelegen sind,
wie bei dem Ameisenlöwen. Selten besteht,
wie beim Seidenspinner, Bombyx mori, das
Cocon nur aus Seidenfäden, meist sind diesen
fremde Körper, Sand, Holztheilchen, Koth
der Larve u. a. beigemischt. Coconbildner
sind bei den Hymenopteren die Blattwespen.
Tenthrediniden, die Ameisen, bei den Lepidop-
teren die Spinner (Bombycidae), bei den Neu-
ropteren die Ameisenlöwen, Myrmecoleo. Sir .
COCOS NUCIFEBA. — CODElN.
199
Cocos nucifera, echte Cocospalme (Spa-
diciflorae-Palmae, L. XXI. 5—10, der nütz¬
lichste Baum in den Tropenländern, welcher
neben der wahren Oelpalme (Eläls gninensis)
Afrikas den wichtigsten Handelsartikel, das
Cocosnussöl liefert, das in ungeheuren Massen
über Europa verbreitet und jetzt hauptsäch¬
lich zur Seifenbereitung benützt wird. Sein
bis zu 26 m hoher Stamm enthält ein essbares
Mark, aus dem Zucker und Palmwein bereitet
wird, während die Blüthenkolben ein treff¬
liches Gemüse sind. Seine Frucht ist die
bekannte Cocosnuss, deren Bast Stricke und
Matten liefert und deren harte Schalen zu
Gefässen aller Art verwendet werden; die
unreifen Nüsse enthalten die Cocosmilch, die
beim Reifen immer consistenter wird, und
einen mandelartigen Kern bildet, aus welchem
das Oel gewonnen wird, das durch den grös¬
seren Gehalt an Palmitinsäure-Glycerid (Tri¬
palmitin) sich auszeichnet, butterartig weiss
ist, bei 15° weich und bei 23° flüssig wird.
Das Cocosnussöl ist als
OleumCocos (Oleum Cocois) in den Apo¬
theken vorräthig und wird vielfach statt der
leichter ranzenden thierischen Fette zu Salben
verwendet, in England auch an Stelle des
Leberthrans gesetzt, während das ebenfalls
butterartige Palmöl der Eläls (Oleum Palmae)
mehr zu Wagenschmiere und Ceraten benützt
wird. Vogel.
Coco8nu88kucheit und Cocosnussmehl.
Die nussartig schmeckenden Kerne der Cocos¬
palme (Cocos nucifera) werden extrahirt mit
Schwefelkohlenstoff oder ausgepresst, behufs
Gewinnung des fetten Cocosnussöles. Die ent¬
fetteten Rückstände bilden ein sehr beliebtes
Kraftfutter für verschiedene Nährzwecke.
Die Pressrückstände (Kuchen) ent¬
halten :
87*9—94*0 im Mittel 90*6% Trockensubstanz
16*3—37*2 „ „ 20*6 „ Protein
6*9-22*7 „ „ 13*2,, Fett
28*4—47*4 „ „ 37*4 „ stickstofffreie Extractstoffe
6*9—21*1 „ „ 14*2 „ Holzfaser
— — „ „ 5*2 „ Asche
Die Extractionsrückstände (Cocos¬
nussmehl) enthalten 89*7% Trockensubstanz,
21*1% Protein, 2*3% Fett, 39*6% stick¬
stofffreie Extractstoffe, 20*9% Holzfaser und
3*8% Asche, sind also wesentlich fettärmer
als die Kuchen. Sie gelten aber wie diese als ein
ganz ausgezeichnetes Milchfutter, das viel
Butterfett von ausgezeichneter Qualität und
grosser Consistenz ergibt. Ausserdem lobt man die
Cocosrückstände als Schweinemastmitte],
indem danach ein besonders wohlschmeckendes
Fleisch und ein ausgezeichneter kerniger Speck
resultiren sollen. Oft sind indessen diese Kuchen
etc. nicht frisch (verdorben), riechen ranzig, sind
von dunklerer Farbe und ist alsdann Vorsicht bei
deren Verfütterung geboten. Gute Kuchen etc.
haben einen angenehmen süsslichen Geruch
und sind von röthlichweisser oder wenig hell¬
brauner Farbe. Pott.
Cocospalme der Tropen, s. Cocos nuci¬
fera. Vogel.
Coctiv, Coctivus. In der Botanik jene
Pflanzen, welche sich dadurch auszeichnen,
dass sie auch in schlechten Jahrgängen leicht
reif werden. Vogel.
Coctorium, der Kochapparat der Pharma-
ceuten. ' Vogel.
Codaminum, Co dam in, eines der vielen
jetzt im Opium nach gewiesenen (20) Alkaloide,
dessen physiologische Wirkungen aber noch
nicht näher studirt sind. Vogel.
Code'in, C 18 H Äl N0 8 (von xu>8sia, Mohn¬
kopf), ist eine starke Base, welche im Opium
neben Morphin und vielen anderen Opium¬
basen zu %—%% enthalten ist. Das Codein
ist in Aether löslich und krystallisirt daraus
in wasserfreien Krystallen, auch in Wasser
ist es ziemlich löslich, es schmilzt bei 150°.
Mit Säuren bildet es meistens gut krystalli-
sirbare Salze, welche sehr bitter schmecken.
Von concentrirter Schwefelsäure wird Codeln
farblos gelöst, doch wird die Lösung nach
acht Tagen blau; concentrirte Salpetersäure
löst es mit rother Farbe. In seiner toxischen
Wirkung ähnelt es dem Pikrotoxin, indem es
erregend auf gewisse Krampfcentren wirkt
und gleichzeitig einen gewissen Grad von
Hypnose erzeugt, ObstipationsWirkung zeigt
es keine. Therapeutisch hat das Codeln be¬
sonders in Frankreich als Ersatzmittel des
Morphins Anwendung gefunden. Loebisch.
Das Co dein um (Codeln), eines der 19 Ne¬
benalkaloide des Opiums, deren Gruppe mit dem
Codeln an der Spitze jener des Morphins
gegenüber steht, denn die Morphingruppe ist
durch ihre narkotische Wirkung ausgezeichnet
und bei der Codeingruppe tritt die tetanisirende
in den Vordergrund (Krampfalkaloide des
Opiums). Betäubende und hypnotische Effecte
sind jetzt nachgewiesen bei den Opiumalkaloiden
Narceln, Opianin, Metamorphin, Cryptopin,
Papaverin (?), während die zweite Gruppe
durch Steigerung der Reflexerregbarkeit Con-
vulsionen und selbst Starrkrampf erzeugt;
hieher gehören zunächst Thebain, Laudanin
und Laudanosin, während die weiteren Krampf¬
alkaloide spasmodische Muskelbewegungen aus-
lösen, welche hauptsächlich vom erregten Ge¬
hirn und verlängerten Mark ausgehen und
deren Repräsentant eben das Codeln und Hydro-
cotarnin ist, obwohl auch die Morphin gruppe
leichte krampferregende Nebenwirkungen auf-
weist; am meisten kommt hiebei auf die
Dosirung an und so kommt es, dass auch die Co¬
dein gruppe prononcirt schlaferzeugende Neben¬
wirkungen hat, wenn nur kleine Mengen ins
Blut gelangen. Codeln ist unzweifelhaft viel ge¬
fährlicher als Morphin und das diesem jeden¬
falls von allen Opiumbasen am nächsten
stehende Narcein; es tödtet Kaninchen schon
bei 0*05 (subcutan), bei Hunden erzeugt es in
derselben Gabe blos Schlaf, in grösseren Gaben
schon heftige Streck- und Stosskrämpfe, My-
driase, Ansteigen der zuvor stark gesunkenen
Temperatur, zuletzt Tod durch Erstickung.
Merkwürdig ist die neueste Beobachtung, wo¬
nach Code'in ganz eigentlnimliche Einwirkun¬
gen auf das Gehirn ausübt, in Folge deren
jene Neurose günstig beeinflusst wird, welche,
als Glykosurie bekannt ist; man verwendet
200
CODEX MEDICAMENTORUM. — COELENTERATEN.
daher gegenwärtig das (keine Verstopfung
erzeugende)
Codeinum hydrochloratum vielfach
gegen Zuckerharnruhr, welche sich immermehr
als eine Gehirnkrankheit entpuppt. Als bestes
Gegenmittel für Codeinvergiftungen hat sich
Chloralhydrat gezeigt. Vogel.
Codex medfcamentorum, s. u. Apotheken.
Codia, eine hie und da gebrauchte latei¬
nische Bezeichnung für die offieinellen Mohn¬
köpfe, Capsulae (Capita) papaveris. Vogel.
Coelenteraten , Coelenterata; Leuckart-
Hohlthiere. Niederster Typus der metazoi-
schen Thiere. Unter dem Namen Coelen¬
teraten vereinigte zuerst Leuckart im Jahre
1847 (Beiträge zur Kenntniss wirbelloser
Thiere, von Frey und Leuckart, Braunschweig
1847) einen Theil der Polypen und die
Acalephen Cuviers, welche mit den Infu¬
sorien, Eingeweidewürmern und Echinodermen
von diesem in dem Embranchement der Radiär-
thiere, Animaux rayonnös zusammengefasst
worden waren. Leuckart definirt die Coelente¬
raten als Thiere von radiärem Körperbau, mit
einer Leibeshöhle, welche von der Central¬
achse nach der Peripherie zu einstrahlt und
durch eine weite Oeffnung im Grunde des ein¬
fachen Magenrohres, wenn ein solches über¬
haupt vorhanden ist, mit dem Verdauungs¬
apparat zusammenhängt. Er vereinigt in diesen
die Classen der Polypen und der Acalephen
(s. Leuckart: Ueber die Morphologie und die
Verwaodtschaftsverhältnisse der wirbellosen
Thiere, 1848). Später vertrat Leuckart die An¬
sicht, dass auch die Schwämme, Spongien, zu
den Coelenteraten gehören und die nächste
Verwandtschaft zu den Polypen zeigen, was in
der Folge namentlich durch die Arbeiten
Haeckel’s und F. E. Schulze’s erhärtet wurde.
Im heutigen System ist der Typus der Coelen¬
teraten in der von Leuckart gegebenen Be¬
grenzung vollständig anerkannt. Nur dürfen
wir den als Leibeshöhle bezeichneten Ver¬
dauungsraum nach den seither gewonnenen
entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen nicht
mehr als solchen auffassen, sondern als ent¬
sprechend demjenigen Raume, der beim Em¬
bryo höherer Thiere von dem durch Einstül¬
pung oder Abspaltung gebildeten inneren Keim¬
blatte umschlossen wird und der sich bei wei¬
terer Entwicklung zum Verdauungsrohre und
in vielen Fällen, Echinodermen, Würmer, Brachi-
opoden, Wirbelthieren auch zur Leibeshöhle
differencirt. Dieser Raum wird dann richtig
als coelenterischer Verdauungsraum bezeichnet.
Darnach charakterisiren sich die Coelenteraten
als Thiere, deren aus 2—3 Zellblättern ge¬
bildete Körperwand einen coelenterischen
Raum umgibt, der als Verdauungsraum func-
tionirt, von dem aus taschenartige oder canal-
artige Aussackungen in radiärer Richtung zu
der Hauptachse ausstrahlen können; diese
können mit dem äusseren Medium durch
Poren der Köq>erwand in Verbindung stehen,
(Spongien), oder geschlossen sein (Cnidaria).
Die Körperform der Coelenteraten lässt sich
zurückführen auf einen cylindrischen Schlauch
der an einem Ende eine Oeffnung, die Mund-
öfihung, besitzt, am anderen Ende geschlossen
ist. Die Wandung besteht aus einer äusseren
Schicht von Zellen, dem Ectoderm, und einer
inneren, dem Endoderm, zwischen beiden liegt
eine structurlose Membran. Dieselbe kann bei
vielen Familien sich sehr verdicken, Zellen in
sich aufnehmen, Skelettsubstanzen von Kiesel, -
Kalk oder hornartigen Stoffen ausscheiden, sich
zu einem Gallertgewebe umgestalten und heisst
dann Mesoderm. Das Ectoderm steht den ani¬
malen Functionen vor, es besteht aus einer
einfachen Zellschicht oder ist mehrschichtig
und dann bei höheren Formen differencirt in
Epithelzellenlager, Muskeln und Ganglienzellen
mit Nervenausläufem. Das Endoderm stellt
meist eine einfache Lage von Geisselzellen
dar, welche den ganzen coelenterischen Ver¬
dauungsraum auskleiden. Die Geschlechts¬
zellen entstehen durch Ablösung von Zellen
aus dem Ectoderm oder Endoderm. Die Haupt¬
erscheinungsformen der Coelenteraten sind die
Spongie, der Polyp, die Scheibenqualle und
die Rippenqualle. Die Spongie repräsentirt
einen an einem Ende fest aufsitzenden Schlauch
mit einer Oeffnung, dem Osculum, an dem
entgegengesetzten Ende. Von dem coelente-
rischenRaum strahlen in die durch sehr entwickel¬
tes Mesoderm verdickten Wandungen Taschen
und Canäle aus, welche sich durch besondere
Poren nach aussen öffnen. Diese Poren dienen
als Eingangsporen für Wasser und Nahrungs¬
stoffe. Der Polyp ist ein schlauchförmiger, an
einem Ende festgehefteter, am andern mit
einer Mundöffnung versehener Körper, dessen
Wandungen undurchbohrt sind. Die Mund-
Öffnung ist umgeben von cylindrischen oder
zuweilen verzweigten Tentakeln, welche, sehr
beweglich, zum Ergreifen der Beute dienen.
Die Qualle zeigt einen scheiben- oder glocken¬
förmigen, freischwimmenden Körper, aus dessen
Centrum nach unten ein am Ende offenes Rohr,
das Magenrohr, herabhängt. Das Rohr führt
in einen im Centrum der Scheibe gelegenen
coelenterischen Raum, von dem aus nach der
Pheripherie Taschen oder Canäle ausstrahlen,
die am Rande der Scheibe durch einen Ring¬
canal vereinigt sein können. Häufig trägt der
Rand der Scheibe Tentakeln. Die Rippenqualle
repräsentirt eine freischwimmende Kugelform,
an deren unterem Pole eine Mundöffnung, am
entgegengesetzten Pole ein Sinnesorgan sich
befindet. In acht Meridianen laufen über die
Kugel rippen artige Hervorragungen, welche
locomotorische Schwimmplättchen tragen. Der
Mund führt in ein Magenrohr, das, in der Haupt¬
achse des Körpers verlaufend, in den coelen¬
terischen Hohlraum, den sogenannten Trichter,
mündet, der zwei kurze Ausführungsporen
zu den Seiten des oberen Poles besitzt. Vom
Trichter gehen 2 Canäle aus, die sich je in
4 spalten, um schliesslich in meridi anale Canäle
überzugehen, welche unter den acht Rippen
verlaufen. Die Coelenteraten pflanzen sich auf
geschlechtlichem Wege durch Eier und auf
ungeschlechtlichem Wege durch Knospung oder
Theilung fort. Letztere beide Fortpflanzungs¬
arten führen oft zur Bildung von Thierstöcken,
indem die durch Knospung oder Theilung ent-
COELIA. — COFFEA ARABICA.
201
standenen Individuen mit dem Mutterthiere
im Zusammenhänge bleiben. Bei den Hydro-
medusen und vielen Scheibenquallen findet ein
Generationswechsel statt. Aus dem Ei eines Ge-
schlechtsthieres, das in der Form der frei¬
schwimmenden Qualle auftritt, entsteht ein
Polyp, welcher auf ungeschlechtlichem Wege
durch Knospung oder Quertheilung wieder das
Geschlechtsthier, die freie Qualle, erzeugt. Die
Coelenteraten sondern sich in die zwei Sub¬
typus der Poriferen oder Spongien und die
Cnidarien oder Coelenteraten mit Nesselorganen.
Diese Letzteren zerfallen in die Ordnungen der
Hydromedusen (Quallenpolypen), Acalephen
(Scheibenquallen), Anthozoen (Blumenpolypen),
Ctenophoren (Rippenquallen). Die Coelente¬
raten leben grösstentheils im Meere, nur wenige
Formen auch im süssen Wasser, so die Süss¬
wasserschwämme (Spongilla), die Süsswasser¬
polypen (Hydra); auch eine kleine Qualle
wurde neuerdings als Süsswasserbewohner ent¬
deckt. Sir.
Coelia, die in das Lateinische übertragene
Form des griech. vj xo:Xi'a, die Höhlung, als
Bauchhöhle, Brusthöhle, Magen, Herzkammern,
mit dem Adj. coeliacus = xoiXtaxo's, ist ein in
zahlreichen medicinischen Terminis gebräuch¬
liches Componens, so in
Coelialgia, Hinterleibsschmerz, Bauch¬
schmerz.
C o e 1 i i ti s, Hinterleibsentzündung.
Coelioparacentesis, die Punktion des
Hinterleibes etc. Sussdorf.
Coelodoata Boiei Bronn. Im Jahre 1831
beschrieb H. G. Bronn die noch nicht abge¬
nützten jungen Zähne von Rhinoceros ticho-
rhinus Cuv. aus dem Löss unter dem Namen
Coelodonta, Höhlenzähne, indem er glaubte,
dass sie einer eigenen Art angehörten, v. Meyer
und Kaup wiesen nach, dass es blos Backen¬
zähne eines jungen Individuums von Rhinoceros
tichorhinus seien, worauf Bronn in seiner
Lethaea geognostica dieser Anschauung bei¬
stimmt. Koudelka.
Coelom (t& xotXu>jjia, Höhle) ist der
HaeckePsche Ausdruck für den zwischen Haut¬
muskelschlauch und Darmschlauch gelegenen
Hohlraum, also gleichbedeutend mit Leibes-,
Pleuroperitoneal-, Visceralhöhle oder Jäger’s
Perigastrium. Ein Coelom kommt den nie¬
dersten Thiergruppen nicht zu, es ist nur ein
Besitz der schon etwas höher entwickelten
Avertebraten und der gesammten Vertebraten.
Haeckel stellt deshalb die Coelomaten den
Acoelomiem (Coelenteraten der früheren) als
den nicht mit einer Leibeshöhle ausgestatteten
Thieren gegenüber. Die Entwicklung der
Leibeshöhle beginnt mit der Bildung der
Pleuroperitonealspalte im Mesoderm und
Scheidung desselben in eine Körper- und
Darmfaserplatte. Näheres s. Leibeshöhle. Sf.
Coelomeie (abgel. von xolXoc, hohl, und
\ funta, Sonde), die Hohlsonde. Sussdorf.
Coenuru8 (von xojvo's, gemeinschaftlich
und oöpd, Schwanz), der Gemeinschwanz,
Vielkopf, Quese. Scolexform der Cestoden
s. Bandwürmer.
Coffea Arabica, echter Kaffeebaum; ein
immerblühender, immergrüner Baum von der
Tracht unserer Kirschbäume aus der Familie
der Rubiaceen (Coffeae) L. V. 1, der ursprüng¬
lich in Abessinien vorkam, von den Arabern nach
Arabien verpflanzt wurde und jetzt seiner bekann¬
ten Samen, der Kaffeebohnen (Semina Coffeae)
wegen in fast allen tropischen Ländern im
ausgedehntesten Masse cultivirt wird; Brasi¬
lien, Sumatra, Java und Ceylon produciren
am meisten; die beste Sorte, der Mocca-Kaffee,
wächst aber in Arabien und kommt nicht zu
uns (oder nur in Form der kleinen Javabohne),
ebenso vorzüglich sind auch die Colanüsse,
aus denen der Kaffee vom Sudan bereitet wird.
Wirksam ist das
Coffein, Coffeinum oder Caffein,
ein Alkaloid, das auch in den Blättern
des chinesischen Thees und den Colanüssen
Guineas vorkommt; Thein, Caffein (und Gua-
ranin aus den Früchten der trinkbaren Pau-
linia sorbilis) sind daher identische Stoffe von
ganz derselben physiologischen Wirkung, d. h.
sie sind bei geringer Giftigkeit von angenehm
erregender, belebender Wirkung auf das Ner¬
vensystem und neben den Cocablättern und
den Cacaosamen (mit dem Cocain und dem
Caffein so nahe verwandten Theobromin der
Chocolade) die beliebtesten Genussmittel der
Menschheit, doch sind die günstigen Effecte
nicht allein von den Alkaloiden abhängig,
man verwendet daher am besten die betreffen¬
den Pflanzen selbst; insbesondere wirksam ist
auch das aromatische Oel und die Brenz¬
substanzen der gebrannten Bohnen, es ist da¬
her noch keineswegs ausgemacht, ob Caffein
das hauptsächlich wirksame Princip in dem
Kaffeeinfus ist, denn Letzteres ist 3—4mal
giftiger, als das Alkaloid allein (Haase):
überhaupt kennt man die Wirkungen nicht
genau, es können daher nur folgende An¬
gaben gemacht werden und ist dabei zu
bemerken, dass im Ganzen dem Kaffee bei den
nicht an seinen Genuss gewöhnten Hausthieren
(ähnlich wie dem Alkohol) eine nicht weniger
mächtige Einwirkung auf das Gesammt-Nerven-
system (insbesondere aber auf das cerebrale)
zukommt, wie beim Menschen. Hervorragend
bei den Thieren ist jedenfalls die hochgradige
Steigerung der Reflexerregbarkeit des Central¬
nervensystems, wobei in höheren Gaben stets
Starrkrampf cintritt, wodurch Kaffee dicht an
die Seite des Strychnins gestellt wird, nur
bedarf es bei diesem ganz ungleich kleinerer
Gaben; auf das Gehirn selbst findet eine leichte
Erregung statt, die der des Morphins in kleinen
Gaben, sowie des Alkohols gleich kommt; die
hiezu nothwendigen Dosen sind indess schwer
zu treffen, da einestheils der Caffelngehalt ein
sehr variabler ist, die einzelnen Thiere anderer¬
seits aber sehr verschieden reagiren. Kanin¬
chen bekommen heftige Strychninschläge schon
bei intravenösen Caffeingaben von 0*10, Katzen
bei 0*15, Hunde 0*20. Erstere sterben bei 0*1,
Hunde bei 0*05 pro Kilo Körpergewicht, es
gewöhnen sich aber auch die Thiere an immer
grössere Gaben bald, immer wiegt bei ihnen
jedoch die anfängliche Erregung des Rücken¬
markes, die schliesslich einer Lähmung Platz
202
COGROSSI. — COLCATHAR.
macht, vor, beim Menschen findet gegen¬
teilig erst eine vermehrte Reflexerregbarkeit
im Gehirn statt. Was das Herz betrifft, so ist
auffallend, dass eine gewöhnliche Gabe schwar¬
zen Kaffees eine erhebliche Pulssteigerung
mit Herzklopfen nach sich zieht, der Blut¬
druck steigt und damit ein leichter Drang zum
Harnen verbunden ist, was an Digitalis erin¬
nert: man hat daher in neuerer Zeit auch in
der Hundepraxis vielfach Caffein an Stelle des
Letzteren bei chronischen Herzkrankheiten
mit Hydrops gesetzt, es hat sich jedoch als¬
bald gezeigt, dass das Fingerhutkraut ent¬
schieden zuverlässiger ist, gewiss nur aus dem
Grunde, weil bei diesem die Gabengrösse
besser studirt ist. Die Schlusswirkung ist
Arrhythmie des Herzens, Sinken des Blut¬
druckes und Lähmung, Diastole cordis. Die
übrigen Kaffee Wirkungen (auf die Hautaus¬
dünstung, die Verdauung, die Nerven u. s. w.)
sind nur untergeordneter Art, man hat daher
an dem Mittel bei den Hausthieren in erster
Linie ein Medicament, das mit grosser Sicher¬
heit die Reflexibilität des Rückenmarkes anregt,
in zweiter Linie die Gehirnthätigkeit leicht
steigert; schwarzer Kaffee ist daher zuvörderst
als ein Analeptieum der Thiere aufzufassen,
das in kleinen Gaben auch als ein Sedativum
bei nervösen Irritationszuständen sich gut
verwerthen lässt; als Diureticum kann Kaffee
nur Dienste leisten, wenn es sich dabei auch
zugleich um Hebung des gesunkenen Blut¬
druckes handelt. Therapeutisch Tesultirt hier¬
aus, dass das Mittel an gezeigt ist bei allen
Zuständen, in welchen das Nervensystem, wie
man zu sagen pflegt, nicht mehr mitthun
will, in seiner Thätigkeit bedenklich dar¬
nieder liegt oder bereits Collaps ein getreten
ist und findet es sonach Verwerthung bei den
verschiedensten Erkrankungen, insbesondere
aber bei den so neuropathisch angelegten
Fleischfressern, bei der Staupe derselben so
gut, als b<rt nervösen Depressionen der anderen
Hausthiere, z. B. der puerperalen Eklampsie
des Rindes. Schärfere Indicationen lassen sich
vorerst nicht aufstellen, denn es fehlt noch
an zuverlässigen Beobachtungen, dagegen lie¬
gen Gegenanzeigen vor, welche die grösste
Beachtung verdienen. Allen „nervösen u Thieren
oder solchen, die mit sog. functionellen Nerven¬
krankheiten behaftet sind, schadet Kaffee auch
in kleinen Gaben, denn es treten fast sofort
Verschlimmerungen auf, selbst epileptoide Zu¬
falle, arterielle Fluxionen nach dem Gehirn,
Herzerethismus, schwere Athemnoth u. dgl.
Bei acuten Herzkrankheiten ist Kaffee ein
wahres Gift, bei chronischen meist nutzlos
und nur von Nutzen, wenn bereits Wasser¬
sucht ausgebildet ist: man gibt dabei Coffei¬
num Hunden zu 0*5—2*0 pro die, des bittern
Geschmackes wegen in Pillen oder als
Caffein um citri cum, vorausgesetzt,
dass acute oder chronische Magenkrankheiten
nicht vorliegen. Kleinste Gabe für Hunde
0*05—0*1, Maximaldose pro die 3 0. Auf
eine gewöhnliche Tasse guten schwarzen Kaffees
rechnet man 13*0 geröstetes Kaffeemehl und
ist darin et\yi 1 dg Coffein enthalten; für die
grossen Hausthiere muss betreffe der Mengen
versuchsweise vorgegangen werden, um jene
Wirkungsgrade zu erzielen, die allein wohl-
thätig sein können; Rinder erfordern beiläufig
0 * 5 — 1 *51 im Tage (5 % Kaffeemehl). Für
Hunde subeutan zu 0*1 —0*3 pro Spritze ver¬
dünnten Weingeistes; auch als Menstruum
dient das Kaffeefiltrat für Arzneien, welche
gerne erbrochen werden. Bei Schwächezustän¬
den ist ein Zusatz von Alkohol sehr zu
empfehlen. Vogel.
Cogrossf, geb. 1681, Professor zu Padua,
gab 1714 eine Schrift über Rinderpest heraus. Sr.
Cohä8ion wird in der Physik die An¬
ziehung benannt, welche zwischen den be¬
nachbarten Theilchen — Molecülen — eines
festen Körpers stattfindet, so dass, wenn man
dieselben durch eine äussere Kraft von ein¬
ander trennen will, ein gewisser Widerstand
zu überwinden ist. Die flüssigen Körper haben
einen geringeren Grad von Cohäsion als die
festen, und bei den gasförmigen Körpern
fehlt sie ganz. Adhäsion (s. d.), die Anziehung
zwischen den Theilchen zweier verschiedener
benachbarter Körper, geht häufig in Cohäsion
über, z. B. geht die Adhäsion zwischen zwei
Eisenstäben beim Zusammenschweissen in der
Glühhitze in Cohäsion über, da beide Körper
in einen einzigen festen Körper vereint
wurden. Loebisck.
Cohen, geb. 1820, Docent für landwirt¬
schaftliche Thierheilkunde in Rostock, schrieb
über Schafpocken und deren Impfung, Rotz
und Lungenseuche, und gab 1861 ein Werk
unter dem Titel: „Veterinärpolizeiliche Memo¬
rabilien und Gutachten aus der thierärztlichen
Praxis“ heraus. Semmer.
Coitus (von coire, sich begatten), die Be¬
gattung. Sussdorf.
Colatio, Coliren. Das Durchseihen, Fil-
triren (Percolatio), d. h. Trennen des extra-
hirten Rückstandes von Arzneimitteln von der
Flüssigkeit, wobei die trübenden Beimengungen
in dem Seihtuche
Colatorium Zurückbleiben; da diese
Colirtücher aus einem mehr oder weniger
durchgängigen Stoffe bestehen, meist aus ge¬
brauchter Leinwand von verschieden weiten
Maschen, so ist es natürlich, dass sie kleine
Partikelchen durchlassen und ganz klare Flüs¬
sigkeiten nur durch Filtriren auf Papier u. s. w.
zu erreichen sind; man giesst daher die zu¬
erst durchgelaufene Flüssigkeit wieder auf das
Colatorium; im Uebrigen brauchen die meisten
Infuse und Decocte durchaus nicht völlig
klar zu sein und zum Seihen von dickeren
Fluiden, schleimigen Abkochungen, Syrupen,
Rheuminfuseu gebraucht man Flanelltücher,
die meist in viereckigen, hölzernen Rahmen
oder zwischen vier Nägeln aufgespannt werden
(Tenakel). Die so gewonnene Flüssigkeit heisst
auch auf den Recepten Colatura und die Formel
„Detur ad colaturam“. Vogel.
Colcathar, der bei der Darstellung der
Schwefelsäure aus Eisenvitriol sich bildende
Rückstand (Colcathar Vitrioli. Caput mortuum),
der jetzt nur mehr als Farbstuff (Englisch-
roth, Eisenoxyd) dient, von den französischen
COLCHICIN. — COLESHILL-SCHWE1N.
203
Thierärzten aber als Tonicum und Adstringens
angewendet wird. Es enthält freie H t S0 4 . VI.
Colchicin, C l7 H 10 NO s . Das in dem
Samen und Knollen der Herbstzeitlose (Col¬
chicum autumnale,s. d.) vorkommende Alcaloid.
Zur Darstellung extrahirt man die Samen
oder Knollen mit Alkohol, verdampft den
Auszug zum Syrup, verdünnt mit Wasser,
filtrirt und fällt das Filtrat mit Bleiessig.
Das Filtrat wird durch Natriumphosphat ent¬
bleit und dann mit Gerbsäurelösung partiell
efällt, wobei nur die mittleren Fractionen
er Fällung weiter bearbeitet werden. Diese
werden mit Bleioxyd eingetrocknet und dann
mit Alkohol ausgezogen. Es bildet ein neu¬
tral reagirendes, gelbes, amorphes Pulver,
welches sehr giftig ist. In Berührung mit
Colchicin färbt sich .concentrirte Schwefel¬
säure dunkelgrün, dann gelb. Fügt man einen
Tropfen Schwefelsäure hinzu, so wird die
Lösung dunkelblau, violett, braun und schliess¬
lich wieder gelb. Loebisch.
Das Colchicin kommt besonders reich¬
haltig im Samen der Herbstzeitlose vor, welche,
wenn in grösserer Menge im Heu vorhanden,
beim Vieh Durchfälle, Erbrechen, Magen-,
Darmentzündungen, auch wohl Todesfälle ver¬
ursachen. Ziegen ist diese Giftpflanze minder
schädlich. Pott.
Colchicum autumnale L., Herbstzeitlose.
Perennirendes Zwiebelgewächs aus der Fa¬
milie der Liliaceae mit grundständigen Blät¬
tern und grundständiger, langröhriger Blüthe.
Zur Blüthezeit ist die Pflanze blattlos; die
braune Zwiebel endigt in einer Scheide von
braunen Schuppen, welche den Grund der
Blüthenröhre umfassen. Die Blumenröhre hat
einen Saum aus sechs fleischröthlichen Zipfeln.
StaubgefÜsse sechs, Fruchtknoten unterirdisch
aber innerhalb der Blumenröhre. Griffel drei,
sehr lang und fadenförmig. Kapsel dreiklappig
mit zahlreichem Samen; im nächsten Früh¬
jahre erscheint der Stengel mit den Blättern,
sie umgeben die gipfelständige Kapsel. Die
Pflanze ist auf Wiesen ein schädliches Un¬
kraut, das sich durch Zwiebel und Samen
vermehrt und dem Vieh ein schädliches Futter
ist. Zur Tilgung empfiehlt sich wenn möglich
Bewässerung, dann Ausziehen oder Aus¬
stechen der Pflanzen, das aber mehrmals
wiederholt werden muss. v. Liebenberg,
Das wirksame Princip ist das in allen
Theilen der Pflanzen zu 0*2% enthaltene
Colchicin (s. d.), das zu den gefürchtetsten,
weil schon in äusscrst kleinen Mengen wirk¬
samen Giften für die Omnivoren zählt, wäh¬
rend die Pflanzenfresser weniger heftig an¬
gegriffen werden. Katzen werden schon von
0 * 005 Colchicin getödtet, Hunde 0 ■ 008—0 * 015,
der Mensch von 0*03 und das Kaninchen erst
bei 0*02—0’04. Mässige Dosen der Samen,
die als
Semen Colchici officinell sind, ver¬
ursachen bald Uebelkeit, Erbrechen und in
grösseren Mengen Vergiftungserscheinungen,
welche im Cessiren des Wiederkauens, Kolik,
hochgradigem Laxiren mit Abgang von blu¬
tigem Mist (Magendarm-Entzündung) bei ver¬
ringerter Hamsecretion (Nierenhyperämie) be¬
stehen; von Seiten des Nervensystems ist charak¬
teristisch der Verlust des Bew usstseins und der
Empfindung, der willkürlichen und reflectori-
schen Bewegung und schliessliche Lähmung der
Respiration, während das Herz bis zum Tode
fortschlägt und Bauchvagus mit Splanchnicus
sehr lange intact bleiben: ausserdem hat diese
Intoxication das Eigeuthümliche, dass sie erst
mehrere Stunden nach der Ingestion des
Giftes hervortritt, worauf dann alsbald stür¬
mische, äusserst schmerzhafte und anhaltende
Diarrhöe folgt. Somit wäre Colchicum ein
heftiges Purgans, das jedoch viel zu gefähr¬
lich ist; ebenso hat man ihm diuretische
Effecte zugeschrieben und geglaubt, dadurch
eine Reihe dyskrasischer Zustände, insbeson¬
dere Gicht, Rheumatismus und Lithiasis be¬
kämpfen zu können, was jedoch ein Irrthum
war, denn eine vermehrte Abscheidung von
Ham kommt nur t heil weise und unsicher vor,
eine solche von Harnsäure aber gar nicht, das
Mittel verdient daher gar keine Anwendung
und hat lediglich nur toxicologisches Interesse.
Das beste Gegenmittel ist Tannin. Vogel.
Coldcream (englisch: kalter Rahm) ist
eine Mischung von Wachs, Wallrath (Cetaceum),
Oel und Wasser, die als Deraulcens zum Ein¬
reiben auf empfindliche Hautstellen dient,
auch als Unguentum emolliens oder leniens
(Creme celeste) bekannt ist, jedoch in der
Thierheilkunde durch das gewöhnliche Cerat
ersetzt wird. * Vogel.
Coleman Edward (1765—1839), erst Wund¬
arzt, dann Professor an der Veterinärschule
zu London, schrieb über Function des Pferde-
fusses und über Hufbeschlag, gab 1798—1802
ein Werk über Anatomie und Krankheiten
des Pferdefusses und 1800 eine Schrift über
einen künstlichen Strahl heraus: war Ver¬
tretereiner gründlichen Ventilation der Pferde¬
ställe. Semmer.
Coleos (6 xoXeoc, Scheide) in medicinischen
Terminis für Vorgänge und Zustände ge¬
bräuchlich, welche in der Vagina ihren Sitz
haben, z. B.
Coleorrhexis, die Zerreissung der
Scheide.
Coleoptosis, der Scheiden Vorfall etc. Sf.
Celeras John schrieb zu Ende des
XVI. Jahrhunderts über die Zucht sämmt-
licher Hausthiere und über die Heilung ihrer
Krankheiten. Semmer.
Coleehlll - Schwein. In der Grafschaft
Berkshire, auf dem Gute des Grafen Radnor
bei Coleshill-House wird eine Rasse gezüchtet,
die zur Gruppe der kleineren weissen (small
white breeds) gestellt wird und sich durch
einen gut geformten Körper mit kleinem Kopfe,
langem, walzenförmigen Leibe auszeichnet.
Die Thiere dieser Rasse besitzen sehr kurze
Beine, und es erscheint ihr Vorderkörper etwas
höher als das Hintertheil. Fast alle Exem¬
plare dieser Zucht sind ziemlich reich mit
Borsten bedeckt und stets von weisser Farbe.
Man rühmt die grosse Fruchtbarkeit und Mast¬
fähigkeit der Coleshill-Schwrine: sie sollen im
Alter von 9—10 Monaten fett sein und ein
204
COLICA. — COLLATERALKREISLAUF.
sehr wohlschmeckendes Fleisch liefern. Schon
vor langer Zeit ist diese Rasse nach dem Con-
tinent übergeführt; man hat sowohl in der Rhein¬
provinz (Schmitz in Winnenthal bei Cleve), wie
in Nord-Frankreich solche zur Zucht und
Kreuzung verwendet. Der Professor Heuzö
in Grignon behauptet, dass die Coleshill-
Schweine sich sowohl zur Reinzucht, wie
Kreuzung in Frankreich ganz .besonders gut
eignen und empfiehlt sic zu diesem Zwecke
.angelegentlichst. Der Graf Radnor erhielt schon
1846 auf der grossen Ausstellung in Smith-
field für seine fetten, erst neun Monate alten
Schweine mehrere Preise. In der Neuzeit hört
man in England nicht viel mehr über die
fragliche Rasse. Frey tag.
Colica, Kolik (von xoXixo';, Grimmdarm),
werden alle diejenigen Krankheiten genannt,
-die sich in hervorragender Weise durch Bauch¬
schmerzen zu erkennen geben und ihren Grund
in Reizungen des Magens und Darms haben;
seltener spricht man von einer Nierenkolik,
wenn die kolikartigen Erscheinungen mit einer
Reizung oder Entzündung der Nieren in cau-
salem Connex stehen (s. Kolik). Anacker.
Colitfo (von ydiXov, Dickdarm), Dickdarm¬
entzündung, Entzündung des Grimmdarmes
■oder Colons, kommt bei Pferden häufig nach
heftigen Erkältungen, Genuss kalten Wassers
in erhitztem Zustande, auch bei Ueberfütte-
rungen mit frischem Getreide (Roggen und
Gerste), gleichzeitig mit Gasentwicklung
verbunden und nach zu grossen oder zu
häufigen Gaben von Aloö oder Crotonöl zu
Stande. Die Pferde zeigen dabei heftige
Kolikerscheinungen, Appetitlosigkeit, kleinen,
schwachen Puls und sterben unter Collaps
und Convulsionen. Bei der Section findet man
die Wandungen des Colon oft bis auf einen
halben Zoll verdickt, sulzig infiltrirt, die
Schleimhaut dunkel-schwarzbraun, mürbe, ge¬
schwellt, den Darminhalt dünnflüssig, oft
hlutig. Bei der Ruhr ist das Colon mehr oder
weniger stark entzündet, mit diphtheritischen
Geschwüren bedeckt. Bei Rindern kommen
chronische Entzündungen des Dickdarms mit
bedeutender Verdickung der Wandungen und
Ablagerungen von Pigment und Kalksalzen
in denselben vor (s. Darmkatarrh, Darment¬
zündung, Ruhr). Die Behandlung der Colitis
besteht in Verabfolgung von schleimigen und
adstringirenden Mitteln und Calomel, reizen¬
den Einreibungen an den Bauchwandungen
(Terpentinöl, Senfteige etc.). Semmer.
Colla (griech. yj xo'XXa),Leim, wird in man¬
cherlei Zusammensetzungen gebraucht, so in
collagen = leimgebend vom Binde¬
gewebe.
colloid = leimartig, gelatinös, als ein
Mass für die Consistenz gewisser thierischer
Substanzen. Sussdorf.
Collagen, Leimbildner, nennt man in der
Biochemie alle jene Substanzen, welche sich
beim Kochen mit Wasser auflösen, wobei sie
sich eben in Glutin, d. h. Leim um wandeln.
Solche leimgebende, collagene Gewebe sind
das Bindegewebe, ferner die Grundsubstanz
des Knochens, das Ossein und die des
Knorpels, das Chon drin. Das Glutin, der
Leim, zählt zu den sogenannten alhuminoiden
Körpern. Es hat eine mittlere procentische
Zusammensetzung von Cd 0. 5 , H6.„ Ni8. 4 ,
023.* und S0.56, und ist in reinem Zustande
eine amorphe, schwachgelbliche Substanz,
die im kalten Wasser aufquillt, ohne sich
zu lösen, beim Erwärmen zu einer schleimigen
Flüssigkeit wird, die beim Erkalten selbst noch
in starker Verdünnung zu einer Gallerte er¬
starrt. Auch eine Lösung von Leim in Glycerin
erstarrt beim Erkalten zur Gallerte. Das
Glutin ist in Alkohol und Aether unlöslich.
An der Luft geht Leim sehr rasch in Fäulniss
über, beim Erhitzen bläht er sich auf und
entwickelt einen Geruch nach angebranntem
Horn. Wenn auch das Glutin als stickstoff¬
haltige Substanz dem Eiweiss in seiner Zu¬
sammensetzung ziemlich nahe steht, so ist
es doch kein Eiweiss; demnach kann der
Verlust des Körpers an Eiweiss durch Leim
in der Nahrung nicht ersetzt werden. Voit
zeigte eben in seinen Ernährungsversuchen,
dass Leim in der Nahrung wohl Eiweiss er¬
spart, d. h. das Circulationseiweiss vor Zer¬
setzung schützt, jedoch vermag es kein Organ-
eiweiss zu bilden. Es wird eben sämmtlicher
mit der Nahrung eingeführter Leim im Körper
total zerlegt. Loebisch.
Collaine L. V. studirte in Alfort, wollte
den Rotz durch grosse Gaben Schwefel heilen,
gab darüber 1880 in Paris eine Schrift heraus
und schrieb ausserdem über Schafpocken,
Pferderassen, Schweinezucht Semmer.
Colla pf8Cium, Fischleim, Hausenblase
(Ichthyocolla), aus der stark leimgebenden
Schwimmblase besonders des Hausen, Aci-
penser Huso und anderer Störarten bereitet
Der Fischleim dient hauptsächlich zur Her¬
stellung von Pflastern (englisches Pflaster,
Heftpflaster). Vogel.
Collapau8 (von collabi, zusammenfallen),
das Schwinden, Erlöschen der Kräfte. Sf.
Collaterali8(von con mit, und latus, Seite),
zugleich seitlich befindlich; Collateralkreislauf,
eine sich als Ersatz der regelrechten Blut¬
versorgung eines Theiles ausbildende anders¬
artige Circulation. Sussdorf.
Collateralkreislauf ist eine Ausgleichung
des Blutkreislaufes bei Verengerungen, Ver¬
stopfungen, Verschluss, Ligaturen und Obli¬
terationen einzelner Blutgefässe durch die
nebenanliegenden Gefasse, die sich dabei all-
mälig erweitern und die Circulationsstörungen
vollkommen ausgleichen. Der Collateralkreis¬
lauf wird durch die zahlreichen, unter den
Arterien, Venen und Capillaren bestehenden
Anastomosen ermöglicht. Die anfangs unbe¬
deutenden kleinen arteriellen, venösen und
capillaren Anastomosen erweitern sich zu be¬
deutenden Gefässen und stellen so neue Ver¬
bindungsbahnen für den durch Verschluss
einzelner Gefasse gestörten Kreislauf her. So
z. B. stellt sich der Kreislauf nach Verschluss
der Arteria cruralis durch die Anastomosen
zwischen den Zweigen der Becken- und Schenkel¬
arterien allmälig wieder her; so können beide
Jugularvenen nacheinander verschlossen wer-
V OF 1
LLAY. — COLLOIDENT ARTUNG.
den, wobei die Vertebralvenen das Blut vom
Kopf abfüliren. Beim Verschluss der Pfort¬
ader strömt das Blut durch Anastomosen von
den Darmvenen in die hintere Hohlvene. Ja
selbst bei Verschluss der hinteren Aorta kommt
ein Collateralkreislauf durch die Art. Thoracica,
epigastrica und mamaria zu Stande. Sr.
Collay, s schottischer Schäferhund.
Colliculua, ein anatomischer Terminus
für niedrige Erhebungen gewisser Theile, z. B.
Colliculus seminalis, Samenhügel, als die Ein-
mündungsstclle der Ductus ejaculatorii in die
Harnröhre und Colliculus germinativus, Keim-
hügel. die hügelige Erhebung der Körnerhaut
des Follikels, in welcher das Ei ruht Sf.
Collfquatio (von colliquare, zugleich
flüssig machen), die Einschmelzung, das Zer-
fliessen. Sussdorf.
Collod68mu8 (abgel. von colla = rj xo'XXa,
Leim, und 6 3eajj.dc, Band), Kleister- und Leim¬
verband. Sussdorf.
Collodium (Klebäther) Collodion wird eine
Lösung von Schiessbaumwolle in einem Gemenge
von Aether mit wenig Alkohol benannt. Taucht
man reine entfettete Baumwolle in ein kaltes
Gemisch von i Th. concentrirte Salpetersäure
und 2—3 Th. concentrirte Schwefelsäure
o—10 Minuten lang ein, wäscht dann sorg¬
fältig aus und trocknet bei mittlerer Tempe¬
ratur, so erhält man Schiessbaumwolle, Pyro¬
xylin. In chemischer Beziehung ist die Schiess¬
baumwolle eine Nitrocellulose, d. h. ein Sal¬
petersäureäther der Cellulose, aus welcher eben
die Baumwolle besteht (s. Cellulose). Die
Schiessbaumwolle verpufft bei 150—160° und
löst sich in 3 Th. Alkohol und 18 Th. Aether.
Diese Lösung — das Collodium — ist schwach
opalisirend, syrupartig, sehr leicht entzündlich,
trocknet an der Luft ein, dabei eine firniss¬
artige, in Wasser unlösliche Schichte zurück¬
lassend, welche auf der Haut ziemlich fest
haftet und dieselbe etwas zusammenzieht.
Das Collodium dient in der Chirurgie. In der
Photographie wird es, mit Jodpräparaten ge¬
mischt, zur Darstellung von Negativen benützt.
Die durch Ausgiessen von Collodium auf Glas¬
platten erzeugten Häutchen werden beim Rei¬
ben stark elektrisch: sie werden gefärbt zu künst¬
lichen Blumen verarbeitet. Gärtner verwenden
das Collodium wie Baumwachs. Loebisch.
Pharmacologisches. Streicht man
Klebäther auf die Haut der Thiere, so ver¬
dunstet der Aetherantheil rasch und es bleibt
nur ein hornähnliches Häutchen zurück, das
ziemlich gut haftet, jedoch nur an zuvor gut
abgetrockneten Stellen, und die Eigenschaft
hat, im Moment des Erstarrens die Haut und
damit auch ihre Capillaren zu contrahiren und
einen Druck auszuüben, so dass das Gewebe
leicht erblasst; Collodium hat somit die Be¬
deutung eines Protectivs, das zugleich zu¬
sammenzieht, es heisst deshalb auch
Liquor sulfurico-aethereus constrin-
gens. Die klebende Membran liegt anfänglich
dicht an und hält sich unter den verschmierten
Haaren gut, je mehr aber es sich contrahirt,
desto mehr wird es schilferig und springt ab,
will man aber mehrere Häutchen aufeinander
20 *
bilden, nachdem immer das vorhergegangene
trocken geworden, so zieht das eine das an¬
dere wieder ab; diesem Uebelstande kann da¬
durch abgeholfen werden, dass dem Collodion
2% des sehr elastischen Ricinusöles oder
Glycerins beigegeben wird, wodurch das offi-
cinelle
Collodium elasticum oder flexile
entsteht, das jetzt am meisten verwendet wird,
und zwar zum Bedecken von Wunden, Adstrin-
giren des Granulationsgewebes (mit Jodoform),
Verkleben der Verbandstücke, besseren Fixiren
angelegter Nähte, Erhöhung des Druckes bei
offener Wundbehandlung, sowie um bei Ent¬
zündungen der Haut deren Capillaren blut¬
leerer zu machen, besonders beim Erysipel.
Will man die Constriction verstärken, waa
auf der dicken Haut der Thiere vielfach noth-
wendig wird, so setzt man 5—10% Bleiacetat¬
lösung hinzu, wodurch das
Collodium saturninum entsteht, wäh¬
rend man bei Blutungen Tannin oder Liquor
Fern sesquichlorati zu 10—20% beigibt und
so als
Collodium stypticum das vorzüglichste
Hämo8taticum gewinnt, das auch, wie das
erstere, vorzügliche Dienste leistet bei Decu¬
bitus und Excoriationen, sowie zur Ueber
häutung von Geschwüren, bei Verbrennungen,
Erfrierungen u. s. w.
Collodium jodoformiatum ist eine
jetzt sehr beliebte Mischung von 1 Jodoform
und 10—20 Klebäther; das Collodium jodatum
ist nicht zweckmässig, wenig wirksam und
sehr schmerzend;
Collodium causticum ist eine Ver¬
bindung mit Sublimat 1 : 20. Man kann auch
andere CoUodia medicata durch Mischen mit
Borsäure, Carbolsäure, Salicylsäure, sowie mit
Morphin, Chloroform, Cantharidin (s. Can-
tharides) und dgl. herstellen. Sehr zweck¬
mässig ist ferner, wenn man, wie bei grös¬
seren, namentlich Schnittwunden, sich einer
Zwischenlage von Baumwolle bedient; zu Con-
tentiv-Verbänden taugt es aber bei Thieren
nicht, dagegen kann es sehr vortheilhaft auch
da verwerthet werden, wo sich ein schützen¬
der Verband nicht gut anbringen lässt, wie
bei Euterentzündungen aller Hausthiere, Or¬
chitis, bei wunden Zitzen, Klauen, Krallen der
Vögel u. s. w. Vogel.
Colloidcysten, aus einem bindegewebi¬
gen, mit Cyhnderepithel ausgekleideten Balg^
und einem aus colloider Substanz bestehenden
Inhalt zusammengesetzte Neubildungen. Die
Colloidcysten entstehen entweder durch An¬
sammlung colloider Substanz in praeexistiren-
den Hohlräumen (Graafschen Follikeln, Drü-
senacinis, Samencanälchen) oder durch colloide
Umwandlung und Zerfall von Zellen in Drüsen
und Neubildungen (Sarcomen, Carcinomen).
Colloidcysten trifft man am häufigsten an in
vergrösserten und entarteten Ovarien, Hoden,
Nebennieren, Schilddrüsen und Vorsteherdrü¬
sen (am meisten beim Hunde). Semmtr.
Colloidentartung, besteht in Umwandlung
des Zelleninhaltes in eine homogene farblose,
schwachgelbe, mattglänzende, durchscheinende.
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206
COLLOIDE SUBSTANZEN — COLLYRIUM.
flüssige, weiche oder halbfeste brüchige Sub¬
stanz, die in Wasser, Alkohol und Aether un¬
löslich, in ätzenden Alkalien löslich ist und
durch Essigsäure und Jodschwefelsäure nicht
verändert wird. Die Colloidsubstanz ist eine
modificirte, mit Kohlenhydrat gepaarte Eiweiss¬
substanz oder ein raodificirter Schleimstoff. Die
Colloidmetamorphose kommt häufig vor in der
Schilddrüse (besonders bei Hunden) mit gleich¬
zeitiger Vergrösserung derselben, in den
Schleimdrüsen, Epithelzellen, malpighischen
Körperchen, Muskeln (bei Typhus, Tuberculose,
Pocken, Urämie, Tetanus, Trichinosis, Erfrie¬
rungen, Fiebern), in Neubildungen, besonders
Krebsen (Colloidkrebs) (s. Degenerationen). Sr.
Colloide Substanzen werden solche Körper
genannt, welche aus ihren Lösungen durch
Scheidewände, bestehend aus thierischen Mem¬
branen oder vegetabilischem Pergament, nicht
oder sehr schwer in andere Flüssigkeiten
übertreten, diffundiren (s. Diffusion). Bringt
man in einen Apparat — Dyalisator — welcher
aus einer Flasche besteht, deren abgesprengter
Boden durch ein wasserdicht übergebundenes
Stück vegetabilisches Pergament ersetzt ist,
Salzsäure, und setzt diesen Apparat in eine
Schale, welche mit destillirtem Wasser ge¬
füllt ist, so wird schon nach einigen Secunden
in diesem Wasser Salzsäure nachzuweisen
sein, welche durch die Membran übergetreten
ist. Setzt man nun für die Zeit, in welcher eine
bestimmte Menge Salzsäure durch die Mem¬
bran diffundirt = 1, so beträgt dieselbe für
eine gewisse Menge Chlornatrium 2*33,
Zucker 7, Eiweiss 49 und Karamel 98. Graham
theilt nun die Körper in solche ein, welche
leicht durch eine Membran diffundiren, kry-
stalloide Körper (Salze, Säuren, Alkohol) und
in solche, welche schwer oder nicht diffun¬
diren; letztere nannte er colloide Substanzen;
hieher gehören Gummi, Eiweiss, Schleimu.s. w.
Enthält eine Eiweiss- oder Gummilösung
Salze aufgelöst, so treten diese durch die
Diffusionsmembran so lange in das Wasser
über, bis die Concentration der äusseren
wässerigen Lösung an diesen Substanzen
ganz gleich mit der in der inneren Lösung
ist. Wenn man nun das äussere Wasser häufig
wechselt, so ist man hiedurch im Stande, der
Lösung alle krystalloiden Körper zu entziehen,
es bleiben nur die colloiden Substanzen zu¬
rück. Demnach wird die Dialyse zur Trennung
der krystalloiden von den colloiden Körpern
in verschiedenen Zweigen der Chemie benützt
(s. Dialyse). Loebisch.
Colionema (abgel. von iq xoXX«, Leim, und
tö vTjjJia, Gespinnst), die Gallertgeschwulst,
eine Colloidform nach Müller (ödematöse
Bindegewebsgeschwulst), nach Yirchow ein
Myxom. Sussdorf.
Colloxyl, s. Collodium.
Collum, der Hals, als Theil des Rumpfes
bezeichnet, auch halsartig eingezogene Theile
der Organe, z. B. Collum uteri. Sussdorf.
Collutorlum oder Maulwasser, die Ver¬
bindung von verschiedenen Medicamenten be¬
hufs Erzielung örtlicher Wirkungen in der
Maulhöhle, insbesondere bei entzündlichen,
aphthösen, pustulösen Vorgängen. Man ver¬
wendet hiezu gewöhnlich kühlende, entzün¬
dungswidrige und gelind zusammenziehende,
sowie namentlich desinficirende Mittel und
hatte man früher als Hauptcollutorium bei den
Thieren eine Verbindung des Salbeithees mit
Essig und Honig in Anwendung gezogen.
Auch jetzt verordnet man mit Vorliebe aro¬
matische Infuse mit Tincturen und wählt
solche Adstringentien, die zugleich ausgespro¬
chene antimikrobische Wirkungen besitzen,
wie insbesondere die Mineralsäuren, Alaun,
Kalk, Tannin, essigsaure Thonerdelösung, über¬
mangansaures KaS, salpetersaures Silber, für
mehr kühlende Zwecke Salpeter, Essig, Wein¬
geist. Man verschreibt in der Regel literweise
und setzt von den genannten Mitteln 10%
zu, von den Säuren 0*5—2%. Die etwas
grössere Dosirung rechtfertigt sich dadurch,
dass der grösste Theil der eingeführten Flüs¬
sigkeit wieder abläuft, es schlucken aber die
Thiere dabei nicht ab. Die Application findet
in der Weise statt, dass man sich entweder
mit Einspritzen begnügt oder einen Leinwand¬
bausch an einen Stock befestigt und die be¬
treffenden Stellen betupft (aber nicht darauf
herumfährt), bezw. den Schwamm oder Bausch
mitten auf die Zunge bringt, wobei dann durch
das Kauen die Flüssigkeit überall vertheilt
wird. Es handelt sich meist um die Maul¬
seuche, intensive Maulkatarrhe, Maulschwämm¬
chen (Soor) und Diphtherie bei Kälbern,
Stomatitis pustulosa des Pferdes oder will
man nur die Maulschleimhaut erfrischen,
um die Thiere eher zur Aufnahme von Nah¬
rung zu veranlassen. Eine Hauptbedingung
bleibt, bei all diesen Krankheiten die Diät zu
regeln, inan darf nur w r eiche, leicht zu
kauende, saftige Stoffe gestatten, Grünfutter,
zartes Heu, Grummet, Knollen und Wurzel¬
werk, Schlappe- und Brühfutter, bei Schweinen
Molken mit Kleie, Buttermilch und saure Milch
u. s. w.
Die Pinselsäfte gehören ebenfalls hie¬
her und finden Anwendung auch für die klei¬
neren Hausthiere bei Wunden und ulcerösen
Vorgängen in der Maulhöhle; siebestehenaus
den bekannten Reinigungs- und Wundheilungs¬
mitteln und werden wie die Collutorien täg¬
lich mehreremal und zwar mittelst eines
Pinsels, vielleicht auch einer Federfahne u. dgl.
aufgetragen. Vogel.
Collyrium, Augenwasser. Zur Application
auf das Auge dienen verschiedene Lösungen
und Mixturen, welche als Augenwässer, Col-
lyria, bezeichnet werden; meist handelt es
sich dabei um entzündungsmildernde, schmerz¬
stillende, adstringirende und selbst kaustische
Stoffe, die in einem aromatischen desinficiren-
den Aufguss, in einem Chamillen- oder
Fenchelthee, in einer Belladonna-Abkochung,
in Aqua salicylisata u. dgl. gelöst werden, und
benützt man hiezu am häufigsten Zinksulfat,
Kupfervitriol, Höllenstein (1—4%)» Tannin,
Bleizucker, Alaun, Augenstein. Sublimat (1%);
flir die stärkeren Mittel sind Augensälbchen
vorzuziehen und der früher übliche Zusatz
schleimiger Substanzen zu den Collyrien er-
COLOBOMA OCÜLI. — COLOSTRUM. 807
scheint völlig überflüssig, zum Rinpinseln oder
Eintröpfeln in den Bindehautsack ist vielmehr
gerade Dünnflüssigkeit ein Vorzug bei dieser
Arzneiform. Vogel.
Coloboma oculi, s. Hemmungsbildungen
des Auge8.
Colombo , Calumbo, Columbowurzel,
Radix Colombo, bekanntes bitteres Schleim¬
mittel, s. die Stammpflanze Jateorrhiza Co-
lumbo. Vogel.
Colon (xö xujXov), ursprünglich jedes ge¬
lenkige Glied des Körpers, jetzt nach PÖn.
Vorgang nur noch der Grimmdarm (wohl ab¬
leitbar von xotXos, hohl, rund), Adj. colicus.
Auch in Zusammensetzungen gebräuchlich, so in
Colocleisis, Grimmdarmverschluss,
Grimmdarmverstopfung. Sussdorf
Colophonlum, Geigenharz, ist der Rück¬
stand bei der Destillation des aus verschie¬
denen Pinusarten beim Einschneiden der Rinde
ausfliessenden Harzes (Terpentines), wenn
hiezu kein Wasser verwendet wird; auch ent¬
steht es beim Schmelzen des gekochten Ter¬
pentins und ist je nach dem Erhitzen bei
seiner Darstellung blassgelb (C. album) oder
braungelb, amorph, durchsichtig, von schwa¬
chem Geruch, fast geschmacklos, sehr spröde,
spec. Gew. 1*07. unlöslich in Wasser, löslich
in 8 Theilen 74%igem Alkohol, desgleichen
in Aether, Benzol, in vielen fetten und flüch¬
tigen Oelen, schmilzt bei 100° und bei seiner
Destillation geht nur etwas Harzöl und Harz¬
spiritus über. Der Hauptmasse nach besteht
Colophonium aus Abietinsäure, welche hier
als Anhydrid enthalten ist und mit Alkalien
schmierige abietinsaure Salze gibt, die man
Harzseifen nennt.
Therapeutisch macht man jetzt nur
mehr selten von ihm Gebrauch; es galt lange
als hauptsächlichstes Diureticum der Thierheü-
kunde bei Pferden und Rindern zu 15*0 bis
30*0, ist aber durch Terpentinöl oder die
diesbezüglichen Salze vortheilhafter zu er¬
setzen. Aeusserlich kann es als leicht reizendes
Protectivum mit oder ohne Weingeist dienen,
ist aber auch da ausser Gebrauch gekommen,
eher ist die mechanische Wirkung bei Blu¬
tungen zu verwerthen, wo man es entweder
für sich allein oder, um das Wegschwemmen
besser zu verhüten, mit gleichen Theilen
Gummi arabicum oder Alaun aufträgt; auch
befeuchtet man das Pulver gerne mit etwas
Spiritus und bedeckt dann die Stelle mit
Werg, Baumwolle, um so die betr. Gefässe
zu verkleben. Gegenwärtig wird für solche
Zwecke mehr das Collodium stypticum (s. d.)
verwendet. Vogel.
Colostrum (schon bei Plinius für Biesmilch
in Brauch, stammt vielleicht von dem griech.
to xo'Xov, die Nahrung) nennt man die vor
und kurze Zeit nach der Geburt abgesonderte
Milch. Dieselbe unterscheidet sich in ihren
Eigenschaften, morphotischen Bestandteilen,
wie auch in ihrer chemischen Zusammensetzung
vielfach von der gewöhnlichen Milch. Sie bildet
eine dunkel- bis braungelbe, zähe Flüssigkeit.
Ihre körperlichen Bestandteile, die sog.
Colostrumkörperchen, sind in der Mehrzahl
rundliche, brombeerartige Aggregate kleinster
und grösserer Fetttröpfchen, die durch ein
albuminös-protoplasmatisches, mehr oder we¬
niger durch Anilinroth färbbares Bindemittel
zusammengehalten werden und zumTheil noch
contractil und amöboider Bewegungen fähig
sind. Ausser diesen kommen noch fettarme
oder gar kein Fett enthaltende leukocyten
ähnliche, sowie helle, nicht gekörnte, aber
kernhaltige Zellen und spärliche eigentliche
Milchkügelchen im Colostrum vor. Sobald das
Säugegeschäft beginnt, nehmen die letzteren
an Menge zu, während die ersterwähnten
Körperchen schnell abnehmen und bis auf
einzelne, die noch in späteren Lactations-
perioden immer angetroffen werden, ver¬
schwinden. In chemischer Beziehung zeigt
sich das Colostrum concentrirter als die Milch,
und zwar um so reicher an festen Bestand¬
teilen, je früher nach der Geburt es ent¬
nommen wird. Sein specifisches Gewicht be¬
läuft sich daher für das Kuhcolostrum auf
1046—1065. Crusius fand unmittelbar nach
dem Kalben darin 38‘4% Trockensubstanz;
am ersten Tage danach nur noch 30*1%, am
dritten 15 • 3 %, am sechsten 18 • 9 % fester Sub¬
stanzen, womit es schon den Trockengehalt der
Milch erreicht hatte. Das Plus in den festen Be¬
standteilen des Colostrums trifft insbesondere
die Eiweissstoffe und Salze, weniger den Zucker.
Unter den Eiweisskörpem bildet dabei den
Hauptantheil das Albumin, nicht das Casein:
während ersteres in der Milch nur etwa zu 0 5%
(gegenüber 3—5 % Casein) enthalten ist, findet
es sich im Colostrum der Kuh unmittelbar nach
der Geburt zu 15 *5%, am ersten Tage danach
zu 13*7%, am dritten zu 8* 6%, am sechsten
zu 8%, am achtundzwanzigsten zu 0*7% vor
(Crusius). Durchschnittlich sind nach Fleisch¬
mann 81 *3% feste Substanzen im Colostrum
enthalten, wovon 7 * 3 % Casein,7 * 5 % Albumin.
4*0% Fett, 1 - 5% Milchzucker, 1*0% Salze.
Die Ansichten über die Colostrumbildung sind
recht differente. Nach der Schilderung Rei-
chardt’s stellen die Colostrumkörperchen eine
Vorstufe der Milchkügelchen dar, d. h. ab-
gestossene und unvollkommen fettig degene-
rirte Epithelzellen der Drüse. Räuber schil¬
dert dieselben dem gegenüber als in fettigem
Zerfall begriffene Lymphzellen, welche aus
dem interstitiellen Gewebe in die Alveolar-
epithelien und die Drüsenlumina eingewandert
sind. Heidenhain endlich, der jene lymphoiden
Elemente des Interstitialgewebes als Plasma-
zellen deutet, lässt die Colostrumkörperchen
bedeutungslos für die Morphologie der Milch-
bildung sein und betrachtet sie nicht als in
Fettdegeneration begriffene Epithelien, sondern
als allerdings metamorphosirte, hell oder
matt körnig gewordene, einen excentrischen
Kern führende abgestossene Epithelzellen,
welche als contractile Gebilde das Fett erst
durch Intussusception sich einverleibt haben.
Dieses letztere, dessen Entstehung er für das
Colostrum nicht erklärt, müsste dann auf
ähnliche Metamorphosen wie bei der Milch-
bildung (s. d.) zurückgeftthrt werden, wozu
freilich thatsächliche Anhaltspunkte zu fehlen
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208
COLUMBIA-HUHN. — COMBINATIONEN.
scheinen. Die Entstehung der übrigen Be¬
standteile des Colostrums 8. Milch. Sf
Columbia-Huhn, eine Kreuzung von Ma-
layen mit Spaniern, mit schwarzem glänzen¬
dem Gefieder, grosser Figur, gerühmter Ab¬
härtung und ungewöhnlicher Fruchtbar¬
keit. Nach Baldamus sollen sie enorm grosse
und sehr wohlschmeckende Eier legen. Ws.
Columbiens Pferde. In den Ebenen von
San Martin, zwischen den Quellen des Meta,
Rio negro und Umadea, kommen kleine Herden
verwilderter Pferde vor, die ungemein scheu
und flüchtig sein sollen. Nach Fitzinger be¬
sitzen sie zwar keine zierliche Gestalt, sind
aber auch nicht schwerfällig zu nennen. Sie
ähneln den spanischen Rossen und werden wahr¬
scheinlich von diesen abstammen; meistens ist
ihre Hautfarbe braun und das Deckhaar in der
Regel sehr kurz und fein. Die Gangart der
zahmen Pferde ist entweder Schritt, Pass oder
Halbpass, und es wird gerade dieser letztge¬
nannte Gang der Pferde von den Bewohnern
Columbiens sehr geschätzt. Alle Thiere, welche
ira Halbpass rasch vorwärts kommen, werden
verhältnissmässig theuer bezahlt. Freytag.
Columbin, der Bitterstoff, der in der Co-
lumbowurzel (Jateorrhiza palmata Miers)
neben der Columbosäure vorkommt. Man zieht
die Wurzel mitWeingeist aus, verdunstet, behan¬
delt den Rückstand mit Wasser und schüttelt
die wässerige Lösung mit Aether aus, welcher
das Columbin aufnimmt. Es krystallisirt in
durchscheinenden Säulen des ortorhombischen
Systems, ist von bitterem Geschmack und
schmilzt bei 182° C. wie Wachs. Löslich in
30—40 Theilen kochendem Weingeist und in
concentrirter Essigsäure, schwerer in kaltem
Weingeist, Aether. Aus der Lösung mit
wässerigen Alkalien wird es durch Säuren
wieder gefällt. Zu 01—0*2 intern beim
Menschen ungiftig, ebenso subcutan bei Katzen
und Kaninchen. Loebisch.
Columblt gehört zu den salzartigen Mi¬
neralien und ist niobsaures Eisenoxydul (daher
auch Niobit genannt), kommt in rhombischen
Krystallen von schwarzer Farbe im Granit ein¬
geschlossen bei Tirschenreuth (Baiern), Chante-
loube in Frankreich, Haddam in Connecticut
u. a. O. vor, ist isomorph mit dem Tantalit
(tantalsaures Eisenoxydul), mit dem es ge¬
mischt auftritt. Unschmelzbar. Loebisch.
Columbre A. gab zu Anfang des XVI. Jahr¬
hunderts in Italien ein Werk über Pferde¬
heilkunde heraus. Semmer.
Columelta Lucius Junius Moderatus, geb. 42
nach Chr., schrieb in seinem Werk: .,De re
rustica libri XII fcl im 6. und 7. Bande über
Hausthiere und deren Behandlung im gesunden
und kranken Zustande. (Hippiatrie, Rindvieh¬
krankheiten.) Semmer.
Columella (Demin. von columna), Säul-
chen, der technische Ausdruck für die Axe
oder Spindel der Schnecke = Modiolus. Davon
Adj. columellaris, säulenförmig, z. B. in dentes
columellare8 von den Backenzähnen des
Pferdes. Sussdorf.
Dieser Ausdruck wird in sehr verschie¬
denen Fällen in der Botanik angewendet.
Man nennt z. B. so die centrale walzenför¬
mige Gewebemasse, welche die Kapsel der
meisten Moose durchzieht. Ferner bildet
bei vielen Schleimpilzen das Capillitium
oder ein Theil desselben eine Art von
Mittelsäule. Ebenso kommt bei vielen Gas*
tromyceten und bei manchen Ascomyceten
der Fall vor, dass sich das Stroma in der
Form einer Säule in die Gieba hinein fort¬
setzt. Auch hiefür wird das Wort ge¬
braucht. Endlich wird dasselbe häufig bei
Mucorarten verwendet. Bei manchen der¬
selben ist nämlich die gonidienführende
Blase (Peridiolura) nicht durch eine einfach
gerade Scheidewand von der Hyphe abge¬
schlossen, sondern diese Scheidewand wölbt
sich uhrglasförmig oder blasenartig-cylin-
drisch in das Peridiolum hinein; so bei
Rhizopus nigricans, Mucor Mucedo u. a.,
diesen Fortsatz hat man ebenfalls Colu¬
mella genannt. Harz.
Columna (Nebenform von Columen), die
Säule, z. B. C. spinalis s. vertebralis, Wirbel¬
säule, Rückgrat ctc. Sussdorf.
Colutea arborescens gemeiner Blasen¬
strauch, Blasenschote, bekannte goldgelb
blühende Papilionacee (L. XVII. 3). Die
Blätter dieses Gartenzierstrauches (Blasen¬
senne) führen ab wie Sennesblätter, die oft
damit verfälscht werden; die Samen sind
leicht giftig und brechenerregend Vogel.
Coma, richtiger Kome (griech. ^ xdjiir),
Haupthaar), nennt Gurlt den Haarschopf des
Pferdes. Sussdorf
Comarum palustre, s. Adonis vernalis.
Combinationen und Compllcationen der
Krankheiten unter einander kommen sehr
häufig vor. So können sich zu den chroni¬
schen oder lebenslänglichen meist fieberlos
verlaufenden Leiden, wie Tuberculose, Herz¬
leiden, Neubildungen, Steinen, parasitären
Leiden, veralteten chronischen Katarrhen und
Rheumatismen, Cachexien, Anämien und Hy-
drämien etc. stets acute fieberhafte Leiden
hinzugesellen oder es treten oft bei gleich¬
zeitiger Einwirkung verschiedener Ursachen
zwei oder mehrere acute Krankheiten gleich¬
zeitig neben einander auf, wie z. B. Rheu¬
matismus mit Pleuritis, Peritonitis oder Menin¬
gitis, Pneumonien und Dannkatarrhe, Darm¬
und Nierenentzündungen, Magen - Darm-
katarrhe und Leberleiden etc. Andererseits
können sich zu von vorneherein einfachen
Krankheiten nachher eine Reihe von Com-
plicationen hinzugesellen. So z. B. compli-
ciren sich mit Koliken durch Gasentwicklung
Berstungen des Magens oder Darms, mit
Harnverhaltungen Berstungen der Blase, mit
Typhus perforirende Darmgeschwüre, die alle
meist zu tödtlicher Peritonitis Anlass geben.
Tuberculose complicirt sich oft mit Pneu¬
monien und bei Durchbruch von Cavernen
mit Pleuriten. Einfache Wunden und Ge
schwüre können brandig werden und von
denselben können Erysipele, Phlegmonen,
Pyämie und Septicämie ihren Ausgang neh¬
men. Semmer .
COMBÜSTIO. — COMMUNICATIO.
209
Combustio (von comburere, verbrennen),
die Verbrennung. Sussdorf,
Conedones (von comedere, völlig ver¬
zehren etc.), Mitesser nennt man jene kleinen
Talgpfröpfe, welche mit schwarzgefärbter
Kuppe nnd deshalb als schwärzliche Punkte
in den Hantporen des Menschen sichtbar,
die Ausführungsgänge der Talgdrüsen der Haut
des Menschen verstopfen; sie sollen zu ein
Drittel den Acarns follicnloram enthalten. Sf,
Comforter, B o n f f e. Mittelgrosse Hunde¬
rasse, welche nach Fitzinger aus einer Kreu¬
zung des grossen Seidenhundes mit dem grossen
Pudel entstanden sein soll. Besser wird er
wohl als eine besondere Form aus der Gruppe
der Pintscher betrachtet. Der Körper ist ge¬
drungen, die Beine mässig hoch, der Kopf
hoch, wenig gestreckt, mit stumpfer Schnauze.
Das Haar ist lang, ziemlich stark gekräuselt,
es bedeckt den ganzen Körper mit Ausnahme
des Gesichtes, das mit glatt anliegenden
Haaren bekleidet ist. Am Schwänze bildet
das Haar zottig gewellte Fransen. Die Fär¬
bung ist wei88, schwarz oder gelbbraun. Wird
als Stubenhund gehalten. Studcr .
Comfrei (Schwarzwurz, Wallwurz oder
Beinwell, Symphitum asperrimum). Die Blät¬
ter dieser, aus dem Kaukasus stammenden
Pflanze bilden ein sehr gut verwendbares
Futtermittel für verschiedene Nutzungszwecke.
Sie enthalten:
15*0
im Mittel
ir#%
Trockensubstanz
6*8
n n
8-8 *
stickstoffhaltige Stoffe
0*5
» n
0-3 „
Fett
6*2
4*6 „
stickstofffreie Extractstoffe
—
»
2'0 *
Asche.
Ein grosser Theil des Stickstoffes ist je¬
doch in Form von Amiden u. dgl. oder als
unverdauliches Nucle'in vorhanden. Ueberdies
sind die Blätter sehr wasserreich und sie
werden wegen ihrer rauhen Behaarung nur
dann vom Vieh gerne angenommen, wenn man
sie vorher zerstampft oder anbrüht. Wegen
ihres Wasserreichthums sind sie als Schaf- und
Pferdefutter minder gut geeignet, lassen
sich schwer trocknen und sie können daher
nur durch Umwandlung in Braunheu oder
durch Einsäuern ohne besondere Schwierig¬
keiten conservirt werden. Als Grünfutter für
Milchvieh leistet der Comfrei eventuell gute
Dienste, darf aber nicht als Hauptfutter ange¬
wendet werden, da sonst die Milch an Ge¬
halt und Geschmack einbüsst. Er hat sich auch
als Mastfutter bewährt; sogar die Schweine
fressen die grünen Blätter gerne. Die Ver¬
daulichkeit der grünen Blätter stellte sich
nach Weiske bei einem Hammel wie folgt:
Stickstoffhaltige Stoffe 58*3%, Fett 71 1%
Rohfaser (?) 18 * 05 %, stickstofffreie Extractstoffe
84*64%- — Getrocknete Beinwellblätter
enthielten 85% Trockensubstanz, 16*9% Pro¬
tein, 2*3% Fett, 36 * 0 % stickstofffreie Extract¬
stoffe, 41*2% Holzfaser, 18*6% Asche; sie
werden aber weniger gern gefressen. Pott.
Commlnutio (von comminuere, zertrüm¬
mern), die Zertrümmerung, die Zersplitterung,
z. B bei Knochenbrüchen. Sussdorf.
Commi88>ren (von dem lat. committere,
zusammenschicken, sich verbinden) nennt man
Koch. Encyklop&die d.Thierheilkd. IL Bd.
I. gegenseitige Verbindungen symmetrisch ge¬
lagerter Punkte (Ganglienzellengruppen) des
centralen Nervensystems. Sie werden entweder
durch Nervenfasern vermittelt (weisse Com¬
missuren) oder aber durch die Protoplasma¬
fortsätze der Zellen (graue Commissuren).
Es existiren solche echte Commissuren im
Gehirn: 1. Die C. maxima, der Hirnbalken,
eine Verbindung der beiden Hemisphären
untereinander, welche auch als mediane Partie
des Gewölbes (Psalterium h.) zwischen den
beiden Ammonshörnern verkehrt. 2. Die C. an¬
terior, eine Verbindung der beiden Tractus
und Bulbi olfactorii, sowie der beiden Schläfen-
lappen. Sie bildet einen rabenfederkielstarken
Markstrang, welcher vor dem Foramen Monroi
hinter den beiden Columnae fomicis von der
einen zur anderen Seite des Grosshirns zieht
3. Die C. inferior s. ventralis Gudden’s, eine
Verbindung beider Sehhügel und Kniehöcker,
welche am caudalen Rande der Tract. optic.
als deutlich wahrnehmbarer, aber meist schwach
abgesetzter Zug markirt ist. 4. Die C. mollis
s. media, die sog. graue Commissur des Ge¬
hirns, bildet die mittlere Partie der grauen
Substanz der Sehhügel und wird nur von
wenigen Commissurfasern durchsetzt, welche
die sog. hinteren Kerne der Thalami optici
verbinden. Ausser diesen echten Commissuren
finden sich noch mehrfache unechte vor, welche
nicht die Verbindung symmetrischer Punkte
übernehmen, sondern nur durch eine Kreuzung
der Fasern entstehen; unter diese gehören:
5. Die C. posterior cerebri, hintere Gehirn-
commissur, welche an der Basis der Zirbel¬
drüse im Bereiche des vorderen Vierhügelpaares
liegt. Auch 6.dieCommissuren desRückenmarkes
können nicht als echte Verbindungen iden¬
tischer Theile gelten, sondern sind nur Faser¬
kreuzungen, mittelst deren die Fasern auf die
entgegengesetzte Seite übertreten. Ueber die
physiologische Bedeutung der echten Com-
roissuren ist Exactes nicht bekannt. Es ist
höchst wahrscheinlich, dass durch dieselben
Reize, welche eine Körperseite treffen, auch
auf die andere übergeleitet werden können,
und dass auf diese Weise nach einseitiger
Reizung doppelseitige und gleichartige Reac-
tionen erfolgen; es ist so auch die Erklärung
mancher reflectorischen Vorgänge gegeben.
Die unechten Commissuren, die Decussationen,
veranlassen anderseitige Erfolge nach Appli¬
cation einseitiger Reize und machen es so er¬
klärlich, dass Lähmungen gewisser Hirn¬
partien etc. mit Lähmungen der Nerven-
thätigkeit der entgegengesetzten Körperhälfte
Hand in Hand gehen. Vielfach kehren indessen
die die Mittellinie gekreuzt habenden Fasern
an anderer Stelle wieder auf die ursprüngliche
Verlaufsseite zurück. II. Auch Verbindungen
anderer paariger Organe mit einander werden
als Commissuren bezeichnet, z. B. die Com¬
missur der Schilddrüse. Sussdorf.
Commotio (von commovere, erschüttern),
die Erschütterung. Sussdurf
Communlcatfo (von communicare, mit¬
theilen), die Mittheilung, Uebertragung von
Krankheiten auf andere Individuen. Sussdorf
14
210
COMPENSATIO. — COMPOST.
Compensatio (von compensare, mehrere
Dinge gegenseitig ab wägen, resp. ausgleichen),
als Terminn8 für das Gleichgewicht des Wachs¬
thums, eines von Geoffiroy und Goethe aufge¬
stellten Gesetzes gebräuchlich, wonach behufs
stärkerer Ausbildung eines Organes das andere
naturgemäss nothleiden müsse. Darwin be¬
zweifelt den Satz in dieser Form und führt
die vermeintliche Sparsamkeit der Natur in
dem Haushalte des Körpers, d. h. die stärkere
Entwicklung eines Organes auf einen Mehr¬
gebrauch desselben gegenüber dem anderen
zurück. Sussdorf\
Compositae, Köpfchenblüthler, Familie
der Classe der Dicotyledonae, Kräuter mit
wechselständigen oder gegenständigen Blät¬
tern ohne Nebenblätter. Die einzelnen Bltt-
tben sind zu mehreren in ein Köpfchen zu¬
sammengedrängt, umgeben von einer gemein¬
schaftlichen Hülle. Das Ganze erscheint wie
eine einzige Blüthe. Der Blüthenboden ist
zwischen den einzelnen Blüthchen besetzt
mit Deckblättchen, Haarborsten, oder er ist
nackt. Bei den einzelnen Blüthchen ist der
Kelch mit dem Fruchtknoten entweder völlig
verwachsen oder tritt auf seinem Bande an
der Spitze des letzteren hervor; häufig ver¬
längert er sich nach dem Verblühen zu einer
sitzenden oder gestielten Federkrone oder er
endigt in einen Hautrand. Die Blumenkronen
sind entweder sämmtlich röhrig mit fünf, seltener
vier Zähnen oder sämmtlich zungenförmig
oder beide Formen finden sich in demselben
Köpfchen, in der Mitte eine Scheibe aus
Böhrenblumen, am Bande zungenförmige
Strahlenblumen. Staubgefässe fünf, selten vier,
die Staubbeutel zu einer Böhre vereinigt,
durch welche der Griffel hindurchgeht.
Fruchtknoten unterständig, mit einem faden¬
förmigen Griffel, der sich in zwei Schenkel
theilt, welche am Ende die Narben tragen.
Die Frucht ist ein kleines, trockenes, samen¬
ähnliches Nüs8chen (Schliessfrucht, Achaene),
welches nackt ist oder eine Federkrone
(Pappus) trägt. Diese sehr grosse Familie
enthält eine Menge von Arten, deren Indi¬
viduen wir theils als Culturpflanzen benützen,
theils als Unkräuter bekämpfen; bei ihrer
Bekämpfung muss meistens der Umstand be¬
rücksichtigt werden, dass die Früchte in
Folge der Federkrone verfliegen, sich daher
die Pflanze sehr leicht verbreitet, v. Liebenberg.
Compo8t (Mischdünger, Mengedünger,
zusammengesetzter Dünger). Jener Dünger,
welcher aus verschiedenen vegetabilischen,
thierischen und mineralischen Stoffen zusam¬
mengesetzt wird, heisst Compost, Misch- oder
Mengedünger. Um einen regelrechten Compost-
haufen anzulegen, sind drei Dinge zu be¬
obachten: 1. Muss ein Hauptmittel vorhanden
sein, welches gährungsfähig ist, z. B. Auswurfs¬
stoffe der Thiere, eingegangene kleine Thiere,
Schlachtungsabfälle von Thieren, Horaspäne,
Kehricht, Scheuemauswurf, Unkraut, Abtritt¬
dünger, Geflügelmist, Basen, Grabenauswurf,
Torf, Moder, Holzabfälle, Sägespäne, Streu,
Wollstaub, Gerberei- und Lederabfälle u. s. w.;
J2. ist ein Mittel erforderlich, welches die
Gährung befördert, besonders bei jenen Stoffen,
welche nur schwer und langsam gähren; da¬
zu wählt man Mistjauche oder Gülle, Asche,
gebrannten Kalk, Mergel, Gyps, Salze; 3. sind
Mittel zur Unterlage, Aufnahme und Mischung
des Compostes, wie Erde, Thon, Bauschutt,
Mergel, Sand, Schlamm. Strassenkoth u. s. w.
erforderlich. Diese drei Mittel werden lagen -
weise und abwechselnd in 1—1% Meter
hohe viereckige Haufen, und zwar derart
geschichtet, dass man auf die festen Theile,
wie Erde, Basen, Bauschutt, eine Schichte
Stalldünger und dann wieder festere Theile
folgen lässt und das Ganze öfters mit Jauche
übergiesst. Solche Haufen müssen den Sommer
über zwei- bis dreimal umgesetzt oder um¬
gestochen, d. h. alles gut miteinander ge¬
mengt und durchgearbeitet werden. Nach je¬
desmaligem Umsetzen müssen die Haufen
wiederholt mit Jauche begossen werden. Bei
besonders schwer in Gährung und Aufschlies¬
sung zu bringende Stoffe in den Compost-
haufen ist hervorzuheben: Wenn der Com-
ost zum Theil aus nicht völlig entsäuertem
chlamm u. dgl. Erde (mooriger oder bruchiger
Beschaffenheit) besteht, so muss demselben
Aetzkalk, theils um die nöthige Erwärmung
des Haufens zu bewirken, theils um die be¬
treffenden Massen zu entsäuern, beigegeben
werden. Werden viele Horaspäne in den Com-
osthaufen gebracht, so muss derselbe durch
auche immer feucht gehalten werden; um die
Verflüchtigung werthvoller Bestandtheile zu
verhüten, wendet man Düngergyps an, welcher
beim Umstechen des Haufens ein- und auf¬
gestreut wird. Die Binderhaare und Wollab-
gänge zeichnen sich durch hohen Stickstoff¬
gehalt aus und liefern einen werthvollen
Compostdünger; mit Kalk durchsetzt wirken
dieselben sehr gut und werden in England
häufig angekauft. Als Mittel mehrerer Ana¬
lysen enthielten die Haare aus Gerbereien
6 ■ 7 Percent Stickstoffgehalt. Wird Gerberlohe
mit Salz und Kalk vermischt und dann Pferde¬
dünger beigegeben und eingeschichtet, so er¬
hitzt sich die Masse in Bälde, geht in Gäh-
rung über und gibt in 4 Monaten einen sehr
guten Compost, welcher, auf Wiesen gefahren,
mit dem besten Dünger concurrirt. Leder¬
abfälle werden am besten gemahlen in den
Composthaufen gebracht, da sie sich in Form
eines feinen Mehles am leichtesten zersetzen.
Befindet sich im Compostdünger kein Un¬
krautsamen, was nicht immer der Fall ist,
so eignet er sich zur Düngung des Acker¬
feldes; am besten und vortheilhaftesten wird
er aber auf Wiesen, Klee-Luzernefelder und
zur Düngung der Bäume verwendet, weil hier
die Verunkrautung weniger oder nichts schadet
und namentlich der künstliche Futterbau be¬
deutend gesteigert werden kann. Wenn es
die Witterung erlaubt, so wird der Compost¬
dünger im Januar und Februar auf die Wiesen
geführt, in kleinen Haufen abgeladen und im
Februar und März verbreitet und verkleinert;
hingegen jener, der auf die Felder zum
künstlichen Futterbau in Verwendung kommt,
wird vor der Bestellung der Felder im Herbste
COMPRESSE.
oder Frühjahre ausgeführt und mit dem. Pflug
untergeackert. Die Wirkung des Compost-
<lünger8 dauert auf Wiesen und Weiden öfters
8—3 Jahre und zeigt sich besonders dadurch
an, dass das Moos vertilgt wird, gute Wiesen¬
pflanzen sich einstellen und besonders das
Boden gras sich kräftig entwickelt. Wie häufig
sieht man noch auf dem Lande in den Ort¬
schaften und Einzelhöfen die Mistjauche
aus dem Hofe in die Gossen und Dorfwege
abfliessen und die letzteren verunreinigen,
statt dass dieses kostbare flüssige Düngungs¬
mittel zur Compo8tbereitung verwendet wird,
und wie oft kann man sehen, besonders bei
länger anhaltender nasser Witterung, dass
die Strassen, Gassen, Dorf- und Feldwege
durch Unrath und thierische Auswurfstoffe
verunreinigt sind; würden diese so nützlichen
Düngstoffe gesammelt und auf den Compost-
haufen gebracht, so könnte nicht nur eine
werthvolle Düngervermehrung erzielt werden,
sondern würde ausserdem Reinlichkeit auf
den Orts- und Feldwegen geschaffen und zu¬
gleich gute gang- und fahrbare Verkehrswege
und Strassen auf dem Lande hergestellt, was
Alles in Zeiten der Ruhepausen, nach den
strengen landwirtschaftlichen Arbeiten aus-
geführt und betätigt werden könnte. A6r.
Comprette, ein zwei- bis dreifach zu¬
sammengelegtes Stück Leinwand oder Baum¬
wollstoff, welcher als Deckmittel für kranke
Theile gebraucht wird, einerseits als Schutz
für dieselben gegen äussere Schädlichkeiten,
andererseits um die leidenden Partien warm,
kalt oder feucht zu erhalten, und endlich
wurde sie in der früheren Zeit verwendet, um
als Aufsaugungsmittel für die abfliessenden
Secrete zu dienen. Man hat einfache und ge¬
spaltene Compressen. Letzterer bedient man sich
namentlich bei Amputationen. Sie werden
derart angelegt, dass der Knochen nach Durch¬
schneidung der Weichtheile zwischen den
Spalt zu liegen kommt, die letzteren aber
ganz von der Compresse bedeckt werden, wor¬
auf erst die Durchsägung des Knochens vor¬
genommen wird. Sind zwei Knochen zu durch¬
trennen, so verwendet man die doppelt ge*
spaltene Compresse, wobei der mittlere Lappen
derselben zwischen den beiden Knochen hin¬
durchgesteckt wird. Bayer.
Compre88ion der Lungen kommt zustande
durch in dem Thorax angesamraelte chronische
Transsudate (Brustwassersucht, Hydrothorax)
oder acute entzündliche Exsudate, durch in
den Thorax ergossenes Blut oder von aussen
bei penetrirenden Brustwunden oder Durch¬
bruch von mit Bronchien comraunicirenden
Cavemen eingedrungene Luft (Pneumothorax),
durch grosse an der Brustwand oder an den
Bronchien sitzende Neubildungen (Sarcome,
Krebse, Lipome etc.), durch Ueberfüllung des
Magens und Darms mit Futterstoffen oder
Gasen (bei Koliken) und Vordrängen des
Zwerchfells in die Brusthöhle oder bei Zer-
reissungen des Zwerchfells durch Vorlagerung
des Magens, Darms und der Leber in die
Brusthöhle (Zwerchfellbrüche). Je nach dem
Grade und der Ausdehnung der Comprcssion
— CONCHA. tli
kommt es zu Athmungsbeschwerden, Dispnoe
oder Asphyxie. Der Tod durch Asphyxie er¬
folgt bei totaler Compressidn der Lungen
durch excessive Gasentwicklung im Magen
und Darm, Vordrängung und Lähmung des
Zwerchfells und bei Anfüllung des Thorax
mit Flüssigkeiten oder Luft. (Darauf beruht
das Tödten durch Einblasen von Luft in den
Thorax.) Bei drohender Asphyxie durch Gas¬
entwicklung im Magen und Darm ist der
Magen- oder Darmstich zu versuchen und bei
Erstickungsgefahr durch Wasseransammlung
im Thorax ist die Paracentesis und Ent¬
leerung der Flüssigkeit angezeigt. Semmer .
Compre88or (von comprimere, zusammen¬
drücken), der Zusammendrücker, ein Körper,
der durch active Thätigkeit (z. B. Contrac-
tion) oder sein Gewicht, Spannung etc. auf
seine Nachbarschaft drückt. Sussdarf.
Compre88orium ist ein jedes Werkzeug
oder Vorrichtung, welche auf ihre Unterlage
einen Druck austtbt, somit ein jeder Druck¬
verband (Compresse, s. d.). Sussdorf.
Conarium (griech. xb xiuvapiov, Deminut.
von 6 xä>voc, Kegel), urspr. jeder kleine kegel¬
förmige Körper, wurde von Galen schon die
Zirbeldrüse (s. Gehirn) genannt. Sussdorf.
Concentrirtea Futter. Solche Trocken-
Futtermittel, deren Trockensubstanz grossen-
theils aus verdaulichen Stoffen (Nährstoffen)
besteht, die also nur geringe Mengen von
Roh- oder Holzfaser- und sonstigen unverdau¬
lichen (Ballast-) Stoffen enthalten; z. B. Kör¬
ner, getrocknete Biertreber, Oelkuchen, Kleie
u. dgl., Fleischmehl, getrocknetes Blut. Pott.
Conceptaculum, Perithecium oder Pyre-
nium nennt man bei Pyrenomyceten, z. B. bei
Claviceps die bim-, krug-, eiförmigen u. s. w.
Behälter oder Kammern, welche die Schläuche
enthalten. Sie laufen an ihrer Mündung (Peri-
stomium) zuweilen in einen langen Halsfortsatz
aus; ihre äusserste Schichte, die sogenannte
Rinde, entwickelt manchmal eigenthümliche
Haare und Borsten. Harz.
Conception (von concipere), die Empfäng¬
nis, Befruchtung, bezeichnet den Vorgang
des Eindringens des Spermafadens in die reife
Eizelle, also die erfolgreiche Begattung. Sf
Concha (griech. ij xo^X 7 )* Muschel), ein
anatomischer Terminus für muschelähnliche
Gebilde, z. B. C. auris, Ohrmuschel; C. nasi,
Nasenmuschel etc. Bei Plautus auch für das
weibliche Glied. In Zusammensetzungen wird
es ebenfalls gefunden wie in
Conchotomie, dasOhrencoupiren, „Mäu-
seln u . Sussdorf
Von den älteren Naturforschern wurde
der Name Conchae, Muschelschale, auf
alle zweischaligen Weichthiere und selbst
einschalige angewendet. Linnd beschränkte
die Bezeichnung auf die zweischaligen Mu¬
scheln. Deshayes wandte sie nur noch auf eine
Familie der Blätterkiemer an, indem er unter
diesem Namen die Gattungen Pullastra,
Venus, Grateloupia, Cytherea, Thetis, Dosinia,
Cyclina vereinigt. In dem gegenwärtig herr¬
schenden System wird der Name nicht mehr
! angewendet, die meisten der oben genannten
14*
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Sit CONCHININUM. —
Gattungen fallen in die Familie der Venus-
muscheln, Veneridae. Studer.
Die Muschelschalen siudin den Apo¬
theken vorräthig und präparirt; sie enthalten
ähnlich wie die Krebssteine, Korallen, Tinten-
fischschalen (Sepia), Marmor u. s. w. nur
kohlensauren Kalk, Kreide. Vogel.
Conchininum, s. Cinchona, ebenso Con-
chinidinum.
Conchiolin, von Concha, Muschel, heisst
die Substanz, welche zum grössten Theile die
organische Grundlage der Muschelschalen bil¬
det; sie ist unlöslich in Wasser, Alkohol,
Essigsäure, verdünnten Alkalien und Mineral¬
säuren und enthält 46—17% Stickstoff. Beim
Kochen mit Schwefelsäure erhält man nur
Leucin als Spaltungsproduct, kein Glycocoll,
kein Tyrosin und keinen Zucker. Locbisch.
CoRCOCtio (von concoquere, verdauen),
Verdauung. Sussdorf.
Concomltans (pari von concomitari, abgel.
von con und comes, resp. comitare oder comi-
tari), begleitend, z. B. in Arteria concomi-
tans, Begleitarterie. Sussdorf
ConcreneRte sind stein- oder kreideartige
Massen, die sich durch Niederschläge aus
Flüssigkeiten in Höhlen und Canälen bilden,
aus phosphor8aurern und kohlensaurem Kalk,
Magnesia, Schleim, Eiweiss, Zellen und
anderen organischen Substanzen bestehen und
mit kleinen, Flüssigkeiten oder Luft enthal¬
tenden Lücken durchsetzt sind. Concremente
bilden sich bei katarrhalischen Zuständen und
in Folge eingedrungener fremder Körper und
Parasiten. Concremente trifft man am häufig¬
sten in den erweiterten und verdickten Gallen¬
gängen bei der Leberegelseuche der Rinder
und Schafe, in der Leber der Pferde und Ka-
meele um untergegangene Echinococcusblasen,
im Nierenbecken bei Katarrhen desselben (aus
phosphorsaurem, harnsaurem und oxalsaurem
Natron, Kalk, Ammoniak und Magnesiasalzen),
in den Lungen bei chronischen Bronchial¬
katarrhen, in den Luftsäcken (als Chondroide)
und in den Mandeln bei katarrhalischer Ent¬
zündung dieser Organe, in den Venen (Venen¬
steine), in Folge von Thrombose, in den Mus¬
keln, um untergegangene Parasiten (Trichinen,
Finnen, Actinomyces, Aspergillus, Haplococcus
recticulatus | ZopfJ und anderen), besonders im
Schweinfleisch, in den weiblichen Geschlechts-
theilen bei katarrhalischen Zuständen. Bei
Hunden, die viel Knochen verzehren, bilden
sich oft massenhafte, aus den ungelösten Kno-
chcnsalzen bestehende Concremente im Mast¬
darm, die zuweilen unheilbare Verstopfungen
und den Tod veranlassen können. Die Con¬
cremente in den schleimhäutigen Canälen geben
oft den Ausgangspunkt zur Entwicklung von
Steinen. Semmer.
Concrescentia (von concrescere), Ver¬
wachsung, bezeichnet 1. die Verschmelzung
(Confluenz) lebendiger Protoplasmastücke zu
einem einzigen, wie sie bei niederen Thieren
und während der Entwicklung der Säuger
als Verschmelzung einzelner Segmente oder
Metameren vorkommt; 2. die Verkittung
CONDENSANTIA.
der Gewebselemente miteinander durch Zell¬
kitt; 3. auch die organische Verbindung
etrennter Zellen, Schichten, Organe (Bil-
ung physiologischer Nähte), ja selbst mor~
hologischer Individualitäten (z. B. bei den
chwämmen) geht unter diesem Namen. Sf.
Concretlo (von concrescere), Verwachsung,
Verdichtung, daher auch der Vorgang der
Concrementbildung. Adj. concretus. Sf.
ConcretiORen im Schweinefleisch sind ent¬
weder nur mikroskopisch, oder auch mit blos¬
sem Auge bereits sichtbare, runde, ovale oder
strichförmige Niederschläge von Kalksalzen
um lebende oder untergegangene Parasiten
herum. Die im Schweinefleisch lebenden Para¬
siten, Finnen, Trichinen, Psorospermienschläu*
che (Raynerische oder Miescherische Schläu¬
che) und Pilze (Aspergillus, Actinomyces,
Haplococcus) kommen in frischem Zustande
frei und ohne Kapseln vor, oder sie sind in
Kapseln eingeschlossen, die nachher ver¬
kalken. Die Kalkablagerung um die einge-
kapselte Muskeltrichine herum beginnt mit
dem dritten und endigt mit dem zwanzigsten
Monat nach erfolgter Einwanderung. Die ver¬
kalkten Kapseln der Muskeltrichine bilden
kleine, weisse, unter der Lupe oder auch mit
blossem Auge sichtbare Pünktchen im Muskel¬
fleisch und nach Auflösung der Kalkhülle durch
Salzsäure kommt unter dem Mikroskope die
eingekapselte Trichine zum Vorschein. Ausser
den verkalkten Kapseln der Muskeltrichinen
gibt es noch eine Menge von Concretionen
in den Schweinemuskeln um untergegangene
Parasiten herum. Theils sind es solche Para¬
siten, die in den Muskeln nicht recht ge¬
deihen, wie Echinococcusblasen, Cysticercus
tenuicollis u. a., theils auch untergegangene
Finnen (Cysticercus cellulosae), Psorosper-
inienschläuchc, Pilzwucherungen, die nachher
mit Kalksalzen incrustirt werden und kleine
(bis stecknadelkopfgrosse) weisse oder gelbe
Kalkknötchen bilden, in welchen der unter¬
gegangene Parasit oft nicht mehr nachzu¬
weisen ist. Semmer.
Concussio (von concutere), Erschüt¬
terung. Sussdorf.
CondeR8antia, eine Classe von Arznei¬
mitteln, welche jene Gase, die bei Störungen
der Verdauung sich in excessiver Menge im
Magen und Darm anhäufen und so recht ge¬
fährlich werden können, entweder mechanisch
oder chemisch binden, sie also vermöge einer
besonderen Verwandtschaft aufnehmem und
auf einen kleineren Raum verdichten, con-
densiren. Da es sich hauptsächlich um Kohlen¬
säure und Kohlenwasserstoffe, seltener um
Schwefelwasserstoff u. dgl. handelt, so kommen
hier jene Arzneimittel besonders in Betracht,
welche diese aufzunehmen befähigt sind, also
namentlich Kohle, Magnesia, Schwefelkalium
und die Alkalien überhaupt, die Condensantien
fallen daher in der Hauptsache mit den Ab-
sorbentien zusammen, aber auch die Kälte
in Form von kaltem Wasser (innerlich und
äusserlich angewendet) vermag sehr die Gase
auf ein geringeres Volumen zu reduciren,
sie ist daher ein äusserst geschätztes Mittel
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CONDENSATIO. — CONDITORWAAREN.
213
aberall da, wo es sich um Bekämpfung me-
teoristischer Vorgänge handelt, während die
Bitterstoffe, die Aethereo-Oleosa und Anti-
septica die Mittel sind, die Bildung solcher
Gase zu hintertreiben Vogel.
CoRden8atio (von condensare), Verdich¬
tung als Uebergang in einen dichteren Ag¬
gregatzustand. Sussdorf.
Condensirte Milch, s. Milch.
Condensor, s. Abbö’scher Beleuchtungs¬
apparat.
Condition (Conditio, condicio, Zustand,
Beschaffenheit; condere, einrichten) wird in
hippischer Beziehung in einer doppelten Be¬
deutung, u. zw. in der allgemein gebräuch¬
lichen für den Gesammteindruck angewendet,
welchen ein Pferd bezüglich seines Aussehens,
seines Nährzustandes, seiner Pflege und War¬
tung überhaupt und bezüglich seiner alltäg¬
lichen Leistungsföhigheit im Besonderen macht;
und in der engeren und eigentlicheren Be¬
deutung, welche den Zustand des Pferdes für
die Turf- und Sportseigenschaft näher kenn¬
zeichnet und in letzter Linie gleichsam für
eine bestimmte Zeit und Gelegenheit das
Summum der Leistungsfähigkeit eines Pferdes
ausdrückt. Im alltäglichen und im sports -
männischen Sinne soll bezüglich der Condi¬
tion darauf hingewirkt werden, dass ein Pferd
entweder dauernd (Arbeits- oder Militärpferd)
oder periodisch (Rennpferd) so gehalten und
verwendet werde, um für die speciellen Ar¬
beitszwecke auf eine bestimmte Hohe der
Leistungsfähigkeit gebracht werden zu kön¬
nen, was natürlich für die verschiedenen Ver¬
wendungen des Pferdes auch in verschie¬
denen Methoden zu geschehen hat. Man
unterscheidet eine „gute“, eine „mindere“
und „schlechte Condition“, beziehungs¬
weise gebraucht man am Turfe für letztere
Bezeichnung auch den Ausdruck „ausser Con¬
dition“. Alle jene Momente, die in irgend
welcher Beziehung die Leistungsfähigkeit des
Pferdes zu beeinträchtigen vermögen, müssen
vermieden und daher genau gekannt sein, so¬
wie umgekehrt alle jene Umstände, welche
das Leistungsvermögen zu erhöhen im Stande
sind, wohl erwogen und methodisch in An¬
wendung gebracht werden sollen. Nichtent¬
sprechender Stallaufenthalt oder dauernder
Weidegang, nicht zusagendes oder schlechtes,
sowie übermässig viel oder blähendes, den
Kreislauf beeinträchtigendes Futter, mangel¬
hafte Bewegung und in Folge dessen reich¬
licherer Fettansatz und zu massige dostige
Entwicklung überhaupt oder überangestrengte
Arbeiten beeinträchtigen die Condition des
Pferdes vom leistungsfähigen Standpunkte,
die Condition ist also dann eine schlechte;
während dagegen angemessen beschaffener
Stall, zusagendes und dabei substantiöses
Futter in angepasster Menge, methodische Be¬
wegung und Arbeitsleistung die Thiere ent¬
sprechend abhärtet, deren Sehnen und Muskeln
stählt, unnöthigen Fettansatz verhindert, den
Athem frei, den Hinterleib leicht, die Formen
und deren Uebergänge ebenmässiger und den
Tritt räumiger macht, sohin, wie man im ge¬
wöhnlichen Leben sich ausdrückt, in „gute
Condition“ setzt.
In guter, d. h. für ihre Zwecke vollkommen
leistungsfähiger Condition sollen „ständig“
die Arbeitspferde überhaupt und die „Militär¬
pferde“ und in angemessener Art auch die
Zuchtthiere insbesondere gehalten werden.
Am Turfe dagegen ist die Condition, vom sports-
männischen Standpunkte aus betrachtet, sohin
mehr für ganz specielle und temporäre Zwecke
angestrebt, anders aufzufassen, und das Setzen
des Pferdes in gute Condition als Renn- oder
Traberpferd auch anders als gewöhnlich, d. h.
durch das Training zu erzielen, weil das
Pferd im Rennen das Beste zu leisten hat,
was dasselbe überhaupt zu leisten fähig ist.
In diesem Falle wird daher die Maximal¬
leistung des Renners (Trabers) für eine be¬
stimmte Zeit und für eine verhältnissmässig
kürzere Dauer gefordert und das Thier zu
diesem Zwecke methodisch durch das Trai¬
ning derart in die geforderte Condition ge¬
setzt, dass das Pferd für den Renntag (Renn¬
tage), daher am Ende des Training auch am
Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit für die
bestimmte Periode angelangt und so für den
Turf in „gute Condition“ gesetzt ist. Weil es
nicht möglich ist, ein Pferd fortdauernd in
guter Condition im vorstehenden Sinne der
Maximalleistung zu halten, da in kurzer Zeit
ein auffallender Rückgang in dieser Leistung
durch Kräfteconsumtion eintreten würde,
muss das Training so eingerichtet werden,
dass die sog. „gute Condition“ für den Turf
eben rechtzeitig erreicht wird. Die gute Con¬
dition ist für das Rennen (Traben) das Wich¬
tigste, weil das beste Pferd „ausser Condition“
oft mit Leichtigkeit von einem minderen,
aber ad hoc in guter Condition stehenden
Pferde geschlagen werden kann. In der Turf¬
sprache unterscheidet man mehrere Arten,
nämlich beste, gute, ausreichende, leid¬
liche, zu geringe und schlechte Condition; je¬
doch werden diese Arten in praxi sehr
reducirt, indem man einfach sagt: Das Pferd
ist in Condition — was so viel wie „gute
Condition“ bedeutet — oder es ist nicht in
Condition. Lechner.
Conditorwaaren (hygienisch). Allgemein
herrscht die Ansicht, dass die Conditorwaaren
nur durch giftige Färbemittel schädlich
werden können, doch zeigt die Erfahrung,
dass auch die Rohmaterialien der Conditor¬
waaren häufig in betrügerischer Absicht mit
minderwerthigen verdaulichen und unverdau¬
lichen Zusätzen versetzt werden. Die zur
technischen Begründung des Gesetzentwurfes
gegen die Vermischung der Nahrungs- und
Genussmittel der deutschen Legislative im
Jahre 1879 vorjrelegten Materialien umfassen
folgende Artikel unter dem Titel Conditor¬
waaren: 1. Backwaaren: Ruthen, Torten,
Leb- und Honigkuchen; 2 . Confect: a) Mar¬
zipan, candirte Früchte, Pralinöes, Choco-
ladenplätzchen. b) aus essbarem Material
dargestellte plastische Nachbildungen von
allerlei Gegenständen; 3. Bonbons: Drops
mit und ohne Füllung; 4. Fruchtsäfte: Ge-
! 214
CONDROZ-PFERD. — CONDYLOME.
ldes,Limonaden; o.Liqueure; ß.Gefrornes;
7. Pasteten* 8. Pastillen und Dragöes,
überzuckerte Samen. — Bei den Backwaaren
geschieht die Fälschung durch geringwerthiges
Mehl, dem überdies Gyps, Kreide oder Schwer-
spath zugesetzt wird. Das den Windbäckereien
zur Lockerung des Gefüges als Backpulver zu¬
gesetzte kohlensaure Ammon (Hirschhornsalz)
kommt im Haiidel häufig bleihaltig vor und
hat auch schon zu Bleivergiftungen Anlass
gegeben. Beim Bereiten der Honigkuchen
wird häufig statt Honig der billige Kartoffel¬
zucker genommen. Die nach bitteren Mandeln
schmeckenden Zuckerwaaren und Liqueure
erhalten diesen Geschmack statt von Mandeln,
Pfirsichen und Kirschsäften durch den Zu¬
satz von natürlichem oder künstlichem Bitter¬
mandelöl (s. d.), welche beide sehr giftige
Stoffe sind. In den Bonbons wurden bis zu
25% Zusätze von Thon oder Sand gefunden,
die englischen Pfeffermünzzeltchen enthalten
nach Thompson 20% Gyps. Der Geruch der¬
selben rührt von den künstlich dargestellten
Fruchtäthera her, die im Uebermasse genossen
Kopfweh verursachen. Das Gefrorne soll
nur in Gefässen von reinem Zinn oder solchen,
die gut emaillirt sind, bereitet werden. Der
hohe Preis der natürlichen Fruchtsäfte hat
ebenfalls der künstlichen Erzeugung derselben
Vorschub geleistet. Als Färbemittel wird für
die rothen Fruchtsäfte und Liqueure Fuchsin
benützt, welches häufig arsenhaltig ist
(s. Fuchsin). Bei allen Conditorwaaren ist
die Möglichkeit der Färbung mit schädlichen
und theilweise giftigen Substanzen gegeben.
Trotzdem die Benützung giftiger Farben ge¬
setzlich verboten ist, so kommt dies doch
theils aus Unkenntniss, theils aus Nach¬
lässigkeit vor. Es ist daher die Kenntniss
der in der Conditorei benützten giftigen und
nicht giftigen Färbemittel von sanitäts-
polizeilichera Interesse. Man wendet an für
Weiss, nicht giftig: Stärkemehl, feinstes
Weizenmehl, gebrannte Magnesia, präparirte
Austern schalen; giftig: Bleiweiss und Zink-
weiss, Schwerspath. Für Roth, nicht gif¬
tig: Cochenille, Carmin, Fernämbuck, Al-
kanawurZel, wegen seiner Unlöslichkeit auch
Zinnobet, doöh ist dieser manchmal mit der
Ö en Mennige gefälscht; giftig: Mennige,
irroth und Chromroth, Florentinerlack
(arsenhaltig). Für Gelb, nicht giftig:
Reiner Eisenocker, Musivgold, Blattgold, Cur¬
cumawurzel, Saflor, Safran; giftig: Chrom¬
gelb, Bleiglätte, Auripigment, Schwefelcad¬
mium, Gummigutti und Pikrinsäure. Für Blau,
nicht giftig: Indigo, Berlinerblau, Lack¬
mus, Smalte, Ultramarin (letzteres entfärbt
sich in Berührung mit Säuren und entwickelt
hiebei Schwefelwasserstoff, soll daher auch
nicht benützt werden); giftig: Die kupfer¬
haltigen Farben, ferner arsenhaltige Smalte.
Für Grün, nicht giftig: Die betreffenden
Gemische der obengenannten blauen und gelben
Farben, Spinatsaft; giftig: Grünspan, Schwein-
furtergrün, Mischungen von Berlinerblau und
Chromgelb, bleihaltiger grüner Zinnober. Für
Violett, nicht giftig: Gemisch von Ber¬
linerblau mit Carmin, Lackmus, Cochenille
mit Kalk wasser; giftig: Gemische aus giftigen
rothen und blauen Farben. Ueberdies sind auch
die gefärbten Papiere, welche zum Einwickeln
derConditoreiwaaren gebraucht werden, häufig
gesundheitsschädlich. Loebtsch .
Condroz-Pferd, s. Belgisches Pferd.
Condnctor(von conducere), Führer, Leiter,
u. zw. in der Chirurgie, gewissermassen als
Wegweiser für andere Instrumente (Hohlsonde
ist der Conductor für das Messer) oder als
Ueberträger, z. B. des elektrischen Stromes,
von Ansteckungsstoffen etc. Sussdorf,
Condurango, die Rinde einer Asklepiadee
des tropischen Amerikas (Anden) von der
Pflanzengattung Macroscepis, Gonolobus Con¬
durango;
Cortex Condurango. Das Mittel ge¬
hört, seinen chemischen Bestandteilen zu
Folge, die jedoch noch nicht näher bekannt
sind, zu den schleimigen Amara’s und hat
ähnliche Wirkungen, wie das isländische
Moos, die Kreuzblume (Polygala amara), der
Huflattig, Kalmus, die Cascarille, Colombo-
wurzel u. s. w.; die seitherigen Erfahrungen
haben dargethan, dass sie zu den besseren
stomachischen Mitteln gerechnet werden kann,
die der Rinde vindicirten Eigenschaften eines
Krebsmittels aber nicht weit her sind. Thier-
ärztliche Anwendung hat die Drogue ihres
Preises wegen bis jetzt kaum gefunden. VI.
Condyle = Kordyle (*} xopSoXYj), Boule,
Tumor. Sussdorf\
Condylome (von xovßoXwjxa, Geschwulst),
weiche Papillar- oder Zottengeschwülste, be¬
stehen aus zarten, einfachen oder verästelten
Bindegewebsstämmchen, welche sehr reichliche
weite Capillaren enthalten und mit einem ein-
oder mehrschichtigen weichen, dünnen, nicht
verhornten Pflaster- oder Cylinderepithel be¬
kleidet sind. Sie bilden meist kleine, breite
oder gestielte zottige, kuglige, lappige oder
polypöse weiche, leicht blutende Massen und
entwickeln sich meist auf Schleimhäuten, sel¬
tener auf serösen Häuten. Condylome kommen
am häufigsten vor an der Innenfläche des
Präputiums und an der Glans penis bei Hun¬
den und Pferden, bei welchen letzteren sie
häufig in Krebse übergehen; ferner in der
Harnblase, besonders bei Rindern, wo sie leicht
bluten und zu chronischem unheilbarem Blut¬
harnen Anlass geben; ausserdem trifft man Con¬
dylome an in den weiblichen Genitalien, be¬
sonders bei Hündinnen, in der Rachen- und
Nasenhöhle, im Kehlkopf und Mastdarm (als
Polypen), an den Lippen und an der Vulva.
Bei Pferden finden sich oft am Peritoneum
und dem Peritonealüberzuge der Baucheinge¬
weide kleine, zottige, gefässhaltige, mit Endothel
bekleidete Wucherungen, die ihrem Bau nach
den Schleimhautcondylomen entsprechen. Auch
an den Gelenkflächen kommen bei chronischen
Entzündungen fungöse Wucherungen vor, die
Aehnlichkeit mit Condylomen besitzen. Behand¬
lung : Bei den zugänglichen Schleimhautcon¬
dylomen operative Entfernung mit nachheriger
Aetzung der Operationsstelle. Semmer.
C0NDYLU8. —
CMdylus (6 xovSoXos, eigentlich die
äussere Erhöhung der Gelenke, Gelenk selbst),
Gelenkknopf, als ein rundlicher walsenähn¬
licher Gelenkfortsatz. Sussdorf.
Conestoga-Pferd, wird in Pennsylvanien
gezüchtet und gilt mit Hecht für eines der
grössten nnd schwersten in Nordamerika. Die
fragliche Rasse liefert vortreffliche Lastpferde,
welche von der Handelswelt in den grossen
Städten gern* gekauft und gut bezahlt werden.
Ihre Höhe schwankt zwischen 1’75 und 1*80
Meter. Bei guter Ernährung werden sie 15 bis
18 Ctr. schwer. Trotz dieses grossen Ge¬
wichtes sind die Thiere rasch und lebendig,
zeigen auch eine noble Haltung und sollen
der Stolz der pennsylvanischen Viehzüchter
sein. Meistens sind diese Pferde von brauner oder
schwarzbrauner Farbe, doch kommen auchSchim-
mel nicht selten unter ihnen vor. Kopf und Hals
der Thiere sind leicht zu nennen im Vergleiche
zu der Grösse und Stärke des Rumpfes. Be¬
sonders breit ist ihr Hintertheil. Mähnen- und
Schweifhaare sind reich entwickelt, ebenso
auch der Behang an den Unterfüssen. Ihr Huf
ist gross und rund, wie beim englischen Kar¬
renpferde, von welchem sie sich aber sonst durch
grössere Länge der Quarters und feinere Schul¬
tern unterscheiden. Ihre hübschen, ziemlich leich¬
ten Gänge lassen nichts zu wünschen übrig. Zur
Feldarbeit verwendet der amerikanische Farmer
gern die leichteren Pferde dieses Schlages.
Die englischen Karrenhengste „Chester-Courty-
Lion“ und „English Bull“ haben wahrschein¬
lich viel zur Verbesserung der alten Cone-
stoga-Rasse beigetragen. Schwarznecker ver-
muthet, dass ihre Voreltern aus Flandern oder
Gelderland nach Amerika übergeftthrt worden
sind. Freytag.
Conferenz, d. i. Beratschlagung oder
Geschäftsunterredung über irgend einen Gegen¬
stand von Wichtigkeit und besonderem In¬
teresse im Staats- oder Volksleben, wozu sich
Regierungsbeamte, Volksvertreter oder Privat¬
personen an irgend einem Orte versammeln
und über das aufgestellte Thema berathen und
Beschluss fassen. Auf Anregung der k. k.
österreichischen Regierung im diplomatischen
Wege wurde vom 16. März bis 2. April 1872 in
Wien eine internationale Veterinär-Conferenz zur
Erzielung eines gleichförmigen Vorgehens gegen
die „Rinderpest“ abgehalten. Die Regierungen
von Belgien, Deutschland, Frankreich, Gross¬
britannien, Italien, Rumänien, Russland, Schweiz,
Serbien, Türkei und Ungarn erklärten ihren
Beitritt, bezeichneten ihre Delegirten, und
wurden die weiteren Einleitungen behufs der
Conferenzverhandlungen vom Ackerbauminister
Johann Ritter von Chlumecky übernommen,
welcher auch den Vorsitz bei den Plenarver¬
sammlungen führte. Zur Grundlage der Ver¬
handlungen wurden 65 Fragen, die vom k. k.
Thierarznei-Institut in Wien entworfen worden
sind, aufgestellt, wozu sich von den Delegirten der
vertretenen Regierungen zwei Comitds bildeten,
von denen das eine die Fragen der Präven¬
tion, das andere jene der Repression beriethen,
um darnach an das Plenum bestimmte Anträge
zu stellen. Der Zusammentritt der Delegirten
CONFORMITÄT. 215
erfolgte am 16. März und wurde in der an
diesem Tage stattgefundenen ersten allge¬
meinen Sitzung beschlossen, über jede Frage
nach Staaten abzustimmen, um darüber Klar¬
heit zu erlangen, welcher Staat durch seine
Vertreter für oder wider eine Frage sich ent¬
scheide. Präsident des ersten Comitds war
Professor Roll, Wien, und Schriftführer für
dasselbe Professor C. Müller, Berlin; Prä¬
sident des zweiten war Professor Zangger,
Schweiz, und Schriftführer Professor Franz
Müller, Wien. Die Verhandlungen wurden in
deutscher und französischer Sprache geführt,
und auch die Protocolle in beiden Sprachen
abgefasst. Nach Durchberathung der 65 Fra¬
gen wurden als Anhang zu den Conferenzver¬
handlungen die Grundsätze für ein inter¬
nationales Regulativ zur Tilgung der Rinder¬
pest zusammen gestellt und den verschiedenen
Regierungen mitgetheilt, welche auch meistens
als Grundlage zur Ein- und Durchführung von
Gesetzen zur Tilgung und Abhaltung der Rinder¬
pest in den europäischen Staaten dienten. Abr.
Conformatfo (von conformare, harmonisch
einrichten), in der Chirurgie die Einrichtung
gebrochener oder luxirter Knochen. Sussdorf.
Conformität der Rassen. An allen Orten,
wo längere Zeit mit Geschick und Aufmerk¬
samkeit die Züchtung von Hausthieren betrie¬
ben worden ist. nimmt man gewöhnlich eine
Consolidirung aer Rasse, eine Geschlossenheit
der Zuchten und somit auch eine Conformität
aller Individuen der Rasse wahr. Dieses zu
erreichen, ist das Ziel einer jeden rationellen
Thierzucht und es wurde solches an verschie¬
denen namhaften Zuchtplätzen, Gestüten etc.
bereits vor längerer Zeit errungen, oft zwar
erst nach langjährigen Bemühungen und Dar¬
bringung grosser Opfer. Man unterscheidet
mit Recht die Rassen - Consolidation und
Herden-Conformität von dem Begriffe der Con-
stanz. Leistungsfähigkeit ist bei den meisten
Rassen und Zuchten unserer Hausthiere das
Wichtigste und eine Uebereinstimmung der
Leistungsfähigkeit aller Thiere eines Stammes
zu erreichen, das höchste Ziel, welches sich der
Züchter einer Rasse stecken kann. Eine äusserat
sorgfältige Auswahl der miteinander zu paaren¬
den Thiere ist vor allem Andern nothwendig.
Die Uebereinstimmung der Leistungsfähigkeit
muss durch genaue Prüfungen festgestellt
werden. Zweckmässige Haltung und rationelle
Ernährung müssen eine jede Zucht unter¬
stützen; denn es geht bekanntlich ein Thier¬
stamm sehr schnell im Werthe zurück, wenn
jene Factoren zu wirken aufhören; selbst die
sorgfältigste Wahlzucht reicht nicht allein
aus, eine Heerde oder Familie auf ihrer Höhe zu
erhalten; sie muss durch zweckmässige Er¬
nährung etc. unterstützt werden. So z. B. wird
man die englischen Southdown-Schafe an solchen
Orten kaum wieder erkennen, wo sie längere
Zeit — Generationen hindurch — unzweck¬
mässig ernährt und schlecht gehalten wurden,
wenngleich man sonst bei der Auswahl der Böcke
und Mutterthiere sehr streng zu Werke ging.
Die Conformität der Individuen wird an
denjenigen Plätzen am grössten sein, wo
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216 CONFÜSÜS. —
Wahlzucht l&ngere Zeit mit Sorgfalt betrieben
und stets das Leistungsfähigere vereinigt wor¬
den ist. Die älteren Zuchten sind den jün¬
geren in der Regel weit überlegen. Ein Stamm
kann nur dann zur Conformität gelangen, wenn
demselben Zucht noch Leistung zu statten
kommt. „Rassen - Consolidation und Herden-
Conformität 44 gewähren an und für sich keine
Sicherheit für das Gleichbleiben der Eigen¬
schaften durch Generationen, weil ganzen Zuch¬
ten, Stämmen, Schlägen oder Rassen eine
potencirte Vererbungskraft niemals eigen ist,
vielmehr die Individuen auch der ältesten
Zucht im Durchschnitte kein stärkeres Ver¬
erbungsvermögen besitzen, als es den Thieren
überhaupt von der Natur verliehen wurde (re¬
guläre Vererbung). Die Neigung zur Abwei¬
chung in Formen und Eigenschaften arbeitet
in den jüngeren und ältesten Rassen mit
gleichmässiger, stetiger Beharrlichkeit. Lässt
der Kampf der Züchtung gegen diesen die
Conformität lockernden Einfluss nach, so
ist’s um den Vorzug der Zucht, und wäre sie
noch so alt, geschehen. Die Abweichungen
mehren sich, und in kurzer Zeit hat man es
wieder mit den wechselnden Bildern uner¬
wünschter Eigenschaften und Eigentümlich¬
keiten zu thun, mit einem Unfertigen, von dem
die Zucht einst ausging. Das lehren u. a. die
wilden Pferde, welche in zahllosen Herden
die Steppen Südamerikas beleben und sämmt-
lich von wenigen im Jahre 1535 aus Spanien
eingeführten Pferden abstammen sollen. Die
Mannigfaltigkeit der Formen und Eigenschaften
dieser Thiere ist so gross und die Gleich¬
artigkeit ihrer Stammeltern in dem Grade ver¬
loren gegangen, dass sich selbst bei Pferden
desselben Gebietes aus Mangel an Conformität
eine allgemeine Charakteristik nicht aufstellen
lässt. (Settegatt und A. Hensel.) Für jeden
Züchter ist es ohne Frage sehr wichtig, dass
er bei seinem Thierstamme möglichst grosse
Conformität der Individuen erreicht, da er
dann auch auf Brauchbarkeit derselben zum
Dienste und beim Verkauf (zu Zuchtzwecken)
auf guten Absatz rechnen kann. Freytag,
conf>$n$ (von confimdere, zusammen¬
giessen), verwirrt, unregelmässig, z. B. für
Fieber und sonst typisch verlaufende Krank¬
heiten mit aussergewöhnlichen Zufällen. Sf,
Congestion, Congestio, s. Fluxio (von
congerere, zusammenführen, auf eine Stelle
bringen; flucre, fliessen, hinströmen), d e r B1 u t-
andrang oder die Blutwallung. Die
Congestion besteht in einem verstärkten, aber
bald wieder vorübergehenden Zuflusse arteriel¬
len Blutes zu verschiedenen Organen; der Vor¬
gang ist ein activer, er ist von der passiven
Blutanhäufung in einzelnen Körpertheilen wohl
zu unterscheiden; bei letzterer ist der Abfluss
des Blutes aus bestimmten Ursachen erschwert,
sie betrifft am häufigsten das venöse Blut und
stellt die Hyperämie dar (s. „Blutfülle 41 ).
Die Ursachen der Congestion geben Reizungs¬
zustände der Nervencentren und der Ge-
fässnerven ab. Die Nervenreize bedingen
primär eine Verengerung, secundär eine Er¬
schlaffung und Erweiterung der Gcfässhäute;
CONGESTION.
zu den erweiterten Arterien flieset das Blut
beschleunigter hin, auch vermögen diese mehr
Blut in sich aufzunehmen, die Folge davon
ist ein grösserer Blutreichthum, also eine
stärkere Röthung und Auftreibung der Gewebe,
was mit einer erheblichen Steigerung der
Temperatur verbunden ist. Die Andauer des
Blutandranges ist stets eine kurze, der Zufluss
hält nur einige Minuten oder höchstens einige
Stunden an, um alsdann zur vollständigen
Norm zurückzukehren und ohne wesentliche
Alterationen in den Geweben zu hinterlassen;
am leichtesten tritt etwas Serum in das Ge¬
webe aus, dasselbe wird aber stets wieder
schnell resorbirt. In vielen Fällen bildet die
Congestion das Initialstadium der Entzündung,
sie führt dann zu Trans- und Exsudaten und
mehr persistirenden Veränderungen der Gewebe.
Aus diesem Grunde ist die Congestion in der
Leiche nicht nachweisbar; selbst wenn man
ein Thier während des congestionellen Anfalles
tödten wollte, würde das Blut aus den Arte¬
rien in die Venen hinein gepresst werden und
sich nur eine venöse Hyperämie nachweisen
lassen. Recidiviren die Congestionen öfter, so
führen sie mit der Zeit zu Gefässerschlaffiing,
Gefässerweiterung, trägerBlutcirculation,Durch¬
feuchtung und Auflockerung des Gewebes, so
dass das betreffende Organ vulnerabler, in
seiner Widerstandskraft geschwächt wird und
zu Gefässzcrreissung, Schlaganfallen und Ent¬
zündung disponirt. Sehen wir uns nach den
ursächlichen Verhältnissen der Congestion um,
so finden wir, dass die Menge des Blutes
keinen Einfluss auf das Zustandekommen der¬
selben hat, denn eine künstliche Vermehrung
des Blutquantums um das Doppelte vermittelst
Transfusion vermehrt den Blutdruck nicht, er
würde übrigens das Blut gleichmässig, wenn
auch energischer, allen Körpertheilen zuftthren.
Vollblütigkeit an und für sich kann somit
keine Congestion zu Stande bringen, wohl
aber influencirt hierauf eine ungleiche Ver¬
keilung des Blutes in Folge paralytischer
Schwäche gewisser Gefässbezirke, bei welcher
die Gefässwandun gen erschlaffen, so dass das
Blut mit Heftigkeit in die Gefässe einströmt
und die damit versehenen Organe in conge¬
stionellen Zustand versetzt. Dies beobachten
wir ganz besonders in typhösen Krankheiten,
in denen Congestionen nach äusseren Haut-
districten, nach der Milz, den Gekrösdrüsen,
der Darmschleimhaut, den Nieren etc. statt¬
finden; hier übt auch noch die alterirte Blut-
composition ihren Einfluss aus, denn das theer-
artige, mit Kohlensäure überladene Blut circulirt
langsamer und neigt zu Stasen. Je mehr das Blut
aber in einzelnen Theilen stagnirt, unter er¬
schwerenden Verhältnissen bei verstärkter Herz-
thätigkeit und erhöhtem Seitendrucke in den
Arterien circulirt, desto massenhafter strömt
es anderen Theilen zu. Deshalb beobachten
wir bei Degenerationen der organischen Ge¬
webe, bei Herz- und Lungenleiden Conge¬
stionen zum Gehirn und zu den Organen der
Bauchhöhle, bei chronischen Leberleiden, Stö¬
rungen in der Verdauung, Magen- und Darm¬
katarrh, Kolik, Tympanitis, Darm Verstopfung etc.
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CONGLOBATÜS.
Flaxionen zur Lange and zu Gehirn and
Rückenmark. Krampfhafte Contractionen der
Maskein bedingen ebenfalls Congestionen zu
inneren Organen, Tetanus ganz besonders nach
den Langen. Das Zahnen verläuft stets unter
Flaxionen zam Kopfe und Gehirn, so dass nicht
selten das gesammte Nervensystem in Mit¬
leidenschaft gezogen wird. Nach der Geburt
stellen sich gern Congestionen nach den Nerven-
centren ein, desgleichen nach mechanischen
Erschütterungen des ganzen Körpers, z. B.
Niederstürzen, nach langen Transporten der
Pferde auf der Eisenbahn, und nach heftigen
Gemüthserregungcn. Hohe oder niedrige Luft¬
temperatur erhöht die Disposition zu arteriellen
Fluxionen, heisse Sonnenstrahlen, die den Kopf
anhaltend treffen, rufen sie nicht selten direct
hervor, wie dies die Symptome des sogenann¬
ten Sonnenstichs bekunden. Rauhe, kalte, eisige
Winde treiben das Blut aus der Haut nach
innen; zudem gehören höhere Temperaturgradc
innerhalb gewisser Grenzen zu den Stimulan-
tien des Herzens. Starke Fütterung mit protein-
reicher Nahrung (Körner- und Hülsenfrüchte,
Fleisch, Eier etc.) und beständiger Aufenthalt in
unreiner, verdorbener Stallluft disponirt gleich¬
falls zu Fluxionen, denn das Blut wird dick¬
flüssiger, eiweiss- und kohlensäurehaltiger und
acquirirt die vom typhösen Blute bereits nam¬
haft gemachten Eigenschaften. Noch gefähr¬
licher werden Ueberladungen des Magens mit
schwer verdaulicher Nahrung, bei ihnen kann
sich die Gehirncongestion bis zur Apoplexie
steigern. Ganz ähnlich wirken Vergiftungen
mit Spirituosen und narkotischen Substanzen;
hier folgen den Symptomen der arteriellen
Flaxion zu den Meningen bald solche der Depres¬
sion der Gehirnthätigkeit, indem sich die arterielle
Congestion schnell in venöse Hyperämie um¬
setzt. Viele und angestrengte Bewegung er¬
heischt auch eine höhere Thätigkeit der Lunge
und des Herzens, verstärkte Herzthätigkeit er¬
leichtert aber den Blutzufluss zu den her¬
vorragend th&tigen Organen, die hier die
Lungen sind.
Symptome. Da, wo die Congestion äussere
Theile, Haut und Schleimhäute, betrifft, beob¬
achten wir höhere Röthung, vermehrte Wärme
und geringe Aufwulstung, öfter auch ein
stärkeres Pulsiren der Arterien ohne ander-
weite Schmerzäusserungen, weil es nicht zur
Ablagerung entzündlicher Producte in die Ge¬
webe kommt, diese aber erst die Nerven
reizen und belästigen. Der Eintritt der ge¬
nannten Symptome ist ein schneller, plötzlicher,
die Andauer derselben eine kurze; in der Regel
ist mit ihnen eine mehr oder wenige erheb¬
liche Aufregung des Pulses und der Respira¬
tion verbunden. Erfolgt die Congestion zum
Kopfe und Gehirn, so bemerken wir Unruhe,
ängstliches Benehmen, grosse Aufregung, höher
geröthete Conjunctiva, glotzendes, thränendes
Auge, stieren Blick, Fallen zur Erde, starkes
Speicheln. Der nervösen Aufregung folgen
gern Stumpfsinnigkeit und Betäubung. Con¬
gestionen zu den Meningeu des Rückenmarks
sprechen sich durch Schwäche im Kreuz,
wankenden Gang, mitunter durch Absatz eines
- CONGO-SCHAF. 217
blutigen Harnes aus, wenn die Nierengefässe,
resp. die Nierennerven gleichzeitig erregt
werden. Oefter stellt sich Tenesmus ein. After
und Vagina werden hervorgepresst. Conge¬
stionen zu den Lungen verursachen eine alte-
rirte, vorübergehend beschleunigte und er¬
schwerte Respiration, die sich bis zu asphyk-
tischen Anfällen steigern kann.
Therapie. Medicamentöses Einschreiten
ist selten erforderlich und bei der Kürze der
Anfälle auch meistens unausführbar, es kommt
fast nur prophylactisch zur Anwendung, sei
es, dass man auf Haut und Darmcanal ab¬
leitend wirken will, indem man die Haut frot-
tirt oder mit verschiedenen Einreibungen trac-
tirt, oder Laxanzen, Purganzen und Klystiere
verabfolgt; sei es, dass man das Blut und den
Gefässtonus durch Tonica und Säuren ver¬
bessern will. Futterabbruch ist gegebenen Falles
ein weiteres Prophylacticum. Während der
congestionellen Anfälle ist Ruhe, Athmen in
reiner Luft und kühles Verhalten die Haupt¬
sache; bei Gehirnreizungen bewähren sich
kalte Umschläge oder Douchen auf den Kopf.
Gefahrdrohende Symptome, namentlich tob¬
süchtiges Benehmen und Dyspnoe sucht man
durch die Venäsection zu beseitigen. Anacker.
conglobatH8 (von conglobare), zusammen¬
geballt in Glandulae conglobatae, das sind
die Drüsen, welche durch regellose Zusammen¬
häufung von diffusem Lymphoidgewebe und
Lymphfollikeln entstehen (so die Lymphdrüsen
am Zungengrunde etc.). Sussdorf.
conglomeratus, zusammengebunden, zu-
sammengehäaft, für zusammengesetzte nament¬
lich geknäuelte Drüsen. Sussdorf.
Conglutin, ein in den Pflanzen vorkom¬
mender, zu den Pflanzencaselnen zählender
Eiweisskörper; es ist ein Bestandtheil der
Mandeln, Erbsen, Lupinen, Rettigs&men,
Haselnüsse, aus welchen es mit Wasser oder
0*1% Kalilauge gelöst wird. Aus der Lösung
wird das Conglutin mit verdünnter Essig¬
säure ausgefällt und der Niederschlag mit
Alkohol und Aether gewaschen. Beim Kochen
mit Schwefelsäure liefert Conglutin Leucin
und Tyrosin um zweimal mehr Glutaminsäure
als Asparaginsäure. Nach Ritthausen wird das
Conglutin aus Mandeln, Haselnüssen aus der
Lösung in Kochsalz durch Wasser nicht ge¬
fällt, zum Unterschied von dem Conglutin
der Erbsen und Lupinen. Loebisch.
Cougc Schaf. Das Congo-Schaf ge¬
hört zur Gruppe des „hochbeinigen“ Schafes
(s. d). Wir finden das Congo-Schaf vor
allem in Nieder-Guinea vom Cap Lopez bis
südlich zum Cap Negro, ja selbst bis zum
Cap Frio, den Küstenländern Congo und
Angola. Die von vielen Flüssen durchschnit¬
tene Küste ist flach und sumpfig, durch-
strömt von dem Congo. Nach dem Binnen¬
lande zu erhebt sich das Land terrassenförmig;
das Klima ist ein tropisches. Die Grösse des
Congo-Schafes ist nicht unbedeutend; nach
Daubenton: Länge in gerader Linie l*19m,
Höhe des Vordertheiles 0 86, des Hintertheiles
0’85; Länge des Kopfes bis an die Horn¬
wurzel 0*22; Länge der Ohren 0*17; Länge
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918
CONGREGATUS. — CONGRESS.
des Halses 0*99; Länge der Schwanzrübe Ö*41-.
Umfang des Leibes an der dicksten Stelle 0*84;
Entfernung vom Ellbogen bis zum Wider¬
rist 0 ’ 99, Entfernung vom Ellbogen bis zum
Boden 0*51. Es scheint darnach, als ob das
Thier noch um einige Centimeter höher ist
als das Bergamasker-Schaf (s. d.). Die Grund¬
farbe ist eine gelblichbraune. Nach Fitzinger
sollen sich einige dunkelbraune Stellen an
der Aussenseite der vorderen Beugegelenke
und an den Seiten des Leibes von der helleren
Grundfarbe abheben. Die Seiten des Kopfes,
die Gegend oberhalb der Augen und um die
Hörner herum, so wie der vordere Theil der
Oberseite des Halses und das Kinn sind schwärz¬
lich, die Unterseite desselben und die Brust
kastanienbraun, der Hintertheil der Brust so wie
der Bauch gelbbraun, an manchen Stellen blasser,
selbst ins Weissliche spielend; der Schwanz in
seinem oberen Drittheü gelbbraun mit grau
gemischt, die beiden letzten Drittheile schmutzig
weiss mit einem schwachen, gelblichen Anfluge.
In früheren Zeiten sind oft Exemplare dieser
Rasse nach Europa in zoologische Gärten ge¬
bracht worden, haben aber dort, wohl des so
sehr abweichenden Klimas wegen, nie lange aus¬
gehalten und sind bald ein gegangen. DerNutzen,
welchen das in grossen Heerden in seiner Hei¬
mat gehaltene Thier gewährt, sind Fleisch,
Milch und Fell, welches letztere ein sehr
gutes Leder geben solL Von Wollnützung ist
dabei keine Rede, da auch das Congo-Schaf,
wie alle hochbeinigen Rassen und Schläge,
über den ganzen Körper nur mit kurzen, steifen,
markhaltigen Haaren bedeckt ist, unter welchen
sich kaum eine Unterlage eigentlicher Woll-
haare befindet. Schon in sehr früher Zeit
scheint das Schaf, sehr bald nach der Ent¬
deckung Amerikas, auch nach Westindien über¬
geführt worden zu sein, wenigstens bringt Rei¬
chenbach unter dem Namen „indisches Schaf 1
eine Zeichnung, welche sich in nichts von der
des Congo-Schafes unterscheidet. Bo hm.
coagreoatus (von congregare), herdenweis
vereint, für Drüsen, die haufenweise zusammen¬
liegen und dadurch grössere Drüsenpakete
bilden. Sussdorf.
Congre88, nationaler oder internatio¬
naler thierärztlicher, d.h. Zusammenkunft,
Versammlung von Thierärzten einer Nation
oder aller Länder zur gemeinschaftlichen Be-
rathung von Gegenständen volkswirtschaft¬
licher und staatlicher Bedeutung, welche ins¬
besondere die Seuchentilgung der Thiere, Ueber-
wachung der animalischen Nahrungsmittel für
den Menschen, Seuchen- und Währschaftsge-
setzgebung, den Bildungsgang der Thier¬
ärzte und ihre Standesverhältnisse, sowie wis¬
senschaftliche Fragen betreffen. Zu diesem
Zwecke wurden in den letzten 25 Jahren in¬
ternationale und nationale thierärztliche Con-
gresse in verschiedenen Staaten Europas ab¬
gehalten. John Gamgee, Professor am New
Veterinary College in Edinburgh, forderte im
Jahre 1863 durch Circular die Professoren der
Thierarznei-Wissenschaft und die Thierärzte
aus allen Theilen Europas zu einer allgemei¬
nen Versammlung in Hamburg auf, die gleich¬
zeitig mit der Versammlung von Landwirthen
stattfand, und hoffte derselbe, dass die Reprä¬
sentanten der Thierarzneikunde aus allen Thei¬
len des Continents diesen Anlass bereitwillig
ergreifen werden, durch ihre Berathungen die
hohe Bedeutung ihrer Wissenschaft aufs Neue
darzulegen, und ein allen europäischen Län¬
dern gemeinsames System zur Verhütung der
Seuchen vorzuschlagen. Vom 14. bis 18. Juli
1863 wurde in der Aula des Johanneums zu
Hamburg der erste Congress abgehalten und
fanden sich zu demselben über 100 Theilneh-
mer, d. i. Professoren, Beamte und praktische
Thierärzte, u. zw. 6 Schweden, 6 Norweger,
4 Oesterreicher, 4 Russen, 2 Engländer,
1 Schweizer, 1 Däne, dann 78 aus allen Staa¬
ten Deutschlands ein ; demselben wohnten noch
eine Anzahl von Landwirthen und Beamten
bei. Zum ersten Präsidenten wurde Ober-
Medicinalrath Dr. Hering in Stuttgart und
zum zweiten Professor Dr. Gamgee aus
Edinburgh gewählt und in 5 Sitzungen fol¬
gendes Material berathen und Beschluss dar¬
über gefasst: Genügen die bisherigen Erfah¬
rungen, um annehmen zu können, dass die
Incubationsperiode der Rinderpest sich nicht
über neun Tage erstrecke ? Durch die Mehrheit
der Anwesenden bejahend beantwortet; auf
diese Annahme gestützt, wurde mit derselben
Majorität anerkannt, dass zur Verhütung der
Einschleppung der Rinderpest, soweit sie von der
Incubationsperiode abhängt, die 21tägige Qua-
rantainezeit abgekürzt werden könne. „Ist es
wünschenswerth, dahin zu wirken, dass die
Lungenseuche allgemein unter die Hauptmän¬
gel aufgenommen werden soll?“ Bejaht; ebenso
wurden die Sätze bejahend angenommen:
1. Zur Tilgung der Lungenseuche ist das
Schlachten der Erkrankten zu empfehlen.
2. Alle der Ansteckung verdächtigen
Thiere sind zu impfen.
3. Innerhalb des ersten Jahres nach Be¬
endigung der Seuche ist das Vieh nur zur
Schlachtbank zu verwenden; der Antrag aber,
die Impfung deijenigen Rinder zu empfehlen,
welche innerhalb 6 Monate nach dem Erlö¬
schen der Seuche in den Stall gebracht wer¬
den, wurde abgelehnt. Weiter wurde beschlos¬
sen, dass zur Herstellung einer Seuchenord¬
nung folgende ansteckende Seuchen und Krank¬
heiten in dieselbe aufgenommen werden: Toll-
wuth, Milzbrand (Anthrax), Rotz und Wurm,
Maul- und Klauenseuche, Räude, Lungenseuche,
Rinderpest, Pocken der Schafe, bösartige
Klauenseuche der Schafe, bösartige Beschäl-
krankheit; dass die Staatsregierungen auf die
Nothwendigkeit der veterinärärztlichen Ueber-
wachung des Viehtransportes auf Eisenbahnen
aufmerksam gemacht werden. Die Frage: „Ist die
Nothimpfung als Mittel gegen die Verbreitung
der Schafpocken anzuempfehlen“ wmrde beja¬
hend, dieselbe Frage aber hinsichtlich der
„Schutzimpfung“ allgemein verneinend be¬
antwortet, zugleich aber für nothwendig er¬
kannt, diejenigen Herden gleichwie pockenkranke
zu behandeln, in welchen die Schutzimpfung
angewendet wird. Ferner wurde beschlossen, es
möchte in allen Staaten, wo dies noch nicht
CONGRESS.
219
geschieht, eine auf thierärztliche Seuchenberichte
basirte Seuchenstatistik ausgearbeitet und ver¬
öffentlicht werden. Der Antrag, thierärztliche Ver-
suehsststionen zu errichten, wurde verneint, da¬
gegen beschlossen, dass der über die gepflogenen
Verhandlungen zu erstattende Bericht durch
den Druck vervielfältigt und den Staatsregie-
rungen zugestellt werden sollte.
Der II. Congress fand am 21. bis
27. August 1865 unter dem Präsidium von
Dr. RöU und Dr. Hering im grünen Saale des
Gebäudes der k. k. Akademie der Wissen¬
schaften in Wien in Anwesenheit zweier
k. k. Ministerialräthe statt. Als Vertreter der
thierärztlichen Wissenschaft fanden sich 74
deutsche, 69 österreichisch-ungarische, 8 russi¬
sche,^ englische, 4 italienische, 2 schweizerische
und je 1 Mitglied aus Belgien, Dänemark, Frank¬
reich, Norwegen, Portugal, Schweden, Walla¬
chei und der Türkei ein. Dem Programm ent¬
sprechend wurden unter Zustimmung des k. k.
Staatsministeriums 4 Themata zur Berathung
und Beschlussfassung aufgestellt und für jedes
derselben ein Comite aus 5 bis 6 Mitgliedern
zur Vorberathung gewählt, welches sich durch
Beiziehung anderweitiger Mitglieder ver¬
stärken konnte. Der erste Programmpunkt be¬
züglich der Rinderpest führte als Fortsetzung
der in Hamburg eingeleiteten Verhandlung
zur endgiltigen Beschlussfassung:
A. Abkürzung der Contumazperiode.
I. Die Versammlung entscheidet sich dafür,
dass die Dauer der Contumazperiode mit Rück¬
sicht auf die über die Incubationszeit der
Rinderpest gewonnenen Erfahrungen für das
aus Russland und aus den Donau-Fürstenthü-
mem nach dem Westen Europas eintretende
Hornvieh auf zehn Tage festzustellen, dass diese
Periode aber fortan und unter allen Verhält¬
nissen des Gesundheitszustandes des Horn¬
viehes in dem benachbarten Auslande und
ohne Rücksicht auf die Bestimmung und die
Rasse des Viehes aufrecht zu erhalten wäre.
II. Die Versammlung kann jedoch zu
einer Herabsetzung der gegenwärtig gebräuch¬
lichen 21 tägigen Contumazperiode nur dann
anrathen, wenn nachfolgende Voraussetzungen
zur Durchführung kommen, und zwar:
1. Wenn die Errichtung von Contumaz-
Anstalten überall dort, wo die Anforderungen
des Handels sie nothwendig und die Ortsver¬
hältnisse 8ie zulässig machen, stattgefunden
haben wird. In letzterer Rücksicht wäre ins¬
besondere auch auf die Möglichkeit einer
leichten Beistellung des Futterbedarfes, u. zw.
nicht aus dem seuchenverdächtigen Auslande,
und auf das Vorhandensein von Wasser zum
Tränken und zum Reinigen der Thiere Rück¬
sicht zu nehmen;
2. wenn die Contumazen derart einge¬
richtet sein werden, dass sie den Anforderun¬
gen der Veterinärpolizei und der Erhaltung
des Gesundheitszustandes des dahin gebrach¬
ten Viehes entsprechen und eine gesicherte
thierärztliche Ueberwachung gestatten werde;
3. wenn die Anstellung einer hinreichen¬
den Anzahl gehörig instruirter und entspre¬
chend besoldeter Thierärzte in den Contumaz-
anstalten erfolgt sein wird. Die genaue Fest¬
stellung aller in den Hornvieh-Quarantainen
durchzuführenden veterinär-polizeilichen Mass-
regeln ist Gegenstand einer Instruction. Für
nothwendig erklärt die Versammlung weiter:
4. Die Einführung einer Viehconscription
in den Grenzbezirken längs der östlichen Gren¬
zen und die Anstellung von Thierärzten da¬
selbst zu diesem Zwecke und zur Ueberwa¬
chung des Gesundheitszustandes des dort be¬
findlichen Viehes;
5. die genaueste Ueberwachung der Vieh¬
triebe im Innern des Landes;
6. die Bestrafung der Uebertreter der
Contumaz- und der die Rinderpest betreffen¬
den veterinär-polizeilichen Vorschriften nach
der vollen Strenge des Strafgesetzes.
HI. Für besonders wünschenswerth hält
es die Versammlung, dass durch die Bildung
eines Fonds die Mittel geboten werden, die
Tilgung der Rinderpest durch die Tödtung
alles kranken und verdächtigen Viehes mög¬
lichst rasch herbeizuführen und hiedurch die
Verschleppungen des Contagiums nach dem
Westen Europas zu verhindern.
B. Behandlung der thierischen Producte.
Die Versammlung einigt sich in folgenden
Beschlüssen:
1. Vollkommen trockene Rindshäute, Horn¬
spitzen, trockene Knochen, gesalzene und
trockene Rinderdärme, geschmolzener Talg in
Gefässen,Kuhhaare und Schweinsborsten,Schaf¬
wolle in Säcken seien frei und, ohne eine Des-
infection einzuleiten, im Handel zuzulassen.
2. Ganze Hörner, sowie Klauen seien mit
concentrirter Chlorkalk- oder Kochsalzlösung
zu behandeln.
3. Geschmolzener Talg in Wammen sei in
der Art zu desinficiren, dass die Emballage
äusserlich mit concentrirter Chlorkalk- oder
Kochsalzlösung zu waschen wäre. Ad 1, 2 und
3. Selbstverständlich wären solche Rohproducte,
wenn sie aus verseuchten Gegenden oder Ort¬
schaften stammen, unbedingt zurückzuweisen.
4. Frische Knochen, frische Häute und
Därme, roher Talg, rohes Fleisch, rohe Schaf¬
häute — auch wenn sic trocken sind — wären
zur Zeit des Herrschens der Rinderpest, wenn
sie aus verseuchten Ortschaften und Gegenden
stammen, in den Handel nicht zuzulassen.
Der zweite Programmpunkt behandelte
die Desinfection der zum Viehtransport be¬
nützten Eisenbahnwagen und führte zur fol¬
genden Beschlussfassung:
1. Die zura Viehtransporte verwendeten
Waggons und Rampen sind nach jedem Ge¬
brauche gut zu reinigen.
2. Transportgegenstände, welche für Thiere
verwendet wurden, die an einer contagiösen
Krankheit leiden, müssen desinficirt werden.
Eine Desinfection aller Transportmittel ist auch
nothwendig nach jedem Gebrauche in Gegen¬
den und zu Zeiten, wo eine bösartige con-
tagiöse Krankheit verbreitet ist.
3. AlsDesinfectionsmittel sind zu empfehlen
das Reinigen mit kochendem Wasser oder
CONGRESS.
220
heissen Wasserdämpfen und nachheriges sorg¬
fältiges Abwaschen mit heisser Lauge; die
Waschung mit Lauge kann unmittelbar auf
die Anwendung des heissen Wassers folgen.
Die Wagen und Schiffe sollen erst nach voll¬
ständigem Austrocknen und Auslüften zu neuen
Verladungen benützt werden.
4. Die Desinfection der Eisenbahnwag¬
gons und der Schiffe erfordert eine thierärzt¬
liche Ueberwachung.
Der dritte Programmpunkt betraf die
Hundswuth, über welche beschlossen wurde:
Feststellung der Principien einer rationellen
Hunde-Ordnung. Vor Allem spricht sich die
Versammlung einhellig dahin aus, dass die
Wuth wirklich eine specifische, selbstständige
Krankheitsform sei, bei der sich ein Contagium
erzeuge, welches, durch Biss oder Impfung auf
Thiere oder Menschen übertragen, im Stande
ist, diese Krankheit zu erzeugen, und dass
dieselbe keineswegs ein Tetanus ist.
1. Es wäre in sämmtlichen Städten und
Landgemeinden eines Landes eine Hundecon-
scription, ein Hundecensus einzuführen und zu
diesem Behufe in allen Gemeinden des ganzen
Landes in gleichlautenden Formularen ein
Hundecataster anzulegen.
2. Jeder Hund soll mittelst einer Marke
kenntlich gemacht werden.
3. Es soll die Verminderung der Zahl der
Hunde möglichst angestrebt werden, und das
Comitd hält die Einführung einer möglichst
hohen Hundesteuer für eines der vorzüglichsten
Mittel, diesen Zweck zu erreichen. Diese Steuer
soll für alle Hunde ohne Unterschied des Ge¬
schlechtes gleich sein. Dieser Steuer hätten
alle Hunde zu unterliegen. Eine etwaige Er-
mässigung der Steuer oder Befreiung von der¬
selben für Hunde, die zu gewissen Beschäfti¬
gungen benützt werden, soll möglichst be¬
schränkt werden.
4. Es soll dafür gesorgt werden, dass das
freie Herumtreiben der Hunde ohne Auf¬
sicht, ganz besonders aber das Herumlaufen
brünstiger Hündinnen möglichst hintangehalten
werde.
5. Unter gewöhnlichen Verhältnissen ist
von dem Tragen der Maulkörbe als Regel Um¬
gang zu nehmen. In jenen Districten, in wel¬
chen Wuthfälle aufgetreten sind, ist das Tragen
der Maulkörbe unerlässlich. Die Dauer des
Tragens der Maulkörbe wird von Seite der
Behörden im Einvernehmen fachkundiger Thier¬
ärzte von Fall zu Fall mit Rücksicht auf die
speciellen Verhältnisse bestimmt.
6. In Staaten, in welchen bis jetzt keine
gesetzlichen Bestimmungen in Betreff der An¬
zeige ansteckender Krankheiten bestehen, sollen
alle Hunde, welche sich als wuthverdächtig
oder wirklich wüthend zeigen, unverweilt zur
Kenntniss der Behörde gebracht werden.
7. Wüthende Hunde sind unbedingt zu
vertilgen, die von denselben gebissenen und
mit ihnen in Berührung gekommenen Hunde
nur dann, wenn nachweisbar von denselben
noch kein Mensch gebissen wurde; wurde je¬
doch von denselben Jemand gebissen, so sind
selbe erst dann zu vertilgen, wenn der Ge¬
sundheitszustand derselben constatirt ist Wuth-
verdächtige Hunde sind solange in sicherer
Verwahrung und unter genauer Beobachtung
zu halten, bis der Gesundheitszustand der¬
selben constatirt ist. Zeigen sich dieselben
in der That wüthend, so sind sie zu
vertilgen. Werden sie als nicht wüthend
befunden, so können selbe ihren Eigen¬
tümern wieder ausgefolgt werden. Zei¬
gen sich bei einem wegen Wuth verdacht ge-
tödteten Hunde auch nur die geringsten Zeichen,
welche auf die Wuth Verdächtigkeit desselben
hinweisen, so sind alle von demselben gebis¬
senen oder mit ihm in Berührung gekommenen
Hunde zu vertilgen. Es ist selbstverständlich,
dass bei vorkommenden Wuthföllen die not¬
wendigen Desinfectionsmassrcgeln durchgeftthrt
werden müssen.
8. Sollen alle diese Massregeln die beab¬
sichtigten Zwecke möglichst erreichen, so ist
es nach der Ansicht der Versammlung not¬
wendig, dass selbe unter Mitwirkung fach¬
kundiger Veterinäre durchgeführt, und dass
jedem Hundehalter bei Gelegenheit der Con-
scription seines Hundes eine gedruckte, gemein-
fassliche Belehrung über die Gesunderhaltung
der Hunde, sowie über die Kennzeichen der
Wuth und über die zu ihrer Vorbauung und
Tilgung notwendigen, veterinärpolizeilichen
Massregeln übergeben werde.
Der vierte Prograrampunkt umfasste die
Währschaftsgesetzgebung und hatte als Resul¬
tat der Beschlussfassung:
1. Die Notwendigkeit der Beibehaltung
der allgemeinen Haftverbindlichkeit. Gründe:
a) die Thierheilkunde ist so weit vorgeschritten,
dass sie im Allgemeinen im Stande ist, die
concreten Fälle zu beurteilen; b) die Thier¬
heilkunde ist dagegen nicht im Stande, auch
nur annähernd alle die Mängel aufzuführen
und eine bestimmte Gewährszeit für dieselben
zu normiren, welche dem Käufer einen wohl-
begründeten Rechtsanspruch geben; c) nur die
Beibehaltung der allgemeinen Haftverbindlich¬
keit macht es möglich, die sogenannten Nacht¬
schäden (d. h. 24stündige Garantie für alle
Krankheiten, die sich in dieser Zeit äussern)
wegfallen lassen zu können.
2. Die Herabsetzung der gesetzlich
bestehenden Verjährungsfrist höchstens auf
% Jahr neben der allgemeinen Haftpflicht, weil
die wissenschaftliche Beweisführung in der
Regel nicht über diese Zeit hinausgeht
3. Die Festsetzung einer speciellen
Gewährszeit für gewisse Mängel, neben der
allgemeinen Haftverbindlichkeit.
Die Thierarten, für welche Gewährsmängel
aufgestellt werden sollen, sind:
A. Thiere des Pferdegeschlechtes.
B. Rindvieh.
C. Schafe und Ziegen.
D. Schweine.
Als Gewährsmittel werden von der Ver¬
sammlung bezeichnet:
Ad A. Bei Thieren des Pferdegeschlechtes:
a) Schwarzer Staar mit einer Gewährszeit von
7 Tagen; b) c) d) Rotz, verdächtige Drüse
und Hautwurm mit einer Gewährszeit von
CONGRESS. *21
14 Tagen; e) Dämpfigkeit (ohne Unterschied
des Sitzes) mit einer Gewährszeit von 14 Tagen;
f) Dammkoller mit einer Gewährszeit von
21 Tagen; g) Mondblindheit (periodische
Augenentzündung) mit einer Gewährszeit von
28 Tagen.
Ad B. Beim Rindvieh: a) Lungentuber-
cnlose and Perlsacht mit einer Gewährszeit
von 28 Tagen; b) Lungenseuche mit einer
Gewährszeit von 42 Tagen; c) Rinderpest mit
einer Gewährszeit von 7 Tagen.
Ad 0. Bei Schafen und Ziegen: a) Pocken
mit einer Gewährszeit von 7 Tagen; b) Räude
mit einer Gewährszeit von 14 Tagen.
Ad D. Bei Schweinen: a) Pinnen mit einer
Gewährszeit von 14 Tagen; b) Trichinen mit
einer Gewährszeit von 14 Tagen.
In jenen Ländern, wo der Gegenbeweis
durch das Gesetz nicht zugestanden ist, hätte
der Käufer in den Fällen von Rotz, Wurm,
Lungenseuche, Rinderpest, Schafpocken und
Räude des Rechtes der Forderung der Ge¬
währleistung verlustig zu werden, wenn nach¬
gewiesen wird, dass die von diesen Mängeln
ergriffenen Thiere seit der Uebemahme mit
Thieren in Berührung standen, die mit solchen
Krankheiten behaftet waren. Nach den sieben
abgehaltenen Plenarsitzungen hielten noch
Staatsrath Unterberger und Professor Ravitsch
Vorträge über die sibirische Pest; Staatsrath
Jessen einen solchen über die Impfung der
Rinderpest. Der gedruckte Bericht dieses Con-
gresses wurde in 50 Exemplaren den auswär¬
tigen Regierungen zugeschickt.
Der III. Congress fand vom 2. bis 8. Septem¬
ber 1867 in Zürich (Schweiz) unter dem Präsi¬
dium der Directoren Zangger, Professor Hertwig
in Berlin und Ravitsch aus Petersburg, nach vor¬
ausgegangener Einladung der verschiedenen Re¬
gierungen durch die schweizerischen Bundes¬
behörden statt. 188 Fachmänner, Landwirthe
und Verwaltungsbeamte, und zwar 76 aus
Deutschland, 72 aus der Schweiz, 10 aus Oester¬
reich und die übrigen aus Frankreich, England,
Russland, Holland, Belgien, Norwegen, Wal¬
lachei und Serbien fanden sich zu dem Congresse
ein, und es sind die Meisten als Vertreter ihrer
Regierungen dahin beordert worden.
Die Berathung und Beschlussfassung über
den ersten Programmpunkt betraf wiederholt
die „Rinderpest“ und es ergab sich gegenüber
den früheren Verhandlungen nichts wesentlich
Neues, sondern wurde nur der weitere Antrag
gestellt, es sei die kaiserlich russische Regie¬
rung von Seite des Congresses zu ersuchen,
alle Regierungen zur Constituirung einer inter¬
nationalen thierärztlichen Commission zu ver¬
anlassen, welche die Aufgabe hat, die Stätten
und Ursachen der originären Entwicklung der
Rinderpest aufzusuchen und allenfallsige andere,
im Interesse der Erforschung der Rinderpest lie¬
gende Beobachtungen zu machen. Die Verwen¬
dung des Fleisches der Thiere aus verseuchten
Orten etc. richtet sich nach der Ausbreitung der
Seuche und den örtlichen Verhältnissen; deshalb
sind den Regierungen in diesen Punkten keine
bestimmten Vorschläge zu machen. Die Impfung
sei von grosser Bedeutung in den Steppen und
ergebe hier auch günstige Resultate, indem da¬
selbst nur 4—6% Verlust eintrete; aber auch bei
natürlicher Ansteckung betrage hier der Ver¬
lust öfters nur 10%. Ausserhalb der Steppen
fordere die Impfung eben so grosse Opfer, als
die natürliche Ansteckung. Die Abhaltung der
Rinderpest durch Militärcordons erfordere unge¬
heure Geldmittel, Quarantaineanstalten an der
Grenze zu etabliren habe ebenfalls seine Schwie¬
rigkeiten, und deren Wirkung würde durch den
dadurch provocirten Schmuggelhandel mit Vieh
im Erfolg sehr zweifelhaft, weshalb gegebenen
Falles die Einfuhrsverbote vorzuziehen seien.
Der zweite Gegenstand der Berathung
bildete die Organisation der Fleischbeschau.
Die Mitglieder haben Beschlüsse dahin gefasst,
dass die Beschau des Schlachtviehes und dessen
Fleisches nothwendig ist. Die Aufgabe der
Fleischbeschau ist, die Gefährdung des Lebens
und der Gesundheit der Menschen zu verhüten
und ansteckende Krankheiten unter den Haus-
thieren zu entdecken. Die Beschau sei von den
Veterinären auszuführen, da nur diese vermöge
ihrer Kenntnisse im Stande sind, die Krank¬
heiten der Schlachtthiere zu erkennen und
richtig zu würdigen. Die Fleischbeschau hat sich
auf Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen zu er¬
strecken und eine sichernde Fleischbeschau ist
an grösseren Orten nur durchführbar beim Vor¬
handensein gemeinschaftlicher Schlachthäuser;
ferner wird die mikroskopische Fleischbeschau
mit besonderer Rücksichtnahme auf Trichinen
im Princip anerkannt, und sie ist, wo es mög¬
lich, durchzuführen: endlich wird verlangt, dass
in jedem Schlachthause, wie bereits in Belgien,
dem Thierarzte ein gutes Mikroskop zu Gebote
stehen soll.
Der dritte Programmpunkt behandelte die
Organisation des Veterinärwesens und wurden
darüber folgende Beschlüsse gefasst:
1. Die Ausübung der Thierheilkunde ist
durch ein Gesetz zu regeln.
2. Die Thierheilkunde ist ein selbständiger
Zweig der Medicinalverwaltung und bei den
Unter-, Mittel- und Centralbehörden ist die
Vertretung der Thierheilkunde durch eigene
Sachverständige nothwendig.
3. Zur Ausübung der Thierheilkunde sind
nur diejenigen berechtigt, welche die vor-
schriftsmässigen Studien absolvirt und durch
das Examen sich das Diplom als Thierarzt
erworben haben. Diese allein sind auch nur
berechtigt, den Titel Thierarzt zu führen.
Der vierte Programmpunkt umfasste das
thierärztliche Unterrichtswesen und führte zu
dem Beschlüsse, dass das Studium der Thier¬
heilkunde dieselbe wissenschaftliche Bildung
verlange, wie das der Medicin, und dass die
Studienzeit dem entsprechend bemessen werden
müsste; es sei das Hauptstreben dahin zu
richten, dieses Ziel in kürzester Zeit zu er¬
reichen. Da in vielen Staaten das thierärztliche
Unterrichtswesen noch sehr im Argen liegt,
ein plötzliches Steigern der Anforderungen sich
dort voraussichtlich nicht leicht werde durch¬
führen lassen, so sei als Minimum der Vorbil¬
dung derjenigen, welche sich dem Studium
der Thierheilkunde widmen wollten, die Summe
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222 CONGRESS.
der Kenntnisse zu erachten, die in der vor¬
letzten Gasse der Unterrichtsanstalten, auf
welchen die Universitätsreife erlangt wird, er-
erworben werden; ferner wird vorläufig als
Minimum der Dauer der Studienzeit durch die
Majorität drei Jahre angenommen; eine nicht
unbedeutende Zahl der Mitglieder hält auch
jetzt schon bei der grossen Zahl von Doc-
trinen eine vierjährige Studienzeit für geboten.
Endlich erachtet die Versammlung für noth-
wendig, dass die Veterinärmedicin selbständig
gelehrt werde.
Der letzte Gegenstand, welcher die Mit¬
glieder des thierärztlichen Congresses beschäf¬
tigte, war dieLungenseuche.DieFrage, ob dieLun-
genseuche ein Contagion sei, d.h. ob diese Krank¬
heit sich bei unserem Rindvieh nicht originär ent¬
wickle, wurde nach längerer Discussion da¬
hin normirt: Die Lungenseuche ist in polizei¬
licher Hinsicht als eine nur durch Ansteckung
sich weiter verbreitende Krankheit zu betrachten.
Auf Anregung des Professors Dr. Pflug in
Giessen fand ein nationaler Congress deutscher
Thierärzte am 21. bis 22. August 1872 in
Frankfurt a. M. statt, wozu sich 98 Lehrer
der Thierheilkunde und Thierärzte aus den
verschiedenen deutschen Staaten und einige
der Schweiz eingefunden haben. Es wurden
folgende Anträge mit grosser Majorität ange¬
nommen: Als Mass der Vorbildung zum Stu¬
dium der Thierheilkunde ist die Reife für die
Universität wie zum Studium der Medicin zu
bezeichnen. Nur ein vierjähriges Studium ist
genügend, sich mit den thierärztlichen Disci-
plinen bekannt zu machen. Die thierärztlichen
unterrichtsanstaltcn sind als integrirende, aber
selbständige Bestandteile der Universitäten
denselben anzuschliessen. Der Congress er¬
achtet es für sehr wünschenswert, an der
deutschen Reichsuniversität Strassburg eine
Abteilung für Thierheilkunde als selb¬
ständigen integrirenden Theil derselben zu
errichten. Ausserdem wurde eine deutsche Prü¬
fungsordnung durchberathen und festgestellt,
desgleichen die Bestimmungen über die Or¬
ganisation des deutschen Civil- und Militär-
Veterinärwesens, incl. der Veterinärpolizei, und
über die Frage discutirt, in wie weit es zu¬
lässig sei, dass auf den landwirtschaftlichen
Lehranstalten Thierheilkunde gelehrt wird.
Von 7. bis 10. September 1879 fand in
Bologna (Italien) ein nationaler Congress der
italienischen Thierärzte statt. Ein Comitü von
Professoren der italienischen Thierarzneischulen,
sowie von hervorragenden Thierärzten, unter
der Präsidentschaft des Professors der Thier¬
arzneischule in Mailand, N. Lanzillotti-Buon-
santi, stellte ein Programm der auf diesem Con-
gresse zur Beratung kommenden Gegenstände
auf, das sich teils auf die Ausbildung der
Thierärzte, teils auf die Organisation des
Veterinärwesens und die Stellung der Thier¬
ärzte, dann auf Fleischbeschau, Währschafts-
gesetz, Taxe der Thierarzneimittel u. s. w. er¬
streckte, mit Bekanntgabe der Referenten für
die einzelnen Themata der Tagesordnung. Nun¬
mehr wird jedes Jahr in Italien ein nationaler
Congress ab gehalten. Bei Gelegenheit der
Feier der 50jährigen Unabhängigkeit des König¬
reichs Belgien fand unter dem Protectorate
Sr. Majestät des Königs vom 8. bis 11. Juli
1880 in Brüssel ein nationaler Congress bel¬
gischer Thierärzte statt, wobei der Minister
des Innern, Rolin-Jacquemyns, als Präsident
fungirte. Zur Berathung kamen:
1. Erkenntniss der Pflichten der Thierheil¬
kunde ;
2. Beaufsichtigung der von Thieren stam¬
menden Lebensmittel;
3. Gesetzgebung über Gewährsmängel und
4. Organisation des Civil-Veterinärwesens.
IV. internationaler thierärztlicher Con¬
gress. Die nationale Versammlung der belgi¬
schen Thierärzte, welche im Jahre 1880 statt¬
fand, hat beschlossen, dass der schon im Jahre
1870 projectirte, aber durch verschiedene Um¬
stände nicht zur Ausführung gekommene vierte
internationale Congress bei Gelegenheit der
Feier des 50jährigen Bestehens der Brüsseler
Thierarzneischule stattfinden solle. Am 10. Sep¬
tember 1883 wurde durch den Generaldirector
des Ministeriums des Innern, Sommerhausen, der
Congress in Brüssel eröffnet. Derselbe war von
310 Veterinären besucht, und zwar 217 aus Bel¬
gien und 93 vom Auslande, wozu Frankreich das
grössere Contingent stellte.
Zu Präsidenten wurden gewählt: Thier¬
nesse (Brüssel), Bouley (Paris), Jacops (Ter-
monde), Müller (Berlin), Röll (Graz) und
Wirtz (Utrecht). In zehn Sitzungen kamen
folgende Gegenstände zur Verhandlung und
Beschlussfassung:
1. Organisation des Veterinärdienstes, mit
folgenden Resolutionen: „ln jedem Lande soll
ein Veterinärdienst organisirt werden, welcher
mit allem, was diesen Dienst anbelangt, zu
beauftragen ist, und dessen Mitglieder, welche
ausnahmslos Thierärzte sein müssen, als Rath¬
geber für die Verwaltungsbehörden in allen
Abstufungen derselben functioniren, ausserdem
aber auch einen Fachmann als Vertreter bei
den Centralbehörden haben; bei den letzteren
muss ein Thierarzt Chef des Veterinärdienstes
sein.“ In dieser Fassung wurde die erste Resolu¬
tion mit allen gegen vier Stimmen angenommen.
Zur zweiten Resolution schlägt Bouley
vor: „Der Veterinärdienst soll eine möglichst
grosse Anzahl von Thierärzten beschäftigen.
Zu diesem Dienste gehören: Die Ueberwachung
der Viehmärkte, die Fleischbeschau, die Con-
trole der Abdeckereien, die Wahl und Beauf¬
sichtigung der Zuchtthiere, die Controle
der Viehversicherungs-Gesellsehaften, der Vieh¬
zählungslisten. Zu demselben ist ferner zu
rechnen der Staatsdienst, welcher international
werden kann, und welcher namentlich betreffen
soll die Schutz- und Tilgungsmassregeln bei
Seuchen und ansteckenden Krankheiten, sowie
die Controle aller sonstigen Zweige des Vete¬
rinärdienstes.“ In dieser Fassung wurde die
Resolution mit grosser Majorität angenommen.
Dritte Resolution: „Zwischen den verschie¬
denen Staaten, welche durch einen regel¬
mässigen Dienst in Bezug auf Repression und
Prävention von Epizootien die Garantie einer
guten Veterinär-Sanitätspolizei liefern können,
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CONGRUENTIA. — CONI LÜPÜLI.
2*3
soll eine Convention abgeschlossen werden,
welche zum Zweck hat: 1. Die anderen
Staaten in schleunigster Weise von dem Aus¬
bruche der Rinderpest, der Lungenseuche, der
Maul- und Klauenseuche (Aphtenfieber), der
Beschälseuche, des Rotzes und der Schafräude
zu benachrichtigen; 2. ein periodisches Sanitäts¬
bulletin über diese Krankheiten, ihren Stand,
Verlauf und Ende zu veröffentlichen, welche
Nachrichten auch dem internationalen Bulletin,
falls ein solches vorhanden, mitzutheilen sein
werden ; 3. diese Krankheiten durch jene Mass-
regeln der Sanitätspolizei zu bekämpfen,
welche als die empfehlenswerthesten discutirt
und adoptirt wurden; 4. für die Thiere und
die Heelden, welche durch oder ausserhalb
des betreffenden Territoriums transportirt
werden, nur Original-Gesnndheitscertificate von
garantirtem administrativen Charakter verab¬
folgen zu lassen; 5. zur Veröffentlichung eines
internationalen, veterinärsanitären Bulletins
beizutragen. 41 Wurde einstimmig angenommen.
2. Die Lungenseuche veranlasste eine
äusserst umfangreiche und interessante De¬
batte (s. österr. Monatsschrift f. Thierheilkunde
Nr. 10—12, 1883, und Nr. 1—8, 1884).
Die Frage hierüber wurde in folgender Weise
formulirt: „Welches sind die Kennzeichen der
Differential-Diagnose der Lungenseuche, und
welches sind die Mittel, die Entwicklung und
Verbreitung dieser Krankheit zu verhindern? 44
Ueber den ersten Theil der Frage wurden 4,
über den zweiten 28 Punkte aufgestellt und
in vier Sitzungen nach umfangreicher Discus-
sion, vorgeschlagen von einer Specialcommission,
mit einigen Abänderungen angenommen. Wich¬
tig in dieser Frage war der Kampf über die
Impfung, und es kam folgende Beschluss¬
fassung zustande: „Die Schutzimpfung, d. h.
die Impfung, welche gemacht wird, wenn die
Krankheit noch nicht in einer Gegend herrscht,
muss absolut verwarfen werden; die sog. Noth-
impfung, d. h. diejenige, welche gebraucht
wird, wenn die Krankheit schon in einer
Heerde besteht, kann zugelassen, aber nicht
vorgeschrieben werden.
Der dritte Programmpunkt umfasste eine
ausführliche Darlegung des „thierärztlichen Un¬
terrichtes 44 , und insbesondere wurden folgende
Punkte zum Bechlusse erhoben: „Um zu den
Studien der Thierheilkunde zugelassen zu
werden, muss man das Baccalauriat der Wis¬
senschaften oder das der Sprachen bestanden,
also die secundären Studien abgemacht haben. 44
„Es sind mindestens vier Jahre Specialstudien
für das vollkommene Studium der Veterinär-
medicin nothwendig, wenn das Studium der
Naturwissenschaften mit inbegriffen ist. 44
Der vierte Punkt behandelt die Frage:
„Kann man den Thierärzten das Recht unter¬
sagen, die Medicamtc zu verkaufen, welche
für die ihrer Behandlung anvertrauten Thiere
bestimmt sind? 44 Resolution: „Die Thierärzte
aller Länder sollen das Recht haben, die für
die kranken Thiere bestimmten Medicamente
zu bereiten und zu verkaufen, wenigstens für
die Thiere, die jeder Thierarzt selbst in Be¬
handlung hat. 44
Der fünfte Gegenstand, „die Tuberculose 44 ,
konnte wegen der Ausdehnung, welche die
Discussion der übrigen Gegenstände ange¬
nommen hatte, nicht mehr zur Debatte ge¬
bracht werden, sondern wurde von der Tages¬
ordnung abgesetzt und auf den nächsten Con-
gress verwiesen; dagegen wurde die Tuber¬
culose in ihrer Beziehung zur Fleischbeschau
zur Discussion gebracht und folgende, von
Bouley vorgeschlagene Resolution angenom¬
men: „Jedes Schlachtthier, bei welchem sich
die der Tuberculose eigentümlichen krank¬
haften Veränderungen vorfinden, ist als eine
für den Genuss des Menschen durchaus un¬
geeignete Schlachtwaare zu conflsciren. Der
Cadaver eines solchen Thieres muss sofort
unschädlich gemacht werden, entweder durch
Behandlung mit pyrogenen Mitteln, bezw.
schwefeliger Säure, oder es ist auf der Ab¬
deckerei einer vollständigen Verkochung zu
unterwerfen. 44 Obwohl viele Gegner dieser Re¬
solution sich der Abstimmung enthielten und
eine grosse Minorität ohnedies gegen diese
Fassung war, so wurde dieselbe doch als
massgebend anerkannt.
Endlich wurde zur nochmaligen Bera¬
tung der Ausbildung der Thierärzte ge¬
schritten, und folgende Zusatzpunkte zum Be¬
schlüsse erhoben: a) „Extemat und Internat
sind facultativ für die Thierarzneischule; 44
b) „dass die Thierazneischulen an allen Ländern
zu den Staatsinstituten gehören sollen, ist
wünschenswert. 44 Endlich wurde der Be¬
schluss gefasst, dass der nächste Congress inner¬
halb fünf Jahren in Paris tagen soll.
Der vierte Congress in Brüssel war von
grosser Bedeutung, weil die Koryphäen der
Wissenschaft mit sympathischer Theilnahme
des Staatsoberhauptes und der höchsten Re¬
gierungsbeamten hier vereint tagten und äus¬
serst wichtige Beschlüsse fassten.
Die tierärztlichen internationalen und na¬
tionalen Congresse haben zur Entwicklung und
Kräftigung der gesummten Thierarzneiwissen-
schaft unleugbar Vieles beigetragen; und wenn
auch nicht alles Angestrebte erreicht w-urde, so
ist doch wenigstens der Anstoss gegeben und
die Aufmerksamkeit der Landesbehörden und
Volksvertretungen auf die Wichtigkeit dieses
Gegenstandes im Staatsleben gelenkt, dieser
in Erinnerung gebracht und insoweit auch be¬
rücksichtigt worden, als die Organe der Staats¬
regierungen durch den Besuch der Berathungen
dieser Congresse ihre Theilnahme dafür ge¬
zeigt haben und deren Resultate wohl zu
schätzen wussten, indem die Gesetzgebungs-
factoren zur Grundlage und zum Aufbaue ein¬
schlagender Gesetze das aus den Congressen
hervorgegangene Material nicht selten be¬
nützten. Ableitner.
Congruentia (von congruere), Ueberein-
stimmung, Harmonie, z. B. in der Form be¬
nachbarter Flächen (Gelenkflächen), oder in
mannigfachen Erscheinungen einer Krank¬
heit. Sussdorf.
Coni Lupuli, der kegel- oder zapfen -
förmige Fruchtstand (die weiblichen Blüthen)
CONIDIEN. — CONJUNCTIVA.
224
des bei uns cultivirten Hopfens; sie werden
auch als Strobili oder Amenta Lnpnli (Capita
Homnli) bezeichnet, sind aber officinell
unter dem Namen Glandulae Lupuli (Harz¬
drüsen) Ph. G.; 8. die Stammpflanze Humulus
Lupulus, Hopfen. Vogel.
Conidien (von xovta, Staub), zweckmässi¬
ger jedoch Gonidien (s. d.), nennt man im
weitesten Sinne alle Vermehrungszellen zunächst
der Pilze und Algen, welche ungeschlechtlich,
also weder durch vorhergegangene Copulation,
noch durch Befruchtung entstanden sind.
Hierher gehören die Vermehrungszellen aller
Schimmelformen, die Dauersporen der Spalt-
und Sprosspilze, aber auch die Sporen der
Brand- und Bostpilze, die Tetrasporen der
rothen Meeresalgen u. s. w. Auch die blatt¬
bärtigen Brutzellen mancher Lebermoose ge¬
hören hierher. Fast ebenso häufig wie Coni-
dium gebrauchen viele Autoren die passendere
Bezeichnung Gonidium. Früher hat man all¬
gemein auch die Algenzellen im Thallus der
Pilze als Gonidien bezeichnet. Die in eigenen
Behältern (Pycniden) der Ascomyceten einge¬
schlossenen Gonidien heissen „Pycnogonidien“,
auch „Stylosporen“. Harz.
Coniferin, C, e H tt O g . Ein Glycosid, welches
sich im Safte des jungen Holzes der Nadel¬
bäume findet. Erhitzt man den Cambialsaft
zum Kochen, filtrirt, dampft das Filtrat auf %
seines Volums ein, so scheidet sich aus dem¬
selben das Coniferin in farblosen Krystallen
aus. Es löst sich in Wasser, Alkohol,
nicht in Aether; schmeckt schwach bitter
und färbt sich, mit Carbolsäure und Salzsäure
befeuchtet, intensiv dunkelblau. Bei Behand¬
lung mit Kaliumchromat und Schwefelsäure
erhält man aus Coniferin als Oxydations-
product Vanillin, welches vollkommen iden¬
tisch mit dem in den Vanilleschoten vor¬
kommenden wohlriechenden gleichnamigen
Stoffe ist. Durch Einwirkung von verdünnter
Salzsäure liefert Coniferin Traubenzucker und
einen krystallisirenden Körper von der Zu¬
sammensetzung C, 0 H m O s , aus welchem dann
durch Oxydation das Vanillin entsteht. Lh.
Coniin. Ein im gefleckten Schierling (Co-
nium maculatum) vorkommendes Alkaloid, wel¬
ches der genannten Pflanze, die häufig zwischen
Klee vorkommt, narkotische Wirkungen ver¬
leiht, die letzteren sind jedoch im getrockneten
Zustande dieser Pflanze 'nicht sehr bedenklich;
sie ist den Ziegen ganz ungefährlich. Pott.
Coniothecium. Corda (von xovta, Staub,
und fl^xYj, Büchse). Diese Pilzgattung ist
durch einen lrrthum in die medicinische Lite¬
ratur gerathen. Hallier nannte nämlich etwas
nicht näher zu Definirendes so, was nach des¬
sen Meinung Syphilis und Gonorrhoe erzeuge.
C. syphiliticum Hall, sollte erstere, C. gonor-
rholcum letztere Krankheit erzeugen. Beides
hat sich alsbald als lrrthum erwiesen. Harz.
Conium maculatum, gefleckter Schierling,
die bekannte giftige, in ganz Europa an
Wegen und unbebauten Stellen wachsende
Umbellifere (L. V. 2.). Stengel oft über 2 m
hoch, röhrig, kahl, meist blutroth gefleckt, was
für die Pflanze besonders charakteristisch ist:
auch ist sie an den kerbigwellenförmigen
Biefen der Früchtchen leicht kenntlich. Die
untern Blätter sind dreifach gefiedert, die
Blättchen tief fiederspaltig mit gesägten
Zipfeln, Blüthen in Doppeldolden und weiss
(August). Wirksam ist das widrig riechende
Coniin (s. d.), das hinsichtlich seiner phy¬
siologischen Wirkungen dem Nicotin und
Curarin am nächsten steht, denn es lähmt
die motorischen Nervenendungen der Muskeln,
diese selbst aber reizbar lassend und erst
später werden auch die motorischen Centren
im Gehirn und Bückenmark paralysirt, wo¬
durch dann unter Krämpfen der Erstickungstod
eintritt, während das Herz noch am längsten
aushält. Aber auch örtlich werden die sen¬
siblen Nervenenden gelähmt, auf die Haut
eingeriebene Coniinsalben machen daher die
Stelle unempfindlich, doch wirkt hier das
Piperidin des Pfeifers kräftiger, Coniin ist
daher mehr ein Lähmungsmittel der moto¬
rischen Sphäre, das merkwürdigerweise das
Gehirn fast ganz ausser Spiel lässt. Lethale
Dosis bei Kaninchen 0*02 Coniin, bei Hun¬
den 0*05—0*08, die Pflanze findet jedoch
keine thierärztliche Anwendung und wäre
jedenfalls das Curare vorzuziehen. Vogel.
Conjugata diagonalls. Man versteht dar¬
unter den schiefen Beckendurchmesser, der
von der Mitte des Promontoriums zum hinte¬
ren Ende der Beckenfuge geht. StreM.
Conjugatio (von conjugare, zusammen-
jochen, verbinden), wird für die Verbindung
zweier Individuen behufs Erzeugung eines
neuen Lebewesens (der gleichen Art), i. e. Be¬
gattung gebraucht. Die Zoologie speciell ver¬
steht unter Conjugatio einen Vorgang tem¬
porärer oder definitiver Verschmelzung zweier
gleichartiger, resp. verschiedenartiger Indi¬
viduen behufs Steigerung der vitalen Energie
der Wachsthums- und Vermehrungsfähigkeit
durch Theilnng (also einen Verjüngungs-
process des Protoplasmas) als Ersatz für die
Befruchtung. Die Conjugatio kommt nur bei
den niedersten einzelligen Wesen des Pflanzen-
und Thierreiches vor. Sussdorf.
Conjunctiva (Bindehaut des Auges).
Conjunctiva nennt man das die innere Fläche
der Augenlider und die vordere Scleral- und
Comealpartie des Augapfels überziehende,
schleimhautartige Gebilde. Man unterscheidet
daher eine Conjunctiva palpebrarum und eine
Conjunctiva bulbi; ferner auch eine Conjunc¬
tiva scleroticae und eine Conjunctiva corneae.
Mikroskopisch ist die Conjunctiva folgender-
massen gebildet: Die Grundsubstanz bildet ein
Lymphoidzellen beherbergendes lockeres Bin¬
degewebe, welches am vorderen, die Augen¬
lidspalte umrandenden Theile viel kleinere
Papillen hat, als an der hinteren Partie des
Augenlides. Das Ganze wird durch ein zwei¬
schichtiges Epithel bedeckt und zwar oben
durch cylinderförmige, unten durch rundliche
Zellen. Die Conjunctiva enthält folgende Drü¬
sen: 1. Schweissdrüsenähnliche sog. Knäuel¬
drüsen (selten); 2. Meibom’sche; 3. beim
Menschen und bei einigen Säugethieren ra-
cemose, sog. accessorische Thränendrüsen
CONJUNCTIVITIS.
(Henie); ausserdem hat Meissner bei Wie¬
derkäuern in dem die Hornhaut umgrenzen¬
den Theüe innen und unten noch 6—8 knäuel¬
förmige Schläuche gefunden, welche den
Schweissdrüsen sehr ähnlich sind und nach
Manz mit kolbigem Ende münden. Ebenso
hat Manz beim Schweine eine eigen-
tbümlich geformte Drüse (Manz’sche Drüse)
gefunden, welche aus einzelnen oder runden,
mit Bindegewebe umgrenzten ovalen Säcken
zusammengesetzt und inwendig mit Zellen
und mit körniger Masse gefüllt ist. Man
findet noch in der Conjunctiva des Menschen
sowie bei sehr vielen Säugethieren und Vögeln
die sog. Trachomdrüsen Henle’s, welche
meistens in den inneren Augenwinkeln Vor¬
kommen. Beim Ochsen sind dieselben an den
unteren Augenlidern in Haufen (Bruch’schen
Haufen) conglomerirt, während beim Menschen
nur wenige und zerstreut Vorkommen. Die
Blutgefässe der Conjunctiva kommen von
Zweigen der Augenlider und Thränengefässe
und von solchen Zweigen, welche die vorderen
Ciliargefässe am Rande der Hornhaut abgeben.
Auch Lymphgefässe kommen in der Conjunc¬
tiva vor (Arnold, Teich mann). Die Lymph-
gefässe umzingeln die Ränder der Hornhaut
in zierlichen Netzen, welche in die weiten Canal¬
netze der Scleralconjunctiva einmünden. So¬
wohl die Trachomdrüsen, als auch die Bruch-
schen Haufen haben viele Lymphgefässnetze.
In der Conjunctiva der Augenlider sind ober¬
flächliche und tiefere Netze (Schmid); eben¬
so auch an der Peripherie der Meibom’schen
Drüsen (Colosanti). Die Nerven der Con¬
junctiva sind sehr wenig bekannt. Am Lid¬
rande findet man Kraus e'sche Endkolben. An
der Conjunctiva bulbi auch eben solche. Die
Nerven gehen von der Grundsubstanz der
Conjunctiva aus in das Epithel (Helfreich,
Morano); nach Cohnheim und Hoyer gehen
die Cornealnerven auch in die sog. Conjunctiva
corneae. v. Thanhoffer .
Conjunctivitis, Bindehautentzündung (Syn-
desmitis). Referent hat von den in der Men¬
schenheilkunde unterschiedenen Arten der
Conjunctivitis bei Thieren bloss die Conjunc¬
tivitis catarrhalis kennen gelernt. Diese kommt
entweder für sich allein vor oder, was häufiger
der Fall ist, secundär und ist dann in dem
anatomischen oder functioneilen Verbände
begründet, in welchem die Bindehaut mit den
Nachbarorganen steht. Wir haben eine acute
und eine cnronische Conjunctivitis zu unter¬
scheiden. Erstere zeichnet sich aus durch
die Erscheinungen der Hyperämie, welche zu
einer vermehrten Transsudation in die Ma¬
schen des conjunctivalen Gewebes und zu
gesteigerter Absonderung eines trübschleimigen
oder eitrigschleimigen Productes führt. Die
Hyperämie ist sehr verschieden nach dem
Grade und dem Stadium der Krankheit.
Der Ton der Injectionsröthe wechselt von
einer etwas stärkeren Einspritzung der Ge-
fässe angefangen bis zu einer dunkelrothen,
ja ins Violette spielenden Färbung. In manchen
Fällen findet man sogar kleip^ Blutextravasate.
Die Injection beschränkt sich manchmal auf
Koch. Encyklopädie d. Thierheilkd. II Bd.
225
die Lidbindehaut, bei höheren Graden des
Leidens übergreift sie aber auch auf die
Bindehaut des Augapfels. Die Schwellung des
Gewebes spricht sich durch das Verstreichen
der Falten aus, welche wir bei gesunden
Lidern finden; in hohen Graden bedecken die
wulstförmig geschwollenen Lider den Bulbus
vollständig. Versucht man dieselben zu öflnen,
so drängt sich die Bindehaut in Form läng¬
licher, meist etwas durchscheinender Wülste
zwischen der Lidspalte hervor. Dabei ist ihre
Oberfläche anfangs glatt in Folge grösserer
Prallheit, später wird die Bindehaut mehr
schlaff und in Folge dessen faltig und zeigt
auch deutliche Auflockerung. Die Temperatur¬
erhöhung, die bei Conjunctivitis jedenfalls auch
bestehen wird, ist oojectiv wohl kaum nach¬
weisbar. Dass die Thiere, wenn gerade auch
nicht Schmerz, so doch ein unangenehmes
Gefühl, vielleicht wie der Mensch ein Jucken
und Brennen verspüren dürften, scheint daraus
hervorzugehen, dass sie sich häufig zu reiben
suchen. Das Product der Entzündung ist je
nach der Stärke des Processes sowohl der
Menge als auch der Beschaffenheit nach sehr
verschieden. Im Anfänge der Krankheit finden
wir nur eine stärkere Thränensecretion, dann
mischt sich derselben immer mehr Schleim
bei, wodurch das Product trüber wird. Bei
hochgradigen Leiden ist die Secretion eitrig¬
schleimig oder rein eitrig. Während man bei
reinlich gehaltenen Thieren das Secret haupt¬
sächlich nur im inneren Augenwinkel sieht,
findet man bei weniger gut gepflegtenPatienten
oft dicke Krusten in der Umgebung des Auges
und in Form eines Streifens längs der Joch¬
leiste sich herabziehen, nach deren Entfer¬
nung bei langbestehenden Entzündungen haar-
und manchmal auch pigmentlose Stellen für
einige Zeit Zurückbleiben.
Bei der chronischen Form des Binde-
hautkatarrhes ist die Schwellung der Lider
oft ganz fehlend oder nur sehr gering, die
Bindehaut ist schmutzig, gelblichroth, ge¬
färbt, von erweiterten Gefössen durchsetzt. Die
Auflockerung derselben ist nicht zu verkennen
und das Secret ist ein schleimiges oder
schleimig-eitriges. Wie schon erwähnt, tritt
die Conjunctivitis als Begleiterin vieler an¬
derer Erkrankungen des Auges und seiner
Adnexa auf (Hornhautentzündung, Mondblind¬
heit, Katarrh des Thränensackes etc.); ebenso
pflanzen sich aber auch Krankheiten der
äusseren Haut auf die Bindehaut fort, z. B.
bei Eczemen, Pocken, Maulweh etc. Bei In¬
fluenza vermisst man nur selten eine ver¬
schieden stark entwickelte Conjunctivitis. Des¬
gleichen bei der Staupe der Hunde. Primär
und für sich allein bestehend, beobachtet
man die Conjunctivitis relativ nicht häufig.
Als Ursache müssen wir dann Schädlichkeiten
bezeichnen, welche direct die Bindehaut ge¬
troffen haben, so z. B. Rauch, Staub, Abfälle
vom Futter, besonders Grannen, Würmer
(filarialacrymalis), Narben am Lide, sowie an der
Gesichtshaut, durch welche das Lid entweder
en- oder ectropionirt wird, nach einwärts ge¬
stellte Wimpern etc. Sehr heftige Entzündungen
15
226 CONNASCENTIA. — CONSERVIREN DER NAHRUNGSMITTEL.
entstehen durch zufällig in den Bindehautsack
gekommene scharfe Salben, oder, wie ich es
schon wiederholt sah, durch Aetzkalk. Der
Verlauf ist in der Regel kurz, etwa 8 bis
14 Tage, vorausgesetzt, dass etwaige, die
Krankheit veranlassende äussere Schädlich¬
keiten entfernt werden können. (Eine seuchen¬
artig in Slavonien enzootisch vorkommende
Blennorrhoe und das Trachom [s.d.] wird bisher
nur von Blazekovic beschrieben.) Bei lange
dauernden, insbesonders chronischen Katar¬
rhen erweicht endlich auch der Lidknorpel,
so dass er dem Lide nicht mehr als Stütze
dienen kann. Dieses hebt sich dann vom Aug¬
apfel etwas ab und senkt sich gleichzeitig;
es bildet sich der Anfang eines Ectropiums.
Die Thränen und das katarrhalische Secret
rinnen nun fortwährend über die Lid- und
Gesichtshaut, bewirken Excoriationen, Ent¬
zündungen und endlich Schrumpfung der Haut,
wodurch selbstverständlich das Ectropium
immer stärker sich ausbildet (triefäugige
Hunde). Die Behandlung hat mit genauer Er¬
forschung der Ursachen zu beginnen, die
entfernt werden müssen, also insbesonders
fremde Körper. Sollten dieselben nicht schon
durch die bei der Untersuchung reichlicher
abfliessenden Thränen herausgeschwemmt
werden, so müsste man sie mittelst eines
Leinwandläppchens wegwischen und in man¬
chen Fällen, wenn sie fest sitzen, mittelst
einer Pincette herausziehen. Wohl nur bei
heftigen Reizungserscheinungen werden wir
von der Kälte als solcher Gebrauch machen,
indem wir kalte Umschläge ordiniren, in der
Regel werden zeitweilig vorgenommene kalte
Waschungen des kranken Auges genügen,
wodurch auch gleichzeitig der Reinlichkeit
Rechnung getragen wird. Von entschiedener
Wirksamkeit erweist sich eine locale Behand¬
lung durch Adstringentien und auch schwachen
Aetzmitteln. Letztere haben den Vorzug einer
raschen und sicheren Wirkung, sind aber bei
Thieren nicht so leicht anwendbar. Man soll
hiebei zuerst die Lide umstülpen und die
Bindehaut dann mittelst eines feinen Pinsels
mit einer 1—2% Lösung von Argentum ni-
tricum bestreichen. Es dürfte sich daher die
Anwendung von Augen wässern oder von Salben
besser empfehlen; so Losungen von Zinc.
sulfuric, Cuprum sulfur.oder Aluminat, Alumen,
Plumb.acet (circaO’l: 100), Tannin (10:t00),
Mercur sublim, corr. (0*03:100); Collyr. ad-
stringens luteum, (der Pharmacop Austriae.)
und Aq. dest. aa; von Salben wird Mercurius
praecipit. rubr. oder alb. mit Vaselin 1 *0:20*0
in erbsengrossen Mengen in den Bindehautsack
gebracht. Bei Thieren, die wahrscheinlich wegen
eines sehr heftigen Juckreizes sich fortwährend
zu scheuern suchen und dadurch das Leiden
verschlimmern, könnte man vielleicht mit
Vortheil Cocain versuchen. Um die Nachtheile
zu beseitigen, die durch das abfliessende
Secret entstehen, empfiehlt es sich, die Lid¬
ränder und die umgebende Haut einzufetten.
Hautreize, als: scharfe Salben, Fontanelle Eiter¬
bänder, sowie Aderlässe, die ehemals an¬
gewendet wurden, sind völlig nutzlos. Bei
einwärts stehenden Wimperhaaren, bei En-
und Ectropium als Ursache der fortdauernden
Reizungszustände wäre nur durch Beseitigung
dieser Leiden mittelst eines operativen Ein¬
griffes eine Heilung oder doch Besserung mög¬
lich (s. die betreffenden Capitel). Bayer.
Conit&acentia (von connascere), eine nicht
mehr nachweisbare Verwachsungvon ursprüng¬
lich getrennten Knochenstücken zu einem
einzigen, die nur aus phylo-, resp. ontogene-
tischen Gründen geschlossen werden kann. Sf.
ConnatU8 (von con- und nasci), 1. ange¬
boren i. e. während der Trächtigkeit ohne
Einfluss der Eltern erworben; *. zusammen¬
gewachsen. Sussdorf.
Conquet-Pferd. Unter den leichten Pferden,
welche die Bretagne liefert, ist die haupt¬
sächlichste Varietät jene, welche man als
Conquet-Rasse bezeichnet. Dieser Name stammt
von einer kleinen Seestadt im Departement
Finistfcre, südwestlich von Brest gelegen. Die
Grösse der in Rede stehenden Pferde über¬
steigt nicht 1 * 57 m. Die Haarfarbe ist fast
stets braunroth. Der Kopf wird ziemlich leicht
getragen und ist manchmal ein Ramskopf;
die Halsbeuge ist wohlgestaltet, der Wider¬
rist sogar ziemlich scharf ausgesprochen;
die Vorhand entbehrt nicht einer gewissen
Eleganz. Der Körper ist häufig zu lang. Die
Kruppe nähert sich der Horizontalen. Die
Stellung der Beine ist oftmals fehlerhaft,
dieselben sind schwach und in der unteren
Region mit langen Haaren bedeckt. Das
Conquet-Pferd ist bei der Arbeit ausdauernd,
sehr verwendbar und von energischem Tem¬
perament. Ncumann.
Gonsecutivus (von consequi. nachfolgen),
nachfolgend, z. B. in Folgekrankheit. Sf.
Conaerven s. Futterconserven.
Conservfren der Nahrungsmittel. Alle
Nahrungsmittel, sowohl in rohem als gekoch¬
tem Zustande, unterliegen dem Verderben,
welches nach dem derzeitigen Standpunkt der
Wissenschaft davon herrührt, dass in der Luft
überall Keime von Organismen vorhanden
sind, welche als Fäulnisserreger wirken, d. h.
die Nahrungsmittel, auf denen sie weiter vege-
tiren, in einer Weise zersetzen, dass hiebei je
nach dem Grad, den diese Zersetzung erreicht
hat, mehr weniger giftige und übelriechende
Producte entstehen. Die Endproducte der Fäul-
niss organischer Körper, Kohlensäure, Am¬
moniak, Wasserstoffgas, sind wohl nicht giftig.
Hingegen zeigen die neueren Untersuchungen,
dass gerade die ersten Spaltungsproducte der
thierischen Stoffe durch Fäulnisserreger, deren
isolirte Darstellung erst in jüngster Zeit in
Angriff genommen wurde und zum Theil auch
schon gelungen ist, sehr giftige Substanzen
sind, welche ähnlich den giftigen Pflanzen¬
alkaloiden auf den Körper wirken, und welche
zu jener Gruppe von Stoffen gehören, die
unter dem Namen der Leichenalkaloide derzeit
das Interesse der Forscher in hohem Grade
fesseln. Um nun die Nahrungsmittel davor zu
schützen, dass die Fäulnisserreger auf denselben
günstige Bedingungen für ihr Gedeihen fin¬
den, werden schon seit den ältesten Zeiten
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CONSERYIRTE MILCH. — CONSONANZ.
m
gewisse Massregeln geübt, welche man als
Conservirungsmethoden bezeichnet. Diese Mass¬
regeln bestehen im Allgemeinen in der Was¬
serentziehung, in der Anwendung so hoher
Temperatur, bei welcher die Fäulnisspilze ge-
tödtet werden, oder so niederer Temperatur¬
grade, dass sie sich nicht entwickeln können:
in der Anwendung von Druck, im Versetzen
mit gewissen Stoffen, welche faulnisswidrig
wirken (s. Antiseptik). Um Fleisch für län¬
gere Zeit aufzubewahren, werden besonders
folgende Conservirungsmethoden geübt: 1. Das
Trocknen an der Luft; 2. die Behandlung mit
antiseptischen Stoffen: mit Kreosot (Räuche¬
rung), mit schwefliger Säure, Salicylsäure,
Holzessig; 3. die Einpöckelung, d. i. das
Behandeln mit Kochsalz und Salpeter, hiebei
wird dem Fleische jedoch nicht nur Wasser
entzogen, sondern es verliert auch für die Er¬
nährung wichtige Salze; 4. längeres Kochen
und Aufbewahren in luftdicht geschlossenen
Büchsen, aus denen die Luft vollkommen ent¬
fernt wurde; 5. Ueberziehen mit Fett oder
Leim; schliesslich die Anwendung von Kälte
(s. a. Fleisch). Milch wird durch Eindampfen,
wobei sie Wasser verliert, condensirt am sicher¬
sten aufbewahrt. Die condensirte Milch wird
bereitet, indem man Milch, welcher Rohr¬
zucker zugesetzt wurde, bei niederer Tempera¬
tur im luftverdünnten Raume (Vacuum-Apparat)
eindampft. Auch Butter kann man durch all-
mäliges Entfernen des darin enthaltenen
Wassers bei 60° C. haltbar machen. Eier
conservirt man durch Einlegen in Kalk oder Kalk¬
wasser, durch Bestreichen mit Leim oder durch
Tränken in einer Lösung von 10 Th. weissen
Peches und 50 Th. siedenden Baumöles (Abhal¬
ten der Luft). Die Gemüse werden meistens
in Wasser gekocht und in hermetisch ver¬
schlossenen Büchsen, aus denen die Luft voll¬
kommen entfernt wurde, aufbewahrt. Locbisch.
Conservirte Milch, s. Milch.
Conservlrungsflitasigkelt, s. Mikrosko¬
pische Technik.
Consilium. 1 . Die Beratschlagung
mehrerer Aerzte über einen Krankheitsfall.
2 . Verfahren, Methode. Sussdorf.
Consistenzveränderungen in verschie¬
denen Organen kommen in Folge verschie¬
dener pathologischer Vorgänge zu Stande.
Eine Zunahme der Consistenz findet statt
bei vermehrtem Blutgehalt und Infiltration
mit festen Entzündungsproducten (z. B. bei
Splenisation und Hepatisation der Lungen),
bei zelligen Infiltrationen und interstitiellen
Bindegewebswucherungen und bindegewe¬
bigen Entartungen parenchymatöser Organe
(Cirrhosis der Lungen, Leber und Nieren),
bei Infiltrationen weicher Gewebe mit Pigment
<Pigment-Induration) und mit Kalksalzen (Ver¬
kalkungen, Verkreidungen der Knorpel) und
Neubildungen (Tuberkel und Parasiten), beim
Wasserverlust und Eintrocknen mortificirter
Organe. Eine Abnahme der Consistenz ge¬
schieht bei Infiltrationen der Gewebe mit
Luft und Gasen und wässerigen Exsudaten
und Transsudaten (Emphysem, Oedem) durch
brandige Erweichungen (feuchten Brand) und
Fäulniss. ln Cadavem tritt bei beginnender
Fäulniss meist in allen Organen und Geweben
eine Abnahme der Consistenz ein; nur beim
schnellen Eintrocknen derselben ohne Fäul¬
niss werden sie härter. Semmcr.
Consonanz. Unter Consoniren versteht
man in der Physik das Mitklingen oder viel¬
mehr Nachklingen eines Tones (nichtSchalles),
wodurch derselbe auch entfernt von seiner
Ursprungsstelle vernommen wird; selbst¬
verständlich ist der Ton hiedurch etwas ab¬
geschwächt worden zum Unterschied von der
Resonanz, bei welcher der Ton durch Refle¬
xionen verstärkt wird, ebenso ist zum Zu¬
standekommen einer Consonanz nothwendig,
dass die Substanz, welche das Nachklingen
vermittelt, ein guter Schallleiter sei, auch
müssen die Schwingungen sehr regelmässig
sein und nach bestimmten harmonischen Ge¬
setzen erfolgen. Dies ist nur bei Tönen der
Fall, nicht auch bei Geräuschen, wie sie
z. B. in der Brusthöhle entstehen und deren
Oscillationen ganz unregelmässiger Art sind.
Experimentell kann die Consonanz am deut¬
lichsten dadurch hervorgerufen werden, dass
man auf zwei leere Kistchen je eine Stimm¬
gabel schraubt und dann die eine Gabel an-
Bchlägt; die Tonschwingungen sind so regel¬
mässig, dass nunmehr auch die andere Gabel
„mittönt u , consonirt, auch wenn sie auf 1 m
entfernt aufgestellt wird. In der Lehre von
der Auscultation des Thorax spricht man nun
häufig von consonirendem Bronchialathmen
und consonirenden Rasselgeräuschen (Skoda),
was sonach physikalisch nicht zu rechtfertigen
ist, es kann daher hier blos von consonirend
gesprochen werden, wenn mit jenen Respi-
rationsphänornenenTöne, gewöhnlich ein helles
Klingen, verbunden ist. Mit diesen Geräuschen
ist aber bei den Thieren nur selten ein me¬
tallisches Klingen verbunden, man bekommt
daher die wahre Consonanz nicht häufig zu
hören, bei jenen Geräuschen daher, welche
sich nur dem metallischen (oder auch musi¬
kalischen) Tone nähern, aber ebenfalls ent¬
fernt von ihrer Ursprungsstelle gehört werden,
ist von Consonanz keine Rede, es sind die¬
selben vielmehr nur weiter geleitet worden, weil
sie in einem Gewebe entstanden sind, dessen Um¬
gebung verdichtet, infiltrirt ist und nunmehr
ein ungleich stärkeres Fortleitungsvermögen
erhalten hat. Die Skoda’sche Consonanztheorie
muss sonach in den Hauptpunkten umgeworfen
werden und beschränkt sich daher nur auf
die genannten Erscheinungen des metallischen
Klingens, wie dies besonders bei Bronchopneu¬
monien und der croupösen Lungenentzündung
vorkommt, oder w T enn an Stellen des Thorax
metallische Töne gehört werden, wo sie nicht
entstanden sein konnten, z. B. an solchen,
die vollen Percussionsschall geben oder wo
man amphorisches Athmungsgeräusch hört,
denn am ehesten entstehen da Töne, w r o man
es mit kleineren oder grösseren Extrava¬
sationen in infiltrirten Lungentheilen zu thun
hat: wo also echte Consonanzphänomene zu
Stande kommen, deuten diese fast ausnahms¬
los darauf hin, dass Höhlen vorliegen. In
15*
CONST ANTINUS. — CONSTANZ.
ähnlicher Weise wie bei den metallisch klin¬
genden Basselgeräuschen verhält es sich auch
mit der Consonanz bei der Bronchophonie
und dem Bronchialathraen (s. d.). Vogel.
Constantinus. Porphyrogenetes, griechi¬
scher Kaiser von 911—959, Üess ein Sammel¬
werk über alles auf dem Gebiete der Thier¬
heilkunde Geleistete anfertigen. Semmer.
Constantirungsbock. Unter solchen ver¬
steht der Züchter männliche Zuchtthiere,
welche in allen Eigenschaften, die seinem
Zuchtzwecke entsprechen, im höchsten Grade
vollkommen entwickelt sind, keinerlei Schwä¬
chen, noch viel weniger Fehler an sich tragen.
Er verwendet sie hauptsächlich zur „homo¬
genen“ Paarung, d. h. zur Paarung mit solchen
weiblichen Thieren, welche ebenso in allen
ihren Eigenschaften dem Zuchtziele entspre¬
chen, höchstens noch nicht in so hohem
Grade leistungsfähig sind, wie jenes es er¬
fordert, aber keinerlei Eigenschaften nach
irgend einer Richtung hin besitzen, welche
dem Zuchtziele widerstreben. So geeigen-
schaftete weibliche Thiere können nun mög¬
licherweise aus einer heterogenen Paarung
hervorgegangen sein, deren Eltern möglicher¬
weise auch einzelne dem Zuchtziele nicht ent¬
sprechende Eigenschaften besessen haben,
welche bei der Zeugung der betreffenden
Thiere durch den Vater, wenn auch nicht
vollständig überwunden, so doch höchstens
nur „latent“ (unerkennbar) vorhanden sind.
Der Constantirungsbock hat die Aufgabe, in
der Nachzucht aus solchen weiblichen Thieren,
die eventuell noch latent vorhandenen miss¬
liebigen Eigenschaften derselben immer mehr
zu überwinden, die erkennbaren, dem Zucht¬
ziele entsprechenden Eigenschaften immer
sicherer zu machen, gegen Rückschlag zu
schützen und wo möglich in quanto noch zu
steigern. Von dem Constantirungsbock haben
wir daher zu fordern, dass er nicht nur indi¬
viduell tadellos sei, sondern dass auch sein
Stammbaum nachweist, dass er von einer
möglichst langen Reihe von Vorfahren ab¬
stammt, die sowohl in männlicher wie in
weiblicher Linie durch das Vorhandensein in
hohem Masse nur solcher Eigenschaften sich
hervorgethan haben, welche dem vor^esteckten
Zuchtziele entsprechen, keinerlei andere
diesem widerstrebende aber je vorgekommen
sind, daher die Gefahr eines Rückschlages
so gut wie beseitigt zu sein scheint. Am
wichtigsten wäre es bei der Züchtung wohl,
nur solche Constantirungsböcke in der ganzen
Heerde zu verwenden; diese sind aber sehr
kostbar und würde deshalb in Heerden, die
noch keinen hohen züchterischen Werth haben,
in Rücksicht eben auf den Kostenpunkt nicht
durchzuführen sein. Da bedient man sich
dann des „Corrections“-Bockes. In jeder Mutter-
heerde wird man Thiere finden, welche, wenn
auch in den meisten Eigenschaften — wenn
auch noch nicht in sehr hohem Grade —
dem Zuchtziele entsprechen, in einer Eigen¬
schaft aber von demselben abweichen, oder
dasselbe nur sehr schwach vertreten. Diese
abweichende Eigenschaft hat man nun in der
Nachzucht zu verbessern, abzuändern, zu „corri-
giren“, oder aber, wenn sie in nur geringem
Masse vorhanden ist, möglichst zu steigern.
Dazu verwendet man den „Corrections“-Bock.
Dieser soll nicht etwa dadurch günstig wirken,
dass er gerade die der fehlerhaften Eigen¬
schaft des Mutterthieres entgegengesetzte
fehlerhafte Eigenschaft besitzt, indem man
meint, „Ungleiches mit Ungleichem gepaart,
gibt Ausgleichung“; er soll gerade statt der
fehlenden oder fehlerhaften Eigenschaft die
normale, dem Zuchtziele entsprechende,
in möglichst hohem Grade nicht nur indi¬
viduell besitzen, sondern auch von seinen
Vorfahren ererbt haben. Ein solches Vater-
thier wird noch für das Zuchtexperiment
genügen, wenn es die sonst für das Zuchtziel
erforderlichen Eigenschaften nur in weniger
vollendeter Menge besitzt, wenn diese nur
bei den Mutterthieren in hinreichender Lei¬
stungsfähigkeit vorhanden sind. Solche Thiere
sind dann auch verhältnissmässig billiger
zu beschaffen. Bohm.
Consi&nz, von Constantia, Beständigkeit.
Damit bezeichnet man in der Zootechnik die
feste und zuverlässige Uebertragung der Eigen¬
schaften der Eltern auf ihre Abkömmlinge. Eine
solche Sicherheit in der Vererbung kann aber
nur dann als Constanz aufgefasst werden, wenn
sowohl die Gestalt und Formen sämmtlicher
Körperbildungen und Anlagen nicht nur allein
untereinander vollständige Harmonie zeigen,
sondern auch mit den äusseren Naturverhält¬
nissen und Lebensbedingungen, wie es bei den
natürlichen Arten der Fall ist, sich im Ein¬
klänge befinden, was auch eine Bedingung für
die Echtheit der Rasse ist. Constanz ist aber
nicht mit Unbeweglichkeit oder Unver¬
änderlichkeit einer Art oder Rasse zu
verwechseln, was eine nicht ungewöhnliche
aber höchst unwissenschaftliche Missdeutung
dieses Begriffes ist. Im wilden Naturleben
scheint Constanz zuweilen mit einem solchen
Stillstände zusammenzutreffen, indem die
äusseren Naturverhältnisse, unter welchen
die Thiere leben, in überschaulichen Zeit¬
räumensich so wenig ändern, dass die möglichen
Wirkungen der Veränderung sich der Auf¬
merksamkeit entziehen. Aber im Culturleben
sind alle äusseren Verhältnisse einer unab¬
lässigen Veränderlichkeit unterworfen, und
daher sind oft selbst nach kurzer Zeit in die
Augen fallende Abänderungen der Formen
der Hausthiere bemerkbar. Selbst unter
Nationalitäten, welche sich innerlich mit
überlieferten Sitten und Lebensverhältnissen
identificirt haben (wie Kosaken und Berber),
findet doch immer so viel Bewegung statt,
dass die Wirkungen sich nach längeren
Zeiträumen kundgeben. Alle Hausthierrassen
sind daher einer steten Variabilität und Um¬
bildung unterworfen; sie werden aber als
constante genannt, wenn die Verände¬
rungen ohne Schwankungen in einer
bestimmten Richtung vor sich gehen.
Vollblut, Merinos, Shorthorn haben sich auf
diese Weise kennbar gemacht und unzweifel¬
haft verändert im Laufe von zwanzig bis
CONSTANZ-THEORIE. <&9
fünfzig und hundert Jahren, wie Abbildungen
und Proben der Wolle es genugsam darthun;
diese Veränderung ist aber eine regel¬
mässige Umbildung gewesen, und man ver¬
dankt es eben der Constanz, dass eine solche
möglich sei, indem keimende Anlagen sich
nicht wieder verlieren, sondern in lebens¬
kräftiger Pulle auf die Abkömmlinge über¬
führt werden (s. a. Constanz-Theorie). Frosch.
Constam der Spaltpilze. Lange Zeit
hindurch und bis vor wenigen Jahren glaubte
man, dass die bis dahin bekannt gewordenen
morphologisch verschiedenen Spaltpilze auch
verschiedene Arten darstellen. Andererseits
haben H. Karsten, Nägeli u. A. die Ansicht
vertreten, dass alle Spaltpilzformen unter sich
in genetischem Zusammenhänge stehen, und
nur durch äussere Einflüsse: Ernährung, Tem¬
peratur u. s. w. modificirte Morphen seien,
die unter Umständen wieder mehr oder weniger
leicht in einander überzugehen vermögen. Die
bis jetzt vorliegenden, namentlich durch Praz-
mowski, Zopf, Cienkowski, Warnung, Filz und
R. Koch zu Tage geförderten Untersuchungs¬
resultate lassen es jedoch unzweifelhaft er¬
scheinen, dass wir es hier, wie bei den höheren
Pilzen, gleichfalls mit einer grossen Anzahl
distincter charakteristischer und guter Arten zu
thun haben. Von manchen derselben kennt
man nur wenige, von anderen mehrere Ent¬
wicklungsformen (s. Beggiatoa unter „chro-
mogene Spaltpilze 11 , Clathrocystis u. a). Wir
haben es demnach hier ebenfalls mit Fällen
von Pleomorphismus zu thun, wie bei vielen
höheren Pilzen. Was den Einfluss des Nähr¬
bodens anbelangt, so steht fest, dass verschie¬
denartige als Nahrung dienende Substanzen
(naturgemäss kann man fast sagen) auch ver¬
schiedenartige Zersetzungsproducto bedingen,
und dass in dem Medium die eine Vegetations¬
form mitunter besser gedeiht, als eine andere
in denselben Formenkreis gehörige. Manche
saprophvstische Pilze können durch Anpassung
gelegentlich zu Parasiten werden. Immer jedoch
muss man die durch Emährungs- oder durch
Temperaturverhältnisse hervorgerufenen mor¬
phologischen Veränderungen im Grossen und
Ganzen als höchst unbedeutend bezeichnen.
Es kann also die Beggiatoa roseo-persicina,
z. B. unter gewissen Einflüssen von Ernäh¬
rung und Temperatur mit Vorliebe oder aus-
schßesslich sich in der Micrococcus- oder in
der Monasform u. s. w. vermehren, unter keiner¬
lei Bedingungen wird jedoch dieser Micrococ¬
cus sich zum Froschlaichpilz, zum Milzbrand¬
pilz oder zum Buttersäurepilz (Clostridium) etc.
ausbilden, sondern er wird immer der Mi¬
crococcus der Beggiatoa bleiben und gelegent¬
lich zu deren Fäden u. s. w. auswachsen. Die
Spaltpilze verhalten sich ebenso constant wie
z. B. ein Eurotium, welches das eine Mal als
Aspergillus, das andere Mai als Ascomycet,
oder als Chlamydosporen bildendes Mycel auf-
tritt; oder wie eine Mucorinee, welche sich
uns als Blasenschimmel, als Copulationspilz,
als Hefenvegetation oder als Chlamydosporen
bildendes Mycel präsentirt. Harz.
Constanz-Theorie. Dieselbe wurde im
Jahre 1837 durch Wolstein, Justinus und
andere Zootechniker begründet und später
durch Mentzel, A. v. Weckerlin etc. weiter aus-
gebildet und in Deutschland weiter verbreitet.
Schon 1815 verlangte Justinus von einem guten
Zuchtthiere erwiesene Abkunft, erwiesene Güte
und erwiesene Nachartung, d. h. ein Zuchtthier
könne erst dann als werthvoll gelten, wenn
cs neben guter Abkunft und Leistungsfähig¬
keit sich auch in der Vererbung seiner Eigen¬
schaften auf die Nachzucht tüchtig, zuver¬
lässig zeige. Derselbe Autor sagte noch
weiter: „Die Natur schuf Rassen mit unver-
tilgbarer Vererbungskraft, deren Eigenschaften
deshalb niemals wechseln und die sich ewig
gleich bleiben. Diese Eigenschaft der Be¬
ständigkeit ist in der Reinheit der Abstam¬
mung begründet. Die Aufgabe der Thierzucht
ist es, für die verschiedenen Gebrauchszwecke
ähnlich beständige Rassen zu benützen und,
wenn sie nicht vorhanden sind, zu bilden.
Um dieses zu erreichen, muss man reine
Rassen wählen und sie unvermischt, also in
Reinzucht fortzüchten, denn nur die Rein¬
zucht liefert Producte, die sich im Besitz der
Vollkraft des Vererbungsvermögens befinden,
unausbleiblich durch sich selbst forterben,
sich also gleich bleiben. Je reiner die Rasse,
desto sicherer die Vererbung, je gemischter,
desto unsicherer vererben die Individuen. Halb-
blutthiere können für verschiedenen Gebrauch
nutzbar sein, sie vermögen aber ihre Eigen¬
schaften nicht mit Sicherheit auf ihre Kinder
zu übertragen. Nur durch Reinzucht unver-
mischter Rassen gelangt man zur Selbst¬
ständigkeit in der Thierzucht, die uns von
anderen fremden Stammzuchten unabhängig
macht. Das Forterbungsvermögen bildet sich
dann immer inniger, bleibender, unvertilg-
barer aus.“ Die Nachfolger dieses Mannes
gingen zum Theil noch weiter und bereicherten
jene Theorie mit neuen Lehrsätzen; so z. B.
sagte v. Weckerlin in Hohenheim: „Constanz,
constant bezeichnen die durch kleinere oder
grössere Anzahl hinter sich habender Genera¬
tionen von Voreltern, welche in einer einzelnen
oder in der Gesammteigenschaft gleichartig
waren, entstandene Fähigkeit (Potenz) der
Thiere, ihre, ihrer Rasse oder Stammes oder
Familie eigenthümlichen Gesammt- oder Einzel-
eigenschal'ten mehr oder weniger sicher und ohne
Rückschlag auf ihre Nachkommen zu ver¬
erben.“ An einer anderen Stelle seines Werkes
(über die landwirtschaftliche Thierproduction)
sagt zwar derselbe Autor: „Man muss die
Wichtigkeit der Constanz von der praktischen
Seite auffassen und anwenden, die Forde¬
rungen dabei nicht übertreiben oder gar ent¬
stellen. Die Eigenschaften der unmittelbar
zur Paarung gekommenen Individuen der
Eltern haben den grössten Vererbungseinfluss
auf die unmittelbaren Nachkommen; der Ver¬
erbungseinfluss aller ihrer Voreltern zusammen
ist nicht so gross, als jener, es bleibt immer
noch ein Bruchtheil weniger. Der Einfluss
der Voreltern ist grösser, je näher sie der
jetzigen Generation stehen.“ Justinus stützt
sich auf Wolstein, der sich jedoch nachweis-
Digitized by ^jOOQie
230
CONSTANZ-THEORIE.
lieh freigehalten hat von dem Rassebegriffe,
wie solcher von Justinus an in die neue Lehre
hineingebracht worden ist. Der Kriegsrath
Mentzel in Berlin sprach sich 1859 bezüglich
der Vererbung und Constanz der Rassen u. A.
folgendennassen ans: „Es ist als naturgemässe
Regel anzusehen, dass Eltern und Voreltern,
väterlicher- wie mütterlicherseits, bei der
Vererbung gleichmässig participiren derge¬
stalt, dass jedes Individuum die gesaromten
Eigenschaften seiner Vorfahren im Durch¬
schnitt besitzt. Gehen die Eigenschaften
der Eltern und Voreltern gleichmässig auf
die Jungen über, gleichen diese also jenen,
dann nennt man den Stamm oder die Rasse
constant. Nach dem natürlichen Gesetz der
Vererbung concurriren bei ihr alle Eigen¬
schaften der Vorfahren, die guten wie die
schlechten, u. zw. in der Regel nach dem
Masse ihrer mehr oder weniger häufigen
Wiederkehr und (in der absteigenden Gene¬
ration) erlangten Befestigung (Constanz). 14
A. v. Weckerlin glaubte sogar, dass der Grad
der Constanz der von Eltern auf Nachkommen
übertragenen Eigenschaft sich mit jeder Ge¬
neration verdoppelte. Also wenn z. B. ein
Widder seine (Woll-) Feinheit erster Classe
auf seinen Sohn überträgt, so wäre, wenn
man von allen sonstigen Einwirkungen ab-
sehen könnte, die Constanz dieses Feinheits¬
grades (der Wolle), d. h. die Sicherheit seiner
Vererbung beim Sohne doppelt so gross als
beim Vater. Früher war man ziemlich all¬
gemein der festen Meinung, dass nur allein
bei der Züchtung reiner Rassen von einer
Constanz gesprochen werden könne und dass
dieselbe eine höher potencirte Vererbungs¬
kraft und Gleichbleiben der Eigenschaften
der bestimmten Thiergruppe verbürge. Von
den Anhängern dieser Theorie wurde eine
Reihe von Sätzen aufgestellt, die — in der
Praxis befolgt — sicherlich oftmals grossen
Schaden angerichtet haben werden. Z. B. Reines
Blut bleibt immer gut, gemischtes Blut vor¬
züglich gut. Ferner: Nur eine constante
Rasse vererbt sich sicher; jede Züchtung mit
Thieren, welche nicht viele Generationen ho¬
mogener Vorfahren hinter sich haben, ist un¬
sicher, gefährlich. Jedes Thier reiner Rasse
vererbt sicher, und nur Reinheit des Blutes
ist vom Züchter zu beachten. Es wird heute
kaum einen praktischen Züchter geben, wel¬
cher diesen Sätzen Glauben und Beachtung
schenkt. Und als nun gar ausgesprochen
wurde: Thiere gemischten Blutes vererben
niemals die ihnen eigentümlichen Eigen¬
schaften in ihrem Stamme, sondern in höchst
unsicherer Weise bald die Eigenschaften des
Vaters, bald die der Mutter, bald die der
Gross- und Urgrossväter, entstand unter den
Männern der Praxis an vielen Orten Oesterreichs
und Deutschlands eine grosse Aufregung und
manche derselben sagten sich völlig los von der
vielgerühmten Constanz-Theorie. Caspari war
einer der ersten deutschen Schriftsteller,
welcher (in v. Lengerke’s Encyklopädie der
Landwirtschaft) sich offen gegen diese Lehre
aussprach; auch Jeppe, Rueff und Haubner
folgten nach, und bereits 1858 erklärte
H. v. Nathusius: die Sicherheit oder Un¬
sicherheit der Vererbung dessen, was die
Zuehtthiere selbst sind, ist nicht von der
Reinheit oder Gemischtheit ihrer Abstammung
abhängig, sondern die Zuehtthiere vererben
diejenigen Eigenschaften, welche sie selbst
besitzen, und sie thun dieses sicherer oder
unsicherer, je nachdem die Eigenschaften des¬
selben durch den Organismus des Individuums
ehoben und bei der Zeugung unterstützt wer-
en. Nun begann ein grosser Kampf zwischen
Weckerlin und Nathusius (1859); der erstere
glaubte (1865) einen sehr geschickten Griff
zu thun, als er in der vierten Auflage seiner
Thierproduction verschiedene Citate aus Dar-
win’s Werken in das Feld führte; allein jeder
vorurteilsfreie Leser des Darwinschen Buches
wird in dem Capitel über Anpassung etc. so¬
gleich herausfinden, dass die Darwinsche Lehre
der Theorie von der Constanz, wie sie Justinus,
Mentzel und v. Weckerlin aufgestellt haben,
durchaus widerspricht, denn Darwin con-
statirt neben der Vererbung ganz besonders
die Anpassung an die Lebensbedingungen als
Erklärungsmoment für das Zustandekommen
der Erscheinungen in der Thier- und Pflan¬
zenwelt. 1868 bekämpfte endlich H. Settegast
die Constanz-Theorie ungemein heftig: es
würde uns zu weit führen, wenn wir hier
alle Entgegnungen anführen wollten, welche
von dieser Seite geliefert worden sind; wir
beschränken uns darauf, hier zum Schluss
einen Abschnitt aus der neuesten Auflage des
vortrefflichen Werkes von Settegast über
Thierzucht wörtlich wiederzugeben: „Könnte
die sog. Constanz in unseren Züchtungsrassen
je zur Wahrheit werden, so wäre sie ein
Fluch für unser wirtschaftliches Leben, denn
sie würde den augenblicklichen Zustand der
Zucht verewigen und uns zum Stillstände in
der Thierzucht verdammen. Haben die Ver¬
treter der Constanz-Theorie vergessen, was
man in Deutschland und Frankreich mit dem
Merinoblute zu Stande zu bringen vermochte,
weil dasselbe in seiner Flexibilität den Gegen¬
satz zu der Eigenschaft bildet, die mit Con¬
stanz umschrieben werden sollte? Hat man
vergessen, dass aus denselben spanischen
Stämmen, die man nach jenen Ländern im-
portirte, hier die Negretti-, dort die Elcctoral-
Rasse, dort wieder das riesenhafte Ram¬
bouillet-Schaf entstand, dass die Manschamp-
Rasse daraus hervorging, die in Formen des
Körpers und Eigenschaften der Wolle kaum
noch an das Merino erinnert? Bemerkt man
nicht, dass die Rasse es gestattet, bald das
feinste, in scharfen Einkerbungen verlaufende
Haar und dann wieder eine überaus lange, wenn
es sein soll, fast schlichte Wolle zu erzeugen?
Nimmt man nicht wahr, dass der eine Typus
in den andern leicht umgebildet werden kann
und so häufig schon umgebildet worden ist,
dass ferner in verschiedenen Gegenden die
Vermischung der Merino-Rasse mit den Land¬
schafen conforme Stämme entstehen liess, die
wieder als selbstständige Rassen abgeschlossen
wurden? Verschliesst man solchen und ähn-
CONSTATIRÜNGSBOCK. — CONSTITUTION.
231
liehen Vorgängen in der Thierzucht unserer
Tage nicht das Auge, bestreitet man nicht,
dass in diesem Fluten der Zuchtrichtungen
ein unberechenbarer Vortheil liegt, den man
eingebüsst hätte, wenn das eingeführte spa¬
nische Merinoschaf „constant“ gewesen wäre,
dann wird man zuzugeben auch gezwungen
sein, dass eine Constanz, wie jene Lehre sie
im Sinne hat, ein beklagenswerther Hemm¬
schuh der Thierzucht wäre, den die Natur
unserem Wirken glücklicherweise nicht ange¬
legt hat.“ In ähnlichem Sinne äusserten sich
noch andere Autoritäten der Neuzeit gegen
die Constacns-Theorie; es hatte an Opponenten
niemals gefehlt, doch es drang ihre Stimme
nicht immer und überall durch, und es gibt
heute noch einige Verehrer derselben. So viel
uns bekannt, gehört die Mehrzahl der Züchter,
welche auf dem Gebiete der Hausthierzucht
wirklich Hervorragendes geleistet haben, zu
denjenigen Männern, welche der Constanz -
Theorie keinen grossen Werth beilegen und
erklären, dass dieselbe nur den Nutzen ge¬
habt hätte, jenes planlose Herüber- und Hin¬
überspringen von einer Rasse zu einer andern
und ein principienloses Mischen derselben,
wie solches zu Anfang dieses Jahrhunderts
bei uns beliebt war, etwas einzuschränken
oder zu verhüten. Die Erfahrung bei der
Thierzucht hat uns gelehrt, dass, wenn über¬
haupt von einer Constanz der Vererbung die
Rede sein kann, diese doch nur eine be¬
schränkte genannt werden musste. Die Ueber-
tragung der Formen und Eigenschaften von
den Grosseltern und Eltern auf die Nach¬
kommen findet ihr Gegengewicht in der Bild¬
samkeit der Rassen, ohne diese könnte man
von einer Vervollkommnung, Verbesserung
derselben überhaupt nicht sprechen. Freytag.
Conatafirungsbock, s. Constantirungs-
bock.
Constituens heisst man in der Receptir-
kunde dasjenige formgebende Mittel, durch
welches die in der verschriebenen Arznei ent¬
haltenen Stoffe mit einander verbunden und
in diejenige Form (Bissen, Latwerge, Pillen,
Salbe) gebracht werden, welche zur Anwen¬
dung kommen soll. Solche Constituentien sind
meist schleimige Mittel, Gummi, Honig, Roob,
Fett, Paraffinsalbe, Harze u. s. w. Vogel.
Constitution (von Constituere, zusam¬
menfügen). Mit Constitution wird jene Be¬
schaffenheit des Thieres benannt, welche sich
vorzüglich auf seine Körperlichkeit oder seine
organische Masse bezieht und von dieser
aus auf die Art und Weise, wie dieselbe in
Bezug auf Mischung und Form, Lagerung,
Zusammenreihung der Organe, Apparate und
Systeme, Menge und Beschaffenheit der Säfte
in morphologischer und physiologischer Hin¬
sicht als vollkommen oder unvollkommen sich
zeigt, und wovon die Gesundheit, der Grad
der Leichtigkeit Stärke und Ausdauer der
Verrichtungen abhängig ist. Daher liegt in
ihr die Vereinigung von mehreren Einzel¬
heiten zu einem Ganzen, wodurch die Anlage
im thierischen Körper zu gewissen Krank¬
heiten erhöht und andere in ihrem Verlaufe
und Ausgange modificirt werden. Diese Einzel¬
heiten befinden sich aber theils innerhalb
und theils ausserhalb des individuellen Or¬
ganismus, demgemäss unterscheidet man
die individuelle, die enzootische und die
epizootische Constitution. Die Eigentüm¬
lichkeit der individuellen Constitution hat
ihren Grund in der Erblichkeit, in Einflüssen,
welche während der Trächtigkeit durch die
Muttertiere auf den Fötus wirken, in den
verschiedenen Lebensaltern, Geschlechtern,
Temperamenten und in solchen äusseren Ein¬
flüssen, welche mit geringer Intensität, aber
eine längere Zeit hindurch auf den Organismus
einwirken. Sie gibt sich daher durch den Bau
des Körpers, durch das Verhältnis der ein¬
zelnen Theile zu einander in Hinsicht auf
ihre Structur und ihre Verrichtung, durch den
mehr oder weniger lebhaften Blick, die Nei¬
gung zu eigentümlichen Seelenstimmungen,
durch Leidenschaften, Affecte, Temperamente
und durch die grössere oder geringere Lebhaftig¬
keit und Kraft, mit welcher die verschiedenen
Functionen vor sich gehen, auch in dem Zu¬
stande der Gesundheit schon kund und muss
von der Vorherrschaft irgend eines Systems,
des lymphatischen, venösen, arteriellen oder
des Nervensystems abgeleitet werden. Daher
kann man die lymphatische (skrophulöse), ve¬
nöse (atrabiläre), arterielle (robuste), nervöse,
(spasmodische, psychische) Constitution als
Grund- und Elementar-Constitution unter¬
scheiden, unter denen die robuste als diejenige
angesehen wird, welche dem Ideal der Gesund¬
heit am nächsten steht. Die starke oder ro¬
buste Constitution gibt sich aber kund durch
überwiegende Masse, also grössere Dichtigkeit
des organischen Gefüges, oder dichten und
festen Bau der Faser und des Zellgewebes
(Strammheit) und gleichmässig höhere Reac-
tionskraft in der Zusammenziehung der fest¬
weichen Gebilde. Ihr entgegengesetzt ist die
schwache Constitution und zwar als eine zwei¬
fache: die zarte mit lockerem, zarterem
Gefüge der festeren Theile und grösserer
Zersetzbarkeit der organischen Substanz, die
sich durch rege Reizempfänglichkeit und
schnell ermattendes, ebenso schnell sich
wieder erholendes Leben kundgibt; sodann
die schlaffe Constitution mit lockerem Gefüge
der festen Theile, geringer mechanischen und
thierisch-elektrischen Spannung und daher
auch minder reger Reizbarkeit und Empfind¬
lichkeit. Die enzootische Constitution findet
ihre ursächlichen Momente in den örtlichen
Verhältnissen der Erde, in der grösseren oder
geringeren Feuchtigkeit oder Trockenheit, in
Wärme oder Kälte der einzelnen Zonen, in
der grösseren oder geringeren Höhenlage über
der Meeresfläche und in den mannigfachen
Bodenverhältnissen. Die epizootische Con¬
stitution hat ihren Ursprung in den eigen-
thümlichen Verhältnissen, welche auf die Erde
und den Thierkörper einwirken, in den ver¬
schiedenen Jahreszeiten, Winden, der täglichen
Rotation der Erde, dem Zusammenleben
mehrerer Thiere, überhaupt den epizootischer.
Zeitereignissen, welche auch auf eine grössere
m CONSTITUTION.
Anzahl von Thieren mitunter von Einfluss
sind. Die einzelne Krankheit ist nicht selten
das Resultat aller dieser verschiedenen Con¬
stitutionen und ausserdem vieler zufällig und
heftig auf den Thierkörper einwirkenden Um¬
stände, welche man Gelegenheitsursachen
nennt. Die neuere Physiologie befasst sich
weniger mehr mit dem Vorhandensein der
verschiedenen constitutionellen Verhältnisse der
Thiere, sondern begnügt sich mit der Erfor¬
schung des morphologischen Aufbaues, mit den
biologischen und physiologischen Vorgängen in
demselben und mit der chemischen Analyse der
organischen und anorganischen Bestandtheile
des Körpers sowohl, als der demselben zu¬
geführten Einnahmen an Nähr- und Er¬
haltungsmitteln, sowie jener Ausgaben, die
auf dem Ueberschusse und insbesondere dem
Stoffwechsel beruhen. Da der Körper mit
Gesundheit, Kraft und Ausdauer in seinen
Functionen nur auf chemischen, physikalischen,
mechanischen und biologischen Gesetzen be¬
ruht und aufgebaut ist, so bleiben die Ver-
muthungen über unbestimmbare Einflüsse und
Einwirkungen dem Physiologen ferne liegend
und gelten vorderhand noch als unerforsch¬
bar. Ableitner.
Constitution bedeutet in exterieuri-
stischer Beziehung die Qualität der
elementaren Organisation der Gewebe eines
Thieres, wie dieselbe als Ganzes rücksicht¬
lich des Habitus und der Leistungsfähig¬
keit des Thieres zu * beurtheilen ist. Dem¬
nach ist die Constitution in erster Linie
etwas dem Thiere bezüglich der Gewebeorga¬
nisation individuell Eigentümliches und kann
in zweiter Linie bei der Gleichartigkeit dieses
Eigentümlichen an grösseren Mengen von
Individuen derselben Gattung auch zum rasse¬
eigenen Kennzeichen werden. Dieses Rasse-
Kennzeichen kann sich vornehmlich in der
Qualität der Organisation bestimmter Gewebs-
theile, z. B. der Haut, Knochen, Muskeln und
Sehnen etc. zu erkennen geben und teils
durch blosses Besehen und Befühlen der¬
selben, teils und insbesondere aber durch
die Arbeitsleistung selbst mit Sicherheit be¬
urteilt werden. Es werden gewöhnlich und
im Allgemeinen nachstehende gegensätzliche
Arten der Constitution, u. zw. die gesunde
und die krankhafte, die harte und die weiche
(schlaffe), die starke und die schwache, end¬
lich die feine und die grobe Constitution
unterschieden, wobei auch einige derselben ent¬
weder gleichzeitigvorhandensein oder ineinan--
der übergehen können, wie z. B. gesunde, starke
und harte oder schwache, weiche und krank¬
hafte Constitution. Man spricht von einer ge¬
sunden — im weiteren Sinne wohl auch star¬
ken — Constitution, wenn auf Grundlage
länger dauernder Beobachtungen und Erpro¬
bungen die Thiere gegen die schädlichen,
äusseren, sog. krankmachenden Einflüsse eine
bedeutende Widerstandsfähigkeit zeigen und
sohin gesund bleiben, während andere Thiere
derselben Gattung unter den angedeuteten
gleichen schädlichen Einflüssen, ungünstigen
Verhältnissen und eventuellen Arbeitsleistun¬
gen in verschiedener Art erkranken, d. h.
eine krankhafte — und im weiteren Sinne eine
schwache, weiche — Constitution besitzen.
Hart nennen wir die Constitution eines
Thieres, besonders des Pferdes speciell dann,
wenn nicht nur die Widerstandsfähigkeit
gegen die verschiedenen äusseren schädlichen
Einflüsse, sondern auch die Leistungsfähig¬
keit desselben eine sehr bedeutende ist, so
dass dieselbe gleichsam über die im All¬
gemeinen auf die Abstammung, den Bau und
die Formen, sowie mitunter auch die Haltung
(Fütterungsverhältnisse u. dgl.) dieses Thieres
zu basirenden Leistungen hinausgeht, wäh¬
rend die gegensätzlichen Momente für die
weiche (schlaffe) Constitution Geltung haben.
Stark wird die Constitution eines Pferdes
genannt, wenn mit einer meist ansehnlichen
Grösse und Mächtigkeit des Thieres, besonders
im Knochengerüste und Muskelgewebe, auch
eine angemessene Widerstands- und sichere
Leistungsfähigkeit desselben verbunden ist;
wogegen unansehnliche Entwicklung, schmäch¬
tige Knochen und eine gleichbeschaffene Mus¬
kulatur, unverlässliche und mangelhafte Lei¬
stungen die schwache Constitution docuraen-
tiren. Ist die starke Constitution mit der
harten verbunden und haben dazu die Thiere
auch noch neben der Stärke eine gewisse Fein¬
heit der elementaren Gewebsstructur, so sind
das nach jeder Richtung, insbesondere bei
den Pferden, ungemein hoch zu schätzende
Vorzüge.
Fein wird die Constitution bezeichnet,
wenn der Habitus des Thieres im ganzen
Aufbau mehr gracil und zugleich zart in der
Textur ist, so dass derartige Pferde ein ver-
hältnissmässig leichtes Knochengerüste, eine
minder ausgeprägte Muskulatur und eine oft
in die Augen fallende Zartheit im Band- und
Sehnenapparate, dann in der Haut und in der
Behaarung (Kurz- und Langhaare) besitzen.
Häufig sind solche Thiere auffallend hoch und
dünnbeinig im Vergleiche zu ihrer Breite
und je unharmonischer der Bau ist, umso
minder sind feine Thiere zu taxiren; und weil
die feine Constitution so leicht in allzu feine
Extreme (Ueberverfeinerung) ausartet, ist sie
insbesondere mit Beziehung auf das schmäch¬
tige Knochengerüste, die allzu zarte Musku¬
latur und verminderte Leistungsfähigkeit mit
Recht wenig geschätzt. Ist der Bau des Thieres
dagegen mehr proportionirt, so ist dasselbe
öfters trotz der Feinheit der Gewebe in seinen
Leistungen recht zusagend.
Die grobe Constitution ist der directeste
Gegensatz, ausgeprägt in einem meist plum¬
pen, in seinen Contouren verschwommenen
Habitus mit schwammig-massigen Knochen,
rohfaseriger Muskulatur, dicker Haut und
starker, struppiger Behaarung. Diese Thiere
sind zumeist auch wenig leistungsfähig, er¬
müden leicht und schwitzen bald. Diese ver¬
schiedenen Arten der Constitution kommen
nicht nur mehrfach, aber selbstverständlich
in verwandtschaftlicher Eigenheit prägnant
an einem Individuum (z. B. gesund, hart und
stark oder krank, schwach und weich) vor,
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CONSTITUTIONELLE KRANKHEITEN.
233
sondern finden sich auch in den verschieden¬
sten Graden und Uebergangsformen, ohne
dass sich dieselben genau ausprägen können
oder definiren lassen. Im Allgemeinen ist
die harte und feine, wohl auch starke Con¬
stitution den im Blute hochstehenden Pfer¬
den, somit dem Voll- und Halbblute eigen;
die Constitution in den verschiedenen Kreu-
zungsproducten ist eine nach dem Blutgehalte
wechselnde und die starke, grobe und weiche
Constitution kommt mehr bei den sog. kalt¬
blütigen Schlägen vor, jedoch ist bei allen
stets auch auf die Haltung und den metho¬
dischen Gebrauch ,der Thiere Rücksicht zu
nehmen. Exterieuristisch pflegt man generell
je nach dem proportionalen Habitus über¬
haupt und je nach der speciellen Beschaffen¬
heit des Knochengerüstes, der Härte und deut¬
lichen Zeichnung des Band- und Sehnenappa¬
rates besonders an den unteren Theilen der
Extremitäten und je nach der Stärke, Derbe
und Strammheit der Muskulatur auf die Qualität
der Constitution und die Grösse der Leistungs¬
fähigkeit der Thiere zu schliessen. Ltchner.
In zootechnischer Beziehung nennt
man Constitution dar Hausthiere im
Allgemeinen die Gesammtwirkung aller Organe
eines Thieres. Man spricht von guter und
schlechter Constitution desselben und ver¬
langt von jedem Individuum, welches zum
Dienst herangezogen werden soll, dass es
eine kräftige Constitution besitzt. Von dieser
ist die Leistungsfähigkeit desselben grössten-
theils abhängig. Ein Pferd kann nur dann
schnell laufen, im Zuge Kraft entwickeln etc.,
wenn es eine gute Constitution besitzt, ebenso
kann eine Kuh als Milchgeberin, ein Ochs
im Maststalle nur dann befriedigen, wenn ihre
Körperconstitution nichts zu wünschen lässt.
In diesem Falle werden sich dergleichen Thiere
auch widerstandsfähig gegen ungünstige Ein¬
flüsse des Klimas, Wetters etc. zeigen und sel¬
tener von Krankheiten befallen werden, als
solche Individuen, welche eine schwächliche
Constitution besitzen. Bei guter, kräftiger Con¬
stitution werden sowohl die activen, wie die
passiven Bewegungsorgane, die Organe derBlut-
bildung, der Athmung, Verdauung etc., über¬
haupt das ganze Nervensystem sich in normaler
Verfassung befinden. Wir verlangen im All¬
gemeinen von unseren Hausthiercn gut ent¬
wickelte Muskeln, hübsch abgerundete Formen,
eine breite, tiefe Brust, einen kräftigen Rücken,
breites, nicht abfallendes Kreuz von guter
Länge, regelmässige Stellung der unteren
Gliedmassen, reine Knochen, derbe Sehnen
und gesunde, feste Hufe von gefälliger Form.
Die Haut darf weder zu dünn, schwach, noch
zu dick sein und muss eine schön glänzende
Haardecke besitzen. Das Auge soll Munterkeit
und Gutmüthigkeit andeuten. Die Constitution
eines Thieres wird in der Regel gut zu nennen
sein, wenn es sich beim Fressen nicht zu
wählerisch, sondern rasch und munter zeigt;
die schlechten Fresser sind gewöhnlich kränk¬
liche oder alte Thiere; bei den letzteren ist
die Constitution häufig ebenso mangelhaft,
wie bei den Schwächlingen und nur aus¬
nahmsweise trifft man alte Exemplare, welche
sich bei der Arbeit ausdauernd zeigen. Fg.
Constitutionelle Krankheiten. Jeder Or¬
ganismus besitzt Eigenthümlichkeiten bezüg¬
lich seines anatomischen Aufbaues resp. der
ihn zusammensetzenden Elemente, der Zellen
und ihres Protoplasma, der eigentlichen Lebens¬
substanz. Jedes Individuum prägt besondere For¬
men, eine eigenartige Leibesbeschaffenheit aus,
aus der speeifische Lebensäusserungen hervor¬
gehen und die wir als Constitution bezeichnen
(v. constituere, zusammensetzen). Da Krank¬
sein nur in abnormen Lebensäusserungen be¬
steht, so wird es begreiflich, dass eine speci-
fische Organisation auch eigenartige Krank¬
heiten, die sog. constitutionellen Krankheiten
bedingt; sie beruhen auf Mängeln und Schwä¬
chen der constituirenden Elemente, sie be¬
fallen in den meisten Fällen den ganzen Or¬
ganismus oder ziehen ihn doch bald in Mit¬
leidenschaft. Aber auch einzelne Organe wer¬
den von constitutionellen Krankheiten befallen,
denn wir sehen manche Thiere ungemein
häufig an Lungenentzündung, andere an Hals¬
entzündung, Katarrhen, Leberleiden, Kolik,
Scropheln, Krämpfe, Lähmung etc. erkranken,
weil die betroffenen Organe vermöge eines
Defects der Gewebe einen locus resistentiae
minoris bilden, der für Reize sehr empfänglich
ist. Ein solcher Defect macht sich nicht nur
in bestimmten, einzelnen Organen, sondern
auch in ganzen organischen Systemen bemerk -
lich, z. B. im Muskelsystem, im Gefäss-, Drü¬
sen-, Nervensystem, im Verdauungsapparat, im
Genitalapparat, im Haut- oder Schleimhaut¬
system, im Blute etc. Die Anlage zu den con¬
stitutionellen Krankheiten kann der Natur der
Sache nach nur eine ererbte, von Hause aus
in der specifischen Constitution begründete
oder im Laufe langer Zeitperioden durch
Klima, Lebensweise, Nahrung, Domestication
etc. allmälig erworbene sein; die nächste Ur¬
sache müssen wir in dem anatomischen Cha¬
rakter der Zellen suchen. Am entschiedensten
ausgeprägt finden wir die constitutionellen
Krankheiten bei den verschiedenen Gattungen,
sie lassen häufig eine hervorragende, wenn
auch nicht immer ausschliessliche Anlage zu
bestimmten Krankheiten, ganz besonders noch
zu specifischen Ansteckungsstoffen und Giften
erkennen; aus letzterem Grunde recrutiren sich
am häufigsten die constitutionellen Krankheiten
aus den infectiösen und treten seuchenartig
auf. Wir finden primär den Rotz bei Ein¬
hufern, die Lungenseuche und Rinderpest bei
Rindern, die Wuth bei Carnivoren, die An¬
lage zu Milzbrand vorzüglich bei Rindern, zur
Aphthenseuche bei den Zweihufern. Schafe dis-
poniren vermöge ihrer zarten, lymphatischen
Constitution zu Hautkrankheiten und Hy-
dropsie, Hunde und Katzen durch grosse Reiz¬
barkeit des Nervensystems zu Krämpfen und
Paralysen, Pferde durch hohe Entwicklung der
Irritabilität des Darmcanals und des Lympli-
gefässsystems zu Kolik und Lymphangeitis,
Rinder durch höhere Ausbildung der Mägen
zu Indigestionen, durch lockeres Gefüge des
Knochengewebes zuKnochenkrankheiten (Ostei-
*34
CONSTRICTOR. — CONTAG1UM.
tis degenerativa oder Knochenbrüchigkeit und
Actinomykose) frisch melke Kühe zu Puerperal¬
fieber. Das Protoplasma der Zellen vermag sich
äusseren schädlichen Einflüssen gegenüber in
der Form und Integrität seiner Bestandtheile
zu behaupten und Substanzverluste durch As¬
similation fremdartiger, von aussen ihm zuge¬
führter Substanzen auszugleichen; wenn es
der einzelnen Zelle unmöglich sein würde,
auf die Dauer den Kampf um das Dasein zu
bestehen, so vermag dies doch die Verbindung
der Zellen zu einer organischen Einheit. Ar.
Constrictor (von constringere), der Zu¬
sammenzieher oder Schnürer als Beiname für
Muskeln gebräuchlich, die das Lumen eines
Hohlraumes zu verengen vermögen, z. B.
Mm. constrictores pharyngis, die Schlund¬
kopfschnürer. Sussdorf
Consumtio (von consuroere, aufzehren),
Aufzehrung, Verbrauch, z. B. der Kräfte. Sf
Contactwirkungen der Arzneimittel sind
jene, wobei der wirksame Stoff nur dann
seinen Einfluss auf die Gewebsbestandtheile
geltend zu machen vermag, wenn er unmittel¬
bar mit diesen in Berührung kommt, zum
Unterschied Yon der entfernten Wirkung
(Actio remota), wobei das Heilmittel erst
nach vorheriger Aufnahme in die Blutcircu-
lation seine Wirkung in entfernten Organen
und Systemen, wohin es mit dem Blutstrome
gelangt, entfalten kann. Die meisten Arznei¬
mitteln besitzen gleichzeitig locale und ent¬
fernte Wirkung, nur überwiegt constant oder
unter bestimmten Umständen die eine die
andere. Vogel .
Contagienpilze nennt man die in dem
menschlichen, thierischen und pflanzlichen
Körper vorkommenden, schädlich wirkenden
Pilze. Ihre Vegetationen im thierischen und
menschlichen Körper nennt man,wenn Schimmel¬
pilze vorliegen, gemeinhin ,,Mykosen“, wenn
es sich um Spaltpilze handelt, „bacteritische
Mykosen“. Diese Pilze und die durch sie ver¬
ursachten Krankheiten lassen sich von erkrank¬
ten auf gesunde Individuen übertragen. Die
Contagienpilze können facultative oder obli¬
gatorische Parasiten sein. Wahrscheinlich ge¬
hören die hervorragendsten hieher gehörigen
Spaltpilze der letzteren Kategorie an. So die
Pilze, welche Diphtheritis, Cholera, Tuberculosis,
Pocken, Rückfalltyphus, Milzbrand, Septicämie
hervorrufen. Im Gegensätze hievon nehmen die¬
jenigen Forscher, welche, wie Nägeli u. A. dio
genetische Zusammengehörigkeit aller Spalt¬
pilze vertheidigen, an, dass (auch heute noch)
alle schädlichen Pilze aus unschädlichen ent¬
stehen, und nur durch Anpassung dem mensch¬
lichen und thierischen (sowie pflanzlichen)
Organismus gefährlich werden können. Im
Uebrigen haben H. Karsten, Tiegel, Burdon,
Sanderson und Nenki in scheinbar gesunden
und normalen pflanzlichen und thierischen
Geweben sehr häufig schon lebende Spaltpilze
aufgefunden. Harz.
Contagion, Ansteckung. ZahlreicheAutoren
nehmen für viele Infectionskrankheiten keine
selbständige oder spontane Entwicklung
mehr an und sind der Meinung, dass diese
Krankheiten sich gegenwärtig ausschliesslich
durch Contagion oder Ansteckung von Thier
auf Thier und von Ort zu Ort verbreiten.
Zu solchen per Contagion sich erhaltenden
Krankheiten werden gerechnet: Die Syphilis,
die Rinderpest, die Beschälseuche, die Schaf¬
pocken, die Lungenseuche, Maul- und Klauen¬
seuche, Scharlach, Masern; auch Rotz, Milz¬
brand u. a. sollen ausschliesslichen Conta-
gionen ihre Existenz und Verbreitung ver¬
danken. Andere Autoren dagegen nehmen
eine spontane Selbstentwicklung auch jetzt
noch für die meisten Infectionskrankheiten an.
Der Streit hierüber bleibt unentschieden. Sr.
Contagium (s. Ansteckungsstoff) ist
das krankmachende Agens, vermittelst dessen
die ansteckenden Krankheiten von bereits
erkrankten auf gesunde Individuen übertragen
werden. Die Contagien entwickeln und ver¬
mehren sich innerhalb des lebenden kranken
Organismus und werden entweder vermittelst
der Ausdünstungen durch die Luft (flüchtige
Contagien) oder durch flüssige oder feste
Körperbestandtheile, Secrete und Excrete,
bei directer Berührung (fixe Contagien) auf
Gesunde übertragen,- bei denen sie die gleiche
Krankheit erzeugen. Ueber das Wesen der
Contagien sind die verschiedenartigsten An¬
sichten nacheinander herrschend gewesen
und der Streit darüber dauert noch immer
fort. Nach dem neuesten Standpunkt der
Lehre über die Contagien ist es in hohem
Grade wahrscheinlich, dass dieselben entweder
identisch mit niedern pflanzlichen Parasiten,
den Spaltpilzen oder Schizomyceten oder aber
an dieselben gebunden sind und von ihnen
producirt werden. Die Erzeugung ansteckender
Krankheiten durch rein cultivirte specifische
Spaltpilze ist in neuester Zeit ohne Zweifel
festgestellt, so z. B. beim Milzbrand, Rotz,
Erysipel, Rothlauf der Schweine, bei der
Hühnercholera, Tuberculose, Gonorrhoe (auch
Rinderpest, Pocken, Lungenseuche mit ab¬
geschwächter Intensität der erzeugten Krank¬
heit) etc. Der Unterschied zwischen mias¬
matischen Krankheiten, deren Ursachen sich
ausserhalb des lebenden Organismus ent¬
wickeln und contagiösen Krankheiten, deren
Ursachen im lebenden Thierkörper entstehen,
hat in letzter Zeit viel an Schärfe verloren,
da es sich herausgestellt hat, dass die meisten
miasmatischen Krankheiten zugleich contagiös,
d. h. direct oder indirect von Thier auf Thier
übertragbar sind, so z. B. die Katarrhe, die
Influenza, Staupe, Malariafieber, Rothlauf
der Schweine etc. So ist denn die Zahl der
contagiösen Krankheiten eine recht beträcht¬
liche. Ausser den durch grössere Parasiten
(Räudemilben und Pilzsporen) verursachten
contagiösen Hautkrankheiten (Räude, Flech¬
ten, Herpes und Favus) und den indirect
übertragbaren Wurmseuchen (Trichinosis,
Lungenwurm, Bandwurm, Blasenwnrm und
Leberegelseuchen) werden durch Spaltpilze
vermittelt und sind übertragbar: Der Milz¬
brand, Rauschbrand, die Septicämie, das
septische Puerperalfieber, die Tuberculose,
der Rotz, die Lepra, Typhus, Malaria, Roth-
CONTAMINATIO. — CONTRA1NDICATIO.
235
lauf der Schweine, Cholera, Dysenterie, Pest
(durch Bacillen); Rinderpest, Lungenseuche,
Staupe, Influenza, Drüse, Hühnercholera,
Pocken, Maul- und Klauenseuche, die Katarrhe,
die Diphtherie, der Croup und die croupöse
Pneumonie und Pleuritis, Erysipel, Py&mie,
enzootische Leberentzündung der Schweine,
Gelbfieber (wahrscheinlich auch Scharlach,
Masern, Syphilis, Beschälkrankheit und Hunds-
wuth) (durch Micrococcen). Obgleich bei vielen
Infectionskrankheiten specifische Bacillen
auftreten, so ist doch der Micrococcus die
Vorstufe und der Urtypus aller pathogenen
Spaltpilze der Contagien. Semmer,
Contaminatio (voncontaminare, besudeln),
die Befleckung, Besudelung und die damit
eventuell einhergehende Ansteckung. Sf
Contentiva sind solche Heilmittel, mit¬
telst welcher bestimmte Körpertheile fixirt,
d. h. in der gewünschten Lage oder Stellung
angespannt und darin straff’ erhalten werden
können, wie z. B. die Bruchenden von Kno¬
chen, luxirte Gelenke u. s. w. Derartige Con-
tentivmittel sind Gummi, Amylum (Pappe),
Collodiuin, gebrannter Gyps, Tripolith, kie¬
selsaures Natrium und Kalium (Wasser¬
glas), Guttapercha, Kautschuk, plastischer
Filz u. s. w. Vogel.
Contiguität (von contingere, berühren, an¬
grenzen), die Aneinanderlagerung von Theilen
behufs gegenseitiger Verbindung,z. B. zwischen
Knochen, daher auch die Verbindung durch
eine falsche Naht. Sussdorf
Contlnultät (von continere), der ununter¬
brochene Zusammenhang benachbarter Theile
im Gegensätze zur Wunde, aber auch zeitlich
für den ununterbrochenen Fortgang einer
Handlung, eines Processes etc. Sussdorf,
Contorsio (von contorquere, zusammen¬
drehen), die Verdrehung, z. B. der Wirbel¬
säule um ihre Längsaxe bei Missgeburten,
des Uterus, Darmes etc. in der gleichen
Richtung als pathologische Vorlagerung. In
der Chirurgie auch die Verrenkung, also =
Luxation, s. d. und Darmverdrehung. Sf
Contraarbitrium, Gegengutachten. Ein un¬
vollkommenes, angez weifeltes oder für u n ri chtig
gehaltenes bereits vorhandenes Gutachten
bildet die Grundlage des Gegengutachtens, zu
dessen Ausstellung ein anderer Sachverstän¬
diger von einer der streitenden Parteien
oder von den Richtern aufgefordert wird. Ein
Gutachten kann auf zweierlei W'eise an-
gefochten werden, und zwar: 1. Es werden
aie im Untersuchungsprotocoll angeführten
Thatsachen selbst angezweifelt, oder für un¬
genügend befunden; t. die aus dem Unter¬
suchungsprotocoll gezogene Schlussfolgerung
wird als unrichtig bezeichnet. Im ersteren
Falle muss eine nochmalige genaue Unter¬
suchung des streitigen Objects vorgenommen
werden mit genauer Angabe aller abweichenden
oder weggelassenen Thatsachen, die eine Aen-
derung des Urtheils bedingen. Im zweiten
Falle, bei einer unrichtigen Beurtheilung der
im ersten Gutachten angeführten Thatsachen,
ist eine wiederholte Untersuchung des Objects
nicht erforderlich, sondern das vorliegende
Untersuchungsprotocoll bildet die alleinige
Grundlage des neuen abweichenden Gutachtens,
s. Gutachten, Arbitrium. Sommer,
Coiltractilis (von contrahere, verkürzen,
zusammenziehen), verkürzungsfähig, zusam¬
menziehungsfähig, z. B. Für das zum For¬
menwechsel befähigte Protoplasma gewisser
Zellen. Sussdorf,
Contraotio (von contrahere), die Zusam¬
menziehung, Verkürzung, besonders als der
Vorgang, aber auch als Resultat einer activen
Zusammenziehungsfähigkeit oder Contracti-
lität. Sussdorf
Contractur (von contrahere), eine an¬
dauernde, durch Verkürzung willkürlicher
Muskel oder durch Schrumpfung und Ver¬
kürzung von Sehnen und Fascien bedingte
Annäherung der Anheftungspunkte dieser
Theile. Die Ursache kann liegen: a) In
einer Erkrankung der betreffenden Mus¬
keln und sehnigen Gebilde; b) in einer Er¬
krankung des Nervensystems; c) im fehler¬
haften Bau des Skelettes. Die Contracturen
können angeboren oder erworben sein. Zu den
letzteren können wir die Vorbügigkeit, den
Stelzfuss, das Schieftragen des Schweifes, die
Verkrümmung der Halswirbelsäule etc. rech¬
nen. Bei der längere Zeit dauernden abnormen
Stellung treten dann Veränderungen in .den
Gelenken ein, insbesonders einseitiger Druck¬
schwund. Die Prognose ist in der Regel nicht
sehr günstig. Bei angeborenen Contracturen
leisten entsprechende, von Fall zu Fall con-
struirte Bandagen, mit Zuhilfenahme von
Schienen und eventuell von elastischen Ein¬
sätzen, manchmal ausserordentlich viel. Bei den
erworbenen, durch ein Muskel- oder Sehnen¬
leiden hervorgerufenen Contracturen versucht
man anfangs die Wärme (Bäder, feuchtwarme
Umschläge, Bandagirungen, die Massage etc.):
meist liegt jedoch nur in der Vornahme einer
Operation (Tenotomie, Myotomie) die Möglich¬
keit einer Heilung. Bei Contractur in folge
Erkrankung des Nervensystems könnte die
Elektricität versucht werden. Contracturen, durch
fehlerhaften Bau des Skelettes bedingt, sind
bei Thieren unheilbar. Bayer,
Contraextensio (von contra, gegen, und
extendere, ausdehnen, anspannen), die Gegen¬
ausdehnung bei Einrichtung von Knochen¬
brüchen oder Luxationen. Sussdorf
Contrafissura (von contra, gegen, und
fissura, Spalt), wie Contrafractura (von contra
und fractura, Bruch), bezeichnet eine Fissur
oder Fractur traumatischen Ursprunges,
welche sich an anderer als der Einwirkungs¬
stelle des Trauma findet (s. auch Fissur, resp.
Fractur). Sussdorf,
Contraindicatfo (von contra, gegen, und
indicare, anzeigen), die Gegenanzeige als ein
durch die Art der Krankheit oder der thera¬
peutischen Massnahmen bedingter Umstand,
der die Anwendung der einen oder anderen
Methode, dieser oder jener Medicationsweise
136 CONTRAPERTURA. — CONTÜSION.
verbietet, daher auch contraindicirt, als das,
was nicht angezeigt ist, und contraindicans,
als das, was die Gegenanzeige bedingt. Sf.
Die Contraindication gegen die An¬
wendung eines Arzneimittels ist in all den
Fällen vorhanden, wo das anzuwendende
Arzneimittel Schaden bringen und den Zu¬
stand des Patienten statt zu bessern nur noch
verschlimmern würde. So z. B. sind contra¬
indicirt Abführmittel bei grosser Schwäche
und bereits bestehenden Durchfallen, scharfe
und local reizend wirkende Mittel innerlich
bei bestehenden Magen- und Darmentzün¬
dungen, Adstringentia bei Verstopfungen,
Narcotica bei grosser Apathie und Erschlaf¬
fung und Erregungsmittel bei starker Auf¬
regung und Gereiztheit des Nervensystems,
Quecksilberpräparate bei Rindern, Chloroform
und Strychnin bei Fleischfressern, Aderlässe
bei anämischen und hydrämischen Thieren,
Kälte gegen bereits in Eiterung übergegangene
Entzündungen u. dgl. m. Ssmmer.
Contrapertura (von contra, gegen und
apertura, Oeflnung), die Gegenöffnung (s. d.). Sf.
Contum&z-An8talten f Quarantänen (von
der früher üblichen vierzigtägigen Quaran¬
tänezeit) sind Schutzanstalten an der Grenze
zur Abwehr der Einschleppung von Seuchen aus
benachbarten Ländern und Ortschaften. Alles
aus Seuchenorten stammende Vieh muss sich
in diesen Anstalten einer Probezeit (Quaran¬
tänezeit) unterziehen und nur als vollkom¬
men gesund erprobtes Vieh wird aus den
Contumaz-Anstalten weiter expedirt. Gleich¬
zeitig mit den Contumaz-Anstalten ist eine
Sperre und Ueberwachung der ganzen Landes¬
grenze erforderlich, um Seuchen abzuhalten.
Als Contumaz-Anstalten bezeichnet man auch
mit Zäunen oder Gräben umgebene abgelegene
Orte, in welchen beim Ausbruch einer Seuche
die erkrankten und von den gesunden abge¬
trennten Thiere bis zu ihrem Tode, ihrer Ver¬
nichtung oder Wiedergenesung separirt und
untergebracht werden. Auch werden dort
mit ansteckenden Krankheiten (Pocken, Rin¬
derpest, Anthrax etc.) geimpfte Thiere bis zu
ihrer vollkommenen Genesung eingestellt. Sr.
Contu8io (von contundere), die Zertrüm¬
merung, chirurgisch gewöhnlich für Quet¬
schung (s. Contusion). Sussdorf.
Contusion (Quetschung). Wenn ein stum¬
pfer Gegenstand auf den thierischen Körper
mit einer gewissen Geschwindigkeit einwirkt,
die nicht hinreicht, um an der von ihm ge¬
troffenen Stelle den Widerstand der Haut zu
überwinden, aber doch die tieferen und weniger
widerstandsfähigen Theile einem solchen
Drucke unterwirft, dass in ihnen wahrnehm¬
bare Zusammenhangstrennungen zu Stande
kommen, so spricht man von einer Quetschung,
Contusion, zum Unterschiede von einer Quetsch¬
wunde. bei welcher die Haut gleichfalls eine
Zusammenhangstrennung erlitten hat. Die
Quetschungen kommen also dadurch zustande,
dass die Weichtheile zwischen zwei feste
Körper gepresst werden. Einer dieser festen
Körper ist fast stets das Knochengerüst des
thierischen Körpers, und zwar bildet es in der
Regel den Stützpunkt; so z. B. beim Auf¬
fallen eines schweren oder zum kräftigen
Schlage geführten stumpfen Gegenstandes
(Hieb mit einem Stocke, Hufschlag). In
leicher Weise wirkt auch ein längere Zeit
auernder Druck durch das Geschirr, den
Sattel, das Eisen etc. In anderen Fällen dagegen
sind wieder die äusseren Gegenstände der
Stützpunkt, wenn beispielsweise das Thier
gegen einen harten Gegenstand anrennt, oder
niederstürzt, oder längere ' Zeit liegt. Die
nächste Folge einer Quetschung ist eine Zer-
drückung der Weichtheile in den verschie¬
densten Graden; oft besteht nur eine ganz
geringfügige Blutunterlaufung, oft ist viel
Blut ausgetreten und hat sich in einer Höhle
angesammelt; dann wieder kann das Gewebe
in seiner Lebensfähigkeit so gestört sein, dass
es abstirbt und endlich können die Theile
schon ursprünglich zu Brei zermalmt sein
(wobei jedoch die zelligen Elemente fast
vollständig erhalten bleiben). Es kann weiters
ein und dieselbe Ursache ganz verschiedene
Wirkungen erzielen. So wird beispielsweise
ein Hufschlag eine andere Wirkung erzeugen,
wenn er die Hinterbacke, als wenn er das
Schienbein trifft, und hier wird die Folge
wieder verschieden sein, je nachdem das Pferd
den Fuss nur lose aufgestützt hält oder fest
auf demselben steht. Im ersten Falle braucht
nur eine Sugillation zu entstehen, im zweiten
vielleicht eine Beinhautentzündung und im
dritten kann ein Beinbruch resultiren; Alles
nur durch denselben und mit gleicher Kraft
einwirkenden äusseren Gegenstand. Ob durch
die einwirkende Gewalt gleichzeitig auch eine
Wunde zu Stande kommt oder nicht, hängt
sehr viel von der Elasticität der Haut ab und
ob dieselbe über einer weichen nachgiebigen
Unterlage sich vorfindet oder unmittelbar auf
einem Knochen aufliegt. Die Elasticität der
Haut ist oft eine kaum glaubliche; es können
durch bedeutende Traumen die Knochen einer
Extremität in kleinste Stücke, die Eingeweide
des Bauches zu Brei zermalmt sein, ohne
dass die Haut besondere Veränderungen auf¬
weist. Die Erscheinungen einer Quetschung
setzen sich zusammen aus jenen von Seite
der Nerven und Gefässe und dann aus dem
weiteren Verlaufe der Verletzung. Die nächste
Erscheinung an den Nerven ist der Schmerz.
Aus der Analogie beim Menschen nach zu
schliessen, ist der Schmerz mehr lebhaft, wenn
die getroffene Haut unmittelbar am Knochen
aufliegt, mehr dumpf dagegen, wenn der
Knochen tiefer liegt. In Folge Contusion
grosser Nervenstämme kann auch Lähmung
der von denselben versorgten Gebilde auf-
treten; ebenso ist es ja bekannt, dass durch
eine heftige Contusion des Abdomens der Tod
des Individuums reflectorisch durch Herab¬
setzung der Herzthätigkeit erfolgen kann;
nicht minder gefährlich ist die Erschütterung
des Gehirns oder des Rückenmarkes, selbst
wenn es durch die Contusion zu keiner Ge-
fässzerreissung und Blutung in diese Central¬
organe desNervensj'stems gekommen ist. Eines
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CONTUSION. *37
der wichtigsten Symptome der Quetschung
ist jedoch dieGefässzerreissung und die weitere
Folge derselben die subcutane Blutung. Diese
ist in der Regel nicht so bedeutend, als man
dem Kaliber des zerrissenen Gefässes nach
vermuthen würde; es kommt nämlich hierbei
in Betracht, dass die Gefässwundränder rauh,
uneben und fetzig sind, für das Ausströmen
des Blutes ein Hinderniss abgeben, so dass
der Blutdruck die Reibung schliesslich nicht
mehr überwinden kann, sich Faserstoff¬
ausscheidungen bilden, welche ihrerseits Ver¬
anlassung zur Thrombosenbildung abgeben;
ausserdem kommt auch noch die Compression
von Seite des umgebenden Gewebes dazu,
welche dem Gefässdrucke bald das Gleich¬
gewicht hält. Gefährlicher wird es selbst¬
verständlich, wenn die Blutung in eine Leibes¬
höhle hinein stattfindet, wobei einerseits die
Menge des ausgetretenen Blutes und anderer¬
seits die Dignität des durch das Blut zu¬
sammengedrückten Organs, z. B. Lunge, Ge¬
hirn, eine Rolle spielt. Das ausgetretene Blut
sammelt sich entweder in den Gewebsräumen
selbst und bildet eine hämorrhagische Infiltra¬
tion oder in sehr kleinen Höhlen Ecchymosen,
Sugillationen, oder wenn mehr Blut und dieses
rasch ausströmt, so drängt es das Gewebe aus¬
einander und es bildet sich eine grössere Höhle,
die mit extravasirtem Blute ausgefüllt ist — ein
Hämatom. Ist das Extravasat mehr nach der
Fläche ausgebreitet, so spricht man von einer
Suffusion. Je gefässreicher und je stärker
ein Theil gequetscht ist, je laxer das Gewebe
desselben ist, desto grösser wird das Extra¬
vasat. Die Merkmale einer Quetschung sind
äusserst verschieden; bei nicht pigmentirter
Haut und leichter Quetschung, z. B. am
weissen Ballen, sieht man eine Blaufärbung
der Haut, manchmal mit Abschürfungen, Ex-
coriationen verbunden. Tritt mehr Blut aus,
so kommt eine Anschwellung zu Stande, die
verschieden sein kann, je nach der Art und
Weise, in welcher das Blut sich angesammelt
hat. Sind die Gewebe mit Blut infiltrirt, so
haben wir eine derbe, gleichmässige Volums¬
zunahme, die anfangs nicht schmerzhaft und
wärmer zu sein braucht und in deren Umgebung
sich öfters ein leichtes Oedem bemerkbar
macht. Ist das Blut in einer Höhle angesam-
mclt, dann finden wir eine genau begrenzte
fluctuirende Geschwulst, über deren Natur,
wenn sie rasch und unmittelbar nach einem
Trauma sich entwickelte, keine Zweifel ob¬
walten können; es kann sich dann nur um
ein Hämatom handeln. Aber selbst wenn
schon leichte Entzündungserscheinungen zu¬
gegen sind, werden wir doch nicht leicht
zwischen der Diagnose Hämatom oder Ab-
scess schwanken, wenn wir namentlich die
Grösse der Geschwulst, ihr rasches Entstehen
und die im Vergleiche zur Grösse gering¬
fügigen Entzündungsmerkmale betrachten.
Verwechslungen wären noch möglich mit Cysten
und mit Ausdehnungen von Sehnenscheiden,
Gelenkskapseln und Schleimbeuteln. Hervor¬
zuheben ist, dass manchmal bei Palpation von
Blutextravasaten ein der Crepitation sehr ähn¬
liches Geräusch erzeugt wird, das in Verbin¬
dung mit der Functionsstörung leicht eine
Verwechslung mit einem Knochenbruche
möglich machen könnte. Nach Zerreissung
der Fascien kann sich der darunter gelegene
Muskel durch die entstandene Oeffnung hervor¬
drängen und so eine Muskelhernie bilden.
In Knochen kommt es durch Zerreissung der
Gefässe zur Bildung von Blutherden in der
Markhöhle und deren weiteren Folgen. Leicht-
gradige und wiederholte Quetschung von Sy¬
novialsäcken führt in Folge Reizung oder
Entzündung derselben zu einer Vermehrung
des Inhalts in ihnen, welcher dann meist etwas
blutig gefärbt erscheint, während starke
Quetschungen zu bedeutender Blutansamralung
in denselben, in der Regel zu nachträglicher
Eiterung führen. Die Prognose wird sich
selbstverständlich nach der Intensität der
Quetschung und nach der Wichtigkeit des
gequetschten Theiles richten; wir müssen aber
betonen, dass manche an und für sich gering¬
fügige Contusionen in Folge ihres Sitzes,
ihrer Folgezustände etc. das Leben des Thie-
res in Frage stellende Verletzungen abgeben
können.
Verlauf: Bei kleinen Extravasaten ge¬
rinnt das ausgetretene Blut alsbald; aas
Serum durchdringt das Bindegewebe und wird
wieder resorbirt, selbstverständlich um so
leichter, je weniger Gefässe durch die Con-
tusion gelitten haben. Die Blutkörperchen
und der Faserstoff zerfallen und werden auch
aufgesogen; der Blutfarbestoff vertheilt sich
im ungelösten Zustande im Gewebe und
macht dann verschiedene Farbenwechsel durch,
bis er schliesslich in ein Pigment umgewandelt
wird, das nicht mehr löslich ist, das Häma¬
toidin, welches sich theils körnig, theils kry-
stallinisch ausscheidet. Dieses ist in reinem
Zustande rubinroth und dem entsprechend sind
bei starker Anhäufung desselben die Gewebe
dunkel orangeroth, während bei spärlicher
Ansammlung nur eine gelbe Färbung sich
bemerkbar macht. Bei den starken Contu¬
sionen kommt sehr viel auf die Beschaffen¬
heit der Gefässe an. Von der Erhaltung
der Circulation hängt einzig und allein
die Lebensfähigkeit der gequetschten Theile
ab; denn Experimente haben gezeigt, dass
kleine, stark gequetschte Gewebsstücke gerade
so wie transplantirte, vollständig lebensfähig
erhalten werden können, so dass nicht die
Quetschung als solche das Absterben des Ge¬
webes bedingt, sondern nur die Aufhebung
der Blut- und plasmatischen Circulation. Die
Beschaffenheit der Gefässe ist weiters haupt¬
sächlich für die Resorption vom Belange. Je
mehr Gefässe vorhanden sind, welche durch
die Quetschung nicht gelitten haben, somit
functioniren können, desto leichter findet die
Aufsaugung statt. Ausserdem, dass viele Ge¬
fässe durch die Contusion functionsunfähig
werden, kommt noch in Betracht, dass sich
an den Wänden der Höhle ein Niederschlag,
eine Schichte von Faserstoff aus dem geronnenen
Blute ausscheidet, überdies durch Verdichtung
des Bindegewebes eine Art Sack um das
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238
CONTÜSION.
Blut herum sich bildet, so dass selbst die
noch gesunden Gewebe von den zu resor-
birenden Blute durch eine oft beträchtliche
Zwischenschichte getrennt sind. Oft bildet
sich auch in Folge einer consecutiven Ent¬
zündung, da das Hämatom auch als fremder
Körper wirkt, ein förmlicher Balg um das
extravasirte Blut; es kommt zur Bildung einer
Cysto, deren Inhalt je nach dem Alter ver¬
schieden ist, entweder hellroth, oft auch
fast ganz farblos, nur in Folge eines fettigen
Zerfalles der Blutelemente etwas getrübt.
Wird der flüssige Theil des Extravasates
aufgesogen, so lagert sich der Faserstoff in
concentrischen Schichten ab, es entsteht eine
feste, derbe Geschwulst, ein Tumor fibrinosus.
Wenn das Blut mehr in das Gewebe in-
filtrirt, also gleichmässig zwischen den Ge-
websbestandtheilen verbreitet ist, so kann es
auch hier als fremder Körper eine chronische
Entzündung erregen, es kommt zur Organisa¬
tion, das ursprüngliche Gewebe geht ganz
unter; wir haben dann auch eine Art Neu¬
bildung, eine bindegewebige, derbe, unter dem
Messer knirschende Geschwulst vor uns —
ein häufiger Ausgang der Bugbeulen. Nimmt
der Entzündungsprocess sowohl bei Infiltraten,
als auch bei Hämatomen einen acuteren Cha¬
rakter an, so kommt es zur Vereiterung —
zur Bildung eines Abscesses. Wir haben die¬
sen Ausgang zu gewärtigen, wenn die Ent¬
zündungserscheinungen, die sich in der Regel
die ersten Tage nach der Contusion einstellen,
nicht nur nicht abnehmen, sondern an Inten¬
sität zunehmen. Schliesslich, aber nur selten
kommt es zur Verjauchung, meist nur an
Theilen, die vollständig zermalmt oder so
gequetscht sind, dass sie lebensunfähig wur¬
den, wenn Fäulnisserreger hinzutreten können.
Man hat sich allerdings gewöhnt, jedesmal,
so oft bei Eröffnung einer Quctschbeule eine
braunrothe Flüssigkeit zum Vorscheine kommt,
von Verjauchung zu sprechen, das ist jedoch
unrichtig. Bei keiner anderen Krankheit viel¬
leicht wird in der Behandlung so viel gesün¬
digt, als gerade bei den Contusionen, d. h.
durch ein schablonenmässiges Vorgehen mehr
verdorben als gebessert. Ohne jedwede ge¬
nauere Würdigung und Berücksichtigung des
einzelnen Falles werden gewöhnlich kalte
Umschläge angeordnet, von der Idee geleitet,
dass durch dieselben die weitere Blutung
hintangehalten und einer etwa nachfolgenden
Entzündung vorgebeugt werden solle. Wenn
man wirklich auf diese Weise eine Blutung
stillen will, so muss man energiscli die Kälte
anwenden und auch dann nur wird man der
Blutung aus kleinen Gefässen Herr. Die Contu¬
sionen kommen meist in unsere Behandlung,
wenn die Blutung schon lange von selbst auf¬
gehört hat, einerseits in Folge der Reibung des
Blutes an den zerrissenen Gefässenden, an¬
dererseits in Folge der Compression von Seite
der umgebenden Weichtheile, wie schon früher
erwähnt wurde; dann kommen wir eben mit
unseren Umschlägen zum Zwecke der Ver¬
hinderung eines ferneren Blutaustrittes schon
zu spät, abgesehen davon, dass die Um¬
schläge, selbst solche mit Eiswasser, wie auch
meine Versuche bezüglich der Tiefenwirkung
der Kälte gezeigt haben (s. österr. Monats¬
schrift f. Thierheilkd. Nr. 1 u. 2 188b), absolut
nichts nützen würden. Ebensowenig hilft der
Zusatz von Arnicatinctur, dem vielgerühmten
Hausmittel, oder Bleiwasser etc. Viel zweck¬
mässiger wäre in dieser Hinsicht die Com¬
pression mittelst Binden, wo dieses möglich
ist, und Ruhe des betroffenen Theiles. Aber
auch gegen die sich eventuell einstellende
Entzündung dürfen wir vor den kalten Um¬
schlägen nicht viel erwarten; die Entzündung
ist die Folge der in den Geweben vorhan¬
denen fremden Körper, theils des ausgetre¬
tenen Blutes, theils der zerstörten, lebens¬
unfähig gewordenen Gewebselemente; diese
sind als Reize zu betrachten. Es ist einleuch¬
tend, dass man durch Entfernung dieser
Reize am zweckmässigsten einer Entzündung
wird Vorbeugen können, aber gerade durch
Anwendung energischer Kältemittel behindert
man die Aufsaugung, somit die Entfernung
dieser Fremdkörper, weil durch die Kälte
einerseits die Gefässe zur Contraction ge¬
bracht werden, andererseits aber der Stoff¬
wechsel herabgedrückt wird. Die starke Kälte
kann auch noch in einer anderen Hinsicht
schädlich wirken. In Fällen nämlich, in denen
das Gewebe stark gequetscht, dessen Lebens¬
fähigkeit auf ein Minimum herabgedrückt
und nur von einer reichlichen Ernährung ab¬
hängig ist, wird gerade dieser Factor durch
die Kälte ausser Thätigkeit gesetzt, da die
Gefässe sich contrahiren, somit eine vermin¬
derte Circulation stattfindet; es kann auf
diese Weise gerade durch die eingeleitete
Behandlung der Tod der gequetschten Partie
hervorgerufen werden. In einem solchen Falle
wäre somit statt der Kälte Wärme angezeigt.
Glücklicherweise verdienen aber die kalten
Umschläge, wie sie gewöhnlich angewendet
werden, nicht diese Bezeichnung; man legt
in der Regel einen nassen, kalten Lappen
auf und lässt ihn liegen, bis er warm wird,
es wirkt da ausser der Feuchtigkeit auch
noch die wechselnde Temperatur, durch welche
die Gefässe bald zur Constriction, bald zur
Dilatation gebracht werden, wodurch dieResorp-
tion wesentlich unterstützt wird. Nun besitzen
wir aber eine bessere Methode, durch welche die
Aufsaugung viel rascher stattfindet, welche
schon als altes und erprobtes Heilmittelbei Con¬
tusionen der Menschen, als Hausmittel bei allen
Völkern und zu allen Zeiten in Anwendung kam
— die Massage. Durch den hiebei angewandten
Druck und das Streichen wird das ausgetre¬
tene Blut in die Maschen des umliegenden,
unverletzten Gewebes vertheilt, dadurch die
resorbirende Fläche vergrössert und die Auf¬
saugung beschleunigt, weil das Blut mit vielen
intacten, also zur Resorption befähigten Ge¬
fässen in Berührung gebracht wird. Je mehr
es uns gelingt, das Extravasat zu vertheilen,
was insbesondere bei grossen Blutaustretungen
von Wichtigkeit ist, desto leichter werden
wir die Eiterung, sowie die Organisation des
ergossenen Blutes und die vielleicht meist
CON V ALESCENTIA.
nur als Product einer geringgradigen, chro¬
nischen Entzündung des Gewebes auftretende
Bindegewebsneubildung verhüten. Namentlich
um diese letzteren nach Contusionen, welche
längere Zeit mit Kälte behandelt wurden,
zurückbleibenden Geschwülste zu besei¬
tigen, müssen wir erst dann später oft die
energischesten und eingreifendsten Behand¬
lungsmethoden in Anwendung bringen. Wir
verzögern also durch eine unzweckmässige
Behandlung die Heilung.
Es ist klar, dass sich für die Massage
hauptsächlich die Infiltrate eignen werden,
aber auch kleine Hämatome, etwa von der
Grösse eines kleinen Apfels, werden wir auf
diese Weise zur Resorption bringen können;
dagegen wäre es vergebliches Bemühen, kopf¬
grosse Blutbeulen, wie solche am Unterschenkel
und der Hinterbacke am häufigsten auftreten,
wegmassiren zu wollen; für diese gibt es
nur ein am raschesten zum Ziele führendes
Mittel — das Messer. Punktiren nützt in der
Regel nichts, die Beule füllt sich alsbald
wieder mit Flüssigkeit, welche meiner Meinung
nach, falls die Punktion nicht sehr früh vor¬
genommen wurde, nur als Transsudat aufzu¬
fassen ist. In manchen Fällen legen sich die
Wandungen der Höhle nach der Incision
aneinander und es folgt eine Art Heilung
per prim&m, in anderen dagegen tritt Eite¬
rung ein.
Hatte eine Contusion und blutige Infil¬
tration von Muskeln stattgefunden, so scheute
man sich, die Thiere zu bewegen und doch
ist wieder hier eine mässige Bewegung — ich
betone ausdrücklich, mässige Bewegung — in
Verbindung mit energischen Frottirungen der
betreffenden Partie das beste resorbirende
Mittel; man mag immerhin bei den Frotti¬
rungen sich auch noch eines die Haut gelinde
reizenden Mittels, Kamphergeist etc. bedienen
für den Fall, als die blosse Bewegung und
das Frottiren allein dem Eigenthümer zu
wenigerscheinen sollte; ebenso können feucht¬
warme Umschläge, Bähungen mit warmem
Wasser oder einem Infusum die Cur unter¬
stützen. An Extremitäten können feuchtwarme
Umschläge in Verbindung mit Druck, auch
einer elastischen Binde und Bewegung mit
Vortheil in Anwendung gezogen werden.
Nehmen die Entzündungserscheinungen
zu, so dass keine Aussicht vorhanden ist,
die Eiterung hintanzuhalten, dann begünstige
man dieselben meiner Meinung nach am
besten durch feuchte Wärme, leite überhaupt
die unter Abscess(s. d.) geschilderte Behand¬
lungsweise ein. Neubildungen, Cysten und
BindegewebsgeschWülste werden auf operati¬
vem Wege entfernt. Erstere oft durch wie¬
derholte Punction und Injection von Jod-
tinctur, Zerstörung des Balges durch Aetz-
mittel oder des Glüheisens, oder endlich
durch Ausschälung der ganzen Cyste.
Bindegewebsneubildungen durch Eiter¬
bände zur Zertheilung bringen zu wollen, ist
ein vergebliches Bemühen. Einführen von
Aetzmitteln in die Geschwulst, um dadurch
Absterben derselben zu erzielen, ist wegen
— CONVULSIONEN. *39
der Unsicherheit des Erfolges, und weil die
Aetzwirkung sich auch auf gesunde und zu
schonende Gewebe fortpflanzen kann, nicht
sehr zu empfehlen Referent zieht unbedingt
das Messer allen anderen Methoden vor,
weil dadurch in radicalster und doch scho-
nendster Weise in der allerkürzesten Zeit
Heilung und Gebrauchsfähigkeit erzielt wer¬
den kann, denn Dank der antiseptischen
Wundbehandlung haben wir nach Exstirpation
kopfgrosser Bugbeulen, apfelgrosser Cysten
und Stollbeulen in der Mehrzahl der Fälle
Heilung auf dem ersten Wege erreicht. Bayer .
Convaleacentia (von convalescere, völlig
erstarken, genesen), die Genesung. Sussdorf.
Convallaria majalia, Maiblume, Maililie,
Maiglöckchen, die bekannte wohlriechendeFrüh-
jahrspflanze unserer Waldungen (Scoilacee L.
VI. 1.) mit wei8sem glockigem Perigon. Die sonst
so bescheidene Blume enthält zwei heftige gly-
kosidische Gifte, von denen das eine ein ge¬
fährliches Purgans ist und Convallamarin
heisst, das andere aber — Convallarin —
ein ähnliches Herzgift ist, wie die Digitalis
und auch als solches in neuester Zeit vielfach
angewendet wurde; nachdem es jedoch nicht
jene zuverlässigen Eigenschaften besitzt, wie
das Fingerhutkraut, ist es auch diesem weit
unterzuordnen. In Russland ist das Maiblüm¬
chen ein diuretisches Volksmittel. Vogel.
Convexus (von convehri), rings sich nei¬
gend als gewölbt für ellipsoidische oder ku¬
gelige Oberflächen. Sussdorf.
Convolutio (von convolvere), die Ver¬
wickelung, Verschlingung, z. B. der Därme. Sf.
Convolutua (von convolvere), verwickelt,
verschlungen, daher Convolutum, das Ver¬
wickelte, das Knäuel. Sussdorf.
Convolvulin, ein Glucosid, bildet den wirk¬
samen Bestandteil der Jalapenwurzel, d. i.
der Wurzel von Oonvolvulus Purga Wend.
Es bildet eine farblose, bei gewöhnlicher Tem¬
peratur weiche, bei 100® durch Wasserverlust
spröde, bei 150° zur klaren Flüssigkeit schmel¬
zende Masse von schwach saurer Reaction.
Das Convolvulin löst sich sehr wenig in
Wasser, leicht in Essigsäure, nicht in Aether.
Es wirkt schon in sehr kleinen Dosen, 0 * 1 bis
0*2, purgirend. Loebisch
Convolvulus = convolutio.
Convul8ionen, Convulsiones, Zuckungen
(v. convellere, erschüttern), sind Muskelkrämpfe.
Irgend ein Reiz der motorischen und sensitiven
Nerven oder der Nervencentren verursacht in
den willkürlichen Muskeln direct oder reflec-
torisch eine Contraction der Muskelfasern, die
während kurzer Zeitabschnitte mit Erschlaf¬
fung dieser Fasern ab wechselt. Der Wille hat
auf die Zuckungen keinen Einfluss, das Gehirn
bleibt bei ihnen unberührt. Das Irritament
kann in ungewöhnlicher Ein Wirkung des Lichtes,
der Wärme, der Elektricität, in Pflanzenstoffen
und Metallen (Narcotica, Nux vomica, Kampher.
Bleipräparate) nach ihrem Uebergang in’s Blut,
in unreiner, mit Kohlensäure überladener Luft,
in heftigen Gemüthserregungen, Druck auf die
Muskeln, Säugen der Mutterthiere, Ueber-
ladungen des Magens, Eingeweide Würmern,
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240 COORDINATION. — COPAL.
anämischen Zuständen des Gehirns u. dgl. m.
bestehen. Katarrhe und typhöse, infectiöse
Krankheiten compliciren sich gern mit Con-
vulsionen, bei jenen wirken das in das Schleim¬
hautgewebe gesetzte Transsudat und Exsudat, bei
diesen die im Blute circulirenden Infectionsstoffe
(Pilze, Micrococcen) als Nervenreize. Die Ner¬
ven erleiden hiebli Störungen in der Lagerung
ihrer constituirendenElemente, wenn schon sich
nicht immer anatomische Läsionen nachweisen
lassen; als solche sind gefunden worden:
Hyperämie der Nervenscheiden und der Nerven¬
fasern, Besetzung derselben mit hämorrhagi¬
schen Punkten, Erguss von Serum oder Blut
um die Nervenscheide herum, und Hyperämie
der Hirn- oder Rückenmarkshäute.
Diagnose. Die Convulsionen sind an den
schnell sich folgenden Zuckungen einzelner
Muskelgruppen leicht zu erkennen, sie finden
am häufigsten an den Muskeln der Lippen,
Backen, des Halses, der Schultern, des Rückens
und des Oberschenkels statt, wobei die Pupille
erweitert, Puls und Respiration alterirt und
die Hauttemperatur gesunken sein kann; De-
jectionen und Secrctionen sind meistens wäh¬
rend der Anfälle retardirt, nach ihnen zeigen
sich die Thiere abgespannt. Häufige Recidive
können Hemmung der Blutcirculation, Ent¬
zündung und ihre Folgen veranlassen, sie
führen auch gern zu allgemeinen Krämpfen
und lassen auf tiefere bleibende Alterationen
der Gewebe und Nerven zurückschliessen. An¬
dernfalls pflegen die Convulsionen nach eini¬
gen schwächer werdenden Paroxysmen wieder
zu verschwinden.
Behandlung. Sie entnimmt ihre Heil-
indicationen vorzüglich den ursächlichen Ver¬
hältnissen und den etwaigen Complicationen,
auf deren Beseitigung Bedacht genommen
werden muss. Alle Sinnesreize sind fern zu
halten oder mindestens abzustumpfen ; letzteres
erreicht man mit der Anwendung der Narcotica
und Antispasmodica, unter denen Opiate,
Morphin, Atropin, Coniin, Hyoscyamus, Blau¬
säure, für kleine Thiere die Aqua laurocerasi,
die Aetherarten, ätherisch-öligen Pflanzen,
Kampher, Kalium bromatum, Zincum oxydatum
album, Argentum nitricum, bei entzündlicher
Spannung einzelner Theile Kälte oder feuchte
Wärme (Cataplasmen, für kleine Thiere w'arme
Bäder) die vorzüglichsten Heilmittel sind. Bei
heruntergekommenen Thieren hebt man die
Kräfte durch Restaurantia und Nutrientia. Ar.
Coordination (von con- und ordinäre, ord¬
nen), die Beiordnung mit dem Begriffe des
gleichen Ranges, der gleichen Bedeutung,
z. B. zweier gleichzeitiger Vorgänge oder
zweier Organe für einen gemeinsamen Zweck.
Der Ausdruck bezieht sich physiologisch be¬
sonders auf die regelmässige, zweckbewusste
Ordnung und Aufeinanderfolge in der Be¬
wegung, wie sie nur bei dem regelrechten
Bestehen gewisser Theile des centralen Ner¬
vensystems möglich ist. Der Coordination in
der Bewegung stehen nämlich gewisse Centra
vor, die sogenannten Coordinationscentren,
welche einerseits mit dem Willensorgan und
andererseits (scheinbar durch in den Seiten¬
strängen des Rückenmarks verlaufende Bahnen)
auch mit den Kernen der Nerven der ver¬
schiedensten Muskelgruppen in „gutleitender 44
Verbindung zu stehen und in Thätigkeit zu
treten scheinen, was Bowohl bei der Auslösung
geordneter Reflexe, wie dies öei Hunden
der Fall, deren hinteres Markende von dem
vorderen Theile der Medulla spinalis abge¬
trennt ist — durch Kratzen gekitzelter Haut¬
stellen mit den Hinterpfoten —bei decapitirten
Fröschen durch zweckmässige Abwehrbewe¬
gungen nach Einwirkung sensibler Reize etc.
geschieht; oder nach Hermann bei den willkür¬
lich geordneten Bewegungen. Der genannte
Forscher schliesst letzteres besonders aus der
Unmöglichkeit der Innervirung aller willkür¬
lichen Muskeln vom Willensorgane aus. Ihren
Sitz vermuthet man für die Coordination der
willkürlichen Bewegung in dem Kleinhirn
(vielleicht auch Mittel- und Zwischenhirn),
für diejenige geordneter Reflexe auch noch
in der Medulla oblongata und dem Rücken¬
mark; die Rückenmarkscentren scheinen dabei
unter der Herrschaft des verlängerten Mark¬
centrums als eines zusammenfassenden, auch
von verschiedenen Markniveaus aus eingeleitete
Reflexe vermittelnden zu stehen Coordinirte
Bewegungen werden erst durch Uebung erlernt,
junge Thiere sind zu solchen noch nicht in
vollem Masse befähigt. Man spricht auch von
einer Coordination der Empfindung, deren
Störung Schwindelempfindungen und damit
sog. Zwangsbewegungen zur Folge haben soll.
(Näheres hierüber s. Nerven-Physiologie.) Sf.
Copa'ifera, eine zur Familie der Caesal-
pininieen gehörige Pflanzengattung der tro¬
pischen Länder Südamerikas, welche den
Copalvabalsam,
Baisamum CopaSvae, liefert, be¬
stehend in einer Auflösung mehrerer Harze
in ätherischem Oele. Durch diese Terpene
wird der Balsam zu einem Reizmittel für die
Harnorgane, das zugleich desinficirende Wir¬
kungen auf diese ausübt, indem die Harze in
Form von gepaarten Glykuronsäuren und zum
Theil auch als Aetherschwefelsäuren im Harn
auftreten und diesen aseptisch machen. Es liegt
keine Veranlassung vor, den Copaivabalsam
bei Thieren anzuwenden. Vogel.
Copaivabalsam, s. Copaifera.
Copal. Ein harzartiger Körper, welcher
sich bei verschiedenen afrikanischen und ost¬
indischen Bäumen (Hymenea, Trachylobium,
Icica, Dammara) in tropfenförmigen Massen
zwischen Rinde und Holz ausscheidet, sich
auch unter deren Pfahlwurzeln im Boden
ansammelt. Der Copal besitzt eine gelb¬
liche, seltener röthliche Farbe, ist im Innern
meist klar und durchsichtig. Er ist spröde, von
glasig splitterigem Bruch, ohne Geruch und
Geschmack. Uiüöslich in wasserhaltigem Wein¬
geist, wenig in absolutem; durch längeres Lie¬
gen an der Luft, wobei er Sauerstoff aufnimmt,
wird die Löslichkeit gesteigert. In Aether
quillt er gallertartig auf und löst sich dann in
Alkohol. Zur Darstellung des Copallacks dient
der beim längeren Schmelzen des Copals blei-
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COPULATION. -
bende, leichter lösliche Rückstand. Copal wird
in der Medicin zur Herstellung von Zahn-
kitten mit Asbest benützt. Loeöisch.
€opulation nennt man die Vereinigung
zweier, äusserüch scheinbar gleicher Zellen
behufs Neubildung einer ruhenden oder Dauer¬
spore. Es ist sonach eine Art geschlechtlichen
Actes, von der eigentlichen Befruchtung durch
die äu88erliche Gleichartigkeit der beiden sich
vereinigenden Zellenindividuen verschieden.
Die copulirenden Zellen nennt man Copulations-
zellen oder Gameten, das Product heisst Zygo-
spore oder Zygebe. Copulationen kommen häufig
bei Algen und Pilzen vor. So bei allen Des-
midiaceen und Zygnemaceen, bei den Muco-
raceen u. s. w. (s. Mucor, Sizygites u. a.). Hart .
Cor, cordis, s. Herz.
Cor adiposum, das Fettherz (v. cor,
das Herz; adeps, das Fett), ist in vielen Fällen
eine Theilerscheinung der allgemeinen Fett¬
sucht, bei jungen Thieren der Fettdegeneration
aller Muskeln (Lähme); es entsteht auch nach
mangelhafter Ernährung des Herzmuskels bei
einer Hypertrophie und Verengerung der Coro-
nararterie im Verlaufe chronischer, rheuma¬
tischer, cachectischer und typhöser Krank¬
heiten, nach Intoxicationen mit Säuren, Phos¬
phor, Arsenik, Kohlenoxyd, Aether und Chloro¬
form. In Folge der fettigen Degeneration ver¬
lieren die Muskelfasern ihre Querstreifung
und ihren Tonus, sie erschlaffen, werden brü¬
chig, leicht zerreissbar, mürbe, sie sind von
Fettkörnchen und Fett-Tröpfchen durchsetzt und
geben dem Blutdrucke nach, das Herz er¬
weitert sich und erscheint gelblich gefleckt
oder in seiner Totalität gelbroth, die Symp¬
tome der passiven Herzerweiterung oder Herz¬
hypertrophie stellen sich ein, bestehend in Ab¬
normitäten der Blutcirculation, der Ernährung
und der Respiration, beschleunigtem, kleinen
Puls, Herzklopfen, Dyspnoe (Lungenödem),
ängstlichem Benehmen und leichter Ermüdung.
Bei beträchtlicher Dilatation des Herzens wird
der Percussionston auf weiteren Flächen in der
Herzgegend gedämpft und leer, die Ausculta-
tion ergibt schwache oder auch schwirrende
und blasende Geräusche, hervorgerufen durch
angestrengtere Herzaction; schliesslich erlahmt
die Herzkraft gänzlich, der Tod erfolgt
durch Herzparalyse, mitunter auch durch
Verblutung nach Herzzerreissung; am häufig¬
sten zerreissen die fettig entarteten und ver¬
dünnten Vorkammern. Zuweilen lagern sich
Fettmassen auf den Umflächen des Herzens ab
und bedingen eine Atrophie der Herzmusku¬
latur, besonders des rechten Ventrikels. Gegen
eine weit vorgeschrittene fettige Degeneration
des Herzens bleiben alle Heilmittel fruchtlos,
zu versuchen wären Tonica und Amara, wie
Plumbum acetic., Eisenpräparate, China, Brom¬
kalium, Jodkali, Tannin, Ergotin, Karlsbader
und Marienbader Mineralwasser (Hunde). Am
meisten wird auf Regelung der Diät zu halten
sein. Vogel (Repetor. der Thierheilkunde 1884)
empfiehlt für Hunde täglich 3 Pfund Hafer¬
grütze, 130 g Fett mit kochendem Wasser
und etwas Salz angerührt, für Pferde täglich
Koch. Eocyklopidie d. Tbierheilkd. II. Bd.
CORDYCEPS. 241
7 Pfund Hafer, ebensoviel Heu, 3—5 Pfund
Stroh zu Häcksel geschnitten unter Zugabe
von 1 Pfund Leinsamenmehl und 5% Koch¬
salz. Bei diesem diätetischen Regimen schwand
das Fett beträchtlich; Fett schütze wieder vor
Fett. Anacker.
Coralllna offlcinalis, Korallenmoos, Wurm¬
moos, s. Alsidium Helminthocortus.
Corax (von 6 xopa£, Rabe), gibt Ur¬
sprung einer Anzahl Termini, welche bei
der Beschreibung und Benennung von Theilen
benützt werden, die eine gewisse Aehnlichkeit
mit dem Rabenschnabel haben, z. B. Pro¬
cessus coracoides am Schulterblatt oder Os
coracoideum, der Rabenschnabelknochen des
Schultergürtels; M. coraco-brachialis, Raben¬
schnabelarmbeinmuskel etc. Sussdorf
Corbi&res-Schaf. Die Corbiferes-Schafe
sind Merino-Kreuzungen, welche in allen
Jahreszeiten auf den Höhen der Pyrenäen -
Ausläufer verbleiben, die sich in das Departe¬
ment de l’Aude erstrecken. Sie sind klein oder
mittelgross, ihr Körper ist nicht besonders
wohlgebildet, der Kopf ermangelt häufig der
Hörner. Die Wolle ist ziemlich fein, weich,
in langen, hängenden, spitzigen Flocken,
welche an der Basis glänzend sind, weshalb
sie auch häufig mit dem Namen Seidenschafe von
Corbifcres belegt werden. Das Vliess erstreckt
sich über alle Körpertheile. Neumann.
Corchorus oapsularis (olitorius und tex-
tilis), indischer Flachs, eine Tiliacee (L.
XHI. 1.), welche besonders in Bengalen culti-
virt wird und neuerdings unter dem Namen
Jute (oder Pad) einen bedeutenden Aus¬
fuhrartikel Südasiens bildet, weil in der tex¬
tilen Industrie Europas die Bastfaser einen
eschätzten Spinnstoff liefert. Chirurgisch
ient die flachsähnliche Jutefaser, welche
innen hohl ist und daher ein bedeutendes
Aufsaugungsvermögen für Flüssigkeiten be¬
sitzt, als ein jetzt auch in der Thierheilkunde
beliebtes Verbandmittel, das das Werg in
mancher Beziehung an Brauchbarkeit über¬
trifft, namentlich aber reiner und weicher ist
und besser absorbirt; ausserdem kommt es,
mit Desinficientien getränkt, namentlich als
Carbol- und Salicyljute in Handel, es können
jedoch diese Arzneistoffe einfacher und billiger
unmittelbar vor der Verwendung der Jute ein¬
verleibt werden. Vogel.
Cordova, Veterinärschule zweiten Ranges
mit dreijährigem Cursus, während in der
Schule ersten Ranges zu Madrid der Cursus
fünf Jahre dauert. Semmer.
Cordyoeps Fr., Link p. p. (von xopSoX-q,
Keule, und xe<paX*rj, Kopf), Torrubia Löv. (zu
Ehren des spanischen Mönches und Natur¬
forschers [1754] Josef Torrubia). Eine im
Wesentlichen mit Claviceps (s. d.) überein¬
stimmende, gewöhnlich jedoch in und auf leben¬
den Insecten, namentlich deren Larven parasiti-
rende Pilzgattung. Die Schlauchformen besitzen
einen langgestreckten stielförmigen Träger
(Stroma), der einfach, seltener getheilt, an
der Spitze ein meist langgestrecktes, walzen¬
förmiges oder keuliges Receptaculum trägt,
16
Digitized ^ Google
242
CORDYCEPS.
in dessen peripherischen Kammern (Concep-
taculis, Pyrenien oder Perithecien) sich die
Asci befinden. Diese sind wie bei Claviceps
beschaffen. Die acht langen federförmigen
Ascosporen sind jedoch quer in zahlreiche
Theilsporen zergliedert. Paraphysen fehlen.
Die Ascosporen gelangen nun auf irgend eine
Weise auf geeignete Insectenlarven. Auf diesen
keimen sie unter günstigen Umstanden, dringen
in das Innere ein, erzeugen hier, häufig unter
Bildung yon Cylindergonidien, ein üppiges
Mycelium, welches nun seinerseits nach dem
Tode der Raupen Hyphen an die Oberfläche
sendet, welche sich Strauch- oder baumförmig
verzweigen und an ihren Aesten nach Art
einer Botrytis oder einer Isaria die gewöhn¬
lich schneeweissen oder kreide weissen Gonidien
tragen. Diese Gonidien fallen sehr leicht ab,
bedecken die Raupen etc. wie mit Mehlstaub
oder Kalkpulver. Ganz wie wir es bei der
Gonidienform von Claviceps (Sphacelia) ge¬
sehen, vermögen auch sie in bisher noch ge¬
sunde Raupen, nach erfolgter Keimung, ein¬
zudringen und dieselbe Erscheinung hervor¬
zubringen. Die also befallenen Larven werden
kurze Zeit nach dem stets eintretenden Tode
steif und hart, sie fühlen sich korkartig an,
indem die Hyphen des Pilzmycels sie voll¬
kommen ausfüllen und jetzt ein festes, mässig
hartes Dauermycelium (Sclerotium) darstellen,
welches genau dem sog. Mutterkorn von
Claviceps purpurea entspricht. Bedeckt man
diese sclerotisirten Larven leicht mit Sand,
Erde oder Moos, so kommen aus ihnen bei
genügender Wärme und Feuchtigkeit wiederum
die schlauchtragenden Stromate hervor.
Cordyceps militaris Link. (Fig.399),
Clavaria militaris L., Torrubia militaris Tul.
Die schlauchtragenden Früchte sind stattliche,
orangegelbe, keulenförmige Gebilde; sie kom¬
men nicht selten auf Schmetterlingsraupen
und deren Puppen vor. Die Sporen zerfallen
kurz vor der Entleerung in die ca. 160 Theil¬
sporen und werden elastisch in Form eines
glitzernden Regens aus den Schläuchen und
nach aussen entleert. In Wasser gebracht,
quellen sie, werden rundlich bis kugelig, zu¬
weilen verschmelzen sie zu zweien mitein¬
ander und treiben im letzteren, wie im ersteren
Falle alsbald Keimschläuche; auf eine Raupe
gebracht, vermögen diese Keimschläuche als¬
bald an beliebigen Stellen die Chitinhaut zu
durchbohren. Diese Pilzfaden schwellen im
Inneren der Raupen etwas an; sie haben ein
begrenztes Wachsthum nach Art des Promy-
celiums vieler Uredineen und Ustilagineen,
durch Scheidewände erscheinen sie gewöhn¬
lich als einfache, seltener verzweigte Zell¬
reihen, welche nun seitlich cylindrische Goni¬
dien, die sog. Cylindergonidien, in mässiger
Anzahl hervorsprossen lassen. Die Cylinder-
gonidien trennen sich bald ab und werden
vom Blutstrome weiter getragen; sie strecken
sich alsbald um das Mehrfache der ursprüng¬
lichen Länge, bekommen nicht selten Scheide¬
wände und vermehren sich sprossend nach
Art der Hefepilze, indem dabei eine grosse
Zahl gleichartiger Zellen gebildet wird.
Ihre Vermehrung und ihr Wachsthum ge*-
schieht zunächst auf Kosten des Blutes, wel¬
ches demnach rasch abnimmt: die Raupen
werden schlaff upd weich und sterben in
diesem Zustande ab. Sobald der Tod- des
Thieres eingetreten, wachsen die Hefezellen
auf Kosten der Gewebe der Raupe zu üppigen
Mycelfäden aus, die, meist vielfach verzweigt
und septirt, alle Organe des todten Körpers
durchsetzen, grösstentheils resorbiren, vor¬
handene Höhlungen ausfüllen u. s. w., so
dass nach kurzer Zeit die Raupe wieder
'Fig. 399.) Cordyceps miliUris. 1. Cordyceps militaris,
SchUuchfrucht, einer todten Raupe entsprossend. a Stroma,
b Receptacolnm; die kleinen punktförmigen Erhabenheiten
rühren von den schlauch führenden Conceptakeln her.
2. Schlftuche mit je acht Sporen. 3. Die Sporen, in zahl¬
reiche Theilsporen zergliedernd. 4. Sporen, nach der Kei¬
mung im RaupenkOrper, Hefesprossungen erzeugend. 6. Spi-
caria&hnliehe Schimmelform, hervorgegangen ans Asco¬
sporen; bei a keimend; bei b tornla&hnlich. 6. Isaria fmri-
nosa auf einem todten RanpenkOrper.
turgescent, korkartig-schwammig und fest
wird. Wir finden so 1—3 Tage nach dem
Tode der Raupe diese in änsserlich scheinbar
unveränderter Form vor, im Inneren jedoch
sind fast sämmtliche Organe und deren Theile
aufgezehrt und ersetzt durch das Mycelium
des Pilzes, welches in seinem Endstadinm
ein Dauermycelium, ein Sclerotium darstellt.
Aus dem Mycelium des todten Raupenkörpers
entwickeln sich nun zuweilen nach aussen
verzweigte Hyphen, welche candelaberartig
oder wirbelig verzweigt sind und an den
Enden dieser Zweige einfache Ketten kugeliger
Gonidien tragen (zuweilen ist die erste cylin-
drisch); sie stellen sonach in dieser Form
einen Schimmelpilz dar, den man als eine
Tornla mit der Verzweigungsart eines Verti-
cillium oder einer Spicaria näher zu beschreiben
haben würde. Diese Gonidienträger treten
vereinzelt auf, oder sie überziehen in Masse
CORELYSIS. — CORPUS CALLOSUM,
343
gleichförmig die ganze Raupe, sie wie mit
weissem Mehle bedeckend. Endlich aber
können 4 — 2 cm hohe gestielte, nach oben
anseinander tretende Hyphenverschmelzungen
dieser Gonidienträger Vorkommen, die Fries
als Isaria farinosa seinerzeit bezeichnet hat.
Der Stiel dieser Form ist orangegelb. Besser
wohl als Isaria würde sie als Stysanus fari-
nosns aufzuführen sein: sie stellt eine zu¬
sammengesetzte Schimmelform dar, die sich
zu der oben erwähnten einfachen etwa so
verhält, wie Coremium zu Penicillium. Diese
Gonidien vermögen zuvor gesunde Raupen
ebenfalls zu innciren. Die Gonidienformen
lassen sich theilweise leicht saprophytisch
ernähren und vermehren; auch diese inficiren
wieder mit Leichtigkeit gesunde Raupen. Aus
den steif gewordenen Raupen geht unter
günstigen Bedingungen neben der Isaria auch
die Perithecienform, die Frucht, wieder her¬
vor. Aehnlich wie die vorstehende Art ver¬
halten sich auch andere Arten; so
Cordyceps entomorrhiza Fr., Clavi-
ceps entomorrhiza Dicks., welche Elater- und
andere Käferlarven befällt. Ueber die viel¬
leicht hieher gehörige Botiytis Bassiana Bals.
Crivelli, welche den echten Seidenspinner
befällt, und die als Calcino o mal del segno
der Italiener gefürchtete Krankheit dieses
Insectes verursacht, s. bei „Muscardine“. Hz.
Corelysis (von xdpiq, die Pupille, und
Xu3t$, Lösung), bezeichnet die künstliche
Lösung von bestehenden Verwachsungen der
Iris mit der vorderen Linsenkapsel (Synechien)
auf operativem Wege. Schlampp.
Coremium Link, (von xo£>e:v, kehren),
Besenschiminel. Entsteht aus Penicillium, in¬
dem die aus dem Mycei sich erhebenden
Hyphen büschelig zusamraentreten. Coremium
ist sonach eine Parallelform zu Graphium,
Stysanus, Isaria u. a.
Ceremium glaucum Lk., graugrüner
Besenschimmel, findet sich besonders häufig
auf geschimmelten Citronen und Apfelsinen,
Aepfeln u. s. w. und ist nichts Anderes, als
ein Penicillium glaucum. Hart.
Coremorpho8is (xopYj. Pupille, und pdp-
bezeichnet die Bildung einer künst¬
lichen Pupille (s. unter Iridectomie). Sp.
Corlago, die Harthäutigkeit(v. ydptov,
Lederhaut; ayvova:, brechen); anderweite wis¬
senschaftliche Bezeichnungen für Harthäutig-
keit sind Ecedermia und Sclerodermia (v. ix,
aus, oxXtjpos, hart; äsppa, Haut). Die Hart-
häutigkeit geht aus Ernährungsstörungen,
mangelhafter Ernährung und Hautpflege her¬
vor, die Haut wird spröde, trocken, anämisch
und in Folge bindegewebiger Wucherung
dicker, das Haar trocken und glanzlos. Da
fast regelmässig Lecksucht mit ihr verbunden
ist, siehe das Nähere darüber unter „Leck¬
sucht“. Anacker.
Coriander entölter. Rückstände nach der
Gewinnung des in den Samen des Corianders
(Coriandrum sativum) enthaltenen ätherischen
Öeles. Sie enthielten nach einer vorliegenden
Analyse: 88% Trockensubstanz, 13 6% Pro¬
tein, 17*8% Fett, 29*8% stickstofffreie Ex-
träetstoffe, 19*9% Holzfaser und 7*1% Ascho
— gehören also zu den proteinärmeren
und holzfaserreiehercn gewerblichen Ab¬
fällen dieser Art und sind darum auch schwerer
verdaulich. Es ist darauf zu sehen, dass das
ätherische Oel der Coriandersamen gründlich
entfernt ist, da sonst die Milch der damit ge¬
fütterten Kühe leicht einen unangenehmen
Beigeschmack annehmen soll. Dient als Bei¬
futter für Milch- und Mastvieh. Pott.
Coriandrum sativum, gemeiner Coriander,
eine einen wanzenartigen Geruch besitzende
Umbellifere (L. V. 2.), welche bei uns culti-
virt wird und deren reife bräunlichgelbe, fast
kugelrunde, kaum pfefferkomgrosse Doppel-
achänien den Coriander bilden,
Fructus Coriandri (fälschlich Semina
Coriandri). Er enthält fettes und ätherisches
Oel, das einen angenehmen gewürzhaften,
aber nicht brennenden Geschmack hat. Arznei¬
lich dient Coriander als aromatischer und die
Darmbewegung anregender Zusatz zu Laxir-
mitteln, kann aber ganz wohl durch den
billigeren Kümmel oder durch Anis und Fen¬
chel bei den Thieren ersetzt werden, wo er
auch als ein gutes Galactogogum gilt. Der
Kern jener Drogue, die als Aniskügelchen
im Handel ist, besteht aus überzuckertem
Coriandersamen.
Corium, s. Cutis.
Cornaliakörperohen, nach Comalia, Pro¬
fessor der Zoologie zu Mailand, so genannt.
Kleine, spaltpilzähnliche Organismen, welche
eine gefährliche Krankheit der Seidenraupen,
die Gattine oder Pebrine verursachen. Siehe
Panhistophyton ovatum. Harz.
Cornea, s. Hornhaut.
Cornu Cervl, Hirschhorn; diente früher
im geraspelten Zustande (Cornu Cervi raspa-
tum) zu schleimigen, bei Diarrhöen wirk¬
samen Decocten, da die Geweihe der Hirsche
und Rehe nicht aus Horn bestehen, wie die¬
jenigen der domesticirten Ruminantien, son¬
dern aus ossificirendem Bindegewebe, das sich
beim Kochen in Glutin verwandelt Und sich
durch grossen Gehalt an Calciumphosphat
auszeichnet. Vogel.
Cornu outaneum, s. Hauthom.
Cornwall-Sohaf, s. Bergschaf.
Coronargefässe, s. Herz und Blutgefässe.
Corpora cavernosa, s. Geschlechtsorgane.
Corpus Ariatum, s. Gehirn.
Corpus oallosum (Trabs cerebri), Balken,
bildet eine Commissur, wodurcli die beiden
Grosshirnhemisphären mit eineinander der
Quere nach verbunden werden. Durch Ausein¬
anderhalten der beiden Gehirnhemisphären,
nach Entfernung der Hirnhäute ist dieselbe
makroskopisch leicht zu sehen. An Längs¬
schnitten erlangt man keine genaue Kenntnis*
über den Verlauf seiner Fasern, da sie zu¬
meist der Quere naeh getroffen werden. Der
Balken ist vorne und hinten uragebogen. Die
vordere Partie bildet ein Knie (Genu corporis
callosi), die hintere einen Wulst durch ihre
Umbiegung (Splenium corporis callosi). Die
Fasern ziehen nicht nur seitlich in die Hemi¬
sphären, sondern sie spalten sieh sowohl naeh
16*
244 CORPUS CILIARE.
vorne als auch nach hinten in zwei ansein¬
anderlaufende Stränge, welche sowohl nach vorne
gegen den Stirnlappen als auch nach hinten
gegen den Occipitallappen ziehen und somit
mit der ganzen Oberfläche des Gehirnes in
Verbindung treten. Durch das Ausstrahlen der
Fasern nach vorne und hinten in Form von
zangenartigen Zögen kommt es zur Bildung
eineB Forceps anterior und Forceps posterior
corporis callosi. Auf dem Wege ihrer Ausstrah¬
lung gegen das Gehirn durchkreuzen die Fa¬
sern des Corpus callosum die Stabkranzfasern.
Nach dem Grade der Ausbildung der Gross¬
hirnhemisphären bei den verschiedenen Thieren
ist der Balken bei den höheren Thieren bald
stärker, bald schwächer ausgebildet. Schenk.
Corpus ciliare, Ciliarkörper, Strahlen¬
körper des Auges, s. unter „Uvealtractus“.
Corpus vitreum, Corpus hyaloideum,
Humor vitreus; Glaskörper, Glasfeuchtigkeit.
ot) Anatomie des Glaskörpers.
Der Glaskörper füllt den ganzen Raum
aus, der zwischen der Hohlkugel, welche die
Retina bildet, und der Linse bleibt. Seine
Gestalt lässt sich, wenn auch nicht genau
zutreffend, doch annähernd und am verständ¬
lichsten mit einer vorne eingedrückten Kugel
vergleichen. Diese vordere Vertiefung, welche
zar Aufnahme der hinteren Fläche der Kry-
stall-Linse bestimmt ist, führt den Namen der
Fossa patellaris, Fossa lenticularis, Fossa
hyaloidea oder der tellerförmigen Grube.
In einem sanften Bogen, auf dessen äusserem
Abhange das Corpus ciliare ruht, geht hier
der convexe Theil der Oberfläche in den con-
caven über.
Am Glaskörper haben wir die Membran
und die Glaskörpergallerte zu unterscheiden:
1. Die Membrana hyaloidea (von
7) 5aXo$, das Glas), M. limitans hyaloidea
He nie, ist eine glashelle, structurlose, leicht
Falten schlagende Membran, welche die ihrer
Innenseite innig anhaftende Glaskörpersub¬
stanz gegen den Margo limitans retinae
abgrenzt. Es existirt nur diese eine Membran,
welche aber nicht der Netzhaut — wie Manche
wollen — sondern dem Glaskörper zuzuzählen
ist. Unmittelbar unter der inneren Oberfläche
der Hyaloidea finden sich regellos über die¬
selbe zerstreute Zellen (subhyaloidale
Zellen), welche in allen ihren Eigenschaften
Leukocyten gleichen und wohl als aus den
benachbarten Gefässen ausgewanderte farb¬
lose Blutzellen zu betrachten sind. In der
Gegend der Ora serrata beginnt die Hyaloidea
sich allmälig zu verdicken, in ihrer Textur
zu ändern: sie wird zur Zonula ciliaris.
Dieselbe bildet von nun an die vordere Wand
des Petit’sehen Canal es: die hintere ist
mit der vorderen Fläche der Glaskörper¬
gallerte identisch, die sich hier einfach durch
eine verdichtete Oberfläche gegen den flüs¬
sigen Inhalt des Petit’schen Canales abgrenzt.
Eine Spaltung der Zonula an der Ora serrata
in ein äusseres Blatt, welches zur eigentlichen
faserigen Zonula wird, und in ein inneres,
das die Fossa patellaris auskleiden soll,
CORPUS VITREUM.
findet nicht statt Der Petit’sche Canal ist
demnach als den übrigen Spalträumen in der
Glaskörpergallerte gleichwerthig anzusehen
2. Die Glaskörpergallerte. Der In¬
halt des von der Hyaloidea eingeschlossenen
Raumes ist eine glashelle, durchsichtige
Gallerte, deren Consistenz, Wassergehalt und
chemische Zusammensetzung bei den ver¬
schiedenen Species der Säugethiere und zp
verschiedenen Altersperioden ganz bedeutend
variiren. Das embryonale Glaskörpergewebe
ist fester, resistenter als jenes erwachsener
Thiere, und es scheint die Abnahme der Con¬
sistenz bei letzteren wesentlich auf eine Zu*
nähme des Wassergehaltes zurückzuführen zu
sein. Lohmeyer fand bei der Analyse des
Glaskörpers vom Kalbe in 100 Theilen:
Wasser. 98*6400
Natronalbuminat. 0 * 1360
Fett. 0*0016
Extractivstoffe. 0 * 3208
Chlornatrium .. . ... 0 * 7737
Chlorkalium. 0 * 0603
schwefelsaures Kali. 0*1480
phosphorsauren Kalk .. . 0*0101
phosphorsaure Magnesia. 0*0032
phosphorsaures Eisen. 0*0026
Kalkerde. 0*0133
Hiezu kommt bei einzelnen Thierclassen
(Fischen) und beim Menschen noch das Auf¬
treten von Mucin, welches dem Glaskörper
dann die eigenthümlich klebrige Beschaffen¬
heit gibt; dagegen steigt bei den Thieren
mit mucinfreiem Glaskörper der Eiweissgehalt
ziemlich bedeutend, so dass er beim Kalbe
(s. die Tabelle) sogar 0*136% ausmacht.
Was die Structur der Glaskörpergallerte
betrifft, so musste die längere Zeit herrschende
Ansicht, der Glaskörper besitze ein mem-
branöses Stützgerüst, fallen gelassen werden,
nachdem man sich überzeugt hatte, dass die
Versuche, welche oin solches beweisen sollten,
eine andere Deutung erfahren mussten. Von
Membranen, welche den Glaskörper durch¬
setzen sollen, ist in frischem Zustande nie
etwas zu sehen. Die bei Tinctionsversuchen
am halbirten Glaskörper durch Aufträufeln
von Farbstofflösungen hervorgerufene, haupt¬
sächlich in der Randzone auftretende Bildung
concentrischer Farbenringe beweist, dass wir
es hier mit feinen, den Glaskörper durch¬
ziehenden Spalträumen zu thun haben; hiefür
spricht ferner auch die Beobachtung, dass es
an gefrorenen Glaskörpern im Beginne des
Aufthauens gelingt, von der Oberfläche feine,
concentrisch zum Mittelpunkt angeordnete
Eisscheibchen abzublättern. EineBegrenzungs-
merabran besitzen diese Spalträume nicht,
vielmehr werden dieselben durch ein Ausein¬
anderweichen und Klaffen der Glaskörper¬
substanz selbst gebildet. Neben diesen Spalten
besitzt der Glaskörper noch einen grösseren
Canal, den Canalis hyaloideus (Central¬
canal des Glaskörpers). Derselbe beginnt in der
Gegend der Papilla optica mit einer leichten
Erweiterung (Area Martegiana), deren Durch¬
messer dem der Sehnervenpapille entspricht,
und durchsetzt sodann als ein etwa 2 mm weiter
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CORPUS YITRRUM. WS
Canal den Glaskörper bis in die Nähe der
hinteren Linsenfläche, wo er abgerundet oder
leicht kolbig verdickt aufhört. Im embryonalen
lieben schliesst er die von der Arteria centralis
retinae abzweigende Arteria hyaloidea, welche
in ihm zur hinteren Linsenfläche gelangt, ein.
Nach Schwund dieses Gefasses erhalten sich im
eztranterinen Leben am Anfänge des Canales
Reste des die Arterie begleitenden Binde¬
gewebes entweder als ein feiner Bindegewebs-
meniscus oder (beim Rinde) als ein in den
Centralcanal oft weit hineinragender Zapfen.
Der Centralcanal wird von einer deutlichen
Membran begrenzt, welche als Fortsetzung
der Membrana hyaloidea anzusehen ist.
Was die feinere histologische Structur
des Corps, vitr. anbelangt, so erhält man den
besten Aufschluss durch Untersuchung em¬
bryonaler Glaskörper. Es zeigt sich hiebei,
dass (gleich bei Säugethieren und beim Hühn¬
chen) die Glaskörperbildung mit der Entstehung
einer Einstülpung der primären Augenblase
von unten her zusammenfällt, und dass der
Glaskörper als ein Product des mittleren Keim¬
blattes aufzufassen ist. Es ist derselbe als
eine Mesodermwucherung, als echtes embryo¬
nales Bindegewebe anzusehen, bei welchem in
eine schleimig-gallertige Zwischensubstanz
mit Ausläufern versehene Bindegcwebszellen
zu liegen kommen. Mit der Zeit nimmt nun
beim erwachsenen Thiere die Zwischensubstanz
allmälig mehr und mehr Wasser auf, wird
flüssiger, und damit werden die einzelnen Zellen
mehr auseinandergedrängt, erscheinen spär¬
licher, bis sie ganz verschwinden, so dass man
im Glaskörper eines erwachsenen Thieres von
einem Gerüste eigentlich gar nicht mehr
reden kann. Schwalbe hat auf experimen¬
tellem Wege den Nachweis geliefert, dass
alle die im entwickelten Glaskörper Vorge¬
fundenen rundlichen, stem- und spindel¬
förmigen, mit Yacuolen versehenen oder deren
entbehrenden Zellen eingewanderte Leukocyten
sind, welche in einer stark mit Wasser infil-
trirten, interfibrillären Substanz fortkriechen.
ß) Pathologie des Glaskörpers.
I. Glaskörpertrübungen. Als Trü¬
bungen bezeichnet man alle innerhalb des
Glaskörpers mittelst des Augenspiegels auch
bereits während des Lebens erkennbaren Ein¬
lagerungen und Bildungen, welche, den an¬
grenzenden Membranen entstammend, in den
Glaskörper eingewandert sind oder Metamor¬
phosen des Glaskörpergewebes darstellen.
Was die Diagnose der Glaskörpertrübungen
anbelangt, so ist dieselbe durchaus keine
schwierige, sobald nur die übrigen brechenden
Medien des Auges rein und durchleuchtbar
sind. Bei der Untersuchung mit dem Augen¬
spiegelerscheinen im hell erleuchteten Pupillar-
gebiete — um ein möglichst weites Gesichts¬
feld zu haben, ist es unerlässlich, vorher zu
atropinisiren — dunkle, verschieden geformte
Körper, die bald das Aussehen von isolirten
schwarzen Punkten haben können, bald sind
es knopfartige Bildungen mit anhängenden
grauen Fäden, graue oder schwarze strich-
und federartig gewundene, miteinander ver¬
schlungene Gebilde, grössere Flocken mit
Fortsätzen, endlich grauliche oder schwarze
hautartige Gebilde, welche sich vorhangartig
auf- und zusammenrollen und sich falten —
alle diese Opacitäten sind als dem Glas¬
körper angehörig daran zu erkennen, dass
sie bei Drehungen des Auges in entgegen¬
gesetzter Richtung sich fortbewegen. Denkt
man sich nämlich das Auge als eine Kugel,
so kommt der Mittel- und Drehpunkt der¬
selben direct hinter die Linse in die Gegend
der tellerförmigen Grube zu liegen; bewegt
sich nun die vordere Hälfte dieser Kugel,
also in der Hauptsache die Cornea, nach
irgend einer Richtung — und wenn wir
sagen, das Auge bewegt sich rechts oder
links, so meinen wir ja, der vordere, sicht¬
bare Abschnitt macht diese Bewegung —
so ist es klar, dass die hintere Hälfte, welche
den Glaskörper einschliesst, den entgegenge¬
setzten Weg einschlagen muss. Durch dieses
Fortbewegen in entgegengesetzter Richtung
lassen sich die Trübungen des Glaskörpers mit
Leichtigkeit von den Opacitäten der übrigen
brechenden Medien — Cornea, Vorderkammer,
Linsenkapsel und Linsenkörper — unter¬
scheiden, welch* letztere als in der vorderen
Kugelhälfte liegend mit der Drehung des
Auges gleichsinnige Bewegungen ausführen.
Ein weiteres differential-diagnostisches Merk¬
mal, welches den Glaskörpertrübungen zu¬
kommt, ist ihre eigene, selbständige Beweg¬
lichkeit; jeder Glaskörper, welcher von Trü¬
bungen durchsetzt ist, büsst mit der Zeit
an Consistenz ein und verflüssigt sich, was
zur Folge hat, dass eine Opacität, so¬
bald das Auge sich gerollt hat und wieder
zur Ruhe zurückgekehrt ist, noch eine Zeit
lang fortzittert und einen Theil des Glas¬
körpers durchläuft — sog. rückläufige Bewe¬
gung. Eine Ausnahme von dieser Regel machen
nur jene selteneren Fälle, in denen die Trübung
mit einer der Augenhäute fest verwachsen
ist; aber auch diese machen wie alle anderen
Glaskörperopacitäten bei Drehungen des Auges
eine Bewegung im entgegengesetzten Sinne,
In Glaskörpern, bei welchen die Verflüssigung
schon ziemlich weit vorgeschritten ist, kann
es Vorkommen, dass die vorhandenen Trü¬
bungen sich auf den Boden des Augengrundes
in Folge ihrer Schwere niedersenken, und so
kann es passiren, dass dieselben im ersten
Augenblick bei der Spiegeluntersuchung der
Beobachtung entgehen, bis sie nach einigen
raschen Bewegungen des Augapfels im Pu-
pillargebiet plötzlich herumwirbeln und so
die Diagnose sichern. Sehr dichte Trübungen
des Glaskörpers, welche hinter die Linse zu
liegen kommen und flächenhaft ausgebreitet
sich direct der hinteren Fläche der Linse
anlegen, können schon bei Betrachtung der
Purkinje-Sanson’schen Flammenbildchen (s. d.)
erkannt werden: während nämlich das erste
und zweite, von der Hornhaut und der vorderen
Linsenkapsel herrührende, aufrechte Bildchen
in normaler Grösse erscheint, wird das dritte,
von der hinteren Linsenkapsel refloctirte und
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CORPUS VITBEUM.
24$
umgekehrte Flammbildchen in Folge des Bo-
lages, welcher die Rückseite der hinteren
Linsenkapsel deckt und gleich dem Amalgam
eines Spiegels wirkt, viel grösser als sonst
am gesunden Auge sich zu erkennen geben.
Für die Untersuchung des Glaskörpers
mittelst des Augenspiegels ist es — wie für
Explorationen der brechenden Medien über¬
haupt— wichtig, sich weder einer intensiven
Lichtquelle zu bedienen, noch besonders licht¬
starke — concave — Spiegel in Anwendung
zu bringen; sobald man sich beikommen lässt,
das Augeninnere mit.Luft gleichsam zu über-
fluthen, ist man nicht mehr in der Lage, sehr
feine Trübungen, die man überblendet und
sq gleichsam auslöscht, zu erkennen und setzt
sich auf diese Weise dann unter Umständen
groben und in ihren Folgen oft recht schweren
diagnostischen Irrthümern aus. Der Gebrauch
corrigirender Gläser — convexer oder concaver
Linsen, die zum Zwecke der Neutralisirung
eigener Refractionsanomalien oder solcher des
untersuchten Thieres hinter den Spiegel ge¬
schoben werden — ist zu widerrathen, da
man sich hiedurch wohl in die Lage versetzt,
den Augenhintergrund genau zu sehen, Opa-
citäten des Glaskörpers (und der brechenden
Medien überhaupt) von gewisser Feinheit
aber übersehen kann. Man thut vielmehr gut,
sich nur des Spiegels allein zu bedienen,
durch dessen Oeffnung man das Augeninnere
betrachtet, ohne dabei irgend ein Detail
des Augengrundes genauer zu fixiren.
In klinischer Beziehung kann man drei
Hauptarten von Trübungen unterscheiden;
1, Glaskörperstaub, 2. Flocken und Fäden
des Corpus vitreuin und 3. die Glaskörper¬
membranen.
1. Der Glaskörperstaub. Der Glas¬
körper kann sich von einer mehr weniger
dichten, gleichmässigen, alle seine Bezirke
gleichförmig anfüllenden, staubförmigen Trü¬
bung durchsetzt zeigen, so dass man im ersten
Moment leicht die Verwechslung begehen
kann, diese ziemlich gleichförmigen Trübungen
in die Retina zu localisiren. Vor diesem Irr¬
thum wird man aber bewahrt, sobald sich
durch Verschiebungen der einzelnen getrübten
Massen des Glaskörpers, wie dies nach Be¬
wegungen des Auges erfolgt, ein Theil des
Augenspiegelbildes plötzlich aufhellt und man
den normalen Augenhintergrund bald hier,
bald dort erblickt.
2. Weit häufiger trifft man verschieden
grosse Flocken und Fäden, denen sich
3. sehr ausgebreitete meinbranöse
Gebilde anschliessen.
Was die Natur der einzelnen im Glas¬
körper vorkommenden Trübungen in patho-
logisehTanatomischer Hinsicht betrifft, so
können wir zwei Arten der Trübungen an¬
nehmen, wobei es indifferent ist, ob solche
als idiopathisches Leiden oder consecutive
Erscheinungen der Erkrankungen der Um¬
hüllungsmembranen aufzufassen sind. Diese
sind: a) Trübungen, welche durch Einwan¬
derung mit nachfolgender Umgestaltung der
immigrirten zelligen Elemente in dem Glas¬
körper entstanden, und b) Trübungen, welche
als Zerfallsproducte der normalen Elemente
des Glaskörpers anfzufassen sind.
Am häufigsten treten Glaakörpertrübungen
bei Erkrankungen des Aderhauttractus auf
(Cyclitis, Chorioiditis, ganz besonders bei der
recidivirenden Iridochorioiditis des Pferdes,
sobald der hintere Abschnitt der Uvea am Pro-
cesse mitbetheiligt war, und in solchen fällen
besitzen wir in dem Auffinden von Trübungen
im Glaskörper ein werthvolles diagnostisches
Hilfsmittel auch in anfallsfreieil Intervallen),
ferner bei Netzhautleiden und als Folgezu¬
stände abgelaufener Hyalitis.
Die Störungen, welche Glaskörpertrü¬
bungen beim Sehacte hervorrufen, richten
sich — abgesehen von jenen, welche das Grund¬
leiden mit sich bringt — nach ihrer Masse
und nach der Grösse der einzelnen Opacitäten,
sowie nach der Gegend, welche sie in der
Netzhaut verdunkeln. Je dichter die Trübungen
sind, je öfter ein Nachschub des Krankheits-
processes und damit Bildung neuer Trübungen
zu erwarten steht, desto ernster ist die
Vorhersage. Die Therapie ist gegen das Grund¬
leiden zu lichten.
II. Verflüssigung des Glaskörpers,
Synchysis corporis vitrei (•?} ooyxöotc,
von ooy-X® 10 ! zusammenfliessen, auflösen). Als
Ausgang entzündlicher Zustände des Glaskör¬
pers und des Aderhauttractus beobachtet man
häufig eine Verflüssigung des Glaskörper¬
gewebes, welches seine normale leimartige
Consistenz verliert und sich in ein dem Serum
ähnliches, an und für sich durchsichtiges,
jedoch eine mehr weniger grosse Menge stän¬
diger Entzündungsresiduen enthaltendes Flui¬
dum anflöst. Eine derartige Synchysis kann
sowohl den ganzen Glaskörper treffen oder
sich auf einzelne Abschnitte desselben eine
Zeit lang beschränken, um erst allmälig eine
totale zu werden
Die Diagnose eines solchen Zustandes
ist keine schwierige, sie wird namentlich
durch den Umstand erleichtert, dass ein ver¬
flüssigter Glaskörper gleichzeitig mit dem
Eintritt der Consistenzänderung und als Folge
gleicher Ursache Einlagerungen organischer
Natur erhalten hat, dass sich gleichzeitig
Trübungen vorfinden, welche in der Raschheit
ihrer Bewegungen, in der Leichtigkeit, mit
der man sie bei erleuchtetem Augengrunde
den Glaskörperraum durchfliegen sieht, den
Schluss zu ziehen erlauben, dass das Medium,
in dem sie schwimmen, ein abnorm flüs¬
siges sei.
Hat ein derartiges Auge längere Zeit im
Zustande der Ruhe verharrt, so senken sich
die relativ schwereren Trübungen zu Boden
und erst einige rasche und energische Be¬
wegungen des Bulbus schütteln sie auf und
lassen sie mit grösster Lebhaftigkeit umher¬
wirbeln. Ein anderes Symptom, das man lange
Zeit hindurch als geradezu pathognoinisch
für die Synchysis corporis vitrei aufgestellt
hatte, bietet zwar keine so absolute Garantie
für das Vorhandensein einer Verflüssigung,
ist jedoch mit in Betracht zu ziehen; eine ab-
CORPUS VITREUM.
norme, auffallende Weichheit des Augapfel^
bei der Betastung. Nicht jeder Pall von Ver¬
flüssigung muss eine Herabsetzung der Ten¬
sion im Gefolge haben, aber in sehr weichen
Augen ist wenn ausserdem das Spiegel¬
bild den oben angegebenen Befund zeigt —
eine Synchysis anzunehmen. Zu diesem Sym-
ptomencomplex tritt in manchen Fällen —
namentlich bei der Iridochorioiditis recidiva
des Pferdes — ein eigentümlich grüner
Schimmer aus dem Pupillargebiete hinzu,
welcher zu Zeiten, in welcher der Augen¬
spiegel uns noch nieht die weitgehendsten
Aufschlüsse gab, zu der irrtümlichen Auf¬
fassung Veranlassung gab, man Jiabe es hier
mit echtem „Glaucom“ zu tun.
Object directer Behandlung ist dieser
Zustand nicht.
Anschliessend an die Verflüssigung des
Glaskörpers soll auch gleich der Synchysis
scintillans (von scintilla, der Funke) Er¬
wähnung getan werden. Es kann, besonders
bei älteren Individuen, Vorkommen, dass man
in einem vollständig oder teilweise verflüs¬
sigten Glaskörper bei der Untersuchung mit
dem Augenspiegel den erleuchteten Augen¬
grund funkeln und glänzen sieht, ein Anblick,
vergleichbar mit dem Glitzern von herum¬
wirbelnden krystallinischen Schneeflöckchen,
die man bei auffallender Sonne betrachtet.
Bei genauerem Zusehen findet man, dass der
ganze Glaskörperraum dicht erfüllt ist mit
kleinsten, hellglänzenden sternförmigen Kör¬
perchen, die bei jeder Bewegung des Aug¬
apfels aufwirbeln und nach eingetretener Ruhe
des Bulbus wie alle im verflüssigten Glas¬
körper befindlichen Körper (Trübungen) eine
sog. rückläufige Bewegung ausführen, wobei
man aus dem Augeninnem ein Bild erhält,
als ob ein feiner, staubförmiger Gold- und
Silberregen niederfiele. Bei der anatomischen
Untersuchung eines solchen Glaskörpers findet
man dann als Ursache dieser Erscheinung
eine Einlagerung zahlloser hellglänzender
Pünktchen, die sich, unter dem Mikroskope
betrachtet, als eine Anhäufung und Zusam¬
menballung von Cholestearin- und Tyro-
sinkrystallen zu erkennen geben, wobei
dann entweder Krystalle gleicher Art sich
zusammengefunden oder es haben sich die
kleinen weissen Tyrosiünadeln auf Chole-
stearintafeln aufgelagert. Retina und Chorioi-
dea haben dabei, falls nicht zufällig ander¬
weitige pathologische Zustände zugegen sind,
ein vollständig normales Aussehen. Es ist
wahrscheinlich, dass das Auftreten von Chole-
stearinkrystallen in einem vollständig durch¬
sichtigen Glaskörper in Abhängigkeit zu
bringen ist von verminderter Exosmose und
fettigem Zerfall der Glaskörperelemente. Ber¬
lin beschreibt je einen Fall der Synchysis
scintillans vom Pferd und von der Taube
(„Zeitschr. f. vergleichende Augenheilkde.“,
II. Jahrgang, 1883, pag. 117—118).
111. Glaskörperblutungen. Blutun¬
gen, welche aus dem Gefässsystem der Chorioi-
dea oder der Retina in den Glaskörper hinein
erfolgen, gehören nicht zu den Seltenheiten.
«47
Gewöhnlich sind sie die Folge eines Trau¬
mas, welches das Auge trifft, einer Contusio
bulbi, wobei Zerreissungen der Häute des
Bulbus gleichzeitig vorhanden sein oder auch
fehlen können; die Rhexis der Aderhaut- und
Netzhautgefässe kann jedoch auch verursacht
sein durch Erkrankungen der Gefässhäute
oder pathologische Vorgänge in den Augen¬
häuten selbst.
Bei sehr intensiven Blutungen kann es
Vorkommen, dass der ganze Glaskörper unter
Zertrümmerung seiner Elemente und Zerstö¬
rung seiner ganzen Structur in eine grosse
Blutkugel umgewandelt wird, welche das
Augeninnere vollständig ausfüllt. Betrachtet
man solche Patienten auch nur oberflächlich
und mit blossem Auge, so erhält man — vor¬
ausgesetzt, dass man es mit einem noch ziem¬
lich frischen Zustand zu thun hat — aus der
Pupille einen eigentümlich dunkelrothen
Reflex bei einem vollständig oder doch nahezu
aufgehobenen Sehvermögen. Bei der Spiegel¬
untersuchung bekommt man entweder ein
ebenfalls dunkelrothes, mattes Licht aus allen
Theilen des Augenhintergrundes zurück oder
— bei sehr intensiven Blutungen — ist das
Augeninnere verdunkelt. Blutextravasate, wel¬
che nur einen Theil des Glaskörperraumes ein-
nehmen, sind leicht dadurch zu erkennen,
dass, während an manchen Stellen durch das
unverändert gebliebene Glaskörperterrain hin¬
durch der Augenhintergrund deutlich und
scharf gesehen werden kann, an anderen
Orten ein röthliches licht reflcctirende Opa-
citäten auftreten, die, verschieden in Form,
Gestalt und Consistenz — wie ja bekanntlich
alle Trübungen im Glaskörper — stets den
entgegengesetzten Weg wie der vordere Ab¬
schnitt des Augapfels bei Rotationen machen.
Gewöhnlich nehmen dann solche partielle
Blutergüsse nach dem Gesetze der Schwere
die tieferen Abschnitte des Glaskörperraumes
ein; ab und zu kann man wohl auch beob¬
achten, dass eine derartige Blutung noch im
Zusammenhänge mit jenem Netzhautgefässe ge¬
blieben ist, dem sie entstammt. Je nachdem die
•Blutung vom Ciliarkörper, der hinteren Chorioi-
dealpartie, der Netzhaut oder der Papilla op¬
tica herrührt, wird sie auch mehr den vor¬
deren oder den hinteren Theil des Glaskör¬
pers einnehmen. In jenen Fällen, in denen
die Blutung nicht sehr stürmisch auftritt und
sonstige Verhältnisse dies noch begünstigen,
kann es stattfinden, dass die Membrana hya-
loidea nicht eingerissen wird, vielmehr er¬
halten bleibt und so dem Blute das Eindrin¬
gen in die eigentliche Glaskörpersubstanz
verwehrt, welches sich nun — begünstigt
durch den äusserst losen Zusammenhang zwi¬
schen Membrana hyaloidea und Retina —
einen Weg zwischen beiden Membranen sucht.
Bei gewöhnlicher Kopfhaltung senkt sich die
Blutmasse n&ch abwärts, man erhält bei der
Spiegeluntersuchung je nach der Dichtigkeit
des Extravasates einen bald etwas helleren,
bald dunkleren rothen Reflex, welcher nach
oben horizontal und scharf abge¬
schnitten ist. Hat hingegen kurz vor der
548 CORPUS VITREUM.
Untersuchung das Thier auf der Seite gele-
en, so nimmt das Blut, dem Gesetze der
chwere folgend, je die rechte oder linke
Hälfte des Augenhintergrundes ein und grenzt
sich mehr durch eine annähernd verticale
Begrenzungslinie ab. Was das weitere Schick¬
sal des einmal ergossenen Blutes anbelangt,
so kann auch hier, wenn anders der Erguss
nicht allzu massenhaft gewesen und die hiezu
berufenen Gefässe noch tauglich sind, eine
Resorption wie in jedem anderen Gewebe
stattfinden; jedoch erfordert es einen immer¬
hin langen Zeitraum, bis das Blut diejenigen
Metamorphosen durchgemacht, nach deren
Ablauf es der Resorption anheimfallen kann.
Bei sehr umfangreichen Blutungen können
dag Sehvermögen in hohem Grade beein¬
trächtigende Trübungen Zurückbleiben. Blu¬
tungen, die längere Zeit und ohne wesent¬
liche Fortschritte in der Resorption zu machen
stabil bleiben, können zu Glaskörperschrum-
en und Netzhautablösung führen.
V. Fremde Körper im Glaskörper.
Von Fremdkörpern, die man im Glaskörper
zu beobachten Gelegenheit hat, sind es meist
Metallkörper, wie Schrotkömer, Eisenspäne
oder Stein- und Glassplitter, die ihren Weg
durch Hornhaut, Iris und Linse, Hornhaut,
Iris und Zonula Zinnii oder die Lederhaut,
diese Gebilde durchschlagend, genommen
haben und sich dann bei der Spiegelunter-
suchung als solche erkennen lassen. Meist
trifft man diese Dinge jedoch nicht mehr in
der Richtung ihrer ursprünglichen Flugbahn
an, wie man dies eigentlich vermuthen sollte,
es kommt vielmehr in vielen Fällen vor, dass
das Corpus alienum, sobald es die hintere
Bulbuswand berührt und nicht mehr im Stande
ist, bei abnehmender und geschwächter Pro-
puisionskraft dieselbe ebenfalls zu perforiren
und in die Orbita zu gelangen, von derselben
abprallt und wieder in den Glaskörper zurück-
geworfen wird.
Die Veränderungen, welche das Ein¬
dringen eines solchen Körpers — was immer
als ein ganz bedenkliches Vorkommniss an¬
zusehen ist — im Augeninnem hervorruft,«
sind verschieden, einmal je nachdem man es
mit einem mit aseptischen oder mit septischen
Stoffen beladenen Körper zu thun hat, und
dann werden sie sich danach richten müssen,
ob die Wunde sich sofort schliesst oder noch
eine Zeitlang klafft und so das Eindringen
von septischen Stoffen ermöglicht. In jenen
seltenen Fällen, in denen es zu bedeutenderen
Reactionserscheinungon von Seite des Glas¬
körpers nicht kommt, bilden sich um das
Corpus alienum dichte Trübungen, die es
einhüllen und so der directen Betrachtung ent¬
ziehen; so kann der Zustand des Auges bei
einem wenn auch herabgesetzten, so doch
immerhin noch annehmbaren Sehvermögen
sich Jahre hindurch gleich bleiben. Leider ist
dies jedoch die Ausnahme von der Regel; in
der Mehrzahl der Fälle bildet sich viel¬
mehr um den fremden Körper herum eine
Trübung, die sich in der Richtung des Wund-
canalcs und nach der verletzten Stelle der I
Augenhäute zu verbreitet, die Trübung wird
rasch dichter und massiger, es kommt zu
einem mit hochgradigen Schmerzen einher-
ehenden Abscess im Glaskörper. Sobald
ieses unglückliche Ereigniss eingetreten,
darf man wohl das Auge im Allgemeinen für
seine Function als verloren ansehen, und die
Sorge muss sich darauf erstrecken, einerseits
dem Auftreten einer sog. sympathischen
Ophthalmie des anderen Auges vorzubeu¬
gen, andererseits die Form des betroffenen
Bulbus nach Thunlichkeit zu conserviren.
Eine Enucleation des erkrankten Auges
im Stadium florider entzündlicher Reizung
vorzunehmen, ist eine selbst das Leben des
Thieres gefährdende Operation, da erfahrungs-
gemäss leicht eine Meningitis sich hinterher
einstellen kann. Ist der Glaskörper so ziem¬
lich in einen Abscess umgewandelt, so ist es
indicirt, durch Punktion denselben theilweise
zu entleeren, wobei man dann wenigstens
einige Hoffnung hat, die Form des Augapfels
zu erhalten. Um eine beginnende Abscedirung
zu beschleunigen, kann man feuchtwarme Um¬
schläge in der Art machen, dass in lauwarmes
Wasser getauchte Stückchen hydrophylen Ver¬
bandstoffes über das Auge gelegt und mit
Guttaperchapapier oder -Leinwand bedeckt
werden.
Als Corpus alienum im Glaskörper ist
auch die dorthin entweder spontan in Folge
von Synchysi8 corporis vitrei luxirte oder
durch Operation oder Trauma versenkte Linse
(Depressio s. Reclinatio Cataractae) anzusehen
und in ihren weiteren Folgen den Fremdkör¬
pern gleich zu erachten.
V. Entozoen. Von Schmarotzern kom¬
men im Glaskörper zwei vor; einer der Classe
der Fadenwürmer angehörig, Filaria papillosa
(Rudolphi)^ beim Pferde und die Vorstufe der
Taenia soliuin hom., der Cysticercus cellu¬
losae, beim Schweine. Während über Zahl und
Häufigkeit des Vorkommens, den Weg seiner
Einwanderung in den Glaskörper von letzterem
Parasiten beim Thiere noch keine specielleren
Arbeiten und Untersuchungen vorliegen und
wir nur wissen, dass er überhaupt neben den
vielen anderen Organen, die er beim Schweine
aufsucht, auch den Glaskörper betritt, liegen
über das Vorkommen der Filaria papillosa
im Corpus vitreum des Pferdes eine Reihe
von Beobachtungen vor.
Die Diagnose der Filaria kann nur mit¬
telst des Augenspiegels gestellt werden. Man
sieht im erleuchteten Augengrunde einen ziem¬
lich gleichmässig breiten, vielleicht ab und
zu an einer Stelle etwas anschwellenden, an
anderen Orten dagegen sich einschnürenden,
leicht geschlängelten, dunklen, bandarti¬
gen Körper, der — so lange der Parasit noch
am Leben ist — selbständige wurmförmige
Bewegungen auszuführen im Stande ist. Eine
grosse Vorsicht in der Stellung der Diagnose
ist jedoch stets nöthig, um nicht Verwechs¬
lungen mit einer nur wurmähnlich gestalteten
membranösen Glaskörpertrübung oder einer
I Arteria hyaloidea persistens zu begehen.
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CORPUS VITREUM.
Die Reizungserscheinungen, die ein sol¬
ches Thier, welches als fremder Körper wirkt,
hervorrnft, sind stets schwerer Natur.
Eine Therapie, die allein in der Extrac¬
tion der Filaria bestehen könnte, ist immer¬
hin problematisch.
VI. Arteria hyaloidea persistens.
Bekanntlich sind die im extrauterinen Leben
gefässlosen Glaskörper und Linse des Auges
während ihrer embryonalen Entwicklungs-
periode blutgefässhaltige Theile, die durch
einen Ast der Arteria centralis retinae ihr
Ernährungsraaterial erhalten. Dieses Gefäss
zieht, von der Papilla nervi optici entsprin¬
gend, mitten durch den Glaskörper, gibt für
diesen einzelne Zweige ab, schiebt sicn dann
gegen den hinteren Pol der Linse vor, wo
es in eine Anzahl feiner und feinster Aest-
chen zerfällt, welche die Membrana capsu-
laris und damit die Linse selbst versorgen.
Während es nun Regel ist, dass diese Arteria
hyaloidea zur Zeit der Geburt oder kurze Zeit
später, nachdem sie ihren Zweck erfüllt und
die Ernährung des Glaskörpers und der Linse
auf anderem Wege besorgt wird, sich zurück¬
bildet, um schliesslich ganz zu verschwinden
und nur den Canalis hyaloideus als Zeichen
ihres einstigen Verlaufes zurücklässt, kann es
in einzelnen Fällen geschehen, dass das Ge-
fäss um lange Zeit später oder auch gar
nicht verschwindet, vielmehr persistiren bleibt
und entweder als obliterirter Strang oder mit
noch ganz oder theilweise offenem Lumen und
blutführend beim erwachsenen Thiere gefun¬
den werden kann. Eine solche Anomalie lässt
sich intra vitam bei der ophthalmoskopischen
Untersuchung erkennen, wo dann die sog.
Arteria hyaloidea persistens als dunkler
— wenn obliterirt oder als leicht röthlich
schimmernder, wenn noch blutführend —
Strang gesehen wird, welcher, von der Papilla
nervi optici abgehend, sich in leichter Win¬
dung oder Schlängelung gegen den hinteren
Pol der Linse hinzieht, um hier meist un¬
deutlich sich zu verlieren. Da dieses Gebilde
bei Bewegungen des Augapfels meist leichte
Excursionen macht, so liefet eine Verwechs¬
lung mit einer Filaria papillosa (beim Pferd)
im Bereiche der Möglichkeit, vor der man
sich zu hüten hat.
VII. Ablösung des Glaskörpers. Als
Ablösung des Glaskörpers oder Abhebung der
Hyaloidea bezeichnet man einen Zustand, bei
welchem die normaler Weise der Retina voll¬
ständigst anliegende Grenzmembran, die
Membrana hyaloidea, sich theilweise von der¬
selben entfernt und retrahirt. Eine solche,
wirkliche Glaskörperablösung kann in jenen
Fällen Vorkommen, bei welchen durch den
rapiden Austritt eines Theiles des Contentums
der Augenkapsel, sei er Kammerwasser, Linse
oder Glaskörper, die Druck- und Circulations-
verhältnisse innerhalb des Augapfels plötz¬
lich eine bedeutende Aenderung in dem hin¬
teren Augenabschnitte erleiden.
Findet eine solche Ablösung in jenen
Theilen des Augengrundes statt, die einer
directen Untersuchung mittelst des Augen-
3i9
Spiegels zugänglich sind, so ist man auch im
Stande, dieselbe am lebenden Thiere zu
diagnosticiren. Da jeder Abhebung der Hya¬
loidea von der Retina, wie bereits oben ange¬
deutet, eine — meist auf traumatischem Wege
erfolgende — Verminderung des Glaskörper¬
volumens vorausgeht, so wird die nun nicht
mehr in dem früheren Masse gespannte
Membran sich retrahiren und theilweise
falten, und differential-diagnostisch wichtig
ist hiebei, dass die Faltenbildung nicht immer
die gleiche bleibt, vielmehr eine wechselnde
ist. Gefässe kann man auf der gefalteten —
normaler Weise schon gefässlosen — Hyaloidea
nicht erblicken, und dieses Verhalten schützt
vor Verwechslungen mit Netzhautablösungen,
wo man, wenigstens bei jenen Thieren, welche
ein ausgebreitetes, sichtbares Netzhautgefäss-
system besitzen, die Netzhautgefässe als
dunkle, schlangenförmige Linien über die Falten
ziehen sieht.
VIII. Knochenbildung im Glas¬
körper (Osteoma corporis vitrei). Ein
— besonders beim Pferde — nicht allzu
seltenes Vorkommniss ist die Neubildung von
echtem Knochengewebe im Glaskörper.
Meist sind es phthisische Augäpfel, deren
Glaskörper aus irgend welcher Ursache eine
Entzündung durchzuraachen hatte, als deren
Folge eine Schrumpfung und fibröse Ver¬
dickung des Glaskörpers eintrat; in einem
so veränderten Gewebe kann es dann ge¬
legentlich zur Bildung echten Knochengewebes
dort kommen, wo normal eine schleimige, gal¬
lertige Masse vorhanden gewesen — hetero¬
plastische Knochenneubildung. Bald findet
man eine vereinzelte, peripher entstandene, an
die Netzhaut angelagerte Knochenschale, bald
einen mehr central gelagerten Kern, mitunter
ereignet es sich, dass der Glaskörper in seiner
ganzen Masse in schwammiges Knochengewebe
umgewandelt wird, zwischen dessen einzelnen
Balken und Blättern sich mit gallertigem
Gewebe angefüllte Lagunen vorfinden (Osteoraa
spongiosum).
Klinisch bietet diese Veränderung kein
weiteres Interesse, da sich derVerknöcherungs-
process, wie bereits erwähnt, nur in ge¬
schrumpften und atrophischen, somit völlig
erblindeten Augäpfeln abspielt, deren Horn¬
haut, Linse etc. etc. schon so hochgradige
Veränderungen erlitten haben, dass ein Ein¬
blick in das Innere des Auges mittelst des
Augenspiegels nicht mehr gewonnen werden
kann. Bei der Betastung des Bulbus kann
nur ein in seiner ganzen Ausdehnung ver¬
knöcherter Glaskörper durch seine Härte auf¬
fallen, und auch dann kann eine Verwechslung
mit einer ausgebreiteten schalenförmigen Ossi-
fication der Chorioidea (s. u. Aderhaut) nicht
immer ausgeschlossen werden, namentlich
wenn man weiters bedenkt, welchen Wider¬
stand an und für sich die in phthisischen
Augäpfeln oft enorm verdickte Sclera dem
tastenden Finger entgegensetzt.
Literatur: Schwalbe, Anatomie der Sinnesorgane
in Hoffmann'j» Lehrbach der Anatomie des Menschen.
Grafe-Slmisch, Handbuch der gedämmten Augenheil-
250
CORRECTIONSBOCK. — CORSISCHES RIND.
lciM^e, Bd. I., IV. Cap. (Anatomie.) — Berlin, Zeitschrift
iflr vergl. Augenheilkunde von Berlin. Eversbnsch,
Bd. II, 1883 (Syncbysis scintillans). Gräfe-Simlscb,
Handbuch der gesammten Augenheilkunde, Bd. 1Y, 2. Theil,
pag. 871—746. (l'athologie.) Schtampp.
Correctionsbock, s. Constantirungsbock.
Correlation (abgel. von con- und relatio,
Verhältniss). Als Correlation des Wachs¬
thums bezeichnet Darwin die gemeinsamen
Beziehungen, welche in der qualitativen und
quantitativen Entwicklung zwischen gewissen,
gewöhnlich in dem Verhältnisse physiologischer
Cooperation sich befindenden Theilen oder
Charakteren des Organismus im Falle des
Variirens bestehen; bei Variiren der einen
tritt auch ein solches der anderen ein; stärkere
Entwicklung der Geschlechtsorgane ist z. B.
gewöhnlich vergesellschaftet mit einer solchen
der sog. secundären Geschlechtsorgane (Milch¬
drüse, sexuale Kampforgane etc.). Zwischen
den verschiedenen Organen und Charakteren
eines Lebewesens kann aber auch das Ver¬
hältniss der Discorrelation bestehen, d. h. es
kann das höhere Entwicklungsmass des einen
eine geringere Ausbildung des anderen zur
Folge haben; in diesem Verhältniss stehen
z. B. Füsse und Flügel bei den Vögeln,
Mehrgebrauch der ersteren bedingt eine
Mehrentwicklung derselben auf Kosten der
letzteren und umgekehrt. Endlich findet das
Variiren eines Organes ganz unabhängig von
dem eines anderen statt, ein Verhältniss der
Unabhängigkeit. Sussdorf.
Corrigentia. Es gibt Arzneimittel, welche,
wenn sie combinirt werden, ihre Action da¬
durch modificiren, dass sie dann entweder
eine ähnliche Wirkung ausüben oder aber eine
entgegengesetzte. Im ersteren Falle summirt
sich der Effect beider, das Eine unter¬
stützt also das Andere (Adjuvantia, s. d.),
in letzterem Falle tritt eine Herabsetzung
der Wirkung beider ein, unter Umständen
sogar eine völlige Aufhebung der Wirkung
des einen, was man als Antagonismus zu be¬
zeichnen pflegt und besonders bei Vergif¬
tungen verwerthet. Indessen ist diese Wir¬
kung nicht immer so scharf ausgesprochen,
vielmehr erfolgt sic in bestimmten Grenzen;
in dieser Weise kann daher ein Arzneimittel
gewisse Nebenwirkungen eines anderen auf-
heben und die Hauptwirkung in entschiedener
Weise hervortreten lassen. Man nannte dies
früher eine Conection der Wirkung und das
Mittel, welches solche Nebenwirkungen eines
anderen neutralisirte — Corrigens. Will man
z. B. die metallischen Mittel, Vitriole, Theer
u. s. w. längere Zeit fortgeben, ohne dass
Nebenerscheinungen in den Verdauungs¬
organen auftreten, so corrigirt man dieselben
durch Amara-aromaticn, und wenn man von
dem Kalomel nur die antiplastische Action
profitiren will, hebt ntan durch Opium die
laxirende Nebenwirkung auf. Vogel.
Corrosiva. Arzneimittel, welche, indem
sie vermöge ihrer Affinität zu den Gewebs-
eonstituentien sich mit diesen zu Verbin¬
dungen vereinigen oder auf eine andere
Weise, z. B. durch Oxydation einwirken,
erstere dergestalt verändern, dass sie ihre
Lebensfähigkeit einbüssen und daher abge-
stossen werden müssen, nennt mah corro-
dirende oder Corrosivmittel. Das Nähere siehe
bei Aetzen und Caustica. Vogel.
Cor8i8che8 Pferd. Auf der Insel Corsica
wird seit ältester Zeit ein kleines ponyartiges
Pferd gezüchtet, welches dem sardinischen
Pony, dort „Acchetta“ genannt, verwandt sein
und wie dieses einen hübschen, zierlichen
Gliederbau und viel Feuer besitzen soll. Diese
Pferde wachsen in einem halbwilden Zustande
auf, müssen sich in den ersten Jahren ihres
Lebens, nachdem sie von der Mutterstute
verlassen sind, ihr Futter auf den Bergen in
der Regel selbst suchen und kommen erst
dann in Stall, Fütterung und Pflege, wenn
sie drei- oder vierjährig eingefangen ihren
Besitzern Dienste leisten sollen. Der cor-
sische Pony besitzt einen hübschen vier¬
eckigen Kopf mit lebendigen Augen und
kleinen, sehr beweglichen Ohren. Ihr nicht
zu langer Hals ist gut aufgestützt, trägt eine
starke Mähne und schliesst sich an die gut
gestellten Schultern hübsch an. Ihr Leibesbau
ist meistens gedrungen; sie haben einen sehr
kräftigen Rücken, eine abgerundete Kruppe
mit hochangesetztcm Schweife, welcher in der
Regel hübsch getragen wird. Die Mehrzahl
dieser Pferdchen besitzt gute Gliedmassen
mit festen Hufen. Die braune Haarfarbe
herrscht vor; besonders häufig sollen Gold¬
braune sein. Man benützt die Thiero zum
Reiten und Lasttragen auf ihren heimat¬
lichen Bergen. Alljährlich werden viele der-
derselben nach Süd-Frankreich exportirt, und
dort — hauptsächlich in Marseille — ver¬
wendet man sie zum Zuge kleiner, zierlicher
Wägelchen. Auf Corsica fanden früher —
vielleicht auch heute noch — ähnliche Wett¬
rennen (Arringu) wie auf Sardinien mit jungen
Pferden statt, bei welchen kleine Knaben auf
den Rücken der halbwilden Fohlen gesetzt
wurden und mit diesen dann Wegstrecken von
6000 m bergauf, bergab zu durchjagen hatten. Fg.
Gordisches Rind. Man zählt auf der Insel
Corsica ungefähr 45.000 Rinder, worunter ca.
2600 Stiere und 14.000 Kühe. Diese Thiere
leben zumeist in voller Freiheit in den Makis
(Name für Gestrüpp oder Gebüsch auf Cor¬
sica) und vermehren sich ohne directe Inter¬
vention der Besitzer. Die Letzteren befassen
sich mit den Thieren nur insofern, als sie
dieselben in das Joch spannen, sobald sie
sie zur Verrichtung der geringen agricolen
Arbeiten während der Säezeit gebrauchen.
Im reifen Alter erreicht die Grösse der Rin¬
der 1 • 15—l*25m. Ihre Farbe ist fast immer
mehr oder weniger fahlroth, manchmal fast
völlig schwarz. Nach Bellon betrug unter
1599 Thieren (Ochsen, Kühe oder Kälber),
welche in einem Jahre in Bastia geschlachtet
worden, das Netto-Durchschnittsgewicht des
Fleisches 70 kg. Das Rendement der Ochsen
beträgt 47—48 für 100; die Milchergiebig¬
keit der Kühe ist wenig entwickelt; zur besten
Zeit geben sie 6—8 1 per Tag. Am Ende des
zweiten Monats nach dem Werfen stellen sie
die Milchabsonderung gänzlich ein. Die Ver-
CORSISCHES SCHAF. — COR VILLOSUM.
«dlung dieser Rasse wird durch die Boden¬
besch Offenheit Corsicas stark gehindert» Das
Band umfasst nämlich 578.000 ha unculti-
virten und blos 85.920 ha bebauten Boden. Nn .
Coreisches Schaf. Es gibt in Corsica
ungefähr 255.000 Schafe etc. Die Schafe sind
klein, grob, wiegen nicht viel mehr als 18 kg
und liefern höchstens 8 kg Fleisch. Ihr gro¬
bes Vliess hat nur einen ungenügenden com-
merciellen Werth. Sie nähern sich dem sar-
dinischen Schafe (s. Bergschaf). Neumann.
Cor8i8che8 Schwein. Dasselbe gehört
zur neapolitanischen, romanischen oder iberi¬
schen Rasse und repräsentirt deren reinen
Typus. Es ist nicht sehr gross, hat vortreff¬
liche Formen und liefert ein Fleisch erster
Qualität Neumann .
Cortex(v. contegere, bedecken), die Rinde,
s. Cortices.
Corticalsohicht, s, Knochen.
Cortices, Rinden. Sie bestehen meist aus
dünnwandigen, Intercellulargänge bildenden
Zellen, die jedoch gegen die Epidermis zu
mehr und mehr dickwandig und ganglos
werden und dann auch keinen Saft oder keine
Chlorophyllkörner mehr haben; man nennt
dieses Gewebe
Collenchy m,wie es besonders in derRinde
der Stengel vieler Kräuter enthalten ist, und
Sklerenchym, wenn die Zellen stark
verdickt und verholzt sind. Bei dem Ein¬
sammeln für pharmaceutische Zwecke löst
man die Rinden in der Hypoderma (Cambium-
schicht) ab und trocknet sie; dünne, junge
Rinden rollen sich dabei zu hohlen Cylindem
oder Halbröhren auf (Zimmt), während sich
die der grösseren Baumstämme nur wenig
krümmen (Chalisayarinde). Die Aussenfläche
ist nur bei jungen Rinden glatt, sonst mehr
runzlig, durch Wucherung des Korkes borkig,
leistenförmig, rissig und furchig, mehr oder
weniger mit Flechten und Moosen bedeckt,
auch erkennt man junge Rinden daran, dass
sie häufig Glanz haben und heller sind, die
älteren stets dunkler. Die Aussenrinde (Exo-
phloeum) hat nur bei jungen Rinden Epiderm,
denn dieses kann dem Wachsthum bald nicht
mehr folgen, wird gesprengt und durch poly¬
morphen Kork ersetzt, dessen äussere Schicht
aus Tafelzellen besteht, Platten- oder Leder¬
kork heisst und dessen innerste Zellschicht
das Korkcambium (Phellogenschicht) bildet;
die Mittelrinde ist aus den eigentlichen ver¬
schieden gestalteten Parenchymzellen zu¬
sammengesetzt und enthält auch ziemlich
viel wirksame Bestandteile, sie ist aber
auffallend dünn, geht rasch in die Innen¬
rinde oder den
Bast (Endophloeum, Liber) über, der
die wichtigste Partie aller Rinden darstellt
und manche officinelle Rinden bestehen
geradezu nur aus ihm, wie Chalisaya und
Zimmt. Der Bast combinirt sich mit den
Haupt- und Nebenmarkstrahlen in der ver¬
schiedensten Weise und setzen sich diese zu
den Bastfasern oder Strahlen zusammen, die
entweder ordnungslos zerstreut oder zu Faser¬
bündeln vereinigt sind und eben die Zusam¬
251
mensetzung derselben ist es, welche für die
Diagnostik der Rinden massgebend ist; auch
hängt von dem Bau der Innenrinde, von der
Art der Faservertheilung und Gruppirung,
von ihrer Gestalt oder dem Fehlen derselben
die Art des Querbruches der Rinden ab,
welcher bald eben (korkartig), bald körnig,
splitterig, faserig oder bandartig ist. Als
Inhalt der Rinden findet man in den
theils parenchymatösen, theils prosenchyma-
tösen Schichten am häufigsten eine auf Gerb¬
stoff reagirende Substanz, ferner Stärkemehl,
Chlorophyll in den jüngeren, andere Farbstoffe
in den älteren Markstrahlen; ebenso sind Harze
und ätherische Ocle, sowie Schleim häufig ent¬
halten, urie dies bei den einzelnen Rinden
näher angegeben ist. Für thierärztliche Zwecke
werden übrigens nur wenige verwendet und
sind dieselben folgende:
Cortex Chiüae, s. Cinchona. Cortex
Cinn&moraae, s.Cinnamomum, Zimmt. Cor¬
tex Citri, Citronenschale, s. Citrus. Cortex
Coto, s. Cotorinde. Cortex Condurango,
s. Letzteres. Cortex Granati, s. Punica
Granatum. Cortex Quebracho, s. Letzteres.
Cortex Querens, Eichenrinde, s. Quercus
pedunculata. Cortex Salicis, Weidenrinde,
s. Salix. Vogel .
Corti'sches Organ, Corti’sche Fasern,
Corti’sche Membran, Corti’sche Zellen sind
Gebilde des Canalis cochlearis im inneren
Ohre (s. Gehörorgan). Sussdorf.
Cor vill08um, s. cor lursutum s. c. topien-
tosum, das Zottenherz (v. cor, das Herz; vil-
lus, das Fell, die Zotte: hircus, der Bock;
hirsutus, struppig; tomentosus, filzig, mit Filz
überkleidet) entsteht im Verlaufe der Herz-
und Herzbeutelentzündung, wenn sich auf dem
Herzen fibrinöse Exsudatmassen ablagern und
diese, so lange sie noch weich, geronnenem
Eiweiss ähnlich sind, mit (lern Pericardium in
Reibung treten. Herz und Pericardium ver¬
kleben locker miteinander, werden aber 6tets
wieder bei den Herzcontractionen auseinander
gerissen, die Umflächen des Herzens erhalten
dadurch ein zerhacktes, höckeriges, zottiges
und filziges Ansehen. Der zottige fibrinöse
Ueberzug erreicht namentlich in der trauma¬
tischen Pericarditis und Carditis der Rinder,
welche aus Verletzungen von Seiten ver¬
schluckter spitzer und in die Brusthöhle vor¬
gedrungener Fremdkörper hervorgeht, eine
ansehnliche Stärke, er umhüllt das Pericardium
wie ein Mantel. Organisirt sich das fibrinöse
Exsudat, wobei es trockner und fester wird,
zuweilen das Herz schwartig einkapselt, so bringt
es den Herzmuskel zur Atrophie, das Herz
wird kleiner und welk. DasOor villosum ver-
räth sich, ausser den Symptomen der Herz¬
entzündung (s. d.), durch Reibegeräusche,
welche nicht nur gehört, sondern öfter auch
mit der in der Herzgegend aufgelegten Hand
gefühlt werden können; die Herzcontractionen
erschlaffen, Herzschlag und Puls fühlen sich
unregelmässig, letzterer klein, öfter sinkt beim
Herzschlag der Intercostalraum in der Herz¬
gegend ein. In der Regel führt das Zotten¬
herz zum Tode oder es bedingt, wenn die
252 CORVINI. — COTSWOLD-SCHAF.
exsudativen Auflagerungen nicht, sehr erheb¬
lich sind, chronisches Siechthum. Anacker.
Corvini Lorenzo, war Professor an der Ve¬
terinärschule zu Mailand, gab die Zeitschrift:
„II Veterinario“ heraus und schrieb über
Impfung der Lungenseuche. Semmer.
Coryza avium, Nasenkatarrh der
Vögel (v. xopoCa, Schnupfen; avis, der Vogel),
s. Katarrh der Athmungsorgane unter „Cana-
rienvogelkrankheiten.“ Anacker.
Co8metioa sind solche Stoffe, welche den
ganzen Körper oder einzelne Theile desselben,
sei es durch mechanische Beseitigung der
Haare, des Sporns, unregelmässiger Abzeichen,
Entfernung von Unreinlichkeiten, sei es durch
Herstellung der natürlichen Farbe der Haare
oder durch Verdeckung übler Gerüche u. s. w.,
in einen mehr wohlgefälligen Zustand zu
versetzen geeignet sind, sie werden daher
auch als Schönheitsmittel bezeichnet und
spielen selbstverständlich beim Menschen
eine grössere Rolle, als bei den Hausthieren,
doch bedienen sich die Pferdehändler eben¬
falls solcher cosmetischer Mittel, indem sie
durch Scheeren der Haare nachhelfen, ab¬
scheuliche Abzeichen färben oder ausschneiden
lassen, innerlich durch Arzneimittel oder
Diätetica mehr Embonpoint und Glanz der
Haare hersteilen (roher Spiessglanz, Arsenik,
Phosphor, extensiv nährende Futtermittel);
ebenso können hieher gezählt werden die
gegen Hautaus schläge gerichteten Mittel,
Antiparasitica, die Seifen. Entfernung cariöser
Zähne u. s. w. Vogel.
Coso (Kuso, Kusso), Cosoblüthen, richtig
geschrieben nach Ph. G. Koso, nach Ph. A.
Kousso oder Kosso (Flores Brayerae anthel-
minthicae), s. die Stammpflanze Hagenia
Abyssinica. Vogel.
Cotentin-Rind. Dasselbe gehört zur haupt¬
sächlichsten der beiden grossen Varietäten
der normandischen Rasse (s. d.). Es erhält
seinen Namen von der Halbinsel Cotentin,
welche den grössten Theil des Departements
der Manche ausmacht. Es ist gross; die Ochsen
kommen bis auf l*80m und darüber, manch¬
mal sogar bis über 2 m, einige darunter sind
wahrhafte Riesenthiere, so z. B. der Boeuf
gras von 1846, welcher 2* 46 m hoch war.
Die Kühe sind, selbst verhältnissmässig, viel
kleiner, indessen erreicht ihre Grösse manch¬
mal l*35m. Ihr Kopf ist stark, häufig kurz,
mit breiter Schnauze und tiefgeschlitztem
Maul. Die Hörner sind glatt, eher kurz als
lang, nach vorne gerichtet, sich eines gegen
das andere wendend und die Stirne einrah¬
mend. Der Körper ist lang, massiv, der Bauch
entwickelt, die Gliedmassen, das Skelett volu¬
minös. Die Knochenvorsprünge sind scharf
ausgesprochen. Die Brust ist zumeist eng
und wenig tief, der Rücken ein wenig schnei¬
dig; die Lenden sind lang und nicht sehr
breit, die Hüften häufig eingeengt. Die Euter
sind umfangreich, aber nicht selten von un¬
regelmässiger Form mit dicken Strichen. Ob¬
gleich die Haarfarbe dieser Thiere wenig
Gleichförmigkeit hat, ist die am meisten vor-
koramende Farbe hell- oder dunkelbraun, mit
senkrechten, unregelmässigen braunen oder
schwarzen Streifen durchzogen. WeisseFlecken
sind häufig. Diese specielle Haarfarbe wird
mit dem Namen „Bringö“ bezeichnet. Die
Cotentin-Kühe sind sehr milchergiebig, die
Ochsen sind als Schlachtthiere im besten
Rufe (Weiteres siehe unter normandisches
Rind). Neumann.
Cotentin-Schwein. Varietät der norman¬
dischen Rasse, welche besonders im Departe¬
ment der Manche gezogen wird. Mit dem
Augeron-Schwein verglichen, hat das von
Cotentin dickere Haut, härtere Borsten
und längere Schenkeln (siehe normandisches
Schwein). Neumann.
Cotheniu8, deutscher Arzt, Professor in
Berlin und erster Rathgeber zur Errichtung
einer Thierarzneischule in Deutschland im
18. Jahrh. Er schrieb: „Pensöes sur la nöces-
sitö d’une öcole vötörinaire. Berlin, 1768.“ Ar.
Cotorinde, Cortex Coto, in neuerer Zeit
wieder mehr angewendetes Antidiarrhoicum,
welches chinaähnliche Adstringirstoffe enthält,
ohne dass aber die Wirkung derselben mit
der der Gerbsäure übereinstimmt. Es sind
zwei Rinden, die Paracoto- und Cotorinde,
beide stammen von Bäumen Bolivias, die
botanisch noch nicht näher bekannt sind,
wahrscheinlich aber Laurineen (L. IX) sind.
Die wirksamen Bestandtheilc beider aroma¬
tisch riechenden, aber therapeutisch wegen
Reizung des Magens nicht anzuwendenden
Rinden sind das Coto'in, iin heissen Wasser
leicht löslich, sowie das (der grossen Schwer¬
löslichkeit wegen nur in Palver zu verab¬
reichende) Paracotoln. Gesunden Menschen
oder Hunden gegeben erfolgt keine Verände¬
rung, als Steigerung der Esslust und Ver¬
zögerung der Darmausscheidung, wenn öftere
Gaben von 0 * 05—0 * 1 gegeben werden; Kanin¬
chen erweisen sich indifferent, selbst wenn
1*0 gegeben wird, ebenso mittelgrosse Hunde
auf 2*0—3*0, immer aber zeigte sich das
Paracotoln quantitativ etwas schwächer, wäh¬
rend beide ohne Beschwerden gleich gut er¬
tragen werden, denn weder die peptische, noch
die diastatische Verdauung wird beeinträchtigt.
Die bis jetzt gemachten therapeutischen Er¬
fahrungen erstrecken sich nur auf Menschen
und Hunde, und hat sich dabei übereinstim¬
mend gezeigt, dass namentlich Durchfälle
jüngerer Subjecte recht günstig beeinflusst
werden und nur ganz im Anfang bei Magen
darmkatarrhen Opium vorzuziehen, bei sub-
acutem oder chronischem Verlauf aber Cotoln
besser sei.
Cotolnum wird entweder als Pulver
mit Zucker für Hunde zu 0*05—0*2 mehr¬
mals im Tage (vier- bis fünfmal) gegeben,
oder mit etwas Weingeist und Syrup in Mix¬
turen mit Gummiemulsionen.
Paracoto inum in etwas stärkeren Dosen
nur als Pulvis mit Zucker. Tinctura Coto zu
10—20 Tropfen. Vogel.
Cot8WOld-$chaf. Der Name stammt nach
D. Low von den Worten Cote und Would.
Cote erklärt er mit a sheep-fold. Fold heisst
eine Hürde, ein Pferch, ein Stall wird dann
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COTYLEDONEN. — COUPIBEN.
*53
aber auch für „Schafheerde 1 gebraucht. Would
erklärt derselbe mit a naked hill ein nackter,
unfruchtbarer Hügel. Die Bezeichnung Cots-
wold würde sich daher als „Schaf der nackten
Hügel 44 wiedergeben lassen. Seinen Heimats¬
bezirk haben wir in einem Theile der Graf¬
schaft Gloucester zu suchen, der aus nicht
sehr hohen Kalkhügeln besteht. Zum Theile
sind dieselben noch nicht cultivirt, doch aber
der Cultur fähig. Auf den meisten selbst
noch uncultivirten Theilen findet man kurze,
süsse Gräser in reichem Maasse gedeihen, die
den Thieren eine vorzügliche Nahrung bieten.
Schon in sehr alten Zeiten war die Wolle
des CoUwold berühmt, schon im Jahre 1437
wandte sich König Don Duarte von Portugal
an den König Heinrich VI. von England mit
der Bitte, ihm freie Ausfuhr von 60 Säcken
Cot8woldwolle zu gestatten, um sich daraus
für eigenen Gebrauch goldgestickte Gewänder
in Florenz fertigen zu lassen. Stowe erzählt,
dass König Edward IV. von England (1463
bis 1481) mit den Königen Heinrich von Casti-
lien und Johann von Arragonien einen Vertrag
schloss, in welchem auch die Bedingung der
Ausfuhrbewilligung für einige Cotswoldschafe
eingeschlossen war; diese sollen dann in Spa¬
nien sich mächtig ausgewachsen und stark
vermehrt haben. Auch Camden schildert das
Cotswoldschaf im Anfänge des XVI. Jahr¬
hunderts zwar als langhalsig und vierschrötig
von Knochen, entsprechend den ihm gebotenen
Lebensbedingungen, dabei abermiteinerWolle,
die so sanft und fein ist, dass sie bei allen
Nationen in dem höchsten Ansehen steht.
Ebenso schreibt Adam Speed im Jahre 1689:
„Auf den sog. Cotswoldhügeln wird eine Schaf¬
rasse gezüchtet, welche eine so gute Wolle
gibt, dass sie der spanischen in nichts nach¬
steht, aus welcher man einen so feinen Faden
spinnen kann, wie aus Seide. 41 Das heutige
Cotswoldschaf ist nun allerdings, namentlich
was die Wolle betrifft, gewaltig von dem
eben geschilderten verschieden. Es gehört zu
den mischwolligen Rassen, welche in fast
überschüssiger Menge ein markhaltiges Gran¬
nenhaar von bei zwölfmonatlichem Wüchse
circa 20 cm Länge, dazwischen ein etwas
feineres markfreies Wollhaar von circa 15 cm
Länge tragen. Das Haar hat einen etwas
seidenartigen Glanz und ist in starken Locken
angeordnet, die sich aber mehr verlieren, je
länger die Wolle auf dem Schafe steht. Die
Farbe der Wolle ist durchaus weiss, mit wenig
Fettschweiss durchsetzt. Der Bauchbesatz
ist sehr locker, Kopf und Beine bis über
das Knie und das Sprunggelenk hinauf mit
kurzen weissen Haaren besetzt. Beide Ge¬
schlechter sind ungehörnt; auch die Grösse
ist bedeutend, es ist das grösste Schaf aller
Culturzuchten, wird höchstens von dem Ros-
cornmon darin Übertroffen. Es erreicht in ge¬
schorenem Zustande eine Schulterhöhe von
76 cm und darüber, im Medianschnitte von
der Spitze des Brustbeines bis zur Spitze des
Sitzbeines 94 cm und darüber.
Bei solcher Grösse und vielleicht eben
deshalb sind die Fleischformen oft nicht
die besten. Das Knochengerüst ist fast zu
massenhaft, der Kopf, wenn auch kurz und
stumpf im Gesichtswinkel, schwer. Der Hals
ist kurz und stark, der Widerrist-platt, der
Rücken gerade, die Nierenpartie und Kruppe
lang. Der Schwanz ist lang und dürr, reicht
bis an den halben Unterfuss und ist buschig
mit Wolle bewachsen. Der Spalt ist sehr häufig
zu hoch eingesebnitten, daher die Keulen oft
nicht genug fleischig. Auch das Fleisch ist nicht
so gut wie bei vielen anderen Fleischzuchten.
Bei der Mästung wird das angesetzte Fett
eines Theiles als Netz- und Nierentalg, dann
aber hauptsächlich zwischen Haut und Körper
abgelagert; das Muskelfleisch bleibt mehr
trocken, weniger mit Fett durchsetzt, nicht
marmorirt, wie es in der Fleischersprache
heisst. Alles dies lässt uns vermuthen, dass
das frühere feinwollige Cotswoldschaf, wie es
uns von den Schriftstellern des XVI. und XVII.
Jahrhunderts geschildert wurde, vollständig un¬
tergegangen, durch andere Rassen, Schläge oder
Zuchten ersetzt worden sei. Auch D. Low ist
dieser Ansicht, er glaubt, dass die Einführung
einer anderen mehr fleischwüchsigen Rasse u.zw.
erst Ende des vorigen Jahrhunderts stattge¬
funden habe, da damals erst in jenen Gegen¬
den das Gemeindegut in gesonderten festen
Besitz übergegangen sei und erst in Folge
dessen Ackerbau und namentlich der Anbau
künstlicher Futtermittel habe platzgreifen
können. Jedenfalls ist die UeberfÜhrung der
neuen Rasse aus ebenen und futterreichen Ge¬
genden geschehen. Die Züchter dieser neu ein¬
geführten Rasse scheinen sich aber auch noch
nicht mit den Resultaten dieser neuen Zucht
begnügt zu haben. Das Thier war ihnen nicht
frühreif genug, man hat also schon jeden¬
falls in Anfänge dieses Jahrhunderts New-
Leicester-Blut cingemischt. Das heutige Cots¬
woldschaf kann daher streng genommen nicht
als Rasse, höchstens als consolidirte Kreuzungs¬
zucht angesehen worden. Vielfach ist das Cots¬
woldschaf auf dem Continente, namentlich in
den Marschen Norddeutschland und Hollands
mit grossem Erfolge zur Kreuzung der hei¬
mischen Rassen verwendet worden. Auch mit
Merinos hat man es öfter gekreuzt, doch dort,
wo nicht sehr kräftige Futterverhältnisse waren,
nicht immer mit günstigem Erfolge. Bohm.
Cotyledonen, S. Gebärmutter (der Wieder¬
käuer).
Couesme, französischer Veterinär, gab
1857 heraus „Art hippiatrique, mödicine thöo-
retique et pratique vöterinaire reduite ä la plus
simple expression. 44 Kock.
Coulommier8-Kä8e sind kleine in der
Gegend von Coulommiers (Frankreich) be¬
reitete Briekäse. 3 cm dick, 13 cm im Durch¬
messer, im Gewichte von 450 g. Fescr.
Coupiren, Courtiren, Schweifabschlagen,
Stutzen, Amputation des Schweifes. Wenngleich
manche Kraukheitsprocesse an der Schweif¬
rübe (als: Brand. Caries der Schweifwirbel,
Fisteln, Geschwüre, Neubildungen, Verkrüm¬
mungen der Schweifspitze), suwie die Verwen-
dungsweise und gewisse Untugenden der
Thiere (Schiffspferd«*, weiblich*' Schafe, Strang-
COUPIRSCHERE.
tu
achläger, kitzliche Stuten) zur Vornahme die¬
ser Operation Veranlassung geben können,
so ist dieselbe doch meist bei Pferden und
Hunden eine Luxusoperation, durch die Mode
bedingt, da man glaubt, den Thieren auf diese
Weise ein schöneres, gefälligeres Aussehen zu
geben. Der Sitz der Krankheit und der Wunsch
des Eigentümers bestimmt die Amputations¬
stelle. Als Regel gilt, die Trennung zwischen
zwei Wirbeln, also im Zwischenknorpel vorzu¬
nehmen. Diese Stellen sind einerseits durch
die Beweglichkeit, anderseits durch die leichte
Anschwellung gekennzeichnet, welche durch
das Zusammenstossen der etwas verdickten
Wirbelenden entsteht. Pferde werden zur Vor¬
nahme dieser Operation gebremst, eventuell
denselben ein Vorderfuss aufgehoben oder die
HinterfÜsse gespannt. An der Operationsstelle
werden die Haare des Schweifes quer geschei¬
telt, die zurückbleibenden nach aufwärts ge¬
schlagen und dann 3—5 cm oberhalb der Ope¬
rationsstelle mittelst eines starken Bandes fest
zusammengebunden. Auf diese Art wird ausser
dem Fixiren der Haare auch noch die Blut¬
stillung bewirkt oder doch unterstützt. Die
Amputation wird entweder blos mit einem
starken scharfen Messer oder zweckmässiger
mittelst der Coupirschere vorgenommen. Im
ersteren Falle wird der horizontal gehaltene
Schweif auf einen Holzblock gelegt, das
Messer auf die obere Seite des Schweifes an
der betreffenden Stelle aufgesetzt und durch
den Schlag eines hölzernen Hammers duacli
den Schweif hindurch getrieben. Da jedoch
das Messer mitunter in den Knochen dringt
und daselbst stecken bleibt, somit die Ope¬
ration nicht mit einem Schlage beendet wer¬
den kann, so empfiehlt es sich, eine Coupir¬
schere zu verwenden, da bei der grossen
Hebelkraft des Instrumentes auch die stärke¬
ren Wirbeln, falls sie getroffen werden, rasch
durchtrennt werden. Hiebei hält ein Gehilfe
den Schweif horizontal, der Operateur legt
das Instrument derart an, dass
die Schweifrübe in den halb¬
kreisförmigen Ausschnitt der
Schere zu liegen kommt und
drückt dann rasch und kräftig
die beiden langen Hebelarme
zusammen, wodurch der schnei¬
dende Theil des Instrumentes
die Trenn un g bew irkt. Die Wund -
fläche wird ganz zweckmässig
mittelst des Glüheisens (man
hat hiezu eigene ringförmige,
Fig. 400) gebrannt, wodurch
einerseits die Blutung gestillt
wird, anderseits aber auch durch
die Erzeugung eines Schorfes
der Antiseptik Rechnung getra¬
gen wird. Die Zertrümmerung
der Wirbel kann oft die Ur- *oü. Ring¬
sache langwieriger Eiterungs- förm, f£. 8 eil f lfth ’
processe abgeben. Das oft er¬
wähnte Auftreten von Starrkrampf ist wohl
nicht der Operation als solcher zuzuschrei¬
ben, sondern nur dem Umstande, dass bei der
längere Zeit in Anspruch nehmenden Heilung
der Wunde an einer der Besudelung so stark
ausgesetzten Stelle auch die Möglichkeit einer
Infection viel öfter und länger vorhanden
ist. Bayer.
Coupirschere, Englisirschere, ein Instru¬
ment, welches zur Amputation des Schweifes
benützt wird. Sie besteht aus zwei etwa 50 cm
langen, ein- oder zweiarmigen Hebeln, deren
einer eine starke, gerade, convexe oder ecta-
cave Messerklinge trägt, während der andere
Hebelarm in der Regel zwei mit einem halb¬
mondförmigen Ausschnitte versehene Platten
aus Messing oder Eisen besitzt, welche zwi¬
schen sich einen Spalt zur Aufnahme der
Klinge lassen. Am Ende der Hebelarme sind
Fig. 401.
Fig. 403.
COURBE. — COWPER’SCHE DRÜSEN. 235
meist fixe oder abnehmbare hölzerne Hand¬
haben. Gebräuchlicher sind Coupirscheren, bei
welchen sich das Chamier am vorderen Ende
(Fig. 401, 402,403) als am hinteren (Fig 404)
befindet. Instrumente, bei welchen das Messer
und der mit dem Ausschnitte versehene Theil
des zweiten Armes nur scherenartig neben¬
einander vorbeigleiten (Fig. 402), sind nicht
zu empfehlen, weil bei der leichten seitlichen
Verschiebbarkeit eine sichere Führung nicht
Fig. 404.
möglich ist. Das Instrument von Brogniez,
bei welchem die Klinge durch eine starke Feder
bewegt wird, so wie das Caudotom von Leblanc
und der Ablateur de la queue von Pagnier
finden sich wohl nur mehr in Instrumenten-
Sammlungen. Bayer.
Courbe, französ. krumm, gebogen, krumme
Linie, Kurve. Benennung für die Hasenhacke,
Rehbein (s. d.). ‘
Courbette, französ. Bogensprung,s.Gang-
arten (künstliche).
Courte8 pattes, eine Abart als Spielart
des alten französischen Landhuhns. Das Unter¬
scheidende sind die sehr kurzen Beine. Das
Huhn ist so niedrig gestellt, dass sein Leib
nur wenig vom Boden entfernt bleibt. In Folge
dessen ist es ihm unmöglich, zu scharren.
Dieser Vorzug ist der einzige, den es aufzu¬
weisen hat, sonst bietet es nichts Besonderes
dar, und kommt weder als Schmuckhuhn, noch
als Gebrauchshuhn in Betracht. Abgesehen
von den genannten Sonderheiten stimmen die
Courtes pattes mit der Stammrasse überein.
Gleich dem gewöhnlichen französischen Land¬
huhn kommt es in allen Farben vor und zeich¬
net sich weniger durch fleissiges Legen, als
durch festes Brüten aus. Crampe.
Courtioron, französischer Arzt und Schrift¬
steller über die ansteckende Rindviehseuche
im XVIII. Jahrhundert. Ableitner.
Cow-prass s. Trifolium pratense, Roth-
klee.
Cowper’sche Drüsen (glandulae Cowperi)
— kleine Vorsteherdrüsen—; dieselben gehören
zu den accessorischen Geschlechtsdrüsen des
männlichen Thieres und sondern eine dem
Samen bei der Begattung beigeinischte schlei¬
mige Flüssigkeit ab. Dem Bau nach sind es
acinöse Drüsen mit sehr reichlicher, aus Binde¬
gewebe, elastischen Fasern und glatten Muskel¬
fasern bestehender Stützsubstanz, Welche den
Drüsen eine ziemlich derbe Beschaffenheit ver¬
leiht. Die einzelnen Acini, deren Drüsenmem¬
bran durch die Stützsubstanz gebildet wird,
tragen Cylinderepithel und sitzen den Anfän¬
gen der Ausführungsgänge auf. Die Cowper-
schen Drüsen fehlen unter den Haussäugethieren
nur bei dem Hunde; sie haben bei den übri¬
gen Haussäugethieren ihre Lage auf der oberen
Wand des Beckenstückes der Harnröhre, unmit¬
telbar vor der Anheftung der Sitzbein-Ruthen¬
muskel und vor der Stelle, an welcher das
Becken- in das Ruthenstück der Harnröhre
übergeht, und werden von dem Sitzbein-
Drüsenmuskel, einer Abtheilung des Wilson-
schen Muskels, bedeckt (s. Geschlechtsorgane,
Muskeln derselben). Die Zusammenziehung die¬
ses Muskels und der in dem gclbröthlichen
Drüsengewebe reichlich enthaltenen Muskel¬
fasern pressen das Secret der Cowper’schen
Drüsen nach der Harnröhre zu aus. Beim
Hengst sind die Cowper’schen Drüsen eiförmig,
bis 5 cm lang und 3 cm breit, das vordere
Ende wendet sich etwas nach aussen, das
hintere nach innen. Jede Drüse besitzt 6 bis
8 Ausführungsgänge, deren enge Oeffnungen
sich durch zwei Längsreihen von kleinen Pa¬
pillen dicht neben der Mittellinie auf der
oberen Wand des Beckenstückes der Harnröhre
bemerklich machen. Mitunter bilden die Pa¬
pillen eine meistens unregelmässige Längs -
reihe in der Mittellinie. Beim Bullen sind
die Cowper’schen Drüsen verhältnissmässig
kleiner als beim Hengst und aussen von einer
festen Hülle umgeben. Jede Drüse hat nur
einen Ausführungsgang; derselbe mündet in
einen kleinen Blindsack, welcher am hinteren
Ende des Beckenstücks der Harnröhre durch
eine schwache Querfaltc der Schleimhaut ge¬
bildet wird. Aehnlich verhalten sich die Cow-
per’schen Drüsen des Schaf- und Ziegenbockes.
Die betreffenden Organe erlangen bei dem
Eber einen sehr bedeutenden Umfang, bei voll¬
kommen ausgewachsenen Thieren eine Länge
von 11—13, eine Breite von 3 cm: sie haben
eine fast dreikantige Form, das hintere Ende
ist etwas stumpfer und breiter, als das sich
zuspitzende vordere. Der einzige Ansführungs¬
gang zieht sich durch die ganze Länge jeder
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256 COZAKEE-PFERD.
Drüse als ein ziemlich geräumiger Canal, wel¬
cher bei gcschlechtsreifen Thieren mit einer
(lickgallertartigen, glasigen Masse angefüllt
ist. Die Ausmündung des Ausführungsganges
verhält sich wie bei den Wiederkäuern. Die
Cowper’schen Drüsen des Katers haben die
Grösse einer kleinen Erbse, jede Drüse besitzt
nur einen Ausführungsgang. Bei allen Thieren,
welche in der Jugendzeit castrirt worden sind,
behalten die Cowper’schen Drüsen den Um¬
fang, welchen sie zur 'Zeit der Castration er¬
langt hatten, sie bleiben klein und sind mehr
oder weniger verkümmert. Bei den männlichen
Vögeln fehlen accessorische Geschlechtsdrüsen
überhaupt, es sind demgemäss auch keine
Organe vorhanden, welche den Cowper’schen
Drüsen der Säugethiere entsprechen würden.
Als Cowper’schc Drüsen der weiblichen Thiere
bezeichnet man auch wohl die Bartholinische
oder Scheidendrüsen (s. d.). Müller.
Cozakee-Pferd. Von den verschiedenen,
meist kleinen zierlichen Pferderassen, welche
in Ostindien Vorkommen, beschreibt Youatt
das Cozakee-Pferd als ein sanftes, artiges
Thier mit tiefem Leibe, sehr kräftiger Vor¬
hand, aber einem grossen Kopt mit Ramsnase.
Die Thiere dieser Rasse sollen ungemein
dauerhaft, dreist und für grosse Reisen als
Pack- und Reitpferde ganz geeignet sein; sie
vertragen den schwersten Dienst im heissen,
ungünstigen Klima sehr gut und übertreffen
in dieser Beziehung viele andere Rassen des
Orients. Frey tag.
Crachet Pierre Marie gab 1793 eine Schrift
über die Vorbeugung und Cur des Rotzes
heraus. Semmer.
Crack (auf deutsch Prahler) nennen die
Engländer nicht selten das beste Pferd eines
Marstalles, doch meistens nur in dem Fall,
dass es wirklich hervorragende Leistungen zeigt,
und dabei gut gebaut ist. An einigen Orten Eng¬
lands versteht man unter Cracks diejenigen
Pferde, welche für grosse Rennen engagirt
sind. Frey tag.
Craniocele (von xpavi'ov, Schädel, und
xyjXyj, Bruch), der Hirnschädelbruch = Ence-
phalocele, das Hervortreten von Gehirnmasse
durch die Schädeldecke. Koch.
Craniologie, die Schädellehre. Durch
eifriges Studium der verschiedenen Menschen¬
rassen bildete sich allmälig dieser Zweig der
Anthropologie, der selbstverständlich auch
auf die prähistorischen Funde verwerthet
wurde, aus, um hiedurch Licht in die Entwick¬
lungsgeschichte des Menschengeschlechtes zu
bringen. Es wurden die Haupttypen der
Schädelbildung unserer heutigen Menschen¬
rassen festgestellt, ja sogar einzelne Völker-
stämme craniologisch zergliedert. Die Cra-
niologic beschäftigt sich mit der Kenntniss
des Schädelbaues in Bezug auf seine Con-
figuration, die Form, Grösse und Anordnung
der verschiedenen Schädelknochen, bestimmt
auch die Capacität der Schädelhöhle, ver¬
gleicht die Bildung der übrigen Kopfknochen
sammt dem Gebisse und zieht dann aus diesen
Beobachtungen gewisse Schlüsse, welche in
- CREAM CHEESE.
der Anthropologie Verwerthung finden. Un¬
entbehrlich für die Craniologie ist die Cranio-
metrie, oder die Messung der Schädel, welche
den Zweck verfolgt, die Formation des Schädels
zu bestimmen, um sie behufs weiterer Ver¬
gleiche in Zahlen ausdrücken zu können.
Hiezu wurden von hervorragenden Autoren
complicirte Apparate, die Craniometer, con-
struirt. Mit Hilfe dieser Apparate wird das
Verhältnis der Längenaie des Schädels zu
seiner Queraxe festgestellt und je nach diesem
Verhältnisse die Schädel in dolicho-, brachy-
und mesocephale getheilt. Auch auf Thiere
wurde eine ähnliche Cranioraetrie in Anwen¬
dung zu bringen versucht, um hiedurch die
Rassenmerkmale einzelner Geschlechter zu
fixiren. Nur wurde hier nicht der Gehirn-
schädel, sondern das ganze Kopfskelett ge¬
messen und auf Grund des Verhältnisses der
Längen- zur Queraxe ebenfalls eine Dolicho-
und Brachycephalie (s. d.) beim Rinde und
Pferde aufgestellt. Da jedoch bis jetzt nur
wenige derartige Untersuchungen gepflogen
wurden, so lässt sich der wissenschaftliche
Werth dieser Methode noch nicht bestimmen.
Die Craniologie selbst bildet ein sehr wich¬
tiges Hilfsmittel der vergleichenden Osteologie
und wird auch mit Erfolg bei der Erforschung
der Entwicklungsgeschichte der jetzigen Thier¬
welt, speciell der Säugethiere, in Anwendung
gezogen. Koudelka.
Cranlometrie. s. Craniologie.
Craon-Schwein. Diese Rasse wird nach
der kleinen Stadt Craon im Departement
Mayenne benannt, in deren Umgebung sie
zur höchsten Entwicklung gelangt, u. zw. in
Folge der emsigen Obsorge, deren Gegen¬
stand sie ist. Diese Thiere haben einen
mittelgrossen Kopf, kurze Schnauze, mittel-
grosse, völlig hängende Ohren, einen langen,
dicken, cylindrischen Körper. Die Schenkel
sind ziemlich kurz und sehr muskulös. Die
Haut ist fein und mit weissen, nicht dicht
stehenden, kurzen und hängenden Borsten
bedeckt. Diese Rasse hat seit einiger Zeit
sehr viel an Frühreife gewonnen und man
findet Individuen, welche in dieser Beziehung
den englischen Schweinen nicht nachstehen.
Sie liefert mehr Fleisch als Fett und dieses
Fleisch ist saftig und von feinem Geschmack.
Die Pariser Sei chwaaren-Erzeuger halten diese
Rasse als allen anderen französischen Ras¬
sen überlegen. Wenn diese Schweine von
vorneherein gut genährt werden, so erreichen
sie in einem Alter von 12—15 Monaten ein
Lebendgewicht, welches zwischen 150—250 kg
variirt. A. Sanson versichert, dass sie sogar
300 kg mit 18 Monaten überschreiten können.
Die Craon-Rasse bietet zahlreiche Varietäten,
welche man je nach ihrem Ursprung Ange-
vine, Angoumaise, Bourbonnaise, Mancelle,
Nivernaise, Poitevine (s. d. a.) nennt. A r ».
Crau - Schaf. Mit diesem Namen werden
häufig die arlesischen Merinos bezeichnet
(s. Arlesienner Schaf). Neumann.
Cream Cheese heissen in England zum
Hausgebrauche verfertigte Rahmkäse, aus sau¬
rem geronnenem Rahm bereitet. Fcser.
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CREMOMETER. — CRENOTHRIX.
Cremoneter oder Rahmmesser dienen
in der Milchprüfungspraxis zur Volumbestira-
raung der bei ruhigem Stehen einer Milch
oben ausgeschiedenen Rahmschichte. Am be¬
kanntesten unter denselben sind die Kro.cker¬
sehen Aufrahmglocken, flache Schalen mit Aus-
flussstopsel, dann der Sehfeld t’sche Centn -
fugal-Rahmprober, in welchem mit Milch ge¬
füllte graduirte Röhren der Centrifugalkraft
ausgesetzt werden und den leichteren Rahm
als innere Schichte absondern lassen, ferner
die cylindrischen Rahmmesser, von denen die
Construction von Chevalier am meisten An¬
wendung findet. Das Chevalier’sche Cremo-
meter (Fig. 405) ist ein cylindrisches Glas-
gefäss, das unten mit einem Fnss versehen
ist und eine Höhe von
20 cm und eine lichte
Weite von 4 cm be¬
sitzt; eine mit Farbe
aufgetragene und ein¬
gebrannte Scala be¬
ginnt in einer Höhe
von 15 cm und lässt
die aus einer Milch
abgeschiedene Rahm-
schichte in Raumpro-
centen leicht ablesen.
Gute Milch liefert am
Chevalier’schen In¬
strument 10—15%
Rahm, doch finden sich
auch Sorten mit nur
7—8% nicht selten,
ohne dass eine vor¬
ausgegangene Entrah¬
mung stattgefunden
hat. Die Beurtheilung
der Güte einer Milch
nach der Grösse der
abgeschiedenenRahm-
schichte ist nicht zu¬
verlässig, da verschiedene Milchsorten auch bei
gleichem Fettgehalt sehr ungleich aufrahmen
können. Eine grosse Rolle spielt hier die
physikalische und chemische Beschaffenheit
der Milch, denn die Rahmabscheidung einer
Milch erfolgt um so leichter und vollständiger,
je grösser ihre Fettkügelchen sind, je dünner
das Milchserum ist und je geringere Zähig¬
keit (Viscosität) eine Milch besitzt. Letztere
ist besonders in Betracht zu ziehen, was sich
schon daraus ergibt, dass eine schwach mit
Wasser versetzte Milch eine höhere Rahm¬
schichte absondert als die ungewässerte. Form
und Dimensionen der zur Rahmmessung be¬
nützten Cremometer haben nur geringen Ein¬
fluss auf die Höhe der Rahmabscheidung, da¬
gegen übt solchen in ganz hervorragendem
Grade die Temperatur oder der Wärmezustand
einer Milch. Je niedriger die Temperatur wäh¬
rend der Aufrahmung ist, eine desto grössere
Rahmschichte wird erhalten. Der bei niederer
Temperatur aufgeworfene Rahm ist aber
lockerer, milchserumreicher und deshalb fett¬
armer als der bei höherer Temperatur ge¬
wonnene Rahm. Für die Rahmmessung mit
dem Cremometer ist eine Temperatur von
Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkd. II. BJ.
257
15° C. am gebräuchlichsten. Die Rahmabschei¬
dung am Cremometer beginnt sofort bei ruhi¬
gem Stehen der Milch, sie ist nach 12, läng¬
stens 24 Stunden schon beendet; bei längerem
Stehen zieht sich die Rahmschichte wieder
zusammen und wird kleiner, ebenso wenn der
Rahm nachträglich wärmer wird. Feser.
Cremor Tartari, Weinsteinrahm, der nicht
ganz von Kalk befreite Weinstein (saures, wein¬
saures Kalium), s. Tartarus depuratus. Vogel.
Crenothrix Cohn (von xpYjvYj, Quelle,
Brunnen, und fl-pc£ Haar, Borste), Brunnen-
faden, Brunnenhaar (Cohn, Beitr. z. Biol. I.,
2., p. 130). Am unteren Ende dünnere, nach
oben dicker werdende, gerade oder mannig¬
faltig gebogene, gegliederte, einfache Fäden
von verschiedener Stärke. Bildet ausserdem
Coccen und Stäbchen. Steht der Gattung
Beggiatoa (s. „Chromogene Spaltpilze 44 und
„Ophidomonas“) nahe, unterscheidet sich von
derselben aber dadurch, dass der Inhalt der
Fäden sich durch fortgesetzte Theilung in
Makrococcen und Mikrococcen verwandelt,
während in diesen Fäden gleichzeitig die
Querscheidewände aufgelöst werden. Auf diese
Weise stellen die betreffenden Fäden an der
Spitze geöffnete Behälter oder Schläuche
(Scheiden) dar, die im Momente der Reife mit
den Sporangien der Saprolegniaceen und an¬
deren Aehnhchkeit haben, in Wirklichkeit je¬
doch nur Scheiden darstellen.
Crenothrix Kühniana Zopf, C. poly-
spora Cohn (Fig. 406) 1. c., Leptothrix Kühniana
Fig. 406. Crenothrix polyspora Cohn (nach Zopf). I. Pilz¬
rasen. a jüngere Faden, b an der Spitze Mikrococcen, c Ma¬
krococcen, d Stäbchen entlassend. II Coccen znra Theil in
Theilnng begriffen. III Aus den Coccen entstandene
Z jogloOa. IV Kurze Faden und Stabcheu, hervorgegangen
aus Coccen.
17
258
CREOSOT. — CRETIFICATIO.
Rabh., Hypheothrix Kühniana Rabh., Palmel-
lina flosculosa Radlk. (Zeitschr. f. Biol. I.),
Kühn’s Brunnenfaden. Ein ausserordentlich
häufiger Bewohner von Brunnenwässern,
Fabriksabwässern, auch in manchen Quellen,
in Teichen und Seen, sowie in Flüssen beob¬
achtet Nicht selten macht dieser Pilz durch
sein massiges Auftreten im Wasser das¬
selbe zum Trinken, zum Brauen und ande¬
ren technischen Zwecken völlig unbrauchbar.
Gleich Beggiatoön und Cladothricheen ein In-
dicator für reichlichen Gehalt eines Wassers an
organischen Substanzen. Ueberall wo diese Or¬
ganismen Vorkommen, darf man sicher den
Schluss ziehen, dass man es mit einem organisch
stark verunreinigten Wasser zu thun hat. Ur¬
sprünglich ist der Pilz farblos oder weiss, in
eisen- (und mangan-)haltigen Gewässern färben
sich jedoch dessen Fäden rostroth bis braun-
roth, indem sich Eisen- (und Mangan-) oxyd
in den scheidigen Membranen ablagem. Gerb¬
stofflösungen färben sie dann schwarzblau
oder schwarzgrün, Salzsäure und Kaliumeisen-
cyanür blau. Der Pilz ist bald freischwimmend,
dann in zahlreichen Individuen zu Flocken
und Wolken vereint, bald festsitzend an den
verschiedensten Gegenständen; im letzteren
Falle ist es stets das untere verdünnte Faden-
ende, welches aufgewachsen ist. In den Fäden
von 1 * 3—5 Mikr. Dicke, welche an der Spitze
oft bis zu 6—9 Mikr. anschwellen, entstehen
theils kleine (Mikrococcen), theils grosse (Ma-
krococcen) Coccen. Die Coccen können sich
durch Zweitheilung vermehren und üppige
Colonien bilden, welche gewöhnlich reichlich
Schleim absondem und so Zoogloön darstellen.
Auch diese färben sich mitunter roth, oliven-
grün bis braunschwarz. Die Coccen endlich
wachsen wieder zu Fäden aus, oder sie bilden
zunächst gegliederte Stäbchen vom Aussehen
und mit den eigenthüralichen Bewegungser¬
scheinungen einer Oscillaria. Die Crenothrix
polyspora absorbirt sehr viel Sauerstoff: sie
dürfte daher bei massenhaftem Auftreten ein
Wasser für das Ausbrüten von Fischeiern
u. dgl. geradezu untauglich machen. Harz.
Creoaot, s. Kreosotum.
Crepettl Luigi gab 1824 eine kleine
Schrift über Milzbrand heraus. Semmer.
Crepin, französischer Veterinär, war Mit¬
herausgeber des „Journal de Mödecine vdt. etc. u ,
publicirt von B. Clark, und 1884 Mitbe¬
gründer der „Central-Veterinärgesellschaft“
zu Paris. Koch.
Crepitation (Reibungsgeräusch), entsteht
durch das Bewegen zweier rauher Flächen
über einander, speciell bezeichnet man damit
ein Geräusch, welches durch das Uebereinander-
gleiten der rauhen Bruchenden eines Knochens
erzeugt wird. Es bildet mit eines der Haupt-
8ymptome eines Knochenbruches, kann aber
trotz der Gegenwart desselben fehlen, wenn
die Knochenfragmente sich nicht berühren,
weil entweder die Bruchstücke durch Muskelzug
von einander entfernt sind (am häufigsten
beim Bruch des äusseren Darmbeinwinkels),
oder weil Weichtheile, Blutgerinnsel sich zwi¬
schen die Bruchenden eingelagert haben.
Ebenso fehlt es bei Brüchen, welche schon
längere Zeit bestehen, bei denen also durch
fortwährende Bewegung der Bruchflächen über¬
einander ein Abschleifen der Rauhigkeiten
stattgefunden hat, oder wo durch die Bildung
des Callus die Erhabenheiten und Vertiefun¬
gen ausgeglichen und die Beweglichkeit über¬
haupt vermindert oder ganz aufgehoben wurde.
Die Crepitation kann durch Fortleitung im
Knochensysteme weit entfernt von dem Ent¬
stehungsorte wahrgenommen werden. Nicht
zu vergessen ist, dass durch Blutextravasate
mitunter ein ähnliches Geräusch erzeugt wird,
weiters, dass auch das Sehnenknarren leicht
mit Crepitation verwechselt werden kann. Mit
dem Namen Crepitation bezeichnet man auch
das Geräusch, das bei der Palpation emphy-
sematöser Geschwülste entsteht. Bayer.
Crepitationsgeräusche. Knistern und
Knarren sind gleichbedeutende Ausdrücke
mit Crepitiren, und kommen diese Geräusche
vornehmlich in den Lungen und dem Pansen
vor (s. Auscultation). Vogel.
Crequy Gaspard (1715—1785) schrieb
über die Verbreitungsweise der in Frankreich
1745 herrschenden Rinderpest. Semmer.
Cre8centiu8 P. schrieb im XIII. Jahr¬
hundert ein Werk über Ackerbau mit Bemer¬
kungen über Behandlung des Viehes. Sr.
Creta, Kreide, s. Calcium carbonicum.
Cretificatio, die Verkreidung (v. creta,
die Kreide; facere, machen): ist Ablagerung
von Kalk in mangelhaft ernährten, dem nor¬
malen Stoffwechsel entzogenen Geweben und
Neubildungen. Man unterscheidet je nach dem
Umfange der Kalkablagerung eine Kalkinfil¬
tration oder Calcification (infiltrare, hinein -
sickern: calx, der Kalk), wenn die Ablagerung
nur die Intercellularsubstanz betrifft, so dass
Lückensysteme, die unverkalkten Zellen Zurück¬
bleiben und das Gewebe dadurch dem Knochen-
gewebe ähnlich wird, und die eigentliche Ver¬
kreidung oder Versteinerung, Petrification
(icerpos, Fels, Stein), wenn die Ablagerung
gleichzeitig in die Zellen und Zwischensub¬
stanz stattgefunden hat. Immer wird in Folge der
Ablagerung von kohlen- und phosphorsaurem
Kalk das Gewebe steif, brüchig, mehr oder we¬
niger hart, weiss oder gelblich, durchscheinend
oder undurchsichtig, ohne seine Form einzu-
büssen, wohl aber wird es functionsunfähig.
Eine einfache Auflagerung von Kalk auf die
Oberfläche der Organe ist keine Verkreidung,
sondern eine Ueberkrustung, Incrustatio (in-
crustare, rindenförmig überziehen), das Ge¬
webe erscheint nur von Kalk umhüllt, wie wir
dies so häufig in den Gallengängen der Rinder,
an den Zähnen als sogenannten Weinstein
antreffen, seltener in den Harncanälchen, dem
Nierenbecken, in der Blase, in den Bronchien,
in den Ausführungsgängen der Speicheldrüsen,
in den Gefässen des Gehirns etc. Hingegen
spricht man von Kalkinfarct (infarcire, voll¬
stopfen), wenn Kalkkörnchen in Schleim oder
andere Secrete abgesetzt wurden und die ver¬
dickte, sandig sich anfühlende Masse die
Hohlräume der Organe erfüllt. Häufig enthal¬
ten auch Concremente, sogenannte Steine,
CRETISCHES SCHAF. 259
neben andern festen Bestandteilen noch Kalk,
nicht selten bestehen sie nur aus kohlen- und
phosphorsaurem Kalk. Die Kalkconcremente bil¬
den verschieden grosse, mehr oder weniger
harte, steinartige weisse oder gelbe Massen,
die leicht zerbröckeln, wenn sie nur aus koh¬
lensaurem Kalke, der mitunter mit kohlen¬
saurer Magnesia vermischt ist, bestehen. Lässt
man auf diese Masse Salzsäure oder Essig¬
säure einwirken, so löst sich der Kalk, die
Kohlensäure entweicht unter Entwicklung von
Luftblasen und das verkalkt gewesene Gerüst
bleibt zurück. Entweichen wenig oder gar
keine Luftblasen so hat man hauptsächlich
phosphorsauren Kalk vor sich. Die verkalkten
Stellen werden unter dem Mikroskope als
helle Grundsubstanz mit schwarzen Randcon-
turen oder als dunkle, körnige Massen gesehen.
Wir finden die Kalkconcremente theils als
kleine, weisse Punkte korallenschnurartig in
den Muskelfibrillen (besonders häufig bei Hüh¬
nern) oder als längere und harte Massen in
den Muskeln und Sehnen, theils als Speichel-,
Magen-, Dann-, Harnsteine, Concrementc in
den Hoden, in der Mamma und in den Venen,
wo sie als Venensteine oder Phlebolithen (s. d.)
bekannt sind. Die Verknöcherung oder Ossi-
fication (os, der Knochen) unterscheidet sich
von der Cretification dadurch, dass bei ihr
zugleich eine Umbildung des ursprünglichen
Gewebes in Knochengewebe stattgefunden hat,
es bleibt deshalb nach der Behandlung des¬
selben mit Salz- oder Essigsäure das knorpe¬
lige, leimgebende Gerüst zurück. Ueber die
ursächlichen Verhältnisse der Cretification ist
Folgendes bekannt: der Kalk scheidet sich in
die Gewebe oder Flüssigkeiten aus, die der
regelmässigen Ernährung und dem Stoffwechsel
entzogen sind, in denen Blut und Säfte träge
circuliren und stagniren, so dass der darin
enthaltene Kalk durch chemische Umsetzung
ausgeschieden wird. Es ist mit Rindfleisch
anzunehmen, dass der kohlen- und phosphor-
saure Kalk in Flüssigkeiten mit freier Koh¬
lensäure gelöst bleibt, dagegen aus ihnen ge¬
fällt wird, wenn bei langsamer Circulation
oder völliger Stagnation als Folge mangel¬
hafter oder gänzlich aufgehobener Resorption
von Seiten der Lymphgefässe die freie Kohlen¬
säure diffundirt. Wir beobachten deshalb Ver¬
kalkungen an solchen Stellen, an denen Ent¬
zündung, chronische Katarrhe (Rotz) und
Neubildungen, besonders degenerative Processe
und fettige Degeneration vorausgegangen sind,
oder welche in Folge höheren Alters des regen
Stoffwechsels ermangeln, während die natür¬
liche Ausscheidung des Kalkes mit dem Harn,
der Galle, dem Speichel und der Milch man¬
gelhaft ist. Es entwickelt sich hier eine Ueber-
ladung des Bluts mit Kalksalzen, eine Kalk-
dyskrasie, die Virchow auch in solchen Fällen
constatiren konnte, in denen Knochengewebe
durch krebsige, cariöse und sonstige degene¬
rative Processe (Rhachitis, Osteomalacie, Kno¬
chenbrüchigkeit) zerstört wird und der Kalk
in die Säfte Übertritt. Ein reichlicher Gehalt
der Nahrungsmittel und des Wassers an Kalk
kann ebenfalls eine Kalkdyskrasie herbeiführen.
Der Kalk wird zunächst in Form feiner, zerstreut
liegender Pünktchen und Körnchen in das
intercelluläre Bindegewebe und in die Zellen
ausgeschieden, das Gewebe wird trüb, wie
bestaubt, die Körnchen vergrössem sich durch
Anlagerung neuer Kalksalze zu Kalkkugeln
und Kalkkrümel, sie rücken immer näher an
einander, schliesslich sind die Zellen ganz
mit Kalk erfüllt oder zerstört, begrenzte Theile
des Gewebes gleichmässig mit Kalk durch¬
setzt und stellen eine trockene, harte, splitte-
rige und brüchige Masse dar, welche beim
Einschneiden knirscht. Flüssigkeiten, nament¬
lich Eiter, werden hiebei trüb, milchartig,
brei- und mörtelartig und fühlen sich sandig
an. In den Knorpeln, z. B. der Nasenscheide¬
wand, des Larynx, der Trachea, der Bronchien,
der Rippen, der Gelenke, des Hufknorpels etc.
verkalkt zunächst das bindegewebige Gerüst
und die Knorpelkapsel der Zellen, die Kapsel
nimmt an Umfang zu. Oefter geht hiemit
eine schleimige Entartung und Atrophie des
Knorpels Hand in Hand. Cretification ist
beobachtet worden am Bindegewebe, in Mus¬
keln, Sehnen, Bändern, Knorpeln, Nerven,
Drüsen, Gefässhäuten, Neubildungen, Peri¬
knoten, Tuberkeln, Hydatiden, Trichinenkap¬
seln, Exsudaten, Fibromen, Thromben, Schleim,
Eiter, im Lungenparenchym, in den Häuten
der Gefässe des Magens, Darmcanals, der
Blase, in den Nieren, in der Krystalllinse
(grauer Staar im Alter), Meningen, Nerven,
Haut etc. Alle Organe können der Cretification
unterworfen sein, eine Ausnahme von dieser
Regel machen nur die rothen Blutkörperchen
und die Alveolen der Lunge, denn in der
Lunge verkreidet nur das interalveoläre Binde¬
gewebe, die Lunge collabirt alsdann bei der
Eröffnung der Brusthöhle nicht und ähnelt
auf dem Durchschnitte dem Bimssteine. Die
Bronchien enthalten ausserdem öfter unregel¬
mässig runde, mit Fortsätzen versehene oder
ovale Kalkconcremente, welche aus eingedick¬
ten schleimigeitrigen und käsigen Massen her¬
vorgehen; man hat sie Lungensteine genannt.
Aehnliche Concrementc finden sich auch im
Euter der Kühe. Ablagerung von Kalksalzen
in die Adergeflechte der Hirnventrikel gehören
bei den Pferden fast zu den normalen Vor¬
kommnissen, fast immer findet man in ihnen eine
Art Kalkbrei oder kleine Concremente. In den
Arterien bildet die Verkalkung der Intima
häutig einen secundären Zustand des athero-
matösen Processes in der Form von platten-
förmigen Auflagerungen. Eine Petrification der
Gelenkkapsel beobachtete Bruckmüller öfter
an sog. Gallen der Pferde. Selbst der Herz¬
muskel kann zum grossen Theile herdweise
verkreiden und in eine starre, sich sandig
anfühlende Masse umgew r andelt werden. In der
Leber der Pferde leitet Bruckmüller (Patholog.
Zootomie) die dort öfter vorfindlichen, runden,
steinartigen, erbsen- bis haselnussgrossen Kalk-
concretionen von eingedickter Galle in den
Gallengängen ab; in der Leber rotziger Pferde
möchten sie verkreidete Tuberkeln darstellen. Ar.
Cretisches Schaf. Dasselbe gehört zu der
Gruppe ..Zackeischaf* 1 (s. d.).
47*
Digitized by v^ooQie
260 CREVANT-SCHAF. —
Crevant-Schaf. Eine der beiden Haupt¬
varietäten der Berrichon-Rasse. Sie erhält
ihren Namen von der kleinen Stadt Crevant
im Departement Indre und unterscheidet sich
dadurch, dass ihr Kopf häufig gefleckt, ge*
tupft und nackt ist, ebenso wie die Beine
und manchmal auch der Untertheil des Hal¬
ses; ferner durch ihren langen starken Kör¬
per und dicken Widerrist, durch ihre gröbere
und härtere Wolle und durch ihre grosse
Disposition zum Fettansatz von den echten
Bemchon-Typen. Diese Schafe wurden häufig
unter mehr oder weniger günstigen Ergeb¬
nissen mit Dishley-Schafen gekreuzt. Sie lie¬
fern gewöhnlich 3kg Wolle; ihr Lebend¬
gewicht kann bis zu 50 kg ansteigen. Nn.
Crfcvecoeur- Huhn. Benannt nach dem
Dorfe Crevecoeur im französischen Departe¬
ment Oise, ist ein grosses und stattliches
Thier mit breiter, vorstehender Brust und
kurzen starken Läufen. Der Kopf trägt eine
nach hinten offene Federhaube, vor derselben
einen breiten und zweispitzigen Kamm, Kinn-
und Federbart, sowie Kehllappen, die beim
Hahn lang herabhängen, bei der Henne aber
sehr kurz sind; die kurzen Ohrlappen sind
unter der Haube verborgen. Schnabel und
Füs86 sind schiefergrau, das Gefieder ist tief¬
schwarz und glänzend, doch kommen auch
weisse und aschgraue Farbenschläge vor. Das
Crövecoeur-Huhn gehört zu den besten und
frühreifsten Masthühnern Frankreichs. Auch
zur Eierproduction sind sie empfehlenswerth,
aber sie brüten schlecht. Die Eier sind gross
und von weisser Schale. Das Fleisch ist vor¬
züglich, fein und saftig. Ausserhalb Frank¬
reichs sind Crfcvccoeur-Hühner noch wenig
verbreitet, obgleich sie härter sind als die
übrigen französischen Rassen. Wilckem.
Cribratio, technische Bezeichnung für
die pharmaceuti8che Operation des Beutelns
der Pulver (s. Beuteln). Vogel .
Crtata, die Entscheidung der Krank¬
heit (v. xptveiv, ausscheiden, entscheiden).
Jede schnell eintretende Wendung der Krank¬
heit zum Besseren, die mit auffallenden Er¬
scheinungen, ganz besonders mit ungewöhn¬
lichen Ausscheidungen einhergeht, kann als
Krise angesehen werden. In der Regel tritt
die Krisis auf der Höhe der Krankheit ein,
u. zw., wie man dies besonders beim Menschen
beobachtet hat, an bestimmten Tagen mit un¬
geraden Zahlen, z. B. am 3., 7., 9., 11.,
13. Tage; dass dies ebensogut an jedem an¬
dern Tage stattfinden kann, unterliegt wohl
keinem Zweifel, denn die Krisis erfolgt, so¬
bald sich Krankheitserreger und Krankheits-
producte in solchen Quantitäten im Organis¬
mus, resp. im Blute angehäuft haben, dass sie
die Se- und Excretionsorgane vermöge ihrer
chemischen Affinität zu vermehrter Thätigkeit
anregen und mit den Secreten oder Excreten
ausgeschieden werden. Auf solche Weise wird
der erkrankte Körper entlastet, das Blut von
abnormen Stoffen befreit, die Organe fanc-
tioniren mehr und mehr in gewohnter Weise,
die Reconvalescenz beginnt. Nach den kriti¬
schen Ausscheidungen fallen die Körpertem-
CROTONCHLORALUM.
peratur und die Pulsfrequenz, es stellt sich
bei feuchter, weicher, duftender Haut reich¬
licher Schweissausbruch ein, oder in dem in
grösseren Mengen entleerten Harne werden
harnsaure Salze so reichlich ausgeschieden,
dass sie in ihm einen Bodensatz bilden, oder
die bisher entzündlich gespannten Schleim¬
häute erschlaffen und secerniren reichlichen
Schleim, mit den schleimigen Fäces können
zugleich anderweite Krankheitsproducte oder die
Krankheit unterhaltende Stoffe ausgeschieden
werden, z. B. Croupmassen, zusammengeballte
Kothmassen, Eingeweidewürmer, Bacterien etc.
Im Verlaufe mancher Infectionskrankheiten
beobachtet man nach dem Erscheinen von
Exanthemen oder Geschwülsten in der Haut
einen Nachlass in den Symptomen, man
spricht in solchen Fällen von einer Crisis
depositoria oder metastatischen Krisis, in den
ersteren Fällen von einer ausleerenden Krise,
Crisis evacuatoria (evacuare, ausleeren); von
einer Crisis idiostatica (v. tSto«;, eigen; otattxo?,
die Stellung betreffend) oder directen Ausleerung
aber dann, wenn eine Besserung des Zustan¬
des nach der selbständigen Eröffnung eines
Abscesses, Platzen einer Vomica oder eines
Blutgefässes u. dgl. m. statt gefunden hat. Er¬
kältungskrankheiten und Rheumatosen ent¬
scheiden sich gern durch Haut oder Nieren,
gastrische Krankheiten durch Exantheme oder
Diarrhöe. Die Krisis war eine vollkommene
oder perfecte, wenn sie vollständige Genesung
im Gefolge hat, besteht aber danach noch
Kränkeln fort, so hat man sie wohl auch eine
unvollkommene, imperfecte oder eine Lösung,
Lysis (v. Xoetv, lösen) genannt; hier macht
die Besserung nur langsame Fortschritte. Die
Lysis beobachtet man in der Regel im Ver¬
laufe chronischer Krankheiten mit Hinneigung
zur Kraftlosigkeit. Anacker.
Crocus sativus, echter Safran, Safran,
eine in Vorderasien und Griechenland ein¬
heimische Iridee (Crocus officinalis, L. III.),
deren getrocknete Blüthennarben (Stigmata
Croci) ein stark riechendes, reichliches äthe¬
risches Oel enthalten, welches früher als ein
belebendes Nervenmittel undAntispasmodicum
medicinisch angewendet wurde und auch als
Emmeniagogum galt; in grossen Gaben ent¬
faltet es ähnlich wie das Terpentinöl heftige
narkotische Wirkungen. Jetzt dient die Pflanze
nur mehr wegen des intensiv gelb färbenden
Crocins (Polychroit) zum Gelbfärben ver¬
schiedener Otficinalformeln, z. B. der Tinctura
Opii crocata.
Crocus Martis ist das rotlibraune
Eisenoxyd (Ferrihydroxyd, Ferrum oxydatum
Fuscum Ph. G.). Vogel.
Cros Giovanni gab 1824 in Mailand ein
Buch über Exterieur heraus. Semmer.
0ro88-breed, durch Kreuzung entstande¬
nes, also mischblütiges Vieh jeder Art. Ce.
Crotonchloraium, Crotonchloral, ein Sur¬
rogat des Chloralhydrates, das zuerst als
Chlorsubstitutionsproduct des Aldehyds der
Crotonsäure betrachtet wurde: es entsteht
jedoch bei Einwirkung von Chlor auf Aldehyd
überhaupt und heisst auch
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CROTON ELUTHERIA. — CROTON TIGLIüM.
261
Butylchloral, das ganz dieselben hyp¬
notischen Wirkungen hat wie das genannte
Trichloraldehydhydrat, nur bedarf es weit
höherer Dosen (s. Chloralum hydratum). VI.
Croton Elutheria, wohlriechender Croton
der Insel Elutheria und der Gattung Croton
oder Clutia; verschiedene strauchartige
Euphorbiaceen Westindiens, welche die Cas-
canllrinde oder Schakarillrinde,
Cortex Cascarillae, liefern und scharf-
würzigen, bitteren Geschmack haben, her¬
rührend von ätherischen Harzen und Oelen,
Oleum Cascarillae und einem krystallinischen
Bitterstoff, Cascarillin, der jedoch kaum in
Betracht kommt, wirksam sind vielmehr
erstere, die Rinde wird daher nur als ver¬
dauungsbelebendes Mittel bei Neigungzu Er¬
schlaffung des Darms und Diarrhöe ange¬
wendet, in der Thierheilkunde jedoch den
einheimischen Araaro-aromaticis nachgesetzt;
indessen kann es wie Kalmus und Absinth
gegeben werden, ist aber ziemlich theuer
und deswegen entbehrlich. Die Rinde kann
auch als Tonicum für die Digestionsorgane
und den Gesammtorganismus gelten, und
würde sie so den Uebergang von der China¬
rinde zum Kalmus bilden. Vogel.
Crotonoleum, Krotonöl, s. Croton Tiglium.
Crotonsiure, 0 4 H«0 4 , eine einbasische
Säure, welche durch Oxydation des Crotonalde-
hyds erhalten wird. Dieses entsteht aus dem ge¬
wöhnlichen Aldehyd durch Condensation unter
Austritt von Wasser. 2 C*H 4 0 — H,0 = C 4 H e 0,
Crotonaldehyd, welches durch Aufnahme von
Sauerstoff zur Crotonsäure wird. Beide Ver¬
bindungen haben bis nun nur theoretisches In¬
teresse. Loebisch.
Croton Tiflllum,Purgir-Kroton, ein kleiner
baumähnlicher Strauch, Tiglibaum des öst¬
lichen Asiens, Euphorbiacee, L. XXI. 5.—10.,
mit eiförmigen Blättern und kleinen unan¬
sehnlichen Blüthentrauben (Tiglium officinale).
Die Körner oder Samen sind in einer nuss¬
ähnlichen, dreifächerigen Kapsel eingeschlossen
und haben eine zerbrechliche, braune, dunkel¬
gefleckte Schale, in der ein gelblicher öliger
Kern von der Grösse einer Kaffeebohne ent¬
halten ist. Aus dem Samen wird das Crotonöl,
Oleum Crotonis, ausgepresst, das braun¬
gelb, dickflüssig ist und scharfschmeckende
Bestandtheile enthält, welche durch Schütteln
in Weingeist und Aether löslich sind, wie
auch das Oel. Der eigentümliche Geruch
des fetten Crotonöls ist durch flüchtige Säuren
bedingt, nämlich durch Essig-, Butter-,
Baldrian- und Tiglinsäure, welche aber kaum
1 % ausmachen und nicht präexistiren, sondern
als Oxydationsproducte von den nicht flüch¬
tigen Säuren anzusehen sind; an der haut-
und darmreizenden Wirkung haben die flüch¬
tigen Säuren keinen Antheil, sondern aus¬
schliesslich wirksam ist nur die Crotonölsäure
(Crotonol-Säure), die der Ricinolsäure che¬
misch sehr nahe verwandt ist, während die
nicht flüchtigen anderen Säuren der Reihe
der fetten Säuren angehören und zum Theil
als Glycerinester vorhanden sind. Der Oel-
gehalt schwankt zwischen 30 und 60%, und
die Fettsäuren sind Stearin-, Palmitin-,
Myristin- und Laurinsäure.
Auf die Haut gebracht, ist Crotonöl
eines der heftigsten epispastischen, blasenzie¬
henden Mittel, das ganz nach Art des Emetins
oder der Brechweinsteinsalbe (1: 4—6) wirkt,
starke Schmerzen und Entzündung mit Ausgang
in Pustelbildung (confluirende Bläschen mit
serösem, später eitrigem Inhalte) erzeugt,
man hat jedoch durch Verdünnung und ent¬
sprechende Einreibung den Grad der Haut¬
reizung völlig in der Hand, so dass selbst
haarlose Stellen und Narben vermieden werden
können; auch ist allenfallsige Resorption
durchaus ungefährlich, die subcutane Anwen¬
dung aber wegen nachfolgender Exulceration
der Haut unzulässig.
Innerlich genommen ist Crotonöl das
heftigste Purgans drasticum, welches schon
in medicinalen Gaben Kolikschmerzen und
ausgiebige, dünne Darmentleerungen veran¬
lasst, indem durch das Alkali der Darmsäfte
Crotonolsäure frei wird; in höheren Gaben
tödtet es durch Enteritis, es sind daher auch
die Schleimhäute des Maules vor dessen Ein¬
wirkung zu bewahren; selbst vom Rectum
aus erfolgt aus obigen Gründen Laxiren, je¬
doch erst in etwas höheren Gaben. Letale
Dosen sind für Pferd und Rind 30—50 Tropfen,
manchmal schon 25 Tropfen, das Mittel ist
daher heimtückisch; bei Schweinen 20 Tropfen,
bei Menschen und Hunden 5—10 Tropfen
Wird es schon vom Magen resorbirt, so treten
schwere allgemeine Vergiftungserscheinungen
auf. Hienach erweist sich dasOel als ein durchaus
gefährliches Mittel, das von manchen Thier¬
ärzten deswegen niemals angewendet wird;
doch leistet es für bestimmte Fälle vorzügliche
Dienste und kann daher nicht wohl entbehrt
werden. So braucht man es insbesondere,
wenn Aloö, wie bei kopfkranken Pferden, im
Stiche lässt oder eine Ableitung auf den Darm
und energische Ausleerungen desselben die
erste Heilanzeige bilden, wie bei hartnäckigen
Verstopfungen in Folge von Würmern, Concre-
menten, Coprostasen und anderen mechani¬
schen Stenosirungen; ausserdem bestehen
weitere Vortheilo darin, dass es ungleich
rascher wirkt als alle anderen Eccoprotica
und nur in ganz kleinen Mengen beigebracht
zu werden braucht, für andere Zwecke aber,
wie zur Beseitigung von Ex- und Trans¬
sudaten, puerperalen Processen lässt man es
lieber weg und benützt für Pferde Aloe,
für Rinder Mittelsalze und für Hunde Jalape
oder Calomel; auch ist zu bemerken, dass
das Fleisch geschlachteter Thiere für den
Menschen gefährlich werden kann, wenn Cro¬
tonöl zuvor gegeben worden ist. Das Pulver
der Crotonkömer,
Pulvis Seminum Crotonis, ist noch
heimtückischer und deswegen grundsätzlich
zu meiden. Dosis für Pferde vom Oel 10 bis
15 Tropfen (ä 0 05), Maximum 20; Rinder
10—30, Schafe 5—10 Tropfen pro dosi, Schweine
1—5 Tropfen (0‘30 pro die), bei Hunden
ebensoviel, am besten für letztere Thiere mit
Ricinusöl 30*0 und 1—2 Tropfen Crotonöl,
262 CROUP. — CRUCIFERAE.
stets jedoch in ausgehöhlten und dann mit
Papier umwickelten Pillen: Rinder toleriren
das Mittel besser und oft bis zu 50 Tropfen,
und bei Pferden wird vorsichtshalber oft nur
die halbe Dose, jedoch mit 15*0—30*0 Aloe,
Schleim und Seife gereicht oder auch die volle
Purgirdose gegeben, aber in zwei Pillen inner¬
halb drei Stunden. Hunden bringt man gerne
3—6 Tropfen mit einem Löffel voll Salatöl in das
Rectum, mit Schweinefett per os. — Aeusser¬
lich benützt man es mit grossem Vortheil,
wo eine rasche und energische Ableitung
absolut geboten erscheint, hauptsächlich auch
bei hartnäckigen rheumatischen Schmerzen;
die Wirkung tritt sehr rasch und kräftig ein,
immer jedoch muss es verdünnt werden, u. zw.
am besten mit einem fetten Oel, Alkohol,
Aether oder Terpentinöl. Für Pferde i : 30
und braucht man zu Einreibungen am Bug,
am Hals oder dem Bauch eine kleinere Dose,
25 Tropfen der Mischung, in grosser 40, an
der Brust jederseits 15 Tropfen. Wohl zu be¬
achten ist, dass das Mittel nicht eingerieben,
sondern mit der Hand nur eingestrichen wer¬
den darf, auch ist letztere immer gleich ab¬
zuwaschen, die Haut des Thieres aber auch,
sobald die gewünschte Wirkung (des anderen
Tages) eingetreten ist; dabei ist es von be¬
sonderem Vortheil, wenn die Blasen um diese
Zeit angestochen und kalte Umschläge ange¬
ordnet werden, falls bei einem oder dem ande¬
ren Subjecte der Effect ausnahmsweise zu
heftig auftritt. Bei Rindern hat eine bedeu¬
tende Verstärkung platzzugreifen, denn eine
Mischung von 1:10 Fett erweist sich meist
als nicht ausreichend, und bei Schweinen ist
1: 2—3 nothwendig. Crotonöl greift nicht so
tief in das Corium ein wie der Brechwein¬
stein. Vogel .
Croup (schottisches Wort, von Home in
die Medicin eingeführt, häutige Bräune).
Laryngitis pseudo - membranacea, Kehlkopf¬
entzündung mit Bildung einer fibrinösen
Pseudomembran auf der Kehlkopfschleimhaut,
verbunden mit Fieber, beschwerlichem, schnar¬
chendem, pfeifendem oder rasselndem Athmen,
trockenem Husten und in höheren Graden mit
Dispnoö und Asphyxie. Die croupöse Kehl¬
kopfentzündung pflanzt sich oft auf den
Rachen fort (s. Angina) oder geht auf
die Trachea und Bronchien über (s. Bron¬
chitis). Sie tritt entweder selbständig auf
(bei Schweinen, Rindern, Katzen und Ge¬
flügel) oder als Begleiterscheinung anderer
Krankheiten, wie Influenza, Pneumonie, Pleu¬
ritis. bösartige Kopfkrankheit, Schafpocken,
Pips der Hühner. Die Ursachen des Croups
sind chemische, thermische und parasitäre,
und zwar das Einathmen schädlicher, reizen¬
der Gase, wie Chlorgas, Ammoniakgas, das
Hineingerathen von Medicamenten in die
Luftwege, beim Einathmen sehr heisser Wasser-
dämpfe, sehr heisser oder sehr kalter Luft
und das Eindringen von Spaltpilzen (Mikro-
coccen) (wie sie neuerdings auch von Salvioli,
Zäslein, Friedländer u. A. bei der croupösen
Pneumonie als Ursache nachgewiesen wor¬
den), nachdem Erkältung als prädisponirende
Ursache vorausgegangen. Bei Hühnern ver¬
ursacht auch eine Milbe (Cytoleichus sarcop-
toides) eine croupöse Entzündung der Luft¬
wege. Der Verlauf des Kehlkopfcroups ist
stets ein acuter und endet in 24 Stunden
bis zu einigen Tagen mit dem Tode durch
Asphyxie oder in acht bis zehn Tagen mit
vollständiger Genesung. Bei der Section
findet man die Schleimhaut des Kehlkopfes,
zuweilen auch den Rachen, die Luftröhre und
Bronchien mit mehr oder weniger dicken, weiss-
oder graugelben zusammenhängenden Mem¬
branen bedeckt, die sich mehr oder weniger
leicht von der darunter gelegenen Schleim¬
haut ablösen lassen und nicht fest anhaften
oder ins Schleimhautgewebe hinein drin gen,
wie bei der Diphtherie. Oft finden sich aber
Mischformen und Uebergänge des Croups
in Diphtherie (s. Diphtherie). Die Croup¬
membranen bestehen aus Fibringerinnseln,
zahlreichen farblosen Blutkörperchen, ein¬
zelnen Epithelzellen, Detritusmassen und Fett¬
körnchen. Unter den Croupmembranen ist
die Schleimhaut mehr oder weniger stark
geröthet, geschwellt, entzündet, sonst aber
meist intact. Die Behandlung des Croups
besteht in Anwendung von Senfteigen und
andern scharfen Ableitungsmitteln auf die
Haut in der Gegend des Kehlkopfes, Inhala¬
tionen von Theer- und Wachholderdämpfen,
warmen Carboiwasserdämpfen, Husten und
Niesen erregenden Mitteln, Anwendung von
Brechmitteln (bei Schweinen), Abführmitteln,
Aderlässen, Kali chloricum, Einspritzungen
von Argent. nitr., Kalomel, Alaun in Pulver¬
form mittelst eines Blasebalges. Bei drohen¬
der Asphyxie die Tracheotomie und nach-
herige Bepinselungen des Kehlkopfes mit
Lösungen von Salzsäure, Argent. nitr., Ferrum
sesquichloratum oder Essig, Ablösung der
Croupmembranen.
Literatur: Bretoneau, Delafond, Keynal. ZQndel,
Röll» Spinola, Anacker u. A. Setnmcr.
Croupade, s. Gangarten (künstliche).
Croupe, Kruppe, Kreuz, s. Kruppe.
Croupöse Entzündung (von dem engli¬
schen Worte „Croup“ = Bräune), inflammatio
crouposa s. pseudomembranacea, charakteri-
sirt sich durch Auflagerung von. faserstoffigen,
weissgelblichen, festen, hautartigen Massen auf
die Oberfläche der Schleimhäute. Das Exsudat
ist hier reich an Eiweiss und Fibrin, es ge¬
rinnt sofort nach seiner Ausscheidung. Croup
befällt mit Vorliebe die Schleimhäute der Luft¬
wege, weniger häufig die Schleimhäute des
Verdauungscanales. Weil sich auf die ursprüng¬
liche Exsudatschiehte immer wieder neues Ex¬
sudat ablagert, so lässt die Croupmembran
deutliche Schichtenbildungen erkennen, die in
der Regel Eiterkörperchen einschliessen;
ihre Farbe wird mit der Zeit eine graugelbe,
sie löst sich auf dem Wege des eiterigen Zer¬
falls von der Schleimhaut ab, der sie ohnehin
nur locker anhaftet (s. Ausschwitzung). 4r.
Cruclferae,Kreuzblüthler, Familie derDi-
cotyledonae, Kräuter, selten Halbsträucher mit
abwechselnd gestellten Blättern, ohne Neben¬
blätter, Blüthen in endständigen Trauben die
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CRUS. — CRUSTACEA.
263
beimBeginn des Blühens eine Scheintraube bil¬
den, später sich verlängern. Kelch einblätterig,
Blumenblätter vier, gleichgross, oder zwei der¬
selben grösser. Staubgefasse sechs, deren zwei
gewöhnlich kürzer oder selbst verkümmert, sel¬
ten nur zwei. Fruchtknoten einzeln,zweifächerig.
Griffel einzeln mit kopfförmiger oder zwei-
lappiger Narbe. Die Frucht heisst eine Schote,
wenn sie linealisch, schliesslich wenigstens
3—4mal länger als breit ist, Schötchen,
wenn ihre Länge nicht das Doppelte der
Breite übersteigt. In der Regel ist die
Frucht durch eine dünne Längsscheidewand
in zwei Fächer getheilt. Samen ohne Eiweiss,
in jedem Fache abwechselnd am rechten und
linken Rande der Scheidewand aufgehangen.
Die Unterscheidung der zahlreichen Gattungen
und Arten geschieht auf Grund der Form der
Früchte und der Samen. Diese Familie
liefert uns sowohl eine nicht unbedeutende
Zahl von Culturpflanzen, die wir vorzugs¬
weise wegen ihrer ölhaltigen Samen culti-
viren, als auch eine Reihe von sehr verbrei¬
teten und schädlichen Unkräutern. Lig.
Cru8 (von curvare, beugen), der Schen¬
kel; Benennung von schenkelähnlichen Ge¬
bilden, z. B. Crura cerebelli, die Schenkel
des kleinen Gehirns.
Crustacea, Krebsthiere, Krustenthiere,
Classe der Gliederthiere, Arthropoden. Die
Crustaceen sind wasserbewohnende Glieder¬
thiere, welche durch besondere äussere An¬
hänge der Haut, die Kiemen, athmen. Der
Körper zeigt, wie bei allen Arthropoden, eine
äussere Gliederung, deren Elemente, die Seg¬
mente, an ihrer Bauchseite paarige Extremi¬
tätenanhänge tragen. Die allgemeine Körper¬
gestaltung erleidet aber dadurch in den ein¬
zelnen Ordnungen eine grosse Mannigfaltig¬
keit, dass mehr oder weniger zahlreiche Seg¬
mente unter einander zu einem Stück ver¬
schmelzen können. Gewöhnlich sind die fünf
ersten Segmente verwachsen und bilden einen
Kopf, welcher Träger der Sinnesorgane und
der Mundwerkzeuge ist, der folgende Abschnitt
kann aus freien Segmenten bestehen, oder
seine Elemente können theilweise oder ganz
verschmolzen sein und wieder mit dem Kopf
zu einem Stück, dem Cephalothorax, zusam¬
mentreten. Dieser Theil trägt hauptsächlich
die zur Bewegung dienenden Extremitäten
und enthält die Geschlechtsorgane, deren Aus¬
mündungsöffnungen den Abschnitt nach hinten
begrenzen. Bei den höheren Krebsen, wo sich
immer acht Segmente in diesem Theil nach-
weisen lassen, wird er als Pereion bezeichnet;
er entspricht den als Thorax und Abdomen
unterschiedenen Abschnitten des Körpers der
luftathmenden Arthropoden. Auf das Pereion
folgt noch ein gewöhnlich aus getrennten
Segmenten bestehender verjüngter Abschnitt,
der nur den Enddarm enthält, welcher an
dem letzten Segmente ausmündet. Er kann
der Extremitäten entbehren (Entomostraca)
oder mit blattartigen Spaltfüssen versehen
sein (Malacostraca); man bezeichnet ihn als
Pleon oder Postabdomen. Bei parasitischen
Formen kann die Gliederung des Körpers
auch ganz verwischt werden und derselbe bei
ungemeiner Entwicklung der Geschlechts¬
organe sich zu einem sackartigen Gebilde
umgestalten. Häufig sind bei niederen Krebsen
dorsale Hautduplicaturjen, welche, von der
Kopfregion ausgehend, den Körper seitlich
umgeben und schildförmige, schalen- oder
mantelförmige Umhüllungen darstellen. Die
Extremitäten sind gewöhnlich Spaltfüsse, die
aus einem Basalgliede und zwei bis mehr
gegliederten Aesten bestehen. An den Extre¬
mitäten des Pereion ist gewöhnlich der eine
Ast dünnhäutig, blattartig oder schlauch- oder
federförmig und dient als Kieme, die ent¬
weder frei nach aussen hängt, oder, wie bei
den zehnfüssigen Krebsen, unter einer Dupli-
catur des Rückenpanzers geborgen ist. Bei
den Asseln (Isopoden) und den Stomatopoden
sind Spaltäste der Postabdominal-Extremitäten
zu Kiemen umgestaltet. Der Kopf trägt ge¬
wöhnlich zwei Paare von Antennen, die Träger
von Sinnesorganen, Tast- und Geruchsorganen
sind, aber auch in vielen Fällen als Bewe-
gungs- oder Klammerorgane dienen können.
Der Mund wird von drei Paaren Kauextremi¬
täten umgeben, einem Paar Oberkiefern und
zwei Paaren Unterkiefern; wo der Kopf mit
mehreren der folgenden Ringe zum Kopfbrust¬
stück verschmolzen ist, dienen auch noch die
nächstfolgenden Beinpaare als Kauorgane,
sog. Beikiefer, Maxillipeden, so z. B. drei bei
den zehnfüssigen Krebsen. Die übrigen Bein¬
aare des Pereion sind bald Schwimm-, bald
chreit-, bald Klammer- oder Rankenfüsse.
Das Nervensystem besteht in einer Bauch¬
ganglienkette, die durch zwei vordere Com¬
missuren mit dem oberhalb des Oesophagus
liegenden Hirnganglienknoten in Verbindung
steht. Letzterer versorgt das erste Antennen¬
paar und die Augen, welche allgemein Vor¬
kommen, mit Nerven. Der Darmcanal tritt
meist als gerades, den Körper in der Längs-
axe durchziehendes Rohr auf, das in seinem
mittleren Theil eine Leber aufnimmt. Je nach
der grösseren oder geringeren Localisation
der Athmungsorgane sind die Circulations-
organe mehr oder weniger complicirt, doch
ist ein im Rücken gelegenes Herz fast stets
vorhanden. Als Excretionsorgane functioniren
paarige Drüsenschläuche, die meist am vor¬
deren Theil des Körpers, bei den höheren
Krebsen an der Basis der zweiten Antennen
ausmünden. Die Geschlechter sind mit Aus¬
nahme der hermaphroditischen Rankenfässer
getrennt. Die meisten Crustaceen legen Eier,
die entweder nach aussen abgelegt, oder bis
zum Ausschlüpfen der Jungen vom Weibchen
in besonderen Eiersäcken, oder, wie bei den
höheren Krebsen, an den Füssen des Post¬
abdomens herumgetragen werden. Bei der
Entwicklung des Embryos ist ein Stadium,
das derselbe durchläuft, für alle Crustaceen
charakteristisch. In diesem besteht der Em¬
bryo nur aus drei Kopfsegmenten und
einem Schwanzsegment und besitzt nur drei
Extremitätenpaare. In diesem Stadium ver¬
lässt bei vielen Crustaceen der Embryo das
Ei und schwimmt als freie Larvenform mit
264 CRUSTA LABIALIS.
drei spaltästigen Extremitätenpaaren herum.
Man nennt diese Larve Naupliuslarve. Erst
im freien Leben gliedert sich der Körper
weiter und differenzirt sich in die verschie¬
denen Formenkreise* Bei vielen niederen
Crustaceen, so bei Phyllopoden, kommt auch
Parthenogenese vor. Das Weibchen legt wäh¬
rend der Sommermonate Eier, die, unbe¬
fruchtet, sich zu neuen Generationen ent¬
wickeln, bis im Herbste aus solchen Eiern
auch Männchen entstehen, welche die für das
Ueberdauern im Winter bestimmten Eier be¬
fruchten. Die Crustaceen leben grösstentheils
im Wasser, sowohl im Meere, als im süssen
Wasser, nur wenige sind durch eine eigen-
thümliche Adaption ihrer Athmungsorgane
auch befähigt, auf dem Lande zu leben, wie
gewisse Isopoden, die Porcellio- und Oniscus-
arten und kurzschwänzige Krebse, die Ge-
carcinus, Ukaarten u. a. Viele niedere Krebse
sind Parasiten und leben an der Haut oder
den Kiemen anderer Thiere. Bei diesen sind
die Mundorgane zu Saugröhren und Stiletten
umgestaltet und die Extremitäten Klammer¬
organe. Man kann die Crustaceen in drei
Hauptgruppen theilen:
1. Die Entomostraca, kleine Crusta¬
ceen mit sehr verschiedener Zahl und Ver¬
wachsung der Leibesringe, mannigfach ge¬
stalteten Gliedmassen, die immer am Post¬
abdomen fehlen; dahin gehören die Phyllo-
poden, Ostracoden, Copepoden und Cirri-
pedien.
2. Die Malacostraca, bei denen der
Körper aus 19 Segmenten zusammengesetzt
ist, welche alle Extremitäten tragen, mit den
Ordnungen der Leptostraca, Arthrostraca
(Amphipoden und Isopoden) und Thoraco-
straca (Stomatopoden, Cumaceen und Pod-
ophthalmen).
3. Die Gigantostraca, grösstentheils
in der Jetztwelt erloschene Formen mit nur
einem Antennenpaar und meist zu Kau-
füssen verwendeten Extremitäten. Dahin ge¬
hören die fossilen Ordnungen der Trilobiten und
Merostomen und die in der Gattung Limulus
noch in der heutigen Schöpfung vertretenen
Xiphosuren oder Schwertschwänze. Studer.
Crusta labialis (von crusta, Rinde), Lip¬
penschorf. Lippengrind, Impetigo, ein ekze¬
matöser Ausschlag an den Lippen der Käl¬
ber und Lämmer, der nachher zu Schorfen
und Krusten eintrocknet, die sich ohne Nar¬
benbildung abstossen. Semmer.
Crusta lactea, Crusta serpiginosa. Teig¬
maul, Maulgrind, ein Bläschenausschlag an
der Maulschleimhaut der Saugkälber, Läm¬
mer, Fällen etc., der in Schorf bildung über¬
geht. Scmmer.
Cryptoooccus Ktz. (von xpoato;, verbor¬
gen, und xoxxos, Kern), Scnleimkügelchen
(Rabenhorst). Obsolet gewordene Gattung.
Nach dem Autor des Namens Cryptococcus
versteht man darunter kugelige, sehr kleine
Zellchen, welche durch Schleim mehr oder
weniger zu Colonien zusammengehalten wer¬
den. Kützing stellte dahin Formen von Spalt¬
pilzen, die jedoch heute sich meist nicht
CRYPTORCHISMUS.
genauer feststellen lassen. C. roseus dürfte
Beggiatoa roseo-persicina in der Coccenform
gewesen sein. Nur eine Art: C. fermentum,
die Hefe, ist sicher das gewesen, was wir
heute als Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae
bezeichnen. Der Name Cryptococcus würde
zweckmässig für diejenigen Sprosspilze Ver¬
wendung finden, welche in zuckerhaltiger
Nährstofflösung alkoholische Gährung nicht
hervorzurufen vermögen. So Cryptococcus
glutinis u. a., während die Alkohol bildenden
als Saccharomyces zu bezeichnen wären. Wedl
fand häufig in der Labmagenschleimhaut der
Wiederkäuer eine Pilzvegetation, die er, in¬
dessen ohne besondere Berechtigung, zu
Cryptococcus rechnete. Ueber die Natur dieser
Mycelbildung ist bisher etwas Sicheres nicht
bekannt. Harz.
Cryptologie (von xpoatos, verborgen, und
Xofos, Wissenschaft), die Höhlenkunde, ist
eine Disciplin der Geologie, welche beson¬
ders in neuester Zeit zahlreiche Förderer ge¬
funden hat. Wurden ehedem die Höhlen nur
von neugierigen Touristen, meist ihres Tropf¬
steinschmuckes wegen, als Naturmerkwürdig¬
keiten besucht, so zogen sie später ob ihres
Reichthumes an prähistorischen Schätzen die
Aufmerksamkeit der Wissenschaft in hohem
Grade auf sich. Der Höhlenkunde verdankt
nicht nur die prähistorische Anthropologie
äusserst werthvolle Daten, da ja der Mensch
zu prähistorischen Zeiten geeignete Höhlen
theils als Zufluchts-, Grab-, Opferstätten,
theils zum zeitweiligen oder bleibenden Wohn¬
orte erwählte und darin Spuren hinterliess,
welche auf seinen Culturzustand mit Recht
schliessen lassen; jedoch ein nicht genug hoch
zu schätzendes Materiale liefert die Höhlen¬
kunde der Paläontologie und Urgeschichte,
da in Höhlen nebst den menschlichen Resten
und Artefacten zugleich auch eine reich¬
haltige Fauna in ihren Skeletfragmenten
vertreten ist. Die Höhlenkunde hilft das
gegenseitige Verhältniss des Menschen zur
damaligen Thierwelt aufklären. Die Krypto¬
logie zerfällt in drei Theile: 1. In den topo¬
graphischen, welcher sich mit der Oro- und
Hydrographie des Höhlengebietes und der
Beschreibung der eigentlichen Höhlen be¬
schäftigt; t. in den prähistorischen, dessen
Aufgabe es ist, die in den Höhlen vorhandenen
Ablagerungen einer genauen Durchforschung
zu unterziehen, und 3. in den geologischen
Theil, der mit der geologischen Formation
des Höhlengebietes und seiner Umgebung,
sowie mit der Entstehungsweise der Höhlen
und der darin befindlichen Ablagerungen zu
thun hat. Bei dem Studium der Vorgeschichte
unserer Hausthiere werden wir uns oft an
die Höhlenkunde wenden müssen. Koudelka.
Cryptorchidismus, s. Cryptorchismus.
Cryptorchi8mu8 (von xpoittsiv, verbergen,
und opy:$, Hoden) ist ein Zustand, wo bei
männlichen Thieren die Hoden beim Herab¬
steigen den Bauchring nicht passiren, um in
das Scrotum zu gelangen, sondern in der
Bauchhöhle Zurückbleiben. Hengste mit in
der Bauchhöhle zurückgebliebenen Hoden
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CRYSTALLI TARTARJ. — CÜLTURMETHODEN NIEDERER PILZE.
m
werden als Spitzhengste bezeichnet und mit
Walachen verwechselt, da der Hodensack
leer bleibt. Die geschlechtlichen Functionen
werden durch das Zurückbleiben der Hoden
in der Bauchhöhle meist nicht gestört Sr.
Cry8talll Tartarl, der Weinstein, Tartarus
depuratus oder Cremor Tartari nach der öster¬
reichischen Pharmakopöe (s. Tartarus). Vogel.
Cazkonica, Begründer und Director der
Oestüte zu Mezöhegyes und Bäbolna in Un¬
garn, gab 1817 eine Schrift heraus unter dem
Titel: „Praktische Grundsätze, die Pferdezucht
betreffend.“ Semmer.
Cuba-Dogge, Cuba Mastiff. Eine Form
von Doggen, welche durch Kreuzung der
spanischen Dogge mit dem Bluthund erzeugt
ist Aehnlich der Dogge, doch etwas kleiner,
aber grösser als der grosse Bullenbeisser.
Der Kopf ist gerundet, mit breitem Hinter¬
haupt und stark gewölbter Stirne, die zwischen
den Augen eine Rinne zeigt. Die kurze breite
Schnauze ist etwas aufgeworfen, die Nasen¬
scheidewand von einer ziemlich tiefen Längs¬
furche durchzogen, die schlaff herabfallenden
Lippen unterhalb der Nasenkuppe schwach
zurückgezogen. Die Augen stehen etwas schief
mit schlaffen Winkeln. Der Leib ist gedrungen,
der Hals kurz, die Beine muskulös und
minder hoch als bei der gemeinen Dogge.
Der Schwanz dünn. Die Ohren halb aufrecht,
der hängende Theil ist breit, glatt und bedeckt
die Ohrmuschel. Das Haar ist überall glatt
anliegend, etwas grob, die Unterseite des
Schwanzes mit etwas längeren Haaren be¬
setzt, die Färbung ist röthlich - fahlbraun,
Schnauzenende, Lippen, Ende der Ohren,
ein rundlicher Flecken jederseits über jedem
Auge und die Füsse mattschwarz. Die Rasse,
durch ihre Wildheit ausgezeichnet, wurde von
den Spaniern in Westindien, namentlich in
Cuba, erzeugt Dient zum Einfangen verwil¬
derter Rinder, zu Stiergefechten und nament¬
lich zum Aufspüren und Einfangen entlaufener
Sclayen und Verbrecher. Studer .
Cuba-Windhund. Verhältnissmässig schwere
Windhundform, die nach Fitzinger aus einer
Kreuzung des Domingo-Windhundes mit der
Cuba-Dogge entstanden ist. An letztere er¬
innert der verhältnissmässig dicke Kopf, an
dem das Hinterhaupt breit, die Stirn ge¬
wölbt ist, die relativ kurze Schnauze, die
herabhängenden Lefzen. Die Ohren sind stumpf¬
spitzig gerundet, über der Wurzel gebrochen
and überhängend. Die allgemeine Körper¬
form gleicht derjenigen der Solofängcr, nur
sind die Beine niedriger und stärker. Die Be¬
haarung ist kurz, grob, beinahe ganz glatt
anliegend. Färbung graubraun, Ohren matt-
schwarz. Auf Cuba und St. Domingo als
Jagdhund gehalten. Studer.
Cucurbita Pepo L., Kürbis, Pflanze aus
der Familie der Cucurbitaceae, XXI. CI. 9. 0.,
einjährig, Stengel sehr lang, kletternd, steif-
haarig. Blätter herzförmig, undeutlich fünf-
lappig. Wickelranken ästig. Blüthen gross,
gelb, Blumenkrone bis zur Hälfte fünftheilig.
Weibliche Blüthen mit drei verwachsenen
Staubfäden, ohne Staubbeutel, Griffel drei¬
spaltig. Männliche Blüthen mit in eine Röhre
verwachsenen Staubfäden. Frucht beerenartig,
Samen mit einem aufgedunsenen Rande um¬
zogen. Blüthe Mai. Reife August. Der Kür¬
bis wird in verschiedenen Spielarten, die sich
durch Grösse und Farbe von einander unter¬
scheiden, cultivirt. Seine Cultur gehört eigent¬
lich nur in das Weinklirna; er hat eine
5% Monate währende Vegetationszeit. Er
liebt einen milden, sonnigen Lehmboden, der
genügend Feuchtigkeit den Pflanzen dar¬
bietet; seine sehr stark vertheilten langen
Faserwurzeln verlangen ziemlich bedeutende
Nährstoffmengen im Boden, daher eine frische
Stallmistdüngung ihm sehr zusagend ist. Die
Cultur des Kürbis geschieht entweder so<
dass er das Feld allein einnimmt, oder er
wird zwischen anderen Pflanzen, z. B. Mais,
Kartoffel gepflanzt. Für die Rcincultur, wobei
die Vorfrucht, wenn das Feld rein und kräftig
ist, keine Rolle spielt, wird das im Winter
gepflügte, im Frühjahre abgeeggte Land mit
dem Marqueur überzogen und in Entfernun¬
gen von t*5—2 m je drei Samen ausgelcgt;
mit der Saat lässt sich auch eine Lochdün¬
gung verbinden mit Stallmist oder Compost.
Die Saat darf erst geschehen, wenn die Fröste
vorbei sind, und zur Beschleunigung des
Wachsthums quellt man die Samen vor der
Aussaat gerne durch 24 Stunden ein. Nach
dem Aufgehen werden die überschüssigen
Pflanzen entfernt und nur die kräftigste an
jeder Stelle stehen gelassen. Später werden
die Haupt- und Nebenranken so beschnitten,
dass jede Pflanze nur zwei Früchte entwickelt.
Der Kürbis ist reif, wenn die Blätter trocken
sind und er hohl klingt. Die Verfütterung
muss bald geschehen, und wird der Kürbis
von allen Thierarten, besonders aber von
Schweinen gerne gefressen, u. zw. zerstampft
und mit Häcksel gemengt. Ertrag 200—600,
selbst bis 1000 q per Hektar, v . Licbenberg.
Cuesta P., spanischer Veterinär, 1849
Lehrer der damals neu errichteten Thierarz¬
neischule zu Zaragoza. Koch.
Culturmethoden niederer Pilze. Für den
Pathologen kommen drei Gruppen niederer
Pilze in Betracht, die man gemeinhin als
Spaltpilze, Sprosspilze und Schimmelpilze be¬
zeichnet. Es erscheint in sehr vielen Fällen
dringend geboten, einen, etwa bei einer Krank¬
heit beobachteten, jene muthmasslich hervor¬
rufenden Pilz zu züchten und in reinen Cul-
turen unter verschiedenen Lebensbedingungen
zu cultiviren. Je nachdem man es mit einer
der drei Gruppen von Pilzen zu thun hat,
sind nun verschiedene Methoden einzuschla¬
gen, um zum gewünschten Ziele zu gelangen.
Schimmelpilze und Sprosspilze verlangen hiebei
im Allgemeinen eine andere Behandlungsweise
als die Spaltpilze. Während letztere z. B.
alkalische Nährsubstanzen vorziehen, gedeihen
die ersteren meist in neutralen oder selbst an¬
gesäuerten Lösungen besser. Ist ein solcher
Organismus gefunden, so ist zunächst zu ver¬
suchen, ob und unter welchen Bedingungen sich
derselbe vermehren lässt. Bei Spaltpilzen
stösst man in der Regel dabei auf keine gros-
266 CULTURMETHODEN NIEDERER PILZE.
sen Schwierigkeiten, während Spross- und
Schimmelpilze in einzelnen Fällen solche
wohl zu bereiten vermögen. Stets wird man
trachten müssen, als Nährböden möglichst jene
zu imitiren, in denen die fraglichen Organis¬
men aufgefunden wurden. Nicht nur die
chemische, sondern auch die physikalische Be-
schaflenheit, An- oder Abwesenheit von Sauer¬
stoff u. s. w\ sind zu beachten. Ein in con-
centrirten Nährstoffen gewachsener Pilz wird
häufig in einem bedeutend verdünnteren Me¬
dium schwieriger gedeihen. Dasselbe gilt auch
von der Temperatur; je mehr man sich der
bisherigen Temperatur des zu cultivirenden
Pilzes nähert, um so eher wird derselbe zur
Vermehrung sich geneigt zeigen. Gelingt es,
eine Pilzform mit Sicherheit zu cultiviren, so
handelt es sich ferner darum, den Pilz sehr
verschiedenen Bedingungen zu unterwerfen,
wobei sich herausstellen wird, ob er in ver¬
schiedenen Formen oder stets unter derselben
Form auftritt, ob z.B. ein gefundener Micrococcus
auch Stäbchen und Fäden, Schwärmer u. s. w.
bilde, ob und unter welchen Bedingungen die
eine oder die andere Form auftritt, ob Sporen
gebildet werden u. s. w. Chromogene Pilze
(s. d.) bilden häufig nur unter gewissen
Verhältnissen Pigmente, während sie unter
Umständen trotz reichlichster Vennehrung
keinen Farbstoff produciren. Manche Hyphomy-
ceten erzeugen im thierischen Organismus nur
sterile Mycelien, desgleichen bei der Cultur
unter Luftabschluss in wässerigen Medien;
selbst Hefepilzfonnen können hiebei auftreten,
während bei anderen Culturmethoden reichliche
Conidien-, selbst Fruchtbildung erfolgen kann.
So bei Mucor, Arthrococcus, theilweise auch bei
Aspergillus. Will man demnach den ganzen
Entwicklungsgang und Formenkreis eines
Pilzes kennen lernen, so darf man damit nicht
zufrieden sein, ihn überhaupt nach einem ein¬
zigen Verfahren zu cultiviren, sondern man
muss ihn auf möglichst zahlreiche und ver¬
schiedene Weise unter den mannigfachsten
Bedingungen züchten. Damit aber die Re¬
sultate tadellos und sicher ausfallen, sind:
1. geeignete Nährsubstanzen zu wählen; 2. die¬
selben vor der Aussaat vollkommen zu sterili-
siren; 3. müssen Apparate und Aussaatmetho¬
den nach bewährten Regeln gewählt und aus¬
geführt werden. Dabei ist es sehr häufig er¬
forderlich, bei der Aussaat von einer einzigen
Zelle auszugehen.
Die Nährstoffe. Die Pilze vermögen
im Gegensätze zu den grünen Pflanzen nicht
Kohlensäure zu assimiliren. Es ist aber nicht
nothwendig, wenigstens nicht in allen Fällen,
und namentlich bei der Cultur der sogenannten
niederen Pilze, ihnen Eiweiss als Nahrung
zu verabfolgen, vielmehr genügen sehr häufig
Ammoniaksalze, Nitrate und andere Verbindun¬
gen, um ihnen das Material zur Eiweissbildung
u. s. w. zu liefern; während v. Liebig noch der
festen Meinung war, sie könnten ohne Eiweiss
nicht gedeihen. Indessen ist dies keine Ent¬
deckung der neuesten Zeit, vielmehr war bereits
vor circa 40 Jahren bekannt, dass Spaltpilze
ohne Eiweiss oder Pepton gedeihen können.
Schon Dujardin (Histoire des Infusoires, 1841,
p. 214) hatte beobachtet, dass Bacterien sich in
einer Lösung von Zucker mit oxalsaurem und
phosphorsaurem Ammoniak und Kochsalz
entwickeln; desgleichen in einer Lösung
von 15 g Süssholzzucker, 10 g oxalsaurem
Ammoniak und 100 g Regenwasser diese Orga¬
nismen sich lebhaft vermehren. Sie sind so¬
nach im Stande, sich Eiweiss aus den ge¬
nannten Verbindungen für ihren Protoplasma¬
leib zu bereiten. Später hat sich gezeigt,
dass eine grosse Menge von Substanzen exi-
stirt, in deren Lösungen Spaltpilze zu ge¬
deihen, sonach Eiweiss aus jenen zu bilden
vermögen. Einerseits bedürfen die niederen
Pilze gewisse Aschenbestandtheile, welche die
Elemente K, Mg, Ca, P, S enthalten sollen,
ferner Ammoniak oder noch besser organische
stickstoffhaltige Substanzen. Es ist selbst¬
verständlich, dass Eiweisskörper und Peptone
besonders günstige Substanzen für die Cultur
niederer Pilze abgeben, aber sie können auch
ersetzt werden durch Leucin, Tyrosin, Glu¬
tamin, Fleischextract. Malzextract, weinsaures
Ammoniak u. s. w. Diese Substanzen können
für sich gelöst oder in Verbindung mit Zucker
angewendet und in vielfachen Variationen der
Zusammensetzung zur Herstellung von Nähr¬
lösungen dienen. Stets hat man darauf zu
achten, dass man dieselben nicht zu concen-
trirt verwende. Fleischextract, Peptone und
lösliche Eiweisskörper sind meist nicht stärker
als in 0‘1—1% Lösungen zu verwenden. Mit
mehr oder weniger gutem Erfolge sind von
verschiedenen Forschern sog. Normallösungen
für die Culturen empfohlen worden. So be¬
steht die Pasteur’sche Nährlösung für
Bacterien aus (Ann. de Chimie et de Phys.,
T. 58, 1858);
Destillirtem Wasser ... 100 Th.
Candiszucker. 10 „
Weinsaurem Ammoniak 1 „
Asche von 1 Th. Hefe (deren Gewicht
ca. 0 075 der Mischung beträgt).
Buchholz verwendete dieselbe Nähr¬
lösung, aber er ersetzte die Hefenasche durch:
Phosphorsaures Kalium.0*5
Schwefelsaures Magnesium.0*1
Dreibasisches Calciumphosphat .0*01
Cohn fand für Spaltpilze diePasteur’schc
Flüssigkeit nicht besonders geeignet, und ver¬
wendete hiezu besser folgende Lösung:
100 Th. destillirtes Wasser, 1 Th. weinsaures
Ammoniak und ca. 1 Th. Aschenbestandtheile.
Mit Vortheil wurde von ihmdieMayer’sche
Lösung angewendet (A. Mayer, Untersuchun¬
gen über die alkoholische Gährung, 1870,
— Cohn, Beitr. z. Biol. d. Pfl., I. 1872,
p. 195), welche besteht aus:
0'1 g phosphorsaurem Kali,
0*1 g schwefelsaurer krvstallis. Magnesia,
0*2 g weinsaurem Kali,
0*01 g dreibasisch phosphorsaurem Kalk
20*0 g destillirtem Wasser.
Später stellte sich bei mit Miflet gemein¬
sam angestellten Versuchen (Cohn, Beitr.,
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CULTÜRMETHODEN NIEDERER PILZE.
*67
Bd. III. 1. 1879, p. 1*3), bei welchen dieselbe
Lösung, jedoch mit dem Unterschiede verwendet
wurde, dass sie den dreibasisch phosphor¬
sauren Kalk durch Chlorcalcium ersetzten,
heraus, dass diese Nährstofflösung für Bac-
terien nicht besonders geeignet sei; wohl
aber wachsen die Spaltpilze vortrefflich in
einer 10%igen Lösung von Malzextract, sowie
in einer einpercentigen Lösung von Liebig schem
Fleischextract. Besser als Cohn’s Nährlösung
haben sich Nägeli’s Substrate erwiesen. So
gedeihen Spaltpilze sehr gut nach Nägeli
(Niedere Pilze, München 188*, p. 64) in
einer Flüssigkeit aus:
Dikaliumphosphat (K t HP0 4 ) 0 * 1035 g
Magnesiumsulfat (Mg S0 4 ).. 0 016 „
Kaliumsulfat (K $ S0 4 ). 0*013 ,,
Chlorcalcium (CaCl t ). 0*0055,,
Weinsaurem Ammoniak. 1*000 „
Wasser .100*000 „
Das Kaliumsulfat lässt sich hiebei auch durch
(NH 4 ) $ S0 4 0*017 g ersetzen. Anstatt des
weinsauren Ammoniaks kann auch essigsaures,
milchsaures Ammoniak, oder auch Asparagin,
Leucin gewählt werden. Ebensogut als vorige
Lösungen erweist sich eine solche von fol¬
gender Zusammensetzung:
Eiweisspepton oder lösliches Eiweiss . 1*00
Kaliumdiphosphat.. 0 * *0
Magnesiumsulfat. 0*04
Chlorcalcium. 0*08
Wasser..100*00
Gleichfalls günstig wachsen die Spalt¬
pilze in folgender Lösung:
Wasser. 100
Rohrzucker . 3
Weinsaures Ammoniak ... 1
Mineralstoffe wie in. II.
Besser als diese flüssigen Nährlösungen
haben sich in vielen Fällen feste Substrate er¬
wiesen. So sind gekochte Kartoffel für die
meisten Spaltpilze ein ausgezeichnetes Medium;
ähnlich lassen sich andere Knollen und flei¬
schige oder mehlige Wurzeln zu Pilzaussaaten
verwenden. Brefeld und später R. Koch haben
sich der Nährgelatinen bedient, welche in der
Weise dargcstellt werden, dass man geeignete
Lösungen mit Gelatine, Carragheen, Agar-
Agar versetzt und auf die bei gewöhnlicher
Temperatur feste Substanz die Aussaat bewerk¬
stelligt (s. noch später: Cultur der Schimmel¬
pilze). Derartige Culturen haben den grossen
Vorzug, dass sie mittelst des Mikroskopes vom
Momente der Keimung an eine Spore bis zur
vollendeten Entwicklung verfolgen lassen, was
bei undurchsichtigen Medien unmöglich wird.
Auch Blutserum, Humor aqueus und andere
thierische Säfte, Hausenblasengallerte u. s. w.
eignen sich vorzüglich zur Cultur von Bacterien.
Ganz gut geeignete derartige feste Substrate
sind zusammengesetzt aus:
Gelatine. 10 Th.
Wasser. 90 „oder
Agar-Agar. 1—2 „
Wasser. 99—98 .,
Diese werden mit demselben Volumen
Harn, oder Heuinfus, Fleischinfus, Pepton¬
lösung, Weininfus, Decocten von getrockneten
Früchten (Pflaumen, Rosinen, Feigen u. dgl.)
gemischt. Bei stark saurer Reaction wird mit
Soda, dann mit Dinatriumphosphat neutrali-
sirt und schliesslich filtrirt. Im Uebrigen
möge hier noch ausdrücklich betont werden,
dass die festen Nährsubstanzen für Bacterien-
culturen den flüssigen gegenüber nicht jenen
überaus grossen Vorzug besitzen, wie R. Koch
und seine Schule behaupten. Sie sind in vielen
Fällen gewiss, wie bereits hervorgehoben, von
grossem Vortheile; nichtsdestoweniger wird
man mit der Zeit manche Spaltpilze finden,
welche in Flüssigkeiten besser gedeihen als in
Nährgelatinen. Hinsichtlich der Sicherheit der
Reinculturen existirt zwischen flüssigen und
festen Substraten ganz gewiss kein Unterschied.
Wünscht man Pilze in und auf Nährgelatinen
bei Brutwärme zu cultiviren, so kann man sich
der gewöhnlichen Gelatine nicht bedienen,
da sie sich verflüssigen würde. Hier leistet
Serum von Rinder- oder Schafblut, sowie Agar-
Agar vorzügliche Dienste. Letzteres bildet in
2°/ 0 iger Lösung eine noch bei 70° C. fest
bleibende Gallerte. Sehr günstig wirkt nach
R. Koch die Fleischwasser-Peptongelatine.
Sie wird dargestellt (Johne, Deutsche Zeitschr.
f. Thiermedicin, Bd. XI, 1884, S. 96), indem
man *50 g frisch gehacktes möglichst fettfreies
Rindfleisch mit 500 g destillirten Wassers zu¬
sammenmischt, sodann über Nacht auf Eis stehen
lässt und nach wiederholtem Umrühren durch
ein feines Seihtuch presst. Die Colatur wird
mit Aq. destill. auf 400 cm* gebracht, ihr 4 g
trockenes Pepton und 2 g Kochsalz, sowie
40 g gewöhnliche weisse Speisegelatine zu¬
gesetzt und Alles zusammen so lange stehen
gelassen, bis letztere gequollen und weich ge¬
worden ist, was ca. % Stunde währt. Unter
gelindem Erwärmen, so dass das Eiweiss nicht
zur Gerinnung gelangt, wird die ganze Masse
verflüssigt und hierauf so viel kohlensaures
Natron (Soda) zugesetzt, dass rothes Lackmus¬
papier leicht gebläut wird. Die Neutralisation
muss sehr sorgfältig ausgeführt werden, wenn
es sich um die Cultur des Cholerapilzes han¬
delt, während andere Pilze theilweise nicht
so empfindlich sind. Hierauf wird im Wasser¬
bade das Ganze */,—1 Stunde gekocht, wobei
alles Eiweiss gefällt wird: endlich filtrirt
man durch schwedisches Filtrirpapier (Falten¬
filter) und erhält so eine helle krystallklare,
schwach gelbliche Gelatine, die in sterilisirte.
mit Wattepfropf versehene Reagensgläser bis
auf ca. % Höhe derselben eingefüllt wird.
Selbstverständlich muss derart verfahren
werden, dass die Gelatine beim Einfüllen den
Rand der Reagensgläser und dadurch den
Wattepfropfen nicht berührt, weil später beim
WIederöflhen behufs Aussaat der Pilzkeime
unangenehme Störungen zu Tage treten wür¬
den. Schliesslich wird sterilisirt.
Für Sprosspilze eignen sich insbeson¬
dere Malzdecoct, Bierwürze, Most- oder Obst-
decocte, je nach Umständen mit Trauben¬
zucker versetzt; wenn die Flüssigkeit etwa
neutral reagiren sollte, fügt man zwerkmässig
268 CÜLTURMETHODEN NIEDERER PILZE.
«twas Säure (am besten Wein-, Citronen- oder
Apfelsäure) zu. Auch kann man für Sprosspilze
alle obigen, für Spaltpilze geeigneten Lösungen
verwenden, wenn man denselben noch etwas
Säure und Zucker beifügt. Wie Pasteur schon
1858 (1. c.) gezeigt, reichen neben Aschen-
bestandtheilen weinsaures Ammoniak und Zucker
in Lösung schon aus, um Hefe zu ernähren.
Schimmelpilze. Diese gedeihen meist
am besten in schwach angesäuerten Substraten.
Nach Brefeld vor Allem ausgezeichnet auf
dem Miste der Pflanzenfresser; sodann auf
gekochten Pflaumen, Rosinen, Aepfeln, Kirschen
und anderen Früchten, auf Scheiben unge¬
säuerten Brotes, das noch mit Decocten von
Wurzeln, Kräutern, Heu, Früchten u. s. w.
getränkt wurde. Alle diese Substrate werden,
falls sie nicht schon sauer reagiren, mit
2— 5%iger Lösung von Citronen- oder Wein¬
säure, oder mit 0*5—l%iger Phosphor¬
säure versetzt. Auch Stärkeglycerinkleister,
mit weinsaurem Ammoniak versetzt, gibt
häufig ein gutes Medium für Schimmelpilze,
z. B. für Penicillium und Aspergillus. Ange¬
nehmer erweisen sich in den meisten Fällen
klare, durchsichtige Substrate aus nahelie¬
genden Gründen. Man kann hiezu die ver¬
schiedensten Infusionen von Pflanzentheilen,
zumal von Früchten, Samen, Heu, Wurzeln,
saftigen Stengeln, Knollen u. s. w. verwenden,
namentlich eignen sich regelmässig diejenigen
Substanzen, auf und in welchen die betreffenden
Pilze in der Natur gedeihen. Die Infusionen
können warm oder kalt angesetzt werden, z. B.
verschiedene Fruchtarten, gedörrtes Obst, geeig¬
nete Hölzer, auch mit Vortheil (Brefeld) Mist.
Man lässt einige Zeit warm oder kalt stehen
und filtrirt zuletzt klar ab. Diese gewonnenen
Lösungen müssen jetzt selbstverständlich
sterilisirt werden. Reagiren sie stark sauer,
so werden sie zuvor noch mit Ammoniak
nahezu neutralisirt. Anstatt der Lösungen
kann man auch eingedickte Extracte von
Honigconsistenz u. s. w. vorräthig halten.
Auch die medicinisch angewendeten lassen
sich theilweise mit Erfolg zu Pilzculturen
verwenden. Z. B. habe ich mehrfach Extrac-
tum graminis, Extr. taraxaci und E. cardui
benedicti, ferner mit NH 3 fast neutralisirtes
Tamarindenmus zu diesbezüglichen Culturen
benützt. Auf 100 cm* Wasser nimmt man
3— 5 g Extract oder Mus, sowie 0 * 5—1 %
Pepton oder Fleischextract oder Leucin oder
Asparagin. Die Lösung wird kalt hergestellt,
filtrirt, sodann sterilisirt.
Die für den Pilz geeignete, in irgend
einer Weise gewonnene Nährsubstanz, gleich-
giltig ob sie fest oder flüssig, klar oder un¬
durchsichtig ist. muss nebst den zur Cultur
benützten Apparaten vollkommen pilzfrei ge¬
macht werden, was man je nach Umständen
auf verschiedenem Wege erreichen kann. Ob¬
jectträger, Gläser u. s. w. werden % bis
1% Stunden auf 150—160° C. erhitzt.
Reinculturen, Sterilisation. Alle für
die Culturen dienenden Lösungen, Nährböden
und Apparate müssen vor der Aussaat voll¬
kommen pilzfrei gemacht werden, da sonst
Verunreinigungen unvermeidlich und die grössten
Täuschungen unausbleiblich sind. Unterlässt
man die Sterilisation oder führt sie unge¬
nügend durch, so ereignet es sich gewöhnlich,
dass die bereits vorhandenen Keime die künst¬
lich dazu gebrachten überflügeln und selbst
ganz verdrängen. Die Reihe von jetzt folgen¬
den Irrthümem kann unabsehbar werden. Der¬
artige Vorkommnisse lassen sich aber bei
einiger Vorsicht leicht vermeiden. Zunächst
bewahrt man Deckgläser und Objectträger in
8—10%iger Salzsäure auf, ebenso können
Glasglocken, Reagensgläser u. s. w. in der¬
selben Weise behandelt werden. Kurz vor dem
Gebrauche werden sie mit ausgekochtem de-
stillirten Wasser gereinigt, sodann in einem
Trockenschranke ca. I—2 Stunden auf 150 bis
160° C. erhitzt. Ein dichter, langer Watte¬
pfropf hält beim nachherigen Abkühlen und
Eindringen von Luft die in letzterer etwa vor¬
handenen Keime zurück. Messer, Nadeln,
Scheren u. s. w. erhitzt man direct vor dem
Gebrauche über der Spiritus- oder Gasflamme.
Die mit den Nährlösungen beschickten Gläser
werden am besten im Papin’schen Topfe durch
%—1 ständiges Erhitzen auf 115° C. pilz¬
frei gemacht. Zur Aussaat bedient man sich
gewöhnlich eines Platindrahtes (in einen Glas¬
stab eingeschmolzen), welcher direct vor dem
jedesmaligen Gebrauche geglüht wird. Wendet
man Kartoffeln, Rüben, Früchte u. s. w. als
Substrat an, so werden auch diese (nachdem
sie zuvor 10—15 Minuten in l%iger oder
%—1 Stunde in 0'5%iger Sublimatlösung
gelegen) im Papin’schen Topfe sterilisirt, so¬
dann nach dem Erkalten und Herausnehmen
mit Sublimatlösung (1 : 2000) abgewaschen,
auch die Hände und Instrumente mit solcher
benetzt und gereinigt. Sie werden unter eine
Glocke, die man mit Salzsäure oder mit
Sublimat sorgfältig reinigte, auf gleichfalls
mit Sublimat, Kupfervitriol, Chlorzink oder ähn¬
licher giftiger Substanz (in Lösung) benetztes
Filtrirpapier gelegt. Dieses und die innen mit¬
telst feiner Brause überall gleichmässig be¬
netzte Glasglocke erhalten die Luft unter der
Glocke feucht. Die gewöhnliche Gelatine darf
behufs Sterilisirung im Dampftopfe nicht über
5—10 Minuten erhitzt werden, da sie sonst
beim Erkalten nicht mehr völlig erstarrt.
Agar-Agar, Carragheen und Cetraria islandica
erfordern diese Vorsicht nicht. Man kann diese
Gallerten, ebenso andere Nährflüssigkeiten,
sodann Blutserum auch dadurch sicher sterili-
siren, dass man sie nach R. Koch sechs Tage
hindurch täglich eine Stunde lang auf 58 bis
60° C. erwärmt, sodann 7—8 Stunden lang
auf 65—75° C. erhitzt. Serum fängt dann
eben an zu erstarren und fest zu werden. Sehr
viele Substanzen, insbesondere sauer reagirende,
lassen sich auch sicher sterilisiren, wenn man
sie 3—4 Stunden lang bei 100° C. erhält; so
Kartoffeln, Rüben, verschiedene Früchte (ohne
Steinkerne) u. s. w. Um sicher *die Temperatur
von 100° C. zu erreichen, bedient man sich
oft eines Kochsalz-, Chlorcalciums- oder Oel-
bades. Alle sterilisirten Nährsubstanzen müs¬
sen vor der Anwendung auf deren Reinheit
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CULTURMETHODEN NIEDERER PILZE.
untersucht werden; dies geschieht, indem man
sie längere Zeit bei 30—35° C. stehen lässt
Mit Gelatine bereitete Substrate dürfen nur
auf 20—25° C. erhitzt werden, weil sie sich
sonst verflüssigen. Agar-Agar und geronnenes
Blutserum ertragen eine Temperatur von 40 0 C.,
ohne zu erweichen. Am zweckmässigsten hält
man sich stets einen grösseren Vorrath sterilisir-
ter Nährsubstanzen. Hielten sich diese Wochen
hindurch unverändert, so ist man stets ver¬
sichert, dass keinerlei Verunreinigungen vor¬
gekommen; sie sofort nach vorgenommener
Sterilisation zu verwenden, ist immerhin ein
gewagtes und unsicheres Verfahren. Dabei ist
aber wohl zu beachten, dass vollkommene
Klarheit nicht immer ein sicheres Zeichen von
Reinheit der Lösungen ist, denn viele Spalt¬
pilze wachsen und vermehren sich, ohne die
Nährflüssigkeit zu trüben.
Reinculturen erhält man am ein¬
fachsten dadurch, dass bei Ausschluss aller
fremden Keime die Aussaat mit möglichst
wenig Zellen, am besten mit einer einzigen
ausgeführt werde. Verschiedene Methoden
und Wege können zur Reincultur führen.
1. Brefeld’s Verdünnungsmethode.
Man vermischt zu diesem Zwecke eine Flüs¬
sigkeit, die Pilzzellen enthält, so lange mit
reinem Wasser oder auch mit sterilisirter
Nährstoffflüssigkeit, bis auf einen oder zwei
Tropfen der so hergestellten Mischung nur
eine Pilzzelle kommt. Nun ist es leicht, auf
beliebige Objectträger oder in beliebige Cultur-
fltissigkeiten nur eine Spore zur Aussaat zu
bringen. Dieser Methode kann man sich auch
dann bedienen, wenn in einer Flüssigkeit
zwei oder mehr verschiedene Arten von Pilz¬
zellen Vorkommen. Nägeli z. B. züchtete auf
diese Weise reine Formen aus faulem Harn,
welcher Coccen und Stäbchen enthielt, und
von denen erstere rein gewünscht wurden. Er
nahm einen Tropfen (ca. 0’03 cm 8 ) faulen
Harnes, in dem ca. 500.000 Einzelindividuen
enthalten waren, und vermischte ihn mit
30 cm 3 Wasser. Aus dieser 1000 fach ver¬
dünnten Flüssigkeit wurde, nachdem sie durch
Schütteln wohl gemischt war, wiederum ein
Tropfen mit 30 cm 8 Wasser vermischt und
so eine millionfache Verdünnung hergestellt,
in welcher jeder zweite Tropfen eine Pilz¬
zelle enthalten musste. Bei der Beschickung
von zehn pilzfreien Gläsern blieben vier ohne
Vegetation, in einem bildeten sich Stäbchen
und fünf enthielten die gewünschten Coccen.
2. Brefeld’s Gelatinecultur. Hiezu
wird sterilisirte Nährgelatine auf zuvor ge¬
glühten oder stark erhitzten Objectträgern
ausgebreitet. Alsdann taucht man eine steri¬
lisirte Nadel-, am besten Platinspitze in die
geeignet verdünnte (s. oben) spaltpilzhaltige
Flüssigkeit und ritzt nun damit die Gelatine
an einer oder einigen Stellen. In der Regel
werden auf jede Ritzstelle nur ein oder wenige
Pilzkeime kommen, die sich nun einzeln in
ihrer charakteristischen Wachsthums weise ver¬
folgen lassen. Diese Methode der Cultur in
festen Medien wurde von R. Koch in erster
Linie bei seinen Spaltpilzculturen angewendet
269
und vervollkommnet. R. Koch verfährt mit
einigen Modiffcationen fast ebenso, indem er
sterilisirte Nährgelatine, die in einem mit
Wattepfropf verschlossenen Reagensglas sich
befindet, mit der pilzhaltigen Substanz (Eiter,
Blut, Schleim u. dgl.) mischt. Auf 15 bis
20 cm 8 Nährgelatine nimmt er dabei, je nach
der muthmasslichen Menge darin enthaltener
Pilzkeime, 0*5—1 Tropfen der Pilzsubstanz.
Das Mischen muss sehr vorsichtig erfolgen.
Darauf wird von dieser Substanz abermals
eine geringe Menge (einige Tropfen) ver-
wendet^. um ein Deues sterilisirtes Glas mit
Nährgelatine zu inficiren. Nach sorgfältigem
Mischen kann je nach Bedarf dieselbe Procedur
abermals wiederholt werden. Ist der gewünschte
Verdünnungsgrad erreicht, so wird die fest
erstarrende Gelatine auf desinficirte Glas¬
platten ausgegossen. Man bringt sie nun in
eine feuchte Atmosphäre, am besten unter
eine Glasglocke, auf Teller oder Glastafeln
und hält die Luft mittelst benetzten Lösch-
papieres etc. in der gewöhnlichen Weise feucht.
Schon am zweiten oder dritten Tage erhält
man je nach dem Grade der Verdünnung,
dichtere oder lockerer zerstreute Pilzcolonien,
jede aus einer Zelle entstanden, die man in
ihrer Weiterentwicklung in der Regel schon
mit unbewaffnetem Auge zu verfolgen vermag.
Leicht wird es jetzt, absolut reine Culturen
aus diesen Insel-Vegetationen zu erzielen.
Aehnlich der Brefeld’schen und Koch’schen
Gelatinecultur, jedoch lange nicht so bewährt
und sicher verhält es sich mit der jetzt all¬
gemein angewendeten Methode der Pilz-
culturen auf gekochten, nicht mehlig gewor¬
denen, sog. speckigen oder Salatkartoffeln.
Diese werden zunächst äusserlich sorgfältig
gereinigt, sodann % — 1 Stunde in einhalb-
bis einpercentiger Sublimatlösung gelegt.Nach-
dem diese hierauf im Dampftopf sterilisirt
sind, werden sie mit Vorsicht aufgeschnitten,
wobei sie nur mit den Fingern der überdies
mit dünner Sublimatlösung benetzten einen
Hand berührt werden. Auch das zum Ent¬
zweischneiden dienende Messer soll zuvor
eine Flamme passirt haben. Man legt sie jetzt
auf mit einer Sublimatlösung (1:1000) be¬
feuchtetes Löschpapier unter die Glasglocke
(s. oben) und nun werden sie ebenfalls mit einer
frischgeglühten Nadel, die in die betreffenden
pilzhaltigen Substanzen getaucht worden, an
diversen Stellen geimpft. Man erhält so
kleine, erst punktförmige, später sich aus¬
breitende Rasen, die gewöhnlich Reinculturen
für sich darstellen und sich häufig durch
Färbung, Art der Ausbreitung, verschiedene
Formbildung, verschiedene Consistenz u. s. w.
von benachbarten anderen unterscheiden lassen.
Jedenfalls sind diese Colonien ein sehr geeig¬
netes Ausgangsmaterial für Reinculturen. Das¬
selbe Resultat wie Kartoffel geben Topinam¬
burknollen, Bataten, Aepfel, Birnen u. s. w.,
nur müssen letztere mit einigen Tropfen
Ammoniakflüssigkeit zuvor neutralisirt werden.
3. Die Methode der fractionirten
Cultur von Klebs beruht auf der That-
sache, dass von zwei oder mehreren Spalt-
270
CUM ABIN — CÜMBERLAND-SCHAF.
pilzen, die sich in einer Nährsabstanz befin¬
den, zuletzt gewöhnlich die eine die andere
oder die anderen mehr oder weniger über¬
wuchert, unter Umständen selbst ganz ver¬
drängt. Wenn man daher aus einer spaltpilz¬
haltigen Flüssigkeit einen Tropfen in eine
Nährflüssigkeit A bringt, sodann nach einiger
Zeit von A in die Nährflüssigkeit B u. s. w.
versetzt, so wird man schliesslich einen der
ursprünglichen Spaltpilze in Reincultur er¬
halten müssen. Durch verschiedene Arten von
Nährflüssigkeiten wird man auf diese Weise
die verschiedenen, in der Urflüssigkeit ent¬
haltenen Formen in Reinzuchten erhalten
können. Es ist klar, dass diese Methode um¬
ständlicher und unsicherer sein wird als die
oben angeführten Verdünnungsmethoden.
Apparate. Will man, was in vielen
Fällen durchaus wünschenswerth oder er¬
forderlich sein kann, einen einzelnen Pilz¬
keim von der ersten Entwicklung, d. i. Kei¬
mung an direct verfolgen, so benützt man
hiezu mit Vortheil folgende Apparate:
4. Die einfache Glasringkammer.
Sie besteht (Fig. 407) aus einem Object-
Fig. 407. Einfache Glasringkammer.
träger, auf dem ein etwa 5—8 mm hoher
Glascylinder befestigt ist, und welcher sei¬
nerseits durch ein Deckgläschen bedeckt
wird. Auf die Unterseite dieses letzteren
kann ein einziger Pilzkeim nebst der geeig¬
neten Nährlösung gebracht und nun von oben
direct beobachtet werden. Um Verdunstung
und damit Austrocknung der Culturen zu ver¬
meiden, kann man auf dem Grund der Kam¬
mer einige Wassertropfen anbringen. Noch
besser als diese gewöhnliche Form sind Kam¬
mern, die Ab- und Zuleitungsrohr besitzen
und so eine Zufuhr feuchter Luft gestatten,
wie es Figur 408 zeigt.
2. Die Kammer v. Recklinghau¬
sen (Fig. 409) besteht aus einer Glaskam¬
mer von Deckglasdicke, welche mit Ab- und
Zuleitungsrohr versehen ist. Diese Kammer
ist auf der einen Seite flach, auf der anderen
derartig vertieft, dass in der Mitte Ober- und
Unterseite sich an einer Stelle fast berühren und
an dieser nun ein capillarer Tropfen hängen
bleibt. Man saugt die Kammer voll und
lässt darauf auslaufen. Nur der capillare
Tropfen mit einem Keime bleibt schliesslich
hängen und kann nun von obenher beobachtet
werden. Diese Kammer reicht jedoch nur aus
Fig. 409. Kammer von Recklinghausen.
für grössere Sporen, nicht aber für Spaltpilze,
da diese kleinen Zellen fortwährend in dem
Tropfen ihre Lage verändern. Für diese
Zwecke dient am besten
3. Die Brefeld’sche Kammer. Die¬
selbe unterscheidet sich von voriger dadurch,
dass sie keinen Capillarraum besitzt. Sie wird
Fig. 410. Brefeld'sche Kammer.
ebenfalls von feinstem, dünnstem Deckglas
hergestellt, ist auf beiden Seiten flach und
gestattet ein gleichmässiges, höchst feines
Ueberziehen der Wandungen mit Nährstoff¬
lösungen, wobei es schliesslich leicht gelingt,
einen Keim zu fixiren und ihn beliebig lange
zu beobachten. Da die Nährstofflösungen in
höchst dünner Schichte aufgetragen sind, so
findet ein Hin- und Herbewegen derselben,
überhaupt ein Schwanken, nicht statt. Um in¬
dessen die Culturflüssigkeit möglichst dünn
und gleichmässig ausbreiten zu können, wer¬
den die Kammern erst mit salzsäurehältigem
Wasser (10%) längere Zeit behandelt, sodann
mit Alkohol, dann mit Aether und schliess¬
lich mit reinem Wasser abgespült, dann erst
mit der Nährstofflösung, welche im Tropfen
etwa einen Pilzkeim enthält, beschickt. Harz.
Cumarin. Ein in den Tonkabohnen. im
Waldmeister (Asperula odorata), ferner in
mehreren Wiesenkräutern, so z. B. im
Honigklee (Melilotus officinalis) und im Ruch¬
gras (Anthoxantum odoratum) vorkommendes
ätherisches Oel, dessen aromatischer Ge¬
ruch, namentlich beim Welkwerden der ge¬
nannten Pflanzen, hervortritt. Dieser Stoff be¬
dingt auch den charakteristischen Geruch des
Wiesenheues. Nach der Stärke dieses Geruches
— wie dies von Laien öfters geschieht — die
Güte eines Wiesenheues beurtheilen zu wollen,
ist nicht statthaft. Das Ruchgras, welches mei¬
stens den Geruch gebenden Bestandteil bildet,
gehört zu den schlechteren Futtergräsem. Pott.
Cumberland-Schaf oder Herdwick-Schaf.
Dasselbe ist wohl mit vollem Rechte zu
den Bergschafen zu rechnen. Sein Heimats¬
bezirk ist die Grafschaft Cumberland im nord¬
westlichen Theile Englands an der Grenze
von Schottland und namentlich das Cumb-
rische Gebirge. Der eben genannte Verbrei¬
tungsbezirk soll seit undenklichen Zeiten
ein Majorat der Lord Muncaster’sclien Familie
sein und die Rasse dort seit Menschengedenken
CUMBERLAND-SCHWEINE.
sich befinden. Fitziuger gibt eine genaue Be¬
schreibung derselben. Danach ist der Kopf
klein, die Stirne platt, der Nasenrücken fast
gerade, die Schnauze zugespitzt und stumpf
abgerundet: die Augen sollen mittelgross und
lebnaft, die Öhren nicht lang, scharf zusammen¬
gerollt und aufrechtstehend sein. Beide Ge¬
schlechter sind in der Regel hornlos, nur
ausnahmsweise kommen Hörner bei den
Widdern vor, die dann denen des Black-
faced ähnlich, nur kürzer und dünner sind
und nur eine einfache Schneckenwindung be¬
schreiben. Der Leib soll kurz und schlank
sein, der Rücken schmal und gerade, die
Beine sind mässig hoch, dabei dünn, doch
kräftig, der Schwanz von mittlerer Länge und
mit kurzer gewellter Wolle besetzt. Der
Rumpf trägt ein dichtes Vliess von ziemlich
kurzer, gewellter, weder feiner noch weicher,
etwas verfilzter Wolle, die oft mit einzelnen
steiferen Haaren untermischt ist. Kopf und
Beine bis über Knie und Sprunggelenk hinauf
sind mit kurzen, glatt anliegenden Haaren
besetzt; es finden sich oft schwarze Flecken
auf weissem Grunde, doch sind solche dunkle
Flecken oft sehr unbedeutend und sparsam
vorkommend. Das Schurgewicht wird auf
0*9—1 • 15 kg beziffert; die Ernährungsverhält¬
nisse für diese Rasse sind sehr dürftige. Die
Felsen, welche von denselben bewohnt werden,
sind zum Theile kahl, zum Theil nur mit
dünner Erdschichte bedeckt, welche mehr
thalwärts einige Gräser, höher hinauf nur
Haidekraut trägt. Dies bildet die kärgliche
Nahrung. Selbst im Winter, den sie auch bei
Sturm und tiefem Schnee im Freien zubringen,
erhalten sie kein Beifutter. Der rauhen Ge¬
birgsgegend wegen findet die Lammzeit erst
im Monate April und noch später statt; die
Lämmer sollen schon mit starkem Wollpelze
versehen geboren werden. Die Mutterschafe
werden so lange zur Zucht angehalten, als
sie nur ein Lamm bringen können: so kommt
es vor, dass dieselben erst in einem Alter
von 10—15 Jahren auf die Schlachtbank kom¬
men. Bockzucht wird nur für den eigenen Bedarf
getrieben; die Hammel werden in einem Alter
von 4% Jahren ungemästet an den Schlächter
verkauft. Das Gewicht eines solchen, aus¬
geschlachtet, ist nach abgezogenem Felle 16*5
bis 80 kg, das eines Mutterschafes 11—14 *5 kg.
In der ganzen Gegend ist diese Rasse ihrer
harten festen Constitution wegen sehr ge¬
schätzt. Bohm.
Cumberland-Schweine. Die in der eng¬
lischen Grafschaft Cumberland gezüchteten
Schweine gehören grösstentheils zu den mittel-
grossen, frühreifen Rassen (Breeds) von Gross-
britannien, welche sich fast alle durch eine
vortreffliche Mastfähigkeit und gute Fleisch -
qualität auszeichnen. Früher rühmte man be¬
sonders die in den Berglandschaften von Cum¬
berland aufgezogenen Schweine als sehr durabel
und behauptete, dass sie besser als die an¬
deren Rassen von Nord-England die Unbilden
des Wetters auszuhalten vermöchten; sie wären
zum Austrieb auf entfernte Bergweiden ge¬
eignet, zeigten sich daselbst sehr genügsam
— CUMULATIVE WIRKUNG. 271
und seien Allesfresser in des Wortes vollster
Bedeutung. Die Engländer nannten sie „huge
feeders“ und rühmten nebenbei die erstaunlich
grosse Fruchtbarkeit dieser Zucht. Nach neueren
Berichten (aus England) ist die alte Cumber-
land-Breed kaum noch zu finden; sie hat den
modernen veredelten Zuchten (mit grösserer
Frühreife) Platz machen müssen, und nur ver¬
einzelt in abgelegenen Dorfschaften züchten
die Kleinbauern die alte Rasse fort. Freytag .
Cuminum Cymium, Mutterkümmel, Römi¬
scher oder Kreuzkümmel, einheimisch am obe¬
ren Nil, jetzt überall im südlichen Europa
angepflanzt und im Handel; Umbellifere L.
V. 2. Zum Unterschied von unserem Kümmel
(s. Carum Carvi) sind die länglichen Samen,
d. h. die Früchte,
Fructus Cumini (nicht officinell), von
beiden Seiten etwas zusamraengedrückt und
meist in den Pericarpien nicht zerfallen; diese
sind braun mit grünlichgelben Rippen, u. zw.
mit fünf dünnen Haupt- und vier breiten Neben¬
rippen versehen und mit abgebrochenen Börst-
chen besetzt, daher rauh. Wirksam ist das
nicht eben angenehm riechende aromatische
Oel (3%), das wesentlich ein Gemenge von
Cuminol und Cymol ist und ganz dieselben
Wirkungen besitzt wie das Carvol und Carven
des einheimischen Kümmels; die Thierärzte
verschreiben das Mittel nicht, es wird viel¬
mehr nur als Volksmittel, hauptsächlich von
den Landleuten für sich und ihre Thiere ge¬
braucht (Haferküramel). Vogel.
Cumming studirte Thierheilkunde in
Edinburgh und war Thierarzt zu Neubraun¬
schweig in Nordamerika, schrieb 1854 über
Hufbeschlag und über Bleivergiftung. Sr.
Cumulative Wirkung. Durch längeren Ge¬
brauch von Arzneimitteln wird nicht selten
dem Organismus die Fähigkeit entzogen, auf
die Einwirkung derselben zu reagiren, es tritt
daher eine gewisse Abstumpfung der Empfind¬
lichkeit, eine Toleranz gegen das Mittel
ein, so dass dessen Gaben immer mehr ge¬
steigert werden müssen, und es kann dahin
kommen, dass Thiere schliesslich durch Dosen
stark wirkender Arzneistoffe kaum afficirt,
während andere, daran nicht gewohnte, ge-
tödtet werden. Dem Therapeuten kann diese
Toleranz eine grosse Plage werden, wenn er
längere Zeit solche Medicamente zu reichen
gezwungen ist; man hilft sich dann am besten
dadurch, dass man längere arzneifreie Zwi¬
schenräume interponirt oder mit analogen
Mitteln eine passende Abwechslung trifft (z.B.
statt Arsenik Spiessglanz verschreibt); vor¬
zugsweise schwächen sich die narkotischen
Mittel ab, Alkohol, Tabak, Opium, Atropin
und Kaffein und ist dasselbe in neuester Zeit
auch beim Curare, Physostigmin und der
Carbolsäure beobachtet worden, auch gibt es
namentlich unter den verschiedenen Thier¬
gattungen gewisse Idiosynkrasien und selbst
Immunitäten, die sich nicht weiter erklären
lassen. So ist bekannt und jetzt auch nach¬
gewiesen, dass Kaninchen, Meerschweine,
Ratten, Tauben grosse selbst für den Men¬
schen tödtliche Gaben von Belladonna unge-
Digitized by Cnoogie
373 CUMULUS. — CUPRUM SULFURICUM.
straft zu sich nehmen kennen, und ist dasselbe
der Fall für Tauben gegen Morphin, Hühner
gegen Strychnin und Cantharidin, für Pferde
gegen Arsen; dagegen sind eminent empfind¬
lich: Schweine gegen Pfeffer, Ziegen gegen
Digitalis, Papageien und Mäuse gegen Peter¬
silie, junge Hunde gegen Hollunderbeeren,
Fliegen gegen Quassia u. s. w. Indessen gibt
es auch Arzneimittel, bei denen eine Gewöh¬
nung nicht stattfindet, sondern im Gegentheil
nach längerem Fortgebrauche selbst kleinerer
Gaben kommt plötzlich ein stärkerer, selbst
toxischer Effect zum Durchbruch, so dass sich
gleichsam die Wirkung der Einzeldosen sum-
rairt, anhäuft, was als cumulative Wirkung
bezeichnet und besonders bei der Digitalis
beobachtet wird, ebenso beim Quecksilber.
Man reicht daher von solchen Mitteln nur
wenige Gaben, auch diese nur auf einen,
höchstens zwei Tage und setzt dann auf
4—5 Tage aus. Vogel.
Cumulus (von cumulare, häufen) der
Hügel. — C. ovigerus, der Keimhügel.
Cupriacetat, s. Cuprum aceticum.
Cuprum aceticum kommt in zwei Ver¬
bindungen vor, als
BasischesKupferacetat, der gewöhn¬
liche Grünspan, Aerugo (s. d.), Viridis aeris,
Cuprum subaceticum, basisches Cupriacetat,
Subacetas Cupri (Ph. A.) und als
Neutrales Kupferacetat, krystalli-
sirter Grünspan, Cuprum aceticum, Aerugo
crystallisata (Flores viridis aeris) mit seinen
dunkelgrünen glänzenden Säulen; der echte
Grünspan ist Kupferrost, der sich bei Ein¬
wirkung von Luft und Wasser auf Kupfer
bildet; er ist grünes basisches Cupricarbonat,
Cupruin subcarbonicum (liydrocarbonicum),
kohlensaures Kupferoxyd oder Kupfergrün.
Beide Kupferacetate finden keine Anwendung
mehr, denn die physiologische Wirkung ist die
des schwofeisauren Kupfers; früher wurde es
thierärztlich als Aetzmittel gebraucht (wegen
der grossen Affinität zu Eiweiss), und was die
Grünspanvergiftung betrifft, so findet sich die
Kupferintoxication in dem Artikel über Cu¬
prum sulfuricum.
Unguentum aegyptiacum, Aegyptiac-
salbe, eine Verbindung von 1 Grünspan mit
1 Essig und 2 Honig (Tabourin, Delafond)
zu einerdicklichen Flüssigkeit, der Name Salbe
ist daher falsch, richtiger Linimentum Aeru-
ginis, Grünspan-Sauerhonig, Oxymel Aeru-
ginis. Man gebrauchte früher das Mittel
häufiger als austrocknendes Constringens bei
Luxuriationen, profusen Eiterungen besonders
in den Hufen, bei Klauengeschwüren, Fisteln,
insbesondere aber auch der eiweisscoaguliren-
den Wirkungen wegen bei Gelenkswunden:
jetzt ist zum Glück das mehr als 1000 Jahre
alte Mittel antiquirt oder fast nur mehr von
Kutschern gebraucht. Es trägt den Stempel
der Empirie schon an der Stirne, denn der
grösste Theil des Acetates zersetzt sich alsbald
und gehen auch während der Aufbewahrung
noch weitere Zersetzungen durch den Honig
vor. Die heutige Wundbehandlung weist ganz
andere und viel wirksamere Stoffe auf, und
was Gelenksverletzungen betrifft, so geht die
Heilung am besten durch Antiseptik und
Drainage des Gelenkes vor sich, nicht aber
durch bestimmte und veraltete Arzneimittel. VI.
Cuprum aluminatum, Kupferalaun, dar¬
gestellt durch Zusammenschmelzen von je
16 Kupfervitriol, Salpeter und Alaun mit
1 Kampher, eine grünliche Masse, die auch
in Stiftform wie der Höllenstein gegossen
werden kann. Das Mittel war früher bei ent¬
zündlichen Affectionen des Auges, Hornhaut¬
geschwüren und Flecken ein ausserordentlich
geschätztes (es hiess deswegen auch Götter-
stein, Lapis divinus, Lapis ophthalmicus,
Augenstein, Heiligenstein), nachdem es jedoch
örtlich durchaus keine andere Wirkung erzielt
als die leicht ätzende und adstringirende des
Kupfersulfates, so zieht man jetzt allgemein
das einfache und in seinem chemischen Be¬
stände auch zuverlässigere Cuprum sulfuricum
vor. Anwendung in Substanz oder in Lösung
zu 10% auf Wunden, in das Auge zu 0*01
bis 1 auf 10 destillirtes Wasser. Vogel.
Cuprum subaceticum, basisch-essigsaures
Kupferoxyd, der gewöhnliche Grünspan, s.
Aerugo und Cuprum aceticum. Vogel.
Cuprum 8UlfuriGum,8chwefelsaures Kupfer¬
oxyd, Kupfervitriol, Vitriolum Cupri, Kupfer¬
sulfat oder Cuprisulfat (zum Unterschied von
schwefelsaurem Kupferoxydul oder Cupro-
sulfat); blauer Vitriol, Vitriolum coeruleum,
blauer Galitzenstein, Cyprischer Vitriol (Sulfas
Cupri crystallisatus, Ph. A.).
Aeusserlich wird von allen Kupfer¬
präparaten der Vitriol nur allein mehr an-
gewendet, u. zw. roh als Cuprum sulfuricum
crudum. Durch seine Verbindung mit den Al-
buminatender Secrete und Gewebe wirkt es ad-
stringirend, austrocknend, secretionsbeschrän-
kend, denn auch die Gefässe werden etvras
contrahirt, wie beim Zinkvitriol und Bleiacetat,
jedoch nicht so kräftig als beim Höllenstein,
es lässt sich daher auch als entzündungs¬
widriges Mittel wie die genannten verwenden,
hauptsächlich aber bei Conjunctiviten, wenn
auch nur aus dem Grunde, weil es sich
leichter in Krystallform darstellen lässt und
so eine scharf örtlich umschriebene Application
gestattet; erst bei längerem Touchiren oder in
concentrirter Gabe coagulirt es so viel Eiweiss,
dass eine Aetzung zu Stande kommt, es ist
diese aber erheblicher als beim Zink und
Blei; ebenso kann den Vitriolen eine leichte
desinficirende Kraft nicht abgesprochen werden,
doch wird die Bacterienentwicklung erst ge¬
stört bei 1:130. Zu Augenwässern benützt
man Lösungen von 1:100—200 mit oder
ohne Opiumtinctur; zu adstringirendem Wund-
verbande sind die Lösungen meist 5%ig, zu
kaustischen Zwecken 10 °/ 0 ig oder concentrirt,
und sind diese noch stärker, wenn statt Wasser
Essig genommen wird. In Substanz oder Solu¬
tionen dient das Mittel vornehmlich gegen
üppige Granulationen, reichliche Eiterung.
Kronentritt, Geschwüre, gegen Fisteln und
Caries, diphtheritisch-croupöse Conjunctivitis
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OUR. 173
des Geflügels (Gregarinen), Aphthenseuche
(3%), Strahlkrebs (1 : 2*—3 mit Theer), Horn¬
spalten XL. 8 . w.
Innerlich erweisen sich kleine Gaben
ebenfalls adstringirend, styptisch, ähnlich dem
Blei appetitraubend und verstopfend, wenn
sie länger fortgegeben werden; grössere Gaben
erregen schon Ekel, Erbrechen und selbst
Durchfall. Grosse Gaben (Hunde 1—3 g, Ziegen
5—10 g, Pferde30—50 g) tödten durch Gastro¬
enteritis, auch steht der Resorption nichts
im Wege, falls nicht erbrochen wird, es
kommen daher bald Allgemeinerscheinungen,
welche besonders von der Muskulatur und dem
Herz ausgehen, indem die Muskelreizbarkeit
geschwächt und schliesslich aufgehoben wird,
die Sensibilität des Nervensystems aber bis
zum Herztod fortdauert. Bei subcutaner An¬
wendung sterben Hunde und Kaninchen schon
bei 0'5, bei intravenösen Einspritzungen gar
schon auf 0*01—0*025, und ist dabei auf¬
fallend, dass die Wirkung erst nach mehreren |
Stunden eintritt, ein Beweis, dass das Metall
ungewöhnlich lange im Blute (als Kupfer-
albuminat) zurückbleibt; ferner ist leicht die
Bemerkung zu machen, dass die Wiederkäuer
(wie beim Blei und Quecksilber) empfindlicher
gegen Kupfer sind als Pferde, ebenso das
Geflügel. Trotzdem ist nicht abzusehen, welchen
Nutzen das Mittel in Krankheiten gewähren
soll, denn die adstringirenden Effecte erzielt
man mit anderen ungiftigen Stoffen ebenso
sicher, man macht daher von ihm gegenwärtig
keinen innerlichen Gebrauch mehr, nur bei
den Omnivoren benützt man seine Eigentüm¬
lichkeit, die peripherischen Magennerven in
der Art zu reizen, dass mit grosser Sicherheit
Erbrechen eintritt und die Thiere nicht so
stark mitgenommen werden, als z. B. durch
den BrechWeinstein. Als Emeticum gibt man
Schweinen 1*0—2*0 in lauem Wasser auf
einmal, Hunden die Hälfte, selten ist eine
zweite Gabe nöthig, Apomorphin aber vor¬
zuziehen, wenn die Verdauung nicht geregelt
ist oder vorher schon Durchfall oder Neigung
dazu besteht. Aetzungen des Magens sind
der sicheren emetischen Wirkung wegen auch
bei grösseren Gaben nicht zu befürchten, das
Mittel wird daher auch neben dem Apo¬
morphin sicher seinen Platz behaupten. Als
Gegenmittel bei acuten Vergiftungen mit
Grünspan oder blauem Vitriol empfiehlt sich
Eisen. Schwefel. Magnesia usta, in Nothfallen
viel Zucker oder Milch, Eiweiss; in neuerer
Zeit hat man auch gefunden, dass Kupfer¬
vitriolnichtunwirksam ist gegen Intoxicationen
des Phosphors. Endlich kommen auch chro¬
nische Kupfervergiftungen bei Thieren vor,
und kennt man die Erscheinungen jetzt ge¬
nauer, nachdem Ellenberger und Hofmeister
sehr dankenswerthe Versuche bei Schafen an¬
gestellt haben. Bei längerer Einwirkung Yon
Kupfersalzen (zu 0*5—3*0) zeigte sich, dass
diese noch wochenlang nach dem Aussetzen
der Gaben im Kothe, in der Leber, den
Nieren und Muskeln nachweisbar sind, die
Ausscheidung aber hauptsächlich durch die
Galle, weniger durch den Harn geschieht,
Koch. Encyklopadie d. Thierheilkd. II. Bd.
wie denn überhaupt die Leber als Hauptdepot
des Kupfers anzusehen ist; ausserdem erhält
sie (wie der Darm auch) immer wieder durch
Resorption das schon einmal ausgeschiedene
Kupfer wieder, charakteristisch sind daher
die fortwährenden Nach Vergiftungen, trotzdem
keine Gaben mehr gegeben werden. Aehnlich,
doch in geringerem Masse, verhält sich dies
in den Muskeln, bei schlachtbaren Thieren
ist jedoch Vorsicht nothwendig, da der Mensch
ziemlich empfindlich für das Metall ist.
Ausserdem gehören zu den Erscheinungen der
chronischen Vergiftung (Cuprismus): Albu¬
minurie, Gelbsucht und schliesslich selbst
Hämoglobinämie und Blutharnen; hiezu kommt
noch grosse Muskelschwäche, Verstopfung,
Abmagerung und mangelhaftes Wiederkauen,
während das Nervensystem ziemlich intact
bleibt. Der Tod erfolgt unter Diarrhöe (dunkler
Mist, Cu S) und Krämpfen durch Herz¬
paralyse.
Liquor Villatii, Villat’sche Flüssig¬
keit, besteht nach Mariage in einer Lösung
von 1 Kupfer , 1 Zinkvitriol, 2 Bleiessig in
16 Hausessig. Der zwar chemisch unrichtigen
Mischung (schwefelsaures Bleioxyd ist unlös¬
lich) kann eine stark adstringirende, selbst
leicht corrodirende Wirkung nicht abge¬
sprochen werden, sie ist daher bei oben ge¬
nannten Zuständen, besonders Huf- und
Klauenleiden. Fisteln u. s. w., beliebt geworden,
und konnten Resorptionswirkungen bei Thieren
bis jetzt nicht beobachtet werden. Die franzö¬
sischen Veterinäre benützen den Liquor auch
gegen Gallen (ebenso die Kupferacetatsalbe
\ : 4 Fett mit etwas Honig). Vogel.
Cir, Cura, s. Curatio (von cor, Herz;
curare, besorgen), ist die Sorge für die Hei¬
lung der Krankheiten. Das Studium der
Veterinärmedicin läuft in seinen Consequenzen
nur darauf hinaus, der Entstehung von Thier¬
krankheiten vorzubeugen, oder, wenn sie vor¬
handen, sie möglichst schnell zu heilen. Die
Heilung der Krankheiten setzt eine genaue
Kenntniss des thierischen Organismus in
seinem naturgemässen, gesunden Zustande
und aller derjenigen Umstände voraus,
welche in gegebenen Fällen durch ihre
Einwirkung die Rückkehr zur Norm be¬
wirken. Diese Umstände werden derart zu
Heilmitteln, die Aerzte zu Heilkünstlern oder
Therapeuten (von ^spantouv, heilen, be¬
dienen). JUs Heilmittel können alle Aussen-
dinge verwendet werden, die erfahrungs-
gemäss die Ursachen der abnormen Function
der Organe beseitigen. Im Laufe der Zeiten
hat man, je nach den herrschenden Ansichten
über Wesen und Entstehung der Krankheiten,
auf sehr verschiedene Weisen curirt. Viele
glaubten ihren Zweck am besten mit Wasser
und Kälte, Andere mit Reizmitteln, Elektri-
cität, Magnetismus, trockener Diät, metalli¬
schen oder vegetabilischen Präparaten u.dgl. m.
zu erreichen, wogegen sich nichts einwenden
lässt, so lange man nicht gegen die Princi-
pien der Wissenschaft und Erfahrung ver-
stösst; alsdann ist das Heilverfahren ein ver-
nunftgemässes., rationelles, im Gegensatz zu
18
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*7* CURARE.
dem roh empirischen, pfuscherraässigen. Der
Pfuscher oder Quacksalber gründet seine Heil¬
methode nur auf oberflächliche Erfahrung, er
ist sich des Zweckes seines Handelns nie be¬
wusst. er arbeitet allein nach der Schablone.
In der neuesten Zeit ist es mit Hilfe der
Chemie und der vervollkommnten optischen
Instrumente gelungen, die feineren anatomi¬
schen Veränderungen in den erkrankten Orga¬
nen zu beobachten, die Krankheitsursachen
zuverlässig zu ergründen und das wirksame
Priucip vieler Pflanzen zu isoliren. Hiedurch
hat die Cur eine sichere Basis, die Behand¬
lungsmethode eine zweckmässige Verein¬
fachung gewonnen. Während man früher ellen¬
lange Recepte nach dem Grundsätze zusam¬
menstellte: „Viel hilft viel“, gibt man jetzt
als Medicamente die einfachsten Pflanzenbe-
standtheile mit viel präciseren Erfolgen. Als
ein weiterer Fortschritt in der Therapie ist
die subcutane Injection der gelösten Arznei
anzusehen. Die Wirkung ist hier eine zu¬
verlässige und schnelle, auch vermeidet man
bei ihr die Unannehmlichkeiten des Arznei¬
gebens per os bei widerspenstigen, bösartigen
Thieren. Ebenso verspricht die Einimpfung
der abgeschwächten Infectionsstoffe auf die
dafür empfänglichen Thiere der Vorbauungs-
cur oder der Prophylaxis die besten Dienste
zu leisten. Der Therapeut hat stets die
Radicalcur anzustreben, er muss darauf
bedacht sein, dem Leiden die zuführenden
Lebenswurzeln abzuschneiden, um dasselbe
gründlich zu beseitigen. Da die nächsten
Krankheitsursachen nicht immer sofort zu
eruiren sind, so muss sich der Arzt öfter mit
der symptomatischen, abwartenden oder Ex-
spectatiycur begnügen, indem er die gefahr¬
drohendsten Krankheitsvorgänge bekämpft und
den weiteren Krankheitsverlauf abwartet. Be¬
kämpfung der Fieberhitze, grosser Schmerzen,
Förderung der Krisen etc. können lebens¬
rettend wirken. Man spricht deshalb von
Heilanzeigen oder Indicationen, die zu
erfüllen sind, wenn Heilung erfolgen soll.
Gefahrlose oder typisch verlaufende Krank¬
heiten heilen öfter ohne Zuthun der Kunst,
weil jedes Organ die Bedingungen zur Wieder¬
genesung in sich trägt, die Irritabilität durch
gewisse fremdartige Dinge in ihm schliess¬
lich erlischt, die gesetzten Krankheitspro-
ducte häufig selbst die Heilung fördern oder
doch im allgemeinen Stoffwechsel nieder ein¬
geschmolzen werden. Vorurtheile von Seiten
des Publicum8, das alles Heil nur im Medi-
ciniren sucht, können den Arzt bewegen, zur
sog. Scheincur überzugehen, indem er Medi¬
camente verabreichen lässt, welche sich zum
Organismus ziemlich indifferent verhalten.
Die lebensverlängernde Cur wird der
Veterinär nur dann zur Anwendung bringen,
wenn dem Thierbesitzer an der zeitweiligen
Erhaltung eines Lieblingsthieres viel gelegen
ist. Anderenfalls hat der Veterinär-Therapeut
darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Cur-
kosten den reellen Werth des Patienten nicht
übersteigen, er wird dann zum Schlachtmesser
greifen, das auch am Platze ist, wenn der
Patient durch die Folgen der Krankheit
seine Arbeits- oder Nutzfähigkeit verlieren
sollte. Anacker.
Clirare (Warara, Urari, Woorali) ist das
aus verschiedenen Cocculus- oder Paullinia-
arten, wahrscheinlicher jedoch aus dem Saft
verschiedener Strychnosspecies gewonnene
Pfeilgift der Südamerikaner (am Orinoko.
Rio negro, Araazonenstrom), Venenum Ameri-
canum, das jedoch bezüglich seiner Giftig¬
keit sehr differirt und daher erst an Fröschen
geprüft werden soll, denn auch die Bereitungs¬
weise der braunen, harzartigen Masse hat
Einfluss auf die Intensität des wirksamen
Alkaloids Curarin (4%), das ausserdem häufig
unrein in den Handel kommt (s. d.).
Charakteristisch für die Wirkung des
Curarepfeilgiftes ist, dass es schon auf minime
Mengen bei Kalt- wie Warmblütern eine
Lähmung der Muskelendigungen des moto¬
rischen Nervensystems erzeugt, wobei merk¬
würdigerweise die Muskelsubstanz selbst reiz¬
bar bleibt; mit ihm theilen nur noch wenige
Mittel diese höchst ausgesprochene Action,
u. zw. das Coniin des Schierlings (s. d.), das
Conydrin, das Cynoglossin (s. Cynoglossum),
mehrere Boragineen, das Cotamin des Opiums,
sowie die Alkylderivate vieler Alkaloide
(Methylstrychnin, Methylatropin, Methylchinin.
Methylnicotin u. s. w.). Bei den Kaltblütern
tritt die Wirkung nur langsam ein, ebenso
je niederer überhaupt das Thiergenus steht;
schon Gaben von 0*005—0*010 mg, also
0*000005 g Curarin machen Frösche voll¬
ständig bewegungslos, wobei jedoch das Herz
kräftig* weiterschlägt, und können dieselben
3 —10 Tage in dieser Wirkung verharren, bis
nach erfolgtem Uebergang des Curarins in
den Harn Erholung eintritt. Bei den Haus-
thieren ist dasselbe der Fall, sie fallen um,
verlieren jede Herrschaft über ihre Skelet¬
muskeln, können sich auch nicht mehr rühren,
wenn ihnen heftige Schmerzen zugefügt wer¬
den, denn die Empfindung, das Bewusst¬
sein, sowie selbst die Stämme der motorischen
Nerven und das Gehirn sammt dem Rücken¬
mark sind nicht getroffen worden und das Herz
erzeugt in dem ebenfalls wenig beeinflussten
Gefasssystem einen nahezu normalen Blut¬
druck. Sonderbarerweise leiden selbst bei
toxischen Gaben die sensiblen Nerven mit
ihren peripheren Enden in keiner Weise noth,
und in der vasomotorischen Sphäre tritt erst
Lähmung ein, wenn die quergestreiften Muskel¬
fasern längst total paralysirt sind; gehen
dann die Thiere zu Grunde, so geschieht dies
lediglich dadurch, dass die zur Respiration
nöthigen Brustmuskeln gelähmt werden, die
Athmungsbewegungen daher wegfallen, der
Tod ist somit ein reiner Erstickungstod und
kann durch künstliche Respiration hintan-
gehalten werden. Endlich kommt noch eine
weitere Singularität hinzu, nämlich selbst
hohe Gaben sind unschädlich, wenn sie dem
Magen überantwortet werden, denn dieser
resorbirt das Gift so schwierig, dass immer
nur kleinste Mengen im Blute ankommen,
von wo sie ausserdem ungemein rasch in den
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CURARIN. — CURÜMBAR-SCHAF. *75
Harn überfiltriren, die Aufsaugung kann also
mit der Elimination nicht Schritt halten, und so
kommt es, dass es sich stets blos um subcutane
Anwendung dieses Giftes handeln kann und
man eine vergiftete Wunde ohne Nachtheil mit
dem Munde aufsaugen darf. Wie Strychnin die
quergestreiften Muskeln krampfhaft contrahirt,
legt Curare dieselben lahm, nichts lag daher
n&ier, als das Mittel gegen die Wuth, gegen
Strychninvergiftungen und solche Krankheiten
anzuwenden, bei denenTetanus die wesentlichste
Erscheinung ist; indessen sind diese Hoff¬
nungen arg getäuscht worden, denn zur Er¬
zielung eines sicheren Erfolges gehören
viel zu grosse und deswegen gefährliche
Curaredosen, auch lässt sich künstliche Re¬
spiration praktisch nicht ausführen. Nachdem
nun aber das Pfeilgift keine andere Wirkung
hat, als eben auf die motorischen Nervenenden,
so kann auch vorerst ein therapeutischer Ge¬
brauch von ihm nicht gemacht werden. Meine
schon 1878 gemachten Versuche bei Starr¬
krampf des Pferdes (mit 0*05—0*08 subcutan,
die bis zu 0 5 und 0*6 gesteigert wurden)
hatten trotz des vortrefflichen Präparates
keinen Erfolg, ebensowenig als jene anderer
Experimentatoren, es traten dabei wohl
sphygmische Muskelbewegungen, selbst Er¬
schlaffung einzelner Muskelgruppen ein, aber
kein Einfluss auf den Starrkrampf selbst. Bei
Hunden beginnt man mit 0*02—0*05 pro dosi
Curare (Curarin ist zu theuer und kaum zu
bekommen, fällt daher weg) und steigt vor¬
sichtig, bis die ersten Erschlaffungs-, d. h.
Lähmungserscheinungen zum Vorschein kom¬
men; eine genaue Dose ist unmöglich anzu¬
geben, auch erfolgt bei der leichten Aus¬
scheidung keine cumulative Wirkung, und
schwere Zufälle erfolgen bei Hunden erst
nach einigen Decigrammen. Die Auflösung
des Mittels geschieht in Wasser, dem man der
Zersetzlichkeit des Curarins wegen 1 Tropfen
Salzsäure beigibt. Vogel.
Curarin. Eine in dem Pfeilgift der Indianer
Nord-Brasiliens — welches sie durch Ein¬
kochen des Saftes verschiedener Strychnos-
arten darstellen — aufgefundene basische
giftige Substanz, deren Reindarstellung in kry-
stallisirter Form Preyer im Jahre 1865 ge¬
lungen ist. Das Curarin ist in dem Pfeilgift
zu 3—4% enthalten, schmeckt sehr bitter,
löst sich in Alkohol, nicht in Aether, wird an
der Luft braun und schmierig. Es wirkt vom
Magen aus sehr schwach, hingegen in eine
Hautwunde gelangt oder durch Injection in
die Venen sehr rasch durch Lähmung der
motorischen Nerven, so dass bei vollem Be¬
wusstsein alle willkürlichen Bewegungen un¬
möglich werden. Loebisch .
Curcuma longa, lange Kurkume Süd¬
asiens (Zingiberacee, L. I. 1.), deren nach
Ingwer riechende Wurzel (Rhizoma oder Radix
Curcumae, Gilbwurzel) einen intensiv gelb¬
färbenden Stoff, das Curcumin oder Curcuma¬
gelb enthält, welcher nur zum Färben von
Pflastern, Salben, Liqueuren, Käse u. s. w.
dient. Das
Curcumapapier färbt sich durch Al¬
kalien braunroth, welche Färbung beim
Trocknen in Violett übergeht und durch
Säuren wieder in Gelb zurückgeführt wird,
es dient daher wie Lackmus als Reagens-
papier. Vogel.
Curcumin, C 10 H lo 0„ ein in der Wurzel von
Curcuma longa, zur Familie der Zingiberaceen
gehörig, vorkommender Farbstoff. Aus der ent¬
fetteten Wurzel durch Alkohol ausgezogen,
bildet das Curcumin gelbe, blau schillernde
Krystalle, riecht vanilleartig, löst sich in
Alkohol und Aether und gibt mit Alkalien
rothe Lösungen. Mit Curcuminlösung gefärbtes
Papier (Curcumapapier) wird durch Alkalien
braunroth, durch Säuren wieder gelb gefärbt.
Curcumin wird als nicht giftiger Farbstoff
zum Färben von Conditorwaaren benützt, über¬
dies auch in der Zeugfarberei. Loebisch.
Cureghem-Bruxelie8, Veterinärschule, ge¬
gründet 1833, repräsentirt mit ihren reich¬
haltigen Sammlungen und dem Gebäude-
complex einen Werth von 250 Millionen Francs.
An dieser Schule wirkten: Brogniez, Delwart,
Thiernesse, Verheyen,Defays, Husson, Devache,
Gerard. (Gegenwärtig: Wehenckel, Laho, De-
give, Lorge, Dessart, Gille, Melsens.) Sr.
Curohund. Mit diesem Namen werden
grosse, kräftige Windhundformen bezeichnet,
welche hauptsächlich zur Jagd auf grössere
Thiere verwendet werden. Man unterscheidet
einen leichten, einen schweren und einen
langhaarigen Curshund. Der leichte Curshund,
auch curländischer Hund, da er in Curland,
auch in Schweden und Norwegen häufig ge¬
züchtet wird, hat nach Fitzinger ungefähr
die Gestalt und Grösse des grossen dänischen
Hundes, nur ist der Kopf länger und mehr
flachgedrückt, die Stirn beinahe völlig fla?h,
die Schnauze länger und schmäler. Die Ohren
sind kürzer und schmäler und mehr aufrecht¬
stehend, der Hals länger und dünner, der Leib
schlanker. Die Beine höher, schlanker und
minder kräftig, die Behaarung kürzer und
feiner. Färbung wie beim dänischen Hund.
Der schwere Curshund zeichnet sich vor dem
leichten durch den schwereren Körperbau aus,
auch ist der Kopf grösser, kürzer und höher,
die Stirne gewölbt, die Schnauze kürzer,
breiter, höher und stumpfer. Die Lippen etwas,
hängend, die Ohren breiter, der Leib weniger
gestreckt, die Brust breiter, die Beine niederer
und stärker. Der langhaarige Curshund gleicht
dem leichten Curshund, nur sind die Ohren
vollkommen hängend. Das Haar ist lang,
zottig-gewellt und weich, nur im Gesicht
kurz und glatt anliegend. Studer.
Curumbar-Schaf. Es gehört zu den kurz«
schwänzigen Schafen. Nach Buchanan gibt
v. Nathusius im zweiten Theil seiner „Schaf-
zucht u folgende Beschreibung: Schwach ge¬
hörnt, mit kurzen Ohren, grober, krauser
Wolle, welche mit wenig Haaren untermischt
ist Weiss mit schwarzen Köpfen. Schinz in
seiner Monographie der Säugethiere gibt aller¬
dings eine andere Beschreibung, doch hat
derselbe solches mit dem Shaymbliar-Schafe
(s. d.) verwechselt. Bohm.
Digitized t>y
Google
18*
*7« CUSCUTA. — CUTICUL ABBILDUNGEN.
Cutouta Flachsseide, Gattung aus der
Familie der Convolvulaceae, enthaltend ein¬
jährige oder perennirende schmarotzende blatt¬
lose Kr&uter mit dünnen fadenförmigen
Stengeln. Die kleinen fast kugeligen Blüthen
bilden seitenständige Büschel oder Köpfchen.
Kelch von gleicher Farbe wie die Blumenkrone,
tief, 4—Stheilig. Blumenkrone mit weiter Röhre
und vier bis fünf gewöhnlich abstehenden Zipfeln
und ebensovielen kleinen Schuppen innerhalb
der Röhre. Staubgefässe vier bis fünf, Kapsel
kugelig, mit vier Samen in zwei Fächern.
Die Samen sind auf ihrer Oberfläche papillös
und enthalten einen spiralig gewundenen
Embrvo. Wenn der Same keimt, so tritt
aus demselben zuerst das Wurzelende, das
aber keine echte Wurzel ist, heraus, erst
später wird die Stengelspitze frei und lebt
der Stengel, so lange er keine Nährpflanze
gefunden hat, auf Kosten seiner älteren Theile.
Die Spitze des Stengels macht Nutationen
und erreicht auf diese Weise eine Nährpflanze;
das Seidepflänzchen umschlingt dieselbe so¬
fort mit einigen Windungen und sendet Saug¬
organe, Haustorien, in das Innere derselben.
Weiter wachsend greift der Schmarotzer eine
Pflanze nach der anderen an und tödtet sie.
Der Schaden, den die Seidenarten verursachen,
ist manchmal ein sehr bedeutender. Ihre
Bekämpfung geschieht vor allem dadurch,
dass man nur Saatgut frei von Seidesamen
verwendet, denn in der bei weitem grössten
Zahl von Fällen kommt die Seide durch das
Saatgut auf die Felder. Der Seidesamen
lässt sich in den meisten Fällen durch Sieben
vom Saatgut trennen. Man vermeide ferner,
solchen Dünger, in welchem vom Futter der
Thiere her Seidesamen enthalten sein könnte,
auf das Feld zu bringen. Seidesamen, selbst
wenn er durch den Verdauungsapparat der
Thiere gegangen ist, ist noch keimfähig. Ist
die Seide einmal vorhanden, so muss sie
unter allen Umständen spätestens vertilgt
werden, bevor sie Samen ansetzt, also im
Stadium des Abblühens. Die Vertilgung ge¬
schieht so, dass man, wo es angeht, die Cul-
turpflanzen mit der anhaftenden Seide aus
dem Boden reisst, oder wo man es mit peren-
nirenden Pflanzen, die man erhalten möchte,
zu thun hat, indem man die Pflanzen ganz
dicht über dem Boden absichelt oder abstösst
und die Seide recht sorgfältig vom Felde
entfernt; auch muss etwa 2' über die sicht¬
bare Grenze der Seide gegriffen werden, denn
auf dem Boden laufen immer schon Triebe
der Seide weiter, während die Nährpflanzen
noch ganz frei sind: jedes auf dem Boden
liegen gebliebene Stück der Seide erzeugt
wieder eine neue Pflanze. Will man diese
Methode nicht ausführen, so sticht man die
befallenen Stellen um oder lässt sie bei
grösseren Flächen von Schafen beweiden.
Da manche Seidenarten Cultur- und wild¬
wachsenden Pflanzen gemeinschaftlich sind,
muss man auch alle in der Nähe der Felder
und Wiesen wildwachsenden Seidepflanzen
zerstören. In vielen Ländern existiren heute
schon polizeiliche Bestimmungen für die
Vertilgung der Seidearten, was um so be¬
rechtigter ist, als der Samen der Seide durch
Wind, Vögel, Hasen etc. von einem Felde
auf das andere verschleppt werden kann.
Es sind folgende wichtige Arten zu
nennen:
Cuscuta Epithymum L. Quendel¬
seide, mit kleinen, kugeligen, sehr gedrängten
Blüthenköpfchen. Saumlappen der Blumen-
kröne ebenso lang als die Röhre, aber zu¬
gespitzt und ausgebreitet. Die Schuppen im
Inneren der Blumenröhre sind gegen einander
geneigt und schliessen dabei die Röhre.
Griffel und Staubgefässe stehen etwas hervor,
sind aber kürzer als der Saum. Schmarotzt
auf Quendel (Thymus Serpillum), Haidekraut
(Calluna vulgaris), Ginster (Genista) u. s. f.
Von manchen Autoren wird die auf den Klee-
arten schmarotzende Seide als eine durch die
Nährpflanze üppiger gewordene Form der
Cuscuta Epithymum angesehen, von anderen
als eine eigene Art Cuscuta Trifolii Babingt I.
betrachtet. Die Kleeseide schmarotzt auf
allen Kleearten und macht bedeutenden
Schaden. Der Same derselben ist 0*7—1*3 mm
im Durchmesser gross, rundlich, undeutlich
kantig, hellgrau oder bräunlich und lässt
sich mit Rücksicht auf seine Grösse von
allen grösseren Kleesamenarten, wie Rotliklee.
Luzerne, mit Sieben trennen, nicht aber von
den kleinen Samen, z. B. vom Bastard- und
Weissklee. Zur Reinigung der Kleearten von
Kleeseidesamen gibt es eine Reihe vorzüglich
arbeitender Reinigungsmaschinen.
Cuscuta europaea. L. Grosse Flachs¬
seide. Ganze Pflanze hell, ziemlich weiss.
Blüthenköpfchen grösser als die der vorigen
Art. Kelchzipfel breit und abgerundet.
Saumzipfeln der Blumenkrone ebenso lang
als die Röhre. Schuppen in der Röhre auf¬
recht angedrückt, wenig merklich. Griffel
und Staubgefässe gewöhnlich in der Röhre
eingeschlossen. Der Same ist bräunlich und
grösser als der der Kleeseide. Diese Seide
schmarotzt auf Hopfen (Humulus lupulus), Nes¬
seln (Urtica), Kartoffeln (Solanum tuberosum),
Hanf(Canabis sativa), Wicke (Vicia sativa) und
vielen wildwachsenden Pflanzen.
Cuscuta Epilinum Weihe. Leinseide.
Stengel meist einfach. Blüthen grösser als bei
den obengenannten, die Büschel enthalten
aber nur wenig Blüthen. Saumgipfel der
Blumenkrone halb so lang als die Blumen-
röhre. Schuppen in der Röhre aufrecht an-
gedrückt. Blüthen weiss. Samen haben eine
Grösse von 1*5 mm im Durchmesser. Er
schmarotzt auf Lein (Linum usitatissimum.) Lig.
Cussac M. gab 1822 zu Madrid heraus:
„Elementos de medicina practica veterinaria.“
Cutch, japanische Erde, Cachou, Catechu
(s. d.).
Cuticularbildungen sind membranartige
Producte der Zellen, entstanden durch Secre-
tion auf freie Flächen und Erstarrung der
ergossenen zähen Flüssigkeiten in Folge
chemischer Umwandlung (Chitinbildung, Kalk-
einlagerung). Auch durch umbildende Pro-
cesse, welche periphere Zelltheile durchmachen,
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CUTIS.
*77
können Cuticnlarhäute entstehen. Das eviden¬
teste Beispiel solcher Cnticularbildung bietet
die aas dem Muskelmagen der Vögel ablös¬
bare hornige Schichte, welche aus den Sccret-
massen der dort befindlichen Drüsen ihre
Entstehung nimmt. Auch die Grenzmembranen,
sogenannte Basalmembranen zwischen Epithel
und Bindegewebe werden von vielen Autoren
als solche Cuticularbildungen aufgefasst. Kitt.
Cutis, allgemeine Decke, Integument,
Cutis in weiterem Sinne. Die äussere Haut
ist nicht nur eine schützende Hülle des
Körpers, welche jeweils an den natürlichen
Körperöffnungen in die Schleimhäute über¬
geht, sondern sie ist auch Trägerin von
Drüsen, Sitz verschiedener Sinnesempfindungen
und zeigt bei den verschiedenen Thiergruppen
wesentlicheModificationen in derGruppirung der
sie zasammensetzenden Elemente, welche zur
Bildung der verschiedenartigsten Einzelformen
oder Integumentalorgane führt. Indess besteht
im Grossen und Ganzen für alle Wirbelthiere
ein einheitlicher Grundplan, welcher die all¬
gemeine Decke aus zwei Hauptschichten be¬
stehen lässt, einer oberen, der Epidermis,
welche aus dem äusseren Keimblatte hervor¬
ging, und einer unteren, der eigentlichen
Cutis, die sich aus dem mittleren Keimblatte
entwickelte. Die obere Hauptschichte, die
Epidermis im weiteren Sinne, wird lediglich
aus Zellen gebildet, ist vollständig gefässlos,
und diese Zellen häufen sich in mehreren
Lagen übereinander, von denen die oberfläch¬
lichsten, die freie Hautfläche darstellenden
Schichten als Stratum corneum, Hornschicht,
eigentliche Epidermis bezeichnet werden, weil
die sie zusammensetzenden Zellen nur flache,
polygonale oder unregelmässig gerundete,
trockene Schüppchen (Epidermisschüppchen,
Homblättchen) sind, deren Kerne vollständig
verschwunden oder nur in Resten vorhanden.
Die tieferen Lagen der Zellen, welche noch kern¬
haltig, saftreich, rundlich oder würfelförmig, un¬
eben, gerifft erscheinen, bilden die sog. Schleim¬
schicht, stratum Malpighi (Fig. 411). Der
Uebergang zwischen beiden ist ein allmäliger,
indem eben die saftreichen Zellen der Schleim¬
schichte durch Vertrocknung, resp. Verhornung
nach oben zu in Epidermiszellen sich um¬
wandeln und so die fortwährend regenerirende
Matrix der obersten Lage abgeben. Die zweite
Hauptschichte, eine derbe weisse, aus binde¬
gewebigen Elementen aufgebaute Membran,
die Trägerin von Blut- und Lymphgefässen,
Nerven und anderen Bildungen, wird als
Corium, Lederhaut, Cutis im engeren Sinne
bezeichnet. Auf ihr ruht die epidermoidale
Hauptschichte, und sie selbst ist durch eine
Art Uebergangsgewebe (Unterhautbindege¬
webe), das aber nicht überall vorhanden zu
sein braucht, mit dem Körper bald lockerer,
bald straffer verlöthet. Die Lederhaut ist nicht
immer glatt und eben, sondern ihre Structur-
elemente sind so angeordnet, dass grössere
oder kleinere Erhabenheiten (Leistchen, Wärz¬
chen, Falten) emporragen, auf und zwischen
welchen die unteren Epidermislagen platz¬
greifen. Ueberdies sind in dem Lederhaut¬
gewebe die verschiedensten Abkömmlinge der
Epidermis (Haare, Borsten, Federn, Drüsen etc-)
vertheilt. — Bei den Fischen finden wir die
mannigfaltigsten Modificationen des Baues der
Haut; von dem einschichtigen Epidermis-
ra&ntel des Amphioxus, bei dessen Larve er
noch als Erbstück von den Wirbellosen her
K
Pig. 411. Schnitt durch die Haut des Pferdes, nahe an
Strahl des Hufes, a Lederhaut, b Cutisp ipille, c Malp gh.
Stratum, d Epidermis, f Haar, g Haarbalg, lt ftussera,
i innere Wuraelscheide, k Haarpapille, 1 Talgdrüse tob
besonderer Grösse, eine kleinere rechts neben dem Haar«,
m Schweissdrüse, n glatte Muskelbtlndel.
Wimperhaare trägt, stossen wir auf mehr¬
schichtiges Hautepithel, dem schleimproda-
cirende Becherzellen untermischt sind, wir
treffen hier unpigmentirtes und pigmentirtes
Epithel, desgleichen bei wasser- und land¬
bewohnenden Amphibien, bei denen theilweise
das Pigment der Epidermis in contractions-
fähigen Zellen (Chromatophoren) ruht. Waren
drüsige Organe bei Fischen nur in Form ein¬
zelliger Drüsen vorhanden, so ist das Inte¬
gument der Amphibien mit rundlichen und
schlauchförmigen Drüsen ausgestattet, welche
in das Corium hinabgesenkt sind, deren Se-
cret mitunter stark ätzende, selbst giftige
Eigenschaften besitzt. Zwischen den Epidermis¬
zellen besteht hier ein reichverzweigtes (inter-
celluläres) Netz von Lymphräumen. — Die
Schuppen der Fische sind keine Epidermis¬
wucherungen, sondern Ossificationen der Leder¬
haut, dagegen entstehen die Schuppen der
Reptilien, die Federn des Vogels, die Haare
der Säuger nach einem Modus als Wuche¬
rungen der Epidermis auf entsprechenden
Cutisfortsätzen. Die Haut der Reptilien ist
wieder arm an Drüsen, wir finden aber wie
überall das Stratnm corneum und mncosum,
welch ersteres bei der Häutung abgestossen
wird, ferner haarförmige Cuticular- und ander¬
weitige Epidermisbildungen (Stachel, Höcker,
Schildplatt, Krallen etc.). Das Corium, wel¬
ches schon bei den Fischen leistenartige, bei
den Amphibien papillöse Fortsätze zeigt nnd
durch Kalkeinlagerung theilweise ossificirt,
bei «rsteren keine Muskel besitzt, bei letz¬
teren durch die Existenz glatter Muskeln
contractionsfahig wird, ist bei diesen Thier¬
arten und den Reptilien hauptsächlich durch
wagrechte und senkrechte Bindegewebszüge
hergestellt, in welchen sich Pigmentmassen
vorfinden und welche namentlich von ausge¬
bildeten Lymphräumen durchzogen werden.
Auch Knochentäfelchen finden sich in der
Lederhaut der Reptilien. Die dünnste Leder¬
haut, welche zudem bis auf eine einzige,
an der Schwanzwurzel gelegene Stelle (Bürzel¬
drüse) drtlsenlos, dagegen an glatten, mit
Spuren von Querstreifung versehenen Muskel¬
zügen ausserordentlich reich und sehr mit
nervösen Endorganen ausgestattet ist, kommt
den Vögeln zu. Hier sind auch die Epider¬
moidalgebilde reichlich vertreten; schuppen-
artige Bedeckungen an den Füssen, Schnabel
und Fusssporenscheide, Krallen und endlich
die Federformen zeigen sich als Derivate der
oberen Hautschichte. Die Entwicklungsge¬
schichte der Federn weist ihre Entstehung
aus der Schuppe reptilartiger ausgestorbener
Formen nach. Beide sind in den ersten Em¬
bryonalperioden als Papillarerhebung der Cutis,
welche mit Epidermis überdeckt ist, kaum
zu unterscheiden; wird die Papille zur
Schuppe, so flacht sie sich einfach ab, wird
sie zur Feder, so tritt eine erhebliche Ver¬
mehrung der Schleimschichtzellen auf, welche
sich zu Strahlen anordnen, oberflächlich ver¬
hornen und die verhornte Scheide wird ab¬
geworfen. Das eigenthümliche Aussehen, wel¬
ches zu solcher Zeit gewisse Hühnerarten
zeigen, indem hier Kopf und Hals wie mit
dicken Hornschuppen bekleidet aussieht, er¬
innert sehr an ein von vielleicht beschuppten
Vorfahren ererbtes Hautkleid. Auch der den
Vögeln zukommende periodische Feder Wechsel,
bei welchem es analog wie bei Amphibien
und Reptilien nur zur Abstossung der ver¬
hornten Epidermiszellen, nicht der Epidermis
in toto kommt, ist dem Häutungsprocesse der
letzteren gleichzuachten, und auch der Ver¬
lust des Jugendhaarkleides bei manchen Säu¬
gern (Pferd) mag als solche Reminiscenz
gelten. Die Haut der Säuger folgt dem citirten
Grundplane. Die Lederhaut, welche hier im
Wesentlichen vom Bindegewebe und elasti¬
schen Fasern aufgebaut wird, von Fettgewebe
durchwachsen, mit Blut- und Lymphgefässen
reichlich versorgt ist, erlangt die Verbindung
mit dem Körper durch lockeres oder strafferes
Zellgewebe (Unterhautbindegewebe, wenn mit
Fettmassen erfüllt = Panniculus adiposus);
an manchen Stellen, namentlich an den
Uebergangspartien zu Schleimhäuten, fehlt
dieses Unterhautbindegewebe. Die untere,
•lockere, durchbrochene Schichte der Cutis
wird als Pars reticularis bezeichnet, die
obere unebene als pars papillaris, weil
hier über die ganze Körperoberflfiche hin theils
gefässtragende, Capillaren enthaltende, theils
mit Nervenendorganen ausgestattete Cutis¬
papillen entweder unregelmässig zerstreut
oder in regelmässiger Anordnung sich vor¬
finden. Diese Papillen erreichen an manchen
Körperstellen eine besondere Mächtigkeit
(Sohlenballen der Carnivoren, des Kameels,
Flotzraaul des Rindes, Rüsselscheibe des
Schweines, kahle Haut der Cetaceen). An
jenen Stellen, von welchen aus das Wachs¬
thum horniger Theile beginnt, sind die Pa¬
pillen bei unseren Haussieren mächtig ent¬
wickelt, und theilweise sind dieselben sogar
in Reihen derart unter einander verwachsen,
dass sie zur Bildung sog. Fleischblättchen
Veranlassung geben. Die Cutis der Säuger
besitzt eine ziemliche Zahl contractiler Faser¬
zellen, welche nicht nur in verschiedener
Richtung das Lederhautgewebe durchflechten
und so (neben den elastischen Fasern) die
Dehnbarkeit der Haut erhöhen und temporäre
Schrumpfung (z. B. in der Tunica Dartos) er¬
möglichen, sondern in besondere Beziehungen
zu Hautdrüsen und Haaren treten (s. unten).
Die Epidermis der Säuger, aus den erwähnten
zwei, Schichten bestehend, zeigt in ihrer
oberen Schichte meist schwach welligen Ver¬
lauf; die oberen Zellenlager sind flache,
mannigfaltig gestaltete und gekrümmte, scharf
contourirte, kernlose Schüppchen, die glashell
durchscheinen oder noch Pigraentreste führen,
allmälig gegen das Stratum Malpighi hin
dicker werden und an der freien Oberfläche
von der Haut abfasem. Oft ist diese Horn¬
schichte nur ein dünnes Häutchen, oft sind
die Lagen der verhornten Zellen mächtig, ja
weit dicker als die der Schleimschichte. Bei
den mit gefärbter Haut versehenen Thieren
führt die Schleimschichte, deren Zellen rund¬
lich, würfelförmig, gezackt, gerifft erscheinen
und kernhaltig, protoplasmareich sind, in
diesen Zellen Pigment in Form feiner gelber,
bräunlicher oder schwarzer Körnchen und
Körnchenhaufen. Wanderzellen (Leucocyten),
welche im Stratum Malpighi ebenfalls an¬
getroffen werden, führen ebensolches Pig¬
ment. Die Haare der Säugerhaut sind cylin-
drische Homgebildc, welche, da sie in früher
Fötalzeit vom Stratum Malpighi aus in die
Tiefe wuchern, in röhrenförmigen Vertie¬
fungen ihren Sitz haben. Diese sackartige
Vertiefung repräsentirt eine vollständige Haut¬
einstülpung, indem sie peripher aus Le¬
derhautgewebe besteht (Haarbalg), auf dieses
folgt die äussere Wurzelscheide, welche von
dem eingestülpten Zellenlager de£ Stratum
Malpighi hergestellt ist, und noch mehr central
folgt die innere Wurzelscheide als continuir-
liche Fortsetzung der eigentlichen Epidermis-
lage. Der Haarbalg, also die Lederhauthülle,
wird, wo er besonders ausgebildet, je nach
der Faserrichtung der constituirenden Binde¬
gewebszüge in eine äussere bindegewebige
Längsfaserschichte,eine mittlere bindegewebige
Circulärfaserschichte und eine innere homogene
Begrenzungsschichte (Glashaut) unterschieden.
Auch an der inneren Wurzelscheide nimmt
CUTIS.
man eine äussere (Henle’sche) und eine innere
(Huxley’sche) Schichte an. Vom Boden der
Haartasche aus ragt in die Höhle herein ein
kegelförmiger bindegewebiger gefässhaltiger
Fortsatz, welcher von der Haarwurzel umfasst
wird, die Haarpapille; das Haar, welches
meist in schiefer Richtung in die Haut ein¬
gepflanzt ist, zerfällt in einen frei über die
Hautfläche hinausragenden Theil, den Haar¬
schaft, und in einen innerhalb der Haartasche
liegenden Theil, Haarwurzel. Die Haarwurzel
ist am Grunde knopfförmig verdickt (Haar¬
zwiebel, Haarknopf) und von unten her, wie
der Boden einer Weinflasche, von der auf¬
wärts strebenden Papille eingestülpt. Das
Haar besteht der Hauptsache nach lediglich
aus Epidermiszellen, die verschiedene Form
und Schichtung zeigen und demgemäss ver¬
schieden bezeichnet wurden. Der Hauptsache
nach unterscheidet man eine Rindensubstanz
aus langgestreckten, kernhaltigen, zu Fasern
ausgezogenen Epidermiszellen (Derivaten der
äusseren Wurzelscheide, resp. Stratum Mal-
pighi-Zellen, jeweils Pigmentkörner verschie¬
dener Farbe enthaltend), sodann eine cen¬
trale Markschichte, die luftbläschcnhaltdge
Epidermiszellen birgt und eine nur am .freien
Haartheil vorhandene oberflächliche Schichte,
die Cuticula des Haares, aus dachziegelförmig
über einander gelagerten, verhornten, von der
eigentlichen Epidermis abstammenden Schüpp¬
chen bestehend, welche die Haaroberfläche
beschuppt und gezähnelt erscheinen lassen.
Die verschiedene Aneinanderlagerung dieser
Elemente, das Vorhandensein oder Fehlen der
centralen Markschichte ist unterschiedlich hei
den diversen Thiergruppen, ebenso ist die
Dicke, Länge, Grösse, Form und Farbe der Haare
verschieden nicht nur bei den verschiedenen
Thierspecies, sondern wechselt auch an Einzel¬
individuen je nach der Körperregion. Eine
besondere Einrichtung zeigen die Tasthaare,
indem die Haartasche durch Spaltung ihrer
bindegewebigen Lager eine spongiöse Be¬
schaffenheit anniramt und so ein Schwellkörper
um das Haar entsteht, welcher mit Blut an¬
gefällt ist.
Die Hautdrüsen der Säuger zerfallen
in zwei Hauptsorten, iu die Schweiss- und
Talgdrüsen.
Die Schweissdrüsen trifft man bei
verschiedenen Thierclassen, ebenso in verschie¬
denen Hautregionen des Einzelindividuums in
verschiedener Grössenentwicklung. Stets sind
es schlauchförmige Drüsen, deren enger, ge¬
rade oder wellig verlaufender Ausführungs¬
gang auf der Hautoberfläche neben der Haar¬
tasche oder frei (Poren der Haut) seine Mün¬
dung hat, deren gewundener, aufgewickelter
secretorischer Theil oft tief in dem Cutisge¬
webe, selbst im Unterhautzellgewebe placirt
ist. Die Function der Schweissdrüsen (Knäuel¬
drüsen) ist eine echte Secretion, d. h. auf Zell-
thätigkeit in Folge nervöser Erregung zurück¬
zuführen; in jüngster Zeit wurde eine anato¬
mische Veränderung (Renault) hiebei consta -
tirt, die ruhenden Drüsenzellen (Pferd) sind
nämlich cylindrische helle Zellen mit wand¬
*79
ständigem Kerne, nach mehrstündigem Schwi¬
tzen aber sind sie granulirt und der Kern in
der Mitte gelagert. Die cylindrischen, kubi¬
schen, seltener kegelförmigen Zellen sitzen
in einschichtiger Lage auf der Innenfläche
des aus Bindegewebsfibrillen gebildeten
Drüsenschlauches; im Ausführungsgange wer¬
den sie allmälig zwei- oder dreischichtig,
concav-convex gebogen und concentrisch ge¬
lagert. Am stärksten entwickelt und jeweils
in der Form modificirt sind die Schweissdrüsen
an den Sohlenballen der Fleischfresser, am
Fleischstrahl der Einhufer, Lippenrande der
Katze, an der Inguinalhaut des Schafes,
Auskleidung der Ohrmuschel etc., an manchen
Körperstellen können sie vollständig fehlen.
(Zitze des Rindes.)
Die Talgdrüsen (Haarbalgdrüsen, Glan¬
dulae sebaferae [Fig. 412]) erscheinen in ihrer
einfacheren Form als sackige Anhänge der
Haartasche, an deren Hals ihr verengter Aus-
führungsgang mündet, oder als aggregirte
acinöse Drüsen (Flotzmaul des Rindes,
Schnauze des Hundes, Präputium etc.). Gross
sind sie am After, Eu¬
ter, der Ziegen- und
Schafzitze, Schlauche.
Hodensack, den Augen¬
lidern der Hausthiere;
gänzlich mangeln sie
am Sohlenballen der
Fleischfresser, der Zi¬
tze des Kuheuters und
im Strahle des Pferde¬
hufes. Sie liegen im-
Fig. 412. Talgdrüsen-Llpp- • j
chen aas der Zitze eines me f in aer -Lieaeriiaut
Schafes. und dringen nicht bis
ins Unterhautzellge¬
webe vor. Die Drüsenläppchen, meist von bim¬
förmiger Gestalt, besitzen eine bindegewebige
Wandung und sind gefüllt mit Zellen nach
Art eines geschichteten Epithels, welche nur
ein kleines, nach dem Drüsengang sich erwei¬
terndes Lumen frei lassen. Die Zellen sind
polygonal mit rundem Kern und körnigem
Protoplasma, durch Wucherung und fort¬
schreitenden fettigen Zerfall der Zellen wird
das Secret gebildet; in Folge der Umsetzung
der Albuminate in Fett erscheinen daher die
centralen Zellen an in Alkohol gehärteten
Schnittpräparaten durchsichtig und ihre Kerne
geschrumpft.
Glatte Muskelfasern findet man nicht
blos in netzförmiger Anordnung (Scrotum)
in der Haut vertheilt, sondern auch als regel¬
mässige Züge, welche einmal im obersten
Corium entspringen und schräge zum Haar¬
taschenboden herabziehen, dann aber auch
in Bündelform die Talgdrüsen umgreifen
und an die Schweissdrüsen sich anlegen.
Namentlich letztere sind von glatter Mus¬
kulatur in schräger Richtung umlagert und
besitzen so ein oberflächlich streifiges Aus¬
sehen. Dies Verbaltniss bedingt eine dreifache
Function: durch Contraction der glatten
Muskelfasern kann erstens eine Gerudstellung
des Haares bewirkt werden (daher der Name
Erectores pilorum), jedoch ist dies die ge-
*40 CUVIER.
ringcre Leistung, welche z. B. bei wolletra¬
genden Thieren ganz in Wegfall kommt:
ausserdem wird die Cutis gespannt und hie¬
durch eine Pression auf die Lymph- und
Blutgefässe ausgeübt (schräge Cutisspanner,
Unna), endlich wird durch Druck auf die
Talgdrüsen deren Secret ausgetrieben (Haar¬
balgdrüsenmuskel, Expressores sebi) und auch
die Secretbeförderung der Schweissdrüsen
durch Zusammenraffen ihrerSchlauchabschnitte
vermittclt(Bonnet)(Expressoresglandul.sudof.).
Wo an derartigen Drüsen glatte Muskulatur
fehlt, wie an den Flotzmauldrüsen, wird die
Secretevacuirung durch die unterliegende
(Lippen-) Muskulatur oder anderweitig, wie
z. B. am Klauensäckchen des Schafes, durch
die Zehenbewegung vermittelt (Bonnet). —
Nerven als markhaltige und marklose liegen
reichlich in dem Cutisgewebe, sie erreichen
ihr Ende in den Papillen, theilweise auch in
der Malpighischen Schichte, an den Haaren und
Drüsen aer Haut und geben vielfach zur
Bildung von sogenannten Nerven-Endorganen
Veranlassung, welche beim Säuger als Tast¬
zellen, Tastflecken, Tastkörperchen, Kolben¬
körperchen unterschieden werden und eine
eingehende Besprechung unter „Hautsinn“
erfahren. Kitt.
Cuvier Georg Leop. Chr. Fr. Dagobert,
Baron von Cuvier, geh. 1769 am 23. August in
Mömpelgard, studirte in Stuttgart an der
Militär-Akademie gleichzeitig mit Friedrich
v. Schiller die Rechte, trieb nebenbei aber auch
Zoologie etc., wurde 1795 Professor an der
Pariser Centralschule, 1798 Professor der Ver¬
gleichenden Anatomie, trat 1800 zum College
de France, bereiste 1811 die hanseatischen
Departements, wurde 1813 Maitre de requötes,
nahm 1822 seine Entlassung und lebte als
Staatsrath und Secretär der Akademie der
Wissenschaften in Paris. Dieser grosse For¬
scher verdient unseren besonderen Dank für
die Aufstellung des sog. „natürlichen Systems“,
mit welchem er in seiner Abhandlung „über
die Eintheilung der Thiere“ im Jahre 1812
hervortrat. Er brachte die früher von Linnö
als die grössten Vereinigungsgruppen hinge¬
stellten sechs Classen des Thierreiches nach
verschiedenen Grundformen bei dem Aufbau
des ganzen Organismus, also speciell auf
die Ergebnisse der Anatomie gestützt, in
verschiedene, und zwar in vier Kreise oder
Typen: Wirbelthiere, Weichthiere, Gliederthiere,
Radiärthiere. Einen jeden dieser vier Kreise
theilte er wieder in Classen, und spaltete
solche dann endlich wieder in Ordnungen,
Familien, Gattungen und Arten. Auch als prak¬
tischer Viehzüchter hat Cuvier mehrfach be-
achtenswerthe Versuche angestellt, die bis auf
den heutigen Tag Anerkennung finden. Fg.
Cyan, CN (von xoavo's, blau), ist ein
farbloses, sehr giftiges Gas, welches durch
Vereinigung von 1 Atom Kohlenstoff und
1 Atom Stickstoff entsteht. Diese Elemente
vereinigen sich jedoch nur dann mit einander,
wenn bei ihrem Zusammentreffen ein Körper
vorhanden ist, mit welchem das etwa ge¬
bildete Cyan eine feste Verbindung zu bilden
— CYANOSE.
im Stande ist. So entsteht z. B. Cyankalium,
wenn man über erhitztes Kalium Kohlen¬
säure und Ammoniak leitet, wobei die Kohlen¬
säure den Kohlenstoff, das Ammoniak den
Stickstoff liefert und das Kalium den fixiren-
den Körper darstellt. Auch beim Hochofen-
■process trifft Kohlenoxyd mit dem Stickstoff
der Luft in Gegenwart von kohlensaurem
Kali zusammen, und man findet demgemäss
in der Esse der Hochöfen Cyankalium in
reichlichen Mengen. Im Flintenlauf, wo Kohle
zu Kohlensäure oxydirt wird, diese mit dem
Stickstoff des Salpeters und mit dem Kalium
desselben bei hohem Druck zusammentrifft,
bildet sich ebenfalls Cyankalium. Um das
gasförmige Cyan darzustellen, erhitzt man
Quecksilber oder Silbercyanid. Das sich
entwickelnde Cyangas riecht eigenthümlich
stechend, reizt heftig Augen und Nase;
specifisches Gewicht 1*8. Bei —25*C. wird
es zu einer Flüssigkeit condensirt, es ist ent¬
zündlich und brennt mit rother Flamme. Es
ist löslich in Alkohol, Wasser und Aether.
zersetzt sich jedoch in seine Lösungen, wenn
nicht etwas Säure zugegen ist, sehr bald unter
Bildung von oxalsaurem und kohlensaurem
Ammoniak, von Blausäure und Harnstoff. Das
Cyan verhält sich in seinen chemischen Ver¬
bindungen ähnlich dem Chlor, indem es zu¬
nächst mit Wasserstoff eine Säure und mit
Metallen direct Salze bildet. Der Salzsäure,
C1H, analog haben wir (CN)H == Cyanwasser¬
stoffsäure; dem Chlorkalium, C1K, entsprechend
(CN)K = Cyankalium. Den Namen erhielt
das Cyan von seiner Eigenschaft, mit Eisen
blaugefarbte Verbindungen (Berlinerblau) zu
bilden. Loebisch.
Cyankalium, arzneilich, s. Kalium cyanatum.
Cyanose (von xoavo's. blau), Blaufärbung
der Gewebe in Folge von Stauungshyperämien
und Anhäufung venösen Blutes in den Ge¬
weben. Die bläulichrothe Färbung bei Blut¬
stauungen im Venensystem tritt besonders
deutlich an zarten, haarlosen oder wenig be¬
haarten Hautstellen bei hellgefärbten Thieren
und an den sichtbaren Schleimhäuten hervor.
Die Cyanose ist eine allgemeine und partielle.
Die partielle Cyanose entsteht an Körpertei¬
len, aus denen der Abfluss des venösen Blutes
durch Thrombose, Druck, durch Neubildungen.
Unterbindungen, Lähmungen der Venen bei
Erfrierungen etc. gehindert ist. Die allge¬
meine Cyanose erfolgt bei Respirations- und
Circulationsstörungen, heftigem Keuchhusten,
Lungenemphysem, Fehlern der Mitralklappen.
Die Folgen der Cyanose sind: Indurationen,
seröse Transsudationen, Brust-, Herzbeutel-,
Bauch- und Hautwassersuchten, Leberleiden,
Magen- und Darmkatarrhe, Hirnleiden. Die
Cyanose ist oft angeboren bei angebornen
Klappenfehlern und Offenbleiben des Ductus
Botalli und Foramen ovale. Semmer .
Die Cyanose der Haut ist eine Blau¬
färbung des Hautgewebes in Folge venöser
Hyperämie; letztere hat ihren Grund in Cir¬
culationsstörungen bei entzündlichen Affec-
tionen äusserer Theile oder in mechani¬
schen Hemmungen des Blutlaufes, wie sie nach
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CYANWASSERSTOFF. — CYGAJA-SCHAF. 281
Ligaturen grosser Geiassstämme oder Druck
auf diese von Seiten der Neoplasinen eintreten
können. Da die Gefässe in der Lederhaut oder
dem Corium verlaufen, die Oberhaut oder
Epidermis dagegen gefäss- und nervenlos ist,
so schimmern die von Blut strotzenden Ca-
pillaren und Venen nur bläulich durch die
Epidermis hindurch und verleihen auf diese
Weise der Haut eine cyanotische Färbung. Es
kann dies aber nur der Fall sein an Stellen,
wo die Epidermis sehr dünn und das Corium
pigmentlos ist. Beruht die locale blaue Fär-
gebung auf Blutungen in das Corium und in die
Schleimschichte der Epidermis, so geht das
Blau bald ins Braune, Grüne und Gelbe über.
Wir treffen die Cyanose der Haut am häufig¬
sten bei Schweinen an, und zwar in der Umge¬
bung des Kehlkopfes während des Verlaufes der
Bräune und an den Bauchdecken im Verlaufe
der sogenannten Schweineseuche, einer seu¬
chenartig grassirenden Infectionskrankheit, bei
der auch das arterielle Blut eine mehr venöse
Beschaffenheit annimmt. Eine vollständige
Cyanose der ganzen Haut des Körpers, also
eine wahre Blausucht, kommt nur bei neuge-
bomen Thieren vor, wenn, wie bei dem Fötus,
die Lungenarterie mit der hinteren Aorta durch
den botallischen Gang, die rechte Herzkammer
mit der linken Herzkammer durch das eiför¬
mige Loch communicirt und auf diese Weise
das arterielle Blut mit dem venösen sich ver¬
mischt. An Cadavem stellt sich Cyanose der
Haut an den herabhängenden, am tiefsten ge¬
legenen Körperstellen ein, weil das Blut, den
Gesetzen der Schwere folgend, nach dem Tode
sich hier anhäuft. Anacker.
Cyanw&ftserstoff, CNH, auch Cyanwas¬
serstoffsäure oder Blausäure genannt,
ist die Wasserstoffsäure des Cyans, sie kommt
im freien Zustande in der Natur nicht vor,
sondern nur als Zersetzungsproduct gewisser
complicirter Verbindungen, welche in bestimm¬
ten Pflanzen auftreten. In den bitteren Man¬
deln, Kirschlorbeerblättern findet sich Amyg¬
dalin (s. d.), welches durch ein Ferment
(Emulsin) in Blausäure, Bittermandelöl und
Zucker zerlegt wird. Cyanwasserstoff wird
dargestellt aus dem gelben Blutlaugensalz,
Ferrocyankalium (K 4 FeCN,), indem man dieses
mit verdünnter Schwefelsäure destillirt. Man
erhält hiebei eine wässerige Lösung der gas¬
förmigen Cyanwasserstoffsäure. Die Cyanwas¬
serstoffsäure ist ein farbloses Gas, welches
sich in der Kälte zu einer farblosen Flüssig¬
keit verdichtet (wasserfreie Blausäure), siedet
bei 26°C. und ist höchst giftig. Die Cyan¬
wasserstoffsäure ist eine Säure und tauscht
ihren Wasserstoff leicht gegen Metalle aus.
Die wichtigsten Salze derselben sind: Cyan¬
kalium, Cyansilber, Ferrocyankalium. Loebisck.
Die arzneiliche Wirkung der Blausäure,
Acidum hydrocyanatum, s. Aqua Amygdalarum
amarum. Vogel.
Cyclamen europaeum, europäische Erd¬
scheibe, wegen der violetten Farbe auch Alpen¬
veilchen genannt, prachtvolle Primulacee der
Wälder im Hochgebirge (L. V. I). Die kuchen-
förmigen Knollen waren lange ein Purgirmittel
für die Hausthiere, ähnlich der Bryonia, bis
sie von der AloÖ verdrängt wurden, auch er¬
kranken von ihr hie und da Schweine, welche
sie auswühlen (Saubrot); der wirksame Stoff
ist das Cyclamin, welches ähnlich dem Violiu
der Veilchen, dem Asclepiadin des Vincetoxicum
officinale sehr sichere Brechwirkungen hat, die
selbst dem Emetin und Apomorphin nicht
nachstehen. Vogel.
Cydonia vulgaris, gemeiner Quittenbaum,
unserem Apfelbaum am nächsten verwandt,
einheimisch in Asien, bei uns überall cul-
tivirte Pomacee, L. Xü. 2—5. Die Quitten¬
kerne, Semina Cydoniarum, enthalten 20%
Pflanzenschleim und wurden früher 1 : 50 als
Mucilago Seminum Cydoniae zu Augenwässern
besonders verwendet: jetzt zieht man dünne,
reine Lösungen für diese Zwecke vor. Die
Quittenkeme sind nur in Oesterreich-Ungarn
officinell. Vogel.
Cygaja - Schaf. Der Heimatsbezirk des¬
selben ist Bessarabien. Es gehört unbedingt
zu der grossen Gruppe der schlichtwolligen
Schafe, welche durchweg nur und einzig
und allein unverraischt mit jeglichem Gran¬
nenhaar das reine markfreie, nur leicht ge¬
wellte, jeglichen seidenartigen Glanzes ent¬
behrende Wollhaar von weisser Farbe in
ziemlich dichtem Stande auf der Haut tragen.
Kopf und Beine bis zum Knie und dem Sprung¬
gelenke hinauf sind mit kurzen, glatten,
weissen Haaren bedeckt. Die männlichen Thiere
sind durchweg gehörnt. Die Hörner gleichen
vollkommen denen des Merino-Widders, sind
nur nicht so fein gekerbt, die Ohren sind kurz.
Die Wolle erreicht im Jahres wuchs eine Länge,
von 8—9 cm. und hat eine solche Feinheit, dass
man sie zu einer guten BC -Wolle rechnen
kann, dabei ist dieselbe kräftig und hat grosse
Widerstandskraft. Das Schurgewicht erreicht
bei dem ausgewachsenen Widder in Schwarz¬
schur 2— 27* kg. Das ausgewachsene Mutter¬
schaf misst im Durchschnitte in der Höhe 0*60,
in der Länge vom Scheitel bis zur Schwanz¬
wurzel 0*98 m, bei einer Brusttiefe von 0*30 m.
In seinem Verbreitungsbezirke wird dasselbe
nur, selbst im strengen WinteT, im Freien ge¬
halten. Stallungen kennt man dort nicht; eben¬
so müssen die Thiere selbst im kältesten Win¬
ter sich das Futter auf den Feldern suchen,
nur bei starken Schnecfällen erhalten sie et¬
was Heu als Beifutter. Die Lämmer werden
grösstentheils im März geboren, jedoch nur
so viel Mutterlämmer aufgezogen, als zur Er¬
haltung der Kopfzahl der Mutterheerde nöthig
ist. Die anderen sowie die jungen Bocklämmer,
von denen auch nur so viel angehalten wer¬
den, als man zum Paarungsgeschäfte in den
Heerden gebraucht, werden schon in einem
Alter von 14 Tagen bis 3 Wochen entweder
für den eignen Bedarf geschlachtet oder an
den Schlächter für ungefähr 2 Mark das
Stück verkauft, welcher aus den Lämmer feilen
dann wieder ungefähr l%Mark per Stück löst.
Diese Felle, weiss und ziemlich schlicht in der
Wolle, sind aber bei weitem nicht so geschätzt
als die des schwarzen Tschuschkaschafes (s. d.).
Die Mütter, deren Lämmer geschlachtet worden
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CYKLITIS. — CYNODON DACTYLON.
28Ä
sihd, werden gemolken und aus der Milch
Käse bereitet. Die heutigen Bewohner (Rumä¬
nen) nehmen an, dass das Schaf zur Römer¬
zeit eingeführt worden sei, als Rumänien unter
, römischer Botmässigkeit stand und gleichsam
als Strafcolonie für römische Soldaten behan¬
delt wurde. Wahrscheinlicherweise wurde aber
das Schaf bei der grossen Völkerwanderung
mit einem indogermanischen Stamme, welcher
sich nach Haeckel von dem grossen Strome
abzweigte und an den nordwestlichen Küsten
des Schwarzen Meeres sesshaft machte, schon
eingeführt, es steht daher unzweifelhaft in
der nächsten Verwandtschaft mit dem lang-
und dürrschwänzigen deutschen schlichtwolligen
Schafe, wofür auch alle Eigenschaften desselben
sprechen. Das Thier ist dabei ziemlich schnell¬
wüchsig, auch wird die Güte des Fleisches
bei leichter Mastfähigkeit von den Einwohnern
sehr gerühmt. Bei vorschreitender Cultur jener
Gegend dürfte gerade diesem Schlage eine
grosse Bedeutung beigelegt werden.
Krafft erwähnt in seiner Thierzucht 11
eines „Zigajaschafes u unter den Schlägen
des siebenbürgischen Zackeischafes; er zählt
dasselbe zu den mischwolligen Schafen, soll
aber gerade bei diesem der Flaum, d. h. das
eigentliche markfreie Wollhaar am reichlichsten
angeordnet sein. Jedenfalls ist dieses einer
Rasse an gehörig, die mit der rumänischen
nichts als den Namen gemeinsam hat. Bohtn.
Cyklitis (6 xoxXoc, der Kreis), die Ent¬
zündung des Strahlenkörpers des Auges; sie
kommt sehr selten für sich allein vor, son¬
dern meist in Verbindung mit Entzündungen
im Bereiche der Iris oder der Chorioidea,
weshalb sie im Zusammenhang mit den Er¬
krankungen des Aderhauttractus unter „Uveal-
tractus“ besprochen wird. Schlampp .
Cyklople (6 x6xX<»(J>, der Cyclop, welcher
nach der homerischen Fabel nur Ein Auge in
der Mitte der Stirne besessen haben soll, von
6 xoxXos, der Kreis, und •$) cui^, das Auge)
bezeichnet eine Missbildung, bei welcher die
beiden Augenhöhlen unter Verkümmerung
und Wegfall der sie normaler Weise tren¬
nenden Gebilde sich genähert und zu einer
einzigen Höhle vereinigt haben (s. „Miss¬
bildungen des Auges u ). Schlampp .
Cykloplegla, die Accommodationslähmung
(8. Accommodation). Schlampp.
Cylinderepithel, s. Epithel
Cyilndergonidien nennt man im Allge¬
meinenlanggestreckte, walzenförmige Gonidien
(Conidien). De Bary bezeichnete damit spe-
ciell die Gonidien von Cordyceps militaris
und Verwandten, welche aus den Mycelfäden
im Inneren der Raupen in grosser Zahl her¬
vorsprossen und nach Abschnürung sich iso-
liren, um alsbald zu keimen und neue Mycel¬
fäden entstehen zu lassen. Harz.
Cylindrom, Röhrengeschwulst, Schlauch-
•sarcom, Knorpelschlau chgeschwulst, Schleim-
cancroid, Angioma proliferum mucosum, eine
Neubildung, die durch Bildung cylindrischer,
keulen-, kugel- und bauraförmiger Massen aus
schleimigen Substanzen von gallertiger Be¬
schaffenheit entsteht. Die Cylindrome wurden
zuerst von Billroth und darauf von Henle,
Busch, Graefe, Robin, Merkel, Volkmann,
Mayer, Weber, Friedrich, Recklingshausen,
Böttcher, Köster, Förster, Pagenstecher,
Birch - Hirschfeld, Sattler, Ewetzky, Neu¬
mann, Hechl, Rustitzky u. A. untersucht
und beschrieben. Die Cylindrome bestehen
aus stecknadelkopf- bis erbsengrossen Cylin-
dern und Kugeln von meist gallertiger homo¬
gener, gekochtem Sago ähnlicher Beschaffen¬
heit, enthalten elastische Fasern und auch
endotheliale, mit grossen Kernen versehene
Zellenstränge und Blutgefässe. Waldeyer be¬
zeichnet sie als plexiforme Angiosarcome.
Ausserdem kommen Combinationen der Cy¬
lindrome mit Sarcomen, Adenomen, Chondro¬
men etc. vor. Die Cylindrome sitzen vorzugs¬
weise an den Gesichtsknochen, den serösen
Häuten (Peritoneum), Dura mater des Gehirns,
seltener in Drüsen. Nach Extirpationen machen
sie gern Recidive, Metastasen aber nur bei
Combinationen mit Sarcomen. Semmer.
Cymol. Ein aromatischer, der Benzolreihe
zugehöriger Kohlenwasserstoff von der Formel
Ci 0 H, 4 . Nach der herrschenden Theorie sind
zahlreiche Kohlenwasserstoffe dieser Formel
möglich, und man spricht daher im Allge¬
meinen von Cymolen, es sind auch deren
mehrere künstlich dargestellt worden. Das in
der Natur vorkommende Cymol findet sich im
römischen Kümmelöl (von Cuminum cyminum)
und in anderen ätherischen Oelen. Es ist
nach seinem Bau Methyl-Propyl-Benzol. Auch
aus Thymol, ferner aus Kampher wurde
dieses Cymol gewonnen. Das C} T mol ist eine
angenehm riechende Flüssigkeit, welche bei
170—175° siedet, vom specifischen Gewichte
0*873 bei 0°C. Locbisch.
Cynanche, Bräune oder Halsentzün¬
dung (von xotuv, Hund; ayx cLV » zusammen¬
schnüren, enge machen). Durch Entzünduug
und Schwellung der Weichtheile des Rachens,
des Kehl- und Schlundkopfes verengen sich
die genannten Partien der Luftwege, es
kommt zu mehr oder weniger hochgradiger
Dyspnoö, bei der die Menschen öfter bellende
Laute wie der Hund hören lassen. Bereits im
grauen Alterthume bedienten sich die griechi¬
schen Aerzte des Ausdruckes „Cynanche 11 für
Bräune (s. diese). Anacker.
Cynanchum vinoetoxioum, gemeiner Hunds¬
würger, Asclepiadee (L. V. 2) unserer Ge¬
büsche und Haine, früher als Brechmittel of-
ficinell. Das Cynanchum Argei ist eine As¬
clepiadee des Sudans und wird jetzt als
Solenostemma Argei beschrieben, deren Blätt¬
chen stets der alexandrinischen Senna (s. Cassia
lenitiva) beigemengt sind (Folia Argei): sie
zeichnen sich von den echten Sennablättern
besonders dadurch aus, dass sie eingebogen
oder eingerollt, beiderseits leicht behaart sind
und keine deutlich sichtbaren Secundämerven
besitzen. Geschmack stark bitter, hinterher
süsslich. Vogel.
Cynodon-Dactylon ist das hauptsächlichste
Futtergras in Indien. Im Norden ist es unter
dem Namen „Dhoob“, im Süden als „Bari-
ali u und in Amerika und Australien als
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CYNOGLOSSUM OFFICINALE. — CYNOSURUS CRISTATUS. 282
„Couch-grass u bekannt. In Indien wächst befallen, von welchem eine Abbildung bei
dieses Gras allenthalben und ist, wie er- Fig. 413 c gegeben ist. Das krankhafte Aus-
w&hnt, die wichtigste Futterpflanze des Lan- sehen, welches dann die blühende Spitze,
des. Sie ist unerreicht von irgend einer ande- deren Theile sich abwärts senken, darbietet,
ren zu diesem Zwecke, besitzt eine fast bei- ist höchst charakteristisch. Ueber die Art und
spiellose Lebenskraft und wächst auf jedem Weise, in welcher diese Pflanze gesammelt
Boden. Bei halbwegs fürsorglicher Cultur ist und an die Pferde verfüttert wird, s. unter
sie ausserordentlich productiv und kann eine Futterpflanzen. Smith.
grosse Höhe erreichen. Sie schmiegt sich den Cynoglossam offleinale, arzneiliche oder
jeweiligen Verhältnissen auch auf hartem und gemeine Hundszunge, eine der alkaloidhalti-
trockenera Boden insofern an, als sie sich gen, früher offtcinellen Boragineen (L. V. 1),
daselbst auf dem Grunde ausbreitet und durch welche dadurch ausgezeichnet ist, dass schon
ihre Stengelausläufer wieder Wurzel fasst. in kleinsten Mengen die Muskelenden der
Die Pferde der berittenen indischen Truppen motorischen Nerven ganz so gelähmt werden,
werden fast ausschliesslich mit diesem Gras wie dies beim Curare angegeben worden ist.
genährt. Eine Abbildung der blühenden Spitze Das Alkaloid ist dasselbe, wie es auch der
zeigt Fig. 413 a, die Art des eben geschilder- Ochsenzunge (Anchusa officinalis, s. d.) "und
\ b
Fig. 413. Cynodon-Dactjlon. » Blähende Spitze der Pflanze, b Wachsthum derselben, c von Pilzen (Ustilago)
befallene Pflanze.
ten Wachsthumes dieser merkwürdigen Pflanze dem Coniin des Schierlings zukommt und
ist anf Fig. 413 b ersichtlich. Die Höhe, bis Cynoglossin genannt wird. Vogel.
zu welcher dieses Gras wachsen kann, hängt Cynosurus cristatus L., gemeines Kamm¬
vollständig von dem Klima, dem Boden und gras; perennirendes Gras III. CI. 2. 0. Halm
der Cultur ab. Auf den dürren Ebenen von 50—60 cm hoch, Aehrchen in eine Rispenähre
Bengalen kriecht es längs des Grundes hin; von2*5—5 cm Länge vereinigt, u.zw. in sitzen-
die Höhe ist dort unbedeutend. Im Süden den Büscheln; das äussere unterste Aehrchen
wird es gut einen Fuss hoch, aber bei jedes Büschels besteht aus mehreren un¬
guter Cultur kann es wohl eine Höhe von fruchtbaren Spelzen und bildet ein Hüllblatt,
4—5' erreichen. Das von dieser Pflanze ge- die anderen Aehrchen sind 3—5blüthig. Die
lieferte Futter ist sehr nahrhaft; es wird so- Spelzen enden in eine kurze Grannenspitze
wohl das Gras als auch dessen Wurzel ver- und sind ausserdem mit kurzen, weissen Bor¬
füttert Dieses Nahrungsmittel ist für die sten besetzt. Blüthe: Mitte Juni bis Anfang
Truppenpferde von so hochbedeutender Wich- Juli. Reife: Juli und August. Dieses Gras
tigkeit, dass man sich absolut nicht vor- bildet einen dichten, sehr kleinen und niedri-
stellen könnte, wie die Pferde in Indien ge- gen Horst, ist daher ein Bodengras für
nährt werden sollten, falls diese Pflanze nicht Wiesen und eignet sich sehr zur Weide im
vorhanden wäre. Leider wird dieselbe manch- Gemenge mit anderen Gräsern; es reprodu-
mal von einem „Sraut“ genannten Ustilago cirt sich schnell und bietet je nach dem
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384
CYPERACEAE. — CY8TITIS.
Boden sowohl eine Schaf- als eine Rinder¬
weide. Feuchtigkeit sagt dem Grase viel mehr
zu als Dürre, es wird aber letztere von ihm
wegen der tiefergehenden Wurzeln leichter als
von anderen Gräsern ertragen (s. Futter¬
pflanzenbau). ^ v. Liebtnbsrg.
Cyperaceae, Zypergräser. Familie aus
der Classe der Monocotyledonen, umfassend
zahlreiche Grasgewächse, meistens steifer und
härter als die eigentlichen Gräser, mit dich¬
tem Stengel, der von den Blattscheiden um¬
geben ist. Blüthen in kleinen, grünen oder
braunen Aehrchen, welche einzeln und gipfel¬
ständig oder zu mehreren in einem endstän¬
digen einfachen oder zusammengesetzten
Büschel, einer Aehre, Spirre, Dolde oder
Traube gruppirt sind. Jedes Aehrchen steht in
der Achsel eines Deckblattes und besteht
aus mehreren Spelzen, in deren Achsel sich
je eine sitzende Blüthe befindet. Das Perigon
fehlt entweder oder wird gebildet aus einigen
Borsten,Haaren oder kleinen Schuppen. Staub-
gefässe drei, seltener zwei; Fruchtknoten
einfach, einfächerig, der Griffel mehr oder
weniger tief getheilt in 3—3 Aeste oder seit¬
liche Narben. Frucht ein kleines, samenähn¬
liches Nüsschen. Diese Familie enthält eine
grosse Zahl von Gattungen, wie Cyperus,
Scirpus, Carex, deren Individuen zum gröss¬
ten Theile in Sümpfen und auf nassem Boden
vegetiren. Ihr Vorkommen auf Wiesen zeigt
immer das Vorhandensein von Nässe und die
Nothwendigkeit der Entwässerung an. Das
Heu wird als saures Heu bezeichnet und eig¬
net sich wesentlich nur für Pferde. Lig.
Cypernkatze, häufige Varietät der Haus¬
katze. hellgrau mit schwarzen Streifen und
schwarzen Sohlen. Der Name stammt daher,
dass diese Varietät auf der Insel Cypern be¬
sonders rein gezüchtet wurde. Sie diente zur
Vertilgung der Schlangen, welche sie mit
grosser Begier aufsucht. Studcr.
Cyrenaischer Hund, s. Algerischer Hund.
Cyrlaoi J. C. schrieb 1817 in Coburg
eine Schrift: „Der Vieharzt bei unreinem und
verdorbenem Futter“ betitelt. Stmmer.
Cyste. Manche Schwärmer und Plasmo¬
dien der Myxorayccten vermögen unter ge¬
wissen, noch nicht sicher ermittelten Bedin¬
gungen in einen länger oder kürzer dauern¬
den Ruhezustand überzugehen. Zu diesem
Zwecke scheiden sie nach aussen eine meist
dicke, derbe Haut, eine „Cyste“ ab. Die
Cysten der Schwärmer sind klein, meist
kleiner als die Sporen der betreffenden Orga¬
nismen; man hat sie Mikrocysten genannt.
Die Cysten der Plasmodien sind grösser, sie
heissen Makrocysten. Derartige Vorgänge
werden allgemein „Encystirungen“ genannt;
sie kommen namentlich häufig vor bei Infu¬
sorien, sowie bei Amöben und anderen Rhi-
zopoden: aber auch bei Spongien u. s. w.
Als einen Encystirungsprocess betrachte ich
auch die sogenannte Sporenbildung vieler
Spaltpilze, sowie mancher Heferassen (s.
Saccharomyces). Die Bedingungen der En-
cystirung oder Einkapselung sind: Schlechte
Ernährung, allmäliges Austrocknen des Nähr¬
substrates, Abkühlung auf eine bestimmte
Miniraalteraperatur u. s. w. — Die encystirten
Organismen sind gleich Samen und vielen
Sporen befähigt, längere Zeit in trockenem
Zustande ruhend zu verharren. Bringt man
sie in geeignete Nährflüssigkeiten, so platzen
die Cysten und die bisher ruhenden Organis¬
men erwachen wieder zu neuem Leben. Harz.
Cysten (von xootic. Blase), geschlossene,
an der Innenfläche meist mit Epithel oder
Endothel ausgekleidete, mit einem flüssigen
oder breiigen Inhalt gefüllte Neubildungen
oder Geschwülste (s. Balggeschwülste). Sr.
Cystencaroinom. Cystenkrebs, eine aus
einem gefässhaltigen Bindegewebsstroma und
ein gelagerten Epithelzellenzapfen bestehende
Neubildung (s. Krebs), die sich mit Cysten¬
bildungen complicirt. Diese Complication kann
auf folgende Weise zu Stande kommen:
1. Können sich Krebse secundär in Cysten
oder Cystoiden entwickeln, indem die Cysten-
w'and carcinomatös entartet oder mit zottigen
krebsigen Wucherungen sich bedeckt (in den
Ovarien, Hoden, im Euter). 3. Bilden sich in
Krebsgeschwülsten durch schleimige oder
colloide Entartung der Krebszellen steck-
nadelkopf- bis wallnussgrosse cystenartige
Räume, besonders in metastatischen Krebsen
des Magens, der Leber, Lungen etc. (Carci¬
noma cysticum colloides.) 3. Durch schleimige
Entartung der Zellen des Drüsenkrebses
(Glandular carcinom, Adenoma carcinomato-
des, schleimiges Cancroid). 4. In drüsigen
Organen entstehen durch Krebswucherungen
und Druck auf die Drüsengänge Stauungen des
Drüsensecretes und Cystenbildungen um und
zwischen den Krebsneubildungen. Semrncr.
Cystiden nennt man seit Ldveilld auf¬
fallend grosse ovale, rundliche bis prisma¬
tische, wasserhelle Zellen, welche bei den
Tintenpilzen (Coprinus) neben den Basidien
und Paraphysen Vorkommen. Harz.
Cystin. Eine bisher nur im Harn des Men¬
schen und in Form von Blasensteinen bei
diesem aufgefundene Substanz, deren empi¬
rische Formel C g H 7 NS0, ist, und welche als
anonnales Spaltungsproduct der Eiweisssub¬
stanzen aufgefasst werden muss, welches hie
und da neben den normalen Endproducten
des Stoffwechsels, Harnstoff, Harnsäure, Krea¬
tin im Harne erscheint. Das Cystin ist im
Sedimente des Harns leicht erkennbar an
den sechsseitigen Tafeln oder Prismen, in
welchen es auftritt. Es ist unlöslich in
Wasser, Alkohol und Aether, löst sich leicht
in Aetzalkalien, Mineralsäuren und Oxalsäure.
Aus sauren Lösungen wird es durch saures
kohlen saures Ammon gefällt, aus alkalischen
Lösungen durch Essigsäure und Weinsäure.
Auf Platinblech erhitzt, verbrennt es mit
blaugrüner Flamme unter Entwicklung eines
an Blausäure erinnernden Geruches. Loebisch,
Cystitis, s. Urocystitis, die Harnblasen¬
entzündung (v. xo3Ti$, Blase, Harnblase; oopov.
Harn): bei ihr entzündet sich primär die
Schleimhaut, der seröse Ueberzug der Blase
aber, w enn eine Peritonitis, Enteritis, Nephritis
oder Metritis auf die Blase übergeht. Das
CYSTOIDE.
Nähere über Cystitis s. bei Harnblase, Harn¬
blasenentzündung. Anacker .
Cystoide, Kystome, Cystengeschwülste,
sind Geschwülste, welche aus einer grosseren
Anzahl von Cysten bestehen, die meist durch
Proliferation aus einander hervorgehen (Proli¬
ferationscysten, multilobuläre Kystome). Am
häufigsten kommen die Cystoide in den Eier-
stOcken (bei Pferden) vor, wodurch diese oft
zu kopfgrossen Geschwülsten heranwachsen.
Die Kystome der Ovarien zerfallen in glan¬
duläre und papilläre. (Kystoma proliferans
glanduläre et papillare). Die glandulären
Kystome charakterisiren sich durch beständige
Epithelwucherung und Bildung neuer Cysten
in der Wand der älteren. Die oft grossen,
durch dicke Bindegcwebswandungen um¬
grenzten cystenartigen Hohlräume sind mit in
Fettentartung oder colloider Entartung be¬
griffenen Zellenmassen gefüllt. Wegen des
mehr festen Inhalts haben die cystoid ent¬
arteten Ovarien Aehnlichkeit mit sarcoma-
tösen oder drüsigen Neubildungen. Bei den
papillären Kystomen wuchert vorzugsweise
das Bindegewebe und bildet zahlreiche zottige
und höckerige, mit Epithel umkleidete Vor¬
sprünge in den cystoiden Räumen. Ferner
kommt häufig vor eine cystoide Entartung mit
Bildung von Colloidcysten und Schleimcysten
in den Schilddrüsen und Vorsteherdrüsen der
Hunde (mit Störungen der Athmung und des
Harnabsatzes). In den Nieren bilden sich bei
Verschluss von Harncanälchen oft zahlreiche
atecknadelkopf- bis apfel grosse Cysten, sog.
Harncysten. (Cystoide Entartung der Nieren,
auch angeboren als fötale Cystenniere.) Sr.
Cy8t08arcom, eine aus einem gefäss-
haltigen Bindegewebstroma mit zahlreichen
eingelagerten Rundzellen und spindelförmigen
Zellen (oder auch Endothelzellen) des mitt¬
leren Keimblattes bestehende Neubildung
(8. Sarcom), in der sich durch partielle um¬
grenzte Entartung und Zerfall der Gewebe
cystenartige Hohlräume bilden, die anfangs mit
Detritusmassen und nach Resorption derselben
mit seröser Flüssigkeit gefüllt sind. Auch kön¬
nen Kystome nachher sarcomatös entarten. Sr.
— D., Da. 885
Cystospasmus , Blasenkrampf (von
xoott;, Blase; oitdv, ziehen, spannen); er gibt
sich durch Unregelmässigkeiten in der Harn¬
entleerung zu erkennen. Ergreift der Krampf
nur den Blasenhals, dann besteht periodisch
Harnverhaltung, erstreckt er sich aber über die
Muskulatur der ganzen Blase, dann wird der
Harn während des Krampfanfalles unter
Schmerzäusserungen in kleinen Mengen äbge-
setzt (s. Blasenkrampf). Anacker.
Cythomarga alba, s. Unicornu fossile.
Cyti8in. Ein in der Besenpfrieme (Spartium
scoparium L.) vorkommendes Alkaloid, welches
purgirend wirkt. Die Besenpfrieme, ein man-
neshoher ästiger Strauch, mit grünen kantigen
Zweigen und grossen gelben Blüthen, dient
meist nur zum Besenbinden und Korbflechten.
Die Zweigspitzen bilden jedoch ein dem mitt¬
leren Wiesenheu gleichwerthiges Futter, wer¬
den in Pommern gesammelt und gerne den
Schafen gegeben. Sie enthalten 91*7% Tro¬
ckensubstanz, 15’9% Protein, 5*3% Fett,
29 o% stickstofffreie Extractstoffe, 33* 1 %
Holzfaser, 7*9% Asche. Sie sind aber angeb¬
lich wegen ihrer purgirenden Wirkung be¬
sonders für trächtige Thiere ungeeignet Pott.
Cyti8H8 Laburnum, gemeiner Bohnen¬
strauch, der als Goldregen bekannte, gelb¬
blühende Strauch unserer Papilionaceen (L.
XVH. 3), dessen Samen und junge Hülsen
hie und da Vergiftungen erzeugen, wenn nicht
ihre brechenerregende und abführende Wirkung
rasch zum Vorschein kommt. Vogel.
Cytogene, Bindesubstanz, s. Bindegewebe.
Czerkass-Pferd, s. Tscherkessisches Pferd.
Czifferer Landschlag. Eine nach dem
Gute Cziffer — am Ostabhange der kleinen
Karpathen im ungarischen Comitate Press¬
burg gelegen — benannte Kreuzung von
Berner, zum Theil auch von Schwyzer Rin¬
dern, die sich von vielen anderen derartigen
Kreuzungen, die nicht mit einem besonderen
Schlagnamen benannt sind, nicht wesentlich
unterscheidet. Die genannte Kreuzung hat
sich durch Mastfähigkeit bewährt. Wilckens.
Czurkan-Schaf, s. Tzurkan-Schaf.
D, ist eine in neueren ophthalmologischen
Werken und Schriften sehr häufig gebrauchte
Abkürzung für Dioptrie (s. d.); will man
den Refractionszustand eines Auges kurz be¬
zeichnen, so bedient man sich einer Gleichung,
bei welcher auf der einen Seite die Refractions-
anomalie (Hypermetropie oder Myopie, die
dann ebenfalls in der Abkürzung als H oder
M geschrieben werden) zu stehen kommt, auf
der anderen Seite wird der gefundene Grad
dieser Anomalie genannt, den man durch die
Anzahl der Dioptrien ausdrückt, welche man
benöthigt, um das ametropische Auge zu einem
emmetropisch sehenden zu machen, und dann
den Buchstaben D dahinter setzt So drückt
man z. B. eine am rechten Auge gefundene
Uebersichtigkeit, welche durch eine Convex¬
linse von drei Dioptrien corrigirt werden
kann, aus: R. A.: H = -f- 3 D, was besagen
soll: Rechtes Auge, Hypermetropie == drei
Dioptrien; oder eine am linken Auge consta-
tirte Kurzsichtigkeit, welche durch eine Con-
cavlinse von sieben Dioptrien behoben wird,
notirt man sich als: L. A.: M = — 7 D, d. h.:
Linkes Auge, Myopie = 7 Dioptrien. Sj>.
d., ist in der Wollkunde als das Zeichen
für die Tertiawolle gebräuchlich.
D., Da, auf lateinischen Reccpten „Gib“.
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286
DACHS. — DACHSHUND.
Dachs, Meies taxus Pall. Säugethier
aus der Ordnung der Carnivora, Raubthiere,
Familie der Mustelidae, Marder. Der Dachs
besitzt einen gedrungenen, langgestreckten
plumpen Körper, der auf kurzen Extremitäten
steht. Die Füssc treten mit ganzer Sohle
auf und sind mit starken Krallen bewaffnet,
welche an den Vorderfüssen stärker als an
den Hinterfüssen sind. Der Kopf ist verhält-
nissmässig klein, mit zugespitzter, fast rüssel-
förmig vorgezogener Schnauze, kleinen Augen
und kurzen, dicht behaarten Ohren. Der
Schwanz ist kurz. Das Gebiss besteht aus
drei Schneidezähnen in jeder Kieferhälfte,
einem Eckzahn, vier Prämolaren, einem Molar
im Oberkiefer und zwei im Unterkiefer. Der
obere Höckerzahn (Molar) ist sehr gross,
mit quadratisch verbreiterter Krone, grösser
als der Fleischzahn. Der Pelz ist lang und
steifhaarig, die Färbung im Allgemeinen auf
der Oberseite weisslichgrau mit Schwarz
melirt, die Unterseite und die Füsse schwarz,
der Kopf weiss, ein schwarzer Streifen zieht
sich seitlich von der Schnauze über Auge
und Ohrgegend. Die Länge des Körpers be¬
trägt 75—80 cm, die des Schwanzes 18—20 cm,
die Schulterhöhe 30—32 cm. Der gemeine
Dachs ist über Europa und den grössten
Theil Nordasiens verbreitet. Er gräbt unter¬
irdische Höhlen, sogenannte Baue, welche
aus einem Kessel und zwei bis acht Aus-
und Eingangsröhren bestehen. In diesem Kessel
verbringt er schlafend den Tag und den
Winter, des Nachts geht er auf Nahrung
aus, die in Pflanzen und Thierstoffen besteht.
Die Paarungszeit fällt in den Juli oder Anfangs
August. Im Februar oder März wirft das
Weibchen 3—5 blinde Junge. Der Dachs
wird wegen seines Fettes und seines Pelzes
gejagt, auch das Fleisch wird gegessen. Str.
Dachshund, Dächsel, Basset, Canis ver-
tagus. Unter dieser Bezeichnung begreift man
Jagdhunde von besonderer Form, die so
niedrig gestellt sind, dass sie in unterirdi¬
schen Bauen lebende Jagdthiere, wie Dachse,
Füchse in ihren Höhlen aufsuchen können.
Der Leib der Dachshunde ist sehr lang ge¬
streckt, fast walzenförmig, der Rücken einge¬
bogen, die Beine sehr kurz, plump und stark.
An den Vorderextremitäten meist das Hand¬
gelenk einwärts gebogen, während die Hand
wieder nach auswärts gekrümmt ist. Der Kopf
hat ganz die Form des eigentlichen Jagd¬
hundes, Canis sagax. Der Hirntheil schön
gewölbt, die Schnauze ziemlich lang und
hoch, die Lefzen etwas hängend, die Ohren
lang und hängend. Der Schädelbau stimmt
ganz mit dem des Jagdhundes überein. Die
Rasse scheint aus Jagdhunden hervorgegangen
zu sein, welche Anlage zu rhachitischer Ver¬
biegung der Vorderarme zeigten, indem man
durch rationelle Zuchtwahl diese Eigenschaft
fortpflanzte. Schon unter den Knochenresten der
Pfahlbauten aus der Bronzezeit in der Schweiz
findet man Vorderarmknochen vom Hund,
welche die charakteristische Einwärtsbiegung
der unteren Epiphyse zeigen, doch sind keine
Anhaltspunkte vorhanden, dass diese Defor¬
mation schon damals zur Rassebildung ver¬
wendet wurde. Dagegen findet sich auf alt¬
ägyptischen Denkmälern in Beni Hassan die
Darstellung einer Hündin, die durch ihre
langgestreckte Form, die kurzen plumpen
Extremitäten, den eingebogenen Rücken sehr
an den Dachshund erinnert, nur hat sie lange,
aufrechtstehende Ohren. Auf den Dachshund
bezieht Fitzinger den Biberhund Xenophons,
doch ist die Stelle nicht klar genug; den
Römern scheint dagegen der Dachshund be¬
kannt gewesen zu sein. Bei den alten Deut*
sehen kommt der Dachshund schon im Boji-
schen Gesetz unter dem Namen Bibarhunt
vor und unter derselben Benennung oder als
Canis Bersarius, Beverarius, Bibraceo in den
Schriften des IX.—XV. Jhdt. (Fitzinger),
ebenso wird er zur Zeit der merovingischeu
Könige als Bibarhunt erwähnt. Gegenwärtig
wird der Dachshund am meisten und besten
in Deutschland gezüchtet, in Frankreich im
Artois, in Belgien in Flandern. Man unter¬
scheidet krummbeinige und geradbeinige
Dachshunde, welche wie die Jagdhunde in
glatthaarigen, rauhhaarigen und langhaarigen
Varietäten Vorkommen.
Krummbeinige Dachshunde. Glatt¬
haarig: Kopf lang und flach, mässig breit,
Augenabsatz nicht zu hoch. Hinterhauptbein
gut entwickelt. Schnauze lang und stark mit
gut entwickelter Nase und gut passenden
Zähnen; Fangzähne stark und etwas gebogen.
Augen gross, feurig und klug. Ohren glatt
am Kopfe hängend, lang, breit und weich,
tief angesetzt. Hals lang und stark, muskulös
mit loser Haut. Brust tief und breit. Rücken
lang, in der Nierengegend breit und gewölbt.
Rippenkorb lang und tief hinabreichend, Bauch
nach hinten stark aufgezogen. Vorderbeine
kurz und starkknochig, vom Ellbogen ab bis
zu den Knien nach innen gestellt, so dass
dieselben sich fast berühren. Vorderpfoten
sehr gross, von den Knien ab auswärts gestellt
mit starken schwarzen Klauen. Hinterläufe
ganz gerade, Schenkel muskulös, Unterschenkel
verkürzt, Hinterpfote kleiner als die Vorder¬
pfote. Ruthe lang, an der Wurzel dick, dann
allmälig spitz zulaufend. Wird horizontal oder
schräg auf- oder abwärts getragen. Haar
kurz, glatt anliegend, hart an den Ohren, im
Gesicht weich. Farbe glänzendschwarz mit
gelben Abzeichen, rothbraun mit gelben Ab¬
zeichen, einfarbig gelb oder lohfarben. Rauh¬
haarig : Mit langer rauher, derber Behaarung,
die dicht ist. Langhaarig: Mit langer, seiden¬
weicher Behaarung, welche gewellt und be¬
sonders lang unter dem Halse, der Unter¬
seite des Körpers und an der Hinterseite der
Läufe ist. Am längsten ist das Haar an den
Ohren und der Ruthe. Eine kleine Form des
krummbeinigen Dachshundes wurde in Eng¬
land und Frankreich unter dem Namen Turn-
spit, Toumebroche gezüchtet, die früher dazu
verwendet wurde, den Bratspiess in der Küche
zu drehen, gegenwärtig auch hin und wieder
zur Kaninchenjagd gebraucht wird. Derselbe
ist kleiner als der gewöhnliche Dachshund,
hat etwas höhere Beine, die vorderen weniger
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DACRYOCYSTITIS. — DÄMPFEN DES FUTTERS.
verbogen, die Ohren sind schmäler und be¬
deutend kürzer. Die Behaarung ist meist gelb¬
lich grau oder mausfarben oder schiefergrau
mit grösseren und kleineren schwarzen Flecken.
Der geradbeinigc Dachshund,
Tumbler, Basset ä jambes droites, wird besonders
in England gezüchtet, von wo er nach Fitzinger
seit dem XVI. Jahrhundert aufgeführt wird.
Dieser Hund hat einen merklich kürzeren
Kopf, etwas kürzere und minder spitze Schnauze
als der krummbeinige Dachshund, verhält-
nissmässig längere und breitere Ohren und
einen längeren und dünneren Schwanz. Die
Vorderbeine sind gerade, nur am Handgelenk
verdickt, sonst kurz und stark wie bei der
krummbeinigen Form. Studcr.
' acryocystitls, s. Dakiyocystitis.
Dadd G. H. bemühte sich 1835 um die
Gründung einer Veterinärschule in Boston in
Nordamerika und gab 1851 heraus: „The
American Veterinary Journal, devoted to the
diffusion of veterinary knowledge.“ Semmer.
Dämpfe, arzneiliche, zum Einathmen
(Dämpfen, Dunsten), s. Inhalationen.
Dämpfen des Fleisches. Beim Dämpfen
des Fleisches findet ein ähnlicher Vorgang
wie beim Kochen statt. Hier wirkt jedoch ein
bei weitem geringeres Quantum des Wassers
auf das Fleisch, weshalb die im Wasser lös¬
lichen Stoffe (sog. Extractivstoffe) nur in
einem verhältnissmässig geringen Masse ver¬
loren gehen. Immerhin findet ein grösserer
Verlust von Nährsubstanzen als beim Braten
statt, denn ein Theil des Fleischsaftes tröpfelt
bei dieser Procedur herab. Die Veränderungen,
die hiebei das Fleisch erleidet, sind folgende:
Zuerst gerinnt an der Oberfläche das Eiweiss
und überzieht das Fleisch mit einer festen
Hülle. Die schnellere oder spätere Gerinnung
hängt jedoch von der Temperatur des Dampfes
ab; je weniger der Dampf erhitzt ist, desto
langsamer gerinnt das Eiweiss und einen desto
grösseren Verlust erleidet das Fleisch an
Saft. Nach und nach dringt die Wärme auch
in das Innere des Fleisches ein, das Fleisch
verfärbt sich und nimmt hiebei eine dunkel¬
graue Farbe an. Es lockert sich zugleich das
Bindegewebe, zum Theil wird es in Leim
umgewandelt. In Folge der Einwirkung der
Wärme wird auch das Fett bis zu einem
ewissen Grade aufgelöst, mischt sich mit
em Fleischsaft und tröpfelt herunter. Daraus
ist ersichtlich, dass das in heissen Dämpfen
gedämpfte Fleisch nur einen höchst geringen
Verlust an Nährstoffen erleidet, es ist nahr¬
haft und wohlschmeckend und kommt in dieser
Beziehung einem gut gebratenen Fleische
sehr nahe, ja es übertrifft dasselbe sogar
an Schmackhaftigkeit. Das sog. Dünsten des
Fleisches, wie es in jeder Küche gemacht
wird, ist ja auch nichts Anderes als ein
Dämpfen im eigenen Saft oder in einer Sauce.
In den grösseren Fleischconservefabriken
Amerikas wird auch deshalb das wohlschme¬
ckende Beefsteakfleisch beinahe ausschliesslich
mittelst Dämpfens zubereitet, so z. B. das
Corned-Beef, das Texas-Beef, die Zunge u. s. w.
Um den Verlust an Fleischsaft ad min im um
287
zu reduciren, verfährt man bei der Zuberei¬
tung des Texas-Beef folgenderart: das Fleisch
wird in den Ofen gestellt, wo es einem Strome
heisser Luft 3—4 Stunden lang ausgesetzt
bleibt. Das Fleisch wird dann auf Platten
von Eisenstäben gelegt, eines über das andere,
und langsam durch eine Kette ohne Ende
vom Gipfel zum Boden des Ofens getragen.
Die Säfte von den oberen Platten tropfen auf
das Fleisch der niederen, und wenn es den
Boden des Ofens erreicht, hört das Tropfen
auf und das Fleisch ist durch und durch ge¬
dämpft, ohne einen Bestandtheil seiner nahr¬
haften Masse eingebüsst zu haben. Nachdem
dies geschehen, wird es gepresst und in Blech¬
büchsen verlöthet. Baranski ,
Dämpfen des Futters. Das Garkochen
von Futterstoffen vermittelst Dampfes. Die
Schweine gedeihen bei jeder Art von Koch¬
futter vortrefflich. Jene Hausthiere hingegen,
die sich durch ein lebhaftes Temperament
auszeichnen, körperliche oder geschlechtliche
Arbeit verrichten müssen, sich viel im Freien
aufhalten etc., vertragen nur ausnahmsweise
ein so weichliches Futter wie Dämpffutter.
Die Herstellung von Dämpffutter kommt mit¬
hin, ausser für Schweine, nur für Mastrinder,
Mastschafe und Milchvieh in Betracht; sie
gewinnt für diese Thiere um so grössere
Taktische Bedeutung, wenn es sich darum
andelt, gewisse minderwerthige Futterstoffe
mundgerechter und schmackhafter zu machen
und befallenen oder sonst irgendwie ver-^
dorbenen Futterstoffen etwaige gesundheits¬
schädliche Wirkungen zu benehmen.
Körnerfutteru. dgl. wird fast ausnahms -
los durch blosse Zerkleinerung (Schroten) in
genügender Weise für eine gute Verdauung
vorbereitet. Ganz besonders gilt dies für
Pferde, Rinder und Schafe. Nur dumpfige,
schimmelige, brandige (befallene) und dadurch
gesundheitsschädlich wirkende Körner sollten
behufs Verftitterung immer, u. zw. womöglich
unter Hochdruck, gedämpft werden (durch
das Kochen in Wasser werden die Körner
ausgelaugt). Das Dämpfen unter Hochdruck
gewährt noch den besonderen Vortheil, dass
dadurch eine theilweise Aufschliessung des
in den Körnern enthaltenen Stärkemehles und
eine Vermehrung der löslichen Stickstoff-'
haltigen Bestandteile bewirkt wird. Durch
zu starkes Dämpfen findet aber auch eine
Eiweisszersetzung durch Abspaltung von'
Amidstoffen und noch in anderer Weise statt.
Das Dämpfen darf somit nie in zu intensiver
Weise erfolgen und nicht zu lange andauern.
In den meisten Fällen wird eine Temperatur
von wenig über 100* C. völlig ausreichen, und
ist es genügend, wenn die zu dämpfenden
Körner sich eine Stunde lang unter Hoch¬
druck befinden. Das Dämpfen von Körnern
wird am besten in sog. Henzedämpfem oder
diesen ähnlichen Apparaten vorgenommen
und die durch Ausblasen zerkleinerten Körner
sind im frischwarmen Zustande, mit grobem
Häcksel vermischt, zu verfüttern.
Kleiefutter wird am besten trocken
oder im gekochten Zustande (in Suppenform)
*88
DÄMPFUNG. — DÄNEMARKS THIKRZUCHT.
verfüttert, soll also nie gedämpft werden.
Ungefähr dasselbe gilt von den Futterküchen,
die nur ausnahmsweise gekocht oder gedämpft
werden, so z. B. senfhaltige Rapskuchen, um
das in denselben enthaltene, den Thieren unzu¬
trägliche Senföl auszutreiben. Ausserdem sind
alle angeschimmelten oder dumpfig gewor¬
denen Futterküchen zu dämpfen oder zu kochen,
um die in denselben enthaltenen schädlichen
Pilzorganismen zu tödten. Zu langes Dämpfen
unter Hochdruck ist auch hier, aus denselben
Gründen wie beim Körnerfutter angegeben,
zu vermeiden.
Das Dämpfen vonRauh futterst offen
empfiehlt sich nur dann, wenn diese sehr hart
und grobstengelig sind und von den Thieren
daher nicht in grösseren Mengen aufgenommen
würden. Es wird durch das Dämpfen groben
Rauhfutters im gehäckse lten Zustande nicht
blos dessen Schmackhaftigkeit, sondern auch
dessen Verdaulichkeit gesteigert; bei saurem
Heu u. dgl. kommt noch als besonderer Vor¬
theil hinzu die Austreibung unangenehm
riechender flüchtiger Stoffe, durch welche
nicht allein der Geschmack, sondern wahr¬
scheinlich auch die Verdaulichkeit des Futters
beeinträchtigt wird. Um Zersetzungen, resp.
Nährstoffverluste zu vermeiden, dürfen aber
auch Rauhfutterstoffe nur bei geringem Druck
und nur kurze Zeit gedämpft werden. Ein Vor¬
theil des Dämpfens von Rauhfutter besteht fer¬
ner darin, dieses den Thieren als Hauptfutter
warm vorlegen zu können, wodurch, besonders
in kalter Jahreszeit, beträchtliche Futtererspar¬
nisse erzielt werden. Es gilt dies für alle
Arten von Dämpffutter überhaupt. Dabei ist
aber nicht zu übersehen, dass durch Verfüt-
terung zu heissen Futters Indigestionen,
Verwerfen bei trächtigen Thieren etc., zum
mindesten eine Erschlaffung der Verdauungs¬
organe und schliesslich der Gesammtconsti-
tution hervorgerufen werden. Das Dämpffutter
darf den Thieren höchstens mit einer Tempe¬
ratur von 40° C. vorgelegt werden und ist zu
diesem Behufe, wenn es dem Dämpfapparate
entnommen, durch Ausbreiten an der Luft
abkühlen zu lassen. Dämpffutter darf jedoch
nie durch längere Zeit an der Luft liegen
bleiben, weil es sonst nachtheilige Geschmacks¬
veränderungen und Zersetzungen erleidet. Ge¬
dämpftes Rauh futt er ist gemeinhin nur für
Rindvieh gut verwendbar. Pferde sollen Dämpf¬
futter (Häcksel mit Hafer vermischt) nur aus
diätetischen Rücksichten, u. zw. vorübergehend
erhalten. So will der braunschweigische Stall¬
meister v. Girsewald beobachtet haben, dass
Pferde, wenn dieselben anhaltend scharfe
Arbeit bei „hartem“ Futter verrichteten, eine
„Zusammenziehung ihrer Gedärme“ erleiden.
Um die letzteren wieder „aufzuweiten“, wie
auch um den Uebermuth der Thiere nach
hartem Futter bei wenig Arbeit zu massigen,
lässt v. Girsewald vorübergehend gedämpftes
Futter verabreichen. Auch gegen die kleine
Druse der Pferde soll nach v. Girsewald
Dämpffutter ein vorzügliches Mittel sein. Im
Uebrigen ist gedämpftes Rauhfutter nur für
Mastschafe verwendbar. — Das Dämpfen des
Rauhfutters ist unter allen Umständen drin¬
gend zu empfehlen, wenn es stark mit Pilzen
oder gewissen Schraarotzerthieren besetzt ist.
Zum Dämpfen des Rauhfutters benützt man
cementirte, mit Holzdeckeln verschlossene Bas¬
sins, in deren Bodenmitte je ein Dampfrohr
mündet. Bei Anwendung von Dampf mit etwa
1% Atmosphären (11* —115° C.) ist das
Dämpfen in spätestens einer Stunde beendet.
In neuerer Zeit verwendet man auch eigens
construirte, gut verschliessbare Dämpfapparate,
die unter Anderem den Vortheil darbieten, dass
sich in ihnen das Futter mindestens 48 Stun¬
den w'arm erhält, so dass man nur alle zwei Tage
zu dämpfen braucht.
Das Dämpfen von Knollen- und Wur¬
zelfrüchten befördert bei der Schweinefütte¬
rung die Verdauung dieser Futtermittel. Alle
anderen Thiere verwerthen gedämpfte Rüben
u. dgl. kaum besser als rohe, entsprechend
zerkleinerte. Dessenungeachtet gibt man in der
Praxis der Verbitterung gedämpfter Kartoffel
an Rindvieh den Vorzug, wenn sehr grosse
Mengen verfüttert werden müssen. Die ge¬
dämpften Kartoffel, Rüben u. dgl. müssen
aber gleichfalls entweder durch Quetschen
oder Ausblasen (Henzedämpfer) grob zerkleinert
werden und mit Häcksel u. dgl. vermischt zur
Verbitterung kommen. Pferde, die nur aus¬
nahmsweise mit Kartoffeln u. dgl. gefüttert
werden, sollen zuweilen nach gedämpften Kar¬
toffeln Kolikanföile bekommen, die sich
übrigens mitunter auch nach rohen Kartoffeln
einstellen. Dämpfkartoffel sind für feinere
Wollschafe ungeeignet, für andere aber ein
gutes Mastfutter. Ausnahmslos sehr riith-
lich ist es, kranke und gefrorene Kartoffel
und Rüben (gefrorene, bevor sie aufthauen)
zu dämpfen. Kann inan solches DämpfTutter
nicht sofort verfüttern, so kann man es immer
noch durch Einsäuem conserviren. Bei Kar¬
toffeln und Rüben genügt meistens ein halb¬
stündiges Verweilen derselben in einem Dampf¬
fasse, bei geringer Dampfspannung, um die¬
selben garzukochen. Pott .
Dämpfung des Percussionsschalles, s. Per¬
cussion.
Dänemarks Thierzucht. Bei der letzten
Viehzählung (15. Juli 1881) besass das König¬
reich, ohne Faroer und Island, 347.561 Pferde,
1,470.078 Rinder, 1.548.613 Schafe, 9331 Zie¬
gen und 527.417 Schweine. Dänemark — ganz
besonders aber die Halbinsel Jütland — ist
für die Viehzucht günstig; man trifft dort
nicht allein einen der Hanptsitze der ganzen
europäischen Pferdezucht, sondern auch eine
sehr weitverbreitete und gut betriebene Rinder¬
zucht. Es kommen daselbst auf 1000 Ein¬
wohner 180 Pferde und 747 Haupt Rindvieh.
Kein anderer Staat in Europa besitzt einen
gleich grossen Kindviehbestand, d. h. auf die
Einwohnerzahl berechnet, und es zeigt dieser
Umstand ganz deutlich, dass gerade diese
Thiergattung von grossem Nutzen für die
dortige Landwirtschaft ist. Bereits im
Jahre 1758 wurde in Dänemark ein Verkop¬
pelungsgesetz erlassen und im Jahre 1800
war (nach Roscher) schon die Hälfte aller
DÄNEMARKS THIERZÜCHT.
Feldgemeinschaften beseitigt. Auch dieser Um¬
stand war für die Hebung der Viehzucht des
Landes von grossem Werth. In der neueren Zeit
hat Dänemark ebenso grosse Vortheile durch
einen intensiv betriebenen Ackerbau, wie durch
die Pflege der Müchwirthschaft aufzuweisen.
Die dänische Butter wird auf dem Londoner
Markte in der Regel am besten bezahlt, und
man kann mit Recht sagen, dass dieselbe eine
neue Aera für die Production jenes wichtigen
Nährmittels eröffnet hat.
Der Export an Pferden, Rindern und
Schweinen ist für Dänemark sehr bedeutend.
1880 wurden von dort 14.539 und 1881 etwa
11.900 Pferde ausgeführt. Die Rinjierausfuhr
ist noch ansehnlicher: 1880 wurden 99.831
und im Jahre 1881 etwa 84.600 Rinder expor-
tirt. Die Ausfuhr an Schweinen stellte sich
1881 auf 253.294 Stück. Es gibt in Europa
nur wenige Länder, in welchen eine grössere
Anzahl von Hausthieren dieser Gattung aus¬
geführt wird.
Für die Pferdezucht sind verschiedene
Bezirke auf den dänischen Inseln, ganz be¬
sonders aber die östlichen und westlichen
Küstengebiete Jütlands günstig; Klima und
Bodenverhältnisse sagen den Pferden zu,
und es ist daher wohl anzunehmen, dass
, diese Thiergattung dort schon heimisch war,
als die alten Kelten und Finnen das Land
bewohnten. Leider fehlen uns zuverlässige
Nachrichten über den Ursprung der dänischen
Rasse. Es heisst, dass schon im Alterthume
Dänemark ein zwar kleines, aber kräftiges
Pferd und im Mittelälter ein wohlberufenes
Streitross besessen habe. Wahrscheinlich ist,
dass mit den Gothen von den Ländern am
Don gute Pferde nebst anderen Hausthieren
nach den nordeuropäischen Staaten und so
auch nach Dänemark gekommen sind. Jetzt
noch begegnet man im Norden manchem
Pferde, welches in seinen Körperformen Aehn-
lichkeit mit den tatarischen Rossen des Ostens
zeigt. Die grossen Grundbesitzer und ver¬
schiedenen Klöster sollen in der christlichen
Zeit für die Hebung der Pferdezucht fleissig
gearbeitet haben; man scheute keine Opfer,
um durch Ankauf edler Hengste aus dem
Orient und Spanien die heimische Rasse zu
veredeln. An verschiedenen Orten wurden
grosse Gestüte eingerichtet und auf die Pflege
und Haltung der Fohlen stets grosse Sorgfalt
verwendet. Schon 1562 wurde in Frederiksborg
(unweit Kopenhagen) ein Staatsgestüt ge¬
gründet, das sich sehr bald eines guten
Rufes im In- und Auslande zu erfreuen hatte.
Gegen die Mitte des XVII. Jahrhunderts —
unter der Regierung des Königs Christian IV.
— galt Frederiksborg für eines der best¬
besetzten Gestüte Europas. Die dortigen
Rappen, sowie auch die Weissgebornen haben
bis in die neuere Zeit viele Liebhaber und
Verehrer gefunden; sie wurden in die Mar-
ställe deutscher Fürsten (z. B. nach Herren¬
hausen bei Hannover) geführt, und es hat
sich deren Nachzucht hier zum Theil bis auf
den heutigen Tag erhalten. Die weissgebornen
Carossiers wurden besonders bevorzugt, und
Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkd. II. Bi.
289
sie erschienen bei allen grossen Staatsäuf-
Zügen vor den fürstlichen Equipagen in
prächtigem Geschirr. Leider ist das Frederiks-
borger Gestüt vor einiger Zeit als Staats¬
gestüt eingegangen, und man überlässt jetzt
auf den dänischen Inseln wie in Jütland den
Privaten —reichen Grundbesitzern und Bauern
— die Beschaffung der nöthigen Deckhengste
für ihre Stuten. Bis vor Kurzem hielt man
es kaum der Mühe werth, eine Behörde zu
schaffen, welche das Geschäft der Pferdezucht,
Auswahl der Beschäler etc. überwachte oder
leitete. Erst in der allemeuesten Zeit, seit
1878, befördert man die Zucht nach einem
Gesetze und durch systematisch geordnete
Schauen, Prämiirungen guter Zuchtpferde etc;
Im Jahre 1873 bildete sich im Lande eine
Gesellschaft von dänischen und schwedischen
Grossgrundbesitzern und Sportsmen zu dem
Zwecke, tüchtige Vollblutstuten in England
anzukaufen. Diese Thiere wurden in beiden
Ländern auf bestimmte Stationen gebracht,
daselbst für Rechnung der Gesellschaft er¬
halten und deren Abkömmlinge, sobald sie
ein Jahr alt waren, in öffentlichen Auctionen
verkauft. Die Grundsätze und das Vorgehen
dieser Gesellschaft fanden grossen Anklang in
der dortigen Sportswelt, und es meldeten sich
in kurzer Zeit so viele neue Theilnehmer zur
Gesellschaft, dass man im Herbst 1874 schon
20 edle Mutterstuten von den berühmtesten
englischen Zuchtplätzen beziehen konnte. Die
erwähnte Gesellschaft hat später ihren Ein¬
zug in Frederiksborg gehalten, in den Räumen
des früheren königlichen Gestüts ihre Pferde
untergebracht und sorgt nun hier für eine
rationelle Aufzucht und gute Haltung der
Fohlen etc. Auf dem für die Pferdezucht sehr
günstigen Boden jenes Platzes, unter der
steten Aufsicht sachverständiger Männer, er¬
freut sich die dortige moderne Zucht einer
guten Entwicklung, und es steht zu hoffen,
dass Frederiksborg sehr bald wieder den
alten guten Ruf früherer Tage erneuern wird.
Man unterscheidet heute noch in Däne¬
mark zwei Pferderassen, d. h. ohne Berück¬
sichtigung der oben erwähnten englischen
Vollblutpferde.
1. Dasjütländische Pferd ist das wich¬
tigste, werthvollste und beste des König¬
reiches, in der Regel etwas lang gebaut,
vorn oftmals niedrig stehend, mit kräftigen,
mittellangen Beinen, in der Regel aber mit
guten Hufen ausgestattet. Der Kopf der Jüt-
länder ist von angemessener Grösse, häufig
breit, in der Stirnpartie und in der Gesichts¬
und Nasenlinie meistens gerade; nur aus¬
nahmsweise kommen jetzt noch Ramsköpfe
unter den Jütländem vor. Die Ohren sind
von mittlerer Länge und Stärke. Bei diesem
Schlage sitzt der Kopf gewöhnlich an einem
dicken, muskulösen Halse, der eine ziemlich
starke Mähne trägt. Der Widerrist ist nicht
hoch, der Rücken ziemlich geradlinig, das
Kreuz bald mehr, bald weniger stark nach
hinten geneigt, der Schweif jedoch selten zu
tief angesetzt. Wenn man das Hintertheil
des Jütländers mit dem des Belgiers ver-
19
*90 DÄNEMARKS THIERZÜCHT-
gleicht, so wird man bei dem ersteren solches
noch ganz hübsch nennen können, besonders
dann, wenn der Schweif hinreichend hoch
angesetzt ist und gut getragen wird. Die
MuBkulatnr ist bei dem fraglichen Schlage
in der Regel lobenswerth; ebenso besitzen
die meisten Thiere desselben starke Knochen
und kräftige Sehnen. Die Stellung der Glied¬
massen lässt nur zuweilen etwas zu wünschen
übrig; man trifft in Jütland hin und wieder
Pferde, deren Hinterbeine nicht genügend
gewinkelt sind, d. h. etwas zu gerade stehen.
Das Naturell, der Charakter der Pferde ist
meistens zu loben; sie sind gutmüthig, willig
bei der Arbeit und zeigen auch in der Regel
eine grosse Ausdauer. Ihr Schritt ist ausgiebig,
auch ihre Trabgangart befriedigend; beim Ga-
lopiren zeigen sie jedoch keine grosse Ge¬
wandtheit und sollen bei allen raschen Gang¬
arten leichter ermüden als ihre Stammver¬
wandten in Schleswig und Holstein. Zum
Reitdienst sind daher auch die Jütländer
nicht recht geeignet; die dänische Militär¬
verwaltung sieht sich daher auch genöthigt,
den Bedarf an Cavallerieremonten grössten -
theils aus fremden Ländern (Ost-Preussen)
zu beziehen. Für den mittelschweren Zug und
die Arbeit im Felde sind die Jütländer aber
sehr gut geeignet, auch zur Bespannung der
Geschütze und Munitionswagen (Train) ver¬
wendet man diese Pferde sehr gern. In den
Aemtern Thisted, Randers und Viborg werden
die besten Pferde dieses Schlages gezüchtet.
Der Pferdemarkt in Randers hat noch immer
eine grosse Bedeutung; viele ausländische
Händler finden sich dort alljährlich zum An¬
kauf der vierjährigen Pferde und Fohlen ein.
2. Die Inselpferde, im Auslande auch
wohl „Wasserdänen“ genannt, werden auf See¬
land, Fünen und zum Theil auf Falster und
Laaland gezüchtet; sie stehen im Wertlie
den Jütländem etwas nach, sind leichter und
häufig hochbeiniger als diese. Nur in einigen
Aemtern auf Seeland — nicht fern von
Frederiksbor^ — trifft man die besser ge¬
bauten Individuen, welchen man zum Theil
noch heute den guten Einfluss der früheren
Verwendung edler Zuchthengste des alten
Staatsgestüts zu Frederiksborg ansehen kann.
Diese Pferde besitzen einen gut geschlossenen
Rumpf, sind nicht zu lang, und mit einer
hübsch gerundeten Kruppe und leidlich gutem
Schwanzansatz ausgestattet. Ihr Kopf zeigt ge¬
fällige Formen, der Hals ist von angemessener
Länge und Stärke, auch die Schulter- und
Widerristpartie lassen wenig zu wünschen
übrig, nur die unteren, häufig etwas zu langen
Gliedmassen könnten besser sein. Manche
dieser Thiere haben als Reitpferde einen
mittleren Werth; für das leichte Fuhrwerk
und die Feldarbeit sind viele Inseldänen sehr
wohl verwendbar und werden dazu auch
hauptsächlich benützt. Einen besonderen
Schlag bilden auf Seeland die Pferde von
Knapsdorf, welche in eigentümlicher Weise
gescheckt oder getigert erscheinen; sie be¬
sitzen leidlich gute Formen, kräftige Glieder
und sollen meistens gute Traber sein. Der
fragliche Schlag stammt aus Mecklenburg,
ihre Vorfahren sollen schon im vorigen Jahr¬
hundert nach Dänemark eingeführt worden sein.
Ob die Behauptung einiger Autoren richtig ist,
dass die Knapsdorfer Pferde mit wenigen
Ausnahmen bösartige, eigensinnige Thiere
wären, wissen wir nicht. Hin und wieder
sieht man vor den Pferdebahnwagen deut¬
scher Städte Thiere jenes zuletzt beschriebenen
dänischen Schlages, und sie zeigen hier in
der Regel eine befriedigende Ausdauer. Ueber
die kleinen ponyartigen Pferde Islands wird
an anderer Stelle (unter Island) Einiges
mitgetheilt.
Rinder. Schon oben wurde angeführt,
dass die Rindviehzucht im Königreiche Däne¬
mark sehr umfangreich betrieben wird. Der
Professor Dr. Prosch in Kopenhagen liefert
uns in seinen Werken über die dortige Vieh¬
zucht höchst werthvolle Beiträge. Die däni¬
schen Rinder gehören fast ausnahmslos zur
Gruppe des Niederungsviehes. Von den
14.509 Stieren des Landes (im Jahre 1876)
gehörten 11.467 Stück der alten Landrasse,
2680 der Angler- und 768 der englischen
Kurzhornrasse an. Als Ayrshires wurden
116 Stiere bezeichnet, und 18 Stück waren
aus verschiedenartigen Kreuzungen hervor¬
gegangen.
Auf den Inseln ist das Rindvieh in den
Rassen gewöhnlich nicht rein erhalten: man
findet dort die meisten Kreuzungsproducte
neben vielen Angler- und Ayrshirekühen. Auf
Fünen ist das Schleswig’sche Vieh vorherrschend,
während auf Seeland fast eine ebenso grosse
Zufuhr aus Jütland wie von Schleswig statt-
efunden hat. In früherer Zeit gab es auf
eeland eine kleine, etwas hochbeinige, schmale,
eckige Rasse mit spitzen Hüften; die Thiere
waren zum Theil von schwarzer oder roth-
brauner und andemtheils von fahlgelber Farbe.
Dieser alte Schlag scheint mit dem kleinen
Vieh von Schonen eine eigene Rasse gebildet
zu haben und entsprach in der Körpergestalt
derjenigen Form, welche man in Dänemark
„Zwergochsen 11 nannte; sie sollen auch einige
Äehnlichkeit mit dem württembergischen Vieh
auf der rauhen Alp gezeigt haben. Sie waren
meistens fein gehörnt und nur selten ganz
frei von Hörnern. Vom jütischen Rindvieh sagt
Prosch, dass es nicht dieselbe Gleichmässig-
keit zeigte wie das Vieh von Angeln. Auf der
Ostseite Jütlands und im Norden vom Lymfjord
(Venhypel), wo man am meisten Gewicht auf
eine gute Milchwirtschaft und gutes Milch¬
vieh legt, ist die jütische Kuh von der Angler
nicht wesentlich verschieden; ihr Kopf ist nur
etwas länger, das Maul breiter, auch Hals und
Rumpf stärker und tiefer als bei dem Angler¬
vieh. Das Euter ist in der Regel weniger um¬
fangreich entwickelt, aber immerhin nicht
schlecht zu nennen. An der Westküste der
Halbinsel, hauptsächlich an allen Orten, wo
Ochsen aufgezogen werden, z. B. in Thy,
Mors und Salling, hat das Vieh eine etwas
andere Gestalt wie das ostländische. Dort be¬
sitzen die Rinder gefälligere, besser abgerun¬
dete Formen, ihr Rücken ist breit und gerade
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DÄNEMARKS THIERZÜCHT.
291
Lenden nnd Kreuz sind gleichmässig breit, der
Rumpf ist tief und der Rippenkorb wohl ge¬
rundet. IhrVorderkörper erscheint etwas schwer,
ebenso auch der Hals, welcher durch eine
grosse Wamme geziert wird. Der Kopf ist
ziemlich lang und bleibt nach unten zu mässig
breit. Die kräftigen Hörner sind mit den
Snitzen nach vom gerichtet. Die unteren
Gftedmassen sind muskulös und erscheinen
zuweilen etwas grob. Das Kuheuter ist bei
diesem Schlage nur schwach entwickelt. Die
Qualität der Milch der Jütländer soll bei guter
Weide stets sehr zu loben sein. Die Haut der
Thiere ist ziemlich dick, dabei jedoch weich und
elastisch, und sitzt lose auf dem Körper. Im
Sommer ist das Deckhaar kurz, weich und glän¬
zend, wird aber im Winter meistens kraus, und
erscheint fast gelockt. Auch das Euter der
Kühe ist mit langen, feinen Haaren bewachsen.
Die Jütländer Ochsen liefern ein feinfaseriges
Fleisch, welches bei guter Mästung der Thiere
leicht mit Fett durchwächst, wodurch das sog.
marmorirte Aussehen entsteht und das Fleisch
saftig und „reif“ wird. Die Farbe dieser
Rasse ist ziemlich gleichmässig, meist schwarz¬
bunt; bald herrscht die weisse, bald die
schwarze Farbe des Haares vor. Häufig geht
auch das Schwarz in ein Grauschwarz über,
und es werden die so gezeichneten Thiere von
vielen Leuten höher geschätzt, als feiner be¬
zeichnet wie die Rinder mit dunkeln Flecken.
Im südlichen Theile von Jütland — unweit
Ribe — sind schwarze und blauschimmlige
Thiere nicht selten zu finden; jedoch werden
diese im Allgemeinen nicht so hoch geschätzt
wie die Schecken. Das Mass eines ausgewach¬
senen jütländischen Stieres vom Lemving-
stamme zeigt eine Länge von 1 * 72 m bei
einem Brustumfänge von 2*14 m. Neben mittel-
grossen Kühen der fraglichen Rasse sieht n^an
an manchen Orten auch sehr kleine Thierchen,
die nur 1*35 m lang werden und einen Brust¬
umfang von l*50m besitzen. Der Milchertrag
der Kühe gewöhnlichen jütländischen Schlages
schwankt zwischen 12—14001 im Jahre. Das
jütische Rindvieh wird in einigen Gegenden hin
und wieder zur Arbeit, d. h. zum Zuge benützt,
obgleich auf diese Nutzung dort im Grossen und
Ganzen kein besonderer Werth gelegt wird.
Die Meiereiwirthschaft steht fast überall im
Lande in schöner Blüthe und nimmt fort und
fort an Bedeutung zu. Die Mästung wird
hauptsächlich an solchen Orten betrieben, wo
sich weitausgedehnte Wiesen- und gute Weide¬
flächen finden; dieselbe scheint bei der Sorg¬
falt und Tüchtigkeit ihrer Ausführung die
günstigsten Aussichten für die nächste Zukunft
zu haben, besonders da jetzt überall durch die
Eröfftmng neuer Eisenbahnlinien und die
directe Verschiffung der fetten Ochsen nach
England ein befriedigender Absatz gesichert
ist. Auch heute noch geht eine grosse Anzahl
halbfetter Ochsen in die Schleswig’schen und
Holstein’schen Marschen zur dortigen vollen
Ausmästung und kommt dann endlich auf dem
Hamburger oder Londoner Markt zum Verkauf.
Shorthomstiere werden als Zuchtbullen jetzt
immer mehr und mehr verwendet.
Schafe. Die letzte Viehzählung (1881)
wies für das Königreich Dänemark — mit
Ausnahme von Faroer und Island — einen
Schafviehbestand von 1,548.613 Stück nach;
auf 1000 Einwohner entfallen daselbst 787
Schafe. Von jenen Beständen kommen auf
die 10 jütländischen Aemter allein schon
1,183.204 Stück, und cs ist die jütländi-
sche Halbinsel im Vergleich zu den übri-
f en Provinzen des Landes ganz beson-
ers reich an Hausthieren dieser Gattung;
aber auch bezüglich der Qualität zeichnet
sich Jütland durch bessere Schafrassen vor-
theilhaft aus. Man unterscheidet daselbst drei
verschiedene Schläge oder Rassen: das kleine
Haidschaf, das gemeine (alte) Landschaf und
das Marsch- oder Niederungsschaf. — Meri¬
nos oder merinoartige Schafe gibt es in
Dänemark nur ganz vereinzelt auf den grös¬
seren Gütern des Adels.
1. Die Haidschafe werden vorwiegend
auf dem Mittelrücken Jütlands, in den ärme¬
ren Haiddörfem (fast ausschliesslich mit8and-
und Moorboden) gehalten; kleine, zierliche
Geschöpfe, kaum 25 kg schwer, in beiden Ge¬
schlechtern gehörnt, stets feingliederig und
in der Regel kurzschwänzig und grobhaarig.
Das Gehörn der Böcke wird bisweilen ziemlich
stark und besitzt dieselbe Form und Windung,
wie die Hörner der Lüneburger Haidschnucken.
Die jütländischen Haidschafe werden, wie
diese letzteren, als eine Abart des kurz-
schwänzigen Schafes von Nord-Europa (Ovis
brachyura borealis) zu bezeichnen sein. Ihre
Behaarung ist eine doppelte: sie tragen eine
sog. Mischwolle von weisser, grauer oder
schwarzer Farbe; unter dem groben, ziemlich
langen Grannenhaar wächst ein feines Flaum¬
haar, welches von sehr geringer Stärke ist.
Bei zweimaliger Schur liefern diese Schafe
kaum 1% kg Wolle im Jahre; dieselbe eignet
sich nur zur Herstellung grober Bekleidungs¬
stoffe sowie auch zur Fabrication von Decken
u. s. w. Ein grosser Theil der Wolle bleibt im
Lande, und nur geringe Mengen werden
exportirt.
2. Die sog. Landschafe sind etwas
grösser als die zuerst beschriebenen Thiere
der Haiden; sie kommen bei guter Ernährung
auf ein Lebendgewicht von 30—35 kg
und liefern durchschnittlich 2 kg Wolle im
Jahre. Ihre Behaarung ist einfach, von mitt¬
lerer Länge, meist weiss, selten grau gefärbt
und ist zur Herstellung mittelfeiner Beklei¬
dungsstoffe etc. wohl geeignet. Unsere Mes¬
sungen von Wollhaaren dieser Rasse (aus
der Gegend von Aarhuus) ergaben eine
Stärke von 38*5—40 mikr. Vereinzelt
kommen bei derselben gröbere Haare vor, die
45 mikr. und darüber dick werden. Pro¬
fessor Prosch in Kopenhagen beschreibt
diese Rasse folgendermassen: Die eigent¬
lichen Landschafe weichen nach dem Klima,
der Fruchtbarkeit und der Feuchtigkeit des
Bodens, auf welchem sie gehalten werden,
mehr oder weniger ab. Sie sind von mittlerer
Grösse, werden 20—24 Tommer hoch und
20—30 kg schwer. Die Thiere besitzen einen
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m DÄNISCHE DOGGE. — DAGHESTAN’SCHES RIND.
ziemlich langen Kopf mit schwach gewölbter
Stirn, kleinen Augen und kleinen, aufrecht-
stehenden Ohren. Die Hörner der Böcke
sind zierlich und leicht gebogen. Die grobe
Wolle steht nicht besonders dicht auf dem
Körper und ist oft gemischt mit dicken, sog.
Hundehaaren. Meistens ist die Stirn und der
grösste Theil der Backen sowie auch die
Beine frei von Wolle und nur mit sehr kurzen,
glatt anliegenden Haaren bewachsen. Der
Hals dieser Schafe ist von verschiedener
Länge, doch meistens ziemlich kurz, dünn
und kahl. In der Regel sind diese Land¬
schafe sehr fruchtbar, bringen oft zwei Läm¬
mer in einem Wurfe und ernähren diese mit
ihrer fetten Milch recht gut
3. Die Marsch8chafe trifft man in allen
fruchtbaren Marschdistricten in ziemlich
grosser Anzahl und meistens auch in recht
hübschen Exemplaren. Sie haben in der Kör¬
perform grosse Aehnlichkeit den holsteinischen
und holländischen Marschschafen, tragen wie
diese eine lange, grobe Wolle von geringem
Glanze. Die Thiere entwickeln sich etwas
langsam, kommen aber bei guter Weide und
hinreichendem Stallfütter (im Winter) nicht
selten zu einem Lebendgewicht von 60—70 kg.
In den Marschen werden schon seit längerer
Zeit englische Böcke mit den Marschschafen
ekreuzt; man verwendet dazu hauptsächlich
eicester-, Cotswold- und Romney-Marsch -
Widder, und behauptet, dass man auf dieseWeise
eine sehr mastfähige Nachzucht erzielte. Das
Wollproduct der Kreuzungsproducte soll un-
leich feiner, glänzender und länger als das
er alten, unveredelten Marschrasse sein.
Endlich ist noch zu erwähnen, dass die alte
dänische wie die holländische Marschrasse
zur Gruppe der kurzschwänzigen Schafe ge¬
hört. Alljährlich werden von Dänemark aus
viele fette Schafe nach England verschifft,
z. B. im Jahre 1881 mehr als 78.000 Stück.
Die Einfuhr an Thieren dieser Gattung ist
nur geringfügig und betrug in demselben
Jahre kaum 17.000 Stück. Der grösste Theil
der von Dänemark ausgeführten Schafe kommt
von Jütland. Man sieht das Fleisch derselben
auf dem Londoner Markte sehr gern, lobt
dessen feine Faser und Wohlgeschmack und
stellt es im Werthe dem besten Fleisch von
Leicester Hammeln nicht nach.
Schweine. Bei der in Dänemark sehr
umfangreich betriebenen Meiereiwirthschaft ist
es erklärlich, dass dort auch viele Schweine
gehalten und gemästet werden. Der Erport
von Schweinen aus Dänemark nach England
hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Die alt¬
dänische oder jütländische Rasse scheint immer
mehr zu verschwinden; sie hat dem englischen
Blut das Feld räumen müssen, und man sieht
dort fast an allen Orten schöne Exemplare der
grossen, mittelgrossen und kleinen englischen
Zuchten. Das kleine Fleischschwein ist in den
Schlächtereien (Aarhuus etc.) am meisten ge¬
sucht und wird dort verhältnissmässig gut
bezahlt. Man rühmt bei den jütländischen
Sauen ihre grosse Fruchtbarkeit, aber ebenso
auch das rasche Wachsthum der Ferkel. Wir
haben weiter oben angegeben, dass aus Däne¬
mark alljährlich sehr viele fette Schweine ex-
portirt werden; hiezu kommt aber noch die
bedeutende Ausfuhr von Speck, Schinken,
Würsten etc.; es sollen jährlich 7- bis
8,000.000 kg Schweinefleischwaare an das Aus¬
land abgegeben werden. Freytag.
Dänische Dogge, dänischer Hund,
Danois, Danish Dog. Eine grosse Hundeform,
welche in ihrer Gestalt Charaktere des Wind¬
hundes mit solchen der gemeinen Dogge ver¬
einigt und wohl ursprünglich aus einer Kreu¬
zung beider hervorgegangen ist Die dänische
Dogge ist gross und hochbeinig. Der Kopf
mässig lang gestreckt, im Hirntheil hoch, die
Schnauze mittellang, die Lippen nicht über¬
hängend, Unterkiefer nicht vorstehend, Nase
gross, nicht gespalten, Augen klein, Ohren
hoch an gesetzt, halb stehend, Backen etwas
dick, Hals gestreckt, nicht gedrungen; die
Haut stramm, die Brust breit und sehr tief,
Körper lang, Füsse lang und stark, Schwanz
ziemlich lang, gerade und dünn auslaufend.
Die Behaarung kurz und sehr fein. Farbe
mäusegrau oder silbergrau einfarbig mit regel¬
mässiger Blässe und halbweissen Füssen. Eine
Varietät mit weiss und schwarz oder weiss
und grau gefleckt wurde namentlich in Süd¬
deutschland gezüchtet und als Ulmer Dogge
oder Ulmer Tiger bezeichnet. Als Luxushund
wird die dänische Dogge namentlich in Eng¬
land und Russland viel gehalten. Dafür, dass
diese Rasse zuerst in Dänemark entstanden
ist, wie der Name zu sagen scheint, fehlen
genaue Anhaltspunkte. Studer.
Daghestan’sches Rind. Schon in alter
Zeit galten die Kühe und Ochsen von Da-
ghestan für die besten in den Kaukasus¬
ländern. Nach den Berichten verschiedener
Reisender wird die dortige Zucht stets rein,
unvermischt erhalten, und hiedurch erklärt
es sich, dass man derselben nachsagen kann,
dass sie einen so hohen Grad von Constanz
besässe wie kaum eine andere Rasse des
Czarenreiches. In der Körpergrösse stehen
die Rinder von Daghestan dem südrussischen
Steppenvieh etwas nach; sie sind nur von
mittlerer Höhe und werden bei guter Er¬
nährung per 400 kg schwer. Ihr kurzer, dicker
Kopf mit breitem Maule und leicht gewölbter
Stirn wird durch ein mittellanges, ziemlich
starkes Gehörn, welches mit den Spitzen auf¬
recht und ein wenig nach vorn gerichtet ist,
geziert. Ihr schwach bewammter kurzer Hals
geht in breite, ziemlich schräg stehende
Schultern gut über. Im Vordertheile sind
diese, wie fast die meisten südrussischen Rinder,
bedeutend höher, breiter und kräftiger ge¬
baut als im Hintertheile. Das Kreuz fallt
nach hinten stark ab, und es bekommen gerade
hiedurch jene Thiere ein sonderbares Aus¬
sehen. Die in der Regel graubraune Behaarung
des Daghestan’sehen Viehes ist sehr stark,
ziemlich lang, etwas gewellt und steht sehr
dicht auf einer dicken, festen Haut. Auf diese
Weise werden die Thiere gegen die Unbilden
des Wetters wie gegen Insectenstiche recht
gut geschützt. Kräftiger Knochenbau und derbe
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DAHLIA. — DAMMABHABZ. 893
Haut befähigen die Ochsen yon Daghestan
zu tüchtigen Leistungen im Zuge; man rühmt
ihre Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer
bei der Arbeit; sie sollen nicht selten bis
zum 15. Lebensjahre zur Feldarbeit verwendet
werden. Wenn die Daghestan’schen Nomaden
die Milchergiebigkeit ihrer Kühe loben, so
machen sie sich einer Uebertreibung schuldig;
es wird angegeben, dass die besten Milchkühe
höchstens 10001 per Jahr lieferten. Auf den
Genuss der Kuhmilch wird dort auch kein
besonderer Werth gelegt; man gibt dem
Kumys, wie der Schaf- und Ziegenmilch den
Vorzug. Die Fleischqualität der Binder jener
Basse ist nicht übel, sobald die Thiere im
jugendlichen Alter zur Schlachtbank kommen.
Die wichtigsten Lastthiere Daghestans sind
unstreitig die Kameele oder Trampelthiere.
Man züchtet dort hauptsächlich die zwei¬
höckerigen Species (Camelus bactrianus), und
nur ausnahmsweise kommen die sog. Dromedare
(Camelus dromedarius) vor. Diesen letzteren
sagt das dortige Klima nicht besonders zu,
und es soll deren Züchtung fast überall mit
grösseren Schwierigkeiten verbunden sein.
Nach Th. v. Lengenfeldt’s Angaben zählte
man im Jahre 1870 im Gouvernement Astra¬
chan noch 26.540 Stück, in Kaukasien aber
37.720 Kameele, welche zum nicht geringen
Theile in jenen Ländern aufgezogen waren. In
Tiflis, wo bekanntlich der Mittelpunkt des ganzen
Handels von Transkaukasien und wo zugleich
ein bedeutender Geschäftsverkehr mit Persien
. unterhalten wird, durchziehen die schwer be¬
ladenen Trampelthiere von früh bis spät den
armenischen Bazar und die sog. persische
Karawanserai in grosser Zahl und tragen
wesentlich dazu bei, dem dortigen Landschafts -
bilde einen echt orientalischen Charakter zu
verleihen. Freylag,
Dahlia ist ein in der histologischen Tech¬
nik zu besonderen Tinctionszweckcn verwen¬
deter Farbstoff (s. mikroskopische Technik). Kt,
Dakry, tö Saxpoov, Thräne, findet sich noch
in mancherlei nicht mehr gebräuchlichen
medicinischen Terminis als Componens, so in
Dakryaden, Thränendrüse,
Dakryosyrinx (vonxä öctxpoov, Thräne,
und vj aopiy?, Fistel), Thränenfistel etc. Sf.
Dakrydium (von xb $axpö$iov, Dem. von
to Baxpoov, Thräne), die kleine Thräne, übertr.
für Harzkörnchen, im Mittelalter auch für
Scammonium gebräuchlich. Sussdorf,
Dakryocystitis (tö Bdxpoov, die Thräne,
xoatcc, die Blase), Entzündung des Thränen-
sackes (s. u. Thränenapparat). Schlampp.
Dakryolith (6 Xtöo$, der Stein), der Thrä-
nenstein. Schlampp.
Dakryops dty, das Auge), s. Thränen¬
apparat. Schlampp.
Dakryorrhoea (6elv, fliessen), Epiphora,
Stillicidium lacrymale, der Thränenfluss, das
Thränenträufeln (s. Thränenapparat). Sp.
Oaktylos (6 ödxtoXot), Finger, ein ge¬
bräuchlicher anatomischer Terminus für die
Zehe, mit dem Abkürzungszeichen d, z. B.:
d ni = 3. Zehe; davon eine Anzahl latinisirter
Adjectiva und Abkürzungen, wie
daktyliaeus, fingerdick, fingerlang,
daktylodes, fingerähnlich. Sussdorf.
Dalmatiner Hand, Dalmatiner Dogge, Tiger¬
hund, Dalmatian Dog, Chien de Dalmatie.
Kleiner als der dänische Hund, aber ähnlich
gebaut, nur weniger schlank mit kürzerem und
dickerem Hals und etwas niedrigere stärkeren
Beinen. Der Kopf ist breit und flach, die
Schnauze spitz zulaufend, die Lippen straff,
die Augen dunkel und klein, die Ohren hän¬
gend, fein und klein. Der Hals leicht gebogen,
die Schultern kräftig und muskulös, die Brust
breit und tief. Die Flanken eingezogen. Die
Läufe gerade und kräftig, mit starken Kno¬
chen. Das Haar ist kurz, dicht anliegend und
fein. Die Färbung weiss, mit regelmässigen
schwarzen oder lederfarbenen Flecken. Das
Thier wird wegen seiner Schönheit als Luxus¬
hund, namentlich in England, gehalten, zeigt
aber geringe geistige Begabung. Studer.
Dalmatinischer Hühnerhund, bengalische
Bracke, Dalmatian hound oder Breac, Brague
de Bengale, Bracco di Bengala, Cattunhund.
Eine dem französischen Hühnerhunde ähn¬
liche Jagdhundform, welche sich aber
durch leichteren und schlankeren Bau unter¬
scheidet. Der Kopf ist etwas kleiner und ge¬
streckter, minder hoch, die Schnauze etwas
länger, niedriger, schmäler und weniger stumpf.
Die Ohren kürzer und schmäler, die Augen
relativ kleiner. Der Hals länger und dünner,
der Leib etwas schmächtiger. Die Beine sind
höher, der Schwanz kürzer und dicker. Die
Färbung beständig getigert. Es sind immer
kleine, ziemlich dichtstehende, rundliche und
fast punktförmige Flecken von bräunlichgelber,
dunkelbrauner oder schwarzer Farbe, welche
über die weisse Grundfarbe verbreitet sind.
Die Ohren und die angrenzenden Theile des
Kopfes sind regelmässig bräunlichgelb, dunkel¬
braun oder schwarz.
Wurde nach Fitzinger wahrscheinlich
zuerst in Dalmatien gezogen, von wo er
später nach Bengalen gebracht wurde und von
dort wieder nach Europa kam. Kann zur Jagd
auf Federwild benützt werden, ist aber im
Ganzen schwer abrichtbar. Studer.
Damalursäure. So nannte Städeler eine
Säure, welche er aus dem sauren Destillate
des Kuhharns darstellte, ausserdem aber auch
im Menschen- und Pferdehame nachwies. Er
gab ihr die Formel C T H ia O a . Sie dürfte iden¬
tisch sein mit einem der Phenole, deren con-
stantes Vorkommen im Harne in der Form
von aromatischen Aethersäuren in neuerer Zeit
E. Baumann nachgewiesen hat (s. Harn). Lk.
Damhirsch, s. Hirsch.
Damm, s. Mittelfleisch.
Dammarharz (Besina Dammar, Katzen¬
augeharz) fliesst aus den Einschnitten der
Kinde von Dammara orientalis, der auf den
Molukken und Sundainseln wachsenden Dam-
marfichte. Es kommt im Handel in farblosen,
gelblichen, durchsichtigen, im Bruche flach-
muscheligen Stücken von angenehm balsami¬
schem Geruch vor, von spec. Gew. 1*04 bis
1*06, erweicht bei 75° C., wird bei 150° C.
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294 DAMMVENE. —
dünnflüssig. Es ist unlöslich in Weingeist nnd
Natronlauge, leicht löslic hin Aether, Schwefel¬
kohlenstoff, Benzol. Mit concentrirter Schwefel¬
säure behandelt, nimmt es eine rothe Farbe
an. Alkohol entzieht dem Harz Dammaryl¬
säure, im Rückstand bleibt Sauerstoff freies in
Aether lösliches Dammaryl, welches aber an
der Luft ebenfalls zu Dammarylsäure oxydirt
wird. Man benützt das Dammarharz zum Ein¬
schlüssen von mikroskopischen Präparaten, auch
zur Darstellung yon feinen Firnissen. Lotbisch.
Dammvene. Diese Vene entwickelt sich
(bei der Kuh) aus dem hinteren starken
Queraste der Bauchwandvene (Milchader),
ist meist doppelt, bildet häufig ein grobes,
weitmaschiges Netz, verläuft zwischen den
Schenkeln nach rück- nnd aufwärts und er-
giesst ihr Blut in die innere Schamvene. SZ.
Damoiseau L. studirte in Alfort (1792),
war Thierarzt im Gestüt Du Pin in der Nor¬
mandie, gab mehrere veterinär-medicinische
Abhandlungen und eine Beschreibung seiner
Beise nach Syrien, um arabische Pferde an-
zukaufen, heraus. (Hippologische Wanderun¬
gen in Syrien und der Wüste. Aus dem Fran¬
zösischen von Heinze, 2. Th. Leipzig 1842.) Sr,
Dampf, s. Gase.
Dampf ist eine chronische, fieberlose
Athembeschwerde, bei welcher die Thiere
leicht in Schweiss gerathen, also dampfen.
Da das Blut erschwert in den Lungen cir-
culirt und nicht hinreichend decarbonisirt
wird, so tritt die Haut in vicarirendc, ange¬
strengtere Thätigkeit Das Nähere s. unter
Asthma. Anacker.
Der Dampf als Gewährsmangel
erfordert eine genaue Beobachtung des Pa¬
tienten während und nach dem Gebrauch
zur Arbeit. Eine besondere Beachtung er¬
fordert der Bespirations- und Circulations-
apparat, das aufgelegte Geschirr, etwaige
Trächtigkeit, Aufblähung etc. Mittel, die im
Pferdehandel angewandt werden, um die
Athembeschwerden beim Dampf weniger
auffallend zu machen, sind: Starke Aderlässe,
Purganzen, Entziehung voluminösen Futters,
absolutes Fasten oder Verabfolgung von Kleie,
Schrot, Hüben mit Zusatz von Arsenik; scharfe
Einreibungen am Halse und Beizung der
Nasenschleimhaut, um acuten Katarrh vor-
zutäuschen, Vermeidung jeder anstrengenden
Bewegung vor dem Verkauf. Mittel, um den
Dampf vorzutäuschen, und dadurch den Handel
rückgängig zu machen, sind: Kurze scharfe Zäu-
mung, enge Kehlriemen, enge Geschirre, enge
Kummete, Verstopfen einer Nasenhöhle durch
eingelegte Schwammstücke, Werg etc., Füt¬
terung mit blähenden Futterstoffen, Eingüsse
von Buttermilch, Essig und anderen Säuren.
Die Gewährszeiten für den Dampf be¬
tragen:
4 Tage in Hamburg.
9 „ „ Eisass - Lothringen und Frank-
reich.
14 „ „ Baden, Bayern, Hessen, Frank¬
furt, Hohenzollern.
15 „ „ Oesterreich und Sachsen.
20 ,, „ der Schweiz.
DAMPFRINNE.
28 Tage in Braunschweig, Bremen, Preus-
8en, Sachsen - Gotha, Sachsen-
Meiningen-Hildburghausen, Wal¬
deck.
28 „ „ Nassau.
31 „ „ Württemberg.
42 „ „ Ansbach, Bayreuth, Sachsen-
Coburg.
84 „ „ Hildesheim. Semmer.
Dampfbäder im eigentlichen Sinne des
Wortes, d. h. den Körper im Ganzen so lange
den Dünsten des sieaenden Wassers auszu¬
setzen, bis reichlicher, tropfbarer Schweiss der
Haut entströmt, werden in der Thierheilkunde
nur selten zur Anwendung gebracht, indem
damit manche Erkältungsgefahren verbunden
sind; sind jedoch eclatante Verkühlungen ein¬
getreten, so pflegen manchmal die Thierärzte
Dampfbäder in der Art zu appliciren, dass
man Pferde und Binder mit grossen wollenen
Decken umhängt und unter diesen heisse
Dämpfe entwickelt, dass entweder warmes
Wasser auf heisse Ziegelsteine gegossen oder
ein rothglühendes starkes Eisen (Bügel- oder
Plätteisen z. B.) in einen unter dem Thiere
stehenden Kübel Wasser abwechselnd einge¬
taucht wird, um so die Dämpfe nach Belieben
mehr oder weniger zu erzeugen. Wie lange
die Einwirkung derselben, welche nur in einem
f eschlossenen Baume geschehen kann, anzu-
auem habe, richtet sich nach dem Special¬
falle; man dehnt sie jedoch für gewöhnlich
nicht über 15—20 Minuten aus, um nachher
die Haut energisch abzureiben. Bei kalter
Witterung erfordern derart behandelte Thiere
grosse Vorsicht und sorgfältige Pflege, welche
nicht immer zu haben ist. Viele ziehen daher
vor, statt der Dampfbäder feuchtwarme Um¬
schläge über den ganzen Rumpf anzuwenden
und aie Linnen mit einem wollenen Teppich
oder noch besser mit Guttaperchapapier zu
bedecken. Bei den kleineren Hausthieren wird
das Verfahren in der Art modificirt, dass man
sie auf einen Rohrstuhl setzt, die Dämpfe
ebenfalls von unten aufsteigen lässt und die
Thiere mit einer Decke überhängt; in neuerer
Zeit hat man für diesen Zweck besondere mit
Athmung8löchem versehene und innen mit
Zinkblech ausgeschlagene Kästen construirt,
in welche die Thiere gebracht werden, und
können solche Apparate mit Vortheil in der
Hundepraxis auch für Inhalationen benützt
werden. Ueber die therapeutische Bedeutung
dieser Bäder ist das Nöthige in den Artikeln
„Bad“ und„Diaphoretica“jiäher angegeben. VI.
Dampfkoohtopf in den Apotheken, s. Auto-
clave.
Dampfrinne. Dieselbe ist eine Theil-
erscheinung der Dämpfigkeit oder Schwer-
athmigkeit, Dyspnoea (von öoa, schlecht,
rcvoiq, Athem), bei der häufig die Nasen¬
löcher aufgerissen, die Rippen stark gehoben
und die Inspirationsmuskeln lebhaft bewegt
werden, um den Brustraum möglichst zu er¬
weitern und eine genügende Ausdehnung der
Lungen zu ermöglichen. Da auch die Ex¬
spiration unter erschwerenden Umständen
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DANDIE DINMONT TERRIER. — DAR-FÜR-PFERDE.
m
Btattfindet, so treten bei ihr die accesso-
rischen Athmangsmnskeln mit in Thätigkeit,
sie contrahiren sich nnd treiben das Zwerchfell
nach vorn, die Rippen nach hinten nnd innen,
nm einen Drack auf die Langen auszuüben
und die in ihr enthaltene Luft auszutreiben.
Die Contraction der Athmungsmuskeln ist so
stark, dass sich unterhalb der falschen Rippen
eine rinnenförmige Einziehung, die sog. Dampf¬
rinne bildet. Anacker .
Dandfo Dinmont Terrier. Eine kleine
Pintscherrasse, die ursprünglich aus Schottland
stammt, von langgestrecktem Bau, mit sehr
niederen Extremitäten und rauhem, langem
Haar. Der Kopf ist relativ gross und schwer,
zwischen den Ohren breit, nach den Augen
zu schmäler, Stirne hoch. Schnauze lang und
kräftig, Nase breit und schwarz. Augen weit
aus einander liegend, gross, rund, braun oder
nussbraun. Ohren hängend, gross ca. 10 cm,
dicht am Kopfe anliegend, nicht hoch an ge¬
setzt, dick und mit kurzem, weichem Haar
besetzt. Hals ziemlich kurz, muskulös und
kräftig. Körper sehr lang, breite Brust, Rücken
ziemlich eingebogen, die Rippen gewölbt. Vor¬
derläufe gerade, kurz und stark, weit aus ein¬
ander stehend, Knie ein wenig einwärts ge¬
dreht. Hinterläufe länger, kräftig. Pfoten
kräftig und breit mit starken schwarzen
Klauen. Ruthe nicht zu tief angesetzt, etwas
nach oben gekrümmt. Haare oben und am
Nacken ziemlich hart und rauh, am übrigen
Körper weich, am Kopfe länger, heller und
seidenweich. Farbe senffarbig oder pfeffer-
farbig. Nach Vero Shaw entstanden aus der
Kreuzung eines rauhhaarigen Jagdhundes mit
dem schottischen, stichelhaarigen Terrier. Jagt
auf niederes Raub wild, Marder, Wiesel, Ratten;
auch als Stubenhund geschätzt. Sinder.
Dandolo F. gab 1728 zu Padua heraus:
„Trattato sopra la qualitä del buon Cavallo,
rinfermitk che loccorrono, li remedii in esse
sperimentati. u Semmer.
Dandolo V. gab 1806 in Padua heraus:
„Delle malattie delle pecore, de mezzi di
preservarle e degli indizi delle loro malattie. 41 Sr.
Dangellauf, der Eintrieb von Schweinen
in Eichenwaldungen, in welchen diese Thiere
die im Herbste abgefallenen Eicheln aufsuchen
und verzehren. In Ungarn werden so ganze
Schweineheerden gemästet. Die Thiere müssen
aber ausserdem noch im Stalle ein stickstoff¬
reiches Beifutter erhalten, weil die Eicheln zu
arm an stickstoffhaltigen Nährstoffen sind. Pt.
Danziger Niederungsvieh. Der Rindvieh¬
schlag, welcher in dem fruchtbaren Weichsel¬
delta vorkommt und dort fast ausschliesslich
ezüchtet wird, hat grosse Aehnlichkeit mit
en Kühen der holländischen Rasse, und es
ist nicht zu bezweifeln, dass derselbe von
Thieren abstammt, welche die holländischen
Colonisten (Mennoniten) schon im XIII. oder
XIV. Jahrhundert dort eingeführt haben. Die
Danziger Rinder werden zwar nicht ganz so
gross und schwer wie ihre Stammverwandten
in den Niederlanden; sie besitzen aber die¬
selben Kopf- und Hornformen, sind meistens
Schwarz- und Rothschecken und zeichnen
sich durch grosse Milchergiebigkeit aus. Ihre
Mastfähigkeit ist weniger zu loben: zum
Zuge sind sie nicht besonders tauglich, weil
sie im Vordertheile häufig etwas zu schwach
gebaut sind und im Geschirr keine genügende
Ausdauer zeigen. Der Kopf des Danziger
Niederungsrindes ist meist leicht, die Halsung
ohne Wamme, der Rücken ziemlich gerade,
Schwanzansatz in derselben Höhe wie die
Rückenlinie, zuweilen auch etwas tiefer. Die
Breite des Kreuzes zwischen den Hüften und
die Rippenaufwölbung häufig ungenügend.
Man kann sie tiefleibig nennen; ihr Vorder¬
körper ist schwächer als das Hintertheil ent¬
wickelt Kuhhessige Stellung der Hinterbeine
kommt bei dieser Rasse häufig vor. Die Milch-
adem treten stark hervor und die übrigen
Milchzeichen am Hintertheile sind befriedigend
ausgebildet; die Kühe haben ein grosses,
tiefes Euter mit langen Zitzen. Haut und
Haare sind meistens weich und fein. Die
Qualität der Milch jenes Viehschlages lässt
häufig zu wünschen übrig; sie ist wässerig
und liefert selten eine schöne, fette Butter
und wohlschmeckenden Käse. Freytag.
Daphne, L., Pflanzengattung zur Familie
der Thymeleaen gehörig. Daphne striata bildet
einen Bestandtheil des auf grossen Berghöhen
in den Alpen wachsenden Wiesengrases (s.
Alpengras). Pott.
Daphne Mezereum, Seidelbast, gemei¬
ner Kellerhals, eine bekannte Thymeleae unserer
Gebirge Wälder (L. VIEL 1.), ein Strauch mit
lanzettlichen Blättern, seitenständigen, rosen-
rothen und süsslich riechenden Blüthen und
mennigrothen Beeren. Früher war die im Früh¬
ling gesammelte, brennend scharf schmeckende
Rinde des Stammes und der Aeste als
Cortex Mezerei, Seidelbastrinde, offici-
nell, oft auch die Rinde der Wurzel, und wird
sie heute noch, im Handel in aufgerollten mit
dem Bast nach aussen gekehrten langen Bän¬
dern vorkommend, in lauem Wasser erweicht
auf die Haut gebunden, wo sie den Cantha-
riden und dem Euphorbium ähnliche, scharfe,
blasenbildende Wirkung hat, aber zu schwach ist
und deswegen bei Thieren durch die spanischen
Fliegen ersetzt wird. Vogel.
Daran-Darauf oder Handgeld, s. Angeld.
Dar-Fur-Pferde kommen in den Nilländem
mehrfach vor und sind — nach Rob. Hart-
mann’s Beschreibung— zwar nicht besonders
schön gebaut, aber harte und ausdauernde
Thiere, welche für den Reitdienst ganz ge¬
eignet erscheinen, für den Zug jedoch etwas
zu leicht sind. Sie besitzen einen kurzen,
ziemlich breiten Kopf mit meist geradem,
selten leicht convexem Nasenrücken. Dir ziem¬
lich gerader Hals ist kurz und dick; die Mähne
ist wie der Schweif reich an langen feinen
Haaren. Der Leib ist gut abgerundet, die
Kruppe aber meistens etwas abschüssig. Ihr
Körper ruht auf langen, starken Beinen, welche
in der Regel ein sehr kräftiges Fesselgelenk
besitzen. Bezüglich der Farbe wird angegeben,
dass die Pferde von Dar-Fur häufig ein schönes
Fuchshaar besässen; es kommen aber auch
braune, schwarze und graue Thiere der frag-
296
DAEI. — DARM.
liehen Rasse vor. Schimmel sollen selten nnd
nicht beliebt sein. Die Zucht der Pferde wird
hauptsächlich in den Gebirgslandschaften von
Dar-Fur betrieben, und manches brauchbare
Thier geht in die Nachbarländer Waday und
Kordofan über. Freytag .
Dari (Sorghum tartaricum) als Futter¬
mittel. Diese im Orient cultivirte Getreide-
frucht liefert Körner, welche enthalten:
87*4 —90*0 im Mittel 88*7% Trockensubstanz
7*1 —10*8 „ * 9*1 „ stickstoffhaltige Stoffe
2*9 — 61 h „ 4*1 h Bohfett
70*4 —74*2 „ „ 72*3 „ Stickstofffreie Extractstoffe
0*97— 1*63 „ H 1*3 „ Holzfaser
— — „ « 2*2 „ Asche.
Sie sind wegen ihres geringen Holzfaser¬
gehaltes jedenfalls ein leicht verdauliches
Kraftfuttermittel, werden jedoch in Europa
meistens gemälzt und auf Spiritus verarbeitet
Gedarrtes Darimalz enthält: 92% Trocken¬
substanz, 10*2% stickstoffhaltige Stoffe, 4*4%
Rohfett, 73*3% stickstofffreie Extractstoffe,
1*8% Holzfaser, 2*1% Asche,
ebenfalls ein leicht verdauliches
wäre somit
Kraftfutter-
mittel. Es liefert einen dem Kornbranntwein
ähnlichen Spiritus. Darisp reu enthält: 94 *3%
Trockensubstanz, 3*9% stickstoffhaltige Stoffe,
0*9% Rohfett, 55*7% stickstoffreie Extract¬
stoffe, 25*8% Holzfaser, 8*0% Asche, dürfte
daher zu den am leichtesten verdaulichen,
für alle Haussäugethiere verwendbaren Spreu¬
sorten gehören. Pott.
Dark Horses nennt der englische Sports-
man solche Pferde der Vollblutrasse, deren
Leistungen auf der Rennbahn noch nicht ge¬
prüft, daher unbekannt, dunkel (englisch dark)
sind. Freytag.
Darley’s Arabian, ein berühmter Hengst
der orientalisch-arabischen Rasse, welcher in
früherer Zeit — neben Beyerley Turk und
Godolphin-Barbe — dem englischen Vollblut¬
pferde seinen Stempel aufgedrückt und eine
kleine Anzahl vorzüglicher Fohlen gezeugt hat,
deren Stamm später im englischen Stamm¬
register mit goldenen Lettern glänzte. Jener
Hengst wurde durch den Bruder des Besitzers
— Darley — aus dem Orient nach England
eingeführt und deckte in der Regel nur dessen
eigene Stuten. Von vielen englischen Hippo¬
logen wird angenommen, dass der berühmte
Hengst Flying-Childers, welcher das schnellste
Pferd aller Zeiten war, ein Sohn jenes Darley
Arabian gewesen ist, obgleich dieser Nach¬
weis nirgends mit Bestimmtheit geliefert wer¬
den kann. Freytag.
Darm, Darmcanal. Anatomie. Der
Darmcanal (tractus intestinalis s. intestinorum)
stellt ein am Pförtner des Magens (s. d.) anfan¬
gendes und am After (s. d.) endendes Rohr von
ungleicher Weite dar, welches zahlreiche
Windungen und Schlingen in der Bauchhöhle
bildet. Der vordere längere Theil dieses
Rohres hat eine geringere, jedoch nahezu
gleiche Weite und wird Dünndarm (s. d.)
genannt, der hintere, kürzere, weitere Theil
ist der Dickdarm (s. d.). An der Grenze
dieser beiden Hauptabtheilungen des Darm-
canales findet sich ein mehr oder weniger
umfangreich entwickelter Blindsack, welcher
zum Dickdarm gerechnet und als Blind¬
darm (s. Dickdarm) bezeichnet wird. Die
Länge des ganzen Darmcanales und das Ver¬
hältnis der Länge des Dünndarmes zu der
des Dickdarmes steht in einer bestimmten
Beziehung zur Ernährungsweise der betreffen¬
den Thierart. Bei den Pflanzenfressern ist
der Darmcanal im Ganzen länger und die
Geräumigkeit des Dickdarms grösser als bei
den Fleischfressern, bei denen namentlich der
Blinddarm verhältnismässig klein bleibt oder
fast verkümmert. Um einen Massstab zu ge¬
winnen, pflegt man die Länge des ganzen
Darmcanales mit der Körperlänge der be¬
treffenden Thierart zu vergleichen. In runden
Zahlen angegeben, beträgt dieses Verhält¬
nis (die Körperlänge gleich 1 gerechnet)
beim Pferde 1:12
„ Esel 1:11
,, Rindvieh 1 : 20—21
„ Schafe 1 :26—29
bei der Ziege 1:22—26
beim Schweine 1:15—18
., Hunde 1: 4—6
bei der Katze 1: 4—5
beim Löwen 1 : 3
,, Strauss 1: 9
„ Huhn 1: 5—6
„ Adler 1:3
Nach Colin hat die Schleimhautoberfläche
des gesammten Darmcanales im mittleren
Durchschnitt einen Umfang: beim Pferde von
14*55, beim Rinde von 8*06, beim Schweine
von 2*61, beim Hund von 0*40 und bei der
Katze von 0 10 m*. Das Verhältnis der
Oberfläche der Haut zur Oberfläche des
Magens und Darmcanales stellt sich beim
Pferde auf 1:2*18, beim Rinde auf 1:2*97,
beim Hunde auf 1:0*59. Die Capacität des
ganzen Darmcanales beträgt beim Pferde
193*38, beim Rinde 103*90, beim Schafe und
der Ziege 14*60, beim Schwein 19*45, beim
Hunde 2*62, bei der Katze 0*241.
Die Wand des Darmcanales besteht, wie
die aller innerhalb der Bauchhöhle gelegenen
hohlen Eingeweide, aus einer (äusseren) serö¬
sen Haut, einer (mittleren) Muskelhaut und
aus einer (inneren) Schleimhaut.
Die äussere oder seröse Haut gehört zu
dem visceralen Blatt des Bauchfelles (s. d.),
sie verleiht dem ganzen Darmrohr einen glatten
Ueberzug und ist an der Stelle, wo das Ge¬
kröse an die einzelnen Theile des Darm¬
canales tritt, lockerer, im Uebrigen sehr fest
durch das subseröse Bindegewebe mit der
Muskelhaut verbunden. Der seröse Ueberzug
fehlt an denjenigen Stellen des Dickdarmes,
welche mit der Bauchspeicheldrüse verbun¬
den sind und an dem ausserhalb des Bauch¬
fellsackes liegenden Endstück des Mastdarmes,
bei den Pferden ausserdem an den einander
zugewendeten Flächen des Blinddarmgrundes
und der rechten oberen Lage des Grimm¬
darmes.
Die Muskelhaut wird aus einer äusse¬
ren Schicht von in der Längenrichtung und
aus einer inneren Lage von circulär verlau¬
fenden, glatten, unwillkürlichen Muskelfasern
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DARM.
*97
zusammengesetzt. Die Längsfaserschicht be¬
sitzt am Danndarm eine geringe, sich gleich
bleibende Stärke; am Dickdarm der Einhufer
treten die Längsfasem zu starken platten
Zügen zusammen, welche sich auch durch
ihre hellere, fast weissliche Farbe von der
übrigen Oberfläche des Darmcanales absetzen
und Bandstreifen, Längsbänder oderTänien (tae-
niae Valsalvae) genannt werden. Solche Band¬
streifen finden sich auch an dem Dickdarm
der Schweine und Kaninchen, sie fehlen voll¬
ständig an dem der übrigen Haussäugethiere
und bei den Vögeln. Die Schicht der circulär
verlaufenden Fasern hat je nach der Thierart
und je nach den einzelnen Abschnitten des
Darmcanales eine verschiedene Stärke. Die
Muskelhaut erlangt die bedeutendste Dicke
am Endstücke des Mastdarmes, namentlich bei
den Einhufern. Die submucöse Bindegewebs-
schicht stellt eine lockere Verbindung mit
der Schleimhaut her, so dass die letztere
sich leicht verschieben und in Falten legen
kann. Diese Bindegewebsschicht enthält ela¬
stische Fasern, ist reich an Gef&ssen und
Nerven, von denen die letzteren zahlreiche,
mikroskopische Ganglien einschliessende Ge¬
flechte bilden, und wird auch als eine beson¬
dere Haut des Darmcanales (Tunica nervea)
beschrieben.
Die weiche, im Dünndarm gelbröthliche,
im Dickdarm graugelbe, bei Pflanzenfressern
nicht selten gelbgrüne Schleimhaut besteht
ihrer Hauptmasse nach — in der sog. eigent¬
lichen Schleimhaut (Propria mucosae) —
aus reticulärem Bindegewebe, welches zahl¬
reiche, mit den Lymphkörperchen überein¬
stimmende zellige Gebilde einschliesst, stellen¬
weise jedoch dem Charakter des fibrillären
Bindegewebes nahekommt.
Auf der ganzen Oberfläche des Dünn¬
darmes finden sich in enormer Anzahl kleine,
beim Pferde 1—l^mm lange, cylinder-, kegel-
oder keulenförmige Hervorragungen, welche
als Darmzotten (villi intestinales) bezeich¬
net werden. Sie stehen im dichtesten Ge¬
dränge neben einander, verleihen der Dünn¬
darmschleimhaut ein sammetähnliches An¬
sehen und werden in ihrer Gesammtheit pas¬
send mit einem kurzen geschorenen Rasen
verglichen. An einem umgekehrten, in Wasser
flottirenden- Dünndarmstück lassen sich diese
Zotten noch eben mit dem blossen Auge,
noch besser mit Loupenvergrösserung erkennen.
Sie besitzen bei den Fleischfressern und
Vögeln eine bedeutendere Länge als bei den
pflanzenfressenden Säugethieren und bestehen
aus derselben bindegewebigen Stützsubstanz,
welche auch die Grundlage der eigentlichen
Schleimhaut bildet. Jede Darmzotte enthält
in ihrer Mitte einen kleinen Hohlraum, aus
dessen Grund ein Lymphgefässstämmchen
hervortritt. Nahe der Oberfläche löst sich
die in jede Darrazotte eindringende Arterie
zu einem dichten Capillametz auf, aus wel¬
chem das Blut durch eine kleine Vene fort¬
geführt wird. Peripher von dem centralen
Hohlraum verlaufen zarte Züge von Muskel¬
fasern. Auf der Schleimhaut des Dickdarmes
finden sich sparsam papillenartige Erhöhun¬
gen, jedoch keine Darmzotten. Die Schleim¬
haut enthält an der Grenze des submucösen
Bindegewebes eine Schicht von grösstentheils
in der Längenrichtung verlaufenden Muskel¬
fasern. Aus diesem sog. Stratum muscularis
mucosae, welches im Mastdarm des Pferdes
die bedeutendste Mächtigkeit erlangt, dringen
zarte Züge von Muskelfasern in die eigent¬
liche Schleimhaut und am Dünndarm auch in
die Zotten der letzteren ein. Mit Ausnahme
der cutan gebauten und mit geschichtetem
Pflasterepithel bekleideten Schleimhaut des
Afters (8. d.) wird die Schleimhaut des Darm¬
canales von einem einschichtigen Cylinder-
epithel bedeckt, welches auch den Dünn¬
darmzotten einen Ueberzug verleiht. Das dem
Hohlraum des Darmcanales zugewendete Ende
der Epithelzellen besitzt am Dünndarm deut¬
licher als am Dickdarm einen doppelt con-
tourirten Saum. Feine Streifen an dem letz¬
teren werden als Porencanälchen oder als
Stäbchen gedeutet, deren Bewegungen kleine
Körperchen, wie z. B. Fetttröpfchen, in das
Innere der Zellen zu bringen im Stande sind.
An den Darmzotten soll das der Darmwand
zugewendete offene Ende der Epithelzellen
mit Gewebslücken der eigentlichen Schleim¬
haut in Verbindung stehen.
Am nicht ausgedehnten Darmrohr liegt
die Schleimhaut in verstreichbaren Falten;
regelmässige Querfalten, welche den Ker-
kring’schen des Dünndarmes der Menschen
zu vergleichen wären, finden sich andeutungs¬
weise bei dem Rinde. Im Dickdarm des Pferdes,
zum Theil auch in dem des Schweines wird
die Schleimhautoberfläche durch starke, in
den Hohlraum einspringende Falten ver-
grössert. Besonders reichlich finden sich un¬
regelmässige Falten in dem Endstücke des
Mastdarmes. Bei den Einhufern wird die
Schleimhaut des letzteren bei der jedesmaligen
Kothentleerung hervorgepresst und bildet
dadurch die sogenannte Rose, erst bei Been¬
digung der Kothentleerung tritt die Schleim¬
haut in den After zurück. Eine Falte der
Blinddarmschleimhaut an der Einmündungs¬
stelle des Hüftdarraes bei den Wiederkäuern
und Schweinen wird als Hüft-Blinddarm-
k lappe bezeichnet. Bei den Einhufern findet
sich eine klappenartige Vorrichtung an der
schlitzförmigen Oeffnung, welche aus dem
Blinddarm in den Grimmdarra führt — Blind-
Grimmdarmklappe —; eine starke Schleim¬
hautfalte begrenzt vorn die Oeffnung, an
deren hinterem Rand die Schleimhaut in klei¬
neren unregelmässigen Falten liegt.
Mit Ausnahme der drüsenlosen Schleim¬
haut des Afters sind in die Schleimhaut des
Dünn- und Dickdarmes die sehr zahlreichen
schlauchförmigen Lieb erkühn 1 sehen oder
Galeatischen Drüsen (s. d.) eingebettet. Im
Zwölffingerdarm, bei den Einhufern auch im
Anfangstheil des Leerdarraes, finden sich die
Brunner’schen Drüsen (s. d.). Auf kaum
wahrnehmbaren kleinen Papillen der Schleim¬
haut des Zwölffingerdarmes münden bei den
Wiederkäuern, Schweinen und Fleischfressern
298 DARM.
die Ausführungsgänge der Leber- und der
Bauchspeicheldrüse. Bei den Einhufern wird
die Ausmündung des Gallen- und des Wirsung-
schen Ganges von einem fast kreisförmigen
Schleimhautwall umgeben, welcher einen klei¬
nen Hohlraum — Vater’sches Divertikel
(8. d.) — umgibt.
Die Darmschleimhaut enthält zahlreiche
Lymphapparate, welche als solitäre Follikel,
beziehungsweise als Peyer’sche Haufen be¬
zeichnet werden.
Die solitären Follikel stimmen im
Wesentlichen mit dem Bau der Lymphfollikel
(s. d.) überein und können als kleinste Lymph-
drüschen angesehen werden. Sie haben die
Grösse eines Hirsekornes oder sind mikro¬
skopisch klein, liegen in die Tiefe der eigent¬
lichen Schleimhaut eingebettet oder an der
Grenze des submucösen Bindegewebes und
finden sich in allen Abschnitten des Darm¬
canals mit Ausnahme der Afterschleimhaut.
Die Zotten des Dünndarmes, sowie die Lieber-
kühn’schen Drüsen verhalten sich an den Stellen,
wo die solitären Follikel Vorkommen, nicht
abweichend von den benachbarten Theilen
der Schleimhaut.
Die Peyer’sehen Haufen — Peyer’schen
Platten oder Drüsen (glandulae oder insulae
Peyeri) — sind Zusammenhäufungen von
solitären Follikeln und finden sich im Leer-
und Hüft-, bei Schweinen und Fleischfressern
ausserdem auch sparsam im Zwölffingerdarm,
und zwar stets an dem der Gekrösanheftung
f egenüberliegenden Theil des Dünndarmes.
ie haben bei den einzelnen Hausthieren
eine sehr verschiedene Form und Grösse,
sind meist oberflächlicher als die solitären Fol¬
likel in die Schleimhaut eingebettet, und im
Umfange der einzelnen Follikel, aus denen
die Haufen bestehen, fehlen Darmzotten und
Lieberkühn’sche Drüsen. Die Follikel schwellen
an einem in Wasser gelegten Darmstück
durch Wasseraufnahme an, bersten schliesslich
und entleeren ihren Inhalt; an den betreffen¬
den Stellen der Darmschleimhaut machen
sich dann entsprechend der Anzahl gebor¬
stener Follikel kleine rundliche Grübchen
bemerklich, d. h. die Peyer’schen Haufen
zeigen ein gefenstertes (areolirtes) Ansehen.
Die Peyer’schen Haufen des Pferdes sind
zwar zahlreich vorhanden, jedoch meistens
klein und deswegen oft schwer aufzufinden,
bei alten Pferden zum Theil auch geschwun¬
den. Mitunter finden sich grössere, bis 8 cm
lange und bis 3 cm breite Haufen im Endstück
des Hüftdarmes. Bei den Wiederkäuern ist
die Zahl der Haufen geringer — das Rind
hat deren 20 bis 40, das Schaf 20 bis 25 —
dieselben sind jedoch erheblich grösser als
beim Pferde, sie bilden sehr oberflächlich in
die Schleimhaut eingebettete oder dieselbe
sogar etwas überragende Platten, welche beim
Rinde eine Länge bis 20 cm oder noch darüber
und eine Breite bis 2* 5 cm erlangen. Ganz
besonders zeichnet sich eine Platte im End¬
stück des Hüftdarmes, welche nicht selten
in den Blinddarm hineinragt, durch ihre be¬
deutende Länge aus. Beim Schwein verhalten
sich die Peyer’schen Haufen im hinteren
Theil des Dünndarmes ähnlich denen der
Wiederkäuer, mitunter finden sich sogar
ebensolche Zusammenhäufungen von Follikeln
im Dickdarm. Im Endstück des Zwölffinger-
und im vorderen Theil des Leerdarmes haben
die Peyer’schen Haufen eine nur geringe
Grösse. Der Hund hat aber 20, die Katze
jedoch nur 5 oder 6 Peyer’sche Haufen von
meist rundlichovaler Form, die Grösse nimmt
in den hinteren Abschnitten des Dünndarmes
zu, den bedeutendsten Umfang erreichen
diese Gebilde im Hüftdarm der Katze. Die
Haufen setzen sich meist scharf von den
benachbarten Theilen der Darmschleimhaut ab.
Die Lymphapparate in der Darmschleim¬
haut der Vögel weichen nicht wesentlich von
denen der Säugethiere ab, jedoch sind die
Peyer’schen Haufen klein und in geringer
Anzahl vorhanden.
Dem Darmcanal wird Blut durch die
vordere und hintere Gekrösarterie, im Anfangs-
theil des Zwölffingerdarmes auch durch die
Bauchschlagader und in dem ausserhalb des
Bauchfellsackes gelegenen Theil des Mast¬
darmes aus der inneren Schamarterie zuge¬
führt. Aus dem zuletzt genannten Endstück
strömt das Blut der inneren Schamvene zu,
alle übrigen Venen des Darmcanals tragen
zur Zusammensetzung der Pfortader bei.
Die Lymphgefässe vereinigen sich zu Stämmen,
welche in den Anfangstheil des Milchbrust¬
ganges einmünden. Die Nerven werden von
den Nervengeflechten der Bauchhöhle abge¬
geben. Müller .
Histologie. Der Darmcanal besteht
aus zwei in einander gesteckten Schläuchen,
welche gegenseitig durch mehr oder weniger
festes Bindegewebe in verschieblicher Weise
zusammen gelöthet sind und von denen der
äussere Schlauch von Peritonealgewebe um¬
hüllt erscheint. Die Peritonealhülle wirdSerosa
(sc. membrana) des Darms, der äussere Schlauch
die Muskelwand, Muscularis, der innere
die Schleimhaut oder Mucosa genannt.
Die Serosa ist also eine Endothelmembran,
welche durch lockeres Zellgewebe (subserosa)
der Muskel wand aufliegt, bei Wiederkäuern
und Schweinen finden sich unter dem Endo¬
thelstratum oft viele Fettträubchen.
Der Muskelschlauch des Darmes ist in
zwei übereinander liegendeSchichten differenzirt,
von denen die äussere als Längsfaserschichte be¬
zeichnet wird, weil ihre Faserrichtung parallel
mit der Darmachse läuft, die innere Lage aber
als Ring- oder Kreisfaserschichte unterschieden
wird, weil sie das Darmrohr in circulären oder
spiraligen Zügen umgreift. Die Muskelzellen
gehören den contractüen Faserzellen an
(= glatte Muskelfasern). Während die Ring¬
faserschichte die Dünn- und Dickdarmwand
ganz gleichmässig herstellt, ist die Längs¬
faserlage nur am Dünndarm gleichmässig
über die Oberfläche des Darmrohres ausge¬
breitet, ordnet sich hingegen beim Pferde am
Dickdarm in besonderen bandartigen Zügen
(Taenien) bestimmter Zahl, wodurch am Dick¬
darm zwischen diesen Tänien die Kreisfaser-
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DARM.
299
schichte dann an die Oberfläche gelangt und
fast unmittelbar von der Serosa überdeckt ist
Die Mnscnlari8 besitzt an den verschie¬
denen Darmabschnitten verschiedene Durch¬
messer; nach Schaaf beträgt die Dicke
der Muskelwand im Duodenum des Pferdes
1%—2 mm, im Jejunum 1mm und im
Heum 6—7 mm, im Anfänge des Heums
2—2 % mm, die longitudinale verhält sich
bezüglich des Dickendurchmessers zur cir-
culären Schichte im Duodenum und Jejunum
wie 1:2, im Deum wie 1 : 5—6. An der
Grenze des Deum und Coecum beim Pferde
bildet die circuläre Schicht einen 18—19 mm
dicken Wulst (Ellenberger), in dem auch
gekreuzte Muskelzüge neben starkem binde¬
gewebigen Gerüste sich vorfinden. An den
Taenien ist die longitudinale Schichtei—iy t mm
dick, zwischen den Taenien erscheint sie ausser¬
ordentlich dünn, nach Schaaf 50—60 \i. Im
Grenzbezirke des Colon und Rectums ist die
Muscularis 6—7 mm dick, ebenso an der
Grenze zwischen Rectum und äusserer Haut.
Beim Rinde ist die Vertheilung eine gleich-
mässigere.
Das Schleimhautrohr ist der Haupt¬
sache nach aus Bindegewebe in der Form
eines dichten und zarten Zellennetzes, theil-
weise auch Fadennetzes aufgebaut, in welchem
sowohl reichlich lymphoide Zellen sich vor¬
finden (cytogenes Gewebe, Ellenberger), wel¬
ches weiters Träger von Blut- und Lymph-
gefössen und Nerven ist, ferner von Drüsen
und Lymphfollikeln durchbrochen wird, von
einem Epithelialstratum überdeckt und gegen
das submucöse Gewebe durch eine dünne
Lage glatter Muskulatur abgegrenzt erscheint.
Im Dünndarme ist das Bindegewebe (-Stütz¬
substanz) der Schleimhaut derart angeordnet,
dass es bald kegelförmige, bald blattartig aus¬
gebreitete, bald keulenförmige meist finger¬
förmige Erhebungen bildet, welche man
Darmzotten (villi intestinales) nennt; im
Dickdarme sind die Erhebungen so kurz, dass
sie den Namen Zotten nicht verdienen und
man daher den Dickdarm als zottenfrei be¬
zeichnet Die im Dünndärme sehr dicht stehen¬
den Zotten erreichen bei Pferd und Rind
eine Höhe von 1 — 2 mm. Da sich in dem
Grundgewebe der Zotten viel glatte Muskel¬
fasern finden, so können diese Erhebungen
contrahirt werden und erhalten dann ein ge¬
refftes Aussehen. Die freie Oberfläche der
Zotten und die Darmschleimhaut überhaupt
trägt allenthalben einen Besatz von dichte
stehenden hohen, schmalen Cylinderzellen,
welche an ihrem freien breiteren Ende eine ver¬
dickte membranartige Partie aufweisen, die als
Saum oder Deckel bezeichnet wird (Fig. 414).
Der Deckel hat ein feingestreiftes Aussehen,
weil er aus feinen, in Reihen stehenden Proto¬
plasmafortsätzen zusammengesetzt erscheint
(Thanhoffer), zwischen denen die soge¬
nannten Porencanälchen sich finden. Die Proto¬
plasmafäden des Deckelsaumes sollen durch
amöboide Bewegung im Stande sein, kleine
corpusculäre Theilchen (Fetttröpfchen) durch
die Porencanälchen ins Innere der Zellen zu
bringen. Die Cylinderzellen sitzen mit zuge¬
spitzten, geschwänzten oder fussplattenähn-
lichen Fortsätzen der Zotte auf und ihr ovaler
oder rundlicher Kern lagert nahe der Basis.
Das Basal- oder Fussende der Zellen soll offen
sein (Schaaf) und das Hohlraumsystem der
Zotte mit dem Fussende der Zellen, resp. dem
Zellleibe in ununterbro¬
chener Verbindung ste¬
hen. Zwischen dieser
Cy linder zellenform trifft
man in wechselnder Men¬
ge glocken- oder becher¬
förmige Gebilde, welche
durch ihren hellen Glanz
auffallen und nichts An¬
deres sind als durch
schleimige Metamorphose
bauchig aufgetriebene
, Cylinderzellen.Man nennt
Fig. 414. Dwmepitheiie«. gje Becherzellen. Ander
Grenze der eigentlichen
Schleimhaut (Mucosa im engeren Sinne) und
des lockeren submucösen Gewebes, welches
die Verbindung mit der muskulösen Darm wand
herstellt, ist noch eine dünne Schichte glatter
Muskelfasern den ganzen Darmcanal entlang
ein geschoben, welche alsMuscularismucosae
bezeichnet wird. Der Hauptsache nach ist auch
diese beim Pferde in den verschiedenen
Darmabschnitten 10—80 jjl (jjl= 1 Mikrom. =
y i 000 mm) dicke Muskellage aus zwei Schich¬
ten, aus einer Kreis- und Längsfaserlage auf¬
gebaut, indess ist die Anordnung hier keine
regelmässige, so dass theilweise nur die Ring¬
faserlage, theilweise nur die Längsfaserschichte,
theilweise auch schiefe Züge vorhanden sind
und überdies die Muscularis muc. häufig
unterbrochen erscheint, weil Lymphfollikel oder
Drüsenausführungsgänge der Brunner’schen
Drüsen in den Spalten zwischen den Faser¬
bündeln lagern. Von dieser Muscularis zwei¬
gen vielfach Zellenbündel nach dem Schleim¬
hautstratum, insbesondere den Zotten und
dem die Lieberkühn'sehen Drüsen umgebenden
Gewebe ab. Die secernirenden Drüsen des
Darms zerfallen in zwei Gruppen: Ueber den
ganzen Darm in Unzahl verbreitet finden sich
die Lieberkühn’schen Drüsen (Lieberkühn-
sche Crypten), welche als schlauchartige Ver¬
tiefungen in die Schleimhaut ein gesenkt er¬
scheinen und nur kurze einfache, seltener in
2—3 Aeste gespaltene Drüsenkörper haben,
deren blindes Ende stets über der Muscularis
mucosae steht. Ihre Wand wird von dem hier
zur besonderen Membran differenzirten Schleim¬
hautgewebe (Propria mucosae) hergestellt
(daher auch der Name Propriadrüsen) und ihr
Drüsenepithel tritt in zwei Formen auf; die erste,
in den Lieberkühn’schen Drüsen des Dünndarms
an Zahl überwiegende Form wird durch schmale,
cylindrische, mit ovalem, basal stehenden Kern
ausgestattete Zellen, deren Körper eine sehr
feine Streifung zeigt, repräsentirt, als zweite
Form kommen die bekannten Becherzellen eben¬
so wie auf der Oberfläche der Zellen auch im
Drüsenschlauche vor (Fig. 415). Die Zahl dieser
Becherzellen ist ausserordentlich variabel.
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300
DARM.
nach Heidenhain bilden sie in den Schläuchen
des Dickdarms die Mehrzahl. Heidenhain hat
dargethan, dass das Aussehen der die Lieber-
kühn’schen Drüsen auskleidenden Zellen nach
den Verdauungszuständen
sehr wechselt, insbeson¬
dere bei starker Darmperi¬
staltik eine Entleerung des
Mucins aus den Becher¬
zellen statthat. Die Lie-
berkühn’schen Drüsen des
Dickdarms sind vorzugs¬
weise schleimabsondernde
Drüsen, während die des Fig. 415. Querschnitt
Dünndarms auch Darmsaft Lieberkahn’schen
bilden. Aach das Zotten- DrtUe Tom pferd -
epithel gibt gleichartige
morphologische Veränderungen als verschie¬
dene Secretionszustände zu erkennen. Die
Länge der Lieberkühn’schen Drüse wechselt
beim Pferde zwischen 80—100 p, die Weite an
der Mündung zwischen 10—12, an der Basis
zwischen 12—15 p (Schaaf). — Die zweite
Drüsenform führt den Namen der Brun-
ner’sche Drüsen (submucöse Drüsen) und
nähert sich dem Baue nach dem acinösen
Drüsentypus, d. h. sie stellen eigentlich eine
Uebergangsform zwischen acinösen und tubu-
lösen Drüsen dar. Sie bestehen nämlich aus
verzweigten, vielfach geschlängelten und ge¬
wundenen Schläuchen, deren jeder in seitliche
Ausstülpungen und blinde Endsäckchen aus¬
läuft. Diese Drüsen finden sich nur im Dünn¬
darm, und der Drüsenkörper steckt immer
unter der rauscularis mucosae im submucösen
Gewebe, der Ausführungsgang durchbohrt die
muscularis mucosae, um zur Darmoberfläche
zu gelangen. In dem Anfangsstücke des Dünn¬
darms liegen die Brunner’schen Drüsen sehr
dicht beisammen, etwa 3 p hinter dem Py-
lorus sind sie etwas weiter gegenseitig ent¬
fernt und erreichen, indem sie nach rück¬
wärts immer vereinzelter stehen, beim Pferde
in einer Entfernung von 7—8 p hinter dem
Magen ihr Ende. Bei Rind und Schwein
reichen sie weiter in das Endstück des Dünn¬
darms. Das Epithel des Ausführungsganges
hat nahezu gleiche Gestalt wie das der
Drüsenschläuche. Nach Ellenberger ist beim
Pferde auch bei den submucösen Drüsen
das Ausfuhrungsgangepithel ein anderes als
das Drüsenepithel. Die Drüsenzellen sind
durchwegs cylindrisch-kegelförmige Gebilde,
deren Protoplasma feingekörntes Aussehen
zeigt und welche keine Schleimmetamorphose
eingehen, sondern eine fermentative Rolle zu
spielen scheinen. Das periglanduläre Binde-
ewebe steht weit vom Drüsenkörper ab, so
ass ein förmlicher hohler Kapselraum um
die Drüse liegt (in welchen vielleicht das
zur Drüsenfunction nöthige Bluttranssudat
gelangt). Durch das Vorhandensein der als
Zotten gegebenen Erhabenheiten und durch
die Drüsen repräsentirten Vertiefungen wird
eine bedeutende Vermehrung der secernirenden
Darmoberfläche erzielt. Ellenberger hat aus¬
gerechnet, dass durch die Propriadrüsen des
Pferdecoecuras (270—300 Millionen Drüsen)
allein eine secernirende Oberfläche von circa
25m* geschaffen wird. Lymphoide Drüsen
kommen im Darme reichlich vor (Fig. 416);
wo sie einzeln stehen (und dies ist zerstreut
über die dünnen und dicken Därme hier der
Fall), spricht man von solitären Follikeln,
wo sie in so dichte Gruppen zusammengerückt
erscheinen, dass die Lymphfollikelaggregate
mikroskopisch wahrnehmbar werden, nennt
man sie Peyer’sche Platten (plaques) oder
Peyer’sche Drüsenhaufen (Fig. 417). Letztere
finden sich nur im mittleren und hinteren Ab-
Fig. 417. Schnitt durch einen Peyer’schen Haufen der Darm-
Schleimhaut vom Hände, a Lymphfollikel, b Lieberkühn’sche
Drüsen, c Darmzotten.
schnitt des Dünndarms. Die zerstreuten solitä¬
ren Follikel sind meist von einer zotten- und
drüsentragenden Schleimhautpartie überdeckt,
die Follikel der Peyer’schen Platten sind aber
so gross und dicht gedrängt, dass sie mit
ihrem breiteren Theile vornehmlich im sub-
DARMATHMUNG. —
mucösen Gewebe sitzen, die muscularis mu¬
cosae durchbrechen und mit zugespitzten
Ruppen frei, d. h. nur von einer Darm-
epitheilage begrenzt, in das Darmlumen hinein¬
ragen. In der Zahl und Grösse der Peyer’schen
Plaques, ihrer Vertheilung auf bestimmte
Dannabschnitte, der Grösse der Zotten und
Drüsen ergeben sich bei den verschiedenen
Hausthieren entsprechende Differenzen. In der
Darmschleimhaut finden sich namentlich in der
Umgebung der lymphoiden Drüsen und im
Coecum auffallend viel grosse Plasmazellen
(Mastzellen) [Ellenberger]. Die Submucosa
ist von einem sehr lockeren, dehnbaren Binde¬
gewebe, das die Verschiebung der Schleim¬
haut gestattet, gebildet. Dieses Bindegewebe
besteht aus sehr zarten Fibrillenlamellen in
netzartiger Anordnung mit in das Maschen¬
werk eingestreuten, kernhaltigen, feinen Binde¬
gewebszellen und elastischen Fasergeflechten,
ist vorzugsweise Träger von Lymph- und Blut¬
gefässen und einem Nervennetze und gehen
von diesem Bindegewebe aus nach der Schleim¬
haut und nach der Muskelwand feine Faser¬
bündel in verschiedener Gruppirung aus einan¬
der, wodurch dem gesammten Darme sein Stütz¬
gerüst geschaffen wird (Fig. 418). Die aus den
Gekrösplatten zum Darm heran tretenden ar-
Fig. 418. 8chematischer Längsschnitt durch die Dannwand.
1 SerOee Maat, 2 Lingsfkserschicht, 8 Ringfaaenchicht der
Darmmoekulator, 4 Snbmneoea, 5 ronscnlaris mncosae,
6 Schleimhaut, 7 Dannepithel, 8 Zotte; a LieberkQhn'ache
Drüse, b Brunner'sche Drüse, c Follikel, d centrales Lymph-
geftse, e Arterie, welche durch die Darmwand dringt, im
gabmucäsen Gewebe ein Netzwerk bildet und von da Aeete
an die Drüsen, Follikel und Zotten gibt, in der Zotte zum
Capillarnetz aufgelöst wird, aus dem die Vene (0 Ursprung
nimmt. Das Blutgeflssnetz ist nicht ausgezeichnet und von
Lymphgef&ssen nur der Centralcanal der Zotte angedeutet.
teriellen Blutgefässe bilden nach Durch¬
bohrung der beiden muskulösen Lagen ein
weitverzweigtes Gefässgeflecht in der Sub¬
raucosa, dessen in die Schleimhaut dringendes
Astwerk die sämmtlichen Drüsenformen um¬
spinnt und zu den Zotten emporsteigt. Na¬
mentlich in diesen wird ein engmaschiges
Capillarnetz gebildet, aus dem die venösen
Stämmchen hervorgehen, welche dann eben¬
falls in der Submucosa Zusammentreffen und
neben den Arterien durch die Darm wand
laufen, um als Pfortaderäste im Gekröse
weiter zu reichen. (Indess sind auch die Muskel¬
lagen, wie überhaupt das Darmgewebe mit
DARMBLUTUNGEN. 301
Capillaren versorgt.) Abgesehen davon, dass
die zahlreichen im Bindegewebe der Schleim¬
haut und Submucosa vorhandenen, mit glatten
Bindegewebszellen (Endothel) ausgelegten
Spalten für Lymphräurae angesehen wer¬
den mussten, findet sich in den Darm¬
zotten aller Hausthiere ein centraler cylin-
drischer Lymphraum, das Anfangsstück der
Chylusgefässe. Von Nerven ist bei kleinen
Thieren ein in der Submucosa liegendes
Nervennetz (Meissner’scher Plexus) und ein
zweites, an den Knotenpunkten viele ein¬
gestreute Ganglien tragendes Nervennetz
(Auerbach’scher Plexus), das zwischen Ring-
und Längsfaserschichte der Darmwand liegt
und mit der erstgenannten communicirt, ge¬
funden worden. Wahrscheinlich bestehen beide
auch bei den grösseren Hausthieren, indem
hie und da Ganglienzellen und Zellgruppen
in ihrer Darm wand gesehen wurden. Kitt
Darmathmung. Der mit dem Futter und
dem Getränk in den Darmcanal gelangende
Sauerstoff der Luft wird von den Capillar-
gefässen der Schleimhaut des Magens und
Darmes aufgenommen und andererseits Kohlen¬
säure abgegeben. Dieser Gaswechsel ist jedoch
im Verhältniss zu dem in der Haut, besonders
in der Lunge sehr gering und hat auf den
Gehalt des Blutes sowie des Körpergewebes
überhaupt an Sauerstoff keinen nennenswerthen
Einfluss. Bei den höheren Thieren hat sich
nach dem Princip der Arbeitsteilung aus dem
vorderen Theil des Danncanals durch Aus¬
stülpung ein besonderes Athmungsorgan* die
Lunge (s. d.), gebildet. Bei den niederen
Thierformen, wo die Arbeitsteilung im Orga¬
nismus noch eine mangelhafte ist, hat neben
der Haut die Verdauungshöhle einen wesent¬
lichen Anteil bei der äusseren Atmung
(s. Respiration).
Bei abgetriebenen, alten oder sehr schwer
leidenden, besonders lungenkranken Thieren,
dringt bei jedem Einatmen Luft durch den
wenig geschlossenen, meistens hohlliegenden
After ein und ebenso beim Ausathmen wieder
aus. Diesen Vorgang bezeichnet man als
Afterathmen. Unseres Wissens liegen Unter¬
suchungen über Veränderung der Luft beim
Afterathmen im Mastdarm nicht vor. Brümmer.
Die Darmathmung, welche bei den
Säugetieren für den Bluterfrischungsprocess
ganz ausser Acht gelassen werden kann, erlangt
dagegen für einzelne Fischspecies, wie die
Cobitisarten, Bedeutung, indem diese besonders
bei O-Mangel im Wasser an die Oberfläche
aufsteigen, Luft verschlucken und dieselbe
O-frei, aber CO,-haltig durch den After wieder
entleeren. Sussdorf,
Darmblutungen erfolgen bei passiven ve¬
nösen Stauungen durch Thrombose und Em¬
bolie der Darmarterien, bei Einklemmungen,
Verschlingungen, Achsendrehungen, bei hef¬
tigen Entzündungen, Aetzungen, Geschwürs¬
bildungen, Perforationen, Verwundungen, Neu¬
bildungen, Polypen, Krebs, Parasiten (Anky-
lostoma, Trichocephalus bei Hunden), bei
Milzbrand, Septicämie, Typhus, Ruhr, Scorbut,
Hämorrhoiden etc. Die Darmblutungen zeigen
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302 DARMBRAND. — DARMDREHUNGEN.
sich an durch Abgang blutiger Fäces. Je
näher zum After die Blutungen, desto reiner
und unverfärbter ist das den Ezcrementen
beigemengte Blut, je näher zum Magen hin,
desto veränderter ist es. Bei Blutungen
im Dünndarm und Anfangstheil des Dick¬
darmes gehen die Fäces schwärzlich gefärbt
ab, ohne dass man wirkliches Blut in den¬
selben zu erkennen im Stande ist. Bei Blu¬
tungen im Mastdarm fliesst fast reines Blut
aus dem After. Bei bedeutenderen Darm¬
blutungen werden die Thiere bald anämisch,
schwach, haben blasse Schleimhäute und einen
kleinen, schwachen Puls; kleinere Darm¬
blutungen werden ohne bedeutende Nachtheile
ortragen. Die Behandlung besteht in Besei¬
tigung der Ursachen und ist verschieden da¬
nach, ob Allgemeinleiden (Typhus, Milzbrand,
Septicämie, Scorbut, Ruhr) oder Localprocesse
vorliegen (Verwundungen, Einklemmungen,
Parasiten, Schlingen, Hämorrhoiden etc.). Bei
Mastdarmblutungen werden Eispillen, Tam¬
pons, adstringirende Klystiere, bei Blutungen
in andern Darmtheilen innerlich Adstrin¬
gentia, Secale cornutum, Ferr. sesquichlorat,
Terpentinöl, nebst weicher Nahrung und Ruhe
angewendet. Semmer .
Darmbrand oder brandiges Absterben
einzelner Theile des Darms tritt ein bei auf¬
gehobener Circulation durch Einklemmungen
in enge Bruchöffnungen, Darmverschlingungen,
Umschnürungen, Axendrehungen, Invagina-
tionen, ferner in Folge heftiger Entzündungen,
bei Vorfällen, nach Aufnahme scharfer ätzender
Stoffe in Substanz, durch diphtherische, typhöse
und milzbrandige Infiltrationen. Die brandigen
Partien nehmen eine schmutzigbraune oder
schwarzbraune Farbe an, sind meist verdickt,
mürbe, zerreisslich, mit blutigem Serum in-
filtrirt, ihre Schleimhaut ist mit übelriechenden,
blutig jauchigen, braunrothen oder chocolade-
ähnlichen Exsudatmassen bedeckt. Der Darm¬
brand ist meist mit heftigen Koliken ver¬
bunden. Die Cur besteht in schneller Besei¬
tigung der Ursachen. Bei ausgesprochenem
Darmbrand ist der Tod bei Pferden unver¬
meidlich, bei Hunden, Schweinen und Rindern
können brandige Darmstücke ausgeschnitten
und die zurückgebliebenen Därme durch die
Darmnaht (s. d.) vereinigt werden. Semmer .
Darmooncremente sind lockere Zusammen¬
ballungen anorganischer Salze, gemengt mit
organischen Substanzen. Darmconcremente
kommen vorzugsweise bei Hunden, die viel
Knochen fressen, im Dickdarm vor und be¬
stehen vorwiegend aus Knochensalzen. Die
Concremente (Album graecum genannt) ver¬
anlassen bei Hunden Verstopfungen, Erwei¬
terungen und Lähmungen des Dickdarms mit
tödtlichem Ausgang. Die Behandlung besteht
in Entziehung der Knochennahrung und Ver¬
abfolgung von Abführmitteln und schleimigen
Klystieren. Semmer.
Darmcroup, Enteritis crouposa, croupöse
Entzündung des Darmcanals, wird verursacht
durch Aufnahme von Lösungen solcher Mittel,
die das Epithel zerstören, z. B. concentrirter
Lösungen von Säuren, oder aber es wirken
specifische Ursachen (Mikroorganismen) auf den
Darm ein, wie sie auch beim Croup des Kehl¬
kopfes, Rachens und den croupösen Lungen¬
entzündungen nachgewiesen sind. Der Darm¬
croup tritt am häufigsten selbständig bei
Schweinen auf. Die Symptome des Dann¬
croups sind die einer heftigen Darmentzün¬
dung (s. d.). Bei Sectionen findet man die
Darmschleimhaut, besonders im Dünndarm
mit gelben scholligen fibrinösen Pseudomem¬
branen vollständig ausgekleidet. Die Pseu¬
domembranen bestehen aus abgestossenen
Epithelzellen, farblosen Blutkörperchen, Fi¬
bringerinnseln, Kernen, albuminösem und fet¬
tigem Detritus. Die Membranen liegen der
Schleimhaut locker auf, und nach Entfernung
derselben kommt die lebhaft geröthete, ent¬
zündete, von Epithel entblösste Schleimhaut zum
Vorschein. Die Croupmembranen lösen sich
oft in zusammenhängenden Massen ab und
werden als röhrenförmige, bisweilen mehrere
Meter lange darmähnliche Gebilde mit den
Fäces entleert. Ausser bei Schweinen kommt
die croupöse Darmentzündung noch häufig
vor in Folge von Diätfehlem und Aufnahme
schädlicher reizender Futterstoffe bei Rindern,
Pferden, Hunden und Katzen, und bei der
Rinderpest finden sich zuweilen den Croup¬
membranen ähnliche Auflagerungen auf der
Schleimhaut des Dünndarms, die in zusammen¬
hängenden röhrenförmigen Stücken mit den
Fäces abgehen und vorzugsweise aus Epithel¬
zellen und lymphoiden Zellen bestehen. Die
croupösen Darmentzündungen sind oft mit
Koliken, Appetitlosigkeit. Fieber und Ver¬
stopfung verbunden, worauf meist Durchfälle
mit Entleerung zusammenhängender Croup¬
membranen folgen. Der Darmcroup hat meist
einen acuten Verlauf und endet grösstentheils
mit Genesung, nur bei Rindern wird er zu¬
weilen chronisch; unter den Ferkeln richtet
die Krankheit oft grössere Verluste an. Die
Behandlung besteht in Verabfolgung schlei¬
miger und narkotischer Mittel, schleimiger Kly¬
stiere ;Calomel, Kali chloricum,Kali carbonicum,
Natrum sulfuricum; bei kleineren Hausthieren
bei bestehenden Verstopfungen auch Rhabar¬
ber, Senna, Squilla, Ricinusül mit Aqua Lauro-
cerasi, Opium, Morphium, aromatische und
bittere Mittel. Beim enzootischen selbständigen
Darmcroup empfehlen sich desinficirende Mit¬
tel, wie Theerwasser, Carbolsäurelösungen,
Calomel. Die Diät muss stets in guten unver¬
dorbenen weichen Futterstoffen und reinem
Trinkwasser bestehen. Im Reconvalescenz-
stadium gibt man bittere und adstringirende
Mittel mit gekochten Knollgewächsen und Zu¬
satz von Zwiebeln und Knoblauch. Semmer .
Darmdrehungen, Axendrehungen des Darms
kommen am häufigsten am Blinddarm vor,
aber auch am Dünndarm nach Zerreissungen
des Gekröses und Verwachsungen der Darm¬
portionen unter sich und mit der Bauchwand.
Die Folgen der Drehungen sind Verschluss
des Darmlumens, Compression der Darmge-
fasse, passive Blutstauungen, Hyperämien,
Exsudation, Blutungen, Brand. Koliken, Ver-
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DARMDRÜSEN. — DARMEIN SCHIEBUNG. 303
Stopfungen, Peritoniten and der Tod bei länger
andauernden Tollständigen Axendrehungen. Sr.
Danndrflsen, s. Brunner’sche Drüsen and
Lieberkühn’sche Drüsen.
Darmdrflsenblntt. Nachdem der Fur-
changsprocess im Eichen durchgeführt ist,
lagern sich die Elemente in Form Ton ein¬
zelnen Schichten, welche man als Keimblätter
bezeichnet Die innerste Schichte oder das
der Darmhohle zugewendete Keimblatt wurde
von Remak als Darmdrüsenblatt bezeichnet
Es sind dessen Elemente in erster Linie für
die Bildung der Epithelien des Darmrohres
bestimmt. Ferner bilden sie die auskleidenden
Elemente der Gänge jener Drüsen, welche in
den Darmcanal münden, und nach Remak
liefern sie auch das Substrat für die Enchym-
zellen der Drüsen selbst. Die Elemente des
Darmdrüsenblattes (Entoderm) gehen direct
in jene des Ectoderms am Urmunde (Blas-
toporus) über. Schenk.
Darmeinklemmung. Incarcerationen kom¬
men bei Darmbrüchen, Darmyorfallen und
Darmverschlingungen za Stande. Wenn nach
Verletzungen oder Zerreissungen der Bauch¬
muskeln eine Darmportion durch den Riss in
Form eines Bruches sich vorlagert, so kann
die in dem Bruchsack befindliche Darmschlinge
eingeklemmt werden entweder durch nach-
herige entzündliche Schwellung der Ränder
der BruchOffiiung oder durch entzündliche
Schwellung der vorgelagerten Därme, oder
aber durch Anstauung von Inhaltmassen in
denselben. Ebenso entstehen Einklemmungen
von durch penetrirende Bauch wunden und natür¬
lich eKörperöfinung vorgefallenen Darmstücken
in Folge nachheriger entzündlicher Schwellung
der Wundränder oder des vorgefallenen Darms.
Darmeinklemmungen kommen endlich zu
Stande bei Umschlingungen einer Darmportion
durch eine andere nach Zerreissungen des
Gekröses oder bei Umschlingungen des Darms
durch gestielte Neubildungen. In all den
Fällen, wo bei incarcerirten Brüchen, Vor¬
fällen und Verschlingungen die Blutcirculation
oder der Rückfluss des venösen Blutes sehr
bedeutend gehindert oder vollständig auf¬
gehoben ist, erfolgt schon in einigen Stunden
brandiges Absterben der eingeklemmten Darm¬
portion mit tödtlichem Ausgang. Die Darm¬
einklemmungen sind mit starken Kolikerschei¬
nungen verbunden und bei Gegenwart von
Brüchen und Vorfällen leicht zu diagnosti-
ciren, schwerer dagegen ist die Diagnose
bei Darmverschlingungen innerhalb der Bauch¬
höhle. Die Behandlung der Darmeinklemmun-
gen besteht in sofortiger operativer Erwei¬
terung der Bruch- oder Vorfallsöffnungen
und Reponirung der vorgelagerten Darm-
portion, Vernähen der Bauchwunde und anti¬
phlogistischer und antiseptischer Behand¬
lung derselben (Carboisäureverbände, Eisum¬
schläge). Eine Darmverschlingung in der
Bauchhöhle sucht man vom Mastdarm aus
zu lösen. Bei Rindern, Schweinen und Hunden
kann auch der Bauchschnitt und künstliche
Lösung der Verschlingung Anwendung finden.
In all den Fällen aber, wo der Brand der
eingeklemmten Darmportion schon deutlich
ausgesprochen ist, kommt alle Hilfe zu spät,
denn die Patienten gehen nach der Operation
meist an jauchiger Peritonitis zu Grunde. Sr.
Darmeinschiebung, Invaginatio, Intussus
ceptio, Volvulus, ist eine Einstülpung einer
Darmportion in die nächstfolgende. Die Ein¬
stülpung erfolgt meist von vorne nach hinten
in der Richtung der peristaltischen Darmbewe¬
gung. Man kann die Darmeinschiebung nach¬
ahmen, indem man irgend einen ledernen
oder Gummischlauch oder auch einen Hand¬
schuhfinger in seinem mittlern Theil in sich
zurückstülpt. Die Darminvagination besteht
stets aus drei über einander liegenden Röhren
oder Schichten, von denen das äussere und
innere normal mit der Serosa nach aussen,
mit der Schleimhaut nach innen liegen, das
mittlere Rohr aber umgestülpt mit der Schleim¬
haut nach aussen, der Schleimhaut des äussern
Rohrs, mit der Serosa nach innen der Serosa
des innem Rohrs zugekehrt liegt. Das äussere
Rohr wird als Scheide, das innere als ein-
tretendes und das mittlere als austretendes
Rohr bezeichnet. Zwischen dem innem und
mittlern Rohr befindet sich das mit hinein¬
gezogene Stück Gekröse. Die Blutcirculation
ist besonders in dem umgestülpten mittlern
Rohr mehr oder weniger gestört, es kommt
bald zur Hyperämie, Infiltration, Entzündung.
Exsudation, Verklebung und Verwachsung der
invaginirten Darmstücke, zu Verengerung des
Lumens, Störungen der Fortbewegung des
Danninhalts, Uebergreifen der Entzündung
auf das Peritoneum (Peritonitis) oder zum
brandigen Absterben der invaginirten Röhren
und zur Perforation. Ein Durchpassiren des
Darminhaltes durch das innere Kohr ist an¬
fangs noch möglich, später bei erfolgter ent¬
zündlicher Schwellung tritt absolute Ver¬
stopfung mit Koliken ein. In günstigen Fällen
löst sich die Darmeinschiebung wieder von
selber, oder es werden die innere und mittlere
invaginirte Schichte brandig abgestossen, nach¬
dem an der Eintrittsstelle eine Verwachsung
zwischen dem äussern und innem Rohr statt¬
gefunden, und es erfolgt Heilung mit Hinter¬
lassung einer Strictur und Darmverkürzung.
In 75 % der Fälle aber erfolgt der Tod durch
Verstopfung, Brand, Perforation und Peri¬
tonitis. Darmeinschiebungen kommen bei allen
Thieren vor, am häufigsten bei Hunden und
Katzen, wo sie oft 1 Fuss und darüber lang
sind und zuweilen durch den Mastdarm vor¬
fallen. Häufig entstehen Darmin vagin ationen
erst in der Agonie; dieselben unterscheiden
sich von den während des Lebens entstandenen
durch Abwesenheit aller Entzündungserschei¬
nungen. Die Ursachen der Darmeinschiebungen
sind Darmkatarrhe, vermehrte Darmperistaltik,
polypöse Neubildungen an der Darmschleim¬
haut, welche durch die Peristaltik fort¬
geschoben werden und den Darm mit hinein¬
ziehen. Die Cur besteht in Anwendung des
Bauchschnittes und künstlicher Lösung der
Invagination und, falls diese nicht mehr mög¬
lich, im Ausschneiden des ganzen Volvulus und
Anlegen der Darmnaht. Die Operation kann
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304
DARMENTZÜNDUNG.
bei Hunden, Schweinen und Rindern gemacht
werden, sobald die meist schwierige Diagnose
auf Darmeinschiebung festgestellt ist. Bei
Pferden ist die Operation wegen eintretender
Peritonitis nicht ausfahrbar. Semmer.
. Darmentzündung, Enteritis (von evtepov,
Darm); bei ihr erstreckt sich die Entzündung
nicht blos auf die obere Partie der Schleim¬
haut, wie beim Dahnkatarrh, sondern auf die
ganze Schleimhaut, in vielen Fällen auch
schliesslich auf die Muscularis und Serosa.
Nach dem entzündeten Darmtheile unter¬
scheidet man eine Zwölffingerdarm-Entzün¬
dung oder Duodenitis (duodecim, zwölf; die
Endung itis wird dem Stamme des Substan¬
tivs zur Bezeichnung der Entzündung ange¬
hängt), Hüftdarm - Entzündung oder Ileitis
(von cXeov, Hüft- oder Krummdarm), Blind¬
darmentzündung oder Typhlitis (von ttxpXo'c,
blind), Grimmdarmentzündung oder Colitis
(von xutXov, Grimmdarm) und Mastdarm-Ent¬
zündung oder Proctitis (von itptoxxö«;, After).
Ist der Magen, wie dies öfter der Fall ist, zu¬
gleich mitentzündet, so wird die Krankheit Ma-
gendarmentzündung, Gastroenteritis (v. ^aoTrj<;,
Magen) genannt. Die ursächlichen Verhältnisse
stimmen mit denen des Darmkatarrhes völlig
überein, ebenso die Pathogenese, weshalb wir
nach dort verweisen. Oft genug beginnt dem¬
entsprechend die Enteritis mit hochgradigem
Darmkatarrh, die Entzündung geht indess bald
auf die Muscularis und Serosa des Darms
über, weil die Ursachen intensivere waren als
bei Darmkatarrh. Mechanische Reize und Er¬
kältungen zählen zu den gewöhnlichen Ur¬
sachen der primären Enteritis, am häufigsten
beruhen sie auf diätetischen Schädlichkeiten,
öfter auch auf scharfen oder ätzenden Be-
standtheilen in zufällig aufgenommenen Pflan¬
zen, Metallen oder Arzneipräparaten. Ver¬
letzungen der Bauchdecke oder der Organe
der Bauch- und Beckenhöhle, abnorme Lage¬
rungen des Darmcanales (Brüche, Torsionen,
Invaginationen), mitunter auch Parasiten im
Darmcanal (Band-, Spul-, Palissadenwürmer,
Riesenkratzer) geben weitere Ursachen zur
Enteritis ab. Secundär tritt die Enteritis zu
Magen- und Bauchfellentzündung, Ruhr,
Dysenterie, Typhus und Infectionskrankheiten
hinzu, sie kann dann auch eine enzootische
Ausbreitung erlangen. Die Entzündung befällt
in der Regel nur einzelne Abschnitte des Ver-
dauungscanales; ihre anatomischen Merkmale
sind: starke Gefässinjectionen, Blutreichthum,
Röthung, mehr oder weniger grosse Blut¬
extravasate in die Häute, Auflockerung und Ver¬
dickung der Häute durch serös-gallertartige
oder eiterige Infiltration, leichte Zerreisslich-
keit der betroffenen Darmpartie, graues oder
gelbliches, fibrinöses Exsudat auf der Aussen-
fläche der Serosa, Schwellung und Hyperämie
der Dünndarmzotten, der Gekrösdrüsen, der
Peyer’schen und Brunnerschen Drüsen (letz¬
tere erreichen die Grösse einer Erbse und
können vereitern oder verkäsen mit Hinter¬
lassung eines kesselartigen, folliculären Ge¬
schwüres), schleimigeiteriger oder croupöser
Belag der Schleimhaut, Vermischung des
Darminhaltes mit Blut und fibrinösen oder
jauchigen Exsudaten. Das Peritoneum trägt
ebenfalls Zeichen der Entzündung an sich,
während Leber, Nieren und Milz sich in
hyperämischem Zustand präsentiren und das
Blut dunkel und mit Kohlensäure überladen
erscheint.
Eine besondere katarrhalische Darment¬
zündung ist im Darmcroup, der Enteritis
crouposa, gegeben, die meist junge Rinder
und hochtragende Kühe, seltener Pferde, Hunde
und Katzen mit faserstoff- und ei weissreichem
Blute heimsucht, wenn sie bei rauher Früh¬
jahrs- oder Herbstwitterung Erkältungen und
Diätfehlern ausgesetzt sind. In der Trächtig¬
keit und nach Reizungen der Lymphdrüsen
nimmt der Faserstoffgehalt des Blutes zu, er
wird alsdann um so leichter auf die entzündete
Darmschleimhaut in Form weissgelber mem-
branöser Auflagerungen abgesetzt, welche
nicht selten in Fetzen oder als hohle Cylinder
oder als wurst- und strangartige, compacte
Massen per anum abgehen, letzteres dann,
wenn die Croupmasse das Darmrohr ganz aus¬
füllt und sich durch eiterige Transudation von
der Schleimhaut abgelöst hat. Als solche ist
sie an der schichtenförmigen Zusammen¬
setzung, mikroskopisch an den vielfach mit
einander verflochtenen Fibrinfäden, dem struc-
turlosen Baue und dem Mangel irgend eines
Blutgefässes zu erkennen, so dass Verwechs¬
lungen mit brandig abgelösten Darmpartien,
mit denen die öfter mehrere Fuss langen
Croupcylinder Aehnlichkeit haben, nicht mög¬
lich sind.
Die enzootische Darmentzündung
ist, weil bei ihr das Blut zur Zersetzung neigt
und sie aus allgemein verbreiteten Schädlich¬
keiten gewisser Oertlichkeiten und mangel¬
hafter Nahrung hervorgeht, auch als typhöse
Darmentzündung beschrieben worden. Sie
gehört deshalb zu den Infectionskrankheiten,
die nächste Krankheitsursache ist noch nicht
klargelegt. Haubner (landw. Thierheilkunde)
vermuthet in ihr wohl nicht mit Unrecht eine
durch Spaltpilze hervorgerufene Darmmykose.
In vielen Fällen mag die als enzootische
Darmentzündung beschriebene Krankheit nichts
anderes als Typhus gewesen sein, der sich
vorzüglich auf der Darmschleimhaut locali-
sirte. Da man eine mit Sepsis und gastrischen
Complicationen einhergehende Darmentzün¬
dung bei Pferden, Rindern und Schafen be¬
obachtet hat, welche auf schlechten, unfrucht¬
baren, moorigen, feuchten, mit sauren Gräsern
und harz- und gerbstoflhaltigen Sträuchern
und Gehölz bestandenen Weiden den ganzen
Sommer über ihre Nahrung suchen müssen,
so hat man sie auch „Wald- oder Holzkrank-
heit u genannt. Nicht selten werden unter
den eben erwähnten Weideverhältnissen auch
die Nieren entzündlich gereizt, wir haben es
dann im Grunde genommen mit Hämaturie
zu thun, und in der That decken sich die
Symptome der sog. Waldkrankheit und der
Hämaturie in vielen Beziehungen. Wir verwei¬
sen deshalb bezüglich der Pathogenese dieser
Krankheit auf den Artikel „Blutharnen“ und
DARMENTZÜNDUNG.
305
erwähnen an dieser Stelle noch, dass das
Leiden mit Vorliebe bereits vom Winter her
kärglich ernährte und in ihrer Widerstands¬
fähigkeit geschwächte Thiere befällt, welche
für Witterungseinflüsse und diätetische Schäd¬
lichkeiten sehr empfänglich sind. Unter sol¬
chen Verhältnissen habe ich das Leiden selbst
unter Hirschen und Rehen grassiren sehen.
Die Cadaver der Gefallenen sind stets
abgemagert und anämisch, das wässerig dünne
Blut gerinnt nur locker und das reichlich
darin vorhandene Serum ist vielfach in das
subcutane Bindegewebe und in die grosseren
Körperhöhlen ausgetreten, auch finden sich
punktförmige und fleckige Blutaustretungen
auf den serösen Ueberzügen der Baucheinge¬
weide neben stärkerer Gefässinjection und
leichten, flockigen Exsudat-Auflagerungen auf
der Magen- und Darmschleimhaut, bei Wieder¬
käuern ist auch die Schleimhaut des Psalters
und Labmagens an verschiedenen Stellen
entzündlich geröthet,graurothund schiefergrau
gefärbt und aufgelockert, die Darmhäute sind
von wä8serig-sulzigenInfiltrationen durchsetzt,
der Darminhalt besteht in einer wässerig¬
schleimigen, fötiden Flüssigkeit Auch die
Leber, Nieren und die Blase sind häufig leicht
entzündlich afficirt, der in letzterer vorfind -
liche Ham zeigt eine gelbröthliche Farbe.
Gehirn und dessen Häute lassen öfter einen
grösseren Blutreichthum erkennen.
Symptome. Als Prodromen der Darm¬
entzündung sind Störungen im Allgemein¬
befinden und in der Verdauung za nennen,
die Thiere sind abgeschlagen und lassen
leichte gastrische Zufälle erkennen; der
Appetit ist verringert, unterdrückt, die Rumi-
nation und der Mistabsatz geschehen unregel¬
mässig. Alsbald stellen sich Verstopfung und
dumpfe Kolikschmerzen ein, die unter der
Hand periodisch stärker werden und sich mit
Fieberanfällen verbinden. Pulse und Athem-
züge werden beschleunigt, die Schleimhäute
röthen sich höher, die Mastdarmtemperatur
steigt. Da das Leiden schmerzhaft ist, stossen
die Patienten Schmerzenslaute aus, man hört
sie stöhnen, mit den Zähnen knirschen, sie
schlagen mit den Füssen, sehen sich nach
dem Hinterleibe um u. dgl. m. Das Maul
fühlt sich trocken und heiss an, ebenso bei
Rindern das Flotzmaul, der Hinterleib ange¬
füllt und mässig aufgetrieben, kräftiger
Druck auf ihn verursacht Schmerzen; Blut¬
andrang zum Gehirn aber Depressionen der
sensoriellen Functionen. Mit der Heftigkeit
der Schmerzen und ihrer Andauer steigt auch
die Lebensgefahr und die Frequenz des Pulses,
er wird klein und hart, selbst aussetzend und
unregelmässig, die Körpertemperatur wech¬
selnd. Der Mistabsatz erfolgt unter Tenesmus
äusserst spärlich, der abgesetzte Mist ist
trocken, klein geballt und mit Schleim und
Blut umhüllt, öfter ist vollständige Versto¬
pfung vorhanden, weil die Darmmuskulatur
durch entzündliche Exsudate und seröse
Transsudate paralytisch geworden ist; man
vermisst deshalb auch ber der Auscultation
die Darmgeräusche, die Peristaltik liegt voll-
Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkd. II. Bd.
ständig darnieder. Diarrhöischer Abgang
schleimig-blutiger Fäces kann trotz hart¬
näckiger Constipation vorhanden sein, wenn
hinter der entzündeten Darmpartie Darm-
katarrh vorhanden ist. Eine Complication der
Darmentzündung mit Magenentzündung spricht
sich durch heftige Schmerzen, hochgradiges
Fieber, Gähnen, Recken, Würgen oder wirk¬
liches Erbrechen, Eintritt des Darmbrandes
durch bläulichgraue, livide Färbung der Maul¬
schleimhaut, kleinen, leeren Puls, hohe Mast¬
darmtemperatur, Spannung des Hinterleibes,
kalte Extremitäten aus; mit dem brandigen
Absterben des entzündet gewesenen Darm-
theiles verschwinden die Schinerzäusserungen,
denn in der mortificirten Partie ist jede
Nerventhätigkeit erloschen. Die nunmehr ein¬
tretende Ruhe ist eine trügerische, statt der
erhofften Besserung nehmen die Kräfte schnell
ab, der Gesichtsausdruck verfällt, der Blick wird
stier, der Puls unfühlbar, die Extremitäten
erkalten; die Patienten verenden unter den
Erscheinungen von Marasmus und Stumpf¬
sinnigkeit oder, falls Brandjauche ins Blut
übergetreten ist, unter solchen einer Blut¬
zersetzung; zuweilen erfolgt der Tod asphyk-
tisch in Folge eines hinzutretenden Lungen¬
oder Glottisödems oder auch apoplektisch
unerwartet schnell. In seltenen Fällen wird
das brandig abgestorbene Darmstück oder
einzelne Theile desselben, vermischt mit einer
aashaft riechenden Jauche, nach aussen ent¬
leert. Mitunter tritt nach dem Darmbrand
eine Paralyse des Sphincter ani ein, der After
steht dann beständig offen, die Fäces gehen
unwillkürlich ab. Der Verlauf der Darment¬
zündung ist acut, er ist in 1, 2—3 Tagen
beendet, bei Rindern ist der Verlauf weniger
schnell, er kann hier 7—14 Tage in Anspruch
nehmen, was auch bei allen anderen Thieren
der Fall sein kann, wenn sich die Entzün¬
dung allmälig aus einem Darmkatarrh ent¬
wickelt. Die Krankheit endet in den meisten
Fällen mit dem Tode, jüngere Thiere erliegen
ihr leichter als ältere.
DerDarmcroup verläuft ebenfalls mehr
schleichend, die Symptome der Enteritis stei¬
gern sich nur allmälig, gewöhnlich gehen erst
nach 4, 5 bis 8 Tagen, nachdem zuvor eine mehr
oder weniger hartnäckige Verstopfung vorhan¬
den war, cylinderförmige oder fetzige Croup-
raassen mit einer fötiden, jauchigen Flüssig¬
keit per anum unter Tenesmus ab; die Cylinder
pflegen in ihrem Innern Futter- und Koth-
reste zu enthalten, ihr Abgang ist von einer
zeitweiligen Besserung gefolgt, die aber nicht
lange Stand hält, weil stets wieder neue
Croupmembranen sich bilden. Auf diese Weise
wechseln Remissionen und Exacerbationen
öfter mit einander ab. Der Abgang der Croup¬
massen sichert allein die Diagnose; wo er
vorhanden, ist auf Genesung zu hoffen, hin¬
gegen stellt hartnäckige Verstopfung das
letale Ende in sichere Aussicht, sie beruht
auf vollständiger Ausfüllung des Darmrohrs
mit croupösem Exsudat, man vermag dann
öfter den wurstförmig ausgefüllten Darmtheil
per anum als einen festen Strang zu fühlen.
20
306
DARMENTZÜNDUNG.
Die enzootische Darmentzündung
kennzeichnet sich durch ihren mehr schlei¬
chenden Verlauf und ihre Ausbreitung auf
eine grössere Zahl von Thieren derselben
Gegend. Dem entschiedenen, auffälligeren
Er&anken gehen in der Regel leichtere
Symptome eines Darmkatarrhs und gastrische
Beschwerden 8—14Tage voraus, unter der Hand
treten auch solche der Anämie und Adynamie
hervor, öfter unterbrochen von leichten fe¬
brilen Zufällen: der Puls wird alsdann klein,
fadenförmig, leer, die Schleimhäute nehmen
eine blasse Farbe an und erscheinen wäs¬
serig aufgelockert, die Thiere benehmen
sich kraftlos, liegen gern, die Fresslust und
Verdauung liegen mehr und mehr darnieder,
die Eicremente werden dünnflüssig und unter
Afterzwang abgesetzt, sie enthalten haupt¬
sächlich Schleim und Blut, das ihnen ein
dnnkles, theerartiges Ansehen verleiht. Nach
einer Krankheitsdauer von 3—4 Wochen
stellen sich Oedeme und öfter auch Emphy¬
seme ein. bei Rindern besonders gern am
Hintertheil und in der Umgebung des Afters
und der Genitalien. Wo Neigung des Blutes
zur Sepsis gleich von vorneherein vorhanden,
ist der Krankheit»verlauf ein sehr acuter:
wir haben es dann mit der typhösen Darm¬
entzündung zu thun, welche die Thiere in
4—24 Stunden, Pferde in 2—3 Tagen dahin-
rafft. Bei ihr spielen, neben der Blutzersetzung,
blutig-sulzige, graurothe Ergiessungen in die
Darmhäute, Geschwüre und Verschorfungen
auf der Darmschleimhaut und Nervenzufälle
die Hauptrolle. Das septische, faserstoffarme
Blut ist nicht nur in den Darminhalt, sondern
in das Gewebe fast aller schleimhäutigen und
serösen Auskleidungen in Form von Punkten,
Flecken und Streifen ausgetreten, auch haben
blutig-seröse Ergüsse in alle Körperhöhlen,
in den Herzbeutel, in die Hirnkammern und
in den Rückenmarkscanal stattgefunden, das
Blut selbst weist ein Uebermass an weissen
Blutzellen nach, wohingegen die rothen Blut¬
zellen grossentheils zerfallen sind; Franck
und Leisering wiesen in ihm Stäbchenbacterien
und Bacterienketten nach. Ausserdem finden
sich häufig Leber, Milz, Nieren und Mesen¬
terialdrüsen hämorrhagisch geschwollen. Viele
körperlicheAnstrengungemmastigeFütterungs-
weise, verbunden mit wenig Bewegung in
freier Luft und vielem Aufenthalt in dun¬
stigen, mit Kohlensäure und Fäulnissgasen
erfüllten Stallungen, Genuss unreinen Wassers
oder mit Pilzbildungen (Schimmel, Rost,
Brand etc.) befallene Getreidearten disponiren
zur typhösen Enteritis. Die Entwicklung eines
Contagii konnte bisher nicht mit Sicherheit
nachgewiesen werden. Die Krankheit bricht
plötzlich unter Fieberanfällen, Ausbruch eines
kalten Schweisses und mehr oder weniger
heftig geäusserten Bauchschmerzen aus, wenig¬
stens werden die vorausgehenden Störungen
im Allgemeinbefinden leicht übersehen. Sofort
deuten ein kleiner, schwacher und dabei
accelerirterPuls, der pochende Herzschlag, der
eingenommene Kopf. Depressionen der Gehirn¬
functionen, taumelnde, unsichere Bewegungen,
Convulsione» der Gesichts-und Rumpfmuskeln,
die bleifarbigen oder ziegelrothen, mit Petechien
und Ecchymosen besetzten Schleimhäute (letz¬
teres ist besonders auf der Nasenschlcim-
haut der Fall), Dyspnoö, Krämpfe, blutig ge¬
färbte Dejectionen und das Auftreten von
Geschwülsten an verschiedenen Körperstellen
auf eine tiefe Alteration des Blut- und Nerven-
lebens hin. Die anfänglich vorhandene Ver¬
stopfung des Leibes geht meistens später in
ruhrartigen Durchfall über, der Verfall der
Kräfte ist ein rapider, er führt die Patienten
fast regelrecht in kurzer Zeit dem Tode zu.
Die käsige oder scrofulöse Darm¬
entzündung, Enteritis caseosa s. tyro-
tica s. scrofulosa (caseus und topo? =
Käse; scrofula, verhärtete Drüse), kommt vor¬
züglich bei Ferkeln vor; sie ist zunächst
von Roloff (Virchow’s Archiv, 36. Bd.) und
Fürstenberg (Mittheil. a. d. thierärztl. Praxis
in Preussen 1859—60) beobachtet worden.
Die Krankheit verläuft chronisch, sie besteht
anfänglich in einem Darmkatarrh, resp. in
Durchfall, in dessen Verlauf die Darm- und
Mesenterialdrüsen durch Aufnahme vieler
zeitiger Elemente (weisse Blut- und Lymph-
körperchen) sich verdicken und hyperplastisch
vergrössern, bald aber stellenweise verfetten
und verkäsen. Eine gleiche zeitige Infiltration
findet auch in die sämmtlichen Häute des
Dickdarms statt und führt auch hier, ausser
zur Wucherungdes Bindegewebes, zur massigen
Verdickung der Darmhäute und Einlagerung
von trockenen, gelblichen, käseartigen Massen
in dieselben. Man kann deshalb schon bei
Lebzeiten den entarteten Dickdarm durch die
Bauchdecken als knotige, knollige Wülste
hindurch fühlen. Der schwere Darm treibt
den Bauch nach unten hervor, während die
Flanken einfallen und der Rücken sich spitz
hervorwölbt. Saug- und Fresslust und All¬
emeinbefinden sind gewöhnlich schon längere
eit getrübt, bevor sich Durchfall und Ab¬
magerung einstellt. Der Durchfall wechselt
zu Anfang öfter mit Verstopfung ab, endlich
hält er an. die Fäces werden wässerig und
fötid, der Bauch zeigt sich gegen Druck sehr
empfindlich, Fieber, Anämie und Kachexie
steigern sich, die Conjunctiva wird blass,
die Fresslust verliert sich gänzlich, die
Thiere magern skeletartig ab und sterben
nach 4—6 Wochen an allgemeiner Erschöpfung.
Mitunter entzünden sich auch die Lungen käsig,
alsdann treten Athembeschwerden und Husten
prägnant hervor. Nur wenige der jungen
Thiere entgehen dem Tode, die wenigen Re-
convalescenten erholen sich nur äusserst lang¬
sam, sie gedeihen auch später selbst bei bester
Pflege nie recht. Als nächste Ursache ist qjne
ererbte Schwäche der Organisation anzu¬
sehen, die zu Verdauungsstörungen und Er¬
schlaffung der Darm- und Lymphgefasse dis-
ponirt, in Folge deren leicht zellige Elemente
in die Gewebe auswandern. Die Eltern der
Jungen zeichnen sich in der Regel durch
Mastfähigkeit aus, gehören mehr den edlen
Rassen an oder sind aus nahen Verwandtschafts-
paarungen hervorgegangen. In der Leiche
DARMENTZÜNDUNG.
307
finden wir den Dickdarm bis zu i % cm ver¬
dickt und wulstig aufgetrieben, seine Häute
von serös-eitrigen, blutigen und käsigen In¬
filtrationen durchsetzt, die Schleimhaut faltig
aufgewulstet, geröthet, mit Extravasaten be¬
setzt und geschwürartig zerstört und an¬
genagt, weil die Drüsen sammt dem benach¬
barten Gewebe käsig zerfallen sind; die Serosa
ist hyperämisch, öfter mit kleinen Extra¬
vasaten und schwachen Exsudaten besetzt.
Der Darminhalt besteht in einer dünnflüssigen,
braunrothen oder eitrig-grauen Masse. Die
Schleimhaut des Magens und Dünndarms ist
ebenfalls verdickt, stellenweise geröthet und
von kleinen Blutaustretungen durchsetzt. Die
geschwollenen Gekrösdrüsen enthalten gleich¬
falls käsige Einsprengungen, Leber und Nieren
finden sich vergrössert und fettig degenerirt,
die Muskeln blass, anämisch.
Eine durch Gregarinen hervorgerufene
Darmentzündung, eine Enteritis gregari-
nosa, ist bei dem Geflügel in Gemeinschaft
mit einem Katarrhe der Luftwege beobachtet
worden, sie kann aber auch als selbstständiges
Leiden unter dem Hausgeflügel auftreten.
Die Gregarinen wandern hier mit der Nah¬
rung in den Körper ein und setzen sich in
den Schleimhäuten fest. In der Darmschleim¬
haut bilden sie mohn- bis hanfsamengrosse
gelbweisse Knötchen oder Auftreibungen und
Verdickungen, letztere besonders dann, wenn
sie sich in den Darmdrüsen angesiedelt haben.
Das hervorstechendste Symptom der Krankheit
ist ein Durchfall, der schnell zu völligem
Appetitsverlust, Abmagerung, Schwäche, Fie¬
ber, Trauern und Erschöpfung führt und dem
die Thiere nach einigen Tagen erliegen. Die
gelben, flüssigen, eiterartigen, selbst mit Blut
vermischten Excremente enthalten die nur
mikroskopisch nachweisbaren Gregarinen oder,
wie sie auch noch genannt worden sind,
Psorospennien. In den Cadavern sieht man
die Darmschleimhaut aufgelockert, blutreich,
geröthet und blutig gefleckt, stellenweise ihres
Epithels beraubt und von Gregarinennestern
durchsetzt.
Zu erwähnen ist noch eine Proctitis
der Pferde und Hunde, die auf einer ent¬
zündlichen Reizung der Mastdarmschleimhaut
beruht; die in den After eingeführte Hand
oder der Finger fühlt die Schleimhaut mehr
heiss und aufgetrieben, in ähnlichem entzünd¬
lichem Zustande werden die Afterdrüsen der
Hunde vorgefunden, bei denen auch der Schliess-
muskel des Afters an geschwollen und entzündet
ist; jede Berührung des Afters verursacht
ihnen lebhafte Schmerzen, ein damit verbun¬
denes Jucken veranlasst sie, den After öfter
auf dem Boden zu reiben. Nicht selten
gehen die Afterdrüsen in Eiterung über. Die
Pferde setzen locker geballte Excremente und
eine braungelbe, wässerige Flüssigkeit ab,
welche die Hinterschenkel beschmutzt, wes¬
halb das Leiden von Dr. Erler (sächs. Vete¬
rinärbericht 1864) als falscher Durchfall
bezeichnet wurde. Im Uebrigen benehmen sich
die Patienten periodisch unruhig und gehen
in ihrem Ernährungszustände zurück. Bei
Hunden hat man sich vor Verwechslungen
mit Hämorrhoiden zu hüten, bei ihnen fühlt
aber der eingeführte Finger die Mastdarm¬
venen knotig aufgetrieben und vermischen sich
die Fäces öfter mit Blut. Im Mastdarm vor¬
handene Oxyuren (Pfriemenschwänze) veran¬
lassen die Hunde ebenfalls zu Reibungen des
Afters, ohne dass die anderen Symptome
der Proctitis vorhanden wären.
Die Therapie der eigentlichen Darm¬
entzündung hat die Aufgabe, die Ursachen
möglichst zu beseitigen und die Entzündung
durch Ableitungen auf die Haut und inner¬
liche Anwendung von schleimig-öligen und
schmerzmildernden Einschütten zu bekäm¬
pfen. Hohe Fiebergrade indiciren den Ader¬
lass, Kaltwasserklystiere, kalte Douchen oder
kalte Umschläge auf deu Hinterleib, die,
wenn sie den Schmerz verstärken, durch
feuchtwarme Einhüllungen zu ersetzen sind.
Als Derivantien sind Einreibungen von Kam-
pherspiritus, Terpentinöl mit Salmiakgeist,
flüchtiges Liniment, Senföl, Kantharidentinctur,
Senfteige auf die Bauchdecken und Schenkel,
zu den Einschütten Decocte von Althea, Gerste,
Hanf- oder Leinsamen, Mohnsamen-Emulsion,
Oliven- oder Leinöl oder eine Mischung von
Eiweiss und Wasser zu benützen, die bei
heftigen Schmerzen mit Opium, Morphium,
Bilsenkrautextract, Kirschlorbeerwasser oder
Infusen von Kamillen und Baldrian zu ver¬
setzen sind. Nur bei anhaltend verzögerten
Darmentleerungen oder Constipation des Leibes
greife man zu den gelinderen Laxantien, z. B.
Calomel, Natr. subsulfurosum, Kali sulfuric.,
Natr. nitr., Kali chloric., für Hunde ol. Ri-
cini, rad. Rhei, fol. Sennae, Kali tartaricum
mit Syrupus Althaeae, aqua Laurocerasi oder
extr. Aconiti. Nach den neueren Beobachtungen
regen Eserin (Physostigmin) und Pilocarpin
die Verdauung und die Darmperistaltik ohne
Gefahr für die Patienten bei subcutaner Anwen¬
dung kräftig an; man kann Pferden von dem
Eserinum sulfuric. s. hydrochlorat 0*05—0*10 gr,
Rindern 0*12—0*15 gr in einer l%igen wäs¬
serigen Lösung injiciren, um die Verstopfung
prompt zu beseitigen. Pferde sollen das Pilocarpin
nicht so gut vertragen wie das Eserin, wohl
aber kann es bei den andern Thiergattungen,
besonders Rindern, ebenfalls wirksam gegen
subacute Verstopfungen angewendet werden;
die Dosis ist für Pferde und Rinder 0 • 05—0 * 10,
0*25—0*50 gr, für die mittelgrossen Thiere
0*05, für die kleineren Thiere 0*02 gr zu
4 * 0—5 * 0 Wasser. Zur Beruhigung der Schmer¬
zen dienen subcutane Injectionen von Morphium
in ausgezeichneter Weise. Die gesunkenen
Kräfte sucht man durch stimulirende Mittel zu
heben, unter denen Kalmus, Amica, Angelica,
Alant, Baldrian, Kampher, Aether, Wein, für
Rinder ol. Terebinthinae in kleinen Dosen
hervorzuheben sind. Die Reconvalescenten
müssen streng diät gehalten werden, am zu¬
träglichsten ist ihnen schleimiges und mehl-
haltiges Gesöff, für kleinere Thiere Milch mit
Eiern oder Fleischbrühe.
Die Behandlung des Darmcroups weicht
von der vorstehend geschilderten nicht wesent-
20*
308 DARMERWEITERUNGEN.
lieh ab, nur sind die genannten Abführmittel
mit schleimlösenden Mitteln zugleich zu geben,
z. B. mit Kali carbon., Ammonium carbon.
s. hydrochlorat., Tartarus stib., Stibium sul-
furat. aurant., rad. Liquiritiae, fruct. Anisi
s. Foenic. s. Juniperi, sem. Carvi, fol. Men-
thae piper. etc. Zur Verhütung von Recidiven
sind bittere und tonisirende Mittel zu em¬
pfehlen, unter anderen metallische Säuren,
Ferrum sulfuric., Plumb. acetic., Carbolsäure,
Tannin, Rhabarber, Baldrian, Enzianextract,
Saliern, für Rinder Theerwasser etc. Bei der
Behandlung der enzootischen, schleichend ver¬
laufenden Enteritis ist das Hauptgewicht auf
die Aenderung des diätetischen Regimes zu
legen, ganz besonders dürfen die Patienten
nicht ferner auf die unzuträglichen Weide¬
plätze getrieben werden. Wegen der Neigung
zur Hydrämie und Sepsis darf die Behand¬
lung keine streng antiphlogistische sein, neben
den leichteren salinischen Abführmitteln sind
die eben genannten Stimulantien und Tonica,
bei hydropischen Zufällen auch Diuretica zu
verwenden. In diätetischer Hinsicht sind gutes
Trocken- und Grünfutter, Knollen- und Rüben¬
gewächse zu empfehlen. Die typhöse Com-
plication bekämpft man mit kalten Begiessungen,
Kaltwasserklystieren und Antiseptica: Säuren,
Carbol- und Salicylsäure, Kali chloric., Natr.
subsulfuros., kleine Dosen der Aloö, Aether,
Kampher, China, Salicin, ol. Terebinth. etc.
Aufenthalt in freier Luft oder in gut venti-
lirten, luftigen Stallungen unterstützt die Cur
wesentlich.
Bei der käsigen Darmentzündung der
Schweine ist die Prophylaxis von Wichtig¬
keit, da Heilmittel gegen die Krankheit selbst
wenig ausrichten und diese erblich ist. Man
muss deshalb die bisher benützten Zucht-
thiere ausmerzen und sie durch gesunde,
nicht zur fettigen Degeneration hinneigende
ersetzen oder mindestens die Zucht mit kräf¬
tigen Rassethieren kreuzen. Die Nachzucht
darf nicht zu mastig gefüttert werden, sehr
zuträglich ist ihr eine leicht verdauliche Nah¬
rung, reinlicher, trockener Stall und Bewe¬
gung in freier Luft. Als Heilmittel können
hier ebenfalls bittere, die Verdauung bele¬
bende und den Tonus der Gewebe vermeh¬
rende Präparate versucht werden, z. B. Cal-
mustinctur, Enzian- oder Aloö-Extract, Sali¬
cin, Chinoidin, Ergotin, Tannin, Brechnuss-
extract, Wismuth, Jodkali, Plumb. acetic.,
Liquor fern sesquichlor., Argent. nitr. in Solu¬
tion, Säuren und Eisenpräparate.
Die Proctitis der Pferde ist mit schwa¬
chen Lösungen der vegetabilischen und me¬
tallischen Adstringentien zu behandeln, die
man direct in den Mastdarm mittelst Ein¬
spritzungen bringt; als solche können Tannin,
Alaun, Eisenvitriol und Höllenstein benützt
werden. Bei der Proctitis der Hunde verdienen
lauwarme Injectionen von schleimigen De¬
cocten und beruhigenden narkotischen In-
fusen in den After den Vorzug Die entzün¬
deten Afterdrüsen reibe man mit dem Finger
mit Bilsenkrautöl ein; falls sie fluctuiren,
ist der Eiter vermittelst Fmgerdruckes zu
entleeren. Das Juckgefähl und die entzünd¬
liche Anschwellung des Afters mässigt man
durch Einreibungen desselben mit Bilsen-
krautextract versetzter Bleisalbe oder Be¬
feuchtungen mit schwachen Solutionen des
Zincum sulfur. oder mit Carbolwasser.
Die Behandlung der Enteritis gregari-
nosa bleibt meistens erfolglos, sie hat auch
gegebenen Falls das allgemeine croupartige
Leiden der Schleimhäute der Luftwege zu
berücksichtigen; Rivolta und Silvestrini em¬
pfehlen alsdann das Aetzen der zugänglichen
Schleimhäute mit Lapis infernalis, das Aus¬
spritzen der Nase mit Solutionen von Natr.
subsulfuros. oder von Lapis infern. oder das
Einblasen von Sulfur, sublimatum in die Nase,
speciell gegen die Darmentzündung eine
Mixtur von Natr. subsulfur. und Sulf. sublim,
zu gleichen Theilen, von der täglich t —3mal
ein Kaffeelöffel voll gegeben werden soll. Wirk¬
samer fand Zürn (Krankh. des Hausgeflügels)
ein Weidenrinden-Decoct (2*0—3*0 : 300’O
Wasser) mit Zusatz von 1*50—3*0 Acid. car-
bolici s. acid. salicyl., täglich 2—3mal einen
Kaffee- bis Esslöffel voll, ferner 2—3%ige
Solutionen von Alumen crud. oder Ferrum
sulfuric. oder Tannin, täglich 3—4mal einen
Esslöffel voll, besonders noch reines Gly¬
cerin, für den Tag einen Kaffee- bis Esslöffel
voll. Ausserdem ist auf reinlichen, gut venti-
lirten Aufenthalt, Trennung der Kranken von
den Gesunden und auf Desinfection der Stall¬
räume Bedacht zu nehmen. Anacker.
Darmerweiterungen zerfallen in totale und
partielle: Eine gleichmässige Erweiterung des
ganzen Darmcanals erfolgt bei Anhäufungen
grosser Massen von Futterstoffen (Heubauch)
oder Kothmassen (bei Verstopfungen) und
durch excessive Gasentwicklung nach Genuss
frischer Cerealien, frischen Klees etc. Die Er¬
weiterung durch Gasentwicklung ist ein meist
acuter, schnell verlaufender Process und schwin¬
det wieder nach Entleerung oder Resorption
der Gase, kann aber auch so weit gehen, dass
Rupturen des Darms mit nachfolgender Peri¬
tonitis eintreten. Die partiellen Erweiterungen
des Darmes entwickeln sich meist langsam und
allmälig an solchen Stellen, wo irgend
welche Hindernisse für die Fortbewegung des
Danninhaltes vorliegen, wie angeborene Stric-
turen, Narbencontracturen, Wand Verdickungen,
Neubildungen im Darmlumen, in der Darm¬
wand oder am Gekröse, Steine, Brüche, Ad¬
häsionen mit Verzerrungen und Knickungen,
Schrumpfungen des Mesenteriums. Die Wan¬
dungen der erweiterten Darmpartien bleiben
entweder normal dick oder sie werden ver¬
dünnt oder verdickt. So z. B. kommen partielle
Erweiterungen mit starker Verdickung der
Wandungen bei chronischem Katarrh im Dick¬
darm des Rindes vor. Eine weitere Quelle
für Erweiterungen bieten mehr oder weniger
ausgedehnte Lähmungen der Dannwand, die
besonders häufig im Mastdarm bei Hunden
und Pferden Vorkommen. Schliesslich gehören
noch zu den Darmerweiterungen die sack¬
artigen Ausbuchtungen oder Divertikel, die
angeboren und erworben sein können und in
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DARMFASERPLATTE. — DARMHYPERÄMIEN.
309
wahre Divertikel mit Ausbuchtung der ganzen
Darmwand und falsche Divertikel mit Aus¬
stülpung der Darmschleimhaut durch die zer¬
rissene Muscularis zerfallen. Zur Beseitigung
der totalen Darmerweiterungen werden Ab¬
führmittel, die Darmperistaltik belebende Mittel,
Ausräumungen des Mastdarms und schleimige
Klystiere angewendet, um angestaute Futter-
und Kothmassen und Gase zu entfernen. Um
den Heubauch zu beseitigen, werden Pferde
mit wenig voluminösen und intensiven Futter¬
stoffen ernährt. Erweiterungen des Mastdarms
in Folge von Schwäche oder Lähmung des¬
selben beseitigt man durch Ausräumen und
Anwendung adstringirender und erregender
Klystiere. Partielle Erweiterungen in Folge
von Stricturen, Neubildungen, Steinen etc.
in anderen Darmtheilen sind bei Pferden
schwer zu beseitigen und führen oft zu un¬
heilbaren Verstopfungen und Darmlähmung.
Bei Rindern, Schweinen und Hunden können
verengerte Darmportionen, Einschnürungen
und Neubildungen nach gemachtem Bauch¬
schnitt operativ entfernt werden. Nach Aus¬
schneidung des verengerten Darmstückes wird
das hintere Ende der vorderen Darmportion
in das vordere Ende des hintern Stückes, bei
welchem die Serosa erst nach innen umge¬
stülpt wird, eingeführt und angenäht. Häufig
erfolgt vollständige Heilung nach der Ope¬
ration. Semmer.
Darmfaserplatte. Die Elemente des mitt¬
leren Keimblattes bilden zwei Zellenlagen,
besonders deutlich in der Höhe des Mittel-
darmes zu sehen, welche zu beiden Seiten der
Urwirbel gegen die Peripherie des Embryonal¬
leibes sich erstrecken. Diese beiden Zellenlagen
begrenzen eine Höhle, welche Pleuroperitoneal¬
höhle oder besser das Coelom genannt wird.
Es kommt demnach während der Entwicklung
diese Anordnung im mittleren Keimblatte nur
den Coelomaten zu. Von den beiden erwähnten
Zellenreihen liegt die eine dem Ectoderm an,
während die andere dem Entoderm anliegt.
Die letztere bildet die Darmfaserplatte. Sie
macht die Biegungen und Krümmungen, welche
am inneren Keimblatte zu beobachten sind,
mit, wird von diesem durch eingeschobene
Elemente der Urwirbelmasse getrennt, welche
mit dem ersteren zusammen und dem Darm¬
drüsenblatte (Entoderm) die Darmwand bilden.
Die Darmplatte wird auch splanchnisches Me¬
soplast genannt. Schenk.
Darmfistel. Eine Oeffnung oder einen
Canal, durch welchen der Inhalt des mit der
Bauchdecke an einer Stelle verwachsenen
Darmes direct nach aussen entleert wird,
heisst man Darmfistel, Kothfistel, widernatür¬
lichen After.
Als Darmfistel bezeichnet man speciell
solche Oeffnungen, durch welche nur ein Theil
des Darminhaltes nustritt, während der übrige
Theil in normaler Weise weiter befördert wird;
es besteht also hier nur eine Lücke in der
Darmwandung. Die Bezeichnung widernatür¬
licher After gebraucht man für jene Fälle, in
denen der gesammte Darminhalt durch die
Fistel entleert wird, wo also die Continuität
des Darm rohre s aufgehoben ist. Darmfisteln
entstehen manchmal durch fremde Körper,
die entweder von aussen nach innen in den
Darm eindringen oder umgekehrt vom Darme
her sich einen Weg nach aussen bahnen;
manchmal sind Darmgeschwüre, dann Ab-
scesse in den Bauchwandungen, die gegen
den Darm und auch nach aussen sich ent¬
leeren, die Ursache.
Der widernatürliche After verdankt seine
Entstehung oft durchdringenden Bauchwunden,
wobei der gleichzeitig verletzte Dann prola-
birte und schliesslich einheilte, oder der Ab-
stossung gangränöser Dannschlingen bei ein¬
geklemmten Brüchen, oder endlich wird er
absichtlich angelegt.
Bei den Dannfisteln kommt es haupt¬
sächlich darauf an, in welchen Theil des
Darmtractes sie führen und wie viel von dem
Darminhalte durch dieselben entleert wird. Je
näher dem Magen dieselben münden, desto
ungünstiger ist ihr Einfluss auf das Allge¬
meinbefinden des Thieres. Dieselben magern
dann rasch ab und können schliesslich auch
eingehen, während sonst die Thiere sich voll¬
kommen wohl befinden, gut nähren und oft
jahrelang leben und Dienste verrichten können.
Unangenehm bleibt allerdings die Besudelung
des Körpers durch den abfliessenden Darm-
inhalt.
Die Heilung einer Darmfistel kann, falls
das Darmrohr an der Anlöthungsstelle nicht
stark geknickt ist, oft leicht gelingen, mit¬
unter genügt es schon, den Abfluss des Darm-
inhaltes durch den Fistelgang durch einige
Zeit hintanzuhalten, in anderen Fällen führt
die Anlage der Naht an den angefrischten
Fistelrändern, das Aetzen oder das Bren¬
nen etc. zum Ziele. Besteht dagegen eine jähe
Knickung des Darmrohres, so bildet die mesen¬
teriale Wand des Darmes geradeso wie der
Sporn beim widernatürlichen After ein Hinder¬
niss für die Fortbewegung des Darminhaltes.
Es werden dann auch in der Regel alle
Versuche, den Fistelgang zu beseitigen, schei¬
tern, da der Darminhalt, dem der Weg durch
das abführende Rohr gar nicht oder nur
schwer möglich ist, sobald ihm auch der Ab¬
fluss durch die Fistelöffnung verwehrt wird,
sich staut und endlich gewaltsam durch die ver¬
schlossene Fistelöffnung nach aussen oder selbst
in die Bauchhöhle einen Weg sich bahnt. Br.
Darmhyperämlen kommen, abgesehen von
den normalen physiologischen Verdauungs¬
hyperämien, häufig vor bei raschem Tempe¬
raturwechsel und Einwirkungen kalter Luft
auf die erhitzte hyperämische Haut. Ferner
treten Darmhyperämien ein nach Aufnahme
scharfer, reizender oder verdorbener Futter¬
stoffe, diverser Gifte, sehr kalten Wassers in
erhitztem Zustande und nach Verabfolgung
scharfer Abführmittel (Aloö, Croton). Weiteren
Anlass zu Darmhyperämien geben passive
Blutstauungen im Pfortadersystem, bei Leber¬
leiden (Lebereirrhose), Herzleiden (Klappen¬
fehlern im rechten Ventrikel), Lungenleiden
(Lungenentzündungen, Lungenemphysem etc.).
Darmkatarrhe und Darmentzündungen begin-
3t0
DARMHYPERTROPHIEN. — DARMKATARRH.
nen stets mit mehr oder weniger scharf aus¬
gesprochener Hyperämie. Eingeklemmte und
vorgefallene Darmportionen werden in kurzer
Zeit hochgradig hyperämisch. Schnell vor¬
übergehende acute Darmhyperämien haben
meist keine nachtheiligen Folgen, während
längere Zeit andauernde oder bleibende Hyper¬
ämien zu Hypertrophien, Darmblutungen,
Darmkatarrhen, Verdauungsstörungen und
Durchfallen Anlass geben können. Zur Be¬
seitigung der Darmhyperämien wendet man
reizende Einreibungen an den Bauchwandun¬
gen, warme Bedeckungen und innerlich Ad¬
stringentia an. Alle schädlichen reizenden
Futterstoffe müssen vermieden werden. Sind
die Hyperämien mit Verstopfungen verbunden,
so braucht man schleimig-ölige Abführmittel
und Mittelsalze und nachher Adstringentia
und Narcotica. Liegen zugleich Leber- und
Lungenleiden vor, so sind diese erst zu be¬
seitigen. Semmer.
Darmhypertrophien entwickeln sich in
Folge von chronischen Hyperämien und chro¬
nischen Darmkatarrhen. Die Hypertrophie und
Verdickung betrifft zunächst die Schleimhaut,
im weiteren Verlaufe nimmt auch das submu-
cöse Bindegewebe, die Muscularis und Serosa
theil an der hypertrophischen Verdickung.
Besonders im Dickdarm der Rinder wird die
hypertrophische Darmwand oft einen Zoll dick
und darüber. Neben der Verdickung kommt es
zu partiellen Ausstülpungen und Auswüchsen
in Form von Polypen, besonders im Mastdarm. Sr.
Darmkatarrh, Catarrhus intestinalis, En¬
teritis catarrhalis (von tvTspov, Darm, und
xata^elv, herabfliessen), leichte Darmentzün¬
dung, die entweder den ganzen Darm oder
nur einzelne Abschnitte desselben böfrifft
und acut (in 1—2 Tagen) oder chronisch
(monatelang) verläuft. Der Darmkatarrh, wenn
er den ganzen Darm betrifft, ist stets mit mehr
oder weniger intensiven Durchfallen verbunden.
Die häufig und oft unter Tenesmus entleerten
Fäces sind mehr oder weniger dünnflüssig,
enthalten viel unverdaute Speisereste, Schleim,
Epithelzellen und Spaltpilze. Nur Katarrhe
des Duodenums und Mastdarms verlaufen ohne
Durchfalle. Verbunden mit den Durchfällen
sind laute Darmgeräusche (Borborygmi), zu¬
weilen vermehrter Durst und verminderter Ap¬
petit. Fieber fehlt meist oder ist nur unbe¬
deutend. Bei chronischen Darmkatarrhen er¬
folgt alsbald Abmagerung, Einfallen des Hinter¬
leibes und allgemeine Schwäche, die beson¬
ders bei Säuglingen häufig mit dem Tode
endet (s. Ruhr der Kälber, Lämmer und Fül¬
len). Der Harn beim Darmkatarrh reagirt
sauer und ist reich an Phosphaten. Bei Fort¬
pflanzung des Katarrhs vom Darm auf den
Gallenausführungsgang tritt ikterische Fär¬
bung der Gewebe ein. Intensive acute Darm¬
katarrhe sind auch mit Koliken verbunden
(s. Kolik). Bei der Section findet man die
Schleimhaut des Darms gleichmässig oder
fleckig und streifig geröthet, injicirt, mit
Ecchymosen bedeckt, bei chronischen Katarrhen
.pigmentirt, graubraun, schieferfarbig, ge¬
schwellt, verdickt, infiltrirt, die Darmzotten,
Follikel und Mesenterialdrüsen hyperämisch
geschwellt, das Epithel körnig getrübt, stellen¬
weise abgestossen, stellenweise auch flache Ero-
sionsgeschwürchen und polypöse Wucherungen.
Dünndarm meist leer, die Schleimhaut mit
gelbem Schleim bedeckt, im Dickdarm dünn-
breiiger Inhalt. Die Cadaver abgemagert,
anämisch. Die Ursachen des Darmkatarrhs
sind: Ueberladungen des Magens und Darms
mit unverdaulichen, schwerverdaulichen oder
reizenden, verdorbenen, verschimmelten oder
in saure Gälirung übergegangenen Futter¬
stoffen, Anhäufungen und Zersetzungen von
Fäces im Dickdarm, Gegenwart grösserer
Massen von Eingeweidewürmern (Ascariden,
Bandwürmern, Ankylostoma etc.), heftige
Erkältungen in erhitztem Zustande, Aufnahme
sehr grosser Mengen sehr kalten Wassers oder
gefrorener Futterstoffe, Verdauungsstörungen,
Anämien oder Circulationsstörungen und pas¬
sive Stauungen des Blutes im Darm, Miss¬
brauch von Abführmitteln bei fortdauernder
vermehrter Peristaltik. Zuweilen treten Darm¬
katarrhe seuchenartig auf und müssen miasma¬
tische Einflüsse angenommen werden (Ruhr
der Säuglinge). Ausserdem kommen Darm¬
katarrhe als Begleiterscheinung vieler fieber¬
hafter Allgemeinleiden und Lafectionskrank-
heiten vor, z. B. bei Influenza, Staupe,
Hundswuth, Maulseuche, Rinderpest, Rothlauf,
septischen Erkrankungen. Ein unvermittelter
schneller Uebergang von Trockenfutter zu
Grünfutter oder von Stallfütterung mit Winter¬
futter zu Weidegang mit üppigen Gräsern
führt häufig zu katarrhalischen Erkrankungen
des Darms mit Durchfällen. Säuglinge und
junge Thiere neigen mehr zu Darmkatarrhen
als Erwachsene.
Die Diagnose des Darmkatarrhs ist aus
dem meist immer vorhandenen Durchfall, den
mit dünnflüssigen Fäces beschmutzten Hin¬
terschenkeln und Schwanz, der Abmagerung
und Leere des Bauches etc. leicht zu stellen.
Die Prognose ist bei acuten Katarrhen
erwachsener kräftiger Thiere günstig, bei
chronischen Katarrhen bei heruntergekomme¬
nen geschwächten Thieren und bei Säuglingen
zweifelhaft oder ungünstig.
Die Cur kann bei Ueberladung des Ma¬
gens und Darms mit unverdaulichen oder
schädlichen Futterstoffen mit einem Abführ¬
mittel oder Brechmittel eingelcitet werden. Die
Diät muss von vomeherein geregelt werden,
und zwar dürfen die Patienten nur gutes,
leicht verdauliches Futter in kleinen Quanti¬
täten mit Zusatz kleiner Quantitäten aroma¬
tischer, bitterer und adstringirender Mittel
erhalten. Trinkwasser und Aufenthaltsort dür¬
fen nicht zu kalt sein. Rührt der Katarrh von
Aufnahme reizender Substanzen her, so wer¬
den Narcotica mit indifferenten schleimigen
Mitteln gegeben. Bei Erschlaffung des Darms
und profusen Durchfällen verbindet man die
Narcotica mit adstringirenden, bittern und aro¬
matischen Mitteln (Hyosciamus, Opium, Mor¬
phium, China, Tannin, Salicin, Colombo, Kino,
Catechu, Argent. nitr., Rhcum, Nux vomica,
Gentiana, Valeriana, Calmus). Bei verzögerten
DARMKRANKHEITEN. — DARMKREBS.
3ii
Entleerungen Abführmittel (Kalomel, Aloe,
Natrum sulfuricum, Rheum). Bei excessiver
Säurebildung im Magen und Darm Alkalien
(Natrum bicarbonicum, Magnesia usta). Hun¬
den und Schweinen gibt man Tannin, Katechu,
Vino Colombo, Argent. nitr. mit Opium und
Rhabarber. Lämmern, Kälbern und Füllen ge¬
kochte Milch, Rheum, Opium und Magnes.
carbonica. Bei Rindern hat sich auch Kali
chromicum mit Wermuth und Valeriana be¬
währt. Bei specifischen, durch Mikroorganismen
verursachten Darmkatarrhen werden Desinfi-
cientia, Lösungen von Carbolsäure, Ferrum
sulfuricum, Terpentinöl, Kalihypermanganicum,
Kreosot, empfohlen. Bei grosser Schwäche der
Patienten empfiehlt sich die Anwendung von
Spirituosen, Aether, Kampher. Bei heftigen
acuten Darmkatarrhen mit Koliken kann die
Cur durch Frottiren, reizende Einreibungen
oder Sinapismen an den Bauchdecken, warme
Bäder und warme Decken unterstützt werden.
Literatur: Pathologie Ton Röll, Spinola,
Anacker, Hering, Vatel, Lafosse, Benionetc. Sr.
Darmkrankheiten basiren auf anatomi¬
schen Veränderungen der den Darm con-
stituirenden Gewebe und geben sich durch
Störungen der Darmthätigkeit, hervorstechend
auch durch mehr oder weniger lebhaft ge-
äusserte Leibschmerzen (Kolikanfälle) zu er¬
kennen, weil die Darmhäute reich an sensitiven
Nerven sind. Die Nerven werden bei der ver¬
stärkten Peristaltik der Darmmuskulatur ge¬
reizt, die sich ungewöhnlich contrahirenden
Muskelfasern drücken die zwischen ihnen be¬
findlichen Nerven, was auch der Fall ist,
wenn entzündliche Exsudate in die Darmhäute
abgesetzt worden sind oder massenhaft an¬
gehäufte Futterstoffe den Darm belästigen.
Da der Darmcanal in directer Verbindung
mit dem Maule, dem Schlunde und dem
Magen steht, er auch an seinem Endpunkte,
dem After, mit der Aussenwelt communicirt
und beständig Nahrung in sich aufnimmt,
die mit mancherlei belästigenden, scharfen,
reizenden, giftigen und ätzenden Dingen ver¬
mischt sein kann, so gehören Erkrankungen
des Darms mit zu den häufigsten, sie üben
stets einen Rückschlag auf die Fresslust, die
Verdauung, die Beschaffenheit der Fäces und
den Modus der Kothentleerungen aus, weshalb
man sie vielfach als gastrische Leiden, also
als eigentliche Bauchleiden (yaorqp, Bauch,
Magen) bezeichnet, was umsomehr gerecht¬
fertigt ist, als die Darmkrankheiten bald den
Magen, die Leber, selbst das Bauchfell und
wohl auch die übrigen Organe der Bauch-
und Beckenhöhle in Mitleidenschaft ziehen
und umgekehrt. Die Darmkrankheiten ver¬
laufen in der Regel fieberhaft, nicht selten
veranlassen sie Gehirnreizungen, weil das in
seiner freien Circulation innerhalb der Bauch¬
höhle gehemmte Blut verstärkt zum Kopfe
und Gehirn hinströmt und das Gehirn in con-
sensuellem Connexe mit dem Darme steht.
Die Nahrung wirkt als Krankheitserreger
theils mechanisch durch den Druck ihrer
Massen, theils chemisch durch ihre Temperatur
und eigenartigen Bestandtheile auf den Darm
ein, nicht selten belästigen ihn Bacillen, ver¬
härtete Kothmassen, Steine und Concremente,
welche sich in seinem Innern gebildet haben,
oder Eingeweidewürmer, und verlegen den
Fäces den freien Durchgang. Letzteres ist
namentlich der Fall bei Lageveränderungen
des Darmcanals, zu welchen ihn seine be¬
trächtliche Länge und freie Beweglichkeit in
hohem Grade disponirt, seltener wohl auch
eine angeborene oder erworbene Verengerung
oder Erweiterung einzelner Partien des Darm¬
rohrs, beides Abnormitäten, die stets zu
Texturveränderungen der Darmhäute, zur
Hypertrophie oder Atrophie derselben führen.
Aehnlich verhalten sich Ausstülpungen der
Schleimhaut aus einem Risse der Muscularis
des Darmes oder aller drei Darmhäute, sog.
Divertikel. Unter den Lageveränderungen sind
Darmbrüche (Hernien), Einklemmungen ein¬
zelner Darmschlingen in natürlichen oder ab¬
normen Oeffnungen, Einschiebungen eines
Darmtheil8 in das Darmrohr (Invaginationen),
Verwicklungen und Verdrehungen einzelner
Darmabtheilungen um ihre eigene Axe und
Vorfälle des Mastdarms aus dem After oder
sonstiger Darmtheile aus durchdringenden
Bauchwunden zu nennen. Auch Neubildungen
am und im Darm werden zu Ursachen von
Darmkrankheiten, z. B. Lipome, Sarcome, Car-
cinome, Tuberkel etc., öfter noch jähe Ab¬
kühlungen des vorher erhitzten Körpers. Darm¬
katarrh, Darmentzündung, Darmbrand, Ver¬
stopfung des Leibes, Durchfall, Ruhr, Lienterie,
Dysenterie, Aufblähung, Zerreissungen und
Verwundungen der Darrahäute und verschiedene
Degenerationen derselben repräsentiren die
häufigsten Folgen der genannten Ursachen.
Fast alle Infectionskrankheiten compliciren
sich mit entzündlichen Vorgängen innerhalb
des Darmcanals, auch bei der Urämie reizt
der auf die Darmschleimhaut sich abla¬
gernde Harnstoff den Darm in entzündlicher
Weise. Anacker.
Darmkrebs, Danncarcinom, kommt unter
allen Hausthieren am häufigsten bei Hunden
im Mastdarm vor. Bei anderen Hausthieren
und an anderen Darmtheilen ist der Krebs
sehr selten. Der Darmkrebs der Hunde gehört
zur Gruppe des Pflasterepithelkrebses und be¬
ginnt meist seine Entwicklung am After, von
wo aus er sich auf die innern Theile des
Darms fortpflanzt. Seltener kommen ring¬
förmige oder wandständige Cylinderepithel-
krebse unter der Form von Zottenkrebs, Scir-
rhus, Markschwamm, Gallert- oder Alveolarkrebs
von den Darmdrüsen ausgehend, am Dünn¬
darm vor. Die Darmkrebse bilden meist flache
um sich greifende Geschwülste und führen zu
Stenosen, Stricturen, Verstopfungen mit Er¬
weiterungen vor den verengten Stellen, Ent¬
artungen und Verdickungen der Darmwand,
Ulcerationen, Perforationen, Verwachsungen
des Darmes mit benachbarten Organen, Fistel-
bildungen(Mastdarm-Scheidenfisteln,Mastdarm-
Blasenfisteln etc.) und machen Metastasen an
den nächsten Lymphdrüsen. Die Cur besteht
in zeitiger operativer Entfernung der Krebse
(s. Krebs). Scmmer.
312 DARMNAHT.
Darmnaht. Behufs Vereinigung der Tren¬
nung des Zusammenhanges imDarmrohre wurden
viele mitunter complicirte Methoden ersonnen,
die in der vorantiseptischen Zeit sicherlich einen
gewissen Werth hatten, gegenwärtig aber
kaum je mehr geübt werden, da uns jetzt
Nähmateriale zur Verfügung steht, welches
wir in der Bauchhöhle zurücklassen können,
ohne uns fürchten zu müssen, dass durch
dasselbe Eiterungsprocesse, Peritonitis etc. er¬
zeugt werden. Ich führe darum auch im Fol¬
genden blos die am häufigsten geübten und
am leichtesten ausführbaren Methoden an. Mag
man für welche Naht immer sich entschlossen,
nie darf man vergessen, dass die serösen Flä¬
chen des Darmrohres mit einander in Berührung
gebracht werden müssen, wenn man eine
adhäsive Entzündung erreichen will, und dass
weiters die Nähte mit der peinlichsten Sorg¬
falt und so dicht als möglich anzulegen sind.
Bei kleinen Quer- und bei Längswunden
überhaupt wird die Naht von Jobert oder
von Lembert angelegt.
Nach Jobert werden die Ränder der sorg-
fältigst gereinigten und desinficirten Wunde I
nach innen in das Darmrohr hinein umge¬
schlagen und durch dicht stehende Nähte ver¬
einigt. Man durchsticht hiebei jede Wundlefze
zweimal, einmal in einiger Entfernung von
dem Wundende und dann nahe demselben
(Fig. 419). Durch diese Naht werden hier als 0
Fig. 419. Darmnaht.
alle Darmhäute gefasst (Fig. 420). Hierin be¬
steht der Unterschied zwischen der Jobert-
schen Methode und der von Lembert, welcher
nur die Serosa und Muscularis des Darmes
durchsticht, die Schleimhaut aber ganz unbe¬
rührt lässt (Fig. 421). Werden dann bei beiden
Fig. 480. Darmnaht nach Fig. 421. Darmnaht nach
Jobert. Lembert.
Arten die durch gezogenen Fäden geknüpft, so
bildet sich eine nach innen in das Dannrohr
vorspringende Leiste, es berühren sich dann
die beiden serösen Flächen des Darmes und
DARMPECH.
können durch eine adhäsive Entzündung mit
einander verschmelzen. Die Fadenetoden wer
den kurz abgeschnitten.
Auch bei vollständigen queren Trennungen
des Darmes ist die Naht nach Jobert die vor¬
teilhafteste. Sie wird in folgender Weise aus¬
geführt : Zuerst wird das Mesenterium auf
einige Entfernung vom Wundrande abgelöst
und die hiebei entstehende Blutung durch Un¬
terbindung gestillt, dann wird das obere
Darmrohr in das untere, dessen Rand man
Fig. 422. Darmnaht nach Jobert.
nach rückwärts umgestülpt hat, invaginirt
und durch die Nähte, wie Fig. 422 zeigt,
befestigt, so dass sich auch hier die beiden
serösen Blätter berühren. Bayer.
Darmpech. Das Darmpech (Meconium)
besteht vorzugsweise aus theilweise zersetzten
Gallenbestandtheilen, hauptsächlich Gallen¬
stoff und Darmepithelien, ist von grünlich¬
gelber Färbung und von zäher, schmieriger
Beschaffenheit. Der ganze Dickdarm des
Jungen ist damit angefüllt, während der
Dünndarm nur eine geringe Menge einer
dünnen, schleimigen, gelblichen Masse ent¬
hält. Das Darmpech wird vom Jungen kurze
Zeit nach der Geburt und nur unter anor¬
malen Verhältnissen schon vor oder während
der Geburt abgesetzt. Letzteres ist bei im
höheren Grade asphyktischen Früchten der
Fall. Die Factoren dieser normalen Aus¬
scheidung sind bisher nicht sicher bekannt.
Franck meint, es sei wahrscheinlich, dass
die durch die Athmung veranlasste Ausdeh¬
nung der Lungen und die dadurch hervor-
erufene Erweiterung der Brusthöhle sowie
as Rückwärts drängen des Zwerchfelles, wo¬
durch in Folge des auf die Baucheingeweide
ausgeübten Druckes eine vermehrte Darm¬
peristaltik herbeigeführt werde, die Ursachen
dieser Darmpechausscheidung seien. Es
scheint aber namentlich die Aufnahme der
Kolostrummilch durch den Reiz, den sie auf
Magen und Darmcanal ausübt. die Darm¬
peristaltik zu bethätigen und das Absetzen
des Darmpeches zu veranlassen. Sehr schwäch¬
liche Junge, besonders Fohlen, vermögen oft
das Darmpech nicht abzusetzen. Solche Thiore
drängen, krümmen den Rücken, saugen we¬
nig, liegen viel, zeigen schwache Bauch¬
schmerzen und können, wenn nicht zweck¬
mässige Hilfe gebracht wird, zu Grunde ge¬
hen. Die Behandlung dieses Zustandes ist
eine einfache. Man setzt den Thieren Oel-
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DARMPERFORATIONEN. — DARMSAITEN.
oder Seifenklystiere nnd entfernt mit Vor¬
theil den Torliegenden Koth vorsichtig mit
einem gut eingeölten Finger. In einzelnen
Fällen ist ein leichtes Abführmittel erfor¬
derlich und eignet sich als solches am besten
das Ricinusöl. Strebei.
Darmperforationen kommen meist in
Folge tuberculöser, rotziger und typhöser
Geschwürsbildungen und durch verschluckte
unlösliche oder unverdaute spitze oder scharfe*
Körper zu Stande, seltener durch krebsige
Zerstörungen und durch Kothstauungen und
rauhe Steine in erweiterten Darraposchen
und Divertikeln. Die Perforationen erfolgen
vorzugsweise von innen nach aussen durch
langsame geschwürige Zerstörung, wobei meist
eine Verwachsung der geschwürig afficirten
Darmtheile unter einander mit benachbarten
Organen (Scheide, Blase) oder mit der Bauch¬
wand eintritt. Beim Durchbruch nach Ver¬
wachsung mit der Bauchwand erfolgen Koth-
fisteln nach aussen. Beim Durchbruche in die
Scheide Mastdarmscheidenfisteln, beim Durch¬
bruche eines Darmes in einen mit ihm ver¬
wachsenen nebenanliegenden andern Darm
eine Fistula bimucosa. Beim raschen Durch¬
bruche, bevor es zu Verwachsungen kommt,
wie das zuweilen bei typhösen Infiltrationen
mit brandigem Absterben im Dickdarm der
Pferde, bei Aufnahme spitzer scharfer Körper,
Knochensplitter etc. (bei Hunden) und beim
Zurftckbringen in Vorfällen und incarcerirten
Brüchen abgestorbener Darmportionen der
Fall ist, erfolgt Kothaustritt in die Bauch¬
höhle und tödtliche Peritonitis. Ausser Per¬
forationen von innen nach aussen kommen
auch solche von aussen nach innen vor bei
Verwachsungen des Darms mit Abscessen in
der Leber, Milz, Niere, der Bauchwand, wobei
sich die Abscesse von aussen nach innen in den
Darm hinein öffnen. Dasselbe gilt vom Durch¬
bruch eines Darmgeschwürs in einen neben¬
anliegenden verwachsenen Darm. Magen¬
geschwüre bei Pferden öffnen sich zuweilen
in die Leber und von der Leber in den mit
ihr verwachsenen Dickdarm. Communicationen
der verwachsenen Därme unter sich sowie
Kothfisteln an der Bauchwand und Mastdarm¬
scheidenfisteln sind nicht lebensgefährlich.
Kothfisteln können aberbei Rindern, Schweinen
und Hunden operativ beseitigt werden, indem
man das perforirte, mit der Bauchwand ver¬
wachsene Darmstück ausschneidet und die
durchschnittenen Darraenden nach den Vor¬
schriften der Darmnaht mit einander ver¬
näht. Semmer.
Darmplatte. Die Elemente der Urwirbel
wuchern in den Raum zwischen das innere
Keimblatt und die Darmfaserplatte. Diese gibt
hier das Substrat für sämmthche Gewebe der
Darmwand mit Ausnahme des Epithels des
Peritonäums und des auskleidenden Epithels
der Darmwand. Diese Zellenmasse bildet die
Darmplatte. Schenk.
Darmpolypen, Ausstülpungen und ge¬
stielte Wucherungen der Dannschleimhaut und
ihrer Drüsen, entwickeln sich am häufigsten
bei Pferden und Hunden im Duodenum und
313
Rectum in Folge chronischer Katarrhe, sie
sind meist klein und weich und veranlassen
wenig Beschwerden. Grössere Polypen im Mast¬
darm hindern den Mistabsatz und geben zu¬
weilen Anlass zu Mastdarmvorfällen. Dieselben
können leicht operativ entfernt werden. Sr.
Darmrisse. Rupturen des Darms kommen
meist in Folge übermässiger Ausdehnung
durch Futterstoffe (Ucberfütterungen) und ex-
cessiver Gasentwicklung im Darm (bei Auf¬
nahme frischer Cerealien, frischen Klees etc.)
oder bei den Ueberfütterungs- und Wind¬
koliken zu Stande, wenn die Patienten dabei
niederfallen und sich wälzen oder von Horn-
stössen oder Hufschlägen getroffen oder auch
ungeschickt geworfen werden. Bei Rupturen
des Darms dringen Gase und Darminhalt in
die Bauchhöhle und veranlassen acute tödtliche
Peritonitis. Unter Zunahme der Kolikerschei¬
nungen, Ausbruch kalten Schweisses, kleinem
frequentem, fadenförmigem, kaum fühlbarem
Puls erfolgt oft der Tod schon einige Stunden
nach der Darmberstung, noch bevor die Peri¬
tonitis einen höheren Grad erreicht hat. Hier
muss eine Vergiftung des Blutes mit den
ausströmenden Darmgasen und dem Darm-
inhalt angenommen werden, die von der Peri¬
tonealfläche aus schnell resorbirt werden. Sr.
Darmsaft, eine gemeinschaftliche Be¬
zeichnung der Secrete der Brunner’schen und
Lieberkühn’schen Drüsen (s. Verdauung).
Darmsaiten werden von den Darmsaiten¬
machern oder in besonderen Fabriken zum
Beziehen der Geigeninstrumente, Claviere,
Harfen, Guitarren etc. aus den dünnsten und
elastisehesten Gedärmen der Lämmer, junger
Gemsen, Rehe, Ziegen und Katzen durch Zu¬
sammendrehen mittelst des Darmhaspels und
Seilerrades verfertigt. Die Zurichtung zu die¬
sem Zwecke ist sehr mühsam.* Zu den feinsten
Violinsaiten (Quinten) werden drei, zu den
stärksten (Quarten) sieben, zu den gröbsten
Basssaiten 120 Därme genommen. Als erstes
Erforderniss wird von einer guten Darm¬
saite verlangt: vollkommene Gleichheit
der Stärke in ihrer ganzen Länge, welche
aber durch sorgfältiges Gespinnst, nicht durch
Glättung mittelst Bimsstein hergestellt sein
darf. Die besten Darmsaiten, gewöhnlich ro¬
manische Saiten genannt, liefert Italien,
namentlich Neapel. In Deutschland werden
in verschiedenen Städten, besonders in Bayern,
im sächsischen Voigtlande, in Hanau, Offen¬
bach ; in Oesterreich in Wien, Schönbach und
Prag gute und viele Darmsaiten verfertigt,
die zwar den besten italienischen nachstehen,
die französischen dagegen übertreffen. Aus
den Schafdärmen werden ferner antiseptische
Fäden oder Stränge (s. Catgut) zum Unter¬
binden der Blutgefässe und zum Heften der
blutigen Nähte verfertigt, die eigens dazu
präparirt werden. Auch zu den Darmsaiten¬
hygrometern werden sie verwendet, um die
Feuchtigkeit der Luft zu messen.
Zur Wurstfabrication werden die Ge¬
därme der verschiedensten Thiere. insbeson-
dere jedoch jene der Schafe, Ziegen und Schweine
verwendet, nachdem sie vorher getrocknet
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314
DARMSCHERE. — DARMSTICH.
und gesalzen im eingerollten Zustande als
sog. Saitlinge in den Handel kommen und
einen bedeutenden Handelsartikel bilden. Die
deutschen und französischen Schweine- bo-
wie die rassischen Schafsaitlinge sind sehr
gesucht. Ableitner.
Darmschere, s. Scheren.
Darmateine, Calculi intestinales, Entero-
lithi (von Ivxepov, Darm, und Stein),
kommen im Darm aller Hausthiere, am häu¬
figsten aber im Dickdarra von Pferden vor,
die viel Kleie geniessen (bei Müllerpferden).
Die Darmsteine haben eine sehr verschiedene
Gestalt, meist sind sie sphärisch, seltener
oval, eckig oder pyramidenförmig, ihre Farbe
ist mattweiss oder grau, bläulich, gelblich,
bräunlich oder röthlich; sie sind meist sehr
hart, schwer, compact, von geschichtetem,
zwiebelschalen artigem GefQge, das auf perioden¬
weises Wachsthum mit Intervallen hindeutet.
Meist findet man im Centrum der Steine
einen Kern, bestehend aus einem Steinchen,
Metallstückchen, Leder- oder Holzstückchen
oder auch eine kleine Höhle, die auf einen
unter gegangenen organischen Kern hindeutet.
Die Anzahl der Darmsteine bei einem und dem¬
selben Thier ist eine sehr schwankende, meist
finden sich nur wenige Steine; Zündel citirt
einen Fall, wo 400, Gurlt einen, wo mehr als
1000 Darmsteine bei einem Pferde gefunden
wurden. Ebenso variirt die Grösse der Darm¬
steine. Einige von ihnen erreichen über Kopf¬
grösse und ein Gewicht von 12 kg. Die che¬
mischen Bestandtheile der Darmsteine sind:
Phosphorsaure Ammoniak-Magnesia 70—95 %,
Kieselsäure, phosphorsaurer und kohlensaurer
Kalk, Chlornatrium, Chlorkalium, schwefel¬
saures Kali, Eisen, organische Substanzen.
Da die Oberfläche der Darmsteine meist glatt
ist, so verursachen die grösstentheils in erwei¬
terten Darmposchen eingelagerten Steine keine
besonderen Beschwerden. Nur sehr grosse
rauhe Steine, besonders wenn sie die er¬
weiterten Stellen verlassen, rufen Verstopfun¬
gen und Koliken hervor. Sehr schwere grosse
Steine verursachen wohl auch Darmentzün¬
dungen, Darmbrand, Darmzerreissungen, hef¬
tige Koliken mit tödtlicher Peritonitis.
Die Behandlung der Darmsteine besteht
in Anwendung von Abführmitteln, Heraus¬
befördern der Steine durch den Mastdarm
mit der Haud, falls sie von dort aus zu er¬
reichen sind, oder man schiebt grosse Steine
in die erweiterten Poschen, die sie etwa ver¬
lassen haben, wieder zurück, weil sie dort
weniger Beschwerden verursachen. Zuweilen
trifft man im Dickdarra der Pferde incrustirte
steinähnliche Haar- und Futterballen an, die
sich ähnlich wie Steine verhalten. Semmer.
Darmstich. Das Anstechen eines Darmes
mittelst eines Troikarts wird zu dem Zwecke
unternommen, um die in grosser Menge im
Darme angesammelten Gase rasch zu entleeren
und auf diese Weise die nachtheiligen Folgen
der Auftreibung des Darmes und der Gasan¬
häufung in demselben entweder vollständig zu
beseitigen oder doch zu mindern. Dass der
Darmstich keinen Einfluss ausübt auf ein etwa
vorhandenes schweres Darmleiden, von dem
die Auftreibung ein Symptom bildet, ist wohl
selbstverständlich. Die Operation wird am
stehenden oder liegenden Pferde vorgenom¬
men, doch wird man • sich hüten, das Thier
zu werfen, da beim Falle leicht eine Berstung
der ohnehin stark gespannten Darmwandungen
eintreten könnte. Es genügt in der Regel, die
Bremse aufzulegen und einen Fuss aufhalten
zu lassen. Die Einstichstelle ist gewöhnlich
in der rechten Flankengegend, ungefähr in der
Mitte einer Linie, die man sich vom äussern
Darmbeinwinkel auf die letzten Rippen hin¬
gezogen denkt. Wenngleich die Stellen genau
bekannt sind, an denen man eingehen müsste,
um den Blinddarm, die verschiedenen Lagen
des Grimmdarms etc. zu treffen, so hat dies
doch in praktischer Beziehung wenig Werth,
da es einerseits schwer möglich ist, bei einer
Auftreibung sicher zu bestimmen, welcher Theil
des Darmes gerade ausgedehnt ist, andererseits
aber auch die Lage der Eingeweide eben durch
diese Aufblähung oder durch ihre Ursache
wesentlich alterirt wird. Man wählt daher am
zweck massigsten jene Stelle in der Flanke, an
welcher die stärkste Hervortreibung bemerkbar
ist. Von Manchen wird auch diePunction vom
Mastdarme aus empfohlen, doch scheint diese
Methode nur für ganz besondere Fälle em-
pfehlenswerth.
Der Darmtroikart wird an der betreffen¬
den Stelle senkrecht auf die Haut aufgesetzt
und mittelst eines schnellen und kräftigen
Druckes durch die Bauchdecken hindurch in
das Darmlumen hineingestossen, u. zw. in der
Richtung, als wollte man am hintern Brust¬
beinende wieder ausstechen. Gebraucht man
einen zweischneidigen Troikart, so sollen die
Flächen des plattgedrückten Instrumentes seit¬
lich stehen oder noch besser, wie es Hering an¬
gibt, der Richtung der Fasern des äusseren
schiefen Bauchmuskels entsprechen. Nur bei
besonders dicker Haut dürfte es nothwendig
werden, zuvor mit einem Spitzbistouri oder
einer Lanzette einen Einstich durch die Haut
zu machen, um das Eindringen des Troikarts
zu erleichtern.
Nach Entfernung des Stilets lässt man
die Gase durch die Canule ausströmen, wobei
man die Vorsicht gebrauchen kann, das Aus¬
strömen zeitweilig zu unterbrechen, um den
Nachtheilen einer allzuraschen Circulations-
veränderung vorzubeugen. Sollten in die Ca¬
nule ein gedrungene Fäcalstoffe das Lumen
derselben verlegen, so müssten dieselben durch
eine Sonde entfernt werden. Ist der Hinterleib
zusammengefallen, so wird die Canule entfernt.
Es ist gut, wenn man zuvor das Stilet wieder
einführt, insbesondere bei gefensterten Canulen,
um ein Austreten von Fäcalstoffen durch das
Fenster in die Bauchhöhle unmöglich zu
machen. Ebenso ist es unerlässlich, dass man
beim Ausziehen des Troikarts mit den Fin¬
gern der andern Hand an der Einstichstelle
einen Gegendruck ausübt. Sollte bei dem
Thiere eine neuerliche Auftreibung den Darm¬
stich indiciren, so müsste der Einstich etwas
entfernt von der früheren Stelle, oder wenn
DARMTROIKART. — DARMVORLAGERUNGEN.
315
thunlich, auf der anderen Seite vorgenommen
werden.
Eine Nachbehandlung ist nicht nöthig,
wenn man die Vorsicht gebraucht, die Haut
an der Operationsstelle etwas zu verschieben,
so dass die minimale Verletzung eigentlich
eine subcutane ist. Ein Austritt von Darm-
inhalt in die Bauchhöhle durch die Punctions-
Öffnung ist nicht zu fürchten, da nach Ent¬
leerung der Gase der Darm sich zusammen -
zieht und es selbst am Cadaver nur schwer
oder gar nicht möglich ist, die Einstdchstelle
im Darm zu linden. Nur in seltenen Fällen,
vielleicht in Folge unreiner Instrumente, der
Infection durch Fäcalstoffe, durch wiederholtes
Einstechen an derselben Stolle kommt es zur
Abscessbildung an der Operationsstelle. Ein
Verfehlen des Darms ist nur möglich, wenn
man den Troikart nicht senkrecht, sondern
schief aufsetzt, wobei insbesondere ein etwas
stumpfes Stilet an der Darm Wölbung leicht ab-
gleitet. Verletzungen grosser Arterien gehören
zu den Seltenheiten. Bayer.
Darmtroikart. Man gebraucht entweder
cylindrische oder plattgedrückte, zweischnei¬
dige, federnde Troikarts. Die Länge derselben
beträgt 20 cm, wovon 4—5 cm auf den Griff
entfallen. Das zweischneidige Stilet ist 5 mm
breit, 3 mm dick. Der cylindri¬
sche Troikart hat 4 mm Durch¬
messer. Die Canule ist an
ihrem vorderen Ende federnd
(Fig. 423) und besitzt manch¬
mal, aber ganz unnöthiger-
und unzweckmässigerweise seit¬
liche ovale Fenster; an dem
hinteren Ende befindet sich eine
ovale Platte. Als Vortheil des
zweischneidigen plattgedrück¬
ten Troikarts wird das leich¬
tere Eindringen desselben her¬
vorgehoben, doch ist nicht zu
vergessen, dass mit demselben
leichter Gefasse verletzt werden
können. Der runde Troikart
drängt die Gewebe mehr aus¬
einander, die Canule desselben
verstopft sich auch nicht so
leicht als die des flachen. Das
Enterotom von Brogniez, bei
welchem durch einen etwas com-
plicirten Mechanismus eigene
Klappen die Darmwandung an
die Bauchwandung andrücken
und das nebenbei in Folge
seiner Zusammensetzung aus
zweierlei Metall eine galvani¬
sche Wirkung (?) auf den Darm ausüben
soll, hat nur historischen Werth. Bayer.
Darmverengerungen, Darmstenosen, En-
terostenosis, werden veranlasst durch An¬
häufungen harter fester Kothmassen (Kopro-
stais), durch Darmsteine und Parasiten, ver¬
schluckte fremde, unverdauliche und unlös¬
liche Körper, durch Narbenstricturen nach
verheilten Darmgeschwüren (katarrhalischen,
tuberculösen, typhösen und Rotzgeschwüren),
durch Hypertrophien und Verdickungen der
JL
Fig. 423. Darm-
troikart.
Dannwand, Neubildungen (Sarcome, Krebse,
Lipome, Fibrome etc.) im Darm, an der Dann¬
wand, im Gekröse oder andern benachbarten
Organen, durch Lageveränderungen, innere
und äussere Brüche, Aiendrehungen, Inva-
ginationen, krampfhafte Contractur der Darm¬
muskulatur. Die Verengerungen des Darm¬
lumens sind stets verbunden mit gehinderter
Fortbewegung des Darminhaltes, hartnäckigen
Verstopfungen, periodenweisen Kolikanfällen,
die nur energischen, drastischen Abführmitteln
weichen. Gehen die Darmverengerungen in
vollständigen Verschluss des Darmlumens über
(durch Neubildungen, Aiendrehungen, Inva-
ginationen, Verschlingungen, Incarcerationen,
verschluckte Korke bei Hunden etc.), so erfol¬
gen heftige Koliken, Auftreibungen, unheilbare
Verstopfungen, heftiges Erbrechen undderTod
in kurzer Zeit, ein Zustand, der mit dem
Namen Ileus (von etXetv, verschliessen), Passiv
iliaca, Chordapsus(von x°P^» Darm, undfiTcto»,
festhalten), Miserere, bezeichnet wird und bei
Hunden und Schweinen mit Kothbrechen ver¬
bunden ist. Die Prognose bei Darmveren¬
gerungen und Verschliessungen hängt davon
ab, ob dieselben zu beseitigen sind oder nicht.
Die Behandlung besteht in Beseitigung
der Ursachen. Bei einfachen Verengerungen
und Kothstauungen sind häufige energische
Abführmittel, verbunden mit schleimigen und
öligen Mitteln und schleimigen Klystieren
anzuwenden. Die Patienten dürfen nur weiches,
wenig voluminöses Futter erhalten, wie Mehl¬
tränke, Kleie, Hafer, Milch etc., verbunden
mit gelinden Abführmitteln. Brüche sowohl,
als Neubildungen und Steine im Mastdarm
sind operativ zu beseitigen. Absoluter Ver¬
schluss des Darmes ausserhalb des Mastdarmes
ist bei Pferden, wenn die Ursachen in der
Bauchhöhle selbst liegen, absolut tödtlich. Bei
andern Hausthieren kann durch Laparotomie
und Enterotomie sowie Herausschneiden eines
eingekeilten fremden Körpers, Lösung von Ver¬
schlingungen, Invaginationen, Extirpationen
von Neubildungen, Ausschneiden eines veren¬
gerten oder verschlossenen Darmstückes etc.
Heilung erzielt werden, wenn bei der Ope¬
ration das vorgeschriebene antiseptische Ver¬
fahren eingeschlagen und Peritonitis vermie¬
den wird. Semmer.
Darmverwicklung, Darmverschlingung
kommt zu Stande, wenn nach Zerreissungen
des Gekröses sich eine Darmportion um eine
andere herumschlingt und dieselbe vollständig
einschnürt, oder wenn eine gestielte Neubil¬
dung durch einen Riss im Gekröse sich um
eine Dünndarmportion herumschlingt und einen
festen Knoten bildet. Derartige Darmver¬
schlingungen und Einschnürungen kommen
bei Pferden (häufig durch gestielte Lipome
am Darm) nicht selten vor und führen unter
heftigen Koliken schnell zum Tode. Jegliche
Cur ist erfolglos, wo ein operativer Eingriff
nicht gemacht werden kann. Semmer.
Darmvorlagerungen, Austritt von Darra-
schlingen durch Risse in der Bauchmuskulatur
mit Ausstülpung des Bauchfells in das sub-
316 DARMWÜRMER.
cut&ne Bindegewebe in Form eines Sackes
(Bruchsack, s. Eingeweidebrüche). Semmer.
Darmwürmer. Im Darm lebende Platt-
Würmer, Platodes, Bandwürmer, Saugwürmer
and Rand Würmer, Anneliden, Nemathelmintes,
von denen jedes Hansthier mehrere Arten in
seinem Darm beherbergt (s. Eingeweide¬
würmer). Semmer .
Dürmwunden entstehen durch trauma¬
tische Einwirkungen, durch verschluckte
scharfe und spitze Körper von innen oder
durch Einwirkungen von aussen, durch Ge¬
schosse, Stiche, Hiebe, Hornstösse, Huf¬
schläge etc. mit oder ohne gleichzeitige Durch¬
trennungen der Bauchdecken. Die Darm¬
wunden zerfallen in durchdringende und ober¬
flächliche, je nachdem sie alle drei Darm¬
häute perforiren oder von innen nur die
Schleimhaut und von aussen nur die Serosa
and einen Theil der Muscularis durchtrennen.
Der Richtung nach theilt man die Darm¬
wunden in Längswunden, Querwunden und
schiefe Wunden.. Nach der Beschaffenheit des
verletzenden Körpers unterscheidet manSchuss-
wunden, Stichwunden, Schnittwunden, Quetsch¬
wunden und Darmzerreissungen. Kleine Stich¬
wunden und das Durchdringen kleiner Schrot¬
körner sind meist ohne Bedeutung und heilen
schnell per primam intentionem ohne Austritt
des Darminhalts und ohne Entzündung. Ebenso
sind ganz kleine Substanzverluste und kleine
glatte Querwunden (5 mm bei kleinen Haus¬
sieren bis zu i cm bei grossen) nicht ge¬
fährlich, weil solche Wunden schnell mit den
nebenanliegenden Darmportionen oder mit
der Bauchwand verkleben und verheilen, ohne
dass es zum Austritt des Inhaltes in die
Bauchhöhle kommt. Grössere Längswunden,
grosse Substanzverluste und vollständige Zer-
reissungen des Darms haben aber stets Aus¬
tritt des Inhaltes in die Bauchhöhle, Peri¬
tonitis oder wenigstens bleibende Verwach¬
sungen und Fistelbildungen (Anus praeter¬
naturalis, Fistula stercoralis) zur Folge. Die
Diagnose der Darmwunden ist bei gleich¬
zeitigen Vorfällen des Darms leicht zu stellen.
Zerreissungen des Darms kommen häufig erst
nach dem Vorfall zu Stande, indem die
Thiere mit den Füssen nach dem vorgefallenen
Darm schlagen, mit dem Fuss in einer Darm¬
schlinge hängen bleiben und dieselbe durch-
reissen. Die Diagnose der Darmwunden ohne
Vorfälle ist schon schwieriger. Bei gleich¬
zeitig vorhandenen Bauchwunden fliesst aus
denselben Darminhalt aus, was dann mit
Sicherheit auf eine Darmverletzung hindeutet.
Fehlen Bauchwunden oder befinden sich die¬
selben sehr weit nach oben, so lässt sich die
Darmverletzung annähernd aus der bald ein¬
tretenden Peritonitis diagnosticiren, wenn
derselben ein Hornstoss oder Schlag mit dem
Huf vorausgegangen. Grössere Darmwunden
ohne Vorfälle bei Pferden sind meist tödtlich.
Wunden an vorgefallenen Darmportionen und
grössere Darmwunden bei Rindern, Schweinen,
Hunden können durch Anlegen der Dannnaht
geheilt werden (s. d.). Nach dem Anlegen der
Darmnaht und Zurückbringen des Darms in
— DARRSUCHT.
die Bauchhöhle und Vernähen der Bauch¬
wunde wendet man kalte Umschläge um den
Bauch an, lässt die Patienten einige Tage
fasten und gibt ihnen noch einige Zeit hin¬
durch leicht verdauliches, wenig voluminöses
Futter. Semmer.
Darmzotten, s. Darm, Histologie.
Darreau’üCher Haken ist ein langer ge¬
burtshilflicher Haken. Der Haken ist nicht
gekrümmt, sondern ist unter einem spitzen
Winkel vom Stiele abgebogen. Er ist nicht
besonders praktisch. Strebei.
Darreau’acher Retroverseur ist ein com-
plicirtes und umständliches geburtshilfliches
Instrument, das nur in jenen Fällen von
Uterus Verdrehungen an gewendet werden kann,
wo man noch zum Jungen gelangen kann,
d. h. bei Viertels-, Drittels- oder halben
Drehungen. Das Instrument ist völlig ent¬
behrlich. Strebe/.
Darreau’aoher Schllngenleiter ist ein
sehr wenig gebräuchliches geburtshilfliches
Instrument und steht dem Thomas’schen
Schlingenftthrer in praktischer Beziehung
weit nach (s. geburtshilfliches Instrumenta¬
rium). Strebei.
Darrmalz als Futtermittel. Gedörrtes,
resp. entkeimtes Gerstenmalz, wie dasselbe
zum Bierbrauen Verwendung findet. Es enthält :
90 *0—95'8 im Mittel 92’5 % Trockensubstanz
8’8—10*0 „ „ 9*4 „ stickstoffhaltige Stoffe
2*2— 2’5 „ M 2*35 „ Rohfett
60 * 7—73*7 * „ 69’7 „ stickstofffreie Extractstoffe
8 0— 9 ö „ „ 8’7 „ Holzfaser
— — „ „ 2’3 „ Asche.
Es würde wegen seiner Zusammensetzung
zu den am leichtesten verdaulichen Kraftfutter-
stoffen gehören, ist aber gewöhnlich zu kost¬
spielig, um verfüttert zu werden. Pott.
Darr8U0ht oder Drüsenschwind¬
sucht, Scrofulosis, s. Tabes mesaraica
(Scrofula, abgeleitet von sus scrofa, das
Schwein, die verhärtete, geschwollene Drüse;
tabere, schwinden; p.»oapatov, Gekröse) be¬
steht ursprünglich in einer chronischen Ent¬
zündung und Verkäsung der Gekrösdrüsen
junger Thiere, zu der sich mit der Zeit eine
gleiche Erkrankung vieler anderer Lymph-
drüsen, besonders der Kehlgangs-, Hals-,
Bronchial-, Achsel- und Leistendrüsen hinzu¬
gesellt; 9ie verläuft unter den Erscheinungen
einer allgemeinen Abmagerung. Das Wort
„Scrofel“ ist, wie schon angedeutet, vom
Schweine hergeleitet worden, sei es, weil
dasselbe zu Drüsenleiden sehr disponirt, sei
es, da^ß der durch Drüsenschwellung ver¬
dickte Hals dem Halse des Schweines ähnelt.
Von mehreren älteren Pathologen, z. B. Funke,
Spinola, den Franzosen Martin, Grancher,
Charcot, Brissaud, wurden Scrofulose und Tu-
berculose identificirt, Erdt und Ravitsch
hielten den Pferderotz für eine Form der
Scrofulose, weil die regressiven Metamor¬
phosen der Scrofel und des Tuberkels inso¬
weit übereinstimmen, als sie häufig zur Ver¬
käsung führen; die Verkäsung selbst wurde
als eine Tuberculisation, als ein specifischer
Tuberkelprocess angesehen. Heutigentages
wird Niemand dieser Ansicht huldigen, be-
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DARRSUCHT.
317
sonders seitdem als charakterisirendes Merk¬
mal des Tuberkels eigenartige Bacillen ge¬
funden wurden, die der Scrofel fehlen. Die
Scrofulose nimmt regelmässig den Ausgang in
Verkäsung, sie ist eine constiiutionelle Krank¬
heit junger Thiere, die in ihrer körperlichen
Entwicklung begriffen sind. Bei ihr tritt von
Anfang an ein auf grössere Körperregionen
ausgebreitetes Drüsenleiden in den Vorder¬
grund. Die Drüsen Schwellung beruht auf einer
hyperplastischen Vermehrung der zeitigen
Elemente, diese liegen so massenhaft und
gedrängt bei einander, dass die Saftcirculation
stockt und der Stoffwechsel gestört ist, die
Zellen sterben ab und verkäsen. Wir finden
deshalb in der scrofulösen Drüse neben kleinen,
runden, häufig geschrumpften Zellen mit
mässig grossen Kernen eine Menge freier
Kerne und fettige und käsige Zerfallsmassen.
Der Zerfall ist kein so gleichmässiger und
umfangreicher wie bei der Tuberculose, er
beschränkt sich auf mehr vereinzelte, ab¬
gegrenzte Stellen in der Form von käsigen
Punkten. Die Scrofel bietet auf ihrer Durch¬
schnittsfläche ein gleichmässig weiss- oder
grauröthliches, seltener dunkel rothbraunes,
markiges Ansehen dar, sie ist anfangs etwas
durchfeuchtet und fühlt sich dann weich,
später, wenn das interfollikuläre Bindegewebe
hypertrophisch geworden ist, fleischig oder
sehnenartig an. Später treten in der Geschwulst
vereinzelte, weissgelbe, trockene Punkte auf,
die sich vergrössem und schliesslich eine
f elbliche Farbe und krümliche, gekochtem
iigelb ähnliche Beschaffenheit annehmen;
in die Käsemasse lagern sich gern Kalksalze
ein, seltener erweicht sie zu einem trüben,
molkigen Eiter, der nach seinem Durchbruch
das Bcrofulöse Geschwür darstellt. Bei
Hunden können die gänseei- bis wallnuss¬
grossen Gekrösdrüsen zu einer gelatinösen
Masse degeneriren. In den kranken Drüsen
sieht man öfter nur noch Gefässe und mit
Lymphzellen erfüllte Maschenräume. Die hu¬
moral-pathologische Schule sah einen sauren
Chylus und eine Hyperalbuminose der Lymphe,
eine sog. lymphatische Dyskrasie als Ursache
der Drüsenschwellung an, die neueren For¬
schungen haben erwiesen, dass die Drüsen
im Bereiche solcher Lymphgefässe erkranken,
die von entzündeten Stellen der Haut oder
der Schleimhaut herkommen und den Drüsen
Entzündungsproducte zuführen. In der Darr¬
sucht ist primär die Darmschleimhaut katar¬
rhalisch afficirt, secundär werden die Gekrös¬
drüsen in Mitleidenschaft gezogen, die ge¬
reizten Drüsen führen dem Blute viele zellige
Elemente zu, so dass erst später das Blut
eine Mischungsveränderung, namentlich eine
Einbusse an Eiweisskörpern erleidet, u. zw.
umsomehr, wenn die Lymphdrüsen anderer
Körperregionen ebenfalls erkranken; es stellen
sich allgemeine Ernährungsstörungen, schliess¬
lich Kachexie ein. Ein Thier neigt mehr zur
Scrofulose als das andere, weshalb man bei
ihm von einer lymphatischen Constitution
spricht. Virchow (die krankhaften Geschwülste)
sucht sie in einer reichlichen Entwicklung des
lymphatischen Systems und in einer mangel-»
haften Einrichtung einzelner Körperregionen,
insbesondere ihrer lymphatischen Organe.
Diese Constitution ist meistens angeboren,
seltener erworben, wir treffen sie vorzüglich
im jugendlichen Alter an, am häufigsten bei
Füllen und Ferkeln, aber auch bei Kälbern,
Lämmern, Hunden, Katzen, Affen und Raub-
thieren. Katarrhe, rheumatische Leiden oder
Periostitis gehen dem Ausbruche der Darr¬
sucht voraus, sie fachen die lymphatische
Constitution zur Erkrankung des Drüsen¬
apparates an, es müssen deshalb Erkältungen
und diätetische Schädlichkeiten ganz besonders
als Gelegenheitsursachen angesehen werden.
Bei den Säuglingen hat man die Ursache oft
in zu fetter Muttermilch gefunden, deren Ge¬
halt an Aschenbestandtheilen ein geringer ist;
da dergleichen Milch schwer verdaulich ist,
so hat sie bald Verdauungsstörungen und
Darmkatarrh im Gefolge. Variable, nasskalte,
rauhe Witterung hat auf die Entstehung des
Leidens insofern einen Einfluss, als sich die
jungen Thiere alsdann leicht erkälten. Die
Darrsucht kann unter ungünstigen Witterungs¬
einflüssen eine epizootische Ausbreitung er¬
langen, namentlich wenn sie mit feuchten,
dunstigen Stallungen, Mangel an frischer
Luft, wenig Bewegung des Jungen und zu
mastiger Ernährung derselben zusammentrifft.
Symptome. In der Regel erkranken die
Thiere in den ersten Monaten nach der Geburt,
u. zw. zunächst nur unscheinbar, indem die
Munterkeit sich verliert, die Bewegungen trag
und unlustig werden, die Saug- und Fress-
lust bald gut, bald schlecht, bald Verstopfung,
bald Durchfall vorhanden ist. Am meisten
fallen Verdauungsstörungen in die Augen, die
Jungen bleiben in ihrer Entwicklung zurück,
sie magern trotz zeitweilig hastigen Fressens
mehr und mehr ab. Der Bauch erscheint an¬
gefüllt, aufgetrieben oder bei älteren Thieren
aufgeschürzt, durch die Bauchdecken hindurch
kann man die geschwollenen Mesenterialdrüsen
als harte Massen fühlen. Zuweilen machen sich
gelinde Kolikanfälle bemerklich. Das Haar wird
rauh und glanzlos, die Wolle trocken, die Haut
welk und unrein, Schwäche und Kraftlosigkeit
nehmen zu, die Schleimhäute bekommen eine
blasse, wässerige Farbe, Puls und Respiration
zeigen sich accelerirt, wobei das Fieber den
hektischen Typus annimmt. Complicationen
mit Leiden anderer Organgruppen treten häufig
auf, zumeist bestehen sie in katarrhalischer
Affection der Luftwege, die sich durch Husten
und Schleimfluss aus der Nase zu erkennen
gibt; zuweilen steigert sich der Katarrh zu
einer Bronchitis oder es bildet sich eine käsige
Pneumonie mit auffälligeren Athembeschwer-
den aus. Nicht selten ist auch die Conjunctiva
des Auges entzündet, Schleimklümpchen sam¬
meln sich im innern Augenwinkel an und
haften an den Lidrändern; die Entzündung
kann auf die inneren Theile des Auges über¬
greifen, am häufigsten ist eine Iritis beob¬
achtet worden. Derartige secundäre Erkran¬
kungen verschiedener Organe mit Neigung
zur Vereiterung oder Verkäsung hat man
318 DARRSUCHT.
,*Scrofuliden“ genannt. Zu ihnen gehört
auch die käsige Darmentzündung, von
der bereits unter dem Artikel ..Darmentzün¬
dung“ die Rede war. Im Verlaufe der scrofu-
lösen Darmentzündung entzündet sich die
Umgebung der Gekrösdrüsen, das Gekröse
verdickt sich und bildet mit der Drüse com¬
pacte Massen, die sich bis an den Darm er¬
strecken — Periadenitis —, mit der Darm¬
wand verkleben und nicht selten ihre Zer¬
fallsmassen fistelartig in den Darm ergiessen.
Derartige ungewöhnliche Vergrösserungen der
Mesenterialdrüsen verursachen steife, ge¬
spannte Bewegungen und Haltung in der
Lendenpartie. Bei älteren Rindern schwellen
öfter die Lymphdrüsen im Kehlgang, am
Halse und in den Flanken unschraerzhaft an,
werden hart und knotig und verkäsen oder
abscedircn; die Drüsengeschwülste erreichen
mitunter die Grösse eines Kinderkopfes. Auch
können sich Geschwülste mitallmäligemUeber-
gang zur Eiterung und Verkäsung im sub-
cutanen Bindegewebe, sog. kalte oder Lymph-
abscesse bilden, die von Virchow häufig bei
Kaninchen am Rumpfe angetroffen wurden;
ich selbst habe sie bei Hasen gefunden. Exan¬
theme sind anderweitige Complicationen, so
z. B. der Gesichtsgrind bei Lämmern und
ein borkiger, schwärzlicher Ausschlag bei
Ferkeln. Zuweilen schwellen auch nach
mehreren Wochen einzelne Gelenke der Ex¬
tremitäten an, es kommt in ihnen zur Eiterung
und Veijauchung, die Jauche bricht endlich
an verschiedenen Stellen nach aussen durch,
wobei die Gelenkflächen cariös zerstört
werden, während sich in der Umgebung des
Gelenks und im Knochen selbst, wohl auch
im Körper der Wirbel und am untern Ende
der Rippen kleine Abscesse gebildet haben.
Bei dem Gelenkleiden vermeiden die Thiere
möglichst jede Bewegung und liegen viel. Zu
verwechseln ist die scrofulöse Arthritis nicht
mit der ichorhämischen Arthritis oder der
sog. Lähme (s. d.), welche die Thiere bald
nach der Geburt befällt und mit einer eitrig¬
jauchigen Nabelentzündung in ursächlichem
Zusammenhang steht; bei ihr haben wir es
mit septicämischen Erscheinungen zu thun,
der Verlauf ist ein acuter, während in der
Darrsucht der Verlauf ein schleichender ist,
der Tod erst nach 3—4 Wochen marastisch
erfolgt. Genesen die scrofulösen Thiere, so
gedeihen sie doch nie recht, verkrüppeln und
bleiben zeitlebens Schwächlinge. Der grössere
Theil der Kranken ist dem Tode verfallen,
nur die leichter Erkrankten kommen durch.
Der autoptische Befund ergibt sich aus den
bereits gemachten Angaben, er besteht haupt¬
sächlich in Folgendem: Abmagerung und
Anämie aller Organe. Die Lymphdrüsen finden
sich in der geschilderten Weise degenerirt
und selbst bis zur Grösse eines Hühnereies
oder einer Faust angeschwollen, vornehmlich
die Mesenterial- und Bronchialdrüsen. Meistens
haben die Lungen und der Darmcanal er¬
hebliche pathologische Veränderungen erlit¬
ten, erstere sind von zahlreichen Käsherden
durchsetzt, in deren Umgebung das Paren¬
chym hyperämisch oder entzündet und ver¬
dichtet erscheint: nicht selten hat sich die
käsige Masse verflüssigt und stellt eine Ca-
verne mit stinkender Jauche dar. Der ent¬
zündliche Process ist wohl auch bis zur Pleura
vorgedrungen und hat zu Verlöthungen mit
der Rippenwand geführt. Nicht selten ist der
grösste Theil der Lungen zerstört. Die Darm¬
schleimhaut ist wulstig verdickt, sammetartig,
excoriirt. hyperämisch, die Darmfollikel sind
geschwollen und käsig zerfallen, öfter ist
auch die Muscularis verdickt, serös-blutig
infiltrirt und stellenweise käsig zerfallen; das
Mesenterium erscheint von reichlichen Gefäss-
netzen durchzogen; einzelne Darmschlingen
können miteinander verklebt sein, gewöhnlich
sind dann die Erscheinungen einer Peritonitis
vorhanden. Leber und Nieren finden sich
anämisch und serös infiltrirt. In der Um-
ebung der leidenden Gelenke, vorzüglich
es Carpal- und Tarsalgelenks, tragen die
Knochen die Kennzeichen einer Periostitis
an sich und enthalten in ihren Epiphysen
kleine Eiterdepots, während die Gelenkflächen
cariös angenagt sind.
Therapie: Da die Disposition zur Scro-
fulose in den meisten Fällen eine angeborene
ist, so hat die Prophylaxe auf die Tilgung
der Disposition hinzuwirken, indem die damit
behafteten Zuchtthiere möglichst ausgemerzt
oder mindestens nach den Regeln der Diätetik
rationell verpflegt werden; in dieser Hinsicht
ist auf die Stall- und Hautpflege zu achten,
die tragenden Mutterthiere sind mit leicht
verdaulichen, guten Futterstoffen zu nähren,
schwer verdauliches, blähendes, erhitzendes
und die Verdauungsorgane erschlaffendes Futter
muss vermieden werden, so namentlich Hftl-
senfrüchte und Stoffe mit reichlichem Oel-,
Fett- und Schleimgehalt; gastrische Zustände
sind bei ihnen ganz besonders zu beachten
und möglichst zu verhüten, die Verdauung
ist rege zu erhalten und zu stärken, die
Thätigkeit der Lymphgefässe und Lymph¬
drüsen anzuregen durch periodisches Verab¬
reichen von Schwefel-, Spiessglanz- und Eisen¬
präparaten: vielleicht dürfte das Pilocarpin
in subcutaner Anwendung hier gute Dienste
leisten. Auch bei den jungen Thieren hat
man die Verdauung zu reguliren und Diät¬
fehler zu meiden. Zu fette Muttermilch ver¬
dünne man mit Wasser oder versetze man
mit kohlensaurem Natron; auch die leicht
verdaulichen Milchsurrogate können vortheil-
haft zur Anwendung kommen. Ganz besonders
ist ein gesunder, trockener, luftiger Aufenthalt,
hinreichende Körperbewegung, im Sommer
Weidegang, junge Gräser, Mohrrüben etc.
neben Anregung der Hautthätigkeit zu be¬
achten. In letzterer Hinsicht sind trockene
Frictionen des Körpers und Einreibungen
von spirituösen und flüchtigen Mitteln (Linira.
volatile, Spir. camphor. etc.) in die Haut zu
empfehlen, nicht minder die Massage der
Bauchhöhle, vermittelst deren man in neuester
Zeit sehr glückliche Heilerfolge aufzuweisen
hat. Der mangelhaften Verdauungsthätigkeit
ist mit ätherischöligen Bitterstoffen (Ingwer.
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DARTMOORSCHAF. — DARWINISMUS.
319
Baldrian, Alant, Kümmel, Angelika, Calmus,
Knoblauch, Senf etc.) aufzuhelfen, die Ver¬
stopfung durch gelinde Laxanzen von Kali
sulfuric., Acid. tartaricum, Rad. rhei etc., der
Durchfall durch ätherischölige Infuse mit
Zusatz von Magnesia usta seu carbonica, Cal-
caria phosphorica (aufgeschlossenes Knochen¬
mehl),Eisenpräparaten,Dower’schemPulver etc.
zu beseitigen. Die Thätigkeit des Lymph-
apparatsund der Verdauung befördern Schwe¬
fel-, Jod- und Spiessglanzpräparate, Brech¬
weinstein, Kali carbon., Kali acetic., Kampher,
Stahlschwefel, kleine Dosen des Aloöextracts,
des oleum Terebinth., extr. Nucis vomic., ol.
jecoris aselli (löffelweise), Jodkali, salzsaures
Baryt etc. Hervortretende Katarrhe erfordern
schleimlösende Salze und Vegetabilien, z. B.
Ammon, hydrochlor., Kali chloric., Stibium
sulfuratum aurant., Sem. foenic., fruct. Lauri etc.
Drüsenabscesse sind frühzeitig zu eröffnen,
äusserlich gelegene Scrofeln mit zertheilenden
Salben (Unguent. mercur. mit Kali carbon.
oder Hydrarg. bijodat., Ol. laurin. mit Spir.
caraphorat.) oder erwärmtem Fischthran, die
angeschwollenen Gelenke mit denselben Salben,
in hartnäckigen Fällen mit scharfen Einrei¬
bungen und dem Brenneisen zu behandeln;
wegen des äusserst zweifelhaften Curerfolges
ist das Abschlachten vorzuziehen, zumal weil,
wenn die Gelenke aufbrechen, gern steife Ge¬
lenke Zurückbleiben. Die Homöopathen rühmen
Opium, Schwefel und Dulcamara. Anacker.
Dartmoorschaf. Dasselbe gehört, wie D.
Low solches classificirt, zu den „Waldrassen“
Englands. England sei nämlich in früheren
Zeiten sehr reich an Wäldern gewesen, diese
seien aber mit der sich mehr und mehr ent¬
wickelnden Cultur in immer grösseren Flächen
zu Acker- und Weideland gemacht worden. Nur
in kleineren Parzellen habe man hin und wie¬
der den Wald noch stehen lassen, und hatten
diese dann den Ackerbauern als Weideterrain
für ihre Schafheerden gedient. Im Verlaufe
der Zeit waren dann auch diese letzteren
Waldüberreste gefallen und sind dadurch
theils eine Menge Moor- und Haideland, theils
aber auch Hügel mit kräftiger Grasvegetation
freigelegt worden. Man hat dann auch später
diejenigen Schafe, welche ihren Heimatsbezirk
in solchen Gegenden bewahrt hatten, noch
immer „Waldschafe“ genannt. Zu diesen rech¬
net L., wie gesagt, auch das Dartmoorschaf.
Es findet seinen Heimatsbezirk hauptsächlich
auf den Haidestrecken des Dartmoorwaldes
in der nördlichen Hälfte der Grafschaft Devon,
welcher sich von Moreton-Hampstead nach
Tavisstock erstreckt und aus einer Kette von
der Granitformation angehörenden Hügeln be¬
steht. Die Thiere sind klein, Gesicht und
Beine weiss, mit kurzen, glatten Haaren be¬
setzt, die Böcke in der Regel gehörnt; sie
leben noch heute annähernd im Stande der
Wildheit, streifen frei und ohne Hirten auf den
Haiden umher, sind wild und scheu. Im Winter
werden sie, der besseren Ernährung wegen,
ebenso um die herangewachsenen Thiere
zu mästen, in die Niederung gebracht; im
Frühjahre regt sich aber die nicht zu bewäl¬
tigende Sehnsucht nach den heimatlichen
Weideplätzen bei ihnen, sie durchbrechen in
gemeinsamem Drange die Umzäunungen ihrer
Futterplätze und ziehen in ihre Bergweiden.
Auch auf die Kreuzungen, welche schon seit
geraumer Zeit und mit sehr glücklichem Er¬
folge sowohl mit New-Leicester als auch
mit Southdown-Blute vorgenommen worden
sind, hat sich dieser Wandertrieb vererbt. Die
Wolle ist weiss, erreicht im Jahreswuchs eine
Länge von ca. 15 cm, ist leicht gewellt,
glänzend, was auf dem ungewaschenen
Vliesse noch durch einen milden, aber ziem¬
lich reichlichen Fettschweiss gesteigert wird.
Dieselbe muss unbedingt zu den Mischwollen
gerechnet werden. Wenn diese auch grössten-
theils aus markfreien, bündelförmig angeord¬
neten, nur ca. 12 cm langen Wollhaaren von
ca. 36mikr. Durchmesser besteht, so befinden
sich doch darunter allerdings in bedeutend
geringerer Zahl markhaltige Grannenhaare von
ca. 15 cm Länge und 40 mikr. Stärke, die sich
dann in der Spitze korkzieherartig zusammen-
drehen. Die Wolle ist dabei aber mild und
weich. Bohm.
Dartos (Saptoc, von äapciv, abhäuten),
sc. tunica, resp. yctcuv nannten schon die
griechischen Aerzte die unter der Hautbeklei¬
dung auftretende, an organisch-muskulösen
Beimischungen reiche Lage des Scrotums
(8. d.). Sussdorf.
Darwinismus. Einer der grössten Natur¬
forscher unserer Zeit — Charles Robert
Darwin — wurde am 12. Februar 1809 zu
Shrewsbury in England geboren und ist am
20. April 1882 auf seinem Landsitze zu Down
bei Bromley in der Grafschaft Kent gestorben.
Selten wohl hat ein Forscher erlebt, dass
die von ihm aufgestellten Lehrsätze ein so
grosses Aufsehen gemacht haben, wie die von
Darwin in die Welt geschickten; sie haben
gewissermassen eine Revolution hervorgerufen,
und der sog. Darwinismus — d. i. die Dar¬
winsche Lehre — hat eine besondere, sehr
reiche Literatur aufzuweisen. — Nachdem der
junge Darwin schon frühzeitig (1825) die Uni¬
versität in Edinburg bezogen und später (1827)
in Cambridge studirt hatte, betheiligte er sich
1831 an einer grossen, zu wissenschaftlichen
Zwecken unternommenen Weltumsegelung auf
dem Schiffe „Beagle“. Das Darwinsche Tage¬
buch dieser Reise wurde veröffentlicht und
machte sehr bald das grösste Aufsehen. Schon
nach wenigen Jahren bezeichnete man den
Verfasser desselben für einen der ersten
Naturforscher Englands. Wenn schon diese
erste Arbeit grosse Beachtung fand, so ist es
erklärlich, dass DarwinS spätere Schriften über
den Ursprung der Arten auf dem Wege der natür¬
lichen Zuchtwahl (On the origip of species by
means of natural selection), das Variiren der
Thiere und Pflanzen im Zustande der Domesti-
cation (The Variation of animals and plants
under domestication) und endlich noch: die
Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit
der Würmer (The formation of vegetable
mould through the action of worms), welche
erst von 1859—1882 unter jenen Titeln von
320
DARWINISMUS.
Carus in deutscher Bearbeitung zum Theile
in mehreren Auflagen erschienen sind, ungemein
viele Leser gefunden haben und Darwin’s
Namen für ewige Zeiten unter den Natur¬
forschern aller Länder mit goldenen Lettern
erglänzen lassen.
Darwin wurde der Begründer einer neuen
Theorie, welche nach ihm „Darwinismus“ ge¬
nannt wurde. — Nach seiner Ansicht haben
sich alle organischen Wesen aus einer oder
mehreren Urformen entwickelt, d. h. während
einer sehr langen geologischen Zeitepoche,
u. zw. — wie er sich ausdrückte — im
„Kampf ums Dasein“, im Wege der natür¬
lichen Zuchtwahl und der Anpassung an die
gegebenen Verhältnisse. Sehr bald nach dem
Erscheinen des fraglichen Werkes über den
Ursprung der Arten auf dem Wege der natür¬
lichen Zuchtwahl fanden sich verschiedene
Männer — hauptsächlich unter den deutschen
Gelehrten — welche an den Ausbau der
Darwinschen Lehre mit grossem Eifer, auch
zum Theile in etwas eigenthümlicher Weise
herantraten, und wir dürfen wohl mit vollem
Rechte sagen, dass der englische Begründer der
Lehre nicht Schuld daran gewesen ist, dass der
Darwinismus mehrfach in crasser Weise aus¬
artete. Seine Anhänger haben ihn sogar
als Waffe des Atheismus benützt. Unter Ande¬
rem ist man bei uns so weit gegangen, daraus
ein System der selbständigen Fortentwicklung
der Urzellen bis zum Menschen entstehen zu
lassen, und es wurde sowohl hiedurch wie durch
manche andere Folgerung der praktischen
Thierzucht kein besonderer Nutzen geschaffen.
Verschiedene Gegner der Darwinschen Theorie
behaupten sogar, dass man durch solche und
ähnliche Systeme der Praxis nur Schaden zu¬
gefügt hätte. — Die Darwinsche Lehre kann
weder direct geleugnet, noch ihre Richtig¬
keit bewiesen werden, und wir sind der
Meinung, dass dieselbe für die Wissenschaft
den Werth jeder auf Inductionsbeweisen be¬
ruhenden Lehre besitzt. Es können auch die
Gegner des Darwinismus nicht leugnen, dass
diese Lehre der absoluten Wahrheit näher
kommt, als alle anderen ihr feindlichen dualisti¬
schen Theorien, denn sie erklärt die Erschei¬
nungen der organischen Welt einheitlich oder
monistisch. Vor Allem müssen wir aner¬
kennen, dass durch Darwin’s sorgfältige Unter¬
suchungen über den Ursprung der Art die
alten Buffon’schen Lehrsätze, welche von einer
Abänderungsfähigkeit der Arten durchaus
nichts wissen wollten, einen harten Stoss er¬
litten haben; sie wurden sehr bald als unhalt¬
bar bezeichnet. Wenn man dem berühmten
Forscher von verschiedenen Seiten den Vor¬
wurf machte, dass er in seinem Erklärungs¬
versuche für das Auftreten von Varietäten
dem Zufalle eine bedeutende Rolle einge¬
räumt hätte und das ganze Gewicht auf die
Wechsel Verkettung der Organismen im Kampfe
ums Dasein legte, den directen Einfluss phy¬
sikalischer Wirkung aber auf Formenabwei¬
chungen unterschätzte, so that man ihm Un¬
recht. Darwin sagte ausdrücklich, dass „Zu¬
fall“ nur unsere gänzliche Unwissenheit über
die physikalische Ursache jeder besonderen
Abweichung bekundete. Wenn dieser Forscher
den Lebensbedingungen für sich allein nur
einen geringen Einfluss auf die Veränderlich¬
keit zuschrieb, so erkannte er doch den pri¬
mären Anlass zu geringen Abweichungen der
Structur in der veränderten Beschaffenheit
der veränderten Nahrungs- und Lebensbedin¬
gungen, welche aber erst durch die natürliche
Zuchtwahl in dem Masse gehäuft werden, dass
sie eine augenfällige Variation bewirken.
Von den wissenschaftlichen Einwänden
gegen die Darwinsche Theorie wollen wir
nur die des Herrn v. Nathusius hier an¬
führen. Für die praktische Thierzucht ist sie voll¬
kommen bedeutungslos, da dieselbe eine durch
eine neue Art zu füllende Lücke in ihren Haus-
thieren nicht hat; die steigende Cultur, nicht
Vereinigung in verschiedenen Arten verteilter
Eigenschaften in einer neuen Art, sondern ab¬
weichende Entwicklung innerhalb der Art,
auf vollendetere Erzeugung bestimmter Pro-
ducte verlangt. Der mangelnde directe Beweis
für stattgefundene Artumwandlung wird durch
die alle historischen Zahlen verschwinden las¬
senden Zeiträume entschuldigt, welche der
Darwinismus dafür annimmt. Betreffe seiner
allgemeinen Bedeutung darf behauptet wer¬
den, dass er noch nicht für den Beweis seiner
Möglichkeit kämpft. Dr. H. Settegast in
Berlin ist ein Anhänger der Darwinschen
Theorie (oder Hypothese); derselbe sagt in
seinem vortrefflichen Werke, betitelt: „Die
Thierzucht“ Folgendes über dieselbe: „Wie
Lamarck, nahm auch Darwin an, dass den
Thieren die Fähigkeit innewohne, zu variiren,
in grösserem oder geringerem Grade, wenn
auch anfangs kaum merklich, die Formen, mit
denen die Eltern ausgestattet waren, zu än¬
dern und diese Aenderung auf ihre Nachkom¬
men zu vererben (Descendenztheorie). Variabi¬
lität und Vererbungsfähigkeit gehen daher
Hand in Hand; die letztere Abweichung von
der Stammform auf die Nachkommenschaft
übertragend, die erstere immer neue Abwei¬
chungen hervorrufend. Jetzt kommt, und darin
unterscheidet sich Darwin’s Theorie von der
seiner Vorgänger, ein neues Moment hinzu,
das unter Umständen veränderten Formen Vor¬
schub leistet und ihre schnellere Verbreitung
unterstützt: die natürliche Auswahl (natural
selection). In dem fortdauernden Kampfe, den
verwandte Bildungen untereinander und gegen
ihnen feindliche Einflüsse der Aussenwelt zur
Behauptung ihrer Stellung in der Natur zu füh¬
ren gezwungen sind, siegen diejenigen Indivi¬
duen, welchen irgend eine durch Variabili¬
tät hervorgerufene Eigentümlichkeit verliehen
wurde, durch die sie gegen ihre Concurrenten im
Kampfe ums Dasein begünstigt werden (Se¬
lection stheorie). Zu solchen Vorzügen sind zu
rechnen: Langlebigkeit, die Eigenschaft leichter
Ernährung, die Fähigkeit, unter dem natür¬
lichen Schutz und der Beihilfe der Form und
Färbung ihres Körpers (Mimicry) den Verfol¬
gern und anderen Gefahren leichter zu ent¬
gehen oder sich der Beute sicherer zu be¬
mächtigen. grössere Leichtigkeit, zur Begat-
DASSELBEULEN. — DAUCUS CAROTA.
321
tung zu gelangen, grössere Fruchtbarkeit
u. a. m. Die Individuen der älteren Form,
dem Uebergewicht ihrer Mitbewerber nicht
gewachsen, unterliegen und räumen den Platz,
die der neueren werden herrschend und bleiben
es so lange, bis sich aus ihrer Mitte eine
variirte, den Verhältnissen noch besser ange¬
passte Form erhebt und auch sie allmälig
verdrängt. Was der Mensch durch die Kunst
der Züchtung, durch Wahlzucht oder Zucht
nach Leistung bewirkt, das leistet hier die
Natur im Grossen, indem auch sie gewisser-
massen wählt und die vollkommenere Form
zum Siege führt.“ Settegast tritt der Nathu-
sius’schen Ansicht scharf entgegen und ist
der Meinung, dass der Darwinismus zur Aus¬
bildung der Thierzuchtlehre wesentlich beige¬
tragen hat. Aehnlich äussert sich auch
R. Hartmann in seinem Buche „Darwinismus
und Thierproduction“ (München). Freytag.
Dasselbeulen nennt man allmälig sich
vergrössernde und in Eiterung übergehende,
begrenzte Entzündungsherde, welche oft in
grösserer Anzahl zu beiden Seiten der Rücken-
und Lendenwirbel verschiedener Säugethiere
im subcutanen Bindegewebe sich entwickeln.
Am häufigsten kommen dieselben bei der
Rindvieh- und Hirschgattung vor, selten bei
Schafen, Pferden und Eseln. Verursacht
werden diese Beulen durch die Brut der
Ochsen-, resp. Rinder-Biesfliege (Oestrus,
s. Hypoderma bovis), welche auch „Dassel¬
fliege“ genannt wird. Dieselbe schwärmt von
Juni bis September. Die Weibchen legen ihre
Eier auf die Haut jener Säugethiere. Die
aus diesen Eiern ausschlüpfenden Embryonen
durchbohren die Haut des Wirthes, um sich im
subcutanen Bindegewebe einzubetten und dort
ungefähr neun Monate zu verweilen. Während
dieser Zeit wachsen sie zu etwa 28 mm langen
und etwa 14 mm breiten Larven heran, indem
sie von Lymphe und Eiter sich ernähren. Ihr
hinteres Leibesende steckt in einer rund¬
lichen Oeffnung der äusseren Haut, welche
jeder Embryo bei seinem Eintritt in das sub-
cutane Bindegewebe angelegt hat und aus
welcher die herangereiften Larven meist im Mai
oder Juni, u. zw. gegen 6—8 Uhr Morgens,
wieder nach aussen hervorkriechen, um demnach
im Boden sich zu verpuppen und nach ca. sechs
Wochen als vollkommen ausgebildetes Insect
die Tonne zu verlassen. Die Hautdasselfliege
wird nur 15—17 mm lang, ist also beträchtlich
kleiner als ihre Larve. Letztere zerfallt nämlich
während ihres Puppenschlafes scheinbar zu
einem Trümmerhaufen, aus welchem das In¬
sect in Folge einer Reihe von Neubildungen,
die von einigen übrig gebliebenen Zellen¬
elementen ausgehen, sich entwickelt. Manch¬
mal werden die Larven von Vögeln, nament¬
lich von Staaren, aus den Dasselbeulen her¬
vorgezogen und verspeist. Letztere verursachen
nur dann eine nennenswerthe Beeinträchtigung
der Ernährung ihres Wirthes und bei Melk¬
vieh der Milchsecretion, wenn sie in grosser
Anzahl (50—100 Stück) bei einem Individuum
vorhanden sind. Eine therapeutische Entfer¬
nung derselben ist deshalb in der Regel
Koch. Encyklopftdic d. Thierhcillcd. II. Bd.
nicht angezeigt. Am häufigsten und reich¬
lichsten pflegt Weidevieh mit feiner zarter
Haut (namentlich gutes Melkvieh) von Dassel¬
beulen heimgesucht zu werden. Püt%.
Dasselfliegen, s. Bremsenfliegen.
dasymallus (SaoojxaXXo^, von 3ao6c, dicht
bewachsen, und 6 Wolle) A^^wollig.
Datollth (von Batco^a:, ab sondern), grün¬
liche monokline Krystalle, welche von Esmark
wegen ihrer körnigen Absonderung mit obi¬
gem Namen belegt wurden. Die schönsten
Exemplare kommen in New*Jersey vor, fer¬
ner im Grünsteine von Andreasberg, in den
Achatkugeln vom Jassathal in Tirol, in Frei¬
burg in Baden. Er besteht aus Wasser, Cal¬
cium, Kieselsäure und Borsäure. Loebisch.
Datura Stramonium, gemeiner Stech¬
apfel. durch ihre eiförmigen, mit Stacheln be¬
setzten Fruchtkapseln bekannte giftige Solanee
(L. V. 1.) unserer Schutthaufen und Wege,
deren zur Blüthezeit (August) gesammelte
Blätter als
Folia Stramonii (Herba Stramonii oder
Folia Daturae) in den Apotheken zu haben
sind, aber nicht mehr arzneilich verwendet
werden, weil ihr wirksames Alkaloid (Daturin)
identisch ist mit Atropin oder Hyoscyamin,
daher nur mehr die Belladonna oder das Bilsen¬
kraut Anwendung findet. Vogel.
Daucus Carota, gemeine Möhre, gelbe
Rübe, Pflanze aus der Familie dejrUmbelliferen,
aufrechtes ein- bis zweijährigesKraut,0'3—0*6 k m
hoch mit rübenförraiger Pfahlwurzel. Blätter
zwei- bis dreifach gefiedert. Blättchen fieder-
spaltig mit lanzettlichen, haarspitzigen Zipfeln.
Hülle vielblätterig, drei- oder fiederspaltig.
Hüllchen vielblätterig, gewimpert; blühende
Dolde flach, fruchttragend in der Mitte ver¬
tieft. Blüht: Juni, reift: September. Blumen¬
krone weiss. Frucht mit Stacheln bedeckt. Die
cultivirte Möhre stammt von der wilden Möhre
ab, und unterscheidet man von ihr Sorten,
welche zum menschlichen Genuss oder zur
Fütterung geeignet sind. Letztere zeichnen
sich durch stärkere Entwicklung und grössere
Ernten von den ersteren aus, welche kleiner
und feiner im Geschmacke sind. Die Futter¬
möhrensorten lassen sich wieder durch die
Farbe und ihre Vegetationszeit von einander
unterscheiden. Sorten: Grünköpfige Riesen¬
möhre, blassgelbe Möhre, lange rothe Möhre,
Altringham-Möhre u. s. f.
Gegen das Klima ist die Möhre nicht
empfindlich, doch zieht sie im Allgemeinen
das kältere Klima vor. Die Ansprüche an den
Boden sind dagegen bedeutend, sowohl was
Dungkraft als mechanische Beschaffenheit
betrifft. Der Boden muss tiefgründig und
locker sein, alle schweren Boden sind daher
von der Cultur ausgeschlossen, dagegen bringt
sie auf gut cultivirtem Sandboden noch ent¬
sprechende Erträge. Die Möhre verträgt
frische Stallmistdüngung, besser aber ist die
Düngung zur Vorfrucht wegen der Gefahr
des Verunkrautens des Feldes. Für treibende
Dungmittel ist die Möhre dankbar. Als
Vorfrucht geht ihr am besten eine Hackfrucht
voraus, es ist das aber von weniger Wichtig-
21
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322
DAUERMYCELIUM. — DEBACON.
keit, weil die Möhre tiefe Bodenbearbeitung
verlangt. Nach ihr folgen Getreide oder tief
wurzelnde Futterpflanzen. Zur Möhre muss
das Feld im Herbste möglichst tief bearbeitet
werden, weil sie dafür ausserordentlich dank¬
bar ist: sie soll daher auf dasselbe Feld erst
wieder gebaut werden, wenn dieses wieder
der Tiefcultur unterzogen werden soll. Zur
Aussaat ist es nothwendig, den Samen etwas
zu bearbeiten, damit er die kleinen Häckchen
verliert, welche eine gleichraässige Aussaat
unmöglich machen würden. Es wird der Samen
in kleine Säcke gebracht, mit einem Holz ge¬
droschen und dann noch mit den Händen
abgerieben. Am besten ist es, den Samen mit
der Hand zu drillen oder zu dibbeln, allen¬
falls zur Erleichterung der Yertheilung etwas
mit grobem Sand gemengt. Bei Anwendung
von Maschinen ist die Vertheilung des Samens
leicht eine ungleichmässige. Saatbedarf per
Hektar =5 7 kg. Die Aussaat geschieht im
März und April, sobald der Boden abge¬
trocknet ist. Den Pflanzenreihen gibt man
mit Rücksicht auf die nothwendige spätere
Cultur eine Entfernung von 45—50 cm. Das
Verpflanzen der Möhren ist nicht empfehlens-
werth. Ausserordentlich wichtig ist ein früh¬
zeitiges Jäten und Hacken der Möhren, weil
sich dieselben anfangs oberirdisch nur sehr
langsam und zuerst die Pfahlwuizeln ent¬
wickeln. Das erste Jäten oder Hacken ge¬
schieht drei bis vier Wochen nach der Aus¬
saat, einige Zeit darauf das Vereinzeln
auf Entfernungen von 10—12 cm. Demselben
folgt dann gleich nochmaliges Behacken,
eventuell mit der Pferdehacke, worauf durch
die schnelle Blattentwicklung das Feld sich
schliesst und ein Aufkommen von Unkraut
nicht mehr zu befürchten ist. Die Möhren¬
ernte beginnt Mitte October und muss vor¬
sichtig gemacht werden, weil verletzte Möhren
sich im Winter schlecht halten. Die Auf¬
bewahrung geschieht am besten in Erd¬
mieten. Durchschnittsertrag an Möhren 400 q
per Hektar. Die Wurzeln werden von allen
Viehgattungen sehr gerne gefressen. Abge¬
sehen von den Unkräutern, leidet die Möhre
an einigen pflanzlichen Parasiten: die Flecken¬
krankheit der Möhren wird durch einen Pilz,
Polydesmus exitiosus, hervorgerufen, der auf
dem Kraute lebt. Die Rübe wird getödtet
durch einen Pilz, Rhyzoctonia violacea, der
dieselbe mit einem violetten Ueberzuge be¬
deckt und dadurch zum Absterben bringt.
Die Möhre theilt diesen Feind mit der Luzerne,
Runkelrübe, Kartoffel, worauf in der Frucht¬
folge Rücksicht genommen werden muss.
Thierische Feinde sind der Möhre wenig
schädlich. v. Liebenberg.
Dauermycelium. Regelmässige bis un¬
regelmässig gestaltete knollige, kugelige,
ovoide bis langgestreckte berindete Körper
von dunkel- bis schwarzbrauner, selten heller
Farbe. Im Innern sind sie gewöhnlich heller
gefärbt. Beim Durchschneiden erweisen sie
sich fest bis hart und brüchig. Die äussere,
sog. Rindenschichte ist härter als der
innere Theil; sie bestehen aus einem dichten
Geflechte (Pseudoparenchym) von Mycelfaden,
die unter sich fest verschmolzen sind. Die
Dauermycelien können lange Zeit, wie Samen,
ruhen; schliesslich entwickeln sich aus ihnen
unter geeigneten Bedingungen Pilzfrüchte
oder wohl auch Gonidienträger. Ihrer meist
harten Consistenz wegen werden sie ge¬
wöhnlich als Sclerotien bezeichnet. Siehe z. B.
Claviceps. Harz.
Daiiersporen oder ruhende Sporen nennt
man einerseits alle jene Sporen und Gonidien,
welche nach ihrer Entstehung nicht sofort
befähigt sind, auszukeimen. Andererseits be¬
zeichnet man so vielfach alle zur Vermehrung
und Fortpflanzung dienenden Keimzellen
niederer Pflanzen, welche längere Zeit in
trockenem Zustande ruhend verharren können,
um schliesslich unter geeigneten Verhältnissen
wieder zu keimen. So z. B. die Sporen vieler
Spross- und Spaltpilze, die Chlamydosporen
der Schimmelpilze. Harz.
Dauw, Dau. Daub. Nach Sparrmann der
hotten tottische Name für das Zebra, das auch
Burchell so bezeichnet. Cuvier bezog den
Namen Dauw irrthümlich auf das von Bur¬
chell in Süd-Afrika entdeckte Tigerpferd
Equus (Hippotigris). Burchelli Gray. Seither
wird dasselbe häufig mit diesem Namen be¬
zeichnet, so in Brehra's Thierleben und an
anderen Orten. Studer.
Das Tigerpferd Dauw Cuv. (Equus Bur¬
chelli) kommt — wie Quagga und Zebra — in
Südafrika wild vor. Die Tigerpferde sind etwas
kleiner als die Zebras, erreichen nur selten eine
Widerristhöhe von l*30m und sind durch¬
schnittlich etwa l*20m hoch. Im Leibesbau
stehen diese Thiere dem Pferde näher als dem
Esel. Sie besitzen einen hübsch geformten, aus¬
drucksvollen Kopf mitmässig langen Ohren und
grossen Nüstern. Der Rumpf ruht auf kräftigen
Beinen; das Hintertheil (Kreuz) fällt meistens
ziemlich stark ab. Die Grundfarbe des Deck¬
haares ist gelblich weiss; der Kopf. Hals
und Rumpf sind dunkelbraun gestreift, u. zw.
in der Weise, dass zwischen den breiten
Hauptstreifen noch feinere, schmale auftreten
und den Thieren ein sehr buntes Aussehen
verleihen. Die unteren Gliedmassen sind
regelmässig von heller Farbe. Ihre sehr dichte
Mähne von starken Haaren steht aufrecht. Der
Schweif ist ziemlich hoch hinauf lang behaart
und erinnert an den Schwanz des Pferdes. Die
Zähmung der Tigerpferde wurde mehrfach
mit gutem Erfolge vorgenommen, und es zei¬
gen dieselben im Zuge ganz befriedigende Lei¬
stungen. Bastarde von Tigerpferd und Pferd
oder Esel wurden an verschiedenen Orten
beobachtet: doch wird behauptet, dass die¬
selben stets unfruchtbar blieben. Freytag.
Dayot hatte Veterinärmedicin in Alfort
studirt. schrieb 1848: .,Ueber Pustelbildung
an den Geschlechtstheilen der Pferde“. und
„Ueber Behandlung der Nabelbrüche mit Sal¬
petersäure“. Semmer.
Debacon Bonneval, gab im Jahre 1774
eine Abhandlung über die Beurtheilung des
Pferdes beim Kaufe in französischer Sprache
heraus. Kock.
DECANTIREN.
Decantiren, das Abgiessen, ein in der
chemischen und pharmaceutischen Operations¬
technik statt des Filtrirens geübtes Verfahren,
welches sich besonders dann anwenden lässt,
wenn die abzuscheidenden festen Theilchen
wegen ihrer specifischen Schwere rasch zu
Boden sinken, so dass die darüber stehende
klare Flüssigkeit durch Neigung des Gefasses
•abgegossen oder mittelst Heber abgezogen
werden kann. Manche Niederschläge können
von den Flüssigkeiten, in welchen sie sich
befinden, oft durch das Decantiren besser
getrennt werden als durch das Filtriren; dies
gilt von Niederschlägen, welche schleimig
"oder gelatinös sind und, auf den Filter ge¬
bracht, die Poren desselben rasch verstopfen,
«o dass ein vollständiges Auswaschen des
Niederschlages auf dem Filter gar nicht
möglich ist. Loebisck.
Dechenlt, ein Vanadinbleierz, welches im
bunten Sandstein von Niederschlettenbach
bei Weissenburg in krystallinischen Massen
Vorkommt. Loebisck.
Decidua. Der Embryo von Säugethieren
liegt in mehreren Hüllen innerhalb des Uterus
geschützt. Diese Hüllen sind entweder solche,
welche sich aus dem Substrate, das für den
Aufbau des Embryonalleibes dient, entwickeln
{Amnion, Chorion), oder sie gehören nach
ihrer Abstammung dem mütterlichen Boden.
Zu diesen gehört die Decidua. Die äusserste
Hülle, welche man beim Eröffnen eines Uterus,
mit einem vorgerückteren Embryo als Inhalt,
findet, die das ganze Ei umgibt und sich noch
über die innere Oberfläche der Uteruswand
fortsetzt, ist die Decidua. Man unterscheidet
«ine Decidua vera oder jenen Theil,
welcher an der Wandung des Uterus liegt,
und eine Decidua reflexa, die das Ei mit
seinen fötalen Hüllen nach aussen überzieht.
Die Decidua vera ist aus einer Umwandlung
der Uterinschleimhaut hervorgegangen. Am
t)s uteri internum wird die Decidua begrenzt.
Die Decidua betheiligt sich an der Bildung
•des Mutterkuchens, indem sie den mütterlichen
Antheil desselben liefert. Nach Robin schwdndet
das am normalen Uterus befindliche Flimmer-
Epithel. In der Decidua finden sich grössere
rundliche und besonders auffällige längliche
Spindelzellen. Die ersteren werden als Decidua-
zellen beschrieben. Gegen Ende der Schwanger¬
schaft worden beide Deciduae mit einander
verklebt und auffällig dünn. Die Decidua be¬
sitzt Gefässe und Drüsen. In späteren Stadien,
besonders gegen Ende der Schwangerschaft,
schwinden dieselben. Schenk.
Decimalgewicht. Das in den Recepten
und Apotheken, überhaupt in der gesammten
Medicin gebräuchliche Gewicht ist das metri¬
sche, das zehntheilige Gewicht mit der gesetz¬
lichen Base des Kilogramms, d. h. der Schwere
-eines Kubikdecimcters destillirten Wassers, das
bei seiner grössten Dichtigkeit (-f-4°C.) im
luftleeren Raum gemessen wird: dieses letztere
Mass bildet zugleich auch das Liter und könnte
sonach alsbald wieder neu geschaffen werden,
wenn das Originalmass auch verloren ginge,
nämlich das Meter, welches ebenfalls eine
— DECKEN. 323
wissenschaftliche Grundlage hat, denn es ist
der zehnmillionste Theil des Viertels eines
Erdmeridians, dessen Normaletalon 1799 in
Paris geschaffen wnirde, u. zw. in Form eines
Platinstabes, der bei 0°C. die richtige Länge
hat. Er wird in Paris aufbewahrt. Die Ein¬
heit des Medicinalgewichtes ist jetzt fast
überall der tausendste Theil des Gewichtes
eines Kubikdecimeter Wassers und hat man
auch hiefür die französische Bezeichnung
.,Gramm 11 angenommen, während das frühere
Unzengewicht (der zw-ölfte Theil eines will¬
kürlich bemessenen Medicinalpfundes) ver¬
lassen werden ist. Die meisten europäischen
Staaten führen gegenwärtig dieses Gramm¬
gewicht, nur Grossbritannien hält nicht allein
an seinem Unzengewicht fest, sondern auch
an dem Usus, Flüssigkeiten in den Apothe¬
ken gemessen statt gewogen zu dispensiren
fl Kubikcentigramm = 1 Gramm,, 1 Gallone
— 4’S Liter, 1 Pinte = der achte Theil der
Gallone). Das Gramm, gramma = g, zerfällt
in 10 Decigranim (dg), dieses in 10 Centi-
gramm (cg) und das Centigramm in 10 Milli¬
gramm (mg). Die Bruchtheile des Gramms
werden meist durch ein Komma, in Oesterreich-
Ungarn durch einen Punkt angegeben: was
also rechts von der Interpunction steht, sind
decimale Bruchtheile, z. B. 0,06 sind 6 Centi-
gramm, 6*5 sind sechs und ein halbes Gramm.
Die Multiplication des Gramms geschieht mit
griechischen Bezeichnungen, es sind daher
1 Dekagramm 10 Gramm, ein Hektogramm
100 und 1 Kilogramm 1000 Gramm (1 Pfund
= 5 Hektogramm): letztere Bezeichnungen
dürfen bei Ordinationen gesetzlich nicht ge¬
braucht werden, da leicht Verwechslungen,
z. B. zwischen Decigranim und Dekagramm
Vorkommen könnten. Für diejenigen Medicinal-
personen, welche mit dem metrischen Gewicht
nicht umzugehen verstehen, ist der Gebrauch
des alten Unzengewichtes gestattet, der Apo¬
theker ist jedoch angewiesen, letzteres in das
metrische Gewicht auf dem Recepte umzu-
wandeln und danach zu dispensiren. (Oester-
reichisches Gesetz vom 23. Juli 1871. Deut¬
sches Reichsgesetzblatt 1877.) Vogel.
Decken werden theils in hygienischer,
theils in therapeutischer Beziehung als Schutz-
und Heilmittel bei den Hausthieren angew-en-
det. Die Decken können aus Woll- oder Baum¬
wollstoffen, Leinwand, Loden, Bastfasern, Leder,
Kautschuk oder gegerbten Häuten bestehen.
In hygienischer Beziehung werden sie als
Schutz gegen atmosphärische Einflüsse: Kälte
oder Wärme, Regen, Schnee etc., angew r endet.
Zu diesem Zwecke sind dieselben nach der
Thiergattung verschieden und kommen in ver¬
schiedenen Grössen zur Anwendung. Bei Pfer¬
den ist die Bedeckung des Körpers mit Decken
je nach den Veredlungsgraden und Gebrauchs¬
zwecken verschieden. Luxus-, Renn-, edle und
veredelte Reitpferde werden nicht selten zum
Schutze gegen Erkältungen über den ganzen
Körper, den Hals, die Ohren und Gesichts-
theile, mit Ausnahme der Augen und Nasen¬
löcher, förmlich in Decken eingewickelt und
dadurch gewissermassen einer Verweichlichung
21 *
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324 DECKENDE MITTEL. — DECUBITUS.
entgegengeführt. Bei Arbeitspferden sollen die
Pferdedecken von Wolle, mit roher starker
Leinwand gefüttert und so gross sein, dass
sie den Körper und die oberen Theile der
Vorder- und Hinterbeine, Schulter und Hüftge¬
lenk genügend bedecken. Sommerdecken sind
nur von Drillich oder Leinwand anzufertigen.
Am meisten erfüllen die Decken ihren Zweck,
wenn sie nach der Form des Körpers ge¬
schnitten sind. Bedecken sie den Unterleib
(den Bauch) mehr oder weniger mit, so ist
dies ganz günstig. Kopf, Hals, Brust, Beine
und Bauch werden von den gewöhnlichen ge¬
bräuchlichen Decken nicht bedeckt. Diese
Theile müssen deshalb mit Stroh gut ab ge¬
rieben werden, wenn das Thier erhitzt oder
schwitzend aus der Arbeit kam. Ochsen und
Kühe werden in ähnlicher Weise bei oder nach
der Arbeit manchmal mit Decken bedeckt. Bei
Schweinen und Schafen kommt in der Regel
die Decke* nicht zum Gebrauch, dagegen findet
sie beim Hunde, namentlich der kleinen Ras¬
sen, mitunter in übertriebener und luxuriöser
Weise ihre Anwendung. Das Bedecken der
Pferde und anderer Thiere mit Decken ist bei
dem gewöhnlichen Gebrauch der Arbeit in
hygienischer Beziehung nicht erforderlich.
Wenn jedoch die Thiere bei kalter Witterung
arbeiten oder in kalten Stallungen, vom Dienst¬
ebrauch zurückkehrend, stark erhitzt sind,
ann müssen sie so lange zugedeckt werden,
bis sie ganz abgetrocknet sind; wenn diesel¬
ben durch Arbeit in Schweiss gerathen und
plötzlich für kürzere oder längere Zeit auf
offenen, zugigen Plätzen stille stehen, so ist
ebenfalls wo möglich für Bedeckung zu sorgen.
Das Zudecken bei der Arbeit ist ganz über¬
flüssig und sogar schädlich. In therapeutischer
Beziehung sind passende Decken bei sämmt-
lichen Thieren nicht selten von grossem Vor¬
theil. Bei Fieberkrankheiten, dem Eintritt des
Reactionsstadiums, Kolikerkrankungen durch
Erkältung, bei Starrkrampf, rheumatischen
Leiden etc. ist die Anwendung in einfacher
oder complicirter Form durch Einwicklungen
von entschieden heilendem Einflüsse. Ueber-
haupt ist die Decke bei den meisten inner¬
lichen Erkrankungen der Hausthiere ein un¬
entbehrliches Mittel zur Wärmeregulirung;
zur Unterstützung der Transpiration und der
kritischen Ausscheidungen von Krankheits¬
stoffen ein wohl zu schätzendes Hilfsheil¬
mittel. Ableitner.
Deckende Mittel, s. Protectiva und Demul-
centia.
Deckgläser, s. mikroskopische Technik.
Decoct, Decoctum, s. Abkochen.
Decoctoinfu8um, s. Infusum.
Decourcelles schrieb im Jahre 1799 ein
nur 3 Bogen starkes Dictionnaire vötörinaire
ou le MartJchal expert. Koch.
Decrepitiren der salinischen Arzneimittel,
s. Abknistern.
Decubitus, von de, weg, und cubare,
liegen. Aufliegen oder Durchliegen. Das Wort
Decubitus wird sowohl zur Bezeichnung des
liegenden Zustandes eines Thieres überhaupt,
als auch der durch das Liegen erzeugten
Quetschungen verwendet; in dieser letzteren
Deutung wird es von den Thierärzten meistens
gebraucht. Der Decubitus besteht zunächst,
in einer durch Druck hervorgerufenen Er¬
nährungsstörung der Haut und selbst der
unter derselben befindlichen Gewebe, und
entsteht deshalb vorzugsweise an den weniger
fleischigen Körpertheilen, an welchen die
Haut über Knochenhervorragungen hinweg¬
zieht: so ganz besonders an der Schläfe, an
der Schulter, an den Hüften, am Hüftgelenk
sowie an der äusseren Fläche des Vorder-
knies, des Sprunggelenkes und der Fesseln,
Auch können Decubituserscheinungen an der
Unterbrust oder an den Rippenwandungen
wahrgenommen werden. Das Durchliegen ist
eine unbeliebte Complication vieler Krank¬
heiten, insbesondere derjenigen, welche auf
Blutentmischung beruhen. Namentlich ent¬
steht es bei grosser Schwäche oder auch bei
intensivem Schmerz, weil die Thiere durch
Scharren oder wiederholte Versuche, auf-
zustehen, die Streu in Unordnung bringen
und endlich auf den blossgelegten Stallboden
zu liegen kommen. Abgesehen von der Rei¬
bung der Haut auf dem Boden, wodurch
Hautschürfungen entstehen, kann auch bei
ruhigem Liegen deren Blutcirculation durch
einfachen, anhaltenden Druck zwischen Lager
und Knochen so gestört sein, dass ihre Er¬
nährung unmöglich wird, was unter Um¬
ständen schon nach wenigen Stunden sich
einstellen kann. Die auf solche Weise ge¬
presste Haut wird entweder Sitz einer Ent¬
zündung, bei welcher die Epidermis durch
reichliche Exsudation abgestossen wird, oder es
Rillt dieselbe der Nekrose anheim; in anderen
Fällen scheint sie durch Schweiss, Ausdünstung
des Bodens, nasse Streue macerirt zu sein. Die
Nekrose der Haut kann sich auch nachträg¬
lich in Folge einer intensiven Hautentzündung
einstellen; nachdem die Bildung einer Demar-
cationslinie vor sich gegangen, löst sich das
abgestorbene Hautstück von seiner Unterlage
ab und wird nun abgestossen. In der Regel
stellt sich vorher unter derselben eine Eite¬
rung ein, und es heilt die Wunde, wenn die
Ursachen nicht fortwirken, durch Granulations¬
bildung nach kürzerer Zeit aus; ist dieses
jedoch nicht der Fall, so können die tiefer
liegenden Gewebe auch nekrosiren und end¬
lich der darunterliegende Knochen zum Vor¬
schein kommen. Pferde sind dem Durchliegen
sehr ausgesetzt, und hat der Thierarzt des¬
halb mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Die Verhütung des Decubitus muss in allen
Fällen, bei welchen die Pferde voraussicht¬
lich längere Zeit liegen oder hängen sollen,
durch alle Mittel angestrebt werden. Vor
Allem ist für reichliches, weiches und trockenes
Streulager zu sorgen; Pferde, welche einige
Stunden des Tages stehen können, sucht man
durch Hänge Vorrichtungen darin zu unter¬
stützen, damit sie so wenig liegen wie nur
möglich. Können die Thiere nicht mehr zeit¬
weise aufgestellt werden, so werden sie, wenn
ihr Zustand es erlaubt, alle 2—3 Stunden
auf die andere Seite gewälzt, und wäre dieses
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DEDELAY. — DEGENERATIONEN.
325
Verfahren ebenfalls unzulässig, so sucht man
die am meisten bedrohten Punkte durch
weiche Umhüllungen aus Charpie, Baumwolle,
Werg, Kissen etc. so gut wie möglich zu
schützen. Frisch gequetschte, entzündete
Theile können mit Goulard’schem Wasser und
Verdünnter Arnicatinctur behandelt werden.
Nekrotische Hautstücke und Gewebstheile
werden nach der Bildung der sog. Demar-
cationslinie sorgfältig mit dem Messer ent¬
fernt und die zurückbleibenden geschwürigen
Wunden streng antiseptisch mit Carbol oder
Chlorzinklösung (3—4%) behandelt. Werden
dadurch die Wunden etwas gereizt und
schmerzhafter, so gewinnt man den Vortheil,
dass die Thiere weniger beharrlich auf diesen
Theilen liegen. Die antiseptische Behandlung
solcher Wunden ist überhaupt von der grössten
Wichtigkeit, da durch dieselben leicht Pyo-
hämie oder Septicämie als gefährliche und
tödtliche Complicationen des Hauptleidens
auftreten können. Berdez.
Dedelay d’Agier (1750—1827) gab 1778
heraus: „Prospectus d’un cours complet
d’Hippotomie ou anatomie du cheval et de
Pathologie“. Semmer.
Deerhound, s. Hirschhund.
Defäcation. Diejenigen Bestandtheile
der Nahrung, welche nicht resorbirt worden
sind, inclusive gewisser Residuen der Ver-
dauungssecrete, gelangen durch die Peristaltik
des Darmes bis nach dem Beckenstück des
Mastdarmes. Wenn sich eine grössere Quan¬
tität der Fäces daselbst angehäuft hat, stellt
sich bei den Thieren das Bedürfniss ein, sich
dieser im Körper nicht mehr verwendbaren
Stoffe zu entledigen. Dieser Act wird als De¬
fäcation bezeichnet. Der Anus wird durch
die tonischen Contractionen des Sphincter ani
internus und eitemus erweitert, u. zw. zum
Theil passiv, zum Theil activ. Die passive
Erweiterung geschieht unter dem Druck der
undrängenden Kothmassen, die active durch
Contraction der in den Anus ausstrahlenden
glatten Längsmuskelschicht des Mastdarmes,
Welche den Anus unter Mitwirkung des levator
ani über den Fäcalien hinwegzicht. Flüssige
und breiige Excreraente werden durch die Con¬
traction der Mastdarmmuskulatur fast allein
entfernt. Grosse Kothmengen, insbesondere
auch harter Koth, erfordern zu ihrer Entleerung
die Mitwirkung der Bauchmuskeln und des
Zwerchfells, und dabei nehmen die Thiere
Stellungen an, durch welche die Muskel-
Wirkung unterstützt und einer Verunreinigung
des Körpers vorgebeugt wird. Die grösseren
Hausthiere krümmen den Rücken, strecken
den Schweif in die Höhe, stellen die Hinter-
füsse aus einander und athmen dabei tief ein.
Die Fleischfresser nähern die Hinterglied¬
massen den vorderen und senken das Hinter-
theil, Pferde und Wiederkäuer vermögen je¬
doch auch während der Bewegung Koth zu
entleeren. Bei den ersteren drängt sich beim
Absetzen der Excremente und namentlich nach
demselben die lockere, faltige, röthlich gefärbte
Schleimhaut des Mastdarines hervor, wodurch
die Schleirahautfalten leichter von der auf-
lagemden Kothmenge befreit werden. Die An¬
regung zu der Kothentleerung ist gegeben
durch die Erregung der in der Mastdarm¬
schleimhaut gelegenen sensiblen Nerven, die
Erregung verläuft nach dem im Rückenmark
gelegenen Centruin ano-spinale, von wo aus
reflectorisch die Contraction der angegebenen
Muskelgruppe erfolgt. Zu demselben Resultat
können auch in das Rectum eingeführte
Fremdkörper und bei Erkrankung des Darms
auch andere selbst sehr geringfügige Reize
der Rectalschleimhaut führen.
Wie oft täglich Darmexcremente abge¬
setzt werden, lässt sich nicht genau bestim¬
men. Es hängt dies von der Menge und Be¬
schaffenheit der Futterstoffe, von der Ver-
dauungsthätigkeit des Organismus und davon
ab, ob die Thiere im Stalle oder in Bewe¬
gung gehalten werden. Bei wasserreichem,
saftigem Futter wird öfter Mist entleert als
bei trockenem. Pflanzenfresser entleeren öfter
Mist und in relativ grösseren Mengen als
Fleischfresser. Pferde setzen gewöhnlich
den Mist in Pausen von 3—5 Stunden
und im Ganzen eine tägliche Quantität von
15—20 kg ab. Ter eg.
Defays F. studirte Veterinärmedicin zu
Brüssel und war später Professor für Chirurgie
und Hufbeschlag zu Cureghem-Bruxelles. Er
gab heraus 1859: „Memoire sur l’encastelure“;
1860 schrieb er über Geschichte des Huf¬
beschlags. 1852 erschien von ihm und Husson:
„Manuel de mödecine vötdrinaire“. Semmer.
Defays’sche Drahtschlingen sind zwei bei¬
läufig 40 cm lange Eisen- oder Messingdrähte,
diederart um den Hals des Jungen, besonders des
Hundes, umgeschlungen und durch Drehung
befestigt werden, dass das Junge damit her¬
ausgezogen werden kann. Sie sind nicht be¬
sonders praktisch und stehen der einfachen
Breulet’schen Drahtschlinge weit nach. Strebei.
Defay8’8Che Zange ist ein ziemlich com-
plicirtes geburtshilfliches Instrument, das zum
Erfassen des Kopfes, namentlich beim Hunde
dient. Das öfters im Stiche lassende Instru¬
ment kann ganz gut entbehrt werden. Strebei .
Defectus (deficere, fehlen), der Mangel von
Substanz in einem Organ oder Gewebe. Sf.
Deflbrination des Blutes, s. Blut. Sf.
deficiens (deficere, fehlen), fehlend, z. B.
in Pulsus deficiens, bei Unregelmässigkeiten
in der Pulsfolge, wenn in der Reihenfolge der
Pulse eine Pause von der Dauer der Pause
zwischen zwei oder mehreren Pulsschlägen
eintritt. Sussdorf.
Deformation (deformatio) und deformiren,
in der Medicin gebräuchliche Ausdrücke für
Verunstaltungen, resp. den Vorgang der Ver¬
unstaltung durch pathologische Processe, z. B.
in der Definition des Spates als deformirende
chronische Periostitis. Sussdorf
Degen, sch warzer, ist der nichtofficinelle
Birkentheer oder das Oleum betulinura, Oleum
Rusci; das Mittel hat keine andere Wirkung
als der gewöhnliche Theer, nur weniger unan¬
genehmen Geruch (s. Pix liquida). Vogel.
Degenerationen (von degeneratio), Ent¬
artungen, Metamorphosen, Umwandlungen von
326 DEGENERATIONEN.
Geweben und Organen in andere Stoffe und
Formen. Die Entartungen zerfallen in folgende
Gruppen:
t. Fettdegeneration, Fettmetamorphose,
excessive Bildung von Fett aus Körperalbumi-
naten, die in stickstoffhaltige Bestandteile
(Harnstoff) und stickstofflose zerfallen, von
welchen letzteren ein Theil zu Kohlensäure
und Wasser oxydirt, den Körper verlässt, und
ein anderer Theil in Form von Fett zurück¬
bleibt Unter physiologischen Verhältnissen
finden diese Vorgänge bei der normalen Fett¬
bildung statt. Die Fettmetamorphose ist nicht
zu verwechseln mit der Fettinfiltration oder
vorübergehender Ablagerung von Fettropfen
in die Zellen und Gewebe aus dem aufge¬
nommenen Nahrungsfett. Bei der pathologi¬
schen Fettmetamorphose werden die Körper-
albuminate in kleine Fettmolecüle und Fett¬
tröpfchen umgewandelt, die sich unter dem
Mikroskop durch starken Glanz, dunkle Con-
touren, Nichtfärbung durch die meisten Farb¬
stoffe und Resistenz gegen die meisten Rea-
gentien (mit Ausnahme von Aether) charakteri-
siren. Die fettig entarteten Gewebe und Organe
büssen theilweise oder ganz ihre Functions¬
fähigkeit ein und können schliesslich atro-
phiren und schwinden, indem ihre Elemente
zu einem fettigen Detritus zerfallen und resor-
birt werden, oder das gebildete Fett geht
in Fettsäure-Krystalle über (Margarinsäure,
Stearinsäure, Cholestearin). Die der Fett¬
degeneration unterworfenen Gewebe und Organe
nehmen erst eine gelblich graue, dann gelb¬
liche bis weissgelbe Farbe an. Die Fettmeta¬
morphose verläuft acut und chronisch; acut
bei Phosphorvergiftungen, acuten Entzün¬
dungen, vielen Infectionskrankheiten. wie Milz¬
brand, Septicäinie, Lähme, Puerperalfieber,
Rinderpest, Pocken etc., chronisch bei chroni¬
schen Anämien, Lähmungen, Altersraarasmus,
chronischen Vergiftungen mit Alkohol, Aether,
Chloroform, Phosphor, Arsenik, Schwefelsäure,
Phosphorsäure, Gallensäuren u. a. und in vielen
Neubildungen. Die Fettentartung kann Vor¬
kommen an fast allen normalen und patho¬
logischen Geweben und ist besonders häufig
in Epithelzellen, Drüsenzellen (in der Leber
und Niere), in ausser Function oder Ernährung
gesetzten Nerven und Muskeln, in Arterien¬
häuten etc. und von Neubildungen besonders in
Tuberkeln. Rotzknoten, Eiterherden, croupösen
Entzündungsproducten und Infiltrationen. Bei
nicht sehr hochgradigen Fettdegenerationen
nach überstandenen Vergiftungen und Infections¬
krankheiten kann nach Resorption der Fett¬
moleküle und Tröpfchen vollständige Wieder¬
herstellung der normalen Form, Mischung und
Function der betreffenden Organe und Gewebe
eintreten. Bei hochgradigen Fettmetamorphosen
lebenswichtiger Organe (Leber, Nieren, Herz)
erfolgt der Tod.
2. Pigmentmetamorphose oder Infiltration
der Gewebe mit Haematoidin (Haematin,
Haemin, Haematoin), Melanin und Gallenfarb¬
stoffen. Infiltrationen mit Haematoidin in Form
krystalliniseher rhombischer Säulen oder diffuser
Körnchen von ziegelrother Farbe finden sich
in Zellen und Geweben, in denen vorher
Blutungen stattgefunden haben. Das Haema¬
toidin ist ein Derivat des Blutfarbstoffes und
stammt aus in die Gewebszellen eingedrungenen
und dort aufgelösten rothen Blutkörperchen.
Die mit Haematoidin infiltrirten Gewebe haben
eine gelbliche oder röthliche Farbe. Das
Haematoidin ist in Wasser, Alkohol, Aether,
Essigsäure, verdünnten Mineralsäuren und
Alkalien unlöslich, löst sich in concentrirten
Mineralsäuren, Schwefelkohlenstoff, Chloro¬
form, wird durch Untersalpetersäure hellblau
gefärbt und zerfällt im Laufe der Zeit in den
Geweben in kleine Körnchen, die sich auf-
lösen oder resorbirt werden. Haematoidin findet
sich unter physiologischen Verhältnissen in
den Corpora lutea der Ovarien, unter patho¬
logischen Verhältnissen in allen Organen und
Geweben, in denen Blutaustritte stattgefunden,
besonders in drüsigen Organen und im cen¬
tralen Nervensystem. Gallenfarbstoffe (Bili¬
rubin, Bilifuscin, Biliprasin, Bilihumin, Bili¬
verdin) werden bei Hindernissen des Gallen-
abfiusses aus der Leber zunächst in die Leber¬
zellen infiltrirt, treten dann weiterhin im
Blute auf und werden in alle Organe und Ge¬
webe des Körpers abgelagert (s. Cholämie und
Icterus). Das schwarze Pigment oder Melanin
ist nach einigen Autoren ebenfalls ein Derivat
des Blutfarbstoffes, nach anderen entsteht es
aber selbständig: dasselbe bildet entweder
rhombische Tafeln oder amorphe Körnchen
und regelmässig geformte bewegliche Kügel¬
chen und hat grosse Resistenz gegen die
meisten Reagentien. Physiologisch kommt das
Melanin vor im Rete Malpighi der Haut, im
Auge, in der grauen Hirn- und Rückenmarks¬
substanz. Unter pathologischen Verhältnissen
findet man Melanin in den Lungen der meisten
alten Hunde (neben eingeathmeten Kohlen¬
partikelchen) und in den Melanosen, inelano-
tischen Sarcomen und Krebsen. Besonderst
häufig leiden Schimmel an Melanosen mit
gleichzeitiger Infiltration sämmtlicher Lymph-
drüsen mit zahllosen beweglichen mikrococcen-
ähnlichen Pigmentkügelchen (s. Melanosen).
Ausser den bisher genannten kommen noch
sog. acute Pseudopigmentirungen vor, u. zw.
Ablagerungen von Silber (Argyrie) und Blei
in Substanz in den Geweben nach längerem
innerlichen Gebrauch von Silber- und Blei¬
präparaten mit grauer oder schwärzlicher Ver¬
färbung der Gewebe. Bei chronischen Darm¬
katarrhen wird die Darmschleimhaut oft
schieferfarbig, grau oder grauschwarz durch
Ablagerung von Schwefeleisen, das durch Ein¬
wirkung von Schwefelwasserstoff auf das Eisen
des ausgetretenen Blutes (Ecchymosen) sich
bildet. Eine ähnliche schmutziggraue oder
schwarzbraune Färbung tritt unter denselben
Verhältnissen in brandig abgestorbenen, in
fauliger Zersetzung befindlichen Körpertheilen
ein, indem der sich dort bildende Schwefel¬
wasserstoff das Eisen des Blutes ausfällt.
3. Beim Brand zerfallen die Gewebe
zu Detritusmassen verschiedenen Charakters
(s. Brand, Nekrose, Gangrän).
4. Verkalkungen bestehen in Durchdrin-
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DEGENERATIONEN.
327
gung und Infiltration der Gewebe mit Mole¬
külen, Körnchen und Krystallen von kohlen¬
saurem und phosphorsaurem Kalk und Mag¬
nesiasalzen und Natronsalzen. Unter physiolo¬
gischen Verhältnissen kommen Verkalkungen
nur an Knochen vor. Pathologische Verkalkun¬
gen können in allen Organen und Geweben
stattflnden und kommen besonders in höherem
Alter an den Knorpeln, Gefässhäuten, Sehnen
vor, seltener in verschiedenen Häuten, Mus¬
keln, Drüsen. Ferner sind Verkalkungen häufig
in vielen Neubildungen, besonders Tuberkeln,
Rotzknoten, in abgekapselten Eiterherden
(Abscessen) und Thromben, in abgestorbenen
Früchten, in der Bauchhöhle und im Uterus
(Lithopädion), um eingekapselte oder abge¬
storbene Parasiten, Trichinen, Echinococcen.
Die Folgen der Verkalkungen der Gewebe
sind Verlust der Elasticität und Contracti-
lität derselben (Knorpel, Arterien, Sehnen).
Die Verkalkung von Neubildungen (Tuber¬
keln, Krebsen), Eiterherden und Thromben ist
meist von Nutzen für den Gesammtorganis-
mus, indem ein weiteres Wachsthum und eine
metastatische Verbreitung dadurch verhindert
wird. Die Ursachen der Verkalkungen sind:
Anämien, mangelhafte Ernährung, träger Stoff¬
wechsel oder massenhaftes Auftreten von Kalk¬
salzen im Blut (Kalkmetastasen, Kalkinfarcte).
Bei der Gicht findet eine Ablagerung harn¬
sauren Natrons in den Gelenkknorpeln, Harn-
canälchen und Gefässhäuten statt. Die Ab¬
lagerungen von Kalk- und anderen Salzen
geben ferner Anlass zu Concrement- und Stein-
bildungen (s. Concremente und Steine). Die
verkalkten Gewebe haben meist eine gelbliche
oder weissliche Farbe und fühlen sich hart
oder sandig an. Die Kalkkörnchen erscheinen
unter dem Mikroskop als dunkle oder opake
unregelmässige Schollen.
5. Amyloiddegeneration, Speckentartung,
Wachsentartung, hyaloide Degeneration, eine
bei den Hausthieren selten vorkommende Ent¬
artung, besteht in Ablagerung besonderer albu-
minöser Substanzen in rückgängiger Meta¬
morphose, sog. amyloider Substanzen in die
Zellen und Gewebe. Die Gewebe und Organe
werden dabei vergrössert, härter, praller oder
teigig, blassgrau oder graubraun, auf der
Schnittfläche trocken, glatt, speckartig glän¬
zend. Bei Zusatz von Jod und Schwefelsäure,
Jod und Chlorzink, Jod und Chlorcalcium
werden die entarteten Gewebe violett, bräun¬
lichgrün oder bläulich, durch verdünnte Jod-
lösung, Jodtinctur oder Jodkaliumlösung roth-
braun, durch Methylviolett roth gefärbt. In
concentrirter Essigsäure quillt die Amyloid¬
substanz etwas auf, wird in concentrirten
Alkalien aufgelöst, während Wasser, Alkohol
und Aether ohne Einwirkung auf dieselbe
sind. Nach einigen Autoren (Rindfleisch)
kommt die amyloide Entartung durch Infil¬
tration mit amyloider Substanz zu Stande,
nach anderen (Cohnheim) handelt es sich um
eine Entartung der Gewebsalbuminate in
rückgängiger Metamorphose zu amyloider
Substanz, einer Mittelstufe zwischen Albumin
und Fett. Die Corpuscula amylacea und das
Myelin des Gehirns stehen in keiner Bezie¬
hung zur Amyloidentartung. Am häufigsten
kommt die Amyloiddegeneration an den Ge-
fässen und Drüsenzellen der Leber, Milz und
Nieren bei Pferden als Folge chronischer
Leiden, wie Rotz, Krebs, Knochencaries etc.
vor. Die Folgen der Amyloidentartung sind:
Anämie, Hyarämie, Abmagerung, Kachexie,
Marasmus, Hydrops und der Tod.
6. Schleimmetamorphose kommt vor in
Zellen und Intercellularsubstanzen. Besonders
häufig findet Schleimbildung statt in den
Epithelzellen der Schleimhäute bei Reiz¬
zuständen und Katarrhen. Bei der Schleim¬
degeneration oder schleimigen Erweichung
der nichtzelligen Elemente und Grundsub¬
stanzen findet eine Umwandlung des Colla-
gens und Chondrogens in Mucin statt, ein
Derivat der Albuminate, das sich von letz¬
teren durch geringeren Kohlenstoff- und
Stickstoffgehalt und Mangel an Schwefel unter¬
scheidet. Besonders häufig kommt die Schleim¬
entartung an Knorpeln und verschiedenen Neu¬
bildungen vor, von denen einige ganz den
Charakter des Schleimgewebes besitzen (siehe
Myxome). Durch Zusatz von Essigsäure zu
Schleimgewebe bilden sich fadenförmige Ge¬
rinnsel.
7. Colloidmetamorphose betrifft vorzugs¬
weise zellige Elemente, deren Inhalt in eine
homogene, farblose, leimähnliche Substanz,
das Colloid, umgewandelt, wird, die sich vom
Eiweiss durch Unlöslichkeit in Essigsäure,
vom Schleim durch Mangel an Gerinnung in
•Essigsäure und von der amyloiden Substanz
durch Nichteintreten der Jodschwefelsäure¬
färbung unterscheidet (s. Colloidentartung.
Colloidkrebs).
8. Seröse Infiltration besteht in Anfül¬
lung der Zellen und Grundsubstanzer. mit
einer serösen oder serös-schleimigen Flüssig¬
keit, wodurch eine beträchtliche Schwellung
und Vergrösserung der Zellen und schliess¬
lich Berstung und Untergang derselben er¬
folgen kann. Diese Metamorphose kommt vor
an den Endothelien der serösen Häute und
Lymphgefasse, an den Epithelien der Lungen¬
alveolen bei Entzündungen und Oedemen.
9. Croupöse Metamorphose besteht in
Umwandlung des Zelleninhalts .in käsige,
feste, geronnenem Faserstoff ähnliche Massen;
kommt vor bei der croupösen und diphtheri-
tischen Entzündung der Schleimhäute und
Lungen.
10. Combinations-Metaraorphosen. a) Kä¬
sige Entartung ist eine Atrophie mit Zerfall
der Gewebe 1 in molekulären Detritus, in denen
die Ernährung und der Stoffwechsel mangel¬
haft oder ganz aufgehoben ist. Die Entartung
kann in allen Geweben und Neubildungen
Vorkommen, besonders in zollenreichen Ge¬
bilden, in Tuberkeln und Eiterherden. Die
Gewebe erlangen dabei eine gelbliche oder
weisse Farbe, werden trocken, bröckelig, käse-
ähnlich. Wegen ihres besonders häufigen Vor¬
kommens in Tuberkeln hat man die käsige
Entartung auch tuberculöse Entartung ge¬
nannt. Die käsig entarteten Massen bestehen
328 DEGLUTIONSGERAUSCHE. — DELOMORPH.
aus Eiweiss und Fettmolekülen, Resten von
Zellen und Kernen und in späteren Stadien
auch aus Kalkpartikelchen. — b) Atheroma-
töse Entartung ist eine Combination von Fett-,
Kalk- und käsiger Entartung. Die atheroma-
tösen Massen bestehen aus Fett und Chole-
sterinkrystallen, Eiweisspartikelchen und Kalk¬
körnchen und bilden einen gelblichen, bröcke¬
ligen, grützeartigen, zuweilen glimmerartig
glänzenden Brei. Die ergriffenen Gewebe gehen
durch die atheromatöse Entartung zu Grunde.
Am häufigsten kommt die Entartung vor in
den Wandungen der Arterien, in einigen Neu¬
bildungen (Tuberkeln, Krebsen, Dermoid¬
cysten u. a.).
In einigen Geschwülsten findet man zu¬
weilen fast alle Arten der Degenerationen
neben einander vor.
11. Erweichung der Knochen (s. Osteo-
malacie). Semmer.
Deglutionsgeräusche, Schlund- o. Schluck¬
geräusche. Das Auf- und Absteigen der . Bissen
ist an der Schlundrinne des Halses bei den
Thieren gut vernehmbar, ebenso auch das
Verschlucken von Getränk; die diesbezüg¬
lichen Geräusche machen den Eindruck des
feuchten Knisterns, gehen aber mit staunens-
werther Geschwindigkeit an dem Ohre vorüber;
am deutlichsten wahrnehmbar sind sie wäh¬
rend des Wiederkauens, praktisch verwerthbar
jedoch nur, wenn es sich um Eruirung von
Schlundstenosen, fremden Körpern im Oesopha¬
gus, Drüsengeschwülste im Mittelfell handelt. Es
ist dabei immer die Schlundsonde einzuführen,
deren Vordringen von aussen mittelst dei
Ohres ebenfalls verfolgt werden kann. Die
Deglutionsgeräusche sind bei einiger Uebung
auch auf der Brustwand hörbar, können aber
über die Beschaffenheit des Lungengewebes
bei Krankheiten keinen weiteren Aufschluss
geben. Vogel.
Dehiscentia (subst. zu dehiscere, auf¬
platzen), das Bersten eines flüssigkeithaltenden
Hohlraumes. Für den Vorgang der Follikel¬
entleerung im Ovarium. Sussdorf.
Dejean S. gab 1856 zu Bordeaux heraus:
„Traitd thdoretique et pratique de l’action
rödhibitoire dans le commerce des animaux“. Sr.
Dekker J. A. (1812—1859) studirte Ve-
terinärmedicin zu Utrecht, war Thierarzt am
zoologischen Garten in Amsterdam und ver¬
öffentlichte mehrere Wahrnehmungen an kranken
Thieren des zoologischen Gartens im Reper¬
torium von Rienderhoff und Hekmeijer. Im
Jahre 1853 gab er eine Pathologie und Ge¬
burtshilfe heraus. Semmer.
Delacroix gab 1853 zu Limoges ein Buch
über Hufbeschlag heraus. Semmer .
Delafond H. M. 0., 1805—1861, Professor
und Director der Veterinärschule zu Alfort,
gab 1838 heraus: „Traitö sur la police sanitaire
des animaux domestiques u , 1841 gemeinsam
mit Lassaigne „Traitö de mattere medicale“,
schrieb ausserdem über Seuchen, Schafpocken¬
impfung, Geflügelseuche, Hydrämie, Räude.
In Gemeinschaft mit Andral und Gavarret
veröffentlichte er eine Arbeit über das Blut. Sr.
Delaguette V., französischer Oberthierarzt
und Ritter der Ehrenlegion, war Mitheraus¬
geber des „Journal de Mödecine vdtdrinaire
theoretiques et pratiques“ und übersetzte im
Jahre 1823 Fachwerke. Im Jahre 1811 machte er
dem Kriegsminister Mittheilungen über Heil¬
versuche des RotZfes. Im Jahre 1844 war er
Mitbegründer der thierärztlichen Gesellschaft
der Seine. Koch.
deleter, gewöhnlich, aber wohl unrichtig
deletär geschrieben (das griech. irXYjTtjpcoc,
von OTjXstv) zerstörend, schädlich, töatlich. Sf.
Delirien (delirare =Xnpstv, irrereden) sind
irre, verkehrte Reden in schweren, fieberhaften
Krankheiten mit Depressionen derintellectuellen
Gehirnthätigkeit, wie sie bei Gehirn- und Hirn¬
hautentzündung, starker Blutüberfüllung des
Gehirns im Verlaufe gastrischer und nervöser
Fieber, bei Infectionskrankheiten, Typhus,
Vergiftungen mit narkotischen und spirituösen
Substanzen Vorkommen. Obschon man in den
Krankheiten der Thiere selbstverständlich nicht
von einem Irrereden sprechen kann, so ge¬
braucht man trotzdem den Ausdruck „Delirien“
oder „delirienhaftes Benehmen“ in einzelnen
Krankheiten, in denen die Thiere Störungen
ihres Bewusstseins und normalen Erkenntniss-
vermögens deutlich ausprägen, indem sie bei
halbgeschlossenen Augen unruhig den Kopf
hin- und herwerfen, damit um sich schlagen,
sich von einer Seite auf die andere wälzen,
ohne sich ihrer bewusst zu sein, oder wenn
sie im Stalle umhertoben, in die Krippe stei¬
gen, den Kopf an die Wand drängen, wenn
Hunde unstät umher irren und Handlungen
ausführen, welche Sinnestäuschungen verrathen,
z. B. in die Luft nach Gegenständen schnap¬
pen und beissen, die gar nicht vorhanden
sind. Wir erinnern in dieser Beziehung an den
Koller der Pferde, an Meningitis, an Milz¬
brand, Kalbfieber und Hundswuth. Anacker .
Delit680entia (abgel. von de, weg, und
latescere, verborgen sein), das plötzliche Ver¬
schwinden z. B. einer Krankheit, Geschwulst;
auch wohl gleich Latenz, Verborgensein, z. B.
in latentes Stadium bei ansteckenden und
Erkältungskrankheiten zur Bezeichnung des
Stadium incubationis. Sussdorf.
Delius, deutscher Arzt, Professor der
Medicin in Erlangen und Schriftsteller über
Hippo-Physiologie; im XVIII. Jahrhundert. Abr.
Delle. Centrale Vertiefung an der Ober¬
fläche einer Pocke oder sonstigen Pustel, wenn
eine solche um ein Haar oder eine Talgdrüse
sich entwickelt. Die Vertiefung wird bedingt
durch das feste Anhaften der Epidermis am
Haarbalg oder der Drüsenöffnung, weswegen
die sich im Rete Malpighi ansammelnde Lymphe
die Epidermis um das Haar herum nicht so
hoch abheben kann als an der Peripherie,
wo kein solches Hinderniss vorhanden ist. Sr,
Delomorph (abgel. von SijXos, deutlich,
und rj pop'fyj, Form, Gestalt), mit be¬
stimmter Form ausgestattet. So nennt z. B.
Rollett die Belegzellen der Fundusdrüsen im
Gegensatz zu den adelomorpben oder Haupt¬
zellen als undeutlich abgegrenzteProtoplasma-
agglomerate (s. Magen). Sussdorf.
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DELPHIN. — DEMODICIDEN.
329
Delphin, Delphinus. Säugethiere aus der
Ordnung der Natantia oder Cetacea, Fisch-
säugethiere, Unterordnung der Cetacea Car¬
nivora, Familie der Delphinidae. Die Del¬
phine haben einen relativ kleinen Kopf mit
langen, am Ende xugespitzten Kiefern, deren
Ränder mit zahlreichen, spitz kegelförmigen
Zähnen besetzt sind. Die Stirne, welche ge¬
wölbt ist, setzt sich scharf von der spitzen
Scbnanze ab. Der nackte, spindelförmige
Körper endet mit einer grossen, horizontalen
Schwanzflosse und trägt eine deutliche Rücken¬
flosse. Die Delphine leben in. allen Meeren,
ihre Nahrung besteht in Fischen und Cepha-
lopoden. Man kennt zahlreiche Arten, worunter
die bekannteste der gemeine Delphin, Del¬
phinus delphis, ist. Derselbe erreicht eine
Länge von durchschnittlich zwei Metern, ist
oben schwarz, auf der Unterseite weiss. Seine
Kiefer tragen jederseits 45 —50 kleine, kegel¬
förmige Zähne. Meist in grösseren Schaaren
auftretend in den Meeren der nördlichen
Erdhälfte, namentlich auch im Mittelmeer. St.
Delphinlum Staphlsagria, scharfer Ritter¬
sporn des südlichen Europas (Ranunculacee,
L. XIII.), deren Samen die Läusekörner,
Semina Staphidis agriae (Stephans¬
körner), sind, und deren Pulver auch bei
Thieren noch gegen Läuse zwischen die Haare
f estreut wird. Wirksam ist das scharfe, dem
eratrin des Läusesamens (Fructus Sabadillae)
analoge, aber weniger zuverlässige Delphinin
(8. Veratrum album). Vogel.
Delprato P., Director der Thierarznei¬
schule zu Parma, schrieb 1855 über Kuh-
ocken und Schutzmauke und 1858 über In-
uenza der Pferde unter dem Namen Typho-
hömie. Semmer .
Delwart L. V. studirte Veterinärmedicin
in Alfort, wurde 1832 Professor an der Vete¬
rinärschule zu Brüssel. 1837 erschien von ihm
zu Brüssel: „Pathologie spöciale ou descrip-
tive des principaux animaux domestiques“. Er
schrieb ferner über Hufkrebs, Zwanghuf,
Dampf, Lähmung der Blase und Harnröhre,
Hemiplegie, Milzbrand, Bruchoperationen, Tre¬
panation, Gebrauch des Arseniks etc. Sr.
Delysader war seinerzeit Beschäler in dem
nstpreussischen Hauptgestütc zu Trakehnen.
Derselbe gehörte der orientalisch-arabischen
Vollblutrasse an und gelangte in den Jahren
1818—1820 mit sieben anderen Hengsten der¬
selben Rasse in das Gestüt. — Nach Frentzel’s
Mittheilungen haben diese Orientalen ver*
hältnissmässig wenig werthvolle Nachkommen
geliefert und standen sogar dem englischen
Halbblute bedeutend nach. Von ihren Nach¬
kommen waren im Ganzen nur 83 Stuten zum
Einrangiren geeignet; die übrigen Exemplare
der Nachzucht mussten zu verhältnissinässig
niedrigen Preisen verkauft werden. Frey tag.
Demarcationslinie v. franz. demarcation,
Abgrenzung, in der Chirurgie gebräuchliche
Benennung für die räumliche Begrenzung des
entzündeten Gewebes von dem dasselbe umge¬
benden gesunden Gewebe (s. Entzündung). Kh.
Dematlum pullulans nennt de Bary einen
an die Sphaeriaceen sich anschliessenden Pilz
mit braunen Zellwänden. Derselbe ist ein
sehr häufiger Bewohner zuckerhaltiger Frucht¬
säfte etc.; er treibt hier lange, farblose,
septirte, oft verzweigte Mycelfäden, aus
welchen nun zahllose farblose, kugelige, ovale
bis eiförmige Zellchen hervorsprossen. Diese
trennen sich vom Mycel ab und vermehren
sich nun durch Sprossung genau wie Hefe¬
zellen. In ihrer Gestalt sind sie oft von
echter Hefe nicht zu unterscheiden. Alko¬
holische Gährung bewirken sie nicht. Diese
Zellen können wieder zu Mycelfäden aus¬
wach sen, welche einem Mycel von Penicillium
täuschend ähnlich sehen. Harz.
Dementia (von de, weg, und mens, f. Sinn,
Verstand), Sinnlosigkeit, Tobsucht für den
erethischen Koller (s. Amentia). Sussdorf.
Demetrius Constantinopolitanus oder D.
Papagomenus, Leibarzt des griechischen Kaisers
Michael Palaeologus (im XUI. Jahrhundert),
gab ein Werk über Jagdfalken und deren
Krankheiten heraus unter dem Titel: „Hieras-
cosophion“. Semmer.
Demodiclden, Balgmilben. Dieser Gat¬
tungsname der Acarier wurde von P. Gervais
für einen sehr interessanten Parasiten gewählt,
welcher die Talg- oder Haarfollikel des Men¬
schen und verschiedener Thiere bewohnt. Bei
den Untersuchungen, welche Simon in Berlin
1842 anstellte, um sich über die Natur der
Hautkrankheit des Menschen, welche unteT
dem Namen Acne sebacea bekannt ist,
Rechenschaft zu geben, machte er die Ent¬
deckung des hier in Rede stehenden Para¬
siten; er fand denselben vermischt mit den
talgartigen Absonderungen der Drüsen, welche
sich in die Follikel der Gesichtshaare öffnen.
Nachdem er denselben bei Cadavem gefunden,
fand er ihn bei weiteren Forschungen auch
bei lebenden Wesen, welche von der Acne
befallen waren. Fast zu derselben Zeit wie
Simon entdeckte auch Professor Henle in
Zürich den Acarus der Haarfollikel, und bald
darauf verlegten sich zahlreiche Gelehrte in
England sowohl wie in Deutschland auf die
Suche und das Studium desselben. Owen schlug
vor, den Parasiten Demodex folliculorum zu
benennen, und diesen Namen hat er auch,
ungeachtet der Versuche vieler Autoren, ihm
einen anderen zu geben, beibehalten. In dem
Jahre, welches der Entdeckung des Demodex
folliculorum folgte, signalisirte Topping die
Gegenwart eines ähnlichen Parasiten bei dem
Hunde, welchen Tulk dann auch beschrieh.
Simon in Berlin fand ferner auch einen Demo¬
dex in den Meibom’schen Drüsen des Schafes.
In letzter Zeit wurde ein ähnlicher in Amerika
in der Haut von Rindern aufgefunden; wir
endlich entdeckten eine kleine Abart dieses
Demodex in dem Ohre der Katze. Die Autoren,
welche bisher den Demodex beschrieben oder
abgebildet haben, begingen zahlreiche Irr-
thümer in anatomischer Hinsicht, besonders
in Betreff des Rüssels; auch seine Verwand¬
lungen wurden völlig ignorirt, und wir sind
die Ersten, welche dieselben beschrieben und
abgebildet, die beiden Geschlechter unter¬
schieden, das Ei oder die fusslose Larve,
330
DEMO URSACHE MEMBRAN. — DENDRON.
welche das Weibchen zur Welt bringt, nach-
ewiesen haben. Im Nachfolgenden mögen
ie Eigentümlichkeiten des Genus Demodex,
welche auch gleichzeitig jene der ganzenFamilie
der Demodiciden sind, beschrieben werden.
Genus Demodex, Owen. Wurmförmiger
Acarus mit sich vom Unterleib deutlich unter¬
scheidendem Thorax, ohne Haare oder irgend¬
welche Spicula. Der Thorax ist cylindrisch,
steif, mehr zähe, die Rückenseite halb cylin-
drisch gepanzert, nach vornehin abgeflacht,
Unterleib weich, kegelförmig, verlängert, der
Breite nach fein gestreift, das untere Ende
abgerundet, nach der Häutung stark zurück¬
gezogen. Der Rüssel ist oben von einer
Verlängerung des Epistome bedeckt und
besteht: 1. aus einem Paar Maxillen, welche
an ihrer Basis Zusammenhängen, am Ende in
auseinandergehende Spitzen auslaufen; 2. aus
einem Paar Maxillarpalpen mit vier Articu-
lationen, von denen blos die drei letzten frei und
kurz sind, die letzte mit scharfen Spitzen und
einem starken eingebogenen Haken bewaffnet
ist; 3. aus einem schmalen Zünglein, das
zurückziehbar ist und über den oberen Theil
der Kauwerkzeuge gleitet; endlich 4. aus
einem Paar Mandibeln mit etwas divergenten
Spitzen, die an ihrem inneren Rand Zusammen¬
hängen und unbeweglich sind. Das Männchen
hat das Geschlechtsorgan vor dem Anus an
der Grenze, welche den Abdomen vom Thorax
trennt; die Vulva des Weibchens vereinigt
sich mit dem Anus. Das Weibchen legt eine
Larve oder ein weiches, fussloses Ei, das die
Form eines Orangenkernes hat und Bewegungen
der Contractibilität zeigt. Dieser Larve folgt
eine etwas grössere Puppe, welche ebenfalls
völlig weich ist, aber bereits unter der zum
Thorax gehörigen Abtheilung drei Paar spitzige
Papillen besitzt, deren sie sich zum Fort¬
bewegen bedient. Dieser Puppe folgen dann
grössere Individuen, welche schon vier Paar
noch papilliforme Glieder haben, und nach
diesen kommen dann die vollkommen aus¬
gewachsenen und mit Geschlechtsorganen aus¬
gerüsteten Individuen.
Der Genus Demodex umfasst fünf
Arten oder Varietäten, von denen für den
Veterinär die wichtigste jene des Hundes ist,
welche wir auch hier zuerst anführen.
Demodex folliculorum Owen, Var.
caninus. Das ausgewachsene oder ei tragende
Weibchen ist 0*25—0*30 mm lang. Von dieser
Länge nimmt der Thorax und der Rüssel bei¬
läufig die Hälfte ein. Das Männchen hat eine
Gesaramtlänge von 0 22—0*25 mm. Die Breite
des Thorax beträgt bei beiden 0*045 mm. Diese
Varietät der Demodex verursacht die Acarus-
räude (s. d.) beim Hunde, welche, wenn sie
einmal ausgebreitet ist. ungemein hartnäckig
und sehr schwer zu heilen ist.
Der Demodex folliculorum des Men¬
schen hat einen kürzeren und schmäleren Thorax
als jener beim Hunde, aber der Abdomen ist
länger. Diese Varietät ist weit weniger ge¬
fährlich als die vorher angeführte.
Der Demodex folliculorum, welchen
wir in dem Ohre einer Katze gefunden, gleicht
jenem des Hundes, ist jedoch um ein Viertel
in allen Dimensionen kleiner. Er scheint nicht
sehr gefährlich zu sein und lebt in Gemein-'
samkeit mit zahlreichen Chorioptes ecaudatus.
Jene Arten, welche auf dem Schafe, oder
jene, welche bei Rindern leben sollen, sind
uns bisher nicht zu Gesicht gekommen.
Literatur : Simon: Archiv f. Anat. und Physiol.
von Müller 1842. — Owen: Ann. and Magaz. of natural
history. London 1843. — Erasmus Wilson: Researches
into structure and development of a new cutaneous para-
site, in den Transactions of the Royal Society of Lon¬
don 1844. —E r ot: Ueber Acarus folliculorum caninus in\
Bull. Aead. München 1853. — Tulk: Demodex folliculorum
caninus in den Ann. of nat. hist. 1844. — Megnin:
Memoire sur le Demodex folliculorum Owen im Journal
de l’Anatomie du Prof. Ch. Robin. Paria 1877. Mcgnin.
Demours’sche Membran (Membrana
Descemetii, Lamina elastica posterior), s. „Horn¬
haut“.
Demulcentia. Unter den mechanisch wir¬
kenden Arzneimitteln wirkt eine grössere An¬
zahl einfach durch Imbibition, indem sie z. B,
auf der Haut in die Epidermis eindringen und
eine Volums Vermehrung und Lockerung ver¬
anlassen. Diese Gewebserweichung kann nicht
allein an der gesunden Haut stattfinden, welche
Wasser und selbst Fett aufnimmt, sondern an
allen zugängigen Körpertheilen, und es kann
damit, wo excessive und schmerzhafte Span¬
nung oder Verhärtung besteht, die normale
Consistenz wieder hergestellt, die Spannung
und Verdichtung gemildert, erweicht, demulcirt
werden, die Demulcentien fallen daher mit den
Eraollientien, den reizmildernden und decken¬
den Arzneimitteln zusammen. Viele derselben
kommen nur als Träger des Wassers in Be¬
tracht, und indem sie in erwärmtem Zustande
in Anwendung kommen, als Vehikel der
feuchten Wärme: die Action ist daher
mehr eine passive als active, und werden sio
hauptsächlich bei Entzündungen der Haut,
Excoriationen, Ulcerationen, Katarrhen u. s. w.
gebraucht. Zu den Demulcentien gehören
sämmtliche Schleime (Mucilaginosa), Oele,
Fette, Vaseline, Glycerin u. s. w., ebenso auch
die deckenden Mittel. Mit der Auflockerung
ist immer auch eine Erschlaffung und Erwei¬
terung der Gelasse verbunden, und gehören
hieher auch die Kataplasmen, warmen Fuss^
bäder (bei trockenem, sprödem Horn) und
Dunstbäder (s. d.). Vogel,
Demusset V. D., französischer Veterinär,
Verfasser eines Verzeichnisses der in Frank¬
reich erschienenen veterinärärztlichen Schriften
(bis 1810) mit bibliographischen Notizen,
welches Exposö an der Alforter Bibliothek
aufbewahrt ist. Koch.
Dendriten sind eigentümliche, an Moos¬
vegetation erinnernde Zeichnungen, welche
man ausser an verschiedenen Mineralien auch
in der Masse und auf der Oberfläche fossiler
Knochen beobachtet. Sie gelten als Zeichen
eines hohen Alters der Knochen (s. fossile
Knochen). Koudelka.
Dendron, xi osvopov, Baum, in Ablei¬
tungen, wie:
dendritisch für baumartig sich ver¬
zweigende Gebilde, wie Drüsengänge, zottige
Auflagerungen etc. Sussdorf.
DENNY. — DEPECORATION.
Denny J., Pferdearzt, gab in England
1802 ein Buch über Pferdekrankheiten: „A
Treatise on the diseases of Horses u heraus. Sr.
Densimeter, s. Araeometer.
Dentalplatte, s. Gaumen (harter) der Rinder.
Dentes, Zähne. Bau der Säugethierzähne.
Der Hauptsache nach besteht das Gerüst der
Zähne aus drei histiologisch unterscheidbaren
Substanzen. Die bindegewebige Grundlage
des Zahns (die Papille) wandelt sich durch
einen Ossificationsprocess in eine harte, gelb-
lichweissedem Knochengewebe ähnliche Masse
um, welche den Namen Dentin (Zahnbein,
Elfenbein, subst. eburnea, Ebur) führt, das
Epithel, welches ursprünglich die Zahnpapille
überdeckt, restirt entweder in Form eines
widerstandsfähigen, aber sehr dünnen mem-
branösen Ueberzugs, Schmelzoberhäutchen,
Cuticula auf dem Dentinmantel, oder nur ein
Theil des Epithels wird zum sog. Schmelz¬
oberhäutchen, der andere gestaltet sich zu
einem das Dentin überdeckenden, aus ver¬
steinerten Prismen bestehenden Ueberzuge,
den man Schmelz
(Subst. vitrea, ada-
mantina, adamas,
Email) nennt; und
endlich der dritte
Bestandtheil der
knochenartigen
Zahnkapsel ist das
vorzugsweise an den
Wurzeln vorkom-
mendeCement(s.d.)
Von diesen Hartge¬
bilden eingeschlos¬
sen, resp. in der
von ihnen herge¬
stellten centralen
Höhle lagert die
Matrix des Zahn¬
beins, das Weich¬
gebilde des Zahnes,
die sog. Zahnpulpa
(Fig. 424). Letz¬
tere ist der cen¬
trale, nicht ver¬
kalkte Ueberbleib-
sel der ursprüngli
chen Zahnpapille,
des Zahnbeinkeims,
das Ernährungs-
Zahnes. Die Pulpa
Fig. 424. Schematischer Durch¬
schnitt eines Fleischfresser¬
zahnes (Praem.). a Pulpa, bei
b Odontoblasten, c Dentin,
d Schmelz, e Cement.
und Gefühlsorgan des
besteht aus einem sehr
succulenten, von Nerven und zahlreichen Ge-
fässen durchsetzten Bindegewebe, die peri-
pherste Partie der Pulpa trägt in dichter
Anordnung zusammengereihte eigentümliche
Zellen, die sog. Odontoblasten; diese haben
rundlichen Körper mit rundlichem Kern und
von dem Zelleibe gehen nach drei Dimen¬
sionen hin mehr oder weniger lange Fort¬
sätze aus, welche eine Verkettung der Zellen
unter sich, mit dem Pulpagewebe und mit
dem Dentin bezwecken. Die Zellen hängen
unter sich durch die sog. seitlichen Fort¬
sätze, mit der Pulpa durch die sog. Pulpa¬
fortsätze und mit dem Zahnbein durch die
Dentinfortsätze zusammen. Letztere stehen
33 t
distal radiär von der Pulpa, sind sehr lang r
und von einer Zelle gehen oft mehrere solcher
Fasern in das Dentin: diese Odontoblasten-
fortsätze oder Ausläufer der Odontoblasten
(Elfenbeinzellen), werden auch Zahnfasem
genannt und repräscntiren eine Art Saft¬
fasern (ähnlich den Fortsätzen der Knochen-
zellen in den sog. Kalkcanälchen), sie er¬
scheinen als zarte, vielverästelte Fäden und
verleihen dem Zahnbein, in das sie aus¬
strahlen, auf Schnitten oder Schliffen ein
streifiges Aussehen. Die erhärtete Grundsub¬
stanz des Dentins bildet nämlich um diese
Zellenausläufer durch etwas dichteres Gefüge
eine canalartige Umscheidung, die Zahnbein-
canälchen, die entsprechend den Zellenaus-
läufern an der Pulpagrenze beginnen und
radiär unter vielfachen anastomotischen Ver¬
bindungen abgehen. An trockenen Schliffen
sind sie, weil mit Luft gefüllt, als dunkle,
dicht neben einander liegende Streifen gut zu
erkennen. Nach M. Schlenker sollen die Zahn-
beinrührchen nicht die Abgussform von einem
oder mehreren Zellfortsätzen sein, sondern
statt der Zellfaser eine Summe aneinander-
gereihter Zellen (Dentinzellen) als Scheide
umschliessen, welche Zellen dann die Säfte-
circulation zur Oberfläche und dann auch die
Rolle von Nervenendigungen vertreten. Der
Schmelz, die härteste Substanz, welche wir
am Vertebratenorganismus kennen, bildet
als bläulichweisse Masse einen kappenartigen
Ueberzug über die Zahnkrone, der aus ver¬
steinerten Cylinderepithelien aufgebaut ist;
nur an embryonalen Zähnen ist die Zellen¬
natur des Schmelzes noch zu erkennen. Am
entwickelten Zahn sieht man statt der Schmelz¬
zellen, wenn ein Zahndurchschnitt den Schmelz
der Länge nach trifft, lange, cylindrisch, pris¬
matische, solide Gebilde, die sog. Schmelz¬
fasern oder Schmelzprismen; auf dem Quer¬
schnitte sehen sie in ihrer dichten Gruppirung
einer Honigwabe nicht unähnlich, im schrägen
Durchschnitt gleichen sie einem Ziegeldach.
Es sind eben äusserst dicht stehende, total
verkalkte lange Cylinderzellen, welche ihrer
Genese nach der Schleiraschicht des Maul¬
höhlenepithels entsprechen, während das den
Schmelz deckende Häutchen (Schmelzober¬
häutchen) als zur Cuticula umgebildetes
Hornstratum des Mundhöhlenepithels gedeutet
zu werden verdient. Ueber das Cement s. d.
ebenso „Zähne“. Kitt.
Dentin, s. Dentes.
Dep., Abkürzung auf Recepten, soviel als
depuratum, gereinigt, (zum Unterschied vom
rohen und chemisch reinen Präparat, welch letz¬
teres als „purum“ (chemice purum) bezeich¬
net wird. Vogel.
Depecoration. In den meisten Staaten
Europas wurde in den letzten Jahrzehnten
nachgewiesen, dass die Anzahl der einheimi¬
schen Schlachtthiere sich eher vermindert
als zugenommen hat; höchstens kann man
eine stationär gebliebene Production zugeben.
Ferner hat man beobachtet, dass der für den
Consum nothwendige Ueberschuss durch Ira-
portation gedeckt werden musste, welche letz*
332 DEPECORATION.
tere bei der stetigen Vermehrung des Fleisch-
consums sowie der unzureichenden Viehpro-
duction von Jahr zu Jahr an Bedeutung
gewann.
Prof. Lambl in Prag, der sich viel und
eingehend mit dieser ökonomischen Erschei¬
nung beschäftigte, gab ihr den Namen „De¬
pecoration“. Denn so wie man die Abnahme
der Bevölkerung einer Gegend Depopulation
nennt, so nennt er die Abnahme der Pro -
ducte der Viehzucht Depecoration.
Diese Depecoration kann sowohl eine
absolute als eine relative sein: absolut, wenn
die Thierprodnction eines Landes von Jahr
zu Jahr geringer wird, wenn die Thierzucht
desselben sich von Jahr zu Jahr vermindert.
Dr. v. Neumann-Spallart nimmt selbst an,
dass in der Ausbreitung des städtischen und
industriellen Elements der letzten Jahre un¬
leugbar ein immer fortwirkender Anlass zur
Einschränkung der Viehzucht in dichtbevöl¬
kerten Staaten liegt. Relativ ist die Depeco¬
ration, wenn, trotzdem dass Fortschritte in
der Aufzucht, wie auch eine Vermehrung der
schlachtbaren Thiere stattfinden, dennoch
diese Vermehrung nicht Schritt hält mit der
Zunahme der menschlichen Bevölkerung und
dem vermehrten Bedürfniss an Hausthieren.
Oft finden sich beide Arten der Depecoration
gleichzeitig vor, indem sie für eine Art ab¬
solut, für die andere relativ ist.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass in
letzter Zeit fast überall mehr Sorgfalt auf die
Züchtung der Hausthiere verwendet wurde.
Nur um von dem Boden einen grösseren Er¬
trag zu erhalten, um intensive Cultur zu be¬
treiben, um mehr Dünger zu produciren, wur¬
den bereits mehr Thiere gehalten. Viel¬
fältige Anspornung diente dazu, eine ver¬
mehrte Thierproduction und Besserung der
Nutzthiere zu bewirken. Die beste Aufmun¬
terung war jedoch die grosse Steigerung im
Werthe aller thierischen Producte, besonders
des Fleisches.
Alle diese Anregungen reichten jedoch
nicht aus; cs konnte das Angebot der Nach¬
frage nicht Folge leisten; sie sind an den
Schwierigkeiten gescheitert, welche die Ver¬
mehrung der Futterculturen mit sich bringt.
Trotz der künstlichen und chemischen Dün¬
gung hat die Futterproduction immer ihre
bestimmten Grenzen, und selbst angenommen,
der Boden könne aus sich selbst die zu einem
nahrhaften und guten Futter nothwendigen
Elemente liefern, dass ihm genau alle orga¬
nischen und anorganischen Elemente, die ihm
entzogen wurden, zurückgegeben würden, so
würde man schliesslich doch wieder an einem
Mangel, an genügender Flächenausdehnung,
ein Hinderniss finden.
Es sei jedoch hiemit nicht gesagt, dass
bisher Alles gethan worden ist, um die
grösstmögliche Anzahl von Nutzthieren zu
produciren; eine solche Behauptung wäre für
viele Länder Europas nicht am Platze, und
es bleibt in diesem Specialfache noch sehr
viel zu thun. Es soll jedoch damit ausge¬
drückt werden, dass die relative Depecoration
ganz unvermeidlich ist; man wird gut reich¬
lich Vieh aufziehen können, immer wird der
Zeitpunkt kommen, in welchem diese Auf¬
zucht nicht mehr ausgedehnt werden kann,
in welchem dieselbe unzureichend werden wird.
Das beste Productionsland wird von der Im-
portation Abhilfe verlangen müssen, und es muss
durch die umfassendsten Einrichtungen des
internationalen Fleischhandels, namentlich mit
Rücksicht auf die reichen transoceanischen
Gebiete abgeholfen werden; es kann jetzt nicht
mehr gesagt werden, dass ein grosses Land
nicht von den fremden Ländern abhängen
darf, wenn es sich um seine Alimentation
handelt; es muss im Gegentheil ein Umtausch
in den Ernährungsstoffen stattfinden, weil die
einzelnen Länder sich nicht für sich und aus
sich allein erhalten können: es müssen unter
den verschiedenen Völkerschaften Verkehrs¬
mittel vorhanden sein, wie sie die Gesell¬
schaft zwischen den einzelnen Menschen ge¬
schaffen hat.
Zweck dieses Artikels ist eine Feststel¬
lung des jetzigen Zustandes der Depecoration
in den verschiedenen europäischen Ländern
und der geeigneten Mittel, ihre Wirkungen zu
bekämpfen oder unwirksam zu machen.
In einzelnen Ländern waren die Fort¬
schritte in der Aufzucht der Nutzthiere grösser
als in anderen; so hat besonders England
seine Thierproduction in ganz bedeutender
Weise entwickelt. Es producirt an Thieren
ungefähr das Doppelte seiner Production an
Vegetabilien. Für West und Mittelfrankreich
ilt dasselbe; auch werden zur Zeit in Nord-
eutschland und den Niederlanden sehr be¬
deutende Anstrengungen in dieser Beziehung
gemacht. Geringer, manchmal nur schwach,
waren diese Bemühungen in Süddeutschland
und dem östlichen Frankreich: gleich Null
waren sie in Südeuropa. War es auch nicht
überall möglich, die Zahl der Nutzthiere zu
vermehren, musste sogar in einzelnen Fällen
ihre Zahl verringert werden, so ist doch ziem¬
lich allgemein die Qualität eine bessere ge¬
worden ; so sind besonders die Thiere grösser
und geeigneter zur Schlachtung gemacht wor¬
den. Die früher reif gewordenen Thiere konnten
früher auf die Schlachtbank gebracht werden
und erlaubten somit den Besitzern, schneller
ihre Thiere zu ersetzen; auch dienten die
Cerealien, die, in zu grosser Menge angebaut,
eine grosse Werth Verminderung erlitten, zur
Ernährung der Thiere, die dadurch besser
wurde.
Ungeachtet dieser Fortschritte, von wel¬
chen leider die Statistik keine Notiz nimmt,
hat die Vermehrung der Production anSchlacht-
thieren nicht Schritt gehalten mit demConsum,
und es sahen sich alle Länder genöthigt, zur
Importation zu schreiten, welche, dank der
Eisenbahn und Dampfschiffahrt, bis jetzt eine
ungeahnte Ausdehnung gewonnen hat.
Das Studium der Züchtung der schlacht¬
baren Hausthiere in den verschiedenen Län¬
dern zeigt uns, dass seit 1850 fast überall Fort¬
schritte in der Züchtung zu bemerken sind,
was dem immer mehr zu Tage tretenden
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DEPECORATION.
333
rationellen ond zielbewussten Zuchtgefühl
zu danken ist. Aber in dieser Epoche wurden
auch die Kräfte der Völker mehr und fast aus¬
schliesslich auf die -Industrie und den Handel
verlegt auf diese Weise eine Vermehrung des
öffentlichen Wohlstandes bewirkt, die einen
stetig wachsenden Verbrauch von animali¬
scher Nahrung mit sich brachte. Leider hat
bei der heutigen Krisis diese Fleischconsu-
mation wieder abgenoramen; sie ist aber den¬
noch fühlbar und wird mit Unrecht von
einigen Seiten unterschätzt. Die Production,
und die Verwendung der Rohstoffe, besonders
der für den Consum nothwendigsten Gegen¬
stände, fanden in den Augen einiger Oekono-
misten nicht genug Werth, um in Erwägung
gezogen zu werden. Mit dieser Zeit fingen
auch die Eisenbahnen ihren internationalen
Dienst an, und haben auch die diversen Völ¬
ker den freien Eintritt der landwirtschaft¬
lichen Producte in ihre Länder gestattet und
so die rasch steigende Consumvermehrung
und Iraportation bewirkt, an die vorher nicht
gedacht wurde.
Gesellte sich zu diesen Ursachen in
einem Lande noch die Vermehrung der Be¬
völkerung hinzu, wie es für die meisten
Staaten der Fall ist, so wurde der Mangel
an Hausthieren noch viel empfindlicher, und
es vermehrte sich die Depecoration von Jahr
zu Jahr in beinahe geometrischer Progression.
Natürlich vermehrte sich die Importation in
gleicher Weise, denn es war nicht mehr die
einfache Nachfrage, die das Angebot anzog,
sondern die Aussicht auf einen aussergewöhn-
lichen pecuniären Vortheil. Fand keine Impor¬
tation statt, weil Handel und Industrie fehlten
oder kein Vortheil für den Importeur war,
so trat oft die Auswanderung der Bevölkerung
ein, wie durch Adam Smith nachgewiesen
wurde.
Wie bereits angedeutet, ist die Depeco¬
ration besonders stark in England, diesem
Lande mit dichter Bevölkerung und grossem
Fleischconsum. Seit sehr langer Zeit ist dieses
Land auf Importation angewiesen.
Die progressive Vermehrung der aus¬
wärtigen Alimentation in den letzten zwanzig
Jahren ist merkwürdig, sagt de la Trehonnais;
der Werth der eingeführten auswärtigen Cerea¬
lien und Fleischwaaren betrug 875 Millionen
Francs im Jahre 1857, 1876 war er auf
2750 Millionen gestiegen. Die verhältniss-
mässig grösste Vermehrung war in der Im¬
portation der animalen Producte: lebende
Thiere, frisches und eingesalzenes Fleisch,
Fische, Eier, Butter und Käse; Waaren, deren
jährlicher Werth sich in dieser Periode von
175 Millionen Francs auf 900 Millionen
Francs erhöht hat. Der Werth der impor-
tirten Gegenstände entspricht ungefähr dem
dritten Theil der einheimischen Production
an animalischen und vegetabilischen Nah¬
rungsstoffen, wie aus der folgenden Tabelle
ersichtlich ist, deren Zahlen den Veröffent¬
lichungen der Royal Society of Agriculture
entnommen sind (1878).
Einheimische Auswärtige
Production.
Werth der vegetabilischen Frs. Frs.
Producte. 3-143,426.000 1.318,437.600
Werth der animalischen Pro-
dncte. 3.175,000.000 901,260.000
Die einheimische Production an Fleisch
betrug. 1.226,000.000 kg
Die auswärtige Production. 316,000.000 „
Summa 1.540,000.000 kg
Der Werth der einheimischen Fleisch-
production beziffert sich auf_ 2.175,000.000 Frs.
Der Werth der ausländischen auf.... 661,250.000 „
Summa 2.726,250.000 Frs.
Betrachtet man die statistischen Tabellen,
so findet man, dass in England oder viel¬
mehr in den britischen Inseln, weil Irland
zugerechnet werden muss, eine absolute De¬
pecoration stattfindet. Man zählte nämlich:
1871 {!!!!!’
... 9,429.602
Stück Rindvieh
... 31,348.290
„ Schafe
... 4,136.616
„ Schweine
i.
. .. 10,221.036 Stück Rindvieh
1874 .
... 34,827.597
„ Schafe
1.
... 3,537.354
„ Schweine
|.
. . 10,162.787
Stück Rindvieh
1875 .
... 33,491.948
„ Schafe
I.
... 3,495.167
„ Schweine
1877 }!!/.
. . . 9,697.000
Stück Rindvieh
... 32,157.000
„ Schafe
I.
. . 3,964.000
„ Schweine
|.
. . 10,637.70j
Stück Rindvieh
1884 1..
.. 30.938.194
. . 3;881.647
,, Schafe
., Schweine.
Wandelt
man nach dem besonders durch
Lambl und Menier angewandten System diese
Anzahl von Thieren in Kilogramm Lebend¬
gewicht um, mit Annahme eines mittleren
Gewichtes von 275 kg für 1 Stück Rindvieh
und 30 kg für die kleineren Thiere, so findet
man, dass England unterhielt:
1871 ......... 3.597,800.000 kg
1874
1875
1877
1884
3.979,500.000
3.924,803.000
3.750.305.000
3.972,623.000
Von 100 kg im Jahre 1874 fiel die An¬
zahl Thiere 1875 auf 98, auf 94 im Jahre
1877, um auf 99 im Jahre 1884 wieder zu
steigen.
Während die animale Bevölkerung derart
im Abnehmen begriffen war, stieg im Gegen-
theile die menschliche Bevölkerung; so zählte
man:
1861 . 28,292.000 Einwohner
1871 . 31,349.000 „
1874 . 32,394.000
1875 . 32,634.000 „
1877 . 33,013.000
1884 . 35,425.000 „
Man zählte demnach auf 1 Einwohner:
1871 . 114-76 kg Lebendgewicht
1874 . 122-73 „
1875 . 120-77 .,
1877 . 113-60 ,.
1884 . 112*17 ,.
334
DEPECORATION.
Die Depecoration schreitet demnach in
besorgnisserregender Weise fort, und es kann
deshalb nicht Wunder nehmen, wenn gewisse
Oekonomisten und besonders englische Züchter
den allzu starken Importationen von Vieh und
Fleisch Hemmnisse in den Weg zu setzen
versuchen, weil diese Einfuhr die Züchter
durch die Concurrenz, welche sie dem ein¬
heimischen Thiere bietet, mehr oder minder
entmuthigt.
Wendet man sich von England nach
Frankreich, so findet man einerseits eine
weniger entwickelte Eignung der verschiedenen
Thiere zur Schlachtung. Hier ist das Rindvieh
noch mehr Arbeitsthier oder Milchvieh als
Schlachtthier, und das Schaf hie und da noch
zu sehr Wollthier; die Thiere sind sämmtlich,
Hornthiere wie Schweine, weniger frühreif als
in England. Bedeutende Fortschritte sind jedoch
in den letzten 25 Jahren bezüglich der Schlacht-
barkeit gemacht worden, wie die Ausstellung
zu Paris 1878 genügend bewies, und dennoch,
vielleicht gerade aus diesem Grunde, ging die
Depecoration besonders als relative schnell
voran.
Die Importation von Thieren, die 1849
fast gleich Null war, da dazumal sämmtliche
Schlachtthiere in Frankreich auferzogen wur¬
den, hatte 1869 bereits einen Werth von über
120 Millionen Francs. Die nachfolgenden
Zahlen beweisen, wie die Importation von
Thieren und Fleisch, letzteres sowohl frisch
als gesalzen, einen fortwährend zunehmenden
Gang hatte:
Ochsen Kühe u. Kälber Schafe Fleischwa&ren
Frs.
Frs.
Frs.
Frs.
1849
644.000
4.355.OjCO
1,612.000
256.000
18Ö9
9.091.000
18.325.000
15,994.000
1,462.000
1809
3l.885.0u0
34,141.000
60,042.000
7.920.000
1876
33,933.000
24,432.000
78.877.000
15.646.000
1861
25.331.000
17,325 000
80,445. OuO
37,953.000
Während die Importation auf diese Weise
in einer fast geometrischen Progression fort-
schritt, ging die Exportation nur in einer
«arithmetischen Progression weiter, wie die
folgenden Zahlen angeben:
Ochsen Kühe u. Kälber Schafe Fleischwaaren
Frs.
Frs.
Frs.
Frs.
1849
3,438.000
1,192.900
1,171.000
769.000
1859
7,756.000
4,530.000
2,498.000
1,025.000
1869
18.445.000
4,499.000
3,030.000
3.847.000
1876
13.613.000
14,351.000
3,539.000
6,853 000
1881
11,463.000
10,525.000
958.000
10,849.000
Nach Stückzahl gerechnet, betrug die
Importation von lebenden Thieren:
Rindvieh
Schafe
Schweine
1835 .
. . 43.705
138.400
9.300
1846 .
44.773
141.900
9.000
1856 .
. . 66.002
161.600
14.300
1860 .
. . 130.619
477.900
64.700
1863 .
. . 170.437
638.500
86.500
1873 .
. .. 163.000
1,586.000
75.000
1877 .
. .. 210.000
2,500.000
196.000
1881 .
... 140.600
1.710.000
254.000
Diese Einfuhrzahlen sind verschiedenen
grossen Schwankungen unterworfen, je nach
dem Stand der Ernten inw r ärts und auswärts,
je nach dem Stande des Handels, den Ver¬
lusten durch Seuchen u. s. w.: so hat Frank¬
reich, nachdem es 1872 153 Millionen, 1873
133 Millionen für Thiereinfuhr bezahlte, 1874
nur 88 Millionen dafür ausgegeben und 1881
noch viel weniger.
Nach Gewicht berechnet, findet man eine
Fleischproduction von:
1840 . 3.844,406.000 kg
1852 . 4.994,465.000 „
1862 . 4.590.580.000 „
1866 . ... 4.410,045.000 „
1872 . 4.094,726.000 .,
1876 . 4.072,018.000 „
Es kommt so auf 1 Einwohner:
1840 (34,230.178 Einw.).
110-47 kg
1852 (35,783.170
).
139*68 .,
1862 (37,386.161
.« ).
123*79 „
1866 (38,067.044
,, ).
115*84 „
1872 (36,102.921
„ ).
113*48 „
1876 (36,905.788
„ ).
110*82
Es ist somit, nachdem von 1840 bis
1852 eine Steigerung stattgefunden hatte, eine
absolute und relative Depecoration in den
darauffolgenden Jahren eingetreten, vereint
mit einem grösseren Fleischconsum, indem der
mittlere Jahresconsum von 20 kg per Ein¬
wohner im Jahre 1838 auf 24 kg im Jahre
1852 und 31 kg im Jahre 1875 gestiegen war
und eine Erhöhung des Fleisch werthes um
mehr als 50% mit sich brachte.
Ueber das Deutsche Reich fehlen einiger-
massen statistische Angaben. Seitdem die rus¬
sischen und österreichisch-ungarischen Gren¬
zen jeden Augenblick gesperrt werden, ist die
Einfuhr sehr eingeschränkt und vermindert,
denn es kann die Thierschmuggelei, wenn
auch noch so bedeutend, nicht in Betracht
gezogen werden. Im Jahre 1871 wrnrden nach
Deutschland eingeführt:
273.393 Stück Rindvieh,
2,300.000 Schafe.
Ausgeführt wurden in demselben Jahre:
235.750 Stück Rindvieh,
1,850.000 „ Schafe.
Im Jahre 1873 betrug der Werth der ein¬
geführten Thiere und der animalischen Nah¬
rungsmittel 450,400.000 M., während die Aus¬
fuhr ungefähr die Hälfte dieser Summe betrug.
Im Jahre 1882 betrug die Einfuhr:
114.927 Stück älteres Rindvieh.
99.612 ,, Jungvieh.
1,317.183 „ Schweine,
71.781 „ Schafe.
Die Ausfuhr dagegen:
132.927 Stück älteres Rindvieh,
108.923 „ Jungvieh,
318.070 „ Schweine,
1.452.823 „ Schafe.
Man zählte 1871 im Deutschen Reiche:
15,776.702 Stück Rindvieh,
27,319.408 ,, Kleinvieh,
7,124.088 „ Schweine.
Zusammen 5.270,976.000 kg Lebendge¬
wicht. Die Bevölkerung war 41,058.792 Ein¬
wohner: es kamen daher 128*37 kg auf 1 Ein¬
wohner.
DEPECORATION.
335
1874 zählte man :
14,386.791 Stück Rindvieh,
24,323.438 „ Kleinvieh,
6,340.415 ,, Schweine.
Zusammen 4.871,137.000 kg Lebendge¬
wicht. Bei 42.757.812 Einwohner kamen also
auf 1 Einwohner 413*23 kg.
Die Viehzahl betrug 1882:
15,785.322 Stück Rindvieh.
21,815.356 Kleinvieh.
9,205.791 Schweine.
Zusammen 4.634.166.720 kg Lebendge¬
wicht. Die Bevölkerung betrug 45,234.061
Einwohner, wodurch auf 1 Einwohner nur noch
102 *28kg gerechnet werden müssen.,
Nach diesen Zahlen wäre also eine ab¬
solute und eine relative Depecoration in Deutsch¬
land. Jedoch muss in Erwägung gezogen wer¬
den, dass im Jahre 1874 und in mehreren
folgenden Jahren in verschiedenen Staaten
sich der Viehstand in Folge des Futtermangels
Verminderte. Die Depecoration ist jedoch des¬
halb nicht unwahrscheinlicher, da sie in den
Verschiedenen Bundesstaaten des deutschen
Reiches nachgewiesen wird, wobei höchstens
Preussen eine Ausnahme macht.
Es haben allerdings die Zahlen, die hier
für die diversen europäischen Staaten ange¬
geben werden, nur einen relativen fast an¬
nähernden Werth, da die Viehzählungen im
Allgemeinen in diesen Ländern seiten waren,
in zu grossen Zwischenräumen und besonders
in zu ungleichmässiger Weise vorgenommen
wurden. Schliesslich findet sich nicht die Sorg¬
falt, mit welcher derartige Operationen hätten
Vorgenommen werden müssen, um glaubwür¬
dige Resultate zu ergeben. Dennoch, wenn
auch ein absoluter Werth bestritten werden
kann, haben diese Zahlen ihren Werth, inso¬
fern sie einstimmig eine relative Verminderung
des Viehbestandes anzeigen, welche dann das
Raisonnement als thatsächlich beweist.
In Skandinavien, sowmhl in Schweden als
auch in Norwegen, ist die Depecoration sehr
bedeutend, besonders in Folge der grossen
Vermehrung der Bevölkerung.
Auch in Dänemark lässt sich eine leichte
Depecoration nachweisen.
In Holland ist die Lage eine günstige,
ubenso in Belgien, obwohl dieses letztere Land
mannigfache Importation erhält.
Ueber Spanien fehlen genaue Angaben.
Italien, welches 1866 auf 26,798.000 Ein¬
wohner ein Lebendgewicht von 1.469,300.000 kg
hatte, somit 54 79 kg auf 1 Einwohner entfielen,
Wählte 1874 auf 27,801.000 Einwohner ein
Lebendgewicht von 1.226,775.000 kg, also nur
44*13 auf 1 Einwohner. Es besteht demnach
sinesehr bedeutende Depecoration, welche haupt¬
sächlich der grossen Exportation nach Frank¬
reich zuzuschreiben ist. Wie H. Sagnier sagt, ist
die allzugrosse Exportation von Schlachtthieren
nicht immer ein Zeichen von Reichthum, und
wäre viel besser für die Bevölkerung dieser
Gegend, wenn sie selbst einen Theil des
Fleisches essen würde, w elches sie in das Aus¬
land schickt. Uebrigens hat Italien nur wenig
Fortschritte in der Aufzucht gemacht, und es ist
in den meisten Provinzen die Anzahl der für
die landwirtschaftlichen Betriebe ernährten
Thiere zu gering, um den für den Cultur-
betrieb notwendigen Dünger zu beschaffen.
Ein gleiches Bild bietet uns Griechen¬
land, in welchem Lande die Züchtung nur
die zum landwirtschaftlichen Betriebe not¬
wendigen Thiere bezweckt.
Auch in der Schweiz zeigt sich einige
Depecoration, wenn auch die Thierproduction
in steter Vermehrung vor sich ging. Im
Jahre 1860 w r aren auf 2,519.630 Einwohner
297,768.700 kg Lebendgewicht, somit 118* 20kg
auf 1 Einwohner. 1870 war die Bevölkerung
auf 2,669.147 Einwohner gestiegen, ebenso das
Lebendgewicht der Thiere auf 305,310.000;
es kamen aber nur 114 39 kg auf 1 Ein¬
wohner. 1876 war bei 2,759.854 Einwohner
das Lebendgewicht 317,616.000 kg, somit
115*08 kg. auf 1 Einwohner.
Die Schweiz importirt mehr lebende
Thiere, als sie deren exportirt, wie die fol¬
genden Zahlen beweisen:
Importation
1860
1865
1877
Stück Rindvieh
87.848
74.211
189.775
Schafe
54.784
57.494 1
|
,, Ziegen
13.072
9.226
165.314
„ Schweine
56.060
53.260 |
Exportation
* 186«)
1805
1877
Stück Rindvieh
51.538
75.93 t
162.872
„ Schafe
10.965
17.496 j
„ Ziegen
3.011
4.766
102.896
„ Schweine
21.645
28.368 1
Für das Jahr 1877
rechnet man, dass
die Schweiz für mehr als 240 Millionen Francs
über den Ertrag seiner Ausfuhren an vegeta¬
bilischen und animalischen Lebensmitteln ein¬
geführt hat. %
In Oesterreich-Ungarn, welche Länder
immer eine grosse Rolle in dem Thierexporte
gespielt haben, und welchen viele Autoren eine
grosse Zukunft für die Production von’Schlacht-
vieh beimessen, ist doch etwas Depecoration
vorhanden, weil Ungarn besonders sich auf
die Cerealienproduction (Mehl) gelegt hat,
und weil, wie wir sehen werden, dem^Viehexporte
von Seiten Westeuropas, von Deutschland
wie von Frankreich allzuviel Schwierigkeiten
in den Weg gestellt werden. Da in Bezug auf
Depecoration beide Theile des Reiches Unter¬
schiede zeigen, so ist die Lage derselben ge¬
sondert zu betrachten. Oesterreich zählte:
Rindvieh Schafe Ziegen Schweine
1847 5,222.876 6,473.549 — —
1857 8,013.368 5,248.664 1,027.618 3,409.959
1869 7,225.212 4,905.398 979.104 2,541.473
1880 8,584.077 3,841.000 1,006.000 2,731.000
Nach Lebendgewicht:
1857 . 2.495,223.000 kg
1869 . 2.209.554.000 „
1880 . 2.596,771.000 „
336
DEPECORATION.
Auf die jedesmalige Bevölkerung ge¬
rechnet findet man:
auf
1 Einw.
In Ungarn zählte man:
Rindvieh Schate Ziegen Schweine
1847 5,638.000 — — —
1857 5,646.954 11,281.805 430.973 4,504.905
1869 5,279.193 15,079.697 572.951 4,443.279
1880 5,311.378 9,839.797 333.214 4,160.127
Für 13,769.513 Einwohner, die Ungarn
1857 zählte, waren demnach 2.040,456.000 kg
Lebendgewicht, also 144’69 kg auf 1 Ein¬
wohner; 1869 war auf 15,417.327 Einwohner das
Lebendgewicht auf 2.054,522.000 kg gestiegen,
also 148* 11 auf 1 Einwohner; 1880 war
das Lebendgewicht 1.890,623.090 kg auf
15,650.000 Einwohner, also nur noch 120*80 kg
auf 1 Einwohner. Es fängt somit die Depecora-
tion stark an, wahrscheinlich unter dem Ein¬
fluss der verminderten Einfuhr aus Russland.
In Oesterreich-Ungarn wirdeinigerraassen
die Viehpioduction vernachlässigt, da die Be¬
sitzer zu sehr für Exportzwecke züchteten,
um nachher ihren Viehbestand aus Russland
oder Rumänien zu vervollständigen. Deutsch¬
land ganz besonders lässt unter dem Vor¬
wand von Rinderpestgefahr, hauptsächlich
aber um die Viehzucht in Norddeutschland
zu schützen, gar kein Vieh aus Oesterreich-
Ungarn importiren. Meyer schätzt, dass sich
die Thierproduction in Oesterreich-Ungarn um
2,000.000 Stück von 1857—1869 vermindert
hat, trotzdem Ungarn ein Plus von 80.000 Stück
gezüchtet oder importirt hat; auch nimmt er
an, dass die Depecoration in den nächsten
zehn Jahren und seitdem fortgedauert hat.
Nur seinen natürlichen Hilfsmitteln, aber nicht
einer intelligenten Landwirtschaft verdankt
es Oesteneich-Ungarn, dass es noch relativ
viel Vieh producirt; seinen Reichthum bildet
das russische Vieh, welches iryGalizien und
in Siebenbürgen an Qualität gewinnt und
leicht fett wird.
Die mittleren Zahlen der Iraportation
und Exportation von Rindvieh nach und aus
Oesterreich* Ungarn finden sich in der folgen¬
den Tabelle:
1857 (18,224.500 Einw.) 136*92 kg)
1869 (20,394.983 „ ) 108*34 „
1880 (22,130.000 „ ) 117*79 „ >
Importation
Exportation
1831—1835
145.667 Stück
94291
1836—1840
169.634
71
94.423
1841—1845
169.228
11
124.155
1846—1850
125.513
11
90.638
1851—1855
149.876
11
93.070
1856—1860
130.556
11
99.670
1861—1865
108.420
11
138.058
1866—1870
131.685
11
139.305
1871—1875
179.589
11
145.986
1876
158.280
11
204.394
1877
163.645
11
258.945
1881
83.208
11
91.728
Stück
Man wird daraus ersehen, dass die Schwan¬
kungen in der Importation nicht so gross sind
als in der Exportation, und dass diese in den
Jahren 1876 und 1877 ganz aussergewöhn-
liche Proportionen angenommen hatte. Sie be¬
weisen auch, dass die einheimische Production
zugenommen haben muss, weil die Exportation
die Importation um 50.000 und 95.000 Stück
übertraf. Tirol allein führte an 40.000—50.000
Stück aus (Meyer).
Rumänien zählte:
Rindvieh mit
Büffeln
Schafe und
Ziegen
Schweine
1873 1,858.000 3,927.000 837.000
1880 2,750.568 5,247.000 1,008.737
Mit 4,424.691 Einwohner war 1873 das
Lebendgewicht 656,872.310 kg, also 148*47 kg
per Einwohner: im Jahre 1880 waren 5,376.000
Einw. und das Lebendgewicht 816,077.470kg,
also 151 *79 kg per Einwohner. Die Viehzucht
nimmt hier zu, trotz Export nach Ungarn, der
Türkei und selbst Aegypten. Die Einfuhr war
1880 von 6.909 Stück Rindvieh, 23.137 Schafe
und Ziegen und 715 Schweine: die Ausfuhr
in demselben Jahre war 20.792 Stück Rind¬
vieh, 114.857 Schafe und Ziegen und 178.430
Schweine.
Genaue Zahlen über die animale Bevöl¬
kerung der andern Donaustaaten und der euro¬
päischen Türkei fehlen gänzlich, und es finden
sich in den zeitweilig veröffentlichten stati¬
stischen Angaben solche Unterschiede von
einem Jahre zum andern, dass es vollkommen
unmöglich ist, dieselben eingehenden Be¬
rechnungen zu Grunde zu legen.
Für Russland sind die angegebenen
Zahlen weniger ungenau, wenn sie auch mehr
durch Schätzung als durch eigentliche Zählung
erhalten werden.
Man zählte:
Rindvieh Schafe Ziegen Schweine
1866 20,988.000 43.770.000 2,500.000 9,285 000
1870 22,770.000 48.132 000 1,700.000 9,800.000
1876 28,600.000 64,500.000 1,300.000 11,000.000
Nach Lebendgewicht:
1866 . 7.438,370.000 kg
1870 . 8.050,710.000 „
1876 .10.169,000.000 „
Auf die jedesmalige Bevölkerung findet
man:
1866 (63,659.000 Einw.) 116*85 kg
1870 (69,500.000 „ ) 115 84 „
1876 (71,000.000 „ ) 143*22 „
auf
1 Einw,
Die Vermehrung ist mithin eine enorme,
beinahe um 25%; nach Wolinieff wäre sie noch
grösser; besonders die Anzahl der Schafe hat
eine bedeutende Vermehrung erfahren. In
vielen Steppen, in welchen früher Korn für
den Odessaer Markt gebaut wurde, wurden
ausgedehnte Luzerncrfelder angelegt, welche
in kurzer Zeit die Anzahl von Thieren ver¬
doppeln werden. Auch werden die Massregeln,
die von veterinärpolizeilicher Seite gegen die
Thierseuchen ergriffen werden, ihrerseits viel
dazu beitragen, die Anzahl des russischen
Viehbestandes zu vermehren. Endlich, wenn
eine leichte Exportation, der Verkauf nach
dem westlichen Europa erlangt sein wird,
wird das russische Vieh mannigfaltiger Pflege
theilhaftig werden, die es heutzutage noch
vollkommen vermisst.
DEPECORATION.
337
Die Exportation von Russland nach dem
westlichen Europa ist gegenwärtig sehr ge¬
ring und besonders sehr schwer zu berechnen,
da die Schmuggelei mehr über die Grenze
befördert als der regelmässige Handel. In
den Jahren, in welchen die Ausfuhr von
Rindvieh gestattet war, war sie im Mittel,
laut Renning, jährlich nur 3000 Stück nach
Preussen, 25.000 Stück nach Oesterreich-
Ungarn vor 1867 und ist seitdem auf
45.000 Stück jährlich und im Mittel gestie¬
gen. Die Exportation der Schafe war bedeu¬
tender, weil sie weniger Hemmungen ausge¬
setzt war. Die Anzahl der aus Russland direct
nach Deutschland ausgefuhrten Schafe kann
nicht genau angegeben werden, aber es war die
Anzahl der Schafe, die aus Russland über Oester¬
reich-Ungarn und Deutschland nach Frank¬
reich oder England versandt wurden, fol¬
gende:
Im Jahre 1872 . 81.684
„ 1873 . 115.977
„ 1874 72.612
„ 1875 80.049
„ 1876 183.725
„ 1877 108.525
„ 1881 . 120.226
Bemerkt sei, dass bei dem Austritt aus
dem deutschen Gebiete die Thiere als aus
Deutschland kommend eingeschrieben werden,
und dass sie in den französischen und eng¬
lischen Zollämtern als von deutscher Herkunft
bezeichnet werden.
Schweine wurden aus Russland exportirt:
1871 . 365.180
1881 . 530.440
Es wird Russland niemals für sich
allein seine Fleischproduction consumiren
können, und es bildet somit für das übrige
Deutschland eine Hilfsquelle, zu welcher ein¬
mal gegriffen werden muss, trotz aller Rinder¬
pestgefahren, welche die Thiere dieser Her¬
kunft so leicht in ihrem Gefolge haben. Es
besteht in Russland ein Ueberschuss, der sich
über Europa trotz aller angewandten und
noch anzuwendenden Massregeln ergiessen
wird. Der Preisunterschied zwischen dem
russischen Vieh und dem des übrigen Europa
ist zu gross und für den Schmuggel zu reizend,
als dass dieser je unterdrückt werden könnte.
Jedoch Russland ist nicht das einzige
Land, welches eine werthvolle Reserve bietet,
um die Depecoration zu bekämpfen, diese öko¬
nomische Erscheinung, welche die landwirt¬
schaftlichen Fortschritte eines jeden Landes
zwar in ihrem Gange verlangsamen können,
welche man aber nicht vollkommen aufheben
kann. Eine noch sehr wenig bekannte Be¬
zugsquelle für Rindvieh bildet Centralasien,
wo in den Thälem verschiedener Flüsse
massenhaft Vieh in Heerden gehalten wird,
dessen zoologischer Bau kaum bekannt ist.
Zur Proviantirung der russischen Armee
während des Krieges mit der Türkei, sowie
kürzlich im afghanischen Feldzuge brachten
die Tataren Vieh ohne Hörner, anderes mit
mobilem Gehörne, u. s. w.
Koch. Eneyklopä Ije <1. Tlii-rli.-ilkd. II. B4.
Eine noch werthvollere Reserve als die
der Steppen findet sich jenseits des atlantischen
Oceans in Nord- und Südamerika, ferner in
Australien, werthvoller, weil sie, vielleicht mit
Unrecht, als unschädlich in veterinär-sanitäts¬
polizeilicher Beziehung bezeichnet wird.
Es ist allgemein bekannt, wie sehr sich
die aus Europa durch die spanischen Eroberer
eingeführten Hausthiere vermehrt haben und
wie mehr oder weniger wildlebend sie in dem
neuen Erdtheil wurden. In den innem Pampas
von La Plata finden sich die Rinder in
so grosser Menge, dass man sie nur tödtet,
um das Fell, die Hörner und das Fett zu
gewinnen; nur in letzter Zeit kam man auf
den Gedanken, das Fleisch zu verwerthen,
entweder durch Trocknen oder durch Ein¬
salzen, schliesslich um es als das nur zu
berühmte Liebig’sche Fleischextract in den
Handel zu bringen. Wenn aber das Rindvieh im
Innem von Südamerika und Mexico sozusagen
werthlos ist, so gilt dies nicht mehr für das Vieh
der Küstenländer und besonders nicht für das
Vieh der Vereinigten Staaten und für Canada.
Hier macht die Verbesserung der einheimischen
Rindviehschläge grosse Fortschritte und zeigt
sich besonders durch die bedeutende Ge¬
wichtzunahme der zu Markt geführten Thiere.
Es sind nach Nordamerika aus England die
besten Fleischrassen eingeftihrt worden.
In
den Vereinigten Staaten
zählte man:
Rindvieh
Schafe
Schweine
1850
17,778.907
21,723.220
30,354.213
1860
25,620.019
22,471.275
33,512.867
1870
28,820.608
28,477.951
25,134.569
1883
41,171.762
49,237.291
43,270.086
1884
42,547.307
50.626.626
44,200.893
Auf die bisher angewandte Weise in
Bezug auf die menschliche Bevölkerung
(50,000.000 Einw.) gerechnet, findet man, dass
im Jahre 1884 durchschnittlich 270 kg auf
1 Einwohner kommen.
Augenblicklich kostet in New-York oder
Philadelphia das Fleisch halb so viel als in
den Gressstädten Europas, und es ist wohl
denkbar, dass in Anbetracht der grossen
noch verfügbaren Terrainstrecken dieses noch
so neuen Landes der Preis dieser wichtigen
alimentären Materie nur unfühlbar in Amerika
zunehmen wird, trotz der Exportationen, so
stark sie auch in letzter Zeit geworden
sind.
Zu beachten ist, dass gerade die dünn
bevölkerten Theile der Union den höchsten
Viehstand und anerkannt vorzügliche Vieh¬
rassen, abstammend von alter spanischer Zucht
und Kreuzungen mit Shorthorn- und Hereford-
Stieren, besitzen: Texas, dessen Bevölkerung
im Census von 1880 mit 1,591.750 Einwohnern
angegeben ist, zählte nach dem Agricultur-
Report im Jahre 1883 5 Millionen Rindvieh,
7,900.000 Schafe und fast 2Millionen Schweine.
Aehnliche Verhältnisse finden sich in New-
Mexicound insbesondere in den grossen Ebenen
von Wyoming, Nebraska, Kansas u. s. w.
Es kommen noch dazu die niedrigen Kosten
der Weidewirthschaft in diesen Theilen Ame-
22
338
DEPECORATION.
rikas, besonders gegenüber den Kosten der
europäischen Viehzucht. Die ausgedehnten
Maisfelder gestatten dem westamerikanischen
Farmer, dieThiere in kurzer Zeit zu mästen und
dem Fleische eine Qualität zu geben, wie sie
auf keine andere Weise erreicht werden kann;
man nimmt an, dass 93% des Futters in
lebendes Fleisch umgewandelt werden. Eine
Hauptrolle endlich spielt die Regsamkeit, mit
welcher sich der Amerikaner diesem neuen
Handelszweige widmet.
Der erste Versandt lebender amerika¬
nischer Ochsen nach England geschah im
September 1875, er betraf 37 Thiere; 1877
soll der Versandt, inbegriffen die aus Canada
versandten Thiere, 19.Ö0U Rinder, 23.000 Schafe
und 810 Schweine betroffen haben; 1878
52.376 Rinder, 56.784 Schafe, 15.517 Schweine
— eine riesige Zunahme. Im Jahre 1880
wurden 144.000 Ochsen, 85.582 Schafe und
11.443 Schweine über den atlantischen Ocean
nach Grossbritannien gebracht; die Mortalität
während des Transportes war 4%%. Seit
1881 hat jedoch der Handel mit lebendem
Vieh bedeutend abgenommen.
Die Mengen des frischen Fleisches, wel¬
ches Amerika durch mehr als hundert mit
Eiskammem versehene Schiffe nach Europa
befördert, sind sehr stark. Im Jahre 1877
betrug die Menge von frischem Rindfleisch
54.047 engl. Pfund, im Jahre 1879 84.717
Pfund, im Jahre 1880 106.000 Pfund, um
im Jahre 1881 wieder auf 70.000 Pfund zu
fallen.
Die Ausfuhr von gesalzenem Fleische,
von Schinken, Speck und sonstigen Fleisch-
conserven ist viel stärker als jene des frischen
Fleisches; sie betrug im Jahre 1877 625.000
Pfund in einem Werthe von ca. 60 Millionen
Dollars. Im Jahre 1879 wurden 800.000 Pfund
ausgeführt. Der New-Yorker Hafen soll 1876
17,731.205 engl. Pfund frisches Fleisch, 1877
42,085.337 Pfund, in den ersten drei Monaten
des Jahres 1878 12.446.042 Pfund exportirt
haben. Der Hafen von Philadelphia hat 1876
blos 150.610 Pfund ausgeführt, 1877 dagegen
12,790.870 Pfund und in den ersten drei Mo¬
naten 1878 2,437.000.
Dfcle gibt ganz zuverlässige Angaben
über die Ausfuhr des Schweinefleisches, zumal
dieses meist in Antwerpen ausgeschifft wird.
So betrug 1878 die Menge der in Antwerpen
ausgeladenen Pökelwaaren 128.631 Kisten und
9344 Fässer, was einem Gewicht von über
30 Millionen Kilogramm entspricht.
Die Schwierigkeiten, welche verschiedene
europäische Staaten in Folge der Trichinen-
efahr erhoben haben, haben in den letzten
ahren diesem Handel grossen Schaden ge¬
bracht.
Wie schon angedeutet, ist der Heerden-
reichthum des amerikanischen Südens, be¬
sonders der Staaten im La Plata-Gebiete,
noch viel grösser als in den Unionstaaten.
Nach neuen officiellen Schriften, besonders
von Latzina, beträgt der Viehstapel, wenn man
nur die eigentlichen Fleischthiere anführt:
Rinder Schafe Schweine
in Buenon-Ayres. 4,754.410 57,838.078 155.134
in den übrigen Provinzen der
Argentinischen Republik 9,451.698 14,844.972 111.500
in Uruguay . 7,326.758 20,000.000 lOU.QOO
Zusammen 21,582.256 92,683.000 366.600
Von den eigentlichen Fleischthieren ent¬
fallen also im La Plata-Gebiete ca. 7220 Rinder
und 31.100 Schafe auf 1000 Einwohner, gegen
nur 302 der ersteren und 568 der letzteren
in ganz Europa.
Die Reproductionsfahigkeit, die leichte
Ernährung der Viehheerden und die einträg¬
liche Wirtschaftsweise der Estancieros zeigen
noch weitaus günstigere Bedingungen als
jene der Vereinigten Staaten. Bis jetzt haben
die Versuche der Versendung von frischem
Fleisch aus dem La Plata-Gebiete nach
Frankreich nicht die gehofften Erfolge gehabt.
In Australien, wo im Jahre 1872 nur
4,700.000 Stück Rindvieh und 42,600.000
Schafe vorhanden waren, zählte man im
Jahre 1882: 8,500.000 St. Rindvieh. 74,500.000
Schafe und 1 Million Schweine. Gleichwie in
den Prairien von Amerika ist auch in dem
dünn bevölkerten Oceanien ein reicher Vieh¬
stand zu finden, dessen Prodncte durch ge¬
eignete Transportverfahren in den Welthandel
gebracht werden können; auch hier zeigen sich
eine Billigkeit der Züchtung und eine Rasch¬
heit des Nachwuchses, welche alle analogen
europäischen Verhältnisse weit hinter sich
zurücklassen.
Leider kommen da trockene Jahrgänge
vor. wo, wie 1884, bis 20% des Viehstandes
umstehen.
Die Bevölkerung der sieben Colonien
Australiens wird auf 2,700.000 Einwohner
geschätzt; es entfallen daher auf tausend
Einwohner in den gewöhnlichen Verhältnissen
3000 Rinder, 27.400 Schafe und 33 Schweine.
Es wurde versucht, das Fleisch in Büchsen
conservirt nach Europa zu importiren; die
englischen Consumenten zeigten jedoch Wider¬
stand, und jetzt geschieht die Versendung von
in Eiskammern frisch erhaltenem Fleische. Die
Reise wurde im Sommer 4882 auf einem
Segelschiff in 98 Tagen ausgeführt. Andere
Schiffe brauchten aus Sydney nach London
nur 62 Tage, während welcher sich Ochs^n-
wie Hammelfleisch vollkommen frisch erhielt.
Dieses überseeische Fleisch hat sich auf
dem Londoner Markte schon eingebürgert und
ist bei dem consumirenden Publicum allge¬
mein beliebt. Auch in Frankreich und Belgien
findet das importirte Fleisch die nöthigen
Consumenten. Dr. v. Neumann-Spallart nimmt
an, dass die europäischen Staaten ein regel¬
mässiges Deticit im Vieh- und Fleischhandel
haben, welches im Jahre 1877 mit 345 Millionen
Mark, im Jahre 1879 mit 522*5 Millionen
Mark und im Jahre 1881 mit 436 9 Millionen
Mark zu bewerthen war.
Gegen die Depecoration kann von Seite
der Landwirtschaft Vieles geleistet werden,
der wahre Fortschritt besteht ja in einer
grösseren Production des Rindviehs; jedoch
damit ist nicht Alles abgemacht.
Es wäre wohl angezeigt, allgemein
DEPRESSIO CATARACTAE. — DESINFECTION.
339
Weniger gemeine Pferde aufztiziehen und dafür
mehr Rinder zu produciren, auch um mit
diesen die Feldarbeiten zu verrichten. Mit
mehr Nutzthieren - würden die Felder auch
mehr Dünger erhalten und würde somit
der Ertrag bedeutend vermehrt werden. Gegen
die Sterblichkeit der Thiere sollten Ver¬
sicherungen bestehen, und sollten ferner die
Landwirthe darauf aufmerksam gemacht
werden, dass sie durch eine bessere Gesund¬
heitspflege ihrer Thiere deren Leben um
Vieles verlängern und dadurch mehr Ertrag
erzielen. Der immer zunehmende Fleisch-
consum wird jedoch nie durch die Landwirt¬
schaft gänzlich gedeckt werden, und es muss
vom Auslande das Nöthige begehrt werden;
es wäre gegen die natürlichen Gesetze ge¬
kämpft, wenn man diesen Import — sei er aus
Russland, aus Wien, aus Amerika oder aus
Australien — verhindern möchte. Im Gegen¬
teil, man muss diesen internationalen Handel
mit Schlachtvieh durch alle möglichen Erleich¬
terungen begünstigen, ihn aber durch streng
geregelte internationale veterinär-polizeiliche
Massregeln sichern. Zundel.
Depressio Cataractae (deprimere, nie-
derdrücken), sive Iteclinatio cataractae
ist die älteste, jetzt jedoch fast vollständig
verlassene Methode der Star-Operation,
welche darin bestand, dass man mittelst
myrtenblattförmiger sog. Starnadel, nachdem
man damit vorher die Hornhaut (Keratonyxis)
oder die Sclera in nächster Nähe vom Cor-
neoscleralrande (Scleronyxis) durchstochen
hatte, die getrübte Linse aus dem Pupillar-
gebiete entfernte, um den Lichtstrahlen wieder
freien Weg zur Netzhaut zu bahnen. Die
Linse wurde dabei in den Glaskörper hin-
untergestossen, wo sie verweilt oder auch
wieder aufsteigt und das Pupillargebiet von
Neuem für Licht versperrt, so oft mehrere
Operationen hinter einander erfordert und die
üblen Wirkungen eines Fremdkörpers in der
hinteren Bulbushälfte hervorruft, so dass die
Depression der Cataract mit der Zeit ganz
aufgegeben worden ist. Historisch ist diese
Operation dadurch interessant, dass man sie
schon zu einer Zeit ausführte, in der man
über das Wesen des Stares noch schlecht unter¬
richtet und in tiefen Irrthümem befangen, im
grossen Ganzen der Ansicht war, der Star ent¬
stehe durch ein von irgendwoher in das Auge
niedersteigendes Wasser, welches sich in der
Pupille zu einem Häutchen verdichte. Sp.
Derby-Rennen. Das zu Epsom in Eng¬
land stattfindende grösste Rennen für drei¬
jährige Pferde wird nach dem Stifter des
Preises für dieses Rennen — Lord Derby —
so genannt, welcher Name auch in anderen
Ländern für das Rennen von dreijährigen
Pferden gebraucht wird (s. Rennen). Koch.
Derivantia, derivatorische oder revulsive
Heilmethode, s. Ableitung. Vogel.
Derkulski sawod (ÄepKyjiLCKiö rocyaap-
CTBeHHbiu KOHCKiü aaBoa'b), der russischen
Krone gehörendes Gestüt für Pferde des Ar¬
beitsschlages, gelegen im Gouvernement Char¬
kow im Starobälsker Kreise. 58 km von der
Station Tschertkowo der Woronesch-Rostow-
schen Eisenbahn. Im Jahre 188t zählte das¬
selbe 13 Beschäler, unter denen ausgezeichnete
Original-Percherons, -Ardenner und -Suffolks*
und 98 Mutterstuten. Brandt.
Derma, vö Bepjia (von Sspelv, abhäuten),
die Haut. In vielen Zusammensetzungen
wiederkehrend, z. B.:
Derraalgia, nervöser Hautschmerz;
Dermatiatria, die Heilung der Haut¬
krankheiten;
Dermatiater, der Hautarzt;
Dermatitis, Hautentzündung;
Dermatologia, Lehre von den Häuten,
insbesondere der allgemeinen Decke;
Dermatose, Hauterkrankung, besonders
Hautentzündung etc. etc. Sussdorf.
Dermoidcysten bestehen aus einem ge-
fässhaltigen, bindegewebigen Sack und einem
halbfesten Inhalt. Der Balg entspricht in
seinem Bau theilwcisc oder ganz der äussern
Haut (Cutis, Derma), ist an der Innenfläche
mit Epithel ausgekleidet, das aus einem Rete
Malpighi und Epidermis zusammengesetzt ist,
enthält Papillen, Haare, Talgdrüsen, seltener
Schweissdrüsen. Der Inhalt besteht aus ab-
gestossenen Epidermiszellen und Haaren und
dem Secret der Talgdrüsen; er ist verschieden
je nach dem Vorwalten des einen oder andern
Bestandtheiles; beim Vorwalten derEpidermis-
zellen grützbreiähnlich (Atherom), beim Vor¬
wiegen des- Fettes ölig (Oelcysten) und bei
Gegenwart vieler Härchen filzig (Cirrhocystis).
Ausserdem hat man in den Dermoidcysten
Zähne (Odontocystis), Knochen, Knorpel,
Nervensubstanzen und Muskel constatirt. Die
Dermoidcysten sind angeborene Geschwülste,
wachsen nur langsam, sind durch Extirpation
zu entfernen und machen keine Recidive.
Dermoidcysten kommen vor im subcutanen
Bindegewebe, in den Ovarien, Hoden, Lungen,
Zwerchfell, im Gehirn, Magen, an der Gallen¬
blase, Pleura und Zunge. Semmer.
Desassix schrieb 1512 über die damals
in Frankreich herrschende Viehseuche. Sr.
Desoemetische Haut, s. Hornhaut.
Descendenztheorie, s. Entwicklungs¬
theorie.
Desclolzit, ein Vanadinbleierz, glänzende
schwarze Kryställchen mit einem Stich ins
Olivengrün, kommt in den La Plata-Staaten
vor. Nach Tschermak identisch mit dem
Dechenit. Loebisch.
Desinfection. (Allgemeines.) Unter
Desinfection im weitesten Sinne des Wortes
versteht man die Summe aller Schutzmass-
regeln, welche w f ir derzeit gegen die Weiter-
verbreitung der Infectionskrankheiten, also
der ansteckenden Krankheiten anzuwenden im
Stande sind. Eine auf wissenschaftlicher
Grundlage durchführbare Desinfection hat
die Kenntniss von den Ursachen, der Aetiologie
der Infectionskrankheiten zur Grundlage; nur
so weit w r ir die Krankheitsursache selbst
erkannt haben, sind wir im Stande, gegen
dieselbe anzukämpfen. Angesichts der grossen
Anzahl von Infectionskrankheiten, deren Be¬
kämpfung unsere Aufgabe bildet, versuchte
22 *
340 DESINFECTION.
man schon früher die Infectionskrankheiten
je nach der Art, wie die Uebertragung des
krankmachenden Agens auf das Thierindi-
viduum stattfindet, in Gruppen zu sondern.
Die ältere Theorie unterschied bekanntlich
miasmatische und contagiöse Krank¬
heiten. Als „Miasmen 41 wurden Ansteckungs¬
stoffe bezeichnet, welche nur durch Berührung
eines Thieres mit einem bestimmten Orte zur
Aufnahme gelangen; ein empfängliches Indivi¬
duum, welches nie in eine Malariagegend ver¬
setzt wurde, kann nie an Wechselfieber er¬
kranken, das Wechselfieber war daher eine
miasmatische Krankheit: „Contagium“ nannte
man alle Ansteckungsstoffe, welche entwe¬
der von einem bereits erkrankten Individuum
auf ein zweites direct verpflanzt werden kön¬
nen, wie Rinderpest, Rotz, Hundswuth etc.,
oder durch Mittelglieder: wie Decken, Arbeits¬
und Putzgeräthe, Luft, Wasser von einem
bereits erkrankten Thiere einem zweiten zu-
geführt werden. Ueberdies lehrte die Erfah¬
rung, dass bei gewissen Krankheiten des
Menschen — Typhus, Cholera, Pest, mög¬
licherweise auch beim Rauschbrand des
Rindes — die Krankheitsursache nicht als
solche, sondern nur als Keim vom Kranken
producirt wird und erst dadurch zum Infec-
tionsstoff wird, dass der genannte Keim unter
geeigneten localen Bedingungen im Boden
bestimmte Veränderungen durchmacht; diese
Krankheiten wurden dann als verschleppbare
miasmatische Krankheiten aufgezählt. Bei dem
gegenwärtigen Stand der Forschung, durch
welchen für die meisten Infectionskrankheiten
niedere Organismen als Erreger der Infection
erkannt wurden, wollte man den Gegensatz
des miasmatischen und contagiösen Ursprungs
fallen lassen, und Pettenkofer schlug vor, die
specifischen Krankheitserreger in entogene
und ektogene einzutheilen, je nachdem sich
die niederen Organismen innerhalb oder
ausserhalb des Thierkörpers zu bilden, zu ver¬
mehren und zu reproduciren im Stande sind;
auch Wern ich versuchte eine neue Ein-
theilung der Infectionskrankheiten auf Grund
der Entwicklungsweise der Erreger; doch
hat man sich bis jetzt noch nicht in der
Aufstellung eines Eintheilungsprincipes auf
neuer Grundlage geeinigt, und die Ausdrücke
Miasma und Contagium in der oben ange¬
führten Bedeutung können bis nun in der
Darstellung noch nicht umgangen werden.
Halten wir daran, dass in allen Fällen,
in denen Infection stattfindet, lebende Orga¬
nismen als Erreger und Träger derselben
betrachtet werden, und dass die Desinfection
sich die Zerstörung dieser Krankheitserreger
zur Aufgabe machen muss, dann ergibt sich
von selbst, dass die Grundlage der Desin-
fectionslehre die Kenntniss von den Lebens¬
erscheinungen dieser Organismen, von ihrem
Verhalten in Nährlösungen, überhaupt von
den Bedingungen ihrer Entwicklung, Fort¬
pflanzung und ihres Zugrundegehens bildet.
Um Wiederholungen zu vermeiden, verweisen
wir in Bezug auf die Schilderung des biolo¬
gischen Verhaltens der pathogenen Spalt¬
pilze auf den Artikel „Bacterien 44 , welcher
auch die Schilderung der wichtigsten patho¬
genen Bacterien enthält, und wollen hier nur
jene Momente aus der Lebensgeschichte der
Spaltpilze in Kürze anführen, deren Kenntniss
die Grundlage für die Durchführung einer
rationellen und wirksamen Desinfection bildet.
Die Bedingungen, welche das Leben der
Pilze beeinflussen, sind gegeben:
1. Durch die Nährstoffe. Sämmtliche
Pilze bedürfen zum Wachsthum und zur Ver¬
mehrung kohlenstoff- und stickstoffhaltige
organische Verbindungen, wie sie haupt¬
sächlich in den Zersetzungsproducten der
Eiweisskörper enthalten sind, oder stickstoff¬
freie Kohlenstoffverbindungen—Zucker, Wein¬
säure, Glycerin etc. neben Ammoniak; über¬
dies muss die Nährlösung auch anorganische
Salze, u. zw. schwefelsaure und phosphor¬
saure Alkalien und Erden enthalten.
2. Das Was8er dient den Pilzen als
Träger der Nährstoffe und als Vermittler der
chemischen Processe, u. zw. bedürfen die
Spross- und Spaltpilze hievon mehr zum
Leben als die Schimmelpilze. Austrocknen
tödtet sie nicht, sondern hemmt ihre
Lebensthätigkeit nur vorübergehend, in luft¬
trockenem Zustande können sie Jahrhunderte
lang conservirt werden, analog dem trockenen
Getreidesamen, der, in den Mumien Egyptens
bis heutigen Tags aufbewahrt, seine Keimfähig¬
keit nicht eingebüsst hat.
3. Das Verhalten der Pilze gegen freien
Sauerstoff ist noch nicht hinreichend stu¬
diert (8. Aörobien).
4. Alle zur Ernährung nicht nothwendigen
Stoffe, welche in einer wässerigen Lösung,
wo Pilze leben, vorhanden sind, scheinen
durch ihre Anwesenheit die Entwicklung der¬
selben im ungünstigen Sinne zu beeinflussen,
namentlich scheinen die eigenen Ausschei-
dungs- und Zersetzungsproducte der Pilze,
wenn sie nicht sehr flüchtig sind und ent¬
weichen, giftig zu wirken, und wenn sie eine
gewisse Concentration erreicht haben, die
weitere Zersetzungsthätigkeit und Vermehrung
der Pilze unmöglich zu machen. Eine Venti¬
lation, welche die giftigen Gase abführt, aber
nicht so kräftig ist, um eine schnelle Wasser¬
verdunstung zu bewirken, ist für die Pilz-
culturen vortheilhaft. Partielles Austrocknen
wirkt wegen der stärkeren Concentration der
Nährlösung namentlich auf Spross- und Spalt¬
pilze schädlich, während Schimmelpilze unter
diesen Verhältnissen noch weiter vegetiren.
5. Der Einfluss der Temperatur macht
sich dahin geltend, dass bei einer geringen
Steigerung der für jeden einzelnen Pilz gün¬
stigsten Temperatur zunächst dessen zer¬
setzende Thätigkeit gehemmt wird, bei einer
weiteren Steigerung das Wachsthum und die
Vermehrung, und dass bei noch höherer
Wärme in feuchtem Zustande und bei
grösserer Hitze auch im trockenen Zustande
sämmtliche Pilze getödtet werden. Die Tem¬
peratur des Säugethierkörpers ist für Spross-
und Spaltpilze nahezu die günstigste. Durch
Kälte scheint eine zeitweise Suspension der
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DESINFECTION. 341
Lebensthätigkeit möglich zu sein. Sowohl
mechanische Erschütterungen als auch elek¬
trische Ströme wirken hemmend auf die Ent¬
wicklung der Culturen ein.
Die eben geschilderten Lebensbedingungen
der Pilze werden in eingreifender Weise
alterirt, wenn in einer und derselben Nähr¬
lösung verschiedene Formen derselben leben;
es entsteht ein Concurrenzkampf beider Pilz¬
gattungen. wobei sich besonders Spross- und
Spaltpilze energisch verdrängen. Auch wird
durch die Zersetzungsthätigkeit des einen
Pilzes die Nährlösung soweit alterirt, dass
sie nunmehr einen günstigen Nährboden für
die Keime einer anderen Art von Pilzen bildet,
welche sich darin ansiedelt.
Ein Beispiel aus dem täglichen Leben
illustrirt uns dies recht deutlich. Lässt man
Traubenmost oder zuckerreichen Fruchtsaft
offen stehen, so fallen wohl alle möglichen
Pilzkeime hinein, doch vermehren sich zu¬
nächst nur die Sprosspilze und der Most ver¬
wandelt sich in Wein. Nach einiger Zeit hört
die Vermehrung der Weinhefezellen auf, an¬
dere Keime, die bisher nicht wachsthumfähig
waren, entwickeln sich, es tritt eine Pilzvege¬
tation in Form einer Kahmhaut auf, welche
den Weingeist zu Essigsäure oxydirt. Im Essig
tritt weiter an Stelle der Kahmhaut eine
Schimmeldecke, deren Zersetzungsproducte die
Essigsäure abstumpfen, die Flüssigkeit wird
neutral, nunmehr werden die Spaltpilze existenz-
fähig, sie dringen ein, die Flüssigkeit ist in
Fäulniss gerathen.
Von grosser praktischer Wichtigkeit ist
die Frage nach der Specifität der Spaltpilze,
die dahin lautet: Gibt es für jede Gährung (Al¬
kohol-, Essigsäure- und Buttersäuregährung), für
die Fäulniss, für jede Krankheit ‘einen beson¬
deren Spaltpilz, der nur immer eine und die¬
selbe Zersetzung bewirkt, sobald er die hiefür
geeigneten Bedingungen vorfindet, oder kommt
eine Verwandlung des einen Pilzes in den
anderen vor? Ist die Wirkungsweise eines
Spaltpilzes in seiner Form ausgeprägt oder
nicht? Die Spaltpilze könnten nämlich trotz
des gleichen morphologischen Baues physio¬
logisch verschiedene Functionen haben. Der
physiologische Unterschied einer süssen und
bitteren Mandel ist in der Structur derselben
nicht ausgedrückt. Auch die Möglichkeit wurde
aufgestellt, dass es nur wenige Arten gibt,
welche bei ihrer Entwicklung einen ziemlich
weiten Formenkreis durchlaufen, wobei ver¬
schiedene Arten in analogen Formen und mit
gleicher Wirkungsweise auftreten können. Nur
die äusseren Verhältnisse sind es, welche das
Auftreten von morphologisch und functioneil
verschiedenen Formen in derselben Art be¬
dingen: diese äusseren Verhältnisse sind im
Stande die eine Form in die andere umzuwan¬
deln, wobei die frühere Wirkungsweise ver¬
loren geht und eine andere erworben wird.
Nach dieser Ansicht müsste also der nicht
pathogene Heubacillus in den pathogenen Milz¬
brandbacillus umgezüchtet werden können,
wie dies Nägeli ausgeführt haben will (s. auch
Abschwächung des Virus). Koch vertritt
nun diesem gegenüber die Ansicht, dass spe-
cifisch functionirende Arten von Spaltpilzen
bestehen, die sich zugleich durch eine be¬
stimmte Form kennzeichnen. Bei den Ver¬
suchen, welche Koch über Wundinfections-
krankheiten anstellte, entsprach einer jeden
Krankheit eine besondere Bacterienform, und
diese blieb, so vielfach auch die Krankheit von
einem Thier auf das andere übertragen wurde,
immer dieselbe; auch wenn es gelang, die¬
selbe Krankheit von Neuem wieder durch fau¬
lende Substanzen hervorzurufen, trat nicht eine
andere, sondern dieselbe schon früher für diese
Krankheit als specifisch erkannte Bacterien-
form auf. Auch sind die Unterschiede bei
diesen Bacterienformen so gross, wie man sie
bei Organismen von dieser Kleinheit nur er¬
warten kann: sie bestehen übrigens nicht
allein in der Grösse und Gestalt der Bacterien,
sondern auch in ihren Wachsthumverhält¬
nissen, die sich am besten aus der Lagerung
und Gruppirung der Colonien ersehen lassen.
Nachdem bisher noch kein gasförmiges Agens,
ein Miasma etwa als Krankheitserreger che¬
misch charakterisirt ist, nachdem auch die un-
organisirten Fermente, als da sind Diastase,
Pepsin, Trypsin, bis jetzt als inficirende
Agentien nicht betrachtet werden können, so
können die Desinfectionsmassregeln nur gegen
jene Organismen gerichtet sein, welche bis
jetzt als pathogene durch das Mikroskop, die
Züchtung und durch das Thierexperiment
nach gewiesen wurden.
Um daher ein sicheres Urtheil über die
Wirksamkeit eines Desinfectionsmittels zu er¬
langen, müssen wir dasselbe in seiner Wirkung
auf die pathogenen Mikroorganismen prüfen.
Hiebei muss inan von dem Grundsätze aus-
gehen, dass die Wirkung eines Desinfections¬
mittels nur dann als ausreichend betrachtet
werden darf, wenn es nicht blos die Weiter¬
entwicklung oder sonstige Lebensäusserungen
der Pilze sistirt, sondern wenn dieselben und
die Keime, aus denen sie sich wieder ent¬
wickeln könnten, vollständig vernichtet wer¬
den. Gerade die Keime der Mikroorganismen,
speciell die Dauersporen der Bacillen; zählen
zu den widerstandsfähigsten Gebilden der
gesammten Lebewelt, und eine grosse Anzahl
der bis nun bekannten pathogenen Spaltpilze
gehört in die Gruppe der Bacillen; wir er¬
innern an die Bacillen des Milzbrand, Rausch¬
brand, der Lepra und der Mäusesepticämie.
Bei allen jenen Krankheiten, deren Infections-
stoffe sicli im trockenen Zustande lange er¬
halten, wie Pocken und Pest, kann man eben¬
falls Dauersporen annehmen. Nach Koch
(Mittheilung aus dem kais. Gesundheitsamte)
ist bei Prüfung eines Desinfectionsmittels zu¬
nächst festzustellen, ob dasselbe im Stande
ist, alle niederen Organismen und deren Keime
zu vernichten: für gewöhnlich genügt zu die¬
sem Nachweise die Thatsache, dass das Mittel
Bacillensporen — die bis nun widerstands¬
fähigsten Lebewesen — tödtet: hierauf wird
das Verhalten des Desinfectionsmittels zu an¬
deren leichter zu tödtenden Mikroorganismen,
als da sind Pilzsporen, Hefe, getrocknete und
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342
DESINFECTION.
feuchte Baeterien, geprüft, und schliesslich
muss das Mittel auf seine Fähigkeit, Mikro-
Organismen in geeigneten Nährflüssigkeiten
in der Entwicklung zu hemmen, untersucht
werden.
Bei der grossen sanitären und national¬
ökonomischen Bedeutung, welche dem Des-
infectionsverfahren zur Begrenzung und Ver¬
hütung von Seuchen zukommt, ist es von
grosser Wichtigkeit, die Resultate kennen zu ler¬
nen, welche die auf der oben erörterten Grund¬
lage durch geführten Versuche über den Werth
der. gebräuchlichsten Desinfectionsmittel er¬
geben haben.
Nur durch solche Versuche können wir
erfahren, ob, wie und inwieweit unsere Schutz¬
mittel etwas zu leisten im Stande sind. Leider
ist mit der Prüfung der Desinfectionsmittel
bisher kaum mehr als der Anfang gemacht.
Um den Werth derselben für einen speciellen
Fall mit Sicherheit angeben zu können, sollten
sie auch gegenüber dem in diesem Falle in
Betracht kommenden Krankheitsstoff geprüft
sein. Wir wollen daher die Ergebnisse, welche
bei der Prüfung der gebräuchlichsten Des¬
infectionsmittel gefördert wurden, in Kürze
darstellen.
4. Schwefelige Säure. Sie wird erzeugt
durch Verbrennen des Schwefels an der Luft
und wirkt durch Entziehung von Sauerstoff.
Der Schwefel ist ein sehr billiges Desinfections¬
mittel. Nimmt man 20 g Schwefel als hin¬
reichend zur Desinfection eines Kubikmeters
an, so würde die Desinfection eines 50 m 8
grossen Raumes ungefähr 20 kr. kosten. Um
nun den Werth der schwefeligen Säure als
Desinfectionsmittel beurtheilen zu können,
sind vorerst einige Vorfragen zu erledigen. Wie
gross kann die Menge der schwefeligen Säure in
einem geschlossenen Raume überhaupt sein ? Da
beim Verbrennen ein Volum Sauerstoff gerade
ein Volum schwefelige Säure erzeugt, die Luft
aber in 100 Raumtheilen 21 Raumtheile Sauer¬
stoff enthält, so könnte ein Kubikmeter Luft, in
welchem an Stelle des Sauerstofles schwefelige
Säure getreten ist, 210 Liter schwefelige
Säure = 600 g enthalten. Da aber der Sauer¬
stoff im Raume nur zum Th eil verbraucht
wird, wird dieses theoretische Maximum nie
erreicht; selbst wenn man Alkohol zusetzt, um
die Verbrennung des Schwefels zu befördern,
ist nur auf eine Entwicklung von höchstens
10 Volumpercent (statt 21) SO, zu rechnen.
Man möchte nun meinen, das9 in einem Raume,
wo 1 kg Schwefel verbrannt wurde, auch die
entsprechende Menge schwefelige Säure = 2 kg
(700 1) in Gasform die Atmosphäre des Raumes
erfüllen müsste. Doch ist dies nicht der Fall.
Ein Theil der SO, entweicht nämlich durch
die freiwillige Ventilation des Raumes, in dem
sie entwickelt wird. Der Wassergehalt der
Wände setzt wohl die Durchlässigkeit der¬
selben gegenüber dem Gase herab, doch wird
dies compensirt durch die Absorption des
Gases von dem Wasser, wodurch weniger
schwefelige Säure an den Desinfectionsobjecten
zur Wirkung gelangt. Andererseits kommt
jeder Verlust, welcher nicht durch Ventilation
bedingt ist, der eigentlichen Desinfection zu
Gute. Auch die Wände der Räume enthalten
in ihren Spalten und Ritzen in staubförmigen
Niederschlägen keimungsfähige Mikroorganis-
men, deren Zerstörung bei der Desinfection
erstrebt wird. Die Absorption der Wände wird
noch durch Benetzen derselben gesteigert,
auch vertrocknete Borken und Krusten werden
durch die Befeuchtung dem Desinfectionsmittel
zugänglicher. Doch dringt die SO, selbst bei
grösserer Concentration und längerer Dauer
der Einwirkung nicht tief genug in grosse
Gegenstände, Ballen, Bünde u. s. w. ein. Solche
Objecte sind daher bei der Desinfection aus-»
zubreiten.
Ueber die Frage, ob die schwefelige Säure
die Mikroorganismen zu tödten oder unschäd¬
lich zu machen im Stande ist, wurden von
Buchholtz, Mehlhausen, Wernich und
Koch Versuche angestellt. Nach Mehl hausen
verbürgen 20 g Schwefel per Kubikmeter und
achtstündiger Dauer der Einwirkung der SO,
einen sicheren Erfolg der Desinfection in
Wohnräumen und Spitälern. Wernich hält
das Gas bei einem Gehalt von vier Volum¬
percent nach sechsstündiger Dauer wirksam.
Nach Koch tödtet das Gas Milzbrandbacillen,
war aber auf die Sporen des Milzbrandes und
des Kartoffelbacillus selbst nach einer Ein¬
wirkungsdauer von 72 Stunden ohne jede des-
inficirende Wirkung; besser fiel das Resultat
aus, als die Sporen vor dem Anzünden des
Schwefels befeuchtet wurden: die Milzbrand¬
sporen hatten ihre Wirksamkeit eingebüsst, da¬
gegen waren die Sporen der Gartenerde in
ihrer Wirksamkeit nur theilweise gehemmt.
Wenn demnach die schwefelige Säure auch
die Baeterien tödtet, so ist sie doch ein un¬
zuverlässiges’ Desinfectionsmittel für sporen¬
haltige Objecte.
2. Carbolsäure, das am meisten ge¬
brauchte flüssige Desinfectionsmittel. Ueber
den Wirkungswerth derselben haben die Ver¬
suche Koch’s genauere Aufklärung gegeben.
Er imprägnirte Seidenfäden mit einer Milz,
die von einer an Milzbrand verendeten Maus
herrührte; eine solche Milz enthält nur Ba¬
cillen, niemals Sporen. Eine Anzahl dieser
Fäden wurde in verdeckte Uhrgläser gelegt,
von denen je eines 5, 4,3, 2 und 1 % wässeriger
Carbollösung enthielt Nach 2, 5, 10, 15, 20,
25 Minuten wurde ein Faden aus jedem Glase
genommen und zur „Züchtung^ auf Blut¬
serumgelatine gelegt. Nach 24 Stunden war
noch an keinem einzigen Faden auch nur eine
Spur von Entwicklung zu sehen, während an
den zur Controle auf dieselbe Nährgelatine
gelegten Seidenfäden die Bacillen sich schon
bedeutend verlängert hatten. An den späteren
Tagen zeigte sich von allen mit Carbollösung
in Berührung gewesenen nicht die geringste
Lebensäusserung, die Bacillen waren sämmt-
lich selbst schon durch eine zwei Mi¬
nutenlange Berührung mit l°/ 0 iger Car-
bolsäurelösung getödtet. Blut von an
Milzbrand gestorbenen Thieren, mit l%iger
Carbollösung gemischt, konnte einem anderen
Thiere subcutan eingespritzt werden, ohne
DESINFECTION. 343
dass es hiedurch inficirt wurde. Eine 0*5%ige
Carbollösung zeigte diese Wirkungen nicht
mehr. Hingegen zeigte sich die Carbolsäure
bei analogen Versuchen mit sporenhältigem
Material gegen die Dauersporen ziemlich
machtlos, sie ist somit für alle Fälle ein
wirksames Desinfectionsmittel, wo es gilt, die
nicht in Dauerform befindlichen Mikroorga¬
nismen unschädlich zu machen.
In Oel und Alkohol gelöst, zeigt die
Carbolsäure nach Koch nicht die geringste
desinficirende Wirkung. Dies wird von Wolff-
högel und Knorr erklärt theils durch das
grössere Lösungsvermögen des Oeles gegen¬
über der Carbolsäure, wodurch dieses gegen
Wasser zurückgehalten wird, auch behindert
das Oel oder der Weingeist die endosmotische
Aufnahme der Carbolsäure aus der Umgebung
der Sporen in das Plasma derselben. Carboi-
kalk zeigte sich ebenfalls wirkungslos.
3. Das Chlorzink bezeichnet Koch als
Desinfectionsmittel gänzlich machtlos. Milz¬
brandsporen, welche ein Monat lang in 5 %iger
Lösung desselben lagen, waren in ihrer Ent¬
wicklungsfähigkeit nicht beeinträchtigt.
4. Chlor, Brom, Jod. Die Versuche
zeigten, dass wässerige Lösungen von 2%
Brom, frisch bereitetes Chlor- und Jodwasser
die Milzbrandbacillen schon innerhalb der
ersten 24 Stunden tödten und auch auf die
Sporen schnell und sicher einwirken. Gas¬
förmiges Brom tödtete die Sporen innerhalb
24 Stunden, während mit Chlor dies etwas
und mit Jod bedeutend schwieriger zu er¬
reichen war. Proben, ob mit Milzbrandsporen
behaftete Gegenstände, z. B. Bretter, durch
blosse Waschung oder Besprengung mit Brom¬
lösung desinficirt werden, zeigten, dass eine
viermalige Befeuchtung mit 4%iger Brom¬
lösung die Keime tödtet. Nach Wern ich
leistet das Brom, in Dampfform angewendet,
mehr als bei Anwendung in Lösungen. Um
Bromdämpfe darzustellen, benützt man der¬
zeit nach Frank’s Empfehlung mit Brom bis
zu einem Gehalt von 8% gesättigte Kiesel -
guhrstangen. Für einen Raum von 20 m 8
enügen 2—3 mehrere Centimeter (3—6) lange
tücke des geformten Kieselguhr. Man stellt
diese in offenen Gefässen — Gläsern — an
erhöhte Punkte des zu desinficirenden Raumes
bei gewöhnlicher Temperatur auf. Das Brom
dürfte sich besonders zur Desinfection von
geschlossenen Räumen bewähren.
5. Sublimat gehört nach Koch zu den
wirksamsten Desinfectionsmitteln. Uro die
Grenzen der Leistungsfähigkeit desselben
kennen zu lernen, stellte Koch eine grosse
Reihe von Versuchen an, bei welchen Milz¬
brandbacillen das Desinfectionsobject bildeten
und nach und nach schwächere Sublimat¬
lösungen mit immer kürzerer Einwirkungs¬
dauer zur Anwendung kamen. Als Resultat
ergab sich, dass schon durch einige wenige
Minuten dauernde Einwirkung einer Sublimat¬
lösung von 1 :5000 sichere Tödtung von Milz¬
brandsporen erzielt wird; mit einer Lösung
von 1 :1000 reicht schon eine vorübergehende
Befeuchtung hin, um auch die widerstands¬
fähigsten Sporen zu tödten. Sehr mächtig sind
auch die entwicklungshemmenden Eigen¬
schaften des Sublimates; schon in einer Ver¬
dünnung von mehr als 4 :1,000.000 bewirkt
es eine deutliche Verminderung des Wachs¬
thums der Milzbrandbacillen, bei 1:300.000 hebt
es die Entwicklung derselben vollständig auf.
Somit ist also von allen bekannten Desinfections¬
mitteln Sublimat das einzige, weiches die
für die Praxis der Desinfection so wichtige
Eigenschaft besitzt, schon durch eine ein¬
malige Application einer sehr verdünnten
Lösung (1 pro Mille) und in wenigen Minuten
alle, auch die widerstandsfähigsten Keime der
Mikroorganismen zu tödten. Selbst bei einer
Verdünnung von 1 : 5000 würde in den
meisten Fällen eine einmalige Anfeuchtung
des Desinfectionsobjectes genügen. Die Ver¬
wendung des Sublimats als Desinfections¬
mittel wird durch die Giftigkeit desselben
umsoweniger beschränkt, als es gar nicht
nothwendig ist, das Desinfectionsmittel auf
dem Gegenstände dauernd zu belassen; nach
kurzer Zeit kann man es durch reichliches
Spülen mit Wasser wieder entfernen.
6. Bezüglich einer grossen Anzahl von
Stoffen, welche bisher als Desinfectionsmittel
benützt wurden, zeigten die Versuche Koch’s,
dass sie gegen Milzbrandsporen vollkommen
machtlos sind. Es ist von praktischem In¬
teresse, auch diese Stoffe zu kennen. Es konn¬
ten die Milzbrandsporen monatelang ohne
Schädigung aufbewahrt werden in: Alkohol,
Glycerin,Chlorpikrin,Aceton, Buttersäure, Oel,
Schwefelkohlenstoff, Chloroform, Benzol, Petro¬
leumäther, Ammoniak, 5%iger Salmiaklösung,
concentrirter Kochsalzlösung, 5% Chlorbarium,
5 % Bromkalium, 5 % Jodkalium, Kalkwasser,
3 % Schwefelsäure, 4 % Salzsäure, 5 % Essig¬
säure, 5 % Borsäure, 5 % Milchsäure, 5 % S a-
licylsäure in Alkohol, 5% Zinksulfat,
5% Eisenvitriol, 5% Tannin, 5% benzoö-
saurem Natron, 5% Thymol in Alkohol.
Aether tödtete die Milzbrandsporen erst am
30. Tage, Eiaenchlorid und Chlorpikrin in
6 Tagen, 1% salzsaures Chinin in 10 Tagen,
5% Chlorkalk, Terpentinöl, Schwefelammon in
6 Tagen.
7. Die Entwicklung der Bacterien
in Nährlösungen wird ferner gehemmt
durch Allylalkohol 1 : 167.000. Doch tödtet
er wegen seiner Flüchtigkeit die Milzbrand¬
sporen in keinem Falle. In gleicher Weise
wirkt auch Senföl, es behindert das Wachs -
thum der Milzbrandbacillen bei einer Ver¬
dünnung von 1 : 330.000, in zehnmal stärkerer
Lösung hebt es das Wachsthum vollständig
auf, da es aber flüchtig ist, so wachsen die¬
selben nach einiger Zeit wieder weiter. Das¬
selbe ist der Fall bei Terpentinöl 1: 75.000
und bei Pfefferminzöl 1 : 33.000. Dämpfe von
Schwefelkohlenstoff auf 80 • erhitzt, vernichten
in zwei Stunden die Sporen, bei gewöhnlicher
Temperatur übt er keine Wirkung auf die¬
selben aus.
8. Schwefelwasserstoff hemmt nach
Versuchen von Froschauer das Wachsthum
der Hefezellen sowohl in Nährlösungen ohne
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344
DESINFECTION.
als in solchen mit Zucker, ferner die Ent¬
wicklung von Schimmelpilzen. Mit septicämi-
schem Blute von Maus zu Maus geimpft,
blieben jene Mäuse, welche in mit Schwefel¬
wasserstoffgas gemengte Luft untergebracht
wurden, am Leben, während die übrigen
in dieser Zeit starben. Mit Schafpocken¬
lymphe geimpfte Lämmer, dem Schwefelwasser¬
stoff ausgesetzt, reagirten auf die Impfung
nicht im geringsten, die Controllämmer gingen
nach Ausbruch der allgemeinen Eruption an
Pocken zu Grunde. Andererseits ergaben die
Versuche an mit Milzbrandstoffen gefütterten
Mäusen, dass der Schwefelwasserstoff die Ent¬
wicklung des Milzbrandes im geimpften Thiere
befördere.
9. Hohe Temperaturen galten schon
früher als sichere Mittel zur Tödtung aller
organisirten Krankheitserreger. Die neueren
Versuche der Desinfection mittelst hoher Tem¬
peratur durch Koch und Wolffhügel haben
die Verschiedenheit der Wirkung derselben
in Form von trockener Luft und in Form von
strömendem Dampf gezeigt und damit auch die
richtige Verwertung dieses desinficirenden
Agens angebahnt. Als Desinfectionsobjecte be¬
nützten sie theils sporenfreies Material, theils
sporenhaltige Milzbrand-, Kartoffel-, Heuba¬
cillen und Gartenerde mit Bacillen und Sporen.
Die Versuche mit heisser Luft ergaben ein auf¬
fallend ungünstiges Resultat: es wurden wohl
sporenfreie Bacterien bei einer Temperatur
von wenig über 100 0 nach 1 % Stunden gc-
tödtet, jedoch Sporen von Schimmelpilzen er¬
forderten schon eine 1 %stündige Temperatur
von 110—115° C., und Bacillensporen wurden
sogar erst durch dreistündigen Aufenthalt in
heisser Luft von 140° vernichtet. Ungeformte
Fermente (Pepsin, Diastase etc.) wurden erst
durch eine Temperatur von 170° zerstört, auch
dringt die heisse Luft so langsam in die Des¬
infectionsobjecte ein, dass selbst Gegenstände
von massiger Dimension nach 3- bis 4sttindi-
gem Erhitzen auf 140° noch nicht desinficirt
sind: es werden durch andauernde Tempera¬
turen von dieser Höhe die meisten Stoffe stark
beschädigt.
Viel günstiger wirkte heisser
W a s s e r d a m p f. Im Dampfkochtopf (Papinian’s
Digestor) genügte 10 Minuten lange Einwir¬
kung der Wasserdärapfe von 95°, um Milz-
bramlsporen zu tödten, von 105°, um die
widerstandsfähigeren Bacillensporen der Garten¬
erde zu vernichten. Auch drangen die hohen
Temperaturen rascher in die Objecte ein,
wie in heisser Luft, jedoch zeigte sich, dass
die im Dampfkochtopf befindlichen Objecte,
namentlich Flüssigkeiten, ebenfalls längere
Zeit bedurften, um die Temperatur des sie
umgebenden Dampfes anzunehmen. Ein mit
Wasser gefüllter Literkolben zeigte, nachdem
er 30 Minuten einem Dampf von 127° ausge¬
setzt war, eine Temperatur von 65° C. Die
Resultate waren viel besser, wenn kein ge¬
schlossener Apparat sondern strömender
Wasserdampf zur Desinfection verwendet
wurde. Der hiezu benützte, sehr einfache
Apparat bestand aus einem Blechgefass von
beiläufig 20 cm Durchmesser zur Aufnahme
des kochenden Wassers; mit dem Gefösse
steht in möglichst dichter Verbindung ein
cylinderförmiges Aufsatzrohr von 1—1% m
Länge, welches innen Vorrichtungen hat,
um verschiedene Objecte darin unterbringen
zu können. Die obere Oeffnung des Cylin-
dere trägt einen Aufsatz mit fingerdicker
Oeffnung. Cylinder und Aufsatz sind mit
schlechten Wärmeleitern (Filz, Asbest) um¬
geben. Heizt man das Kochgefass, so er¬
hält man bald Wasserdampf von 100°, weicher
durch den Cylinder ausströmt. In diesen
Cylinder wurden die verschiedensten Desinfec¬
tionsobjecte gebracht, wobei stets schon eine
5—15 Minuten lange Einwirkung des Wassex-
dampfes von 100° C. genügte, um auch Ba¬
cillensporen zu tödten. Bei complicirten Gegen¬
ständen (aufgewickelte Rolle von Packlein-
w r and mit sporenhältigem Material inficirt)
wurde der Effect in 30 Minuten erreicht; nach
dieser Zeit w r ar das Maximalthermometer in
jedem als Probe benützten Objecte auf 100°
gestiegen. Der Desinfection mit heissem, durch¬
strömendem Wasserdampf gebührt demnach der
erste Rang in allen Fällen, wo sie durch¬
führbar ist; keine andere Art der Hitzedes-
infection wirkt so sicher auf die Organismen
ein, auch ist eine relative so geringe Art der
Beschädigung der Gebrauchsgegenstände auf
keine andere Weise zu erzielen. Die Bemer¬
kung Locusteano’s (s. österr. Monatsschr. f.
Thierheilkd., 1885 Nr. 1, thierärztliche Ver¬
sammlung in Bukarest), dass die Dämpfe keine
guten Desinfectionsmittel sind, weil sie sich
in der kleinsten Distanz schon abkühlen,
nehmen den Angaben Koch’s nichts von
ihrem Werthe, sie müssen uns im Gegen-
theile anregen, solche Apparate für die Des¬
infection mit Wasserdampf zu construiren, dass
ganz so wie bei Koch’s Versuchen die zu
desinficirenden Objecte mit Wasserdampf von
100 0 in Berührung kommen.
Auf Grund der eben geschilderten Ver¬
suche wurden in neuerer Zeit die Desinfections-
verfahren für specielle Zwecke, zur Desinfec¬
tion der Räume, der Utensilien, der kranken
Thiere, der Transportmittel u. s. w., bei den
verschiedenen Infectionskrankheiten eingerich¬
tet (s. weiter unten). Wie schon im Eingang
erwähnt, bildet die Kenntniss der Nähr- und
Vermehrungsverhältnisse der einzelnen Mikro¬
organismen, welche als specifische Krankheits¬
erreger nachgewiesen wurden, und deren Ver¬
halten gegenüber den Desinfectionsmitteln die
einzige sichere Grundlage eines wirksamen Des-
infectionsverfahrens. Aber für jeden Thierarzt,
welcher die Lebensbedingungen der Mikro¬
organismen kennt, wird sich die Desinfection
nicht nur auf die bezüglichen Massregeln
während des Herrschens und Umsichgreifens
einer Epizootie beschränken, sondern er wird
dahin wirken, dass sowohl im landwirtschaft¬
lichen Betriebe, als während der Mästung und
bei sämmtlichen Arten der Thierzucht alle
jene Momente vermieden werden, welche der
Entwicklung der Krankheitskeime oder deren
Fortpflanzung Vorschub leisten. In dieser Be-
DESINFECTION.
345
Ziehung beginnt die Verhütung der Infections-
krankheiten mit der hygienischen Ueber-
wachung der Hausthiere. Geräumige Stallungen,
rechtzeitige Entfernung des Mistes, reine
Futtermittel und reines Wasser bilden das
beste Präservativ gegen Infectionskrankheiten.
Die Desinfeetion während einer Epizootie
gleicht dem Löschen während einer Feuers¬
brunst — ein Glück, wenn es noch möglich
ist, Weniges zu retten.
Literatur: R. Koch, Mittheilungeii des kaiserl.
Gesundheitsamtes in Berlin, I. und II. Band. C. Flügge,
Lehrbuch der hygienischen Untersuchungeg, Leipzig 1881 .
J. Nowak. Die Infectionskrankheiten vom aetiologischen
und hygienischen Standpunkte. Wien 1882 . Loebisch.
Specielles. Unter Desinfeetion (von
de, von, und inficere, eintauchen, anstecken,
verderben) versteht man die Reinigung, Ent¬
giftung, Vernichtung von Ansteckungsstoffen,
Miasmen, Contagien, Fäulnisserregern etc.; die¬
selbe w r ird überall da angewendet, wo sich schäd¬
liche inficirende Stoffe angehäuft oder festgesetzt
haben. Der Desinfeetion werden unterworfen:
Menschen und Thiere in lebendem und todtem
Zustande, in und an denen Infectionsstoffe
haften, ferner mit solchen Stoffen verunreinigte
Kleider, Geschirre, Stallräume, Excremente,
Thierproducte, Felle, Wolle, Haare, Borsten,
Knochen, Hörner, Hufe, Talg, Därme, Futter¬
stoffe, Wasser, Luft, Weideplätze, Eisenbahn¬
wagen, chirurgische Instrumente und Apparate,
verunreinigte Wunden und Geschwüre, Brunnen
und 8tagnirende Gewässer, Abzugröhren, Cada-
verplätze etc. Menschen, die mit besonders
gefährlichen Ansteckungsstoffen, wie z. B. mit
Rinderpest und Schafpocken in Berührung
f ewesen, werden am besten durch Bäder und
b waschen mit Seifenwasser gereinigt. Dasselbe
gilt auch von lebenden Thieren,wo die Ausführung
möglich ist. Weniger sicher ist das Aus¬
räuchern bekleideter Menschen und lebender
Thiere mit Chlorgas, schwefligsaurem und
Salpetersäuregas. Die Desinfeetion aller unbe¬
lebten Gegenstände geschieht am sichersten
durch hohe Hitzegrade oder noch besser durch
vollständiges Verbrennen oder Vernichten der¬
selben durch Feuer, und ist das Verbrennen
wenig werthvoller Gegenstände, die mit besonders
gefährlichen Contagien (Rinderpest) in Berüh¬
rung gewesen, anzuempfehlen. In vielen Fällen
ist aber das Verbrennen nicht durchführbar
und auch nicht nothwendig, und es kommen
hier eine Reihe anderer Desinfectionsmittel
in Anwendung, wie: kochendes Wasser, heisse
Dämpfe, Lauge, Aetzkalk- und Chlorkalkmilch,
Alkohol, Carbolsäure, Benzin, Creosot, Theer,
Terpentinöl, Lösungen verschiedener Metall¬
salze, insbesondere Sublimatlösungen, Kalihyper-
manganicum, Säuren, Alkalien, Luft, Austrock¬
nen, Ozon, Chlorgas, Schwefligsäuregas, Rauch,
Theerdämpfe, Kohle etc. Kleider und Schuh¬
werk von Menschen werden durch kochendes
Wasser oder Einwirkung heisser Wasserdämpfe
(100° C.) von allen daran haftenden An¬
steckungsstoffen befreit. Dasselbe gilt auch von
Geschirren, Wolle, Haaren, Borsten, Knochen,
Hörnern, Hufen, Talg (ausgeschmolzen), In¬
strumenten, Eisenbahnwagen. Noch sicherer ge¬
schieht die Desinfeetion, wenn man dem ko¬
chenden Wasser Carbolsäure hinzufügt oder
heisse Lauge anwendet. Bei der Gegenwart
sehr flüchtiger Contagien genügt oft schon
einfaches Auslüften oder Aushängen und Aus¬
stellen der Gegenstände in dem freien Luftzug
und Wind ausgesetzten Orten (zu denen für
das Contagium empfängliche Thiere keinen Zu¬
tritt haben dürfen). Sicherer als das einfache
Lüften desinficirt die Einwirkung von heisser
(über 100° C.) oder ozonhaltiger Luft. Schuh¬
werk und sonstiges Lederzeug kann auch durch
Abwaschen mit Sublimatlösungen desinficirt
werden. Die Desinfeetion von Cadavern an
ansteckenden Krankheiten gefallener Thiere
G eschieht am sichersten durch vollständiges
erbrennen oder Auflösen derselben in Schwe¬
felsäure. Wo das aber nicht geschehen kann,
müssen die Cadaver an dazu bestimmten ab¬
gelegenen, umzäunten Orten, nachdem man das
Fell zerschnitten und mit Carbolsäure oder
Petroleum übergossen (bei Rinderpest, Rotz,
Milzbrand, Schafpocken), t —3 m tief verscharrt
werden, nachdem man sie noch in der Grube
mit Aetz- oder Chlorkalk bestreut hat. Bei
vielen, auf den Menschen nicht übertragbaren
Infectionskrankheiten können Felle, Fett und
Knochen verwerthet werden. Die abgezogenen
Felle sind am zweckmässigsten gleich den
Gerbereien zu übergeben, weil durch das Einlegen
in Gerberlohe alle Contagien ausser Milzbrand¬
sporen zerstört werden. Wo keine Gerbereien
in der Nähe sind, da genügt es, die Felle
an luftigen, abgelegenen Orten zw r ei bis drei
Wochen lang einem vollständigen Austrocknen
zu unterw erfen. Dabei können die Häute noch
vorher mit Aetzkalk- oder Chlorkalkmilch, mit
Carbolsäure oder Sublimatlösungen bestrichen
werden. Auch die Einwirkung trockener,
heisser Luft auf die Felle zerstört die meisten
in denselben enthaltenen Infectionsstoffe. Das
von den Häuten Gesagte gilt auch von den
Hörnern, Hufen und Klauen. Ausgeschmolzenes
Fett ist meist gefahrlos, da die Anstockungs¬
stoffe durch die Schmelzhitze zerstört werden:
Knochen müssen, nachdem sie von den Weich-
theilen befreit worden, wenigstens eine Stunde
gründlich gekocht und dann getrocknet oder
auch über Feuer geröstet werden, bevor sie
in den Handel kommen. Haare, Wolle und
Borsten werden durch Auswaschen mit Lauge
oder Carbolsäurelösungen und gehöriges Aus¬
lüften und Austrocknen desinficirt. Die Des-
infection der Stallräume ist verschieden, je
nachdem ob Thiere mit fixen oder flüchtigen
Contagien sich darin aufgehalten haben. Bei
Krankheiten mit fixen Contagien (Milzbrand,
Wuth) genügt es, den Stand des kranken
Thieres und die an denselben angrenzenden
zu desinficiren, bei flüchtigen Contagien da¬
gegen muss der ganze Stall desinficirt wer¬
den. Nach Beendigung der Seuche wird der
Dünger mit Hilfe durchseuchter oder für das be¬
treffende Contagium nicht empfänglicher Thiere
ausgeführt, und bei sehr gefährlichen Seuchen
(Milzbrand, Rinderpest) gleich verbrannt oder
verscharrt oder bei weniger gefährlichen Krank¬
heiten aufs Feld gebracht und in dünnen
Schichten ausgebreitet, der Einwirkung der
346 DESINFECTIONSMITTEL. — DESMOBACTERIA.
Luft aufgesetzt oder auch gleicli untergepflügt.
Vor dem Ausfuhren kann der Dünger auch noch
mit roher Carbolsäure, Chlorkalk, schwefeliger
Säure oder Sublimatlösung behandelt wer¬
den. Nach Entfernung des Düngers und bei
Stallräumen ohne Dielen auch der obersten
Erdschicht, werden Stände, Raufen, Krippen,
Wände, Lage, Thüren und Fenster mit lieisser
Lauge, Lösungen von Carbolsäure, Sublimat
oder Kali hypermangnnicum abgewaschen und
mit Kalkmilch oder Theer bestrichen. In Stall¬
räumen mit Fussböden aus Cement oder Stein
werden diese ähnlich behandelt. Schadhatte
Bretterdielen müssen nebst der darunter ge¬
legenen verunreinigten Erdschicht entfernt und
durch neue Erde und neue Bretter ersetzt
werden. Nach Entfernung der Thiere und Aus¬
führung des Düngers sind nach sorgfältigem
Verschluss der Fenster und Thüren in ge¬
schlossenen Stallräumen Chlorgas oder Schwef¬
ligsäuregas zu entwickeln, und darauf werden
die Ställe zwei bis drei Wochen durch Offen¬
halten sämmtlicher Fenster und Thüren gründ¬
lich ausgelüftet. Schlechte, verdorbene Luft
bei Anhäufung von Excrementen und unge¬
nügender Ventilation reinigt man durch Ein¬
stellen von Schalen mit Salzsäure (um Am¬
moniak zu binden), Kali hypermanganicum (in
Lösungen), aromatische Räucherungen (Ver¬
brennen von Theer, Wachholder etc.) oder
Hineinstellen glühender Kohlen. Futterstoffe,
die von flüchtigen Contagien durchdrungen
sind, werden bei besonders gefährlichen Seu¬
chen (Rinderpest) verbrannt oder an solche
Thiere verfüttert, die für das betreffende Con-
tagiurn keine Empfänglichkeit besitzen, z. B.
an Pferde bei Rinderpest, Lungenseuche, bös¬
artiger Kopfkrankheit. Eisenbahnwagen, in
denen Thiere mit ansteckenden Krankheiten
transportirt werden, müssen mit kochendem
Wasser, heissen Wasserdämpfen, heisser Lauge
oder mit Lösungen von Carbolsäure, Sublimat
oder Kali hypermanganicum ausgewaschen wer¬
den. Instrumente und Apparate werden am
besten mit kochendem Wasser oder mit Subli¬
matlösungen oder auch durch Ausglühen des-
inficirt. Verunreinigte Brunnen und Abzugs¬
röhren müssen ausgereinigt und für gehörigen
Abzug und beständigen Zufluss frischen Was¬
sers muss gesorgt werden. Gefährliche, sumpfige
Niederungsweiden und stagnirende Gewässer
werden durch Entwässerung oder aber durch
IJeberrieselung mit fliessendem Wasser un¬
schädlich gemacht. Schlechtes Trinkwasser
desinficirt man durch Filtriren durch Kohle oder
Sand oder auch durch Zusatz von Kali hyper-
manganicura (bis zu */,%). Mit Infections-
stoffen verunreinigte Wunden und Geschwüre
werden durch Ausbrennen mit dem Brenn¬
eisen oder durch Anwendung energischer Aetz-
mittel (Aetzpaste, Chlorantimon, concentrirte
Säuren und Alkalien, Carbolsäure) desinficirt.
Frische Wunden schützt man vor Verunreini¬
gungen mit Fäulnisserregem und anderen In-
fectionsstoffen durch beständige Berieselung
mit reinem Wasser oder durch antiseptische
Waschungen und Verbände mit Lösungen von
Carbolsäure, Sublimat, Kali hypermangani¬
cum etc. Verunreinigte, mit schädlichen Aus*
dünstungen, Gasen, Staub und niederen Orga¬
nismen durchsetzte Luft im Freien in warmer
Jahreszeit und bei Windstille wird durch
Winde und noch mehr durch fallenden Regen
gereinigt und desinficirt. Semmer.
Desinfectionsmittel, s. Desinficientia.
De8lnflcientia sind die Mittel, um An¬
steckungsstoffe zu zerstören, d. h. die para¬
sitären Krankheitserreger zu tödten oder
wenigstens ihre Entwicklung zu sistiren,
u. zw. du^ch chemische Veränderung des
Materiales, in welchem sie ihren Sitz aufge¬
schlagen haben und wuchern. Die tödtende
Wirkung der Desinficientien hängt theils von
directer Alteration des Protoplasmas der
Mikrozymen ab, wie namentlich aus dem
Verhalten des Jods, Broms, der Säuren und
Metallsalze gegen Eiweiss klar hervorgeht,
theils geschieht sie indirect, wenn die An¬
steckungserreger schon in der Luft zerstört
werden sollen, indem einzelne Stoffe, wie die
sog. Ozonide (z. B. Terpentinöl), den atmo¬
sphärischen Sauerstoff in erregten activen
(Ozon) überführen, wodurch er ein kräftiges
Oxydationsmittel geworden ist. Aehnliche
Krankheitserreger finden sich auch bei der
fauligen Zersetzung als organisirte Fermente,
zwischen Gährung und Infection besteht
daher eine gewisse Analogie, weswegen die
antiseptischen Mittel mit den desinficirenden
zusammenfallen, ebenso mit den desodo-
risirenden, und ist eine Scheidung dieser
Gruppe von Stoffen schon aus dem Grunde
nicht durchführbar, weil manche gleichzeitig
desodorisiren und desinficiren und andere
Desinficientien auch auf das Zersetzungs¬
material und die Mikrozymen einzuwirken im
Stande sind. In neuester Zeit hat man übri¬
gens in die Ertödtung der niedrigen Orga¬
nismen den Schwerpunkt der Desinfection
elegt, und ist von derselben, wie Koch 1881
arlegte, zu fordern, dass sie nicht bloß
Pilze und Bacterien, sondern auch die Dauer¬
sporen der letzteren ihrer Lebensfähigkeit
beraube. Geht man jedoch von diesen
Koch’schen Aufstellungen aus, so wird man
allerdings zu den „Desinfectionsmitteln im
engsten Sinne“ nur Chlor, Brom und Sub¬
limat zu rechnen haben, doch ist nicht zu
bezweifeln, dass für die Praxis auch eine
Reihe von Mitteln in Betracht kommt,
welche, obwohl den Dauersporen gegenüber
machtlos, doch die Entwicklung von Bacillen
zu verhüten vermögen; hieher gehört nament¬
lich die Carbol- und Salicylsänre u. s. w.,
welche zu den antiseptischen Stoffen zu
zählen sind und von denen schon in dem
Artikel „Antiseptica“ das Nähere angegeben
worden ist. Vogel.
Desmarest, französischer Veterinär von
besonderer publicistischer Productivität, war
1824 Professor in Alfort. Kock.
Desmars gab 1764 eine UeberBetzung
der Epidemien von Hippocrates heraus. Koch.
Desmobacteria, Fadenbacterien, nannte
Cohn (Beitr. z. Biol. d. Pfl. I. 1872, S. 173)
die stabförmigen Spaltpilzformen, speciell
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DESODORISANTIA. — DESTILLATION.
347
Vibrio und Bacillus. Nach dem heutigen
Standpunkte der Spaltpilzforschungen muss
diese Bezeichnung als überflüssig fallen ge¬
lassen werden. Harz.
De80dorf8antfa, üble Gerüche zerstörende
Mittel. Sie vermögen keine grosse Rolle zu
spielen, denn die relativ untergeordnete Be¬
deutung, welche die bei Fäuinissprocessen
sich bildenden gasförmigen Substanzen für
die Fortpflanzung und Verbreitung anstecken¬
der Krankheiten haben, macht die Anwendung
von Substanzen zu deren Beseitigung zur
Nebensache, während sie früher, wo man
ausschliesslich durch Räucherungen harziger
und wohlriechender Stoffe Ansteckungskrank¬
heiten Widerstand zu leisten versuchte,
Hauptsache war; sie konnten natürlich nur
die üblen Gase maskiren, indem sie ihren
eigenen Geruch zur Geltung brachten, jetzt
vernichtet man die Ursachen der fauligen
Zersetzung und sucht auf diese Weise der
Bildung von gasigen Producten zuvorzu¬
kommen, worüber das Nähere schon in den
Artikeln Antiseptica und Desinficientia gesagt
worden ist. Vogel.
Desplas J. B., 1758—1823. sowohl als
Praktiker wie auch als Schriftsteller renom-
mirter französischer Veterinär. Koch.
De8pumatio (von Despumare), Abschäu¬
men, s. d.
De88aive, Professor zu Lüttich, schrieb
1845 ein Buch: „Les animaux domestiques consi-
ddrös sous le rapport de leur Conservation, de
leur amdlioration et de la gudrison de leurs
maladies“ und beschäftigte sich viel mit der
Lungenseuche-Impfung. Semmer.
D688ler Fr. war Departementsthierarzt in
Königsberg, veröffentlichte im Magazin von
Gurlt und Hertwig mehrere Artikel, so z. B.
über Anthrax (1838), Schafpocken (1841),
Kuhpocken, katarrhalische Fieber, Anwendung
des kalten Wassers (1846), Durchlöcherung des
Pferdemagens durch Bremsenlarven, Krebs der
Parotiden (1853) etc. Semmer.
Destillation, eine chemische Operation,
welche an gewendet wird, um eine flüchtige
Flüssigkeit von nicht oder weniger flüchtigen
Stoffen zu trennen, mit der Absicht, die flüch¬
tige Flüssigkeit wieder zu gewinnen. Um
letzteres zu erreichen, muss die Flüssigkeit
aus der Dampffonn, in welcher sie entfernt
wurde, wieder in den tropfbar flüssigen Zu¬
stand zurückgeführt werden. Der hiezu be¬
nützte Apparat besteht demgemäss aus einem
Gefäss, in welchem das der Destillation zu
unterwerfende Gemisch erhitzt wird, der Re¬
torte, und aus einer Vorrichtung, in der die
Dämpfe abgekühlt und wieder zur Flüssigkeit
eondensirt werden, in der einfachsten Form
der Retortenhals, bei complicirteren Appa¬
raten Kühlröhren, und schliesslich aus
einem GefUss, in welchem sich die zur
Flüssigkeit verdichteten Dämpfe, das Destillat,
ansammeln, der Vorlage. Erhitzt man z. B.
Wein in einer Retorte, so verflüchtigt sich der
Alkohol des Weines in Dampffonn, in dem mit
Wasser abgekühlten Retortenhals verdichtet
sich derselbe und tropft in die Vorlage ab.
In der Retorte bleiben sämmtliche bei der
Siedetemperatur des Alkohols nicht flüchtigen
Bestandtheile des Weines — Wasser, Zucker,
weinsaure Salze, Gerbsäure — zurück. Nicht
immer gelingt es, den flüchtigen Bestandtheil,
welchen man durch die Destillation gewinnen
will, auf einmal frei von Beimengungen zu
erhalten. Destillirt man Alkohol aus einer
wasserhaltigen Flüssigkeit, so gehen mit den
Alkoholdämpfen auch Wasserdämpfe über. Um
nun eine vollkommene Trennung beider zu
erreichen, destillirt man abermals, man unter¬
stützt auch die Trennung des Wassers vom
Alkohol, indem man in das Gemenge Aetzkalk
einträgt, welcher das Wasser bindet, man er¬
hält auf diese Weise einen wasserfreien Alkohol.
Diese zweite Destillation heisst Rectification.
Wenn in einer Flüssigkeit mehrere flüch¬
tige Körper enthalten sind, so verflüchtigt sich
beim Erhitzen zunächst derjenige, dessen
Siedepunkt am niedrigsten liegt. Enthält eine
Flüssigkeit Methylalkohol, welcher bei 66° C.,
und Aethylalkohol, welcher bei 78° C. siedet,
und erhitzt man das Gemenge, während ein
Thermometer in die Flüssigkeit taucht, so
kann man beobachten, dass das Thermometer
zunächst bis 66° C. ansteigt und so lange
stationär bleibt, bis sämmtlicher Methylalkohol
übergegangen ist, dann steigt es wieder rasch
bis 78° C., bis der Aethylalkohol überdestillirt.
Auf diese Art wird es also möglich, die ein¬
zelnen flüchtigen Bestandtheile eines Gemisches,
wenn deren Siedepunkte genügend von einander
differiren, auch von einander zu trennen. Zu
diesem Behufe wird, sobald das Thermometer
constant geworden, die Vorlage gewechselt
und das entsprechende Destillat gesondert ge¬
sammelt. Man spricht dann von einer Trennung
durch fractionirte Destillation.
Als trockene Destillation bezeichnet
man die Zersetzung organischer Stoffe durch
Erhitzen beim Abschluss der Luft in eigens
hiezuconstruirten Destillationsapparaten. Hiebei
entstehen gasartige, wässerige und ölige, auch
bei gewöhnlicher Temperatur erstarrende Pro-
ducte, denen häufig ein brenzlicher oder theer-
ähnlicher Geruch anhaftet; der Rückstand
ist zumeist ein kohlenartiger Körper. Die
trockene Destillation findet in der Technik
häufige Anwendung, so z. B. zur Herstellung
von Leuchtgas, Holzgeist. Loeöisch.
In pharmakologischer Beziehung wird
das Destilliren u. A. zur Bereitung des
Aqua destillata geübt, wobei jedoch möglichst
weiches Wasser, z. B. Regenwasser, das aber
ebenfalls unrein ist und sogar Salze, flüchtige
und bacteridische Substanzen enthält, genom¬
men wird (s. Aqua). Der zuerst übergehende
und als Dampf niedergeschlagene Antheil des
Wassers ist immer noch unrein, wird be¬
seitigt und erst dann das Destillat als rein
betrachtet, wenn bei wiederholtem Ueber-
führen gar kein Rückstand mehr bleibt.
Letztere Operation heisst
Rectificiren, und wenn die flüchtige
Substanz sich nicht zu einer tropfbaren
Flüssigkeit verdichtet, sondern sofort wieder
feste Gestalt annimmt, so spricht man von
348 DESTILLIRTE WÄSSER — DEUTSCHE DOGGE.
Sublimation, und will man dabei erstere
ebenfalls von fremden Stoffen trennen. Wird
durch Einwirkung von Wärme aus irgend
einem Stoffe eine flüchtige Substanz neuge-
bildet, indem derselbe sich zersetzt, so nennt
man die chemische Operation
Trockene Destillation (s. Theer).
Sind in der zu destillirenden oder abzu¬
ziehenden Flüssigkeit mehrere flüchtige Sub¬
stanzen enthalten, so geht zuerst diejenige
über, deren Siedepunkt am niedrigsten ge¬
legen ist; es kann daher zugleich auch durch
diese sog.
Fractionirte Destillation der jewei¬
lige Siedepunkt aufgefunden und bestimmt
werden, wenn an dem Apparate ein Thermo¬
meter angebracht ist und die einzelnen
Substanzen für sich gesondert aufgefangen
werden. Vogel.
Destillirte Wässer, Aquae destillatae, sind
Lösungen ätherischer Oele oder anderer flüch¬
tiger Substanzen in Wasser oder stark ge¬
wässertem Weingeist, welche durch Destilla¬
tion der betreffenden, diese Oele enthaltenden
Pflanzenstoffe gewonnen werden und die dann
den eigentümlichen Geruch derselben er¬
halten (s. Aquae aromaticae). VI.
Detritus, Zerfallsproduct (von detero, ab¬
reiben), bildet sich bei aufgehobener Er¬
nährung der Gewebe, bei Entartungen, Zer¬
trümmerungen, Brand und Fäulniss. Die Ge¬
webe und Zellen lösen sich dabei in kleine
Körnchen und Moleküle von verschiedener
Beschaffenheit auf. Nach den vorwiegenden
Bestandteilen unterscheidet man einen fet¬
tigen Detritus bei Fettdegenerationen, einen
albuminösen Detritus bei albuminöser und
käsiger Entartung, einen jauchigen Detritus
bei fauliger Zersetzung der zerfallenden Ge-
websmassen. Den Eiweiss- und Fettpartikelchen
des Detritus sind oft beigemengt Kalkkörnchen
(Verkalkung), Pigmentkörnchen (Pigment¬
entartung), Fettkrystalle, Cholesterinkrystalle
(atheromatöse Entartung), Gewebstrümmer
und niedere Organismen (Spaltpilze) bei der
Fäulniss etc. Semmer.
Deutochloridum Hydrargyri, eine Be¬
zeichnung der Pharmacopoea Austriaca für
Hydrargyrum bichloratum (s. d.). Vogel.
Deutojoduretum Hydrargyri Ph. Austr.,
das rothe Doppeljodquecksilber, Hydrargyrum
bijodatum rubrum (s. d.). Vogel.
Deutoplasma. Der Dotter im Eichen be¬
steht (E. van Beneden) aus einem Proto¬
plasma oder dem Bildungsdotter und einem
Deutoplasma, dem Nahrungsdotter. Beide
Theile können getrennt und nur an einander
gelagert sein, oder sie sind mit einander ver¬
mengt, und es ist Protoplasma und Deuto¬
plasma in einem Dotter vereinigt. Sk.
Deutsche Dogge. Altdeutsche Dogge (Strich -
Chapel). Schon seit frühen Zeiten wurden
in Deutschland, namentlich Süddeutschland,
grosse Hunde schweren Schlages gezüchtet, die
eine bedeutende Grösse, bis 81 cm Schulter¬
höhe, erreichten. Im Allgemeinen sind die
Kennzeichen dieses Hundes schwer festzu¬
stellen. Nach Strich-Chapel gleicht derselbe
dem dänischen Hunde, ist aber schwerer, der
Kopf dicker, die Lippen überhängend, der
Unterkiefer öfter ein wenig, wenn auch kaum
merklich vorstehend, der Hals dick, die Haut
etwas schlaff, die Füsse dick und grobknochig,
die Lenden nicht eingezogen, die Ruthe dicker
als beim dänischen Hund, die Farbe gelb,
gestromt oder schwarz. In neuerer Zeit wird
der Name deutsche Dogge als Sammelname
für die sog. Dänischen und Ulmerdoggen ge¬
braucht und vom Verein zur Veredlung der
Hunderassen für Deutschland folgende Rasse¬
merkmale festgestellt: Kopf raässig lang ge¬
streckt und eher hoch und seitlich zusammen¬
gedrückt erscheinend. Stirne im Profil nur
wenig höher als der Nasenrücken und nach
hinten schwach ansteigend; die Stirne von
vorne gesehen nicht auffällig breiter als der
stark entwickelte Schnauzentheil, Backen¬
muskeln stark ausgebildet. Nase gross,
Nasenrücken sehr schwach gewölbt, fast ge¬
rade, Lippen vorn senkrecht abgestumpft,
nicht zu stark an den Seiten überhängend,
jedoch mit gut ausgesprochener Falte am
Mundwinkel. Unterkiefer weder vorspringend,
noch zurückliegend, Augen klein, rund, mit
scharfem Ausdruck, Brauen gut entwickelt,
Ohren mittelgross, hoch angesetzt, wenn ge¬
stutzt, spitz zulaufend und aufrecht stehend.
Hals lang und kräftig, leicht gebogen, mit
gut ausgebildetem Genickansatz, von der Brust
bis zum Kopf sich allmälig verjüngend und
ohne Wamme oder zu weite Kehlhaut schlank
in den Kopf übergehend. Brust breit, Rippen¬
korb gut gewölbt, langgestreckt und nach
vom tief herabgesenkt, Rücken lang, in der
Nierengegend gewölbt, Kruppe kurz, mässig
schräg abfallend und in schöner Linie zur
Ruthe übergehend. Ruthe mittellang, kaum
über das Sprunggelenk hinabreichend, an der
Wurzel breit und stark, jedoch leicht und
schlank auslaufend, mit schwacher Krümmung.
Bauch nach hinten gut aufgezogen. Schulter
schräg gestellt. Ellenbogen gut niedergelassen,
nicht gedreht, Lauf stark und gerade, Ober¬
arm muskulös, von vorn gesehen nur sehr
schwach gebogen, der ganze Lauf stark und
im Profil völlig gerade bis zum Fuss herunter.
An den Hinterläufen die Keulen muskulös,
Unterschenkel lang und stark, im windhund¬
artigen Winkel zu der kurzen Fusswurzel
stehend. Füsse rundlich, weder nach innen
noch nach aussen gedreht: Zehen gut ge¬
wölbt und geschlossen. Nägel sehr stark und
gekrümmt. Haar sehr kurz, dicht, fein, an
der Unterseite der Ruthe nicht verlängert.
Farbe: a) geflammt. Grundfarbe: goldbraun,
gelb, schiefergrau, eisen- oder hellaschgrau
mit schwarzen oder doch dunklen unregel¬
mässigen Querstreifen geflammt: b) einfarbig:
gelb, schiefergrau, aschgrau, hellsilbergrau,
ganz einfarbig oder mit leichtem schwärz¬
lichen Anfluge an Schnauze, Augen und dem
Rückenstrang. Ferner einfarbig schwarz. Nase
beigeflammten und einfarbigen immer schwarz.
Augen und Nägel dunkel; c) gefleckte oder
Tigerdoggen. Grundfarbe w’eiss oder liell-
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DEUTSCHLANDS THIERZUCHT. 349
silbergrau mit unregelmässigen zerrissenen
und vertheilten Flecken. Im Allgemeinen wird
verlangt: Bedeutende Grösse bei kräftiger,
doch eleganter Bauart. Weiter Schritt und
stolze Haltung. Kopf und Hals hoch, Ruthe
meist abwärts oder horizontal getragen mit
möglichst schwacher Krümmung. Studer.
Deutschlands Thierzucht. Ueber den Vieh¬
bestand des Deutschen Reiches besitzen wir
erst seit dem 10. Jänner 1873 genauere Kennt-
niss. Die letzte Viehzählung am 10. Jänner
1883 hat uns bezüglich des Verhältnisses des
Viehstandes zu Areal und Bevölkerung höchst
beachtenswerthe Daten geliefert und den Nach¬
weis geführt, dass fast bei sämmtlichen Haus¬
thiergattungen — nur die Schafe ausgenom¬
men — eine nicht unerhebliche Zunahme,
sowie auch an den meisten Orten eine wesent¬
liche Verbesserung der Zuchten stattgefunden
hat. Im ganzen Deutschen Reiche fanden sich
am 10. Jänner 1883 folgende Bestände:
3,522.316 Pferde überhaupt, darunter waren
2,962.921 Stück dreijährige und ältere Thiere
dieser Gattung; 15,785.322 Haupt Rindvieh
überhaupt, darunter befanden sich 10,717.136
Stück zweijährige und ältere Thiere; ferner
19,185.362 Schafe, 9,205.791 Schweine und
2,639.994 Ziegen.
Die Zunahme und Abnahme des Vieh¬
standes in der Zeit vom 10. Jänner 1873
bis zum 10. Jänner 1883 stellte sich, in Per-
centen ausgedrückt, folgenderraassen: Pferde
(überhaupt) 5*07 Zunahme, Rindvieh (über¬
haupt) 0*05 Zunahme, Schafe: 23 26 Ab¬
nahme, Schweine: 29*22 Zunahme, Ziegen:
13*79 Zunahme, Ziegen: 13*79 Zunahme.
Auf 1*9 km* entfallen im Deutschen Reiche:
6*5 Pferde, 29*2 Rinder, 35*5 Schafe,
17*0 Schweine und 4*9 Ziegen. Das Verhält-
niss des Viehstandes zur Bevölkerung stellte
sich bei der letzten Zählung folgendermassen:
Auf 100 Einwohner des Reiches entfallen
7*7 Pferde, 34*5 Rinder, 41*9 Schafe,
20* 1 Schweine und 5 *8 Ziegen. Ueber den Vieh¬
stand der einzelnen deutschen Staaten s. d.
Die Pferdezucht hat an verschiedenen
Orten des Deutschen Reiches an Ausdehnung
bedeutend zugenommen, und nur vereinzelt ist
eine Beschränkung derselben bemerkbar ge¬
worden. Besonders auffällig erscheint die
Zunahme dieses Zuchtzweiges in den König¬
reichen Preussen und Sachsen, im Grossherzog¬
thum Sachsen-Weimar, in den thüringischen
Herzog- und Fürstentümern und im Herzog¬
thum Braunschweig. Im Königreich Württem¬
berg und im Grossherzogthume Baden hat
die Pferdezucht einige Einbusse erlitten.
In den zuerst genannten Staaten hat neben
der Züchtung des leichteren Soldatenpferdes
die Aufzucht schwerer Arbeitsschläge nicht
unerheblich zugenommen, aber dessenunge¬
achtet werden auch nach Deutschland alljähr¬
lich noch viele schwere Zugpferde aus Bel¬
gien, Holland, Frankreich, England und Däne¬
mark ein geführt. Im Jahre 1881 gelangten in
das deutsche Zollgebiet 54.857 Pferde, und es
stellte sich die Ausfuhr in demselben Jahre
nur auf 18.883 Stück. Diese letzteren einge¬
führten Pferde gehörten grösstentheils den leich¬
teren Reit- und Kutschschlägen an. Die Provin¬
zen Ost- und Westpreussen, auch Hannover und
Posen liefern viele brauchbare Pferde der letzt¬
genannten Schläge auf den Markt. Ebenso ge¬
langt aus Mecklenburg und Oldenburg eine
verhältnissmässig grosse Zahl von statt¬
lichen Kutschpferden in den Handel, welche
gut bezahlt werden. Die Rindviehrassen
und Schläge des Reiches haben ebenfalls
eine Besserung erfahren; sie sind zum nicht
geringen Theile in der neueren Zeit etwas
grösser und schwerer geworden. Die Milch¬
ergiebigkeit der Kühe hat sich an vielen Orten
gebessert, ebenso sind auch die Molkereipro-
ducte in Folge einer sorgfältigeren Herstellung
von Butter und Käse etwas theurer als zehn
Jahre früher bezahlt worden. Die Leistungen
der Arbeitsochsen (von Süd- und Mitteldeutsch¬
land) sind befriedigend; auch werden neuer¬
dings viele gut gemästete schwere Ochsen auf
den Markt geführt, deren Preise aber leider
in der allemeuesten Zeit nicht mehr im rich¬
tigen Verhältnisse zu dem mageren Vieh zu
stehen scheinen und zu niedrig genannt werden
können. Die Fütterung und Pflege der Rinder
ist besser geworden; die Grossgrundbesitzer
und Domänenpächter gehen mit gutem Bei¬
spiel voran, und die Bauern folgen nach.
Durch eine zweckmässige Verwendung (Zu¬
gabe) von sog. Kraftfuttermitteln ist an den
meisten Orten die Rindviehfütterung eine ra¬
tionellere geworden.
Alljährlich werden aus dem deutschen
Zollgebiete viel mehr Rinder aus- als einge¬
führt; im Jahre 1881 betrug die Einfuhr
152.376 Haupt, gegen 239.269 Stück, welche an
das Ausland abgegeben wurden. Aus den nord¬
deutschen Ländern und Provinzen, hauptsäch¬
lich aus Schleswig-Holstein, gehen viele fette
Rinder nach England.
Die Schafzucht und Wollproduction
hat in der neueren Zeit ganz erheblich abge¬
nommen; die schlechten Preise für edle
(Merino) Wollproducte haben wesentlich dazu
beigetragen, eine Reduction der Schafheerden
eintreten zu lassen, ebenso hat auch neuer¬
dings ein Sinken des Preises von fettem
Schafvieh mitgewirkt, die Mästung der Schafe
und Hammel einzuschränken. Die Ausfuhr an
Thieren dieser Gattung ist jedoch immerhin
noch grösser als die Einfuhr; 1881 wurden
1,250.808 Stück aus- und nur 56.291 Stück
eingeführt. Zur Verbesserung der Zuchten be¬
nützt man jetzt an vielen Orten englische
FlSsch schaf- und französische Kammwoll-
merinoböcke. Die fast kostenlose Production
der Wolle in den überseeischen Ländern hat
der deutschen Schafzucht erheblichen Schaden
zugefügt und wohl hauptsächlich eine Be¬
schränkung derselben herbeigeführt. Aus dieser
Ursache und in Folge der durch eine inten¬
sivere Wirtschaftsweise sich ergebenden Ab¬
nahme der Weiden (Brache) verminderte sich
die Zahl der Schafe in allen deutschen Län¬
dern in der Zeit von 1873 bis 1883 um
5,814.044 Stück, wogegen die Rindviehzucht
an den meisten Orten etwas zugenommen hat.
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350 DEVONRIND.
In den östlichen und zum Tlieil auch in den
norddeutschen Provinzen und Ländern dürfte
sich die Zucht edler Wollträger in der Zukunft
wieder etwas lohnender gestalten: der günstige
Einfluss des Einfuhrzolles auf ausländische Wolle
wird sich bald bemerkbar machen, und ebenso
wird auch an manchen Orten durch rationellere
Züchtung und Haltung der Fleischschafrassen,
namentlich auf den Gütern mit technischen
Gewerben, der Ertrag aus diesem Zweige der
Viehzucht eine Besserung erfahren.
Die Schweinezucht hat in den letzten
10—12 Jahren bedeutend zugenommen. Die
Schweine sind von 1873 bis 1883 um 2,081.703
Stück zahlreicher geworden, und ganz beson¬
ders die Qualität der Rassen hat eine wesentliche
Besserung erfahren. Die alten unveredelten Land¬
schläge, welche sich noch vor 15 Jahren in den
meisten bäuerlichen Wirtschaften hauptsächlich
vorfanden, haben den besseren englischen und
amerikanischen (Poland-China) Rassen weichen
müssen. Hiedurch hat sich auch die Qualität des
Fleisches verbessert; dasselbe ist an vielen Orten
feinfaseriger und wohlschmeckender geworden.
Im Königreiche Preussen hat die Schweine¬
zucht in der Neuzeit um 35*48% zugenommen,
in Oldenburg sogar um 70 * 42%, auch im König¬
reiche Bayern ist die Zunahme erheblich, sie be¬
trägt hier 19 *06%, und ähnlich gross ist die
Vermehrung der Schweine in Sachsen, Thüringen
und den norddeutschen Ländern. Der fünfte
Jahrgang (1884) des statistischen Jahrbuches
für das deutsche Reich liefert den beachtens¬
werten Nachweis, dass in keinem Theile
Deutschlands eine Abnahme an Schweinen
in dem Zeiträume von 1873 bis 1883 vorge¬
kommen ist. Endlich wäre noch zu erwäh¬
nen, dass auch die Ziegenzucht Deutsch¬
lands eine Zunahme und Besserung erfahren
hat. An verschiedenen Orten ist durch die
Verwendung besserer Zuchtböcke von auslän¬
dischen Rassen eine Vergrösserung der alten
Landschläge ins Werk gesetzt; das Haar-
product hat sich verbessert, ist weicher ge¬
worden, und der Milchertrag der Ziegen hat
sich in Folge sorgfältigerer Haltung und
Fütterung etwas vermehrt, obgleich derselbe
noch immer nicht so gross ist wie bei vielen
Ziegen der südeuropäischen Staaten. Die Zu¬
nahme an Ziegen stellt sich besonders gün¬
stig im Königreich Württemberg (43*26%),
in Oldenburg (33*2%) und im Fürsten¬
thum Lippe-Schaumburg, hier auf 23*26%.
In Hohenzollern betrug dieselbe sogar
49*75%. Freytag .
Devon-Rind. Dieser von den Engländern
zu ihren mittelhornigen Rassen gerechnete
Rindviehschlag ist überall in England ver¬
breitet, aber sein besonderes Zuchtgebiet liegt
auf dem Nordabhange der englischen Graf¬
schaft Devon, jenseits des Flusses Exe. Der
Körper der Devons ist gedrungen und kräftig
gebaut, aber nur von mittlerer Grösse und
von 500—550 kg Lebendgewicht; der Kopf
ist ähnlich dem der kurzköpfigen Rassen (der
Duxer, Zillerthaler, Eger- und Voigtländer)
des europäischen Festlandes, d. h. er ist fast
so kurz, aber etwas schmäler und zuweilen
— DEXTER.
spitzer als der Kopf dieser Rassen. Die Beine
sind kurz und feinknochig. Die Haarfarbe ist
rothbraun ohne weUse Abzeichen, der Stirn¬
schopf, der Haarsaum um das hellrothe Flotz-
maul und die Flotzhaare der Ohren sind
orangeroth. Die mittellangen Hörner sind
fein und aufwärts gerichtet. Die Haut ist dick,
weich und fettreich. Das Devonrind ist vor¬
wiegend zur Mastproduction geeignet, das
Fleisch ist zart und saftig, das Fett hat eine
gelbliche Farbe. Die Milchproduction ist eine
mittlere, aber die Milch ist sehr fett. Ws.
Devonshire-Schaf. In der Grafschaft De-
vonshire finden wir nach Youatt zwei eine
lange Mischwolle tragende Schläge, welche
in ihren Eigenschaften sich ziemlich scharf
von einander abheben. Während die Graf¬
schaft im Ganzen bergig ist, finden sich ira
Süden, dem Canal de la Manche zu, viele
fruchtbare Thäler und herrscht dort ein sehr
mildes Klima. Hier finden wir
das ungehörnte Southdam-Schaf.
Dasselbe hat viel Aehnlichkeit mit dem Kent-
oder Romney-marsh-Schaf und mag zwischen
beiden wohl eine verwandtschaftliche Ab¬
stammung stattfinden, doch sind im Gegen¬
sätze des bei dem Kent-Schafe weiss ge¬
färbten Kopfes hier Kopf sowohl wie Extre¬
mitäten braun gefärbt, wie solches wenigstens
von früheren Schriftstellern geschildert wird.
Nach diesen war dies Schaf krumm im Rücken,
flach in den Seiten und grob in den Knochen,
trug ein langwolliges Vliess, die Wolle war
aber bei einem Schurgewicht von 4*0— 4*5 kg
mürbe, ohne Nerv. Neuerer Zeit, schon seit
Beginn dieses Jahrhundertcs, ist vielfach New-
Leicester Blut eingemischt und so das alte
ziemlich werthlose Schaf derart verbessert
und umgeformt worden, dass selbst die braune
Farbe am Kopf und Extremitäten verschwunden
ist. Der nördliche Theil von Devonshire an
de:* Grenze von Somcrsetshire besteht
grösstentheils aus Hochebenen und unbewal¬
detem Hügellande. Hier finden wir:
Das Bamp ton - Schaf, so genannt nach
dem Städtchen Bampton im nordöstlichen
Theile der Grafschaft. Nach einem von Youatt
angeführten älteren Schriftsteller war es die
beste Rasse in Devonshire. Ein fettes Mutter¬
schaf erreichte an Schlachtgewicht pro Vier-
theil 9 kg, ein Zuchthammel ein solches von
13*50—16 kg. Die Rasse ist auch am Kopf
und Gesicht weiss gefärbt und dem Leicester-
schafe ähnlicher wie jede andere, doch hat
sie gröbere Knochen, ist hochbeiniger und
gestreckten Leibes, dabei nicht so breitrückig
wie jenes. Von einem Widder, der 18 kg
pro Viertheil Schlachtgewicht ergab, hatte
man 8 kg einer ziemlich schweren Wolle
geschoren. Früher ist die Rasse, doch nicht
zu ihrem Vortheile, vielfach mit Wiltshire-
Schafen gekreuzt worden. Seit Beginn dieses
Jahrhunderts hat eine lebhafte Kreuzung
mit New-Leicester Blut stattgefunden und
steht seitdem das Bampton-Schaf auf ziemlich
gleicher Werthhöhe mit jenem. ßohm.
Dexter war einer der berühmtesten Trotter
oder Traber Nordamerikas, wurde 1858 in
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DEXTRIN. -
der Orange County im Stalle Mr. Jonathan
Hawkin’s geboren. Das Thier war hässlich ge¬
zeichnet und wurde aus diesem Grunde sehr
billig — für 400 Dollars — an Mr. G. B.
Alley verkauft. Beim Zureiten zeigte es sich
anfänglich sehr unbändig, störrisch und über-
raüthig, wurde aber später von dem berühm¬
ten Trainer Hiram Woodruff folgsam gemacht
und zu tüchtigen Leistungen gebracht. Dexter
durchlief schon vieijährig die englische Meile
(im Sulky) in 2 Minuten und 32 Secunden.
— 1864 gewann dieser tüchtige Traber sein
erstes Rennen auf dem Fashion-Course, wo er
den Stonewal Jackson von New-York, ferner
Grantl und Lady-Collins aus dem Felde schlug.
1865 besiegte jener Hengst sogar den General
Butter auf dem Fashion-Course und lief das
dritte Heat in 2 Minuten und 24 % Se¬
cunden. Später ist Dexter noch aus vielen
grossen Rennen siegreich hervorgegangen. Sein
Besitzer wettete 1000 gegen 5000 Dollars,
dass er die englische Meile unter 2 Minuten
19 Secunden zu durchlaufen im Stande sei,
und gewann bei der Gelegenheit eines der
interessantesten Rennen jener Zeit, indem er
in 2 Minuten 18% Secunden den Pfosten
passirte. Seine grösste Leistung zeigte Dexter am
21. Juni 1867, als er auf dem Fashion-Course
gegen Ethan Allen fünf Heats zu je einer
Meile zu laufen hatte. Er durchlief hier die
englische Meile einmal in 2 Minuten 15 Se¬
cunden und das anderemal in 2 Minuten
16 Secunden. Dexter hat in 4 Jahren 39 Rennen
gewonnen; er ist im Wagen niemals geschlagen
worden und war unstreitig bezüglich der
Leistungsfähigkeit und Ausdauer das beste
Pferd seiner Zeit. Freytag.
Dextrin (Stärkegummi, Gommeline) ist ein
Kohlehydrat von der Zusammensetzung C Ä H, 0 0 4
und steht nach seinen chemischen Eigen¬
schaften als Zwischenstufe zwischen Stärke und
Zucker. Es entsteht leicht aus Stärkemehl
beim Kochen desselben mit verdünnter Schwe¬
felsäure und wird bei weiterer Einwirkung
der Schwefelsäure sehr leicht in Trauben¬
zucker umgewandelt. Dextrin bildet sich auch
beim Erhitzen der Stärke auf 160—200° C.
und findet sich demgemäss reichlich in der
Brotrinde vor; es ist ferner sehr verbreitet im
lebenden Pflanzenkörper. Schon beim Keimen
der Pflanzen bildet sich aus der Stärke des
Samenkorns durch Einwirkung eines Fermen¬
tes der Diastase Dextrin, demgemäss finden wir
im Malze, also in der gekeimten und dann ge¬
dörrten Gerste, reichlich Dextrin. Beim Maisch-
process in der Brauerei und auch in der
Branntweinbrennerei wird theils Stärke in
Dextrin, theils Dextrin in Traubenzucker um¬
gewandelt. Auch das fertige Bier enthält noch
reichlich Dextrin. Die physiologische Bedeu¬
tung des Dextrins gegenüber der Stärke ist
durch die Löslichkeit des ersteren in Wasser
bedingt, während Stärke darin unlöslich ist,
es muss daher sämmtliche Stärke der Nah¬
rung im Thierkörper, um resorptionsfähig zu
werden, in Dextrin und Zucker um gewandelt
werden. Auch enthält der Thierkörper in
seinen Gewebselementen, in den Zellen, in den
DIABETES. 351
Muskeln, in der Leber einen dextrinähnlichen
Körper — das Glykogen (s. d.). Im reinen
Zustande ist das Dextrin eine weisse amorphe
Masse ohne Geruch und Geschmack, in Was¬
ser sich zu einer klebrigen Flüssigkeit lösend,
in Alkohol unlöslich; durch Jod wird Dextrin
weinroth gefärbt. Die Lösung des Dextrins
dreht die Ebene des polarisirten Lichtes stark
nach rechts, daher der Name (dexter = rechts).
Alkalische Kupferlösung wird durch concen-
trirte Dextrinlösungen erst nach sehr langem
Kochen, durch verdünnte Lösungen gar nicht
reducirt. Das Dextrin ist direct nicht gäh-
rungsfähig, doch zerfällt es in einer gähren-
den Flüssigkeit neben Zucker ebenfalls in
Alkohol und Kohlensäure. Beim Kochen mit
Salpetersäure liefert es Oxalsäure. Das Dextrin
findet in der Industrie Anwendung als Sur¬
rogat des arabischen Gummi, zum Beizen,
AppTetiren in der Zeugdruckerei, ferner als
Zusatz zu Arznei-Extracten, zu Backwerk.
Dextrin als Nährstoff, s. u. Fütterung. Lh.
Diabas, Grünstein. Ein gemengtes kry-
stallinisches Massengestein, dessen vorwaltende
Bestandtheile als Feldspath der Plagioklas
mit Augit, in der Regel mit bedeutenden
Mengen von Magnesit bilden. Daran reihen
sich in einzelnen Vorkommnissen Quarz*
Olivin, Apatit u. a. Der Diabas zeigt eine
fein- bis grobkörnige Structur, zuweilen sind
in der Gesteinsmassc grössere Krystalle aus¬
geschieden, wodurch das Gestein ein porphyr¬
artiges Ansehen gewinnt. Solche Gesteine
werden als Diabasporphyre bezeichnet.
Die Diabase treten als Lagen zwischen den
Sedimentgesteinen der paläo- und mesozoi¬
schen Periode auf und finden sich im Thüringer¬
wald. im Harz, in Norwegen und Nord¬
amerika. Loebisch.
Diabetes (von SiaßYjTYjs), die Harnruhr,
zerfällt in 1. den Diabetes mellitus, Melli-
tämie, Glykosurie, Meliiturie, Zuckerharnruhr;
2. den Diabetes inositus mit Ausscheidung
von Inosit oder Muskelzucker durch den Harn,
und 3. in den Diabetes insipidus oder wässe¬
rige Harnruhr ohne Zucker im Harn.
Der Diabetes mellitus, die Zucker¬
harnruhr, ist eine meist chronische Krankheit,
die sich durch Auftreten grösserer Mengen
von Zucker im Blut und Harn, durch bedeutende
Vermehrung der ausgeschiedenen Harnmengen
und aller Harnbestandtheile mit vermehrtem
Durst und Appetit, Abmagerung, Marasmus
und häufigen Ausgang in den Tod charakteri-
sirt. Der Zuckergehalt der Diabeteskranken
steigt auf 4—8°/ 0 . Der Appetit und Durst
der Patienten ist ums Dreifache gesteigert.
Die Harnmenge ist stark vermehrt, der Harn
ist relativ ärmer an Harnstoff und Salzen, aber
die absolute Menge derselben übertrifft die
normale ums Zwei- bis Dreifache. Der Harn
ist blass, klar, gelblich, klebrig, von süss-
lichem Geschmack, frei von Sedimenten, rea-
girt sauer und besitzt ein hohes specifisches
Gewicht: dasselbe schwankt aber zwischen
1*01 und 1*06. Es treten im Harn Harn¬
säure, Hippursäurc. Kreatin und Kalisalze
in grösserer Menge auf. Auch Diacetsäure,
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352
DIABETES.
Aceton und Alkohol sind bei Diabetespatienten
im Harn nachgewiesen worden. Ausser im
Harn tritt noch Zucker im Blute in allen
Secreten und Excreten (Speichel, Schweiss,
Thränen, Schleim, Excrementen) auf. Die Sauer-
stoffaufnahmc und Kohlensäureabgabe der Dia¬
betiker ist nicht vermehrt, wohl aber der
Eiweisszerfall im Organismus. Der durch den
Harn ausgeschiedene Stickstoffgehalt ist fast
immer grösser als das durch die Nahrung
aufgenommene Quantum. Der Ueberschuss
des Stickstoffs im Harn wird durch Zerfall
der Körperalburainate geliefert und daher die
Abmagerung und der schliesslich zum Tode
führendeMarasmus trotz gesteigerter Nahrungs-
aufnahme und normaler Verdauung. Das Fett
schwindet, die Muskeln und Drüsen werden
atrophisch, es tritt Impotenz und Sterilität,
Schwäche des Nervensystems, Neigung zu
Entzündungen, Eiterungen und Brand ein.
Die Haut wird trocken, die Haare verlieren
ihren Glanz, zuletzt tritt auch Eiweiss im
Harn auf und unter zunehmender Schwäche
und Decubitus gehen die Patienten schliess¬
lich zu Grunde. Abgesehen von dem vorüber¬
gehenden Diabetes nach Verletzungen der
Medulla oblongata, des Hirns und Kücken¬
marks, Leberleiden, Vergiftungen mit Kohlen¬
oxyd, Curare, Sublimat, Milchsäure, Am¬
moniak, Nitrobenzol, Aether, Chloroform,
Salpetersäure, Kochsalz, Terpentin, ausge¬
dehnten Verbrennungen, Ueberffrnissen der
Haut etc. dauert der Diabetes mellitus meist
monate-, ja jahrelang an und endet schliesslich
mit dem Tode durch Marasmus. Die Section
bietet keine besonders für den Diabetes typi¬
schen Veränderungen. Meist findet man die
Leber vergrössert, hyperämisch, glykogen¬
haltig, die Leberzellen geschwellt, zuweilen
in Entartung begriffen; die Nieren gross, derb,
hyperämisch, zuweilen auch pathologische
Veränderungen im Nervensystem; die Cadaver
abgemagert, Muskulatur, Speicheldrüsen, Pan-
creas, Hoden, Euter atrophisch und in Fett-
metaraorphose begriffen. Alle Flüssigkeiten
und Gewebe zuckerhaltig. Als Ursachen des
Diabetes mellitus werden beschuldigt: ver¬
dorbenes, schimmliges, saures, an Amylum
oder an giftigen Pflanzen reiches Futter, Er¬
kältungen und Ueberanstrengungen. Ueber
die Quellen des Zuckers, der bei Diabetes in
abnorm vermehrter Menge im Blute und Harn
auftritt, hat man verschiedene Theorien auf¬
gestellt: Nach Pettenkofer, Voit und Huppert
beruht die Zuckerharnruhr auf Störungen der
Ernährung und des Stoffwechsels, auf ver¬
mehrtem Zerfall der Eiweisskörper und Blut¬
körperchen. mangelhafter Sauerstoffaufnahme,
ungenügender Oxydation des gebildeten Zuckers
und Ausscheidung desselben durch die Nieren.
Nach Schiff geht der Zucker in den Ham
über, sobald die Menge desselben im Blute
mehr als 0*5% beträgt. Nach Bernard, Bock,
Hoffinann beruht der Diabetes auf vermehrter
Zuckerbildungin der Leber. Winegradoff nimmt
eine verminderte Zerstörung des in der Leber
gebildeten Zuckers an, Haraack undTscherinoff
behaupten eine gehinderte Umwandlung des
der Leber zugeführten Zuckers in Glykogen
und weitere Verwerthunrg desselben. Die Leber
erzeugt unter normalen Verhältnissen keinen
Zucker. Der aus dem Dann stammende Zucker
geht in der Leber in Glykogen und Galle über.
Wird nun aber nicht aller Pfortaderzucker
in Glykogen umgewandelt, so geht ein Theil
des Zuckers ins Blut über. Bei gestörter
Gallenabsonderung geht auch Glykogen ins
Blut und wird dort durch ein Ferment wieder
in Zucker umgewandelt. Nach Bernard erfolgt
bei Verletzungen und pathologischen Ver¬
änderungen des Bodens des vierten Ventrikels
Zuckerharnruhr. Eckhard erzeugte durch Bei¬
zung des zweiten Lappens des Wurmes im
Kleinhirn den Diabetes, ebenso nach Zer¬
störung des untern Halstheils, des Brust-
und Lendentheils des Kückenmarks. Graefe,
Hensen, Eckhard betrachten den N. Splanch-
nicus als Erreger der Zuckerkrankheit. Nach
Cyon und Aladoff bewirkt Ausschneidung des
unteren Hals- und oberen Brustganglions
Diabetes durch Lähmung der vasomotorischen
Nerven. Nach Skoda, Recklinghausen, Köhler,
Bright, Frerichs, Bouchardat u. A. entsteht
Diabetes bei verminderter Secretion des Pan^
creas, verminderter Zufuhr von Fettsäuren
und Glycerin zur Leber und Uebergang des
Glykogens der Leber in Zucker.
Rollo, Bouchardat, Gregor u. A. haben
die Gastro-intestinal-Theorie aufgestellt, nach
welcher eine vermehrte Zuckerbildung im
Darm mit Uebergang des Zuckers ins Blut
und von da in den Harn stattfinden soll,
Schulzen führt den Diabetes auf gestörte Fer¬
mentwirkung und gehinderte Spaltung des
Zuckers im Blute zurück; ähnlicher Ansicht
ist Cohnheim, nach welchem Glykogen in
allen Organen des Körpers, besonders in den
Muskeln, gebildet wirc^, und der Diabetes
mellitus darauf beruht, dass der aufgenom¬
mene Zucker und das gebildete Glykogen aus
Mangel eines Ferments nicht weiter zersetzt
wird. Der Stoffwechsel und Eiweisszerfall der
Diabetiker ist sehr gesteigert, und es wird
sehr viel Glykogen abgespalten. Keine der
angeführten Theorien des Diabetes hat sich
bisher allgemeine Geltung verschaffen können.
Die Prognose beim chronischen Dia¬
betes mellitus ist in den meisten Fällen un¬
günstig zu stellen. Die Behandlung besteht
in Aenderung des Futters, Ersetzen schimm¬
ligen oder multerigen Hafers und Heues durch
frisches, unverdorbenes Futter, Buhe oder
massiger Bewegung und nicht zu schwerer
Arbeit, Verabfolgung von Ferrum sulfuri-
cum, Ferrum sesquichloratum und anderen
Adstringentien, Aromatica, Wachholderbeeren,
doppeltkohlensauren Natrons. Von einigen
Autoren werden auch Opium, Digitalis, Kan-
thariden, Jodpräparate, Frottirungen, Dampf¬
bäder empfohlen. Als Diabetes inositus wird
der Diabetes bezeichnet, wenn statt des Trau¬
benzuckers der nicht gährungsfähige Muskel¬
zucker oder Inosit im Ham auftritt.
Wesentlich verschieden vom Diabetes
mellitus und inositus ist der Diabetes insi-
pidus, die wässerige Harnruhr oder Polyurie.
DIABETESSTICH. — DIAGNOSE.
3*3
Bei der Polyurie werden sehr reichliche
Mengen Harns entleert, der aber keinen Zocker
enthält. Die acnten, vorübergehenden Poly¬
urien sind ohne Bedeotong. Dauert die Krank¬
heit längere Zeit an, so stellen sich auch
hier, bei sehr stark gesteigertem Durst (das
täglich aufgenommene Wasserquantum steigt
auf 70—901) und Appetit, Abmagerung, Mattig¬
keit, Verdauungsstörungen und nervöse Er¬
scheinungen ein und oft der Ausgang in den
Tod, wenn auch nicht so häufig als beim Dia¬
betes mellitus. Cagnat beobachtete dreimal
enzootisches Auftreten von Polyurie bei Pfer¬
den in der Umgebung von Paris, die reines
Wasser aus der Seine und gutes Futter er¬
hielten. Die Cur bestand in Verabfolgung
guter, reichlicher Nahrung mit Zusatz toni-
sirender Mittel und Beschränkung der täg¬
lichen Wasserration auf 201 pro Kopf. Die
meisten Patienten genasen in drei Wochen.
Cagnat constatirte dabei, dass die Krankheit
durch kranke Pferde in gesunde Ställe ein-
geschleppt wurde, und nimmt ein Contagium
oder Miasma als Ursache derselben an.
Literatur: Vatel, Rychner, Veith, Mialhe, Contour,
Reynose, Hering, Bouchardat, Bemard, John, Leblanc,
Thieraesse, Gallois, RuefF, Lafosse, Röli, Weheneckel,
St. Cyr, Zündel, Schlampp, Cagnat, Rollo, Traube, Schiff,
Eckhard, Pettenkofer, Voit, Huppert u. A. Summer.
Diabetesstich, Zuckerstich, ein phy¬
siologisches Experiment, welches mittelst
einer Nadel an einer Stelle am Boden der
vierten Hirnkammer vor dem Lebensknoten
ausgeführt wird und das Phänomen einer
bedeutenden Steigerung der Zuckerbildung
zur Folge hat. Der Zucker kann schon nach
kurzer Zeit im Harne nachgewiesen werden,
verschwindet jedoch nach 6-—7 Stunden voll¬
ständig. Man erklärt diese Erscheinung
damit, dass durch die Verletzung der be¬
treffenden Hirnstelle die Hemmungen sistirt
werden, welche die Einwirkung der Lebens¬
fermente auf das Glykogen im normalen
Zustande wesentlich beeinträchtigen. Koch.
Diät. Der Gesundheit zuträgliche Ernäh¬
rung und Pflege der Thiere, resp. die Vermeidung
solcher durch die Haltung und Ernährung der
Thiere bedingten Umstände, welche die Ge¬
sundung erkrankter und die Gesunderhaltung
der nicht kranken Thiere erschweren. Pott.
Diätetik. Die Diätetik (vom griechischen
Statxa, Art zu leben, sich zu ernähren) bildet
einen wesentlichen Theil der Gesundheits¬
pflege. Während letztere sich mit allen ge¬
sundheitswidrigen Momenten und deren Ab¬
stellung beschäftigt, befasst sich die Diätetik
vorzugsweise mit den Vorschriften einer pas¬
senden, den verschiedenen Lebensverhältuissen
entsprechenden Lebensweise in Bezug auf
Fütterung und Körperpflege zum Zwecke so¬
wohl, die Gesundheit der Thiere zu erhalten
und zu kräftigen, als auch die Herstellung
kranker Individuen zu fördern. Sie lehrt
namentlich, wie die jungen Thiere, die Zucht-
thiere, die Mutterthiere während und -nach
der Geburt, wie die Arbeitsthiere und wie
besonders die kranken Thiere zweckmässig
gepflegt und gefüttert werden müssen. Die
Diätetik der landwirtschaftlichen Haussäuge-
thiere bildet daher einen sehr wichtigen Theil
der Thierheilkunde und erfordert die Kenntniss
vieler sowohl naturwissenschaftlicher als spe-
cieller veterinärmedicinischer Disciplinen. Sl.
Diätetische Schädlichkeiten unterliegen
in gerichtlicher Beziehung der Begutachtung
der Thierärzte. Verletzungen und Schädigungen
der Hausthiere auf diätetischem Wege können
eintreten durch ungenügende Fütterung und
Hunger, wenn nämlich das verabfolgte Futter-
uantum den Bedarf des Organismus nicht
eckt. Es kommt dabei bald zu Abmagerung,
Schwäche, Beeinträchtigung der Gebrauchs¬
fähigkeit, der Arbeitskraft, des Fleisch-, Woll*
und Milchertrages. Verhungerte Thiere sind
im hohen Grade abgemagert, blass, anämisch,
ihre Verdauungsorgane sind fast ganz leer
und hyperämisch. — Weitere Schädigungen
der Thiere können erfolgen durch Ueber-
fütterungen mit schwerverdaulichen, blähenden
Futterstoffen (frischen Cerealien, grünem
Klee), wobei in Folge von Koliken und Tym-
panitis oft der Tod eintritt. Bei Fütterungen
mit verdorbenen und schädlichen Futterstoffen
zeigen sich die nachtheiligen Folgen meist
erst nach längere Zeit fortgesetzten Fütte¬
rungen und bestehen in Störungen der Ver¬
dauung und Blutbildung, Nierenleiden, Harn¬
ruhr, Dämpfigkeit etc. Besonders nachtheilig
sind verdorbene Futterstoffe, die viel Protein,
Fett und Fettsäuren, niedere Organismen,
Pilze, Schizomyceten und Ptomaine enthalten.
Das Trinkwasser kann ebenfalls durch zu viel
und zu wenig, durch seine Temperatur und
Verunreinigungen schaden. Zu kaltes Wasser
verursacht oft Entzündungen des Rachens,
Kehlkopfs, der Lungen, des Brustfells, des
Magens und Darms. An organischen Verun¬
reinigungen reiches Wasser aus stagnirenden
Teichen, Gräben und sumpfigen Niederungen,
aus Brunnen in der Nähe von Stallräumen
und Cadaverplätzen erzeugt nicht selten
Typhus und Milzbrand, Verdauungsstörungen,
Darmkatarrhe etc. Eine mikroskopische und
chemische Analyse des Trinkwassers ist oft
erforderlich und gibt Aufschluss über manche
enzootisch auftretende Krankheiten. Stallräume
schaden durch zu hohe und zu niedere Tem¬
peraturen, durch zu viel oder zu wenig Licht
und Luft, zu wenig Raum, Anhäufungen von
Mist, Mistjauche etc. — Die Weiden können
nachtheilig werden durch unebenes Terrain,
zu nassen oder zu trockenen Boden, zu spär¬
lichen oder zu üppigen Pflanzenwuchs, zu
frühes Auftreiben, Gegenwart der Embryonen
verschiedener Parasiten (Leberegel, Band¬
würmer, Rundwürmer) und schädlicher giftiger
Pflanzen. — Zu den diätetisch-ökonomischen
Schädigungen gehören noch vernachlässigte
Wartung und Pflege, Ueberanstrengung, atmo¬
sphärische Einflüsse etc. (s. Beschädigungen
der Hausthiere). Semmer.
Diagnose (von 8ca, durch, yvujacg, Er¬
kenntnis) ist die Erkennung der Krankheiten
vermittelst des Vorberichts oder der Anamnese
und der Untersuchung des erkrankten Thieres.
Von welcher Bedeutung die Erforschung aller
der Krankheit vorhergegangenen Umstände
Koch. EncyTtlopädie d. Thierlipilkd. II. Bd.
jitizecUby
Google
354
DIAGNOSTIK. — DIAMAGNETISM US.
für die Diagnose ist, wurde bereits unter
dem Artikel „Anamnese 1 * erörtert; sie gibt
dem Arzte Anhaltspunkte für die richtige
Beurtheilung der Krankheitserscheinungen und
leitet auf die Untersuchung bestimmter Or¬
gane als dem vermuthlichen Sitze des Leidens
hin. Massgebend für die Stellung der Diagnose
bleibt stets das an den Kranken selbst Be¬
obachtete; zu diesem Behufe müssen diese
einer genauen Untersuchung unterworfen wer¬
den. Da das Thier der Sprache ermangelt,
erhält der Veterinär den Aufschluss über den
Sitz der Krankheiten nur durch deren Symp¬
tome. Der Arzt hat somit alle Aufmerksam¬
keit darauf zu verwenden, dass ihm keine
der ungewöhnlichen, abnormen Lebensäusse¬
rungen entgehe, er muss alle seine Sinne zu
Hilfe nehmen, um sich einen Einblick in die
Beschaffenheit der Organe zu verschaffen, sei
es vermittelst des Gesichts, des Gehörs oder
Gefühls, unter Umständen selbst des Geruchs
und Geschmacks. Das Sehen wird durch die
Uebung geschärft, sie verschafft dem Arzte
den praktischen Blick, der schon aus der
äusseren Erscheinung des Patienten, aus des¬
sen Gang, Benehmen, Gesichtsausdruck, Ha¬
bitus, aus der Art und Weise der Respiration
u. dgl. m. das Richtige zu finden weiss. Zu
beachten sind ferner die Beschaffenheit der
Schleimhaut, der Haut und der Ausscheidun¬
gen. Wo das unbewaffnete Auge nicht aus¬
reicht, müssen Loupe und Mikroskop Aufschluss
über die feineren Bestandtheiie der Krank-
heitsproducte geben und die chemische Ana¬
lyse deren Natur feststellen. Dunkle, von
aussen her der Untersuchung zugängliche
Körperhöhlen werden vermittelst reflectirten
Lichtes, resp. der verschiedenen Spiegel be¬
leuchtet, die in den grossen Körperhöhlen
wahrnehmbaren Geräusche durch Anlegen des
Ohrs unter Zuhilfenahme des Stethoskops
und des Plessimeters ermittelt (Auscultation
und Percussion). Das Gefühl lässt die Qualität
des Pulses und Herzschlages, etwaiger An¬
schwellungen an der Peripherie des Körpers,
die Temperaturunterschiede einzelner Körper-
theile etc. erkennen, während das in Mast¬
darm oder Vagina eingeführte Thermometer
die Körpertemperatur genau bestimmt. Alle
in dieser Weise ergründeten Erscheinungen
sind ihrer Art nach zu würdigen, die wesent¬
lichen von den unwesentlichen auszuscheiden
und die ersteren alsdann auf ihre Ursache
zurückzuführen. Die unwesentlichen Symptome
haben viele Krankheiten mit einander gemein,
nur die Cardinalsymptome gehören bestimm¬
ten Krankheiten an und lassen sie von an¬
dern ähnlichen Leiden unterscheiden; wir be¬
greifen diese Unterscheidung als Differen¬
tialdiagnose.
Wir ersehen aus alledem, dass ein tüch¬
tiger Diagnostiker mit gesunden Sinnen und
scharfer Beobachtungsgabe ausgestattet sein
muss; seine Untersuchungen hat er ohne vor¬
gefasste Meinung auszuführen, wenn er nicht
irregeleitet werden will, denn nur zu leicht
glaubt man, gefunden zu haben, was man
gern finden möchte. Bestehen Zweifel in der
Diagnose, so ist die Krankenuntersuchung
zu wiederholen, denn nicht immer ist es dem
Arzte möglich, sofort eine bestimmte Ant¬
wort auf die Frage zu geben: Was fehlt dem
Thiere? Erneute Untersuchungen lassen oft
erst feststellen, ob gewisse Symptome Bestand
haben und demzufolge zu den essentiellen
und pathognomonischen gehören; es empfiehlt
sich, sie zu verschiedenen Tageszeiten vor¬
zunehmen, weil bei ihnen Schwankungen in
der Intensität der Erscheinungen stattfinden.
Die Diagnose ist wohldurchdacht zu stellen,
denn Schwankungen in der Erkenntniss der
Krankheiten untergraben das Vertrauen zum
Arzte. Anacker .
Diagnostik, physikalische. Nicht immer
treten bei den Thieren die Krankheitserschei¬
nungen prägnant genug hervor, um mit den
gewöhnlichen Untersuchungsmitteln eine Dia¬
gnose stellen zu können; es müssen vielmehr
häufig, um letztere zu präcisiren, noch weitere
Explorationsmittel herbeigezogen werden, von
denen auch die physikalischen eine Rolle
spielen, namentlich wenn es sich um Einge¬
weide handelt, die einer anderen Untersuchung
unzugänglich sind. Diese physikalischen Hilfs¬
mittel erlangen daher eine besondere Be¬
deutung in der Diagnostik der Krankheiten
der Athmungs- und Hinterleibsorgane, des
Kreislaufapparates n. s. w. Zu den physikali¬
schen Untersuchungsmethoden im engeren
Sinne zählt man vornehmlich die Percussion
und Auscultation, im weiteren Sinne ist es
aber auch die Inspection, Palpation und Men-
suration (s. die betreffenden Artikel). Vogel.
Dlaheddin Abdallah ben Achmet (Ebu
Beithar) schrieb im XIII. Jahrhundert zu Kairo
ein Werk über Pferdearzneikunde. Semmer.
Diallag, ein mit dem Augit isomorphes,
graues oder verschieden braunes zu den wasser¬
freien Amphoterolithen gehörendes Mineral,
welches als Gemengtheil im Serpentin, im
Olivin und im Gabbro vorkommt. Lh.
Diamagneti8tnu8. Der berühmte englische
Chemiker und Physiker Faraday machte zu
Anfang dieses Jahrhunderts die Entdeckung
des Vermögens im Magnet, elektrische Ströme
zu erregen. In den Jahren 1845—1850 hat
derselbe durch sorgfältig geführte Unter¬
suchungen zuerst entschieden nachgewiesen,
was Coulomb schon ein paar Jahrzehnte vor¬
her als höchst wahrscheinlich aufstellte, dass
viele Körper vom Magnet zwar entschieden
gerichtet würden, aber nicht in der Verlän¬
gerung von Pol zu Pol, wie Eisen, so wie
die eingeschaltete Figur zeigt.
N Eisen
sondern querüber dargestellt, dass nicht die
drei Stäbe wie oben, d. h. die beiden Magnete
und das dazwischen liegende Stäbchen in eine
Linie fallen, sondern dass das so angezogene
Metall sich querüber stellt wie folgt:
E
49
5
DIAMANT.
355
Diejenigen Körper, welche sich so stellen,
nennt man diamagnetische, während man die¬
jenigen, welche* sich in die Verbindungslinie
der beiden Magnete stellen, paramagnetische
nennt Die Richtung, welche die paramagne¬
tischen Körper unter dem Einflüsse des Elektro¬
magnetismus einnehmen, bezeichnet man als
axiäe, die der diamagnetischen Körper da¬
gegen als äquatoriale. Das entgegengesetzte
Verhalten der paramagnetischen und dia-
magnetischen Körper erldärt sich daraus, dass
jene in der Nähe eines Magnetpoles durch
Vertheilung ungleichnamig, diese dagegen
gleichnamig werden. Zu den diamagnetischen
Körpern, welche sich also äquatorial richten,
gehören Wismuth, Antimon, Silber, Zink, Blei,
Phosphor, Steinsalz, Elfenbein, Holz, Leder etc.
Auch Flüssigkeiten, welche man in Uhrglä¬
sern zwischen die beiden Pole bringt, ver¬
halten sich ähnlich, indem die einen sich
gegen die Pole hin, die anderen von den¬
selben weg bewegen. Alle Gasarten sind, mit
Ausnahme von Sauerstoff, diamagnetisch. Bringt
man Sauerstoffgas in eine dünne Glasröhre
und hängt sie horizontal zwischen die Pole
eines sehr kräftigen Elektroraagnets auf, so
stellt es sich paramagnetisch wie Eisen, axial.
Die axiale Richtung wird sowohl durch Ver¬
dünnung (wie in den oberen Theilen der
Atmosphäre) als auch durch Erwärmung oder
Erkältung modificirt, was bei allen anderen
Gasarten nicht der Fall ist. Diesen beiden
höchst wichtigen Umständen (axiale Richtung
und Schwächung derselben durch Erwärmung,
Stärkung durch Abkühlung) schreibt Faraday
einen grossen Theil der Variationen zu, weiche
die Magnetnadel auf der Erde erleidet, indem
er sagt, dass die Sauerstoffhülle die Erde in
der Art und Wirkung einer Hohlkugel von
Eisenblech umgebe. Die Hälfte dieser grossen
Kugel, welche der Sonne zugekehrt ist, wird
weniger magnetisch als die Nachtseite der¬
selben; ist dieses auch für ein einzelnes Stück
Eisen vielleicht gar nicht durch Experimente
nachzuweisen, so wird es doch bei einem so
ungeheuren Dome, wie die ganze Atmosphäre
ist, sehr bemerkbar, und da dieser Dom sich
mit der Erde um die Axe derselben dreht und
folglich seine erwärmte Seite sich fortwährend
ändert, so wird die Wirkung auf die Magnet¬
nadel sehr deutlich wahrnehmbar. Gilt das
oben ausgesprochene Gesetz vom Diaraagne-
tismus nun vollends nicht für das Sauerstoff¬
gas, sondern für den Sauerstoff, welcher viel¬
leicht die Hälfte aller Stoffe der Erde bildet
(in den Erden und Oxyden), so dürfte hierin
eine vollständig genügende Erklärung aller
Variationen des Magnetismus gefunden sein.
Ob und wie der Diamagnetismus auf die
Thierwelt von Einfluss ist, ist noch nicht er¬
forscht.
Literatur: Humboldt’* Kosmos. — Zimmer-
tnann's Physische Geographie. Ableitner.
Diamant (vom griechischen Adamas „der
Unbezwingliche“, woraus Aimant und Demant).
Der Diamant, ein seltenes Mineral, besteht aus
reinem Kohlenstoff. Dieser kommt eben in
drei Modificationen vor, krystallisirt als Dia¬
mant und als Graphit, ferner amorph als
Kohle. Der Diamant krystallisirt im regulären
System, mit vielen Flächen und gekrümmten
Kanten (Pyramidenoktaöder). Der ganz reine
Diamant ist farblos, durchsichtig, von bedeu¬
tendem Glanze und sehr starkem Lichtbre-
chungsvennögen, wegen des letzteren zeigen die
geschliffenen Facetten das lebhafteste Farben¬
spiel. Er ist von allen Steinen der härteste,
u. zw. gelten die ostindischen für härter als
die Brasilianer. Der Diamant lässt sich nur
mit seinem eigenen Pulver schleifen. Die
Agraffe des kaiserlichen Mantels Karl’s des
Grossen ist noch mit ungeschliffenen Diaman¬
ten besetzt. Im Jahre 1456 begann man in
Flandern Tafelsteine zu schleifen, d. h. man
stumpfte die ostindischen Oktaeder an zwei
entgegengesetzten Enden mehr oder weniger
ab. 1520 kamen die Rosetten (Rautensteine)
auf; sie sind unten flach und laufen nach oben
in eine Spitze zusammen, was durch drei Reihen
Facetten geschieht, deren zwei am Um¬
fange des Steines umherlaufen und die dritte
Reihe in der Mitte des Steines die Tafel über¬
baut. Brillanten liess zuerst Cardinal Ma-
zarin schleifen. Ihr Schliff richtet sich nach
der oktaedrischen Stellung; der flachere Ober-
theil (Krone) endigt mit einer geraden Fläche
(Würfelfläche), darunter folgen 8 + 8 + 8 oder
8+8 + 16 Facetten; der spitzere Untertheil
ist durch eine ganz feine Endfläche (Culasse)
abgestumpft, beide Theile trennt der Gürtel
(Rand) von einander, welcher gerade in der
Fassung steckt und dazu dient, mit mög¬
lichst wenig Aufwand von Metall den Stein
so zu befestigen, dass man recht viel von
seiner Masse sieht (ä jour - Fassung). Das
spec. Gew. des Diamantes ist 3*5 (genau das
des Topases). Der Diamant ist sehr spröde und
pulverisirbar, er wird weder durch Säuren
noch durch Alkalien verändert : erhitzt man
ihn bei Luftabschluss sehr stark, so verwandelt
er sich in eine schwarze, undurchsichtige
Masse, im Sauerstoff zur Rothglut erhitzt,
verbrennt er zu Kohlensäure.
Der älteste Fundort des Diamantes ist
Vorderindien, wo er im tertiären Diamanten¬
sandstein oder im lockeren Diluvialgebirge,
begleitet von Gold, Topas, Turmalin vor¬
kommt und durch Waschen der Geschiebe und
durch Pochen des harten Gesteines müh¬
selig gewonnen wird; seit 1727 wird er auch
in Brasilien gefunden, hier kommt er in einem
Quarz enthaltenden Glimmerschiefer — Itaco-
lurait — vor. Ueber das Cap der guten Hoff¬
nung kommen seit 1867 vom Oranje-Fluss¬
gebiet Afrikas die gelblichen Capdiamanten
in den Handel. Im Ural wurden bis nun nur
sehr kleine Diamanten gefunden, in Australien
sollen sie an mehreren Punkten im Gerolle
mit Korund (Rubin, Saphir) Vorkommen.
Der Preis des Diamantes hängt von der
Grösse, Reinheit, Farbe und Art des Schliffes
ab. Man rechnet nach Karat = 205*5 mg,
deren 72 auf 1 Loth gehen. 1 Karat Brillant
kostet 200—300 Franken, über ein Karat
steigt der Werth nach der Quadratzahl. Ein
Brillant von 49 Karat würde daher 49*.300
23 *
356
DIAPHORESIS. — DIAPHORETICA.
= 720.300 Francs kosten. Steine von 12
bis 20 Karat gehören schon zu den schönen,
darüber bereits zu den Seltenheiten. Der Re¬
genten der französischen Krone der schönste
Brillant unter den grossen, wiegt 136% Karat;
der österreichische Schatz enthält einen
von 139% Florentiner Karat (ä 197*3 rag)
mit einem Stich ins Weingelbe. Der preus-
sische Kronschatz besitzt einen Brillant von
34 Karat, welchen Napoleon bei Waterloo
verlor. Der grösste Diamant findet sich unter
den Schätzen des Rajah von Multan auf
Borneo, er wiegt 367 Karat; der K o h - i - n o o r
(Berg des Lichtes) des Grossmoguls von Delhi
wiegt 280 Karat.
Das Problem der künstlichen Darstel¬
lung des Diamantes ist in theoretischer Bezie¬
hung gelöst, d. h. es sind schon Bedingungen
gefunden, unter denen Kohlenstoff aus seinen
Verbindungen in regulären Krystallen abge¬
schieden wird. So z. B. scheidet sich Kohlen¬
stoff in der Krystallform des Diamantes aus,
wenn man in einer starken verschlossenen
Eisenröhre eine Mischung von Paraffinen nebst
10% Knochenöl mit einem Alkalimetall zum
Glühen erhitzt Die Paraffine sind Kohlen¬
wasserstoffe, das Knochenöl enthält stickstoff¬
haltige Basen; bei Gegenwart von Alkali ver¬
einigt sich nun in der Rothglut ein Theil
des Kohlenstoffes mit dem N zu Cyan¬
metall, der Rest des Kohlenstoffes scheidet sich
bei Abwesenheit von Sauerstoff in kleinen
glänzenden Oktaödern aus. Loebisch.
Diaphoresis (v. 8id, aus, und <popv)o:c,
tragen — 8ca<popscv, zerstreuen, ausdünsten),
die vermehrte Hautthätigkeit, Hautausdtin-
stung. Koch.
Diaphoretica. Stoffe, welche auf die
Secretion der äusseren Haut und insbesondere
auf den Schweiss vermehrend einwirken, nennt
man diaphoretische Mittel und hat diejenigen,
welchen man eine vorzugsweise Wirkung auf
die Scliweissdrüsen selbst beilegt, unter die
Bezeichnung schweisstreibende Mittel, Sudo-
rifica, Hydrotica, im Gegensatz zu den auf
die Perspiratio invisibilis vermehrend wir¬
kenden, die man mit dem Namen Diapnoica
belegte, gestellt. Pharmakodynamisch und
therapeutisch lassen sich beide Abtheilungen
jedoch nicht trennen, denn eine Steigerung
der Hautausdünstung (Diaphoresis) lässt sich
bei den einzelnen Hausthiergattungen in sehr
verschiedenem Grade erzielen, insoferne z. B.
die Carnivoren zum Schwitzen gar nicht ge¬
bracht werden können und die Pferde und
Ruminantien nur schwierig und unter gewissen
Umständen. Bei den Hausthieren kann es
sich überhaupt um Provocirung von Schweiss¬
ausbrüchen in dem Sinne, wie dies bei dem
Menschen unter Bettdecken oder in Dampf¬
bädern ermöglicht ist, nicht handeln, sondern
lediglich um kräftige Anregung oder Reacti-
virung der unsichtbaren Hautausdünstung
(Diapnoe), um die in Folge sog. Erkältung
entstandene Störung der perspiratorischen
Hautfunction zu beseitigen. Die sog. Sudo-
rifera sind hier mehr als Diapnoica auf¬
zufassen, obwohl, wenn nöthig, auch ein
tropfbar flüssiger Schweiss durch innere und
äussere Mittel hervorgebracht werden kann,
jedoch nur bei Pferden, die von allen Haus-
thieren am ehesten zum Schwitzen geneigt
sind. Die Anregung der Hautthätigkeit für
therapeutische Zwecke kann in verschiedener
Weise zu Stande gebracht werden, die Art
und Weise ist jedoch noch nicht völlig auf*
geklärt; immerhin kann angenommen werden,
dass jene Stoffe, namentlich gasförmige, welche
mit Vorliebe den Körper durch die Haut
wieder verlassen, gelegentlich dieser Elimi¬
nation einen reizenden Einfluss auf die secre-
torischen, in der Cutis eingebetteten Drüsen
austiben, und gewinnt diese Hypothese des¬
wegen an Wahrscheinlichkeit, weil z. B. durch
die Ammoniakalien es gelingt, wenigstens
eine örtliche schweisstreibende Wirkung her¬
vorzubringen. Aber auch das in der Medulla
oblongata gelegene sog. Schweisscentrum
muss zur Erklärung der diapnoischen Wirkung
herbeigezogen werden, denn in der neuesten
Zeit ist eine gewisse Beziehung der Schweiss*
secretion zu demselben sowie zu bestimmten
Nerven (Luchsinger) nachgewiesen worden,
u. zw. für die meisten ätherischen Oele,
namentlich den Kampher, def dieses Centrum
zu erregen in der That befähigt ist; ebenso
gibt es bestimmte Arzneistoffe, wie z. B. das
Pilocarpin, welche nicht blos eine derartige
Wirkung vom Schweisscentrum aus zur Folge
haben, sondern auch von der Körperoberflftche
her, u. zw. von den peripheren Schweiss-
nerven aus. In dieser Weise wirken offenbar
auch jene flüssigen Arzneimittel, die seither
im Gerüche diaphoretischer Arzneimittel ge¬
standen sind, z. B. die Fliederblumen, Linden-
und Kamillenblüthen, deren ätherisches Oel
ausschliesslich durch die Veränderungen in
der Blutcirculation in der angedeuteten Rich¬
tung wirken sollte, so lange man von
„Schweissnervchen“ nichts wusste. Nun können
aber diese ätherischen Oele für sich allein
unmöglich das schweisstreibende Moment selbst
sein, denn sie sind gerade in diesen Pflanzen¬
stoffen in viel zu geringer Menge vorhanden;
es ia£ vielmehr aas Menstruum derselben,
nämlich die grösseren Mengen warmen Wassers,
wodurch die Blutmasse nicht blos stärker er¬
wärmt, sondern der Blutdruck nothwendig
auch gesteigert und die Circulationsgeschwin-
digkeit erhöht wird. Ein mehr wässeriges Blut
erzeugt nun auch mehr wässerige Absonde¬
rungen im Körper, u. zw. sowohl in der Haut
als selbstverständlich auch in den Nieren, wo
jede Blutverdünnung und Steigerung des
arteriellen Druckes ohnedies sofort verspürt
wird; es muss daher durch warme Bedeckung
der Haut die Fluxion dorthin begünstigt
werden, um die Ausdünstung zu vermehren,
im anderen Falle besteht die Action dieser
sog. Schweissmittel blos in einer Vermehrung
der Diurese. Es muss somit die die Haut
umgebende Luft möglichst warm sein, um
zugleich auch eine Erweiterung des Capillar-
gefässystems der Haut und der Schweiss-
drüsen zu ermöglichen, und wenn das die Haut
umgebende Medium mit heissenWasserdämpfen
DIAPHRAGMA.
geschwängert ist, so kommt es selbst bei den
Thieren auf der Haut zu einem Niederschlag
in tropfbar flüssiger Form, wenn auch keine
ätherisch-öligen Stoffe mitwirken. Zu den
diapnoetischen Mitteln zählt man ausäer
letzteren und den Ammoniakalien auch den
Alkohol, Brechweinstein, Schwefel, Spiess-
glanz und gewissermassen auch die Brech¬
mittel, insbesondere Veratrum, und als wesent¬
liche Adjuvantien, die bei Thieren oft sogar
massgebend sind, müssen Frottirungen der
Haut mit mechanisch oder dynamisch haut¬
reizenden Mitteln (rauhe Lappen, Strohwische,
Kamphergeist, Salmiakgeist, Terpentinöl),
Bowie rasche Körperbewegungen unter dichten
Hüllen, Einpacken der Thiere in feuchte
Tücher und wasserdichte Bedeckung (Gutta¬
perchapapier, Diaplasmata), Erhöhung der
Stalltemperatur u. s. w. angesehen werden. VI.
Diaphragma, Sia^payjjLa (v. 5ca<ppayvujjL:,
abgrenzen), das Zwerchfell (s. d.).
Diaphysis, i] S'dtpoztg (v. StacpoEiv, da¬
zwischenwachsen), nennt der Anatom das
Mittelstück, Corpus, der Röhrenknochen. Es
zeichnet sich am ausgewachsenen Knochen
regelmässig durch das Vorhandensein einer
mehr oder weniger umfänglichen Markhöhle
zur Aufnahme der Hauptmasse des Knochen¬
markes aus. Spongiöse Knochensubstanz kommt
höchstens noch an seinen Enden vor. Sussdorf.
Diaplasis, rj ^idnXaatg (v. S'.aitXaooecv,
formen), die Einrichtung eines gebrochenen
Theiles. Sussdorf.
Dlapnoe, Diapnoia, rj SiaitvoV), SictTcvoia
(v. 8taTcv66iv,durchwehen).die Hautausdünstung
r= Perspiratio insensibilis, die Ausathmung
= Expiratio. Adj. Diapnoica sc. remedia,
Mittel, welche die Hautausdünstung be¬
fördern. Sussdorf
DiaptOüiü, vj 5iaicxa>a'5(v. 8:<x- und ici'tctecv,
fallen), der Zwischenfall, Complication einer
Krankheit durch ungewöhnliche Zufalle. Sf
Dlapyetna, to 8tair6v||i.a (iiaituEtv, ver¬
eitern), durchbrechende Eiterung, auch Eiter¬
ansammlung in der Brust (Empyema). Sf
Diarrhöe oder Durchfall besteht in
häufiger Entleerung dünner Excremente, s.
Darmkatarrh. Anacker.
Diarthrosis, -fr 8:apfl-p(i>3:c, bezeichnet
ganz allgemein die bewegliche Verbindung der
Knochen unter Gelenkbildung im Gegensatz
zur Synarthrosis oder unbeweglichen Knochen¬
verbindung. Sussdorf
Diaspor (von Siasitupetv, zerstreuen), ein
zu den wasserhaltigen Erden zählendes
Mineral, nach seiner chemischen Zusammen¬
setzung aus Thonerde und Wasser bestehend,
krystallisirt rhombisch, gewöhnlich derb, auch
in faserigen Aggregaten als Begleiter des
Schmirgels, farblos, gelblichweiss, auch grün¬
lich und blau. Fundorte: Ural, Schemnitz in
Ungarn, Ephesus in Kleinasien, Naxos (als
Begleiter des Schmirgels), Unionville in
Pennsylvanien. Loebisch.
Diastasis, ä (v. ä'.aarrjvou), die
8paltung, gewöhnlich für den durch das
Keimen der Getreidesamen (Gerste etc.) in
— DIASTOLE. 357
diesen entstehenden, übrigens nicht näher ge¬
kannten Stoff („ungeformtes Ferment“), welcher
Stärkemehl in Zucker und Dextrin überführt,
resp. spaltet: unter dem Namen der vege¬
tabilischen oder pflanzlichen Diastase unter¬
scheidet man ihn von dem ursprünglich im
Mund- und Bauchspeichel vorkommenden
gleich wirken den „amylolytischen Ferment“
oder der animalischen Diastase, einem durch
die Resorption im Darm auch in fast alle
Organe des Thierkörpers übertretenden Stoff.
(Näheres über sein Vorkommen im Pferde¬
körper vgl. u. a. „Ellenberger, Verbreitung
des 8accharificirenden Fermentes im Pferde¬
körper“, Arch. f. wiss. u. prakt. Thierheilkunde,
VIII. 1882, 91.) Sussdorf.
Diastole (>} S'.aotoXT, Ausdehnung, von
itaoTfXXuv, öffnen, ausaehnen), technischer
Ausdruck für die Erschlaffung des Herzens, be¬
zeichnet diejenige Phase eines Herzschlages,
welche den contrahirt gewesenen Herzmuskel
sich wieder erweitern und so zur Aufnahme
neuer Biutmassen vorbereiten lässt. Sie er¬
folgt regelmässig, so dass zunächst die Atrien,
dann die Ventrikel dilatiren. Die mit der
Zusammenziehung (Systole) der Kammern
beginnende Diastole der Vorkammern erreicht
ihr Ende mit dem Beginn der Kammerdiastole,
sie erstreckt sich also Über die Kammersy¬
stole -f- Anfang der Karamerdiastole; während
dieser sind somit Atrien und Ventrikel er¬
weitert (Pause). Die Kammerdiastole endet
mit dem Uebertritt des Blutes aus dem Vor¬
hofe in den Ventrikel, sie besteht somit
während der Pause und der Systole atriorura.
— Die Form des diastolischen Herzens ist
die des schlaffen exenterirten Organes: das¬
selbe besitzt eine mit grösserem sagittal und
kleinerem quergestellten Durchmesser ausge¬
stattete elliptische Basis, ein etwas grösseres
Volumen als das systolische Herz, und zeigt
auch eine andere Lage seiner einzelnen Theile;
Querfurche und Spitze sind weiter von ein¬
ander entfernt, die erstere höher, die letztere
tiefer als ain contrahirten Organ. Der Er¬
schlaffung des Herzens entspricht die Ruhe¬
lage der Brustwand und damit der absteigende
Schenkel oder wenigstens ein Theil desselben
(Klug) in dem Kardiogramm. — Die Dauer
der Diastole übertrifft diejenige der Systole
um etwa % der Gesammtdauer eines Herz¬
pulses und wird somit nach Versuchen von
Marey und Chauveau auf % dieser Zeit ver¬
anschlagt. — Durch die mit der Diastole des
Herzens Hand in Hand gehende Erweiterung
der Herzräume ist man in hohem Grade ver¬
sucht, in das Herz eine diastolische Saug¬
kraft zu verlegen, welche den Zufluss des
Blutes aus den grossen Venen befördere.
Zahlreiche Autoren der älteren und neueren
Periode, unter den letzteren besonders auch
noch Goltz und Gaule, welche manometrisch
eine bedeutende Druckabnahme beim Hunde
(auf —23*5, resp. —52 mm Hg) nachweisen
zu können glaubten, traten für diese Ansicht
ein. Ihnen ist jedoch Moens und im Anschluss
daran auch Rollett entgegengetreten: unter
Correction der Schlüsse, welche Goltz und
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358 DIASTOLISCHER HERZTON. — DICHTE.
Gaule aus ihren Versuchen ziehen, weisen sie
die Annahme einer selbständigen diastolischen
Saugkraft des Herzens zurück. (Näheres siehe
Kreislauf.) Sussdorf.
Diastolischer Herzton, s. Auscultation des
Herzens.
Diatherman. Die Wärmestrahlen werden
ebenso wie die Lichtstrahlen durch die
Medien, auf welche sie auffallen oder durch
welche sie durchgehen, reflectirt, gebrochen
und polarisirt. In Bezug auf das Durchlässen
der Wärmestrahlen verhalten sich nun einige
krystallisirte Körper sehr verschiedenartig,
so z. B. lässt Steinsalz die Wärmestrahlen
bei weitem besser durch als der klarste Berg-
krystall, es ist also für Wärmestrahlen voll¬
kommen durchgängig, man bezeichnet es als
diatherman; Alaun und Eis lassen nur
wenige Wärmestrahlen durch, sie sind
atherman. Loebisch.
Diattl68i8, rj Üiad-Bais (v. Statififtva:), die
Anlage zu Krankheiten, s. Dispositio. V-
Dlatomaceae, Spaltalgen (Stückelalgen)
mit Kieselschalen, s. Bacillarien.
0iatre8i8, t) dtaxpyjaic (von StaTixpäv,
durchbohren), die Durchbohrung, Eröffnung,
z. B. des Anus bei Atresia ani etc. Sussdorf.
Diaz M. gab 1495 in Saragossa heraus:
„Libro de Albeyteria“ (eine Compilation italie¬
nischer Schrifsteller über Hippiatrik). Semmer.
Dib. Canis lupaster Ehbg. Wolfsschakal,
ägyptischer Schakal. Ein Wildhund, welcher
in Aegypten, Nubien und Nordafrika bis an die
Westküste vorkomrat. Nach der Schilderung
Cretschmar’s ist der Dib grösser als der Fuchs,
aber kleiner als der Wolf, mit dem er in der Fär¬
bung viele Aehnlichkeit hat. Der Kopf ist ver-
hältnissmässig dick, zwar dabei lang, aber
nicht so fuchsartig zugespitzt. Die Ohren sind
kurz und gleichsam spitz zugeschnitten. Die
Stichelhaare des Oberleibs sind rauh, kaum
11"' lang, an der Wurzel schmutzigweiss;
sie enden mit weisslichen oder schwarzen oder
ockerfarbigen Ringen, weshalb das Fell ein
aus Schwarz, Weiss, Gelblich und Röthlich ge¬
mischtes Ansehen erlangt. Die Wollhaare sind
rothbraun, an den Seiten lichter. Der Kopf und
die Aussenseite der Ohren sind mit weissen,
bräunlichen und schwarzen Haaren bedeckt.
Lippen, Kehle und Unterhals sind schmutzig¬
weiss; vor der Brust ein schwarzer Ring. Die
Gliedmassen sind ockerfarbig mit rothbraunem
Ueberzug, Nägel und Sohlen schwarz. Der
Schwanz in seinem ersten Drittheil unten
ockerfarbig, oben mit rothbraunem Fleck und
schwarzen Längsstreifen, die letzten zwei
Drittheile des Schwanzes sind ringsum glän¬
zend schwarz. Länge bis zum After 2' 3%",
des Schwanzes 1' Schulterhöhe 1' 3". Der
Dib findet sich schon auf altägyptischen Denk¬
mälern häufig abgebildet. Ehrenberg hebt die
Aehnlichkeit des Thieres mit einzelnen zahmen
ägyptischen Hunden hervor. Jeitteles leitet von
der zarteren Varietät des Dib die Windhunde
Afrikas ab, von der gewöhnlichen Form soll
der ägyptische Pariahhund abstammen. Studer.
Dichlore88ig8äure, ihre Wirkungen, siehe
Acidum aceticum.
Dichobune ist ein von Cuvier aufgestellte»
Subgenus von Anoplotherium, mit welchem
es auch bezüglich der Zahl und gleichen
Höhe der Zähne 9owie im Mangel an Zahn¬
lücken übereinstimmt. Unterschieden wird es
von demselben durch die Bildung der Schmelz¬
falten der Backenzähne, in Folge welcher der
Zahnbau lebhaft an die Wiederkäuer erinnert,
ferner durch die Schneidezähne und durch
zwei Afterzehen. Der Zahncharakter sowie
die Extremitätenbildung erinnern immer mehr
an die Wiederkäuer, und es lässt sich an einer
Reihe von fossilen Repräsentanten der all-
rnälige Uebergang von Dichobune zu der jetzt
lebenden Familie der Moschusthiere verfolgen.
Vogt nennt die Zwischenglieder Dichodon
aus dem oberen Eocän von England, Mikro-
therium aus deD Miocän von Weissenau bei
Mainz und Amphytragulus aus der Auvergne.
Von Dichobune sind 3—4 Arten von der
Grösse der Hasen und Kaninchen bekannt;
sie stammen hauptsächlich aus dem Tertiär-
gyps von Paris. Kouddka.
Dichotomia, rj äixoxofxia (v. St/a, in zwei
Theile, und xejjiveiv, theilen), Doppeltheilig¬
keit, für jede Zweitheilung. Davon als adj,
dichotomus, zweitheilig. Sussdorf.
Dichroit. Ein zur Classe der Hornblenden
zählendes Mineral, als Zierstein unter dem
Namen Saphir d’eau, Luchssaphir bekannt;
es ist durch seinen Dichroismus berühmt.
Parallel der einen Axe erscheint er im
schönsten Blau, parallel der anderen Axe
besehen schwindet das Blau, der Krystall
erscheint schmutziggelb oder farblos. Der
Dichroit absorbirt das polarisirte Licht ebenso
wie der Turmalin gänzlich, besteht aus
Magnesia, Thonerde und Kieselsäure. Härte
7—8. Violblau, grün bis farblos, muscheliger
Bruch. Fundorte: Im Bodenmais im bayri¬
schen Walde, bei Abo in Finnland im Kupfer¬
kies, im Granat von Grönland. Loebisch.
Dichte, Dichtigkeit. Unter der Dichte
eines Körpers versteht man in physikalischer
Beziehung das Verhältnis der Masse zum
Volumen desselben. Ist M die Masse, V das
Volumen, so ist D = y“, ist m die Masse
eines zweiten Körpers, v dessen Volumen, so
ist d = t- D : d =-£ : V == v, so ist
D : d = M : m; M : m aber bei gleichem Vo¬
lumen = S : s (wenn S und s die specifischen
Gewichte beider Körper sind) also auch
D : d = S : s. Die Dichten zweier Körper
verhalten sich also bei gleichem Volumen
wie ihre Massen und wie ihre specifischen
Gewichte. Dichte, Masse und specifisches
Gewicht sind also proportionale Grössen. Je
grösser bei gleichem Volumen die Masse, um
so grösser die Dichte, um so grösser das
specifische Gewicht. Wärme bewirkt vermöge
ihrer ausdehnenden Eigenschaft Verminderung,
Kälte Vermehrung der Dichtigkeit, wie sich
denn z. B. die Dichte des reinen Wassers
beim Gefrierpunkt zur Dichte desselben beim
Siedepunkte verhält wie 100:96. Wenn das
Wasser gefriert, so dehnt es sich aus, sein
Volumen wird grösser, die Masse bleibt die-
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DICK. — DICKDARM.
359
selbe; also ist das gefrorene Wasser bei 0°
nicht so dicht wie das noch flüssige. Je
tiefer aber die Temperatur unter 0° sinkt,
desto kleiner wird das Volumen, so dass die
Dichte wieder grösser und grösser wird.
Ausserdem verändert sich die Dichte der
Körper mit dem Volumen durch mechanischen
Druck, Zug, Krystallisation etc. Zu den dichten
Körpern, welche bei gleichem Volumen mehr
Masse enthalten als andere, rechnet man die
Metalle, die Gläser und viele Steinarten. Die
dichteren Körper sind sehr nützlich als
Material zu Gefassen, um andere Körper ein-
zuschliessen, die wenig Cohäsion besitzen.
Platin, Gold, Silber, Kupfer, Messing, Eisen
und Zinn haben in dieser Hinsicht den Vor¬
zug vor Glas, Porzellan und Stein, dagegen
letztere den der Unauflöslichkeit behaupten.
Diejenigen Körper, welche ihren Raum sehr
unterbrochen ausfüllen, viele Zwischenräume
und weniger Masse als andere Körper bei
gleichem Umfange enthalten, nennt man
lockere Körper. Man unterscheidet zwei Arten
derselben nach dem äusseren Ansehen und
ihrem Gebrauche. Wenn die Dichtigkeit der
einzelnen Theile an lockeren Körpern sehr
ungleichförmig ist, dass grosse Zwischenräume
mit dichten Theilgruppen abwechseln, wenn
überhaupt grosse Zwischenräume zwischen
den Molekülen oder Theilen des Körpers sich
befinden, so sind die ersteren schon mit
blossem Auge zu erkennen. Man nennt solche
Körper löcherig, porös, auch wohl nach der
Gestalt der Zwischenräume röhrig, blasig,
schwammig, zellig. Sandstein, gebrannter
Thon, Holz, Leder und Pappe sind von dieser
Art. Ihr Gebrauch zu Gelassen wird durch
die Porosität sehr eingeschränkt, man müsste
sie denn mit dichten Körpern bekleiden, wie
z. B. Thon mit Glasur, Holz, Leder und
Pappe durch Lackiren. Dagegen gewähren
die löcherigen Körper ihren besonderen
Nutzen, indem sie feintheilige Körper durch¬
gehen lassen, die gröberen Theile aber zurück¬
halten. Darauf beruht die Sonderung des
Groben vom Feinen, fester Körper durch
Siebe, Durchschlage, Beuteltuch, Haarsäcke
und Körbe. Schlägt man lose Körper durch
immer feinere Löcher, so bewirkt man dadurch
die technisch so wichtige Sortirung nach dem
Korn, zu welchem Behufe man Schrotsiebe,
Graupensiebe, Pulversiebe, Griessiebe, Korn¬
siebe, Mehlbeutel, Pudersiebe und Smalte-
siebe von allen Graden der Feinheit gebraucht
und mit Nummern bezeichnet. Löcherige
Körper von mittlerer Grösse der Zwischen¬
räume werden der Industrie, Pharmacie und
Medicin gemeinnützig dadurch, dass sie flüs¬
sige Körper durchlassen, die darin schwim¬
menden festen Theile aber zurückhalten. Man
gebraucht sie zum Durchseihen, Filtriren,
und nennt sie Seiher, Filtra: dergleichen
sind Fliesspapier, Baumwolle, Kattun, Bar¬
chent, Holzmehl, Flanell, Filz, Kohlenstaub,
Glaspulver, Sand, Filtrirstein, mit Salz ge¬
brannter Thon u. s. w. Man wählt das Fil-
trum nach der Feinheit der abzusondernden
Theile, vornehmlich ein solches, das von der
Flüssigkeit nicht angegriffen wird. Zu lockere
Seiher verdoppelt man; auch wird das Zuerst¬
ablaufende zurückgegossen und die Arbeit
wiederholt. Ableitner.
Dick studierte Thierarzneikunde in London
(unter Coleman) und gründete die Veterinär¬
schule in Edinburg im Jahre 1825. Sr.
Dickdarm. Der Dickdarm (intestinum
crassum), die hintere kürzere Abtheilung des
Darmcanals, wird in den Blinddarm,
Grimmdarm und Mastdarm eingetheilt.
Die genannten drei Abschnitte setzen sich
bei den Einhufern schärfer als bei den übri¬
gen Haussäugethieren von einander ab und
zeichnen sich ferner dadurch aus, dass die
Wand an den meisten Stellen des Dickdarms
keine ebene Oberfläche besitzt, sondern mehr
oder minder weite, durch tiefere oder seichtere
Einstülpungen getrennte Ausbuchtungen —
Po sehen (haustra) — bildet. Den Einstül¬
pungen entsprechen in das Innere des Darmes
einspringende Schleimhautfalten. Zur Poschen-
bildung geben die als Längsbänder, Band¬
streifen oder Tänien (s. Darmcanal, Muskel¬
haut) bezeichneten Zusammenhäufungen von
Längsfasem der Muskelhaut Veranlassung,
welche kürzer als die Darmabschnitte sind,
an denen sie verlaufen. Werden die Band¬
streifen durchschnitten, so verlängert sich das
Darmstück, und die Poschen verschwinden.
Der B1 i n d d arm (coecum, intestinum coe-
cum) der Einhufer (Fig. 425, B) unterscheidet
sich von dem der übrigen Haussäugethiere auf¬
fällig durch seine Form und seine bedeutende
Grösse, ferner dadurch, dass er einen zwischen
Dünndarm und Grimmdarm eingeschobenen
Sack darstellt, aus welchem der Grimmdarm
seitlich hervortritt. Er hat die Gestalt eines
0*75—1 *25 m langen, in der Mitte bei massi¬
ger Ausdehnung 20—25 cm breiten Kegels,
welcher in der rechten Untenrippengegend
liegt und mit seinem hinteren Ende bis in
die rechte Flankengegend reicht. Man unter¬
scheidet an dem Blinddarm den Grund, das
Mittelstück und die Spitze. Der Grund
(Fig. 425,1) ist der am weitesten nach hinten
und oben an den letzten Rippen der rechten
Seite unter den ersten Lendenwirbeln ge¬
legene Theil des Blinddarms, dessen Form
einige Aehnlichkeit mit der des Magens be¬
sitzt. Die beiden Flächen, von denen die
äussere an die Bauchwandung, den rechten
Lappen der Leber und das Zwerchfell, die
innere an das Endstück des Grimmdarras
grenzt, mit welchem sie sich durch Binde¬
gewebe locker verbindet, stossen mit zwei
Krümmungen oder Bogen zusammen. Die
grössere — convexe — Krümmung ist nach
hinten und oben, die kleinere — concave —
nach vorn gerichtet; an der concaven Krüm¬
mung findet sich links und oben die Ein¬
mündung des Hüftdanns, rechts und unten
die nach dem Grimmdarm führende Oeffnung.
Das vordere Ende bildet einen abgerundeten
Blindsack, das hintere Ende geht in das
Mittelstück über. An der concaven Krüm¬
mung verlaufen zwei scharf abgesetzte und
am vorderen Theil der grossen Krümmung
360
DICKDARM.
ein undeutlicher Bandstreifen. Der Grund be¬
sitzt nur wenige und flache Poschen, er ver¬
bindet sich durch lockeres Bindegewebe oben
mit dem rechten Lappen der Bauchspeichel¬
drüse und mit der rechten Niere, links mit
der rechten oberen Lage des Grimmdarms.
Das Mittelstück oder der Körper des Blind¬
darms (Fig. 426,2) zieht sich von dem Grunde
an den Knorpeln der rechtsseitigen falschen
Rippen entlang schräg nach unten, vom und
nach der Mitte des Körpers, so dass dasselbe
auf der unteren Bauchwandung zwischen den
rechten und linken Lagen des Grimmdarms
ruht. Durch vier Bandstreifen (Fig. 425 b),
von denen einer in seinem ganzen Verlauf
freiliegt, werden an dem nach vorn sich
zuspitzenden Mittelstück ebensoviele Reihen
Der Grimmdarm (colon, intestinum
colon) der Pferde (Fig. 425 G) hat eine Länge
von 3—3*5 m und bildet eine sehr umfangreiche
Doppelschlinge, welche auf der unteren Bauch-
wand zu etwa ein Drittel in der rechten, zu
etwa zwei Drittel in der linken Hälfte der
Bauchhöhle seine Lage hat. Beide Schlingen
werden durch das Grimmdarmgekröse (meso-
colon [Fig. 425,14]) verbunden und ordnen sich
in vier Lagen, von denen die beiden linken
an Länge die rechten ttbertreffen, derartig an,
dass Anfangs- und Endtheil des Grimmdarms
benachbart sind.
Die rechte untere Lage des Grimmdarms
(Fig. 425, 6) tritt an der rechten (äusseren)
Seite aus der kleinen Krümmung des Blind¬
darms (Fig. 425,5), läuft über dem Mittelstück
Fig. 425. Blind- und Grimmdarm des Pferdes, von rechts gesehen. B Blinddarm, 1 Grund, 2 Körper, 3 Spitze des
Blinddarms, 4 Bliud-Grimmdarmgekröse. G Grimmdarra, 6 Ursprung, 6 rechte uutere Lage des Grimmdarms, 7 untere«
Quercolon, 8 linke untere Lage, 9 Beckenflexur, 10 linke obere Lage des Grimmdarms, 11 oberes Quercolon, 12 rechte
obere Lage, 13 magenfthnliche Erweiterung des Grimmdarms, 14 ‘Grimmdarmgekröse, b Bandstreifen. M Mastd&m,
15 Maatdarmgekröse.
von Poschen gebildet. Ein Bandstreifen wird
durch das Dünndarm-, ein zweiter durch das
Hüft-Blinddarm-, der vierte durch das Blind-
Grimmdarmgekröse(Fig.425, 4) verdeckt. Letz¬
teres verbindet den Blinddarm mit der rechten
unteren Lage des Grimmdarms; es reicht
nicht bis zur Spitze des Blinddarms und
schliesst Bündel von Muskelfasern ein, welche
zwischen den entsprechenden Bandstreifen
beider Darmabschnitte verlaufen. Die Spitze
des Blinddarms (Fig. 425,3) stellt einen
stumpfen, am Schaufelknorpel des Brustbeins
auf der unteren Bauchwand ruhenden Blind¬
sack dar. Da die Bandstreifen gegen das vor¬
dere Ende des Mittelstückes allmälig ver¬
schwinden, macht sich die Poschenbildung an
der Spitze des Blinddarms nicht mehr be-
merklich.
bis zur Spitze des Blinddarms in der rechten
Unterrippengegend nach vom bis zum Zwerch¬
fell und biegt sich hinter dem letzteren in dem
unteren Quercolon (Fig. 425, 7) in der unteren
vorderen Krümmung nach der linken Seite
hinüber, um in die linke untere Lage (Fig. 425, 8)
überzugehen, welche sich in der linken Unter¬
rippen- und Flankengegend bis zum Becken
entlang zieht. An dem Austritt aus dem Blind¬
darmgrund (Fig. 425,5) ist der Grimmdarm auf
einer kurzen Strecke sehr eng, die dicken Wände
bilden nur flache, undeutliche Poschen. Dann
erweitert sich das Darmrohr beutelförmig auf
einige Centiraeter Länge, zieht sich hierauf
wieder zusammen und erhält dann den er¬
heblichen Durchmesser, welchen beide unteren
Lagen in ihrem ganzen weiteren Verlaufe be¬
halten. An den gleichweiten Theilen beider
DICKDARM.
361
unteren Lagen verlaufen vier Bandstreifen
(Fig. 425 b), durch welche ebenso viele Reihen
von Poschen gebildet werden. Ein Randstreifen
ist in seinem ganzen Verlaufe durch das
Grimmdarm-, ein zweiter an der rechten
unteren Lage durch das Grimm-Blinddarm-
gekröse verdeckt; im Uebrigen liegen die
Bandstreifen frei. Im Becken geht die linke
untere Lage, indem sie sich stark verengt,
durch die Beckenflexur (Fig. 425, 9) — hintere
Krümmung — in die linke obere Lage
(Fig. 425,10) über, welche in der linken Flan¬
ken- und Unterrippengegend über der linken
unteren Lage nach vorn bis zum Zwerchfell
läuft, wo sie das obere Quercolon (Fig. 425,11)
— die vordere obere Krümmung — bildet,
welches das untere Quercolon etwas nach vorn
überragt. Durch das obere Quercolon schlägt
sich die linke obere in die rechte obere Lage
•(Fig. 425,12) um, welche sich über der rechten
unteren in der rechten Unterrippengegend
nach hinten bis zum Grunde des Blinddarms
'entlang zieht, um an letzterem in den Mast¬
darm überzugehen. Die Beckenflexur hat kaum
die Hälfte des Durchmessers der linken unteren
Lage und besitzt nur einen Bandstreifen,
welcher durch die Gekrösanheftung verdeckt
wird. Die linke obere Lage behält in ihrer
hinteren Hälfte die Weite der Beckenflexur
oder verengt sich noch mehr und hat auch
nur einen die Gekrösanheftung begleitenden
Bandstreifen, besitzt daher, ebenso wie die
Beckenflexur, keine Poschen. Die Weite des
Grimmdarms nimmt am oberen Quercolon
und in der rechten oberen Lage so stark zu,
dass an letzterer der Durchmesser bedeutender
als an irgend einer anderen Stelle des Darm¬
canals wird. Dieser als magenähnliche Er¬
weiterung des Grimmdarms (Fig. 425,13) be-
zeichnete Abschnitt der rechten oberen Lage
verengert sich plötzlich sehr erheblich an der
Stelle, an welcher der Grimmdarm in den
Mastdarm übergeht. An der vorderen Hälfte
der linken oberen, an der rechten oberen
Lage und am oberen Quercolon finden sich
ausser dem durch die Gekrösanheftung ver¬
deckten noch zwei, jedoch weniger deutlich
abgesetzte Bandstreifen, so dass dieser Theil
des Grimmdarras drei Reihen von grossen,
flachen Poschen bildet. Das Grimmdarmgekröse
(Fig. 425,14) ist zwischen den beiden rechten
Lagen des Griramdarms kurz, schliesst jedoch
starke Muskelbündel ein, welche zwischen den
einander zugewendeten, von der Gekrösanhef¬
tung verdeckten Bandstreifen der oberen und
unteren Lage verlaufen und in ihrer Gesaramt-
heit als Quermuskel des Grimmdarras bezeich¬
net worden sind. Das Gekröse erlangt an der
Beckenflexur die bedeutendste Breite, welche
an den beiden linken Lagen wieder abnimmt.
Die rechte obere Lage des Grimmdarms ver¬
bindet sich durch lockeres Bindegewebe mit
der Bauchspeicheldrüse und mit dem Grund
des Blinddarms.
Der Mastdarm der Einhufer zerfällt in
den Bauch- oder Gekröstheil und in da9
Beckenstück.
Der Bauchtheil (Fig. 426M) hat beim
Pferde eine Länge von 3 bis 3'5m und in
seinem ganzen Verlaufe die gleiche Weite,
welche etwa das Doppelte von der des Dünn¬
darms beträgt. Er liegt zum grössten Theil
in der linken Flankengegend auf den linken
Lagen des Grimmdarms oder zwischen den
Fig. 426. Endstück des Mastdarmes mit dem After und den
Muskeln des letzteren, von rechts gesehen. Bkf Becken fuge
(durchgesftgt), Ht äussere Haut der Scheide und des Afters,
M Bauchportion des Mastdannes, GdM Gekröse des Mast-
darraes, A After, 1 Beckenportion des Mastdarme«, 2 Bündel
der Muskelhaut, welche das After-Sehweifband bilden,
2‘ Anheftung des letzteren am ersten Schweifwirbel, 3 untere
Mastdarraschleife, 4 Äusserer Schliessmuskel des Afters,
4' vordere Portion desselben, 5 Heber des Afters (vom
Kreuz-Sitzbeinbande abgeschnitten), G Gebärmutter, Sch
Scheide, V Vorhof der Scheide, Schm Scham, 6 Schnürer
der Scham, 7 strahliger Muskel, b Harnblase, H Harnröhre,
umgeben vom Wilson’schen Muskel, 8 Befestigung der
Harnröhre an der Beckenfuge, 9 Harnleiter, 10 hinterer
Abschluss des Bauchfelles, ll Mastdarm-Geb&rmutter-
Ausbuchtung, 12 Hamblasen-Gebarmutter-Ausbuchtung
des Bauchfelles, 13 Kitzler.
letzteren und der linken Bauchwand. Wie der
Dünndarm hängt der Bauchtheil des Mastdarms
an einem langen Gekröse — Mastdarmgekröse
(mesorectum, Fig. 425, 15, u. 426) — welches
oben von den Lendenwirbeln und dem Kreuz¬
bein herabsteigt, die hintere Gekrösarterie
mit ihren Aesten einschliesst — hintere
Gekröswurzel — und nach hinten immer
niedriger wird. Mit Ausnahme des hinteren
fast gerade unter der Wirbelsäule verlaufenden
Endes liegt der Bauchtheil des Mastdarms
in Schlingen, welche sich ähnlich wie die
des Dünndarms verhalten, jedoch etwas grösser
als die letzteren sind. Die Längenfasern der
Muskelhaut bilden zwei breite Bandstreifen,
von denen der obere durch die Gekrösan¬
heftung verdeckt wird, der untere gegenüber
der letzteren verläuft. Durch die Bandstreifen
entstehen zwei Reihen von Poschen.
Das ausserhalb des Bauchfellsackes ge¬
legene Beckenstück oder der gekrüslose Theil
des Mastdarmes (Fig. 426, 1) entspricht dem
Mastdarm (rectum, intestinum rectum) des
Menschen und bildet einen weiten, sehr
ausdehnungsfähigen, 20 bis 30 cm langen,
flaschenförmigen Behälter, in welchem sich die
Kothbälle vor der Entleerung anhäufen. Das
362
DICKDARM.
Beckenstück verläuft in gerader Linie unter
dem Kreuzbein, an welches dasselbe durch
lockeres Bindegewebe angeheftet ist, nach
hinten bis zum After, grenzt unten bei weib¬
lichen Thieren an die Scheide, bei männlichen
an die Harnblase, das Beckenstück der Harn¬
röhre, die Samenleiter und accessorischen Ge¬
schlechtsdrüsen und besteht aus der Muskel-
und aus der Schleimhaut. Die Längen fasern
der dicken Muskelhaut legen sich zu groben
Bündeln zusammen, welche durch starke
Bindegewebszüge von einander getrennt wer¬
den. Die aus der Auflösung des unteren Band¬
streifens hervorgegangenen Längenfasern bil¬
den an der rechten und linken Seite je ein
breites nach oben und hinten verlaufendes
Muskelband (Fig. 426, 2), welches sich an der
unteren Fläche des ersten (Fig. 426 2') Schweif¬
wirbels anheftet und als After-Sch weif¬
band das hauptsächlichste Befestigungsmittel
des Mastdarmes abgibt. Bündel des rechten
und linken Muskelbandes überkreuzen sich
über dem Mastdarm und stellen, sich unter
einander verbindend, die obere Mastdarm¬
schleife dar. Die untere Mastdarmschleife (Auf¬
hängeband des Afters [Fig. 426, 3]), sowie
der aus den Kreisfasern der Muskelhaut des
Mastdarms gebildete innere Schliessmuskel des
Afters sind in dem Artikel After bereits ab-
gehandelt worden.
Der Dickdarm der Wiederkäuer besitzt
keine Bandstreifen und bildet in Folge dessen
keine Poschen. Die Weite ist am Blinddarm
die grösste und nimmt im Grimmdarm derart
ab, dass sie in den hinteren Theilen des
letzteren und im Mastdarm, namentlich bei
den Schafen und Ziegen, die des Dünndarms
nicht bedeutend übertrifft. Die Länge des
Dickdarms von der Spitze des Blinddarms bis
zum After beträgt beim Rinde 9 bis 12, bei
den kleinen Hauswiederkäuern 4 bis 6 m. Der
last cylindrische Blinddarm (Fig. 427. 4) ver¬
läuft am oberen Rand der Darmscheibe, das
nach hinten gewendete blinde Ende (Fig. 427. 4') I
liegt jedoch vollkommen frei. Vorn geht der
Blinddarm ohne scharfe Grenze in den Grimm¬
darm über, dessen S-förmig gekrümmte An¬
fangsschlinge (Fig. 427,50 sich nach hinten
umbiegt und dann nach der Mitte des ge¬
meinschaftlichen Gekröses läuft, in welchem
der Grimmdarm ein aus schneckenförmigen
Windungen bestehendes rundes Convolut —
Grimmdarm-Labyrinth (Fig.427, 5)— bil¬
det. Die in fast derselben Ebene verlaufenden
Windungen des letzteren sind an der linken
(unteren) Fläche der Darmscheibe, wo diesel¬
ben das gemeinschaftliche Gekröse überragen,
deutlicher zu übersehen als an der rechten
oberen Fläche und zeigen bei dem Rinde und
bei den kleinen Hauswiederkäuern einige Ver¬
schiedenheiten in der Zahl und im Verlauf.
Das Griramdarmconvolut des Rindes besteht
aus 1 '/ % oder aus 2 concentrischen (Fig. 427 a)
und ebensovielen excentrischen (Fig. 427 b)
Windungen, welche dicht neben einander ver¬
laufen, die letzte excentrische bildet die Peri¬
pherie, die Umbiegung der letzten concentri¬
schen in den Anfang der ersten excentrischen
Windung liegt in der Mitte des Convolutes.
Bei dem Schafe und bei der Ziege sind drei
concentrische und ebensoviele excentrische
Windungen vorhanden, die letzte excentrische
verläuft nicht an der Peripherie des Convolu¬
tes, sondern in einem grossen Bogen nahe dem
Dünndarm durch das Gekröse. Entsprechend
dieser Anordnung zählt man von oben nach unten
bei dem Rinde sechs oder
acht, bei dem Schafe und
der Ziege zwölf Bogen
des Grimmdarms. Die
letzte excentrische Win-,
düng geht ohne scharfe
Grenze in den Mastdarm
(Fig. 427, 6) über, dessen
Anfangsschlingen nahe
dem Blinddarm noch im
gemeinschaftlichen Ge¬
kröse liegen, während der
übrige, meist mit vielem
Fett umhüllte Theil, an
einem besonderen, jedoch
nur kurzen Gekröse hän¬
gend, in gerader Linie
und ohne Schlingen zu
bilden nach hinten bis
zum Abschluss des Bauch¬
fellsackes verläuft. Das
Beckenstück hat eine
verhältnissmässig schwä¬
chere Muskelhaut, bildet
beim Schafe und bei der Ziege keine deutliche
flaschenförmige Erweiterung und weicht im
Uebrigen nicht wesentlich von dem entspre¬
chenden Darmabschnitt des Pferdes ab.
Der Dickdarm des Schweines ist in
seinem ganzen Verlauf erheblich weiter als
der Dünndarm und in seiner Gesammtheit
etwa 4 m lang. Der Blinddarm (Fig. 428, 2) hat
drei Bandstreifen und ebensoviele Reihen von
Poschen, verhält sich sonst jedoch im Wesent¬
lichen wie bei den Wiederkäuern. Der Grimm-
darrn (Fig. 428, 3) bildet ebenfalls ein labyrinth-
Fig. 427. Darmscheibe <1**9 Rindes, von links und unten gesehen. 1 Zwölffingerdarm,
2 Leerdarm, 3 Hüftdarm, 4 Blinddarm, 4' Spitze des Blinddarms, 6 G’riramdarinlabyrintb,
a concentrische, b excentrische Windungen des Griraradarmlabyrinthes, 5' Anfangsschlinge
des Griinmdarms, d^Mastdarm.
DICKDARM.
363
artiges Convolut, dessen schneckenförmige
Windungen jedoch nicht, wie bei den Wieder¬
käuern, in einer Ebene liegen, sondern spiralig
verlaufen und in ihrer Gesarnmtheit einen ab-
estumpften Cy linder darstellen. Die nach der
pitze des letzteren verlaufenden 3 oder
3% concentrischen (absteigenden) Windungen
(Fig. 428 aaa) besitzen zwei Bandstreifen,
demgemäss zwei Reihen von Poschen, und
sind weiter als die 3 oder 3 % excentrischen
Fig. 428. Blind- und Griromdarra des Schweines. 1 Hüfl-
darm, 2 Blinddarm, 3 Grimmdarm, a a a concentrische,
b b b ejccentrische Windungen, 4 Maatdurm.
(aufsteigenden) Windungen (Fig. 428 bbb),
an denen Bandstreifen und Poschen immer un¬
deutlicher werden und schliesslich ganz ver¬
schwinden. Die excentrischen Windungen wickeln
sich innerhalb der concentrischen spiralig so
in die Höhe, dass nur die erste excentrische
Windung an dem Grimmdarmconvolute aussen
sichtbar ist, während die beiden letzten excen¬
trischen Windungen von den beiden ersten
concentrischen vollständig verdeckt werden.
Legt man die einzelnen Windungen ausein¬
ander, so macht sich das kurze Gekröse be-
raerklich, welches dieselben zusammenhält. Der
aus dem Convolut tretende Grimmdann läuft
noch enger werdend in der Nachbarschaft des
Zwölffingerdarms nach vorn bis zum Magen und
geht hier in einer grossen Schlinge und ohne
scharfe Grenze in den Mastdarm (Fig. 428, 4)
über, welcher sich im Wesentlichen wie der
gerade nach hinten verlaufende Theil desselben
bei den Wiederkäuern verhält.
Der Dickdarrn der Fleischfresser ist
kurz, er hat bei Hunden von mittlerer Grösse
60 bis 75, bei Katzen 30 bis 35 cm Länge,
Bandstreifen und Poschen fehlen gänzlich. Der
Blinddarm des Hundes (Fig. 429, 2) stellt einen
etwas spiralig um seine Längenachse gedrehten
divertikelartigen Blindsack dar, welcher dicht
hinter der Einmündung des Hüftdanns sich
in den Grimmdarm öffnet und bei den ein-*
zelnen Individuen eine verschiedene Weite und
Länge besitzt. Der Blinddarm der Katze
Fig. 429. Blind- und Grimmdarm des Hundes. 1 Htlftdarm,
2 Blinddarm, 3 Grimmdann, 4 Gekröse des Blinddarmes
Fig. 430. Blind- und Grimmdann der Katze. 1 Hüftdarm,
2 Blinddarm, 3 Grimmdann.
(Fig. 430, 2) wird durch eine 2—3 cm lange,
mit der stumpfen Spitze nach vorn gerichtete,
hakenförmig gekrümmte Ausbuchtung des
Grimmdarms angedeutet. Der Grimmdarm
(Fig. 429 u. 430, 3) ist erheblich weiter als der
Dünndarm und hängt an einem kurzen Gekröse.
Er läuft zunächst in der rechten Hälfte der
Bauchhöhle links vom Zwölffingerdarm nach
vom bis zum Magen — aufsteigender Grimm¬
darm (colon ascendens des Menschen) — und
dann, sich mit einer Krümmung — Quercolon
(colon transversum des Menschen) — umbie¬
gend, in gerader Linie etwas links von der
Medianebene nach hinten — absteigender
Grimmdarm (colon descendens des Menschen)
— bis zum Abschluss des Bauchfellsackes.
Eine bestimmte Grenze zwischen Grimmdann
und Mastdarm lässt sich nicht angeben, man
kann jedoch das ausserhalb des Bauchfell¬
sackes liegende Beckenstück des Darms als
Mastdarm ansprechen.
Der Dickdarm der Vögel ist sehr kurz,
am vorderen Ende desselben unmittelbar hin¬
ter der Einmündung des Dünndarmes finden
sich fast durchweg zwei Blinddärme, deren
bei den einzelnen Arten sehr verschiedene
Länge und Weite in einem bestimmten Ver-
hältniss zur Ernährungsweise steht und bei
den Pflanzenfressern fast durchweg am be¬
deutendsten ist. Nur wenige Vögel (z. B. die
Reiher) haben einen einfachen Blinddarm.
Unter den Hausvögeln besitzen die Tauben
zwei sehr kurze Blinddärme, dieselben errei¬
chen bei den Hühner- und Schwimmvögeln
eine Länge von 15 bis 25, beim Pfau von 30
bis 35 cm. Die durch ein kurzes Gekröse mit
364 DICKDARMDRÜSEN. — DIFFERENTIALDIAGNOSE.
dem Dünndarm verbundenen Blinddärme sind
eng, nur das nach vorn gerichtete blinde Ende
derselben zeigt in der Regel eine mehr oder
minder starke, mitunter fast kugelförmige Auf¬
treibung. Der eigentliche Dickdarm verläuft
von dem Ursprung der Blinddärme unter der
Wirbelsäule in gerader Linie nach hinten und
mündet in die Cloake (s. d.) ein.
Ueber denBau des Dickdarms s.Darm-
canal. Müller.
Dickdarmdrüsen, s. Liebcrkühn’sche
Drüsen.
Diokhäuter, Pachydermata. Ordnung der
Säugethiere in dem Systeme Cuvier’s. Derselbe
vereinigt darunter sämmtliche Hufthiere, welche
nicht Wiederkauen und mehr als zwei oder
weniger als zwei Zehen tragen. Die Familien,
welche in diese Ordnung fallen, sind die der
Proboscidier oder Elephanten, derHippopotamen,
der Schweine, der Rhinoceronten, der Tapire
und der Einhufer. Im heutigen System wurde
nach dem Vorgänge Owen’s die Ordnung der
Pachydermata aufgelöst, nachdem namentlich
die Untersuchung der fossilen Hufthierreste
die wahre Verwandtschaft der Hufthiere unter
einander aufgeklärt hatte. So werden die Pro¬
boscidier als eigene Ordnung der Säugethiere
betrachtet, die Hippopotaraen und Schweine mit
den Wiederkäuern in der Ordnung derArtio-
dactyla oder paarzehigen Hufthiere vereinigt
und die Rhinoceronten, Tapire und Pferde
mit zahlreichen Formen der Tertiärzeit in
der Ordnung der Perissodactyla oder unpaar-
zehigen Hufthiere begriffen. Artiodactylen und
Perissodactylen scheiden sich schon in der
Eocänzeit von einander und bilden diver-
girendc Entwicklungsreihen. Studer.
Dickhornschaf. 0. montana. Es wird auch
amerikanisches Argali, Rocky-mountains-sheep
(Schaf der Felsengebirge) oder schlechtweg
amerikanisches Bergschaf, von den Canadiern
Culbane genannt. Es gehört zu den Wild¬
schafen und findet seinen Heimatsbezirk,
wie ja schon sein Name Rocky-mountains-
sheep bezeichnet, in dem sich an der West¬
küste Nordamerikas von Canada bis nach
Mexico erstreckenden Felsengebirge, eben
den Rocky mountains. Dasselbe hat eine solche
Aehnlichkeit mit dem asiatischen Argali, dass
es als wohl unbedingt von demselben ab¬
stammend anzunehmen ist, und ist wahr¬
scheinlich über die Eisfelder der Behrings¬
strasse von Asien her eingewandert Es ist
bedeutend kleiner als der asiatische Argali,
misst vom Widerrist bis zur Sohle ca. 75 bis
76 cm, während jenes ein solches Mass von
110 cm. hat. Der Hauptunterschied zeigt
sich in der Bildung des Horns. Dasselbe ist,
im Verhältnisse zum Grössenunterschied,
noch stärker, namentlich an dem unteren
Theile dicker, daher der Name „Dickhorn“;
auch ist dasselbe zu einem fast vollen
Kreise gebogen. Die Farbe des kurzen straffen
Haarkleides ist am Kopfe, an den Hinterbacken
und unteren Bauchpartien mehr ins Weiss-
liche spielend, an den übrigen Theilen des
Rumpfes hellbraun. Die männlichen Thiere
zeigen an der unteren Seite des Halses ein
ziemlich langes, mähnenartiges, mehr dunkel¬
gefärbtes Haar. Die Thiere leben in grösseren
Rudeln von 20—30 Stück, sind sehr flüchtig
und scheu. Bokm.
Dickkopf, Aitel, Alten, Döbel, Aalet,
Squalius cephalus L. Süss wasserfisch aus der
Unterlasse der Knochenfische, Teleostei, Ord¬
nung der Physostomen, Familie der Cyprinidae
(Karpfen), Gattung Squalius Bonap. Mit walzi-
gem, 30—60 cm langem Körper, breitem Kopf,
niedergedrückter Schnauze und endständiger,
weit nach hinten gespaltener Mundöflhung. Die
Analflosse hat 7—9 Strahlen, ihr Unterrand
ist convex. Die Schuppen sind relativ gross.
Die Färbung ist auf dem Rücken grünlich
oder bräunlich, die Seiten silberglänzend, die
Schuppen mit schwarzen Punkten gesäumt.
Die Flossen sind röthlich, die Dorsal- und
Caudalflosse schwärzlich getrübt bis schwarz.
Der Dickkopf lebt in ganz Europa und Nord¬
asien in fliessenden Gewässern und in Seen
meist gesellig. Die Laichzeit fällt in die Mo¬
nate Mai und Juni. Das Fleisch wird wenig
geschätzt, da es weich und sehr grätig ist. Sir.
Diootyledoneae, jene Pflanzen des Braun-
Hanstein’schen Systems der Phanerogamen,
deren Keimlinge mit zwei gegenständigen
Samenlappen (Kotyledonen) versehen sind und
zu denen eine Reihe wichtiger Nahrungs- und
Arzneimittel gehören, wie z. B. die Legu¬
minosen, Umbellifloren, Oleraceen, Terebin-
thineen, Amentaceen u. s. w. Vogel .
Dicotyles labiatus und torquatus Cuv.,
s. Bisamschwein und Pekari.
Dldymu8, Gelehrter des IV. Jahrhunderts
in Alexandrien, dessen Abhandlungen über
Pferdekrankheiten in die constantinische Samm¬
lung aufgenommen wurden. Semmer.
Dietrichs J. Fr. Ch. (1792—1858) stu-
dirte Thierarzneikunde in Berlin, besuchte
Alfort und das Gestüt zu Mezöhegyes und
war nachher Professor an der Berliner Thier¬
arzneischule. Dietrichs gab heraus: Ein Lehr¬
buch der Chirurgie 1822, Pathologie und
Therapie 1837, Arzneimittellehre 1825, Vete-
rinär-Akiurgie 184?, Geburtshilfe 1845; ausser¬
dem schrieb Dietrichs über Lungenseuche,
die er für nicht ansteckend erklärte, Beiträge
zur Veterinärchirurgie und Akiurgie, über
periodische Augenentzündung, über Hilfe bei
plötzlichen Erkrankungen und über Behand¬
lung ansteckender Krankheiten. Semmer .
Dieulafoy’8Cher Aspirateur, s. Säugpumpe.
Ditferentialdiagnose (von differre, aus¬
einandertragen ; differentialis, den Unterschied
betreffend, 8:ayv iooxsiv, erkennen). Sie bildet
einen Theil der Diagnose oder der Kunst, den
Sitz der Krankheit zu erkennen, sie befähigt
uns, die Krankheiten von ähnlichen zu unter¬
scheiden. Viele Krankheiten haben bestimmte
Erscheinungen mit einander gemein, hingegen
weisen wieder andere specifische Erscheinungen
auf das erkrankte Organ hin, man nennt sie
deshalb auch die Cardinal- oder pathogno-
monischen Symptome, weil sie die Erkennung
der Krankheit ermöglichen. Sache der Diffe¬
rentialdiagnose ist es nun, alle Merkmale
hervorzuheben, welche einer gegebenen Krank-
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DIFFICIL. -
heit eigenthümlich sind und ihr allein ange¬
boren, sie lehrt uns somit, die wesentlichen
Symptome von den unwesentlichen zu scheiden
und jedes Symptom seinem Werthe nach zu
beurtheilen. Die Diagnose wird dem Thierarzte
dadurch erschwert, dass ihm nur die objec-
tiven Symptome zugänglich sind, während ihm
die subjectiven Symptome verborgen bleiben;
er muss deshalb mit um so grösserer Umsicht
und Scharfsinnigkeit die Abhängigkeit der
Krankheitserscheinungen von den abnormen Ver¬
richtungen der Organe ergründen (s. „Dia¬
gnose“). Anacker.
DifAoil (lat. difficilis), schwer, beschwerlich
— in übertragener Bedeutung auf Thiere:
schwierig zu behandeln, unfolgsam, rauh —
ist ein in hippologicis selten gebrauchter Aus¬
druck. Diese Bezeichnung ist daher allenfalls
für höchst widerspenstige Pferde statthaft,
welche namentlich den Hilfen des Reiters
nicht Folge leisten, sondern denselben sogar
noch Widerstand entgegensetzen. Aehnliches
gilt von Pferden in Gespannen gegenüber den
billigen Anforderungen von Seite des das Ge¬
fährte leitenden Fahrers. Difficile Eigenschaften
des Reit-, bezw. auch des Wagenpferdes sind
insbesondere das Steigen, das Bocken, Aus¬
schlagen, Widerstreben bei dem Aufsitzen,
Zungenstrecken, das Fassen nach der Stange,
stätiges Betragen überhaupt, sowie Scheuen
und Durchgehen. Damenpferae dürfen niemals
difficil, sondern müssen vollkommen in der
Dressur, im Erkennen von Hilfen und Strafen
und sohin von unbedingtem Gehorsam sein. Lr.
Diffusion. Schichtet man zwei verschie¬
dene Gase, z. B. Kohlensäure und Wasser¬
stoffgas über einander, indem man die beiden
mit Gas gefüllten Gefasse senkrecht über
einander aufstellt, so kann man beobachten,
dass selbst bei vollständiger Ruhe, und wenn
auch das specifisch schwerere Gas — Kohlen¬
säure — im unteren, das specifisch leichtere Gas
— Wasserstoff — im oberen Gefässe enthalten
ist, allmälig eine vollkommene Mischung
beider Gase stattfindet, so dass nach einiger
Zeit das entstandene Gasgemenge überall die
gleiche Zusammensetzung zeigt. Diese Er¬
scheinung wird als freie Gasdiffusion be¬
zeichnet, ihr verdanken wir es, dass auch die
atmosphärische Luft, in welcher zwei Gase
von verschiedenem specifischen Gewicht, nämlich
Sauerstoff und Stickstoff, mit einander gemengt
sind, in allen Höhenschichten der Atmosphäre
eine gleiche percentische Zusammensetzung
zeigt. Hiebei ist jedoch zu bemerken, dass die
Mischung zweier Gase immerhin nur langsam
erfolgt. Als Diffusion der Gase im engeren
Sinne des Wortes bezeichnet man die Mischung
zweier Gase, welche von einander durch eine
poröse Scheidewand, z. B. durch eine dünne
Platte aus unglasirtem, gebranntem Thon,
Gyps, Graphit u. s. w. getrennt sind. Hiebei
durchdringen jedoch die beiden Gase die poröse
Scheidewand mit ungleicher Geschwindigkeit.
Nach den Versuchen von Graham verhalten
sich die in einer Zeiteinheit durch die poröse
Platte durch gegangenen Volumina der Gase um¬
gekehrt proportional den Quadratwurzeln aus
DIFFUSION. 365
dem specifischen Gewichte derselben, oder kürzer
ausgedrückt, die Diffusionsgeschwindig¬
keit ist den Quadratwurzeln aus dem
specifischen Gewichte der Gase um¬
gekehrt proportional. Ein mit Wasser¬
stoffgas gefüllter Kautschukballon verkleinert
seinen Umfang an der Luft zusehends, indem
der Wasserstoff (das leichteste Gas) rascher
durch die Kautschukhülle hinaus diffundirt,
als Luft hereindiffundirt; umgekehrt bläht sich
derselbe Kautschukbailon mit Luft gefüllt auf,
wenn er in eine Wasserstoffatmosphäre ge¬
bracht wird. Auch glühende Metalle, wie
glühendes Platin und Eisen, sind permeabel für
Gase, jedoch ist bis nun nur für Wasserstoffgas
— als Gas von geringstem specifischen Gewicht
— die Diffusion durch glühende Metalle nach¬
gewiesen, während Sauerstoff, Stickstoff, Kohlen¬
säure u. s. w. nicht diflundirten.
Sind Gase in einer Flüssigkeit gelöst,
so zeigen dieselben die Erscheinungen der
Flüssigkeitsdiffusion, der sog. Dialyse,
(hierüber weiter unten). Hier muss nur noch
erwähnt werden, dass sowohl Pflanzen als
Thiere in ihren Respirationsapparaten den
Austausch der Gase durch zarte Hüllen und
Membranen hindurch bewerkstelligen, welche
die Körperflüssigkeiten von der Atmosphäre
trennen. Diese Membranen sind feucht und
bilden nun als feuchte Membranen möglicher¬
weise ein Hinderniss für den Durchtritt der
Gase — bis zu welchem Grade, ist bis nun
experimentell noch nicht festgestellt. Nach
den Versuchen von Einer an Seifenblasen
ist die Geschwindigkeit der Diffusion der
Gase, auch der Dämpfe, durch Flüssigkeits¬
lamellen dem Absorptionscoöfficienten der¬
selben für diese Flüssigkeit direct und den
Quadratwurzeln aus den specifischen Ge¬
wichten dieser Gase umgekehrt proportional.
Es wird demnach bei der Diffusion der Gase
durch feuchte Membranen auch die Absorp¬
tionsfähigkeit der die Membran einhüllenden
Flüssigkeit für die einzelnen Gase in Be¬
tracht kommen.
Auch die Flüssigkeiten strömen in ein¬
ander über. Giesst man z. B. in einem Gefäss
auf Wasser mit grosser Vorsicht Alkohol in
der Weise, dass sich beide Flüssigkeiten
nicht mit einander mischen, und lässt das
Gefass ruhig stehen, so diffundiren beide
Flüssigkeiten in einander, sie sind nach einiger
Zeit vollkommen gemischt. Dasselbe geschieht,
wenn man eine concentrirte Salzlösung mit
destillirtem Wasser überschichtet, oder wenn
man wie bei der Dialyse die beiden Flüssig¬
keiten durch eine poröse Membran, welche sie zu
durchdringen vermögen, z.B. Pergamentpapier
oder eine Thierblase, von einander trennt.
Doch findet nie ein blosser Uebergang des
Wassers zur Salzlösung, sondern stets gleich¬
zeitig ein Uebertritt des Salzes zum Wasser
statt, bis schliesslich die Lösung auf beiden
Seiten der Membran gleiche Concentration
besitzt. Wie schon unter „Colloide Substan¬
zen“ (s. d.) erwähnt wurde, ist die Diffusions¬
geschwindigkeit für verschiedene Stoffe eine
ungleiche, d. h. die Zeit, in welcher eine
Digitized by
Google
366
DIFFUSIONSRÜCKSTlNDE.
vollkommene Mischung zwischen zwei Lo¬
sungen ungleicher Concentration durch eine
Membran hindurch stattfindet, ist verschieden
je nach den Stoffen, welche in der Lösung
enthalten sind. Die gleichzeitigen und ent¬
gegengesetzten Strömungen, welche in Flüssig¬
keiten verschiedener Concentration und von
verschiedener chemischer Zusammensetzung,
die durch eine poröse Membran von einander
getrennt sind, entstehen, bezeichneteDutrochet
als Endosmose und Exosmose, die man
jetzt mit einer Bezeichnung als Osmose
zusammenfasst. Diese bildet einen speciellen
Fall der Diffusion der Flüssigkeiten, welcher
für den Austausch der Säfte und für die Auf¬
nahme von Nahrungsbestandtheilen in den
Zellen des Pflanzen und Thierkörpers von
grösster Wichtigkeit ist. Loebisch.
Diffusionsrückstände oder Diffu¬
sionsschnitzel als Futtermittel. Diebei
der Rübenzuckerfabrication nach dem sog.
Diffusionsverfahren resultirenden ausgesüssten
Rtibenschnitzel. Sie sind schmackhaft, ebenso
leicht verdaulich wie Zuckerrüben, aber noch
wässeriger wie diese und sehr aschearm, weshalb
deren Verfütterung nur mit gewissen Be¬
schränkungen rathsam ist. Sie enthalten im
frischen Zustande:
7*0 —14*4 im Mittel 10 2 % Trockensubstanz
0'6 — 1*3 - „ 0*9 - stickstoffhaltige Stoffe
0 03— 0*1 - - 0 05 * Rohfett
4*3 — 8'9 ., * 6'3 * stickstofffreie Extractstoffe
1*7 — 3*3 - r 2’4 „ Holzfaser
— — , _ 0*6 „ Asche.
An Rindvieh und Schweine kann man bis
zu 100 kg frischor Schnitzel pro 1000 kg
Lebendgewicht verfüttern. Noch grössere
Mengen vertragen nur schnell aufzumästende
Thiere. Starke Schnitzelfütterung verringert
aber in der Regel die Fleisch- und Fettqualität
und bei milchenden Thieren die Beschaffenheit
der Milch. Das Butterfett wird nach starker
Schnitzelfütterung talgartig, welchem Uebel-
stande nur theilweise durch Mitverfütterung
gewisser Oelkuchensorten oder von Maisschrot
abgeholfen werden kann. Auch hochtragende
Thiere dürfen nicht zu grosse Schnitzel-
mengen erhalten: dasselbe gilt für Kühe und
Schweinemütter während der Saugezeit. Die
Schnitzel sind eben ein zu wässeriges und
aschearmes Futtermittel und daher auch nur in
ganz kleinen Rationen verwendbar für Jung¬
vieh. Die Zugochsen werden durch starke
Schnitzelfütterung zu schlaff und arbeitsun¬
lustig. Auch für Schafe ist dieses Futtermittel
minder gut geeignet, ausgenommen für Mast¬
schafe mit grober Wolle, die davon verhält-
nissmässig ebensoviel wie Milchkühe vertragen.
Pferden darf man nur in Ruheperioden geringe
Mengen (10—20 kg pr. Haupt) geben; grössere
Quantitäten würden die Leistungsfähigkeit dieser
Thiere dauernd beeinträchtigen. Die Schnitzel
dürfen nur in ganz frischem oder gut conser-
virtem Zustande verfüttert werden. Essigsäure
oder sogar angefaulte Schnitzel wirken höchst
gesundheitsschädlich. Bei geringgradigem Ver¬
dorbensein können die Schnitzel bestenfalls nur
durch Auslaugen mit Wasser und nachheriges
Dämpfen noch als Futtermittel Verwendung
finden, ein Zubereitungsverfahren, das sich
aber meistens nicht verlohnen dürfte. Zur Ver¬
minderung des Wassergehaltes werden die
frischen Schnitzel neuestens gepresst. Sie halten
aber das Wasser so fest zurück, dass es be¬
sonderer Massnahmen bedarf, um eine bemer-
kenswerthe Entwässerung zu erzielen. Zu letz¬
terem Behufe dient das Märcker’sche (paten-
tirte) Verfahren, nach welchem die Schnitzel
mit %—1 1 /,% Kalkmilch versetzt und dann
auf besonderen Pressen ausgequetscht werden.
Man erzielt so Schnitzel bis zu 30% Tro¬
ckensubstanzgehalt, die indessen nicht mehr
durch Einsäuern conservirt werden können,
weil der zugesetzte Kalk die sich beim Ein-
säuem bildenden, gew'issermassen antiseptisch
wirkenden freien Säuren neutralisirt. Es bilden
sich zwar neue Säuremengen nach, wodurch
jedoch die beim Einsäuern ohnedies unvermeid¬
lichen grossen Nährstoffverluste erheblich ver¬
mehrt werden; in Folge des verzögerten Ein-
säuerungsprocesses gehen die Schnitzel leicht
in faulige Zersetzung über. Um so zweckdien¬
licher ist das Märcker’sche Verfahren als Vor¬
bereitung zur künstlichen Trocknung der
Schnitzel. Die mit Kalk versetzten und dann
ausgepressten Schnitzel können nämlich an
der Sonne oder in einem mässig warmen
Locale an der Luft getrocknet werden: oder
man verwandelt sie in eigenen Trockenapparaten
in ein ohne besondere Vorkehrungen, ebenso
w ie Wiesenheu u. dgl., aufbew r ahrungsfähiges
Trockenfutter. Der gegen das Märcker’sche Ver¬
fahren erhobene Einwand, dass mit dem Press¬
wasser grosse Nährstoffmengen abflössen, ist
nicht stichhaltig, indem sich die in letzterer
Weise resultirenden Abgänge nur auf ca. 6%
Trockensubstanz und ebensoviele Stickstoff-
percente belaufen, während z. B. die durch
das Einsäuern der Schnitzel entstehenden
Gährverluste viel bedeutender sind. Der Kalk -
zusatz, welcher den Kalkgehalt der ge¬
trockneten Schnitzel nach Märcker’s Ermitt¬
lungen auf 4—5 % erhöht, ist, wie durch
umfassende Fütterungsversuche constatirt
wurde, völlig unbedenklich. Getrocknete Dif¬
fusionsschnitzel enthalten:
84 4—93'9 im Mittel 90*2 % Trockensubstanz
7*6— 8*0 „ „ 7*8 * stickstoffhaltige Stoffe
1*0— 1*5 - ,. 1*3 „ Aetherextract (Rohfett?)
49*7—58*4 - - 64*0 „ stickstofffreie Extractstoffe
18'2—20*0 . ,. 19*0 - Holzfaser
— — „ „ 7'9 r Asche.
Sie bilden ein Kraftfutter, das den frischen
Schnitzeln gegenüber um so werthvoller ist,
als mit diesen grosse Wassermengen in den
Thierkörper gelangen, deren Wegschaffung
aus dem letzteren eiuen erhöhten Nährstoff¬
verbrauch bedingt. Die getrockneten Schnitzel
haben sich zur Fütterung von Milchkühen,
Mastochsen,Hammeln, Lämmern und Schweinen
gut bewährt; in geeigneten Futtermischungen
sind sie wahrscheinlich auch als Pferdefutter
verwendbar. Die Herstellung von Trocken¬
schnitzeln ist uin so empfehlensw’erther, als
durch das bisher allgemein übliche Conser-
virungsverfahren, die sog. Einsäuerung, nicht
blos grössere Substanzverluste entstehen,
sondern ausserdem der Wassergehalt der
DIGERIREN.
Schnitzel sich wenig oder gar nicht vermin¬
dert und die Gedeihlichkeit derselben als
Futtermittel eher ab- als zunimmt. Im Mittel
von 15 durch Märcker mitgetheilten Ver¬
suchen nahm die Trockensubstanz cinge-
s&uerter Schnitzel bei meist 4—Ömonatlicher
Lagerzeit um 37 9% (auf ascliefreie Substanz
bezogen) ab. Eingesäuerte Schnitzel enthalten:
6'8 —16.8 im Mittel 12*0% Trockensubstanz
0*6 — 2*2 * * 1*2 „ stickstoffhaltige ötoffe
0*03— 0*3 „ „ 01, Rohfett
3*9 — 8 7 * , 6 9 * stickstofffreie Extractstoffe
1*7 — 6*8 , , 29, Holzfaser
— — * , 10, Asche.
Gut eingesäuerte Schnitzel haben sich
wohl als Mastfuttermittel für Rinder gut be¬
währt; ausserdem werden dieselben als ein
gutes Milchfutterraittel bezeichnet. In der
That bewirken sie unter gewissen Umständen
«ine geringe Milchvermehrung, ertheilen
aber, wenn in grösseren Mengen verfüttert,
der Kuhmilch einen unangenehmen Geschmack,
«ine gewisse Prädisposition zum Sauerwerden,
verursachen eine Abnahme des Fettgehaltes
und eine talgartige Beschaffenheit der Butter.
Die Verfütterung der sauren Schnitzel setzt
daher unter allen Umständen eine gewisse
Vorsicht voraus. Man wird gut daran thun,
von sauren Schnitzeln höchstens die Hälfte
jener Mengen zu verfüttern, wie oben für
frische Schnitzel angegeben. Weniger empfind¬
lich sind auch hier Mastthiere, die schnell
fettgemacht und verkauft werden. Für hoch¬
tragende Thiere, ebenso für Mutterthiere
während der Saugezeit, sind saure Schnitzel
nicht empfehlenswerth. Besonders grosse Vor¬
sicht ist geboten, wenn die zu verfütternden
eingesäuerten Schnitzel nicht ganz tadellos
sind, nämlich Schimmelstellen oder durch den
Geruch wahrnehmbare grössere Essigsäure¬
mengen enthalten. Pott.
Digeriren heisst pharmaceutisch eine
feste, meist gepulverte Substanz der Ein¬
wirkung einer Flüssigkeit bei einer mässigen
Hitze aussetzen, um sie dadurch zu erweichen
und aufzulösen, gleichsam zu verdauen. Es
geschieht im Digerirofen und wird besonders
aur Darstellung von Elixiren, Essenzen und
Tincturen angewendet. Maceriren ist dem
Digeriren entgegengesetzt, indem es bei ge¬
wöhnlicher Temperatur der Luft geschieht. VI.
Digestio, Digeriren (von digerere).
1. Die Verkeilung der Nahrungsmittel im
Leibe, die VerdauuDg; 2. die Zertheilung,
Verflüssigung, Auflösung, eiterige Einschmel-
aung, Bildung von Abscessen: 3. die Erwei¬
chung von Arzneimitteln bei 35—40° C. be¬
hufs Extraction derselben. Am häufigsten ge¬
braucht in Digestionsapparat = Verdauungs¬
apparat. Daher auch das adj. digestivus. Sf.
Digest! va, V erdauungsmittel, Magenmittel,
&. Amara, Stomachica.
Digestivmittel sind jene Arzneimittel,
welche je nach Beschaffenheit der Wund¬
oder Geschwürfläche die Granulation und
Eiterung befördern, den Heiltrieb steigern
und zugleich die Wunden reinigen und in
gutartige umwandeln sollen. Dahin gehören
aunächst das Carbol- und Subliraatwasser, die
— DIGITALIS. 367
| jetzt alle anderen überflüssig machen, wie
z. B. das frühere Hauptdigestivmittel, den
dicken Terpentin und das Terpentinöl; dann
zählen hieher die übrigen harzigen Mittel,
namentlich Aloö und Myrrhe mit ihren Tinc¬
turen, die Wundbalsame (eine Mischung der
letzteren Tincturen mit Asanttinctur und
Terpentinöl zu gleichen Theilen), sowie
das Unguentum digestivum, be¬
stehend aus Terpentinöl, Terpentin und gelbem
Wachs ana 1 Theil oder aus dickem Terpentin
1 und Eigelb 2 (oder Honig, Fett je 2). Die
antiseptische Digestivsalbe besteht aus Carbol-
säure oder rothem Quecksilberpräcipitat 1 und
obiger Digestivsalbe 4—8 ;
das Digestivwasser (nach Haubner)
aus dickem Terpentin 15, einem Eigelb und
120 Kalkwasser oder Sublimat 1 und 100 Kalk¬
wasser oder Carbolsäure 1, Myrrhentinctur 15
und Wasser 60. Man sieht, die Digestivmittel
der Chirurgie fallen in der Hauptsache mit den
heutigen antiseptischen Mitteln zusammen. VI.
Digestivsalz ist nicht das Kochsalz oder
das Glaubersalz, wie vielfach angegeben wird,
sondern das thierärztlich nicht verwendete
Chlorkalium. Vogel.
Digestor, pharmaceutischer Kochtopf,
s. ^utoclave.
Digestorium ist die pharmaceutische Be¬
zeichnung für die Trockenkammer (s. Apo¬
theke). Vogel.
Digitalis purpurea, rother Fingerhut,
eine bei uns, namentlich in Bergwaldungen
wachsende krautige Scrophluariacee (L. XIV. 2).
Die Pflanze ist ausgezeichnet durch die pracht¬
vollen purpurnen, fingerhutförmigen Blüthen
und durch die eifönnigen dunkelgrünen Blätter,
welche zugespitzt, am Rande gesägt und an
der Unterfläche mit graulichen Haaren besetzt
sind; durch letztere Eigenschaft sowie durch
den bitteren, widrigen Geschmack und Geruch
unterscheiden sie sich von ähnlichen 'grünen
Blättern verschiedener Verbascumarten, Sym-
phytum, Inula u. s. w. Als das wirksame Princip
der als
Folia Digitalis officinellen Blätter sind
verschiedene stickstofffreie und meist glyko-
sidisehe Stoffe anzusehen, von denen das Di¬
gitalin, Digitalein und Digitoxin die wichtig¬
sten sind. Von diesen drei berühmten Herz¬
giften ist letzteres das stärkste, es wird
jedocli verlangt, dass alle drei von Blättern
wildwachsender Pflanzen stammen; die Wir¬
kung derselben ist nur graduell verschieden
und am zuverlässigsten, wenn die genannten
Hauptbestandtheile mit einander verabreicht
werden, also das Arzneimittel in Form der
gepulverten Blätter zur Anwendung kommt.
Herzgift wird die Digitalis deswegen genannt,
weil sie in höchst auffälliger Weise und vor
Allem es auf den Herzmuskel abgesehen hat,
der in grossen Gaben gelähmt, in mittleren
Gaben gestärkt wird, ohne dass andere Mus¬
keln in ähnlicher Weise beeinflusst würden;
es finden daher ganz specifische Verän¬
derungen der Elasticitätsverhältnisse des Herz¬
muskels statt, und zwar in so zuverlässiger
Weise, wie bei keinem andern Arzneimittel.
DigitizecU)y
Google
368 DIGITALISSTOFFE.
Als nächst« Folge dieser Veränderung lässt
sich bei den Thieren eine Steigerung der
Energie der Herzcontractionen nachweisen,
wodurch mehr Blut in die Arterien getrieben,
der Blutdruck daher unter allen Umständen
gesteigert wird, am meisten aber, wenn er
zuvor gesunken war. Gleichzeitig findet eine
auffallende Verlangsamung des Pulses statt,
und ist diese nebst der Drucksteigerung die
wichtigste Digitaliswirkung, denn es ist ihr
am meisten therapeutische Bedeutung bei den
Säugethieren beizumessen; die dritte Wirkung
ist die diuretische, die jedoch nur eine Con-
sequenz der zweiten ist, und die vierte, näm¬
lich die in Folge des Einflusses auf den
Wänneregulirungsapparat entstehende Min¬
derung der Blutwärme, ist zu gering, als dass
sie verwerthet werden könnte. Beide erstere
Digitalisactionen verdankt man einer (primären)
Reizung des Hemmungsapparates des Herzens,
von der sowohl der Stamm des Vagus als
seine peripherischen Herzendigungen betroffen
werden, und die nur auf mittlere, also medi-
cinale Gaben erfolgt; geht man dagegen mit
diesen höher, so werden die Hemmungsvor¬
richtungen des Herzmuskels überreizt, ver¬
lieren ihre Erregbarkeit, und es muffc so zu
einer beschleunigten und dabei unregelmässigen
Pulsfrequenz kommen, die stets das erste
Zeichen der Digitalis Vergiftung ist; das letzte
ist systolischer Herzstillstand, nachdem schwere
Erscheinungen von Kohlensäureüberladung des
Blutes vorhergegangen sind (schwarzes Blut,
theerige Imbibition des Endocardiums, Ent¬
zündung desselben Enteritis).
Hienach ergibt sich die Anzeige des
Fingerhutkrautes ganz von selbst und wird es
die besten Dienste leisten müssen, wenn der
Puls eine bedeutende Steigerung erlitten und
gleichzeitig der Blutdruck gesunken ist, also
bei allen fieberhaften Erkrankungen, voraus¬
gesetzt, dass die Beschaffenheit des Pulses
auf einen geringen Blutgehalt der Arterien
hindeutet. Da eine Herabsetzung der Tem¬
peratur nur unter sehr starken, also toxi¬
schen Gaben erfolgt, kann die Digitalis nur
in mittleren Dosen Anwendung finden und
muss ihr bei hoher Biutwärme durch kalte
Einwicklungen nachgeholfen werden. In dieser
Weise verfährt man bei heftigen Congestionen
und Entzündungen des Gehirns, der Lungen
und Pleura u. s. w., namentlich also, wenn
Herzschwäche, kleiner Puls, drohender Collaps,
feuchte Knistergeräusche in den Lungen einge¬
treten; in den letzteren Fällen kann man sich
übrigens auf das Mittel nicht immer verlassen,
die einzelnen Thiere reagiren verschieden,
und die richtigen Gaben sind schwer zu treffen;
um daher einer gefährlichen Herzschwäche zu¬
vorzukommen, greift man jetzt besser zu dem
leichter dosirbaren und zugleich ungleich
rascher wirkenden Kampher oder Wein und
verwendet das Fingerhutkraut blos bei Fiebern
mit kaum fühlbarem leeren Puls, unterlässt
jedoch niemals, zu gleicher Zeit auch den
übrigen antipyretischen und roborirenden
Apparat in Bewegung zu setzen, u. zw. schon
um deswillen, weil von der Digitalis immer
nur wenige Gaben (am besten 2—3 nicht zu
schwache) gereicht werden dürfen; sie hat
nämlich auch cumulative Wirkungen, indem
die schwerer löslichen Giftstoffe langsam und
ungleich resorbirt werden, ist daher eines der
gefährlichsten Arzneimittel, wenn man mit
ihr nicht umzugehen weiss. Gegenanzeigen
sind namentlich Reizungen der Nieren und
des gastrischen Systems. Im Ganzen wird das
Mittel nicht häufig angewendet, am meisten
noch in der Hundepraxis, wo es nicht selten
gilt, die Triebkraft des Herzens zu steigern,
insbesondere wenn dieses Organ selbst er¬
krankt ist oder Wassersüchten nachfolgen,
bei denen jede Drucksteigerung im Blute ein
reichlicheres Harnen veranlasst. Aus dem
f leichen Grunde bewirkt Digitalis auch eine
erminderung der Eiweissausscheidung, indem
die Filtration des Albumins durch tierische
Membranen mit dem Steigen des Blutdruckes
regelmässig abnimmt und umgekehrt. Dosis
für Pferde 3 * 0—6 * 0, Rinder 5 * 0—10 * 0, Hunde
0 • 05—0 2 (täglich bis 1 * 0) 2—3mal im Tage
als Pulver, Pillen oder im Aufguss.
Tinctura Digitalis für Pferde 10 *0 bis
30 * 0 (namentlich auch tracheal zu 5 * 0—20 * 0);
Hunde 0 5—3*0 (1*0—5*0 pro die). Das
Extractum Digitalis ist nicht zuverlässig
bei Thieren und ganz wegzulassen. Der Di¬
gitalis ähnliche Wirkungen, die aber thier¬
ärztlich kaum benützt werden, kommen den
Glykosiden zu, wie sie in folgenden Pflanzen
enthalten sind: Antiaris toxicaria, Convallaria
majalis, Adonis vernalis, Scilla maritima,
Helleborus viridis, niger und fötidus (s. d.). VI.
Digltalisstoffe werden jene Körper be¬
nannt, welche man aus den Blättern des rothen
Fingerhutes bis jetzt darstellte. Hieher zählt
zunächst das Digital in, ein amorphes, gelb¬
liches, sehr bitteres Pulver, welches jedoch
keine reine Substanz ist, sondern nach seiner
chemischen Bezugsquelle verschiedene Eigen¬
schaften zeigt; das französische Präparat soll
in Wasser löslich, das englische in Wasser un¬
löslich, hingegen in Alkohol löslich sein. Nach
Schmiedeberg sind alle bis nun dargestellten
Digitaline Gemenge von wirksamen und un¬
wirksamen Bestandteilen der Digitalispflanze;
er isolirte aus ihnen folgende reine Bestand¬
teile :
1. Digitalein, ein amorphes, geruch¬
loses, intensiv bitter schmeckendes Glykosid,
löslich in Wasser und Alkohol, unlöslich in
Aether; dieser Körper ist der wirksame Be¬
standteil der in Wasser löslichen Digitaline
des Handels und besitzt alle charakteristischen
Eigenschaften der Folia Digital, purp.
2. Digitalin, ein schwer krystallisir-
bares Glykosid von der Zusammensetzung
C 5 H 8 0 a , kaum löslich in kaltem Wasser,
leicht löslich in einem Gemisch von Alkohol
und Chloroform.
3. Digitoxin, auch ein Glykosid, perl¬
mutterartig glänzende Nadeln von der Formel
C ai H a8 0 7 , ganz unlöslich in Wasser, leicht
löslich in Alkohol und Chloroform; es wirkt
am stärksten, beim Menschen schon zu 0 * 002
toxisch. Auch ein mit dem Saponin aus
Digitized by
Googl«
DIGITALPERCUSSION. — DIL AT ATI ONS APPARAT. 369
Saponaria officinalis sehr verwandter Körper,
das Digitoxin, wurde in den Blättern des
rothen Fingerhutes gefunden, doch enthalten
sie kein Alkaloid. Die reinen Digitalis¬
stoffe sind bis jetzt in der Praxis nicht ver-
werthet. Loeöisch.
Digitalpercussion, s. Percussion.
Digitoxin, s. Digitalisstoffe.
Digitus« Finger, und Digitus pedis,
Zehe, ein anatomischer Terminus zur Be¬
zeichnung des untersten, im Allgemeinen aus
3 Gliedern (Phalangen) bestehenden Ab¬
schnittes der Hand, resp. des Fusses (s. d.).
Die Finger werden von dem medialen Rande
der Hand gezählt, daher ist d 1 der Daumen,
d v der kleine Finger. Die Zahl der Finger
ist bei unseren Haussäugethieren nicht die
gleiche; bei dem Pferde, dessen Voreltern
noch 5 Finger zum Theil (d 1 ) nur in Rudi¬
menten besassen, ist nur die 3. Zehe, bei
den Wiederkäuern nur die 3. und 4. Zehe,
beim Schweine die 2.—5. und endlich beim
Hunde vorne die 1.—5., hinten meist nur die
2.—5. Zehe entwickelt. Der Ausdruck ist
auch in Zusammensetzungen gebräuchlich,
so in:
Digitigrada (von digitus und gradi,
schreiten, gehen), also Zehengänger (viele
Fleischfresser), im Gegensatz zu den Planti-
graden (Mensch, Affe) und Phalangigraden
(unsere Hufthiere). Sussdorf,
Dikamali ist die harzige Ausschwitzung
verschiedener Gardenia-Arten (Bäume von der
Ordnung Cinchonaceae). Diese Drogue wird
in Indien, wo der Baum wild wächst, ausser¬
ordentlich häufig benutzt. Sie besitzt einen wi¬
derlichen Geruch. Innerlich angewendet ist sie
ein krampfstillendes Mittel; zumeist wird sie
jedoch äusserlich angewendet, um Fliegen und
sonstige Insecten von Wunden oder offenen
Hautstellen abzuhalten. Die gepulverte und mit
Oel vermengte Wurzel ist zu dem erwähnten
Zwecke vortrefflich geeignet. Smith.
Dikiatria (abgel. v. ^ Si'xtj, Recht, und
•fj laxpei'ot, Heilung, Heilkunde), die gericht¬
liche Medicin, so auch Dikiatros, der Ge¬
richtsarzt. Sussdorf.
Diklidoatoaia (abgel. V. ij iZ o$,
Doppelthüre, Klappe, und x b ootsov, Knochen),
Klappenverknöcherung. Sussdorf.
Dikrotie (v. 5i'xpoxos sc. a<pDfp.os, abgel.
v. Si's, zweifach, doppelt, und xpoxstv, klopfen,
schlagen), die Doppelschlägigkeit des Pulses,
bestellt in dem Auftreten eines dem eigent¬
lichen Pulse folgenden Nachschlages, welcher
auf kräftige Rückstoss - Elevation der Gefäss-
wand in Folge verminderter Spannung, aber
bei fortbestehender Elasticität im arteriellen
Systeme zurückzuführen ist. Er wird besonders
im Fieber beobachtet und ist da die Folge
einer wenig ergiebigen Herzsystole und des
durch verminderte Gefässpannung langsamer
erfolgenden Anpralles des Blutstromes gegen
die Aortenklappen. Sussdorf.
Dilatationaapparat. Im Hufbeschlage und
im weiteren Sinne jede Vorrichtung, durch
welche Zwanghufe auf mechanische Weise
erweitert werden. Im engeren Sinne ist es
eine Maschine, welche Erweiterungsschraube
genannt wird, vermittelst deren Zwanghufe
unter Zuhilfenahme besonders construirter
Hufeisen (Erweiterungseisen s.d.,Eisen mitEck-
strebenaufzügen, sog. Strebeneisen) auseinan¬
dergeschraubt, erweitert werden. Es gibt
verschiedene Dilatationsapparate, und schon
im XVI. Jahrhundert waren solche bekannt.
Eine gewisse Bedeutung erlangten die Dilata¬
tionsapparate jedoch erst mit der 1859 erfolg¬
ten Publication der von Defays erfundenen.
Hier soll auch nur von Dilatationsapparaten
im engeren Sinne die Rede sein.
1. Der Defays’sche Dilatationsapparat
(Fig. 431) besteht aus zwei an einer Schrauben¬
spindel a beweglichen Backen b und c. Der
Backen c, welcher am Ende der Schrauben-
Fig. 431. Dilatationaapparat von Defays.
spindel beweglich befestigt ist, enthält eine
im rechten Winkel gebogene, nach der ent¬
gegengesetzten Richtung verlaufende Stange d
mit Millimetergraden. Backen b bewegt sich
bei Umdrehung der Schraubenspindel an dieser
hin und her und besitzt eine schleifenartige
Verlängerung, deren Ende die Stange d um¬
fasst, an dieser gleitet und somit den jewei¬
ligen Abstand beider Backen von einander in
Millimeter angibt.
2. Der Hartmann’sche Dilatationsapparat
(Fig. 432) ist etwas einfacher. Die Schrauben¬
spindel a ist mit linkem und rechtem Gewinde
versehen; es bewegen sich die beiden Backen
b und c gleichzeitig aus einander, bezw. gegen
einander. Backen b hat eine mit einem Heft
versehene Verlängerung, die als Griff oder
Handhabe d dient; vor letzterer ist eine vier¬
kantige Eisenstange e eingenietet, welche in
Kocli. Encyklopäditf d. Tbierludlkd. II. Bd.
24
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370 DILL. — DILLSAMEN.
der im Backen c befindlichen Führung gleitet. I der Backen, d. i. parallel mit dem zu erwei-
Die Schraubenspindel besitzt in f einen vier¬
kantigen Ansatz, an welchen der Schlüssel g
passt.
Fig. 432. Dilatationsapparat von Uartinann.
3. Der Jovard’sche Dilatationsapparat
(Fig. 433) ist noch einfacher. Zwei Backen
bewegen sich an einer mit linkem und rechtem
Gewinde versehenen Schraubenspindel, die in
der Mitte eine ringartige Verdickung besitzt,
in welcher zwei runde ira Centrum sich kreu¬
zende Löcher sich befinden. In letztere steckt
man einen runden Dom, mit welchem man die
Umdrehung der Schraubenspindel bewirkt.
Fig. 433. Dilatationsapparat von Jovard.
4. Der Marti nak’sche Dilatationsapparat
(Fig. 434) ist wieder complicirter, aber am
sichersten und bequemsten zu handhaben. Die
Backen b und c werden durch zwei Fixations¬
schienen d und e, wovon d als Führung dient,
in der Lage erhalten. Die Schraubenspindel d
ist an einem Ende mit zweifach durchbohrtem
Kopfe f, der zur Aufnahme des Hebels dient,
versehen. Die beiden Enden der Spindel sind
mit den Fixationsschienen mittelst Hülsen g
derart verbunden, dass eine ungehinderte Be¬
wegung der Schraube erfolgen kann. Die
Handhabe h befindet sich an der Fixations¬
schiene e und steht senkrecht zur Richtung
ternden Hufeisen.
Die Anwendung geschieht in der Weise,
dass man die Backen am aufgehobenen Fusse
Fig. 434. Dilatationsapparat von Martinak.
und von der Bodenfläche des Eisens her zwi¬
schen die Schenkelenden des letzteren bringt
und durch Umdrehung der Schraubenspindel
auseinanderschraubt, wodurch das Eisen er¬
weitert wird, und da der Huf dem Eisen folgt,
so muss selbstverständlich der Huf sich auch
erweitern. Wie weit der Huf vermittelst des
Dilatationsapparates durch das Eisen auf einmal
erweitert werden kann und wie oft das Erweitern
erfolgen soll, hängt theils von dem krankhaften
Zustande des Hufes, theils vom Alter des Pferdes
ab, worüber unter Zwanghuf nachzulesen ist.
Der wahre Werth der Dilatationsapparate
ist ein unbedeutender, denn die vortrefflichen
in die Augen springenden guten Wirkungen,
welche bei der Behandlung des Zwanghufes
mit dem Dilatationsapparate erzielt worden
sind, stehen ziemlich vereinzelt da. Der Dila¬
tationsapparat ist ferner kein Werkzeug für
die Hand der Hufschmiede, sondern nur in
Hufkrankheiten erfahrenen Thierärzten zu
empfehlen. Mit Rücksicht darauf, dass der
Zwanghuf in der Mehrzahl der Fälle ganz
allmälig sich ausbildet, soll und kann auch
nur allmälig seine Heilung erfolgen, welch
letztere dann auch ohne Dilatator sicher durch
andere Mittel erreicht werden kann. Zs.
Dill, s. Anethum graveolens.
Dille, D i 1 lenk ante, s. Schnabel derVögel.
Dillenburg, vereinigtes Landgestüt von
Waldeck und Hessen-Kassel. Nach L. Hoff-
mann (Taschenlexikon der Pferdekunde) be¬
finden sich daselbst circa HO Hengste. Die
Pferdezucht wird meistens von Bauern be¬
trieben, und werden sehr edle Fohlen pro-
ducirt, die gerne von den Remonte-Com-
missionen gekauft werden. Koch.
Dillsamen, dem Kümmel ähnliches Arznei¬
mittel (s. Anethum graveolens). Das Dillkraut
wird ebenso verwendet.
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DILUVIALFAUNA. — DINGO.
371
Diluviaifauna ist die Thierwelt jener
geologischen Periode, welche unmittelbar der
Tertiärzeit folgte (weshalb auch quaternäre
Periode genannt) und die allmälig in die
Jetztzeit überging (Alluvium). Ablagerungen
aus dieser Zeit, welche man als Diluvium be¬
zeichnet, enthalten zahlreiche Reste einer
reichvertretenen Fauna, und wirfinden darunter
hebst manchen schon ausgestorbenen Thier¬
arten auch die Vertreter unserer sämmtlichen
Haussäugethiere. Es wird demnach die Dilu¬
vialfauna eines Jeden Interesse in hohem
Grade in Anspruch nehmen, der sich mit der
Vorgeschichte unserer Hausthiere vertraut
machen will. Obzwar die Säuger während der
Diluvialzeit noch im wilden Zustande Europa
bevölkerten und der Mensch nur auf der Jagd
nach Beute mit ihnen in Berührung trat, da
erst gegen Ende der Diluvialepoche die Zäh¬
mung einzelner Arten fällt, so finden wir an
den oft sehr gut erhaltenen Skeletresten
meist nur wenig charakteristische Unter¬
schiede von der heutigen Thierwelt. Es lebte
schon damals das Pferd in mehreren Arten
in Europa, ferner der Ur, der Bison, das
Renn, der wilde Hund etc. Während der
Diluvialzeit änderten sich sowohl die klima¬
tischen Verhältnisse als auch die Landschafts¬
charaktere Europas mannigfach und wesent¬
lich, und diesen localen Bedingungen ent¬
sprechend variirten auch die Faunen. Für
Mitteleuropa wurden in jüngster Zeit beson¬
ders von Nehring und Woldrich die nach¬
stehenden vier einander folgenden Faunen
sichergestellt: die Glacial-, Steppen-, Weide-
und Waldfauna. Die Glacialfauna wird durch
Thiere vertreten, von denen die meisten noch
heutzutage theils in den nördlichen Gegenden
Europas, theils in den Hochgebirgen an der
Schneegrenze hausen, wie Arvicola gregalis,
Arvicola nivalis, Capra Ibex, Foetorius Ermi-
nea, Lagopus albus, Lagopus alpinus, Lepus
Variabilis, Myodes lemmus, Myodes torquatus,
Nictea nivea, Rangifer Tarandus etc.; die
Steppenfauna mit ihren Arvicolen, Foeteriden
und Vulpiden, dem kleinen Steppenpferd und
dem Esel wird durch die typischen Steppen-
thiere des jetzigen östlichen Russlands und
Asiens, nämlich: Alactaga jaculus, Cricctus
phaeus und Spermophilus rufescens, unwider¬
leglich als solche charakterisirt. Die Weide¬
fauna, welche dem Zeiträume angehört, der
mit dem allmäligen Uebergang der Steppen¬
landschaft in eine Wiesen* und theilweise
Waldlandschaft beginnt und während dieser
Parklandschaft bis zur echten Waldlandschaft
dauert, charakterisiren Bos priscus, Elephas
primigenius, Equus fossilis, Rangifer Taran¬
dus, Rhinocerus tichorrhinus, eine kleine Ovis-
und Susform, der Hund etc. Die Waldfauna,
die in Mitteleuropa gegen Ende der Diluvial¬
zeit vorherrschte, umfasst die Feliden, Ursus
arctos,Sciurus, Myoxus, Sus scropha, Alces pal-
matus,Cervus elaphus, Tetrao urogallus, Tetrao
tetrix, Gallus etc.
Literatur: Die diluvialen Fauneu Mitteleuropas etc.
Von Dr. Joh. Ncp. Woldrieh. — Mitth. d. Anthrop. Ges. in
Wien, ßd. XI., Heft 3 und i, W'ien 1332. Koudcl/.a.
Dimorphin zählt zu den geschwefelten
Metallen und besteht aus einer Verbindung
von 4 Atomen Arsen und 3 Atomen Schwefel,
As 4 S 8 , auch als rothes Rauschgelb, Rubin¬
schwefel bekannt. Das Dimorphin kommt in
eiben, sehr zerbrechlichen Krystallen auf
en Realgarkrystallen vor, die man in den
feinen Spalten der Fumarolen des Vesuvs
findet. Loebisch,
Dimorphismus (v. S t>op<po;. zweigestaltig),
Zweigestaltung, ein in der Biologie viel ge¬
brauchter Ausdruck, der sich auf Verschieden¬
heiten in der Form der beiden Geschlechter
sowie innerhalb eines Geschlechtes (z. B. der
weiblichen Thiere), ferner auf verschiedene
Entwicklungszustände eines Thieres und end¬
lich auf die Verschiedenheit der Individuen
eines Individuenstockes bezüglich des Lebens¬
zweckes etc. (z. B. Kopf und Proglottiden
des Bandwurmes) beziehen kann. Sussdorf,
D i m o rp hi s m u s ist auch die Eigenschaft
gewisser chemischer Individuen, in zweierlei
Systemen zu krvstallisiren. Der Kohlenstoff
krystallisirt als Diamant und als Graphit
nach zwei verschiedenen Systemen. Der ge¬
diegene Schwefel tritt in rhombischen Kry¬
stallen auf, schmilzt man ihn jedoch und
lässt ihn langsam erkalten, so scheidet er
sich nunmehr in prismatischen Krystallen
aus. Der als Mineral auftretende kohlensaure
Kalk erscheint in zwei verschiedenen Ge¬
stalten, als Aragonit in Form von geraden
rhombischen Säulen und in Form von hexa¬
gonalen Rhomboedern als Kalkspath. Auch
die arsenige Säure, Antimonoxyd, Salpeter
zeigen Dimorphismus. Loebisch .
Dingo, Canis Dingo L.. W r ildhund Austra¬
liens, von Grösse und Verhältnissen eines
Schäferhundes mit mässig dickem Körper, star¬
ken und kräftigen Beinen. Der Kopf ist hinten
breit, vorn in eine kurze, zugespitzte Schnauze
zulaufend. Die Ohren kurz, spitz, aufrecht und
gewöhnlich vorwärts gerichtet. Der Schwanz
ist ziemlich lang, buschig, und wird im Laufe
aufgerichtet oder horizontal ausgestreckt ge¬
tragen. Der Pelz ist lang, straff und dicht.
Die Farbe oben falb, an den Seiten blasser,
unten, auf der Innenseite der Beine und an
der Schnauze fast weiss. Es kommen auch
dunklere bis schwarz gefärbte Individuen vor.
Der Dingo findet .sich in Australien wild, lebt
in dichten Wäldern und Buschgegenden in
kleinen Trupps. Er jagt lebende Thiere, Kän¬
guruhs, Schafe, frisst auch Aas. Halbgezähmt
findet er sich auch in Begleitung der Einge-
bornen, die ihn zur Jagd verwenden. Er kreuzt
sich mit zahmen Hunden und liefert frucht¬
bare Nachkommen. Dafür, dass der Dingo kein
in Australien einheimisches Thier, sondern erst
vielleicht in Begleitung des Menschen auf diesen
Continent gelangt sei. sprechen verschiedene
Umstände. Der Dingo ist ein wahrer Hund,
zunächst verwandt mit dem europäischen
Sehäferhund, welcher cineder primitivsten Haus¬
hundrassen repräsentirt; er ist das einzige Rauh¬
thier Australiens, das zu den plaeentalen Süugc-
thieren gehört — mit Ausnahme einiger Nager
und Flederthiere bringt Australien nur ajdacen-
24*
372 DINKA. — DIPHTHERIEPILZE.
tale Säugethiere hervor. Die Einwanderung
des Dingo müsste aber vor sehr langer Zeit
geschehen sein, da man seine Reste mit denen
aus gestorbener Beutelthiere zusammen fand. Sir.
Dinka oder Mähnenschaf. 0. africana.
Die erste Beschreibung dieser Gruppe bringt
Linnö in seinem Syst. nat. ad XII, Tome I,
PI. I, p. 97. Von späteren Schriftstellern
wird dasselbe, aber wohl nicht ganz correct,
wie solches aus der nachstehenden Beschrei¬
bung von Schweinfurth in seinem „Herzen
von Afrika“ hervorgeht, zu den „hochbeinigen
Schafen“ gerechnet. Die Haupteigenschaft des
Dinka besteht nach demselben in einem
mähnenartigen Besätze der Schultern, der
Brust- und Halsgegend, während der ganze
übrige Körper nur mit kurzen, glatt anliegenden
Haaren besetzt ist, ebenso der dürre Schwanz,
der aber nur bis auf die Sprungelenke herab¬
reicht (Fig. 435). Schweinfurth schildert diese
Rasse als von plumper Leibesbeschaffenheit
Fig. 435. Dinka oder M&hnenschaf.
und dabei kurzen Beinen. Danach kann
dieselbe aber nicht zu den hochbeinigen ge¬
hören. Die Farbe der Thiere ist nach seiner
Angabe meist weiss, seltener braun oder
schwarzweiss gefleckt, nur in vereinzelten
Fällen einfach rothbraun. Dieses Schaf soll,
wie er uns mittheilt, sich nur bei den Dinka,
Nuör und Schilluk finden, als dessen Heimats¬
bezirk nimmt er daher den östlichen Sudan
an; er sagt, dass tiefer hinein in das äqua¬
toriale Afrika das Schaf ein nicht einmal dem
Namen nach bekanntes Thier sei. Bohm.
Dinkel oder Spelz (Triticum spelta) als
Futtermittel. In einzelnen Districten Oester¬
reichs, Preussens, Bayerns, Württembergs,
Dänemarks und Spaniens cultivirte Weizen¬
varietät, deren Körner mit so fest anschlies¬
senden Spelzen umgeben sind, dass diese nur
durch Schälen entfernt werden können. Dem
gewöhnlichen Weizen sehr ähnlich, gilt über
die Dinkelkömer auch das über den Weizen
als Futtermittel Gesagte, obgleich die Dinkel¬
kömer gemeinhin ein gedeihlicheres, wegen
ihres höheren Rohfasergehaltes minder weich¬
liches (vielleicht auch weil fetthaltigeres)
Futtermittel sind. Die Dinkelkörner enthalten:
84 "1 —93 0 im Mittel 87 9 0 /,, Trockensubstanz
9-1—145 „
110 .,
stickstoffhaltige Stoffe
1-4— 30 ..
2 3 .
Rohfett
52 p—6$ 2 ..
63'9 .
stickstofffreie Extractstoffe
2'3—17 0 ..
7 7..
Holzfaser
— —
3-0 "
, Asche
Aus unreifem geschälten Dinkel, der
graupenförmig bearbeitet wird, erhält man
die als Suppengemüse bekannten Grünköraer
(Grünkern). Der hiebei entstehende Abfall, die
sog. Grünkernspreu, enthielt 90*2% Trocken¬
substanz, 2 3% stickstoffhaltige Stoffe, 1*5%
Rohfett, 50’5% stickstofffreie Extractstoffe,
29*2% Holzfaser, 6 6% Asche und bildet
ein gut verwendbares Nebenfuttermittel für
alle landwirtschaftlichen Thierkategorien.
Dinkel8troh enthielt 85*7% Trocken¬
substanz, 2 • 5% stickstoffhaltige Stoffe, 1*4%
Rohfett, 31*8% stickstofffreie Extractstoffe,
45 0% Holzfaser, 5*0% Asche und gehört
zu den geringerwertigen Getreidestrohsorten,
Dasselbe gilt von der Dinkelspreu, welche
nämlich enthält:
— — im Mittel 85’7*/» Trockensubstanz
2*9— 35 „ „ 3*2 stickstoffhaltige Stoffe
— — „ „ r 6 „ Rohfett
31 1 5—82 9 „ „ 32 1 „ stickstofffreie Extractstoffe
40- 0—41-5 „ „ 40'7 „ Holzfaser
— — „ „ 8*3 ., Asche Pott.
Dlo, griechischer Veterinär des IV. Jahr-
hundertes, schrieb einen Brief über Hoden¬
sackdarmbrüche. Koch.
Dionysius Cassius von Utica schrieb im
letzten Jahrhundert v. Chr. ein Werk über
Landwirtschaft (Uebersetzung des Cartha-
giniensers Mago) und über Thierheilkunde. Sr.
Dioptas, ein wasserhaltiges Silicat, wel¬
ches als metallischen Bestandteil Kupfer
enthält, daher auch der deutsche Name
Kupfer-Smaragd. Dunkel-smaragdgrün. Fund¬
orte: Zwischen Ural und Altai, in den sibi¬
rischen Goldlagern am Obi. Krystallisirt in
Rhomboedern und strahlt in einer bestimmten
Axe ein starkes Licht aus, daher der Name. Lh.
Diorlt, eine körnige Gesteinsart, deren
wesentliche Gemengtheile Plagioklas mit
Hornblende bilden, zu denen sich in der Regel
schwarzer Glimmer, Chlorit, Apatit und in
geringen Mengen Augit gesellt. Die Farbe
ist meist dunkelgrau bis grün. Kommt im
Thüringerwald, im Erzgebirge, im Ural in
Gängen oder Stücken, in Granit und Gneiss
und in den krystallinischen Schiefern der
paläozoischen Formationen vor; durch streifen¬
weise Vertheilung geht es in Dioritschiefer
über. Loebisch.
Diphtheriepilze. Als Erzeuger der Diph¬
therie entdeckte zuerst Oertel einen 0*35 bis
11 mikr. messenden ei-kugeligen bis schwach
ellipsoidischen Micrococcus, welcher theils in
isolirter Coccusform, theils als Diplococcus,
noch häufiger aber als Streptococcus auftritt.
Er bildet in und auf den erkrankten Mem¬
branen und Geweben bei Menschen und
Thieren oft lineale, kugelige bis streifen¬
förmige Colonien und Gruppen. Durch den
Athmungsprocess gelangen die in der Luft
etwa vorhandenen Pilzzellen in der Regel
zuerst auf die Schleimhäute der Trachea,
Von hier aus verbreiten sich die sich rasch
vermehrenden, überdies auch schwännfähigen
Coccen radienartig durch den ganzen Körper.
Sie finden sich in allen Geweben und Organen,
namentlich auch in den Lymphgefässen, im
Blute, in den Harncanälchen, in den Mal*
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DIPHTHERITIS. 373
pighi’schen Canälen der Nieren. Oft findet
man die Capillaren durch seine Colonien ver¬
stopft. Nach den Untersuchungen Oertel’s
werden alle vom Pilze hochgradig befallenen
Organe, Muskel-, Bindegewebe u. s. w. dege-
nerirt und zerstört. In günstig verlaufenden
Fällen werden die Mikrococcen mit dem Harn
entleert und so nach und nach der Körper
von ihnen völlig befreit. Noch ist es indessen
nicht als zweifellos feststehend zu betrachten,
dass dieser Oertel’sche Micrococcus sicher den
Diphtheriepilz darstellt.
Schon Oertel selbst constatirte, dass
neben seinem Micrococcus bei der Diphtherie
gleichzeitig noch andere Spaltpilze beobachtet
werden. R. Koch (Mittheil, aus dem Gesund¬
heitsamte, Photogr. 66) fand bei einem tödt-
lich verlaufenden Falle von Blasendiphtheritis
in den Blutgefässen der Nieren sehr viele
gleichartige Spaltpilze, die keine Mikrococcen,
sondern Bacterien (Kurzstäbchen) waren.
Ebenso gelang es Emmerich, aus diphthe-
ritischen Belegen ein Bacterium zu isoliren
Und in Reinculturen zu vermehren. Es bestand
aus länglichen Coccen und kurzen plumpen
Stäbchen, zwei- bis dreimal so lang als breit.
Reinculturen auf Nährgelatine sowie auf
gekochten Kartoffelscheiben bewirkten nach
Ueberimpfung auf Tauben, Mäuse und Ka¬
ninchen typische Diphtherie.
Endlich ist nach Löffler ein Bacillus
(diphtheriticus) die Ursache dieser Krankheit.
Die Stäbchen sind etwa so lang als die des
Tuberkelbacillus, aber doppelt so dick, auf
Blutserum bilden sie oft lange gerade oder
gekrümmte, nicht schwärmfähige Stäbchen,
welche in Masse sich als weissliche Colonien
präsentiren. Die langen Stäbchen sind ge¬
gliedert und an den Gliedstellen oft schwach
knotig verdickt. Häufig sind die beiden End¬
glieder eines Fadens stark angeschwollen. Hz.
Diphtheritis, besser Diphtherie (von
Stfttepa, Fell, Leder), ist eine durch Ansied¬
lung des Diphtheriepilzes, Mikrococcus diph¬
theriticus, entstandene Schleimhautentzündung
mit brandigem Zerfall des Gewebes. Das Wort
Diphtheritis wurde von dem .französischen
Arzte Bretonneau im Jahre 1818 in die medi-
cinische Nomenclatur eingeführt, nachdem
bereits 1771 das Leiden von Dr. Bond be¬
obachtet worden war. Buhl wies zuerst die
Diphtheriemikrococcen im diphtheritischen Be¬
lage und im Blute nach, später Oertel, der
auch Ueberimpfungen auf Thiere vornahm und
bei ihnen den Uebergang in die Lymphe, das
Blut, in die Lymphdrüsen und die inneren Or-
ane eruirte. Nassiloff und Classen bestätigen
ie Beobachtungen OerteTs. Letzerich fand
neben den Coccen auch Pilzmycelien und Pilz¬
fäden. Eberth sah die Pilze zuerst auf dem
Epithel der Schleimhäute und auf Wunden
sich ansiedeln, sich hier vermehren und in die
tieferen Gewebsschichten, sogar in die Capilla¬
ren der innem Organe eindringen, wo sie
embolische Zufälle veranlassen. Den Mikro¬
coccus fanden ferner Hüter, Thomasi, v. Reck¬
linghausen, Waldeyer, Birch-Hirschfeld, Cohn
und Klotzsch. Hallier nannte den Pilz Diplospo-
riura fuscum. Nach den Angaben Zürn's (die
Schmarotzer) sind es bewegliche, körnchen¬
förmige, eirunde Kugelbacterien, die einzeln
auftreten, zu 2—6 sich aneinanderreihen oder
kugel- und streifenförmige Ballen bilden. Sie
vermehren sich in den Geweben in solchen
Massen, dass die Ernährung derselben aufge¬
hoben wird und Zerfall erfolgt, sie dringen
von der Einwanderungsstelle aus, den Gewebs-
spalten und Lymphgefassen folgend, in das
Blut, in die Nieren, Leber, das Herz, selbst
bis in die Knochen vor und zerstören die Or¬
gane. Auf Thiere übertragen, erzeugen sie
ebenfalls die nämliche Krankheit. Während die
croupösen Membranen leicht von der Schleim¬
hautoberfläche ablösbar sind, infiltrirt das diph-
thcritische Exsudat die Mucosa und wandelt
sie in eine derbe, graue oder missfarbige,
lederartige Masse um, die aus einem Fibrin¬
netz, weissen Blutkörperchen und Mikrococcen
besteht und das Gewebe nach Weigert auf
dem Wege der Coagulationsnekrose zerstört.
Das Exsudat ist so fest mit der Schleimhaut
verschmolzen, dass es sich nur gewaltsam mit
der Schleimhaut abreissen lässt. Die schmierig¬
käsigen Zerfallsmassen hinterlassen kleine Sub¬
stanzverluste mit zackigen, wulstigen, rothen
Rändern und hochrothem Grunde, die diph¬
theritischen Geschwüre. Weigert und Schwe-
ninger (cfr. medicin. Centrlbl. 1878) sehen den
Diphtheriepilz nicht als Krankheitserreger an,
weil dieser gewöhnlich nur im Epithelstratum
des Rachens liegt und öfter in der Leiche
erst bei Fäulniss der abgestossenen Gewebs-
partien gefunden wird, und die auf andere
Thiere übertragenen Massen niemals den gan¬
zen Complex der Erscheinungen der Diph¬
therie zu Stande bringen sollen. Indess ist es
Dr. Emmerich in München (Vortrag auf dem
fünften CongressfÜr Hygiene im Haag) gelungen,
charakteristische Pilze aus den Krankheits-
producten der Diphtherie durch künstliche
Cultur zu isoliren und zu cultiviren und durch
Verimpfung der Culturen auf Tauben, Kanin¬
chen, Mäuse und andere Thiere Diph¬
therie zu erzeugen; er fand dieselben Pilze
bei Tauben, welche an der natürlichen Diph¬
therie litten; sie gehören zu den Bacterien,
sind meist doppelt so lang als breit, variiren
in der Grösse um das Zwei- bis Dreifache,
die längeren zeigen eine leichte Einschnürung.
Einige Beobachtungen sprechen dafür, dass
sie sich in morastigem Grund, unter den
Dielen oder in feuchtem Mauerwerk ansiedeln.
Nach den Beobachtungen von Wood und Fer-
mad (Medicin. Centralblatt 1882) verlieren die
virulentesten Diphtheriemembranen die Con-
tagiosität, wenn man sie längere Zeit dem
freien Luftzutritte aussetzt, auch ist es wahr¬
scheinlich, dass die unschuldigen Mikrococcen
oberflächlicher Katarrhe durch die begünsti¬
genden Momente der Anzüchtung ihren Ueber¬
gang in maligne nehmen können. Einzelne
Aerzte halten die Diphtherie für identisch mit
Croup, z. B. Dr. Aufrecht (Vers, deutscher
Aerzte in Magdeburg) und Prof. Rindfleisch.
Die Auswanderung der weissen Blutkörperchen
begünstigt die Ansiedlung von Infectionsstoffen.
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374 DIPHTHERITIS.
Erscheinungen. Bei Thieren sind erst
wenige zuverlässige Fälle von Diphtherie be¬
obachtet worden. Haubner, Spinola, Naczynski
und Zürn sehen in dem bösartigen Katarrhal¬
fieber des Pferdes und des Rindes eine diph-
theritische Affection. Eberth fand bei einem
Rind mit Diphtherie der Nase in den Pseudo¬
membranen eine Menge Pilze. Dammann be¬
schreibt im 3. Bande der Zeitschrift für Thier-
medicin eine wahre Diphtherie der Kälber,
er fand hier in den diphtheritischen Ein¬
lagerungen Haufen von Mikrococcen. Diese
rufen örtlich folgende Symptome hervor: Die
betroffenen Schleimhautpajftien treiben hyper-
ämisch auf und trüben 4h, es machen sich
viele kleine grauweisse Punkte bemerklich,
die sich von dem gerötheten Grunde deutlich
abheben; zuweilen ist ein solcher Punkt insel¬
artig von einer blutigen Infiltration umgeben.
Die grauen oder gelben, linsenförmigen Flecke
greifen nach seitwärts und nach der Tiefe um
sich, verschmelzen mit benachbarten und mor-
tificiren das Schleimhautgewebe. Die Schleim¬
haut sieht hier wie angeätzt aus und bedeckt
sich mit einer weissgrauen, öfter röthlich oder
grünlich nuancirten, derben, filzigen, promini-
renden Haut, nach deren Entfernung sich der
Substanzverlust als ulcus diphtheriticum prä-
sentirt. Das Geschwür kommt häufig zur Ver¬
narbung. Der Schorf löst sich übrigens von
selbst auf dem Wege der Eiterung ab. ln der
Umgebung der Geschwüre erscheint dieSchleim-
haut beträchtlich geschwollen, üdematös, und
eiterig-zeilig infiltrirt und erisypelatös ent¬
zündet. Die Schleimhaut der Nase, der Rachen¬
höhle und des Darmcanals wird zunächst von
der Diphtherie befallen, von dort aus wandern
die Mikrococcen in die Blut- und Lymph-
gefasse. Die Krankheit tritt plötzlich unter
starken febrilen Zufällen und Abgeschlagen-
heit auf; häufig schwellen die Augenlider an.
Nach 24—48 Stunden steigt die Pulsfrequenz
erheblich, die Körpertemperatur auf 40—42°,
Kopf und Maulhöhle hitzen, die Nasen- und
Maulschleimhaut röthet sich und lässt die
oben geschilderten Abnormitäten erkennen.
Mit dem Erkranken verliert sich die Fress¬
lust mehr und mehr, der Durst steigert
sich, die Dejectionen der Fäces werden ver¬
zögert. Der anfänglich schleimige Ausfluss aus
der Nase wird bräunlich, jaucheartig, blutig und
stinkend, mit Zunahme der Entartung der
Schleimhaut die Respiration schnaufend und
erschwert, das Abschlucken beschwerlich, wenn
sich der diphtheritische Process von der Maul¬
schleimhaut aus bis auf den Kehlkopf und die
Luftröhre erstreckt.Hiezu gesellen sich Schwäche,
Hinfälligkeit, Depression der Gehirnfunctionen,
öfter auch Convulsionen.
Das Ergriffensein der Schleimhäute der
Rachenhöhle und des Kehlkopfes bedingt die
Erscheinungen der Bräune, alsdann ist die
Respiration sehr erschwert und beschleunigt,
sie wird pfeifend und suffocativ bei hochgra¬
digem Fieber. Der stinkende Nasenausfluss ist
mit abgestossenen Schleimhautfetzen vermischt.
Auf der Nasen Schleimhaut bemerkt man Pete¬
chien und Ecchymosen, auf der Rachenschleiin¬
haut geschwürige Zerstörungen. Als Erschei¬
nungen der typhösen Blutbeschaffenheit sind
ödematöse Anschwellungen des Kopfes, der
Brust, des Halses und der Extremitäten, bei
Pferden auch Anschwellung der Submaxillar-
drüsen zu nennen. Der Verlauf ist acut, die
Patienten sterben oft schon nach 2—3, gewöhn¬
lich nach 10—12 Tagen. In der Diphtherie der
Kälber beobachtet man die geschilderten Ver¬
änderungen zuerst auf der Backenschleimhaut,
bald auf dem Gaumen und auf der Zunge, die
Kälber sind sehr hinfällig, haben spärlichen Na¬
senausfluss, speicheln hingegen stark; schmerz¬
haft wird der Husten bei Affectionen des
Larynx und der Trachea, hingegen führt ein Mit¬
leiden der Darmschleimhaut zu diarrhöischen
Entleerungen. Werden diphtheritische Zerfalls¬
massen aspirirt, so erzeugen sie eine lobuläre
Pneumonie, kommen sie mit den Klauen in
Berührung, dann ein geschwürartiges, brandi¬
ges Absterben der Haut des Klauenspaltes.
Da die Diphtherie einen Ansteckungsstoff ent¬
wickelt, so erkranken in der Regel alle Saug¬
kälber eines Stalles zugleich oder in Zwi¬
schenräumen von 3—5 Tagen. Die Krank¬
heitsdauer beträgt hier 4—5 Tage oder 2 bis
3 Wochen, wenn die Kraftlosigkeit keine so
schnellen Fortschritte macht. Die Reconvale-
scenten bedürfen 3—5 Wochen, bevor sich die
abgestossenen Schicimhautpartien regeneriren
und die Kräfte zurückkehren.
Auch unter dem Hausgeflügel vermag die
Diphtherie grosse Verheerungen anzurichten,
besonders wenn sie seuchenhaft auftritt. Nach
Rivolta’s Beobachtungen (Giornale di Ana¬
tom. etc. 1884) ist die Hühnerdiphtherie oder
Hühnerseuche eine chronische Erkrankung,
welche von dem Pilze Epitheliomyces croupo-
genus erzeugt wird, der sich nur in dem
Epithel der Haut und der Schleimhäute ent¬
wickelt und verschieden von dem Diphtherie¬
pilze ist. Die Diphtherie des Geflügels befällt
theils die Rachenhöhle und die Respirations¬
organe, theils die Digestionsorgane und die
Nieren; Coecum und Rectum werden am häu¬
figsten heimgesucht. Im ersteren Falle gleichen
die Symptome denen des sog. Pipses. Zuweilen
sterben die Vögel schnell nach 2—3 Anfällen
von Schüttelfrost, so dass eine Vergiftung
unterstellt wird. Oefter entzünden sich unter
Schwellung der Augenlider die Augen, sie
werden geschlossen gehalten und thränen,
die Conjunctiva zerfällt diphtheritisch, sie ist
mit einer weissgelben membranösen oder kä¬
sigen, fötiden Masse bedeckt. Die Kranken
niesen, husten, haben schleimig-serösen und
eitrigen Ausfluss aus Nase und Maul, athmen
beschwerlich unter pfeifenden und rasselnden
Geräuschen, sperren den Schnabel auf; dio
Rachenhöhle und Zunge sind mit diphtheriti-
schem Exsudate bedeckt, es stellt sich bei
Affectionen der Darmschleimhaut Durchfall
ein, die Dejectionen werden flockig, röth¬
lich oder bräunlich und übelriechend. Da¬
bei nimmt Mattigkeit, Fieber und Abma¬
gerung schnell zu, der Tod macht öfter schon
nach einigen Stunden den Beschluss, sonst
aber in 2—3 Wochen; leiden die Augen allein,
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DIPLASMATICUS. — DISCONTINÜITÄT.
375
so genesen die meisten nach 2—3 Wochen,
während sonst 80% erliegen. Kurz vor dem
Tode fällt die Temperatur ca. 2° unter die
Normale. Mitunter bilden sich diphtheritische
Processe auch an den Maulwinkeln und in
deren Umgebung auf der Haut, dann auch in
den Unteraugenhöhlenzellen, in welchem Falle
sich auf jeder Seite unter dem innem Augen¬
winkel eine Geschwulst vorfindet, aus der sich
durch Druck ein eiteriger Schleim aus der
Nase entleeren lässt; ist die Geschwulst weich,
dann ist sie mit dem Messer zu eröflhen. Die
geschwollenen Conjunctivalgefasse verdrängen
den Augapfel, auch können sie ihn zur
Atrophie bringen. Die entzündete Nickhaut
verklebt zuweilen mit dem Augapfel. Trübun¬
gen der Hornhaut entstehen öfter.
In den erkrankten Geweben sind theils
Gregarinen, theils Stäbchen- und fadenförmige
Bacillen und Mikrococcen gefunden worden.
(Yergl. Siedamgrotzki, sächs. Veter.-Ber. pro
1872; Monatsschr. österr. Thierärzte 1878;
Friedberger, Zeitschr. für Thiermed. 1879;
Zürn, Krankh. des Hausgeflügels 1882; Rivolta,
dei parasiti veget. 1873.)
Die Diphtherie befällt mit Vorliebe ka¬
tarrhalisch afficirte oder wunde und mit Ver¬
wundungen versehene Schleimhäute, auf denen
Pilze und Fäulnisstoffe, sofern sie mit der
Schleimhaut in Berührung kommen, leicht
haften. Deshalb gehen Erkältungen, greller
Wittenm gsWechsel und rauhes Wetter dem
Ausbruche der Diphtherie häufig vorher und
sind, ebenso wie verdorbenes, mit Pilzen be¬
fallenes Futter, unreines Trinkwasser und
schlechte Stalluft, als Ursachen derselben be¬
schuldigt worden. Einmal entstanden, gibt der
an die Dejectionen gebundene Ansteckungs-
Btoff vielfache Gelegenheit zur Weiterver¬
breitung.
Behandlung. Zur Verhinderung der An¬
steckung sind die Kranken von den Gesunden
sofort zu trennen und die Dejectionen zu be¬
seitigen und zu desinficiren. Zur innerlichen
Anwendung eignen sich antiparasitäre und die
Kräfte hebende Mittel, z. B. Metallsäuren im
Getränk, acid. arsenicos., die Solutio arsenic,
Fowl., Kalium jodat., Kal. bromatum, Kali
chloric., Ammonium carbon., China, Camphor,
Aether, ol. Terebinth., Liqu. Ammonii caust. etc.
Das Kali chloric. ist sowohl in gesättigter Lösung
innerlich zu geben, als auch zum Ausspritzen
der kranken Nasen- und Maulhöhle vorteil¬
haft zu benützen. Inhalationen von Dämpfen
aus dem mit Terpentinöl versetzten Wasser
lösen nach den Erfahrungen Taube’s die Exsu¬
date und mässigen das Fieber, sie sollen alle
Stunden 10 Minuten lang wiederholt werden.
Letzerich rühmt eine Solution des Natrum
benzoicum im Wasser zum innerlichen Ge¬
brauch, das Pulver davon zum Aufstreuen auf
die Schleimhaut oder zum Einblasen. In glei¬
cher Weise kann eine 3—6 %ige Neurinlösung
und das acidum carbolic. Verwendung finden;
zu den Bepinselungen der Schleimhaut oder
zu den Ausspritzungen nehme man 15*0 acid.
carbol. crystall. auf 300 *0 aquae, oder zu den
Auspinselungen auch Lösungen von Subli¬
mat (0*02—0*05, 0 10 :100*0), Lapis infer-
nalis in Wasser, von Chininum Hydrochlor.
(0*01) mit Natr. bicarbon. (0*015) in Wasser
oder Gummischleim oder Kalkwasser. Die Be¬
pinselungen sind täglich 4—6mal zu wieder¬
holen. Bei Vögeln sind Abscesse an den
Augen zu öflnen, die Exsudatmassen mit Gly¬
cerin oder Vaseline zu erweichen, alsdann mit
der Pincette vorsichtig zu entfernen, ohne sie
gewaltsam abzureissen, und schliesslich die
kranken Stellen mit den genannten Solutionen
auszupinseln oder mit Höllenstein, Kupfer-,
Zinkvitriol, Alaun, Jodtinctur etc. zu ätzen.
Das Trinkwasser kann bis zu %% mit Car¬
bol- oder Salicylsäure, mit Alaun (3*0 auf
11 W.) oder Eisenvitriol (1 :50) versetzt wer¬
den. Zürn hat die besten Heilerfolge von der
Richard’schen Diphtheritistinctur gehabt, es
sollen damit täglich dreimal die kranken
Stellen des Rachens und der Nase ausgepinselt
und täglich zweimal je ein Kaffeelöffel voll ein¬
gegeben w r erden.
Nach dem Erlöschen der Krankheit sind
stets die Stallräume, die Tränkeimer etc. zu
desinficiren. Anacker.
diplasmaticus (abgel. v. biq, zweifach,
und zb rcXdop.a, das Gebildete), aus zweifach
verschiedenen Stoffen bestehend, z. B. für
Zellen, welche neben dem gewöhnlichen Zell¬
protoplasma noch eine andere Substanz, wie
Mucin, Fett etc., enthalten. Sussdorf.
Diplococcus nennt man jene Formen von
Spaltpilzen, bei welchen mehr oder weniger
constant je zwei Coccen (Mikro- oder Makro-
coccen) verbunden Vorkommen. Es können
sehr verschiedene Spaltpilzarten in der Diplo-
coccusform auftreten. Harz.
Diploä (yj SiitXoT], von ätirXoo*;, doppelt),
schon von Hippokrates, Galen etc. für die Höhlung
in den (platten) Knochen gebraucht, bezeichnet
nach neuerem Gebrauch nur die in derselben
befindliche spongiöse Knochensubstanz. Sf.
Dippei’s Oel, ätherisches Thieröl, s. Oleum
animale.
Dirk van Setten studirte zu Utrecht Thier¬
heilkunde, war praktischer Thierarzt, schrieb
über Impfungen der Maul- und Klauenseuche
(1842), über Schweineseuche (1852), über
Trächtigkeit bei einem viermonatlichem Kalbe,
über Abtreiben der Kälber etc. Scmmcr.
Disci83io Cataraotae (dis-scindere, zer¬
schneiden), eine Methode der Staroperation,
bei welcher man nach vorherigem Durch-
stossen der Hornhaut mit einer Nadel (sog.
Discissionsnadel) diese auf die vordere Kapsel
der starig degenerirten Linse aufsetzt und
letztere mittelst eines einfachen oder Kreuz¬
schnittes durchschneidet, so dass die Linsen¬
substanz mit dem vorderen Kammerwasser in
Berührung tritt, in Folge dessen zuerst auf¬
quillt und schliesslich resorbirt und auf diese
Weise das Pupillargebiet wieder frei wird
(s. „Cataracta“). Schlampp.
Di8C0ntlnuität bezeichnet ganz allgemein
eine Zusammenhangstrennung. Götte versteht
unter Discontinuität des Lebens die von ihm
aufgestellte Lehre von der Entstehung der
Eier (überhaupt der Keime) aus leblosem
376
DISCUS. — DISLOCATION.
Materiale, das erst zu bestimmten Momenten
(wann?) belebt werde. G. Jäger stellt ihm
die Continuität des Lebens gegenüber, wonach
zwar das Material zur Ei- und Samenbildung
als „reservirtes Keimprotoplasma“ in Folge
seiner centralen Lage zu einer gewissen
„Lebenslatenz“ verurtheilt sei, aber nie auf¬
höre, „lebendig zu sein“. Sussdorf.
Discos (6 8toxo?, die Wurfscheibe), die
Scheibe, scheibenartige Bildung, für flach¬
runde Gebilde aller Art, z. B. D. proligerus
s. oophorus, der Keimhügel des Graafschen
Follikels, welcher das Ei trägt, und in Zu¬
sammensetzungen wie Discomycetes, Scheiben¬
pilze etc., adj. discodes, scheibenförmig. Sf
Disdiaklasten (abgel. von 8t?, zweimal,
doppelt, und StaxXaetv, zerbrechen, also doppelt
brechen) nennt Brücke jene hypotheti¬
schen kleinen doppelt-lichtbrechenden prisma¬
tischen Körperchen, welche er durch Neben¬
einanderlagerung die dunklen Querscheiben
der quergestreiften Muskelfaser bilden lässt,
und welche unter regelmässigem Alterniren
mit der einfach brechenden Substanz in der
Richtung der Muskelfaser die Muskelfibrille
bilden sollen. Sussdorf
Dishley-Sohaf, s. Leicester-Schaf.
Dislocation, von dis, auseinander, und
locare, stellen. Die Dislocation bezeichnet
im Allgemeinen eine abnorme Lage Veränderung
und wurde deshalb auch schon im Sinne von
„Verrenkung“ gebraucht; es wird jedoch dieser
Ausdruck jetzt mehr zur Bezeichnung von
Lageveränderungen der Muskeln und Sehnen
verwendet. Die Dislocationen von Muskeln
und Sehnen sind im Allgemeinen selten, in¬
dem diese Gebilde in der Regel in ihrer Lage
durch verschiedene Vorrichtungen, wie Kno-
chenhervorragungen, Rinnen, Bänder etc. ge¬
sichert werden.
Einzig beim Rinde kommt eine eigen-
thümliche Dislocation des äusseren
Kreuzsitzbeinmuskels des Schenkels
nicht so ganz selten vor; dieselbe wird auch
als Verrenkung des vorderen Kreuzsitz -
schenkelbeinmuskel8 (Deviation du muscle
ischio-tibial externe, Myotase crurale) be¬
zeichnet.
Die anatomischen Verhältnisse der
Kruppen- und Schenkelmuskulatur sind bei
Wiederkäuern von denjenigen des Pferdes
wesentlich abweichend und müssen daher bei
der Beschreibung dieser chirurgischen Krank¬
heit näher erörtert werden. Beim Rinde fehlt
der sog. „untere Umdreherfortsatz“ an der
lateralen Fläche des Oberschenkelbeines, so
dass der äussere Kruppenmuskel (Muse, glu-
taeus max.) sich an demselben wie beim
Pferde nicht befestigen kann und in zwei
Portionen, eine laterale und eine mediale
zerfällt. Die laterale Portion bildet eine breite
Aponeurose, welche nach vorne sich mit dem
Spanner der breiten Schenkelbinde (M. tensor
fasciae latae [Fig. 436 a]), nach hinten mit
dem vorderen Bande des äusseren (vorderen)
Kreuzsitzbeinmuskels des Schenkels verbindet
(Fig. 436 b), während die mediale Portion
vollständig mit dem letzteren verwachsen ist
und kaum von ihm unterschieden werden
kann (Fig. 436 c).
Fig. 436. Oberflächliche Muskulatur der hinteren Glied¬
masse beim Rinde, a Spanner der breiten Schenkelbinde,
b laterale Portion des äusseren Kruppenmuskels, c mediale
Portion des äusseren Kruppenmuskels, d d' äusserer Kreuz¬
sitzbeinmuskel des Schenkels, e hinterer Kreuzsitzbein¬
muskel des Schenkels, f grosser Gesässbackbeinmuskel.
Der vordere oder äussere Kreuz-
sitzbeinrauskel des Schenkels (M. bi-
ceps feraoris, dreiköpfiger Muskel der Hinter¬
backen, Ischio-tibial externe [Fig. 436 d])
besitzt beim Rinde besonders an seinem
vorderen Rande einen sehnigen Zug; in der
Höhe der Mitte des Oberschenkelbeines, da
wo sich der Muskel hinter demselben be¬
findet, sind ebenfalls mehrere starke Sehnen¬
züge zugegen. Der Trochanterfortsatz wird
etwa handbreit durch den dünneren Theil dea
Muskels bedeckt.
Die Dislocation dieses Muskels besteht
darin, dass in Folge Ruptur oder Dehnung
der Aponeurose der lateralen Portion des
äusseren Kruppenmuskels der vordere Rand
des äusseren Kreuzsitzschenkelbeinmuskels bei
starker Streckung des Hüftgelenkes hinter
dem hakenförmig gekrümmten Trochanter ein¬
fällt und besonders bei weniger gut genährten
Thieren dort hängen bleibt. In Folge dieses
Vorganges kann dann die Gliedmasse nur in
beschränktem Masse nach vorwärts bewegt
werden. Diese Dislocation kann eine unvoll¬
ständige, von Zeit zu Zeit sich einstellende,
odereine vollständige, immer andauernde
sein. Im ersteren Falle entsteht eine Lahm¬
heit, bei welcher, wenn die Thiere bewegt
werden, der dislocirte Muskel von Zeit zu
Zeit (manchmal sogar bei jedem Schritte)
von selbst heraustritt, um bald wieder hinter
dem Trochanter unter Erzeugung eines
knackenden Geräusches (battre du nerf) ein-
DISLOCATION.
377
«uschnappen. Die Thiere bringen die nach
hinten gestreckte Gliedmasse mühsam etwas
vor, der Muskel springt endlich über den
Trochanter und wird dann der Rest der Vor¬
wärtsbewegung rasch und leicht bewerkstelligt
(Fig. 437).
Fig. 437. Dislocation des aasseren Kreuzsitzbeinmuskels des
Schenkels beim Binde. & Spanner der breiten Schenkelbindc,
b laterale Portion des äusseren Kruppenmuskels, c me¬
diale Portion des ausseren Kruppenmuskels, d dislocirter
Äusserer Kreuzsitzbeinmuskel des Schenkels, e hinterer
Kreuzsitzbeinmuskel des Schenkels, f grosser Oesassback¬
beinmuskel, g Trochanterfortsatz des Oberschenkelbeines.
Das Einspringen des Muskels hinter dem
Trochanter geschieht bei der Streckung, das
Heraustreten bei der Vorwärtsbewegung der
Gliedmasse; in manchen Fällen wird hiebei
ein knackendes Geräusch und eine eigen¬
tümliche zuckende Bewegung der Haut über
dem Trochanter wahrgenommen. Sind diese
pathognomischen Erscheinungen nicht deut¬
lich, so braucht man nur während des Vor-
wärtsschreitens des Thieres die flache Hand
auf das Hüftgelenk anzulegen, um das Ein-
und Austreten des Muskelrandes deutlich
wahrzunehmen.
Ist die Dislocation eine vollständige, so
bleibt die Gliedmasse andauernd gestreckt
Und kann dieselbe nur mühsam nachgeschleppt
werden. Besteht die Lage Veränderung schon
lange, so bildet sich hinter dem Trochanter
eine deutliche Rinne in der Haut (Fig. 438 b).
In Folge der Dislocation ist die Muskulatur
sowie das umliegende Bindegewebe aber häufig
Sitz einer Entzündung, bei welcher durch
sulzige Infiltration die erwähnte Rinne weniger
deutlich hervortritt.
Die unvollständige oder intermit-
tirende Dislocation des äusseren Kreuz¬
sitzschenkelbeinmuskels kann Wochen, Monate,
selbst Jahre lang andauern und ohne Be¬
handlung wieder für einige Zeit oder selbst
für immer verschwinden, wie dies schon öfters
beobachtet wurde. Bei Stallvieh können ge¬
ringere Grade der Dislocation keine wesent¬
lichen Nachtheile hervorrufen und soll die
Behandlung darin bestehen, dass die Er¬
nährungsverhältnisse des Thieres besser ge¬
stellt werden; bei stärkeren Graden, bei Ein¬
tritt von Atrophie der Muskulatur, heftigeren
Schmerzen und Erschwerung des Stehens,
sowie beim Vorkommen dieses Leidens bei
Arbeitsvieh ist die operative Behandlung in
gleicher Weise wie bei der vollständigen
Dislocation angezeigt. Obschon die Reposition
des dislocirten Muskels keine allzu grosse
Schwierigkeit bietet, wird sie jedoch nur
selten von bleibendem Nutzen sein. Um sie
auszuführen, was versuchsweise geschehen
kann, streckt man die betreffende Gliedmasse
nach rückwärts, bis das Oberschenkelbein
mit dem vorderen Rande des äusseren Kreuz-
sitzschenkelbeinmuskels völlig parallel steht
dann sucht man die Gliedmasse in dieser
gestreckten Stellung stark nach aussen zu
ziehen, worauf dieselbe nach vorne bewegt
wird. Es gleitet auf diese Weise der Tro¬
chanter unter den Muskelrand, und kann die
zuletzt erwähnte Bewegung nach vorne erst
dann ausgeführt werden, wenn dieses ge¬
schehen. Leider stellt sich die Dislocation
in der Regel früher oder später wieder ein,
so dass dennoch zur blutigen Operation ge¬
schritten werden muss, wenn der Zustand
bleibend gehoben werden soll. Diese Operation
bietet den grossen Vortheil einer leichten
Ausführbarkeit und eines sofortigen Resul¬
tates; sie kann am stehenden (nach Castex)
ebenso gut und sicher wie am liegenden
Thiere ausgeführt werden. Der erforderliche
kleine, nicht ganz 3 cm lange verticale Haut¬
schnitt wird am unteren Theile der gebildeten
Rinne (Fig. 438 b) handbreit unterhalb des
Fig. 438. Stellung der Gliedmasse bei der Dislocation des
ausseren Kreuzsitzbeinmuskels des Schenkels beim Rinde,
a Hüftgelenk, b Hautschnittstelle bei der Durchschnei¬
dung des dislocirten ausseren Kreuzsitzbeinmuskels des
Schenkel*.
Trochanters mit dem geballten Bistouri,
welches ca. t cm tief eingestochen wird, er¬
zeugt. Dieser Einstich wird zwischen dem
vorderen Rande des dislocirten Muskels und
378
DISPENSATORIUM. — DISPOSITION.
der hinteren Oberschenkelbeinfläche gemacht,
und begreift derselbe die Haut und die
darunter liegende Schenkelaponeurose. Sehr
zu empfehlen ist es, vor der Vornahme der
Operation die Hüftgegend des Thieres rein¬
zuwaschen und zu desinficiren. Ist der Haut¬
schnitt erzeugt, so führt man den vorher in
Carbolwasser eingetauchten Zeigefinger (bei
Dislocation links den linken; bei Dislocation
rechts den rechten) in die kaum blutende
Einstichwunde zwischen den Muskel und der
hinteren Fläche des Backbeines senkrecht
unter bohrenden Bewegungen bis zur ersten
Phalanx ein. Hierauf führt man zwischen
Finger und dem sehnigen Muskeltheil eine
schmales, langes, aber starkes, concaves Knopf¬
bistouri oderMyotom ca. 6—8 cm tief ein, dreht
dasselbe gegen den Muskel und schneidet dessen
sehnige Portion durch schaukelnde Bewe¬
gungen stufenweise ein. Um das Schneiden
zu erleichtern, lässt man das Thier langsam
vorwärtsschreiten oder (wenn es liegt) bringt
dessen Gliedmasse nach vorne: dadurch
werden namentlich die sehnigen Fasern des
Muskels straff angespannt und nur so weit
nöthig durchgeschnitten. Kann die Glied¬
masse in der normalen Ausdehnung bewegt
werden, so ist die Operation beendigt und
wird in die Wunde etwas Carbolspiritus oder
Wasser gespritzt und auf dieselbe ein kleines
lockeres Carbolwattebäuschchen aufgedrückt.
Neben diesem Verfahren, welches von Cruzel,
Bresque und Winkler mit geringeren
Varianten schon früher ausgeführt wurde,
sind noch folgende zu erwähnen:
Dorfeuille operirte am liegenden Thiere
und zog den vorderen Muskelrand mittelst
eines Gemsenhornes an die erzeugte Haut¬
wunde heran und schnitt denselben quer durch.
Bernard wandte die subcutane Me¬
thode an.
Ringuet, Lafosse, SerresundHering
führten die Operation bei nicht dislocirtem
Muskel aus und wichen deshalb von dem
zuerst beschriebenen Verfahren ab. Nach
denselben wird die Haut ca. 6 cm unter und
vor dem Trochanter durchgeschnitten und
durch die erzeugte Wunde eine Hohlsonde
unter den Muskelrand gestossen, worauf der¬
selbe mittelst eines Bistouris quergeschnitten
wird. Indem hiebei die Auffindung des be¬
treffenden Muskelrandes nicht immer leicht
ist und überhaupt bei nicht reponirtem
Muskel, da derselbe hinter dem Backbeine
eingekeilt, von der angegebenen Stelle nicht
erreicht werden könnte, bietet dieses Ver¬
fahren nicht die erwünschte technische Sicher¬
heit wie das erstere. Eine Nachbehandlung
ist sehr einfach und besteht lediglich in
Reinhaltung der Wunde und in ruhigem Ver¬
halten des operirten Thieres.
Literatur : Cast ex, Röcueil de Med. v6t. 1824.
— Cruzel Journal pratique. l»2s.— Bresque, Journal
pratique 1830. — Sorithon, Bauerl 1831. — Brogniez,
Traite d** Chirurgie. — Bernard, Journal des vet. du
midi 1837. — Carriere, Journal des vet. du midi 1848.
— Serres, Journal des vet. du midi 1857. — Cruzel,
Traite pratique des maladies de l'Espece bovine 1609.
— Förster, Hering, Operationslehre. — Winkler,
PützVche Zeitschrift 1673. ßerdez.
Dispensatorium ist derjenige Raum in
den Apotheken, in welchem die Recepte
zubereitet und verabfolgt werden (s. Apo¬
theke). Vogel .
Dispensirkunst, s. Arzneimittellehre.
Dispepsie, s. u. Appetitlosigkeit.
Disposition ist die Anlage zu Krank¬
heiten (von dis, auseinander, positio, die
Lage, dispositio, Einrichtung, Anlage =
Diathesis). Jeder Organismus trägt vermöge
der Reizerapfänglichkeit seiner Organe für
Ausseneinflüsse die Anlage zum Erkranken
in sich. Von einer Disposition zu Krank¬
heiten spricht man aber nur dann, wenn ein¬
zelne Organe oder bestimmte organische
Systeme ungewöhnlich stark auf Reize rea-
giren und in Folge dessen abnorm functioniren
und häufig erkranken. Die Ursache hievon
ist in einem Defect des anatomischen Baues,
also seiner histologischen Verhältnisse zu
suchen, der eine verminderte Widerstands¬
fähigkeit gegen die einwirkenden Schädlich¬
keiten der Aussenwelt bedingt. Je häufiger
und vielfältiger ein Organ mit der Aussen¬
welt in Berührung tritt, desto mehr entwickelt
sich die Anlage zum Erkranken unter Con-
currenz der Lebens- und Gebrauchsweise der
Thiere, des Klimas und der Bodenverhältnisse.
Eine derartig zu Stande gekommene Dispo¬
sition ist eine erworbene, eine Dispositio
acquisita, im Gegensätze zu der angeborenen
und ererbten. Die Eltern übertragen ihre
Eigenschaften und Mängel in dem Aufbaue
der Organe auf ihre Nachkommen; die von
den Eltern auf die Jungen übertragene An¬
lage zu Krankheiten ist mithin eine ange¬
borene, eine Dispositio connata s. congenita,
sie wird zur erblichen Anlage, Dispositio.
hereditaria, wenn sie sich mehrere Generationen
hindurch erhalten hat. Wir finden die Erb¬
anlage deshalb in bestimmten Rassen und
Familien, die aus ihr hervorgegangenenKrank-
heiten sind vererbbar, z. B. die Tuberculose,
die Scrofulose etc. Jede Gattung der Thiere
disponirt in hervorragender Weise zu be¬
stimmten Krankheiten, weil in ihnen gewisse
organische Systeme zu einer höheren Ent¬
wicklung gelangt oder zarter constituirt sind
als bei einer andern. So finden wir beim
Pferde eine Gattungsanlage zur Druse, beim
Rind zu gastrischen Krankheiten und Milz¬
brand, beim Schaf zu hydropischen und ka-
chektischen Krankheiten, beim Hund zur Wuth
und zu Exanthemen. Auch die verschiedenen
Lebensalter bedingen besondere Anlagen, die
man deshalb auch vorübergehende, Dispo-
sitiones transitoriae, genannt hat. In der
Jugend, während der Entwicklungsperiode,
in welcher der Körper noch sozusagen sich
im unfertigen Zustande befindet, ebenso im
Alter, mit dessen Voranschreiten die Organe
immer mehr abgenützt werden, ist die Anlage
zum Erkranken eine viel grössere als bei
ausgewachsenen Thieren. Die Tilgung der
Anlage kann durch Abhärtung gegen äussere
Schädlichkeiten, durch Aenderung der diäte¬
tischen Verhältnisse, durch Kreuzung der
Rassen mit anderen, gesunden Thieren und
DISSEMINATION. — DISTANZIRT.
379
durch Einimpfung des modificirten Conta-
giums öfters erzielt werden. Anacker.
Dissemination (v. dis-seminare, aussäen,
ausstreuen) nennt man eine durch zellige
Elemente verursachte Infection, wie es z. B.
bei sog. „infectiösen“ Neubildungen der Fall
ist, welche die zunächstgelegenen Lymph-
drtisen und verschiedenen anderen Organe in
den Neubildungsprocess mit hineinziehen. Kh.
Dissepimentum (v. dissepire, abgrenzen),
Scheidewand, daher auch für das Zwerchfell. Sf
Dissimulation, Verbergen von Fehlem und
Mängeln ira Thierhandel (s. Betrügereien). Sr.
Dissociation bedeutet die Zersetzung einer
chemischen Verbindung durch Wärme, doch
nur in jenen Fällen, wenn hiebei Wärme ver¬
braucht wird, und wenn die Bestandteile der
Verbindung nach Entziehen der Wärme sich
wieder zur früheren Verbindung vereinigen.
So wird z. B. Wasser durch eine Temperatur
von 3000° C. in Wasserstoff und Sauerstoff
zerlegt, beim Sinken der Temperatur vereini¬
gen sich die beiden Gase wieder zu Wasser;
auch der Salmiak dissociirt bei hoher Tempe¬
ratur in Salzsäure und Ammoniak, welche sich
beim Abkühlen wieder vereinigen. Die Disso¬
ciation ist demnach von jenen durch die Wärme
hervorgerufenen Zersetzungen chemischer Ver¬
bindungen zu unterscheiden, bei denen Wärme
nicht gebunden, sondern entwickelt wird.
Wird chlorsaues Kali erhitzt, so bildet sich
Chlorkalium und Sauerstoff, hiebei wird aber
auch Wärme entwickelt, und lässt man er¬
kalten, nachdem man das Entfernen des Sauer¬
stoffes verhindert hat, so bildet sich chlor¬
saures Kali nicht wieder zurück. Da gewisse
Verbindungen nur bei sehr hohen Tempera¬
turen sich zersetzen, so hat man die Dissocia¬
tion zur Construction von Pyrometern ver¬
wertet, d. h. von Apparaten, mit welchen man
sehr hohe Temperaturen messen kann. LA.
Distal. Der Ausdruck „distal u wird haupt¬
sächlich — im Gegensatz zu proximal —
bei Beschreibungen von Theilen der Glied¬
massen, mitunter, obgleich seltener, von Thei¬
len des Rumpfes gebraucht, um zu bezeich¬
nen, dass eine bestimmte Stelle vom Rumpfe,
bezw. von der Wirbelsäule oder dem Kopfe,
am weitesten entfernt ist, z. B. distales Ende
des Armbeines. Müller.
Distanz (lat. distare, auseinanderstehen,
entfernt sein) ist der bei jeder Art Rennen
ebräuchliche Ausdruck oder Bezeichnung für
ie von den Concurrirenden zurückzulegende
Wegstrecke. Die Grösse der Distanz ist selbst¬
verständlich von Wichtigkeit, weil z. B. bei
einem Rennen von kurzer Distanz zunächst
nur die grösste überhaupt mögliche Schnellig¬
keit eines Pferdes unter sehr kurz dauernder
Kraftanstrengung gefordert wird, während bei
einem Rennen über eine weite Distanz neben
angemessen grosser Schnelligkeit insbesondere
auch ausdauernde Kraftentfaltung nothwendig
ist, wozu selbstverständlich in erster Linie
guter Athera vorhanden sein muss.
Die Distanzen bei den Pferderennen
variiren nur wenig in den verschiedenen
Staaten, und weisen die diversen Rennen
800—6400 m, d. i. %—4 englische Meilen aus.
Für Rennen zweijähriger Pferde werden nur
kurze, 800—1200 m betragende Distanzen an¬
gesetzt, wogegen die grösseren Distanzen per
2400 m für dreijährige, 3200 m für vierjährige
und endlich 4000—6400 m für ältere Pferde
festgesetzt werden. \ % englische Meilen oder
2400 m ist die Distanz für das Derby.
Auch bei dem Trabrennen ist die Distanz
verschieden und wechselt von 1600—3600 m.
Die am häufigsten angesetzte Distanz beträgt
2400 m, während die Minimaldistanz von
1600 m bei den dreijährigen Pferden und dem
grossen Heatfahren gebräuchlich ist; bei den
grossen internationalen Fahren dagegen ist die
Distanz 3600 m. Die gleichsam international
möglichst einheitlichen Distanzen bei den
Rennen haben einen ungemein grossen Vor¬
theil sowohl für das Training der Pferde
selbst als auch für die exacte Beurtheilung
und Vergleichung der Leistungen der Renn¬
pferde. Sehr verschieden sind die Distanzen
bei denBicycle-Rennen, welche zwischen 1 und
100 englischen Meilen wechseln. Im Rudersport
sind gewöhnlich Distanzen von 1000—6000 m,
im Mittel 2000—3000 m zurückzulegen.
In England sind bei den Amateurregatten
zumeist %—1% Meilen angesetzt und bei
dem Rennen der Professionals 3—5 Meilen
zurückzulegen. Der grösste und allseitig
beliebteste Ruder-Renncurs in England ist
der „Champions-Curs“ auf der Themse in
London von beiläufig 8000 m Distanz. Die
Verschiedenheit der Distanzen beim Wett¬
laufen und Gehen (athletische Rennen) ist
sehr gross, und wird diese Art Rennen
namentlich in Amerika mannigfach geübt,
wobei die Distanz von 90 Yards (englischen
Ellen) = 82 1 / 4 m aufwärts bis 440 Yards,
ja sogar bis zu 600 Meilen = 548% km
ausgedehnt wurde. Letztere enorme Distanz
ist von amerikanischen Laufern schon wieder¬
holt innerhalb sechs Tage zurückgelegt
worden. Bei vielen Sportzweigen, namentlich
aber bei den Trabrennen, Bicycle-Rennen,
beim Laufen, Rudern etc. werden mittelst
Verschiedenheit der Distanz für einzelne Con-
currenten die Handicaps bewerkstelligt. Distanz
nennt man am Turf auch das letzte Stück
der Rennbahn in einer Ausdehnung von 200 m
vor dem Ziele, und steht in dieser Entfernung
von der Richterloge ein Pfosten, „Distanz¬
pfosten“ genannt, welchen alle concurrirenden
Pferde schon erreicht haben sollen, wenn der
Sieger durch das Ziel geht (s. „distanzirt“).
In der Turnkunst kommt die Distanz haupt¬
sächlich ira Weitsprung und im Wurfe in
Betracht, und schliesslich hat die Distanz
bei der Feuerwaffe als „Tragweite des respec-
tiven Geschosses“ eine hochwichtige Be¬
deutung. Lechner.
Distanzirt ist ein Pferd im Rennen, wenn
dasselbe in dem Augenblicke, in welchem
der Sieger durch das Ziel geht, noch nicht
am Distanzpfosten, sohin 200 m vor dem
Ziele angelangt ist. Aber auch durch das
Urtheil des Schiedsgerichtes kann ein Pferd
— gleichmütig auf welchem Platze es einkommt
380
DISTANZVORGABE. — DISTOMATOSIS HEPATICA.
— distanzirt werden, wenn sich sein Reiter
oder Fahrer während des Rennens eine Unge-
bührlichkeit zu Schulden kommen liess, die
gegen das Renn-Reglement verstösst, und
ein Mitconcurrent in Folge dessen gegen
denselben Protest eingelegt hat. Derartige
Unregelmässigkeiten während des Rennens
sind z. B. das Ausdrängen oder das Kreuzen
eines Mitconcurrenten, das Umreiten oder
Umfahren einer Flagge, Aufhaben unrichtigen
Gewichtes, ferner wenn der Jockey mit dem
Pferde die Richterloge nicht zurückpassirt
oder an einem anderen Platze als vor der
Wage absattelt u. s. w. Bei dem Trab fahren
wird ein Pferd auch ohne Protest distanzirt,
wenn es eine bestimmte Strecke weit, etwa
50 m, ununterbrochen galopirt, oder wenn es
im Galop durch das Ziel geht. Auch in den
meisten der unter „Distanz“ schon genannten
Sportzweige kann wegen Ungehörigkeiten
während des Rennens die Distanzirung aus¬
gesprochen werden. Der distanzirte Concurrent
wird so betrachtet, als wenn er als Letzter
ein gekommen wäre, und hat daher unter gar
keinen Umständen Anspruch auf einen Preis. Lr.
Distanzvorgabe erhalten im Handicap bei
Trabrennen, bei Bicycle-Rennen u. s. w., die
schwächeren Concurrenten vor den stärkeren.
Der Beste der Concurrenten wird beim Start¬
punkte aufgestellt, während die anderen je
nach ihrem Können vom Handicapper in
g rösseren oder kleineren Distanzen vor dem
esten postirt werden, daher sie vor dem
Besten im Momente des Starts einen jedem
einzelnen bestimmt zugesprochenen Vorsprung
besitzen. Die Frage, was richtiger ist, Distanz¬
vorgabe zu gewähren oder Distanzznlage auf¬
zulegen (s. d.), wurde schon vielseitig ventilirt,
und ist in England und in Amerika nur die
Distanzvorgabe, bei welcher nur der Beste die
ganze Distanz zurückzulegen hat, während
alle anderen vor ihm Vorgaben erhalten, üblich,
welches System zumeist auch bei uns ge¬
bräuchlich ist. Ltchncr.
Distanzzulage erhalten bei Trabrennen
und anderen Sportzweigen die besseren Con¬
currenten im Handicap auferlegt. Hiebei wird
der Schwächste bei dem Startpunkte (Start¬
pfosten), die anderen aber in entsprechenden
Abständen hinter ihm aufgestellt, so dass die¬
selben ihrer grösseren Leistungsfähigkeit an¬
gemessene weitere Distanzen bis zum Ziele
zurückzulegen haben. Lechner.
Distel (Ackerdistel), Cirsium arvense,
bildet im jugendlichen Zustande ein allen
landwirtschaftlichen Haustieren gedeih¬
liches, gerne gefressenes Futtermittel. Sie
enthält:
— — im Mittel 13'8% Trockensubstanz
1*5— 2*9 „ 2 2 „ stickstoflFhaltige Stoffe
0 4- 1*2 .. .. 0*8 „ Rohfett
6*1— 7*8 .. 7*0 „ stickstofffreie Extractstoflfe
— — t , „ 1*4 „ Holzfaser
— — „ „ 1*9 „ Asche
Man rühmt ihr nach, dass sie blutreinigend
wirke, und Werden daher in vielen norddeut¬
schen Wirtschaften die jungen Distclpflanzen
im Frühjahre ausgestochen und sorgfältig ge¬
sammelt, um allen Thieren, besonders aber
den Pferden und Schweinen, etwas davon zu
geben. Im älteren, mit ausgebildeten Dornen
besetzten Zustande sind sie als Futtermittel
unbrauchbar. Pott.
Distomatosis hepatica, die Leberegel¬
krankheit. Die Bezeichnung „Distomatosis“,
abgeleitet von Distomum, das Doppelloch oder
die Leberegel, wurde von Anacker (cfr. dessen
spec. PathoL und Therapie 1879) in die
Veterinär-Nomenclatur eingeführt. Die Krank¬
heit entsteht durch die Aufnahme der Leber-
egel-Cercarien mit dem Wasser oder der
Nahrung in den Körper der Thiere. In den
meisten Fällen ist dies bei Schafen und Rin¬
dern der Fall, welche auf feuchten Plätzen
weiden, so dass bei ihnen die Distomenkrank-
heit eine grössere Ausbreitung gewinnt. Pferde,
Ziegen und Schweine leiden seltener an ihr,
selbstverständlich können sich alle Pflanzen¬
fresser mit Distomen inficiren. Die Leberegeln
bedürfen zu ihrer Entwicklung feuchter Plätze
und des Wassers. Zur geschlechtlichen Reife
gelangen sie nur in der Leber der Warm¬
blüter, resp. der Hausthiere, aus der sie
bereits im Herbst und Winter in die Gallen¬
blase und in den Dünndarm auswandern; im
Darm sterben sie ab, nur die Eier gelangen
zum Frühjahr und Sommer hin mit den Ex-
crementen ins Freie. In Wassertümpeln
schlüpft aus dem Ei ein gewimperter Embryo;
als solcher wandert er den Ermittlungen von
Thomas (cfr. Zeitschr. f. Thiermedicin, 10. Bd.)
zufolge vermittelst seines Bohrorganes in
eine Wasserschnecke, oder die Leberegeleier
werden von ihr verschluckt, im Darme werden
die Embryonen frei und bohren sich durch
dessen Wandung in den Leib der Schnecke
ein. Im Sommer wandelt sich der Embryo in
ihr innerhalb 14 Tagen, im Winter in 3 bis
4 Wochen in eine Sporocyste um, er bildet
sich in ihr innerhalb eines Keim- oder Ammen¬
schlauches, sog. Redien, zur geschwänzten
Cercarie aus, welche das Wohnthier abermals
verlässt, um später auf Wasserpflanzen
und feuchtem Grase die Kugelform anzu¬
nehmen, den Schwanz zu verlieren und sich
einzukapseln. Als Wirthe des Distomum
hepaticum und Distomum lanceolatum, der
grossen und lanzettförmigen Leberegel, er¬
kannte Leuckart nicht die Nacktschnecken,
sondern die schalen tragenden, kleinen Limnäen,
u. zw. Limnaeus pereger, besonders aber Lim-
naeus truncatulus. Limnaeus truncatulus be¬
herbergt öfter 50 Embryonen. Die kleinen
weissen Kapseln gelangen mit den Pflanzen
bei dem Be weiden feuchter, mit stagnirendem
Wasser versehener Districte in den Magen
der Hausthiere, demnächst beziehen die frei¬
ewordenen Cercarien vom Duodenum aus
urch den Gallengang die Leber und setzen
sich in den Gallengängen fest, sie dringen
bis zur Peripherie der Leber vor und durch¬
bohren selbst deren serösen Ueberzug, so
dass sie mit dem Kopfe aus kleinen spalt¬
förmigen Oeffnungen über die Leber hervor¬
ragen und schliesslich wohl auch in die
Bauchhöhle Vordringen. Friedberger fand
Distomen im serösen Transsudate der Bauch-
DISTOMATOSIS HEPATICA.
381
höhle; sie durchbohren aber auch mitunter
die Gefässhäute der Lebervenen und werden
dann mit dem Blute anderen Organen zuge-
führt. So fand man sie in den Zweigen der
Lungenarterie. Hedby (the Veterin. 1881) fand
an der Oberfläche der Lunge zweier Kühe
eine Distoraenkapsel oder einen sog. Disto-
menabscess mit einer sandigen, gelblichen,
klebrigen Flüssigkeit und einem Distomum.
Mdgnin (Annales de mdd. vdt. 1882) sah in
der Lunge einer kachektischen Kuh tuberkel¬
ähnliche Tumoren mit dicken, unebenen,
fibrösen Wandungen, die einen dunkelbraunen
Eiter und Distomen enthielten. Rivolta be¬
obachtete das Gleiche in der Lunge eines
Ochsen (il medico veter. 1868), auch fand er
eine neue Distomenart in der Leber der
Katzen und Hunde (Distoma felinum), die
die Gallengänge nur oberflächlich reizt. In
den Muskelfasern des Zwerchfells fanden die
Thierärzte Lcunis, Dunker und Junge, ebenso
Professor Leuckart bei Schweinen Distomen-,
resp. Cercarienkapseln; für das Eindringen
von den Blutgefässen aus sprach der Um¬
stand, dass das betreffende Muskel- und Fett¬
gewebe feine rothe Aderknötchen enthielt, die
als leere Kapseln erkannt wurden. In allen
diesen Fällen beherbergte auch die Leber
Distomen; diese können zu verschiedenen
Zeiten in ein und dasselbe Thier einwandern,
wie dies die verschiedenen Entwicklungs¬
stufen der Distoraen in der Leber der Schafe
beweisen. In den Gallengängen rufen die da¬
selbst in grosser Zahl hausenden Egel ka¬
tarrhalische Reizungen, in der Leber selbst
hyperämische und entzündliche Zustände her¬
vor, beim Vordringen bis zu den Umflächen
der Leber kommt es zu einer chronischen
Perihepatitis und Peritonitis mit serös-fibri¬
nösen und hämorrhagischen Ergüssen in die
Bauchhöhle. Mit der Zeit verdicken sich
die Lebergallengänge durch bindegewebige
Wucherung ganz erheblich, man sieht sie als
dicke, sehnige, öfter knorpelartige Stränge
die Leber durchziehen und die Schleimhaut
derselben mit kalkigen Incrustationen, schol¬
ligen, steinharten, von Gallenpigmenten grün¬
lich gefärbten Massen und einem zähen, öfter
blutigen und mit Galle vermischten Schleim
bedeckt, das dazwischen liegende Leber¬
parenchym atrophirt, fest, graubraun, stellen¬
weise gelbroth, sofern der Infarct zerfallen
ist. Kleine Hohlräume enthalten ein zu roth-
braunem oder grauem Brei zerfallenes Leber¬
parenchym (Friedberger) mit unentwickelten
Distomen. In den ersten Stadien erscheint
die Leber in Folge von Hyperämie und
seröser Infiltration aufgetrieben, ihre Ober¬
fläche zeigt öfter, ausser den feinen, vom
entzündlichen Hofe und kleinen Blutaus-
tretungen umgebenen Spalten, Unebenheiten
und hautartige Auflagerungen von Faserstoff¬
exsudaten. Die Pfortaderverzweigungen ent¬
halten öfter Thromben, die Intima derselben
ist dann entzündet. Alle diese Abnormitäten
führen endlich zu Störungen in der Verdauung
und Ernährung, zu Kachexie und Hydräraie,
namentlich complicirt sich die Distomatose
bei den Schafen gern mit Hydropsie, wenn
sie ihre Nahrung auf gehaltlosen, feuchten,
sumpfigen und morastigen Weiden suchen
müssen, weshalb man früher das Leiden
„Fäule“ nannte, ein Ausdruck, unter dem
man eine durch das seröse Transsudat zu
Stande gebrachte Anämie, Lockerung und
Erweichung der organischen Gewebe verstand.
Ausser Distomum hepaticum und lanceo-
latum hat man in den Lebergallengängen der
Katze Distomum Conus angetroffen. Verschie¬
dene andere Arten der Distomen hausen im
Schlund, Darmcanal und in dem Eileiter des
Geflügels.
Die Distomen werden gewöhnlich im
Spätsommer und Herbst von den Thieren
acquirirt. Nach Thomas verträgt der inficirte
Limnaeus truncatulus mitunter eine sechs¬
wöchentliche Eintrocknung, der nächste Regen
lässt ihn sofort wieder auf leben; in ihm kön¬
nen die Redien noch Tochterredien bilden,
ein einziges Leberegelei kann auf diese Weise
über 1000 Cercarien hervorbringen. Diese
leben nach ihrer Auswanderung aus der
Schnecke noch eine Zeitlang frei im Wasser,
kapseln sich aber bald auf den Pflanzen ein.
Der Aufenthalt der Leberegeln in den Haus-
thieren kann ein Jahr, nach Thomas sogar
sechs Jahre betragen.
Symptome. Die ersten Krankheitser¬
scheinungen machen sich einige Monate nach
der Aufnahme der Distomen in grösserer
Anzahl im Laufe des Winters und Frühjahrs
beraerklich; sie bestehen hauptsächlich in
Fieberparoxysraen, gastrischen Zuständen
(Darmkatarrh), Nachlass in der Fresslust und
Rumination, Trauern, Mattigkeit und Ab¬
magerung. Zuweilen erscheint die Leber¬
gegend etwas aufgetrieben, sie zeigt dann
eine grössere Empfindlichkeit gegen Druck,
auch nimmt die Conjunctiva öfter anfänglich
eine gelbliche, ikterische Färbung an, mit der
Zunahme der Hydrämie und Kachexie wird
sie blass und aufgedunsen, es stellen sich
wohl auch Oedeme im Kehlgang oder an den
Extremitäten und mit ihnen die Zeichen der
Bauchwassersucht ein, was besonders von
Schafen gilt. Mitunter lassen sich unter dem
Mikroskope Distoineneier in den diarrhöischen
Fäces nachweisen, Sicherheit in der Diagnose
vermag meistens nur das Abschlachten eines
Patienten zu geben. Erst nach einer Krank¬
heitsdauer von mehreren Monaten gehen die
Thiere marastisch ein, nur die weniger er¬
krankten und kräftigen, gut genährten Thiere
genesen mit dem Eintritte einer constanten
trockenen Sommerwitterung und bleiben noch
lange Schwächlinge, was aus den in der
Leber gesetzten pathologischen Veränderungen
erklärlich wird, die sehr langsam, zum Theil
gar nicht zum normalen Zustande zurück¬
kehren.
Behandlung. Die Distomatose ist nur
auf dem Wege der Naturheilkraft zu besei¬
tigen, wir besitzen keine Mittel, welche die
Leberschmarotzer ohne Schaden für das Wohn-
thier tödten könnten. Mit ihrer Auswanderung
ist die Möglichkeit der Wiedergenesung ge-
382
DISTORSION. — DIURETICA.
geben, die Therapie kann sich nur auf die
möglichste Beseitigung der Folgezustände be¬
schränken. Die Verdauung und die Kräfte
sind durch Verabreichung von bitteren und
erregenden Mitteln (Eisenpräparate, Calmus,
Enzian, China, Absynth, Ingwer, Pfeffer, Wall¬
nussblätter, Angelica, Alant) und von Körner¬
und Hülsenfrtichten, überhaupt von einer
proteinreichen Nahrung zu heben. Gegen
hydropische Complicationen sind Adstringen-
tien und Diuretica in Gebrauch zu ziehen,
wie Kali carbon., kleine Gaben von Salz,
ol. Terebinth., bacc. Juniperi etc. Bruckm.
(Wiener Vierteljahrsschr. 1865) empfiehlt das
Benzin, Perroncito, eine Mischung von Salz
(97% Th.), Kohlenpulver und Eisenoxyd
(ä % Th.) und Enzianpulver (2 Th.). Gras-
sirt die Krankheit stark in einer Heerde, so
schützt man sich am besten durch frühzeitiges
Abschlachten der kränkelnden Thiere Yor
rösseren Verlusten. Bei der Unheilbarkeit
es Leidens hat *die Prophylaxis eine um
so grössere Bedeutung; man meide das Be-
weiden feuchter Plätze gänzlich oder minde¬
stens von Ende Juni ab, in welcher Zeit er-
fahrungsmässig die feuchten Weiden den
Schafen am verderblichsten werden; erst an¬
haltende starke Nachtfröste tödten die
Schnecken mit ihren Schmarotzern. Vortheil-
haft ist es, die feuchten Weiden trockenzu¬
legen. Anacker.
Distorsion. Verstauchung. Unter Distor¬
sion verstehen wir eine unvollkommene und
vorübergehende Abweichung zweier Gelenks¬
enden von einander. Hiebei werden die Ge¬
lenksbänder und selbst die Kapsel entweder
nur im hohen Grade gedehnt, oder wirklich
eingerissen, ja in einzelnen Fällen wird an
der Ansatzstelle der Bänder ein Stückchen
des Knochens herausgerissen. Gewöhnlich
findet in Folge dieser Verletzungen auch ein
Blutaustritt, theils in die Gelenkshöhle, theils
in das umliegende Gewebe statt Ver¬
stauchungen kommen an Chamiergelenken
häufiger vor, im Gegensätze zu den Luxa¬
tionen, den Verrenkungen, welche wieder an
freien Gelenken viel öfter beobachtet werden.
Sie werden um so leichter zu Stande
kommen können, je schlaffer die Bänder des
Gelenkes sind, daher auch die häufigen Reci-
diven, weil ja schon durch die erste Verstau¬
chung die Bänder zum mindesten überdehnt
sind und daher ihre normale Elasticität und
Festigkeit in der Regel nicht mehr besitzen.
Die nächsten Ursachen der Distorsion liegen
meist in Fehltritten, jähen Wendungen und
Pariren etc. Disponirend können fehlerhafte
Stellungen der Extremitäten, schlechtes Be¬
schneiden der Hufe, fehlerhafter Beschlag
u. s. w. wirken; letzteres gilt namentlich in
Rücksicht der so häufigen Verstauchung des
Fesselgelenkes.
Unmittelbar nach der Distorsion gehen
die Thiere oft in hohem Grade lahm, doch
gibt sich dies manchmal schon nach weni¬
gen Schritten, vorausgesetzt, dass keine be¬
sonders starken Läsionen stattgefunden haben.
Nach einiger Zeit der Ruhe tritt die Lahm¬
heit jedoch oft wieder ziemlich heftig auf;
dann findet man auch in den der Unter¬
suchung allseitig zugänglichen Gelenken die
Folgen, nämlich eine das Gelenk umfassende,
etwas wärmere und schmerzhafte Geschwulst,
bedingt durch das ausgetretene Blut und
manchmal, obwohl selten, durch eine seröse
Gelenksentzündung, Schmerzhaftigkeit der Be¬
wegungen im Gelenke, sowohl der activen
wie der passiven, welch letztere manchmal
in Folge der Geschwulst im geringeren Grade,
meist jedoch in ausgiebiger Weise und selbst
in einer für das betreffende Gelenk abnormen
Richtung möglich sind. Etwaige losgerissene
Knochensttickchen könnten, weil dann manch¬
mal Crepitation wahrzunehmen ist, zur Diagnose
Knochenbruch und somit zu einer wesentlich
anderen, ungünstigeren Prognose führen.
Leichtgradige Verstauchungen können
insbesondere an Gelenken, welche der Be¬
handlung leicht zugänglich sind, unter einer
zweckmässigen Obsorge vollständig heilen. Da
jedoch die Grundbedingungen für eine exacte
Heilung meist nicht eingehalten werden, blei¬
ben hier auch in der Regel gewisse Folge¬
zustände zurück, wie dies bei gröberen Ver¬
letzungen und oftmals sich wiederholenden
Distorsion stets der Fall ist. So sehen wir in
erster Linie eine grosse Lockerheit im Ge¬
lenke auftreten, manchmal dagegen wieder
in Folge der Periarthritis Ausbildung einer
sog. Schale und dadurch Ankylose des Ge¬
lenkes, weiters treten Gelenksentzündungen,
Beinhautentzündungen, Knochenneubildungen
etc. auf. Die Behandlung hat in erster Linie
dafür Sorge zu tragen, dass die Läsionen des
bändrigen Apparates zur Heilung gelangen,
weiters dass Extravasate und das eventuell
später in Folge einer Entzündung auftretende
Exsudat fortgeschafft werden. Wir werden
daher die grösste Ruhe des Gelenkes an¬
ordnen, dasselbe, wenn möglich, durch Binden
oder Verbände so viel als thunlich immo-
bilisiren und ausserdem durch Frottiren und
insbesondere durch Massiren für eine raschere
Aufsaugung Sorge tragen. Hiezu kann man
gleichzeitig leicht reizende Mittel gebrauchen,
sowie die feuchte Wärme mit den Bandagi-
rungen verbinden. Gegen allenfallsige zurück-
bleibende Verbildungen um das Gelenk herum
ist die jeweilig entsprechende Behandlung
einzuleiten. Bayer.
Dittmarscher Schaf, s. Marschschaf.
Dittweiler W. studirte Thierheilkunde in
Karlsruhe und war nachher Professor dort-
selbst; schrieb 1846 eine Botanik für Thier¬
ärzte, 1850 eine Anleitung zur thierärztlichen
Krankenuntersuchung und Behandlung. Sr.
Diuretica, harntreibende Mittel. Die Aus¬
scheidung durch die Nieren kann durch ge¬
wisse Arzneimittel gesteigert werden, u. zw.
auf verschiedene Weise, denn cs erfahren da¬
bei nicht blos das Wasser und die darin ent¬
haltenen Salze des Harns eine stärkere Excre-
tion, sondern auch jene Stoffe, welche als das
Endproduct der regressiven Stoffmetamorphose
zu betrachten sind: in welcher Art dies je¬
doch geschieht, bedarf zum Theil noch näherer
DIVERGENZ. — DOBRÜCA-VIEHZUCHT.
383
Aufklärung. Man hat zweierlei diuretische
Mittel, kühlende und scharfe Stoffe. Zu den
ersteren gehören zunächst die Salze, und
f laubt man, dass besonders in der grossen
'iltrations^eschwindigkeit das Moment ge¬
legen sei, m dem die harntreibende Wirkung
beruhe; hieher zählen die kohlensauren,
salpetersauren, schwefelsauren und essigsauren
Natrium- und Kaliumsalze, insbesondere die
letzteren, bei denen auch die Wirkung auf
das Herz und den Blutdruck in Betracht
kommt, denn darüber kann jetzt keine Frage
mehr sein, dass in jeder Drucksteigerung
innerhalb der arteriellen Sphäre auch eine
Vennehrung der Diurese gelegen ist; auch
hat Voit für das Chlornatrium nachgewiesen,
dass es nicht blos eine stärkere Saftströmung
veranlasst, sondern auch zu seiner Ausschei¬
dung eine grössere Menge Wasser braucht.
Anders verhält es sich mit den stärkeren er¬
hitzenden Diureticis, den ätherisch-öligen
Stoffen, welche zwar ebenfalls stärkere Con-
tractioncn des Herzmuskels auslösen können,
aber offenbar auch einen directen Reiz in
den Nieren erzeugen (Nephritica). Hieher ge¬
hören z. B. die Wachholderbeeren, Fichten¬
sprossen, Hopfen, Petersilie, Sabina, das Ter¬
pentinöl; ausserdem sind scharfe Diuretica:
Digitalis, Meerzwiebel, Colchicum, Kanthari-
den u. s. w. Der Hauptnutzen besteht zu¬
nächst darin, dass dem Blute viel Wasser
entzogen, dadurch eine vermehrte Aufsaugung
flüssiger Stoffe im ganzen Körper erzielt wird,
wodurch seröse Exsudate, hydropische Er¬
güsse u. dgl. zum Verschwinden kommen
können; vielleicht ist es auch möglich, dass
die verminderte Harnausscheidung dadurch
beseitigt wird, dass gerinnbare Substanzen,
welche die Harncanälchen zu verstopfen ge¬
eignet sind, zur Lösung und Ausscheidung
gelangen. Vogel.
Divergenz (abgel.- V. dis, und vergere,
ähnlich wie in divergium, die Flusscheide),
die Abspaltung einer Stammform in zwei
oder mehrere Abzweigungen. Dieselbe erfolgt
1. durch Annahme verschiedener Lebensweise
(biologische Divergenz); 2. unter gleichzeitiger
Aufsuchung eines anderen Lebensortes oder
Mediums (vom Land ins Wasser), einer
anderen Nahrung etc. (Divergenz mit „geo¬
graphischer Sonderung“, biologische Migra¬
tion.) Die Divergenz führt zur „Spaltung
einer Thierform in zwei oder mehrere biolo¬
gisch -vicaTiirende Formen“. Sussdorf.
Divergenz der Charaktere nennt Dar¬
win das Auseinandergehen der Individuen und
Gruppen in ihren anatomischen und morpho¬
logischen Eigenschaften. Aus der Geologie
lernen wir, dass die Erde, namentlich die
Erdoberfläche, worauf es hier hauptsächlich
ankommt, in einer wenn auch sehr allmäligen,
doch steten Wandlung begriffen ist, dass die
jedesmalige Constitution der Erdoberfläche —
als Resultate dieser Wandlung — nicht überall
auf allen Punkten derselben eine gleiche,
sondern nach den local wirkenden Ursachen
auch eine local verschiedene sei. Je nach
dieser local verschiedenen Abänderung werden
auch die Lebensbedingungen verschiedene,
welche sie dabei der auf ihr lebenden Thier¬
welt entgegen trägt, und hiedurch hervor¬
gerufen werden auch die Abänderungen,
welche dadurch eben die Thierwelt erfährt,
hier andere wie dort sein, die Thiere werden
mit einem Worte in einer für ihren Verbrei¬
tungsbezirk passenden Weise allmälig mehr
oder weniger verschieden abgeändert. Diese
Abänderungen ihrer bis dahin besessenen
Eigenschaften treten selbstverständlich zu¬
nächst bei einzelnen Individuen und nur erst
nach Generationen dann deutlich erkennbar
auf, wenn schon eine Häufung derselben
stattgefunden hat. Diese Häufung wird durch
die geschlechtliche Vermischung gleichmässig
abgeänderter Thiere in ihrer Nachzucht be¬
wirkt. Je mehr geographisch — durch breite
Ströme, durch schroffe Gebirge u. s. w. —
getrennt schon vorher eine Thiergruppe ihren
Verbreitungsbezirk begrenzt fand, desto rascher
und vollkommener werden- sich diese nütz¬
lichen Abänderungen zur Geltung bringen.
Diejenigen Individuen, welche am raschesten
günstig abgeändert werden, werden die lebens¬
fähigeren sein, die nicht so begünstigten bei
dem Kampfe ums Dasein und somit die mög¬
lichen Zwischenformen untergehen; sich zu¬
nächst local abgegrenzte Varietäten, oder
wie es in der Züchtersprache heisst, Rassen
bilden, diese dann eben durch die fort¬
schreitende Divergenz der Charaktere
sich zunächst in angehende, dann distincte
Arten umbilden, welche mit einander nur noch
einzelne Merkmale gemeinsam haben, so
dass man noch berechtigt ist, sie zu dem¬
selben „Geschlechte u zu rechnen. ßokm.
Divertikel, sack- oder taschenförmige Aus¬
stülpungen der Wandungen oder einzelner
Wandschichten an Canälen und Hohlorganen,
kommen am häufigsten am Schlund, Magen,
Darm und Harnblase vor und sind entweder
angeboren oder erworben. Die Ursachen der
nach der Geburt entstandenen Divertikel sind
Verengerungen, Stenosen im Schlund oder
Darm, vor welchen durch Stauungen der
Futterstoffe Erweiterungen erfolgen, ferner
Einlagerungen fremder Körper und Neubil¬
dungen (Steine im Darm und der Blase). Ber¬
stungen der Muscularis und passive Aus¬
stülpungen der Mucosa und Serosa durch ein¬
dringenden Inhalt (am Muskelmagen der Vögel
häufig). Durch Zersetzung des in den Diver¬
tikeln eingelagerten Inhaltes kommt es zu
Entzündungen in denselben mit Geschwür¬
bildungen und Perforationen, die zu Schlund¬
fisteln (am Halse), Peritoniten und Pleuriten
führen. Die Schlunddivertikel am Halstheil
können operativ beseitigt werden. Scmmer.
Dobruöa-Viehzucht. Die Dobruca, früher
zu Bulgarien gehörig, seit dem letzten russisch -
türkischen Kriege mit dem Königreich Ru¬
mänien vereinigt, besitzt einen stark undulirten
Boden, und es wechseln daselbst Buckel,
Gräben, Rücken, Mulden fortwährend mit
einander ab: aber trotzdem darf man jene
Landschaft als Steppe in demselben Sinne
bezeichnen wie die bessarabischen oder nord-
384
DOCKE. — DOLMEN.
politischen Gebiete. Oft sieht man meilenweit
keinen Baum, und Quellbrunnen gehören zu
den grössten Seltenheiten. Kanitz meint, dass
die Bewohner dieser trockenen Gebiete sicher
sehr glücklich sein würden, wenn die reichen
Wasserflächen wirklich existirten, mit welchen
unsere Kartographen sie so freigiebig be¬
schenkten. Es ist nicht zu bezweifeln, dass
dort einstmals viele Bäche hinab zum Ister
und Meere, flössen; ihre leicht erkennbaren,
tief eingeschnittenen Bette sollen aber heute
nahezu vollständig trocken liegen. In manchen
derselben netzt beim Durchreiten kein Wasser
den Huf des Pferdes, ja es sind sogar'viele
derselben seit Jahren in reichtragende, frucht¬
bare Felder umgewandelt, wo Getreide und
Gemüse cultivirt wird. Ausser zahlreichen
Dörfern, Weilern und Windmühlen unter¬
brechen nur magere Birken- und Eichen¬
bestände nebst einigen Tumali die reizlose
Fläche. Dieser totale Wassermangel erschwert
selbstverständlich sehr die Cultur des in
besonders feuchten Jahren trefflichen Acker¬
bodens. In seinen Alluvial- und unterlagernden
Kalkschichten versickert der niederfallende
Regen ziemlich rasch, und alle Culturen müssen
Früh und Abends künstlich begossen werden.
Das Wasser wird mittelst von Pferden und
Ochsen getriebenen Paternosterwerken aus 20
bis 60 Koloß Tiefe emporgehoben. Wie viel
ein Koloß misst, erklärte unserem grossen Rei¬
senden — F. Kanitz in Wien — ein Land¬
mann, indem er seine Arme so weit als möglich
ausspannte und auf die Spitzen der Mittel¬
finger wies. Solche Quellbrunnen, deren müh¬
same Grabung stets das ganze Dorf unter¬
nimmt, stehen manchmal auf Weideplätzen,
meistens muss aber alles Gross- und Klein¬
vieh Mittags und Abends in die Ortschaften
zur Tränke getrieben werden.
Der Viehzucht wird in der Dobrußa die
grösste Sorgfalt zugewendet, denn schon zum
Betriebe der Feldarbeiten braucht dort jedes
Haus 6 Paar Ochsen. Rinder, Büffel und Pferde
von schönem Schlage, namentlich aber
grosse Schafheerden, bilden nebst zahllosen
Bienenstöcken den Reichthum seines in wahrhaft
patriarchalischen Verhältnissen lebenden Völker¬
gemenges. Die Wollproduction allein wird in
jenem Gebiete an der unteren Donau auf
4,000.000 englische Pfund geschätzt. Weitaus
der grösste Theil dieser Wolle geht nach
England, und nur ein kleiner Theil kommt zu
uns nach Oesterreich und Deutschland.
Die Dobrußa ist seit ältester Zeit das Land
gewesen, welches die Nomadenvölker mit ihren
Heerden periodisch aufgesucht haben; so lange
sie dort für ihre Thiere hinreichend Futter
fanden, haben sie es nicht verlassen. Vor der
letzten Tataren- und Tscherkessenansiedlung,
also vor etwa 25 Jahren, zogen noch sieben-
bürgische Mokanen von den Karpathen durch
Rumänien in die Dobruca, hauptsächlich um
für ihre Schafe und Rinder während der
Winterszeit gute Nahrung zu finden.
Bis zum Jahre 1840 zahlten die Sieben¬
bürger für die Erlaubniss des Weiderechts an
den Pascha von Tulca 4 Para per Kopf ihrer |
Heerden und überdies noch jedes 50ßte Stück
derselben. Der Verlust dieser Dobrußaweiden
wurde im März 1865 von einem siebenbürgi-
schen Abgeordneten im österreichischen Reichs-
rathe lebhaft beklagt. Freytag.
Docke, Benennung für ein Mutterschwein.
Dodekadaktylon (v. 8u»o*xa, zwölf, und
6 ddxtoXos, Finger) = Duodenum. Sussdorf.
Doebel, s. Dickkopf.
Doeveren W. van, Professor zu Groningen
und Leyden, schrieb 1769 über die damals in
Holland herrschende Rinderpest. Semmer.
Doggen. Molossi. Unter diesem Sammel¬
namen begreift man im Allgemeinen grosse
Hunde mit stark entwickeltem breitem Kopfe,
mit abgestumpfter, hoher Schnauze, grossen,
meist überhängenden Lefzen, zuweilen gespal¬
tener oder mit einer Längsfurche versehener
Nase, halbhängenden Ohren, sehr kräftigem
Körper, breiter Brust, muskulösen Extremi¬
täten und meist glatter, grober Behaarung.
Durchschnittlich sind die Doggen entsprechend
ihrer Stärke muthig, energisch, doch häufig
bösartig. Zu der Gruppe der Doggen rechnet
man die Formen der Bullenbeisser, Bulldoggen
und ihre nächsten Verwandten, die spanischen
und Cubadoggen, die englischen Doggen oder
Mastiffs, Bordeauxdoggen u. a. Etwas ab¬
weichende Formen bilden die Thibetdoggen,
die sich durch die längere Behaarung aus¬
zeichnen, und die Zwergform der Doggen,
der Mops. Nach den Windhunden kommen, die
als deutsche oder dänische Doggen und als
dalmatinische Doggen bezeichneten Hunde,
bei denen die eigentlichen Doggencharaktero
mehr oder weniger verwischt sind.
Dogge von Bordeaux. Diese Dogge
steht der Bulldogge am nächsten, nur ist sie
bedeutend grösser und hat den Unterkiefer
nicht oder doch kaum merklich vorstehend.
Die Behaarung ist glatt anliegend, etwas
grob, die Farbe weiss oder weiss und schwarz
oder röthlichgelb. Bis jetzt nur in Frankreich
verbreitet Studer.
Doguin, s. Mops.
Dolerit (SoXep&s, trügerisch), ein krystal-
linisch körniges Gestein, welches im Basalte
von Hessen vorkommt; es besteht aus einem Ge¬
menge von Augit und glasigem Labrador mit
schlackigem Magneteisen und zeigt im Aeus-
seren grosse Aehnlichkeit mit dem Diorit, mit
dem es leicht verwechselt werden kann, daher
der Name. Loebisch .
Dolmen. Man versteht unter diesem
Namen eigentümliche, mitunter grossartige
Steinbauten, welche der prähistorischen
Zeit angehören und Begräbnisstätten dar¬
stellen, die durch ein Steindenkmal gekenn¬
zeichnet wurden. Sie bestehen aus einer oder
mehreren, oft riesigen, roh behauenen Stein¬
platten, welche durch mitunter hohe Fels¬
blöcke in horizontaler Lage erhalten werden.
Die Dolmen liegen entweder offen zu Tage
oder sie sind von einem aufgeworfenen Erd¬
hügel (Tumulus) bedeckt. Derartige Stein-
denkmale aus der prähistorischen Zeit
wurden fast in ganz Europa sowie in Nord¬
afrika entdeckt. Bonstetten glaubt, dass es
DOLOMIT. — DOLORES.
385
Begräbnisstätten eines- und desselben Volkes
seien, welches, von der Malabarküste seinen
Ursprung nehmend, den Kaukasus überschritt
und sich von der Krim aus sowohl in Europa
als auch in Nordafrika ausbreitete. Diesen
Volkszug verfolgt er, an der Hand der
Dolmenfunde, vom Baltischen Meere längs
der Westküste Europas bis nach Algier. Die
Dolmen schliessen in ihren Gräbern ausser
den Knochenresten ihrer Erbauer, deren
Werkzeuge und Waffen sowie zahlreiche
Thierreste ein. Die Errichtung der Dolmen
reicht in die Steinzeit, nur in wenigen wurden
Metallreste, wie Gegenstände aus Gold und
Bronze entdeckt. Unter den Thierresten finden
sich nebst Knochen des Wildes auch jene
unserer jetzigen Haussäugethiere, so des
Pferdes, Rindes, Schafes, Hundes, und man
glaubt aus dem Charakter dieser Funde so¬
wie aus der Anhäufung der Begräbnisstätten
an den Meeresküsten und längs der grossen
Wasserläufe schliessen zu können, dass die
Erbauer der Dolmen ein Hirtenvolk waren,
welches nebst der Jagd und dem Fischfang
sich hauptsächlich von den Producten seiner
Heerden ernährte und demnach in der Lebens¬
weise den nomadisirenden Scythen und
Hebräern glich.
Literatur: A. de Ponstetten, Essai snr les dolmens.
Genöve, 1866. Koudclkm.
Dolomit. Eine Felsart, welche zuerst von
dem Mineralogen Dolomieu hervorgehoben
wurde, der darunter weisse Gebirgsarten von
feinem, sandartigem Korn, in denen Streifen
grünen Talks verlaufen, verstand. Ira Allge¬
meinen bezeichnet man als Dolomite jene Ge¬
steinsart, welche aus Dolomitspath — d. h. aus
Calcium- und Magnesiumcarbonat, in verschie¬
denen Verhältnissen gemengt — besteht. Die
Dolomite sind wegen der leichteren Löslich¬
keit des Calciumcarbonates gegenüber dem
Magnesiumcarbonat häufig von Höhlen durch¬
zogen, indem das erstere vom Wasser aus¬
gelaugt wird; aus gleichem Grunde bilden
die Dolomitfelsen malerische Gebirgsformen,
gleichsam Erosionspräparate. Berühmte Dolo¬
mite sind im Fassathal in Südtirol, ferner im
Dolomitpass von Pancorbo in Spanien, der
aus dem Ebro- in das Duerogebiet führt. LA.
Dolores, Wehen, Geburtswehen. Der Uterus
mit seinen Längs- und Kreismuskelfasem
bildet bei unseren Haussäugethieren ein sehr
stark contractiles Organ, und es bilden, dessen
wurmförmige, periodische Contractionen die
vorzüglichste Kraft, die Frucht auszutreiben.
Da diese Contractionen für das Mutterthier
immer schmerzhaft sind, so werden sie kurz¬
weg Wehen genannt. Die Geburtswehen be¬
ginnen mit einer Contraction der Muskulatur
der breiten Beckenbänder, wodurch der Frucht-
hälter etwas gehoben und zugleich etwas
gegen das Becken gezogen wird. Es contra-
hiren sich sodann, am Grunde des Uterus-
hornes beginnend, zuerst die Längs- und so¬
dann die Kreismuskelfasern zum Zwecke, das
Junge gegen den Gebärmutterhals hinzudrängen
und dadurch dessen Eröffnung einzuleiten. In
gewissen Fällen, wo die Austreibung des
Koch. Eneyklopadio d. Thierheilkd. IT. Bd.
Jungen sehr stark erschwert ist, kann eine
gleichzeitige, allgemeine Zusammenziehung der
gesammten Fruchthältermuskulatur stattfinden:
allgemeiner Krampf.
Die Wehen werden gemeiniglich in Er-
öffnungs-, in austreibende oder Geburts¬
und in Nachgeburtswehen unterschieden.
Die eigentlichen Geburtswehen zeichnen sich
durch ihre Periodicität aus. Die anfänglichen
oder Eröffnungswehen sind noch schwach,
haben lange Pausen und führen unter allmä-
liger Steigerung die Eröflhungswehen des
Gebärmutterhalses herbei, erreichen als eigent¬
liche Geburts- oder austreibende, sich immer
rascher wiederholende Wehen den höchsten
Punkt und sind mit heftigem Mitdrängen ver¬
bunden. Während ihres Höhepunktes erreichen
die Wehen eine bedeutende Kraft—nament¬
lich dann, wenn in Folge von mechanischen
Missverhältnissen der Frucht dieselbe nicht
geboren werden kann. — An die Austreibe-
wehen schliessen sich fast immer peristaltische
Contractionen der Scheide an. Bei starker
Ausdehnung des Uterus, wie dies bei Wasser¬
kälbern, Eihautwassersucht und in der Regel
auch bei Zwillingsgeburten (Kuh und Pferd)
der Fall ist, sind die Wehen wesentlich
schwächer als unter normalen Verhältnissen.
Nach der Ausstossung der Frucht hören die
Wehen für einige Zeit, die bei den verschie¬
denen Thieren verschieden lang ist, gänzlich
auf. Nach Ablauf dieses Zeitraumes stellen
sich zum Zwecke der Ausstossung der noch
im Uterus befindlichen Fruchthüllen (Nach¬
geburt) aufs Neue mehr oder minder starke
Wehen ein, die, sobald die Ausstossung statt¬
gefunden, wieder aufhören. Bios bei heftiger
Reizung und entzündlichen Zuständen des
Uterus, sowie bei stattgefundener Einstülpung
des Endes des Uterushornes in dieses bestehen
auch nach der Ausstossung der Nachgeburt
noch während längerer Zeit, d. h. bis diese
Zustände gehoben sind, schwache, im letzteren
Falle selbst starke Nachwehen fort.
Die Wehen verhalten sich bei den multi-
paren Thieren im Wesentlichen wie bei den
uniparen. Auch bei jenen beginnt die eigent¬
liche Geburtswehe am Gebärmutterhals, von
wo aus sie als antiperistaltische Wehe über
die hinterste Ampulle hinweg bis zu deren
vorderer Grenze geht, worauf sich die ganze
Ampulle zusammenzieht und in Folge der
nun eintretenden peristaltischen Bewegung
die hinterste Frucht gegen die Geburtswege
hingedrängt wird.
Neben den normalen Wehen constatirt
man mitunter, namentlich bei Kühen, seltener
bei Stuten, sog. falsche oder besser zu
frühzeitige Wehen. Diese Wehen stellen
sich t —8 Tage vor der Geburt ein, erlangen
aber, wenn die Thiere ruhig gelassen werden,
nur höchst selten einen höheren Grad. Bei
Kühen beobachtet man selbst nach der voll¬
endeten halben Trächtigkeitsdauer leichtere,
bald vorübergehende Wehen.
Symptome. Die Thiere werden unruhig
trippeln hin und her, bewegen lebhaft den
Schweif, setzen öfters Mist und Harn ab,
55
386
DOMBESPFERD. — DOMESTICATION.
scharren mit den Füssen, sehen sich nach
dem Bauche um, legen eich nieder, kurz be¬
nehmen sich, als litten sie an Kolik. Diese
Erscheinungen gehen das eine Mai rasch vor¬
über, dauern das andere Mal länger, einige
Stunden an und steigern sich selbst derart,
dass man glauben sollte, das Thier könne
irgend eines Hindernisses wegen nicht gebären.
Eine genauere Untersuchung gibt jedoch über
den vorliegenden Zustand bald sicheren Auf¬
schluss. Die in die Scheide eingeführte Hand
findet den Muttermund geschlossen, derb,
etwas in die Scheide vorstehend und mit
dicklichem Schleim verklebt oder bedeckt.
Das Euter ist noch schlaff die Milch fehlt
noch. Die breiten Beckenbänder sind
nach nicht eingesunken. Dieser Zustand wird
häufig von 4 Unkundigen für Krampf der Gebär¬
mutter, ja*selbst als Verwachsung derselben
gehalten. Die Ursachen der zu frühzeitigen
Wehen sind noch nicht bekannt, immerhin muss
Alles als Ursache angesehen werden, was eine
krankhafte Reizung auf den Uterus ausübt
und dadurch diesen zu Contractionen veran¬
lasst.
Behandlung. Die Behandlung ist die
rein zuwartende; man lasse das Thier mög¬
lichst ruhig, vermeide daher alles Zugreifen,
sehe ebenso von allen Einspritzungen in die
Scheide, sowie vom Einreiben des Mutter¬
mundes mit Fett oder sonst irgend einem
Stoffe ab. Eine innerliche Behandlung ist
überflüssig. Das Thier beruhigt sich bald
wieder und nach Verlauf von t —4, längstens
10 Tagen stellen sich die ersten Wehen ein. St.
Dombea-Pferd. Man legt diesen Namen
der Franche-Comtö-Rasse im Departement de
PAin bei. Diese Gruppe hat ausser ihrem Namen
wenig Eigentümliches aufzuweisen (s. Hoch¬
burgunder Pferd). Neumann.
Dombe8-Rind. Dieser Name wird einer
Varietät der Bressanerasse gegeben, welche in
densumpfigen Landstrichen des Departements
Ain, die den Namen Dombes führen, aufge¬
zogen wird. Ihre Körperbildung entspricht
ihrer dürftigen Lebensweise. Der Körper ist
klein, der Unterleib dick, die Brust eng,
Hüften und Kruppe dünn, der Hals lang,
schmal, der Kopf ebenfalls schmal und lang, das
Haarkleid zumeist strohgelb. Die Tliiere dieser
Rasse sind verhältnissmässig milchergiebig.
Im Uebrigen hat sie durch mannigfache Kreu¬
zungen mit benachbarten Rassen, z. B. jenen
von Charolais, der Schweiz und Franche-
Comte, viel von ihrer Ursprünglichkeit einge-
gebüsst. Neumann.
Domeatioation nennt man die Ueber-
führung wild lebender Thiere in den Haus¬
stand des Menschen. Verschiedene Autoren
nennen domesticirte Thiere diejenigen, welche
zwar in unsere Wirtschaften und Thiergärten
Übergegangen sind, aber sich in denselben
nicht oder nur ganz vereinzelt fortpflanzen,
z. B. die Elephanten. Die Engländer verstehen
unter domesticirten Thieren alle Haustiere,
gleichgiltig, ob sie sich in der Gefangen¬
schaft fortpflanzen oder Neigung zur Begat¬
tung gar nicht zeigen. Bei verschiedenen
domesticirten Thieren bemerkt man in der
Gefangenschaft eine Beeinträchtigung ihrer
sonstigen Fruchtarkeit, und diese haben als
Haustiere in der Regel nur geringen Werth.
K. Hartmann zählt als domesticirte Thiere
— ausser Elephant, Tapir, Paca, Aguti — fol¬
gende auf: Ichneumon (Herpetes, Pharamis),
Marder (Mettela subpalmata), Gepard (Cynae-
lerus jubatus), Chinchillas (Eriomys), Igel
(Masteta agilis), Pinselohrschwein (Potomo-
choerus penicillatus), Steppenhund (Canis
pictus), endlich die Moschusente (Anae mo-
Bch a ta ). Freytag.
Die Domestication ist eine sowohl für
den Anthropologen als auch für den Thierarzt
äusserst interessante, weil mit der Abstammung
und Zähmung unserer Haustiere sich beschäfti¬
gende Frage. Schon früher beschäftigten sich
mit ihrer Lösung Gelehrte und Laien und
suchten zu ergründen, ivann und wo sich der
Mensch mit diesen für seinen Unterhalt auf die
Dauer unentbehrlichen Gefährten umgeben.
Besonders in alten Zeiten bezeichnete man
unsere Haustiere als werthvolle Geschenke
der Götter, wie dies namentlich in der Mytho¬
logie der alten Griechen und Römer ausge¬
sprochen ist. Neuere Theologen und thcologi-
sirende Naturforscher haben sie wenigstens
als prädestinirte Ausstattung des Menschen¬
geschlechtes gedeutet. — Man ist allmälig
zur Einsicht gekommen, dass nur einzig der
Besitz der Haustiere den Menschen eine
so hohe Stufenleiter der Cultur emporklimmen
liess. Naturvölker, welche weit hinter un¬
serer Zeit zurückblieben, besitzen nur wenige
oder fast gar keine Haustiere. Der Ursprung
der Domestication unserer Haustiere ist
ziemlich dunkel, und erst die urgeschicht-
lichen Forschungen der Neuzeit haben er¬
geben, dass der Mensch schon auf der nieder¬
sten Stufe der Gesittung begann, Thiere
einzufangen und zu zähmen; dieser Vorgang
gehört demnach gänzlich der Prähistorie
an. Entsprechende Untersuchungen haben
erwiesen, dass zumindest unsere grossen
Haussäugethiere keineswegs einzeln abgefan¬
gen und durch Aufzucht in den Ansiedlungen
des vorgeschichtlichen Menschen zu Haus¬
tieren wurden. Es kann in den Uranfängen
von einer Domestication im eigentlichen Sinne
des Wortes keine Rede sein, da der Mensch
damals, als er sich mit Nutzthieren zu ver¬
sehen begann, noch kein Haus nach unseren
Begriffen besass. Als wandernder Jäger, wie
wir ihn zur Diluvialzeit und noch später in
Europa antreffen, nährte er sich ausser von
vegetabilischer Kost, welche ihm die Natur
in ihrem wilden Zustande bot, von der Beute
seiner Waffe und seiner Jagdlist. Er jagte
das Mammut, das wilde Pferd, Renn, den
Ur.etc. Boten ihm die beherrschten Jagd-
gründe nicht mehr genügendes Material, so
zog er weiter und fristete auf diese Weise
ein ziemlich kümmerliches Dasein. Mit der
Zeit mochten aber seine Lebensbedingungen
immer härter geworden sein, und er musste
sich auf einen Vorrat in der Noth umsehen.
Mit wachsamen Augen verfolgte er Heerden
DOMINIK-HUHN. —
der Pflanzenfresser und nahm vorsorglich
Bedacht auf ihre Erhaltung bei der Stillung
seiner wichtigsten Lebensbedürfnisse. Die
wilden Thiere mussten sich nothgedrungen
dieser Ueberwachung fügen, die dem Menschen
sein erster Begleiter, der Hund, erleichterte.
Halb und halb gewöhnten sie sich an ihre
Freiheitsbeschränkung, und es entstanden die
halbwilden Heerden von Pferden, Rennthieren
und Rindern, aus denen der Mensch seine
Opfer wählte. Reste dieser letzteren finden
wir in Hülle und Fülle in den zahlreichen
Höhlenstationen Europas, so in Frankreich,
Belgien, Deutschland, England, Oesterreich,
Russland etc. Wir finden hier den Faden
eines Ueberganges vom Jagd- zum Hirtenvolk.
Eret nach und nach wurde das Domestications-
verhältniss ein engeres und bildeten sich
unter dem Einflüsse der Züchtang unsere
jetzigen Hausthiere aus der Classe der Pflan¬
zenfresser aus. Von ungeheurem Einflüsse
musste die Stallfütterung sein. Obzwar von
Vielen bestritten wird, dass die Zähmung in
Europa geschah, da die meisten Gelehrten
bezüglich unserer Hausthiere dieselbe nach
Asien verlegen, so widersprechen dem nicht
ohne Grund Andere, indem sie eine theilweise
Domestication auch in Europa behaupten.
Eingehende Forschungen müssen hierüber die
nöthige Aufklärung verschaffen. Einzelne
Hausthiere wurden von Fachgelehrten zu
einem Specialstudium erwählt und in ihrer
Entwicklung bis in die geologischen Perioden
verfolgt. Dass wichtige und äusserst interes¬
sante Resultate erzielt wurden, liegt auf der
Hand. Das Meiste in dieser Beziehung wissen wir
vom Hund, und es. waren vorzüglich Jeitteles,
Woldrich, Stader, Stobel u. A. m., welche die
Lösung dieser „Hundefrage“ energisch in
Angriff nahmen. Mit der Abstammung und
Domestication des Rindes beschäftigten sich
hauptsächlich Owen, Nilsson, Rütimeyer,
Wilckens u. A. m., mit jener des Pferdes
Sanson, Nehring, Woldrich etc.
Literatur: Archiv ftlr Anthropologie, I. Band.
Rütimeyer, Ueber Art und Basse des zahmen euro¬
päischen Rindes, III. Bd. Darwin, Animais and plante
nnder Domestication. Referat von Rütimeyer, VIII. Bd.
Naumann, Fauna der Pfahlbauten im Starnberger See,
X. Bd. Frantzius, die Urheimat des europäischen
Hausrindes, XII. Bd. Studer, Beiträge zur Kenntniss
der Hunderassen in Pfahlbauten, XV. Bd. II tesehio del
porco delle Mariere, Strobel etc. Ferner Rütiraeyer’s
Untersuchungen der Thierreste aus den Pfahlbauten der
Schweiz (Mittheilg. der antiquarischen Gesellschaft in
Zürich, XIII.). Dr. Räuber, Urgeschichte des Menschen,
1. Thl. Realien, Leipzig 1884, sub „Hausthiere“. Koudelka.
Dominik-Huhn. Eine in Nordamerika
gezüchtete Rasse, die nach Baldamus aus
Kreuzungen von Kukuks-Dorkings oder schot¬
tischen Grauen mit Cochins hervorgegangen
und mit der Zeit befestigt sein soU. Die
Figur der Dominiks (Dominiques) ist ähnlich
der hochaufgerichteten Figur des spanischen
Huhnes, aber der Kopf der ersteren ist etwas
kleiner und der Schnabel kürzer. Der Kamm
hat die Form des Rosenkammes, wie bei den
Dorkings und Hamburgern. Kehl- und Ohr¬
lappen sind roth, Schnabel und Füsse gelb,
Augen roth oder gelb. Das Gefieder hat eine
bläulichgraue Grundfarbe, und die Federn
DONGOLA-PFERD. 387
sind dunkelgrau gebändert. Nach Wriglit
sind die Dominiks ausgezeichnete Leger, sehr
dauerhaft und hart, von vortrefflichem
Fleisch, schnellem Wachsthum, leichter und
schneller Federung. Wilckens.
Dongola-Pferd. Von den verschiedenen
Pferdeschlägen und Rassen Nubiens haben seit
ältester Zeit die Thiere von Alt-Dongola in be¬
sonders gutem Rufe gestanden, und noch heute
zählt man dieselben zu den besten, kräftigsten
und schnellsten Pferden des Orients. Mehrere
Hippologen sprachen die Ansicht aus, dass die
Dongola-Pferde ihren Ursprung der arabischen
Rasse zu verdanken hätten und erst später durch
Einmischung des andalusisch-spanischen Blutes
etwas umgebildet worden wären. Zur Zeit der
Kreuzzüge sollen nach jener nubischen Land¬
schaft sehr schöne, starke Hengste aus Spanien
gekommen und diese mit dem dort schon vor¬
handenen guten Stutenmaterial gepaart wor¬
den sein. Die Nachzucht, welche aus dieser
Kreuzung hervorging, sei schnell und kräftig,
zum Kriegsdienste besonders tauglich gewesen,
hätte in manchem Punkt sogar die Vollblut¬
araber übertroffen. Aus den Kriegsberichten
neuerer Zeit geht hervor, dass die Engländer
Behr gern Dongola-Pferde gekauft und ge¬
ritten haben, da sich dieselben im Dienste
fast ausnahmslos ungemein rasch, gewandt
und sicher zeigten. Im letzten Krieg der
Engländer gegen die Zulus sollen die Don¬
gola-Pferde mehrfach die besten englischen
Pferde an Schnelligkeit und Ausdauer über¬
troffen haben. Die fragliche Rasse besitzt in
der Regel einen etwas langen, schmalen und
trockenen Kopf, welcher in der Nasenlinie
häufig stark gebogen erscheint, ähnlich
wie bei den Pferden von Alt-Castilien, die
meistens einen sog. Ramskopf gehabt haben
sollen. Gewöhnlich besitzen die Dongola-
Pferde ein schönes, grosses Auge und ziem¬
lich lange, sehr bewegliche Ohren. Ihr Hals
ist lang, von mittlerer Stärke, gut aufgesetzt,
und bildet oftmals einen sog. Schwanenhals.
Der Widerrist ist hoch, breit und voll und
geht in einen hübsch geformten Rücken gut
über. Auch ihr Leib besitzt gute Formen.
Die kräftigen Schultern dieser Rasse sind
häufig etwas zu gerade, wodurch die langen
Beine dann meistens etwas zu weit nach vorne
gestellt erscheinen und ihre Brust leicht zu
schmal wird. Die Kruppe ist breit, ziemlich lang,
melonenartig geformt, etwas abgeschliffen, und
der Schweif nicht immer hübsch angesetzt;
dieser wird in der Regel nicht besonders gut
getragen. Viele dieser Pferde erscheinen etwas
hochbeinig und lang gefesselt. Zarte Haut
und feine, seidenglänzende Behaarung soll
bei der fraglichen Rasse ganz allgemein zu
finden sein. Mähnen- und Schweifhaare wer¬
den sehr lang. Die Farbe der Thiere soll in
der Regel ein schönes Kohlschwarz sein, nur
der Vorderkopf und die Beine wären häufig
weisshaarig. Ihre Grösse ist befriedigend; die
ausgewachsenen Hengste werden nicht selten
1*65—l*70m hoch: die Stuten bleiben aber
meistens viel kleiner. Der Nubier reitet mit
Vorliebe Hengste, und es soll dort das Ver-
25*
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33* DONISCHE KOSAKEN-HAUSTHIERE.
schneiden derselben nnr höchst se t te ir tw-
kommen. Fütterung, Haltung und Pflege der
Pferde in der Umgegend von Dongola wird
von den Reisenden gelobt; man reicht den
Fohlen sehr häufig Kameel- oder Kuhmilch,
um sie zu einer raschen Körperentwicklung
zu bringen. Das Körnerfutter besteht aus
Durra (einer Mohnhirse), ferner aus Gerste und
Stroh, Heu bekommen die Pferde nur ausnahms¬
weise. Das Stroh wird den Thieren im klein¬
gehackten Zustande vorgelegt. Man rühmt
ihre Genügsamkeit und behauptet, dass sie
längere Zeit den Durst ohne Nachtheil zu
ertragen vermöchten. Bisher sind nur ganz
vereinzelt Pferde dieser Rasse nach Europa
gekommen, und erst in der allerneuesten Zeit
sollen einige gute Dongola-Pferde in England
erschienen sein, die von den englischen Offi-
cieren aus Nubien mitgebracht worden sind.
Ham. Smith hat früher eine Beschreibung
dieser Rasse geliefert, nach welcher der
Werth derselben sehr hoch geschätzt werden
muss. Freytag.
Donisohe Kosaken-Hausthiere. Die Pro¬
vinz des donischen Heeres, auch wohl das
Land der donischen Kosaken genannt, um¬
fasst 2913 Quadratmeilen mit 1,010.135 Ein¬
wohnern , d. h. einschliesslich der daselbst
nomadisirenden ppr. 21.000 Kalmücken. Das
fragl. Land wird von der unteren Hälfte des
Don und Donez, aber auch von der Medwediza,
dem Choper, Tschir, der Kalitwa und dem
Sal durchflossen. Ein gutes Drittheil der
ganzen Provinz besteht aus fruchtbarem Nie¬
derungsboden, welcher besonders in den Fluss-
thälern sehr reiche Getreide- und Futterernten
liefert. Drei Fünftel des Landes bestehen aus
Wiesengründen, welche vorzügliche Gras-
und Heuernten liefern. 2 # / 4 % der Provinz wer¬
den als permanente Weiden für die Pferde,
Rinder, Schafe und Schweine benützt; 2'2%
sind Wald und an den meisten Orten recht gut
bestanden. Etwa ein Zehntel des Kosakenge¬
bietes wird von den Eingebornen jener Ge-
end als Urland bezeichnet. Die Russen nennen
as Klima dieser Provinz — trotz der meist
sehr strengen, langen Winterzeit und der
dort häufig vorkommenden Stürme — ein
mildes und angenehmes; sie behaupten,
dass der vom Czaren Peter dem Grossen am
Donez eingeführte Weinbau von grösstem
Werth für das Land geworden sei und
im Durchschnitte der letzten zehn Jahre
14.600 Eimer Wein von guter Qualität per
anno geliefert habe. In den strengsten Win¬
tern ist der Don vom November bis Mitte
März mit Eis bedeckt; doch rechnet man im
Allgemeinen auf die Dauer des dortigen Win¬
ters nur drei bis dreieinhalb Monate. Die mei¬
sten Bewohner des Kosakengebietes betreiben
die Züchtung ihrer Hausthiere mit Geschick
und ziemlich grosser Sorgfalt; sie zeigen eine
ganz besondere Vorliebe für das Pferd und
Rind, und beide Gattungen werden von ihnen
in grosser Zahl gehalten. Die Viehzucht bildet
für das ganze Land die Haupteinnahmequelle,
und die Erträge aus dem Ackerland werden
nur an einigen Orten besonders hochgeschätzt.
Ihl Gebiete des Don ist unstreitig die Vieh¬
zucht der wic h ti gs te Theil des landwirt¬
schaftlichen Betriebes, wohingegew die Be¬
zirke von Choper und Ust-Medwediza als dfe
eigentlichen Ackerbauregionen der Provinz be¬
zeichnet werden. Hier trifft man an manchen
Orten auch recht gut betriebenen Obst- und
Gartenbau. Nach Th. v. Lengefeldt’s Angaben
sind die südlichen Gouvernements des rus¬
sischen Kaiserreichs die viehreichsten, und es
steht unter denselben das Land der Kosaken
obenan; man rechnet daselbst auf 1000 Ein¬
wohner 1118 Haupt Rindvieh; dazu kommt
noch eine doppelt so grosse Zahl von Schafen
der verschiedensten Rassen und eine nicht ge¬
ringe Anzahl von Ziegen. Die Züchtung und
Haltung von Schweinen scheint dort im Ver¬
gleich zur Rindvieh- und Schafzucht weder
bedeutend noch besonders einträglich zu sein.
Das Kosakenpferd, welches nicht allein
von den dort heimischen gemeinen Kosaken
(Bauern), sondern auch von den im Lande
nomadisirenden Kalmücken gezüchtet wird,
gehört einer ziemlich primitiven Rasse an,
welche daselbst seit ältester Zeit heimisch
sein soll und nur vereinzelt — bei verschiede¬
nen Grossgrundbesitzern — eine Veredlung
erfahren hat. Diese Pferde sind von kleiner,
nicht besonders schöner Gestalt; sie besitzen
einen mittellangen, ziemlich breiten und
schweren Kopf, welcher an den leidlich feinen,
mittellangen Hals nicht gerade schön ange¬
setzt ist. Die Mähne auf dem Kamme des
Halses ist dick und ziemlich lang, wird aber
in der Regel von den Leuten nicht sehr
sauber gehalten. Der Widerrist der Thiere ist
hoch, stark nach hinten geneigt und der
Rücken gerade. Besonders kräftig sind ihre
Lenden entwickelt, wodurch die Thiere zum
Tragen grosser Gewichte befähigt werden.
In Folge des vortheilhaften Rückenbaues
können die Kosakenpferde verhältnissmässig
grosse Lasten auf langen Reisen sicher fort¬
bringen und ermüden nicht so leicht wie
manche andere Pferde des Orients. Die
massig abschüssige Kruppe jener Thiere ist
breit und ihr starker Schweif nicht zu tief
angesetzt. Die unteren Gliedmassen sind vorne
und hinten kräftig gebaut, von fester Kno¬
chensubstanz und mit starken Muskeln und
derben Sehnen auf das beste ausgestattet;
auch ihre Hufe sind von fester Hornsubstanz,
aber häufig etwas breit und nicht immer
schön geformt. Wenn das Kosakenpferd auf
den uns vorgeführten Bildern oftmals einen
traurigen, abgeschlagenen Eindruck macht, so
erklärt sich dieses gewöhnlich durch den Um¬
stand, dass der Künstler — mit oder ohne
Absicht — schlechte, elende Typen dieser
Rasse als Modell gewählt hat. Die besseren
Individuen dieses Schlages müssen von allen
sachverständigen Hippologen richtig gewürdigt
und ihre erstaunlichen Leistungen voll aner¬
kannt werden. Sobald das junge Kosakenross
rechtzeitig von geschickter Hand an den
Zügel gewöhnt und gut zugeritten wird, lässt
es sich später ziemlich leicht regieren und
zeigt bis in das hohe Alter im Dienste die
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DONISCHE KOSAKEN-HAUSTHIERE.
389
grösste Ausdauer. Dabei begnügen sich diese
Pferde mit dem bescheidensten Futter und
können selbst bei knapper Ernährung noch
verhältnissmässig viel leisten.
Zum Ziehen schwerer Lasten werden die
Kosakenpferde nur ausnahmsweise benützt;
sie leisten bekanntlich im Zuge nicht recht
Befriedigendes; ihre Brust ist zu schmal und
die Schultern sind nicht kräftig genug ent¬
wickelt. Nur die grösseren und stärkeren
Pferde der fraglichen Rasse, welche mehr als
l*5m hoch sind und jetzt in einigen Di-
stricten am Don gezüchtet werden, sollen
sich als Spannpferde für den schweren Zug
leidlich gut eignen. Die Gangarten der
Kosakenpferde sind im Allgemeinen rasch,
sie zeigen eine grosse Gewandtheit der Thiere,
und es würden die kühnen Reiter ohne diese
lobenswerthen Eigenschaften ihrer Pferde
sicher nicht das zu leisten vermögen, was
man so oft schon bei ihnen bewundert hat.
Sie springen und klettern vorzüglich gut und
stehen in diesem Punkte den Gebirgspferden
des Kaukasus kaum nach. Wenngleich die
Kosakenpferde im Rennlauf nicht ganz so
rasch wie die englischen Vollblutpferde sind,
so leisten sie doch immerhin wohl Beach-
tenswerthes bezüglich der Ausdauer; so z. B.
durchläuft ein Pferd guten Schlages eine
Wegstrecke von 6 Werst (etwa so viel
wie 6 km) in 9 Minuten, d. h. voraus¬
gesetzt, dass der Reiter ein Gewicht von
nur ppr. 4 Puds (gleich 65—66 kg) in den
Sattel bringt. Bei grösserem Gewicht lassen
ihre Leistungen im Rennlauf etwas nach. Die
Kosakenpferde sind dauerhaft; es wird be¬
hauptet, dass sie bis zum zwanzigsten Lebens¬
jahre ihren oft sehr schweren Dienst im
Regimente gut verrichten können und bei
nur einigermasBen guter Fütterung und ordent¬
licher Pflege ein hohes Alter erreichen. Be¬
züglich der Haarfarbe dieser Thiere wird
angegeben, dass die hellgefärbten Pferde be¬
vorzugt würden, dass aber alle Farben des
Deckhaares bei ihnen vorkämen. Die Rappen
sollen nicht recht beliebt sein. Im Winter
wird das Haar aller Kosakenpferde ziemlich
lang, und es erscheint bei weniger guter
Haltung und in schlechten, kalten Ställen
oftmals zottig und rauh. Die Sinne dieser
Thiere sind in der Regel gut entwickelt; sie
wittern ihre Feinde — die Wölfe und Bären
— schon aus grösserer Entfernung und wissen
sich gegen die kleineren dieser Raubthiere
meist recht gut zu vertheidigen. Nur die
schwachen, kranken Individuen sowie die
Fohlen werden eine Beute derselben. In der
neueren Zeit sind in verschiedenen Stanizen
(Kosakendörfern) mehrere grosse Gestüte
eingerichtet, in welchen sehr edle Pferde
gezogen werden. Man verwendet daselbst
englische, orientalische und Traberhengste
der Orlow’schen Rasse als Beschäler und
hat auf diese Weise eine vorzügliche Nach¬
zucht erhalten.
Die Grafen von Plotow und der General
Martinow sollen für die Veredlung des alten,
gemeinen Kosakenpferdes bedeutende Opfer
gebracht und mit grossem Geschick in ihren
Gestüten gearbeitet haben.
Rinder. Die nomadisirenden Kalmücken
und zum Theil auch die Kosaken am unteren
Don züchten eine Rindviehrasse, welche unter
dem Namen „Kalmückische“ oder „Ordüns-
kische“ verschiedene lobenswerthe Eigen¬
schaften besitzen soll und von ihren heimat¬
lichen Steppen aus ziemlich weit nach Westen
und Norden vorgedrungen ist. Die Rindvieh¬
züchtung wird am umfangreichsten in der
Gegend von Zarizyn betrieben; dort sollen
mehr als 100.000 Rinder auf den Weiden
gehalten werden. Das Kosakenrind bildet
gewissermassen ein Mittelglied zwischen der
ukrainischen Steppenrasse und dem gemeinen
altrussischen Landvieh. In der Haarfärbung
steht es dem podolischen Steppenrinde näher
als jenem letzteren. Die Thiere sind meistens
dunkelgrau oder graubraun gefärbt; nur hin
und wieder besitzen sie weisse Abzeichen
am Kopfe und an den unteren Gliedmassen.
Obgleich das Kosakenrind von kleiner, zier¬
licher Gestalt ist, so widersteht es doch der
Ungunst des Wetters ganz vorzüglich. Die
Thiere sind in der Regel muskulös und derb-
häutig; im Sommer halten sie die grösste
Hitze und im Winter arge Kälte gut aus.
An vielen Orten bleiben sie das ganze Jahr
auf der Weide und müssen sich oftmals ihr
Futter unter dem Schnee hervorkratzen. Die
kleinen, meist etwas dickköpfigen Kühe mit
einem mittellangen, ziemlich starken Gehörn
sind als Milchvieh nicht besonders zu loben;
sie liefern kaum 6001 Milch im Jahre; doch
soll diese ungemein fett und von sehr guter
Qualität sein. Man fertigt in jener Land¬
schaft die eigentümliche Schmalzbutter, der
man gewöhnlich auch etwas Hammeltalg zu¬
setzt. Ein Theil dieses donischen Meierei-
productes kommt in den Grosshandel, geht
ins Ausland, bis nach der Türkei und
Griechenland. Die Ochsen jener Rasse sind
für schwere Arbeitsleistungen ganz besonders
tauglich; sie ziehen vor den plumpen Last¬
wägen grosse Lasten willig fort und zeigen
stets eine lobenswerthe Ausdauer und Genüg¬
samkeit.
Bezüglich der Mastfähigkeit wird ange¬
führt, dass diese beim Kosakenvieh nicht
besonders gross sei; dessenungeachtet aber
kommen viele halbfette Ochsen von dort in
den Handel, auf die Märkte von Moskau und
St. Petersburg. Ihre Fleischqualität soll nicht
schlecht sein.
Schafe. Bei der letzten Viehzählung
besass die Provinz des donischen Heeres
neben vielen grobwolligen Landschafen etwa
1,700.000 Merinos; die ersteren sind überall
auf den Weiden zu finden, wohingegen die
letztgenannte Rasse hauptsächlich in dem
indu8triösen Bezirke von Mins gehalten wird.
Ihre Züchtung betreiben fast ausschliesslich
die dortigen Grossgrundbesitzer, u. zw. mit
genügender Sorgfalt. Unter den gemeinen
Landschafen der Kosaken und Kalmücken
finden sich sowohl Fettsteiss-wie Fettschwanz¬
schafe; beide sind von stattlicher Grösse und
390
DONNERSBERGER VIEH. — DORKING-HÜHN.
kommen nicht selten zu einem Gewicht von
80 kg. Alljährlich werden von dort viele
Schaf- und Lammfelle auf den Markt ge¬
bracht; manche derselben kommen auch zu
uns nach Oesterreich und Deutschland auf die
Leipziger Messe, u. zw. unter dem Namen
„Breitschwänze“; sie liefern hier das sog.
Astrachanpelzwerk, welches stets gut bezahlt
wird. Freytag.
Donnersberger Vieh. Ein im Alsenz-
thale der bayrischen Rheinpfalz einheimischer
Viehschlag, der aber über den ganzen Pfälzer
Weststrich bis östlich an das Hardtgebirge
verbreitet ist. Das Donnersberger Vieh ist
nahe verwandt mit dem Glaner und wie
dieses durch Kreuzung einer vielleicht alten
Landrasse mit Berner Rindern entstanden,
denen es in besseren Zuchten in der Körper¬
form ähnlich ist. Die Haarfarbe ist einfärbig
gelb bis gelbroth. Die als Milcherinnen nur
mittelmässigen Kühe haben ein durchschnitt¬
liches Lebendgewicht von etwa 400 kg, die
zum Zugdienst ausgezeichneten Ochsen ein
solches von etwa 600 kg; die Mastfähigkeit
dieses Schlages ist gering. Wilckens.
Donnersteine, wohl zu unterscheiden von
„Donnerkeile“ (Belemniten), sind eigentüm¬
liche Reste aus prähistorischer Zeit, welche
sich bei fast allen Völkern Europas und
Asiens bis auf den heutigen Tag erhielten.
Man versteht darunter meist Aexte, Hämmer,
Keile etc., entweder durchbohrt oder nicht
durchbohrt, welche, aus Stein verfertigt (aus
harten krystallinischen Urgesteinen, wie
Granit, Syenit, Diorit, Amphibolit, Serpentin,
Nephrit, Jadeit etc.), geschliffen und polirt,
zu prähistorischen Zeiten (der sog. neolithi-
schen Periode, oder dem Zeitalter geschlif¬
fener Steinwerkzeuge) von dem Menschen
als Waffe oder Werkzeug verwendet wurden.
Ihr wahrer Ursprung ist den jetzigen Völkern
längst schon unbekannt, und so wie alle ihnen
einen mit dem „Donner“ zusammenhängenden
Namen geben, ebenso knüpfen sie an die¬
selben die Vorstellung ihrer Bildung durch
Blitz und Donner. Auch dieselben abergläu¬
bischen und magischen Kräfte werden sowohl
vom Deutschen den „Donnersteinen“, als
auch vom Franzosen den „pierres de ton-
nerre“, von dem Italiener den „Fulmini“,
von den Südslaven ihren „strele“, von den
Czechen ihrem „hromov^ kämen“, von den
heutigen Griechen ihrer „aotpoTreXe^a“, von
dem Birmanen seinem „Mo-gio“ etc. etc.
beigelegt, und es bildet der Donnerstein kein
geringes Vorbeuge- und Heilmittel bei ver¬
schiedenen Krankheiten der Menschen und
Hausthiere. Der Kranke wird entweder an
dem afficirten Theile mit dem Steine berührt
oder bekommt etwas von dem abgeschabten
Pulver desselben innerlich. Bei den Deutschen
und Slaven verwendet das Volk die Donner¬
steine in Bezug auf Thierkrankheiten haupt¬
sächlich zur Entfernung verschiedener Ge¬
schwülste, namentlich von Warzen bei Pferden,
zur Erzielung guter und reichlicher Milch
beim Rinde, gegen die mannigfachen Milch¬
fehler desselben, wie Versiegen der Milch,
leicht gerinnende Milch, blaue oder mit
Blut gemischte Milch etc.
Literatur: Globus XIX. Bd.; W. Baer, der vor-
eschichtliche Mensch von Fr. v. Hellwald, 1880; äusser¬
em siehe: Rieh. Andrde: Die prähistorischen Stein-
gerftthe im Volksglauben (Mittheilungen der anthropolog.
Gesellschaft in Wien, XII. Bd., Wien 1882), sowie Florian
Koudelka: Die Donnersteine als Medicin bei den m&hr.
Slaven (ebendaselbst). Koudelka .
Doppelpony. Mit diesem Namen wurde in
früherer Zeit ein schwedischer Pferdeschlag
benannt, der sich durch einen kleinen, aber
gedrungenen Leibesbau und besonders kräf¬
tigen Rücken auszeichnete. Die Thiere waren
meistens semmelfarben mit Aalstreifen auf
dem Rücken und hatten dunkle Ringe an den
Vorderbeinen; sie besassen auch zuweilen
Schulterstreifen wie die Esel. Noch heute
findet man diesen Pferdeschlag an vielen Orten
in Norwegen und Schweden. Zum Tragen von
Lasten im gebirgigen Terrain werden die
Doppelponies sehr gesucht; ihre Kraft, Sicher¬
heit, Ruhe und Ausdauer im Gange hat sie be¬
sonders beliebt gemacht und ihre Zucht auch
auf andere Länder des nördlichen Europa ver
breitet. Heute nennt man „Doppelpony“ ge¬
wöhnlich alle grösseren kräftigen Pferdchen,
welche die Schulterhöho von 1*50 m nicht
überschreiten und imStande sind, einen schwe¬
ren Reiter oder eine Last von mehr als 100 kg
sicher über das Terrain zu bringen, auch zur
Jagd geeignet, überhaupt zu den verschieden¬
artigsten Diensten verwendbar sind. In einigen
englischen Grafschaften nennt man in der Regel
jedes Pferd „Pony“ oder „Doppelpony“, wel¬
ches unter l*65m misst. Die Doppelponies
sind ohne Frage äusserst nützliche Thiere,
da sie bei verhältnissmässig wenig Futter in
der Regel noch Befriedigendes zu leisten ver¬
mögen, dazu auch ein gutes Temperament
besitzen und meistens kräftige Beine und
feste Hufe haben. Die Galloway-Ponies in
Schottland erfreuten sich stets eines beson¬
ders guten Namens, weil sie bei hinreichender
Grösse sehr kräftig und sicher waren. Fg.
Doppel8&tz ist das schwefelsaure Kali,
s. Kalium sulfuricum.
Doppelschlägigkeit des Pulses, s. Dikrotie.
Dorema Ammoniacum, eine in den Step¬
pen von Iran und Turan wachsende hohe Um-
bellifere, aus deren Stengeln ein (geringe Men¬
gen ätherischen Oeles mit sich führendes)
Gummiharz exsudirt, das nach den Ph. A. und
Ph. G. unter dem Namen Ammoniacum offi-
cinell ist und auch schon unter „Ammoniacum“
besprochen worden ist. Vogel.
Dorking-Huhn. Eine nach dem Orte
Dorking in der englischen Grafschaft Surrey
benannte Hühnerrasse von schwerer, gedrun¬
gen gebauter Figur. Der Kopf ist ziemlich
gross, der Hals kurz, die Brust sehr breit
und vorstehend, der Rücken fast gerade, der
Schwanz hoch und breit und beim Hahn mit
grossen Sichelfedern besetzt. Die Läufe sind
kurz und sie besitzen je fünf Zehen. Der
Kamm ist entweder aufrechtstehend mit tief¬
gezacktem Rande, oder er hat die Form
des Rosenkammes, der, breit an der Stirn,
in einer etwas aufgerichteten Spitze endigt.
DORNFLOSSER. — DORSET-SOHAF.
391
Man unterscheidet von den Dorkings folgende
Farbenschläge: Graue mit weissen,
strohgelben, schwarzen, grauen, röthlichen
Federn, schwarzem grünglänzenden Spiegel
und dunkelgrüner Brust beim Hahn, mit
bläulichgrauen und schwarzen Federn und
lachsrother Brust bei der Henne; silber¬
graue, weisse und kukuksfarbige
(Kukukssperber), die letzteren sind auf grauem
oder blaugrauem Grunde mit dunklerem Grau
oder Graublau gebändert oder gesprenkelt.
Bei allen Farbenschlägen der Dorkings sind
der Kamm sowie die kleinen Kehl- und
Ohrlappen roth, die Füsse röthlichgrau. Die
Dorkings sind in erster Linie Masthühner,
deren Fleisch von ausgezeichneter Qualität
ist; dann empfehlen sie sich als Brüter und
Führer, sind aber als Eierleger von geringerem
Werthe. Aehnlich den Dorkings sind die
schottischen Kukukssperber (s. d.). Ws.
Dornflosser, s. Stachelflosser.
Dorpat, Veterinär-Institut, gegründet 1848,
reorganisirt 1873. An demselben wirkten
Jessen (Director), F. Unterberger (Director),
A. Unterberger, Braueil. (Gegenwärtig Rau-
pach, Rosenberg, E.Semmer, A. Seramer, Gut¬
mann, Kundsin, Klever, Grosmann.) Die Hilfs¬
fächer werden von Professoren der Univer¬
sität gelesen. Semmtr .
Dorsal. Die Bezeichnung ...dorsal“ bei
anatomischen Beschreibungen soll ausdrücken,
dass die betreffenden Flächen, Ränder u.s.w.
nach dem Rücken zu gelegen sind, stimmt
demgemäss im Allgemeinen mit der Be¬
zeichnung „oben“ überein, ist jedoch der letz¬
teren in vielen Fällen aus den Gründen vor¬
zuziehen, welche bereits in dem Artikel
caudal (s. d.) näher erörtert worden sind. Mr.
Dorsch, Kabeljau, Gadus morrhua L.
Fisch aus der Unterclasse der Knochenfische,
Ordnung der Weichflosser, Familie der Schell¬
fische, Gadidae. Mit langgestrecktem Körper,
der nicht ganz viermal so lang als hoch ist,
kleinen Schuppen, drei Rückenflossen und
zwei Afterflossen und einem kleinen Bart¬
faden am Kinn. Die voipie abgerundete
Schnauze steht etwas über die Kiefer vor,
der After liegt senkrecht unter den ersten
Strahlen der zweiten Rückenflosse. Die Fär¬
bung ist sehr veränderlich, olivengrün oder
braun, mit zahlreichen kleinen dunkleren
Flecken. Der Bauch weisslich, ungefleckt.
Findet sich in der Ostsee und im nord¬
atlantischen Ocean, von den Küsten des nörd¬
lichen Eismeeres bis in die Breiten von New-
York und Bordeaux. Die die Ostsee bewoh¬
nenden Dorsche sind kleiner und wurden von
Linnö unter dem Namen Gadus callarias,
Dorsch, gegenüber der atlantischen Form,
dem Kabeljau, Gadus morrhua, unterschieden.
Beide werden jetzt als Varietäten einer Art,
Gadus morrhua, betrachtet. Der Dorsch er¬
reicht im atlantischen Ocean eine Länge von
80—150 cm, in der Ostsee beträgt die mitt¬
lere Grösse 40—50 cm. Die Laichzeit ist
in der Ostsee vom Jänner bis Mitte März,
bei Gothland im April. Der Dorsch erscheint
im Meere zu gewissen Zeiten in grossen
Schaaren, meist den Häringszügen folgend. Er
bildet ein Hauptobject für die Fischerei. Sein
Fleisch wird theils frisch genossen, theils
gesalzen, als Laberdan, getrocknet, als Stock¬
fisch. Aus der Leber wird der Leberthran,
Fischthran, Oleum jecoris aselli, gewonnen. Sfr.
Dorsche, s. Kohlrübe.
Dorset-Schaf. Dasselbe ist eines der ge¬
hörnten schlichtwolligen Schläge Englands.
Der Verbreitungsbezirk ist, wie schon der
Name sagt, die Grafschaft Dorset; diese liegt
ungefähr in der Mitte der südlichen Küste
Englands, grenzt daher gegen Süden an den
Canal La Manche mit den Grafschaften Hamp¬
shire im Osten, Wilts und Somerset im
Norden, Devon im Westen. Das im Norden
und Westen mehr hügelige Land wird
nach Süden und Osten hin eben, hat mildes
Klima, ist sehr fruchtbar, trägt namentlich
eine reiche Flora an wildem Feldkümmel und
anderen aromatischen Pflanzen. Was die äus¬
seren Formen des Schafes anbetrifft, so ist
es dem Merinoschafe am ähnlichsten. Beide
Geschlechter sind gehörnt; der Engländer
nennt sie deshalb auch Dorset-horned. Bei
den Böcken sind die Hörner stark entwickelt,
stehen auf breiter Basis dicht aneinander,
erheben sich, in Spiralwindung nach hinten
verlaufend, wenig über den Scheitel, machen
dann reichlich \ % Spiralwindungen und endi¬
gen in stumpfer Spitze unterhalb des Auges.
Der Kopf ist an der Stirne breit, buchtet
sich von dieser nach dem Nasenbeine stark
ein, und dieses verläuft in starker Wölbung
in eine schmale, spitze Schnauze. Die Schul¬
tern sind niedrig aber breit, die Brust tief,
der Rücken gerade, die Lendenpartie gut, das
Knochengerüst eher etwas zu stark entwickelt.
Gesicht sowie Beine bis über das Knie und
Sprunggelenk hinauf sind mit weissen, kurzen,
glatt anliegenden Haaren besetzt. Stirn, Hals,
sowie der ganze Rumpf sind in recht dichtem
Stande auf der faltenlosen Haut mit einer
aus reinem, markfreiem Wollhaar bestehenden,
ziemlich stark gewellten (ca. 2% Bogen auf
1 cm), 31 mikr. im Durchmesser starken,
etwas glänzenden weissen Wolle von ca. 12 cm
Länge im Jahreswuchs besetzt. Dieselbe hat
im Ganzen nicht allzu starke Krimpkraft* und
wird hauptsächlich zu groben Tuchen ver¬
arbeitet. Der Schwanz trägt eine bedeutend
längere Wolle, erscheint in Folge dessen
buschig und reicht mit der Wolle bis über
den halben Unterfuss. Das Schurgewicht des
gewaschenen Vliesses beträgt ungefähr 1 *50 kg.
Die Schafe besitzen nur Mittelgrösse, ein ge¬
mästeter dreijähriger Hammel hat ungefähr
32 kg Schlachtgewicht. Die Thiere sind sehr
abgehärtet, ernähren sich leicht und sind dabei
genügsam; das Fleisch soll ein recht gutes
sein. Der Hauptertrag aus diesen Heerden ist
der Verkauf gemästeter Lämmer. Die Frucht¬
barkeit der Thiere ist sehr gross. Die Schaf¬
mütter nehmen den Bock schon bald nach der
Geburt des Lammes wieder an, lammen daher
sehr häufig in einem Jahre zweimal, ernähren
das während der neuen Trächtigkeit saugende
Lamm dabei aber vollständig. Neuerer Zeit ist
392 DOESÜM.
dieser Schlag — und es frägt sich, ob mit
Vortheil — fast durchgehends mit dem New-
Leicester-Blut gemischt worden. Bohm.
Dor8um (v. de orsum, abwärts [abschüs¬
siger Verlauf des Rückens beim aufrecht¬
gehenden Thiere], oder von tö 8epa<;, Hals),
der Rücken, bezeichnet als anatomischer
Terminus die von dem Ende des Halses bis
zum Anfang der Lende laufende Partie des
oberen (hinteren) Abschnittes des Stammes,
dessen Grundlage von den Brust- oder Rücken¬
wirbeln gebildet wird. Der Ausdruck wird
auch für tergurn, die Rückseite (opp. frons),
und so zur Bezeichnung aller solchen Theile,
Flächen, Ränder etc. gebraucht, welche dem
dorsum zugewendet sind. Das dies bezeich¬
nende adj. lautet dorsal (s. d.), richtiger
dorsual, da die allerdings auch nachclassische
lateinische Sprache nur dorsualis, nicht dor-
salis kennt. (Gegensatz: ventral, bauchwärts.)
So spricht man von
Dorsum linguae, Zungenrücken;
Dorsum penis, Rückfläche, resp. oberer
Rand der Ruthe etc. Sussdorf.
Dosimetrie, s. Apotheken.
D08l8, fj Boa:<; (v. 8»8ovai, geben), die
Gabe als einzelne Arzneiportion, auch in
Compositionen, wie
Dosiologia, die Gabenlehre = Poso-
logia. Sussdorf
Dosis ist die Menge, in welcher Arznei¬
mittel zur Anwendung kommen, um eine Heil¬
wirkung unter gewöhnlichen Umständen zu
entfalten; man nennt solche Mengen auch
Mittelgaben oder die medicinale Dosis, denn
zu kleine Gaben bleiben ohne Einwirkung und
grössere können schädliche, selbst tödtliche
Folgen nach sich ziehen; ausserdem bewirkt
die Dose nicht nur quantitative, sondern auch
qualitative Veränderungen der Wirkung eines
Medicamentes, wenn verschiedene chemische
Bestandtheile von differenter Wirksamkeit ent¬
halten sind, obwohl auch chemisch einfache
Substanzen in verschiedener Dosis verschieden
einwirken. So wirkt der Brechweinstein in
kleiner Dosis auf die Circulation, die Haut und
die Mucosen, in grosser emetisch, bei der
Rhabarberwurzel kommen die abführenden
Wirkungen erst bei grossen Mengen, bei kleinen
nur der Bitterstoff und die Gerbsäure zur Geltung.
Auch ist es durchaus nicht gleichgiltig, ob man
ein Arzneimittel in einer einzigen Gabe dar¬
reicht oder dieselbe Menge auf verschiedene
kleinere Dosen vertheilt; im Allgemeinen lässt
sich nur soviel sagen, dass, wenn man prompte
Effecte beabsichtigt, dies durch wenige, aber
herzhafte Dosen am besten geschieht, die auch
häufig ebenso anhaltend wirken, als längere
Zeit gereichte kleinere Mengen, obwohl dies
nicht bei allen Arzneimitteln zutrifft. Vogel.
Dosologie, s. Apotheken.
Dosten, gemeiner. Die stark riechenden
Blüthenstände werden ähnlich wie die Ka¬
millen zu Umschlägen und Kräuterkissen als
Volksmittel häufig benützt, s. Origanum
vulgare. Vogel.
Dotter. Mit diesem Namen bezeichnet
man in einem jeden Ei das Materiale, aus
DOUCHE.
dem sich der künftige Embryo aufbaut. Dieses
kann entweder direct zur Bildung des Embryos
verwendet werden und wird in den Furchungs-
process einbezogen, oder es kann ein Theil,
zumeist der grössere, als Nahrung während
der Entwicklung dienen. Der Dotter, welcher
zum Aufbau des Embryos verwendet wird,
führt den Namen Bildungsdotter (s. d.).
während der andere als Nahrungsdotter
bezeichnet wird. Der Bildungsdotter besteht
aus einem feinkörnigen Protoplasma, während
der Nahrungsdotter aus abgerundeten Stücken
oder aus Plättchen mit krystallinischen Formen
besteht. Fettröpfchen kommen in denselben
constant vor. Bezüglich der chemischen Zu¬
sammensetzung des Dotters ist im Allge¬
meinen hervorzuheben, dass sowohl stickstoff¬
haltige als auch stickstofflose Körper in ihm
Vorkommen. Es sind Eiweisskörper, Zucker¬
arten, Fette, Farbstoffe etc. und anorganische
Salze in demselben enthalten. Schenk.
Dotterblatt, s. u, Archiblast.
Dotterhaut, s. Eierstock der Vögel.
Dottersaok. Bei den Meroblasten um¬
wächst ein Theil der Bildungsmasse den
Dotter. Es ist dies jene Bildungsmasse,
welche auch die Darmwand bildet. Der um¬
wachsende Theil bildet den Dottersack. Der
verbindende Gang zwischen dem Dottersack
und dem Darralumen ist der Dottergang
(Ductus omphalo-moseraicu8). Ist derselbe
länger geworden, wie dies bei den Haifischen
und den Rochen geschieht, dann wird er
auch Dotterstrang genannt. Dieser enthält
aber nicht nur das Bildungsmateriale der
Darmwand, sondern sämmtliche Lagen des
Embryos gehen in seine Wandung über. Im
Dottergange und Dotterstrange ist das Epithel
des Communicationsweges ein Cylinderepi
thel. Schenk.
Douars-Hund. Grosser Schäferhund der
nomadisirenden Araber von Algerien, bemer-
kenswerth durch seine Wildheit und den In-
stinct, der es ihm ermöglicht, die Thiere sei¬
nes „Douars“ von allen anderen zu unter¬
scheiden und zu erkennen. Er hat langes
Haar, das bis zur Hälfte der Beine gekräuselt
ist, eine spitze Nase, kurze, aufrechtstehende
Ohren, eine tiefe Brust. Der Körper ist kurz,
der Schweif dick und hängend. Neumann .
Douche oder die Bespülung des äusseren
Muttermundes mit warmem und auch mit
kaltem Wasser bildet ein Mittel für die Herbei¬
führung der künstlichen Frühgeburt. Es kann
aber dieses Mittel bei Kühen und den kleineren
Hausthieren zur Hervorrufung von neuen
Wehen auch da angewendet werden, wo die
reife Frucht, die trotz der bestandenen Wehen
irgend eines Hindernisses wegen nicht geboren
werden konnte, abgestorben ist und in Folge
dessen die Wehen wieder verschwunden sind.
Es war der deutsche Arzt Kivisch, der diese
Frühgeburtsmethode im Jahre 4848 zuerst in
die menschliche Geburtshilfe einführte. Seither
hat dieselbe eine ziemlich allgemeine Verbrei¬
tung erlangt. Die Bespülung des äusseren
Muttermundes mit warmem Wasser leitet mit¬
telst Hervorrufung von Wehen, mittelst Er-
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DOUGLASSCHE FALTEN. — DOWNSCHAF. 393
weichung oder Erschlaffung des Gebärmutter-
halses die Frühgeburt auf die möglichst
schonende Weise ein. Das Verfahren ist ein
sehr leichtes, erfordert wenig Zeit und macht
jede andere vorbereitende Behandlung über¬
flüssig. Seine. Wirkung kann nach Belieben
vom Geburtshelfer verstärkt oder verringert
werden, denn er kann nach Gutfinden und
zufolge den vorliegenden Umständen die Zeit¬
dauer der Bespülung verlängern oder abkürzen,
sowie die Temperatur des Wassers erhöhen
oder vermindern. Durch dieses Abortivmittel
können zudem die Geschlechtstheile niemals
verletzt werden.
Verfahren. Das anzuwendende Wasser
hat eine Temperatur von 39—41° C. Dasselbe
wird mittelst einer Clysopumpe oder noch
besser mittelst eines hinlänglich langen und
weiten Kautschukschlauches, dessen eines Ende
an einem hinreichend erhöht stehenden, das
Wasser enthaltenden Gefäss, z. B. an einem grös¬
seren Kübel, Waschzuber oder Fässlein, ange¬
bracht und an dessen anderem Ende die gut
abgestumpfte Canüle einer gewöhnlichen Klystir-
spritze eingesetzt ist, in die Scheide, u. zw.
möglichst direct in den äusseren Muttermund
ein geführt. Das mit der Canüle versehene
Schlauchende wird mit der Hand zum Mutter¬
mund hingeführt. Man lässt die Douchen
10, 15—$0 Minuten und selbst noch länger
ohne Unterbrechung andauern und nach Er-
fordemiss nach kürzeren und längeren Inter¬
vallen wiederholen, bis sich Wehen und Er¬
öffnung des Gebärmutterhalses einstellen. Diese
Douchen eignen sich ferner auch bei hoch¬
gradiger Ripidität des Uterushalses. Der
Lyoner Thierarzt Quivogne war der erste,
der die Bespülung des Muttermundes mit
warmem Wasser bei der Kuh und zwei Ziegen
anwandte, u. zw. mit bestem Erfolge. Die
Wirkung der kalten Douchen ist unsicherer
und nebstdem nicht so gefahrlos, als diejenige
der Douchen mit warmem Wasser. Strebei
Douglas’sche Falten. Das Bauchfell (s. d.)
bildet bei dem Uebergange von der Gebär¬
mutter der weiblichen, bezw. von der Harn¬
blase der männlichen Thiere zum Mastdarm
zwei Falten, welche als Falten des Douglas
oder Douglas’sche Falten bezeichnet werden.
Dieselben haben bei den männlichen Thieren
einen bedeutenden Umfang und schliessen, zu
einer halbmondförmigen Platte verschmelzend,
das Endstück der Samenleiter, den männlichen
Uterus und die Samenblasen ein. Müller .
Oover’8Che8 Pulver. Das bekannte schlaf¬
erzeugende und bei den Hausthieren haupt¬
sächlich gegen Diarrhöe und Husten verwen¬
dete Mittel besteht nach der deutschen und
österreichischen Pharmakopöa aus Opium und
Brechwurzel je 1 Theil, Zucker 8 Theilen; in
10 Theilen ist somit 1 Theil Opium enthalten.
Das Mittel heisst auch Pulvis Ipecacuanhae
opiatus (Ph. G.) oder Pulvis Ipecacuanhae cum
Opio (Ph. A.). Dosis als Sedativ und Stopfungs¬
mittel für Hunde 0 5—1*0, nötigenfalls
mehrmals bis zur Wirkung. Früher war statt
des Zuckers Kaliumsulfat enthalten und diente
auch zur Verhütung von Obstipationen bei
Hunden. Vogel.
0owR8Chaf. Sämmtliche Schläge des eng¬
lischen Downschafes gehören zu der grossen
Gruppe des schlichtwolligen Schafes, welches
als Haarkleid das wenig gewellte, vollständig
markfreie, in der Haut bündelartig ange¬
ordnete Wollhaar ohne jede Einmischung von
Grannenhaar trägt. Die Farbe der Wolle ist
durchgehends. mit wenigen Ausnahmen, weiss,
die Farbe der kurzen, straff anliegenden Haare
dagegen, welche Gesicht und den Unterfuss
oft bis über das Knie und Sprunggelenk hinauf
bedecken, ist durchwegs dunkelfarbig. Die
Thiere — selbst die männlichen — sind durch¬
wegs, mit höchst seltenen Ausnahmen, unge¬
hörnt; wo sich solche finden sollten, treten
sie nur in verkümmerter Form auf. Die Thiere
zeigen in allen verschiedenen Schlägen eine
grosse Frühreife und hohe Futterverwerthung.
Das englische Wort „down“ heisst auf deutsch
„niedrig“; mau könnte sich daher veranlasst
fühlen „Down sheep“ mit „Niederungs- oder
Marschschaf“ zu übersetzen. Das wäre aber in
keiner Weise richtig; die Lebensbedingungen,
welche diesen Thieren geboten werden, sind
in keiner Weise gleichartig denen, welche wir
bei den deutschen „Marschschafen“ zu finden
gewohnt sind. England ist von einer Menge
weniger eigentlichen Gebirge als vielmehr
Hügelketten durchzogen, zwischen denen sehr
fruchtbare Ebenen, die man fast Hochebenen
nennen könnte, sich ausbreiten; diese werden
Down genannt und bilden hauptsächlich die
Ernährungsflächen der Downschafe. Sie haben,
wie gesagt, verschiedene Schläge. Als die
hervorragendsten Culturzuchten sind die South -
down, die Shropshiredown, die Hampshiredown
zu nennen, denen in neuerer Zeit sich noch das
Suffolkdown anreiht. Ausserdem haben wir
noch das Oxfordshiredown. Dieses ist zwar
aus einer erst in den Dreissigeijahren dieses
Jahrhunderts vorgenommenen Kreuzung von
Böcken des Cotswoldschafes mit Mutter-
thieren theils des Southdown-, theils des
Hampshiredownschlages hervorgegangen, ist
aber seitdem zur constantirten Zucht heran-
gebildet. Neben anderen abweichenden
Eigentümlichkeiten zeichnet sich dasselbe
namentlich durch den besonderen Charakter
seines Haarkleides aus, der uns nicht ge¬
stattet, es zu den „schlichtwolligen“ Schafen
zu rechnen; das Oxfordshiredown dürfte also
streng genommen nicht zu den Downschafen
zu zählen sein.
Das Southdown- oder Sussex-Schaf.
Dasselbe findet seinen Heimatsbezirk auf den
Kalkhügeln des südlichen Theiles der öst¬
lichen Tiefebene Englands, der Grafschaft
Sussex. Dieselbe wird von zwei der Kreide-
forraation angehörigen Hügelketten durch¬
zogen, einer nördlichen, den Mendip Hills,
welche die Halbinsel Norfolk bilden, und einer
südlichen, welche sich wieder in zwei ziem¬
lich parallel mit einander verlaufende Hügel¬
ketten (Downs) theilt, die nördliche (North
down) und die südliche (South down). Diese
letztere nun mit ihren reichen Getreidefeldern
UNIVERSIT' )
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394
DOWNSCHAF.
und Wiesen ist die engere Heimat unseres
nach ihr benannten Schafes. Die Hügelzüge
der South down erheben sich 195 bis höch¬
stens 325 m über die Meeresfläche, haben
eine Länge von 100 km, eine Breite von
höchstens 10 km. Schon seit den ältesten
Zeiten sind die hier heimischen Schafe durch
ihre Wolle berühmt, und es ist wahrschein¬
lich, dass die von den Römern zu Winchester
angelegten Tuchwebereien hauptsächlich die
Wolle dieses Schlages verarbeiteten. Das
Southdownschaf ist wohl die älteste Cultur-
zucht Englands, begründet 1780 auf seiner
Farm Glynde bei Lewes in Sussex durch den
so intelligenten Züchter John Ellman; er
verstand es, aus dem Vorgefundenen Material
ohne jegliche Einmischung fremden Blutes
ein Thier von grosser Frühreife und hoher
Mastfähigkeit heranzuzüchten, wobei er den
Wohlgeschmack des Fleisches noch steigerte,
die Wolle an ihrem Werthe und guten
Charakter nichts einbüssen liess. Vor Ellman
war dasselbe nichts weniger als das in seinen
Formen so vollendete Fleischschaf. Arthur
Young schildert dasselbe noch zwei Jahre
vorher, 1778, als mit einem dünnen Rück¬
grat, einem niedrigen Vordertheil, einem
hohen Hintertheil ausgestattet. Ellman selbst
— er starb 1832 — sagt von ihm: Früher
war das Schaf klein, von keineswegs ein¬
nehmender Gestalt; Hals lang und dünn,
hohe Schultern, hinter diesen eingeschnitten,
hohe Lenden, niedere Hüften, tief angesetzten
Schwanz; der hintere Theil des Beckens eckig
und abgeschlagen, die Rippen flach, das
Vordertheil schmal, bei alledem noch grob¬
knochig. Er theilt uns dann weiter mit, dass
zu seiner Zeit schon — also wohl gegen das
Ende seines Lebens, wahrscheinlich zu Ende
der Zwanzigerjahre — dasselbe im Knochen¬
bau feiner, aber nicht zu weichlich geworden
sei und sich ganz dafür eignete, auch weitere
Weiden zu begehen. Auch rühmt er die be¬
deutende Mastfähigkeit der Thiere, welche
er dadurch bezeichnen will, dass er anführt,
wie man die Thiere höchst selten nach dem
vierten Lebensjahre, in der Regel schon in
einem Alter von zwei Jahren mäste; für
unsere heutigen Ansprüche dürfte solches
allerdings kein sonderlicher Beweis von
Frühreife sein. Auch Youatt, welcher zehn
Jahre später als Ellman schrieb, rühmt die
Frühreife und leichte Mästungsfähigkeit, ver¬
bunden mit noch genügender Marschfähigkeit,
und nennt die Wolle von der nützlichsten
Qualität. Seit jener Zeit ist die Cultur dieses
Schlages immer mehr vorgeschritten, leider
aber auch vielseitig überbildet worden. Roloff
hat durch sehr exacte Messungen nachge¬
wiesen, dass namentlich gerade bei dieser
Zucht der Brustkasten kleiner ist als bei
anderen Rassen, die sich weniger für Fett-
Bildung eignen. Schon hiedurch wird die
Thätigkeit der Lunge beschränkt, das Schaf
daher für motorische Thätigkeit, für Marsch¬
fertigkeit weniger tauglich gemacht. Bei einer
Unzahl von Heerden finden wir im höchsten
Grade überbildete Köpfe, ein allzu feines
Knochengerüst, oft auch schon spitze For¬
men in der Beckenpartie; dabei sind die
Thiere immer kleiner geworden, gewähren
daher nicht mehr den Nutzen, welchen dem
Züchter die anderen gleich zu besprechenden
Downschläge bieten. Einer der hervorragend¬
sten Widder aus der Zucht des Sir Wm.
Throckmorton mass drei Jahre alt in Galgen-
mass vom Widerrist bis zur Sohle 0*75, von
der Spitze des Brustbeines bis zur Spitze der
Sitzbeine 0*90m. Wenn früher, wie auch
Youatt vermuthet, dieser Schlag gehörnt ge¬
wesen sein mag, so kommt solches jetzt selbst
bei den männlichen Thiere gar nicht mehr,
höchstens einmal ausnahmsweise vor, und
sind dann die Hörner doch nur stark ver¬
kümmert. Die Farbe des Gesichtes und der
Beine, so weit solche mit kurzen, straff an¬
liegenden Haaren besetzt sind, ist eine
gleichmässige ganz hell chocoladeartige; die
Wolle ist weiss von Farbe, steht nicht allzu
dicht auf der Haut, ist wenig gewellt, hat
ungefähr 25 mikr. Durchmesser, ist vollständig
und durchweg markfrei, erreicht im Jahres¬
wuchs ungefähr eine Länge von 7—8 cm.
Das Shropshiredown - Schaf. Der
Heimatsbezirk desselben ist die Grafschaft
Shrop oder Salop. Als Culturzucht ist das¬
selbe erst seit Ende der Sechzigerjahre auf
dem Continente bekannt geworden. Aeltere
englische Schriftsteller theilen mit, dass das
Shropshireschaf gehörnt und im Gesicht und
an den Beinen schwarz oder gesprenkelt ge¬
wesen sei, dass es ungefähr die Grösse des
Southdown gehabt habe, aber mit längerem
Halse ausgestattet und nicht so gedrungen
gewesen sei. Dabei wird seine harte Consti¬
tution gerühmt, auch wird mitgetheilt, dass
es früher häufig mit dem gehörnten weiss¬
köpfigen Dorsetschafe gekreuzt worden sei.
Das heutige Shropshireschaf, wie es uns als
Culturzucht entgegentritt, ist ganz zweifels¬
ohne aus einer Mischung verschiedener Down¬
schläge hervorgegangen. Es steht in seiner
Grösse zwischen dem Southdown und dem
Hampshiredown, ist stets ungehörnt und zeigt
eine befriedigende Frühreife und gute Futter-
verwerthung. Die Wolle ist länger, 9—10 cm
im Jahreswuchs, und gröber — 22—36 mikr.
— als die der Southdown, von welchen ganz
unbezweifelt ein guter Bluttheil in demselben
steckt. Der jährliche Durchschnittsschurertrag
ist auf ca. 2 % kg zu schätzen. Die Farbe des Ge¬
sichtes ist schon mehr dunkelchocoladeartig,
oft aber noch weiss gefleckt. Das Knochen¬
gerüst ist befriedigend stark, der Rücken der
Thiere im Ganzen noch nicht lang genug. In
Deutschland hat es erst in den letzten Jahren,
dank der Verbesserung, welche es durch
intelligente Zucht erfahren hat, mehr Eingang
gefunden.
Das Hampshiredown-Schaf. Der Hei¬
matsbezirk desselben ist die Grafschaft Hamps
oder Hants, auch nach ihrer Hafenstadt
Southampton genannt; sie liegt ebenfalls an
der Südküste Englands und grenzt im Osten an
die Grafschaft Sussex, den Heimatsbezirk des
Southdownschafes. Auch hier sehen wir das
DOWNSCHAF.
395
an sich wellenförmige Land durch zwei Ketten
von Kalkhügeln durchzogen; bei sonst mildem
und gesundem Klima soll der Boden aber
nicht so fruchtbar sein wie die Ebenen von
Sussex. Nach früheren Autoren, wie Youatt u. A.,
soll die in alten Zeiten hier gehaltene Rasse
anz untergegangen sein, und sind dieselben
er Ansicht, dass das zu ihrer Zeit, in den
Vierzigeijahren, daselbst gepflegte Schaf
wohl aus einer Kreuzung — doch liesse sich
nicht nachweisen, mit welchen Rassen und zu
welcher Zeit — hervor gegangen sei; sie nen¬
nen es ein „kurzbeiniges, rundleibiges Thier“.
Nach Moll und Gayot soll dasselbe aus einer
zu Anfang dieses Jahrhunderts stattgefun¬
denen Kreuzung des Wiltshireschafes mit den
Berkshire-Notts entstanden sein. Diese beiden
Rassen waren aber gehörnt, das erstere weiss¬
köpfig, das letztere hatte schwarzgefürbten
Kopf und Extremitäten, wie noch heute das
Hampshiredownschaf. Nach Wilson soll es aus
einer ebenso alten Kreuzung des Southdown-
schafes mit dem alten Hampshire- und Wilt-
shireschafe hervorgegangen sein und habe durch
rationelles Fortkreuzen gegenwärtig die be¬
sonderen Charaktereigenschaften dieser Rassen
vereinigt. Dem mag nun sein, wie ihm wolle,
heute ist es eine in sich durchaus con-
stantirte Zucht von selten hoher Vererbungs¬
kraft. Mit vollstem Rechte zählt man es zu
den englischen Downschlägen, welche ja
sämmtlich zu den kurzwolligen Zuchten Eng¬
lands gehören. Es trägt eine— nach englischen
Begriffen wenigstens — kurze, recht dicht auf
der Haut stehende, sanft gewellte, aus reinem
Wollhaare ohne jegliche Beimischung von
Grannenhaar aufgebaute weisse Wolle. Oft
werden die Lämmer schwarzscheckig geboren,
verlieren dann aber die schwarzen Flecken,
doch kommen mitunter auch ganz schwarz-
gefärbte vor, welche diese Farbe behalten. Die
Wolle ist etwas länger, ca. 11 bis 12 cm im
Jahreswuchs, auch wohl etwas stärkeren Quer¬
durchmessers — ca. 30 mikr. — als die des
Southdownschafes, auch der Besatz des Bauches
ist oft schon ein recht befriedigender. Mit¬
unter allerdings finden sich noch Thiere,
welche eine mehr harte, dann auch längere und
gröbere Glanzwolle tragen. Kopf sowie Ex¬
tremitäten sind durchwegs einfarbig, wenn
auch nicht vollständig schwarz, so doch
schwarzbraun. Als Durchschnittsschurgewicht
dürfte per Jahr und Kopf 2’3 kg anzu¬
nehmen sein. Das Thier hat einen sehr lang¬
gestreckten tiefen Körper und steht dabei auf
verhältnissmässig kurzen Beinen; der Rumpf
ist walzenförmig, das Knochengerüst ist im
Ganzen stark, nicht selten sogar zu stark, der
Kopf zu schwer, was wohl auf die Kalk-
fonnation des Heimatslandes zurückzuführen
ist, die ja der Knochenentwicklung so sehr
günstig ist. Namentlich zeichnet sich diese Zucht
durch einen sehr langen Rücken aus. Man macht
derselben oft den Vorwurf, dass die Thiere sehr
häufig einen „hohen“ Rücken hätten und hinter
den Schulterblättern stark eingeschnitten seien.
Beides ist nicht ganz ungerechtfertigt. Was den
ersten Vorwurf, den hohen Rücken betrifft, so
dürfte derselbe bei der ganzen Anordnung des
Skeletbaues nicht zu sehr zu tadeln sein, wenn
er dabei nur kein Karpfenrücken, d. h. gleich¬
zeitig schmal ist. Bei der so grossen Länge
der Kücken- und Lendenwirbelsäule scheint
es fast nothwendig, dass die einzelnen Wirbel
sich der Form von Bausteinen nähern, wie
solche zu flachen Gewölben verwendet werden,
die ganz wagrechte Säule würde sie sonst
kaum tragen. Das Eingeschnittensein hinter
den Schulterblättern ist allerdings ein Fehler,
welchen wir an englischen Originalthieren oft
zu beobachten Gelegenheit haben, welchem
jedoch der intelligente Züchter des Continents
schon mit sehr erfreulichen Resultaten glücklich
entgegengearbeitet hat. Die Thiere sind sehr
kräftiger Constitution, vertragen Kälte und
feuchtes Klima, doch beanspruchen sie zu ihrer
normalen Existenz einen fruchtbaren, gesunden,
hochgelegenen Boden.
Das Suffolkdown-Schaf. Die Graf¬
schaft Suffolk in dem südöstlichen Theile
Englands, nach Osten zu an die Nordsee
stossend, südlich von der Grafschaft Essex
begrenzt, ist in ihrem Küstenstriche sandig,
in dem übrigen, dem high Suffolk oder the
Woodlands dagegen, wie schon der Name
besagt, höher gelegen und reich an Waldungen,
nach Nordwesten in allerdings wieder zu weit
sich erstreckenden Sümpfen vertieft. Auf den
trockener gelegenen Thälern sehen wir das
Suffolkdownschaf heimisch; ganz den ihm
gebotenen Lebensbedingungen entsprechend,
hat dasselbe ein feines Knochengerüst, erreicht
kaum die Grösse des Shropshire, überragt
wenig die des Southdownschafes, hat einen
zarten, feinen Kopf mit spitz auslaufender
Schnauze, dabei aber einen langgestreckten
Körper mit befriedigender Frühreife. Gesicht
und Extremitäten sind mit kurzen, glänzend¬
schwarzen Haaren bedeckt. Hals und Rumpf
tragen eine dem Haarkleide des Southdown wohl
kaum an Feinheit nachstehende Wolle von
ziemlich gleicher Länge.
Das Oxfordshire-Schaf. Wir sahen
schon vorhin, dass dasselbe aus einer ver¬
hältnissmässig noch jungen, erst in den
Dreissigeijahren begonnenen Kreuzung von
Cotswoldvaterthieren und theils Southdown-,
theils Hampshiredown-Müttem hervorgegangen
sei, wir nannten es aber wohl mit Recht eine
schon constantirte Zucht, in der sich zwar
weder das reine Downblut noch das Cotswold-
blut ganz hat unterdrücken lassen. Der
Heimatsbezirk ist die Grafschaft Oxfordshire,
ein Binnenland im Süden Englands; sie ist
im Süden von den Chiltern Hills, einer Kalk-
hügelkette von unbedeutender Höhe, durch¬
zogen, welcher nach Norden, sich mehr und
mehr verflachend, fruchtbare Ebenen und
Thäler bildet. Das Oxfordshiredownschaf ist
das grösste und schwerste aller Downschafe
und verdankt dies dem väterlichen Cotswold-
blute. Das Knochengerüst ist nicht allzu stark,
auch der Kopf nur mitunter zu schwer, die
Form des Rumpfes befriedigend, doch steht es
mitunter noch auf etwas zu hohen Beinen. Die
Frühreife des Thieres ist befriedigend, doch
396
DRACHENBLUT. — DRAHTWURM.
nicht so gross wie bei den vorhergenannten;
hingegen eignet es sich besser für das Be¬
gehen weiterer Weiden. Die Futterverwerthung
ist eine hohe. Auf dem europäischen Conti-
nente wird es mit Vorliebe zur Kreuzung
mit dem Merinosschafe verwendet, und dort
gewiss mit vollem Rechte, wo es sich darum
handelt, die ganze junge Nachzucht, auch
die weibliche, auf die Schlachtbank zu liefern
und letztere nicht zu weiterer Kreuzung
zu verwenden. Das hindernde Moment für
letzteres ist die Wolle. Das Cotswoldschaf hat,
wie bekannt, eine sehr starke, weisse Misch¬
wolle, in welcher das markhaltige Grannen¬
haar meist so stark überwiegt, dass die
Wolle noch zu den harten Glanzwollen zu
rechnen ist. In den meisten Oxfordshiredown-
heerden sehen wir denn auch dieses Glanzhaar
noch in starker Zahl vertreten. Es besteht zwar
in manchen reinblütigen Heerden schon das
Streben, alle mit solcher Glanzmischwolle aus¬
gestatteten Thiere von der Zucht auszu-
schliessen, und zeigen die günstigen Erfolge,
dass solches nach einer nicht zu langen Reihe
von Generationen bei consequentem Verfahren
vollständig gelingen dürfte. Von dem mütter¬
lichen Blute hat das Oxfordshiredownschaf die
dunkle Färbung des Gesichtes und der Ex¬
tremitäten ererbt, das väterliche Blut hat aber
doch bewirkt, dass bei der überwiegenden Zahl
der Thiere Gesicht und Beine mehr oder
weniger weiss gefleckt auf chocoladefarbigem
Grunde erscheinen. In Heerden, wo das
Streben schon zum guten Theil erreicht ist,
das markhaltige Glanzgrannenhaar zu über¬
winden, scheint sich auch die einheitliche
chocoladeartig dunkle Färbung mehr und mehr
zur Geltung zu bringen, ohne dass dadurch
die Körpergrösse beeinträchtigt wird. Wo es
gelungen ist, die Glanz wolle vollständig zu
überwinden, wo das Haarkleid nur aus mark¬
freiem eigentlichen Wollhaare besteht, erreicht
die Wolle im Jahreswuchs ca. 16 cm Länge
bei einem Durchmesser von 34—36 mikr., wo
dagegen noch die Glanzwolle vorherrscht, die
dann aber bedeutend undichter auf der Haut
steht, erreicht dieselbe eine Länge von 22 cm
und darüber in zwölfmonatlicher Schur; die
Stärke der einzelnen Haare aber ist eine sehr von
einander abweichende, von 30—50 mikr. Bm.
Drachenblut (Resina Draconis, Sangnis
Draconis), das ausschwitzende Harz einer ost¬
indischen Palme, Calamus Draco (Smilaceae,
L. VL), das blutroth ist und jetzt nur mehr
als Färbemittel dient. Vogel.
Drachenkopf, Scorpaena Cuv. Val.,
Knochenfische aus der Ordnung der Stachel-
flosser, Acanthopterygii, Familie der Scor-
paenidae. Der Körper der Fische dieser
Gattung ist seitlich zusammen gedrückt, mit
mässig grossen Schuppen bedeckt, der Kopf
gross, leicht comprimirt, mit einer quer ge¬
richteten Einsenkung auf dem Hinterhaupt.
Die Kopfknochen tragen Stacheln und häufig
häutige Tentakeln. Das Maul ist gross, die
Kiefer und der Vomer sind mit borstenartigen
Zähnen besetzt. Eine Rückenflosse mit 12 bis
13 Stachelstrahlen und 9 weichen Strahlen.
Die Anale mit drei Stachel- und fünf weichen
Strahlen. Die Brustflossen sind gross und
abgerundet. Keine Schwimmblase.
Man kennt von dieser Gattung 40 Species,
welche meist die tropischen und subtropischen
Meere bewohnen. Ihr Fleisch ist schmackhaft,
die Stacheln in den Flossen können empfindlich
verletzen.
In den europäischen Meeren leben zwei
Arten, Sc. porcusL., der Meereber, und Sc. scrofa,
die Meersau, letztere bis 80 cm lang. Sluder.
Draco mitigatuo, alte Bezeichnung für
das Quecksilberchlorür (Kalomel). Vogel.
Draco volans, soviel als Quecksilber¬
sublimat.
Drahtwurm, der Jugendzustand des Saat¬
schnellkäfers (Elater [Agriotes] lineatus L.
oder segetis). Er hat einen langgestreckten
(18—20 mm), drehrunden, strohgelben, harten
Körper mit drei Paar Brustbeinen. Der Kopf
ist oben und unten abgeplattet und mit kräf¬
tigen Mund Werkzeugen versehen. Das Fühler¬
paar ist dreigliedrig. Das letzte Körperglied
läuft in ein kurzes braunes Spitzchen aus.
Alle Glieder sind an ihrem äussersten Ende
mit feinen Streifen versehen. Der Drahtwurm
hat sehr viel Aehnlichkeit mit den bekannten
Mehlwürmern (s. d. Larven des Müllers,
Tenebrio molitor), mit denen er von Laien
gewöhnlich verwechselt wird. Die Larven¬
zustände der anderen Arten der Familie der
Schnellkäfer unterscheiden sich im Aeussern
von dem eigentlichen Drahtwurm immer durch
eine andere Form des letzten Körpergliedes,
einige auch durch mehr abgeplatteten Körper
und röthlichere Färbung. Die Drahtwürmer
brauchen 3—5 Jahre zur Entwicklung zum
Käfer; sie werden während dieser langen
Zeit, ausgeschlossen die Verpuppungsperiode,
sehr nachtheilig durch Vernichten von Feld-
und Wiesenpflanzen, wenngleich sie unter
Umständen auch mit verwesenden Pflanzen¬
stoffen fürlieb nehmen. Die Puppe des Saat¬
schnellkäfers istweiss, 7 mm lang, hat schwarze
Augen, und ihr letztes Glied endigt in zwei
Spitzen. Der eigentliche Drahtwurm, der
durch sein häufiges Auftreten dem Land-
wirthe als gefährlicher Feind bekannt ist,
wird im Frühjahr am schädlichsten auf Hafer¬
feldern durch Anfressen oder Durchbeissen
des unterirdischen Stengeltheils der jungen
Pflänzchen; auch die jungen Rübenpflanzen,
Erbsen, Salat u. s. w. haben zu leiden. Im
September und October verwüstet er die
Wintersaaten. Vergilbte Pflanzen in einem
sonst gesund aussehenden Bestand von
Winter- und Sommerfrüchten deuten meistens
auf diesen Schädling oder den Engerling hin.
Will man ihn fangen, muss man Pflanzen
ausziehen, welche erst im Beginn des Kränkeins
sind, die vergilbten hat er bereits verlassen.
Ein Drahtwurm zerstört bis 20 Halme, und
es werden zuweilen 10 Individuen auf einem
Quadratmeter gefunden. Er zieht mehr leichten,
trockenen, tief und gut cultivirten Boden schwe¬
rem, nassem und vernachlässigtem Acker vor.
Gegenmittel. Weil er omnivor ist und
in der Erde lebt, ist seine Vertilgung eine
DRAINAGE, — DRAINAGE DER WIESEN.
397
schwierige. Als Ködermittel bedient man sich
des Aussteckens von Salat, da er dessen
Wurzel sehr gern frisst und sich an dem¬
selben in vielen Exemplaren versammelt.
Nach Versuchen in Ungarisch-Altenburg sollen
Kartoffelstückchen gute Köder sein. Ver¬
dorbene Rapskuchen, die als Viehfutter keine
Verwendung mehr finden, in Stückchen von
Hasehuissgrösse zerschlagen und der Acker¬
krume beigemischt, in welcher Drahtwürmer
hausen, sollen dieselben nicht blos anziehen,
sondern sie durch den Genuss tödten. Nach
dreijähriger Anwendung dieses Mittels sollen
alle Drahtwürmer verschwunden gewesen
sein. Tritt der Drahtwurm in solchen Mengen
auf, dass die Saat gefährdet wird, so ist es
am besten, dieselbe zum Grünfüttern abzu¬
mähen und das Feld von Neuem mit einer
schnell wachsenden Grünfutterpflanze, wie
Wicken, weisser Senf, Incarnatklee zu be¬
stellen, eventuell eine solche Bestellung in
demselben Jahre nochmals zu wiederholen und
erst im folgenden Jahre eine reifende Frucht,
am liebsten eine solche, welche ihm nicht
schmeckt, wie Pferdebohnen, anzubauen. Die
genannten Grünfutterpflanzen munden ihm
nicht besonders und setzen andererseits den
Landwirth in dieLage, das Land öfter zu ackern,
wodurch der Drahtwurm den insectenfres-
senden, auf sie sehr erpichten Vögeln zu¬
gänglich wird. Die Brachhaltung, welche
auch als Mittel vorgeschlagen worden ist,
halten wir hiezu für zu kostspielig. Vergleiche
Agriotes und Elater. Brümmer.
Drainage, drainagiren = trockenlcgen,
bedeutet in aer Chirurgie das Ableiten von
Flüssigkeiten aus Körperhöhlen, Abscessen,
Wunden nach aussen. Wiewohl schon den Alten
die Gefährlichkeit der Retention des Wund-
secretes bekannt war und sie einer frühen
Verschliessung der äusseren Oeffnung durch
Einlegen von Charpiewicken, Leinwandstreifen,
Eiterbändcm etc. entgegenzuwirken suchten,
so datirt die eigentliche Drainage doch erst
seit der Zeit, als Chassaignac die Anwen¬
dung von Röhrchen aus Kautschuk empfahl, da
der Gebrauch der von einzelnen älteren
Chirurgen angewendeten Röhrchen aus Silber
oder Messing ziemlich in Vergessenheit ge-
rathen war. Die ausgedehnteste Verwendung
findet die Drainage aber bei der antiseptischen
Wundbehandlung. Hier handelt es sich darum,
die Wundsecrete sofort nach ihrem Entstehen
zu entfernen. Es werden daher, bevor die
Wunde geschlossen wird, an allen Stellen, wo
möglicherweise eine Nische oder Tasche sich
bilden könnte, Drains eingelegt und durch die
schon bestehende Trennung des Zusammen¬
hanges nach aussen geführt, eventuell selbst
neue, für den Abfluss des Secretes besser
gelegene und speciell für die Aufnahme der
Röhrchen bestimmte Oeffnungen geschaffen.
Um rascher diese Gegenöffnungen anlegen
und gleichzeitig das Drainagerohr einführen
zu können, wurden eigene Instrumente con-
struirt, die aber durchaus nicht absolut noth-
wendigsind und durch ein Spitzmesser, Korn¬
zange etc. vollständig ersetzt werden können.
Fig. 439 stellt ein solches dar, wie es auf Bill-
roth’s Klinik in Verwendung ist: eine grössere
Kornzange, von deren breitgedrückten Bran¬
chen die eine lanzenförmig ausläuft und etwas
entfernt von dem schneidenden Theile vertieft
ist, in welche Vertiefung die zweite Branche
genau hineinpasst, so dass bei geschlossenem
Instrumente keine Her-
vorragungbesteht. Das¬
selbe wird geschlossen
von der entsprechenden
Stelle der Wundhöhle
aus durch die Weich-
theile und die Haut
nach aussen durchge-
stossen, dann geöffnet,
das Drainagerohr er¬
fasst und so letzteres
beim Zurückziehen der
Zange bis in die zu
drainirende Höhle ein¬
geführt.
Die zur Einlage ver¬
wendeten, gut desin-
ficirten (am besten zuvor
in Carbollösung aufbe¬
wahrten) Kautschuk¬
röhrchen werden behufs
Abführung der Flüssig¬
keiten mit seitlichen
Oeffnungen (Fenstern)
versehen und das Ende derselben schief abge¬
schnitten, um sie bei dem später nöthig wer¬
denden Reinigen derselben leichter wieder ein¬
führen zu können. Damit die Drains nicht in die
Höhle hineinschlüpfen können, werden aussen
Sicherheitsnadeln durch dieselben gesteckt.
Das Herausfallen hindert der Verband oder das
Anbinden derselben mittelst eines durch die
Haut gezogenen Fadens. Statt der Kautschuk¬
röhrchen verwendete man auch decalcinirte
und desinficirte hohle Knochen, welche bis
auf das aus der äusseren Wunde hervor¬
ragende Ende vollständig resorbirt werden.
Doch konnten weder diese noch die Glas¬
oder Metalldrains die Kautschukröhrchen ver¬
drängen.
Die Wunde schliesst sich bei gelungener
Heilung bis an das Röhrchen hinan, so dass
eigentlich nur ein von demselben ausgefüllter,
mit glatten granulirenden Wandungen ver¬
sehener Canal übrig bleibt, der nach Ent¬
fernung der Röhrchen sich rasch schliesst.
Bleiben Höhlungen zurück, so ermöglicht das
Drainrohr einerseits den Abfluss der Secrete,
andererseits, wenn nöthig, die Ausspülung
und Desinfection der Tasche. Auch die
Röhrchen müssen öfter herausgenommen,
f ut gereinigt, desinficirt, und entsprechend
er fortschreitenden Verklebung der Wund¬
flächen auch verkürzt werden.
Wer ein Freund von raschen Heilungen
grosser und tiefer Wunden ist, kann auch
in der Thierheilkunde der Drainage nicht
entbehren. Bayer.
Drainage der Wiesen. Künstliche Ent¬
wässerung vermittelst Thonröhren. In Folge
der dadurch bewirkten Regelung der Feuchtig-
398 DRASTICA. — DREHKRANKHEIT.
keitsverhältnisse gewinnen die besseren, vor¬
nehmlich die sog. süssen Gräser, Kleepflanzen
und andere nährstoffreiche Futterpflanzen die
Oberhand (s. unter Wiesenheu). Pott.
Drastica, heftig wirkende Arzneimittel
mit besonderer Beziehung auf die Abführmittel
(Purgantia drastica), welche zum Unterschied
von den gewöhnlichen Laxirmitteln (Eccopro-
tica oder Lenitiva) schon in verhältnissmässig
sehr kleinen Gaben flüssige Darmentleerungen
schaffen, wie CrotonöL, Jalape, Gummigutti,
Kalomel, Podophyllin, Elaterin. Die Abführ¬
mittel im Allgemeinen heissen Purgantia oder
Cathartica. Vogel.
Dreeschland, Grundstück, welches ab¬
wechselnd als Wiese oder Weide und als
Ackerland benützt wird. Pott.
Drehkrankheit, Hydatidosis, cerebri
s. Hydatidocephalus (von öäiüp, Wasser;
Wasserbläschen, cerebrum, Gehirn;
xe<paXiQ, Kopf), ist eine durch die Ansiedlung
des Coenurus cerebralis oder der sog. Gehirn-
quese im Gehirn hervorgerufene Störung in
den Gehirnfunctionen und in der Bewegung.
Coenurus cerebralis ist die Hydatide oder die
geschlechtslose Vorstufe des Hundebandwur¬
mes Taenia Coenurus. Küchenmeister wies im
Jahre 1853 nach, dass jeder Bandwurm in
einer geschlechtslosen Jugendform als Wasser¬
blase oder Hydatide in einem Wohnthiere
schmarotzt, aus der sich der vollständige
Bandwurm erst entwickelt, wenn die Hydatide
von einem anderen Thiere mit der Nahrung
aufgenommen wird. Als Bandwurm wohnt
Taenia Coenurus in Hunden und Füchsen, als
Hydatide in Wiederkäuern und Pferden, am
häufigsten in Schafen; bei diesen Thieren ent¬
wickelt sie sich vorzüglich im Gehirn, selten
im Rückenmark, nicht aber immer vollständig,
sie kann verkümmern. Hering beschreibt im
Repertor. Jahrg. 1862 eine drehkranke Gans,
welche einen erbsengrossen Knoten im lin¬
ken Lappen des grossen Gehirns besass. Ueber
die Entwicklung der Coenurusblasen haben die
Versuche von Küchenmeister, Haubner, May,
Gerlach, Leuckart, van Beneden, Eschricht,
Röll und Fürstenberg Folgendes gelehrt :
Hunde und Füchse setzen mit ihren Ex¬
crementen reife Bandwurmglieder, welche Eier
enthalten, auf die Pflanzen der Weiden ab ; sie
gelangen mit den Pflanzen in den Verdauungs¬
canal der genannten Thiere. Der Magensaft
löst die Eischale auf, der freigewordene Embryo
wandert in den Darm, durchbohrt die Dann¬
häute, um seine Wanderung in die Schädel¬
oder Rückenmarkshöhle auszuführen; er folgt
hiebei dem Laufe grösserer Gefäss- und Ner-
venstämme. Als Spuren seiner Wanderung hin¬
terlässt er öfter auf den betretenen Geweben
hyperämische und leichte, entzündliche Ver¬
änderungen in Form weissgelber Streifen. Ver¬
irrungen sind hiebei nicht ausgeschlossen, die
Embryonen gerathen mitunter in die Darm¬
venen, in die Pfortader, in das Herz und in
die Lungen und führen zur Thrombose und
Zerreissung feiner Gelasse. Nach 12—21 Tagen
hat der Embryo sich auf dem Gehirne fest¬
gesetzt und zu einem hirsekom- bis hanf¬
samengrossen Cysticercus 'oder Blasenwurm
herangebildet, wobei die Pia sehr blutreich
wird, weshalb sich auch in dieser Zeit Symp¬
tome der Gehirnreizung zuerst bemerklicli
machen. 14 Tage später beträgt die Grösse
der Hydatide die einer Erbse, nach weiteren
14—20 Tagen die einer Haselnuss, in dieser
Zeit bemerkt man auch die Entwicklung des
Bandwurmkopfes an der Innenfläche der Bla¬
senmembran als kleine, railchweisse Pünkt¬
chen, dein noch die Haken fehlen; zwei bis
drei Monate nach der Einwanderung ist die
Blase wallnuss- bis eigross und der Kopf voll¬
ständig entwickelt. Die runde oder ovale Blase
ist mit klarem Serum angefüllt, sie ist mit
der Pia durch ein gelbliches Exsudat locker
verbunden und bringt in ihrer Umgebung
die Gehirnsubstanz, selbst den Schädel zum
Schwinden; man trifft sie am häufigsten an der
Oberfläche des Gehirns, seltener an der Basis
desselben oder im Gehirn selbst an, u. zw. in
mehr oder weniger grosser Anzahl, auch wohl
vereinzelt an den verschiedenen Organen der
Brust- und Bauchhöhle, unter der Pleura oder
dem Peritonäum, am seltensten in der Hals¬
oder Lendenportion des Rückenmarks; zwischen
den Meningen hat sich hier Serum ange¬
sammelt. Bei längerer Andauer gehen die
Dreher anämisch und kachektisch unter Hinzu*
tritt einer Gehirnparalyse ein, zuweilen macht
ein apoplektischer Anfall dem Leben schnell
ein Ende.
Junge Thiere disponiren vermöge ihrer
zarten, nachgiebigen Gewebe zur Drehkrank¬
heit, Schafe werden in der Regel im Alter
von 1, Rinder von 2—7 Jahren davon be¬
fallen ; älteren Thieren mit strammem Faserbau
schadet meistens die Infection mit Tänien-
embryonen nicht, die letzteren gehen hier
zu Grunde.
Symptome. Diese kennzeichnen sich als
solche der Gehirnreizung resp. einer localen
Meningitis, bei Zunahme des Umfanges der
Cönurusblase als solche der Gehirndepression
und schliesslich als solche der Kachäxie. Leichte
Trübungen des Allgemeinbefindens pflegen der
Hirnreizung vorherzugehen, namentlich fällt
eine gewisse Trägheit in den Bewegungen auf.
Die Heftigkeit des Erkrankens hängt von der
Menge der in die Schädelhöhe vorgedrungeneu
Cönuren ab, mit ihrer Ansiedlung auf der Pia
bemerken wir an den Patienten ein Tiefhalten
des Kopfes und Schütteln mit demselben,
periodisch benehmen sie sich unruhig, aufge¬
regt, springen und laufen unstät umher, die
Conjunctiva röthet sich, der Kopf fühlt sich
wärmer an, der Puls aufgeregt. Schwindel¬
und Krampfanfälle oder Convulsionen treten
nicht selten ein, während solcher Anfalle hört
man die Thiere mit den Zähnen knirschen,
der Speichel wird zu Schaum gekaut, die
Augen werden verdreht. In den meisten Fällen
lassen die genannten Symptome allmälig in¬
nerhalb 4—6 Tagen nach, die Patienten wer¬
den scheinbar wieder gesund, bis sich mit der
Zunahme der Cönurusblasen nach einigen Mo¬
naten, seltener schon nach 8—14 Tagen plötz¬
lich die Gehirndepression bemerklich macht
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DREHKRANKHEIT.
399
Nunmehr markirt sich Stumpfsinmgkeit unter
Abnahme der Fresslust, verzögertem Absatz
der Darmexcremente und Fieber. Das Fressen
geschieht unregelmässig und mit Unterbre¬
chung, die Kranken sind wie betäubt, gehen
beschwerlich, wanken hin und her mit ge¬
senktem oder gehobenem Kopfe; sie drängen
nach einer Seite, gehen im Kreise, drehen sich
auf festgestelltem Hinter- oder Vorderfusse um
sich selbst, wenn die Hydatiden ihren Sitz
auf den Lappen der einen oder andern Hemi¬
sphäre des Grosshirns haben; das Drehen
findet nach der Seite statt, auf welcher die
Blasen sitzen. Gehen die Thiere mit hochge¬
streckter Nase taumelnd und fallen sie dabei
nach rückwärts oder seitwärts um, so sitzt
die Blase mehr in der Mitte des hinteren
Theiles des Grosshirns oder im kleinen Ge¬
hirn — traben sie mit gesenktem Kopfe und
überstürzen sich dabei nach vorn, so lässt
dies den Sitz der Blase in der Mitte des vor¬
deren Theiles des Grosshirns vermuthen. Der
Sitz der Blase im Rückenmark verrüth sich
durch Schwäche im Kreuz, wackeligen Gang
mit dem Hintertheile und völliger Paralyse
desselben. Oefter entdeckt man an der atro-
phirten Stelle des Schädels eine Verdünnung
und Nachgiebigkeit des Knochens; drückt man
fest auf diese Stelle, so verfallen die Kranken
in Convulsionen. Die meisten von ihnen ver¬
enden nach mehrmonatlicher Dauer bei Zu-
und Abnahme der Symptome in Folge Ab¬
nahme der Kräfte und der Hirnparalyse, ein¬
zelne schon in den ersten 6—8 Tagen des
Stadiums der Gehirndepression.
Differentialdiagnose. Andere Ge-
himkrankheiten, besonders schleichend verlau¬
fende Gehirnentzündungen mit Erguss von
Serum oder Blut in die Meningen oder Hirn-
ventrikel können mit der Hydatidosis ver¬
wechselt werden, sie bedingen aber einen
schnelleren Verlauf und eine Stetigkeit der
Symptome, ohne prägnante Zeichen einer Ge¬
hirnreizung.
Oestruslarven in den Kopfhöhlen ver¬
ursachen mitunter ähnliche Erscheinungen wie
die Drehkrankheit, weshalb man sie auch
unter dem Namen „falsche Drehkrankheit“ zu¬
sammengefasst hat; eigentliches Drehen wird
hiebei selten beobachtet, sondern mehr ein
Schleudern mit dem Kopfe bei häufigem Pru¬
sten und Niesen, wobei mitunter Larven aus-
goworfen werden.
Schwindel und Epilepsie haben tau¬
melnden Gang und Fallen auf die Erde ge¬
mein, ihre Anfalle sind aber von kurzer Dauer,
nach ihrem Vorübergange sind die Thiere
wieder gesund und munter. Blinde Lämmer
sind für Dreher gehalten worden, sie rennen
indes gegen alle Gegenstände, was Dreher
nicht thun. Die Untersuchung der Augen gibt
hier richtigen Aufschluss über die Ursache des
abnormen Ganges der Lämmer.
Schleim- oder Eiteransammlung in
den Kieferhöhlen verursacht Schiefhalten
des Kopfes und Drängen nach der Seite. Die
Zeichen eines chronischen Katarrhs und Auf¬
treibung der Kieferknochen schützen vor Ver¬
wechslungen.
Behandlung. Sie richtet in der Regel
wenig aus, weil die Entwicklung der Cönurus-
blasen durch Anwendung innerlicher Mittel
nicht aufgehalten werden kann: selbst nach der
operativen Entfernung der Blasenwürmer blei¬
ben Abnormitäten im Gehirn zurück, welche
eine vollständige Heilung sehr problematisch
machen. Kreuzdreher sind unheilbar, man
schlachtet sie je früher desto besser. Von den
operirten Schafen genesen im günstigsten Falle
der dritte Theil, der bei weitem grösste Theil
geht an den Folgen der Operation in einigen
Stunden oder Tagen zu Grunde oder bleibt
drehkrank, w r eil an der Stelle der Blase
sich wieder Serum ansammelt oder sich Eiter
bildet. Die Beseitigung der Cönurusblasen hat
man auf verschiedene Weisen zu bewerkstel¬
ligen gesucht. Das Anstechen der Blasen mit
dem sog. „Himdurchsucher“ hat man in
neuerer Zeit ganz aufgegeben, w’eil es völlig
dem Zufall anheimgegeben ist, ob man die
Blase trifft. Man führte nämlich einen dünnen
Draht durch die Nasenlöcher und das Sieb¬
bein ein und stiess ihn nach verschiedenen
Richtungen in die Hirnhöhle hinein. Ratio¬
neller ist das Anstechen der Blase mit einem
federkieldicken Troicart an der dem Finger¬
drucke nachgebenden Stelle des Schädels und
das Aussaugen des Serums mit einer Spritze,
oder die Trepanation. Als Operationsstelle wählt
man den Theil des Schädels, welcher etw r a
einen Finger breit hinter oder nach der Me¬
dianlinie zu neben den Hörnern, resp. Horn¬
ansätzen liegt, oder die Mitte der Stirn, was
insofern vortheilhafter ist, als man von der
Mitte aus den dünnen Troicart zum Anstechen
der Blase nach Erforderniss nach rechts und
links in verschiedenen Richtungen einführen
kann, während man sonst Gefahr läuft, die
Blase nicht zu treffen und die Operation wieder¬
holen zu müssen, was erst 1—3 Wochen
später geschehen kann, wenn man nachtheilige
Folgen sicher vermeiden will. Wo der Schädel¬
knochen atrophisch geworden ist, kann man
ihn mit dem Messer anschneiden. Ausser dem
Serum ist auch die Blasenmembran mit der
Spritze anzusaugen und herauszuziehen oder
mittelst Haken und Pincette herauszunehmen,
die zurückbleibenden Theile derselben werden
nicht resorbirt, sondern schrumpfen nur ein
und bleiben als Fremdkörper im Gehirn liegen.
Bezüglich der Ausführung der Trepanation
ist nach den Regeln der Akiurgie zu verfahren.
Das Durchbrennen der geschwundenen
Stelle des Schädels mit dem Glüheisen nach der
Vorschrift Neyrac’s und Vilmorin’s ist als un¬
praktisch ganz verlassen worden.
Drehkranke Rinder müssen der Stärke der
Knochen wegen immer trepanirt werden. Die
Operationsstelle sucht man durch die Percus¬
sion zu ermitteln; ein dumpfer, matter Ton
oder grössere Empfindlichkeit zeigt den Sitz
der Blase an.
Prophylaktisch empfiehlt sich das Ausmer¬
zen der mit Bandwürmern behafteten Schäfer¬
hunde oder das Abtreiben der Bandw ürmer. Anr.
400
DREIBLATT. — DREIVIERTELBLUT.
Die Drehkrankheit kommt beim Rinde
seltener vor al9 beim Schafe und wird beim
Rinde ebenso wie beim Schafe durch den Hirn-
blasenwurm (Coenurus cerebraliß), der beim
Rinde Hühnereigrösse erlangt, verursacht.
Die Krankheitserscheinungen beim Rinde sind
Betäubung, Schwindel, schwankender Gang,
Zurseitehalten des Kopfes, Drehbewegungen
zur Seite oder im Kreise. Die Thiere fallen
wohl auch nieder, das Auge wird starr, die
Pupille erweitert, Appetit und Wiederkäuen
vermindert, Athmen beschleunigt, beschwer¬
lich, es erfolgt Abmagerung und Milchverlust
und schliesslich der Tod durch Lähmung.
Das Alter der Krankheit lässt sich auch hier
wie beim Schaf nach der Grösse des Blasen¬
wurmes berechnen. 20—30 Tage alte Blasen
haben Mohnsamen- bis Erbsengrösse, und
hühnereigrosse Blasen sind meistens drei
Monate alt. Die Drehkrankheit des Rindes
gilt in einigen Ländern als Gewährsmangel
mit einer Gewährsfrist von 14—39 Tagen;
diese Frist genügt aber nicht, da die ersten
Krankheitserscheinungen meist erst einige
Monate nach Einwanderung des Wurmes auf-
treten. 12—18 Tage nach der Aufnahme der
Eier oder Proglottiden der Taenia coenurus
des Hundes sind die Embryonen des Coenurus
bis ins Hirn der Schafe oder Rinder vorge¬
drungen.
Beim Schafe beginnen die ersten Hirn¬
erscheinungen 22—30 Tage nach der Auf¬
nahme, und sind die Bläschen mohn- bis
erbsengross, 50 Tage nach dem Verzehren der
Eier findet man haselnussgrosse Blasen im
Gehirn, und nach drei Monaten haben die
Blasen Taubenei- bis Wallnussgrösse erreicht.
Danach ist das Alter der Blasen und die Zeit
der Einwanderung zu bestimmen. Die Dreh¬
krankheit gilt nur in einigen Ländern als
Gewährsmangel mit einer Gewährszeit von
14 Tagen in Nassau und Thurgau;
15 » im Canton St. Gallen;
31 „ „ „ Schaffhausen.
Diese Gewährsfristen sind aber offenbar
zu kurz angenommen worden, da die deutlich
ausgesprochene Krankheit erst nach vollkom¬
mener Entwicklung der Blase im Gehirn, also
erst einige Monate nach erfolgter Aufnahme
der Bandwurmeier auftritt. Scmmer .
Dreiblatt oder Fieberklee, bekannte Gen-
tianee (früher Bitterklee, Trifolium fibrinum),
s. Menyanthes trifoliata.
Dreieckiger Körper der Harnblase, siehe
Harnblase.
Dreieckkrabben. Oxyrhyncha Edw. Ma-
jacea de Haan. Eine Familie der kurz-
schwänzigen decapoden Krebse oder Krabben
aus der Classe der Crustacea, Unterclasse
der Malacostraca, Ordnung der Decapoda,
Unterordnung der Decapoda Brachyura, Familie
der Oxyrhyncha s. Majacea. Die Dreieck-
krabben haben einen dreieckigen, hinten
verbreiterten, nach vorne spitzen Kopfbrust¬
schild, der häufig in einen spitzen Stim-
schnabei auslftuft. Die Beine sind meist lang,
cylindrisch, niemals Schwimrabeine. Der Mund¬
rahmen viereckig, die äusseren Antennen immer
weit von einander getrennt. Die Dreieck¬
krabben sind träge, langsam sich bewegende
Thiere, die sich am Grunde des Meeres oft in
grossen Tiefen aufhalten.
Man kennt gegenwärtig 116 Gattungen,
welche von Miers in 4 Familien gesondert
werden.
1. Die Inachidae ohne besondere Augen¬
höhlen, in welchen die Augen geborgen werden
können.
2. Die Majidae. Mit besonderen Augen¬
höhlen, die aber meist nach unten eine Spalte
zeigen oder sonst unvollständig sind.
3. Die Periceridae. Mit vollkommenen
Augenhöhlen, die einen durchwegs vollkom¬
menen Rand zeigen.
4. Die Parthen opidae mit stark seitlich
verbreitertem Kopfbrustschild, unter dessen
Seitenränder sich die Beine bei einzelnen Gat¬
tungen zurückziehen können, mit kleiner, aber
gut entwickelter Augenhöhle und sehr schlanken
Antennen, deren erstes Glied dünn und klein
ist und den Stirnrand nicht erreicht.
Typische Dreieckkrabben stellen die sog.
Seespinnen, Maja squinado, dar, welche an den
Mittelmeerküsten häufig gefangen und gegessen
werden. Sie haben einen stacheligen Kopf¬
brustschild, der nach vorne in zwei Hörner aus¬
läuft, und lange, cylindrische Extremitäten. Str.
Dreiläufer werden junge Hasen genannt,
welche drei Vierttheile ihres Wachsthumes er¬
reicht haben. Koch,
Dreischlag, auch Antritt oder Halbgalop,
Halbpass genannt, ist eine unregelmässige
Gangart, bei welcher die Pferde zwei verschie¬
dene Bewegungsarten während der Abwicklung
eines einmaligen Bewegungsmomentes aller
vier Extremitäten vollführen, z. B. vorne Galop,
hinten Trab oder Pass, sowie theilweise auch
umgekehrt, wodurch eben eine ganz verworrene
Bewegung entsteht. Dieser Dreischlag ist
entweder die Folge von Uebereilung bei sehr
temperamentösen feurigen Pferden, oder er
tritt bei sehr ermüdeten und insbesondere in
einer bestimmten Gangart, z. B. im Trabe
überangestrengten Pferden namentlich dann
auf, wenn dieselben zu einem noch rascheren
Tempo in dieser Gangart angetrieben werden.
Geht ein Traberpferd auf der Rennbahn über
eine gewisse Strecke im Dreischlag, so wird
dasselbe distanzirt. Leckncr.
Dreiviertelblut. In der Zootechnik nennt
man seit alter Zeit diejenigen Thiere, welche
als Producte eines zweiten Kreuzungsgrades
mit Vollblut bezeichnet werden können, „Drei-
viertelblutthiere“. Deren Mütter stammen von
einem edlen (Vollblut-) Vater und einer Mutter
gemeinen Schlages. In der Neuzeit scheint
die Bezeichnung „Dreiviertelblut“ mehr und
mehr zu verschwinden. Es hat auch in der
That dieselbe nur so lange Bedeutung, als es
sich bei einem Viehstamme oder einer Familie
um Einführung eines neuen Blutes handelt.
Man will kurz damit andeuten, wie gross oder
stark die Einmischung des Vollblutes bei
einem einzelnen Thiere oder auch bei einer
Familie gewesen ist. Die späteren Bruchtheile,
die durch solche Kreuzungen von edlen und
DREIVIERTELEISEN. — DRENTHER RINDVIEHSCHLAG.
401
veredelten Thieren (% mit % nur % Blut)
entstehen, werden neuerdings in der Praxis
nur noch selten in Gebrauch genommen, man
begnügt sich gewöhnlich mit den Bezeich¬
nungen % Blut, % Blut und sehr veredelten
Thieren. Frey tag,
Dreivierteleisen. Ein Hufeisen, gewöhn¬
lich ohne Stollen und Griff, an dessen einem,
meist innerem Schenkel, deijenige Theil fehlt,
welcher auf den Trachtentragrand zu liegen
kommt. Das Dreivierteleisen kann aus jedem
gewöhnlichen stollenlosen Eisen durch Ab¬
hauen (Verkürzen) des einen Schenkels her¬
gestellt werden. Der Hieb (Schnittfläche) wird
von der Huffläche nach der Bodenfläche zu
ausgeführt und die scharfen Ecken und Kanten
werden mit der Feile abgerundet (Fig. 440).
Fig. 440. Dreivierteleisen.
Es kann und wird 1. mit Vortheil bei Hufen
mit veralteten SteingaUen und 2. bei krank¬
haft schiefen Hufen verwendet.
1. Bei Hufen mit veralteten Steingallen
ist es angezeigt, wenn die Verbindung zwi¬
schen Hornwand und Hornsohle intact und
der Hornstrahl kräftig entwickelt ist. Auf
letzteren Umstand ist besonders bei Hufen
der bodenweiten Stellung zu achten. Dadurch,
dass die kranke Stelle am Hufe gegen jeg¬
lichen Eisendruck bewahrt bleibt, erklärt sich
seine wohlthätige Wirkung. Am Eisen selbst
sind die Nagellöcher möglichst gleichraässig
über den Zehentheil zu vertheilen, am inneren
Schenkel genügen zwei und am äusseren
drei Nagellöcher. Am Dreivierteleisen für
Hufe der bodenweiten Stellung ist eine
kleine Seitenkappe am äusseren Schenkel
zweckmässig.
2. Wird das Dreivierteleisen gegen
krankhaft schiefe (namentlich Fohlen-) Hufe
angewendet; es zeigt sich hier gar nicht selten
als ein hervorragendes Correctiv. Es ist in
allen denjenigen Fällen am Platze, in denen
in Folge des schiefen und zuweilen auch
krummen Hufes ein seitliches Ueberkippen
droht. Das zu benützende Eisen weicht je¬
doch vom vorigen in der Art ab, dass es
ungleich dick ist Der volle, unverkürzte, auf
die eingezogene Wand zu liegen kommende
Kocb. EncyklopiUüo d. Thiprh**ilk<l. IT. B<1.
Schenkel wird stark gelassen, über den
Zehentheil nach dem anderen Schenkel muss
das Eisen allmälig an Dicke abnehmen und
am verkürzten Schenkel schwach enden. Auf
diese Weise wird die Last von der eingezo-
genen Wand auf die entgegengesetzte Huf¬
hälfte verlegt. Der starke Eisenschenkel muss,
wenn die Wirkung des Beschlages offenkundig
zu Tage treten soll, so weit auf den Huf
gepasst werden, dass eine vom Trachten¬
tragrande gefällte Lothrechte den Eisenrand
trifft. Der gegenüberliegende Eisenschenkel
dagegen ist so eng als möglich zu richten.
(Vergl. schiefer Huf.) Zuweilen werden auch
Dreivierteleisen dann gebraucht, wenn ein
Theil der Hornwand durch Operation entfernt
wurde, das Pferd aber vor der vollständigen
Heilung transportirt werden muss.
3. Das sog. geschlossene Drei¬
vierte leisen ist ein geschlossenes Eisen,
an welchem, in der Regel am inneren Schenkel
das dem Seiten- oder Trachtentragrande
oder beiden zugleich entsprechende Stück
herausgehauen ist. Es wird mit Vortheil
stets gegen veraltete Steingallen und nach
der Javartoperation dann angewendet, wenn
die Huflederhaut sich mit Horn bedeckt hat
und das betreffende Pferd wieder zum Dienst
verwendet werden soll. Lungwitz,
Drenther Rlndviehschlaa. Unter den ver¬
schiedenen Viehschlägen Hollands nimmt das
Drenther Rind zwar keinen der ersten Plätze
ein, verdient aber immerhin nach unseren Er¬
fahrungen grössere Beachtung, als ihm bisher
in Deutschland zutheil geworden ist. Die
Provinz Drenthe grenzt bekanntlich an Han¬
nover und liegt zwischen Friesland, Oberyssel
und Gröningen nahezu in der Mitte; fast die
ganze Landschaft eignet sich vortrefflich
zur Züchtung von Rindern, und es wird da¬
selbst auch Jahr für Jahr eine ansehnlich
grosse Zahl von Thieren dieser Gattung auf¬
gezogen. Mit vollem Recht darf man das
meiste Drenther Vieh feinknochig und zierlich
nennen, nur im centralen Theile der Provinz,
in der Umgegend von Assen, Laag, Wester¬
bork, auch bei Dwingelow, Kainen und dem
Kainerwalde bei Meppel wird der fragliche
Schlag etwas schwerer und knochiger. Das
Lebendgewicht der ausgewachsenen Kühe
dieser Landschaft schwankt zwischen 600 und
700 kg; nur vereinzelt trifft man daselbst grös¬
sere und schwerere Exemplare. Man findet in
Drenthe sowohl Schwarzschecken wie Thiere
von rothbunter und fahlbunter Haarfarbe.
An der Grenze von Oberyssel kommen in der
Regel nur rothbunte Kühe vor; diese wie
die meisten anderen Rinder der genannten
Provinz zeigen in der Körpergestalt eine grosse
Aehnlichkeit mit dem schottischen Rinde von
Ayrshire, und es ist nicht unwahrscheinlich,
dass solches mit jenem holländischen Schlage
von Drenthe verwandt ist. Bezüglich der
Aufzucht und Haltung der Rinder in dieser
Landschaft dürfte noch Manches zu verbessern
sein; in dem ersten Lebensjahre erhalten die
Rinder gewöhnlich ein sehr knappes, durch¬
aus nicht hinreichendes Futter; auch lässt
26
402
DRESDEN. — DROHNE.
man die Thiere häufig zu früh zum Stier, wo¬
durch ihr Wachsthum sehr beeinträchtigt
wird. Die jungen Kühe liefern im ersten Jahre
nach dem Kalben etwa 20001 Milch; später
—wenn sie in gutenStällen hinreichend ernährt
werden — geben sie 2500—30001 jährlich.
Man rühmt sowohl die Mastfähigkeit wie die
gute Qualität des Fleisches der Drenther
Ochsen; letzteres soll äusserst zart und schmack¬
haft sein. Ein besonderer Vorzug des frag¬
lichen Schlages ist dessen Widerstandsfähig¬
keit gegen Krankheiten; man nennt ihn wohl
mit Recht den gesundesten und kräftigsten
in den Niederlanden. Es dürfte dieser Um¬
stand bei der Auswahl des holländischen
Viehes für den Export mit Recht Beachtung
verdienen. In der neueren Zeit ist das Drenther
Vieh häufig für deutsche Wirthschaften der
minder fruchtbaren Gegenden gern gekauft
worden; dasselbe ist in der Heimat nicht
verwöhnt und liefert hier bei einigermassen
guter Haltung ganz befriedigende Milch¬
erträge. Auf unseren besseren Bodenarten
wird das Drenther Vieh schon in der zweiten
Generation ungleich schwerer und in den
Milcherträgnissen viel besser, als die einge¬
führten Originalthiere zu sein pflegen. Die
Provinz Drenthe steht in der Pferdezucht
ebenso hoch wie in der Rinderzüchtung; der
dortige Schlag besitzt recht gute Formen,
zeigt tüchtige Leistungen, besonders im Trabe,
und dabei eine lobenswerthc Ausdauer. Die
Harttraber dieser Landschaft werden meistens
sehr gut bezahlt. Freytag.
Dresden, Thierarzneischule, gegründet
1776. An derselben wirkten: Weber, Rumpelt,
Wenzel, Hirsch, Reutter, Tennecker, Prinz,
Seiler, Haubner (gegenwärtig Leisering, Sie-
damgrotzky, Hofmeister, Sussdorf, Haubner,
Ellenberger, Johne, Lungwitz). Aus der
Dresdner Schule gingen hervor: Funke, Bau¬
meister, Tannenhauer, Neuschild, Weber,
Böhme, Prinz, Trautvetter, Bräuer, Bene¬
dict u. A. m. Semtfier.
Dressiren, Dressur, Einübung (s. a.
Abrichtung). Darunter begreift man im All¬
gemeinen die Zähmung, Abrichtung und Ein¬
übung eines Haus- oder wilden Thieres zu
irgend einem Gebrauchszwecke. Die grösseren
HauBthiere werden zum Reiten, Lastentragen,
Fahren, Ziehen, Früchteaustreten etc. ver¬
wendet, wie z. B. die Pferde, Rinder, Kameele,
Elephanten, Giraffen etc., und die kleineren
zur Jagd, zur Belustigung und zum Vergnügen
der Menschen abgerichtet, wie z. B. die Hunde
zu den verschiedenen Jagden, auch zum Ziehen
von Lasten, zum Bewachen der Viehheerden,
zum Schutz der Menschen und Wohnungs¬
gelasse und zum Vergnügen: die wilden
Thiere, wie Löwen, Leoparden etc. zu Schau¬
stellungen: die Vögel theils zur Jagd und
theils zu Volksbelustigungen etc. Die Pferde¬
dressur ist nicht nur eine manuelle Fertigkeit,
sondern eine wirkliche Kunst. Die Praxis des
Dresseurs verlangt ausser theoretischen Kennt¬
nissen über Anatomie und Physiologie des
Pferdes auch mathematische Kenntnisse, damit
er aus der Proportionslehre des Körperbaues,
der Organisation im Ganzen und Einzelnen
die Abrichtungsfähigkeit beurtheilen kann.
Ferner muss er auch die Gesetze und Regeln
der Mechanik kennen, um aus der Hebel¬
wirkung und Winkelbildung die Stellung und
Bewegungsthätigkeit des Thieres bemessen
und bemeistem zu können. Nur wer mit diesen
Kenntnissen ausgerüstet, ist fähig, die Dressur
eines Pferdes wissenschaftlich und kunst¬
gerecht zu leiten. Ableitner .
Driver war seinerzeit ein berühmter Be¬
schäler der englischen Halbblutrasse im
königlich preussischen Hauptgestüte zu Tra¬
kehnern In den Jahren 1818—1820 kamen
dorthin vier ausgezeichnete Hengste der eng¬
lischen Vollblutrasse (Blackmoor, Serapell,
Amber und Mungo), dieselben lieferten in
ihrer Nachzucht für das Gestüt 110 Mutter¬
stuten und drei höcht werthvolle Hengste:
Driver, Trafalgar und Pretender, welche sich
alle durch hervorragende Leistungen auszeich¬
neten und nach Frentzel’s Mittheilungen dem
Gestüte Trakehnen eine viel bessere Nachzucht
geliefert haben als die ziemlich gleichzeitig
benützten orientalisch-arabischen Hengste Bag-
dadli, Teheran, Eminlik, Kiurd-Arab, Oglan,
Delisadehr, Kaseh und Altin. Diese haben
im Ganzen nur 83 zum Einrangiren geeignete
Zuchtstuten gezeugt, welche inSumma 729 Jahre
benützt worden sind. Frey tag.
Drogenlehre, s. Arzneimittellehre.
Drohne, Drahne, Holmbiene und
Helmbiene genannt, ist das Bienenmännchen.
Es unterscheidet sich von der Königin und der
Arbeitsbiene durch einen dickeren, plumperen
Körper, welcher hinten nicht spitz zulaufend,
sondern breit abgerundet ist und hat aucli
einen grösseren, runderen Kopf. Ihr ganzes
Wesen ist mehr langsam und träge als das
der Arbeitsbienen. Ihren Namen hat sie von
ihrem Flugtone, welcher mehr dröhnend oder
brausend als bei den weiblichen Bienen ist.
Im normalen Zustande des Bienenvolkes legt
die befruchtete Königin auch die Drohneneier.
Da aber die Drohneneier keiner Befruchtung
bedürfen, um sich zum Leben zu entwickeln,
sondern uranfänglich den Lebenskeim in sich
tragen, so können auch unbefruchtet gebliebene
Königinnen (alte Jungfern), ja selbst Arbeits¬
bienen ausnahmsweise Drohneneier legen, die
sich ebenfalls zu innerlich vollkommenen, mithin
begattungsfähigen Drohnen entwickeln können.
Nur ihre äussere Grösse ist eine geringere,
jedoch die Gestalt im Uebrigen dieselbe wie
bei den grossen, von befruchteten Königinnen
stammenden Drohnen. Die Entwicklung der
Drohnen, vom Ei ab gerechnet, dauert ungefähr
24 Tage, wovon, wie bei der Arbeitsbiene,
drei Tage auf die Entwicklung und etwa
sechs Tage auf den Larvenzustand kommen,
während der Puppenzustand in der bedeckelten
Zelle vier Tage länger als bei der Arbeits¬
biene, ungefähr 15 Tage dauert.
Während bei den meisten Thiergattungen
das Männchen das stärkere Geschlecht und
vorzugsweise mit Arbeitskräften und den
Mitteln zum Schutze seiner selbst und der
Seinigen ausgerüstet ist, entbehrt die Drohne
DROHNENGESCHLECHT.
403
aller Thatkraft und Schutzmittel. Sie ist mit
keinem Stachel versehen und weiss sich nicht
einmal mit ihren Kiefern zu wehren. Sie
nimmt an keiner Arbeit theil, weder innerhalb
noch ausserhalb des Stockes. Sie hat weiter
keinen Zweck und Nutzen, als den, die junge
Königin zu befrachten.
Obgleich die Königin zur Verhängung
nur einer Drohne bedarf, so erzeugt ein
sch wärmlustiges Volk, dem man freien Willen
lässt, doch eine sehr grosse Anzahl derselben.
Es geschieht dies aus dem instinctmässigen
Grunde, dass die Königin bei ihrem Ausfluge
um so leichter eine Drohne auffinden und um
so sicherer und früher befruchtet werden soll.
Im Naturzustände leben die Bienenvölker
vereinzelt, und naturtriebsmässig siedelt sich
jeder Schwarm entfernt vom Mutterstocke an.
Diese Einzelexistenz der Bienenvölker bedingt
denn auch eine grössere Anzahl Drohnen für
das einzelne Volk, um die Befruchtung der
Königin zu erleichtern und sicherzustellen.
Je weniger Drohnen, desto öfter muss die
Königin zur Befruchtung ausfliegen und desto
grösser ist die Gefahr, dass sie dabei um¬
kommt und dadurch das Volk zu Grunde geht.
Um dieser Gefahr zu begegnen, opfert das
Volk eine grosse Menge Honig zur Erziehung
und Erhaltung vieler Drohnen.
Dagegen verhält sich die Sache anders,
wo die Bienenvölker gezüchtet werden und
demnach in grösserer Anzahl beisammen
stehen. Da hier die Drohnen aus allen Stöcken
und selbst von den benachbarten Ständen
der Königin zur Verhängung dienen können,
so ist eine grosse Anzahl derselben im ein¬
zelnen Stocke nicht nöthig. Da ferner die
Drohnen keinen Honig eintragen und auch
nicht durch sonstige Arbeiten sich nützlich
erweisen, sondern nur gefrässige Honigzehrer
sind, so ist unter gewöhnlichen Verhältnissen
eine grosse Anzahl derselben der Zucht sehr
nachtneilig. Der Züchter handelt deshalb nur
in seinem Interesse und dem Bedürfnisse der
Bienen entsprechend, wenn er die Drohnen¬
brut nach Kräften beschränkt, indem er im
Brutraume der Bienen das Bauen von Drohnen¬
wachs zu verhindern sucht, so lange dieses
mit Drohnenbrut besetzt wird, oder er zer¬
stört die Drohnenbrut. Ableitner.
Drohnengesohleoht. Dasselbe bilden die
männlichen Bienen oder Drohnen, die nur zu
dem Zeitpunkte im Volke ein Bedürfnis
werden, wenn eine junge Königin befruchtet
werden soll. Ist die Königin befruchtet, so ist
der Zweck der Drohnen erfüllt, und sie werden
von den Arbeitsbienen wieder vertrieben. Die
Entwicklung und Ausführung des befruchteten
Samens betreffend vergl. u. Bienen.
In den Hoden der Drohne (Fig. 441 aa)
bildet sich der männliche Same, u. zw. schon
ehe sich die Drohne vollständig entwickelt hat,
während sie sich noch als Puppe oder Nymphe
in der bedcckelten Zelle befindet. Dieser Same
ist, mit blossen Augen betrachtet, eine dicke,
weisse Flüssigkeit. Unter dem Mikroskop er¬
kennt man jedoch, dass er aus einer er¬
staunlich grossen Menge kleiner, beweglicher,
also lebender Fädchen, früher Samenthier-
chen genannt, besteht. Diese Samenfädchen
geben dem weiblichen Geschlechte der Bienen
das Leben, u. zw. nur diesem Geschlechte,
Fig. 441. Geschlechtsorgane der Drohne.
indem sie die im Ei liegenden Keime des
weiblichen Geschlechtes zur Entwicklung brin¬
gen. Diese einseitige Kraft des männlichen
Samens hat sehr wahrscheinlich ihren Grund
darin, dass die Drohne aus einem rein weib¬
lichen oder Jungfernei entstanden, also ein
einseitig weibliches Erzeugniss ist. Wenn die
Drohne sich vollständig entwickelt und die
Zelle verlassen hat, tritt der Same in den
doppelten Samengang b b. Diese beiden Samen¬
canäle haben bei c c eine Erweiterung, wo der
Same sich vorläufig ansammelt. Da, wo sich
dieselben zu einem Canal vereinigen, befinden
sich zwei sackförmige Drüsen, Anhangs¬
drüsen genannt, d d, welche ebenfalls in den
einfachen Canal e münden und einen weissen
Schleim absondern. Dieser Schleim hat die Be¬
stimmung, die aus c c in den einfachen Canal e
übertretenden Samenfädchen zu umhüllen und
zu einem sogenannten Samenpfropf (Sper¬
matophora) am Anfang des Penis f zu ver¬
binden, wodurch der Anfangstheil desselben
(Peniszwiebel) bimförmig anschwillt. In dieser
Umhüllung wird der Same bei der Begattung
in die Scheide der Königin übergeführt. Bei
einer eben von der Befruchtung heinikeh¬
renden Königin kann man oft diesen Schleim
als Zeichen der geschehenen Befruchtung
wahrnehmen. Das männliche Begattungsglied
besteht aus mehreren Theilen. Es beginnt
mit der schon erwähnten bimförmigen An-
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404
DROHNENMÜTTER. — DROSSELN.
Schwellung oder der Peniszwiebel f, welche an
der Rückseite von zwei Homschuppen g ein-
eschlossen wird. Am Ende der Ruthe be-
nden sich neben derselben die beiden sog.
Hörnchen k, welche orangenfarbige, zipfelsack-
förmige Schläuche sind und vermuthlich bei
der Begattung zum Festhalten dienen. Bei
der Verhängung der Drohne mit der Königin
stülpt sich die Ruthe bis zur Peniszwiebel f
nach aussen und dringt während des Um-
stülpens in die Scheide der Königin, wodurch
der Samenpfropf in die letztere eingebracht
und der Same in die Samentasche der Königin
über geführt wird. Man kann sich dieses Um-
stülpen der Ruthe ungefähr veranschaulichen,
wenn man eine Drohne am Bruststück nach
dem Hinterleibe zu drückt. Es treten dann die
beiden Hörnchen sich umstülpend am Hinter¬
leibe der Drohne heraus, und zwischen diesen
springt die Ruthe hervor, welche in gebogener
Richtung nach oben schnellt. Das Umstülpen
des Peni6 hat den sofortigen Tod der Drohne
zur Folge, die ohnedies zu keiner zweiten Be¬
fruchtung mehr dienen könnte, und der um¬
gestülpte Penis hängt mittelst widerstrebender
Borsten und Schuppen so fest in der Scheide,
dass beim Trennen der Königin von der
todten Drohne in der Regel ein Theil der
männlichen Geschlechtstheile abreisst und in
der Scheide stecken bleibt. Bei der Rückkehr
der Königin nach erfolgter Befruchtung sieht
man oft diese abgerissenen Theile wie einen
kleinen weissen Faden am Hinterleib derselben
hängen oder die Scheide durch dieselben
klaffend getrennt, was ebenfalls als Befruch¬
tungszeichen anzusehen ist.
Da die Drohnen nur den Zweck haben,
junge Königinnen zu befruchten, so werden sie
von den Bienen erst dann erbrütet, wenn diese
beabsichtigen, zu schwärmen und zu dem
Ende junge Königinnen zu erziehen. So lange
diese Schwärmlust währt, gewöhnlich bis
zum Ende der Haupttracht im Sommer, dulden
sie die Drohnen. Geben sie aber den Schwärm-
trieb auf, so werden die Drohnen vertrieben.
Man nennt diese Zeit die Drohnenzeit und
das Vertreiben der Drohnen die Drohnen¬
schlacht. Nur solche Völker, welche keine
befruchtete Königin besitzen, dulden die
Drohnen ausser der Drohnenzeit.
Literatur: G. Dathe's Lehrbuch der Bienen-
zxicht. Ableitner.
Drohnenmütter, auch Afterköniginnen
(falsche Königinnen), stammen von den Eiern
der Arbeitsbienen ab. In solchen Bienenstöcken,
welche längere Zeit keine befruchtete oder
gar keine Königin haben, also weisellos sind,
kommt es nicht selten vor, dass eine oder
mehrere Arbeitsbienen Eier legen. Zu diesem
Zwecke bekommen jene Bienen, deren Eier¬
stock etwas mehr entwickelt ist, königliche
Nahrung, indem sie mit geläutertem Futter¬
brei von den übrigen Bienen versorgt werden,
während die sonstigen Arbeitsbienen rohen
Honig und Pollen bekommen. Der Eierstock
wird dadurch zur Eibildung gereizt und be¬
fähigt, und sie sind nun im Stande, Eier ab¬
zusetzen. Diese Eier sind aber blos Jungfern¬
oder Drohneneier (Parthenogenese), aus denen
sich wieder nur Drohnen entwickeln können. Aör.
Dropax, frühere Bezeichnung für Pech¬
pflaster.
Drossel ist die Benennung für die Luft¬
röhre, Drosselknopf für den Kehlkopf beim
Wilde in der Jägersprache. Koch.
Drosselader, Vena jugularis, ist nach
Hyrtl nicht von erdrosseln, jugulare, sondern
von droza, dem altdeutschen Ausdruck für die
vordere Halsgegend, abzuleiten. Sussdorf.
Drosseln, Turdidae, bilden im weiteren
Sinne eine Familie der sperlingsartigen Vögel
oder Passeres. Es sind kräftig gebaute Vögel mit
starker Brust und ziemlich grossem Kopfe, ge¬
radem, seitlich zusammen gedrücktem Schnabel
von mittlerer Länge, der zuweilen vor der
Mitte seicht ein gekerbt ist. Mit mittellangen
Flügeln, die zehn Handschwingen tragen, von
denen dLie erste verkürzt ist. Mit hohen Läufen,
die vorne mit einer zusammenhängenden Horn-
platte (Stiefel) oder grossen Hornschildern
bedeckt sind. Die Drosseln sind über die ganze
Erde verbreitet; sie nähren sich von Insecten
und deren Larven, daneben auch von Beeren.
Die Männchen sind meist vorzügliche Sänger.
Von einheimischen Vögeln werden zu den
Drosseln gerechnet die Arten der Gattungen:
Luscinia (Nachtigall), Cyanecula (Blau¬
kehlchen), Dan dal us (Rothkehlchen), Ruti-
cilla (Rothschwanz), Monticola (Steindros¬
sel), Saxicola (Steinschmätzer), Pratincola
(Wiesenschmätzer), Turdus (Drossel) und
Cinclus (Wasserschmätzer); von aussereuro-
päischen Vögeln die amerikanischen Gattungen
Mimus (Spottdrosseln), Galeoscoptes u. A.
Als Unterfamilie der Turdinae, Drosseln
im engeren Sinne, werden diejenigen Turdidae
vereinigt, deren spitzer, am Ende seitlich
comprimirter Schnabel eine leichte Einkerbung
vor der Spitze zeigt, und an deren mittellangen
Flügeln die erste Schwinge sehr klein, die
dritte und vierte die längsten sind, und bei
welchen der Lauf vorne mit breiten Tafeln
bedeckt ist. Dahin rechnet man die Gattungen
Turdus, Oreocincla, Turdulus und Geo-
cichla. Die artenreichste Gattung ist Turdus
mit 112 Arten, die über die ganze Erde ver¬
breitet sind. In Mitteleuropa kommen sechs
Arten häufiger vor. Von diesen brüten in
unseren Regionen die Misteldrossel, Turdus
viscivorus L.; die Singdrossel, Turdus musi-
cus L.; die Amsel, Turdus merula, und die
Ringdrossel, Turdus torquatus L. Auf dem
Zuge besucht Mitteleuropa regelmässig die
ira Norden brütende Weindrossel, Turdus
iliacus L., während die Wachholderdrossel,
der Krametsvogel, Turdus pilaris L., aus dem
Norden kommend in Mitteleuropa überwintert.
Die Drosseln nähren sich namentlich während
der Brütezeit von Insecten und deren Larven,
mit denen auch die Jungen aufgefüttert werden,
im Herbste dagegen von Früchten und Beeren;
zu dieser Zeit sind die meisten den Wein-
culturen schädlich. Andererseits nimmt aber
dann das Fleisch einen feinen Geschmack an,
was einige Arten, namentlich die Mistel¬
drossel, Weindrossel und besonders den
DRUCKSCHADEN. — DRÜSEN. 405
Krametsvogel, welcher im Winter von Wach¬
holderbeeren lebt, zu einer sehr geschätzten
Speise macht. Studcr.
Druckschäden, s. Quetschungen.
Druckverband, s. Verbände.
Drücken ist eine Untugend der Jagd¬
hunde, die auf fehlerhafter Dressur beruht,
indem sie das erlegte Wild, ehe sie es auf¬
nehmen, rupfen, drücken, bald aufnehmen und
bald wieder fahren lassen. Um dies zu ver¬
hüten, muss man die Hunde bei der Dressur
an die Leine nehmen und sobald sie stehen,
mit dem Fuss auf dieselbe treten, und darf
sie, wenn das Wild fällt, nicht fortlassen. Man
muss sie vielmehr langsam an der Leine her¬
anführen und nicht eher apportiren lassen,
bis der Eifer erkaltet ist. Wenn man das
einigemale wiederholt, wird das sog. Drücken
und Beschädigen des Wildes, welches einzig
und allein dem Uebereifer des Hundes zuzu¬
schreiben ist, bald aufhören. Die angeführte
Methode ist sicherer und zweckmässiger als
jene von einigen Jägern gebrauchte, welche
darin besteht, ein Federwild oder einen Federball
kreuzweise mit eisernen Stacheln zu durch¬
stechen und den Hund apportiren zu lassen,
wodurch derselbe zwar vom begierigen Zufassen
abgehalten, aber auch gewöhnlich feige und
apathisch gemacht und oft vom Apportiren
ganz und gar abgeschreckt wird. Ableitner.
In der Jägersprache wird das Wort
„Drücken“ auch gebraucht, wenn sich Wild
oder wilde Thiere auf die Erde oder über
einen Ast herstrecken, um sich vor ihren Ver¬
folgern zu verbergen. Verbergen sich die
Thiere aber im Gebüsche, so nennt man das
„Stecken“. Koch.
Drüse, verdächtige, bedenkliche, auch
Steindrüse, Druse (s.d.) eine Krankheit der Pferde
mit chronischem, einseitigem oder beiderseitigem
Nasenausfluss, Schwellung der Lymphdrüsen,
besonders der Kehlgangsdrüsen und trockenem,
dumpfem Husten. Unter verdächtiger Drüse
wird von einigen Thierärzten eine chronisch
gewordene Drüse, von andern eine besondere
Krankheit, von noch andern ein Uebergangs-
stadium zwischen Drüse und Rotz und von
einigen (Gerlach) das erste zweifelhafte Stadium
des Rotzes verstanden (auch Chabert und
Wollstein). Die Drüse als solche hat mit dem
Rotz nichts Gemeinsames und geht auch nie
direct in den Rotz über, kann aber bei chro¬
nischem Verlauf eine besondere Prädisposition
für den Rotz verleihen. Sobald sich zum chro¬
nischen Nasenausfluss, mit Schwellung der
Kehlgangsdrüsen, Knötchen und Geschwürchen
in der Nase oder Beulen und Geschwüre in
der Haut hinzugesellen, handelt es sich um
ausgesprochenen Rotz oder Wurm. Bei lang-
dauernden zweifelhaften Fällen verdächtiger
Drüse mit Fehlen von Knötchen und Geschwür¬
chen in der Nasenhöhle (Lungenrotz) ent¬
scheidet meist die Probeimpfung auf junge
Hunde, Meerschweinchen, alte Pferde und Esel
mit dem Nasenausfluss oder der Drüsensub¬
stanz aus den geschwellten Lymphdrüsen, in
14 Tagen die Frage, ob es sicli um Rotz
handelt oder nicht. Die sogenannte verdäch¬
tige Drüse gilt in vielen Ländern als Gewährs¬
mangel mit einer Gewährsfrist von 15 Tagen. Sr.
Drüsen (Anatomie). Als Drüsen (glandulae)
bezeichnet man diejenigen Organe, welche
bestimmt sind, Bestandtheile des Blutes auf¬
zunehmen und dieselben verändert oder unver¬
ändert auf eine freie Oberfläche des Körpers
gelangen zu lassen. Sie sind demgemäss in
erster Linie Absonderungs- oder Secre-
tionsorgane, und die von denselben gebil¬
deten, auf eine freie Oberfläche des Körpers
ergossenen Producte werden Absonderungs-
producte oder Secrete (s. d.) genannt. Die
theils mikroskopisch kleinen, theils umfang¬
reiche Organe darstellenden Drüsen stimmen
darin überein, dass sie kleine Hohlräume ein-
schliessen, deren gesammte Oberfläche im
Verhältnis zum Volumen der ganzen Drüse
sehr gross ist, und dass sie einen oder mehrere
Ausführungsgänge besitzen, welche sich direct
oder indirect in einen Schleimhautcanal oder
auf die äussere Haut öffnen. Die Drüsen können
daher schliesslich auf eine Einstülpung der
Schleimhaut oder der äusseren Haut zurück¬
geführt werden und entwickeln sich entweder
aus dem Hornblatt oder dem Darmdrüsenblatt
der Fruchtanlage.
Die Hohlräume der Drüse werden von
einer zarten, meist structurlosen Membran —
Drüsenhaut, Drüsenmembran (tunica
propria, glandilemma) — gebildet; die dem
Hohlraum zugewendete Fläche der letzteren
bedeckt ein Epithel — Drüsenepithel —
dessen Zellen zwar im Allgemeinen den Cha¬
rakter des Cylinder- oder Pflaster-, sehr selten
den des Flimmerepithels an sich tragen, jedoch
in den einzelnen Drüsen, oft auch in den ver¬
schiedenen Theilen der letzteren, oder je nach
dem Zustande der Thätigkeit oder Unthätigkeit
dieser Organe mannigfache Eigentümlich¬
keiten zeigen. Die absondernde Thätigkeit der
Drüsen ist von den Zellen des Drüsenepithels,
welche mitunter den ganzen Hohlraum der
Drüsen ausfüllen, abhängig. Die Drüsenzellen
bilden durch ihre Thätigkeit die im Blute
nicht vorhandenen Bestandtheile der Secrete,
oder die letzteren entstehen durch eine Modi-
fication, bezw. einen Zerfall der Drüsenzellen
selbst. Nach aussen von der Drüsenmembran
umspinnt ein bald eng-, bald mehr weitma¬
schiges Netz von Blutcapillaren die kleinen
Hohlräume, ebenso verlaufen in den Drüsen
zahlreiche Lymphgefässe. Die Nerven gehören
zum grössten Tlieil dem sympathischen System
an, ihre peripherischen Enden sind noch wenig
bekannt.
Die Ausführungsgänge der Drüsen
stellen einen Schleimhautcanal dar, dessen
innere Oberfläche ein Epithel von sehr ver¬
schiedener Beschaffenheit bedeckt. Nach aussen
von dem Schleimhautrohr liegt eine Schicht
von Bindegewebe, nicht selten auch — z. B.
im Gallengang, Harnleiter — von Muskelfasern.
Die Schleimhaut kann ausserdem klappen-
artige Falten bilden, welche den Abfluss der
Secrete nur nach einer bestimmten Richtung
gestatten.
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406
DRÜSEN.
Nach der Form ihrer Hohlräume unter¬
scheidet man schlauch- oder röhrenför¬
mige (tubulöse) und bläschenförmige,
traubige oder traubenförmige (acinöse)
und in jeder dieser Abtheilungen wieder ein¬
fache und zusammengesetzte Drüsen.
Die einfachen tubulösen Drüsen sind
an dem einen Ende offene, an dem anderen
blinde Schläuche oder Röhren, welche ent¬
weder ganz ungetheilt bleiben oder sich am
blinden Ende in wenige kurze Aeste spalten.
Zu diesen Drüsen gehören die des Magens
(s. d.), der Gebärmutter (s. d.) und die
Lieberkühn’schen Drüsen des Darmcanals
(s. d.). Denselben an die Seite zu stellen sind die
Knäueldrüsen, bei denen der Schlauch
eine bedeutende Länge erlangt und das blinde
Ende desselben sich zu einem Knäuel zu¬
sammenwickelt. Das charakteristische Beispiel
dieser Form geben die Schweissdrüsen
(s. d.) ab.
Die einfachen acinösen Drüsen stellen
runde, ovale oder flaschenförmige Bläschen
(acini) dar, deren Wand entweder glatt ist
oder kleine rundliche Ausbuchtungen erkennen
lässt. Diese Grundformen zeigen die Talg¬
drüsen der Haut (s. d.) und die meisten
Schleimdrüsen.
Die zusammengesetzten Drüsen
werden von zahlreichen entweder tubulösen
oder acinösen Hohlräumen gebildet. Die ein¬
zelnen Schläuche, bezw. Bläschen, d. h. die
eigentlichen Drüsenelemente verbinden sich
durch eine bindegewebige Stützsubstanz, welche
reichlicher oder spärlicher vorhanden sein
kann und häufig auch Muskelfasern einschliesst,
zu deutlich abgegrenzten, mitunter aussen
noch von besonderen Häuten überzogenen
Organen.
Zu den zusammengesetzten tubu¬
lösen Drüsen gehören die Nieren (s.d.) und
die Hoden (s.d.), bei denersteren theilensich
die röhrenförmigen Drttsenelemente vielfach
gabelig, bei den letzteren stehen dieselben
in einem netzförmigen Zusammenhang, dem¬
gemäss ist die durch die Hoden repräsentirte
Form der Drüsen auch als die der netzför¬
migen Drüsen bezeichnet worden.
Die zusammengesetzten acinösen
Drüsen zeichnen sich dadurch aus, dass die
Endbläschen (acini) der Drüse sich zunächst
zu Gruppen vereinigen, welche Drüsen¬
läppchen genannt werden. Aus jedem Drüsen¬
läppchen tritt ein Ausführungsgang, dessen
Endverzweigungen mit den Hohlräumen der
Drüse in Verbindung stehen, um sich mit
dem Ausführungsgang eines anderen Läpp¬
chens zu verbinden. Die einzelnen Läpp¬
chen vereinigen sich durch Bindegewebe locker
oder fest zur Gesammtheit der Drüse, ebenso
wie die Ausführungsgänge der einzelnen
Läppchen zu denen der ganzen Drüse zu¬
sammentreten. Man pflegt die zusammenge¬
setzten acinösen Drüsen passend mit einer
Weintraube zu vergleichen, deren Beeren die
aus den verschmolzenen Acini bestehenden
Läppchen, deren Beerenstieie die Ausführungs¬
gänge der letzteren repräsentiren, während
der Traubenstiel dem Ausführungsgang der
ganzen Drüse au die Seite gestellt wird. Zu
den zusammengesetzt acinösen Drüsen werden
die Speicheldrüsen (s. d.), die Bauch¬
speicheldrüse (s.d.), die Thränendrüse
(s.d.), die Har de rische Drüse (s.d.), die
Cowperische Drüse (s.d.), die Vorste¬
herdrüse (s.d.) und bei den Wiederkäuern
und Schweinen ausserdem die Samenblasen
(s. d.) gerechnet. Auch die Lungen (s. d.)
sind im Wesentlichen nach dem Typus der
zusammengesetzten acinösen Drüsen gebaut.
Uebergänge zwischen den genannten ver¬
schiedenen Formen der Drüsen kommen in so
eigentümlicher Weise vor, dass manche
Drüsen, wie z. B. die Bauchspeicheldrüse, die
Brunnerisehen Drüsen, von manchen Histologen
als eigentümlich modificirte Knäueldrüsen
angesehen und zu den tubulösen Drüsen ge¬
rechnet werden, während dieselben Drüsen
früher ganz allgemein zu den acinösen gestellt
wurden.
Die Leber (s.d.), die grösste Drüse des
Körpers, unterscheidet sich von den zusammen¬
gesetzten acinösen Drüsen wesentlich dadurch,
dass ihre Acini keine eigentlichen Hohlräume
umschlies8en, mit denen die Anfänge des Aus¬
führungsganges in offener Verbindung stehen.
Die Eierstöcke (s.d.) stellen eine be¬
sondere Form der Drüsen insofern dar, als
die Hohlräume derselben allseitig vollständig
geschlossen sind und deren Inhalt nur durch
Platzen der Hohlraumwandung frei werden
und in den Ausführungsgang gelangen kann,
als welchen man den Eileiter ansprechen muss.
Vielfach ist es gebräuchlich, als falsche
Drüsen gewisse Organe zu bezeichnen, welche
keine Absonderungsproducte liefern, sondern
entweder zu der Bildung von Formelementen
des Blutes in Beziehung stehen und dem¬
gemäss auch Blutdrüsen genannt werden,
oder eine noch unbekannte, bezw. bisher nicht
sicher festgestellte Function zu erfüllen haben.
Sie schliessen, wie die eigentlichen Drüsen,
kleine Hohlräume ein, welche meistens mit
zeiligen Elementen gefüllt sind, besitzen je¬
doch niemals einen Ausführungsgang, stehen
daher auch in keinem Falle mit irgend einer
freien Oberfläche des Körpers in Verbindung
und entwickeln sich aus dem mittleren Keim¬
blatt Zu den falschen Drüsen rechnet man:
die Lymphdrüsen (s. d.), die Lymph-
follikel (s. d.) und diejenigen Gebilde,
welche, wie die solitären Follikel und
P eye rischen Haufen (s. Darmcanal), die
Mandeln (s.d.)und Trachomfollikel (s.d.),
den Lymphfollikeln an die Seite zu stellen
sind, ferner Milz (s.d.), Schilddrüse (s.d.),
Brustdrüse (s.d.), Nebennieren (s.d.)
und Gehirnanhang (s.d.). Da die genannten
Organe mit den eigentlichen Drüsen that-
sächlieh keine nähere oder entferntere Ver¬
wandtschaft haben, wäre es wünschenswerth,
die Bezeichnung „falsche Drüsen“, welche nur
Verwirrung erzeugen kann, ganz fallen zu
lassen. Müller.
Histologie. Unter echten, wahren Drüsen
versteht man Organe, welche archiblastischen Ur-
DRÜSEN. 407
sprungs sind, morphologisch sich dadurch aus¬
zeichnen, dass die zum Aufbau verwendeten
Gewebe Hohlräume formiren, welche mit
epithelioiden Zellen austapeziert erscheinen, und
denen die Function zukommt, gewisse Stoffe
aus dem Organismus abzuscheiden, welche
für ihn unbrauchbar sind (Excrete) oder noch
weitere Bedeutung haben (Secrete). Zur Ab¬
führung dieser Pröducte der Drüsenthätigkeit
besitzen die wahren Drüsen verschiedene For¬
men von Ausführungswegen.
Zum Unterschiede von diesen wahren
Drüsen trennte man früher als falsche oder
unechte Drüsen eine Gruppe von Organen,
welche parabiastischen Ursprungs sind und
keine Ausführungsgängc besitzen, welche zur
Körper- oder Schleimhautoberfläche in Bezie¬
hung treten, sondern bei der Blut- und Lymphe¬
bildung eine Rolle spielen (Lymphdrüsen,
Milz, Thymusdrüse etc.).
Die äussere Form der im thierischen
Körper vorkommenden ausgebildeten Drüsen¬
arten ist eine sehr mannigfaltige (Fig. 442).
4 .
Fifj. 442. Schema von Drüsen. 1. Einfach tubulöse Drüse.
2. Einfach acinöse Drüse. 3. Zusammengesetzte tubulöse
Drüse. 4. Zusammengesetzte acinöse Drüse.
Die einfachste Form wird durch eine einzelne
Zelle repräsentirt, welche ihr Secret auf der
freien Oberfläche ihres Leibes abstösst (Becher¬
zelle). Wenn die secernirenden Zellen in
schlauchartigen, cylindrischen Hohlräumen
stecken, spricht man von schlauchförmigen,
tubulösen Drüsen — wenn sie in kugeligen,
bläschenförmigen Hohlräumen sitzen, nennt
man die Drüsen acinöse.
Diese acinöse und die tubulöse Grund¬
form oder Primärform tritt nun in den ver¬
schiedensten Variationen an den entwickelten
Drüsen zur Schau.
Einfach schlauchförmige Drüsen können
verschieden tief sein, verschiedene Weite am
oberen oder unteren Ende zeigen, sich schlän¬
geln, oder der sehr lange Schlauch kann
knäuelartig aufgewickelt erscheinen. Die tubu¬
lösen Drüsen können weiters Sprossen treiben,
dendritische Verzweigung bieten und werden
dann als zusammengesetzte schlauchförmige
Drüsen angesehen. Ebenso kommen neben den
einfachen acinösen Drüsen auch zusammen¬
gesetzt acinöse vor, bei denen die runden,
ovalen, elliptischen oder eckigen Bläschen zu
secundären, tertiären Läppchen vereinigt sind
und bäum- oder strauchartig von dem Aus¬
führungsgange abzweigen (s. auch unter
acinöse Drüsen). Bei den acinösen Drüsen
kommen auch Formen vor, dass die Bläschen
derart verschmelzen, dass sie nur als seitliche
Ausbuchtungen eines grösseren Hohlraumes
erscheinen. Endlich kommen noch Combina-
tionen zwischen acinösen und tubulösen Drüsen
vor, sog. gemischte Drüsen.
Die Wandung der meisten Drüsen besteht
aus einem differenzirten Bindegewebe, der
Membrana propria, einer zarten, elastischen,
structurlosen Haut, die hie und da zellig oder
faserig erscheint, bei gewissen Drüsen durch
Zusammenlagerung eigentümlicher gebogener
Zellen und deren Fortsätze nach Art eines
Körbchens gebildet wird. Nach aussen ist die
Membrana propria durch fibrilläres elastisches
oder zelliges Bindegewebe, Muskelelemente etc.
verstärkt und besetzt und von Lymphräumen,
Capillarnetzen, Nervengeflechten umgeben.
Die Membrana propria ist nach innen
austapeziert von den Drüsenzellen, welche im
Allgemeinen epithelialen Charakters sind, ihrer
Gestalt, Structur, Schichtung und ihren phy¬
siologischen Eigenschaften nach aber ausser¬
ordentliche Unterschiede zeigen, selbst in einer
und der nämlichen Drüse, je nachdem sich
diese in Thätigkeit befindet oder nicht, ein
verschiedenes Aussehen besitzen.
Die Drüsenepithelien kommen in Form
von einschichtigem und mehrschichtigem
Plattenepithel (Lungen, Talgdrüsen), Cylinder-
epithel (Darmdrüsen und die Mehrzahl der
acinösen und tubulösen Drüsen), Flimmer¬
epithel (Uterindrüsen), kubischen, polygo¬
nalen etc. Zellen vor (s. die einzelnen Drüsen
unter den bez. Stichwörtern). Die Ausführungs¬
gänge der Drüsen bieten sich als verschieden
lange Canäle dar, welche entweder als directe
Fortsetzung des Drüsenschlauches erscheinen
oder denen die Bläschen oder Schläuche
seitlich aufsitzen, oder mit kürzeren Gängen
verbunden sind. Namentlich bei den zusam¬
mengesetzt acinösen Drüsen verästeln und
verzweigen sich die Ausführungsgänge ent¬
sprechend der Bläschengruppenzahl mannig¬
faltig (Verzweigung, Abzweigung, strauch¬
artiges Verhalten, E lienberger), woraus die
Bildung von Primär-, Secundär-, Tertiär¬
läppchen resultirt. Manchmal sind die Gänge
sehr lang, geschlängelt oder wie bei den
HufstTahldrüsen des Pferdes korkzieherartig
gewunden. Die Wand der Ausführungsgänge
ist von Bindegewebe hergestellt, die Innen¬
fläche mit Epithel ausgekleidet, das von sehr
wechselnder Form bei den verschiedenen
Drüsen ist (platt, kubisch, cylindrisch; ein¬
schichtig oder mehrschichtig); die grossen
Ausführungsgänge grosser Drüsenlappen und
Drüsen (z. B. Gallengän^e) bauen sich aus
einer vollständigen Schleimhaut auf und be¬
kommen noch Muskelelemente und eine binde¬
gewebige Adventitia. Nicht blos manche
Drüsen (Prostata, Talgdrüsen) und die grossen
Ausführungsgänge, sondern auch kleine Gänge
(SchweisBdrüsen) sind oft von glatten Muskel¬
fasern umhüllt, durch deren Contraction als¬
dann die Weiterbeförderung des Secrets statt¬
hat. Eine Ausnahmestellung unter den Drüsen
nimmt der Eierstock ein (s. d.). Die Drüsen,
ihre Lappen und Läppchen und ihre Aus¬
führungsgänge sind durch bindegewebige Um¬
hüllungen umgeben und von einander ge¬
schieden. Diese Bindegewebsformation nennt
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408
DRÜSENGESCHWULST. — DRÜSENKRANKHEIT DES RINDES.
man kurzweg interstitielles (interglanduläres)
Bindegewebe). Die Menge desselben ist
sehr verschieden. Blutgefässe, Lymphgefässe,
Nerven und Muskelzüge haben in demselben
ihren Sitz. Die Blutgefässe gehen in unmittel¬
barer Nähe der Drüsen feinste Verästelungen
ein, deren capilläre Endzweige die Bläschen
und Schläuche umspinnen (functioneile und
nutritive Capillarnetze), von denen die einen
die zur Thätigkeit der Drüsen nöthigen
Stoffe liefern, die andern das interstitielle und
das Drüsengewebe ernähren. Die Lymphgefässe
nehmen in nächster Nähe der Drüsen wand
Ursprung (in den periacinösen Spalten). Ueber
die Nervenendigung ist noch nichts Sicheres
bekannt. Die Function der Drüsen ist eine
sehr mannigfaltige sowohl was die Qualität
als die Quantität und das zeitliche Verhältnis
der Production anbelangt. Die Lungen z. B.
functioniren beständig, die Leber, Speichel¬
drüsen nur zu besonderer Zeit. Wo das Secret
von den Drüsenzellen selbst gebildet wird, ist
die Veränderung mikroskopisch abzusehen, da
solche Zellen ihre Form ändern, ganz oder
theilweise zu Grunde gehen (z.B. Talgdrüsen,
s. Cutis, Becherzellen, Schleimdrüsen); in
anderen Fällen werden die Bestandtheile des
Blutes einfach abfiltrirt (Niere). Die Fort¬
schaffung des Secrets erfolgt unter dem
Blutdrucke, durch Capillarität oder durch
Muskelthäiigkeit.
Literatur: Ellenbergör, Histologie der Haus-
thiere. Kitt.
Drüsengeschwulst, Adenom, eine aus
einem gefässhaltigen Bindegewebsstroraa und
in drüsiger Anordnung eingelagerten Zellen
bestehende Neubildung, die entweder selb¬
ständig auftritt oder an präexistirenden Drüsen
in Form umgrenzter Hypertrophien wuchert
(s. Adenome, Neubildungen). Setnmcr.
Drüsenkrankheit des Rindes. Diese Be¬
zeichnung wird häufig als Synonym für Perl¬
sucht gebraucht, weil bei dieser Krankheit
die Lymphdrüsen secundär mitleiden, schwel¬
len und verkäsen. Es kommt aber auch ein
selbständiges Erkranken der Lymphdrüsen
der Rachenhöhle, des Kehlganges, in der
Ohrdrüsengegend, an den Seiten des Halses,
in der Leisten- und Flankengegend bei Rin¬
dern analog der Scrofulose junger Thiere vor,
welches namentlich in den Gegenden an der
Elbe und Nordsee und im Schleswig-Holsteini¬
schen häufig von den Thierärzten beobachtet
worden ist, auf das namentlich Harms auf¬
merksam machte (vergl. Jahresberichte der
Thierarzneischule zu Hannover pro 1871 und
1872 und Mittheil, aus der thierärztl. Praxis
in Preussen pro 1871/72). Harms beschrieb
das Leiden als Rachen- undOhrdrüsenlymphom,
letzteres ist in den genannten Gegenden als
„Igel“- oder „Ihlenkropf 11 bekannt: bei ihm
schwellen die Drüsen entzündlich an, ohne
sich zu zertheilen, sie hypertrophiren viel¬
mehr und induriren oder verjauchen unter
Respirationsbeschwerden und bedeutender Ab¬
magerung. Respirations- und Schlingbeschwer¬
den mit Husten sind vorhanden, wenn die
Drüsen in der Umgebung des Schlund- und
Kehlkopfes erkranken, das Athmcn wird mit
der Zeit schnarchend und röchelnd; der Husten
tritt gern beim Abschlucken ein, wobei die
Zunge weit vorgestreckt wird; suffocative
Anfälle sind nicht selten, auch das Fressen
ist öfter kaum noch möglich, wenn die Ge¬
schwulst in der vorderen Partie der Rachen¬
höhle ihre Lage hat. Bei gestrecktem Kopfe
und Halse kann man sie fühlen, wenn man
die Finger neben dem Kehlkopfe zur Rachen¬
höhle hin auf beiden Seiten Vordringen lässt
oder durch das Maul bis zur Rachenhöhle
hin einführt. Die Drüsengeschwulst unter der
Ohrdrüse, der sog. Igelkropf, hat die Grösse
eines Hühner- bis Gänseeies, ist hart, un¬
schmerzhaft und verschiebbar, nach Wochen
und Monaten wird sie grösser und verwächst
mit der Umgebung, endlich macht sich Fluc-
tuation bemerklich, die Geschwulst bricht auf,
es entleert sich eine gelbe, lymphatische, mit
Flocken vermischte Flüssigkeit oder ein gelb-
grauer Eiter. Es tritt selten Verheilung mit
retrahirter Narbe und zurückbleibender Ver¬
härtung ein, u.zw. dann, wenn das gesammte
Drüsengewebe verkäst ist und nur ein ein¬
facher Balg zurückbleibt. Mitunter erfolgen
nach erfolgter Vernarbung noch einige Absce-
dirungen in der Geschwulst. In vielen Fällen
stellt sich nach der natürlichen oder künst¬
lichen Eröffnung des Abscesses eine granulöse,
leicht blutende Wucherung aus der Wunde ein,
die theils glatt, theils höckerig und mit zapfen-
förmiger Hervorragung verheilt. In gleicher
Weise können sich am Grunde des Ohres meh¬
rere Geschwulstknoten bilden und durch Ver¬
eiterung zusammenfliessen. Sind an mehreren
anderen Körpersteilen scrofulöse Geschwülste
vorhanden, so magern die Rinder in Folge
allgemeiner Scrofulose ab. In den afficirten
Drüsen vollzieht sich zunächst eine markige
Schwellung, später Vereiterung und Ver¬
käsung des Drüsengewebes, so dass erst kleine
mit Unebenheiten und Vorsprüngen versehene
Hohlräurae entstehen, schliesslich aber nur
der Balg übrig bleibt. Die Zerfallsmassen
bestehen aus fettigem Detritus und Lymph-
zellen.
Bezüglich des pathologischen Vorgangs
in den Drüsen und der ursächlichen Verhält¬
nisse muss auf den Artikel „Darrsucht“ ver¬
wiesen werden: bemerkt sei noch, dass man
als Ursache des Drüscnleidens der Rinder
einen starken Soda- und Salzgehalt des Futters
und Trinkwassers, wohl auch eine besondere
Bodenbeschaffenheit ansieht.
Die Behandlung besteht in zertheilen-
den und scharfen Einreibungen (Salben von
Hydrarg. bijodatum, Auripigment oder Subli¬
mat), Eröffnung der Abscesse mit nachheri-
gem Ausbrennen der Abscesshöhle, am vor-
theilhaftesten aber in der Exstirpation der
verhärteten und verkästen Drüsen. Zu diesem
Zwecke wirft Harms die Patienten, stellt zur
Exstirpation der Rachenhöhlendrüsen den
Kopf auf das Genick, durchschneidet die Haut
in der Mitte unterhalb des Kehlkopfes in dem
Umfange, dass die Hand bequem eingeführt
werden kann, trennt die über dem Kehlkopfe
DRÜSENMAGEN. — DRÜSE DER PFERDE. 409
liegenden Weichtheile, um mit der Hand bis
zur Geschwulst vorzudringen und diese ent¬
weder abzudrehen und mit den Nägeln abzü-
kratzen, oder, falls sie sich nicht drehen
lässt, sie abzuziehen und mit den Nägeln
abzulösen. Ausser nicht gefahrdrohender Blu¬
tung hat das scheinbar rohe Verfahren keine
üblen Folgen, als für die nächsten Tage zu¬
nehmende Schwellung. Die Wunde ist nach
allgemeinen Regeln zu behandeln. Maver
operirt am liegenden Thicre von der Maul¬
höhle aus nur mit der Hand bei auf das Ge¬
nick gestelltem Kopfe und eingelegtem Maul¬
gitter; er sucht theils den Abscess mit dem
Finger zu durchstossen und den Inhalt zu
entleeren, theils die Geschwulst zu erfassen
und in kurzen Zügen abzureissen, wenn sie
nur locker angeheftet ist, oder abzukratzen,
wenn sie festsitzt. Recidive erfordern Nach¬
operationen. Meistens läuft die Operation gut
ab, cs können aber auch Rinder an ihren
Folgen verenden.
Auf ganz gleiche Weise werden die Ge¬
schwülste unterhalb des Ohres exstirpirt,
u. zw. nach gemachtem Hautschnitt parallel
mit dem. Verlaufe des Brustkinnbackenmuskels
und unmittelbar oberhalb desselben, vorzüg¬
lich mit den Fingern, und nur wo dies nicht
möglich ist, mit Messer oder Scheere; hier
würde sich auch vortheilhaft der scharfe
Löffel verwenden lassen. Anacker.
Drüdenmagen. Als Drüsenraagen bezeich¬
net man in der Regel nur den Vormagen
oder eigentlichen Verdauungsmagen der Vögel
(s. Magen der Vögel): derselbe Name wird
jedoch mitunter auch für die rechte oder
Pförtnerhälfte des Pferdemagens gebraucht
(s. Magen des Pferdes). Müllei-.
Drüsenneubildungen kommen vor als Re¬
generation verbrauchter oder verlorengegan¬
gener Drüscnzellen, als Hypertrophien oder
Hyperplasien des Drüsengewebes und als
Drüsengeschwülste, Adenome. Hypertrophien
von Drüsengewebe kommen unter physiologi¬
schen Verhältnissen periodenweise während
der Trächtigkeit und Lactationsperiode an
der Milchdrüse, und die Hypertrophie einer
Niere bei Entartung, Schwund oder Verlust
der andern vor. Unter pathologischen Ver¬
hältnissen können Hypertrophien an allen
Drüsen Vorkommen und werden am häufigsten
angetroffen an den Lymphdrüsen, der Milz,
Leber, den Schilddrüsen. Ovarien, Hoden.
Drüsengeschwülste als selbständige Neubil¬
dungen können an den meisten präexistiren-
den Drüsen oder auch getrennt von denselben
sich entwickeln (s. Adenome). Semmer.
Drüsenscrofel. eine Hyperplasie, zellige
Infiltration, Schwellung und käsige Entartung
der Lymphdrüsen, ist nichts Anderes als eine
Vorstufe oder Form der Tuberculose und
kommt am häufigsten bei Schweinen vor. Die
Lymphdrüsen werden dabei nuss- bis faust¬
gross, entarten käsig, die Thiere magern da¬
bei ab und gehen zuletzt an allgemeiner
Tuberculose zu Grunde. Nächst den Schwei¬
nen kommt eine scrofulöse Drüsenentartung
als Vorstufe oder Begleiterscheinung der Perl¬
sucht bei Rindern vor. Impfungen mit scrofu-
lösen Drüsensubstanzen erzeugen oft Tubercu¬
lose, und umgekehrt ruft Verimpfung tuber-
culöser Massen zuweilen Scrofulose hervor.
Beim Rotz der Pferde dagegen tritt einfache
Hypertrophie der Lymphdrüsen ohne käsige
Entartung ein. Alle Therapie gegen tubercu-
löse Drüsenscrofel ist erfolglos (s. Scrofu-
losis). Gewöhnlich bezeichnet man eine jede
chronische Drüsenschwellung, wie sie bei
vielen chronischen Krankheiten, Entzündungen,
Katarrhen. Krebs etc. in der Nähe der ent¬
zündeten Organe (Bronchialdrüsen bei Lun¬
genleiden. Mesenterialdrüsen bei Darmleiden
etc.) vorko mmen, mit dem Namen Drüsenscrofel.
Durch Vereiterung der Lymphdrüsen erfolgt
oft der Tod durch Metastasen und Pyämie.
Die Cur besteht hier in Beseitigung der Ur¬
sachen (Entzündungen, Katarrhe, Neubildun¬
gen, Eiterungen) und in Verabfolgung von
Jod- und Brompräparaten, Chinin und den
Stoffwechsel belebenden Mitteln. Semmer.
Druse der Pferde, Adenitis equorum,
Catarrhus glandulosus (von <&8 t)v, Drüse,
xaia^pctv, herabfliessen, 'glandula, die Drüse),
ist ein infectiöser, fieberhafter Nasenkatarrh
mit secundärer Affection der Submaxillar-
drüsen. Dementsprechend wickelt sich in der
Druse derselbe pathologische Process auf der
Nasenschleirahaut ab, wie er bei dem Katarrh
erörtert wurde (s. Katarrh): er besteht in der
Hauptsache in Hyperämie, Auflockerung,
Schwellung und vermehrter Absonderung eines
anfänglich wässerigen, später mehr consisten-
ten Schleims, der zur Nase abfliesst, unter
der Hand eine gewisse Schärfe annimmt und
alsdann, von den Saftcanälehen und den
Lymphgefassen der Schleimhaut aufgenomraen
und den Drüsen zugeführt. zunächst die Sub-
maxillardrüsen reizt und zur Schwellung
bringt. Worin die Schärfe des Schleimes,
resp. die Infectiosität desselben besteht, ist
noch nicht erwiesen, sie kann möglicherweise
auf dem jauchigen Zerfalle der im Schleime
enthaltenen Lymph- und Blutkörperchen be¬
ruhen. Der Lymphapparat ist beim Pferde
sehr entwickelt und reizbar, wir sehen ihn
deshalb im weiteren Verlaufe der Krankheit in
grösserer Ausdehnung erkranken, namentlich
kommt es in den Lymphdrüsen in der Um¬
gebung des Schlund- und Kehlkopfes gern zu
einer Adenitis. wie denn überhaupt die Ra¬
chenhöhlenschleimhaut immer, die Schleimhaut
der Kopfhöhlen und der Luftsäcke öfters in
Mitleidenschaft gezogen wird. Die Nasen¬
schleimhaut enthält ferner ein stark ent¬
wickeltes Venennetz: in ihm bilden sich bei
entzündlicher Reizung seiner Gefässhäute
Thromben, welche zerfallen, so dass Trümmer
derselben in den Capillaren der verschiedenen
Eingeweide stecken bleiben, nachdem sie zu¬
vor mit dem Blutstrome dorthin getragen
wurden: die Emboli erzeugen in ihnen Ent¬
zündung und Knotcnbildung. In diesem Sinne
hat man von einer wandernden, versetzten
oder metastatischen Druse gesprochen. Die
Metastasen kommen also per continuitatem
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410
DRUSE DER PFERDE.
der Gewebe und auf embolisehem Wege zu
Stande; ein Theil der Knotenbildungen in der
Haut ist wohl auf Rechnung der Leukämie zu
setzen, die bei der Druse stets zu constatiren
und die Folge der Drüsenreizung ist; ein an¬
derer Theil mag aus zufälligen Verletzungen
des leicht reizbaren Hautgewebes und aus
einer Infection der Wunde mit Ausflussmaterien
hervorgehen. Die in ungewöhnlich grosser
Zahl im Blute enthaltenen weissen Blutkör¬
perchen werden gern unter Knotenbildung in
der Haut ab gesetzt.
Köhne (allgera. Pathologie) hält die
Druse für eine Scrofulosis equina, zu der die
jungen Pferde eine Prädilection besitzen; die
serofulöse Diathese beschränke sich in der
Regel auf die ersten Luftwege, sie könne sich
aber auch auf den Darmcanal erstrecken.
Eine Transportation eines specifischen Drusen¬
stofles im alten Sinne existirt nicht. Bei
jungen Pferden ist meistens die Ablagerung
zelliger Elemente in den Kehlgangsdrtisen so
reichlich, dass sie dicht gedrängt an einander
liegen und zerfallen, es entsteht alsdann in
ihnen Eiterung, während sich die Adenitis bei
älteren Pferden nur auf trübe und markige
Schwellung beschränkt und wieder zur Norm
zurückbildet. Auch die retropharyngealen
Lymphdrüsen können abscediren und ihren
Eiter in die Luftröhre und Lungen ergiessen
und daselbst eine Freradkörperpneumonie mit
meist tödtlichem Ausgange veranlassen, was
auch der Fall ist, wenn im Verlaufe der
Schluckbeschwerden Futterpartikel in die
Lunge eindringen. Jenner beobachtete bei der
Druse einen pustulösen Ausschlag in der Um¬
gebung der Lippen, ebenso Lafosse und Bouley,
den sie für die eigentliche Pferdepocke hielten.
Jenner nannte ihn „grease“ oder „soreheels“,
Bouley „Horse-pox u . Auch Trasbot halt die
Druse für Pocken, er glaubt, dass sie durch
Impfung zu tilgen sei, ihr richtiger Name sei
Variola; das Exanthem werde nie bei der Druse
vermisst, wohl aber öfters übersehen. Mit
Recht bekämpft Leblanc diese Ansicht vieler
französischer Thierärzte, denn der Bläschen¬
ausschlag ist in vielen Fällen gar nicht vor¬
handen, er entbehrt auch der Charaktere der
Pocke; Leblanc impfte junge Hunde mit der
Blasenlymphe, er erhielt aber keine Pocken,
sondern nur Blasen, die Geimpften erkrankten
auch nicht an Staupe, die ebenfalls eine
Pockenkrankheit sein soll; auf der andern
Seite erzeugte die Impfung junger Pferde mit
Vaccine keine Druse, die Impfung mit Aus¬
flussmaterien der Druse keine Pusteleruption,
ebensowenig die Impfung einer jungen Eselin
und einer Kuh. Zuweilen treten jauchige Zer¬
fallsmassen ins Blut über, wonach eine letale
Ichorhämie entsteht.
Als entferntere Ursachen der Druse sind
anzusehen: Starke Hautverkühlungen bei un¬
beständiger, rauher, regnerischer und stürmi¬
scher Herbst- oder Frühjahrswitterung; Er¬
schlaffung der Haut und Schleimhaut durch
Aufenthalt in dunstigen, warmen Stallungen,
die auf äussere Schädlichkeiten leicht reagirt;
Verfüttern staubigen, multrigen, mit Schimmel¬
pilzen besetzten oder frisch geernteten Heues
oder Hafers, verunreinigtes Trinkwasser, Ein-
athmen von vielem Staub und feinem Sand,
plötzlicher Uebergang von Trocken- zur Grün¬
fütterung oder zum Weidegang, sowie Verän¬
derung der Fütterung und Gebrauchsweise
überhaupt.
Als einer weitem Ursache ist noch der
Ansteckung zu gedenken. Einmal in einem
Stalle ausgebrochen, sieht man nicht selten
die Druse von einem Pferd auf das an¬
dere übergehen; gewöhnlich sind die inficirten
Pferde die jüngeren bis zum Alter von 5 Jahren,
die älteren bleiben häufig davon verschont,
ohne jedoch eine völlige Immunität gegen das
Contagium zu behaupten, die auch nicht
immer durch einmaliges Ueberstehen der
Krankheit erworben wird. Dieses Factum ist
von der Erfahrung festgestellt Die Contagio-
sität wurde experimentell von Viborg, Reynal,
Toggia u. A. erwiesen. Das Contagium haftet
in erster Linie an den Effluvien, es scheint
aber auch in die Luft übertreten zu können;
in der Regel erfolgt die Ansteckung von Thier
zu Thier.
Erscheinungen. Die Erscheinungen
der Druse hat man bisher in verschiedene
Abtheilungen gebracht und danach verschie¬
dene Arten unterschieden, z. B. gut- und bös¬
artige, wandernde und verdächtige Druse. Die
Druse an und für sich behauptet stets einen
gutartigen Charakter, der bösartige Charakter
und das Wandern nach anderen Organen
hängt von den Complicationen ab; das Wort
„verdächtige Drüse“ soll ganz ausgemerzt
werden, denn die Druse hat nichts Verdäch¬
tiges an sich, man gebrauchte es nur in der
Voraussetzung, Druse könne in Rotz über¬
gehen. Diese Voraussetzung muss bei dem
Stande unseres heutigen Wissens von der
Natur der Tuberculose und des Rotzes zurück¬
gewiesen werden; der Rotz hat in den Tuber¬
kelbacillen eine Specifität, die der Druse fehlt,
es ist deshalb auch unmöglich, dass Druse in
Rotz übergehen kann, es sei denn, dass eine
Rotzinfection stattgefunden hätte, zu der die
kranken Schleimhäute ohnehin mehr disponiren
als gesunde. Dann hat man wohl auch ver¬
dächtige Druse diagnosticirt, wenn Nasenfluss
und Drüsenschwellung im Kehlgange einseitig,
ersterer auch missfarbig wurde; aber in diesem
Falle haben wir es nicht mit Druse zu thun,
sondern mit andern krankhaften Zuständen,
auf die bei der Differentialdiagnose näher ein-
gegangen werden wird. Wir unterscheiden dem¬
nach eine einfache und complicirte Druse.
Die einfacheDruse fängt mit Trübungen
des Allgemeinbefindens und schwachem Fieber
an, die Schleimhäute des Kopfes röthen sich
höher und lockern auf, einige Tage später
fliesst ein wässeriger, bald mehr uick und
weiss werdender Schleim zur Nase ab, der bei
häufigem Prusten oder kräftigem Husten in
grösseren Mengen ausgestossen wird. Etwas
später entzünden sich die Lymphdrüsen im
Kehlgange, sie schwellen in Folge zelliger
Infiltration und ödematöser Durchfeuchtung
gleiehmässig an, fühlen sich weich und
DRUSE DER PFERDE.
411
lappig an, auch das umgebende Bindegewebe
participirt häufig an der zelligen Infiltration,
so dass der Kehlgang mehr oder weniger von
der Geschwulst ausgefüllt wird, sie greift mit¬
unter auf die Backen, Lippen und Ohrdrüsen
über, wobei dann das Athmen erschwert wird.
Nach mehreren Tageq gehen die Kehlgangs¬
drüsen junger Pferde gern in Eiterung über
und brechen auf. Erschwertes Abschlucken
der Nahrung zeigt ein Uebergreifen der Ent¬
zündung auf die Schleimhäute der Rachen-
höhle an. Pustelbildung auf der Haut in der
Umgebung der Lippen oder auf den Backen
und sonstigen Körperstellen wird selten beob¬
achtet; die Bläschen platzen, stellen nunmehr
seichte Erosionen dar, welche unter Schorf¬
bildung abheilen. Zu den Bläschen gesellt sich
wohl auch eine leichte entzündliche Schwellung
(3er Haut und der Lymphgefässe, was auf
eine lnfection durch Aufnahme der Nasen¬
seerete • schliessen lässt. Ebenfalls nur selten
bilden sich kleine gelbliche Bläschen auf der
Nasenscheidewand, welche nach dem Bersten
seichte, runde Anätzungen, sog. Erosionen
oder Folliculargesehwüre darstellen und nach
einigen Tagen unter Schorfbildung verheilen,
ohne weitere Defecte zu hinterlassen. Aus¬
nahmsweise führen diese lymphatischen Infil¬
trationen ausser zur Zerstörung des Epithels
auch noch zum Zerfalle der oberen Schichte des
Schleimhautgewebes, sie verheilen alsdann mit
unregelmässig geformten, dickwulstigen, gelben
Narben, welche in ihrer Totalität schmale,
aufgewulstete, unregelmässig verlaufende Strei¬
fen mit gelblich tingirten Rändern bilden,
sich in der Folge wieder mehr zurückbilden,
bei älteren Pferden aber noch lange zu er¬
kennen sind; ihnen geht das glänzende, stern¬
förmige Ansehen der Rotznarben und die
sichelförmige Gestalt der von Verletzungen
mit den Fingernägeln herrührenden Narben ab.
Hurabert (Recueil de möd. vöt. 1880)
fand bei seinen thermometrischen Unter¬
suchungen in der Druse, dass die Temperatur
in den verschiedenen Krankheitsstadien sehr
schwankt; bei regelmässigem Verlauf fällt sie
allmälig ab, bei Verschlimmerungen und un¬
günstigen Ausgängen steigt sie schnell, u. zw.
kurz vor dem Tode bis über 41°, oder sie
fällt schnell auf 37° herab; schon 41° während
einiger Tage bedrohen das Leben. Hinzutre¬
tende Pneumonie oder typhöses Fieber halten
die Temperatur constant auf abnormer Höhe;
wichtige Complicationen mit meistens letalem
Ausgange geben sich durch Nichtüberein¬
stimmung der Temperaturhöhe mit der Puls¬
frequenz zu erkennen. Mit der Abscedirung
der Drüsen steigt die Temperatur, um nach
der Eröffnung des Abscesses wieder zu fallen.
Die einfache Druse führt unter allmäligem
Nachlass der Symptome nach 14 Tagen bis
drei Wochen in der Regel wieder zur Ge¬
sundheit
Die complicirte Druse. Schädliche
Einflüsse von aussen bei geschwächter, zarter
Constitution vermögen den gutartigen Verlauf
der Druse zu stören und Complicationen her¬
beizuführen. Sehr ungünstig wirken in dieser
Beziehung rauhe, veränderliche Witterung,
zugige, feuchte, mit Pferden übersetzte Stal¬
lungen, strapaziöse Arbeitsleistungen und
schlechte Qualität der Futterstoffe.
Der Nasenkatarrh greift hier öfter auf
die Schleimhäute der Kopfhöhlen, der Luft¬
säcke und der Bronchien über, wobei sich die
Lymphdrüsen neben dem Schlund- und Kehl¬
kopfe, selbst die Hals-, Brust- und Bronchial¬
drüsen entzünden. Das Fieber wird alsdann
hochgradiger, Husten und Dyspnoe treten
stärker hervor, der Ausfluss aus der Nase ist
in der Regel auf einer Seite stärker, weil die
Stirn- und Kieferhöhlenentzündung meistens
nur einseitig besteht, er nimmt bald eine
eiterige, klümperige Beschaffenheit und einen
üblen Geruch an und verstärkt sich beim
Niederbeugen des Kopfes, wenn die Luftsäcke
mitleiden; die Respiration wird schnaufend
und röchelnd, die Ohrdrüsengegend erscheint
aufgetrieben und gegen Druck empfindlicher,
das Percutiren der katarrhalisch erkrankten
Kopfhöhle ergibt einen matten Ton. Mit dem
Abschwellen der Schleimhäute und Lvmph-
drüsen lassen die Symptome nach, ganz beson¬
ders wenn sich Lymphdrüseneiter nach aussen
entleert hat: das Fieber fällt nunmehr, das
Athmen wird freier, der Husten kräftiger, die
Pulszähl geringer. Folgt der Besserung nach
kurzer Zeit ein plötzliches Ansteigen des
Fiebers unter Schüttelfrost und eine Beschleuni¬
gung der Respiration, so spricht dies dafür, dass
Eiter aus den retropharyngealen Drüsen durch
Kehlkopf und Luftröhre in die Bronchien ge-
rathen ist; gleichzeitig macht sich Hinfällig¬
keit und Apathie bemerklich bei pochendem
Herzschlag und kleinem Pulse, es währt nicht
lange und wir haben alle Erscheinungen einer
hochgradigen Pneumonie vor uns. Die Pneu¬
monie präsentirt sich in gleicher Weise, wenn
Futterstoffe in die Luftröhre und Bronchien
ein gedrungen sind. Mit dem Eintritte einer
Freradkörperpneumonie schwindet die Aus¬
sicht auf Genesung, die Patienten sind
meistens nicht mehr zu retten. Das Gleiche
gilt, wenn jauchigentzündliche Producte ins
Blut übergetreten sind und als Folge dieses
Vorganges sich Septikämie ausbildet, erkenn¬
bar durch Verfall der Kräfte, fadenförmigen,
sehr frequenten Puls, Dyspnoe, missfarbigen,
fötiden Ausfluss, Anschwellung des Kopfes
und der Schenkel, Verjauchung der Drüsen,
Petechien und brandige Zerstörung des Epi¬
thels und derobem Schichten der Nasenschleim¬
haut, Vereiterung und Veijauchung des Carpal-,
Tarsal- oder Coxa-Femoral-Gelenks bei schmerz¬
hafter Anschwellung dieser Gelenke und Fistel¬
bildung in ihnen. Häufig erfolgt alsdann der
Tod schon nach 3—7 Tagen.
Mitunter treten die Erscheinungen des
Nasenkatarrhs mehr zurück, wohingegen sich
Anschwellungen am Kopfe, Halse, an Brust,
Widerrist und den Schenkeln einstellen,
die gewöhnlich in Eiterung übergehen, aber
einen serösen Eiter liefern. Derartige Ge¬
schwülste verschwinden.es brechen aber wieder
neue an anderen Körperstellen hervor; dieses
Wandern spricht ebenfalls für eine lnfection
412 DRUSE DER PFERDE.
der Nachbarschaft auf dem Wege der Saft¬
canäle der Haut.
Zuweilen tritt zur Druse noch ein Magen-
und Darmkatarrh mit Schwellung und Ver¬
käsung der Mesenterialdrüsen hinzu, dessen
Cardinalsymptome völliges Verschwinden der
Fresslust, aufgeschürzter Hinterleib, Wechsel
zwischen Verstopfung und Diarrhöe, dumpfe
Leibschmerzen etc. sind; der Katarrh kann
sich bis zur Enteritis und Peritonitis steigern.
Gehirnentzündung bildet selten eine Compli-
cation der Druse, häufiger werden bei ihr
Congestionen nach dem Gehirn (eingenom¬
mener Kopf, Senken desselben, Schwindel¬
anfälle) beobachtet.
Endlich kann der Nasen- und Lungen¬
katarrh chronisch werden, er führt dann unter
kachektischen Erscheinungen nach mehr oder
weniger langer Andauer zum Tode oder hinter¬
lässt chronische Athembcschwerden und chro¬
nische Entzündung der Kopfhöhlen oder der
Nasenmuscheln, wobei mit derZeit die Gesichts¬
knochen einer Seite aufgetrieben werden und die
Schleimhaut sich erheblich verdickt. Die Nasen¬
muscheln hat man in einzelnen Fällen ungemein
vergrössert vorgefunden, an der Hypertrophie
participirte selbst das Knochengewebe. Die
Schleimhaut verdickt sich durch Wucherung
ihres Bindegewebes, sie ist mit Blutaustre-
tungen, öfter auch mit warzigen, polypösen
Auswüchsen versehen, die Kopfknochen atro-
phiren mit der Zeit durch den Druck des
in den Kiefer- und Stirnbeinhöhlen massen¬
haft angehäuften, zähflüssigen, mörtelartigen
Schleims, der auch die Nasenmuscheln und
Siebbeinzellen zum Schwinden gebracht haben
kann. Die Lymphdrüsen finden sich von Ab-
scessen oder käsigen Punkten durchsetzt, die
Lymphgefässe verdickt, knotig aufgetrieben,
durch Gefässinjection geröthet und mit einer
gelatinösen oder eiterigen Flüssigkeit erfüllt,
das umgebende Bindegewebe eitrig-gelatinös
infiltrirt. Die Lungen enthalten häufig käsige
Herde und Abscesse, desgleichen die Leber,
Milz und Nieren.
Differentialdiagnose. Man hüte sich,
den Rotz mit der sog. verdächtigen Druse zu
identificiren. Sobald der Zustand fieberlos, die
Nasenschleimhaut mit gelben oder rothen
Tupfen besetzt ist, der Ausfluss nur aus
einem Nasenloche kommt und missfarbig,
klebrig und klüraperig wird, so dass er an
den Nasenrändern zu missfarbigen Borken
eintrocknet, die Kehlgangsdrüsen nur auf der¬
selben Seite hart, unempfindlich, kugelig oder
strickförmig angeschwollen sind und dem
Unterkiefer fest anliegen und die Pferde da¬
bei scheinbar munter und gesund erscheinen,
ist der Verdacht auf Rotz begründet und in
der Regel auch vorhanden. Polypen in der
Nasenhöhle, einseitiger chronischer Katarrh
der Kopfhöhlen, osteophytische Auftreibung
der Kopfknochen und cariöse Zähne können
ähnliche Erscheinungen hervorrufen, der Aus¬
fluss ist hier sehr stinkend, bei cariösen
Zähnen von specifisch cariösem Gerüche, das
Athmen auf der leidenden Seite schnaufend,
auch lassen sich durch die locale Untersu¬
chung die veranlassenden Abnormitäten nach-
weisen, zu deren Ausführung die Trepanation
der Oberkieferhöhlen nöthi^ werden kann.
Behandlung. Die einfache Druse er¬
fordert kaum ein medicamentöses Einschreiten,
es genügt, die Patienten vor Erkältungen zu
schützen, sie bei ungünstiger Witterung im
Stalle zu lassen; der Stall selbst ist gut zu
lüften und reinzuhalten, zur Arbeit sind die
Thiere nur mässig zu verwenden, bei ernst¬
licherem Kranksein gönne man ihnen völlige
Ruhe. Aufenthalt im Freien übt einen gün¬
stigen Einfluss auf die Krankheit, weshalb
auch der Weidegang zu empfehlen ist. Die
geschwollenen Drüsen sind warm einzuhüllen,
weil die Wärme zertheilend wirkt oder den
Uebergang in Eiterung erleichtert. Ist Nei¬
gung zur Eiterung vorhanden, so kann man
warmes Fett oder mildes Oel in die Drüsen¬
geschwulst einreiben; ist die Spannung und
der Schmerz bedeutend, dann sind warme
Breiumschläge von Gersten- oder Leinsamen-
decoct, Aufschläge, Mehlbrei mit ausgebra¬
tenen Zwiebeln und Honig, Einreibungen von
Schmierseife, Lorbeeröl etc. angezeigt; in
hartnäckigen Fällen befördert das unguentum
Cantharidum die Eiterung, die Zertheilung
der Geschwulst hingegen begünstigen Ein¬
reibungen von Mercurial-, Quecksilberjodür-
salbe, auch eine Mischung von adip. suill. 30*0,
Ammon, hydrochlor. 1*0 und Camphor 0 12.
Als Futtermittel sind die leichtverdaulichen
und schleimlösenden Nahrungsmittelzu empfeh¬
len, so Grünfutter, Rüben, besonders Mohr¬
rüben, Malz, Malzkeime. Mehl mit Kleien¬
geschlapp etc. Die Schleimabsonderung er¬
leichtern Einathmungen von heissen Wasser¬
dämpfen, Joddämpfen^ der Dämpfe von aro¬
matischen Infusen oder schleimigen Decocten;
dem heissen Wasser kann ein wenig Carbol-
säure oder Terpentinöl zugesetzt werden. Als
schleimlösende Mittel finden Ammon, hydro¬
chlor., Tart. stib., Kali chloricum, Natr. nitr.,
Stib. sulfurat. aur., Sulfur, sublim, etc. in Ver¬
bindung mit Wachholderbeeren. Alant, Süss¬
holzwurzel, Fenchel, Anis, etc. Verwendung,
besonders bei ernstlicherem Kranksein. Die
Drüsenabscesse sind rechtzeitig zu öffnen und
nach dem Oeffnen reinzuhalten.
Zieht sich die Schleiraabsonderung zu
sehr in die Länge, oder wird sie zu copiös,
dann kommen Adstringentien, Tonica und
Restaurantien zu passender Verwendung, z.B.
Tannin, Salicin. Decoct von Wallnussblättern *
Weidenrinde, China, Ferrum sulfur., Plumb.
acet., Katechu etc. innerlich, ferner Wach-
holder-, Theer- und Carbolsäure-Räucherungen,
Ausspritzungen der Nase mit schwachen So¬
lutionen des Kali hvpermangan., des Kali
chloric., Alumen, Lapis infern., Zinc. seu Cupr.
sulfuric., Einblasen von Kohlenpulver in die
Nase. Katarrh der Kopf höhlen erheischt nach
längerem Bestehen deren Trepanation, um
von der Trepanationswunde aus die oben ge¬
nannten Metallpräparate in stärkeren, mehr
ätzend wirkenden Solutionen örtlich auf die
Schleimhaut einwirken lassen zu können. Aus
gleichem Grunde kann die Eröffnung der
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DRÜSENÖL.
Luftsäcke, bei grosser Athemnotk die Tracheo¬
tomie nöthig werden.
Die anderweitigen Complicationen sind
ihrer Art nach zu bekämpfen. Bei der Affec-
tion innerer Organe sind Ableitungen nach
der Haut durch Reizmittel nicht zu versäumen.
Hohe Fiebergrade, grosse Hinfälligkeit unter
ichorhämischen Erscheinungen erfordern zur
innerlichen Anwendung Roborantien und Anti*
septica, z. B. China, Salicin, Terpentinöl,
Salmiakgeist, Kampher, Alant, Angelica,
Metallsäuren, Tannin, Carbolsäure, Ammon,
pyrocarbonic., Arsenik, Sublimat u. dgl. m.
Arthritische Zufälle sind nach den Regeln
der Chirurgie zu behandeln. Zur Zerstörung
des Ansteckungsstoffcs innerhalb der Ställe
empfehlen sich Chlor- oder Carboisäure-
Räucherungen, auch wird man gut thun, die
Kranken von den Gesunden abzusondern. —
Die Homöopathen gebrauchen zunächst
Dulcamara und Aconitum, in hartnäckigeren
Fällen Kalium sulfurat., Opium, Arsenicum
und Baryta carbonica, gegen Geschwülste an
äusseren Theilen Belladonna, bei missfarbigem
Nasenausfluss Pulsatilla und Sulfur. Anacker.
Drusenöl (Weinbeeröl, Weinöl) ist ein in
geringer Menge im Weine vorkommender
Aether-Oenanthäther, welcher den allen Weinen
eigenthümlichen Geruch bedingt, der je¬
doch von der Blume des Weines zu unter¬
scheiden ist. Das Drusenöl kommt in grösserer
Menge in der Weinhefe (Druse, Trebern) vor,
aus dieser wird es nach dem Abpressen, nach
Zusatz von Wasser und etwas Schwefelsäure,
durcli Destillation als farblose, betäubend wein-
artig riechende Flüssigkeit gewonnen. Versetzt
man reinen Spiritus mit einer sehr geringen
Menge von Drusenöl, so ertheilt es jenem den
Geruch und Geschmack des Cognac, es dient
auch zur Nachahmung desselben — daher
auch Cognacöl genannt — ferner zur Fäl¬
schung von Weinsorten, namentlich Bordeaux¬
weinen. Loebisch.
Drusenpulver, in den meisten Apotheken
(oft nach eigener Wahl der Apotheker) vor-
räthig gehalten und dort als „Pulvis Equorum“
signirt. Sehr unzuverlässig und gewöhnlich aus
altem Material zusammengesetzt, das für men¬
schenärztliche Zwecke nicht mehr tauglich ist.
Die thierärztlich verschriebenen Drusenpulver
bestehen aus Brechweinstein, Salpeter, Salmiak,
Anis, Fenchel, Süssholz, Schleim, Schwefel,
Spiessglanz, Theer u. dgl. Vogel.
Dschiggetai, Kiang., Halbesel, Asinus
hemionus, Pall. Eine wilde Pferdeart aus
Centralasien, aus der Ordnung der Perisso-
dactyla, unpaarzehige Hufthiere, Familie der
Equidae, Pferde. Der Dschiggetai zeigt in der
allgemeinen Körpergestalt Charaktere des
Pferdes und des Esels, daher auch der Name
Hemionus, ovo?, Halbesel, den ihm schon
Aristoteles gab. Mit dem Esel hat er gemein
das Fehlen der Kastanien an den Hinter¬
füssen, den nur an der Spitze quastenartig
behaarten Schwanz. Dagegen sind die Ohren
bedeutend kürzer als beim Esel, wenn auch
länger als beim Pferde, der Körper mehr
pferdeartig und der Hals mit einer weich-
— DUCTUS. 413
haarigen aufrechtstehenden Mähne geziert.
Die Grösse kommt ungefähr derjenigen eines
Maulthieres gleich. Die Färbung ist isabell-
gelb mit braunschwarzem Rückenstreif, die
Mähne ist schwärzlich. Der Aufenthaltsort
dieser Art ist die Mongolei und Tibet, so¬
wohl das Steppengebiet wie das Gebirge, wo
sie heerdenweise vorkommt. Das Thier wird
von den Mongolen und Steppentungusen des
Fleisches wegen gejagt. In europäischen Thier¬
gärten gelang schon seine Kreuzung mit Esel,
Quagga, Zebra und dem Pferd. Studer.
Dschugara, eine in Centralasien ange¬
baute Grünfutterpflanze. Liefert auch als
Pferdefutter beliebte Körner und gutes Futter¬
stroh. Versuchsweise, aber ohne Erfolg in
Polen angebaut. Pott.
Dubroca D. studirte Veterinärmedicin in
Alfort, gab 1844 heraus: Cours d’Hippologie
und 1846 ein Mömoire sur les chevaux arden-
nais; ging 1849 nach Constantinopel, um die
dortige Veterinärschule zu gründen. Sr.
Dubuisson gab 1838 ein Buch heraus
unter dem Titel: De Phämite, ou thöorie
medicale nouvelle appliquöe ä beaucoup de
maladies des animaux etc. Semmer.
Ductus (v. ducere, führen). Gang, Röhre,
ein selbständiger Gang (opp. canalis, ein in
andere Theile [Knochen etc.] eingegrabener
Gang); vielfach als anatomischer Terminus
gebräuchlich, so in
Duct. Arantii s. venosus, der venöse
Gang, welcher beim Rinds- und Carnivoren-
fötus die Nabelvene mit der hinteren Hohl¬
vene verbindet (s. Blutgefässe);
Duct. Bartholinianus, s. Sublingual¬
drüse ;
Duct. Botalli s. arteriosus, der
Verbindungsgang der Pulmonalarterie mit
der Aorta (später Ligament. Botalli);
D n c t. b i 1 i a r i i, die interlobulären Gallen
gänge;
Duct. choledochus, der gemeinsame
Gallengang (s. Leber);
Duct. cochlearis, Schneckencanal (s.
Gehörorgan);
Duct. cysticus, der Blasengallengang;
Duct. deferens =Vas deferens = Duct.
spermaticus, Samenleiter;
Duct. ejaculatorius s. excretorius
spermatis, der Ausspritzungsgang als ge¬
meinsamer Ausführungsweg des Samenleiters,
Samenbläschens, eventuell auch männlichen
Uterus;
Duct. lacrymales, Thränendrüsen-
ausführungsgänge (s. Thränendrüse);
Duct. hepatico-cystici, Leberblasen¬
gänge (s. Leber);
Duct. hepaticus, Lebergallengang (s.
Leber);
Duct. lactiferi s. galactophori.
Milchgänge des Euters;
Duct. naso - lacrymaiis, Thränen-
Nasengang, Thränencanal;
Duct. Nuckiani, Nuck’sche Gänge (s.
Orbitaldrüse des Hundes);
Duct. omphalo - entericus s. mesa-
raicus, Nabelblasendarmgang, Dottergang:
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414
DUCTUS VENOSUS ARANTII. — DÜNGER.
Duct. pancreaticus (major und minor),
Bauchspeicheldrüsengang;
Duct. Ri viani, Rivin’sche Gänge der
Sublingualdrüse;
Duct. Santorinianus = Duct. pan-
creatic. minor;
Duct. spermaticus, Samenleiter:
Duct. Stenonianus, Ausführungsgang
der Ohrspeicheldrüse (s. d.);
Duct. thoracicus, Milchbrustgang (s.
Lymphgefässe);
Duct. venosus, s. D. Arantii;
Duct. vitello-intestin alis, Nabel¬
blasendarmgang == Dottergang;
Duct. Whartonianus, Ausführungs¬
gang der Submaxillardrüse (s. d.);
Duct. Wirsungianus = D. pancreatic.
major. Sussdorf.
Duotus venosus Arantii. Während der
Ausbildung der Leber gehen gleichzeitig im
Gefassysteme Veränderungen vor sich, welche
in Beziehung zur Leber stehen. Die rechte
Nabelvene schwindet und das Blut, zieht zur
Leber und zum Herzen nur durch die linke
Nabelvene allein. Später wird ein Venenast,
die Vena hepatica-advehens, kleiner, und die
Aeste der Vena omphalo-meseraica werden
mächtiger und gestalten sich zur Vena Porta
und münden in die rechte Vena hepatica-
advehens der Umbilicalvene ein. Während der
Embryonalzeit bleibt ein Ast zwischen beiden
Aesten der Venen der Leber und führt den
Namen Ductus venosus Arantii. Schenk .
Dünger. Jene Stoffe, welche die Pflanze
zu ihrem Wachstum nothwcndig hat und die
ihr aus der atmosphärischen Luft, dem Boden
und den drei Naturreichen von dem Menschen
zugeführt werden, können als Dünger be¬
trachtet werden. Da aber die Pflanze nur
flüssige oder gasförmige Stoffe in ihren Wur¬
zeln, Stengeln und Blättern aufnehmen kann,
so muss jeder Dünger in lösliche und gas¬
förmige Stoffe zerfallen können oder schon
in solcher Form gegeben sein. Die Pflanze
erhält, ohne Mithilfe des Menschen, Nahrung
auf dem Wege der natürlichen Düngung in
Form von Meteor-, Quell- und Bodenwasser,
von Kohlensäure, Ammoniak und Salpeter¬
säure in Luft, Wasser und Boden, von ver¬
wesenden Pflanzen- und Thierresten, von Ex¬
crementen und verendeten Thieren und von
verwitterten Mineralbestandtheilen, welch letz¬
tere im verkleinerten Zustande und (durch das
Wasser zugeführt werden oder im Bodenbe-
stande schon vorhanden sind. Auch Pflanzen,
die selbst bei vollkommener Ausbildung an
Ort und Stelle bleiben und dort verwesen,
machen den Boden reicher an Pflanzennähr¬
stoffen, wenn er nicht durch Wasser ausge¬
laugt oder abgeschwemmt worden ist. Wenn
man aber dem Boden Ernten nimmt und
dennoch nachhaltig gesteigerte Erträge er¬
halten will, so muss die künstliche Düngung
eintreten und die der Erde entführten Boden-
bestandtheile wieder ersetzen, ja vermehren,
und ausserdem die natürliche Düngung wirk¬
samer machen. Allgemeiner oder General¬
dünger ist jeder Dünger, welcher alle Nähr¬
stoffe zu liefern vermag, Specialdünger solcher,
welcher nur einzelne Nährstoffe enthält und
nur bestimmte Wirkungen auf bestimmte Pflan¬
zen äussern kann oder soll. Man unterscheidet
organischen — pflanzlichen und thierischen —
und mineralischen — festen und flüssigen —,
gemischten oder einfachen Stalldünger und
Kunst- oder Handelsdünger, Gründünger u. s. w.
Düngung nennt man das Verfahren,
mittelst dessen die durch Ausdünstung, Fäul-
niss, Gährung oder irgend eine Art des Ver¬
brauches oder der Zerstörung der organischen
Wesen entschwundenen Stoffe aufs neue der
Erde, der Pflanze und der Vegetation zugeführt
werden. Man versteht daher darunter alle jene
Operationen, mittelst deren man die Nahrungs¬
zufuhr zu den Pflanzen zu steigern vermag.
Man unterscheidet nach derAnwendung starke,
mittlere und schwache Düngung, Ueberdün-
gung oder Kopfdüngung, Beidüngung, frische
und alte Düngung (Dungkraft). Vollständig
ist die Düngung, wenn mittelst derselben
alle der Pflanze nothwendigen Nährstoffe in
hinlänglicher Menge gegeben — unvollständig,
wenn nicht alle oder die einzelnen nicht im
erforderlichen Masse dargeboten werden. Von
der Düngung des cultivirten Bodens hängt
immer das Emteerträgniss ab, es mag nun
den Körner- oder Futterbau, die Wurzel oder
andere Gewächse betreffen; wo gut, richtig
und der Bodenbeschaffenheit entsprechend
gedüngt wird, da bleibt die Ernteergiebigkeit
nicht aus. Am häufigsten wird aber mit der
Düngung des Futterbaues, der einzigen und
wichtigsten Ernährungsweise des Viehstandes,
gefehlt und gesündigt, indem bei Weiden
und Wiesen meistens verabsäumt wird,
ihnen den erforderlichen Dünger zuzuführen;
besser steht es mit der Düngung des künst¬
lichen Futterbaues auf Feldern, denn man sieht,
dass, wenn die Düngung ausbleibt, sofort der
darauf folgende Getreidebau nothleidet und
weniger an Körnern geerntet werden kann. Es
ist dies ein in der Landwirtschaft verfehltes
und nicht zu rechtfertigendes Verfahren,
u. zw. aus dem einfachen Grunde, weil die
Haltung und Zucht des Viehstandes sowie
die von demselben erzeugten Producte, als
Fleisch, Knochen, Horn, Fett, Milch, Haare
und Dünger diejenigen Mittel sind, die in
Folge des erlangten Werthes und Preises
allein die entsprechende Rente abwerfen und
die Landwirtschaft ertragsfähig zu machen
im Stande sind.
Bezüglich der Düngstoffe ist zu be¬
merken, dass dieselben entweder aus dem
Pflanzenreich (vegetabilische), dem Thier¬
reich (animalische), oder aus dem Mineral¬
reich (anorganische) stammen, oder sie sind
gemischter Zusammensetzung (Compost).
Unter den vegetabilischen Düngstoffen
steht die Gründüngung obenan; die Pflanzen,
welche man zu dieser anbaut, sollen folgende
Eigenschaften haben: 4. müssen sie sehr
rasch wachsen, damit sie das Feld nicht zu
lange einnehmen; 2. sollen sie viel Masse
haben und ihre Nahrung mehr aus der Luft
als aus dem Boden ziehen: 3. darf der Same
DÜNGER. 415
nicht theuer und schwer zu gewinnen sein;
4. sollen sie, wo möglich, sehr stickstoffhaltig
sein. Zu diesen gehören Wicken, Erbsen,
Wolfs- und Schweinsbohnen, Spörgel, Buch¬
weizen, Reps, Weissrüben, die Blätter von
Runkel- und Kohlrüben, sowie Kartoffel¬
stengel und Blätter, Senf, Lupine, Ginster,
Topinambur, Kleearten und mehrere grüne
Saaten. Andere vegetabilische Düngstoffe
sind: alle Unkräuter, Stoppeln und Pflanzen¬
abfälle, Algen, Flachs- und Schwingstaub,
Tennen ab fälle, Malzkeime, Obsttrester, leinene
Lumpen, Oelkuchen, Branntweinschlempe,
Russ, Hobel- und Sägespäne, Tang, Stroh-
und Strohpapierfabricationsabfälle, Seeschlick,
Moorerde, Torf, Weintrester, Wurzelrück¬
stände, Abfall von Handelsgewächsen, z. B.
von Hopfen, Tabak, Weberkarden, Baumlaub,
Haidekraut, Farrenkraut, Schilf. Zu den
Düngstoffen aus dem Thierreich (animalische)
sind als vorzüglich zu rechnen: die Auswürfe
(Excremente) der Thiere, u. zw. von den
Rindern, Schafen, Pferden, Schweinen und
dem Geflügel. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass, je besser und reichlicher die Nahrung
der Thiere ist, je weniger Wasser sie enthält,
und je feiner die Futterstoffe gekaut sind, desto
kräftiger sind die Auswurfsstoffe: die Excre¬
mente der Mastthiere sind besser als jene
der ungemästeten Rinder; jene Thiere, welche
Körnerfutter bekommen, geben besseren Mist
als jene, welche blos Heu und Stroh erhalten.
Ferner ist nach den Thiergattungen auch
die Qualität ihrer Auswurfsstoffe als Dünger
verschieden, indem die Düngstoffe der Rinder,
Schafe, Ziegen und des Geflügels denen der
Pferde und Schweine vorzuziehen sind. Ausser
diesen Thierauswurfsstoffen sind als noch
wirksamere Düngstoffe die Fäcalien vom
Menschen in Betracht zu ziehen, die aber leider
am meisten vernachlässigt und am wenigsten
beachtet und berücksichtigt werden. Ferner
sind vorzügliche Düngstoffe: Peruguano, auf¬
geschlossener Guano der verschiedensten Art,
Fledermausguano, Fischguano, Fleischextract-
fabricationsrückstände, schwefelsaurer Am¬
moniak, ammoniakalisches Superphosphat,
thierische Knochen, entweder ausgekocht oder
aufgeschlossen, Knochenmehl, fein gemahlenes
und gedämpftes Leimmehl, Leimdünger, Aas,
Hornspäne, Hufe, Klauen, Haare, Borsten,
Federn, Abfälle von Gerbereien und Leim¬
siedereien, Maikäfer, Mäuse, Wolldünger,
Woliabfälle der Garnspinnereien und Tuch¬
fabriken, stickstoffreiche oder compostirte
Thranabfälle etc. Hieher gehört auch die Mist¬
jauche oder Gülle als vortreffliches Düngungs¬
mittel, welche leider nicht immer die richtige
und nützliche Anwendung findet und viel¬
fältig gänzlich verloren geht; auch das Woll-
waschwasser ist als Düngstoff zu verwenden.
Die aus dem Mineralreich stammenden Düng¬
stoffe (anorganische) sind zwar von hoher
Wichtigkeit, aber dennoch nicht immer Düng¬
mittel, welche die Bodenkraft mit nährenden
Bestandtheilen vermehren, sondern sie dienen
häufig als Reizmittel, um den im Boden vor¬
handenen Dünger schneller aufzulösen. Dahin
gehören der Gpps, welcher bei allen Klee¬
arten, Hülsenfrüchten und natürlichen Wiesen
angewendet wird; gebrannter Kalk, ausge¬
laugte Holzasche, roher und gebrannter
Mergel, Braun- und Steinkohlenasche, Chili¬
salpeter, Düngesalz, Gaskalk und Gaswasser,
Feldspath, Kainit, Magnesia, Kali-Superphos¬
phat, Moorkalk. Natron-Kalisalpeter, Pfauen-
stein, Salzasche, Strassenkoth, Bauschutt,
Teichschlamm, fossile Phosphate, Phosphorite
und Koprolithen, Russ, Schlempekohle, Erfurter
Steinsalz, die schwefelsaure Strontianerde,
der kalkhaltige Seesand, Torfkohle, Ueber-
tragung von fruchtbarer Erde auf unfrucht¬
baren Boden. Die Compost- (s. d.) oder zu¬
sammengesetzten Düngstoffe sind theils organi¬
scher und theils mineralischer Natur. Künst¬
liche Düngstoffe sind solche, die zum Theil
der Landwirth ohne Kosten in seinem Wirth-
schaftsbetriebe sich selbst verschaffen kann,
zum Theil aber auch zukaufen muss, und
haben dieselben zum rationellen Betriebe des
Feld-, Wiesen-, Garten- und Weinbaues
grossen Werth, wenn sie am rechten Orte
und zur rechten Zeit angewendet werden.
Bei der Anfertigung und Anwendung dieser
Stoffe ist besonders auf das Vorhandensein
von Stickstoff, Phosphorsäure und Alkalien
Rücksicht zu nehmen, weil diese Substanzen
einestheils die wesentlichen Nährstoffe der
Pflanzen bilden, und anderntheils, wenn sie
auch höher im Preise als andere Nährmittel
stellen, sich doch am sichersten und besten
bezahlt machen. Zur Bereitung der künst¬
lichen Düngmittel können am wohlfeilsten
die Haushaltungs- und landwirtschaftlichen
Abfälle gesammelt werden, wie der Kloaken-
dünger, Ham, Blut und andere Abfälle von
Schlachtthieren, gefallenen Thieren (Maikäfer,
Mäuse, Hunde, Katzen), Leim-, Küchen- und
Lederabfälle, Kehricht, alte Lumpen etc.
Die zuzukaufenden künstlichen Düngstoffe
stammen aus den Lagern der phosphorsauren
und kalireichen Gesteine, den Lagern von
Kalk, Talk und löslicher Kieselerde, den Ab¬
fällen der Leuchtgasfabriken, Gerbereien, Leim¬
siedereien, Wasenmeistereien, Fischabfällen etc.
Speciell gehören hieher der Rohammoniak,
salpetersaure Ammoniak, das schwefelsaure
Ammoniak-Superphosphat, gedämpftes Fleisch¬
mehl, künstlicher Guano, salpetersaures Kali,
künstliche Phosphate, phosphorsaurer Kalk als
Nebenproduct der Leimfabrication, Super¬
phosphate, die verschiedenen Poudretteberei-
tungen, der künstliche Wolldünger etc. Haupt¬
sächlich kommt es darauf an, wie alle diese
Düngstoffe zubereitet und angewendet werden,
ob sie der Bodenbeschaffenheit entsprechen,
ob sie für die Culturverhältnisse des Landes
passend und ob sie dem Anbau der verschie¬
denen Gewächse den möglichst hohen Grad an
Nährstoffen zu geben im Stande sind. Der
Werth der Düngstoffe ist durch ihre Wirkung,
den Preis und die Grösse des zu ihrer
Anwendung erforderlichen Kostenaufwandes
bedingt. So z. B. verträgt der Roggen jede
Düngung und nimmt mit dem frischen Mist
ebenso vorlieb wie mit dem verwitterten. Auf
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416 DÜNNDARM.
gebundenem und schwerem Boden düngt man
stärker als auf lockerem und leichtem. In
manchen Gegenden wird Jauche oder Grün¬
düngung angewendet: ebenso entspricht dem
Roggen die Düngung mit Schaf- und Pferde¬
mist, dann Kalk-, Mergel- und Aschendüngung,
was aber immer wieder die dazu geeignete
Bodenbeschaffenheit voraussetzt. Dagegen soll
beim Gerstenbaue weder Pferd- noch Schaf¬
dünger an gewendet und muss überhaupt zu
starke Düngung vermieden werden. Jeder
Boden und jede Getreideart, wie auch der
Futterbau und die sonstige Pflanzenproduction
verlangen die specielle Berücksichtigung der
Anwendung von den dazu geeigneten Düng¬
stoffen. Dies zu bestimmen ist allerdings für
den Landwirth eine schwierige Aufgabe, weil
er die Beschaffenheit und Qualitätsverhältnisse
seiner Bodenarten — vom physikalisch-chemi¬
schen Standpunkte aus beurtheilt — zu wenig
kennt und kennen kann, sondern dieses nur
durch die Analyse der Chemiker zu ermitteln
ist; ebenso verhält es sich mit den verschie¬
denen Düngerarten. Es bleibt ihm daher nichts
Anderes übrig, als nach der praktischen Er¬
fahrung zu handeln; er kann aber die Wissen¬
schaft insoferne dabei berücksichtigen und
benützen, als er den Rathschlägen derselben
Folge leistet, wo sie durch die Versuchs¬
stationen bisher Positives geleistet und zu
Tage gefördert hat. AbUitner .
Dünndarm. Der Dünndarm oder enge
Darm (intestinum tenue s. angustum) ist ein
fast gleichweites, cylindrisches Rohr, welches
am Pförtner des Magens beginnt und am
Blinddarm endigt Man pflegt den Dünndarm
in drei Abschnitte einzutheilen, welche als
Zwölffinger-, Leer- und Hüftdarm be¬
zeichnet werden, obgleich sich scharfe Grenzen
zwischen diesen Abschnitten, namentlich
zwischen dem Leer- und Hüftdarm, nicht
angeben lassen.
Bei dem Pferde besitzt der Dünndarm
eine Länge von 24—22 m und in nicht aus¬
gedehntem Zustande eine Weite von 4—6 cm.
Der Zwölffingerdarm (intestinum
duodenum) — Gallendarm — ist das etwa
1—1 5 m lange Anfangsstück des Darmcanals.
Er bildet an seinem Ursprung, welcher sich
durch eine deutliche Einschnürung vom
rechten Ende des Magens absetzt, indem er
an der hinteren Leberfläche in der rechten
Unterrippen gegen d nach oben und vorne läuft
— rechte vordere Krümmung des Zwölffinger¬
darms — eine 10—12 cm lange bimförmige
Erweiterung, welche gleichzeitig den weitesten
Theil des ganzen Dünndarms darstellt. Hierauf
wendet sich der Zwölffingerdarm, nachdem
er sich zuerst etwas verengert und dann
wieder erweitert hat, über dem Grund des
Blinddarms nach hinten bis zur rechten
Niere und bildet auf diese Weise die rechte
hintere Krümmung, in deren nach unten ge¬
richtete Concavität sich der Kopf der Bauch¬
speicheldrüse einschiebt. Von der rechten
Niere tritt der Zwölffingerdarm über dem
Grimmdarm, zwischen dem Dünndarm- und
Mastdarmgekröse, quer durch die Bauchhöhle
nach links — hintere Krümmung — und geht
unter der linken Niere in den Leerdarm über.
An dieser Stelle erlangt das kurze Gekröse,
welches den Zwölffingerdarm in der Lage
erhält, plötzlich eine bedeutende Länge und
springt eine Bauchfellfalte von dem Zwölf¬
fingerdarm zum Anfangstheil des Mastdarms
hinüber — Zwölffingerdarm-Mastdarmband
(lig. recto-duodenale). Der Theil des Gekröses,
welcher von der Leber und von der rechten
Niere an den Zwölffingerdarm tritt, wird als
Leber-, bezw. Nieren-Zwölffingerdarmband
(lig. hepato et reno-duodenale) bezeichnet.
Ausserdem verbindet sich dieser Anfangs¬
theil des Dünndarms durch Bauchfellfalten
mit der kleinen Curvatur des Magens —
Magen-Zwölffingerdarmband (lig. gastro-duo-
denale) — und mit dem Grund des Blind¬
darms.
Der Leerdarm (intestinum jejunura)
wird durch das lange, von der Wirbelsäule
herabsteigende Dünndarmgekröse, dessen Ur¬
sprungsstelle die vordere Gekrösarterie um¬
fasst und als vordere Gekröswurzel bezeichnet
wird, in der Lage erhalten. Da das Gekröse
kürzer ist als der Leer- und Hüftdarm, legen
sich diese beiden Abtheilungen des Dünn¬
darms in zahlreiche bogenförmige Windungen
— Schlingen (ansae) — an deren Concavität
das Gekröse tritt. Die Schlingen nehmen
ohne bestimmte Anordnung in der linken
Unterrippen- und Flankengegend den Raum
auf und zwischen den Bogen des Dick¬
darms ein.
Der Hüftdarm (intestinum ileum) —
Krummdarm — geht ohne bestimmte Grenze
in der linken Flankengegend aus dem Leer¬
darm hervor, von welchem sich das etwa 1 m
lange Endstück des Hüftdarms durch die
bedeutende Wandstärke und dadurch unter¬
scheidet, dass gegenüber von dem Dünn¬
darmgekröse, welches sich im Uebrigen wie
am Leerdarm verhält, eine Bauchfeljduplicatur
— Hüft-Blinddarragckröse — zur inneren
Fläche des Blinddarms hinüberspringt. Der
Hüftdarm läuft von der linken Flankengegend
nach rechts und oben: das Endstück, welches
sich wegen der Stärke der Muskelhaut hart
anfühlt und einige Aehnlichkeit mit der Brust¬
portion des Schlundes hat, mündet in den
Grund des Blinddarms an dessen kleiner
Curvatur. Der Hüftdarm enthält meistens
etwas Futtermassen, während der übrige
Theil des Dünndarms leer von Futter ist.
Der Darmcanal der Wiederkäuer
(Fig. 443) bildet im ausgebreiteten Zustande
zusammen mit dem gemeinschaftlichen Ge¬
kröse eine rundliche, gegen das vordere Ende
etwas schmäler werdende Scheibe; ausserhalb
derselben verlaufen nur der Zwölffingerdarm
und der grössere Theil des Mastdarms. Am
oberen Rande dieser Scheibe, welche auf dem
rechten Wanstsack ruht, geht das die ver¬
schiedenen Theile des Darmcanals verbin¬
dende Gekröse in das Wandblatt des Bauch¬
fells über.
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DÜNNDARMDRÜSEN. — DÜPPEL.
417
Der Dünndarm ist erheblich länger, je¬
doch verhältnissmässig enger als beim Pferde.
Pie Länge beträgt bei dem Rinde und bei
den kleinen Hauswiederkäuern 35—45, bezw.
20—23 m, die Weite 5—6, bezw. 2 cm.
Der Zwölffingerdarm (Fig. 443,1) steigt
vom Pförtner des Labmagens an der letzten
rechtsseitigen Rippe nach oben zur hinteren
Fläche der Leber und zur rechten Niere in
die Höhe. Er bildet unter der letzteren eine
Doppelschlinge, an welcher drei kurze Lagen
des Darms unmittelbar über einander ange¬
ordnet sind. Hierauf tritt der Zwölffingerdarm,
dessen Gekröse mit dem grossen und kleinen
Netz zusammenhängt, nach hinten verlaufend
zwischen die ausserhalb der Darmscheibe
befindlichen Lagen des Mastdarms und geht
an der Stelle, wo er den unteren Rand
der Darmscheibe erreicht, in den Leerdarm
(Fig. 443, 2) über. Letzterer verläuft am unteren
Ende der Darmscheibe, u. zw. wegen Kürze
des Gekröses in sehr zahlreichen, kurzen,
dichjt aneinander gedrängten Schlingen, deren
Gesammtheit man mit einer gefalteten Man¬
schette oder Halskrause zu vergleichen pflegt.
Der aus dem hinteren Ende der Darmscheibe
hervortretende Hüftdarm (Fig. 443, 3) wendet
sich im gemeinschaftlichen Gekröse schräg
nach oben und vorn und mündet in den
Blinddarm, das Endstück des Dünndarms
zeichnet sich nicht, wie beim Pferde, durch
die bedeutende Wandstärke aus.
Der Darmcanal des Schweines bildet
zusammen mit dem gemeinschaftlichen Ge¬
kröse ebenfalls eine Scheibe, an deren unte¬
rem Rande der Leerdarm ähnlich wie bei den
Wiederkäuern verläuft; die Wand des Hüft-
darms ist etwas stärker als die des Leerdarmes,
der Verlauf desselben nicht wesentlich von dem
der Wiederkäuer abweichend (vgl. unter Dick¬
darm Fig. 428). Das Gekröse des vom rechten
Ende des Magens nach oben und hinten zur
rechten Niere verlaufenden Zwölffingerdarms
ist 5—6 cm lang, der genannte Darmab-
Koch. Encyklop&dio <3. Thierlieilkd. TT. IM.
schnitt tritt unter der rechten Niere in das
gemeinschaftliche Gekröse, wo er dicht neben
dem ausserhalb der Scheibe verraufenden
Theil des Mastdarms seine Lage hat und sich
mit dem Blinddarm sowie, mit den oberen
Lagen des Grimmdar¬
mes verbindet. Der Dünn¬
darm ist verhältnissmäs¬
sig etwas weiter als bei
den Wiederkäuern und
bei erwachsenen Thieren
17—19 m lang.
Der Dünndarm der
Fleischfresser, hat
eine nur geringe Länge,
welche bei Hunden von
mittlerer Grösse 3—3*50,
bei Katzen 1 * 50—1 * 70 m
beträgt; derselbe er¬
scheint —namentlich bei
den Katzen — stark
zusammengezogen und
fühlt sich härtlich an.
Der Zwölffingerdarm
läuft vom rechten Ma¬
genende zuerst nach oben
und hinten, dann fast bis
zum Beckeneingang ge¬
rade nach hinten, wen¬
det sich hierauf fast unter einem rechten
Winkel nach der linken Seite der Bauch¬
höhle und geht in den Leerdarm über. Letz¬
terer wird durch ein Gekröse in der Lage
erhalten, welches sich im Wesentlichen wie
beim Pferde verhält, jedoch verhältnissmässig
kürzer ist. Der Hüftdarm, welcher sich
nicht deutlich vonv Leerdarm absetzt, geht so
continuirüch in den Dickdarm über, dass
sich die Grenze beider Abschnitte des Darm¬
canals nur durch die Verschiedenheit der
Weite markirt (vgl. unter Dickdarm Fig. 429
und 430).
Bei den Vögeln beginnt der an der
rechten Seite aus dem Muskelmagen hervor¬
tretende Dünndarm mit einer langen Schleife,
welche dem Zwölffingerdarm der Säugethiere
entspricht. Die beiden parallel dicht neben
einander bis zum Becken verlaufenden Schenkel
dieser Schleife schliessen die Bauchspeichel¬
drüse zwischen sich ein. -Der übrige Theil des
Dünndarms wird in dicht aneinander ge¬
drängten Schlingen durch ein langes Gekröse
in der Lage erhalten und nimmt den Raum
zwischen den grossen Luftsäcken in der Mitte
der Körperhöhle ein.
Ueber den Bau des Dünndarms s.
Darmcanal. Müller.
Dünndarmdrüsen, s. Brunner*sche und
Lieberkühn’sche Drüsen.
Dünndarmgekröse, s. Dünndarm und
Gekröse.
Düppel. Privatgestüt weil. Prinz Friedrich
Karls vonPreussen, liegt im Kreise Tettow,Re¬
gierungsbezirk Potsdam, Provinz Brandenburg,
wurde 1865 zum Rittergute erhoben und von
der Feldmark Neu-Zehlendorf abgetrennt. Das
Gestüt wurde 1860 zu dein Zwecke gegründet,
den nöthigen Bedarf an Reit- und Wagen -
27
"Fig. 443- Darmscheibe des Rindes, von links und unten gesehen, 1 Zwölffingerdarm,
2 Leerdarm, 3 Hüftdarm, 4 Blinddarm, 4' Spitze des Blinddarms, 6 Grimmdarmlabyrinth,
a concentrieche, b excentrische Windungen dos Grimmdarmlabyrinthes, 5' Anfangsschlinge
des Grimmdarms, (} Mastdarm.
41* DÜRRHEU. — DÜSSELTHALER SCHWEINE.
pferden für den Marstall des oben genannten
Prinzen zu flecken; es soll aber bei der Zucht
ganz besonders berücksichtigt werden, dass die
Gespanne des genannten Marstalles nur durch
Füchse completirt, werden dürfen. Anfänglich
kaufte man für Düppel ausschliesslich hannove¬
rische Absatzfohlen weiblichen Geschlechts, die
yonbewährten Vollbluthengsten tfhd veredelten
Landstuten abstaminten. Später kamen auch
einige Vollblut- und Halbblutstuten aus dem
königlichen Marstalle zu Berlin in das Gestüt,
welche ebenso wie die herangewachsenen
hannoverischen Stuten grösstentheils von
Hengsten aus dem Friedrich “Wilhelm-Gestüte
zu Neustadt belegt wurden. Nur vereinzelt
kamen die Stuten zura Belegen nach Han¬
nover (Celle). Zur Zeit sind drei Vollblut-
Beschäler in Düppel. Da früher keine be¬
sonderen Weideflächen auf dem Gestüte vor¬
handen waren, so wurden mehrere je 6 * 83 a
grosse Paddocks angelegt, deren Ställe im
Sommer Tag und Nacht offen gehalten, im
Winter nur am Tage geöffnet werden. — Sehr
zu loben ist das dort übliche Verfahren, die
Stuten nur während der ersten sechs Monate
ihrer Tragezeit zur Arbeit heranzuziehen, und
sie später frei in den Paddocks gehen zu
lassen.
Die Fütterung der Zuchtpferde und Foh¬
len istdn Düppel eine ganz zweckmässige;
man gibt ersteren neben Hafer, Heu und
Stroh auch etwas Mohrrüben und Erbsen.
Im Sommer erhalten die Thiere reichlich
Grünfutter. Im Alter von 3% Jahren lässt
man die jungen Pferde leicht anreiten oder
anfahren, dressiren, und im Alter von vier
Jahren kommen dieselben entweder in den
Marstall des Prinzen oder werden an die
Remontencommissionen und Privatleute ver¬
kauft.
Der gegenwärtige Bestand repräsentirt
eine Durchschnittsgrösse von l*70m und ein
Durchschnittsalter von 13 Jahren. Stuten
von Füchsen sieht man jetzt in Düppel vor¬
wiegend, aber auch Braune und Schimmel
kommen daselbst vor. Ein Gestütsbrand existirt
nicht. • Frey tag.
Diirrheu. Alle Arten von Grünfutter, die
auf irgendwelche Weise derartig getrocknet
worden sind, dass sie ohne besondere Vor¬
kehrungen in Scheuern, Mieten oder auf
Böden aufbewahrt werden können. Bei der
Dürrheugewinnung handelt es sich also nur
um eine entsprechende Verringerung des
Wassergehaltes der grünen, saftigen Futter¬
pflanzen. Für etwaige sonstige Veränderungen
des Nährstoffgehaltes der in Dürrheu umzu¬
wandeln den Futterstoffe kommt vor Allem in
Betracht: Das Erntewetter, indem durch
Beregnen der abgemähten Futterpflanzen
eine Auslaugung derselben erfolgt, von welcher
vornehmlich die stickstofffreien, ausserdem
die stickstoffhaltigen und die mineralischen
Bestandtheile, in erster Linie alle leichtlös¬
lichen, leichtverdaulichen Stoffe betroffen
werden. Durch den Trockenprocess selbst
wird der Nährstoffgehalt und die Gedeihlich¬
keit der Futtermittel nicht vermindert,
höchstens etwa in geringem Grade die Ver¬
daulichkeit. Bei den meistüblichen Dürrheu¬
bereitungsverfahren werden jedoch mehr oder,
weniger werthvolle Pflanzentheile (Blätter,
Blüthen) abgestossen und verstreut und tritt
hiedurch eine wesentliche Verringerung der
Gesammtausbeute an leichtverdaulichen Nähr¬
stoffen ein. Das beste praktische Trocken¬
verfahren, um die letztbezeichneten Verluste
möglichst zu vermeiden, bildet das Trocknen
auf Pyramiden, Reutern u. dgl. Ebenso em-
pfehlenswerth ist die Trocknung des schwach
abgewelkten thaufreien Grünfutters auf Lat¬
tenrosten, die sich in luftigen Dachräumen
befinden, nimmt jedoch zu viel Raum in An¬
spruch. Gleichfalls beachtenswerth ist das
in Frankreich übliche Verfahren, nach
welchem das frischgemähte, nicht bethaute
Grünfutter mit den Blüthen nach oben auf¬
gepuppt und erst nachdem es in diesen
kleinen, durch Strohseile zusammengehaltenen
Puppen ziemlich trocken geworden, zu grossen
Haufen vereinigt wird. Nur bei sehr wasser¬
reichen Futterstoffen muss noch vorher eine
geringe Ueberarbeitung stattfinden, die aber
mit wenig oder keinen Verlusten verknüpft
ist, nachdem die Blätter u.dgl. in den Puppen
nicht ganz trocken werden, sondern „klamm“
bleiben, in welchem Zustande sie nicht leicht
abgestossen werden. Zu erwähnen wäre noch
das Neilson’sche Verfahren, nach welchem
das halbwelke Grünfutter in Mieten gebracht
wird, die verticale Luftschächte und mit den¬
selben communicirende, am Boden verlaufende,
nach aussen mündende Dunstcanäle aus
Thonröhren haben. An den Mündungen der
Dunstcanäle wird ein Saugventilator aufgestellt
und vermittelst desselben Luft durch die
Miete gesaugt, sowie man in dieser eine
merkliche Erwärmung durch Selbsterhitzung
der zu trocknenden Futtennasse wahrnimmt.
Die Kosten des Ventilirens, das bei feuchten
Futterpflanzungen sehr lange fortgesetzt
werden muss, stellen sich leider so hoch, dass
dieses rationelle Verfahren nur für Ausnahms¬
fälle als rentabel gelten kann. — Auch durch
Anwendung künstlicher Wärme ver¬
mittelst besonderer Apparate lassen sich die
sonst mit der Dürrheubereitung verknüpften
Substanzverluste mehr oder weniger gänzlich
vermeiden. Es fehlt leider bisher an einem ge¬
eigneten, resp. nicht zu kostspieligen Trocken¬
apparat. Gutes, haltbares, nicht durch Selbst¬
erhitzung gefährdetes (dem Dumpfig- und
Schimmelwerden nicht ausgesetztes) Dürrheu
darf wenig mehr als 15% Feuchtigkeit ent¬
halten. Behufs besserer Haltbarkeit, erleich¬
terter Aufbewahrung und bequemeren Trans¬
portes wird dasselbe gepresst (s. Pressheu). Pt.
Dii88elth&ler Schweine. Im preussischen
Regierungsbezirk Düsseldorf (Rheinprovinz)
und in den angrenzenden Theilen des alten
Herzogthums Cleve, ganz besonders aber in
Düsseithal — ehemals ein Trappistenkloster
und jetzt eine vom Grafen von der Recko ge¬
gründete Erziehungsanstalt für arme, sittlich
verwahrloste Kinder — wird die Schweine¬
zucht seit geraumer Zeit recht gut und um-
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DUGES. — DUMMKOLLER DER PFERDE. 419
fangreich betrieben. Das alte Landschwein
4 jener Gegend zeichnete sich vor den meisten
anderen Schlägen im nordwestlichen Deutsch¬
land durch eine bedeutende Grösse, ganz be¬
sonders aber — bei zweckmässiger Fütterung
— durch Lieferung eines sehr befriedigenden
Schlachtgewichtes aus; nicht selten erreich¬
ten die voll ausgewachsenen Exemplare dieses
Schlages ein Körpergewicht 300—350 kg. Die
' Entwicklung der Thiere ging aber in der
Regel sehr langsam von statten, und sie
waren meistens erst im vierten Lebensjahre
ausgewachsen. Um dieses zu verbessern, ent¬
schloss sich der Graf von der Recke, eine
Kreuzung zwischen englischen und den in
jener Gegend heimischen Schweinen einzu¬
leiten. Der Versuch fiel günstig aus; und schon
nach kurzer Zeit machten sich die Vorzüge
der Kreuzungsproducte zur Zucht bemerkbar,
und sie wurden bald weit und breit beliebt.
Ihre Nachzucht' entwickelte sich ungleich
rascher als die alten unveredelten des Land¬
schlages. Fest typirt ist dieser Stamm wahr¬
scheinlich niemals gewesen. Nach den Angaben
dortiger Landwirthe hat man in jener Gegend
früher schon portugiesisches und chinesisches
Blut zur Verbesserung der Schweinezucht ver¬
wendet. Die jetzt in der Rheinprovinz und in
Süddeutschland vorkommenden Schweine unter
dem obigen Namen haben weit grössere Aehn-
lichkeit mit den Schweinen der portugiesischen
Rassfc als mit den Thieren der alten, gross-
ohrigen Species (Sus scrofa makrotis). Ihr
kleiner Kopf ist ziemlich kurz mit nahezu
aufrechtstehender Stirn und ziemlich feinem
Rüssel. Die Ohren sind kurz und hängen nur
etwas nach vorne herunter. Ihr kurzer dicker
Hals geht recht gut in den breitschulteri¬
gen Mittelkörper über. In der Regel sind
die Schweine der jetzt modernen Zucht
nicljt mehr so langleibig als der alte unver¬
edelte Schlag gewesen sein soll, dagegen sind
sie jetzt breiter und tiefer im Rumpf gewor¬
den. Die mittelstarken Beine sind eher kurz
als lang zu nennen; besonders muskulös er¬
scheinen ihre Hinterschenkel, und sie liefern
daher auch schöne Schinken. Ihre Fleisch¬
qualität wird sehr gerühmt. — Wenngleich
die Düsselthaler Schweine jetzt nicht mehr zu
* einem so grossen Schlachtgewicht kommen
wie der alte Landschlag, so ist doch dabei
zu berücksichtigen, dass bei der modernen
Zucht die Thiere viel zeitiger in den Mast¬
stall und auf die Schlachtbank geführt wer¬
den können; die meisten derselben können
schon im Alter von 1%—2 Jahren geschlachtet
werden. Nach Weiss lieferten zwei 11 Monate
alte Düsselthaler Schweine beim Schlachten
folgendes Ergebniss:
Männliches Weibliches
Thier Thier
Todt. 205 kg 148 kg
Blut und Eingeweide. 19% w 16% „
Reines Schlachtgewicht 185% kg 131%kg
Das Temperament der 'fraglichen Rasse
wird gelobt; die Thiere verhalten sich im
Stalle wie auf der Weide sehr ruhig und
zeigen sich niemals bösartig. Freytag .
Duges A. gab 1837 in Montpellier heraus:
Trait<3 de Physiologie comparöe de Thomme
et des animaux. Semmer.
Dulcamara, Bittersüss, eine bekannte bei
uns überall wachsende Solanacec, Solanum
Dulcamara (L. V. 1), nach der Ph. A. offi-
cinell -in ihren Stengeln. Sie findet keine .
thierärztliche Anwendung. Vogel .
Dummheit, Fatuitas s. amentia (von
fatuus, blödsinnig, a = ohne, mens, Verstand),
bezeichnet einen geringen Grad von intellec-
tuellen Fähigkeiten. Das Grosshirn ist der
Sitz der Psyche, der geistigen und der sen¬
soriellen Thätigkeit. Je weniger das Gross¬
hirn entwickelt ist, auf einer desto niedri¬
geren Stufe der Intelligenz stehen die Thiere;
so sind die Gans, das Schaf und der Esel als
Sinnbild der Dummheit hingestellt worden.
Alle Mikrocephalen sind geistig wenig be¬
fähigt, denn der kleine Schädel hat sich pro¬
portioneil der Grössenverhältnisse des Gehirns
entwickelt. Da der Sitz der Psyche auf die
gesammte Grosshirnrinde vertheilt und das
Grosshirn zugleich auch der Sitz der höheren
Sinnesthätigkeit ist, so muss jede Läsion des
Grosshirns die geistigen und sinnlichen Ver¬
richtungen herabdrücken. Diese Läsionen be¬
ruhen nicht immer auf traumatischen Ver¬
letzungen, sondern häufig auf Druck seitens
des zu reichlich in das Hirn einströmenden
Blutes nach Störungen der Blutcirculation in
den Organen der Brust- oder Bauchhöhle,
oder der in den Hirnkammern sich abnorm
ansammelnden Flüssigkeiten, oder auch ver¬
schiedener im Grosshirn und der Schädel¬
höhle sich entwickelnder Neubildungen. In
solchen Fällen prägt schon das Auge Stumpf¬
sinnigkeit aus, der Kopf erscheint eingenom¬
men, alle Handlungen und Bewegungen las¬
sen die Zweckmässigkeit mehr oder weniger .
vermissen, sie sind oft geradezu verkehrte,
der Organismus reagirt nur unvollkommen
auf Sinneseindrücke. Der Dummheit begegnen
wir im sog. Dummkoller der Pferde (s. d.)
und in der Drehkrankheit der Schafe und
Rinder (s. d.), weshalb auch diese Krank¬
heiten öfter unter der Bezeichnung „Dumm¬
heit 11 cursiren. Anacfyr.
Dummkoller der Pferde, amentia seu
fatuitas (von a = ohne; mens, Verstand;
fatuus, blödsinnig), ist eine chronische, fieber¬
lose Störung der Gehirnfunctionen, namentlich
der intelletuellen, sensuellen und sensiblem
Fähigkeiten. Wir haben es hier mit einer
Gehirnkrankheit zu thun, denn das Gehirn in
seiner Totalität, d. li. das grosse, kleine und
Mittelhirn und das verlängerte Mark, ist der
Sitz der genannten Fähigkeiten. Im Grosshim
haben wir den Sitz der höheren Nerventhätigkeit,
der willkürlichen Bewegungen und der Sinnes¬
eindrücke zu suchen, u. zw. in dessen Rinden¬
substanz: die Marksubstanz ist nur der Ver¬
mittler der Nerventhätigkeit; Empfindung,
Bewusstsein, Gedäehtniss, Urteilskraft, die
geistige, intellectuelle Thätigkeit gehen vom
Grosshirn aus. Das Mittel- und kleine Gehirn
sehen wir beim Dummkoller ebenfalls bethei¬
ligt, sie ordnen und reguliren die Bewegungen,
27*
Digitizej
izejiby Google
420
DUMMKOLLER DER PFERDE.
die wir in dieser Krankheit sehr häufig in
abnormer Weise abgeändert sehen, ebenso wie"
die Herzthätigkeit, die nicht selten herabge-
drückt ist; im letzteren Falle müssen wir auf
ein Mitleiden der Medulla oblongata schliessen,
denn .in ihr liegen die Centren für Athmung,
- Herzhemmung, ferner auch fyr die Scliling-
und Kaubewegungen, die wir bei dummkol-
lerigen Pferden fast regelrecht alterirt finden.
Wo der Puls retardirt ist, da spielen auch Vagus
und Sympathicus eine Rolle mit — ersterer
ist bekanntlich für 'das Herz HemTnungsnerv,
letzterer Erregungsnerv; — es scheint hier
der Sympathicus. seine Innervationskraft theil-
weise eingebüsst zu haben. Die Störungen
der Gehirnfunctionen müssen unbedingt von
anatomischen Veränderungen der Gehirn¬
substanz, von einer Aenderung des moleculären
Zustandes der Nervenfasern ausgehen, jedoch
frägt es sich, worin besteht diese Abnormität ?
Da man beim Dummkoller in den meisten
Fällen seröses Transsudat in ungewöhnlicher
Menge in den Himventrikeln vorfindet und er
somit ein Hydrocephalus internus chronicus,
chronische Gehirnkammerwassersucht ist, so
kann es nicht ausbleiben, dass das Transsudat
die umgebenden Nervenfasern und Nervenzellen
erweicht und* ihre Molecüle verschiebt oder
ar auflöst. Ausserdem wird diese Verschiebung
er Molecüle noch durch den Druck des
Transsudates auf die Hirnsubstanz verstärkt,
ein Theil derselben, der dem Drucke unmit¬
telbar ausgesetzt ist, atrophirt und degenerirt.
Gehirnanämie kann bei Dummkoller nicht
unterstellt werden, denn unter solchen Ver¬
hältnissen würden tetanische Krämpfe eintre-
ten. Pathologischer Hirridruck durch Fremd¬
körper an der Oberfläche des Gehirnes existirt
nach Adamkiewicz (Wiener Klinik 1884) nicht,
, die davon abhängig gemachten Symptome
seien Wirkungen von Himreizungen, bei vor¬
handenen Tumoren, wie dies Experimente an
Kaninchen erläuterten, Femwirkungen, u. zw.
Entzündung’ der Pia, Dilatation und Neubil¬
dung von Blutgefässen im comprimirten Hirn¬
gewebe, Hypertrophie dieses Gewebes, sog.
Condensationshjpertrophie, bei Compression
der pberfläche des Gehirnes der Kaninchen
Krämpfe, später Hemiplegie und Paraplegie;
die pathologischen Processe beruhen auf Rei¬
zung und Lähmung der Hirnsubstanz. Stau¬
ungspapille im Auge wurde bei den Versuchen
an Kaninchen nicht beobachtet, es ist jedoch
hiebei zu beachten, dass es sich bei den Ver¬
suchen* um einen intracraniellen, nicht um
einen intracerebralen Hirndruck handelte. Bei
Hydrocephalus internus ist Hyperämie und
Auftreibung der Papilla optica und der an¬
grenzenden Retinalgefässe des Auges constatirt
worden, so auch von Prof. Dr. Lustig (Jahres¬
bericht der Thierarzneischule zu Hannover
1880) bei dummkollerigen Pferden die sog.
Stauungspapille, weshalb er hier als diagno¬
stisches Hilfsmittel die Untersuchung des
Auges mit dem Augenspiegel empfiehlt. Alles
was die Blutcirculation in den Blutleitern und
Gehimarterien erschwert, muss als nächste,
Alles was nachhaltige Congestionen nach dem
Gehirn verursacht, als entferntere Ursache des
Kollers angesehen worden, so die Ernährung
mit proteinreichen Stoffen, besonders Körner¬
früchten und Leguminosen, warme, dunstige
Stallungen, hohe Xufttemperatur, plötzlicher
Temperaturwechsel, Erkältungen, körperliche
Anstrengungen, gastrische Leiden, Schnell¬
dressur, Eisenbahn- und Schifftransport,
Schädelverletzungen, phlegmatisches Tempe¬
rament, schlaffe Organisation (Marsch- und *
Niederungsrassen), Vererbung und höheres
Alter. Aus dem träge cursirenden Blute tritt
das Serum gern aus, es sammelt sich in den
Ventrikeln an, übt einen Druck auf die
Nervenfasern aus und deprimirt deren Func¬
tionen. Mitunter wird ein intracranieller Druck
auf das Gehirn ausgeübt durch Neubildungen ^
(Cholesteatome, Fibrome im Gehirn), Hydatiden ^
auf der Pia, Exostosen an der Innenfläche des *
Schädels, Auftreibung des Keilbeines, Katarrh
der Keilbeinhöhlen etc. Im „TIfierarzt“ von 1881
ist ein vom Thierarzte v. Heil in Xanten be¬
obachteter Fall verzeichnet, in dem Strongylus
armatus zwischen Dura raater und Gehirn
eines Pferdes Anfälle von rasendem Koller
verursachte. Veränderung der Lebens- und
Fütterungsweise, sowie in der Umgebung,
Wechsel des Stalles und Eigenthümers vermag
die Pferde zuweilen innerhalb .weniger Tage
hochgradig dummkollerig fcu machen; bringt
man sie wieder in ihre alten Verhältnisse und
Gewohnheiten zurück, so verlieren sich 'Mit¬
unter die Erscheinungen der Gehirndepression.
Es mögen in solchen Fällen leidenschaftliche
Gemüthserregungen leicht nervös erregbarer
Pferde, wie Traurigkeit, Heimweh, Furcht,
Angst, Schreck, Zorn etc., die Ursache sein. In
diesen Fällen scheinen die geistigen Störungen
von dem Reflexorgane, dem verlängerten Marke
auszugehen, das auch die meisten Gehirnnerven
entsendet; diese übertragen die Erregung ^uf -
das Gehirn, der eine Erschlaffung der Gefässe
folgt. Nach der subacuten Gehirnentzündung
können die Symptome des Dummkollers sich *
schon nach 4—14—21 Tagen einstellen, sonst
erfolgt dieser Uebergang oft auch erst nach
Jahr und Tag unter Recidiven, immer aber
treten alsdann die Symptome nicht so präg¬
nant hervor wie bei ausgebildeter chronischer
Hydrocephalie. Bei dieser findet sich Wasser '
in den Hirnventrikeln und Hirnödem, minde¬
stens sind die Hirnfasern in der Umgebung
der Ventrikel serös durchfeuchtet und er¬
weicht. Das vorfindliche Serum ist meistens
hell und klar, seltener getrübt, u. zw. dann,
wenn kurz zuvor Gehirnreizungen mit Tob-
und Rasereianfällen stattgefunden hatten; bei
ihnen wird die Arachnoidea und das Gehirn
hyperämisch, die aufgetriebenen Gefässe reizen
die Nervenfasern und die Ganglien. Das
Serum hät in der Regel die Hirnkammern
und die Geruchskolben erweitert und die
nächstgelegene Hirnsubstanz atrophirt, die
Sehhügel verflacht.
Symptome und Verlauf. In der Regel
entwickelt sich der Koller langsam, er macht
in seinen Erscheinungen allmälige Fort¬
schritte von kaum merkbaren Geistesstörungen
DUMMKOLLER DER PFERDE. 4*1
bis zu völliger Stumpfsinnigkeit und Passi¬
vität im Bereiche des Empfindungs-, Erkennt¬
nis- und Bewegungsvermögens. Die von den
peripherischen Nerven ausgehende Empfin¬
dung kommt im Gehirn entweder nur unvoll-
ständig-oder gar nicht zum Bewusstsein. Den
dummkollerigen Pferden fehlt das Verständ¬
nis für die "Zweckmässigkeit ihrer Hand¬
lungen und für das, was man von ihnen
verlangt, ihre Handlungen lassen etwas Ver¬
kehrtes, Widersinniges erkennen: solcheThiere
zeigen sich stumpfsinnig, öfter schlafsüchtig,
und verhalten sich passiv, sie müssen erst
durch äusseren Antrieb zur Thätigkeit ange¬
regt werden. Von Pferden, die kaum merk-*
bare Störungen in den Gehirn Verrichtungen
erkennen lassen, sagt man wohl, sie hätten
„einen Stich“, wie man von überspannten
Menschen sagt, sie hätten „einen Sparren“.
Nachlässe und Verschlimmerungen in den
dummkollerigen Erscheinungen machen sich
sehr häufig bemerklich, nie verschwinden sie
gänzlich, sie behaupten selbst in abge¬
schwächten Graden eine Permanenz; ent¬
gegengesetzt können sie sich bis zur Dienst*
untauglichkeit steigern. Dergleichen Exacer¬
bationen verschulden Congestionen zum Ge¬
hirn bei hcisser Temperatur, Aufenthalt in
dunstigen Stallungen, bei schwerer Arbeit und
•Kummetdruck auf die Halsgefasse, schwer ver¬
daulicher Nahrung und daraus hervorgehender
träger Verdauung und Verstopfung des Leibes.
Remissionen hängen von einer theilweisen
Resorption des Transsudats in den Ventrikeln
und leichteren Blutcirculation im Hinterleibe
ab; wir bemerken sie in kälteren Jahreszeiten,
bei ruhigem Verhalten, bei Grünfütterung,
nach Aderlässen und Purganzen. Mitunter
treten die Symptome im Stalle fast bis zur
Unmerklichkeit zurück, man sieht dann erst
nach forcirtem, bis zum Schweissausbruche
fortgesetzten Dienstgebrauch, wess Geistes
Kind der Patient ist. Die Diagnose ist je
nach den Umständen bald leicht,, bald
schwieriger, nie aber übereile man sich in
seinem Ausspruche, besonders nicht, wenn
es sich um Feststellung des Durninkollers
pro foro handelt; die Patienten sind wieder¬
holt in längeren Zwischenpausen, unter ver¬
schiedenen Verhältnissen und zu verschiedenen
Tageszeiten zu untersuchen. Bleibt die Dia-
nose trotzdem zweifelhaft, so kann dieTödtung
es streitigen Pferdes verlangt werden, damit
die Section die nöthigen Aufschlüsse gibt
Acute, fieberhafte Leiden, namentlich Druse,
Pulsfrequenz, erhöhte Mastdarmtemperatur,
jugendliches Alter, die Dentitionsperiode und
Rossigsein (Brunst) schliessen die Diagnose
auf Dumrakoller aus, sie kann erst nach
dem Vorübergang dieser Zustände gestellt
werden und hat sich mit auf eine glaub¬
würdige Anamnese zu stützen, denn es ist
wichtig, zu wissen, ob die Symptome der
Hirndepression schon lange bestanden haben
oder nicht. Der Verlauf des Kollers ist chro¬
nisch, er besteht für das ganze Leben und
ist unheilbar, die Zufälle können wohl ge¬
mässigt, aber nie radical beseitigt werden.
Nach jahrelanger Dauer ,kann der Koller
endlich in Folge des Hydrocephalus durch
Hirnlähmung, ausserdem auch durch Lungen¬
ödem oder entzündliche Brustleiden tödten.
Als specielle Symptome sind die folgenden zu
nennen: verzögerte Kreislaufbewegungen (nicht
constant), weicher Puls, etwas herabgesetzte
Athemfrequenz mit tiefer Inspiration, träge
Verdauung und Defäcation, abgestumpfte
Sensibilität, so dass Nadelstiche in die Haut,
das Treten mit dem Fusse auf die Hufkrone,
das Greifen in die Ohren, das Klopfen auf
die Stirn, Peitschenschläge, die Manipulationen
mit Zügeln. und Gebiss, die Schenkelhilfen
des Reiters entweder gar nicht oder nur un¬
genügend empfunden werden, die-Pferde beim
Fahren oder Reiten zur Seite oder rückwärts
drängen, sich überschlagen oder nicht vom
Platze zu bringen sind, nach dem Wagen
schlagen, die Zugstränge zerreissen u. dgl. m.
In Ausnahmefällen zeigen sich die Thiere
nervös aufgeregt, sie benehmen sich ängst¬
lich, zittern und erschrecken bei jedem
Geräusch, bekunden einen ängstlichen, un-
stäten Blick, was für eine grosse Reflex¬
empfänglichkeit von Seiten des Rückenmarks
und der von ihm abgehenden sensitiven Nerven
spricht; mitunter treten während des Ge¬
brauches in Folge Hyperämie in den Meningen
Rasereianfälle ein, in denen das Geschirr
zerrissen, das Gefährt zertrümmert wird, die
Pferde in die Höhe steigen, sich bäumen,
schlagen, drängen und nicht selten durch¬
gehen. Der krankhaft gesteigerten Erregung
pflegt ein Stadium grosser Apathie und Tor-
pidität zu folgen. Der ganze Ausdruck im Ge¬
sicht und der Habitus des Thieres prägt
Dummheit und Theilnahmslosigkeit für alle
Vorgänge der Aussenwelt aus, der Blick ist todt
und schläfrig, das Ohrenspiel wenig lebhaft,
das eine Ohr wird nach vorne, das andere
nach rückwärts bewegt, das Selbstbewusst¬
sein ist getrübt, die Begriffe sind perverse.
Die Haltung ist eine schläfrige, der Kopf
wird aufgestützt oder tief herabgesenkt, wobei
wirklicher schlafsüchtiger Zustand eintreten
kann, die Augen geschlossen gehalten werden;
während des Fressens schlafen die Thiere
förmlich ein, hören auf zu kauen, behalten
das Futter längere Zeit im Maule, bis sie wie
aus einem Traume erwachen und dann wie¬
der periodisch einige Kaubew egungCn maohen.
Mitunter geschieht das Fressen mit ungewöhn¬
licher Hast schubweise und wählend. Dabei
drohen die Patienten umzufallen, sie stellen
wohl auch die Füsse weit unter den Leib oder
kreuzweise über einander, verharren auch öfter
längere Zeit in derartigen abnormen Stellun¬
gen, die man ihnen absichtlich gegeben hat.
Das Herum- oder Zurücktreten wird tölpiscli
und schwerfällig ausgeführt, der Gang ist
öfter ein tappender mit hochgehobenen Füs¬
sen, bei den Bewegungen werden selbst die
Füsse in verkehrter Reihenfolge gebraucht.
Beim Tränken sieht man nicht selten die Nase
tief ins Wasser stecken, das Wasser mehr
gekaut als" getrunken werden. Am liebsten
wird das Futter von der Erde aufgenommen,
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422
DUMPFEJR SCHALL. — DUNST.
während es in der Raufe und Krippe liegen
bleibt. Der Zuruf zum Herumtreten im Stalle
bleibt häufig unbeachtet.
Differentialdiagnose. Zahnende, alte,
heruntergekommene, strapazirte, phlegmatische,
torpide, taube, blinde und brünstige Pferde
können auf den ersten Blick für dumme ge¬
halten werden, bald aber wird man sich über¬
zeugen, dass das Nervensystem in normaler
Weise functionirt, die Empfindung nur wenig
alterirt ist, Vorstellungen und Handlungen
keine perversen sind. Bei zahnenden Pferden
gehen die vermeintlichen Erscheinungen des
Kollers nach 8—14 Tagen vorüber. Blinde
Pferde haben einen tappenden, unsicheren, zur
Seite drängenden Gang, taube Pferde hören
nicht auf Zuruf und werden von umgebenden
Geräuschen nicht alterirt, sie lassen aber keine
anderweitigen Störungen in der sensiblen und
geistigen Sphäre erkennen.
Am leichtesten kann Amentia mit der
subacuten Gehirnentzündung und ihren Fol¬
gen, dem acuten Hydrocephalus, verwechselt
werden; für ihn sind pathognomonische Merk¬
male: höhere Mastdanntemperatur, ganz auf¬
gehobene oder mangelhafte Fresslust, grössere
Athemfrequenz, Schmerzäusserung beim Drucke
auf den Nacken, paralytische Zufalle, beson¬
ders . Schlingbeschwerden und constante, mit
Tobsucht abwechselnde Schlummersucht. Als
diagnostische Merkmale für Koller sind zu
beachten: normale oder etwas herabgesetzte
Körpertemperatur und Pulsfrequenz, regel¬
mässige Fresslust, normale Schleimhäute, blei¬
bende und deutlich ausgeprägte Störungen in
den Sinnesverrichtungen, Stauungspapille im
Auge.
Behandlung. Die Cur kann nur eine
palliative sein; als solche hat sie ins Auge
zu fassen massige Bewegung, kühle, gut
ventilirte Stallung, im Sommer Aufenthalt
im Freien, leichtverdauliche Nahrung (Grün¬
lütter, Knollengewächse, Rüben), offenen Leib
(Klystiere, abführende Salze, Purganzen), bei
Congestionen Aderlass, kalte Douchen, Eis¬
beutel auf den Schädel und ausgedehnte
scharfe Einreibungen in die Seitenflächen des
Halses, gegen den Hydrocephalus das Anste¬
chen der Siebbeinplatte nach Hayne oder die
Perforation der Stirnplatten des Siebbeines
mit dem Troicart, Trepan oder einem stilet-
förmigen Draht von den Nasenhöhlen aus. Die
Resorption des Serums in den Ventrikeln sucht
man durch innere Medication mit Salzen in
Verbindung mit Juniperus, Digitalis, ol. Tere-
binth., Nux vomiea etc. zu befördern; hervor¬
zuheben sind noch in dieser Beziehung das
Hydrarg. bichlor. corrosivum, subcutane In-
jectioneu einer Strychnin- oder Pilocarpin¬
solution und die intravenöse Injection der
tinctura Veratri albi.
Die Homöopathen benutzen gegen Koller
Kamillen mit Sulfur und Nux vom. oder
Veratrum und Pulsatilla, bei längerer An¬
dauer Belladonna alternirend mit Hyoscyamus
und Nux vom., bei starkem Sopor Opium, bei
Tobanfallen Belladonna, nach einigen Stunden
Verätr. albutn. Sulfur wird als Nachcur ge¬
geben. Anacker.
Der Dummkoller als Gewährsfehler
erfordert zur Feststellung vor Gericht eine
genaue und wiederholte Untersuchung, da die
einzelnen Anfälle nicht immer deutlich zum
Vorschein kommen und periodenweise Bes¬
serungen der Krankheit, besönders in kalter
Jahreszeit eintreten. Mittel, um im Pferde¬
handel den Koller zu verbergen, sind: starke
Aderlässe, scharfe Abführmittel und Haut¬
reize, kühler Aufenthalt, beschränktes, leicht
verdauliches Futter, Anwendung der Peitsche,
Sporen und des Pfeifers beim Vorführen,
Kopfscheumachen des Thieres, Ausscheeren
der Ohren, Stechen der Krone mit Nadeln,
um sie empfindlicher zu machen. Mittel, um
den Koller zu simuliren, sind: Verabfolgung
narkotischer Mittel, starker Gebrauch bis zur
vollständigen Erschöpfung. Die Gewährsfristen
beim Dummkoller betragen:
4 Tage in Hamburg;
9
n
ft
Frankreich undElsass-Lothringen:
14
n
ft
Belgien;
15
ft
ft
Sachsen:
20
n
ft
der Schweiz;
21
ft
■n
Baden, Bayern, Kurhessen, Frank¬
furt, Hohenzollern;
28
ft
ft
Preussen, Lübeck, Hessen, Sach¬
sen - Meiningen - Hildburghausen;
30
v
ft
Oesterreich;
31
r>
ft
Württemberg und Fulda;
42
ft
ft
Sachsen-Coburg-Gotha;
84
n
ft
Hannover und Hildesheim. Sr.
Dumpfer Schall, s. Percussion.
Dumpfiges Futter, Futtermittel, welche
in Folge von Feuchtigkeit eine gelinde Selbst¬
erhitzung, verbunden mit gewissen Zer¬
setzungen durchgemacht haben. Die Producte
der letzteren verleihen demselben einen dum¬
pfigen Geruch. Dumpfig riechende Futter¬
mittel sind häufig mehr oder weniger gesund¬
heitsschädlich, namentlich dann, wenn sie,
was oft der Fall ist, auch Schimmel ange¬
setzt haben oder andere Pilzwucherungen
enthalten. Man muss sie vorsichtshalber
kochen oder dämpfen, bevor man sie ver¬
füttert. Pott.
Dumpi68, eine in Schottland einheimische
Hühnerrasse (auch Bakies, Go-laighs, Dachs¬
hühner, Krüper genannt), die sich auszeichnet
durch ihre sehr kurzen Läufe (die oft kaum
4 cm lang sind) bei grossem Körper. Ihr
Gefieder ist kukuksfarbig, der Kamm ist ein¬
fach und aufrechtstehend, der Schwanz ziem¬
lich gross und beim Hahn mit grossen
Siclielfedern besetzt. Die Durapies sind nach
B a 1 d am u s und W r i ght abgehärtet und vor¬
treffliche Tafelhühner, sollen aber eine im
Aussterben begriffene Rasse sein; jedenfalls
kommen sie auf englischen Ausstellungen nur
noch höchst selten vor. Wtlckens.
Dunst und Dampf werden häufig gleich¬
bedeutend gebraucht; den ersten Ausdruck
vermeidet man in der Physik im Allgemeinen,
spricht jedoch von verdunsten, Verdunstung
und Dunstgestalt der Luft. Unter letzterer
versteht man in der Regel die Form, unter
DUNST.
423
welcher der Wasserdampt in der Luft er¬
scheint. Der Uebergang eines Körpers vom -
festen oder flüssigen Aggregatzustand in den
gasförmigen von seiner Oberfläche* aus heisst
Verdunstung, und man sagt, ein Körper,
welcher ohne Zufuhr freier Wärme von aussen
her von seiner Oberfläche aus gasförmig
wird, verdunstet. Manche nennen nun den in
den gasförmigen Zustand übergegangenen
Theil des Körpers Dunst. Das allgemeinste
Merkmal bei diesem Vorgang ist die Abnahme
des Gewichtes des verdunsteten Körpers.
Nicht blos flüssige, sondern auch feste Körper
verdunsten, z. B. Eis auf der Wage nimmt
selbst bei grosser Kälte, ohne zuvor zu
schmelzen, an Gewicht immer mehr ab; ebenso
verdunsten Kampher, Moschus, kohlensaures
Ammonium etc. Ueber die Verdunstung von
Flüssigkeiten gelten folgende Gesetze:
1. Sie findet bei jeder Temperatur statt.
Reif und Schnee verschwinden bei anhaltend
trockenem Winde; gefrorene Wäsche trocknet.
Selbst Quecksilber verdunstet bei gewöhn¬
licher Temperatur, was man an den Queck¬
silberkügelchen erkennen kann, die sich an
dem leeren Theil der BarometerTöhre an¬
setzen.
2. Die Verdunstungsmenge ist direct
proportional der Verdunstungsfläche; ausge¬
breitete Gegenstände trocknen schneller,
während Flüssigkeiten in enghalsigen Flaschen
nur langsam verdunsten.
3. Die Verdunstungsmenge ist direct
proportional dem Unterschiede der Spann¬
kräfte des sich aus der Flüssigkeit ent¬
wickelnden und des in dem Verdunstungs¬
raum schon vorhandenen Dampfes. Aus diesem
Gesetze erklärt es sich, dass die Verdunstung
des Wassers in trockener Luft leichter erfolgt
als in feuchter.
4. Die Verdunstungsmenge ist umgekehrt
proportional der Spannkraft der umgehenden
Luft. Im luftleeren Raume erfolgt die Ver¬
dunstung plötzlich, im lufterfüllten um so
langsamer, je dichter die Luft ist.
5. Die Verdunstung wird durch Bewe¬
gung der Luft befördert, indem durch Be¬
wegung die gebildeten Dämpfe fortgeführt
werden und somit der Spannungsunterschied
des sich bildenden und des schon vorhandenen
Dampfes denselben Werth behält.
6. Bezeichnet man daher mit a die
Flüssigkeitsmenge, welche auf der Fläche 1
beim Spannungsunterschiede 1 des sich bil¬
denden und des schon vorhandenen Dampfes
und beim Barometerstände 1 in einer gewissen
Zeit verdunstet, so ergibt sich für die Flüssig¬
keit W, welche in derselben Zeit auf der
Fläche F bei der Spannung p des sich bil¬
denden und der Spannung p' des schon vor¬
handenen Dampfes und beim Barometerstände
b verdunstet, die Formel: W = a F (p—p'): b.
Wenn eine Flüssigkeit verdunstet, ohne von
aussen erwärmt zu werden, so wird ein Theil
ihrer, Wärme zur Darapfbildung verbraucht.
Dadurch entsteht Temperaturerniedrigung,
welche Verdunstungskälte genannt wird; die¬
selbe ist um so grösser, je mehr Flüssigkeit
in einer gewissen Zeit verdunstet. Die Ver¬
dunstungskälte wird zur künstlichen Eis¬
bereitung benützt (s. Eismaschinen). — Die
Verdunstungsproducte vieler Körper und
die Producte chemischer Processe, die man
im gewöhnlichen Leben Dünste oder auch
Dämpfe nennt, wie z. B. Kohlendunst, Oel-
dünste, Schwefeldünste, Kalkdünste, Blei¬
dünste, Kupferdünste, Arsenikdünste, Queck¬
silberdünste, Keller-, Brunnen- und Grubenluft,
Sumpfluft etc., die Dünste aus Werkstätten,
Krankenzimmern und Viehställen sind, weil
sie gasförmig sind und leicht eingeathmet
werden können, schädlich; sie Beeinträchtigen
sehr oft die Gesundheit der Menschen und
Thiere. Geht ein flüssiger Körper, meist
durch fortgesetzte Wärmezufuhr, durch seine
ganze Masse hindurch in den gasförmigen
Zustand über, so sagt man, er siedet oder
verdampft. Häufig wird jedoch mit Verdampfen
sowohl das Verdunsten als auch das Sieden
bezeichnet. Die Siedetemperatur der Körper
ist verschieden. (Flüssige Metalle sind noch
nicht zum Sieden gebracht worden, da der
Siedepunkt nicht erreicht werden kann.) Die
Siedetemperatur bleibt so lange constant, bis
die ganze Flüssigkeitsmasse in den gas¬
förmigen Zustand übergeführt ist; es wird
also Wärme gebunden. Die Siedetemperatur
ändert sich schon bei gewöhnlichen Luft¬
druckveränderungen; man kann also von der
Siedetemperatur eines flüssigen Körpers nur
für einen bestimmten Luftdruck reden; der
Siedepunkt liegt um so höher, je grösser der
Druck ist. Im luftleeren Raume siedet das
Wasser; das Sieden ist also nichts Anderes
als eine Ueberwindung des Luftdruckes. Zwei
Barometerrühren werden mit Quecksilber
gefüllt und luftleer gemacht; die erste wird
unter Quecksilber umgedreht; danh wird die
Quecksilbersäule eine Höhe erreichen, dass
sie dem äusseren Luftdruck das Gleichgewicht
hält. Auf die zweite Quecksilbersäule giesst
man etwas Wasser find dreht dann ebenfalls
unter Quecksilber um, so steigt, das Wasser
in die Höhe und verdampft plötzlich bis auf
einen kleinen Theil im luftleeren Raum. Der
Wasserdampf wirkt dann dem Luftdruck
entgegen und drückt die Quecksilbersäule
abwärts. Wird die Toricellische Xeere ver-
rössert oder die Temperatur erhöht, so ver-
arapft neuerdings ein Theil der Flüssigkeit.
Es ergibt sich das Gesetz: In einem gegebenen
Raume kann sich bei einer bestimmten Tem¬
peratur blos eine ganz bestimmte Menge
Flüssigkeit in den gasförmigen Zustand ver¬
wandeln. Modificirte man den letzten Ver¬
such so, dass man Tropfen für Tropfen
Flüssigkeit in der Quecksilbersäule aufsteigen
lässt, so würde die Quecksilbersäule successive
herabgedrückt, die Spannkraft der Dämpfe
also immer grösser, bis ein Tropfen nicht
mehr verdunstet;- dann sind die Dämpfe im
Maximum der Spannkraft angekommen und
heissen gesättigte, während solche, die noch
nicht im Maximum der Spannkraft sich be¬
finden, überhitzte heissen. Die Spannkraft
gesättigter Dämpfe lässt sich leicht berechnen.
424
DUNST.
indem man von der Höhe der Baromoter-
quecksilbersäule die Höhe der Quecksilber¬
säule subtrahirt, auf welche die gesättigten
Dämpfe wirken.
Dunstgehalt der Luft. Das Wasser
verdunstet im grossen Umfange jahraus jahr¬
ein auf der ganzen Erdoberfläche; selbst im
Winter, wenn es zu Schnee und Eis krystalli-
sirt ist. In dem Zustande der Verdunstung
ist das Wasser völlig unsichtbar; von seiner
Anwesenheit Überzeugt man sich durch Ueber-
führen desselben in' flüssigen Zustand durch
Erkältung, Druck und Verdichtung, durch
Affinität, Adhäsion, sowie durch ein eigen¬
tümliches Verhalten gewisser Körper, die
man hygroskopische nennt. Je höher die
Temperatur ist, desto mehr Wasser wird ver¬
dunsten, und dia Luft enthält daher gerade
dann verhältnismässig viel Wasserdampf,
wenn die Temperatur sehr hoch ist. Um die
Menge der Feuchtigkeit bemessen zu können,
werden solche hygroskopische Substanzen, wie
Hobelspäne, Fischbein, Darmsaiten, Frauen¬
haare etc. benützt, welche durch ihre Ver¬
kürzung bei der Aufnahme von Feuchtigkeit den
Grad der in der*Luft vorhandenen Feuchtigkeit
angeben (s. Hygrometer). Die Elasticität der
Luft wird durch Verdunstung des Wassers
nicht vermindert, vielleicht sogar vermehrt,
wie die schnellere Schallverbreitung in
tropischen Gegenden vermuthen lässt. Die
Verdunstung findet nicht ununterbrochen statt,
wie die Verdampfung bei stetem Wärmezu¬
fluss, sondern hat bestimmte Grenzen und
hört auf, wenn die Luft mit Wasserdampf
gesättigt ist. Der Wassergehalt der Atmo¬
sphäre^ nimmt an jedem Orte der Erde wäh¬
rend des Tages zu und ab, und die Gesetze,
nach welchen dies geschieht, sind durch
Ne über in Apenrade (Holstein), Kupffea
in Petersburg und Kämtz in Halle möglichst
genau ermittelt worden. Im Sommer hat die
Wassermenge täglich zwei Maxima und zwei
Minima. Wenn nach Sonnenaufgang die Tem¬
peratur steift, so wird auch die Menge des
Wasserdampfes in der Luft grösser, was un¬
gefähr bis 9 Uhr dauert; von da ab hört
zwar die Entwicklung des Wasserdampfcs aus
Erde, Wasser, Pflanzen u. s. w. nicht auf, im
Gegentheil, sie wird mit der steigenden Wärme
stärker; aber wie nun die Sonne auch die
Luft und den Boden durchwärmt, so hebt
sich von diesem* ein Strom warmer Luft
empor, welcher die Feuchtigkeit mit sich hin¬
wegführt, was von da ab in immer höherem
Masse geschieht, obwohl immer mehr Dampf
entwickelt wird. Von 9 Uhr an sinkt also die in
der Luft vorhandene Dampfmenge immer mehr,
bis sie gegen 4 Uhr Nachmittags ihr Minimum
erreicht hat. Von da nimmt nunmehr wieder
der aufsteigende Luftstrom ab, und die Ent¬
wicklung der Dampfmenge aus dem erwärmten
Boden dauert fort; der nicht mehr hinweg¬
geführte Dampf sammelt sich also in der
Luft an, und er erreicht ein zweites Maximum
ungefähr um 9 Uhr Abends (natürlich sind nach
den Monaten die Stunden verschieden; die hier
angegebenen gelten für den Juli und August;
früher und später rucken die beiden höchsten
Punkte näher nach der wärmsten Stunde des
Tages zu, so dass der erste um 10, der
zweite um 8 Uhr Abends, dann um 11 und
um 7 Uhr u. s. w. eintritt). Von da ab ver¬
mindert sich die Dampfmenge wieder bis gegen
Sonnenaufgang hin, aber aus einem .anderen
Grunde, * als es . zu Mittag geschieht. Der
Dampf wird nicht durch einen warmen Luft¬
strom entführt, sondern durch allmälige Er¬
niedrigung der Temperatur niedergeschlagen,
was bis zum Erscheinen Yon Nebel, bk zur
Wolkenbildung geht, dahin jedoch, wie be¬
greiflich, durch verschiedene, den Temperatur¬
gang störende meteorologische Erscheinungen,
kalte Luftströrae u. s. w., auch bei Tage ge¬
langen kann. Wenn die Maxiraa der Feuchtig¬
keit immer näher zu der wärmsten Stunde
rücken, wie man sich dem Frühling oder
dem Herbst zuwendet, so kann man schtiessen,
dass, wenn die beiden Punkte der Frühlings¬
und Herbstzeit überschritten sind, sie viel¬
leicht beide im Winter zusammenfallen wefden,
so dass es nur einen höchsten Stand der
Feuchtigkeit in 24 Stunden gibt, und- dies
ist wirklich der Fall. Die Sonnenstrahlen, im
Winter weniger intensiv, entwickeln zwar aus
allem Flüssigen, ja sogar aus Schnee und Eis
Dämpfe, können jedoch den Boden nicht so
durchwärmen, dass sie einen aufsteigenden
Luftstrom veranlassen. Die entwickelten
Dämpfe haben daher ihr Maximum bald nach
der wärmsten Stunde des Tages, im Jänner
nach 2 Uhr, das Minimum fällt, wie immer,
auf die Stunde des Sonnenaufganges. Auf
Bergen yon bedeutender Höhe verhalten sich
das Maximum und das Minimum anders als
in der Ebene oder als in den am Fusse der
Berge gelegenen Gegenden. Hier hat man
aus natürlichen Gründen während des Som¬
mers zwei Maxima und zwei Minima, aus
denselben Gründen hat man auf den Gebirgen
nie mehr als.ein Maximum und ein Minimum.
Wie nach der Tageszeit, so variirt der Stand
der Feuchtigkeit auch nach der Jahreszeit.
Die Menge des Wasserdampfes ist bei uns im
Juli und August am grössten, im December
und Jänner am geringsten; dagegen ist der
Sättigungsgrad der Luft im December am
grössten und im August am geringsten. Des¬
halb findet im December viel häufiger Nieder¬
schlag gtatt als im August; aus diesöra Grund«
ist ein Regen im Sommer so ergiebig, dass
er innerhalb einer Viertelstunde eine ganze
Stadt zu überschwemmen vermag, indes ein
vier Wochen lang anhaltender Winterregen
wohl unerträglich viel Koth auf den Strassen
anhäuft, allein aus keinem Rinnstein einen
Bach zu machen im Stande ist; die Tröpfchen
sind unsichtbar klein, die Tropfen eines tüch¬
tigen Sommerregens erbsen-, ja haselnuss¬
gross.
Die beiden Factoren, auf welche es vor¬
zugsweise hier ankommt, sind Wärme und
Wasser. Ist der Wasservorrath unbegrenzt,
so werden sich über demselben um so mehr
Dämpfe entwickeln, je wärmer es ist; daher
ist die Menge des Wasserdampfes über den
DUNST.
425
tropischen Meeren am grössten, und sie nimmt
über dem Meere immer mehr ab, je weiter
man sich vom Aequator nach den Polen hin
entfernt, obschon es dem Auge nicht so
erscheint, weil der wolkenlose Himmel der
Aequatorialregion Trockenheit ankündigt und
der ewig bewölkte Himmel der Polarregion
die grösstmögliche Feuchtigkeit zeigt. Allein
was* für den 70. Grad nördlicher Breite die
grösstmögliche Feuchtigkeit ist, das ist es
noch lange nicht für die Tropen.
Der Thau entsteht aus dem Wasserdampf
in der unteren Luftschicht, welcher sich wäh¬
rend des Tages und der Nacht bildet in
Folge der Temperaturerniedrigung der Erd¬
oberfläche und der sie bedeckenden Gräser
durch Ausstrahlung derselben, wobei er 9ich
an diesen, zu Wassertröpfchen condensirt,
niederschlägt. Unter gleichen Umständen bildet
sich zwischen Sonnenuntergang und Mitter¬
nacht weniger Thau als zwischen Mitternacht
und Sonnenaufgang; bei bedecktem Himmel
und bei bewegter Luft thaut es niemals;
gegen den ersteren findet keine Ausstrahlung,
oder es findet vielmehr von demselben eine
Rückstrahlung statt, ein gegenseitiger Aus¬
tausch der eigenen Temperaturen, denn nur
wenn der Rasen kälter ist als die Luft, kann
Thau fallen; der Wind würde bei klarem
Himmel allerdings die Ausstrahlung nicht
hindern, allein er hindert die Erniedrigung
der Temperatur des strahlenden Körpers, in¬
dem er ihm seine eigene Wärme immer wieder
zuführt, und er verhindert die Abkühlung
der den ausstrahlenden Körper umgeben¬
den Luft, ohne welche diese ihre Feuchtig¬
keit nicht abgeben kann; der Wind verhindert
sie dadurch, dass er stets neue warme Luft
dahin führt, wo die vorhandene sich ab-
kühlen soll. Der Thau spielt in der Natur
eine wichtige Rolle, denn er erhält in der
heissen Zone fast allein die Ueppigkeit des
Pflanzenwuchses.
Reif ist gefromer Thau und entsteht aus
derselben Ursache wie der Thau, wenn die
Temperatur unter Null sinkt.
Der Nobel besteht aus einer unendlichen
Menge sehr kleiner Wasserbläschen und ist
so im Grunde dasselbe wie die Dämpfe, welche
kochendem Wasser entweichen und mit kalter
Luft in Berührung kommen, oder wie die
Wolken. Nebel entstehen, wenn die Luft mit
Feuchtigkeit gesättigt ist und die Wasser¬
dämpfe sich nicht durch Berührung mit kalten,
festen Körpern verdichten, sondern durch
Windströmungen an kalte Orte geführt oder
mit kalten Luftmassen gemengt werden, wo¬
durch Verdichtung eintritt, sobald sie unter
ihrem Thaupunkt erkaltet sind, d. h. unter
derjenigen Temperatur, für welche die Ver¬
dichtung des Wasserdampfes gerade beginnt.
Der Nebel wird in seiner ganzen Masse durch
einen aufsteigenden Luftstrom gehoben, und
so wie er von d$r Erde hinweg ist, heisst er
Wolke. Dass auf diesen Vorgang Regen folgen
kann, häufig auch folgen wird, ist begreiflich.
Andererseits, wenn der Nebel sich gleich auf
dem Boden verdichtet, an Pflanzen, Sand
und Steinen niederschlägt, verschwindet, ohne
in die oberen Luftschichten zu steigen, wird
kein Regen folgen. Nach dem ersteren Phä¬
nomen kann es regnen; nothwendige Folge
ist dies aber keineswegs. Wird der auf¬
steigende Nebel in einen wärmeren Luftstrom
geführt, so wird derselbe aufgelöst, er wird
völlig verschwinden, und obgleich dieselbe
Menge Feuchtigkeit in der Luft ist wie früher,
so wird doch der Himmel klar werden (die
Luft war bei der Temperatur, welche sie
unten hatte, auf dem Sättigungspunkte mit
Wasserdampf, und ist es jetzt in dem wär¬
meren Zustande nicht mehr). Ein anderer
Fall tritt ein, wenn die Temperatur der
oberen Schichten zwar nicht höher ist als die¬
jenige, aus welcher der Nebel aufsteigt, wenn
sie aber irgend einen starken Zug hat. Nach
welcher Himmelsgegend dieser gerichtet ist,
dorthin wird die Wolke ziehen, und nicht wo
sie aufstieg, sondern dort, 4 wo sie hinzieht,
wird sie als Regen herabfallen. Solches ge¬
schieht z.B., wenn langgestreckte Gebirgszüge
der Windrichtung im Wege stehen. Ausser der
Entstehung der Wolken durch den Nebel auf
der Erde, bilden sich dieselben unendlich viel
öfter gleich oben in den höheren Regionen,
und es wird nur zu den Ausnahmefällen ge¬
hören, dass eine Wolke vorher an der Erde
lagernder Nebel war. Man unterscheidet drei
Hauptformen von Wolken, u. zw.: die Feder¬
wolke (Cirrhus), Strichwolke (Stratus) und
Haufenwolke (Cumulus). Die ersten sind die
höchstgelegenen kleinen Wölkchen, auch
Lämmerwölkchen, Schäfchen genannt. * Sie
sollen nach Humboldt wenigstens eine Meile
hoch schweben. Die Strichwolken sind die¬
jenigen fast immer weissen, leichten und halb-
durchsichtigen Wolken, welche in langen
Strichen äusserst langsam und kaum merk¬
lich über den Himmelsraum ziehen, jedoch
in so grosser Höhe, dass noch immer zwei,
drei und mehr Wolkenschichten darunter und
Wolkenzüge unter ihnen Platz haben, welche
man auch deutlich, vom Winde bewegt, in
verschiedenen Richtungen unter einander fort¬
ziehen sieht. Die Haufcnwolke bildet mehren-
theils eine grosse, schwere Masse von dunkler
Färbung, in der Form ähnlich ungeheuren
Gebirgsmassen. Dass die Wolken am Regen
den meisten Antheil haben, unterliegt keinem
Zweifel. Der Tropfen des Regens, bildet sich
in äusserster Kleinheit in der Wolke selbst,
u. zw. aus den noch kleineren Dunstbläschen,
welche grösser werden, Zusammenflüssen und
so schwerer werden und zur Erde fallen.
Hagel ist gefrorner Regen und seine Er¬
zeugung und Vergrösserung ganz der des
Regens ähnlich. Bei der Hagelbildung ist
aber immer die Elektricität mit thätig, indem
es höchst selten hagelt ohne Gewitter.
Eine weitere Form des atmosphärischen
Niederschlages ist der Schnee. Derselbe ist
nicht gefromer Regen, Sondern er entsteht
durch Krystallisation, u. zw. lange vor der
Tropfenbildung.
Aus dem Dunstgehalte der Luft entstehen,
wie man sieht, verschiedene meteorologische
426
DUNSTBADER. — DURA MATER.
Erscheinungen, als: Nebel, Thau, Reif,Wolken,
Regen, Hagel und Schnee, welche, wenn sie
regelmässig und zeitgemäss auftreten, mit
Ausnahme des Hagels, eine Wohlthat für die
Pflanzen- und Thierwelt sind. Treten sie
jedoch zur Unrechten Zeit, am Unrechten
Orte und in zu grosser Quantität in die Er¬
scheinung, so können sie von grossem Nach¬
theil für die organischen Geschöpfe werden
und selbst die Gesundheit und das Leben von
Pflanze, Thier und Mensch beeinträchtigen,
untergraben und zerstören. Wie die Wärme
das belebende, so ist die Feuchtigkeit (Nässe)
das ernährende Princip aller organischen
Wesen. Der Wasserdampf gehört zu den
wichtigsten bewegenden Kräften, die uns zu
Gebote stehen. Aber auch als medicinisches
Thierheilmittel werden die Dämpfe nicht
selten bei katarrhalischen Respirations- und
Drüsenleiden in Anwendung gebracht.
Literatur: Ziinmormann’ii „Physische Geo¬
graphie“, Humboldt's „Kosmos“, Schmieder, „Natur¬
lehre“. Ableitner.
Dunstbäder, s. Inhalationen.
Dun8tkälber. Ist in Folge fehlerhafter
Lagen oder Haltungen, oder in Folge von
Unwegsamkeit der Geburtswege die Ausstos-
sung der reifen oder fast reifen Frucht unmög¬
lich geworden, stirbt dieselbe ab, war oder ist
der Gebärmutterhals geöffnet, traten oder
treten Fäulnisserreger mit der Frucht in Be¬
rührung, so geht dieselbe in Fäulniss über.
Es sammeln sich in der Folge Fäulnissgase
in den Eingeweiden und unter der Haut an.
Derartig faulende, durch Gase aufgedunsene
Kälber werden als Dunstkälber bezeichnet.
Sie bilden meist ein sehr ernstes, hin und
wieder selbst ein unüberwindliches Geburts-
hinderniss und veranlassen beim Mutterthier
sehr häufig eine septische Infection und Ent¬
zündung des Uterus, welche Folgezustände
sehr gerne den Tod des Mutterthieres her¬
beiführen. Um die Extraction solcher Dunst¬
kälber zu erleichtern, werden die meist
trockenen und gerötheten Geburtswege behufs
deren Schlüpfrigmachung reichlich mit Oelen,
Schweinefett oder Butter bestrichen und
selbst Einspritzungen von Leinsamendecocten
in den Uterus gemacht Ist die Aufdun-
sung eine starke, so macht man Scarifi-
cationen, die Exenteration prakticirt selbst
das Aus-der-Haut-ziehen der Gliedmassen
(s. diese Operationen). Oeftcrs reissen beim
Anziehen des Fötus Theile desselben los, und
muss man mitunter Stück für Stück von
demselben ausziehen. Nach Entfernung des
Jungen muss der Uterus zuerst gut mit lau¬
warmem und nachher mit carbolisirtem Wasser
ausgespült werden. Die Ausspülungen letzterer
Art sind fleissig zu wiederholen, namentlich
dann, wenn das Mutterthier schon sichtbar
erkrankt ist. Der Geburtshelfer muss bei
solchen Geburtsfallen, um sich vor putriden
Infectionen bestmöglich zu schützen, Hände
und Arme gut desinficiren. Strebei.
Duodeniti8 ist die Entzündung des Zwölf¬
fingerdarms (von duodenum, Zwölffingerdarm,
itis = Entzündung); wir treffen sie in der
Regel gleichzeitig mit einer Entzündung des
übrigen Dünndarms oder doch grösserer Ab¬
theilungen desselben an, so namentlich auch
bei Infectionskrankheiten, in denen das Duo¬
denum häufig am meisten lädirt erscheint.
Auch Parasiten, unter ihnen vornehmlich
Bremsenlarven und Bandwürmer, hausen gern
im Duodenum und können es in Entzündung
versetzen, ebenso Gifte. Symptome und Be¬
handlung s. bei Darmentzündung. Anacker .
Duodenum (abgel. v. duodecim, zwölf),
Zwölffingerdarm, als der beim Menschen an
Länge 12 Querfingern gleichkommende erste
Dünndarmabschnitt. Sussdorf '.
Dupont veröffentlichte zahlreiche Artikel
und Beobachtungen aus der Praxis in den
Brüsseler Annalen. Semmer.
Dupuy A. C. (1775—1829) studirte Ve-
terinärmedicin in Alfort, wurde später Pro¬
fessor daselbst und nachher Director der
Veterinärschule zu Toulouse, aus welcher
Stellung er 1832 ausgetreten ist. Dupuy
veröffentlichte zahlreiche Schriften, unter
anderen: Sur les abefcs ou tumeurs purulentes
en göneral 1805; De l’affection tuberculeuse,
vulgairement appelöe morve 1817; Traitd
historique et pratique sur les maladies öpi-
zootiques des betes ä corne et ä laine etc.,
und gab gemeinschaftlich mit Vatel von 1826
bis 1831 das Journal pratique de medecine
vötörinaire heraus. Semmer.
Dupuy’scher Brack. Grosser Hühnerhund
von weisser und kastanienbrauner, auch weisser
und schwarzer Farbe. Wurde im Jahre 1815
von M. Dupuy im Poitou gezogen, nach welchem
Züchter er auch benannt wurde. Dieser Brack
hat eine lange Schnauze, kleine, hoch am
Kopfe angesetzte Ohren, hängende und schlaffe
Lippen, kleine Augen, lange und schmale
Stirne, breites Brustblatt und kräftige Füsse.
Er sucht im Schritt mit erhobenem Kopf und
wittert das Wild auf grosse Distanzen, das
er dann — wie der Jäger in jener Gegend
sich ausdrückt — „wie ein Pfahl stellt“. Bei
einigen Abkömmlingen sind die Formen
schlank, die Schnauze noch länger geworden,
was zu der Behauptung Anlass gab, dass
Dupuy diese Rasse durch die Kreuzung einer
Jagdhündin vom Haut-Poitou mit einem
Windhund zu Stande gebracht habe. Jedoch
ist der Bildungsvorgang dieser sehr be¬
liebten v und verbreiteten Rasse nicht näher
bekannt. Neumann.
Dura mater, meninx fibrosa, Pachymeninx,
harte Hirnhaut. Die Etymologie der verschie¬
denen Synonyma für die äusserste der Hüllen
des cerebrospinalen Nervensystems erklärt
den Namen mater nach Spigelius aus der
mütterlichen Fürsorge, mit welcher die Hirn¬
häute überhaupt schützend für das Gehirn
eintreten; das in den anderen Namen ge¬
brauchte meninx ist das griech. ^ jiYjv:y 5 ,
die Haut, besonders Gehirnhaut. Die betref¬
fenden Beiworte dienen zur Unterscheidung
von den übrigen Häuten; Pachymeninx ent¬
hält das adj. * 076 s, dick. Die nähere Be¬
sprechung s.Nervencentralorgane, Sussdorf.
DURCHBRECHEN. — DURCHGEHEN DER PFERDE.
427
Durchbrechen. Wenn Hochwild durch die
Reihen der Treiber dringt, so nennt dies der
Jäger durchbrechen. Koch.
Durchfall, Diarrhö a (von ota£petv,durch-
fliessen), heisst jede öfter als gewöhnlich
wiederkehrende Darmentleerung von bald
mehr wässeriger, bald mehr schleimiger Be¬
schaffenheit, welche auf einem Flächenkatarrh
des Darmcanals beruht. Bei dem wässerigen
Durchfall tiberwiegt die seröse Transsudation
aus den Capillaren des Schleimhautgewebes,
bei dem schleimigen Durchfall sind haupt¬
sächlich die Schleimfollikel betheiligt. Immer
ist zugleich das Resorptionsvermögen des
Darmtractus herabgedrückt und die Peristaltik
eiqe vermehrte, so dass das Transsudat nicht
genügend aufgesogen und schneller ausge¬
schieden wird. (S. auch Darmkatarrh.) Anr.
Durchgehen der Pferde. Die Untugend
des Durchgehens der Pferde im Reiten und
Fahren ist häufig nur durch falsche Behand¬
lung vom Reiter oder Fahrer herbeigeführt
worden. Wie nun durch falsche Erziehung,
unrichtige Dressur und verfehlte Angewöhnung
zur Arbeit der Hang zum Durchgehen allmälig
entstanden ist, so muss diese schlechte Ge¬
wohnheit den Thieren wieder nach und nach
abgewöhnt werden, und mit Geduld, sanfter
Behandlung und namentlich richtiger Erkennt¬
nis der Temperamente und Naturellsanlage
des Pferdes wird jeder derartige Versuch von
gutem Erfolg begleitet sein. Grösstentheils
sind solche Pferde mit einem sanguinischen
oder cholerischen Temperamente behaftet,
wobei sie aus Furcht, Erschrecken oder roher
Behandlung, selten aus Bosheit durchgehen.
Ist das jedoch der Fall, so nimmt der Durch¬
gänger, sobald die Ursache des Durchgehens
bei ihm eintritt, das Gebiss fest zwischen die
Zähne, wirft die Nase in die Höhe, macht
den Hals und die Ganaschen steif, wodurch
die Einwirkung der Zügel aus der Hand des
Fahrenden vollständig wirkungslos wird. Reit¬
pferde biegen den Kopf ab, fassen das auf
den Laden liegende Stangengebiss mit den
ersten Backenzähnen, drücken es nieder und
machen so die Zügelführung wirkungslos.
Es ist nun allerdings eine schwierige
Aufgabe, solche durchgehende Pferde zu re-
dressiren und sie von dieser Untugend, die
sie einmal angenommen haben, zu heilen.
Mit vielem Fleiss kann durch fortgesetzte
ruhige Behandlung mittelst wiederholten täg¬
lichen Longirens im Schritt und Trabe eine
8—14 Tage lang währende Besserung oder
selbst Heilung erzielt werden, wenn die Thiere
nebenbei an das Knallen der Peitsche und
an jeden nur ausführbaren Lärm durch die
beruhigende Stimme des Menschen gewöhnt
werden; selbst ein leichter Schlag mit der
Peitsche über den Rücken darf das Pferd
nicht aus dem Tempo bringen. Mit einem
Wort, das Pferd muss vollständiges Vertrauen
zu dem es leitenden Menschen bekommen.
Da aber den Menschen häufig die Geduld
fehlt, solche Redressirproben auszuführen, und
das' Durchgehen der Pferde doch nicht selten
verkommt, so hat man auf alle möglichen
Mittel und Behelfe sich verlegt, um das Durch¬
gehen während der Action zu verhindern und
die Pferde zum Stillstehen zu zwingen. Zu
diesem Zwecke hat man durch mechanische
Vorrichtungen bald die Augen geblendet,
bald die Nasenlöcher zusammengedrückt, dann
wieder Vorrichtungen an den Wagendeichseln
angebracht, um die Köpfe zu fixiren, ferner
an der Bespannung Abänderung getroffen, um
die Pferde sofort loslösen und freilassen zu
können u. s. w.
Einige neuere Erfindungen, welche das
Durchgehen der Pferde verhindern sollen,
mögen hier erwähnt werden.
Nach dem „Vereinsblatt für Ostfriesland“
wurde nachstehend beschriebene einfache Auf-
haltevorrichtung mit Erfolg angewendet. Man
lässt um die Wagendeichsel, ungefähr zwei
Fuss von der Spitze entfernt, vom Schmied
einen eisernen Ring legen, welcher obenauf
eine starke Oese hat, in der ein zweiter Ring
sich quer mit der Deichsel spielend bewegt.
Die mit Lederzunge und Schnalle versehenen
beiden Enden einer starken hänfenen Noth-
leine werden nun, je eine, in den inneren
Ring der Trense der beiden Pferde einge¬
schnallt, die Leine wird doppelt durch den
Ring an der Deichsel gezogen und vom Fahrer
neben sich am Kutschbock lose, aber mög¬
lichst gleichmässig befestigt. Sobald die Pferde
unruhig werden und Anstalt zum Durchgehen
machen, wird die Nothleine so kräftig wie
möglich mit einem Ruck angezogen, wodurch
die Köpfe der Pferde heftig zusammengedrückt
und nach rückwärts verhalten werden. Die ver¬
mittelst des Durchziehens durch den Deichsel¬
ring ausserordentlich gesteigerte Kraft und
Wirkung der Nothleine und die dadurch
herbeigeführte unbequeme Kopfstellung der
beiden Pferde bewirkt ein augenblickliches
Stillstehen, und nun lässt man die Peitsche
tüchtig strafen. Einigemale wiederholt, bessert
dieses Verfahren die unartigsten Thiere.
J. S. Ledere in Paris hat eine neue Vor¬
richtung gegen das Durchgehen der Pferde
erfunden, und sagt derselbe: Es ist bekannt,
dass, wenn ein Pferd durchgehen will und
ihm auf seinem Wege Jemand entgegenkommt,
der kaltes Blut und Energie genug besitzt,
um ihm in die Nasenlöcher zu greifen und
diese stark zusammenzudrücken, das Thier
fast augenblicklich steht. Hierauf fussend, hat
Ledere seine Vorrichtung hergestellt. Die¬
selbe besteht aus einem runden, l’20m
langen Riemen, an dessen einem Ende ein
Ring und an dem anderen Ende eine Schnalle
befestigt ist. Man steckt das Ende, wo sich
die Schnalle befindet, in den Ring und macht
eine Art Schlinge, welche um das Maul des
Pferdes unmittelbar unter dem Gebiss herum¬
führt, indem man dafür sorgt, dass sich der
Ring unter der Ganasche befindet. Die
Schleife wird an dem bezeichneten Platze
durch einen zweiten dünnen Riemen gehalten,
welcher neben dem Zaumzeug über den Kopf
läuft. In der Schnalle, in welche die Schleife
endet, befindet sich ein Paar Zügel, welche
428
DURCHSCHWITZEN.
der Fahrer in der Hand hat. Sobald das Pferd
nun nicht mehr, der Führung durch das Ge¬
biss folgen will, wird, indem man die Hilfs¬
zügel anzieht, die Schleife genügend zusam¬
mengezogen, um die Wildheit des Pferdes zu
bändigen; durch das Schnaufen und die Be¬
wegungen des Maules wird später die Schleife
wieder geöflhet, und .das Pferd erlangt seine
freie Bewegung wieder! — Sattler Hablützel in
Zürich hat. nach dem Schweizer Archiv für
Thierheilkunde 1883 eine Art Sicherheits¬
bremse gegen das Durchgehen der Pferde
erfunden, welche zur Grundlage einen Nasen¬
riemen hat, der an allen Zäumen, wo ein
Nasenriemen vorkommt, eingeschaltet werden
kann und der die Stelle des letzteren ver¬
tritt. An diesem Nasenriemen sind zwei
löffelförmige steife Leder angebracht, welche
seitlich dem Nasenrücken zu liegen kommen.
Der breitere Theil ist nach abwärts gerichtet
und trägt auf seiner unteren Seite je einen
halbeigrossen Polster, welcher unmittelbar
oberhalb des Naseneinganges auf das falsche
Nasenloch (zwischen Nasen- und Kleinkiefer¬
bein) zu liegen kommt. Diese beiden Polster
werden durch einen quer über die Nase
gehenden Riemen, welcher auf den löffel-
förmigen Lederstreifen durch Schnaufen in
seiner Lage erhalten ist, im Nothfall gegen
die Nasenhöhlen angedrückt, wobei ganz be¬
sonders der innere Nasenflügel mit nach ab¬
wärts gezerrt wird. Dieser Riemen endigt
nämlich etwa in der Höhe der Lippen in
zwei Ringen oder Krampen. Durch diese
Ringe lauft ein weiterer runder Riemen
unter dem Hinterkiefer durch, und seine
Enden eiuigen sich, um in einen Zügel
auszulaufen. Der Zügel passirt erst einen
Ring in der Martingal oder — beim einge¬
spannten Pferd — den Schlussring des Kum¬
mets, um in der Mittellinie zu bleiben, und
erst von da aus gelangt er in die Hand des
Lenkers. Wird nun dieser Zügel angezogen,
so werden nicht nur die Klappen über den
Nüstern angedrückt, sondern es erfolgt auch
ein Gegendruck vom Kinnwinkel her durch
den zweiten Riemen: die Wirkung lässt sich
a priori ersehen. Den Pferden wird der Nasen¬
eingang theilweise verstopft, die Athmung
wird verhindert, sie werden gezwungen, zu
pariren. Einige wenige Versuche bestätigten
das Gesagte; die Pferde standen sofort beim
Anziehen oder setzten sich wohl auch auf die
Hinterbacken. Ableitner.
Durchschwitzen, Transsudatio s. dia-
pedesis (von trans, hinüber, hindurch; sudare,
schwitzen; SiaTojSäv, durchspringen, durch-
sickern), beruht auf dem Austritte abnormer
Mengen flüssiger Blutbestandtheile aus den
unverletzten Blut- und Lymphgefässen unter
erhöhtem Blutdrucke. Je mehr Blutserum die
durchgeschwitzte Flüssigkeit, das sog. Trans¬
sudat, enthält, desto heller, dünner und wäs¬
seriger ist es; je mehr feste Blutbestandtheile,
namentlich Blutkörperchen und Fibrin, in das
Transsudat übertreten, desto dichter, trüber,
molkiger und gefärbter wird es. Acute Trans¬
sudate sind immer trüb und mit Fibrinflocken
vermischt, auch meistens röthlich, weil rothe
Blutkörperchen durch die erschlafften Gefass--
häute mit hindurchtreten.
Eine reichlichere Beimischung von farb¬
losen Blutkörperchen und Lymphzellen macht
das Transsudat molkig und eiterärtig, zu seiner
Trübung tragen auch abgestossene Epithelien,
homogene Körnchenkugeln, Fettropfen, die
.Kerne zerfallener Epithel- und Blutzellen und
Pigmente (Cholesterinkrystalle) in Form von
Streifen oder körnigen Humpen bei. Mit der
Zeit wird der Farbstoff der zerfallenen Blut¬
körperchen aufgesaugt und damit das Trans¬
sudat farbloser, ebenso gelangen die fettig
zerfallenen zelligen Elemente und Fibrinflocken
zur Resorption, wodurch ein Klarwerden des
Transsudates zu Stande kommt; es kann nach
einer Dauer von 25—30 Tagen ganz hell
sein. Jedoch entscheidet die Farbe nicht über
das Alter des Transsudates, denn erneute,
periodisch eintretende entzündliche Nachschübe
färben es blutigroth, bei längerer Andauer
laugt die Flüssigkeit das umspülte bluthaltige
Gewebe aus und erhält durch Beimischung
des gelösten Hämatoidins eine röthliche oder
gelbliche Farbe. Ist fibrinogene Substanz in
ihm enthalten, so gerinnt es an der Luft zu
einer lockeren, gallertartigen Substanz, tritt
Blut in Substanz in dasselbe über, wie dies
bei Zerreissungen der überfüllten. Capillaren
der Fall ist, so nimmt es eine blutige Be¬
schaffenheit an und wird, im Gegensätze zu
dem hellen, dünnen, serösen Transsudat,
hämorrhagisches genannt, während man das
trübe, molkige wohl auch als purulentes Trans¬
sudat unterscheidet. Ansammlung der trans-
sudirten Flüssigkeit in das subcutane Binde¬
gewebe begrenzter Körperstellen sind unsjds
Oedeme, eine solche im Bindegewebe der
Haut und zwischen den Muskelfasern des
ganzen Körpers als Bindegewebswasser¬
sucht oder Anasarka, eine solche in ge¬
schlossenen Körperhöhlen als Wassersucht
oderHydropsie bekannt. Bei allen katarrha¬
lischen Leiden treffen wir zu Anfang' ein
seröses Transsudat an, das erst später den
schleimigen Charakter annimmt^ wenn es sich
mit dem in abnormer Menge abgesonderten
Product der Schleimdrüsen vermischt.
Ein dünnes, wässeriges Blut, Ernährungs¬
störungen, kachektische Leiden, Inanition,
Blut- und Säfteverluste, typhöse, mit Blutzer¬
setzung einhergehende Zustände, Hindernisse
in der Blut- und Säftecirculation, Blutstauungen
im venösen System und in der rechten Herz¬
kammer, geschwächte Herzthätigkeit, Herz- und
Herzklappenfehler (Dilatation, Atrophie, Ste¬
nosen etc.) begünstigen das Zustandekommen
der Transsudation. In den meisten Fällen ist
sie eine Theilerscheinung acuter oder chro¬
nischer Entzündungsvorgänge an Schleim¬
oder serösen Häuten.
Die Folgen, welche das gesetzte Trans¬
sudat nach sich zieht, sind bald mehr, bald
weniger erheblich, es hängt dies theils von
der Wichtigkeit des betroffenen Organes,
theils von' der Menge des Transsudates und
der Andauer der Transsudation ab. Seröses
DURCHTRETEN. — DUTTENHOFER.
429
Transsudat in * den Stimmbändern des Kehl¬
kopfes (<^as Glottisödera), in den Nervencentren
(Himapoplexie) und in den Lungen (Lungen¬
ödem) fuhrt meistens schnell den Tod herbei.
Ausserdem wirkt das Transsudat durch Druck,
Verdrängung aus der natürlichen Lage, Er¬
weichung und Durchfeuchtung der Gewebe
mit nachfolgender paralytischer Schwäche
nachtheilig auf die umspülten Organe ein,
während es gleichzeitig dem Körper Ernährungs-
material (Salze und Eiweisstoffe) entzieht.
Die Behandlung der Transsudate ist bei
den einzelnen Krankheiten angegeben. (S. auch
unter Ausschwitzung.) Anacker.
Dumhtreten ist die Bezeichnung für die
nach rück- und abwärts gerichtete' Neigung
des Fesselbeines während der Streckaction
für den Augenblick der Bewegung oder auch
im Stande der Ruhe, in welchem die Maximal¬
belastung der vom Ellbogengelenke bis zum
Fesselgelenke oder an dem Hinterfusse vom
Sprunggelenkshöcker an der hinteren Seite
bis zum Fesselgelenke senkrecht gestellten
Extremität stattfindet. Das Durchtreten im
Fessel kann schwächer oder stärker erfolgen,
und hat auf den Grad des Durchtretens neben
der Grösse der Belastung und der Schnellig¬
keit der Bewegung insbesondere die Länge
des Fesselbeines und die Festigkeit des Ge¬
lenkes an sich, sowie weiters auch der Gleich¬
beinbänder und Sehnenapparat (Strecker und
Beuger) einen sehr bedeutenden Einfluss. Das
Durchtreten kann bei ruhigem Stehen und
bei den verschiedenen Bewegungsarten in an¬
gemessener Weise, d. h. weder zu stark noch
zu wenig erfolgen, und bezeichnet man das
Durchtreten,bezw. die Fesselstellung insbeson¬
dere dann als normal, wenn während des ruhigen
Stehens des Pferdes die Richtung der Fessel¬
neigung der Verlaufsrichtung der Zehenwand¬
mitte des betreffenden gutgeformten Hufes
entspricht. Ist jedoch die Neigung des Fessel¬
beins gegen den Boden zu stark, so treten
die Thiere zu weich, sie sind bärenfüssig,
bärentatzig (s. d.), oder aber das Durchtreten
erfolgt im Fessel zu wenig, dann sind die
Thiere im Fessel zu steil gestellt oder gar
stelzfüssig (s. d.). Das Durchtreten im Fessel,
bezw. die Fesselstellung hat im Vereine mit
der Stellung des Kronenbeines den massge-
bendsten Einfluss auf die Formen der Hufe. Lr.
Durham-Bretagner Rind. Es sind nun¬
mehr 30 Jahre, dass Rieffel die Kreuzung der
bretonischen Kuh mit dem Durhamstier ins
Werk gesetzt hat, und heutigentags wird sein
Beispiel an vielen Orten der betreffenden Ge¬
genden befolgt. Die Durhara-Bretoner Misch¬
linge haben ihre schätzbaren, milchergiebigen
Eigenschaften bewahrt und liefern ein wohl¬
schmeckendes Fleisch in reichlichem Masse.
Man hat auch die'Kreuzung der bretonischen
Rasse mit jener von Ayr allein oder in Ver¬
bindung mit Durliams versucht, jedoch bald
hievon Abstand genommen und sich auf die
Durhamkreuzung beschränkt. Neumann.
Durham-Pferd. In der etwa 47% Quadrat¬
meilen grossen englischen Grafschaft Durhain
des alten Königreiches Northumberland, beson¬
ders an den Abhängen des Cheviotgeb*irges,
wurde in früherer Zeit die Pferdezüchtung xiem-
lich umfangreich und an manchen Orten auch
recht sorgfältig betrieben. Der dortige mittel-
grosse Pferdeschlag erfreute sich eines guten
Namens und stand im Werthe den Pferden von
Yorkshire nur wenig nach; er lieferte besonders
gute, sichere Traber, die sowohl vor dem
Kutschwagen wie unter dem schweren Reiter
tüchtige Dienste leisten konnten. Das dunkel¬
braune Haar war bei dem Durham-Pferde
vorherrschend,, und andere Färbungen waren
wenig beliebt. Ihre Höhe schwankte zwischen
1*60 und l-75m„ und nur in den ärmeren
Dorfschaften des Nordens, an den Abhängen
des Cheviotgebirges waren die Pferde- kleiner,
kaum l*50m hoch; diese letzteren wurden
als Ponies bezeichnet. Bei diesem kleineren
Schlage kam es weniger auf Styl und Eleganz
in Form, Haltung und Bewegung, als auf
Ausdauer im Dienste und Genügsamkeit im
Stalle an; derselbe eignete sich als Reitpferd
für den weniger bemittelten Farmer ganz gut.
In der neueren Zeit hat das Durham-Pferd von
seinem alten guten Rufe etwas verloren. Durch
mehrfache, zum Theil sehr unzweckmässige
Kreuzungen mit Vollblut sind viele hochbeinige
Geschöpfe zum Vorschein gekommen, die als
Hack oder Hackney durchaus nicht beliebt
sind. Freytag.
Durham-Rind, s. Sborthorn-Rind.
Durra, s. Hirse.
Durst, ein Gemeingefühl, das sich meist
durch die Empfindung von Trockenheit und
Brennen im Rachen und Schlunde ausspricht
und durch localen oder allgemeinen Wasser¬
mangel erzeugt wird. Ersterer tritt besonders
bei Eintrocknung der Gaumen- und Rachen¬
schleimhaut in Folge von Einwirkung trockener
Luft, letzterer bei reichlicher Wasserab¬
fuhr ohne entsprechenden Ersatz (expessive
Schweissen, Harnausscheidung, Durchfällen)
auf. Es resultirt daraus eine Eindickung der
Säfte und Störungen in der Circulation des
Blutes. Locale Anfeuchtung, Getränkaufnahme,
und weil im Wassermangel des Blutes der
Durst seine erste Ursache hat, so beseitigt
ihn auch eine intravenöse Wasserinjection. Die
Empfindungsnerven von Rachen und Gaumen
(Trigeminus, Glossopharyngeus und Vagus)
sollen das Durstgefühl vermitteln. Sussdorf.
Dut8 gab zu Lüttich und Mastricht heraus
zwei Schriften über Pferdekrankheiten und
über Vorsichtsmassregeln und Betrügereien
im Pferdehandel 1773. Semmer.
Duttenhofer Dr. F. M. studirte auch
Thierheilkunde in Berlin und war von 1835
bis 1839 Professor an der Thierarzneisohule
in Stuttgart. Duttenhofer schrieb 1846 in
seiner ökonomischen Naturproductkunde über
Erziehung und Pflege der Hausthiere, 1847
eine Anleitung zur Erkenntniss und Heilung
der Krankheiten der Hausthiere. Mit Bau¬
meister gemeinschaftlich gab er heraus: Ge¬
meinfassliches Handbuch der gesammten
Thierheilkunde mit 278 Holzschnitten, Stutt¬
gart 1844. Semmer.
430 DUVERNEY’SCHE DRÜSEN. — DYSENTERIA.
Duverney’sohe Drusen, s. BartholinPsche
Drüsen.
Duwock oder Scheuerkraut (Equisetum
palustre, auch Sumpfschachtelhalm genannt).
Ein in schlechten (sauren) Wiesenheusorten
und auf nassen Weiden oft in ziemlich beträcht¬
licher Menge vorkommendes Unkraut, das
namentlich dem Rindvieh sehr schädlich ist.
Es verursacht Lähmungen, Zehrfieber, Blut¬
harnen, Abnahme der Milchproduction. Pferde
verfallen nach anhaltendem Genuss grösserer
Mengen sogar dem Tode. Als wahrscheinliche
Ursachen der schädlichen Wirkungen sind der
hohe Kieselerdegehalt sowie das meist starke
Befallensein dieser Pflanzen mit schädlichen
Pilzen anzusehen. Der Ackerschachtel¬
halm (E. arvense) gilt als unschädlich. Pott.
Duxer Vieh. Ein zur kurzköpfigen Alpen¬
rasse gehöriger Viehschlag, der im Tiroler
Duxer (oder Tuxer) Thale sowie in den öst¬
lichen Seitenthälern des Unterinnthales ein¬
heimisch ist. Der mit mittellangen, rundlichen
und seitlich gestellten Hörnern besetzte Kopf
des Duxer Rindes ist sehr kurz und breit,
der Hals kurz und dick, und der stämmige
Rumpf wird von kurzen, verhältnissmässig
feinknochigen Füssen getragen. Der gedrun¬
gen gebaute und muskelkräftige Körper, an
dem besonders das Hintertheil sehr schön
entwickelt und die Hosenmuskeln stark vor¬
gewölbt sind, lässt ein kräftiges Zug- und
gutes Fleischthier erkennen. In der That
gehört das Duxer Vieh zu den besten Mast¬
rassen Oesterreichs, dagegen ist die Milch¬
ergiebigkeit der Kühe nur eine mittelmässige
(kaum 15001 jährlich). DieHaarfarbe des Duxer
Viehes ist schwarzbraun mit hellbraunen
Rückenstreifen und gleichfarbigem Stirnschopf;
die Schwanzwurzel ist meistens weiss, übrigens
sind weisse Abzeichen selten. Die Hörner
sind gelblich am Grunde, schwarz an den
Spitzen, das Flotzmaul, die Zungenoberfläche,
die Wurfschleimhaut und die Klauen sind
schiefergrau gefärbt. Das Duxer Vieh ist die
Stammform zahlreicher Schläge gewesen, zu
denen die Zillerthaler, die Pusterthaler, die
Pinzgauer, die Egerländer und Kuhländer
gehören, doch ist die Zucht der Duxer in
Tirol gegenwärtig im Rückgänge. Die schön¬
sten und grössten Formen von Duxer Vieh
werden im Wattensthale gezüchtet. Wilckens.
Dys, Boa—, eine unabtrennbare Vorsilbe,
die nach Art des un- oder miss- das Schlimme,
Schlechte, Ueble, Krankhafte etc. einer Sache
bezeichnet, opp. s’j—, so auch in zahlreichen
medicinisch gebrauchten Termini, z. B.:
Dysaimia, Blutverderbniss;
Dysarthrosis, fehlerhafte Gelenk¬
bildung;
Dyschezia, Beschwerde in der De-
facation;
Dyscholia, fehlerhafte Gallenbereitung;
Dyschylia, krankhafte Speisebreibe¬
reitung;
Dyskrasia, die krankhafte Mischung
der Säfte;
Dysmorphe, 1. Missgestalt, Deformität;
2. das ungleichartige Gebilde, Heteroplasma:
3. angeborene Fehler in der Körperbildung
(Hemmungsbildung);
Dyspepsia, Verdauungsschwäche, Ver¬
dauungsstörung;
Dysphagia, Schlingbeschwerde:
D y s t h e r a p eu s i s x die erschwerte Heilung
einer Krankheit;
Dyßtresia, Mangelhaftigkeit, Unvoll¬
kommenheit der Afteröffhung;
Dystrophia, mangelhafte Ernährung;
Dysuria, erschwerter Harnabgang,Harn¬
zwang. Sussdorf.
Dysenteria, die Ruhr (von .Bus, übel,
svtepov,Darm). Während es sichin der Diarrhöe
nur um ein entzündliches, oberflächliches Lei¬
den der Darmschleimhaut handelt, sind in der
Dysenterie die Darmhäute in höherem Grade
afficirt und degenerirt, so dass also der Darm
im wahren Sinne des Wortes eine üble Be¬
schaffenheit angenommen hat und das Darm¬
leiden eine viel erheblichere und tiefer grei¬
fende Rückwirkung auf den Gesammtorganis-
mus äussert als bei der einfachen Diarrhöe.
Die vermehrte Peristaltik macht eine völlige'
Ausnützung der Nährstoffe unmöglich, ein
grosser Theil derselben geht der Ernährung
verloren und geht unverdaut mit den nicht
resorbirten Salzen in den Fäces ab. Diesen
Vorgang hat man noch speciell „Lienteria“
(von /.aivos, glatt) genannt und diese Be¬
zeichnung für die Ruhr neugeborner Thiere
(Lienteria s.Dysenteria neonatorum)gebraucht.-
Man unterscheidet auch eine weisse und rothe
Dysenterie oder Ruhr, je nachdem die Fäces
eine weisse oder rothe Farbe zeigen. Die
weisse Farbe schreibt man einem Gallen¬
mangel zu, der dadurch zu Stande kommt,
dass die Galle in den katarrhalisch ge¬
schwellten Gallengängen zurückgehalten wird,
während die rothe Farbe durch Blutungen in
das Darmrohr verursacht wird. Die Darm¬
schleimhaut findet man hier besonders im
Dickdarm (Colon) stark verdickt, serös-eiterig
infiltrirt, runzelig aufgewulstet, hyperämisch,
blutig gefleckt (Hämorrhagien), geschwürartig
zerstört und verschorft, leicht zerstörbar,
zerfallen und erweicht, das submucöse Binde¬
gewebe blutig und sulzig infiltrirt, die Solitar-
follikel bläschenartig geschwollen und exul-
cerirt, von einem Injectionshofe umgeben,
die Muskulatur verdickt, missfarbig, die Serosa
injicirt, wohl auch mit dünnen Exsudat¬
schichten beschlagen, den Darminhalt blutig,
chocoladefarbig oder schwärzlich, jauchig,
stinkend und mit Epithelien und Schleim¬
hautfetzenvermischt. Wo es zur Heilung kommt,
vernarben die dunkelrothen, zottigen Schleim-
hautdefecte langsam unter Zurücklassung von
Stricturen und Ablagerung von Pigment in
das Schleimhautgewebe. Andernfalls kommt
es zum eiterigen und brandigen Zerfall der
Schleimhaut und zu einer Peritonitis .mit
tödtlichem Ausgange. Die Gekrösdrüsen sind
hiebei regelrecht vergrössert, sehr blutreich
und von Hämorrhagien durchsetzt. Ausser bei
neugebornen und jungen Thieren trifft man
die Dysenterie noch bei den 4n der Gefangen¬
schaft lebenden Raubthieren und bei Hühnern
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DYSKRASJA. -
als Hühnerpest an. Nicht selten erweisen sich
die Dejectionen infectiös, die Dysenterie kann
alsdann eine seuchenartige Ausbreitung er¬
langen. Franck glaubt, das Contagium an
Bacterien, Mikrococcen und an Sarcina ven-
triculi (Colonienhefe) gebunden (cfr. Mittheil,
der Münchener Thierarzneischule 1865 und
Zeitschr. für Thiermedicin, 3. Band), auch
Zürn (die Schmarotzer) entdeckte Sarcine
in den ruhrartigen Dejectionen der Ferkel*
Die Hauptursache scheint hier in einem
Stallmiasma zu liegen (Roloff). (Siehe auch
unter Darmkatarrh, Darmentzündung und
Ruhr.) Anacker.
Dyskrasia, die fehlerhafte Blutmischung
(von o'js, schlecht, xpdats, Mischung), spielte
in früheren Zeiten die Hauptrolle bei der
Entstehung der Krankheiten, namentlich waren
es die Humoralpathologen, welche jede Krank¬
heit auf eine abnorme Mischung der Säfte
und des Blutes mit Prävalanz des alkalischen
Princips zurückführten; sie suchten den pri¬
mären Sitz der Krankheit in der Lymphe
und im Blute, häufig unterstellten sie fremde
Stoffe und gewisse Schärfen, acrimoniae, im
Blute, die in den Organen abgelagert wer¬
den und dort eine abnorme Reizung hervor-
rufen sollten. Man theilte die Schärfen ein in
alkalische, saure und salzige; für bösartige
Neubildungen unterstellte man specifische
Dyskrasien, z. B. eine krebsige, tuberculöse,
rotzige, warzige etc. Neuerdings bekämpfte
Yirchow die Ansicht der Humoralpathologen,
er wies nach, dass das Blut erst secundär
Abänderungen in seiner Zusammensetzung er¬
leidet, nachdem ihm von local erkrankten
Stellen des Körpers aus heterogene Stoffe
zugeführt worden sind. Aber auch bei den
malignen Neubildungen geht der Anstoss nicht
primär vom Blute aus, sondern die Nachbar¬
schaft wird durch specifische Gewebselemente
oder Pilzkeime inficirt, welche auf dem Wege
der Saftströmung daselbst deponirt werden.
Thatsächlich ändert sich die Blutcomposition
im Verlaufe aller Krankheiten, ganz beson¬
ders aber wenn sie die Organe heimsuchen,
welche zur Blutbildung in naher Beziehung
stehen, wie dies bei den Se- und Excretions-
organen und den Lymphdrüsen dei Fall ist;
es bleiben hier Stoffe im Blute zurück oder
werden von ihm aufgenoramen, die deletär
auf die Blutbestandtheile zurückwirken und
eine Dyskrasie bedingen. Wir erinnern in
dieser Hinsicht an die Ueberladung des Blutes
mit Kohlensäure im Verlauf von Lungenleiden
oder anderen Krankheiten, welche zur Dyspnoe
führen, an Cholaemia oder Uebertritt der
Gallenpigmente und Gallensäuren ins Blut
bei Leberleiden, an Diabetes mellitus und
Glycosurie, wo das Blut ungewöhnlich reich
an Zucker ist, an Uraemia bei Nieren- und
Blasenleiden in Folge Anhäufung des Harn¬
stoffes im Blute, an Hydrämie, bei der der
Serumgehalt des Blutes ein ungewöhnlich
grosser, an Ichorhämie nach dem Uebertritte
von Jauche ins Blut, an Septikämie nach
Aufnahme des Micrococcus septicus ins Blut.
Deutlich ist die Dyskrasie in allen Infections-
DYSPEPSIA. 431
krankheiten ausgeprägt; liier tritt unter der
Form von Spaltpilzen (Baqterien, Bacillen)
ein Contagium vivum in die Blutmasse ein,
welches sich in ihm massenhaft vermehrt, die
Capillaren verstopft und durch seine Aus¬
scheidungsstoffe zerstörend und lähmend auf
die Blutkörperchen einwirkt, so dass das Blut
zur Zersetzung neigt und die rothen Blut¬
körper die Fähigkeit verlieren, Sauerstoff auf¬
zunehmen; sie erscheinen ebenso wie die
weissen Blutkörper granulirt und enthalten
Kugelbacterien, sind unregelmässig ausge¬
zackt und zerfallen, das Blut wird schwarz,
zähflüssig, theerartig, verliert seine Gerin¬
nungsfähigkeit und tritt gern in die Gewebe
aus. Letztere selbst degeneriren, es stellen
sich Affectionen des Nervensystems. Fieber,
Diarrhöe, Milz-, Nieren- und Leberschwellung
ein. Sind die secundären Veränderungen in
den Organen und Geweben nicht sehr be¬
deutend, so erfolgt nach Ausscheidung der
Bacterien und Mikrococcen durch Haut, Lun¬
gen, Darm und Nieren Genesung, sonst der
Tod unter schnellem Verfall der Kräfte und
starker Abmagerung. (S. auch Blutfäule.) Anr.
Dy8ly8in, C 48 H 36 0 e , ist ein Derivat der
Cholalsäure, aus welcher sich bei der Fäul-
niss der Galle oder durch Erhitzen auf 200° C.
durch Abgabe von 1 Molekül H,0 zunächst
Choloidinsäure von der Formel: C* 8 H a8 0 8
bildet. Wird nun die Choloidinsäure mit Salz¬
säure gekocht oder auf 295°C. erhitzt, so gibt
sie ebenfalls 1 Molekül H,0 ab, und es entsteht
Dyslysin von der oben angegebenen Zusam¬
mensetzung. Das Dyslysin entsteht übrigens
auch direct durch längeres Kochen der Galle.
Es ist ein in Alkohol und Wasser unlösliches,
in Aether wenig lösliches, neutrales Harz. Mit
Zucker und concentrirter Schwefelsäure färbt
es sich purpurviolett und dann kirschroth
(s. Gallenreaction). Lotbisch.
Dyspepsia, Verdauungsschwäche (von
schlecht; Verdauung; TCercetv,
kochen). Eine regelrechte Verdauung hat die
Absonderung eines normalen Magensaftes zur
Grundlage, dessen wirksame Bestandteile
hauptsächlich durch das in ihm enthaltene
Pepsin und Chlorwasserstoffsäure repräsentirt
werden. Der Magen- oder Labsaft wird von
den Labdrüsen der Magenschleimhaut unter
dem Einflüsse der diese Drüsen erregenden
Magennerven abgesondert, die Nerven aber
selbst werden durch die genossene Nahrung
zur Thätigkeit angespornt. Dem Pepsin fällt
die wichtige Aufgabe zu, die Eiweisstoffe
der Nahrung in lösliche Verbindungen tiber¬
zuführen (Peptone) und sie auf diese Weise
zur Erhaltung des Körpers zu verwerten.
Wird nun der Labdrüsensaft in zu geringer
Menge und von schlechter Qualität abge¬
sondert, so haben wir es mit einer Dyspepsie
zu thun, die verdauende Kraft des Magen¬
saftes hat abgenommen, der Appetit verliert
sich mehr und mehr, die Thiere gehen in
ihrem Ernährungszustände zurück und werden
kraftlos. In der Regel geht die Unthätigkeit
der Labdrüsen mit einem chronischen Leiden
der Magen- und Darmschleimhaut Hand in
Digitized _
Google
432
DYSPEPTON. — DYSPHAGIA.
Hand, man bedient sich deshalb statt des Verhärtung oder sonstige Degeneration der'
Ausdruckes „Dyspepsie 44 in der Regel der Zunge, Entzündung und Vereiterung der Ton-
Ausdrücke „Magen- und Darmkatarrh 44 oder sillen oder der retropharyngealen Lymph-
„Gastricismus 44 , unter welcher Bezeichnung drüsen (vergl. Drüsenkrankheit der Rinder),
auch die Symptome undürsachen der Dyspepsie Entzündung der Rachenhöhle, des Schlund¬
näher erörtert und nachzulesen sind. In und Kehlkopfes (s. Bräune), ^Verengerung und
allen fieberhaften Krankheiten ist die Nerven- Erweiterung des Schlundes nach Druck von
thätigkeit geschwächt und verstimmt, es wird vergrösserten Lymphdrüsen oder Neoplasmen
in ihnen deshalb auch zu wenig Labsaft in deiy'Umgebung des Schlundes oder durch
abgesondert und der Appetit vermindert. Stricturen der Schleimhaut desselben, durch
Wir treffen die Dyspepsie ausserdem bei im Schlunde steckengcbliebene Fremdkörper,
Thieren an, welche durch“ Krankheiten oder in ihm vorhandene Neubildungen oder Para-
ÜbermässigeAnstrengungenheruntergekommen siten (Psorospermien, Spiroptera sanguino-
sind oder andauernd mit schwer verdaulichen lenta, Cysticercus cellulosae), Hypertrophie
oder gehaltlosen, faden,.heiss zubereiteten der Muscularis des Schlundes oder krampf-
und verfütterten, an wässerigen, schleimigen,' hafte Zusammenziehung derselben, die sog.
spirituösen und scharfen, reizenden Bestand- Dysphagia spasmodica darstellend, wel¬
theilen reichen Nahrungsmitteln ernährt eher die Dysphagia paralytica, dieLäh-
werden, denn sie erschlaffen die secretorische mung der Schlingmuskeln und des Schlundes,
Thätigkeit der Labdrüsen, so dass sie mit gegenübersteht; bei letzterer ist der Schlund
der Zeit atrophiren, womit die atonische erweitert, was auch der Fall ist; wenn der
Dyspepsie (von a, ohne, tovoc, Spannung) Schlund in der Zwerchfellsöffhung comprimirt
gegeben ist. Da auch im Alter die Thätigkeit wird. Die paralytische Dysphagie ist nach
der Magennerven sich abstumpft und die Ab- starken Erkältungen, Körpererschfitterungen,
Sonderung des Labsaftes abnimmt, so hat man Schlaganfällen und Erkrankung der Nerven-
die daraus resultirende Verdauungsschwäche centren beobachtet worden. Auch locale Aus-
„mar an tische Dyspepsie 44 (von p.apouvetv, buchtungen der Schleimhaut nach Zerreissung
welk werden, schwächen) genannt. Der im der Muscularis, sog. Schlunddivertikel, geben
Magenkatarrh in grossen Mengen abgesonderte zur Dysphagie Veranlassung. Die Schlund-
Schleim neutralisirt den Magensaft, er ver- erweiterung kann partiell oder äuch generell
daut alsdann nicht mehr. Der der Magen- vorhanden sein, meist sind bei ihr die Häute
wand anhaftende Schleim verhindert auch verdünnt, seltener verdickt,
die Berührung zwischen Wand und Magen- Symptome. Bei der aus entzündlichen
inhalt, die sonst die secretorische Thätigkeit Zuständen der Zunge und der Rachenhöhle
der Lab- und Darmdrüsen anregt; es wird hervorgegangenen Dysphagie sind beim Drucke
mithin zu wenig Pepsin abgesondert. Anr. auf die entzündeten Partien Fieber, Athem-
Dyipepton. Eine Substanz, welche aus beschwerden und Schmerz zu constatiren und
dem Verdauungsproduct isolirt wurde, das ihre Erscheinungen sind diejenigen einer
durch die Einwirkung von Magensaft oder Zungenentzündung oder der Bräune; während
von Pepsin in salzsaurer Lösung auf die Ei- jedoch bei der Bräune Kopf und Hals ffe-
weisskörper entsteht. Während man gegen- streckt gehalten werden, sehen wir bei der
wärtig das Endproduct der Umwandlung der Erweiterung des Schlundes oder bei der
Eiweisstoffe im Allgemeinen als Pepton Dysphagia paralytica den Kopf an den Hals
bezeichnet, unterschied man früher verschie- herangedrtickt, die Zunge hervorgestreckt,
dene Verdauungsgrade des Pepton, die sich die Hinterfüsse öfter unter den Leib gestellt,
von einander durch chemische Reactionen das Abschlucken geschieht äusserst erschwert
trennen lassen sollten, nämlich das a-, b- und und unter ungewöhnlichen Anstrengungen und
c-Pepton, oder, wie sie auch genannt wurden, Kaubewegungen, ohne dass die Körper-
Para-, Meta- und Dvspepton. Letzteres sollte temperatur gesteigert oder der Appetit alterirt
mit Salpetersäure keinen, jedoch mit Ferro- wäre. Futter und Getränk werden gern auf
cyankalium in saurer Lösung einen volumi- genommen, aber letzteres fliesst wieder zum
nösen Niederschlag geben (s. Pepton). Loeöisch. Maule hervor, ersteres bleibt in der Rachen-
Dysphagia, Schlingbeschwerden (von höhle liegen und verursacht suffocative Zu-
übel; <p a T 6 ‘ v , essen), beruhen auf Ab- fälle, wenn der Schlundkopf pavalysirt ist,
normitäten der beim Abschlucken des Bissens oder das Genossene läuft unter Klucken und
thätigen Organe und Muskeln; zu ihnen Kollern den Schlund hinab, wenn allein die
gehören die Zunge mit ihren Muskeln, der Muskulatur des Oesophagus gelähmt ist, der
Kehldeckel, die Rachenhöhle, das Gaumen- alsdann als ein schlaffer, wulstiger Körper
segel, der Schlundkopf und der Schlund. Der zu fühlen ist. Die Erscheinungen der Dysphagia
Schlingact steht unter dem Einflüsse des paralytica treten meistens plötzlich ein, ebenso
Nervensystems, sein Centrum befindet sich die der Dysphagia spasmodica; hier ist das
in der Medulla oblongata, von dem aus die Schlingen ganz unmöglich oder doch sehr
ihm von dem Glossopharyngeus und den erschwert, das Genossene wird sofort wieder,
Rachenästen des Vagus überbrachte Erregung mit Schleim und Speichel vermischt., aus-
reflectorisch auf die motorischen Fasern der geworfen, der Schlund fühlt sich contrahirt
Nerven der Schlingmuskeln übertragen wird. und strangartig an, die Thiere benehmen sich
Als Abnormitäten, welche das Schlingen er- unruhig und verrathen Schmerz, der Puls
schweren, sind zu nennen: Entzündung und fühlt sich klein; die Krampfanfälle repetiren
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DYSPLASTICA. — DYSURIA, ‘ * 433
in mehr oder,weniger grossen Zeitintervallen.
Bei Schlundverengerungen häuft sich das
Futter vor derverengten Stelle an, es kann bei
geringen Stenosen allmälig den Schlund pas-
siren, mit der Zeit dehnt es aber die Häute
des Schlundes mehr und mehr aus und -bleibt
in der sackförmigen Erweiterung längere Zeit
liegen, um alsdann durch Maul und Nase
wieder ausgeworfen zu werden. Die ausge¬
worfenen Massen sind nur durch Schleif und
Speichel erweicht, sie riechen nicht sauer,
wohl aber öfter faulig. Druck auf die dilatirte
Schlundportion mit der Hand ruft Aufstossen
und Auswerfen der zurückgehaitenen Contenta
hervor, zuweilen auch schaumigen Ausfluss
aus Maul und Nase, häufig aber Husten; die
Contenta können sogar in den Kehlkopf, in
die Luftröhre und in die Bronchien gelangen,
sie veranlassen dann eine Fremdkörperpneu¬
monie, sie können aber auch die Schlund¬
häute erweichen und so ausdehnen, dass sie
zerrissen. Die Folge davon sind Schlund¬
fisteln und Jaucheversenkungen am Halse
oder eine hochgradige Pleuritis. Die Stric-
turen des Schlundes sind vermittelst der
Schlundsonde zu eruiren. In der Regel erfolgt
der Tod in verhältnissraässig kurzer Zeit bei
Abmagerung und Kräfteverfall, öfter schon
in drei bis .acht Tagen, er kann unverhofft
und schnell durch Erstickung eintreten. Nur
die Dysphagia spasmodica lässt mit Zuversicht
die Reconvalescenz erhoffen.
Die Therapie bietet wenig Aussicht
auf Erfolg. Das Schlingen erleichtere man
durch Verabreichen einer mehr flüssigen
Nahrung, durch Kneten und Drücken auf die
dilatirten Stellen der Halsportion des Schlun¬
des und durch schleimig-ölige und narkotische
Eingüsse. Den Tonus der Schlundmuskulatur
suche’ man durch kalte Umschläge, flüchtige
Einreibungen und innerliche Anwendung von
Arnica, Kampher r Strychnin, Seöalc cornutum,
Tannin, Katechu etc. zu heben. Gegen den
Schlundkrampf gehe man mit flüchtigen Ein¬
reibungen längs des Schlundes (Kampher-
spiritus, Chloroform), innerlich mit krampf¬
stillenden Mitteln und subcutanen Injectionen
von Morphium und Atropin vor. Anacker.
Dysplaötica. Wie es Arzneimittel gibt,
welche bestehende Schwächezustände zu be¬
seitigen, die gesunkene Ernährung zu heben
im Stande sind, wie z. B. die Nahrungsmittel
bei längerem Gebrauche oder Eisen, Leber-
thran u. s. w. (Plastica, Euplastica), gibt es
auch solche, welche die Ernährung und damit
auch die Köfperkraft herabsetzen, die Bil¬
dungsfälligkeit der Säfte vermindern — Dys-
plastica. Diese letzteren fallen, wenn sie
therapeutische Anwendung finden, mit den
entzündungswidrigen Mitteln in der Haupt¬
sache zusammen und sind schon unter An-
tiphlogistica besprochen worden. (S. auch An-
tidyskratica.) Vogel.
Dyspnoe, D y s p n o i a (ij 8 do:tvo:a), Sch wer-
athmigkeit, Athraungsbeschwerde, ein Zustand,
bei welchem in Folge von Hindernissen in
dem Gasaustausch zwischen Blut und atmo¬
sphärischer Luft durch abgeäiulerte, einen
Koch. Encyklopälie il. Tliiorhoilkd. II. Bd.
häufigeren Luftwechsel in der Lunge be¬
zweckende Athembewegungen eine Ausglei¬
chung des Gasgehaltes angestrebt wird. Sie
ist somit ein compensatorischer Vorgang,
welcher seine Ursache in einer Alteration des
Gasgehaltes des Blutes (Mangel an 0- oder
Ueberhäufung mit CO a oder in beidem zu¬
sammen) hat. Indirect wird dieselbe durch
mannigfache Umstände bedingt, insbesondere
durch Verengerungen der luftzuleitenden Wege,
Verlegung der den Gasaustausch vermittelnden
Oberfläche, OirculationssChwäche und Störungen,
Ungleichmässigkeit in dem O-Verbrauch und
der 0*^u-, resp. CQ*-Abfuhr. Die Alteration
des Gasgehaltes ist meist eine allgemeine,
künstlich kann durch Unterbrechung der Cir-
eulation (Unterbindung der blutzu- oder ab¬
führenden Bahnen etc.) auch eine ' locale
Dyspnoe erzeugt werden. Die letztere ist,
wenn sie im Hirn ihren Sitz hat, von grösstem
Einfluss auf den Athmungsvorgang, sie ist der
gewöhnliche Reiz * und Unterhalter sowohl
einer normalen Athmung, wie sie auch bei
übermässig gesteigerter Venosität des Blutes
die „dyspnoisehen u abnormen Anstrengungen
des Respirationsapparates veranlasst. Diese
Erscheinungen der Dyspnoe bestehen entweder
in einer Abflachung und Beschleunigung der
Athmung oder in einer Vertiefung derselben
unter gleichzeitiger Mitwirkung der sog.
accessorischen Athmungsmuskeln. JPührt dieser
regulatorische Act zum Ziel, d. h. zur Be¬
seitigung der Venosität des Blutes, dann kehrt
die Athmung zur Norm zurück; gelingt das
nicht, und bestehen der O-Mangel, reSp. die
CO a -Anhäufung im Blute in vermehrtem Grade
fort, dann erfolgt unter allgemeinen klonischen
und tetanischen Krämpfen (Erstickungskrämpfe
durch Reizung der in der Medulla gelegenen
Krampfcentren), unter central angeregtem Ge-
fässkrampf und Pupillenerweiterung ein Zu¬
stand allgemeiner, durch Ueberreizung der
Hirncentra veranlasster Paralyse, der zum Tode
durch Erstickung (Asphyxie, Suffocation) führt.
Auch die Ursache des ersten Athemzuges nach
dem Austritt der Frucht aus dem Muttetleibe
ist auf Dyspnoe zurückzuführen und durch
die Compression des Nabelstranges und somit
auch derNabelgefässe bei der Geburt, also durch
Störungen in dem Placentarkreislauf zu er¬
klären. Sussdorf.
Dysuria, Harnzwang (von 80 ?, schlecht,
oopov, Harn), wird jede erschwerte und mit
Schmerzen verbundene Entleerung des Harns
genannt. Die Ursachen des abnormen Harn-
absatzes liegen meistentheils in den Nieren
oder in der Blase, u. zw. in einer Ent¬
zündung des Nierenbeckens (s. „Nierenent¬
zündung“), in dem Vorhandensein von Nieren-
und Blasensteinen (s. „Blasensteine“), in einem
Krampfe des Blasenhalses (s. „Blasenkrampf“),
welcher die Dysuria spastica bedingt, in
einer lähmungsartigen Schwäche der Blase.
Dysuria paralytica (s. Blasenlähmung), in Neu¬
bildungen auf der Schleimhaut der Harnblase
— Markschwamm, Zottenkrebs, Polypen —oder
in Entzündung der Harnblase. In der Dysurie
erfolgt der Harnabsatz unter heftigem Drängen
*28
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434 DZIERZON. -
uod Pressen, öfter auch unter Stöhnen und
und sonstigen Scbmerzäusserungen, wie z. B.
unruhiges Hin- und Hertrippeln, Niederwerfen
und Schlagen mit den Füssen. Wird der Harn
nur in kleinen Mengen oder tropfenweise und
in kurzen Intervallen entleert, so bezeichnet
man den Zustand wohl auch als Stranguria
(von otpay?, hervorgepressten Tropfen). Als
weitere Ursachen der Strangurie sind noch
zu nennen: Peritonitis, Druck auf die Harn¬
röhre durch Geschwülste oder an gesammelte
Kothmassen, Verengerungen des Lumens der
Harnröhre durch Fremdkörper, Neubildungen
oder Stricturen, Vorhautentzündung (nament¬
lich bei Ochsen), Ansammlung von ver¬
härtetem Talg in der Eichelgrube des Pferdes
oder im Präputium anderer Thiere, Ver :
engerung des Präputium, bei Schweinen Vor¬
hautsteine im sog. Nabelbeutel. Anacker.
Dzierzon Johann, Bienenzüchter, geboren
am 11. Jänner 1811 zu Lobkowitz in Ober¬
schlesien, studierte in Breslau Theologie,
wurde 1834 Caplan in Schalkowitz und 183a
Pfarrer zu Karlsmarkt bei Brieg in Ober¬
schlesien. Schon in seiner Jugend beobachtete
und pflegte er die ihm lieb gewordenen Bienen,
errichtete grössere Bienenstände in und um
Karlsmarkt und förderte die Bienenzucht in
wissenschaftlicher und praktischer Beziehung.
Seine geistliche Behörde nahm aber an seinen
wissenschaftlichen Forschungen Anstand und
emeritirte ihn. Bereits vor einem halben Jahr¬
hundert erschienen seine ersten Artikel über
Bienenzucht in den Frauendorfer Blättern,
wurden aber nicht sehr beachtet, da sie nur
wenigen Imkern zu Gesichte kamen. Erst mit
dem Eintritte unter die Zahl der Mitarbeiter
der „Eichstädter Bienenzeitung“, des Organs
deutscher Bienenzüchter, 1840, beginnt der
Zeitpunkt seiner bedeutungsvollen Einwirkung
auf deutsche und ausserdeutsche Bienen¬
züchter. Gleich in dem ersten Aufsatz, mit
welchem er in der Bienenzeitung auftrat, gab
er die Grundlage seiner später vollkommen
entwickelten Theorie und Praxis: Es gibt drei
Bienengattungen im Stocke: Drohnen (Männ¬
chen), die Königin (vollkommenes Weibchen)
EBULLITIO.
und Arbeitsbienen (unentwickelte Weibchen).
Unter besonderen Verhältnissen können Arbeits¬
bienen zum Legen von Eiern ohne Befruchtung
befähigt werden, aus welchen sich aber nur
Drohnen entwickeln. Die Königin ist in der
Regel die einzige Eierlegerin in einem Stocke
und legt die Eier zu allen Bienenindividuen.
Dazu wird sie durch die Begattung mit der
Drohne tüchtig gemacht. Ohne Begattung
kann sie wohl Eier legen, es entstehen aus
denselben aber nur Drohnen. Damit war die
Lehre von der Parthenogenesis (der jungfräu¬
lichen Zeugung) aufgestellt, die von allen
Seiten, von Bienenzüchtern und Physiologen,
angefochten und verspottet wurde, bis sie
endlich durch kraftvolle Unterstützung von
Seiten v. BerlepsclTs, Kleine’s, v. Siebold’s
und Leuckarfs zur vollsten Anerkennung ge¬
langte. Ebenso gab Dzierzon in diesem seinem
ersten Artikel bereits die Andeutung zu seiner
neuen Bienenwohnung, dem Stocke mit be¬
weglichem Bau, der einen so wesentlichen
Umschwung in der praktischen Bienenzucht
veranlasste. Ausser in der Bienenzeitung und
auf den Wanderversammlungen deutscher
Bienenzüchter suchte er für seine Lehren auch
in einer Reihe von selbständigen Schriften zu
wirken, die sämmtlich für die Bienenwirth-
scliaft von höchster Bedeutung sind. Ein an¬
deres wesentliches Verdienst hat sich Dzierzon
durch die 1853 erfolgte Einführung der
italienischen Biene in Deutschland erworben.
Dieselbe trug wesentlich mit zur Entscheidung
der bitteren Kämpfe bei. Er schreibt: Ich
w r erde vorzugsweise die Reinerhaltung, Ver¬
mehrung und Verbreitung der schönen gelben,
fleissigen und sanften italienischen Biene,
dieser jedenfalls edelsten unter allen Bienen¬
rassen, mir zum Zweck setzen, um mir das
Zeugniss geben zu können, eine neue Theorie
begründet, eine neue Behandlungsart herbei¬
geführt, sowie auch eine neue Bienenart
heimisch gemacht zu haben.
Literarisch behandelte er: „Theorie und Praxis des
neuen Bienonfreundes“ (Berlin 1848; Nachtrag Nördlingen
1852), „Rationelle Bienenzucht“ (Brieg 1861), und seit
1854 gibt er die Zeitschrift „Der BienenfVeund aus
Schlesien“ heraus. Ableitner.
E.
E die Quartasorte der Wolle bei den
Wollsortirern. Sussdorf.
Eaux aux jambes (wörtlich: Wasser in
den Beinen), Mauke, Straubfuss. Sussdorf.
Eber, Benennung für ein männliches
Schwein, besonders Wildschwein (s. d.).
Eberhard H., Kreisthierarzt in Fulda, ver¬
öffentlichte zahlreiche Mittheilungen aus der
Praxis in Gurlt und Hertwig’s Magazin. Sr.
Eberhard J. G., Dr. med., schrieb 1790
über Geburtshilfe bei Kühen und bekam für
seine Schrift die goldene Medaille der Acker¬
baugesellschaft zu Amsterdam. Semmer.
Eberraute, das dem Wermut oder den Schaf¬
garben ganz ähnlich wirkende Kraut der in
Südeuropa und Kleinasien einheimischen, bei
uns vielfach cultivirten Artemisia Abrotanura
(Herba Abrothani [s. auch Artemisia]). VI.
Eberwurzel, Radix Carlinae, s.die Stamm¬
pflanze Carlina acaulis.
Ebriantia heissen auch diejenigen Arznei¬
mittel, welche einen rauschähnlichen Zustand
hervorrufen, wie die Alkohole und deren Ab¬
kömmlinge. Opium und Cannabis gehören
ebenfalls zu den berauschenden Mitteln (siehe
Narcotica). Vogel.
Ebullitio (v. ebullire, aufkochen), das Auf¬
wallen, Blasenwerfen in E. benigna (Haubner),
der Frühlingsausschlag der Rinder. Sussdorf.
Ebullition nennt man eine jener Formen
des Auszuges wirksamer Bestandtheile aus
Arzneimitteln, welche darin besteht, dass man
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EBUR. — ECLIPSE.
435
letztere weder rollig kochen lässt noch auch
blos mit siedendem Wasser infundirt, sondern
nur ganz kurz aufkochen lässt; die Ebullition
ist daher ein Zwischenglied zwischen Decoct und
Aufguss und wird nur für solche Proguen in
Anspruch genommen, welche durch längeres
Kocnen einen unangenehmen, kratzenden Ge¬
schmack annehmen würden, wie, z. B. die
Alth&awurzel nnd das Süssholz. Früher wurde
die Auszugsform dem Apotheker vorge¬
schrieben, wie z. B. Infunde c. aqua calida
q. 8. ebulliat paullisper, cola u. s. w., jetzt
sind derartige Formeln auf den Recepten
verschwunden, weil man die pharmaceutische
Zubereitung solcher Arzneistoffe besser dem
Apotheker überlässt, da derselbe überhaupt
näher darüber instrüirt ist, wie -lange be¬
stimmte Arzneimittel kochen dürfen, als die
Aerzte. Vogel.
Ebur (aus dem Sanskrit ibhas, Elephant),
Elfenbein, Elfenbeinsubstanz des Zahns (Den-
tine). Davon als adj. eburneus und
Eburnatio, die elfenbeinartige Verdich¬
tung des Knochens.
Ebur fossile,Mammutzähne,s.Unicornu
fossile.' * Sussdorf.
Ecart (v. ecarter, abwenden, entfernen),
Schulterlahmheit. Sussdorf.
ecaudatus (abgel. v. e, ex, aus, und cauda,
Schwanz), schwanzlos. Sussdorf.
Ecbolica heissen jene Arzneimittel, welche
eine anregende Wirkung auf die Centren für
die Uterusbewegung auszuüben befähigt sind.
Die Physiologie hat uns aber über diese Mittel
{zu denen vorerst blos das Secale cornutum
gehört [s.d.]) und deren Wirkungsmechanismus
nähere Auskunft bis jetzt noch nicht gegeben;
wir wissen nur, dass sie uns beim Nachlassen
der natürlichen Wehenthätigkeit bei Geburten
dadurch behilflich werden können, dass sie
die Contractionen der Muskelhaut des Trag¬
sackes steigern und so eine raschere Aus¬
treibung des Fötus und später der Eihäute
(Nachgeburt) bezwecken. Hiemit ist übrigens
ihr Nutzen noch nicht erschöpft, denn sonst
wäre dieser ein geringer, weil bei den grösseren
Hausthieren die praktischen Thierärzte sich
nicht auf die Wehen verlassen, sondern die
Geburt durch Anlegen von Stricken (mecha¬
nische Extraction) befördern — solche wehen¬
treibende Mittel (Amblotica, Parturefacientia)
finden daher fast nur Anwendung in der
Geburtshilfe bei Hunden und den kleineren
Hausthieren überhaupt —; vielmehr können die
ecbolischen Mittel auch sehr zweckmässig
zur Stillung von Uterinblutungen verwerthet
werden, wo sie theils zur Herbeiführung von
stärkeren Contractionen der Muskelfasern,
theils durch directe Verengerung der Lichtung
der blutenden Uteringefässe gute und sichere
Dienste leisten können (s. auch Amblotica). VI.
Eccoprotica, eine Abtheilung derjenigen
Abführmittel, bei deren Anwendung es haupt¬
sächlich auf Entleerung grosser Mengen von
Darmkoth abgesehen ist, zum Unterschied
von den drastischen Abführmitteln, welche
schon in sehr kleinen Dosen ebenfalls abführen,
jedoch den Darm stark reizen, erhitzen und
so flüssige Defäcationen veranlassen. Die
eccoprotischen Abführmittel gehen sehr milde
vor, wie z. B. das Ricinusöl, gebrannte Ma¬
gnesia, weinsaures (saures) Kalium, Manna,
Schwefel, Tamarinde etc.;sie heissen deswegen
auch Lenitiva. Sie verursachen keine Bauch¬
schmerzen, auch können sie 'bei katarrhali¬
schen Verdauungsleiden angewendet 'werden,
olme schädlich zu wirken (s. auch Cathartica). F?.
echecollus, iyexoXXo; (v. lysiv, enthalten,
und i] xo'XXa, Leim), leimhaltig, klebend,
haftend, daher auch echcöolla sc. remedia,
Klebmittel, Pflaster. Sussdorf.
Echegaray J., Lehrer an der Thierarznei¬
schule in Madrid, gab 1852 heraus: „Tratado
de agricultura aplicada ä la Veterinaria“. Sr.
Echinofcooous, s. u. Bandwürmer.
Echinos, 6 £yTvos, Igel; wegen der stache¬
ligen Beschaffenheit auch der 3. (?> Magen der
Wiederkäuer. In vielen Zusammensetzungen
gebräuchlich, so in Echinococcus, Echino-
rhynchus etc. Davon das adj. echinodes, igel¬
stachelig. Sussdorf.
Echolalie (abgel. v. yj f^ytu, Wiederhall,
und XaXsIv, schwatzen), Echosprache als ge¬
dankenloses Nachsprechen des Vorgesagten,
bei Geisteskranken, Hypnotisirten etc. Sf
Echo8kope, Echoskopia (abgel. v. tö
vjos, Ton, und j axorcq, Untersuchung), Unter¬
suchung eines Tones, Auscultation; das dazu
dienende Instrument ist das Echoskop =
Stethoskop. Sussdorf
Eohthy8terokye8i8 (abgel. v. Ixto's, aussen,
yj uoxepa, Gebärmutter, und rj xoyjoss), die
extrauterine Schwangerschaft. Sussdorf.
Eokel G. T., Dr. med., studirte Thierheil¬
kunde am Thierarznei-Institut zu Wien, wurde
1826 Seuchenlehrer an der Universität zu
Lemberg und 1834 Director des Thierarznei-
instituts in Wien,- schrieb über den Nutzen
und die Wichtigkeit der Thierarzneiwissen¬
schaft, ferner Artikel über die pathologische
Anatomie der Rinderpest, über die Hundswuth,
über Degeneration der Schutzpockenlymphe,
über Benützung des Pferdefleisches etc. Sr.
Eckert P. hatte Thierarzneikunde in Carls-
ruhe studirt, gab 1832 eine" Abhandlung über
die Heilung des acuten und chronischen
Kollers heraus. Scmmcr .
Eckstreben, s. Hornkapsel.
Eclampsia, s. Eklampsia.
Eclip86. Ein Fuchshengst der englischen
Vollblufrasse, welcher im Jahre 1764 zur
Zeit einer grossen Sonnenfinsterniss — aus
der Spiletta vom Marsk — geboren wurde und
ohne Frage das beste Rennpferd Englands
gewesen ist. Eclipse ist dem berühmten
Stamme des Darley Arabian entsprossen,
welcher sich durch grösste Schnelligkeit aus¬
zeichnete. Dieser Hengst übersprang in jeder
Secunde 58*/ f Fuss und wurde niemals ge¬
schlagen: er kommt im Stammbaume fast
aller englischen Vollblutpferde vor. und „glück¬
lich“ nannte man in England früher alle Be¬
sitzer von Pferden, die nur einen Tropfen
Blut vom Eclipse besassen. Er gilt mit Recht
für den besten, werthvollsten Repräsentanten
des Darley Arabian-Stamraes, und man sagte
28*
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436
ECRASEUR.
ihm nach, dass die Umgestaltung des orienta¬
lischen Typus in den englischen, die Ver-
grösserung und Streckung von Formen und
Verhältnissen des Pferdekörpers sich durch
ihn in bester Weise vollzogen habe. Es darf
wohl an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben,
dass in dem Stammbaum der berühmtesten
Nachkommen der englischen Rennpferde —
so auch des Eclipse — sich eine grössere
Anzahl unbekannter Stuten vorfindet. Ohne
Frage haben mehrfach Beimischungen von
nordischem Blut Stattgefunden, so «dass wir
nicht berechtigt sind, das englische Vollblut¬
pferd als absolut reinblütig- hinzustellen. Un¬
streitig hat jedoch* die orientalisch-arabische
Rasse den grössten Einfluss auf die Bildung
des englischen Rennpferdes ausgeübt. „ Fg .
Ecra8eur. Er besteht . dem Wesen nach
in einer Schlinge aus Metall, welche allmälig
verkleinert werden kann, so dass dadurch ein
Gewebe, welches innerhalb der Schlinge sich
befindet, durchgequetscht wird. Das Instrument
wurde von Chassaignac erfunden und zuerst
von Mathieu und Luer ausgeführt.
Der Ecraseur von Mathieu (Fig. 444)
besteht aus einer Scheide aus Metall, innerhalb
Fig. 444. Ecraseur von Fig. 445. Ecraseur
h Mathieu. von Luer.
welcher sich zwei, ameinander etwas bewegbare,
seitlich gezähnte Metallstäbe befinden. An dem
oberen Ende dieser Stäbe wird eine Kette vonbis-
euitförmigen oder ovalen Gliedern ans Stahl
befestigt, an dem unteren Ende dagegen ist ein
Querbalken, in dessen Mitte die beiden Stäbe
um kleine Achsen in geringem Grade beweglich
eingefügt sind. Will man nun die Schlinge
verkleinern, so braucht man blös an dem Quer¬
balken kleine hebelartige Bewegungen * auszu¬
führen, wodurch bald der eine, bald der andere
Stab und mit ihnen auch die Kette immer
tiefer und tjefer in die Hülse hineingezogen
wird. Damit aber diese erzielte Verengerung
der Schlinge nicht wieder verloren geht, sind
an «dem unseren Theile der Hülse über dem
Griffe zwei starke federnde Haken, welche in
die Zähne- an den Stangen eingreifen und das
Zurückgehen derselben verhindern.
Bei dem Instrumente von Luer (Fig. 445)
läuft in der Hülse .statt der beiden Metall¬
stäbe blos ein einziger mit feinen Schrauben¬
windungen versehener Stab, welcher durch eine
. seitlich angebrachte Schraube allmälig herab¬
gezogen wird und gleichzeitig damit auch die
an ihm befestigte Kette.
Der Ecraseur von Charrier (Fig. 446)
unterscheidet sifch von dem Luer’schen nur
dadurch, dass die Kette nicht in einer Hülse,
sondern frei läuft und an einem Metallstabe
befestigt ist, dessen oberes Ende eine kleine
Krücke darstellt.
Chassaignac empfahl nun, Neubildungen
oder krankes Gewebe mittelst dieses Instru¬
mentes auf unblutige Weise
durch allmäliges Zerquet¬
schen abzutragen, und nannte
diese Operationsmethode das
Ecrasement lindaire,
die lineare Abquetschung.
Durch die Wirkung der Kette
werden die Weichtheile s?
zusammen gedrückt und an
einander gepresst, dass auch
schon dadurch ein Verschluss
der Gefässlumina zu Stande
kommt, abgesehen davon,
dass bei den Gelassen zuerst
die innerste elastische Haut
zerreist, sich faltet, umrollt
und so das Gefass verstopft,
während die anderen Ge-
fässhäute unter einander ver¬
kleben. Es findet also bei
dieser Operationsmethode der
Verschluss der Gefasse schon
vor der völligen Durchquet¬
schung derselben statt,- nur
muss man selbstverständlich
die Vorsicht gebrauchen, das
Abquetschen sehr langsam
vorzunchmen, etwa jede halbe
Minute um einen Zahn oder um
eine Drehung der Schraube,
weil sonst an der Trennungs-
’ fläche eine ebensolche Blu-
Fig. 446. Eernstnir
von Charrier.'
tung entstände wie -nach
einem Schnitte, und der
Zweck dieser Operationsmethode nicht erreicht
würde.‘Sollte der Theil, welcher abzuquetschen
ist T zu massig sein, so kann man die Kette
durch denselben hindurchziehen,* die Masse
also in zwei oder mehreren Portionen ab¬
quetschen. Wenngleich der Ecraseur nicht jene
übertriebenen Vorzüge aufweist, die man ihm
seinerzeit zugeschrieben hat, so ist doch nicht
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ECTOGENE INFECTIONSERREGER. — EFFLORBSCENTIA.
437
zu leugnen, dass namentlich in der vorantisep¬
tischen Zeit durch diese Methode ganz schöne
Heilresultate erzielt wurden.
Die Entfernung des Gewebes geschah
auf unblutige Weise, nur musste man die
Wundfläche unberührt lassen, da leicht durch
Betupfen derselben mit einem Schwamm eine
Blutung liervorgerufen werden würde; die
Wundfläche war klein, bedeckte sich bald mit
einem Schorfe, unter welchem die Heilung rasch
und in der Regel aseptisch vor sich ging.
Es erklärt -sich dies wohl dadurch, dass
man die Wunde unberührt lassen musste,
dieselbe also nicht so leicht inficirt wurde,
und auch während der späteren Heilung das
Eindringen von Infectionserregern weniger
leicht möglich war, da die Gelasse, sowohl
Blut- als Lympligefässe, beim Durchquetschen
geschlossen wurden und sich überdies, wie
erwähnt, rasch ein die Wundfläche bedeckender
Schorf bildete. Doch gab es immerhin Fälle,
in welchen Wunderkrankungen auftraten.
Der Ecraseur wurde auch in der Thier¬
heilkunde angewendet behufs Entfernung von
Neubildungen, besonders gesielten, z. B.
Polypen in der Scheide, dem Mastdarme etc.,
ferners bei der Castration hauptsächlich weib¬
licher Thiere, zur Amputation der Ruthe etc.
Einet allgemeinen Anwendung stand der etwas
hohe Preis des Instrumentes entgegen, sowie
der Umstand, dass die Operation selbst sehr
lange Zeit in Anspruch nimmt. Bayer .
Ectogene Infectionserreger nennt man
solche Krankheitskeime, die sich ausserhalb
des thierischen Körpers entwickeln, u. zw. im
Boden, Wasser, Dünger, in Stallräumen,
Sümpfen, stehenden Gewässern etc. Krank¬
heiten, die durch solche Keime veranlasst
werden, die ausschliesslich ausserhalb des
lebenden Organismus sich entwickeln und mit
der Athmungsluft, dem Futter und Getränk
in den Körper gelangen und^ Krankheiten er¬
zeugen, nennt man miasmatische und die
Krankheitserreger selbst Miasmen. Zu den rein
miasmatischen Krankheiten gehören: Sumpf¬
fieber, Wechselfieber, Malariafieber, Kopf¬
krankheit, Cerebrospinalmeningitis, Rheuma¬
tismus. Seminer.
Ectoparasitica, Arzneimittel, um die auf
den Thieren lebenden Schmarotzer zu tödten,
gleichviel ob sie thierischer oder pflanzlicher
Abkunft sind (s. Antiparasitica). Vogel.
Eczem. Das Eczem ist eine Hautkrankheit,
wie Pityriasis, Psoriasis und Lichen (su d.).
Das Eczem ist sogar häufig die erste Phase
des Lichen und selbst der Pityriasis und geht
in diesem Falle zumeist unbemerkt vorüber.
Aber bei dem Pferde kommt ein Eczem vor,
welches weder durch Pityriasis noch durch
Lichen endigt, von lebhaftem Jucken begleitet
ist und mit hartnäckiger Beständigkeit wieder¬
kehrt, sobald die Zeit des Haarwechsels vor
der grossen Hitze eintritt. Bei diesem Leiden
sind die localen Läsionen fast unbedeutend:
kaum dass man an dem Haarboden, welchen
man mit der Fingerspitze befühlt, kleine
Krusten gewahr wird, welche von einem
Tropfen vertrockneter Flüssigkeit herrühren
und durch w r elche das vorherige Vorhanden¬
sein von kleinen Bläschen gckennzeichne-
wird. Das Gefühl des Kitzelns ist sehr heftig
und leicht mit der Fingerspitze zu bewirken.
Der Lieblingssitz des chronischen Eczems
ist die Nachbarschaft der Fesseln, der Rücken,
die Flanken, die Hüften, die beiden Seiten
der Halsbeuge. Dieser Sitz und das lebhafte
Jucken, welches diese Hautkrankheit be¬
gleitet, machen es möglich, dass sie sehr
leicht mit der Sarcopteskrätze verwechselt
wird, von welcher sie thatsächlich blos die
Abwesenheit des Parasiten und der Mangel der_
Ansteckungsfähigkeit unterscheiden, ebenso
auch die periodische -Wiederkehr beim Saison¬
wechsel.
Die Behandlung des chronischen
Eczems der Pferde soll eine innerliche und
äusserliche zugleich sein. Für die innerliche
Behandlung ist Arsenik das Specificum; man
verabreicht täglich ein Gramm arsenige Säure
in* Pulverform, innigst gemengt in einem
Tränkchen, und dies einige Monate hindurch.
Local macht man Lotionen, sei es mit einer
Lösung von Chloralhydrat (30 g für den Liter
Wasser), sei es mit einer solchen von weissem
Sublimat [Quecksilberchlorid] (4 g per Liter
Wasser), sei es endlich mit. einer Lösung von
schwefelsaurem Zinkoxjd (10 g per Liter).
Wir haben bei einem Rind einen Fall
von chronischem Eczem beobachtet, welches
die Mittellinie des Rückens einnahm und mehr
oder weniger tief ah den Seiten des Rumpfes
. hinabzog, indem es speciell jene Theile der
Haut einnahm, welche kein Pigment besassen,
d. h. jene, welche mit-weissen Haaren bedeckt
waren, und die mit rothen Haaren bedeckten
Stellen vermied. Die kranke Oberfläche war
mit granulösen Krusten bedeckt, welche
mit blätterigen Krusten gemengt waren. In
«jedem Frühjahr erfolgte ein heftiger Aus¬
bruch, und man konnte an der Schlachtbank
► beobachten, dass diese Ausschläge eine*Rück-
wirkung auf die Ernährung im Allgemeinen
und auf jene der Knochen im Speciellen aus¬
übten, denn bei dem transversalen Durch¬
schneiden derselben konnte man concentrische
dunkle Zonen gewahr werden, die ebenso
zahlreich waren als cTie Eczem-Ausschläge,
welche das Rind während seines Leberfs
befallen hatten. Meguin .
edentafus (abgel. v. e, aus [einen Mangel
andeutend], und dens, Zahn), zahnlos, zahn¬
arm; daher edentata, die Ordnung der Zahn-
lücker (Bradypoda etc.). Sussdorf.
Edinburg, Veterinärschule, gegründet
1823 von William Dick.
Efrervesciren, Aufbrausen, die lebhafte
Entwicklung von Gasen aus einer Flüssigkeit,
wie z. B. bei den Brausepulvern. Vogel.
Efflore8Centia (efflorescere), Hauterup¬
tionen der verschiedensten Art, welche klei¬
nere, circumscripte Hautveränderungen von be¬
stimmter Entwicklungs- und Verlaufsweise etc.
setzen (z, B. maculae, Flecken; papulae, Knöt¬
chen; urticae, Quaddeln; vesiculae, Bläschen;
bullae, Blasen; pustulae, Pusteln). Sussdorf.
438
EFFLUVIUM. — EI.
Effloresciren, Ausblühen, das Empor¬
steigen eines krystallisirenden Salzes aus
^seiner Lösung an den Wandungen des Ge-
fässes. Vogel .
Effluvium (v. effluere, schnell ab fallen),
der abnorm reichliche Haarausfall bei unge¬
nügendem Nachwuchs, also eine Form der Kahl¬
heit (Calvities). Sussdorf,
Egelkrankheit oder Egelseuche ist eine
Kachexie, welche sich nach der massenhaften
Einwanderung der Leberegeln oder Distomen
in die Leber der Hausthiere ausbildet; bei
Schafen tritt sie häufig als Heerdekrankheit
und Seuche auf. Das Nähere hierüber s. u.
Distoraatosis. * Anacker.
Egelkrankheit, Leberegelseuche, Fäule,
Tabes hepatico-verminosa, Cachexia ictero-
verminosa, Cachexie aqueuse, pourriture,
distomatose, phthisie vermineuse du foie,
Cachexie ictero-vermineuse, drospy, biscinola,
gehört zu den Gewährsmängeln, da sie in
nassen Jahrgängen besonders unter den
Schafen grosse Verheerungen anrichten kann.
In streitigen Fällen ist es von besonderer
Wichtigkeit, den Zeitpunkt der Einwanderung
der Leberegel festzustellen und zu bestimmen,
ob dieselbe vor oder nach dem Kauf statt¬
fand. Die Einwanderung findet nur im Sommer
und Herbst auf der 'Weide statt, und 6 bis
12 Wochen nach der Aufnahme der Cercarien
beginnen die ersten Krankheitserscheinungen.
Hiebei muss berücksichtigt werden, ob die
gekauften Thiere nach dem Ankauf noch auf
die Weide getrieben oder gleich auf Stall¬
fütterung gesetzt wurden, und ob beim Ver¬
käufer Niederungsweiden und Leberegeler¬
krankungen vorhanden sind oder nicht. Die
Gewährszeit für die Egelseuche beträgt:
44 Tage in Baden, Bayern, Hohenzollern,
Württemberg und Thurgau;
15
T?
im Canton Basel;
28
n
im Grossherzogthum Hessen;
30
n
in Sachsen;
31
n
in Schaffhausen;
42
n
in Frankfurt;
60
r>
in Oesterreich.
Da die ersten Krankheitserscheinungen
aber kaum vor 6 Wochen nach der Aufnahme
der Würmer sich zeigöh, so ist die Gewährs¬
zeit von weniger als 2 Monaten eine zu
kurze. Semrncr.
Egerländer Vieh, s. u. „Böhmische Vieh¬
zucht 11 .
Egersis (*f) eyepois, v. eY et P elv » erwecken),
Aufreizung; davon adj. egertica sc. remedia,
belebende Mittel. Sussdorf.
Ei. Bei allen Individuen, deren Organismus
aus einer Summe von Zellen aufgebaut ist,
erscheint das Ei nur als eine mehr oder
weniger metamorphosirte Zelle von gewisser
Selbständigkeit, welche in ihrer ursprüng¬
lichen Form eine abgerundete Gestalt besitzt,
bei vielen Organismen indes mannigfaltig
umgestaltet wird, je nachdem das Ei mit
accessorischen Hüllen und Vorrichtungen aus¬
gestattet erscheint.
Jedes Ei repräsentirt demnach in der
ersten Anlage eine Einzelzelle, an welcher
sich bei allen Geschöpfen unterscheiden lässt
entsprechend dem Bau der Zelle: der Proto¬
plasmaleib, der Kern, das oder die Kernkörper¬
chen [diese Theile führen aber hier den Namen
Dotter (Yitellus), Keimbläschen (Vesi-
cula germinativa, Purkinje’sches Bläschen)],
der oder die Keimflecken (Macula germi¬
nativa, Wagner’scher Fleck). Hiezu kommen
aber noch je nach der Zeit und Altersperiode
verschiedene Adnexa, wonach man wohl auch
Primordialeier, reife Eierstockseier und die
mit den Eileiterhüllen versehenen Eier unter¬
scheidet. Die Umhüllung ist der Hauptsache
nach entweder eine einfache Dotterhaut
(Membrana vitellina), welche vom Ei selbst
erzeugt wird, oder eine sog. äussere Ei¬
haut (Chorion, Tunica adventitia), eine Mem¬
bran, welche von der Umgehung des Eies
(Eisäckchen) zugebildet wird; auch beide
Eihüllenformen können gleichzeitig neben
einander bestehen.
Es gibt Eier, bei denen die gesammtc
Dottermasse zum Aufbau des embryonalen
Keims verwendet wird — diese nennt man
holo blas tische, bei anderen Eiern wird
nur ein Theil der Dottermasse unmittelbar
zur Anlage verwendet, der übrige Inhalt wird
gewissennassen nur als Nährmaterial benützt.
Demgemäss unterscheidet man Bildungs¬
und Nahrungsd otter und nennt die letzt
rubricirten Eier, welche beide Dotterarten
besitzen, meroblastische. Nach der Be¬
fruchtung sind die holoblastischen Eier dadurch
charakterisirt, dass ihr Gesammtdotter dem
sog. Furchungsprocesse unterliegt (totale
Furchung), während bei den meroblastischen
Eiern nur der Bildungsdotter eine Zerklüftung
erleidet (partielle Furchung). Uebergangs-
formen zwischen meroblastischen und holo¬
blastischen Eiern gibt es ebenfalls.
Das Säugethier ei (Fig. 447) gehört zum
Typus der holoblastischen und besitzt unter
allen Eiformen der Wirbelthiere die geringste
Grösse, obwohl es in
Beziehung zu den Zel¬
len des Säugethier¬
körpers die grösste
Zelle des Einzelindi¬
viduums darstellt;
es misst hei den
grösseren Säugethie-
ren durchschnittlich
0*2 mm, bei Schwein,
Hund und Katze
0*17 mm, bei Meer¬
schweinchen, Ratte,
Maus 0*12 mm. Die
Umhüllungsmembran
des Säugethiereies,
welche die Bedeutung
einer Adventitia hat wird Zona pellucida
genannt und stellt sich als eine veriialtniss-
mässig dicke, glashelle, scharf contourirte La¬
melle dar. In Form feinster radiärer Streifen
zeigt sie Andeutungen von Porencanälchen.
Der Dotter bietet eine Zusammensetzung aus
zum Theil mehr homogenem flüssigen Proto¬
plasma, zum Theil körnigen Massen in Form
Fig. 447. Halbschematisclie
Zeichnung eines Säugethier¬
eis. a Aeussere Eihaut (Zona
pellucida) mit Andeutung von
Porencanälchen, b Dotter,
c Keimbläschen mit Keim¬
fleck.
blasser feinster und dunkler grösserer Kügel¬
chen, welche von einem feinen Fadengerüst
getragen zu werden scheinen. Wenn die
dunklen Körner zahlreicher sind, erscheint
der Dotter weisslich (Kuh, Katze), ist ihre
Menge geringer, so werden die Eier heller
durchscheinend (Mensch). Auch andere zellen-
und kernartige Elemente werden in manchen
Eidottern (Hund, Kaninchen, Schaf) beob¬
achtet (Bonnet), welche Elemente von aussen
her in das Ei drangen. Das Keimbläschen
erscheint als ein innerhalb des Dotters nicht
ganz in der Mitte gelegenes, scharf berandetes,
kugelrundes Bläschen von 40—50 p Durch¬
messer, welches dem Bau nach einem Zell¬
kerne gleichkommt, d. h. aus einem Kern¬
fadennetze besteht, in welchem ein dunkles
festeres Korn von 5—7 p. Durchmesser ein¬
gelagert ist, der Keim fl eck (= Kern¬
körperchen). Ausser den Säugern besitzen
noch holoblastische Eier die Amphibien,
Störe, Neunaugen, Amphioxus, die einfachen
Kruster und Arachniden, die Brachiopoden, die
niederen Mollusken, die meisten Würmer, die
Strahlthiere und Schwämme. Als merobla¬
stische Eier treten uns die Eier der Vögel,
Reptilien, Plagiostomen, Teleostier, höheren
Kruster, höheren Arachniden und Cephalo-
poden zu Gesichte.
Das Hühnerei z. B., welches in der
ersten Anlage sich in keiner Weise vom
Säugethierei unterscheidet, ist später (schon
am Eierstock) noch mit einer aussergewöhn-
lichen Dottermasse ausgestattet, so zwar
dass der frühere Haupttheil der Zelle mit
seinem Keimbläschen oder Kern ganz an die
Peripherie gedrängt wird. Die gelben kugeligen
Gebilde, welche wir, ähnlich wie die Beeren
einerTraube zusammengruppirt, am Eierstocke
des Vogels bemerken, sind die Eisäckchen
mit den in ihnen enthaltenen Eiern. In der
verschiedensten Grösse vom kaum sichtbaren
Punkte bis zum Ausmasse einer Erbse und
bis zum Umfange der Dotterkugel des gelegten
Eises sind die Eier am Eierstocke anzutreffen
und mit demselben durch die Eisäckchen,
welche als blutgefässhaltige dünne Membranen
jedes Ei umschliessen, verbunden. Diese gefass-
führcnden Hüllen haben eine Bedeutung für
die Ernährung und das Wachsthum des Eier¬
stockseies, indem die ursprüngliche Zelle aus
den umspinnenden Blutgefässen des Eisäck¬
chens Stoffe in sich aufnimmt, die zu den
sog. Dotterkörnern umgebildet werden. Ist
das Ei zu seiner bestimmten Grösse heran-
gewachsen, mit einem Worte reif geworden,
so platzt das Eisäckchen und die Dotter¬
kugel fällt in den Eileiter. Bei genauer Be¬
trachtung eines grösseren Eisäckchens können
wir nämlich eine kreisförmig das beerenähn¬
liche Gebilde umgreifende Stelle bemerken,
die blutgefässlos ist, eine Art Narbe; an
dieser Stelle reisst das Eisäckchen ein, weil
es hier in Folge der Gefässarmutk des Theiles
weniger widerstandsfähig ist und von der
wachsenden Dotterkugel auseinandergedrängt
wird. Jede zur Ablösung vom Eierstocke
bereite Dotterkugel wird aber von dem oberen
sehr weiten Theile des Eileiters umfasst und
eingeschluckt. In diesem trichterförmigen
Theile des Eileiters finden sich nun von der
Begattung durch das männliche Thier her
stets Samenfäden, die hier in den Dotter
eindringen und das Ei befruchten. In dem
mittleren und unteren Theile des Eileiters,
resp. Eihalters (Uterus) erhält dann die
Dotterkugel ihre accessorischen Hüllen. Zu¬
nächst wird das Ei durch Contraction der
muskulösen Eileiterwand und durch Windungen
und Bewegungen des ganzen Schlauches immer
weiter nach abwärts befördert. Bei dieser Art
Rotation schlägt sich das Eiweiss auf der
Oberfläche der Dotterkugel nieder. Das Innere
des Eileiterschlauches ist nämlich von einer
sehr weichen, blutgefässreichen Schleimhaut
hergestellt, welche nach tausenden zählende
Drüschen enthält. Die Berührung der durch
den Schlauch passirenden Dotterkugel reizt
diese Drüsen zur Secretion an, das Secret
ist Eiweissmasse, das Eierklar, welches all-
mälig in immer dickerer Schichtung um den
Dotter herumgegossen wird. Dies geschieht
so lange als der Dotter in rotirender Bewe¬
gung fortgeschobeu wird und erfolgt demnach
auch die Ablagerung der Eiweisschichten
der Drehung entsprechend, wodurch dieselben
an zwei entgegengesetzten Stellen in dichtere
gewundene Schnüre zusammengedreht werden,
andererseits in Spiralen den Dotter umgeben,
wie man dies leicht ersieht, wenn man ver¬
sucht, an hartgesottenen Eiern das Eiweiss
abzublättern. In dem weiteren Theile des
Eileiters angekommen, bleibt der Dotter auf
einige Stunden ruhig liegen, und die ober¬
flächliche Eiweisslage beginnt dann lediglich
durch Eintrocknung und Gerinnung eine weisse
lederartige Haut zu bilden, die Schalenhaut.
(Von der Berstung des Eisäckchens an bis
zur Fertigstellung der Schalenhaut, verweilt
der Dotter in dem ca. 36 cm langen Eileiter
des Huhns ca. 6 Stunden, wovon die Hälfte
Zeit auf die Bildung der Schalenhaut trifft.)
Mit dieser hätte es jenen Zustand erreicht,
auf dem die einer Kalkschale entbehrenden
Eier mancher niedriger Wirbelthiere, z. B.
der Schildkröten, stehen bleiben; aber eine
höhere Vervollkommnung, ein dauerhafteres,
schützenderes Gehäuse ist für das Vogelei
ausersehen. Ganz im untersten Abschnitte
des Eileiters, seiner Weite wegen und weil
vor der Eiablage das Geschlechtsproduct des
weiblichen Vogels lang hier aufbewahrt wird,
auch Eihalter genannt, erfolgt die Bildung
der Schale. Im Eihalter ergiesst sich näm¬
lich eine kalkmilchähnliche Flüssigkeit aus
den hiezu befähigten Schleimhautzotten; die
unorganischen Bestandtheile derselben, vor¬
wiegend Kalksalze, schlagen sich auf der
Oberfläche der Schalenhaut nieder, sie kry-
stallisiren förmlich aus und bedecken so,
nachdem in ca. 12 — 24 Stunden die Er¬
härtung erfolgt, als Schale das nun vollen¬
dete Ei.
Soweit wäre in Kürze die Bildung der ac¬
cessorischen Theile des Vogeleies und die Wan¬
derung desselben durch die Geschlechtsgänge
440 ' EI.
dargethan (über die Entwicklung des Säuge¬
thiereies s. Eierstock).
Was die weitere Structur des Vogeleies an¬
belangt, so wird der Durchschnitt eines durch
Kochen erhärteten Hühnereies uns theilweise
hierüber und über die Lagerung der einzelnen
Eitheile Aufklärung verschaffen (Fig. 448). Am
frischgelfegtenEi ist alles Eiweiss, mit Ausnahme
Fig. 44$. Schematischer Durchschnitt des Hühnereis,
a Kalkschale, b Luftkammer, c Schalenhaut, d Eiweiss,
e Hagelschnur, f gelbfer Nahrungsdotter, g weisser Bil-
, dungsdotter, h Keimscheibe, i Dotterhaut.
jener gewundenen Schnüre, der Hagelschnüre
(Chalazae), flüssig, und in seinem Innern hält
sich der Dotter in Schwebe: die beiden Hagel¬
schnüre, welche von beiden Polen des Dotters
zu den gegenüberstehenden Enden des Eies
sich hinziehen, haben hiebei eine ähnliche
Wirkung wie elastische Polster. Der Dotter
selbst wird von einer durchsichtigen, bei Be¬
rührung und Bewegung sehr leicht sich fal¬
tenden und runzelnden Membran, der Dotter¬
haut, vor dem Ausfliessen geschützt. Diese
7 p. dicke, aus feinen, netzförmigen Fäserchen
bestehende Dotterhaut ist gleichbedeutend
einer Tunica adventitia (Zona pellucida) und
umhüllt den Eileib schon, so lange derselbe
noch am Eierstock im Follikel, respective
Eisäckchcn hängt.
Man mag das Ei drehen, wie man will,
man kann es sammt dem Eiweiss in Wasser
giessen, immer wird unter der Dotterhaut
eine nach oben sehende kleine weissliche
Scheibe von ungefähr 3—4 mm Durchmesser
sich dem Auge entgegenstellen: dies ist die
Keimscheibe oder Keimschichte (Cicatricula,
stratum oder Discus proligerus), im Volksmunde
Hahnentritt oder Narbe genannt, das be¬
deutungsvollste Gebilde des Eies für das
künftige Vögelchen. Am unreifen Ei war hier
das Keimbläschen, am reifen ist es dicht unter
die Dotterhaut gerückt. Der Grund dafür, dass
die Keimscheibe stets obenauf schwimmt, ist
in der eigenthünüichen Bauart des Dotters zu
suchen. Während dieser als frisches Object dem
blossen Auge als eine durchwegs gelbe Masse
erscheint, zeigt uns ein Durchschnitt des hart¬
gesottenen Eies, dass neben dem gelb gefärbten
harten Dotter ein Theil von weisslicher Farbe
und mehr flüssiger Natur gerade unter der
Keimscheibe in flaschenförmiger Gestalt seine
Lage. hat, das ist der sog. weisse Dotter (das
Dotterweiss). Die weisse Doftermasse ist nicht
nur als zapfenartiger Anhang unter der Keim-
scheibe, sondern aucli in einer Weise zwischen
dem gelben Dotter vertheilt, dass eine Art
abwechselnder concentrischer Schichtung zwi¬
schen beiden Substanzen besteht. Auch der
feine, reifähnliche graue Belag auf der Ober¬
fläche des hartgesottenen Dotters besteht aus
weissem Dotter: da aber die Hauptmenge des¬
selben unter der Keimscheibe ihren Stand-hal
und sich verbreitend bis ins Centrum der
Dotterkugel als Pfropf reicht und viel leichter
als der umgebende Dotter ist, so sieht die
dem Propfe* auf liegende Partie stets der - Luft
entgegen. Durch die Vermehrung und Ver-
grösserung der die Keimscheibe zusammen¬
setzenden Zellen, d. h. durch den Process
der Furchung (s.- d.) des weissen Dotters,
bei der Bebrütung kommt der Aufbau eines
neuen Organismus zu Stande: deshalb heisst
der weisse Dotter „Bildungsdotter“. Der
ganze übrige Dotter nimmt an dem directen
Aufbau des künftigen Vogels keinen Antheil,
er repräsentirt dem Lebenskeime nur eine Art
Speisevorrath, von der Natur dem Embryo
mitgegeben als Behelf für die mangelhafte
Ausbildung innerhalb des Mutterthieres, und
wird Nahrungsdotter genannt. Seiner
chemischen Zusammensetzung nach hat jeden¬
falls auch das Eiweiss, neben der Function, als
elastisches Kissen den Dotter mit dem Vogöl-
keime vor äusseren Einflüssen zu schützen,
die Bedeutung eines Nährvorrathes: haupt¬
sächlich sein Wassergehalt (86%), dann aber
auch die Proteinstoffe und Salze (Chlorkalium,
Chlornatrium, Sulphate und Phosphate) mögen
für den wachsenden Embryo in Rechnung zu
bringen sein.
Die Kalkschalc und Schalenttaut
sind die Schutzhüllen des Eies: beide liegen
einander dicht an. Da jedoch die Schalenbaut *
aus zwei Blättern besteht und die Kalkschale
porös ist, so tritt* bei längerem Liegen, vor¬
nehmlich beim Bebrüten der Eier, in Folgc^
der Schrumpfung der Eiweissmasse durch*
Wasserverdunstung Luft zwischen die beiden
Blätter, welche sich am stumpfen Ende des
Eies ansammelt und zur Bildung der sog.
Luftkamnier Veranlassung gibt. Aus dieser
Luftkammer erhält das dem Ausschlüpfen
nahe Hühnchen die Luft für seine ersten
Athemzüge, nachdem mit der Reife des Em¬
bryos das Bedürfnis.? nacli Lungenathmung
sich kundgibt. Zieht man die Schalenhaut
von der Kalkschale ab und hält ein Stück der
letzteren gegen das Licht, so erkennt man
hellere durchsichtige und dunklere undurch¬
sichtige Stellen in derselben. Wird ein solches
Stückchen überdies durch Anfertigung dünner
Schliffe der mikroskopischen Beobachtung zu¬
gänglich gemacht, so gewinnt man die Ueber-
zeugung, dass alle hellen Fleckchen der Aus¬
druck von feinen, die Kalkschale von aassen
nach innen senkrecht durchbohrenden Canälen
sind, durch welche der Austausch von Luft
zwischen dem Ei-Innern und der Aussenwelt-
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EIBENBAUM. — EICHELN.
441
ermöglicht wird..Diese Art Ventilation ist für
die Entwicklungsfähigkeit der Eier von höchster
Wichtigkeit. So lange die Schale trocken ist,
geht die Lüftung gut von statten, und der
brütende Vogel begünstigt diese für den
wachsenden Embryo so nothwendige Bedingniss
durch häufiges Aufstehen und durch Lage¬
veränderung der Eier, ja die Porosität ist eine
so ausgedehnte, dass bei Aufbewahrung von
Eiern in trockener, sehr warmer Luft (z.jB. im
Sommer auf Dachböden) der Ei-Inhalt voll¬
ständigvertrocknen kann. Andererseits wiederum
ist es interessant zu wissen, dass die nach
aussen stehenden Mündungen der Canälchen
bei Berührung mit Flüssigkeiten sich ver-
schliessen. Die Wandung der Poren ist eben wie
die Schale überhaupt von einem Gemenge einer
organischen, quellbaren, mit einer anorgani¬
schen, vornehmlich aus Kalksalzen bestehenden
Masse hergestellt, und wenn sich Bedingungen
finden, die das Quellen jener Substanz hervor-
rufen' so werden die Poren wie durch Pfröpfe
verschlossen. Deshalb dringt z. B. durch ein
hartgesottenes Ei, trotzdem hier das gerinnende
Eiweiss stark schrumpft, kein Wasser ein, und
umgekehrt lässt die Schale selbst Flüssigkeiten
durch, wenn man die oberste Schichte abschabt.
Die Existenz der Poren spielt eine grosse
Rolle für die Entwicklung des Embryos, für
die Fäulniss der Eier, die Conservirung der
Eier durch Luftabsperrung und selbst für die
Entstehung mancher Missgeburten von Vögeln.
Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich,
dass das gelegte Ei sich wesentlich von dem
Eierstocksei unterscheidet. Die auffallendste
Veränderung hat es durch die ümscheidung
mit den im Eileiter und Uterus abgesonderten
Hüllen (Eiweiss, Schalenhaut, Schale) und
durch die Befruchtung, welche nach dem
Eintritte des Eies in den Eileiter sich vollzog,
erlitten.
In Folge der Befruchtung wird der
Furthungsprocess eingeleitet, durch wel¬
chen Keimbläschen und * Bildungsdotter eine
bedeutende Umgestaltung erfahren und so das
gelegte Hühnerei nicht mehr als einzelne Zelle
aufgefasst werden kann, sondern nach Umbil¬
dung zur Keimhaut schon einen Zellen-
compiex darstellt, dessen Entstehung noch
andere Veränderungen nach sich zieht.
Auch das befruchtete Säugethierei unter¬
scheidet sich wesentlich von dem reifen Eier¬
stocksei, wie in dem Capitel über Furchung
des Näheren auseinandergesetzt werden soll.
Literatur: Grundriss der Entwicklungsgeschichte
d. M. u. d. höheren Thiere v. A. Köl liker 1884. — Das
Vogelei von Dr. E. B o n n e t, Deutsche Zeitschr. f. Thiermed.
1883. — Stricker’» Gewebelehre, Cap. Eierstock. —
Hermann’s Handbuch d. Physiol., Cap. Zeugung. Kitt.
Eibenbaum (Taxus baccata, s. d.). Enthält
in seinen Nadeln ein für alle Thiere gefahr¬
bringendes narkotisches Gift. Die Thiere ver¬
fallen danach, oft in nicht längerer Zeit als
einer Stunde nach dem Genuss, dem Tode,
können sich aber auch langsam daran ge¬
wöhnen, in welchem Falle die Nadeln sogar
den Fettansatz befördern sollen. Auch die
Eibenwurzeln enthalten ein heftiges Gift. Pott.
Eibisch, s. Althaea.
Eichel, Eicheigrube, s. Männliches Glied.
Eichel des Kitzlers, s. Kitzler.
Eicheln als Futtermittel. Die nussähn¬
lichen Früchte der verschiedenen Eichenarten
(Quercus pedunculata und sessiliflora etp.).
Sie enthalten im frischen Zustande:
44*0—58*5 im
Mittel 49*3 % Trockensubstanz
2*0— 2 6 „
„ 2“2 „ stickstoffhaltige Stoffe
1-5— 2*3 „
,, 2*0 „ Roh fett
33 4—36*5 „
* * 34*7 „ stickstofffreie Extractstoffe
4‘3—19*4
„ 9*4 „ Holzfaser
— — „
„ 1*0 „ Asche
und sind nach Weiske bei Versuchen mit
Hammeln verdaulich gewesen: 83*3% der
stickstoffhaltigen, 97*4% der stickstofffreien
Extractstoffe und 87*5% des Rohfettes. Sie
sind also ein stickstoffarmes, aber leicht ver¬
dauliches Futtermittel, und wenn man sie inl
getrockneten Zustande verfüttert als ein
sehr concentrirtes Futtermittel zu bezeichnen.
Getrocknete Eicheln enthalten:
77*2—85 7 im Mittel 81*5% Trockensubstanz
4*5— 6*9 „
„ 6*5 „
stickstoffhaltige Stoffe
3*6— 4*6 „
„ 4*0 „
Rohfett
58*4—62*1 „
.. 61*0 „
stickstofffreie Extractstoffe
• 6*5—12*2 „
, 90 „
Holzfaser
„ 2*0 „
Asche.
Jedenfalls ist die VerfÜtterung der Eicheln
im getrockneten Zustande am rathsamsten.
Man sammelt die Eicheln im Herbste und
schüttet sie auf luftigen Böden in'dünnen
Schichten aus, wonach sie bald lufttrocken
werden. Schüttet man sie zu hoch auf, befinden
sich unter ihnen viele unreife Eicheln, oder
ist der Aufbewahrungsort feucht, so werden
sie leicht dumpfig und schimmlig, in welchem
Zustande sie nicht verfütterbar sind, ohne
vorher gekocht zu werden (s. unter dumpfiges
und schimmliges Futter). Vielfach ist es auch
Üblich, die Eicheln behufs VerfÜtterung zu
schälen, zu welchem Behufe sie vorher gedörrt
und dann gedroschen werden müssen. Dieses
Verfahren ist recht beachten s werth* weil die
Eichelhülsen5—10% Gerbsäure enthalten, die
bekanntlich verstopfend wirkt und die Ver¬
fÜtterung grösserer Quantitäten an Milchvieh,
an tragende und säugende Thiere unthunlich
macht. Zudem sind die geschälten Eicheln
vermuthlich noch leichter verdaulich,'und die¬
selben werden von allen Thieren lieber ge-
gefressen.
Getrocknete und geschälte Eicheln
enthalten:
80’0—88'6 im Mittel 85*6% Trockensubstanz
6 0— 6 3 „ 6‘6 „ stickstoffhaltige Stoffe
3 6— 5-4 „ .. 4’1 „ Rohfett
64”8—72*0 „ „ 69 "2 * stickstofffreie Extractstoffe
4 6— 5*0 ,. 5*1 „ Holzfaser
— — „ „ 1*6 „ Asche.
Von den geschälten Eicheln dürfen
übrigens, wegen ihres zu hohen Stärkegehaltes
(nach König im natürlichen Zustande 20 bis
36%, ausserdem 3—6% Zucker), der leicht
die Verdauung der übrigen Futternährstoffe
beeinträchtigt, ebensowenig wie von den
ungeschälten, grosse Quantitäten pro Haupt
verfüttert werden. Am besten sind die Eicheln
als Mastfutter für Ochsen und Schweine
geeignet, und vertragen die ersteren sogar von
den ungeschälten Eicheln 2—3 kg pro
1000 kg Lebendgewicht. Während jedoch die
EICHELSTEINE. — EIDERSTÄDTER VIEHZUCHT.
442
Einen behaupten, dass die Eichelmast einen
festen, kernigen Speck liefert, wollen Andere
beobachtet haben, dass danach das Fleisch
hart und abschmeckig werde. Zu grosse
Quantitäten sind also auch bei der Mästung
nicht rathsam, obgleich die Eichelmast ver¬
mittelst Austriebes der Schweine in die Eichen¬
wälder (s. unter Dangellauf) oft vorwiegend
auf dem Verzehr von Eicheln beruht. Immerhin
thut man gut daran, besonders wenn nicht
ge sch alte Eicheln verfüttert werden, leicht¬
abführende Substanzen, wie junges Grün¬
futter, Hackfrüchte, Rübenschnitzel n. dgl.,
Kleie etc. mit zu verfüttern, um Verstopfungen
bei den Thieren zu vermeiden. Ein Theil der
in den Eicheln (namentlich in den Hülsen)
enthaltenen bitteren Extractstoffe kann wohl
durch Kochen beseitigt werden, wodurch aber
zugleich eine Auslaugung von Nährstoffen
erfolgt. Den Schweinen muss man übrigens
die Eicheln stets im gekochten Zustande
geben, während es sonst meist genügt, die¬
selben grob zu schroten. Für Hühner werden
die gedörrten Eicheln gemahlen, aus dem
Mehl handgrosse Brote geformt und diese an
der Luft getrocknet. Das so conservirte Eichel¬
mehl soll die Eierproduction befördern. Ueber
sonstige specifische Wirkungen dieses Futter¬
mittels ist nichts Sicheres bekannt. Pott.
Eiohelsteine, auch Vorhautsteine, Präpu¬
tialsteine, sind Steine, die sich im Schlauch
bei Schweinen, Ochsen und Pferden ent¬
wickeln. Bei Pferden sind sie rundlich, braun,
rauh, mit Spitzen und Fortsätzen versehen,
werden oft bis zu 30 g schwer und haben einen
sedimentartigen Kern. Die Präputialsteine des
Schweines erreichen Wallnuss- bis Hühnerei¬
grösse, sind rund oder oval, von weisser oder
gelblichweisser Farbe und geschichtetem Bau.
Im Schlauch der Ochsen, die beim Harnen
nicht gehörig ausschachten, kommen sediment¬
artige kleine Sternchen vor. Die operative
Entfernung der Vorhautsteine ist eine leichte
(s. Steine, Calculi urinarii praeputiales). Sr.
Eicheltripper, s. Tripper.
Eichelwulst, s. Männliches Glied des
Hundes.
Eichelzwiebel, s. Männliches Glied des
Hundes.
Eichenblätter als Futtermittel, siehe
Baumlaub.
Eichenrinde, deren Pulver ein vielfach
gebrauchtes Adstringens darstellt (s. Quer-
cus). Vogel.
Eichhof, Vorwerk der Farm Callen¬
berg (s. d.).
Eid, Juramentum, wird in den streitigen
Fällen als Beweismittel verlangt und von der
einen oder anderen Partei geleistet, wo die
sonst beigebrachten Beweise von den Richtern
als nicht genügend befunden werden, um ein
entscheidendes Urtheil zu fällen. Der Eid
kann aber auch von der einen oder anderen
der streitenden Parteien für sich (als Ent¬
lastungseid) verlangt oder der Gegenpartei
zugeschoben werden. Die Eidesleistung kann
von den Parteien oder Zeugen angenommen
oder zurückgewiesen werden.
Eid als Beweismittel wird in Thierpro¬
cessen in solchen Fällen gebraucht, wo die
Beweise und Gegenbeweise von den streitenden
Parteien unsicher und zweifelhaft bleiben.
Die Entscheidung wird dann von der Eides¬
leistung abhängig gemacht, und kann letztere
entweder vom Richter oder von einer oder
beiden Parteien verlangt, ihre Zulässigkeit
muss aber vom Richter stets geprüft werden.
Die Eidesleistung kann aber auch von der
einen oder anderen Partei zurückgewiesen
werden, falls sichere Anhaltspunkte für den Eid
fehlen. Der einmal geleistete Eid gilt aber als
unürastösslicher Beweis für den Richter. Sr.
Eiderstädter Viehzucht. Die in der Pro¬
vinz Schleswig-Holstein gelegene Landschaft
Eiderstadt bildet eine der sog. Seemarschen
mit äusserst fruchtbarem Boden, welcher all¬
jährlich reiche Futterernten und die üppigsten
Weidekoppeln liefert. Die fragliche Marsch
grenzt in nordwestlicher Richtung an Dith-
marsch und liegt zwischen der Nordsee und den
Flüssen Eider und Hever. Die daselbst vorkom¬
mende Rindviehrasse gehört zur Gruppe des
norddeutschen Niederungsviehes und liefert in
der Regel sehr schöne, grosse Repräsentanten
derselben. Die alte Rasse jener Landschaft
hatte in der Körpergestalt und Zeichnung
einige Aehnlichkeit mit dem Wilstermarsch¬
vieh; durch das neuerdings stark einge¬
mischte Shorthorn-Blut ist das Eiderstädter
Rind zwar breiter und schwerer geworden,
hat aber etwas Yon seiner früheren guten
Milchergiebigkeit verloren. Die rasche Ent¬
wicklungsfähigkeit sowie auch die Tauglich¬
keit zur Mästung ist dadurch zwar wesentlich
verbessert worden. Die Eiderstädter Kühe
erscheinen häufig etwas kurzköpfig mit ziem¬
lich kurzem Gehörn; ihr Hals ist mittellang,
stark bewammt, die Brust breit und kräftig;
ihre Schultern sind fleischig, aber der Leib
ist nicht so lang wie beim Holländer Vieh.
Besonders gut entwickelt ist ihr Hintertheil;
sie haben ein breites Kreuz, welches mit der
Rückenlinie nahezu eine gerade Linie bildet.
Früher sah man im Eiderstädtischen viele
Schwarzschecken, jetzt aber trifft man meistens
dieselben Färbungen, welche die Shorthoms
auszeichnen. Ihr Lebendgewicht beträgt 550
bis 750 kg. Die fetten Ochsen liefern nicht
selten ein Schlachtgewicht von 500 kg nebst
80—100 kg Talg. Eine grosse Anzahl der
letzteren geht Jahr für Jahr über Tönning
nach London, und es sind daselbst die Eider¬
städter ihrer guten Fleischqualität wegen
sehr beliebt. Die Fettgräsung der Rinder
bildet in den dortigen Marschen den wich¬
tigsten Zweig des ganzen landwirtschaft¬
lichen Betriebes.
Schafe. Die alte kurz- und kahlschwänzige
Marschschafrasse, welche an vielen Orten des
westlichen Holstein hauptsächlich vorkam,
scheint im Aussterben begriffen zu sein; man
sieht dieselbe nur noch ganz vereinzelt auf
kleinen Bauernhöfen. Fast überall hat man
in den Marschen — und so auch im Eider-
städtischen mit den grossen weissköpfigen
Rassen Englands, mit Kent-, Lincoln- und
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EIER.
443
Leicesterschafen gekreuzt und daraus eine
Nachzueht erhalten, welche zwar frühreifer
und mastfähiger, aber auch häufiger Krank¬
heiten unterworfen ist als die alte, unver¬
edelte Marschrasse war. Das Wollproduct der
jetzigen Schafe ist etwas länger undminer
ira Haar geworden, besitzt auch einen höheren
Glanz als das früher von der alten Rasse
gelieferte Product. Die Milchergiebigkeit und
auch die Fruchtbarkeit sollen durch jene
Kreuzungen etwas beeinträchtigt sein; Dril¬
lingsgeburten, die früher häufig waren, sollen
jetzt nur höchst selten Vorkommen. Die
Futteransprüche der dortigen Schafe sind
nicht geringe; sie fordern im Sommer reiche,
üppige Weiden und im Winter ein gutes
Stallfutter, welches hauptsächlich aus Heu
und einigen Hafergarben besteht. Freytag.
Eier. Die Eier gehören zu den wichtigsten
Nahrungsmitteln des Menschen, nicht nur
wegen der besonderen Nährfähigkeit, die man
ihnen zuschreibt, und welche sie auch allge¬
mein besitzen, sondern auch ihrer Schmack¬
haftigkeit wegen, welche sie für sich und in
Verbindung mit anderen Speisen besitzen.
Die Eier vieler Vogelarten sowie auch
einiger Amphibien und Fische dienen dem
.Menschen als Speise. Als Nahrungsmittel
können die Eier sämrntlicher Vögel gebraucht
werden; den ersten Rang nehmen jedoch die
Hühnereier ein; dann folgen die Eier der
anderen hühnerartigen Vögel, der Enten und
Gänse. Die Polarvölker essen die Eier von
Möven, in den Küstenländern werden die der
Seevögel genossen, und die Neger und Kaffem
verspeisen Strausseneier. Am Amazonenstrom
isst man die Eier vom Kaiman und von
Schildkröten. Es dienen zu Ernährungs¬
zwecken in manchen Ländern die Eier gewisser
Fische, die dieselben Bestandtheile wie die
Vogeleier enthalten. Der Rogen des Lachses
und Kabeljaus wird im getrockneten Zu¬
stande vielfach verbraucht, während der Rogen
des Störes-und verwandter Fische gesalzen
als Caviar verzehrt wird. Auch von Forellen-,
Karpfen-, Hechtendem macht die Küche Ge¬
brauch als Einlage in die Suppen. Im süd¬
östlichen Europa wird der Rogen einiger
Fische gepresst und getrocknet und eine Art
von Käse daraus bereitet.
Die Hühnereier erscheinen gegenwärtig
im Handel nach Grössen mit verschiedenen
Preisen sortirt. Die kleineren Eier wiegen etwa
45—50 g, die von mittlerer Grösse etwa 55
bis 60 und die der grösseren 70—80 g und
darüber per Stück. Diese schwereren Eier
sind ein Erfolg der Fortschritte in der Ge¬
flügelzucht und werden nur von den verbes¬
serten Hühnerrassen geliefert; die Eier der fran¬
zösischen Crevecoeurs-, Lafleche- und Houdan-
Hühner wiegen durchschnittlich 80 g, die der
Spanier durchschnittlich 75 und die der
Italiener wiegen 7! g. Die Eier der sonst so
schweren Cochins kommen nur auf 65. Es
ist demnach begreiflich, dass es ein dringender
Wunsch der Geflügelzüchter ist, dass der
Handel der Eier nach dem Gewichte und
nicht mehr nach der Zahl stattfinde (Dutzend
oder Hunderte); es würde dies zur Hebung
der Hühnerzucht viel beitragen. Die Enten¬
eier sind durchschnittlich 50 g schwer, und
die Eier der Gans wiegen zwischen 160 und
200 g; es gibt indes auch noch schwerere.
Beim Hühnerei beträgt die Schale nach
Pront etwa 10% des Gesammtgewichtes (bei
den kleinen etwas mehr), und das Eiweiss
steht zum Dotter ungefähr in dem Verhältnis
von 67 zu 33 oder 2 zu 1. Die chemische
Zusammensetzung des Hühnereies in toto ist:
Asche. 1*0%
Eiweiss. 14*2 „
Fett. 10*9 „
Wasser. 73*9 „
Nach Voit finden sich im Eiweiss
85*9 Wasser und 14*1 feste Stoffe, wovon
13*3 Eiweisstoffe; im Dotter 54 Wasser und
46 feste Stoffe, wovon 15*4 Eiweiss und
28*8 Fett und ähnliche Stoffe; in der Schale
sind 6*3 Eiweisstoffe und 4*9 Fett.
Im Caviar fand Payer 37*5 Wasser und
62*5 Trockensubstanz, wovon 28 Eiweiss¬
stoffe, 16 Fett und 9 Salze.
Im Fischrogenkäse fand Kletzinsky 19 *4
Wasser und 80*6 Trockensubstanz, wovon
34*8 Eiweisstoffe, 28*9 Fett und 10*6 Salze.
Die Eier haben einen hohen Nährwerth,
es hängt dies aber ganz von der Aufschliess-
barkeit ab. Die Verdaulichkeit der Eier richtet
sich wesentlich nach dem Zustande, in welchem
sich der Hauptbestandteil, das Eiweiss, be¬
findet. Geronnen und hartgesotten sind die
Eier schwer verdaulich und geben ein Sätti¬
gungsgefühl, welches nicht im Einklänge mit
der Quantität der Nahrung steht; sie erfor¬
dern eine stärkere Speichelabsonderung und
brauchen längere Zeit als andere thierische
Nahrungsmittel, um im menschlichen Darme
ausgenützt zn werden. Geronnen und zer¬
rieben, wie im Pfannkuchen, bieten sie diese
Schwierigkeiten nicht. Rohe Eier sind unter
allen Verhältnissen leichter zu verdauen; da
jedoch die dichte, gallertartige Masse der
Albuminate in unlöslichen Zellen einge¬
schlossen ist, so wird es leicht erklärlich,
warum die gründlich gequirlten Eier leicht
zu verdauen sind, so leicht, dass sie manchmal
bei den schwersten Magenkrankheiten noch
die einzige Speise abgeben, welche lediglich
ertragen wird. Auch nur halbgeronnene, weich¬
gesottene, sog. wachsharte Eier sind leichter
zu verdauen, weil die Zellen durch das Kochen
zerreissen. Da die Eier eine sehr concentrirte
Albuminatlösung bilden, so wird man ihre
Verdaulichkeit erhöhen, wenn man sie mit einer
nicht bis zum Gerinnungspunkte des Eiweiss
gewärmten Fleischbrühe verdünnt. Bekannt¬
lich trägt eine schwache Ansäuerung eben¬
falls zur Verdaulichkeit bei; es ist deshalb
die Beigabe gesottener Eier zu Salaten eine
ebenso rationelle als für den Geschmacksinn
zusagende Combination. Der Zusatz von Koch¬
salz, schon durch den etwas faden Geschmack
geboten, fördert ebenfalls die Verdaulichkeit
der Eier. Auch der Caviar hat einen* sehr be¬
deutenden Nährwerth; schaden kann er nur
444
EIER.
in grösseren Quantitäten, hauptsächlich durch
seinen grossen Salzgehalt.
Die Quantität Eier, welche ein Huhn
jährlich legt, ist sehr verschieden; sie hängt
ab von der guten Besorgung,, warmen Ställen,
saftiger Fütterung und auch von der Rasse.
Darum unterscheidet man die Rassen, welche
sich durch reichliches Eierlegen auszeichnen,
und nennt sie Leghühner, von den anderen,
die sich durch Fjeischproduction auszeichnen;
als ausgezeichnete Leghühner gelten die
Italiener und Spanier, welche durchschnittlich
im Jahre 200 Eier legen und bisweilen mehr;
die Tonkins und Brahmas hingegen bringen
es kaum auf 400, höchstens 120. Bei den
Enten gibt es Rassen, welche 120—150 Eier
per Jahr liefern: die meisten bleiben unter
dieser Zahl.
Im Jahre 1868 schätzte man die Production
von Hühnereiern in Frankreich auf 3 Milliarden
Stück; im Jahre 1882rechnete manöOMillionen
mehr, welche einen Geldwerth von 183,500.000
Francs haben. Von diesen Eiern gehen mehr
denn 100 Millionen nach England; Paris con-
sumirte im Jahre 1850 170 Millionen Eier,
im Jahre 1860 260 Millionen, im Jahre 1872
287 Millionen, im Jahre 1882 nahe bei
300Millionen, im Gewichte von 17,160.000 kg:
es wurden 21 Millionen Kilogramm in Paris
eingeführt, von diesen aber wieder 4 Millionen
weiter spedirt; der Preis hat sich von 50 Frcs.
das Tausend auf 82 Frcs. erhoben. Italien ex-
portirte im Jahre 1875 nur 45.000kg Eier;
im Jahre 1878 152.000 kg und seit Eröffnung
der Gotthardbahn ca. 400.000 kg. Deutschland
sollte nach Baldamus rund 1 Million Kilo¬
gramm von Eiern mehr produciren ; es würde
diese Zahl jedoch den Bedarf nicht decken,
denn es werden nur 1.784,000.000 Stück pro-
ducirt und von 10 zu 13 Millionen Kilogramm
mehr eingeführt als ausgeführt, also von 200
bis 2q0 Millionen Stück.
In der Nähe der Städte hat sich seit
einigen Jahren ein ziemlich lebhafter und
vortheilhafter Verkauf von frischgelegtenEiern
entwickelt; solche Eier sind von grösserem
Wohlgeschmack als ältere und werden gern
mit höheren Preisen bezahlt. Es wird durch
gute Pflege der Hühner erreicht, dass diese
selbst in den späteren Herbstmonaten und
* imWinter legen, besonders bei gewissen Rassen
(Italiener, Spanier, Houdans u. s. w.), und so
machen die Züchter ein gutes Geschäft. Für
den gewöhnlichen Verbrauch der Küche würden
andere frische Wkitereier zu theuer und nicht
zu beschaffen sein. Man hat deshalb von
altersher nach Mitteln gesucht, um die
Sommereier für den Winterverbrauch gut zu
erhalten, zu conserviren.
Da die Eier in der geschlossenen und
im Allgemeinen schwer durchdringlichen
Schale sich befinden, so verlieren sie beim
aufbewahren, durch Verdunsten des Wassers,
Aohl an Gewicht, von 20—40 mg im Tage;
wllein sie erleiden hiebei, wenn sie unver¬
sehrt sind, nur langsam Veränderungen, welche
bei ande'ren thierischen Substanzen rasch ein-
treten. Die Schalenhaut der Eier hat zwei
Blätter, und zwischen diesen bildet sich beim
Aufbewahren des Eies an dessen dickem Theile
ein lufterfüllter hohler Raum. Frisch ge¬
legte Eier haben noch keinen Luftraum, und
diese;; entsteht erst später und vergrössert
sich, je älter das Ei wird. Diese Luft dringt
von aussen in das Ei und enthält die gleichen
Mikroorganismen wie die äussere Luff, und
unter dem Einfluss der Luft dieses Raumes
tritt mit der Zeit das Faulen des Eies ein.
Die Fäulniss der Eier macht dieselben als¬
bald ungeniessbar, da sich dabei aus dem
Eiweiss sofort Schwefelalkali abspaltet, aus
welchem durch die im Dotter freiwerdende
Phosphorsäure und fetten Säuren sodann
stinkendes Schwefelwasserstoffgas * abge¬
schieden wird. Der leitende Gedanke bei der
Conservirung der Eier wird demnach sein,
möglichst zu verhindern, dass Luft durch die
Poren der Schale eindringt: dies geschieht,
indem man die Eier einhüllt in Kalk, Lehm,
Del u. s. w. Das Einlegen in Kalk ist sehr
häufig gebraucht: allein das Eiweiss der auf
diese Weise conservirten Eier lässt sich nicht
zu dem in der Küche oft so nöthigen Schaum
schlagen, und die Schalen springen gern im
kochenden Wasser. Besser ist die Einhüllung
der Eier in Lehm, von welchem man mit
Wasser einen dünnen Brei macht, die Eier
hinein taucht und sie dann trocknen» lässt.
Das Einlegen der Eier in Asche, Sägespäne,
Spreu und Aehnliches hilft auch zur Conser¬
virung, aber die Eier trocknen ein und halten
sich nicht so lange. Das Einreiben der Eier
mit fein gepulvertem Kochsalz und dann
während 3 Stunden in Salzwasser liegen lassen
ist ein lang erprobtes Mittel und erhält den
Eiern ihren Wohlgeschmack. Das Einlegen
der Eier in eine 5%ige Lösung von Salicyl-
säure hat sich auch als gut erwiesen. Das
Einfachste und Sicherste ist der Ueberzug
der Eier mit einer Ofelschichte oder mit ge¬
schmolzenem Paraffin. Die Eier werden dann
in ihrer natürlichen Lagö oder mit dem
stumpfen Ende nach oben und ohne jegliche
Unterlage in Kästen, Töpfe u. s. w. gelegt,
welche in trockene, kühle, aber frostfreie
Räume zu stellen sind. Am besten halten sich
die Frühsommereier, sie sind zugleich die
billigsten: auch müssen so viel wie möglich
die hartschaligen ausgesucht werden. Für
technische Zwecke wird oft das Ei-Albumin
ein getrocknet; da dies nur bei sorgfäftiger
Bereitung geschieht, durch Eintrocknen unter
60° C., so werden diese Präparate auch für
die Küche und namentlich für die Kuchen¬
bäckerei gebraucht, wo man selbst den Dotter
als Conserve eintrocknet; der conservirte Ei¬
dotter enthält nur noch 4*75% Wasser, das
Eiweiss 7%. Die Eier haben einen unschätz¬
baren Vorzug vor den meisten Nahrungsmitteln
darin, dass sie nicht verfälscht werden. Es
hat also die Controle des Eiermarktes wenig
zu thun und nur verdorbene* Eier auszu¬
scheiden. Man erkennt frische Eier daran,
dass sie transparent sind, was man mit der
Lichtprobe ira dunklen Raume erkennt; dass
sfe specifisch schwerer als Wasser sind und
EIER ALS FUTTERMITTEL. — EIERSTOCK. 445
nicht schwimmen (was bei seit einiger
Zeit conservirten der Fall ist); dass sie nicht
schwappen. Der Geruch der faulen Eier lässt
sich durch die Schale nicht bemerken.
Erfrorene Eier sind nicht ganz zu ver¬
werfen; man legt sie in Schnee o’der kaltes
Wasser, bis sich der Frost, wie man sagt,
herausgezogen hat, bis sie langsam aufge-
thaut sind. Dann darf man sie nicht lange
aufhebe»,-da sie leicht und schnell verderben.
Sie haben jedoch an Geschmack verloren und
können, wenn sie starkem Froste länger aus¬
gesetzt waren, für die Köche unbrauchbar
werden.
Im Innern der Eier werden in seltenen
Fällen lebende pflanzliche und thierische
Organismen aufgefunden; doch ist nicht be¬
kannt, dass durch den Genuss von Eiern
Krankheitserreger auf den Menschen über¬
tragen worden wären. Zundel.
Erer als Futtermittel. Mit der Schale
zerdrückt und zerrieben, dienen die Hühner¬
eier gelegentlich zur Fütterung der Kälber
und von Zuchthengsten. Nach König setzt
sich das Hühnerei durchschnittlich aus
14% Schalen, 54% Eiweiss und 32% Eigelb
zusammen. Der Gesammtinhalt (Eiweiss und
Eigelb) besteht im Mittel aus 73*67% Wasser,
12*55% stickstoffhaltigenStoffen, 12*11%Fett,
0*55% sonstigen stickstofffreien Stoffen und
112% Asche. Die Eierschalen enthalten 89
bis 97% kohlensaures Calcium, 0—2%kohlen¬
saure Magnesia, 0*5—5% Magnesium- und
Calciumphosphat und 2—5% organische Sub¬
stanzen. Der Geschmack wie auch die Zu¬
sammensetzung der Eier richten sich wesent¬
lich nach dem Futter der eierlegenden Thiere.
Alle Vogeleier sind aber einander sehr ähn¬
lich zusammengesetzt und bilden im unver¬
dorbenen Zustünde ein ebenso schmackhaftes
als leichtverdauliches und sehr nahrhaftes,
leider aber wohl meist zu kostspieliges Futter¬
mittel. Am nährstoffreichsten ist das Eigelb,
welches auch vorwiegend phosphorsaure Salze
enthält, während sich in dem viel wasser¬
reicheren und fettarmen Eiweiss vornehmlich
an Chlor gebundenes Kalium und Natrium
vorfinden.
Mastkälbern gibt man pro Kopf und
Tag 3—6 Stück zerdrückte, in der Futter¬
milch verrührte Eier, wonach dieselben ein
besonders wohlschmeckendes Fleisch liefern.
Zuchthengsten gibt man in derselben
Weise 10—15 Stück, wenn dieselben als Be¬
schäler sehr stark in Anspruch genommen
wurden; sie sollen sieh mit einem solchen
Beifutter um so schneller erholen. Polt.
Eierhacke, Piephacke, Capelet wer¬
den als gleichbedeutend für verschiedene
Arten von Geschwülsten gebraucht, welche
an demFersenbeinhöckeroderin dessennächster
Nähe vorkomfnen. Diese können bedingt sein
durch Quetschung,. Entzündung, Sclerose der
Haut und des Unterhautbindegewebes, Hy-
gromen des aU dieser Stelle vorfindlichen
Stfhleimbeutels, Entzündung und Ausdehnung
der Scheide der Achillessehne, Entzündung
und Verdickung der Achillessehne, Knochen¬
neubildung am Fersenbeinhöcker. Sache des
behandelnden Thierarztes ist es, in jedem
Falle die richtige wissenschaftliche Diagnose
»u stellen. Da unter diesen Worten so viele
ganz verschiedenartige Processe subsumirt
sind, ist es auch nicht Thöglich, ein für alle
Fälle passendes Bild zu entwerfen. Auch die
Prognose wird sich entsprechend der Dignität
des jeweiligen Leidens ganz verschieden ge-*
stalten. Insolange Entzündungserscheinungen
an der Geschwulst -vorhanden sind, mag
diese nun *in welchem Theile immer ihren
Sitz haben, werden Functionsstörungen wahr¬
zunehmen sein, nämlich Behinderung in der
Bewegung des Sprunggelenkes; sonst stellen
die Eierhacken in der Regel nur Schönheits¬
fehler dar. Sie verdanken ihr Entstehen meist
mechanischen Einwirkungen, wiederholtem
Anschlägen mit dem Fersenbeinhöcker gegen
feste Gegenstände: sie finden sich daher auch
häufig bei boshaften Pferden (Schlagern).
Auch die Behandlung wird sich nach den
verschiedenen Processen und den Stadien,
in welchen sie sich befinden/ richten müssen
— Antiphlogose, resorbirende, scharfe Mittel.
Es muss aber hervorgehoben werden, dass
alle derartigen Geschwülste meist jeder Be¬
handlung trotzen, ja dass oft in Folge der¬
selben die Sache noch schlechter wird; es
gilt dies besonders von operativen Eingriffen,
zu welchen man sich nur äusserst selten ent¬
schlossen dürfte. Bayer.
Eierstock. Anatomie. Die Eierstöcke
(ovaria), die keimbereitenden und demge¬
mäss wichtigsten Organe des weiblichen
Geschlechtsapparates, sind den Hoden der
männlichen Thiere an die Seite zu stellen und
daher auch wohl als weibliche Hoden
(testes muliebres) bezeichnet worden. Sie
stellen bei allen Säugethieren, mit Ausnahme
der Cloakenthiere (Monotremen), paarige Or¬
gane dar, welche stets innerhalb der Bauch¬
höhle hinter und unter den Nieren in der
Lendengegend, liegen und durch das breite
Mutterband sowie durch besondere Bauchfell¬
falten mit dem vorderen Ende der Gebär-
mutterhömer (Fig. 449 Gh) verbunden werden.
Die Eierstöcke der Einhufer unter¬
scheiden sich in mannigfacher Beziehung* von
denen der Wiederkäuer, Schweine und Fleisch¬
fresser, zeigen auch auffallende Verschieden¬
heiten in der frühesten Jugendzeit und im
späteren Lebensalter diesefThiere. Sie besitzen
schon während der letzten Zeit der fötalen
Entwicklung dieselbe Grösse wie beim erwach¬
senen Thier und stellen zu dieser Zeit und
in den ersten Monaten des extrauterinen
Lebens eiförmige, seitlich etwas zusammen¬
gedrückte Organe von Weicher Consistenz und
dunkelbrauner Farbe dar. An dem längeren,
stark convexen Rand befestigt sich das breite
Mutterband, durch welches der Eierstock aufge¬
hängt wird. Dieser Rand heisst, weil die Ge-
fässe an demselben in den Eierstock treten,
der Gefässrand; er wird ebenso wie die
ans tossenden Theile der Seitenflächen von
dem Epithel des Bauchfelles bedeckt. An das
vordere Ende des Randes heftet sich die
iti ^-by
Googl«
446
EIERSTOCK.
Franse des Eileiters, an das hintere das Eier¬
stocksband an. Den gegenüberliegenden,
unteren, kürzeren, schwächer convex gekrümm¬
ten Rand bekleidet ein Epithel, welches
sich auch auf die benachbarten Theile der
Seitenflächen fortsetzt und sich deutlioh von
dem glänzenderen Epithel des Bauchfelles
durch das mattgraue, feingrubige, sammet¬
ähnliche Ansehen absetzt. Das zuletzt be¬
schriebene Epithel besteht aus hohen cylin-
drischen Zellen und hat den Namen Keim¬
epithelerhalten, der von demselben bedeckte
Theil des Eierstockes wird als Keimplatte
bezeichnet.
Auf Durchschnitten des Eierstockes sieht
man, dass das Organ aus zwei verschiedenen
Gewebsschichten besteht. Der Keimplatte ent¬
spricht die Rindenschicht, Rindenzone
oder Parenchymzone, während der übrige
Theil des Eierstockes durch die Markzone,
Gefässzone oder das Keim lag er gebildet
wird und im Wesentlichen aus Bindegewebs-
strängen, Bündeln von organischen Muskel¬
fasern und zahlreichen Gemssen besteht.
Diese Beschaffenheit behalten die Eier¬
stöcke der Einhufer meistens bis zur zweiten
Hälfte des ersten Lebensjahres; sie ent¬
spricht derjenigen, welche die Eierstöcke der
übrigen Haussäugethiere die ganze Lebenszeit
hindurch erkennen lassen. Bald etwas früher,
bald etwas später ändern die Eierstöcke der
Einhufer (Fig. 449 E) während des ersten
Lebensjahres ihre Form; sie krümmen sich
derartig, dass das hintere Ende sich dem
Fig. 440. Rechter Eierstock und Eileiter der Stute von
unten und aussen gesehen. E Eierstock, Eil Eileiter,
Elf Eileiterfalte, Eb Eierstocksband, Et Eierstockstasche,
Gh Gebannutterhorn, b>[ breites Mutterband, rM rundes
Mutterband, 1 Einschnitt des Eierstockes, 2 Emissions¬
grube des Eierstocks. ?, Eierstocksfranse, 4 Isthmus des
Eileiters, f» Ampulle des Eileiters, 6 Fransen des Eileiters,
7 Raucht.ffriung des Eileiters (in derselben steckt die
Sonde a b).
vorderen nähert, und dass der Rand, wel¬
cher der Keimplatte entspricht, einen tiefen
Einschnitt (Fig. 449,1) bildet. Nach dem letz¬
teren rückt der Bauchfellüberzug weiter vor,
so dass derselbe, indem er sich gleichzeitig
bedeutend * verdickt, schliesslich einen Sack
darstellt, welcher den ganzen Eierstock um¬
hüllt bis auf eine sehr enge Oeffnung oder
Grube an der tiefsten Stelle des vorhin ge¬
nannten Einschnittes. Die Kennplatte nimmt
in dem Masse, in welchem diese Veränderungen
eintreten, an Umfang ab, an Dicke dagegen zu
und wandelt sich, indem sie die Gefässzone
verdrängt, allmälig in die Masse des reifen
Eierstockes — in das Stroma desselben — um.
Der Eierstock behält nunmehr für die
übrige Zeit des Lebens eine bohnenförmige Ge¬
stalt; man kann an demselben eine äussere und
innere gewölbte Seitenfläche, einen unteren
stark convexen und einen oberen tief einge¬
schnittenen Rand sowie ein vorderes und hin¬
teres abgerundetes Ende unterscheiden. Nur
in der Tiefe des eingeschnittenen Randes
bleibt die Oberfläche des Eierstockes unbe¬
deckt von dem festen und stark verdickten
Bauchfellüberzuge. mit welchem sie sich im
Uebrigen durch Bindegewebe ziemlich fest
vereinigt.
Auf Durchschnitten des reifen Eierstockes
lassen sich die beiden oben genannten, als
Rinden-, bezw. Gefässzone bezeichneten ver¬
schiedenen Gewebe nicht mehr unterscheiden.
Der Eierstock besteht nunmehr aus einer
gleichmässigen, festen, hellgelblichen Masse
— dem Stroma — und aus meist sehr zahl¬
reichen, in die letztere eingebetteten Bläschen
— den Graafschen Follikeln oder Ei¬
follikeln.
Das Stroma wird durch \Bindegewebs-
züge, welche sich vom concaven Rande aus
strahlenförmig und unter vielfachen Thei-
lungen in das Innere hineinziehen, aus orga¬
nischen Muskelfasern und aus Blutgefässen
gebildet, von denen die stärkeren spiralig
gedreht oder geschlängelt verlaufen.
Die Graafschen Follikel sind theils
mikroskopisch klein, theils erreichen sie eine
bedeutende Grösse, selbst die einer starken
Erbse oder noch darüber. Die kleineren finden
sich im Innern, die grösseren mehr an der
Oberfläche des Eierstockes, über welche sie
nicht selten sogar hervorragen. Jeder Graaf-
sche Follikel wird von einer festen binde¬
gewebigen Membran (theca folliculi) um¬
schlossen, an welcher man zwei verschiedene
Schichten unterscheiden kann,, und enthält
eine klare, hellgelbe, eiweisshaltige Flüssig¬
keit (liquor folliculi), welche den Follikel
derartig an füllt, dass die Wand desselben
stets prall erscheint. Die äussere Fläche
der Follikelmembran ist mit dem Stroma
des Eierstockes verbunden, die innere wird
von einem geschichteten Epithel bedeckt,
welches in seiner Gesammtheit die Körner¬
haut (membrana granulosa) zusammensetzt.
Die letztere wuchert an einer Stelle in Gestalt
eines kleinen Vorsprunges in das Innere des
EIERSTOCK.
447
Follikels hinein und bildet auf diese Weise
den Keimhügel oder die Keimscheibe
(cumulus s. discus ovigerus, oophorus s. pro-
ligerus), welcher das Ei (ovulum [s. d.]) ein-
schliesst.
Die Eier können nur durch Bersten der
Graafschen Follikel frei werden und in den
Eileiter gelangen (s. Ovulation). Da die Eier¬
stöcke der geschlechtsreifen Einhufer, wie
oben erwähnt, bis auf die kleine Grube in
der Tiefe des concaven Randes von der Bauch¬
haut eingeschlossen sind, so liegt es auf der
Hand, dass der Austritt der Eier nur durch die
Oeffnung in derTiefe jener Grube erfolgen kann,
welche demgemäss als Emissionsgrube
(Leisering), Keimplattengrube (Franck)
oder Ovulationsgrube (Born) (Fig. 449, i)'
bezeichnet worden ist.
Das Bersten der Graafschen Follikel ist
bei den Einhufern mit einem Bluterguss ver¬
bunden, welcher die Höhlung des geplatzten
Follikels ausfüllt. Von der Innenfläche der
Follikel wand geht sodann eine Wucherung
aus, welche die durch das Bersten entstan¬
dene Lücke mit einer weichen braunrothen,
oft recht umfangreichen, nicht selten durch
die Emissionsgrube nach aussen hervor¬
ragenden Masse schliesst. Diese Masse zieht
sich allmälig immer stärker zusammen, be¬
kommt eine gelbgraue oder röthlichgelbe Farbe
und eine festere Consistenz; sie stellt nun¬
mehr einen gelben Körper (corpus luteum)
des Eierstockes dar, als dessen letzte Spur
eine grauschwärzliche Stelle übrig bleibt. Die
gelben Körper sind daher im Wesentlichen
als Narben anzusprechen, welche die durch
das* Bersten der Graafschen Follikel entstan¬
denen Substanzverluste wieder ausgleichen.
Der genannte Process der Narbenbildung geht,
wenn das beim Bersten der Graafschen Follikel
freigewordene Ei befruchtet wurde, langsamer
von statten als unter entgegengesetzten Ver¬
hältnissen. Hienach hat man wahre und falsche
gelbe Körper unterschieden.
Am vorderen Ende des Einschnittes, in
dessen Tiefe sich die Emissionsgrube des
Eierstockes befindet, heftet sich die am Rande
ein'gekerbte Platte an, welche die Bauch-
öffnung des Eileiters enthält — Eierstocks¬
franse (Fimbria ovarii, Fig.44 9,3). Der Eileiter
selbst wird von einer Bauchfellduplicatur —
der Eileiterfalte (Fig.449 Elf) — einge¬
schlossen, welche von der Eierstocksfranse bis
zur Spitze des Gebärmutterhorns (Fig. 449 Gh)
derselben Seite verläuft oder noch eine Strecke
weiter nach hinten am convexen Rande des
Hornes verfolgt werden kann; sie geht all¬
mälig in die untere Fläche des breiten Mutter¬
bandes (Fig. 449 bM) über. Vom hinteren Ende
des Eierstockes läuft eine zweite Bauchfellfalte,
welche namentlich in der Nähe des freien
Randes starke Züge von organischen Muskel¬
fasern einschliesst und Eierstocksband
(ligamentum ovarii [Fig. 449 Eb]) genannt
wird, zum vorderen Ende des entsprechen¬
den Gebärmutterhomes, an dessen concavem
Rande sie sich in der oberen Fläche des breiten
Mutterbandes verliert. Zwischen diesen beiden
Bauchfellfalten bleibt eine tiefe dreieckige,
nach unten, offene Grube, die Eierstocks¬
tasche (Fig. 449 Et), welche aussen von
der Eileiterfalte, innen von dem Eierstocks¬
band, oben durch den Eierstock selbst be*
grenzt wird.
Die Eierstöcke der Wiederkäuer,
Schweine und Fleischfresser unter¬
scheiden sich von denen der Einhufer dadurch,
dass sich der Bauchfellüberzug oder vielmehr
das Bauchfellepithel nicht Über den ganzen
Eierstock erstreckt, sondern auf die nächste
Nähe des Randes beschränkt bleibt, an
welchem sich das breite Mutterband anheftet.
Das Keimepithel bedeckt die ganze übrige
Oberfläche des Eierstockes, dieselbe erhält
häufig durch die Graafschen Follikel, welche
die Oberfläche überragen, und durch die gelben
Körper ein unebenes, höckeriges, bezw. nar¬
biges Ansehen. Die mit Keim- und die mit
Bauchfellepithel bekleideten Stellen der Ober¬
fläche unterscheiden sich schon für das blosse
Auge durch die . Verschiedenartigkeit des
Glanzes und setzen sich an einer meist mehr
oder minder ausgezackten Linie deutlich von
einander ab. Bei einer derartigen Einrichtung
kann selbstverständlich die Lösung der Eier
vom Eierstock an dem ganzen Theil der Eier¬
stocksoberfläche erfolgen, welche vom Keim¬
epithel bedeckt wird.
Die Eierstöcke der Kuh (s. Fig. 450 und
Abbildung bei dem Artikel Gebärmutter)
sind im Verhältniss zu denen der Stute kleine
Organe (Fig. 450 O) von ovaler Form, ohne
Einschnitt an beiden convexen Rändern, und
so plattgedrückt, dass sie einen nur gerin¬
gen Dickendurchmesser besitzen. Sie liegen
Fig. 450. Rechter Eierstock und Eileiter der Kuh. 0 Eier¬
stock, U Gebärrautterhorn, S Eierstocksband, R Falte des
Bauchfelles, L breites MutterbamL, 1/ vorderer Rand des
breiten Mutterbandes, A Eierstocksarterie, V Eierstocks-
veno, T Ampulle des Eileiters, I Isthmus des Eileiters,
X Bauchöffnung, des Eileiter-, Z EinmQnduug des Ei¬
leiters in das Cfebärrnutterhorn, P Franse des Eileiters.
448
EIERSTOCK.
nahe der Spitze des entsprechenden Gebär¬
mutterhorns (Pig. 450 U); das kurze, aber
starke Eierstocksband (Fig. 450 L) und die
Eileiterfalte begrenzen eine breite, jedoch
flache Eierstockstasche. Bei dem Schafe
und bei der Ziege sind die verhältniss-
mässig grösseren Eierstöcke weniger platt¬
gedrückt, fast rundlich, • verhalten sich im
Uebrigen jedoch ähnlich denen des Rindviehs.
Die Eierstöcke des Schweines (Fig.
451 aa) habeh eine Form ähnlich der bei den
kleinen Wiederkäuern, besitzen jedoch eine
unebene, höckerige Oberfläche, erscheinen
sogar mitunter lappig. Sie werden beinahe
vollständig von der stark entwickelten Eier¬
stockstasche eingeschlossen.
Bei den Fleischfressern liegen die
Eierstöcke dicht hinter den Nieren ganz
versteckt in einer Tasche, welche bei der
Hündin meist, stark von Fett umhüllt wird
und sich durch eine engere, bei der Katze
durch eine weitere Spalte nach unten öffnet.
Von der Spalte zieht sich eine stark ent¬
wickelte bandartige Bauchfellfalte nach hinten
bis zur Spitze der Gebärmutterhörner, nach
vorne noch deutlicher abgesetzt bis zu den
Nieren. Die Eierstöcke selbst sind länglich¬
rund und erhalten durch die Graafschen
Follikel, welche die Oberfläche überragen,
nicht selten ein höckeriges Ansehen.
Charakteristisch für den weiblichen Ge¬
schlechtsapparat der Vögel ist, dass zwar
ursprünglich die Anlage zu paarigen Eier¬
stöcken vorhanden ist, dass jedoch der rechte
Eierstock mit seinem Eileiter im Verlauf der
weiteren Entwicklung so vollständig ver¬
kümmert, dass oft nicht die geringste Spur
von demselben übrigbleibt. Nur sehr wenige
Arten der Raubvögel besitzen einen rechts¬
seitigen Eierstock und Eileiter oder rudi¬
mentäre Andeutungen von solchen, und das
letztere ist auch bei einigen Papagei-Arten
der Fall. Der linke Eierstock (Fig. 452 e)
erlangt eine verhältnissmässig bedeutende
Grösse und besteht im Wesentlichen aus einer
Platte,*an welcher man zwei derGefäss-und der
Rindenzone des Säugethifer- Eiersteckes ent¬
sprechende Schichten unterscheiden kann.
Die Gefässzone hat zahlreiche Fortsätze,
welche der Oberfläche des Eierstockes ein
gefaltetes Ansehen verleihen und von der
Rindenzone bedeckt werden. An diesen Fort¬
sätzen hängen zahlreiche Eier, welche den
Graafschen Follikeln entsprechen, in sehr
Fig. 452. Eieratock und Eileiter des Huhnes, e linker Eier¬
stock, e' Narbe, o" Kelch, e"' Ei in Gestalt einer grossen
Dotterkugel, f Bauchöffnung des linken Eileiters, ff Ei-
h<en, f" Eileiter, f'" Einmündüng des Eileiters in die
Cloake, g Gekröse des Eileiters, h Cloake, a Schlund,
b Luftröhre, c c Lungen, verdeckt durch d das rudimen¬
täre Zwerchfell.
verschiedenen Zuständen der Entwicklung wie
die Beeren an einer Traube. Die Eier stellen
theils kleine weis^liche Bläschen, theils klei¬
nere oder grössere gelbe Dotterkugeln dar,
von denen die grösseren am stärksten in
die Körperhöhle hineinragen. Jedes Ei wird
zunächst von einer zarten Haut — Dotter¬
haut — und nach aussen noch von einer
festeren Membran umhüllt,’ beide Häute sind
gefässreich. An der äusseren Umhüllungs¬
membran markjrt sich gegenüber dem Stiel,
welcher die Verbindung mit dem Eierstock
herstellt, eine kreis- oder bogenförmig ver¬
laufende Linie — die Narbe (stigma [Fig.
452 e']). An der letzteren reisst die Umhül¬
lungsmembran, um das reif gewordene, noch
von der Dotterhaut eingeschlossene Ei aus*-
treten zu lassen; die leer gewordene Hülle
bildet dann eine am Eierstock haftende
becherförmige Höhle— Kelch (calyx —
[Fig. 452 ee"]), welcher nach und nach ver¬
schwindet. Müller .
I
EIERSTOCK.
449
Hist olo gie. Hinsichtlich der Textur eines
entwickelten Säugethier-Eierstockes (Fig. 453)
unterscheidet man folgende Hauptbestand¬
teile: Die äusserste Partie, die freie und so¬
weit nicht von der Bauchfellserosa über¬
zogene Oberfläche des Organes, sog. Keim¬
platte wird von einer einschichtigen Lage
Cylinderepithelien gebildet (Keimepithel);
unter dieser Schichte liegt eine verschieden
breite, aus sehr zellreichem Bindegewebe her-
gestellte Zone (Rindenschicht, Parenchym¬
zone), in welcher die Eier und die Graaf-
Fig. 453. Schnitt durch den Eierstock eines jungen
Schweines, a Stroma (Parenchymzone), b Keimepithel,
c Primordialfollikel mit Primordialei, d entwickeltes Ei
in einem reifen Follikel von Grauulosazellen umhüllt,
e Follikel mit Ei im Discus proligerus, f Membrana granu¬
löse, g Hilusstrpma (Gefässzone), h Theca folliculi. Im
Stroma weitere Follikel verschiedenen Alters.
sehen Follikel zerstreut eingelagert sind, und
centralwärts und dem Hilus des Eierstockes
zugewandt ist eine ei- und follikelfreie Partie,
welche vorzugsweise von zahlreichen Blut¬
gefässen gebildet ist (Hilusstroma, Gefäss¬
zone, zona va8culosa, Marksubstanz). Das ge-
sammte Bindegewebe, welches in etwas radiärer
dichter Anordnung seiner Faserzüge theils
die Follikel umgibt, theils in lockeren Bün¬
deln und durchsponnen von elastischen Fasern
die korkzieherartig gewundenen Arterien und
weiten Venenconvolute und Follikel umschei¬
det, wird Stroma genannt, und jene Partie
des Ovarialstromas, welche sich am reifen
Eierstock als gefassärmere periphere Binde-
gewebsschichte zwischen Keimplatte und Ei¬
follikel hineinschiebt, und welche Ursache
der Trennung des Keimepithels ist und damit
Sistirung der Primordialeibildung herbeiführt,
wirdAlbuginea genannt. In demOvarialstroma,
besonders in der centralen Partie, kommen auch
glatte Muskelfasern vor (reichlich sind solche
vorhanden an den Eierstöcken der Amphibien
und Knochenfische); es sind dies Muskel¬
bündel, welche von dem Eierstocksbande
her einstrahlen. Auch Lymphgefässe, welche
namentlich die Follikel schalenartig umgeben,
und weiters Nerven finden sich im Stroma
vor. (Beim Vogel ist das Stroma nur mangel¬
haft entwickelt, daher die lappige, traubige
Form des Eierstockes; ebenso beim Schwein.)
Am jugendlichenEierstocke trifft man ausserdem
al9 Reste des Wolffschen Körpers sehr grosse
rundliche Zellen, die meist in schlauchartigen
Koch. Encyklopftdie d. Thierheilkl. II. Bd.
Gruppen im Stroma stehen; man nennt sie
Parenchymzellen, Hiluszellen.
In der.Parenchymschichte des Eierstockes
haben die Graafsehen Follikel und die
Eier ihren Standplatz. Die Follikel, welche
sehr verschieden zerstreut stehen,repräsentiren
Bläschen von mikroskopischer Kleinheit bis
zu solcher Grösse, dass sie dem unbewaffneten
Auge leicht auffallen. Die kleineren (sog.
Primordialfollikel), welche namentlich peripher
liegen, bestehen aus einem einfachen Stratum
niedriger oder cylindrischer Epithelien und
einem Ei, welches das Centrum einnimmt und
die vom Epithel gebildete Höhle vollständig
ausfüllt. Ei und Follikelepithel ist nichts
Anderes als differenzirtes Keimepithel. Zur
embryonalen Epoche wachsen die auf der
Oberfläche befindlichen Keimepithelien zapfen¬
förmig in die Tiefe der Rindenzone ein
(Ovarialschläuche). Das gefasshaltige Stroma
durchwächst diese Zellzapfen und trennt sie
in kleinere Zellgruppen. Innerhalb der kleinen
Zellhaufen gedeiht eine Keimepithelzelle in
besonderer Grössenzunahme und wird zum
Primordialei, während die übrigen Keim¬
epithelien des Häufchens klein bleiben und
die grössere, d. h. die entstandene Eizelle
cemiren. Durch die Einwucherung des Binde-
gewebsstromas zwischen und in die Zellstränge
werden letztere in so viele Zellhaufen abge¬
schnürt, bis jeder Zellhaufen nur eine centrale
grössere, d. h. primäre Eizelle enthält. In der
Regel ist diese Primordialei- und Primordial¬
follikelbildung mit der Geburt des Thieres
beendet, es mag aber auch Vorkommen, dass
in höheren Lebensaltern noch Epithelein¬
senkungen und neue Follikel sich bilden. Die
Eier sind also nichts Anderes als besonders
entwickelte Keimepithelien. Nur selten kommen
in einem Follikel zwei Eier vor. Die Primor¬
dialfollikel beginnen sich alsdann zu ver-
grössern, indem die Follikelzellen sich ver¬
mehren und daher der Wandbesatz der vom
Epithel gebildeten Höhle dicker wird.
Wenn der Wandbesatz dann aus mehreren
Zellenlagen besteht und so eine membranöse
Auskleidung der im Bindegewebe gegebenen
Lücke bildet, spricht man von Membrana
granulosa und nennt die ursprünglichen Keim¬
epithelien, jetzigen Follikelepithelien, Granu-
losazellen. Dieses Follikelepithel vermehrt
sich nicht nur, sondern führt auch dem Ei
Nährstoffe zu und scheidet eine Art cuticularer
Hülle um dasselbe ab (die zona pellucida,
welche dann einen Bestandtheil des Eies
selbst bildet). An einer Seite des Eies sam¬
melt sich zwischen den auseinanderweichenden
Granulosazellen Flüssigkeit in allmälig zu¬
nehmender Menge an (der Liquor folliculi),
wodurch die Follikelhöhle immer grösser und
so successive für das Ei der Weg zur Eier¬
stocksoberfläche gebahnt wird. Wenn diese
Flüssigkeitshäufung beginnt, werden die Fol¬
likel dem blossen Auge sichtbar. Das Ei
selbst liegt excentrisch in der Höhle und
bleibt von Granulosazellen umschlossen, dieser
Haufen Granulosazellen inclusive des in seiner
Mitte steckenden Eies bildet so eine hügelige,
29
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450
EIERSTOCKBAND. — EIERSTOCKCYSTEN.
in den Hohlraum des Follikels vorspringende
Scheibe am Wandbesatz* (Discus oder cumulus
proligerus).
Wenn durch die Liquor-Anhäufung der
Follikel zum Bläschen gereift ist, nennt man
ihn Graafsches Bläschen nach dem Entdecker,
und haben die Bläschen dann rundliche, später
ovale Gestalt, schliesslich, wenn sie der Ober¬
fläche des Eierstockes durch Grössenzunahme
näher rücken, ragen sie sogar buckelförmig
über dieselbe empor. Das den Follikel un¬
mittelbar begrenzende Bindegewebe wird Theca
folliculi genannt, dessen innere den Granulosa-
zellen anliegende Schicht wird als Tunica
propria, dessen periphere dicht fibrilläre
Schichte als Tunica fibrosa unterschieden.
Durch die reichliche Gefass- und Lymphnetz-
entwicklung, welche während . des Follikel-
entstehens in nächster Nähe der Theca statt¬
hat, scheidet sich die Theca schärfer vom
übrigen Stroma und kann deshalb bei manchen
Thieren der ganze Follikel leicht aus dem
Eierstocke geschält werden.
Nur an der Partie des Follikels, welche
frei auf die Eierstocksoberfläche vorragt, findet
keine Gefässentwicklung statt, sondern bleibt
eine gefasslose, stark verdünnte Theca (Macula
pellucida folliculi); an diesem Flecke platzt
bei der Reife der Follikel. Neben Primordial-
und reifen Follikeln findet man auch öfters
rückgebildete, nicht zum Platzen gekommene
Follikel im Eierstocksstroma, welche als ge¬
faltete mit degenerirenden Granulosazellen
gefüllte Räume oder Cysten sich darstellen. Es
f eht sogar die grösste Zahl der Eier innerhalb
er Ovarien wieder zu Grunde, und obliteriren
die bezüglichen Follikel. Wenn der Follikel
seine physiologische Entleerung eingegangen,
so kommt eine Neubildung zu Stande, welche
als falscher und wahrer gelber Körper (Corpus
luteum spurium und verum) unterschieden
wird. Letzterer bildet sich nur, wenn das Ei
befruchtet wurde und sich zum Embryo weiter¬
gestaltet, und erreicht eine sehr erhebliche
Grösse, der falsche gelbe Körper, der bei steril
bleibendem Ei nach dessen Abgang sich ent¬
wickelt, bleibt so klein wie der Follikel war
und verschwindet bald. wieder. Vermehrte
Ernährung in Folge der physiologischen
Hyperämie bei Beginn der Trächtigkeit ist
Ursache der Ausbildung des wahren gelben
Körpers.
Wenn bei der durch die Vermehrung des
Follikelinhaltes herbeigeführten Ruptur der
Theca keine Blutung erfolgt, so füllt sich die
Höhle mit einer gelatinösen Masse; gewöhnlich
tritt aber eine mehr oder weniger ergiebige
Blutung ein, das Lumen füllt sich mit gerin¬
nendem Blute, welches später Pigmentum¬
wandlung und Farbeänderungen eingeht, und
kommt dann eine aus grosszelligem Keim¬
gewebe sich bildende Füllmasse zu Stande,
durch welche der gelbe Körper repräsentirt ist.
Dieses junge Keimgewebe entsteht aus
einwandemden weissen, sich zu Fibroblasten
umwandelnden Blutzellen, die durch solche
Umwandlung sich als grosskernige gelbpig-
mcntirte Zellen dem Beobachter darbieten.
Nach anderen Autoren soll das Keimgewebe
aus den zurückgebliebenen Granulosazellen
oder Thecabindegewebszellen sich entwickeln.
Nach Ablauf der Trächtigkeit geht das Keim¬
gewebe eine Rückbildung ein, indem sich
eine fibröse Umwandlung der Zellen geltend
macht, wonach eine zellarme homogene Binde-
gewebsmasse restirt (Corpus fibrosum albicans).
Bei Nichtbefruchtung der abgegangenen Eier
erfolgt diese Rückbildung viel rascher. War
zur Zeit des Eiabgangs eine Blutung aufge¬
treten“(Pferd, Schwein, Fleischfresser), so findet
sich noch gelbes und bräunet Pigment in dem
vernarbten Follikel und dessen Umgebung,
namentlich den Lymphräumen.
Nach Rückbildung der gelben Körper
erhält bei einigen Thierarten die Eierstocks¬
oberfläche ein unebenes Aussehen durch die
narbigen Einziehungen; bei eierlegenden Thieren
kommen keine gelben Körper, d. h. keine Ge¬
websneubildung zu Stande, sondern die Folfikel-
wände erhalten sich eine Zeit als offene
becherförmige Anhänge, verkleinern sich suc-
cessive und schrumpfen schliesslich ganz ein.
Das Keimepithel, welches in der Zeit der
Geburt am ausgebildetsten ist, ebenso wie
die Zahl der Eifollikel um diese Periode das
Maximum erreicht, geht während des extra¬
uterinen Lebens eine Verkümmerung ein; beim
Pferd sch windet es völlig, durch das Z wischen-
wachsen der gefässarmen Albuginea wird die
spätere Absenkung von Ovarialschläuchen dann
behindert. Zuweilen mögen noch nachträglich
Epithelabschnürungen stattfinden. Näheres über
Eiabgang s. Physiolog. Theil. Kitt.
Eierstockband, s. Eingeweidebänder und
Eierstock.
Eierstockblutungen kommen besonders
zur Zeit der Brunst verbunden mit Hyper¬
ämien der Ovarien, bei Ablösungen der Ovula
und Berstung der Graaf sehen. Follikel vor.
Das Blut wird meist in die Follikel ergossen „
und nach erfolgtem molekularen Zerfall mit
Hinterlassung eines Pigmentfleckes resorbirt,
oder es bildet sich nach Resorption des Blutes
in dem erweiterten Follikel eine seröse Cyste.
In anderen Fällen ergiesst sich das Blut
nach Berstung der Follikelwand in die Bauch¬
höhle. Seltener sind Blutungen ins Ovarial-
parönchym mit blutiger Infiltration des ganzen
Eierstocks. Die Eierstockblutungen sind meist
unbedeutend und gefahrlos. Nur bei Castrationen
erwachsener weiblicher Hausthiere zur Zeit der
Brunst kann es zu lebensgefährlichen Blutungen
aus den Ovarialgefassen kommen. Ausserdem
werden in der Literatur (Bouley, Lafosse,
Renault, Kund) Fälle citirt, wo bei Stuten
und Kühen tödtliche spontane Blutungen aus
den Ovarien erfolgten mit Bildung grosser
Blutcysten, die 24—28 8* schwer waren, oder
mit Erguss von Blut frei in die Bauchhöhle. Sr.
Eierstockcysten zerfallen in drei Gruppen
u. zw.: 1. seröse Follicularcystcn, 2. Proli-
ferirende Myxoidcystome und 3. Dermoid¬
cysten. Die Foilicularcysten entstehen ent¬
weder in Folge von Blutungen in die Graaf-
schen Follikel oder aus den Corpora lutea
oder einfach durch Ansammlung seröser,
EIERSTOCKENTARTUNGEN. — EIERSTOCKENTZÜNDUNG. * 451
Flüssigkeit oder Hydrops der Graaf’schen
Follikel. Die Follicularcysten werden bohnen-
bis hühnereigross und noclr grösser, sind an
ihrer Innenfläche mit einem abgeflachten
•Cylinderepithel ausgekleidet und enthalten
eine klare, seröse Flüssigkeit; seltener ist
der Inhalt röthlich, .trübe, flockig, eitrig oder
eingedickt. Durch Schwand der Scheidewände
confluiren oft nebeneinanderliegende Cysten,
und das ganze Ovarium entartet zu einem
grossen, mit seröser Flüssigkeit gefüllten Balg.
Durch derartige cystoide Entartungen werden
die Ovarien (besonders bei Stuten) 10—15#
schwer und füllen einen grossen Theil der
Bauchhöhle aus. Seltener kommen bei den
Hausthieren die proiiferirenden Cystome vor.
Dieselben zerfallen in Drüsen- und Zotten-
cystome (Cystoma proliferum glanduläre und
papillare) und gehen durch Proliferation aus
den Drüsenschläuchen des Ovariums hervor.
Sie bilden oft kopfgrosse Geschwülste und
bestehen aus einer dicken äusseren Kapsel,
die zahlreiche Scheidewände ins Innere hinein¬
schickt und so secundäre, tertiäre etc. Cysten
bildet. Ihre Wandung ist mit einem Cylinder-
oder Plattenepithel ausgekleidet, der Inhalt
schleimig oder breiig, zellenreich, oft fettig
oder atheromatös entartet oder theilweise
verkalkt. Die entarteten Ovarien hängen meist
durch Mnen dünnen Stiel mit dem Uterus
zusammen, reissen wohl auch ganz ab und
liegen dann frei in der Bauchhöhle. Ebenso
sind Dermoidcysten in den Eierstöcken bei
den Hausthieren selten. Dieselben enthalten
einen haarigen Brei, wohl auch Knochen und
Zähne, und erreichen zuweilen eine beträchtliche
Grösse. Nur sehr zahlreiche und sehr grosse
EierstockcYsten verursachen Störungen des
Wohlbefindens, Verdauungsstörungen, Ath-
raungsstörungen, Umschnürungen des Darms,
mit nachfolgenden Berstungen und Entzün¬
dungen wohl auch Peritonitis.
Die Behandlung der Eierstockcysten
besteht in operativer Entfernung derselben
durch Ovariotomie (s. d.), Zerquetschung und
Abreissen derselben vom Mastdann aus oder
Injectionen von Jod. Scmmer.
Eierstockentartungen bestehen bei den
Hausthieren am häutigsten in cystoider und
fibröser Degeneration (Pferd) und in tuber-
culöser Entartung bei Rindern mit nach¬
folgender Unfruchtbarkeit, häufig wieder¬
holter Brunst, Stiersucht, Monatreiterei, ver¬
bunden mit allgemeiner Tuberculose. Sr.
Eier8tockentziindung, Oophoritis. Sie zer¬
fällt in eine parenchymatöse (folliculäre) und
interstitielle und dem Charakter nach in eine
seröse (Oophoritis serosa) und eitrige (Oopho¬
ritis suppurativa). Die Entzündung beginnt
mit lebhafter Injection. Röthung, Schwellung,
dann folgt seröse oder eitrige Exsudation,
das Ovarium vergrössert sich um das Zwei- bis
Dreifache seines nonnalen Volumens und wird
schmerzhaft. Die Thiere zeigen einen gespann¬
ten Gang mit den Hinterfüssen und Schmerzen
beim Druck auf die Flanken. Durch den Mast¬
darm lässt sich das vergrösserte schmerzhafte
Ovarium leicht durchfühlen. Meist ist die
Eierstockentzündung mit Fieber, vermindertem
Appetit, Anfällen von Schwindel und Brunst,
und wohl auch mit Schwellungen des Euters
verbunden. Der Verlauf der Oophoritis ist
acut oder chronisch, der Ausgang Genesung
oder bleibende Hypertrophie, Verdickung,
Cystenbildung oder-Eiterung und Abscess-
bildung. Die Abscesse können mit den benach¬
barten Organen, mit der Bauchwand, dem Darm,
der Harnblase, den Tuben, dem Uterus, der
Vagina verwachsen mit Durchbruch in diese
Organe oder Durchbruch frei in die. Bauch¬
höhle mit Eitererguss in dieselbe und nach¬
folgender Peritonitis. Die Ursachen der Eier¬
stockentzündung sind selten traumatische,
meist entsteht die Entzündung nach der Ge¬
burt oder nach Abortus und als Complication
der Entzündungen des Uterus und der Tuben,
des Peritoneums und anderer benachbarter
Organe. Sem/^r.
Die Eierstockentzündung ist eine
bei Thieren nicht häufige, fast nur bei
Stutern und Kühen auftretende, sozusagen
immer chronisch verlaufende Krankheit, die
primär oder secundär sich ausbildet. Die
primäre Eierstock entzündung ist selten und
hängt mit den weiblichen Geschlechtsfunc¬
tionen, namentlich mit der Ovulationsperiode,
in welcher die Eierstöcke sich in einem mehr
oder minder starken «jcongestiven, mehr oder
minder gereizten Zustande befinden, zusammen.
Die secundäre Ovaritis ist meistens die Be¬
gleiterin einer Bauchfell- oder einer Frucht-
hälterentzündung. Bei den Kühen üben die
auf dem Bauchfelle und den Baucheingewciden
sitzenden Perlknoten mitunter einen Reiz auf
die Eierstöcke aus, der dann zu einer chro¬
nischen Entzündung derselben führt. Oft, be¬
rührt die Entzündung nur einen Eierstock.
Folgen der Ovariti9 sind: Hauptsäch¬
lich cystoide Entartung der Eierstöcke,
namentlich bei der Stute und der Kuh; die
Graafschen Follikel wandeln sich 'zu ver¬
schieden grossen Blasen um; bei der Kuh
erlangen dieselben oft einen sehr grossen
Umfang; der Eierstock findet sich zu einer
kugeligen, mit einer blutig-serösen Flüssig¬
keit gefüllten Cyste umgewandelt; solch ent¬
artete Eierstöcke fühlen sich, vom Mastdarme
aus als bedeutende Geschwülste an. Dann
wieder in Folge von Berstung kleiner Blut¬
gefässe verschieden grosse Blutcysten auf
der Aussenfläche der Ovarien; ferner durch
Wucherung des Stromas Hypertrophie des
Bindegewebes und Atrophie des Ovarijims,
sowie auch wieder Abscessbildung und bei
Durchbrechung der Abscesse in die Bauch¬
höhle eine tödtliche Entzündung des "Bauch¬
felles. Bei Entzündung und Entartung beider
Eierstöcke sind und bleiben die Thiere, weil
bei solchen Zuständen die Entwicklung der
Eichen unmöglich wird, unfruchtbar.
Prognose. Diese ist eine ungünstige,
zwar nicht so sehr wegen der directen Lebens-
gefahrdung als wegen der durch die Ent¬
zündung und deren Folgezustände bedingten
Sterilität'.
29*
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452
EIERSTOCKFRANSE. — EIGENWÄRME.
Symptom«. Die fast ausnahmslos chro¬
nisch verlaufende Eierstockentzündung mani-
festirt sich äusserlich durch einen gesteigerten
Geschlechtstrieb, der bei der Kuh mit dem
Namen Stiersucht, Nymphomanie, bezeichnet
wird. Die Thiere sind mehr oder minder heftig
aufgeregt, benehmen sich unbändig; die
Stuten sind bei jeder. Berührung kitzlich,
schreien, spritzen Schleim und Häm aus der
Vulva, sind, wie man sagt, beständig rossig. Die
Kühe stampfen mit den Füssen, brüllen fast wie
Stiere, steigen auf andere Thiere, woher die
Namen brüllig, Brüllerkrankheit und Stier¬
sucht. Bei solchen Kühen besteht durchwegs
ein Einsenken der breiten Beckenbänder, ein
Eingefallensein des Kreuzes zu beiden Seiten
der Schweifwurzel.
Behandlung. Diese ist theils eine
palliative, theils eine radicale. Die erstere
besteht in der Abhaltung aller irgendwie
reizenden, aufregenden äusseren Einflüsse,
so z. B. Abhaltung des Lichtes, Absonderung
von Thieren der gleichen Gattung, Ausschlies¬
sung stark nährender, reizender Alimente.
Bei Eierstockcysten sucht man nach Zangger
die Cysten durch die in den Mastdarm ein¬
geführte Hand zu zersprengen. Eine eigent¬
liche Radicalheilung der Nymphomanie ver¬
schafft jedoch nur die Ovariotomie, d. h. die
Castration (s. d.). Strebei.
Eierstockfranse, s. Eierstock.
Eierstockgeschwüfete. Ausser Cysten und
cystoider Entartung kommen noch in den Eier¬
stöcken vor: Fibroide, Sarcome, Carcinome
und Tuberkel, letztere bei tuberculösen Rin¬
dern sehr häufig. Kleinere Geschwülste sind
ohne besondere Bedeutung, grössere dagegen
bedingen Lageveränderungen, Zerrungen der
Mutterbänder, der Uterushörner, Darmum¬
schlingungen und andere Störungen und ver¬
langen operative Beseitigung durch Ovario-
toraie. Semmer.
Eierstockschwangerschaft ist eine sehr
selten vorkommende Form der Trächtigkeit.
Das schon im Eierstocke nach der Berstung
des Follikels befruchtete Ei bleibt, statt zu
seiner weiteren, vollen Entwicklung in die
üterushöhle einzuwandern, in der leeren
Follikclhöhle zurück, wo es aber in Folge
Mangels an dem nothwendigen Ernährungs-
material keine weitere Entwicklung erlangt,
sondern abortiv zu Grunde geht. Strebei.
EifeUchwein. In der Rheinprovinz findet
sich ein kleines, hochbeiniges, schwarzweiss¬
geflecktes Schwein vor, welches so genannt
wird und weniger zur Mast als zur Fleisch¬
nützung geeignet ist. Koch.
Eigenthum8recht ist das Recht eines jeden
wirklichen und alleinigen Eigenthümers einer
unbeweglichen oder beweglichen Habe, nach
Belieben frei darüber zu verfügen und fremde
Einmischungen und Eingriffe zurückzuweisen.
Das Eigenthumsrecht an ein Object geht
durch zufälliges Verlieren oder durch an dem¬
selben ausgeübten Raub und Diebstahl nicht
verloren. Das verlorene, geraubte oder ge¬
stohlene Gut kann vom Eigenthümer durch
die Eigenthumsklage (rei vindicatio) zurück¬
gefordert werden. Das Eigenthumsrecht an
irgend einem Object geht nur durch wirkliche
freiwillige Uebergabe oder Tradition durch
Schenkung, Kauf, Tausch etc. von dem bis¬
herigen Eigenthümer auf einen andern über»
Der bisherige Besitzer des Objects muss aber
nachweisen, dass er wirklicher und alleiniger
Eigenthümer und nicht blos zufälliger Besitzer
oder Theilhaber an demselben ist. Vor erfolgter
Uebergabe oder Tradition ist der Käufer noch
nicht Eigenthümer. Durch den Vertrag (Con-
tractus,Pactio,Conventio) erwachsen noch keine
Eigenthumsrechte, sondern blos Forderungs¬
rechte auf die Tradition. Semmer.
Eigenwärme, besser specifisch e Wärm e T
s. Wärme (physikalisch). ■ -
Als thierische Eigenwärme be¬
zeichnet man bei warmblütigen Thieren und
beim Menschen die Eigenwärme des Körpers,
welche durch physiologische Einflüsse und
auch durch pathologische Processe innerhalb
enger Grenzen Schwankungen erfährt. Als
physiologische Einflüsse machen sich das
Klima und der Stoffwechsel geltend.
In den tropischen Gegenden ist die Körper¬
wärme um 0 5° C. höher als in der gemäs¬
sigten Zone; hier ist sie während sehr kalter
Wintertage um 0*1—0*3°C. geringer als zur
heißsen Sommerszeit.
Dass durch den Stoffwechsel die' Eigen¬
wärme der Thiere beeinflusst werden muss,
ergibt sich schon daraus, dass die einge¬
nommenen Nahrungsmittel in erster Linie
dazu dienen, gleichsam als Heizmaterial die
thierische Wanne zu erhalten. Die normale
Temperatur des Menschen und der warm¬
blütigen Thiere ist, wie bald gezeigt wird,
stets höher als die der sie umgebenden Luft,
in Folge dessen gibt der Körper stets mehr
oder weniger Wärme durch Strahlung an die
kältere Luft ab; auch bei der Verdunstung
des Wassers durch die Haut und durch den
Athem wird eine grosse Menge Wärme ge¬
bunden. Nun sind aber sämmtliche warm¬
blütigen Thiere so organisirt, dass ihre
Blutwärme eonstant bleiben muss, daher
heissen sie auch eonstant temperirte, Homoio-
therme, im Gegensatz zu den kaltblütigen
Thieren mit variabler Eigenwärme —
Poikilotherme, deren Blutwärme je nach der
Temperatur des umgebenden Mediums (Luft
oder Wasser) gesteigert oder herabgesetzt wird.
Wir sehen bei den warmblütigen Thieren
durch Fasten die Eigenwärme des Körpere
geringer werden, als sie bei normaler Er¬
nährung ist, sie sinkt während des Hungerns
in den ersten Tagen beträchtlich, bleibt dann
längere Zeit hindurch eonstant und fällt in
den letzten Tagen noch um ein Bedeutendes.
Schmidt fand die Temperatur einer Katze,
die er verhungern liess, am 15. Tage mit
38*6°C., am 16. Tage 38‘3°C., am 17. Tage
37*64°C., am 18. Tage 35*8°C. und am
19. Tag (Todestag) 33*0°C. Bei den Hunger¬
versuchen, welche Chossat an Säugethieren
und Vögeln ausführte, sank die Temperatur
am Tag des Absterbens um 16° C. unter das
Normale.
EIGENWÄRME.
453
Von Wichtigkeit für die Praxis sind die
normalen Schwankungen, welche die Eigen¬
wärme der Thiere in den verschiedenen
Tageszeiten erfährt und 0*5—1*5° C. stei¬
gend oder . sinkend betragen können, und
welche auch in den Remissionen und Exa¬
cerbationen derFebris continua ihren Ausdruck
finden, indem die höchste Fiebertemperatur
gewöhnlich in jene Zeit fällt, in welcher auch
im normalen Zustande die höchste Tages¬
temperatur eintritt. Die normale Temperatur
ist nämlich bei Thieren am höchsten gegen
4 Uhr Nachmittags, und das Maximum erhält
sich bis gegen Abend, von 9 Uhr Abends
bis nach Mitternacht vermindert sich die
Temperatur, um Mitternacht das Minimum
erreichend, von hier ab steigert sie sich bis
zum Morgen, ohne jedoch die Höhe der abend¬
lichen zu erreichen, von da an bis Mittag
sinkt und dann steigt sie wieder bis zum
Maximum um 4 Uhr Nachmittags. Th an¬
hoffe r theilt in den „Grundzügen der ver¬
gleichenden Physiologie“ (Stuttgart 1885)
nach den Untersuchungen von Liska von
der Klinik des Professor Azary die nach¬
stehende tabellarische Uebersicht von Maximal-
undMinimaltemperaturwerthen einzelner Haus-
thiere zu verschiedenen Tageszeiten mit:
Thier (genährt)
Temperatur
5 Uhr
Morgens
1 Uhr
Mittags
7 Uhr
Abends
Minimum
ß
9
B
*S
cs
s
Minimum
Maximum
Minimum
Maximum
Diophantus 3y a jähr. Hengst
37 6
379
37-7
37*9
37-6
38-0
Mtyostoso 3 „ *
37*7
38-0
37'8
38*2
37-7
38*2
Orange 3
37*7
38’1
37*9
38-1
379
38-2
Machbet 3 „ „
37*7
38*3
37-9
38’3
379
384
Allgäuer Stier 9 Monate alt
37*9
38-1
38-2
386
38'2
38-5
Ferkel 4 Monate alt.
33 3
38-6
38*4
38*6
384
386
* 6 „ * .
38*4
38-7
38*5
386
00
CO
38-7
Diese Schwankungen der Temperatur
hängen wohl zumeist mit der Ernährung
zusammen; dass diese jedoch nicht die ein¬
zige Ursache derselben ist, zeigt sich schon
dadurch, dass auch an hungernden Thieren
in den entsprechenden Tageszeiten die
Schwankungen in gleicher Richtung, wenn
auch innerhalb engerer Grenzen beobachtet
wurden, überdies auch durch die obenerwähnten
Schwankungen während des Fiebers, bei
welchem das Thier ebenfalls kein Futter
annimmt. Aehnliche Schwankungen der Tages¬
temperatur (um + 1° C.) sind auch beim
Menschen constatirt.
Von Einfluss auf die Eigenwärme des
Körpers sind: 1. DieKörpergrösse; grössere
Thiere verlieren relativ weniger Wärme als
kleinere, u. zw. weil die Körperoberfläche der
ersteren im Verhältnis zum Volumen des
Thieres relativ geringer ist als bei letzteren.
2. Das Lebensalter. Beim Menschen ist
die Eigenwärme des ungebornen Kindes etwas
höher als die des Uterus der Mutter. Nach
der Geburt zeigt das Kind eine Temperatur
von 37*5—37*8% welche nach dem ersten
Bade auf 37*0° fällt; bis zur Pubertät sinkt
die Eigenwärme um 0*2°, von da an bis zum
50. Jahre abermals um das Nämliche, nach
dem 60. Jahre steigt die Temperatur wieder,
um beim 80jährigen diejenige desNeugebornen
zu erreichen. 3. Das Geschlecht übt nach¬
weislich keinen Einfluss auf die Eigen¬
wärme aus.
Von äusseren Einflüssen wären hervor¬
zuheben grosse Blutverluste als die Tem¬
peratur herabsetzend. Aderlässe vermindern
dieselbe um 1—2°C. Die Eigenwärme des
Hundes kann nach langdauernden Blutver¬
lusten um 6—8° unter das Normale sinken.
Alkohol, Chloroform, Digitalis, Nicotin und
die bekannten antifebrilen Medicamente wirken
ebenfalls erniedrigend auf die Eigenwärme
des Körpers. (Leichtes Erfrieren der Be¬
trunkenen.)
Bei künstlicher Steigerung der
Eigenwärme durch warme Bäder oder heisse
Luft fand man, dass Thiere, welche constant
einer Temperatur von 40° C. ausgesetzt waren,
keine Wärme mehr an ihre Umgebung ab-
gaben, sondern dieselbe im Körper anhäuften.
Hiebei sinkt erst die Eigenwärme, um dann
zu steigen. Erreicht die Temperatur 4—6°
über das Normale, so treten frequente Respi¬
ration und schneller, unregelmässiger Puls
auf, später grosse Schwäche und Krämpfe,
und das Thier stirbt nach 6—8 Stunden. In
einer Temperatur von 100° C. stirbt ein Säuge¬
thier nach 15—20 Minuten ab. Das Fieber
ist ebenfalls durch Erhöhung der Blutwärme
gefährlich (s. Fieber); bei 42*6° soll das Blut
nach Weikart bereits in den Gefässen
gerinnen. Kaltblütige Thiere vertragen eine
höhere Temperatur von 6—10° C. auch nur
für kurze Zeit. Das Froschherz steht schon
bei 40° C. still. Es ist also das Leben der
Kaltblüter an niedrigere Temperaturgrenzen
gebunden als das der Warmblüter.
Die künstliche Herabsetzung der
Eigenwärme wirkt bei warmblütigen Thieren
in folgender Weise. Bringt man Kaninchen
durch eine Kältemischung auf die Temperatur
von 18° C., so werden sie sehr abgeschlagen,
der Puls fällt von 100—150 auf 20 in der
Minute, die Respiration wird oberflächlich,
der Blutdruck sinkt auf einige Millimeter.
Diesen Zustand hält das Thier 12 Stunden
aus, dann folgt Tod unter Krämpfen durch
Erstickung. Ein auf 18° C. abgekühltes Thier
kann durch Wärmezufuhr und künstliche
Respiration noch zum Leben gebracht werden,
wenn der scheintodte Zustand nicht über
40 Minuten gedauert hat. Es gelang übrigens,
ausgewachsene Thiere auf 9° C., junge auf
5° C. abzukühlen und sie dann wieder zum
Leben zu bringen. Bei Winterschläfern sinkt
die Eigenwärme im Winter nur 1—2° unter
die der Somraerluft. Hingegen können Frösche
auf 0° abgekühlt werden, ja so weit, dass ihr
Blut gefriert und sich in der Bauchhöhle
Eisstücke bilden, und man kann sie nachher
wieder zum Leben erwecken. Nach Schenk
,454 - „ EIHALTER.
können gefrorene Hühnereier noch ausgebrütet
werden. Auch durch Firnissen der Haut
wird die Eigenwärme der Thiere herabgesetzt
(s. Respiration). * Loebisch.
Eihälter, s. Eileiter der Vögel.
Eihäute bei den verschiedenen Haus¬
sieren. Man begreift darunter eine Reihe von
Häuten, welche den Fötus einschliessen, die,
zum Theil mit Flüssigkeit gefüllt, den Uterus
gleichförmig ausfüllen und den Zweck haben,
einerseits das Junge vor Quetschungen und
Druck von der Umgebung zu sichern, anderer¬
seits dasselbe mit der Mutter in mittelbare
Verbindung zu bringen. Diese Häute heissen:
1. das Chorion; 2. die Allantöi§ oder Harnhaut;
3 die Schafhaut (Amnion); 4. der Nabelstrang;
5. das Nabelbläschen (vgl. u. Allantois, Fig. 43).
* 1. Das Chorion ist die äusserste Hülle
der Frucht und bildet den wichtigsten Theil
der Eihäute namentlich in geburtshilflicher
Beziehung. Es stellt einen .geräumigen, je
. nach der Thiergattung etwas verschieden
gestalteten, sämmtliche Theile der Frucht
vollständig umgebenden Sack dar und trägt
auf seiner äusseren Oberfläche mit Gefäss-
"capillaren versehene Zotten — die Frucht¬
kuchen — die bei den Einhufern in drüsen¬
ähnliche, gleichfalls mit Gefässcapillaren ver¬
sehene, während der Trächtigkeit sich bildende
Vertiefungen der Uterusschleimhaut, bei den
Wiederkäuern in die Vertiefungen der vorge¬
bildeten, gegenüberliegenden Fruchtwarzen
hineinragen, durch welche Anordnung an
diesen Stellen zwischen den Gefässen der
Mutter und der Frucht ein mittelbarer Aus¬
tausch von Flüssigkeit stattfindet. — Bei den
Einhufern bildet das Chorion einen grossen,
zweihömigen Sack, dessen äussere Fläche
gänzlich mit röthlichen, sehr kurzen Gefäss-
papillen bedeckt ist. Die Verbindung dieser
Wärzchen mit der Uterinschleimhaut ist eine
nur schwache. Zwischen diesen Zotten und
der Uterinschleimhaut findet sich eine geringe
Menge einer bräunlichen Flüssigkeit vor. Die
innere Chorionfl^che ist äusserst locker mit
dem äusseren Blatte der Allantois verbunden.
— Bei den Wiederkäuern stellt das
Chorion einen langen, zweihörnigen Sack dar,
der die beiden Uterushörner und den ver¬
kleinerten Fruchthälterkörper durchzieht* Es
besteht bei diesen wie bei den Einhufern
aus zwei Schichten: aus einer bindegewebigen
äusseren und einer inneren, von der Allantois
abstammenden Gefässchichte. Die innere
Fläche des Chorions wird in der Regel an
den beiden Enden oder Polen von der Allan¬
tois durchwachsen. Diese Fläche trägt auch
die zahlreichen Gefässverästelungen, durch
welche das uterine Ende des Nabelstranges
endigt. An der ganzen Oberfläche des Chorions
sprossen in gewisser Distanz von einander
während der fötalen Entwicklung gefässreiche
Zöttchen hervor, die gleichmässig mit dem
Wachsthum der Fruchthälterwarzen — Koty¬
ledonen — in welche sie hineinragen, an-
wachsen und die Fruchtkuchen bilden, deren
«s ebensoviele als vorgebildete Tragsack¬
warzen gibt; es besteht daher bei den Wieder-
- EIHÄUTE.
käuern eine multiple Placenta. Die ellipti-
formen, verschieden grossen Fruchtkuchen
(die grösseren befinden sich im mittleren
Choriontheile) bestehen aus einer Masse von
konischen, 10—:15mm langen,, stark ver¬
ästelten Gefässzöttchen. Der Stiel jedes Zotten¬
bäumchens hat nur eine Arterie und eine Vene,
von denen aus die ganze reiche Gefässver-
zweigung desselben ausgeht (Birnbaum). Die
grössten Fruchtkuchen erreichen eine Länge
von 15 cm und eine Breite von 5—6 cm. Beim
Rinde sind die Fruchtkuchen concav, beim
Schaf und der Ziege convex. Die in den
Zwischenräumen der eigentlichen Frucht¬
kuchen auf dem Chorion aufsitzenden, nur
in den selteneren Fällen sich weiter ent¬
wickelnden Zöttchen können als accessorische
Placenten betrachtet werden. In den Fällen
nun, wo in Folge von Fruchthälterentzün-
dung die Karunkeln veröden oder in Folge
dieser oder jener Ursache sich von der Uterus¬
schleimhaut lostrennen oder auch ausgerissen
werden, scheinen diese accessorischen Pla¬
centen die Function der verödeten oder ver¬
lorengegangenen Fruchthälterwarzen zu ver¬
richten. — Beim Schweine bildet das
Chorion einen langen Sack, dessen Endtheile
bedeutend über diejenigen des Fötus hinaus-
ragen und, ohne mit einander zu verwachsen,
mit den Eisackpolen der benachbarten Früchte
zusammenstossen und sich in sich selbst ein¬
stülpen. An beiden Polen wird das Chorion
von der Allantois durchwachsen und bildet
an der Durchwachsungsstelle einen narbigen
Ring. Nie geht ein Theil des Eisackes von
einem Horn in das andere. Die Verbindungs¬
verhältnisse der inneren Chorionfläche sind
dieselben wie bei den Wiederkäuern. Die
Oberfläche trägt, statt der genau umschrie¬
benen Placenten bei der Kuh und beim Schafe,
viel kleinere und zahlreichere Zöttchengruppen.
Die Zöttchen sind klein, erreichen kaum die
Länge von 3 mm und stehen in querverlaü-
fenden Reihen. Daneben bestehen rundliche,
durchscheinende Knötchen mit Capillarnetzen
in ihrem Innern. In Folge der Sicheinstülpung
und Functions Unfähigkeit der Eisackpole
findet sich das Chorion nur in der Mitte des
Eies und beschränkt sich auf etwa ein Drittel
der gesammten Oberfläche desselben. — Beim
Hunde und der .Katze stellt das Chorion
einen elliptischen Sack ^dar, dessen abge¬
rundete Pole beim Vorhandensein mehrerer
Früchte gleichwie beim Schweine mit den¬
jenigen der benachbarten Früchte zusammen-
stosseu, allein nicht mit einander verwachsen.
Die Oberfläche des Chorions ist in seiner
grössten Ausdehnung glatt und hat ausser an
der mit dem Fruchtkuchen correspondirenden
Stelle keine Verbindung mit dem Uterus. Der
Fruchtkuchen ist einfach und stellt einen um
den Aequator des Eies herumlaufenden, 4 bis
5 cm breiten und einige Millimeter dicken,
etwas schmutzigröthlichen Gürtel dar, dessen
Ränder bei der Hündin stark grünlich gefärbt
sind. Er besteht — gleichwie bei den Wieder¬
käuern — aus vielfachen, langen, verästelten"
Gefässpapillen, deren Spitze in die auf der
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EIHAUTE. 455
Uterusschleimhaut - neugebildeten Follikel
hineinragt. Wegen der zahlreichen Querver¬
bindungen können bei der Hündin die Zotten
des Fruchtkuchens nicht ohne Verletzungen
aus dem Mutterkuchen herausgezogen werden.
Am Bande des Fruchtkuchens laufen die Haupt-
gefässäste, namentlich zwei stärkere Venen.
2. Allantois. Diese stellt eine grosse,
ausserhalb der Bauchhöhle des Fötus ge¬
legene Harnblase dar und steht durch einen
im Nabelstrang eingeschlossenen Canal (Ura-
chus) mit dem Scheitel der fötalen Harnblase
in Verbindung. Die Harnhaut zerfällt in ein
äusseres Blatt, das sich mit dem Chorion ver¬
bindet, und ein inneres Blatt, das sich, mit
Ausnahme bei den Einhufern, locker auf
die Schafhaut auflegt. Bei den Einhufern ver¬
einigen sich die Blätter der Allantois innig
mit den Wänden der Schafhaut und des
Chorions. Bei den Fleischfressern ist die Ver¬
bindung des äusseren Blattes mit dem Chorion
eine weniger intime als bei den Einhufern.
Mit der Harnhaut laufen die Nabelgefässe
zum Chorion hin; die Hauptaufgabe der Ham-
haut besteht darin, die Gefässe vom Fötus zum
Chorion hinauszutragen und damit eine mittel¬
bare Gefässverbindung zwischen Mutter und
Frucht herzustellen.
Beim Pferde bildet die Allantois einen
die ganze Schafhaut umgebenden Hohlraum,
bei den Wiederkäuern dagegen einen zwei-
hömigen Sack, dessen Hörner die Hörner des
Chorions gänzlich ausfüllen. In Folge des
starken Anwachsens der Allantois durchwächst
dieselbe das Chorion an dessen beiden Polen,
wodurch sich die sog. Allantoisanhänge oder
die Harnsackzipfel ausbilden, welche in Folge
ihrer Abschnürung vom Chorion mehr oder
minder veröden. Der Urachus, der vom mitt¬
leren Theile der Allantois aus zum Fötus
zieht, ist bei den Wiederkäuern zur Zeit der
Geburt noch für Flüssigkeit wegsam. — Beim
Schweine stellt die Allantois gleichfalls
einen zweihörnigen, der Schafhaut rechts an¬
liegenden Sack vor, während beim Fleisch¬
fresser sich dieselbe wie beim Pferde verhält.
Die Allantoisflüssigkeit ist beim
Pferde im Anfänge der Trächtigkeit klar, bern¬
steinfarbig, wird später trübe und schmutzig-
bräunlich. Sie reagirt, gleich dem Harn der
Fleischfresser, schwach sauer, und nimmt
deren Menge mit fortschreitender Trächtigkeit
beständig zu, so dass dieselbe bei der Geburt
eine beträchtliche ist. Im Harnsacke des
Pferdes findet man häufig freiliegende, platte,
olivenförmige, grünliche oder bräunliche
Körper. Es sind dies das sog. Fohlengift,
Fohlenbrot oder Hipporaanes. Diese
Gebilde sind nichts Anderes, als abgeschnürte
und verödete Theile der äusseren Fruchthülle.
Mitunter finden sich dieselben, statt frei in
der Allantoisflüssigkeit schwimmend, mittelst
eines, gewöhnlich dünnen Stieles mit der
äusseren Fruchthülle verbunden (gestieltes
Hippomanes). Bei den Wiederkäuern stellt
die Allantoisflüssigkeit eine weissgelbliche,
trübe, leicht schäumende Flüssigkeit von neu¬
traler Reaction dar.
3. Die Schafhaut oder das Amnion.
Die von der Umgebung des Nabels aus¬
gehende Schafhaut bildet die innerste Eihülle -
und stellt bei sämmtlichen Thieren einen
geschlossenen; nierenförmigen Sack dar, der, .
je nach der Trächtigkeitsperiode, mit einer
mehr oder minder beträchtlichen Flüssigkeit,
dem sog. Schafwasser, in welchem das Junge
sich frei bewegt, erfüllt ist. -Die Schafhaut
umhüllt den Nabelstrang und bildet hier die
Nabelstrangscheide. Bei den Wiederkäuern
und dem Schweine steht die Schafhaut mit
ihrer Aussenfläche zugleich mit der Allantois
und dem Chorion in Berührung, während bei
den Einhufern und den Fleischfressern diese
gleiche Fläche gänzlich von einem Blatte der
Ailantois überzogen ist. Die Innenfläche ist
beim Pferde von einem blassen Epithel be-,
deckt und findet sich regelmässig mit mehr
oder minder zahlreichen halbkugeligen oder
abgeplatteten, mohükorngrossen Knötchen mit
brännlichem Kern und heller, gelblicher Rinde
besetzt. Bei den Wiederkäuern ist die Innen¬
fläche mit einer Menge, meistens zerstreuter,
platter, weisslicher oder gelblicher, hervor¬
stechender Plaquen versehen. Diese stellen
vollkommen gefässlose, massige Anhäufungen
von dem die innere Amnionsfläche ausklei¬
denden Epithel dar und bilden an der Nabel¬
strangscheide die sog. Nabelstrangzotten.
Die durch die Schafhautwandungen aus¬
geschwitzte oder ausgehauchte Amnionflüssig¬
keit hat offenbar den Zweck, das Junge vor
Beleidigungen zu schützen, dessen Bewe¬
gungen, namentlich die Blutbewegung in den
Gefassen des Nabelstranges zu erleichtern,
sowie auch durch sein Abfliessen dm Mo¬
mente der Geburt die Geburtswege schlüpfrig
zu machen und dadurch den Durchgang des
Jungen zu erleichtern. Bei der Stute stellt
das Schafwasser gegen das Ende der Trächtig¬
keit eine gelbliche oder bräunliche, trübe,
Harnstoff und etwas Schleim enthaltende
Flüssigkeit von neutraler Reaction dar. In
demselben findet sich mitunter etwas abge¬
setztes Darmpech, sowie auch Theile der
dicken und weichen, die Fussohle bedecken¬
den Epidermis vor. Bei den Wiederkäuern
stellt das Schafwasser in der ersten Hälfte
der Trächtigkeit eine gelbliche, aber klare
und durchsichtige Flüssigkeit von alkalischer
Reaction dar. Dasselbe wird beiläufig von
der Mitte der Trächtigkeit an schleimig und
bildet am Ende der Trächtigkeit eine weiss-
liche, opalescirende, stark schleimige, in
langen Schnüren auslaufende Flüssigkeit. Bei
den kleinen Wiederkäuern wird sie weniger
schleimig als beim Rinde. Kurz vor der Mitte
der Trächtigkeit ist die Menge des Schaf¬
wassers äm grössten, bei der Geburt hat sie
wieder wesentlich abgenommen. Im Schaf¬
wasser des Rindes finden sich zuweilen mit¬
unter sehr zahlreiche, rundliche, spindel¬
förmige, abgeplattete, aus den Haaren des
Jungen gebildete Haarballen vor.
4. Der Nabel sträng stellt den Weg
für die vom Fötus zur Placenta und von dieser
zum Fötus führenden Gefässe dar. Er besteht
456 EIHAUTLÖSUN G. — EIHAUTWASSERSUCHT.
aus folgenden Gebilden: a) aus zwei Nabel¬
arterien bei allen Hausthieren; b) aus der
Nabelvene, die bei den Wiederkäuern und
den Fleischfressern bis zum Nabelringe eine
doppelte ist; c) aus der Harn- und Blasen¬
schnur (Urachus), einer zwischen den beiden
Nabelarterien gelegenen häutigen Röhre, die
vom Scheitel der fötalen Harnblase in den
Hohlraum der Harnhaut führt und beide mit
einander verbindet; d) aus den obliterirten
Resten der Nabelgekrösgefässe und dem Stiel
des Nabelbläschens; e)der Nabelstrangscheide.
Die sämmtlichen Theile sind durch eine
reichliche gallertartige Masse, der sog. War-
thoniseben Sülze, mit einander vereinigt. Der
Nabelstrang zerfällt beim Pferde in zwei
Abtheilungen, in den fötalen, bis zur Schaf¬
haut reichenden Theil, und in den peripheri¬
schen, im Harnhautsacke gelegenen Theil.
Am Anfänge dieser Portion findet sich die
Mündung des Urachus (Urachustrichter). Bei
den Wiederkäuern und den Fleisch¬
fressern ist der Nabelstrang viel kürzer als
beim Pferde. Derselbe besitzt bei den Wieder¬
käuern, dem Schweine und den Fleischfres¬
sern nur eine fötale Portion. Beim Schweine
ist die Nabelvene, wie beim Pferde, eine ein¬
fache. Der Nabelstrang des Hundes enthält
noch den deutlichen Stiel des Nabelbläschens
sowie der Nabelgekrösarterie und -Vene. Beim
Hunde und dem Schweine ist der Urachus
bei der Geburt gewöhnlich ohliterirt. Beim
Rinde verhält sich die Länge des Nabel¬
stranges zur Länge des Körpers des Jungen
wie 1:4'3, bei Schaf und Ziege wie 1: 5*8,
beim Hunde wie 1: 2'4, bei der Katze wie
1:31, beim Fohlen wie 1:1. Am relativ
längsten ist der Nabelstrang beim Schweine.
5. Das Nabelbläschen. Dasselbe ist
ursprünglich durch die extrafötale Portion des
inneren Blattes der Keimblase gebildet, steht
durch den Nabelblasengang unmittelbar mit
dem Darme in Höhlencommunication und ent¬
hält im Anfänge die ganze zur ersten Ent¬
wicklung des Eikernes bestimmte Dotter¬
masse. Während der ersten auf die Befruch¬
tung folgenden Tage wächst es rasch; mit
dem Hervorsprossen der Allantois und dein
Sicheinstellen des placentaren Kreislaufes
fängt es aber an zu atrophiren und ver¬
schwindet endlich vollständig, wie bei den
Wiederkäuern, oder schrumpft blos zusammen,
wie beim Pferde, oder es erhält sich bis zur
Geburt, wie beim Hunde. Beim vier- bis fünf¬
monatlichen Pferdefötus stellt das Nabel¬
bläschen einen bimförmigen, röthlichen, runz-
lichen Körper, bei den Wiederkäuern einen
bald wieder verschwindenden zweihürnigen
und beim Schweine einen zweizipfeligen Sack
dar. Das Nabelbläschen, resp. der Dotter¬
sack hat den Zweck, den Fötus während seiner
embryonären Periode zu ernähren. Strebei.
Eihautlösung, s. Chorion, Lösung des¬
selben.
Eihautödem. Diese placentare Erkrankung
kommt fast nur mit Eihautwassersucht oder
im Gefolge von Asphyxie der Frucht vor; sie
macht sich, so lange die Eihüllen im Uterus ver¬
weilen, durch keine Symptome erkenntlich. Sl.
Eihautstich. Durch diese Operation be¬
zweckt man, sowohl das Abfliessenlassen des
zu reichlich vorhandenen Fruchtwassers als
auch eine künstliche Frühgeburt einzuleiten.
Der Eihautstich empfiehlt sich fast nur für
Kühe und besteht darin, dass man mit einem
geeigneten stumpfen Instrumente, am besten
mit einer Sonde, in den Gebärrautterhals ein¬
geht und sodann durch Vorwärtsstossen des
Instrumentes die Eihäute durchbohrt. Beim
Gebrauche der Sonde dringt man mit dem
Finger in den Muttermund ein und schiebt
sodann diese neben ersterem vorbei und
stosst die Eihäute durch, worauf das Frucht¬
wasser abfliesst und in der Regel nach 1 bis
2 Tagen die Frühgeburt eintritt. Die Vornahme
des Eihautstiches durch die Flanke ist ganz
verwerflich. Strebei.
Eihautwassersucht besteht in einer über¬
mässigen Absonderung und Ansammlung der
Fruchtwasser, namentlich des Schafwassers,
in den Eihäuten, bildet eine meist gefähr¬
liche Complication der Trächtigkeit und kommt
vorzugsweise bei Kühen, dann bei Schafen
und Ziegen und nur selten bei der Stute vor.
Aetiologie. Ueber dieselbe herrscht
noch ziemliches Dunkel. Die Eihautwasser¬
sucht trifft häufig mit allgemeiner Wasser¬
sucht des Fötus, dann auch wieder mit
Höhlenwassersucht des Mutterthieres zusam¬
men. In ersterem Falle bilden wohl fötale
Kreislaufsstörungen und fötale Nierenerkran¬
kungen, namentlich hypertrophirte Nieren
die Ursachen sowohl der fötalen als der Ei¬
hautwassersucht.
Die Prognose ist für das Junge absolut
ungünstig; dasselbe wird entweder, u. zw. meist
todt geboren oder stirbt unmittelbar nach der
Geburt. Auch für das Mutterthier ist dieselbe
im Ganzen eine ungünstige; es gehen wohl
die Hälfte der erkrankten Thiere zu Grunde,
bezw. müssen als unheilbar geschlachtet
werden. Einige, die davonkommen, erholen
sich nur langsam. Die Folgen für das Mutter¬
thier sind um so ernster, je länger mit der
Hilfeleistung zugewartet wird.
Symptome. Das auffallendste Symptom
bildet die starke Ausdehnung des Leibes, die
besonders im letzten Viertel der Trächtigkeit
in auffallender Weise stark hervortritt. Die
Ausdehnung des Leibes nimmt rasch und
beiderseitig zu. Das Junge lässt sich von der
Bauchwand aus meist nur sehr schwer fühlen.
Die Percussion des Bauches ergibt einen
dumpfen Schenkelton. Das Athmen wird er¬
schwert, besonders beim Bergabgehen und
beim Liegen; die Dispnoe steigert sich von
Tag zu Tag. Es stellen sich Verdauungs¬
störungen, Meteorismus, verminderte Fress¬
lust, unregelmässiges Wiederkauen, starke
Abmagerung, sowie grosse Entkräftung ein;
die Thiere vermögen oft kaum mehr einige
Schritte zu gehen. In Folge der übermässigen
Ausdehnung der Bauchdecken reissen diese
mitunter, und es entstehen dann öfters enorme
Bruchsäcke, die in einigen Fällen fast bis
Digitized by ^.ooQie
EILAMIDES.
auf den Boden reichen. Bei der Unter¬
suchung durch den Mastdarm fühlt man an
Stelle des Fruchthälters eine enorm ausge¬
dehnte, fluctuirende Blase, in welcher sich
das Junge schwer, ja häufig nicht durchfühlen
lässt. Der Gebärmutterhals findet sich meist
verwischt und stark in die Bauchhöhle hinein¬
gezogen; er ist in hochgradigen Fällen ver¬
kürzt und vom Uterus aus trichterförmig
erweitert. Auch der äussere Muttermund ist
meist etwas geöffnet. In den hochgradigen
Fällen tragen die Thiere sehr selten aus: die
Kühe verwerfen meist im siebenten oder
achten Monate, die Stuten selbst schon
früher. Die Jungen, die ausgetragen werden,
sind selbst meist wassersüchtig, wenn dies
nicht, so doch stark verkümmert. Durch die
manuelle Untersuchung durch den Mastdarm
lässt sich die Eihautwassersucht deutlich von
der Bauchwassersucht des Mutterthieres unter¬
scheiden.
Sectionsergebnisse. Bei an Eihaut¬
wassersucht gestorbenen oder geschlachteten
Thieren findet man den Fruchthälter ausser¬
ordentlich ausgedehnt und dessen Wandung
sehr verdünnt und von blasser Färbung. Die
Eihäute sind bald verdickt, hart und wider¬
standsfest, bald wieder verdünnt und sehr
zerreissbar. Zuweilen sind sie ödematös. Die
Schafhaut (oder Harnhaut) ist durch eine
enorme Menge — bisweilen von 120—1501
— einer bald klaren, durchsichtigen, gelb-
röthlichen (Hydrallantois), bald von einer
opalescirenden, schleimigzügigen Flüssigkeit
(Hydramnios) erfüllt. Bisweilen enthalten
die Allantoisanhänge eine beträchtliche Menge
Flüssigkeit. Häufig sind auch die Jungen und
die Mutterthiere hydropisch.
Die Behandlung hat zur Hauptaufgabe
die Entleerung des stark ausgedehnten Frucht¬
hälters. Diese, d. h. die künstliche Frühgeburt
soll bei einmal festgestellter Diagnose unge¬
säumt, bevor die Krankheitserscheinungen
einen zu hohen Grad erreicht haben, vorge¬
nommen werden. Behufs Einleitung der Früh¬
geburt öffnet man mit dem Finger den Mutter¬
mund und erweitert denselben, indem man
nach und nach mit zwei, dann mit drei
Fingern und endlich mit der ganzen Hand
in denselben eindringt, möglichst weit, worauf
man den Eisack mittelst des Fingers oder eines
geeigneten stumpfen Instrumentes — einer
Sonde — öffnet. Nach dem theilweisen Ab¬
flüsse der Fruchtwässer ist es am besten,
den Fruchtabgang zu befördern, was selten
mit grösseren Schwierigkeiten verbunden ist.
Zum vollständigen Abflüsse der Frucht¬
wässer bringt man das Mutterthier in die
Rückenlage. Diese Lage ist auch erforderlich
in jenen Fällen, wo dem Gebärmutterhalse
schwer oder nicht beizukommen ist. Die
künstliche Erweiterung des Gebärmutterhalses
mittelst eines Presschwammes geht zu
langsam, selbst unzureichend von statten, und
ist daher diese Methode zu verbannen. Ganz
verwerflich ist sodann die Eröffnung des
Uterus mittelst Punction von der rechten
Flanke oder von der weissen Linie aus. Nach
— EILEITER. 457
dem Wasserabflüsse thut man gut, die schlaff¬
werdenden Bauchdecken mittelst über dem
Rücken zusammengenähter Binden oder Lein¬
tücher zu unterstützen. Den Thieren lässt
man gute, kräftige, jedoch nicht zu voluminöse
Nahrungsmittel verabfolgen. Strebei.
Eilamide8(vj eikju'?, v. etXeTv, umwickeln),
Hirnhäute. Sussdorf.
Eileiter. Anat omie. Die Eileiter, Mut¬
tertrompeten, Fallopische Trompeten
oderRöhren (oviductus, tubae uterinae s.Fallo-
pianae) stellen die Ausführungsgänge der Eier¬
stöcke dar, durch welche das von den letzteren
frei gewordene Ei nach der Gebärmutter, ausser¬
dem aber auch der bei der Begattung in den
weiblichen Geschlechtscanal gespritzte Samen
nach den Eierstöcken gelangt. Der rechte und
der linke Eileiter bildet demgemäss eine am
rechten, bezw. linken Eierstock anfangende und
am vorderen Ende des entsprechenden Gebär -
rautterhornes endende, zwischen die Platten
der als Eileiterfalte bezeichneten Bauchfell¬
verdoppelung eingeschlossene Röhre. Jeder
Eileiter besteht aus der Muskelhaut, an welcher
man eine äussere Schicht von spärlich vor¬
handenen Längsfasern und eine innere, stärkere
Schicht von Kreisfasern unterscheiden kann,
und aus der Schleimhaut. Letztere trägt ein
Flimmerepithcl und besitzt zahlreiche kleine
faltenartigeHervorragungen und zwischen diesen
seichte Vertiefungen. Die Eileiter stellen die
einzige offene Communication zwischen einem
serösen Sack und den äusseren Körper¬
öffnungen dar.
Bei den Einhufern verlaufen die Eileiter
(s. Fig. 449, Eil) stark geschlängelt in kurzen
Windungen, welche gegen die Gebärmutter hin
allmälig sich mehr in die Länge strecken
und undeutlicher werden — Isthmus der
Eileiter (s.Fig. 449, 4). Die beidenOeffhungen
werden als Bauch Öffnung (ostium abdo¬
minale (s. Fig. 449, 7) und als Gebärmutter¬
öffnung (ostium uterinum) bezeichnet. Die
Bauchöffhung kann einen schwachen Gänse¬
federkiel aufnehmen, führt in den weitesten Theil
— Ampulle des Eileiters (s. Fig. 449, 5)
— und wird von einer Platte — den Fransen
desE i 1 e i te r s (s Fig. 449,6) — umgeben, welche
sich durch die Eierstocksfranse mit dem nach
der Emissionsgrube führenden Einschnitt des
Eierstockes verbindet. Die Platte besteht aus
einer Schleimhaut, an welcher sich die Bauch¬
öffnung des Eileiters befindet, und aus dem
Bauchfell; zwischen diese beiden Häute strahlen
sparsame Längsfasern von der Muskelhaut
des Eileiters ein, welche jedoch nicht bis zu
dem Rande der Platte verfolgt werden können,
an letzterem grenzen vielmehr Schleimhaut
und seröse Haut unmittelbar an einander. Die
Schleimhaut der Platte liegt in zahlreichen
niedrigen, radiär verlaufenden Falten, welche
zum grossen Theil den Rand der Platte über¬
ragen und demselben ein zackiges, ausgenagtes
Ansehen verleihen (morsus diaboli h.).Nahe dem
Rande finden sich häufig eine oder einige ge¬
stielte, erbsen- bis bohnengrosse runde Bläschen
als Ueberreste einer fötalen Bildung — des
Ganges vom Wolffschen Körper — welche als
Digitized-b
Google
458
EILEITER.
Morgagnische Endhydatiden bezeichnet
werden. Die Gebärmutteröflhung des Eileiters
ist so eng, dass sich kaum ein feines Haar in
dieselbe einbringen lässt; sie findet sich auf
einer kleinen, kegelförmigen, härtlichen Papille
der Schleimhaut am vorderen Ende der Gebär-
inutterhömer.
Die Eileiter der Wiederkäuer (siehe
Pig. 450 und „Gebärmutter“) sind ver-
hältnissmässig länger und weiter; sie ver¬
laufen weniger geschlängelt als die der Ein¬
hufer, behalten namentlich auch nahe den •
Gebärmutterhörnern, in deren Spitze sie ohne
scharfe Grenze übergehen, einen grösseren
Durchmesser. Die Bauchöflhung ist trichter¬
förmig, die Gebärmutteröflhung markirt sich
nicht durch eine Papille der Schleimhaut.
Bei den Schweinen verhalten sich die
Eileiter (s. Fig. 451) im Wesentlichen wie bei
den Wiederkäuern, sie verlaufen jedoch noch
weniger geschlängelt, Windungen fehlen fast
ganz, der trichter- oder ampullenförmige Theil
in der Nähe der Bauchöffhung ist sehr dünn¬
wandig.
Die meist mit einer reichlichen Fettlage
umhüllten Eileiter der .Fleischfresser ver¬
laufen ganz versteckt in der Eierstockstasche
und bilden, ohne Windungen zu machen, einen
nach vorne convexen Bogen. Sie sind sehr eng,
die Gebärmutteröflhung markirt sich durch
eine kleine Papille.
Bei den Vögeln (s. Fig. 452) ist ent¬
sprechend der Verkümmerung des rechten Eier¬
stockes nur der linksseitige Eileiter vorhanden.
Er stellt ein langes, weites, sehr ausdehnbares,
geschlängelt verlaufendes Rohr dar, welches an
einem kurzen, dem breiten Mutterbande entspre¬
chenden Gekröse (Mesenterium) hängt und
aus einer serösen, einer Muskel- und einer
Schleimhaut besteht. Das vordere Ende des
Rohres, welches dem Eileiter der Säugethiere
entspricht, besitzt dicht hinter dem Eierstock
eine schlitzförmige Oeffnung, welche die vom
Eierstock sich lösenden Eier aufnimmt und
zunächst in einen dünnwandigen Behälter —
in den Trichter (infundibulum) — führt. Der
vordere Theil verengt sich im Verlaufe nach
hinten etwas und geht, sich plötzlich erweiternd,
in den Eihälter über, welcher dickwandiger
und mit der Gebärmutter der Säugethiere zu ver¬
gleichen ist. Der hintere wieder enger werdende
Theil ist der Scheide der Säugethiere an die
Seite zu stellen; derselbe öflhet sich durch eine
sehr erweiterungsfähige Spalte in die Cloake
nach aussen von dem linksseitigen Harnleiter.
Die Schleimhaut des vorderen und mittleren Ab¬
schnittes — des Eileiters und des Eihälters —
besitzt zahlreiche geschlängelte, bezw. blatt¬
förmige Falten; sie sondert in dem Eileiter
die den Dotter umhüllende Eiweisschicht ab,
während die Kalkschale des Eies erst in dem
Eihälter gebildet wird. Der Eileiter der Vögel
ist demgemäss nicht blos als Ausführungsgang
des Eierstockes anzusehen, sondern als ein
Organ, in welchem sehr wesentliche Bestand¬
teile des Eies — Eiweisschicht und Kalk¬
schale — gebildet werden. tifiillcr.
Histologie. Der Eileiter ist aussen von der
Serosa des Bauchfelles überzogen (Fig. 454) und .
besteht der Hauptsache nafh aus einem Muskel-
rohrb und einem Schleimhautrohre. Unter dem
Endothelbelage der Serosa ist zunächst ein von
ausserordentlich vielen Gefässzweigen durch¬
setztes lockeres Bindegewebe (Adventitia), die -
Muskelwand besteht aus einer mächtigen
Schichte von glatten Muskelringen, spärlich sind
zwischen und peripher von der Ringmuskel¬
schichte auch longitudinale Muskelzüge enthal¬
ten, welche in die Fimbrien ausstrahlen. Die
bindegewebige Schleimhaut bietet auf dem Quer¬
schnitt ein zierliches sternförmiges Aussehen*
weil sie zahlreiche Falten gegen das Lumen
Fig. 4ö4. Querschnitt durch die Eileiterwand (vom
Schwein), a Ringmuskelscliicht, b Serosa, c gefhssreiches
subseröses Bindegewebe, d Schleimhaut.
bildet, welche von blattförmiger, kegelförmiger
und viel verzweigt er Gestalt sind und das Lumen
sehr nischenreich gestalten. Namentlich in der
Ampulle des Oviducts sind die Falten sehr
complicirt. Die Schleimhaut ist aus fibrillärem
und zelligem, sehr gefässreichem Bindegewebe
aufgebaut, in welches auch glatte Muskelfasern
eintreten, sie ist durchwegs von einem der
Uterusöflnung zu wimpernden Cylinderepithel
überzogen. Am Rande der Eierstocksfransen
ist die einzige Steile des Thierkörpers, an der
eine Serosa und eine Schleimhaut direct
Zusammentreffen. Die Cilienbewegung der
Flimmerepithelien spielt nicht nur eine Rolle
für Fortschaffung des Eies durch die Tube, son¬
dern auch für die Adaption der Fimbrien an
den Eierstock, resp. an dem zum Platzen reifen
Follikel. Kitt.
Die Krankheiten der Eileiter bestehen
in Lageveränderuhgen, Verengerungen und
Verschluss, Hydrops, Circulationsstörungen,
Blutungen, Entzündungen, Neubildungen, Ent¬
wicklung der Frucht in denselben.
Lage Veränderungen werden bedingt
durch Lageveränderungen der entarteten und
vergrösserten Ovarien, durch welche auch
Axendrehungen an den Tuben veranlasst
werden, durch Hernien und Vorfälle der
Ovarien und Uterushörner.
Verengerungen und Verschluss der
Eileiter ist ein partieller oder totaler und
betrifft meist die Mitte oder auch die Enden
und wird bewirkt durch entzündliche Zustände,
EILEITERFALTE. — EINÄSCHERN.
459
Neubildungen, Ansammlungen von Schleim und
Eiter, Knickungen, Zerrungen, Adhäsionen.
Die Erweiterung der Tuben ist eine
sackartige oder gleichmässige und entsteht
meist oberhalb verengerter oder verschlossener
Stellen durch Ansammlungen von Schleim,
Blut, Eiter oder seröser Flüssigkeit (als
Hydrops tubarum). Durch mehrere partielle
Ausbuchtungen und Erweiterungen erlangen
die Eileiter zuweilen eine rosenkranzähnliche
Gestalt.
Rupturen und Zerreissungen der Tuben
werden verursacht durch Ansammlungen von
Blut, Schleim, Eiter, seröser Flüssigkeiten,
durch das Durchpassiren sehr grosser Eier
beim Geflügel und durch die Tubarschwanger-
schaft.
Hyperämien der Tubarschleimhaut
kommen unter normalen Verhältnissen wäh¬
rend der Brunst vor. Ferner als Begleit¬
erscheinung von Circulationsstörungen in dem
hinteren Hohlvenensystem und bei Entzün¬
dungen des Uterus und der Ovarien.
Blutergüsse in die Tuben finden statt bei
der Brunst und bei entzündlichen Zuständen
und Rupturen. Die Blutergüsse können bei
gleichzeitigen Verengerungen oder Oblitera¬
tionen zu bedeutenden Ausdehnungen und
Auftreibungen, zur Bildung der Haematome
der Tuben oder des Haematosalpinx führen.
Das an gehäufte Blut bildet gleichmässige
oder geschichtete Gerinnsel.
Die Entzündung der Tuben, Salpingitis,
zerfällt in eine katarrhalische und eine eiterige.
Die katarrhalische Entzündung verläuft acut
und chronisch und ist meist verbunden mit
gleichzeitigem Katarrh des Uterus und der
Vagina. Die Schleimhaut der Tuben erscheint
geröthet bis graubraun, geschwellt, verdickt,
die Tuben mit Schleim angefüllt.
Die eiterige Entzündung der Tuben ent¬
steht meist nach der Geburt bei gleichzeitiger
Entzündung des Uterus und führt zu Eiter¬
ansammlungen in den Tuben (Pyosalpinx).
Die Entzündung führt häufig zu Geschwür¬
bildungen, Absccssen, Obliterationen, Perfora¬
tionen mit nachfolgender Peritonitis.
Von Neubildungen werden in den
Tuben angetroffen: Cysten, Fibroide, Sarcome,
Carcinome, am häufigsten aber Tuberkel (bei
Rindern).
Tubarschwangerschaft erfolgt,wenn
das Ovulum in den Tuben sitzen bleibt, dort
befruchtet wird und sich bis zu einem gewissen
Grade entwickelt. Nachher erfolgt Ruptur der
Tuben, Hineinfallen der Frucht in die Bauch¬
höhle mit Verjauchung des Fötus und nach¬
folgender Peritonitis, oder die Frucht trocknet
ein, wird zu einem Lithopädion und bleibt in
der Bauchhöhle liegen.
Die Behandlung der Krankheiten der
Eileiter fällt zusammen mit der Behandlung
der Krankheiten des Uterus. Semmer.
Eileiterfalte, s. Eierstock.
Eileiterschwangerschaft. Diese Art von
extrauteriner Trächtigkeit ist bisher höchst
selten bei den Hausthieren beobachtet worden.
Das vom Eierstocke losgelöste befruchtete Ei
wird aus irgend einer Ursache aufseinerWande-
rung durch den Eileiter in diesem angehalten,
wo es aber mangels an Raum und dem noth-
wendigen Ernährungsmaterial nicht zur Reife
gedeiht, sondern schon frühzeitig zu Grunde
geht. Strcbel.
Eilema {xb zTkr^a) = Heus. .Sussdorf.
Einäschern (veraschen) wird eine bei
der chemischen Analyse organischer Körper
zur Anwendung kommende Operation genannt,
durch welche bezweckt wird, die in den orga¬
nischen Körpern etwa vorhandenen minerali¬
schen Bestandteile behufs weiterer Prüfung
zu gewinnen. Dies wird erreicht, wenn man
die betreffenden Substanzen durch hohe Hitze¬
grade zersetzt, hiebei wird Alles, was eine
organische Verbindung darstellt, verbrannt,
und im Rückstand verbleiben die minerali¬
schen feuerbeständigen Salze in Form der
Asche (s. d.). Die Zusammensetzung einer
solchen .Asche lässt aber nicht immer dar¬
auf schliessen, in welcher Weise die ein¬
zelnen Bestandteile derselben in der organi¬
schen Substanz enthalten waren. Wenn man
z. B. in der Asche von Blut Kalium, Na¬
trium, Phosphorsäure und Salzsäure findet,
so wird damit noch nicht gesagt, dass das
phosphorsaure Kali in den Blutkörperchen,
das Chlornatrium im Blutserum enthalten
war, dies könnte man erst durch specielle
Versuche erfahren; überdies werden durch
die Oxydationsvorgänge, welche beim Ein¬
äschern der organischen Körper stattfinden,
wobei häufig der organisch gebundene Schwefel
und Phosphor zu Schwefelsäure, bezw. Phos¬
phorsäure oxydirt wird, die mineralischen
Bestandteile in der Asche in einer anderen
chemischen Form gefunden, als sie in der
ursprünglichen Substanz vorhanden waren.
Das Einäschern wird entweder in einem
Platintiegel oder in einem Porzellan-Glas¬
schälchen vorgenommen. Bei phosphorhaltigen
Körpern, auch bei solchen, welche phosphor-
saure Salze enthalten — tierische Stoffe,
Pflanzensamen, Mehl — werden die Platin¬
tiegel leicht zerstört, indem die Kohle der
verbrennenden Substanz leicht die Phosphor¬
säure zu Phosphor reducirt, wobei sich leicht
flüssiges Phosphorplatin bildet. Es werden
daher phosphor- und phosphorsäurehaltige
organische Substanzen zweckmässig in Por¬
zellantiegeln verascht.
Das EinäSchem muss, um vor Verlusten
an gewissen Aschenbestandtheilen, die leicht
flüchtig oder zersetzbar sind, geschützt zu
sein, bei genauen Analysen sehr vorsichtig
ausgeführt werden. Wegen der Flüchtigkeit
der Alkalichloride (Chlorkalium und Chlor¬
natrium) in der Rothgluthitze, auch wegen
der reducirenden Wirkung der Kohle auf die
Schwefelsäure, wobei Schwefel entsteht, welcher
später zum Theil zu schwefeliger Säure oxy-
dirt wird, die jedoch flüchtig ist — verfährt
man J>ei der Veraschung thierischer und
pflanzlicher Stoffe in der Weise, dass man
die getrocknete Sübstanz zunächst bei mässiger
Hitze nur verkohlt. Man befreit nun die
Kohle durch Auslaugen mit heissem Wasser
460
EINATHMUNGEN. — EINFUHR.
von den löslichen Salzen (Chloralkalien,
phosphorsaure und schwefelsaure Alkalien)
und äschert erst die nun ruckbleibende voll¬
ständig ein. In der nun resultirenden Asche
findet man die in Wasser unlöslichen Salze,
namentlich in der thierischcn Asche die
Erdphosphate, Eisenoxyd und in der P fl an z e n-
asche kieselsauren, kohlensauren, phosphor¬
sauren Kalk und Magnesia, Eisenoxyd und
Manganoxyd. Loebisch.
Einathmungen medicamentöser Stoffe (s.
Inhalationen).
Einbalsamiren. Das Verfahren, welches
man anwendet, um Leichname vor Verwesung
zu schützen. Schon die Assyrer, Scythen und
Perser hatten hiefür verschiedene Methoden,
doch am meisten entwickelt wurde diese Kunst
von den alten Aegyptern, bei denen alle Leichen
und viele Thiere einbalsamirt wurden. Die
vollkommenste Methode der Aegypter bestand
in Entleerung der Kopfhöhle und Ersatz des
Gehirns durch aromatische Substanzen,Heraus¬
nahme der Eingeweide, Imprägnirung der¬
selben mit aromatischen Stoffen und Aus¬
füllung der Bauchhöhle mit wohlriechenden
Harzen oder Asphalt; ferner in Einweichen
des ganzen Cadavers in Auflösungen von
Natronsalzen, und schliesslich in luftdichter
Einwicklung des ganzen Leichnams in mit
aromatischen Stoffen getränkte Binden. Wie
der Anblick der Mumien lehrt, wurde durch
dieses Verfahren nur eine Verlangsamung des
Verwesungsprocesses erzielt. Manche süd¬
amerikanische wilde Stämme conserviren ihre
Leichen durch Austrocknen an der Luft. In
neuerer Zeit wird, um die Leiche, besonders zur
Sommerszeit, für grössere Entfernungen trans¬
portfähig zu machen, folgende Prä parirung
der Leiche vorgenommen: Man eröffnet die
drei Körperhöhlen, nimmt die Eingeweide
heraus und reinigt diese sowie die Körper¬
höhlen von dem ausgetretenen Blute: hierauf
werden die Eingeweide, nachdem zuvor noch
insbesondere der Magen und die Gedärme
von ihrem Inhalte befreit und in Wasser ge¬
waschen wurden, in eine alkoholische Subli¬
matlösung gelegt und mit derselben Lösung
die ganze innere und äussere Oberfläche des
Körpers mittelst Pinseln oder Schwämmen
gewaschen und getränkt. Dieses Verfahren
liat wenigstens eine halbe Stunde zu dauern.
Die Eingeweide werden nun wieder in die
entsprechende Körperhöhle gelegt, die hierauf
sorgfältig zusammengenäht wird, worauf die
Leiche in den theilweise mit Sägespänen oder
Häckerling gefüllten Sarg gebracht, und dieser
hierauf fest verschlossen und verpicht wird.
Das Einbalsamiren wird gegenwärtig
nicht nur geübt, um die Leichen in Särgen
zu conserviren, beziehungsweise deren Fäulniss
zu verlangsamen, sondern auch um dieselben
für das anatomische Studium auf längere Zeit
hinaus brauchbar zu erhalten. Für beide
Zwecke ist ein wesentlicher Fortschritt der
Methodik durch die von Franchina zuerst
geübte und von Gannal (Paris 1841) popu-
larisirte Art der Einbalsamirung mittelst In-
jection von antiseptischen Flüssigkeiten durch
die Carotis erreicht worden. Gannal zeigte,
dass Thonerdesalze (Aluminiumsulfat, Kali¬
alaun), in die Gewebe injicirt, eine solche
Verbindung der Thonerde mit den Geweben
des Körpers bewirken, wodurch der natürliche
Turgor und die Form aller Theile ziemlich
lange unverändert bleibt, zugleich auch die
Fäulniss lange hinausgeschoben wird. Später
empfahl Sucquet eine Auflösung von Chlor¬
zink zur Injection in die Gefässe. Die Stoffe,
welche zu Gefässinjectionen bisher verwendet
wurden, sind entwederdirect fäulnisshemmende
oder wasserentziehende Stoffe, auch Gemische
beider: Sublimat, Chlorzink, Arsenik, Essig¬
säure, Thonerde, Gerbsäure, Mischung von
Schwefelsäure, Alaun und Salpeter, Carbol-
säure, Alkohol, Holzgeist, Carbolsäure-Glycerin-
Spiritus-Mischung. Es lässt sich leicht berech¬
nen, dass, wenn den Gebrauch der Einbalsa¬
mirung der Leichen die ganze Menschheit
üben würde, binnen 3000 Jahren die Leben¬
digen durch die Todten von der Erde ver¬
drängt werden möchten. Loebisch.
Einbettungsmethoden, s. mikroskopische
Technik.
Einbiss ist die Bezeichnung für die
äussere, am besten von der Seite abzusehende
Form der bleibenden Eckzähne des Ober¬
kiefers in bestimmten Altersperioden des
Pferdes.
Das Wesen des Einbisses besteht in einem
mehr oder weniger deutlich ausgeprägten
dreieckigen über das Niveau der Reibefläche
der übrigen Schneidezähne und der vorderen
zwei Drittheile der Eckzähne des Oberkiefers
nach abwärts vorragenden Keile der Zahn¬
masse. Diese keilförmige Verlängerung des
Eckzahnes kommt dadurch zu Stande, dass
die in gewissen Jahren erfolgende bedeutendere
Streckung des Körpers vom Unterkiefer gegen¬
über den die Schneidezähne tragenden Zwi¬
schenkieferbeinen das letzte Drittel der Eck¬
zähne des Oberkiefers ausser Reibung gesetzt
wird und hiedurch sich nach abwärts ver¬
längern muss. In dem Grade als die Streckung
des Bogens der Zwischenkieferbeine jener
des Unterkiefers nachfolgt, verschwindet der
Einbiss allmälig wieder. Der Einbiss, welcher
an Grösse und deutlicher Ausprägung variirt,
kommt zum erstenmale mit neun und zum
zweitenmale mit fünfzehn Jahren am deut¬
lichsten vor. Ausnahmsweise sieht man auch
zwischen 21 und 24 Jahren einen dritten Ein¬
biss entstehen. Mitunter kommt der Einbiss
auch schon früher als in den erstgenannten
zwei Perioden vor, und muss derselbe dann
mit den anderweitigen Formabweichungen der
Zähne in Einklang gesetzt werden (s.Alters-
beurtheilung der Hausthiere). Lechner .
Einfarbiges Gebirgsvieh, s. Gebirgsvieh.
Einfuhr von Vieh und Beschränkungen
derselben. Es ist eine bekannte Thatsache,
dass solche Länder, deren Fleischconsum
durch die einheimische Viehproduction voll¬
kommen gedeckt wird, seltener von Seuchen
heimgesucht werden, falls sie nicht selbst
Heimatländer von Seuchen sind oder durch
den Transit-Viehhandel zu leiden haben. Von
EINGEBEN VON ARZNEIMITTELN. — EINGESATTELT.
461
den europäischen Ländern haben Schweden,
Norwegen, Dänemark, Irland, Spanien und
Portugal am wenigsten von Viehseuchen zu
leiden gehabt, weil ihr Viehimport ein ge¬
ringer ist und ein Transithandel mit Vieh in
denselben nicht stattfindet. England wurde,
so lange das Vieheinfuhrverbot dort aufrecht
erhalten wurde, nicht häufig von grossen
Seucheninvasionen heimgesucht. Die Lungen¬
seuche und die Schafpocken kamen z. B. erst
nach Aufhebung des Einfuhrverbots (1842)
dorthin; bis dahin waren diese Seuchen in
England unbekannt. Gegenwärtig existiren
in den meisten Ländern Europas Verbote
gegen die Einfuhr russischen Viehs wegen der
in Südrussland ununterbrochen herrschenden
Rinderpest. In der That wird eine Verschlep¬
pung der Rinderpest durch russisches Vieh
in andere Länder Europas durch Einfuhrver¬
bote sicher verhütet. Verbote aber gegen die
Einfuhr von Kleinvieh, wie sie wegen der
Trichinen, Finnen, Schafpocken etc. erlassen
werden, sind vollkommen unnütz, da diese
Krankheiten über die ganze Erde verbreitet
Vorkommen und Trichinosis unter Menschen
nur da herrscht, wo rohes Schweinefleisch
genossen wird. Einfuhrverbote sind nur da
zeitweilig aufrecht zu erhalten, wo besonders
gefährliche Seuchen in den Nachbarländern
herrschen. Semmer .
Eingeben von Arzneimitteln hat bei den
Thieren viele Schwierigkeiten, indem ihnen
meist Zwang angethan werden muss; es kommt
übrigens viel darauf an, in welcher Form die
Verabreichung geschehen soll. Am einfachsten
gestaltet sich das Eingeben von Pillen, das
sehr beliebt ist, da das Beibringen flüssiger
Arzneien gefährlich ist und die Pulver nicht
immer im Futter angenommen werden. Die
Application geschieht entweder mit der Hand
oder mit dem Pillenstock. Im ersteren Falle
zieht man die Zunge bei Pferden und Rindern
mit der linken Hand erst ziemlich weit aus
dem Maul heraus, sucht mit den Fingern
einen Stützpunkt an dem Unterkiefer, um bei
unerwarteten Bewegungen des Thieres keine
Zerrung oder gar Zerreissung zu veranlassen,
und schiebt dann mit der rechten Hand die
Pille über den Zungengrund hinweg, von
welcher Stelle aus dann unwillkürlich abge¬
schlungen werden muss. Beim Eingeben mit
dem Pillenstock verfährt man bei dem ersten
Acte in derselben Weise, nur steckt man die
Pille auf das konisch zugespitzte Ende eines
Stockes, schiebt dasselbe ebenfalls über den
Zungengrund hinweg und zieht dann den Stock
unter Anpressen an die Zunge mit einem
Ruck zurück, um das gefasste Organ daun
alsbald fahren zu lassen. Weniger gebräuch¬
lich, aber bequem ist der Pillenstock, an dessen
Ende eine Höhlung zum Einlegen der Pille
angebracht ist, welch letztere dann durch
eine Springfeder in die Rachenhöhle geschnellt
wird. Die Latwerge können in ganz ähn¬
licher Weise eingegeben werden, wenn man sie
pillenähnlich formt, weichere, schieckenartige
Arzneiformen werden dagegen mit einem spatel¬
ähnlichen Holze auf den Zungenrücken einge¬
schoben und hier abgestreift. Selbstverständlich
ist, dass man Vorsicht üben muss, um keine Ver¬
letzungen der Schleimhaut zuwege zu bringen.
Um Flüssigkeiten bei Pferden einzugeben,
zieht man am besten mit einer Strickschlinge
den Oberkiefer in die Höhe oder verwendet
hiezu besondere Eingebezäume, vermeidet aber
ein zu starkes Erheben des Kopfes, da sonst
die festangespannten Brustzungenbein- und
Brustschild muskeln das Abschlingen er¬
schweren; die Zunge darf selbstverständlich 4 '
wenn die Flüssigkeit in der Maulhöhle ange-
kommen, nicht festgehalten werden, und sobald
das Thier hustet, muss sofort der Kopf frei¬
gegeben und das Einschütten sistirt werden.
Bei Rindern ist das Geschäft einfacher, denn
man zieht ihnen das Maul durch kräftiges
Fassen und Herabziehen der Hörner in die
Höhe, öffnet die Maulspalte und giesst aus der
Flasche ein, u. zw, nicht in ununterbrochenem
Strahle, sondern in einzelnen. Portionen und
ist dabei zugleich darauf zu sehen, dass den
Thieren der Kopf nicht nach einer Seite ver¬
dreht wird. Hunde und Schafe nimmt man
zwischen die Beine, hebt den Kopf hoch und
giesst mit einer Flasche oder einem Löffel ein.
Schweine fasst man zu diesem Zwecke an den
Ohren, öflhet mit einem Stück Holz das Maul
und giesst mit grosser Vorsicht langsam ein,
denn diese Thiere verschlucken sich sehr leicht,
und es ist schon vorgekommen, dass sie unter
dem Eingeben erstickten, wie denn auch bei
den anderen Thieren alles Ein geben flüssiger
Arzneien als gefährlich bezeichnet werden
muss und alljährlich eine grosse Menge Pferde
dadurch zu Grunde geht. Die Todesursache
ist meist eine mechanische Lungenentzündung
(Schluckpneumonie), welche nur die Rinder zu
überstehen pflegen; vor jedem Einschütten ist
daher nicht nur die Arznei gut zu seihen,
sondern auch die Maulhöhle sorgfältig aus¬
zuspritzen, damit hier sich aufhaltende Futter¬
partikel nicht unter den Kehldeckel kommen
können. Die heutige Therapie hat das Ein¬
schütten ganz wesentlich beschränkt, da auch
bei aller Vorsicht ein Todesfall eintreten kann,
und ganz unterlassen muss es werden bei hohen
Fiebern, beschleunigtem Athmen, Störungen des
Bewusstseins und jenen Erkrankungen, welche
ohnedies schon mit nervöser Aufregung ver¬
knüpft sind, insbesondere aber bei dem Starr¬
krampf. Bei manchen acuten Leiden sind
freilich Einschütte nicht wohl zu entbehren,
wie z. B. bei Magen- und Darmentzündungen,
hartnäckigen Verstopfungen, einzelnen Koliken,
Löserdürre, Harnverhaltung u. s. w. Auch sind
unter Umständen die Thiere durchaus nicht
zum Schlucken zu bringen, keinesfalls darf
aber geduldet werden, dass ihnen die Flüssigkeit
durch die Nase eingegossen wird oder die
Nasenlöcher zugehalten werden. Vogel.
Das Ein geben von Arzneimitteln gibt,
wenn es nicht nach den vorschriftsmässigen
Regeln erfolgt, Anlass zu gerichtlichen Klage¬
fällen (s. u. Beschädigungen). Semmer .
Eingesattelt — eingesattelter Rücken —
ist derjenige, welcher hinter dem Widerriste
zu beiden Seiten des Rückens in Folge des
— EINGEWEIDEBÄNDER.
462 EINGESTREUTE HAARE.
Druckes vom Sattel oder einem andereü Ge¬
schirre Schwund der Muskulatur aufweist.
Der Schwund der Muskulatur ist bald mehr,
bald weniger ausgeprägt, und an diesen Stellen
findet man auch immer gröbere und theils
weisse oder graue Haare sowie eine weniger
schöne Haarlage vor. Die Form des Rückens
kommt hiebei durchaus nicht in Betracht,
weil jeder Rücken „eingesattelt“ sein kann,
und es ist daher nicht richtig, den einge-
sattelteji Rücken dem Wesen nach mit dem
Senkrücken (s. cL) zu identificiren. Kommen
Pferde mit ein ge sattelten Rücken in Dienstes¬
verhältnisse, in denen sie nicht mehr unter
der früheren Beschirrungsart stehen, so bessert'
sich -mitunter dieser Zustand insbesondere
dann etwas, wenn den Thieren nebstbei Weide¬
gang gestattet wird. Lcchncr.
Eingestreute Haare, s. Haarfarben.
Eingeweide. Im gewöhnlichen Leben
werden zu den Eingeweiden sämmtliche Organe
gerechnet, welche.in den verschiedenen Höhlen
des thierischen Körpers ihre Lage haben. In
der Anatomie ist es jedoch gebräuchlich, als
Eingeweide (viscera) nur diejenigen in den
verschiedenen Körperhöhlen gelegenen Organe
zu bezeichnen, welche durch die natürlichen
Körperöffuungen direct oder indirect mit dem
das Thier umgebenden Medium in Verbindung
stehen; inithin die Organe des Athmungs-,
Geschlechts-, Ham- und Verdauungsapparates.
Dagegen zählt die Anatomie Gehirn, Rücken¬
mark und Herz, obgleich diese Organe in
Körperhöhlen liegen, nicht zu den Eingeweiden,
denn dieselben communiciren weder direct
noch indirect mit der Ausseuwelt. Müller.
Eingeweidebänder, Ligamenta viscerum,
nennt man jene Gewebszüge, welche bestimmt
sind, die Eingeweide in ihrer Lage zu erhalten.
Sie bestehen meistens aus fibrillärem Binde¬
gewebe, welchem elastische Fasern und häufig
auch organische Muskeln beigemengt sind. So
weit sie in den Körperhöhlen liegen, werden
sie von der Auskleidung derselben, den serösen
Häuten, Pleura und Peritoneum gebildet. Diese
letzteren treten von derKörperwand aus in Form
einer Falte zu den Organen und schliessen
sie ein, so zwar dass die Organe in die Falte
hinein zu lifegen kommen. Zwischen den beiden
für gewöhnlich an einander liegenden Blättern
dieser Serosafalte oder Duplicatur verlaufen
fast regelmässig die für die Organe be¬
stimmten Gefässe und Nerven und tragen so
zur Festigkeit der Bänder wesentlich bei.
Diese letzteren kommen meistens vom Zwerch¬
fell oder von der oberen Körperwand, treten
aber nicht selten auch von Organ zu Organ.
Man gruppirt die Eingeweidebänder am
besten nach den Körperhöhlen und dann nach
den Organen, welche sie fixiren. In der Brust¬
höhle ist es das Mittelfell, Mediastinum,
welchem die Hauptbandwirkung zukommt.
Als Lungen-Zwerclifellband, Ligamentum
pulmonalis h., wird eine Brustfellduplicatur
bezeichnet, welche je vom medialen Th eile
des oberen scharfen Lungenrandes, an das
Mittelfell und an den Schlund angrenzend,
zum Zwerchfellspiegel verläuft. In* der Bauch¬
höhle gehen vorab eine Reihe von Bändern
vom Zwerchfell aus an die angrenzenden Or¬
gane Leber, Magen und Milz. Die Leborbänder
verhalten sich bei allen Thieren annähernd
gleich. Ein starker Bandzug, das Kranz¬
band der Leber, Ligamentum coronarinm,
verläuft vom oberen Drittheil des Zwerch¬
felles, dasselbe traversirend, direct zum oberen
Leberrand. Seine beiden Enden sind stärker
und länger als das Mittelstück und werden
wohl auch als rechtes und linkes Seiten¬
band der Leber, Ligamentum hepatis
dextrum et sinistrum bezeichnet. Ein zweiter
Bandzug beginnt etwa in der Mitte des Kranz-
band^s und zieht sich von da aus in sagit-
taler Richtung über den Zwerchfellspiegel
abwärts, indem seine kurzen Fasern sich an
der Vorderfläche der Leber anheften: es ist
das Aufhängeband der Leber,' Liga¬
mentum Suspensorium hepatis. Dasselbe
schliesst die hintere.Hohlvene an ihrer Durch-
bruchstelle durch das Zwerchfell ein und setzt
sich von der sog. Nabelgrube der Leber an
direct fort in der obliterirten Nabelvene, welch
letztere unter dem Namen rundes Band
der Leber, Ligamentum teres hepatis, als
eine ca. zwei Finger breite, nach rückwärts
allmälig verschwindende Bauchfellfalte bis in
die Nabelgegend zu verfolgen ist. Beide
Bänder zusammen werden wohl auch sicheL
förmiges Band der Leber geheissen. Das
Leber - Nierenband, Ligamentum hepato-
renale, ist eine von der rechten Niere auf den
dicht anliegenden oberen Leberrand über¬
springende Bauchfellduplicatur.
Auf den Magen geht das bindende Bauch¬
fell über theils von dem Zwerchfell aus,
Zwerchfell - Magenband, Ligamentum
phrenico-gastricum, theils von der Leber her,
Leber-Magenband, Ligamentum hepato-
gastricum. Ersteres geht links und rechts
den Schlund entlang an den kleinen Bogen
des Magens; letzteres tritt von der Leber¬
pforte aus an die rechte Hälfte der kleinen
Curvatur. Das Rind besitzt eine ähnliche Band¬
anordnung für seine Mägen. Das wesentlichste
Haftband kommt den Schlund entlang vom
Zwerchfell her. Es inserirt sich in grösserer
Ausdehnung an der oberen vorderen Fläche
des linken Pansensackes. Die einzelnen Magen¬
abtheilungen sind unter sich durch den die
Einschnürungen überbrückenden Peritoneal¬
überzug verbunden.
An die Milz geht vom linken Zwerch¬
fellpfeiler und der linken Niere aus das Auf¬
hängeband der Milz, Ligamentum Suspen¬
sorium lienis. Dann bindet das Magen-
Milzband, Ligamentum gastro-lineale, den
concaven Milzrand an die grosse Curvatur
der linken Magenhälfte; dieses letztere ist
bei den Fleischfressern recht lang, dagegen
bei den Wiederkäuern, woselbst die Milz
der linken oberen Pansenfläche flach und
dicht anliegt, nur durch kurzes Bindegewebe
vertreten. Die Zwölffingerdarmbänder bilden
mehr oder weniger ein Continuum (Zwölf¬
fingerdarmgekröse). Eine kleine Bauchfell-
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EINÖEWEIDEBLATT. -
falte, welche vom kleinen Magenbogen zum
Zwölffingerdarm hinzieht, wird Mage n-Z wölf-
fingerdarmband, Ligamentum gaströ-duo-
denale, geheissen. Dann geht ein Band von
der Leberpforte aus, den Gallengang bergend;
gewissermassen ah Fortsetzung des Leber-
magenUandes zum Zwölffingerdarm: Leber-
Zwölffingerdarmband, Ligamentum he-
pato-duodenale. Daran reiht sich unmittelbar
das Nieren-Zwölffingerdarmband, Liga¬
mentum reno-duodenale, von der rechten Niere
aus. Wo das DuQdenura unter der Wirbel¬
brücke nach rückwärts verläuft, wird es durch
kurze.Bandmassen an den Mastdarm und an
die obere ’Grimmdarralage ' (beim Pferd) —
Mastdarm-Zwölffingerdarm band — und
weiter rückwärts von dem vorderen Gekröse
fixirt. Beim Wiederkäuer ist wegen der tieferen
Lage des Duodenum das Leber-Zwölffinger-
darmband länger und stärker, dagegen ist der
unter der Wirbelsäule verlaufende Theil nur
durch kurzes Bindegewebe an den Mastdarm
und an die Wirbelkörper befestigt. Beim
Schwein und den Fleischfressern sind die
Leber- und Nierenbänder des Duodenum lang
und werden kurzweg als Zwölffingerdarm¬
gekröse bezeichnet. Das Aufhängeband des
übrigen Dünndarmes ist das vordere Ge¬
kröse, Mesenterium, welches, an den ersten
■Lendenwirbeln entspringend, als lange, fächer¬
förmige Peritonealfalte zum concaven Bogen
des Darmes hinzietit.
Beim Rinde liegen zwischen den Blättern
dieses Gekröses noch die Windungen des
Grimmdarmes; das Ganze wird als Darm¬
scheibe bezeichnet. Vom Leerdarm, springt
eine Bauchfellduplicatur zum Blinddarm über,
welche beim Pferd recht ansehnlich wird und,
der Form entsprechend, sichelförmiges
Band genannt wird. Eine breite Peritoneal¬
falte, welche die Blutgefässe begleitet und
zum Grund des Blinddarms geht,'* sowie eine
Bauchfellduplicatur, welche vom Blinddarm
zum Anfang des Griramdarms überspringt,
wird als* Blinddarmgekröse, Mesocoecum
bezeichnet. Die Bauchfellblätter, welche beim-
Pferde und Schweine den Grimmdarm Zu¬
sammenhalten, indem sie von einer Lage auf
die andere überspringen, heissen Grimm¬
darmgekröse, Mesocolon. Sie enthalten
beim Pferd organische Muskeln. Das hintere
oder Mastdarmgekröse, Mesorectum, ist
eine beim Pferde lange, bei den übrigen
Thieren kurze Bauchfellduplicatur und geht
von den Körpern der Lenden- und Kreuz¬
wirbel zum kleinen Bogen des Mastdarmes.
Der flaschenförmige Theil des Mastdarmes
wird theils durch das Zellgewebe des Beckens,
theils * durch die Aftermuskeln und haupt¬
sächlich durch die After-Schweifbänder
(Gurlt) in seiner Lage erhalten. Die fetzteren
sind die untere Tänie des Mastdarmes, welche,
sich theilend, links uud rechts neben dem
After emporsteigt und sich an den ersten
Schweifwirbeln anheftet.
Weitere Bänder in der Lenden- und
Beckengegend gehören der Blase, dem männ¬
lichen und weiblichen Geschlechtsapparat an.
■EINGEWEIDEBRÜCHE. 463
Von den Seitenwandungen des Beckens gehen
seitlich zur Blase bis zu deren Grund die sog.
Seitenbänder der Blase,Ligamentavesico-
umbilicalia lateralia h. Ihr vorderer freier
Rand hält die obliterirten Nabelarterien ein¬
geschlossen (runde Bänder, Gurlt). Das mitt¬
lere Blasenband, Ligamentum vesico-um-
bilicale medium h., geht vom Grunde der
Blase aus und zieht sich in der Mittel- *
linie des Bauches als schmale, allmälig ver-
schwindende Bauchfellfalte gegen die Nabel¬
gegend hin. Es enthält den verkümmerten
Urachus. Als ringförmiges Band der
Blase beschreibt Leisering das sich in der
Nähe des Blasenhalses zurückschiagende
Bauchfell (Diaphragma pelvis). Das Band
des Blasenhalses, Ligamentum pubo-vesi
cale h., ist ein mit organischen Muskelbündeln
durchsetzter, beim Rind ziemlich 'starker
Faserzug, welcher den Blascnhals an die
vordere Abtheilung der Beckenfuge fixirt.
, Für den Hoden muss der Samenstrang
mit der besonderen Scheidenhaut und der
Cremaster externus als Aufhängeband ange¬
sehen werden. Ein eigentliches Band mit
kurzen, zähen Fasern heftet den Nebenhoden-
schweif an den Testikel: Band des Neben¬
hodens, Ligamentum epididymidis. Es möge
hier nur noch das seitliche Aufhängehand
des Penis, Ligamentum Suspensorium penis
laterale, erwähnt sein. Dasselbe geht vom
hinteren Ausschnitt des Gesässbeines seitlich
an den cavernösen Körper der Ruthe, den
Sitzbein-Ruthenmuskel ergänzend.
Die weiblichen Geschlechtsorgane werden
in der Bauchhöhle vorzugsweise durch die
zwei gekrösartigen, starken breiten Mutter¬
bänder, Ligamenta uteri lata, in ihrer Lage
gehalten. Dieselben sind ebenfalls Bauchfell-
duplicaturen, welche von der Lendengegend
herkommen und sowohl die Gebärmutter als
die Eileiter und Ovarien umfassen. An ihrer
äusseren Fläche ist je ein falten artiges «An¬
hängsel, welches in der Nähe des vorderen
Beckenrandes allmälig beginnt und in der
Höhe der Gebärmutterhörner als abgerundeter
Zipfel endigt: das runde Mutterband,
Ligamentum uteri rotundum. In ihm verläuft
ein kleiner Muskel, der dem Cremaster exter¬
nus der männlichen Thiere entspricht. Von
der Spitze des Gebärmutterhomes zieht sich
eine Bauchfellfalte gegen den entsprechenden
Eierstock hin, so zwar dass ein Rand des
Bandes frei, der andere, obere dagegen mit
dem breiten Mutterband verwachsen ish es
ist dies das sog. Eierstockband, Ligamen¬
tum ovarii. Zschokke.
Eingeweideblatt, s. Bauchfell und Brustfell.
Ei ngeweldebrüche. Unter B r u c h, H e r n i e,
verstehen wir eine angeborene oder erwor¬
bene Lageveränderung eines Eingeweides,
bei welcher dasselbe sich nicht in der Leibes¬
höhle befindet, innerhalb welcher sein nor¬
maler Platz ist, sondern entweder ganz oder
nur theilweise durch eine Oeffnung hindurch
unter die allgemeine Decke oder in eine
benachbarte Höhle ausgetreten ist. Dadurch,
dass die Eingeweide von der äusseren Haut
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464
EINGEWEIDEBRCCHE.
bedeckt sind, unterscheidet sich dieses Leiden
von dem Vorfälle, Prolapsus, bei welchem
eine derartige Bedeckung nicht stattfindet,* die
aus der Leibeshöhle ansgetretenen Einge¬
weide vielmehr der Luft ausgesetzt sind.
In dem angegebenen Sinne sprechen wir
von Gehirn-, Lungenbruch, von Brüchen der
verschiedenen Baucheingeweide.
Man gebraucht auch die Bezeichnung
Hernie, Bruch, wo es sich um Organe handelt,
die in keiner Körperhöhle gelagert sind, so
z. B. wenn man von Muskelhernien spricht,
wobei man also blos das Durchtreten des
Muskels aus seiner Umhüllung im Auge hat.
Endlich werden auch Ausstülpungen von
Synovial-Membranen als Hernien bezeichnet.
Gebraucht man das Wort Hernie schlecht¬
weg, so meint man damit stets Bruch der
Baucheingeweide, und auf dieses bezieht sich
auch die folgende Erläuterung, da Hirn- und
Lungenbrüche bei Thieren zu den äussersten
Seltenheiten gehören.
Der früher gegebenen Definition nach
muss also irgend ein in der Bauchhöhle be¬
findliches Organ durch eine Lücke in der
Wandung austreten. Dies geschieht entweder
durch eine zufällige, in Folge eines Traumas
entstandene Oeflhung oder viel häufiger an ganz
bestimmten Stellen, welche schon vorgebildet
oder doch morphologisch angedeutet sind,
und welche Gefässen, Nerven und anderen
Organen zum Ein- oder Austritt dienen; auf
diesem Wege treten dann auch die Einge¬
weide aus der Bauchhöhle.
Diese Oeffnungen in der Bauchwand
bezeichnet man als Bruchpforte (eventuell
Bruchcanal). Indem wir die Hernien nach
den Bruchpforten benennen, schaffen wir uns
eine sehr bezeichnende Terminologie: Nabel¬
bruch, wenn der Nabelring; Leistenbruch, wenn
der Leistenring die Austrittsstelle darstellt;
Schenkelbruch, wenn die Eingeweide unter
dem Poupart’schen oder dem Schenkelbande
durchtreten; Flankenbruch heissen wir einen
solchen, der in der Flankengegend auftritt,
während wir als Bauchbrüchc alle jene be¬
zeichnen, welche an irgend einer anderen
als den genannten Stellen des Bauches ent¬
stehen. In manchen Fällen ist die Bruch¬
pforte nicht genau zu bestimmen, wir bezeichnen
dann den Bruch nach denjenigen Theilen, die
ihn von aussen umgeben. So wird z. B. die
Scheide, der Mastdarm, das Mittelfleisch durch
austretende Eingeweide hervorgedrängt, und
man nennt solche Brüche demgemäss Scheiden-,
Mastdarm-, Mittelfleischbruch.
Alle diese Brüche nennt man auch, weil
sie äusserlich bemerkbar sind — äussere,
zum Unterschiede von den inneren, äusser¬
lich nicht bemerkbaren Brüchen, wozu die
Zwerchfellbrüche (Austritt der Baucheinge¬
weide. in die Brusthöhle durch eine in Folge
Verwundung oder Zerreissung entstandene
Oeffnung im Zwerchfell), der Ueberwurf bei
Ochsen u. s. w. gehören.
Durch die Bruchpforte muss nun ein Ein¬
geweide des Hinterleibes austreten. Da aber
diese im Cavum peritoneale liegen, so wird das
Hervortreten derselben nur nach Ausstülpung
des Bauchfelles möglich werden, es müsste
denn sein, dass sie in ein normales Divertikel
der Peritonealhöhle, z. B. durch den Leisten¬
canal in den Hodensack herabsteigen, oder
dass das Bauchfell durch das Trauma, welches
die Trennung in der Bauchwand erzeugt,
gleichfalls mitzerrissen wurde. Das sackförmig
hervorgestülpte Bauchfell bezeichnet man als
Bruchsack. Aber auch in dem Falle, wenn
die Eingeweide durch das zerrissene Bauch¬
fell ausgetreten sind, bildet sich alsbald ein
Bindegewebssack mit innerer glatter Wan¬
dung, für welchen man gleichfalls den Namen
Bruchsack angenommen hat. Am Bruchsacke
unterscheidet man die Mündung, jene Stelle,
wo *das Bauchfell in den Bruchsack übergeht,
ihr entgegengesetzt ist der Grund, und der
dazwischen liegende Theil ist der Körper.
Der Theil, welcher innerhalb der Bruchpforte
liegt, heisst Bruchsackhals. Die Mündung
des Bruchsackes kann verschieden gestaltet
sein, rundlich, länglich,, spaltförraig u. s. w.,
ebenso verschieden ist ihre Weite, oft kaum
für einen Finger durchgängig, oft dagegen
für die ganze Hand passirbar. Da das Bauch¬
fell durch andrängende Eingeweide eigentlich
nicht so sehr ausgedehnt, als vielmehr von
allen Seiten herbeigezogen wird, so sehen
wir in Folge dessen an der Bruchpforte
radienförmige Falten auftreten, welche bei
länger dauerndem Bruche in Folge eines Ent-
zündungsprocesses verwachsen und dann
radienförmig derbe Leisten darstellen. Schon
dadurch, noch mehr aber durch die Ver¬
dickung des subserü8en Bindegewebes wird
die Bruchpforte zu einem derben, resistenten
Ringe. Ist die Mündung des Bruchsackes
derart enge, dass kein Eingeweide in den¬
selben eindringen kann, so entstehen die
Leerbruchsäcke. Es ist weiters möglich,
dass sich oberhalb dieses Leerbruchsackes
ein neuer bildet, wodurch dann der sanduhr¬
förmige Bruchsack entsteht; wiederholt sich
dieser Vorgang mehrmals, so kommt es zur
Bildung des rosenkranzförmigen Bruch-
sackcs, eine bei Thieren — meines Wissens —
noch nicht gekannte Form. Dagegen sind
Bruchsäcke mit Divertikeln beschrieben,
welche entstehen, indem sich an dem Bruch -
sack eine oder mehrere Nebenhöhlen aus¬
bilden.
Im Bruchsack findet man häufig etwas
seröse Flüssigkeit, das Bruchwasser. Bei
dem Heraustreten des Bruchsackes durch die
Bruchpforte drängt derselbe aber immer auch
Bindegewebe, manchmal auch Muskelschichten
gleichsam als Umhüllung vor sich her, die
bei frischen Brüchen ganz gut kenntlich sind,
bei alten aber durch den Entzündungsprocess
verschmelzen und eine verschieden dicke
Membran bilden, welche wie eine Kapsel den
Bruchsack umgibt — diefascia propria
hern iae.
Nach den Theilen, welche sich im Bruch¬
sack finden, unterscheiden wir D a r m -, N e t z-,
Darmn*etz-, Magen-, Leber-, Gebär¬
mutter-, Eierstock-, Blasenbrüche.
' EINGEWEIDEBRÜCHE.
465
Die Eingeweide sind anfangs unverändert;
nach und nach bilden sich aber sowohl am
Darme wie am Netze Veränderungen aus, die
auf Störung im Kreisläufe, beim Darme auch
auf Hindernisse in der Fortbewegung des
Darminhaltes zurückzuführen sind. So er- ■
scheint der vorgelagerte Darm dicker, flei¬
schiger in Folge Hypertrophie der Muskel¬
schichte, da der Darm .behufs Fortschaffung
der Fäcalstoffe energischer arbeiten muss, ßei
noch längerer Dauer dagegen, wenn er diese
Massen nicht überwältigen kann und in Folge
dessen ausgedehnt bleibt, erscheint die Mus- ’
kulatur atrophisch. Die Circulatiousstörungen
betreffen hauptsächlich den venösen Kreis¬
lauf, die Schleimhaut wird hyperämisch, die
ganze Wandung serös durchfeuchtet, aufge-
Jockert. Das Netz kann anschwellen, die Falten
desselben können mit einander verwachsen und
so eine rundliche, kugelförmige Anschwellung
bilden. Endlich kann Verwachsung dieser
Theile mit dem Bruchsacke eintreten. Bezüglich
der Zeit des Entstehens unterscheiden wir an¬
geborene und erworbene Brüche. Die Be¬
zeichnung „angeborene“ ist nicht im strengsten
Sinne des: Wortes zu nehmen, denn der Fall,
dass ein Thier mit einem Bruch zur Welt
kommt, ist nicht häufig; wir rechnen hieher '
auch alle Brüche, welche bald, einige Tage
nach der Geburt entstehen, während die
Brüche, welche in späterer Lebenszeit auf-
treten, als erworbene aufgefasst werden. Bei
den letzteren macht man manchmal einen
Unterschied zwischen spontanen und trau¬
matischen; letztere sind solche, welche
nach einer subcutanen Zerreissung der Bauch¬
decken oder nach Verheilung eii^er Bauch¬
deckenwunde durch ailmälige Ausdehnung der
Narbe entstehen.
Mit Rücksicht auf die Dauer der Brüche
haben wir frische und alte zu unter¬
scheiden. f
So lange sich die im Bruche befindlichen
Eingeweide leicht in die Bauchhöhle Zurück-
Schieben lassen, heisst der Bruch ein freier,
beweglicher, reponibler; ist das Zurück¬
bringen derselben nicht möglich, dann wird
der Bruch ein unbeweglicher, irrepo-
niblei* genannt. Die Ursache des letzteren
kann in der Verwachsung der Eingeweide
unter einander oder mit dem Bruchsack liegen
oder in der Einklemmung, Einschnürung
der vorgelagerten Theile.
Was die Einklemmung anbelangt, so
war und ist noch hie ■ und da die Ansicht
verbreitet, dass der Bruchring direct als
solcher durch seine Verkleinerung, ^Zusam-
menziehung diese Einschnürung bedinge. Dies
ist in der Mehrzahl der Fälle nicht zutreffend,
da die Bruchpforte gewöhnlich einen derben,
fibrösen Ring darstellt, der keiner Contraction
fähig.ist; das wäre nur dann denkbar, wenn
wir eine plötzlich entstehende Hernie an¬
nehmen, wobei z. B. eine Darmschlinge oder
ein Stück Netz durch die in Folge einer hef¬
tigen Druckwirkung momentan etwas, ausge¬
dehnte Bruchpforte tritt, worauf der Bruch¬
ring sich Sofort wieder zusammenzieht (ela-
Koch. Encyklopädie <1. Thierheilkd. II. Bd.
stische Einklemmung), oder bei traumatischen
Hernien, wenn die iWundränder der nament¬
lich in der Richtung ihrer Fasern zerrissenen
Muskulatur nach der Verletzung oder in Folge
einer später eintretenden Entzündung sich eng
an die herausgetretenen Theile anlegen und
dadurch Circulationsstörungen und ihre wei¬
teren Folgen veranlasse^. Für die übrigen
Fälle, wo bei meist sehr weitem Bruchringe In-
carcerationserscheinungen auftreten, müssen
wii* andere Ursachen beschuldigen. Zur Auf¬
klärung der hiebei stattfindenden Vorkomm¬
nisse vAirden zahlreiche Experimente sowohl •
am ausgeschnittenen Darme als auch am
lebenden Thiere vorgenommen, und es ergab
sich die Thatsache, dass eine Einklemmung *
durch verschiedene Ursachen bedingt werden
könne. Meist war es der Darminhalt, welcher
den Vetschluss des Darmrohres bewirkte; es
mögen auch solche Fälle Vorkommen, wo der
erste Anstoss durch veränderte Blutcirculation
gegeben ist. Wir bezeichnen die erstere Form
als Kotheinklemmung, wobei aber nicht immer
wirkliche Kothmassen, *8ondern auch Flüssig¬
keit und Gase in Betracht kompaen. Es. kann
hiebei der Verschluss des Darmrohres durch
Aufblähung des zuführenden Schenkels des¬
selben zu Stande kommen, wobei sich der¬
selbe aufrichtet und die Bruchpforte voll¬
ständig ausfüllt, so dass der abführende
Schenkel gan? comprimirt und sein Lumen
verschlossen wird; es ist aber auch möglich
(wie Busch gezeigt hat), dass die durch den
Bauchring getretene Darmsehlinge durch das
Eintreiben von Flüssigkeit oder, Gasen an
allen Punkten eine Bewegung in der Rich¬
tung der Krümmungsradien macht. Weil in
Folge dessen auf die convexen Wände ein
grösserer Druck ausgeübt wird als auf die
mesenterialen, so wird von dem oberhalb der
BrucHpforte gelegenen Theil des abführenden
Schenkels ein Stück, soweit es das Gekröse
erlaubt, in den Bruchring gezogen. Sowie
sich ein Hinderniss für diese Bewegung er¬
gibt, wird die* Darmschlinge sofort abgeknickt.
Weiter sind Fälle bekannt und experimentell
erzeugt worden, wo d{is zuführende Rohr
schon vor der Bruchpforte durch Aufblähung
geknickt wurde.
Der Verschluss eines Darmstückes kann,
wenn dasselbe durch eine enge Oeffnung Ijin-
durchgetreten ist, auch dadurch zu Stande
kommen, dass bei rasch auftretender Blähung
die Wandung aus dem ßtenosirten Theile des
Datmes herbeigezogen wird, wobei sich Falten *
am Rohre bilden, durch welche ein vollkommener
Verschluss erzeugt wird, der um so fester wird,
je stärker die Bl^iung ist. Eihe Compression
beider Schfenkel ist durch eine. Einkeilung
von Netz zwischen dieselben denkbar, und
endlich wurden Fälle beobachtet, wo der vor¬
gelagerte Schenkel eine Drehung vollführt hat.
In folge der Blähung des Darmes treten
noch andere wichtige Veränderungen in dem-
- selben auf, durch welche cii\e Verschlimmerung
des Zustandes erzeugt wird. In* dem ausge¬
tretenen Darmstück hört nämlich die peri¬
staltische Bewegung vollkommen auf; dieser
30 ?
466 . EINGEWEIDEBRÜCHE*
Zustand bleibt auch nach Entfernung der
Einklemmung verschieden lange Zeit bestehen,
gleicht sich aber, vorausgesetzt, dass keine
intensiven Circulationsstörungen bestehen,
vollkommen aus. Die acute Aufblähung lähmt
also den Darm.
Zu denCirculationshindernissendesDarm-
inhaltes in Folge* der Blähung und der Läh¬
mung der Peristaltik treten noch Störung der
Blutcirculation, venöse Stauungserscheinungen
im Darmrohr mit Gefässzerreissung und Blu¬
tung in die Darmwände und das Darmlumen,
seröse und schleimige Transsudation duf, wo¬
durch das Volum der eingeklemmten Schlinge
und das Missverhältnis zwischen ihr und dem
Ringe.noch vermehrt werden muss. Bei höheren
Graden bewirken diese Circulationsstörungen
auch Brand. Dieselben sind wohl nicht alle
durchwegs auf die Blähung allein zürückzu-
führen, sondern meist auf die Compression
der Gefässe durch die einklemraende Stelle
oder durch Knickung der Gefasse.
In Folge dieser Circulationsstörungen er¬
scheint die vorgelagerteDarmschlinge oft roth-
kastanienbrauf), bläulich roth oder endlich
ganz schwarzroth gefärbt; es entstehen Blu¬
tungen in die Gewebe der Schlinge in Form
von schwarzen, hämorrhagischen Flecken. Ge¬
wöhnlich tritt an Stelle dieser Flecken oder
dort, wo die Schlinge gegen den. scharfen
Einklemmungsring gepresst wird* die Gangrän
zuerst auf. Diese Stellen werden grau, glanz¬
los, locker, zerreisslich; auch das Bruchwasser
verändert sich bei länger bestehenden incar-
cerirten Hernien, es wird trübe und verschieden
nuancirt roth.
In dem eingeklemmten Netz treten die
pathologischen Veränderungen viel langsamer
und später auf als im Darme.
Die Erscheinungen des Bruches sind
verschieden, je nachdem der Bruch beweglich
oder unbeweglich, oder incarcerirt ist und
je nach dem Eingeweide, das er enthält. Wir
finden meist in der Gegend der ermähnten natür¬
lichen Oeffnungen eine weiche, rundliche Ge¬
schwulst, deren Grösse je nach der Fütterung
und Stellung des Thieres wechselt. Hat das Thier
eine solche Stellung, dass die Last der Ein¬
geweide gegen die Ursprungsstelle der Ge¬
schwulst hindräpgt, so wird letztere in der
Regel grösser: dasselbe geschieht beim Husten
oder bei Anwendung der Bauchpresse; wird
das Thier derart gelagert, dass die Einge¬
weide in die Bauchhöhle zurücksinken können,
dann wird die Geschwulst kleiner werden oder
ganz verschwinden (bewegliche Brüche voraus¬
gesetzt), und man wird die Oeffnung in der
Bauchwandung deutlich füllen können.
Sind die vorgelagerten Theile Darm¬
partien, so ist die Geschwulst sehr elastisch,
und die Percussion ergibt Darmtöne, auch
sind mitunter Darmgeräusche bemerkbar; wird
die Schlinge reponirt, so geschieht dies oft
unter einem eigentümlich gurgelnden Ge¬
räusche.
Das vorgelagerte Netz fühlt sich mehr
teigig, höckerig, derb an. Die sichere Diagnose
der in äusserst seltenen Fällen vorgefallenen
anderen Organe des Hinterleibes, Gebärmutter,
Harnblase etc., dürfte wohl häufig Schwierig¬
keiten begegnen. Die Bestimmung des Inhaltes
ist auch manchmal dadurch erschwert, dass
die allgemeine Decke über dem Bruche in
Folge äusserer Einwirkungen, Entzündungs-
processe u. dgl. geschwollen oder verdickt
ist. Bei grossen Thieren unterstützt die Unter¬
suchung durch den Mastdarm wesentlich die
Diagnose.
Bei eingeklemmten Brüchen zeigen die
Thiere sofort I^olikerscheinungen, bei Hunden
und Schweinen tritt auch Erbrechen ein. An
dem Bruch selbst treten mit Ausnahme des
Umstandes, dass der Inhalt nicht mehr repo-
nibel ist, anfangs in der Regel keine beson¬
deren Veränderungen auf: meist vermisste
ich, wenigstens bei Hodensackbrüchen der
Hengste, die oft angeführte Schmerzhaftigkeit.
Bei länger dauernden Incarcerationen tritt in
der Umgebung des Bruches manchmal Oedem
auf. Die übrigen Erscheinungen, die das Thier
bietet, sind dieselben, wie sie so häufig bei
Koliken in Folge Lageveränderung der Ein¬
geweide enstehen. Bei Einklemmung von Netz
sind die Erscheinungen weniger intensiv.
Die Entzündung des Bruchsackes ist ein
sehr seltenes Vorkommniss und durch trau¬
matische Einwirkungen, Druck, Stoss u. s. w.
bedingt. Dass sie aber vorkommt, dafür spre¬
chen ausser directen Beobachtungen auch die
oft in bedeutender Ausdehnung bestehenden
Verwachsungen des Bruchinhaltes mit dem
Bruchsacke.
Wenn wir die Ursache der Hernien in
Betracht Riehen, so müssen wir in erster
Linie eine gewisse Disposition erwähnen,
insofern nämlich, als die vorgebildete wenig
widerstandsfähige Stelle der Bauchwandung
eine besondere Grösse aufweist nnd in Folge
dessen das Austreton der Eingeweide leichter
ermöglicht. Mit Rücksicht aufdiesen Umstand
können wir auch von einer Erblichkeit der
Brüche sprechen, nicht in dem Sinne, al£
würden die Brüche als solche vererbt, sondern
es wird nur die Grösse der Bruchpforte von
dem alten Thier auf das Junge übertragen.
Die traumatischen Hernien entstehen,
wie ja schon der Name besagt, in Folge
irgend einer gewaltsamen, mechanischen Ein¬
wirkung, durch welche die Bauchwandungen
mit Ausnahme der Haut durchgetrennt werden.
Es kommt dies häufig durch Anfahren oder
Anrennen an vorstehende stumpfe Gegen¬
stände oder durch Fallen auf solche zu Stande.
Diese ßrüche besonders können bei ober¬
flächlicher Untersuchung mit Quetschbeulen,
Hämatomen, mit Abscessen, aber auch mit
Muskelhernien verwechselt werden. Begün¬
stigend auf das Entstehen der Brüche wirken
alle Umstände, welche ein stärkeres Andringen
der Eingeweide gegen die Bauchwandung
erzeugen, möge dies von Seite der Eingeweide
selbst ausgehen oder von Seite der Baüch-
wandung unter Wirkung der Bauchpresse;
also blähendes Futter, anstrengendes Ziehen,
schwere Geburt, erschwerter Mistabsatz, das
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EINGEWEIDELEHRE. — EINGEWEIDEWÜRMER.
467
Werfen und Fesseln der Thiere, das Auf¬
steigen bei Beschälern u. s. w.
Die Brüche sind einer Selbstheilung
durch Obliteration des Bruchsackes oder der
Bruchpforte fähig, bestehen aber in über¬
wiegender Mehrzahl, besonders wenn sie in
späterer Lebenszeit aufgetreten sind, unter
zunehmendem Wachsthume das ganze Leben
hindurch. Die Rückbildung, spontane Heilung,
sehen wir wohl nur bei jungen Thieren, wenn
der Bruchinhalt dauernd zurückgehalten wird,
sei es z. B. durch Bruchbänder, durch ent¬
zündliche Processe in der Umgebung dÄs
Bruches, durch adhäsive Entzündung der in
Berührung gekommenen serösen Fläche des
Bruchsackes, durch Narbenbildung an der
allgemeinen Decke u. s. w. Einzelne dieser
angeführteh Ursachen benützen wir selbst bei
der Behandlung der Brüche.
Nach jStockfleth kommen die Brüche am
häufigsten beim Schweine und Rinde vor,
Nabelbrüche am häufigsten beim Hunde und
Pferde, Hodensackbrüche beim Hengst und
Eber, während beim Schaf Brüche nur sehr
selten Vorkommen sollen. Die Brüche, selbst
ziemlich grosse, beeinträchtigen das allge¬
meine Befihden meist nicht, sie bilden aber,
abgesehen von dem Schönheitsfehler, stets
eine Gefahr für das Individuum, insofern
jeden Augenblick selbst bei weiter Bruch¬
pforte eine Einklemmung auftreten kann,
deren weitere Folgen nie bestimmbar sind,
indem selbst bei entsprechender Hilfeleistung
doch mitunter der Tod unabwendbar ist. Wir
müssen auch in Betracht ziehen, dass die
Folgen der Einschnürung bei dem Thiere und
insbesondere beim Pferde viel rascher und
heftiger auftreten als beim Menschen, da wir
selten in der Lage sind, die Erscheinungen
der Anlöthung der Darmschlinge an die
Bruchpforte, die Perforation der Eingeweide
und die Bildung eines widernatürlichen Afters,
also eine Naturheilung beobachten zu können,
weil die Thiere gewöhnlich innerhalb 24 Stun¬
den nach der Einklemmung eingehen.
Die Aufgabe des Thierarztes ist in erster
Linie, frisch entstandene traumatische sowie
Hernien bei jungen Thieren der radicalen
Heilung zuzuführen, da bekanntennassen hier
am meisten Erfolge erzielt werden können,
indem, wie schon erwähnt, in solchen Fällen
durch blosses Verhindern des Austrittes der Ein¬
geweide, durch zweckentsprechende Bandagen
eine Verkleinerung, ja vollständige Verschlies-
sung der Bruch pforte ein treten kann. Bei längere
Zeit bestehenden, grösseren Hernien wird die
Behandlung darauf gerichtet sein, eine Ver-
grösserung des Bruches und das Eintreten
üblej Zufälle zu verhüten. Man wird jede
starke Anstrengung des Thieres vermeiden,
ihm wo möglich eine solche Stellung geben,
dass die Eingeweide sich von der Bruchpforte
entfernen, ferner nur wenig und leicht ver¬
dauliche, nicht blähende Nahrungsmittel ver¬
abreichen. Sollte die Beseitigung des Bruches
aus irgend einem Grunde gewünscht werden,
so wird man hier in der Regel behufs Heilung
nur zur palliativen Behandlung schreiten,
d. h. man wird trachten, in der Umgebung
der Bruchpforte eine Entzündung der zunächst
liegenden Gebilde hervorzurufen, um dadurch
die Bruchpforte zu verlegen, da das radicale
Vorgehen, welches den vollständigen •Ver¬
schluss der Bruchpforte anstrebt, immer ein
sehr riskirtes, das Leben des Thieres in Frage
stellendes Unternehmen ist.
Bei eingeklemmten Brüchen versuche •
man in erster Linie die Taxis, das Zurück¬
bringen der Eingeweide durch mechanische
Hilfsmittel, durch“Kneten, Drücken, oft schon
durch zweckmässige Lagerung der Thiere,
derart dass das übrige Eingeweide einen Zug
auf die vorgelagerte Darmschlinge ausübt,
oder bei grossen Thieren durch directes Er¬
greifen und Ziehen an dem ausgetretenen
Theile der Darmschlinge vom Mastdarme aus.
Hiebei kann die Narkose von Vortheil sein,
nicht in dem Sinne, wie man früher glaubte,
dass dadurch der Bruchring erschlafft, wes¬
halb man auch locale Anästhesirung durch
Aetherzerstäubung versuchte, sondern nur
dadurch, dass die Wirkung der Bauchpresse
aufgehoben wird. Gelingt die Reposition auf
diese Weise nicht, dann muss man zur Her-
niotomie, dem Bruchschnitt, der blutigen Er¬
weiterung der einklemmenden Stelle schreiten,
mit welcher man in der Regel gleichzeitig
die Palliativ-, selten eine Radicalbehändlung
verbindet. In Fällen, in welchen die vorge¬
lagerten Eingeweide sich bereits gangränös
oder doch schon nahezu brandig zeigen, bliebe
nur die Anlage eines widernatürlichen Afters
übrig; ein jedenfalls seltenes Ereigniss.
(Ueber die Ausführung der einzelnen
Operationen s. unter Nabel-Loistenbruch.) Br.
Eingeweidelehre, Splanchnologie (splan-
chnologia), ist deijenige Abschnitt der Anatomie,
welcher von den Eingeweideti im anatomischen
Sinne des Wortes (s. Eingeweide) handelt;
sie beschreibt mithin die Organe des Atlimungs-,
Geschlechts-, Harn- und Verdauungsapparates
inclusive der natürlichen Körperöffnungen,
welche zu diesen Organen führen, und solcher
Theile der betreffenden Apparate, welche, wie
z.B. das männliche Glied, ausserhalb der Körper¬
höhlen liegen. Müller.
Eingeweidewürmer (Helminthes). Die Hel¬
minthen sind thierische Schmarotzer, die zum
Typus der Würmer gehören, indem sie eine
endopleure Körperform (bilaterale Sym¬
metrie) aufweisen. Sie zeigen eine sehr wech¬
selnde Gestalt, bald bandförmig, bald blasen¬
förmig, lorbeerblattähnlich oder lanzettlich,
bald cylindrisch; die meisten jedoch haben
eine längliche Form. Allen fehlt ein Athmungs-
apparat; dagegen besitzen sie grösstentheils
ein um den Mund angeordnetes gangliöses
Nervensystem mit grossen oder rudimentären
Nervenzellen und mit einem einfachen ven¬
tralen oder zwei seitlichen Nervensträngen
oder -Schnüren, welche oft mit dem Speise¬
röhrengürtel Zusammenhängen. Bei vielen
Helmir^thenarten und ihren Larvenformen aber
ist es bis jetzt nicht gelungen, ein solches
mehr oder weniger entwickeltes Nervensystem
nachzuweisen.
30 *
468
EINGEWEIDEWÜRMER.
Die Haut besteht aus drei Schichten,
welche einen muskulös-häutigen Ueberzug
bilden, der bei den Plathelminthen direct mit
dem Körperparenchym Zusammenhänge bei
den Rundwürmern dagegen eine allgemeine
Leibeshöhle umschliesst.
f Die innerste muskulöse Schicht ist von
grosser Wichtigkeit. Mit starken Muskeln
»versehen, die in verschiedenen Richtungen
angeordnet sind und sich an der Lederschicht
und folglich mittelbar auch an der Cuticula
festsetzen, ersetzt sie die sefost fehlenden be¬
sonderen Locomotionsorgane. So sind die
B A
Helminthen oft zu mehr oder weniger leb¬
haften, zuweilen sogar sehr raschen Bewegungen
befähigt.
Die mittlere oder Lederschicht wird durch
das Derma gebildet. Sie besteht aus körnigem
Protoplasma, in welchem vereinzelte Kerne?
enthalten sind. . ,
Die äussere oder Oberhautschicht besteht
aus der Cuticula (Fig. 455), einer festen, starken,
hyalinen, durchscheinenden, oft geschichteten,
lamellösen Membran. Die Cuticula ist ein Pro¬
duct des Derma: durch ihren Chitingehalt bildet
sib bei den Würmern ein wahres Skelet und
trägt zur Entwicklung der Lar¬
vencysten oder -Kapseln bei.
Bei den Cestoden und den
Trematoden ist sie dünn: bei
den Nematoden und denAcanto-
cephalen dagegen dick.
DerVerdauungsapparat (Fig.
456 u. 457) ist nicht constant
und wechselt sehr an Form und
Entwicklung. .So haben z. B. die
Nemathelminthen in der Regel
ein weites, im Körper freies Nah¬
rungsrohr, welches vom Munde
ausgeht und im After endigt.
Viele besitzen auch einen Kau¬
apparat. Dem Echinorhynchus
Gigas dagegen fehlt, obgleich er
auch ein Rundwurm ist, ein Ver¬
dauungsrohr gänzlich, und ist
seine innere Körperhöhle durch
den Geschlechtsapparat und die
Nährflüssigkeit eingenommen.
Unter den Blattwürmern
zeigen die Distomen (Fig. 466
und 467) einen • verzweigten,
blind endenden und mit dem
Körperparenchym verschmolze¬
nen Verdauungsapparat. ' Die
Cestoden dagegen besitzen kei¬
nen wahren Nahrungscanal, und
es scheint, dass ihre Ernährung¬
hauptsächlich auf endosmoti¬
schem Wege stattfinde.
Das Kreislaufsystem ist
durch einfache oder verzweigte
wasserführende Gefasse vertra¬
ten, die zuweilen mit einem Aus¬
führungscanal versehen sind.
Pulsirende Gefasse fehlen.
——jL
Fig. 456. A Kopf und Vordortheil des Körpers von Docli-
mius duodenalis, . woran die Qöerstreifang der Cuticula
zu sehen ist. B Weibchen von Dochmius duodenalis, eben¬
falls 'die Qnerstroifung der Cuticula zeigend. Man sieht
*in a den Schlundkppf, in d> den Cuticularschlaucb, der
zur Aufnahme des Endstückes vom Eileiter bestimmt ist;
in c das hinterste Ende vom Verdauungscanal. C Bau der
Cuticula bei starker Vergrösserung. —- (Nach der Natur
• gezeichnet von Dr. Caritst.)
Die Helminthen leben, we¬
nigstens in einer gewissen Pe¬
riode ihres Daseins, parasitär
in 'verschiedenen Körperorga¬
nen des Menschen und der
Thiere. Im Allgemeinen .ver¬
steht man unter Helminthen
Würmer, welche den Darmcanal
bewohnen. Doch nicht alle
hab^n diesen Wohnsitz. Wite wir
sehen werden, gibt es solche,
die im Blute leben, und an¬
dere, welche die Lungen, die
Leber, die Nieren, das Ge¬
hirn u. s. w. bewohnen.
EINGEWEIDEWÜRMER.
469
Sie hatten schon im grauen Alterthume
die Aufmerksamkeit der Aerzte und der
Naturforscher auf sich gezogen: doch erst
seit dem XVII. Jahrhundert wurden sie zum
Gegenstände eines ernsten Studiums.
Die alten Aerzte und Naturforscher be¬
schränkten sich darauf, einige im mensch¬
lichen Körper wohnende
Arten zu erwähnen oder zu
beschreiben. So findet man
z. B. in ihren Schriften eine
Erwähnung der As c ari¬
des, der Lumbrici te re¬
de s, der Lumbrici lati,
der Taenia lata, der V e r-
mos cucurbitini u. s. w.
Der Hilfsmittel entbehrend,
welche erst die Frucht der
viel später in den chemi¬
schen und physikalischen
Wissenschaften vollzogenen
Fortschritte sind, konnten
sie die parasitäre Natur
mancher Krankheiten nur
vermuthen. Sporadische, en¬
demische und epidemische
Krankheiten, als deren Ur¬
sache in diesem Jahrhun¬
derte die Gegenwart von
Helminthen erkannt worden
ist, wurden häufig auf ima¬
ginäre Ursachen bezogen,
uud wurde öfters das Auf¬
treten von Helminthen als
eine Folge der Krankheit
angesehen. So wurde z. B.
eine fehlerhafte Verdauung
der Nahrungsstoffe oft als
Ursache der Entstehung vor- W/
sehiedener Helminthenarten J
im Darme des Menschen .. ,
und der I liiere betrachtet, desDochmius trigono-
Auch hat man vielfach pa- cepimius vom Hunde,
rasitäre Cysten mit evstösen '' er K r y ssert » u '“ d,ü
. . - . Anordnung derhingo-
Geschwulsten anderer Art w< dde, namentlich de*
Verdauungsrohres, der
Ovarialrohren und Ei-
leiter, unschaulicli
verwechselt.
Eine wissenschaftliche. . . , .
, ...... _ T , Unter, unschaulicli zu
Grundlage erhielt die Hel- machen. - (Nach der
minthologie im XVII. Jahr- Natur gezeichnet von
hundert durch Ke di, Leib- Dr C:,ritiU
arzt des Herzogs von Toscana, Cosimo III.
Redi war der erste, welcher Thiere secirte,
um Eingeweidewürmer aufzusuchen, und er
wird daher mit Recht als der Begründer der
Helminthologie angesehen. Uebrigens be-
schränkte er sicli darauf, die Würmer in dem
Masse, als er sie bei Thieren vorfand, zu be¬
schreiben und abzubilden; eine methodische
Classification derselben stellte er nicht auf.
Malpighi, Hartmann und Vallisnicri
haben ebenfalls eine Anzahl Helminthenarten
beschrieben. Doch nach diesen hervorragenden
Naturforschern blieb die Helminthologie wieder
lange Zeit hindurch vernachlässigt, und hat
sich nach Bremser während jener Zeit
ausser Leonard Frisch Niemand sonst mit
helminthologischcrt Fragen beschäftigt. Leo¬
nard Frisch soll in den Miscellunca Be ro-
linensia mehrere Aufsätze über Eingeweide¬
würmer veröffentlicht haben,
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahr¬
hunderts haben sieb dagegen Pallas, Otto
Fried., Müller und Otto Fabricius
wiederum mit Vorliebe mit Helminthen bc-
Kig. 457. Verdauungscanal von Hochmut
duodenalis. a Vojn Munde bis zum After
ende des Darmes, b Ein Stack vom Pha¬
rynx mit der inneren Bewaffnung, und einn
Portion vom Magen und vom Darme, stark
vergrössert. — (Nach der Natur gezeichnet
, von Dr. Canti.)
schäftigt und haben mehrere lesenswerthe
Arbeiten hierüber hinterlassen.
Doch ihre Bemühungen waren haupt¬
sächlich auf die zoologische Beschreibung der
parasitären Arten gerichtet. Eingehendere
Studien wurden erst viel später unternommen.
Man hat lange über den Ursprung der
Eingeweidewürmer gestritten, und noch in
diesem Jahrhunderte gab es Helminthologen
von unbestrittenem Verdienste, welche,- der
Lehre des Aristoteles folgend, zur Erklärung
der Gegenwart der Würmer im thierischen
Organismus eine generatio spontane a
annahme/i. Danach sollten im thierischen
470
EINGEWEIDEWÜRMER.
Körper unter günstigen Bedingungen unab¬
hängig von der Einfuhr von Eiern oder
Embryonen Helminthen entstehen. Zu Gunsten
dieser Annahme sprachen sich Needham,
Vrisbcrg, 0. Fried. Müller, Ingen-
hous, Treviranus, Bremser u. A. aus.
Es wäre überflüssig, noch heutzutage die
Generatio spontanea oder aequivoca wider¬
legen zu wollen. Die von Spallanzani,
Therechowski, Vallisnieri, Siebold
u. v. A. vorgebrachten Thatsachen sind mehr
als genügend hiezu. Der Harvey’sche Satz:
„Omne vivum ex ovo“ hat sich in den
Oken'schen Ausspruch: „Omne vivum ex
vivo“ und später in den Virchow’sqhen
Satz „Omnis cellula e cellula“ ver¬
wandelt. So können wir mit Vallisnieri
wiederholen, dass, wenn „parva licet compo-
nere magnis, so wie aus einem Taubenei keine
Schlange hervorgeht, aus einem Schlangenei
keine Ratte und von einer Ratte kein Fisch
geboren wird, ebenso ganz untrüglich aus
einem Schmetterlingei kein Käfer und aus
einem Käferei keine Squilla entschlüpft“. Es
ist dies ein feststehendes Naturgesetz, dass
Gleiches sein Gleiches erzeugt. Sic canibus
catulos. similes, sic matribus haedos
(Virgil. Eclog. 1).
Die Helminthen dringen immer von aussen
in den thierischen Organismus ein, und sind
die Fälle sehr selten, wo eine direct here¬
ditäre Zeugung nicht absolut in Abrede ge¬
stellt werden kann. Sie vermehren sich durch
Eier und unterliegen sämmtlich einem Ge¬
nerationswechsel, indem sie bei ihrer
Entwicklung meistens eine Reihe eigentüm¬
licher Phasen durchlaufen, die sich als ebenso
viele ungleiche Generationen präsentiren. Die
Eier werden im mütterlichen Uterus oder
direct in den Eierstöcken befruchtet, welche
mit der Reife sich zuweilen zu uterinen Ver¬
zweigungen oder Anhängseln verwandeln.
Die Befruchtung geschieht durch die Be¬
rührung der Eier mit dem Sperma, welches
durch den männlichen Geschlechtsapparat
abgesondert wird.
Die befruchteten Eier (Fig.458—462) ent¬
wickeln sich entweder innerhalb des Uterus
oder aber werden ausgestossen, um die Furchung
und Entwicklung des Embryo ausserhalb des
mütterlichen Körpers durchzumachen. Die
innerhalb des Uterus sich weiter entwickelnden
Eier öffnen sich entweder noch im mütter¬
lichen Leibe, wie bei der Filaria medi-
nensis, der Filaria lacrymalis, den
Trichinen u. a. m., oder werden mit dem
in der Eischale eingeschlossenen Embryo aus¬
gestossen, wie es bei den Protoscolices der
Bandwürmer der Fall ist, oder endlich
werden die Eier auf verschiedenen Stufen
der Furchung gelegt und Embryonen auf ver¬
schiedener Entwicklungsstufe bis zu der von
freigewordenen und lebensfähigen Larven ge¬
boren, wie es bei dem Rhabdonema stron-
gyloides (Fig. 464) des Menschen sowohl
als vieler Thiere (des Pferdes, des Schafes,
des Schweines, des Rindes, des Kaninchens
u. s. w.) beobachtet wird.
Die von ihren Müttern geborenen Em¬
bryonen werden entweder mit den Fäces des
Nährthieres entleert oder ernähren sich und
wachsen in dem Darme desselben, um erst
nach kürzerer oder längerer Zeit mit den
Excrementen auszutreten, wie es bei der
erwähnten Rh ab donema-Art der Fall ist,
oder gehen in das Blut über, um dort das
Stadium der Einkapselung und der Reifung
durchzumachen oder sich einfachzu derLarven-
reifung vorzubereiten, wie dies bei der Filaria
sanguinis ho'minis und der Filaria
immitis des Hundes geschieht, oder wandern
durch die Darmwandungen hinaus in die
Gewebe verschiedener Körpertheile, um die
Larvenperiode in dem Nährthiere ihrer Eltern
zu vollenden, wie dies bei der Trichina
spiralis beobachtet wird. — Die Eier, die
mit dem vollkommen entwickelten, aber in
seiner Schale eingeschlossenen Protoscolex
gelegt werden (Fig. 458 und 459), verlassen
in der Regel das Nährthier ihrer Mutter und
Fig. 468. Eior von Taenia solinra, den Protosooler ent¬
haltend. — (Nach der Natur gezeichnet von Dr. Caritä.)
warten, bis sie von einem anderen Thiere der
selben oder einer anderen Art mit der Nah¬
rung oder dem Getränke verschlungen werden»
um (als D e u t o s c o 1 i c e 8) ein weiteres Stadium
Protoscoler enthal- Fig. 460. Ei von Tri-
tend. ehocephalus dispar.
(Nach der Natur gezeichnet von Dr. CarittL)
ihrer Entwicklung durchzumachen oder ihre
definitive Gestalt zu erlangen. Es scheint,
dass kein Protoscolex den Zustand eines voll¬
kommenen Wurmes erreichen kann, ohne die
successiven Phasen des Larvenlebens in ver¬
schiedenen Individuen zu durchlaufen. Auch die
vor dem Beginne des Furchungsprocesses oder
gleich nach der Einleitung desselben gelegten
Eier können nicht in dem Körper des Nähr¬
thieres der reifen Parasiten ihre Entwicklung
vollbringen. Ein Hinderniss hiefür gibt
namentlich die hohe Temperatur des Darmes
ab. Die Eier müssen entleert werden und
EINGEWEIDEWÜRMER. ’ . 411
eine gewisse Periode in einem für die Ent¬
wicklung des Embryo günstigen Medinm ver¬
bringen, woselbst aus den Eiern Larven ent¬
schlüpfen, welche bestimmt sind, kürzere oder
längere Zeit ein. freies Leben zu führen, bis
sie einen solchen Grad von Larvenreife er-
j reichen, dass, nachdem sie erst in den Körper
Fig. 461. Eier von OxyuriB
vermicularis.
Fig. 462. Befruchtetes Ei
von Bothryocephalua latus.
(Nach der Natur gezeichnet von Dr. Caritä.)
anderer Thiere gelangt sind, sie zuletzt wieder
zu Parasiten jener Thierart, welche von ihrem
Mutterthiere bewohnt wird, werden können
und im Körper derselben- ihre vollkommene
Ausbildung erlangen.
Die Eier, die Embryonen u. s. w. müssen
demnach, um von einem Nährthiere in ein
anderes überzugehen und diö successiven
Metamorphosen bis zum Zustande des voll¬
kommenen Wurmes durchzumacheh, kürzere
oder längere Zeit, sei es auch nur eine ganz
kurze Weile, ausserhalb des thierischen Orga¬
nismus verbleiben, der zu ihrem neuen Wirthe
werden soll. Bel der
Nothwendigkeit, diese
successiven Phasen zu
durchlaufen, um ihre
definitive Form zu er¬
reichen, ist es begreif¬
lich, dass viele Eier
oder Embryonen gar
nicht zur Reife gelan¬
gen, indem ihre Meta¬
morphosen und Wande¬
rungen oft auf Schwie¬
rigkeiten stossen oder
geradezu unmöglich
werden.
Bemerkenswerth ist
die Erscheinung der
Einkapselung oder En-
cystirung, welcher die
reifen Larven der mei
sten Helminthen inner-
oder ausserhalb des
thierischen Organismus
unterworfen sind. Wie
bereits meisterhaft von
Leuckart im Artikel
,,Band Würmer“ (s.d.)
beschrieben wurde,
wird bei vielen Cestoden
ein solches Verhalten
beobachtet, dass das
Ei mit dem wehrlosen
Embryo, nachdem es
mit den Fäces entleert und von einer geeig¬
neten Thierart verschlungen worden, sich im
Darme der letzteren öffnet, worauf der Proto-
Fig. 463. Larve von Doch-
mins duodenalis im ersten
Stadium ihres freien Le¬
bens nach der Geburt. —
(Nach der Natur gezeich¬
net von Dr. Caritäu)
scolex auswandert und sich an irgend einen
Punkt des Organismus, in den Geweben oder
Körperhöhlen begibt, um sich daselbst zu
entwickeln und das Stadium der Larvenreife
(als Blasenwurm oder als Cysticercoid) unter
der Form der Encystirung zu erreichen. Das
Ei des Distoma hepaticum erschliesst
Fig. 464. Larve von Peeudorhabditie stercoralis Rhabdo-
nema strongyloides im ersten Stadium ihres freien Lebens.
(Nach der Natur gezeichnet von Dr. CariU.)
sich ausserhalb des Körpers. Der rundherum
mit Cilien versehene und im Wasser schwim¬
mende Embryo bildet beim Lhnneus rainu-
tus sog. Redien und Sporocysten, aus welchen
später die Cercarien hervorgehen, welche sich
auf den Gräsern u. dgl. einkapseln, um her¬
nach in den Körper derjenigen Thiere über¬
zugehen, innerhalb deren sich die vollkom¬
menen Distomen entwickeln. Bei der Tri-
china spiralis wändert der Embryo, so¬
bald er aus dem Ei entschlüpft ist, aus dem
Darme aus und begibt sich in das Muskel¬
oder Bindegewebe, um sich zu entwickeln
und das Stadium des vollkommene^ Larven¬
lebens zu erreichen, welches auch hier in der
Einkapselung oder Encystirung besteht.
Bei der Filaria sanguinis hominis
erreichen die in das Blut gelangten Embryo¬
nen ihre vollkommene Larvenentwicklung
und encystiren sich oder kapseln sich ein,
um in dem .Magen tropischer Mücken ihre
Puppenausbildung zu vervollkommnen und
alsdann zu dem Zustande der Filaria
Bancrofti zu gelangen
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47* ‘ • . ' EINGEWEIDEWÜRMER.
Beim Rhabdonema strongyloides
gibt es höchst wahrscheinlich Larven, welche,
ohne den Darm zu verlassen, zur Reife ge¬
langen; ferner andere, welche mit den Fäces
entleert werden, nur das Stadium der Ein¬
kapselung oder Larvenreife erreichen und
dann warten, bis sie in den menschlichen
Organismus zurückkehren, um ihre weitere
Entwicklung zu vollenden, und endlich noch
andere, welche aussethalb des Körpers reifen
(Pseudorhabditls stercoralis), so dass
die neue Generation im Zustande des freien
Lebens nur die Periode der Larvenreife oder
der Einkapselung, erreicht (Fig. 464).
Beim Dochmius des ^Menschen und der
Thiere (vgl. Tafel XI u. XII) kbimt das Er ausser¬
halb des Körpers in Berührung mit der Luft; die
neugebome Larve (Fig. 463> durchläuft die
rhabditisartige Entwicklung in freiem Leben;
hierauf bildet sich durch Hautsecretion eine
chitinoide Hül'se, Kapsel oder
Cyste, welche später verkalkt,
. und innerhalb diese* vollen¬
det das Thier seine Larven -
Periode und wartet, bis es in den
menschlichen Organismus oder
in den eines anderen Thieres,
das ihm einen geeigneten Wohn¬
ort und Nährboden gewährt,
gelangt, um die weiteren Phasen
seines Schmarotzerlebens fort¬
zusetzen und die £rtfortzupf\an-
zen (Fig 465). Diese Einkapse¬
lung oderEncystirung, die eini-
germassen mit der Puppenbil-
dt^ng der In'secten vergleichbar
ist, stellt demnach ein Verbin¬
dungsglied zwischen den ver- *
schiedenen Ordnungen der Hel¬
minthen sowie zwischen den
Würmern überhaupt und den
Insecten her; auch dient sie
uns zur Erklärung der Art und
Weise, wie sich die verschie¬
denen Helminthenarten im
menschlichen # und im thieri-
schen Organismus vermehren.
(Perroncito: „Osservazioni
elmiqtologiche relative
all’ endemia svoltasi tra-
gli operai del Gottardo.
Roma, 1880.)
Bis auf die neuest^ Zeit
galt es als eine erwiesene That-
sache, dass den Schmarotzern
eine ausserordentliche Lebens- Zf
Zähigkeit»zukommt. So glaubte
man, dass die Eier der Disto- ws. Eins«-
men,- der Bandwürmer, des Bo- DocS
thriocephalus, des Strongylus duodenaii«, mi$
sich sehr lange lebendig erhal- zerrissener Kap-
ten, sogar in den in Zersetzung ^“plJnkte" -
begriffenen organischen Sub- (Nach der Natur
.stanzen und in*fauligem Wasser, gezeichnet von
Hingegen wurde von neueren * r * CanU,)
Beobachtern und insbesondere von mir nach¬
gewiesen, dass die Fäukiiss auf die Eier auf
jeder Stufe des Furchungsprocesses und der
embryonalen Entwicklung verderblich wirkt;
dass die auch nur ganz kurz dauernde Xus¬
trocknung die Eier des Bothriocephalus, des
Distoma und der Strongylus-Arten tödtet, dass
die wenn auch nur kurze Einwirkung einer
starken Kälte ebenfalls den Tod der Eier und
Larven vieler Helminthen (Cysticerken, Coe-
nurus-Arten, Muskeltrichinen, Eier und Larven
der jAnguillula- und der Ankylostoma-Arten)
herbeiführt. Wenn man beobachtet hat, dass
Embryone von.Filaria- und Strongylus-Arten
einer mehrtägigen Austrocknung widerstehen,
so ist es nicht minder wahr, dass die - Eier
und die Larven der betreffenden Helminthen
söwie die reifen Thiere selbst ganz bestimmt
bei einer Temperatur von 48—50° C. sterben,
wenn sie derselben auch nur fünf Minuten
lang ausgesetzt werden. , 4
•Und das scheint auch nothwendig für.
die Erhaltung des Gleichgewichts bei diesen
Schmarotzerarten. Wären die Angaben der¬
jenigen begründet, welche den thierischen
Schmarotzern eintf ausserordentliche Wider¬
standsfähigkeit gegen die Hitze und die Kälte
zuschrieben, so wäre das ungemeine Zeugungs¬
vermögen dieser Thiere der relativ geringen
Zahl der vollkommen entwickelten Individuen
gegenüber geradezu unerklärlich. So erzeugen
z. B. die Taenia-Arten, der Bothriocephalus,
das Distoma, die Spulwürmer, die Anky-
lostomen u. s. w. Millionen von Eiern, und
doch existiren die betreffenden Heljninthen in
Verhältnissenässig nur geringer Anzahl. Woher
kommt das? Hauptsächlich beruht dies auf
der Reihe von Phaspn. welche die Embryonen
in oft verschiedenen Organismen zu durch¬
laufen haben; dann auf der fehlenden Gelegen¬
heit zur Entwicklung, auf dem Kampfe, welchen
der Mensch gegen diese Thiere auf dem Wege
hygienischer Massregeln führt, und endlich
darauf, dass ihre Tenacität verhältnipsmässig
keine sehr grosse ist.
Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
schlug Bloch die erste systematische Ein-
theilung der Eingeweidewürmer vor. Er theilte
(in den Jahren 1779—178*) dieselben in zwei
Ordnungen ein: in die breiten oder platten
und in die runden Würmer. Pastor Goeze
dagegen begnügte sich mit der Aufstellung
von Gattungen, ohne eine allgemeine Classi¬
fication zu unternehmen? Dasselbe thaten in
den Jahren *1787 und 1788 0. F. Müller
und Franz Päul Schrank, welche genaue
Abbildungen aller bis dahin bekannten Ein¬
geweidewürmer gaben.
Zeder theilte die Eingeweidewürmer
in fünf Classen, welche er in seinem Hand¬
buche auf Rudolphi’s Rath Familien
nannte. Diepe Familien wurden in Gattungen
und letztere in Arten eingetheilt.
Die systematische Eintheilung Zederis
•wurde vpn Rudplphi in seinem grossen
helminthologischen Werke (Entozoorum
sive vermium intestinalium historia
naturalis) angenommen und beibehalten.
Rudolphi führte darin nur sehr wenige
Aenderungen ein, so dass bis zu den letzten
Jahren die Eintheilung der Helminthen in
EINGEWEIDEWÜRMER.
473
■ Tafel XI.
Zur Anatomie der Eingeweidewürmer.'
Muskefbündol und ihre verschieden»* Auorduung
; im Körper des Dochmius duodenalis.
Körperabscbnitt, der die äussere Mündung des weib¬
lichen Geschlechtsapparates von Dochmius duodenalis
enthält, a Cuticula, b Lederhaut, c Darm, d Eierstock¬
rohr, e weiblicher Geschlechtsapparat, f dessen äussere
Mündung,
sowie Hintortheil des Körpers eines >Veibchens von
Dochmius duodenalis, mit dem* Caudalstachel, Rectum
und After von der Seite zu s»»hen.
Spiroptera striiinosa, die unter der Epithelialbrücke des
31agons eines Maulwurfes Kindurghzioht. — (Nach der
Natur gezeichnet v/>n Bambury.) •
TremaUdenlarve von einer Limite».
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474 EINGEWEIDEWÜRMER.
Tafel XII.
Zur Anatomie der Eingeweidewürmer.
stoekröhren und Ei- Grenze des vordersten Sechs- Vordertheil der Filaria
leiter im Umkreise tels des Körpers von Doch- roicrostoma. — (Nach
des Darmes von Doch- uiius duodenalis angebracht der Natur gezeichnet
inius duodenalis. sind. von Dr. Caritä.)
Vordertheil des Körpers von Doelimius trigono- Spiroptera strnmosit, die unter dor Epithelialbr&cke
eephalus, mit der Mundkapsel. des Magens eines Maulwurfes hindurchzieht.
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EINGEWEIDEWÜRMER.
475
Nematoden, Acanthocephalen, Trema¬
tod en, Cestoden und Cystica aufrecht
blieb.
Zu der Ordnung der Nematoden zählt
man noch immer alle stielrunden Würmer von
länglicher Form, deren Verdauungscanal mit
dem Munde anfängt und im After endigt. In die¬
ser Ordnung sind die Individuen sämmtlich
eingeschlechtlich. Als Beispiele nennen wir
die Ascaris megalocephala der Pferde
und die bei Kindern so häutige Ascaris
lumbricoides.
Unter den Acantocephalen fasst man
Würmer zusammen, deren Kopf mit einem
vor- und zurückziehbaren Rüssel versehen ist,
besetzt mit vielen, sämmtlich nach hinten
gerichteten Haken. Meistens fehlt ein Ver¬
dauungscanal. Beispiel: Echinorhynchus
gigas.
Die Trematoden sind saugende Wür¬
mer mit plattgedrücktem Körper, mit einem
oder mehreren Saugnäpfen und mit einem blind
endenden Verdauungscanal versehen, folglich
ohne After (Fig. 466 und 467). Mit der einzigen
Ausnahme derBilharzia haematobia (s.d.)
sind alle zu dieser Ordnung gehörenden Gattun¬
gen Zwitter. Beispiel: Distoma hepaticum.
(Nach der Natur gezeichnet von Dr. Caritft.)
Zu der vierten Ordnung oder zu den
Cestoden wurden die bandförmigen, d. h.
mit abgeplattetem und mehr oder weniger ver¬
längertem Körper versehenen Würmer ge¬
rechnet. Die Cestoden besitzen keinen eigent¬
lichen Verdauungsapparat, sind aber mit Saug¬
näpfen und einem sehr deutlichen Systeme
wasserführender Gefässe versehen. Sie sind
sämmtlich Zwitter. Beispiele: T ae n i a s o 1 i um,
T. m e d i o c an e 11 a t a, T. ex p an s a u. s. w.
Die fünfte Ordnung, Cystica, begriff die
blasenförmigen, mit seröser Flüssigkeit an¬
gefüllten und eines Verdauungs- sowohl
als eines Geschlechtsapparates entbehrenden
Würmer.
Diese von Rudolphi angenommene Ein-
theilung wurde aber bald als sehr unvollkom¬
men erkannt, wie dies bereits von Leuckart,
Küchenmeister, Ercolani hervorgehoben
wurde, denn man hatte seitdem erfahren, dass
die zu der letzten Ordnung gestellten Blasen-
würmer nur ein Larvenstadium der Cestoden
darstellen. So waren die fünf Ordnungen auf
vier zurückgeführt. Ferner erkannte man.
dass die Acanthocephalen richtiger den Nema¬
toden an die Seite zu stellen seien; erstens
weil sie einen eylindrischen oder konischen
Körper haben, zweitens weil einige voit ihnen
einen Darmcanal besitzen, der im Kopfe an¬
fängt und am entgegengesetzten Körperende,
d. h. im After endet. Auch sind die Acantho¬
cephalen eingeschlechtlich.
Vogt kehrte daher auf Grund der auf
die Helminthologie angewandten neuen Er¬
rungenschaften der vergleichenden Anatomie
mit wenigen Abänderungen zu der von Bloch
eingeführten Eintheilung zurück; er theilte
nämlich die Eingeweidewürmer in zwei Ord¬
nungen ein: in die der Plato den oder Plat-
helminthen und die der Nematoden oder
Nemathelminthen. Diese rationelle Ein-
theilung wurde mit einigen geringen Abände¬
rungen von Yirchow, Küchenmeister,
Leuckart, Cobbold, Zürn angenommen.
Danach begreifen die Plathelminthen die
Cestoden und die Trematoden; die Ncmat-
helminthen alle runden Würmer. Die Acanto¬
cephalen werden als Unterordnung derNemat-
helminthen betrachtet und als solche den
Nematoden (Fadenwürmern) gegenüberstellt,
wie aus folgender synoptischer Zusammen¬
stellung ersichtlich ist.
1. Unterordnung
C e :s t. o d e s
2. Unterordnung
Trematoden
(bewa ft'nete
I wehrlose
ßothriocephalus
Monostoiua
Distorua
Amplii stoma
Holostoma.
(Gattung Taenia
r JE I 1. Uliterordn.
}J!n e ni atod e s
1. Gruppe
2. Unterordnung
Aeautoeephali
| Gattung Eustrongylus
J . Ascaris
| « Filaria
( . Oxyuris
p Sclerostoma
p Dochrains
( T Strongylus
* Khabdonema
i _ Trichina
* . Trichocephalus
. Echinorhynebns.
Die Unterordnung der Cestoden (s.
Bandwürmer) umfasst also die Gattungen
T a e n i a und B o t h ri o c ep h al u s. Die T a e n i a-
Arten werden in bewaffnete und wehr¬
lose eingetheilt. Unter den bewaffneten
Taenia-Arten sind zu nennen: die T. sulium
mit dem entsprechenden Cysticercus, die
T. tenella, die T. nana und der Cysti¬
cercus acanthotriu s. welche sämmtlich
EINGUSS. — EINGUSSVORRICHTUNGEN.
476
dem Menschen eigen sind; dann die T. echi-
nococcu8 und die Echinokokken; die
T. coenurus und dör entsprechende Coenu-,
rus centralis, die T. marginata und der
Cysticercus tenuicollis, die T.serrata
und der Cysticercus pisiformis, die
T. cucumerina und das Cysticercoid,
die T. crassicollis und der Cysticercus
faecicularis, die T. infundibilif ormis,
die T. lanceolata, die T. sinuosa, die
T. malleus, die proglottida, der Cysti-
bercus fistularis der Pferde.
Unbewaffnet sind die T. medioca-
nellata, die T. flavo-punctata, die T. lo-
phosoma, die T. plicata, die T. perfo-
liata, die T. mamillana, die T. expansa,
die T. denticulata, die T. globipunctata,
die T. # ovipunctata, die T. centripunc-
tata, die T. alba, die T. ovilla, die T. acu-
leuta und die T. pectinata.
Die Gattung Bothryocephalus umfasst
die Arten: B. latus, B. cordiformis, B. cri-
status, B. reticulatus, B. dubius und
B. felis.
Di« Unterordnung der T r e m a t o d e n (s. d.)
umfasst die Gattungen Monostoma, Di-
stoma, Amphistjoma und Holostoma.
Zu der Gattung Monostoma gehören
die Arten: M. faba, M. lentis, M. leporis
und M. mutabilis.
Die Gattung Distoma enthält die Arten:
D. hepaticum, D. lanceolatum, D. mag*
num, D. truncatum, D. campanulatum
und D. conjunctum.
Die Gattung Amphistoma die Arten:
A. conicum und A: truncatum.
Die Gattung Holostoma die Arten:
H. alatum, H. ornigerum und Gastro-
discus sonsinonis.
Die erste Gruppe des Nematoden (s.d.)
umfasst die Genera Eustrongylus, Ascaris
und Filaria.
Die Gattung Eustrongylus enthält nur
die eine Art; E. gigas.
Die Gattung Ascaris enthält die Arten:
A. lumbricoides, A. megalocephala,
A. mistax, A. inflexa, A. vesicularis,
. A. maculosa u. a. m.
Zu der Gattung Filaria gehören die
Arten: F. papillosa, F. immitis, F. la-
biato-papillosa, F. lacrymalis, F. micro-
stoma, F. nyegalostoma, F. sanguinu-
lenta, F. strongylina, F. scutata oeso-
phagea bovis, F. cincinnata, F. ocuii
equi, F. mütipapillo6a, F. medinensis,
F. trispinulosa, F. Loa, F. bronchialis
hominis, F.Bancroffi, F. lentis.
Die zweite Gruppe der Nematoden um¬
fasst die Gattungen Cxyuris, Sclerostoma,
Dochmius, Strongylus, Rhabdonema.
Die Gattung Oxyuris enthält die Arten:
ö. vermicularis, 0. curvula, 0. arabigua
und 0. vivipara.
Die Gattung Sclerostoma begreift die
Arten: S. armatum und S. tctracantlium.
Die Gattung Dochmius oder Anky-
1 ostoma die Arten D. duodenalis, D. Bai
sami felis, D. trigonocephalus, D. ca-
ninus, D. hypostomus, D. cernuus, D. ra
diatus und D. dentatus.
Die Gattung Strongylus (im engeren
Sinne, denn die Arten Sclerostoma, Doch¬
mius und Strongylus werden auch als Unter¬
gattungen des Genus Strongylus im weiteren
Sinne angesehen) die Arten: S. in flatus,
S. venulosus, S. ventricosus,S.fificollis,
S. contortus, S. vasorum, S. strigosus,
S. micrurus, S. paradoxus, S. filaria,
S. bronchialis, S. minutissimus, S. pul-
monalis und S. trachealis.
Die Gattung Rhabdonema enthält nqr
die eine Art R. stronygloides (= An-,
guillula intestinalis) des Menschen, des
Kaninchens, des Schweines, des Schafes und
des, Pferdes, sammt der Pseudorhabditis
stercoralisj welche wohl nur eine Ent¬
wicklungsstufe des Rhabdonema darstellt. *
Die dritte Gruppe der Nematoden ent¬
hält die Gattungen Trichina und Tricho-
cephalus.
Die Gattung Trichina besitzt nur die
eine Art: T. spiralis; die Gattung Triclio-
cephalus umfasst Arten: T. dispay, T. crc-
natus, T. affinis und T. depressiusculus.
Die Unterordnung der Acantocephalen
enthält nur die Gattung Echinorhfynchms
mit den Arten: E. gigas, E. cuniculi und
E. c an i 8 . Perroncito .
EH1QU88 nennt man die den Thieren zu
verabfolgenden Arzneien in flüssiger Form;
auch Einschütte ist eine gebräuchliche Be¬
zeichnung hiefür. Koch.
Ei ngu88Vorrichtungen. Wenn den Thieren
(gross oder klein) bei Erkrankung flüssige
Arzneimittel durch das Maul verabreicht
werden, so sind gewisse Manipulationen,
mechanische Vorrichtungen und entsprechende
Gefasse erforderlich, um die Flüssigkeiten
regelrecht beibringen zu können. Jeder Prak¬
tiker wird leider viele Fälle zu beobachten
Gelegenheit gehabt haben, dass r wenn von
ungeschickten Händen mit ungeeigneten Werk¬
zeugen und am Unrechten Orte solche Ein-*
güsse applicirt wurden, die eingegebene Arznei
einen falschen Weg nahm, in die Luftröhre
gelangte, die Bronchien und Lunge irritirte,
entzündete und selbst tödtliche Folgen her¬
vorgebracht hat. Die mit Gewalt beizubrin¬
genden Eingüsse oder Tränke werden deshalb
immer mehr verlassen und durch Latwerge,
Pillen u.dgl. ersetzt, bei welchen die erwähnte
Gefahr fast gleich Null ist. Wenn man die
Athmungs- und Schlingorgane betrachtet, so
muss man berücksichtigen, dass, wenn Kopf
und Hals horizontal ausgedehnt w.erden, die
Luftwege im Gesicht und im vorderen Theil
des Kopfes oben liegen; im hinteren Theil
des Kopfes und im Hals aber die Futterwege
oder der Schlund unten liegen. Es ist somit
klar, dass diese zwei Wege sich kreuzen
müssen, was am Pharynx der Fall ist. Man
kann dieses Kreuzen mit einem liegenden X
C
vergleichen h ^A c , — a soll das MauL b die
fl«* a
Nase, c den Schlund, d die Luftröhre, e die
Höhle des Pharynx anzeigen, in welche sich
EINGUSSVORRICHTUNGEN.
477
die Luft- und Futterwcgc öffnen; es geht
also durch »den letzteren das Futter und die
Luft Nun ist begreiflich, dass, wenn zu
gleicher Zeit geathmet und geschluckt wird,
sich dip Nahrungsstoffe mit der Luft ver¬
mischen, Husten und Erstickungsanfälle sich
einstellen; die Natur hat jedoch solchen
Uebelständen dadurch vorgebeugt, dass die
Stimmritze in dem Kehlkopf mit einer äusserst
empfindlichen Schleimhaut versehen uhd ein
Kehldeckel angebracht ist. Eine andere Vor¬
richtung, durch welche die Thiere willkürlich
dem Eintritt aller Arten von Stoffen in den
Pharynx während des Athmens Vorbeugen
• können, besteht in dem Gaumensegel, welches
die Maulhöhle von dem Pharynx trennt. Bei
Thieren, welche nicht durch das Maul athmen,
wie Pferde und Ochsen, ist es sehr lang, so
dass diese Thiere während des Kauens des
Futters durch die Nase frei athmen können.
Endlich ist noch von Wichtigkeit, dass die
Thiere, namentlich die pflanzenfressenden, im
freien Zustande fressen und saufen, während
sie den Kopf hinabhängen lassen, so dass
keine Stoffe ohne den Willen derselben, oder
wenn diese Organe nicht dazu vorbereitet
sind, von den Schlingorganen aufgenommen
werden.
Um . daher nachtheilige Folgen beim
Einschütten zu vermeiden, muss mafi den
Kopf, namentlich beim Rinde, nur so viel
über die .horizontale Richtung erheben, als
nothwendig ist, dass die Flüssigkeit in den
hinteren Theil des Maules fliesse. Bei dieser
Vorsicht hat das Thier über die Schling¬
organe Gewalt, was nicht der Fall ist, wenn
man den Kopf hoch emporhebt; ausserdem
soll das Athmen durch die Nase ganz unge¬
hindert von statten gehen können und wo
möglich die Bewegung der Zunge und des
Unterkiefers nicht beeinträchtigt werden. Um
seinen Zweck zu erreichen, kann man ver¬
schieden verfahren. Man bringt entweder die
Hand in, das Maul, drückt mit dem Finger
gegen den Oberkiefer, während der Kopf
zwischen den Arm und Schenkel gedrückt
wird, oder es wird der Hals des Unterkiefers
mit der Hand gefasst, während der Daumen
im Maul unmittelbar hinter den Schneide¬
zähnen und unter der Zunge liegt. Bei wider¬
spenstigen oder durch Krankheit aufgeregten
Thieren, Bullen u. a. muss man noch andere
Massregeln treffen, durch Spannen mit
Stricken u. s. f. Niemals aber sollte man den
Kopf der Wiederkäuer, wie es bisweilen von
unwissenden Leuten geschieht, in der Höhe
an Ringen, Balken etc, festmachen, weil da¬
durch die Erleichterung, welche das Thier
durch Hinabhängen des Kopfes und durch
Husten sich verschafft, unmöglich gemacht
wird; auch ist es nutzlos, an dem Hals mit
der Hand zu streieflen und zu drücken. Be¬
hält ein Thier einen Theil des Trankes hart¬
näckig ;m Maul, so wird es dadurch, dass
man den Unterkiefer und die Zunge bewegt,
zum Schlucken veranlasst, was auf die Art
geschieht, dass man den Finger in den Maul¬
winkel bringt und* das Thier zum Kauen
reizt, oder dass man den Grund der Zunge
drückt oder reibt.
Hält man also den Kopf so wenig wie
möglich in die Höhe, lässt man das Thier
frei durch die Nase athmen und den Unter¬
kiefer und die Zunge sich hinlänglich be¬
wegen, so wird dasselbe selten husten oder
Erstickungsanfälle bekommen, sollte es aber
.der Fall sein, so läss\ man den Kopf sogleich
los und die Theile sich erholen, ehe man von
Neuem mifrder Operation beginnt, wendet aber
nachher grosse Vorsicht beim Eingeben an.
Bei Pferden, die in der Regel den Kopf
hoch'tragen, ist das Einschütten von flüssigen
Arzneien schwieriger und kaum möglich ohne
mechanische Hilfsmittel, wozu Stricke, Trensen,
lederne Riemen etc. verwendet und um* den
Oberkiefer geschlungen werden, womit durch
Aufziehen dieses mit dem Kopfe über einen
Balken oder durch einen Rihg das Maul ge¬
öffnet wird. Die Erhöhung des Kopfes soll
aber die Horizontallinie nicht überschreiten.
Um das, Eingiessen oder Beibringen d^r
flüssigen Arzneimittel zu ermöglichen, hat man
verschiedene Vorrichtungen und Gefasse er¬
funden und angewendet, so z. B. hat man das
Mundstück einer Einguss'-Trense von Eisen als
hohlen Cylinder, der an einem Ende geschlossen
ist und in seiner Mitte eine Oeffhung besitzt,’
verfertigt und angewendet; an dem anderen
Ende ist ein kleiner Trichter von Blech be¬
festigt, in welchen die Arzneien gegossen
werden, die dann in das Rohr und durch die
ovale Oeffhung desselben in das Maul des
Thieres fliessen. Um das bei den Bewegungen
des Kopfes erfolgende Verschütten zu ver¬
hüten, brachte Ruef eine 3 Schuh lange
und % Zoll weite Kautschukröhre, welche an
einem Ende einen kleinen Blechtrichter trägt,
mit einem 5 Zoll langen Stücke eines Flinten¬
laufes, der das hohle Mundstück einer Ein- t
schütt-Trense bildet, mittelst eines hölzernen,
konischen Röhrchens in Verbindung. Wenn
nun bei der Anwendung der Trichter festge¬
halten wird, so soll von der Flüssigkeit
nichts verloren gehen, weil die Bewegungen
des Thieres wegen des elastischen Schlauches
beim Eingiessen nicht, hinderlich sind.
Gourdon beschreibt einen Apparat, der aus
einem länglich viereckigen mit einem Deckel
versehenen Reservoir besteht und an das
Mundstück angeschraubt wird; an dem einen
Ende des letzteren ist ein Hahn befindlich,*
durch dessen Drehung sich der Abfluss der
Flüssigkeit reguliren oder ganz unterbrechen
lässt, wodurch eine geringere oder grössere
Menge des Eingusses in das Maul des Thieres
gelangen kann. Diesen künstlichen oder mehr
coipplicirten Einghssvorrichtungen stehen die
einfachen und am meisten angewendeten, aus
Eingussflaschen oder Trichtern bestehenden
gegenüber. Diese Eingussflaschen oder Trich¬
ter werden am besten aus Metallblechen,,
Zink oder verzinntem Eisenblech gefertigt,
oder aus Horn, ähnlich den Jagdhörnern,
dann mit verlängerten, gebogenen Röhren ver¬
sehen gemacht; als minder gute, aber beim
Mangel anderer sind wohl die am häufigsten
t
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478 EINHAUEN.
angewendeten Glasflaschen (Bouteillen) im Ge¬
brauch, obwohl sie die gefährlichsten sind,
da sie sehr leicht mittelst der Backenzähne
zertrümmert und die Glasstücke von den
Thieren verschluckt werden können; daher
sollten zu diesem Zwecke nur starke Cham¬
pagnerflaschen zur Verwendung kommen.
Bei kleinen Thieren, Kälbern, Schafen,
Hunden, beziehen sich die Eingussvorrich- *
tungen nur auf das Fixiren des Kopfes, und
die Beibringung der Arzneien kann durch
Kannen oder meistens durch Esslöffel ge¬
schehen. Schwieriger ist es schon bei Schwei¬
nen, und hat in dieser Beziehung Knoll in
Ulm seinerzeit folgende sich bewährt habende
Methode angewendet.
Meine Methode ist einfach folgende: Wenn
ich ein krankes Schwein zu behandeln habe
und die zu gebende Arznei zur Hand ist, so
nehme ich einen guten Strick, schleife den¬
selben am Oberkiefer fest über den Rüssel,
ziehe den Strang, wenn er so angelegt ist,
durch einen Ring oder sonst einen anderen
Gegenstand; darauf fängt das Schwein an zu
schreien, zieht zurück, setzt sich auf das
Hintertheil und sperrt das Maul dabei weit auf.
Während dieser Zeit bleibe ich ruhig
neben dem Schweine stehen, gebe ihm zu
erkennen, dass ich ihm nichts Böses thun
will, streichle es am Hals mit der Hand, bis
es endlich ruhig wird.
Bemerkt es, dass es von seiner Fessel
im Maul nicht los werden kann, so nimmt
es ihein Streicheln endlich ruhig an; sobald
cs nicht mehr schreit, so gebe ich in aller
Ruhe die Arznei mit derselben Zuverlässig¬
keit wie jedem anderen Thiere. Es versteht
sich, dass, sobald dasselbe aufs Neue un¬
ruhig wird und wieder schreit, wieder aus¬
gesetzt werden muss.
Bei dieser Methode ist mir noch kein
Unfall vorgekommen, und ich habe sie immer
mit dem besten Erfolg ausgeführt. Ablcitntr.
Einhauen. Unter Einhauen (auch Greifen,
in die Eisen klappen, Schmieden genannt)
versteht man diejenige unregelmässigeGangart
des Pferdes, bei welcher dasselbe während
der Trabbewegung mit den Zehen der Hinter¬
hufe an die Vorderfüsse anschlägt.
Die Kennzeichen des Einhauens sind
bei beschlagenen Pferden das unangenehme
Geklapper, welches dadurch entsteht, dass
das Pferd mit den Zehentheilen (Schuss) der
Eisen an den Hinterfüssen an die Stollen
oder an die untere Fläche der Eisen an den
Vorderhufen, im Momente des Aufhebens der
Vorderfüsse, anschlägt, resp. anklappt. In
diesem Falle wird man vermittelst des Gehörs
auf diesen Fehler aufmerksam. In anderen
Fällen hört man nichts, dann geschieht das ,
Einhauen nicht an die Vordereisen, sondern
entweder an die Sohlenfläche oder an die
Ballen der Vorderhufe, es kann sogar Vor¬
kommen, dass sich Pferde an die Beugesehnen
der Vorderfüsse hauen. An den Eisen der
Vorderhufe ist ausser kleinen Eindrücken
nichts wahrzunehmen. Hauen sich Pferde an i
die Ballen, so kommt es zuweilen zu einer
Quetschungsentzündung mit theilweiser Lösung i
des Ballenhornes, selten zu offenbarer Ver¬
wundung der Ballen mit Verletzung der Huf¬
knorpel, noch seltener zu Verletzungen (Quet¬
schungen, Verwundungen) der Beugesehnen.
An den Hinterhufen nutzen sich in Folge des
Einhauens zuweilen die Zehen nicht unbe¬
deutend ab. Von der Seite her betrachtet, ist
dann der gestreckte, naturgemässe Verlauf
der Zehenhornwand nur biä zum unteren
Drittheil vorhanden, von da ab ist die Wand
zuweilen bis auf die Blättchenschicht durch-
gestossen.
Die Ursachen des Einhauens sind ver¬
schieden, sie liegen in der Hauptsache ent¬
weder in fehlerhaftem Beschläge oder in
fehlerhaftem Körperbaue, alsdann in Ermü¬
dung und schlechter Führung seitens des
Geschirrleiters oder des Reiters. Es hauen
demnach gern Pferde ein mit verhältniss-
mässig kurzem Körper und hohen Beinen,
ferner Pferde, die mit den Füssen unter dem
Leibe stehen, und überbaute Pferde. Von den
Beschlagsfehlern sind zu nennen zu lange
Zehen an den Vorder- und zuweilen auch an
den Hinterhufen und zu lange und schwere
Hufeisen. Das Einhauen kann nur dann be¬
seitigt werden, wenn es möglich ist, die ver¬
anlassenden Ursachen abzustellen und dauernd
abzuhalten, das ist aber nur möglich, wenn
es durch fehlerhaften Beschlag, Er¬
müdung und schlechte Führung herbeige¬
führt war.
Beschlag. Gewöhnlich werden sog. Hau¬
eisen oder Einhaueisen verwendet. Die Zu¬
bereitung der Hufe richtet sich nach den
allgemein gütigen Regeln.
Auf die Vorderhufe legt man Eisen auf,
\£elche weder länger noch Weiter als der Huf
sein dürfen, d. h. dieselben dürfen weder
nach hinten noch nach den Seiten über die
Trachtenwände vorstehen. Sind Stollen er¬
forderlich, so müssen deren hintere Flächen
schräg von der Bodenfläche nach der Huffläche
gemäss der Richtung der hinteren Begren¬
zungslinie der Trachten von der Seite gesehen
verlaufen. Schraubstollen setzt man etwas
weiter als gewöhnlich vom Schenkelende ein.
Das stollenlose und das Stolleneisen gegen
Einhauen für Vorderhufe soll gleichsam mit
dem Hufe einen Guss bilden und somit nur
eine Fortsetzung der Wand nach unten und
vorne darstellen. Die Bodenfläche der Vorder¬
eisen dacht man, um die Zehen der Hinter¬
hufe zu schonen, nicht selten ab.
Wenn es die Bodenverhältnisse, der Dienst
der Pferde und die Qualität der Hufe ge¬
statten, lassen sich auch halbmondförmige
Eisen mit gutem Erfolge verwenden.
Die für die Hinterhufe bestimmten Eisen,
gleichviel ob ohne oder mit Stollen oder mit
Streichschenkeln, bekommen anstatt der Zehen¬
kappe zwei seitliche Zehenkappen. Der Zehen¬
theil dieser Eisen wird um so viel zurück¬
geschmiedet, abgehauen oder zurtickgerichtet,
als die Stärke der Zehenhornwand beträgt,
denn letztere soll und muäs Über den vorderen
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EINHORN. — EINMAISCHEN DES FUTTERS.
479
Rand des Hufeisens überstehen. Um Beschä¬
digungen der Vorderfüsse zu vermeiden, ist
ferner erforderlich, die vordere untere Eisen -
kante gut abzurunden, und wenn Griffe benützt
werden, so sollen diese schräg nach rück¬
wärts unter das Eisen stehen; desgleichen
darf der über den Zehentheil des Eisens vor¬
stehende Rand der Zehenhornwand nicht
scharfkantig bleiben, sondern muss ebenfalls
abgerundet werden. Lungwitz.
Einhorn, Unicornus, ist ein schon von
Aristoteles erwähntes, fabelhaftes Thier von
Pferdegestalt mit einem langen Home auf der
Stirne, von wildem, unbändigem Charakter, als
dessen Vaterland bald Indien, bald Afrika
bezeichnet wird. Der gelehrte Botaniker
Dr. A. Lonicerus erzählt in seinem 1557 er¬
schienenen Kräuterbuche (weitere Ausgaben
dieses Werkes stammen aus Nürnberg 1678,
Ulm 1770, Augsburg 1783), dass das Einhorn
in den dichten Waldungen Ostindiens hause.
Der Gestalt nach gleiche es dem Pferde, der
Kopf ähnle jenem eines Hirschen; ausser einem
gelben Fell besitze es eine gleichfalls gelbe,,
lange Mähne, ferner Elephantenfüsse und einen
Eberschweif. Den Frauen gegenüber benehme
sich das Einhorn äusserst galant. Weiter er¬
wähnt noch Lonicer, dass zwei Hörner dieses
Thieres in Venedig und ein besonders starkes
und langes, bogenförmig gekrümmtes in
Strassburg aufbewahrt werden. Sowohl den
Knochen, als auch besonders dem Home dieses
Thieres schrieb man seit altersher eine ge-
heimnis8volle Kraft zu, und noch zu Anfang
dieses Jahrhunderts musste jeder Apotheker
das „EinhcPm“, unicomu fossile (s. d.), in
Vorrath halten. Viele Gelehrten waren der
Meinung, dass das Einhorn m der Sündflut
umgekommen sei, da es nicht in Noö’s Arche
aufgenommen war, und versuchten aus riesigen,
ausgegrabenen Knochen sein Skelet zu recon-
struiren. So stellte Leibniz (f 1716) einen zwei¬
beinigen Koloss zusammen, dem er einen
Stosszahn des Maramuth an der Stirne an¬
brachte, und bildete ihn auf der XII. Tafel
seiner Protogaea ab. Es braucht wohl nicht
besonders erwähnt zu werden, dass es Knochen
ausgestorbener Thierarten, besondere Maramuth-
knochen waren, welche die damalige Gelehrten¬
welt für Reste des Einhorns hielt.
Literatur : Leibniz, Protogaea sive de prima
facie telloris et antiquissimae historiae ventigiis in ipsis
natnrae monamentis dissertatio ex schedis mannscriptis
riri illnstris in lucem edita a Cb. L. Scheidio. Göttingen
1749. Koudelka.
Einhüftig nennt man jenen Defect an
der Kruppe aller Hausthiere, bei welchen der
äussere Darmbeinwinkel einer Seite (zumeist
mehr links als rechts) in verschieden grossem
Umfange abgebrochen und durch den Spanner
der breiten Schenkelbinde nach rück- und
abwärts gezogen und in dislocirter Stelle
meistentheils durch Verwachsung fest ange¬
lagert ist; mitunter bleibt der abgestossene
äussere Darmbeinwinkel an seiner dislocirten
Stelle etwas beweglich. Die Kruppe dieser
Seite ist nach vorne» zu gerundeter und
schmäler als die intacte andere Hälfte, manch¬
mal ist die Kruppe an dieser Stelle selbst
leicht eingesunken. Durch Knochencaries am
äusseren Darmbeinwinkel entsteht gleichfalls
Einhüftigkeit, und sind in diesem Falle selbst¬
verständlich auch Narben im Hautgewebe
dieser Region zugegen. Die minderen Grade
der Einhüftigkeit verursachen kaum eine
Functionsstörung, während bedeutendere Grade
und bedeutende Dislocation jdes abgebrochenen
Darmbeinwinkelstückes einen kürzeren Tritt
und in schnellerer Gangart deutliches Hinken
durch kürzeren Schritt verursachen. Selbst
die leichteren Grade der Einhüftigkeit sind
schon höchst unliebsame Schönheitsfehler
(s. Hüfte). Lechncr.
Einhüllende Mittel sollen dadurch nützen,
dass sie Theile, welche ihres natürlichen*
Schutzes beraubt sind, künstlich decken und
vor ungünstigen Einwirkungen bewahren, oder
Gifte, starkwirkende, scharfe, ätzende Stoffe
umgeben, einhüllen, um sie unschädlich zu
machen, bezw. die Resorption möglichst zu ver¬
zögern; diese Art von Arzneimitteln wird auch
mit dem Namen Involventia oder Obte-
gentia bezeichnet, und gehören »zu ihr alle
Schleime, fette Oele, Fette, Seifen, Gly¬
cerin- u. 8. w. Vogel.
Einhufer (Solidun^ula), Ordnung der
Säugethiere mit der Gattung Pferd, s. Equidae.
Einhudge Schweine, eine Anomalie der
Klauen, welche nach Guido Krafft bisweilen
bei ungarischen Schweinen an getroffen wird;
dieselben gehören dem Typus der schwalben-
bäuchigen Mongolicza-Söhweine an, welche
diese Anomalie constant vererben. Nach dem¬
selben Autor waren einhufige Schweine schon
zur Zeit des Aristoteles bekannt Auch Plinius
erwähnt derselben als illyrischer, päonischer,
bulgarischer Schweine. Nach Demetrius K^n-
tenius kommen sie auch in der Moldau, im
ochesischen Gebiete vor.
Literatur : Dr. Gnido Krafft, Landwirtschaftliches
Lexikon 1884. Koch.
Einmaischen des Futters. Eine Zuberei¬
tungsmethode des Futters, welcher nur stärke¬
reiche Materialien unterworfen werden, wie
z. B. Kartoffeln, und die namentlich die Um¬
wandlung des Futterstärkemehls in Zucker
bezweckt. Zu gleicher Zeil unterliegen aller¬
dings die eingeraaischten Materialien einer
gründlichen mechanischen Veränderung (Zer¬
kleinerung undEinweichung)^ und werden die¬
selben um jene Nährstoffe, welche in dem
beim Maischen zugesetzten Malze enthalten
sind, bereichert Kartoffeln u. dgl. werden
durch Einmaischen in ein besonders schmack¬
haftes und leicht verdauliches Futter umge¬
wandelt. Die Zubereitungskosten sind aber so
bedeutend, dass sich dieses Verfahren höch- *
stens dann rentirt, wenn die Kartoffeln krank
sind und wenn sie an Schweine verfüttert
werden sollen, die ja überhaupt bei Kochfutter
besonders gut gedeihen. Die Kartoffeln werden
gedämpft, dann unter Zusatz von heissem
Wasser mit Malzschrot versetzt, resp. mit
diesem gründlich vermischt. Die ganze Masse
soll dickbreiig, nicht etwa flüssig werden,
darf also 'nicht zu viel Wasser zuges^t er¬
halten. Um eine gründliche Verzuckerung
480
EINPARKIREN.
i
des Stärkemehls zu erzielen, muss die Masse
gut durchgerührt werden, zu welchem Be*
hufe eigene Maischapparate existiren. Pro
Hektoliter Kartoffeln benöthigt man 3% bis
4 Pfd. Grünmalz, das mindestens drei Stunden
lang auf den Kartoffelbrei einwirken muss;
gleichzeitig muss ununterbrochen durchge¬
rührt werden. Die fertige Maische wird lauwarm,
eventuell mit Wasser verdünnt, ver¬
füttert, mundet den meisten Thieren
vortrefflich, ist .aber für gewöhnlich
ein zu fcostspieliges, zudem für fei¬
nere Schafe und Pferde ein zu weich¬
lichem Putter. — Eine Art von Ein-
maischung ist auch das von A. Stöck-
•hardt empfohlene Verfahren, Getreide¬
kleie aufzuschliessen, und welches
darin besteht, Getreidekleie u.‘ dgl.
successive erst mit gesäuertem und
dann mit alkalischem Wasser zu ko¬
chen. Man nimmt als Zusätze des
Kochwassers Salzsäute und Soda in
solchen Mengen, dass sich dieselben
neutralisirem und Kochsalz bilden,
wenn man die Kochwässer zusammen¬
giesst. Bei der Vermischung des sauren
mit dem alkalischen Kleieauszug findet zwar
eine partielle Ausscheidung der gelösten Stoffe
statt, was Stöckhardt jedoch für gegenstandslos
hielt, indem er meinte, dass die im gallert¬
artigen Zustande ausfeeschiedenen Stoffe nicht
vied schwerer assiminrbar seien als im völlig
gelösten Zustande. Gegen das Stöckhardt’sche
Verfahren spricht vor Allem der Umstand, dass
mit demselben wahrscheinlich Zersetzungsvor¬
gänge verknüpft sind, durch welche ein Theil
der (stickstoffhaltigen) Kleienährstoffe mehr
od$r weniger entwerthet wird; ferner die zu
grosse Umständlichkeit und Kostspieligkeit.
Bei mangelhafter Abstumpfung der Salzsäure —
was immerhin bei Unachtsamkeit leicht vor¬
kommt — könnte überdies das resultirende
Futter sehr gesundheitsschädlich wirken, denn
unsere Hausthiere sind gegen freie Mineral¬
säuren ira Futter sehr empfindlich. Bei Ver¬
dauungsversuchen mit Weizenkleie, nachStöck-
hardUschem Verfahren zubereitet, resultirte bei
Ochsen ein zu weicher Darmkoth und eine ver¬
minderte Verdauung der stickstoffhaltigen
Nährstoffe. Die Verdauung der stickstofffreien
Nährstoffe hatte allerdings zugenommen, wel¬
cher geringe Vortheil den obenerwähnten zahl¬
reichen Nachtheilen gegenüber aber nicht ins
Gewicht fällt. Pott.
Einparkiren. .Bekanntlich müssen zum
Transport der Thiere bei dem gegenwärtigen
und weitverbreiteten Verkehrswesen durch die
Eisenbahnen Waggons verwendet werden, wo
namentlich Pferde und Rinder auf Rampen in
die geschlossenen Wagen zu bringen sind, und
es nicht selten vorkommt, dass diese Thiere
aus Furcht oder Bosheit sich aufs äusserste
widersetzen, somit durch Menschenhände nicht
bewältigt werden können. Um das Einladen
daher zu erleichtern, bezw. überhaupt mit¬
unter möglich zu machen, ist von Anton Gaus¬
rapp in München ein sog. Einparkirungs-
riemen construirt worden, dessen Abbildung
in Fig. 468 gegeben wird. Das Prineip des¬
selben beruht auf der Arretirung der beiden
Sprunggelenke des Pferdes im Augenblicke
seiner Widerspenstigkeit bei der Einparkirung.
Die Bestandteile sind:
1. Der Haupt- oder Langriemen, welcher
von der Brust des Pferdes auf der einen
Seite, um dasselbe herum und bis zu den
Sprunggelenken herunterhängend, auf der
anderen Seite wieder bis zur Brust vorgeht
und an den beiden Enden mit je einem festen,
eisernen, ovalen Handgriffe, der das bequeme
Einlegen aucli der grössten Hand gestattet, ver¬
sehen ist. Ungefähr 30 cm von beiden Hand»-
griffen entfernt befinden sich am Hauptriemen
zwei kleine Eisenringe, welche zur Befestigung
der Zügel dienen. Der Hauptriemen, welcher,
wie auch die Nebenriemen, aus Leier besteht,
ist, soweit er auf die Sprunggelenke einzu¬
wirken und anzifliegen hat, auf eine successive
Breite von 10—IX cm gestellt und an jener
Stelle, wo er beim Anziehen an den Sprung¬
gelenken fest anliegt, gut gepolstert, um die
Haut des Pferdes vor jeder möglichen Reibung
zu verschonen.
X. Der Halsriemen, welcher den Haupt¬
riemen am Pferde hält und am Ende des
Halses, gegen die beiden Vorderfüsse herab¬
hängend, rechts und links am Hauptriemen
befestigt und an einer Seite mit einer Schnalle
zum Zwecke der Verlängerung oder Verkür¬
zung versehen ist, während über das iflnter-
theil des Pferdes '
3. der Regulirriemen angebracht ist.
Dieser Regulirriemen hat ebenfalls auf einer
Seite eine Schnalle, um das Hinauf- oder
Herunterlassen, also das Anpassen des Ein-
parkirungsriemens an die Sprunggelenke zu
ermöglichen.
4. Die Reservehandgriffe, welche mittelst
ganz kurzer Riemen am Hauptriemen rechts
und links an der Bauchseite des Pferdes be¬
festigt sind, so dass ein ganz ausserordent¬
lich störriges und wildgewordenes Thier durch
vier Männer bemeistert werden kann, was
übrigens selten Vorkommen wird.
Beim Gebrauche des Einparkirungsriemens
wird derselbe auf das Pferd gelegt und darauf
gesehen, dass der gepolsterte Theil des Haupt¬
riemens auf den Sprunggelenken aufliege,
Fig. 4(58. (Jausrapp’H Eiiiparkirungsmethodt».
EINQUELLEN DES FUTTERS. — EINREIBUNGEN DER ARZNEIMITTEL. 481
eventuell durch den Regulirriemen rasch hin¬
auf oder herabgelassen werde. Inzwischen soll
das Pferd mit den Zügeln an die kleinen
Ringe gebunden werden, u. zw. mit dem Kopfe
so tief herunter, dass ein Aufschnellen des
Kopfes und daher ein Anstossen mit dem¬
selben beim Beschreiten des Waggons un¬
möglich wird. Auch können die Zügel einst¬
weilen nur durch die Ringe gezogen werden,
wo sie dann von einem Manne festgehalten
und jer nach Bedarf angezogen oder nachge¬
lassen werden können.
Rasch soll nun an den beiden Handgriffen,
jedoch ohne alles Zerren und Reissen, ange¬
zogen werden. Bei besonders reizbaren Pferden,
welche sich durch das Aufliegen des Einpar-
kirungsriemens auf den Sprunggelenken etwas
irritirt zeigen, empfiehlt es sich, den Haupt¬
riemen an dieser Stelle so lange in die Höhe
zu .halten, bis die 'Zügel in den kleinen
Eisenringen am Hauptriemen befestigt und
die übrigen Vorkehrungen getroffen sind, um
dann denselben auf die Sprunggelenke hinab¬
zulassen, dann aber auch sofort die Arre-
tirung derselben vorzunehmen. #
Das Pferd wird, sobald an dessen Hinter¬
füssen die Sprunggelenke einmal arretirt sind,
unfähig nach rückwärts] zu gehen oder gar
auszuschlagen; es wird naturgemäss, sobald
es den Halt mit den Hinterfüssen durch das
immer stärker werdende Anziehen des Haupt¬
riemens verliert, denselben durch Vorsetzen dej-
Vorderfüsse immer wieder zu gewinnen suchen
und auf diese Weise den Waggon ohne-
weiters nehmen. Ableitner.
Einquellen oder Einweichen des Futters.
Das gründliche Durchfeuchten der "Futterstoffe
mit Wasser oder anderen wässerigen Flüssig¬
keiten (Molken, Branntweinschlempe u. dgl.),
wodurch manche Futtermittel mundgerechter
und schmackhafter gemacht werden; es gilt
im Uebrigen als nahezu wirkungslos.
Das Einqucllen von Körnern em¬
pfiehlt sich nur dann, wenn diese im natür¬
lichen Zustande zu schwer kaubar sind und
wenn sie aus irgendwelchem Grunde nicht zer¬
kleinert werden können. Man wird also nur
hartschalige Körner, wie Mais, Erbsen, Bohhen
u. dgl. einquellen, die ja auch, wenn unzer-
kleinert verschluckt, im Magen der Thiere (be*
sonders der Pferde) aufquellen und dadurch
Verdauungsbeschwerden verursachen können.
Dasselbe ist häufig beim Roggen der Fall. Die
mechanische Zerkleinerung (grobes Schroten)
der bezeichneten harten Körner ist jedoch
meist vorzuziehen, weil fast alle Thiere, na¬
mentlich die Pferde, sich bei solchem Trocken¬
futter besser ernähren. Es scheint, dass die
aufgequollenen weichen Körner, weil wenig
oder gar nicht durchgekaut, mangelhaft einge-
speichelt werden, sich wahrscheinlich auch
kürzer im Pansen der Wiederkäuer aufhalten
und daher weniger gut verdaut werden. Dem
kann nur dadurch begegnet werden, dass man
die aufgequollenen Körner mit grobem (trocke¬
nem) Häcksel u. dgl. vermengt zur Verfütte-
rung bringt. Behufs Ausführung des Einwei¬
chens werden die Körner 12—24 Stunden lang
Koch. Eneyklopätliü <1. Thierhollkil. II. BU.
unmittelbar vor ihrer Verwendung in einem
Fasse oder Bottich mit so viel Flüssigkeit
überschüttet gehalten, dass sie von dieser
eben bedeckt sind. Mehr Flüssigkeit zu ver¬
wenden, würde eine Auslaugung der Körner
herbeiführen, wodurch dieselben namentlich
an Ei weisstoffen und an Aschebestandtheilen
verarmen. Etwa nach dem Einquellen erübri¬
gendes, von den Körnern nicht aufgesogenes
Wasser ist daher stets mitzuverfüttern. Gut
eingeweichte Körner müssen beim geringsten
Drucke aufplatzen.
Das Einweichen von Kleie u. dgl. ist
sogar zuweilen nachtheilig, zum mindesten
aber zwecklos, indem trockene Kleie, mit an¬
derem Kurzfutter vermengt, ebenso gut ver¬
daut wird.
Das Einweichen von Futterküchen
u. dgl. ist, wie bei den hartschaligen Körnern,
nur dann zweckmässig, wenn aus irgendwel¬
chem Grunde eine mechaniscHe Zerkleinerung
nicht durchführbar ist. Am besten ausgenützt
werden Futterküchen, wenn man sie grob zer¬
kleinert und mit Häcksel u. dgl. vennengt,
trocken fressen lässt. Futterkuchensuppen
u. dgl. herzustellen, ist nur dann empfehlens-
werth< wenn damit grobe, wenig beliebte,
gehäckselte RauhfutterStoffe u: dgl. durch
Uebergiessen schmackhafter gemacht werden
sollen. Umsoweniger wird man zum Einweichen
schreiten bei Thieren, die kein zu wässeriges
Futter vertragen, wie die Schafe und Pferde.
Nur Leinkuchen werden den Pferdeü aus¬
nahmsweise zuweilen aus diätetischen Rück¬
sichten in Suppenform verabreicht; es wird
hiedurch der Absatz der Excremente und
der Harnwechsel befördert.
Das Einweichen von Rauhfutter¬
stoffen ist nur dann nützlich, wenn-die¬
selben sehr hart und gröbsten gelig sind und
also leichter aufnehmbar, eventuell durch An¬
wendung von Suppen, Schlempe u. dgl. auch
schmackhafter gemacht werden sollen. Derart
ein geweichtes Rauh futter vertragen aber in
grösseren Mengen nur das Rindvieh und Mast-
senafe; es ist für andere Thiere viel zu
weichlich. Dem Rindvieh verabreicht Inan auch
wohl danrf eingeweichtes Rauhfutter, wenn
der Entzug des Grünfutters, resp. der Ueber-
gang zur Trockenfütterung im Herbste nicht
allinälig erfolgen kann. Dass wir die Ver¬
daulichkeit der Rauhfutterstoffe durch blosses
Einweichen nicht zu steigern vermögen, kann
als festgestellt gelten. Eher denkbar wäre eine
Verdaulichkeitssteigerung bei der Anwendung
kochender Flüssigkeiten zum Einweichen. Ein¬
zuweichendes Rauhfutter wird grob gehäckselt
und im Uebrigen nach denselben Prineipien
behandelt, wie bei den Körnern angegeben.
Das Einweichen von Knollen- und
Wurzelfrüchten ist meist völlig zwecklos.
Längere Zeit in Wasser gelegte Kartoffeln
verlieren zwar ihre etwaige Schärfe und
Bitterkeit; man erreicht dies aber gründlicher
und sicherer durch Beruhen, Kochen oder
Dämpfen. Pott.
Einreibungen der Arzneimittel haben ver¬
schiedentlich zu geschehen, je nachdem man
31
482
EINSÄUERN DES FUTTERS.
es mit krankhaften Zuständen zu thun hat.
. Beim Einreiben von Salben, Oelen, Lini¬
menten u. dgl. auf sehr schmerzende Körper¬
stellen darf die Hand nicht fest angedrückt,
auch nicht zu rasch gerieben werden, weil der
hiedurch erzeugte Reiz das Uebel nothwendig
steigern müsste, während in allen anderen
Fällen die einzureibende Masse gründlich in
die Haut einziehen soll und nicht in den
Haaren sitzen bleiben darf. Vogel.
Einsäuern des Futters. Das dichte Zusam¬
menpressen entsprechend feuchter (saftiger)
Futtermittel in luftdicht abgeschlossenen Be¬
hältern, in welchen jene gewisse Gährungs-
processe (Milchsäure-, Buttersäure-, Alkohol-
und Sumpfgasgährung) durchmachen, unter
denen die Milchsäuregährung vorwiegt (s. a.
Aufschliessen des Futters). Bei Luftzutritt
nehmen diese Gährungsprocesse zu grosse
Dimensionen an; die Milchsäuregährung
tritt in den Hintergrund, und es bilden
sich im Futter grössere Mengen gesundheits¬
schädlicher Stoffe, wie Essigsäure, Ammoniak,
Sumpfgas, Buttersäure etc. Das Futter wird
dumpfig, schimmlig oder faulig. Die durch
eine gut gelungene Einsäuerung zu erzielenden
Vortheile bestehen namentlich darin, dass die
Schmackhaftigkeit gewisser, wenig beliebter
Futtermittel erhöht wird und dass für schwer
trocknende, wenig concentrirte (wässerige)
Futtermittel dieselbe das einfachste und am
wenigsten kostspielige Conscrvirungsverfahren
ist. Zur Einsäuerung besonders gut geeignet
sind daher Rübenblätter, saures Wiesengras,
Kartoffelkraut, Grünmais, Lupinen, Rüben¬
schnitzel, Kartoffelpülpe, Weizenstärketrebern
u. dgl., endlich auch befallene (rostige und
brandige) Futterstoffe, da die den Thieren
schädlichen Rost- und Brandpilze durch das
Einsäuern getödtet werden. Gut eingesäuerte,
in dicht verschlossenen Gruben eingestampfte
Futterstoffe halten sich jahrelang in ver¬
fütterbarem Zustande. Leider aber verfallen
den erwähnten Gährungsprocessen nicht unbe¬
trächtliche Mengen von Nährstoffen, indem
dieselben beim Einsäuern vornehmlich in
Kohlensäure, Milchsäure, Buttersäure und in
Essigsäure, Sumpfgas, Alkohol etc. umge¬
wandelt werden. Sogar ein Theil der in
den vegetabilischen Futtermitteln enthaltenen
Holzfaser wird beim Einsäuern zerstört.
(J. Kühn schreibt die Zerstörung der Holz¬
faser einem Spaltpilz [Clostridium butyrrum
Prazraowski] zu, welcher die Umwandlung der
Milchsäure in Buttersäure unter gleichzeitiger
Entwicklung von Kohlensäure und Wasser¬
stoff bewirkt und zugleich ein Ferment ab-
scheiden soll, welches den Zellstoff löst. Bei
der Zersetzung der Holzfaser wird ausser
Essigsäure und einem buttersäureähnlichen
Stoff reichlich Sumpfgas entwickelt.) Nur
der Rohfettgehalt (Aetherextract) der einge¬
säuerten Substanz erfährt meist eine Ver¬
mehrung, indem sich in Aether lösliche Stoffe
(Verbindungen von niederen Fettsäuren) bil¬
den. Um die mit der Einsäuerung verbundenen
Gährungsverluste möglichst zu beschränken,
dürfen die betreffenden Futtermittel nicht zu
feucht sein (60 bis höchstens 80% Wasserge¬
halt), müssen die Einsäuerungsbehälter luft-
und wasserdicht sein und muss nach den Unter¬
suchungen Dr. Kellner’s in Tokio (Japan)
die Temperatur der gährenden Futtermittel
niedrig bleiben, was am besten dadurch er¬
reicht wird, wenn die Behälter (Erdgruben
oder dgl.) möglichst schmal — aber tief und
lang — sind, also eine möglichst grosse
Aussenflache haben. Die Wandungen der Be¬
hälter sollen senkrecht und glatt sein oder
sich nach unten etwas verengen, damit sich
das vergährende Futter gleichmässig setzt.
Zu. demselben Behufe sind die Ecken vier¬
eckiger Gruben abzurunden und ist die Futter¬
masse wo möglich von oben durch auf Bretter
gelegte Steine zu belasten. Die Behälter be¬
stehen am besten aus Erdgruben, die mit
cementirten Backsteinen ausgekleidet sind,
oder aus Bruchsteinen, »die mit Cement yer-
putzt wurden. Ausserdem sind zum Einsäuern
Steingrände, dichte Holzbottiche, geölte Fässer
u. dgl. verwendbar. Nur im Nothfalle soll
man sich mit nackten Erdgruben behelfen,
weil bei diesen grössere Substanzverluste um¬
soweniger vermeidlich sind, je durchlässiger
der betreffende Boden ist. Ganz schlecht sind
solche Erdgruben, wenn sie nicht grund-
wasserfrei sind, weil in diesen nicht blos
Nährstoffverluste durch Vcrgälirung und Ab¬
sickern, sondern sogar durch Auslaugung
erfolgen können. Nicht ausgemauert^ Erd¬
gruben stampfe man wo möglich mit Lehm
aus, verkleide sie ausserdem mit Brettern oder
benütze behufs Ausfütterung eine Mischung
von Steinkohlenasche, Kalk und Sand. Bei
lockerem Erdreich müssen die Grubenwände
eine schwache Böschung erhalten. Werden
sehr wässerige Materialien (Rübenschnitzel,
Stärketrebern u. dgl.) in Erdgruben einge¬
säuert, so belege man die Grubensohle mit
einer 20—30 cm starken Häcksel-, Spreu- oder
Sägespäneschichte, die, als Aufsaugungs¬
material dienend, mit verfüttert wird. Man
macht in neuerer Zeit übrigens mit Recht
auch in hygienischer Beziehung Einwendungen
gegen die Benützung undichter Sauergruben
geltend, weil dieselben zur Verunreinigung
von Brunnen Veranlassung geben können.
Das mitunter empfohlene Auskleiden der
Sauergrubenwände mit Stroh hat zu unter¬
bleiben, weil dadurch das in der gefüllten
Grube verbleibende, das gute Gelingen in
Frage stellende Luftvolumen vergrössert wird.
Aus demselben Grunde darf auch das Sauer¬
futter nicht mit Stroh bedeckt werden, und
ist dasselbe vor dem Einfüllen eventuell zu
zerkleinern, damit es um so dichter zusammen¬
gepresst werden kann.
Werden die bezeichneten Bedingungen
nicht gewissenhaft erfüllt und die Sauergruben
nicht bis zur Verfütterung ihres Inhaltes
dicht verschlossen gehalten, so betragen die
eintretenden Gährungsverluste bis zu 50%
des ursprünglichen Nährstoffgehaltes, ganz
abgesehen davon, dass das Futter ganz oder
theilweise verdirbt. Auf einen Substanz¬
verlust von ca. 20% muss man übrigens
EINSAUERN DES FUTTERS.
483
auch unter den denkbar günstigsten
Umständenin derPraxis gefasst sein.
Die G&hrverluste werden begreiflicherweise
um so grösser, je länger die Einsäuerung
dauert, und betreffen nach den vorliegenden
Untersuchungen vornehmlich einen grossen
Theil der stickstofffreien Extractstoffe und
4er EiweiSstoffe: die letzteren werden theils
in Peptone, theils in Amide und in Ammoniak
umgewandelt. Böhmer fand in Sauermais
50% Araidstoffe (Asparagin, Leucin, Tyrosin)
und darüber. Bei 15, auf Professor Märcker’s
Veranlassung in der Provinz Sachsen ausge-
führten Einsäuerungsversuchen mit Rüben¬
schnitzeln im Grossen resultirten Gewichts¬
verluste von 17’7—62 1%; von der Trocken¬
substanz gingen 13*8—56*9% verloren. In
zehn genauer untersuchten Fällen stellten
sich die folgenden Nährstoffverluste heraus:
14*6—56 ‘ 6 iin Mittel 37*8% stickstofffreie Extractstoffe
4*5—39 7 „ „ 24*5 „ Protein
3*9—51*8 ,*, * 29‘6 „ Holzfaser.
Von Liebscher ausgeführte Versuche,
4ie Gährverluste beim Einsäuern durch Zu¬
mischung eines Conservesalzes (Borax oder
Salicyl?äure) zu vermindern, ergaben grossen-
theils negative Resultate, nämlich vermehrte
Verluste und ein theilweises Missrathen des
Sauerfutters. Stutzer constatirte, dass bei
ungesäuertem schwedischen Klee vom leicht
verdaulichen Eiweiss 45*83%, von den stick¬
stofffreien Extractstoffen 34*67% (von den
leicht löslichen Kohlehydraten sogar 81*25%),
von der Gesammttrockensubstanz 20*74%
verloren gingen, während sich der Wasser¬
gehalt um 0*36% und der Aetherextract um
46 *47% vermehrten.
Die erheblichen Verluste an Nährstoffen
beim Einsäuern, u. zw. besonders an leicht¬
verdaulichen Stoffen, lassen es nicht räthlich
erscheinen, solche Grünfutterstoffe, die leicht
in Dürrheu umgewandelt werden können, ein-
zusäuem. Die Gewinnung von Dürrheu be¬
reitet überdies geringere Kosten, und gutes
Dürrheu ist ein viel gedeihlicheres Futter für
Wiederkäuer und Pferde als das bestbereitete
Sauerfutter. Freilich äussert das Sauerfutter
zum Theil dein Grünfutter ähnliche Wirkun¬
gen und wirkt wie dieses, wenn man zu ihm
von der Trockenfütterung übergeht, oft günstig
auf die Milchproduction und den Butterertrag.
Gut bereitetes Sauerfutter wird auch vom
Rindvieh mit Begierde gefressen. Der sauer¬
krautartige, etwas penetrante Geruch desselben
ist den Rindern meist sehr sympathisch. Die
anhaltende Verabreichung grosser Mengen von
Sauerfutter wirkt aber meist erschlaffend auf
4en thierischen Organismus. Ferner hat man
nach der Verfütterung anscheinend unver¬
dorbenen Sauerfutters eine abnorme Gährung
des bereiteten Käses beobachtet; auf öster¬
reichischen Gütern erwies sich die nach Sauer¬
futter erhaltene Milch zur Herstellung von
Handkäsen als ungeeignet. Siedamgrotzky und
Hofmeister fanden bei Versuchen über die
Wirkungen andauernder Milchsäurefütte¬
rung auf Ziegen und Schafe, dass die be-
zeichnete, im Sauerfutter in beträchtlicher
Menge vorkommende Säure (nach VTeiske
enthielten normal eingesäuerte Lupinen
2*38% Milchsäure und 3*58% Buttersäure;
Mais 3*47% Milchsäure und 7*45% Butter¬
säure. Liebscher fand in sauren Rübenschni¬
tzeln 0*53—1*26% Milchsäure; Sievert in
eingesäuerten Kartoffeln 0*08—0*35% Essig¬
säure und 2*21—2*74% nicht flüchtige Säu¬
ren, auf Buttersäure berechnet) eine nicht zu
verkennende lösende Wirkung auf die Knochen
ausübt, n. zw. stärker bei jungen wachsen¬
den als bei ausgewachsenen Thieren. Gelöst
werden hauptsächlich Kalk und Phosphorsäure,
während die Magnesia fast unberührt bleibt.
Die organische Knochengrundlage wird ver¬
mehrt, es nehmen ferner der Wasser- und der
Fettgehalt etwas zu, so dass das niedrigere
specifische Gewicht als Masstab für die Ver¬
armung der Knochen an Mineralsubstanzen
gelten kann. Diese Beobachtungen nöthigen
unbedingt zur möglichsten Beschränkung
der Verabreichung von Sauerfutter an
Jungvieh. Thieren, welche zu Knochenkrank¬
heiten incliniren, gebe man vorsichtshalber
kein Sauerfutter. Ueber günstige diätetische
Wirkungen eing'esäuerten Grünfutters berichtet
Pratt. Derselbe will beobachtet haben, dass
das Sauerfutter den Leib offen hält und hie¬
durch fieberhafte Erregungen abschwächt, bei
den Kühen das Milchfieber verhütet. Zweifels¬
ohne ist gut bereitetes Sauerheu u. dgl. ein
besonders für Milchvieh schätzenswerthes
Futtermittel; pro 1000 Pfd. Lebendgewicht
40 Pfd. zu verabreichen, muss aber schon als
Maximum gelten. Saure Rübenschnitzel werden
zwar in Zuckerfabrikswirthschaften an Milch¬
vieh und Mastrinder oft in viel grösseren
Mengen verfüttert, was aber auch häutig
Magenverstimmungen, Darmkatarrhe, mangel¬
hafte Milch, Schwächung der Gesammtcon-
stitution der Thiere zur Folge hat. Einge¬
säuerte Rübenblätter, die specifisch abführende
Wirkungen äussern, dürfen nicht einmal in den
oben angegebenen Mengen an Milchkühe ver¬
abreicht werden; man hat überhaupt ziemlich*
allgemein beobachtet, dass auch das beste
Sauerfutter sich nur dann als gutes Milch¬
futter bewährt, wenn es in nicht zu grossen
Mengen, neben gutem Dürrheu verfüttert wird.
Als Futter für Schafe sind eingesäuerte
Substanzen weniger gut verwendbar, weil
diese Thiere mit geringen Ausnahmen keine
wässerigen Futterstoffe lieben. Geringe Gaben
guten Sauerheues leisten dessenungeachtet als
Nebenfutter für Mastschafe gute Dienste;
ebenso für Mutterschafe der Fleischrassen
(vor und nach dem Ablammen), indem hiedurch
die Milchsecretion befördert wird. 3—4 Pfd.
pro 100Pfd.Lebendgewicht gelten alsMaximal-
ration. *Eingesäuerte Rübenblätter u. dgl. sind
für Schafe ungeeignet.
Schweine verzehren eingesäuerte Futter¬
stoffe, wenn diese, von Haus aus geeignet
sind, gerne und meist mit günstigem Erfolg.
Nur bei trächtigen Muttersäuen und Säuen
mit Ferkeln hat man mitunter nachtheilige
Wirkungen beobachtet, weil jene Thiere gegen
jede Säure im Futter sehr empfindlich sind,
31 ♦
484 EINSALZEN DES FLEISCHES.
insoferne nämlich, als danach die säugenden
Ferkel leicht an Durchfällen leiden.
Alle Sauerfuttermittel sind zur Pferde¬
fütterung ungeeignet, obgleich sie von ein¬
zelnen Pferden gerne verzehrt werden. Sie
üben auf das Pferd eine erschlaffende Wir¬
kung aus.
Verdorbenes (dumpfiges, schimmliges,
fauliges, stark nach Essigsäure riechendes)
Sauerfutter sollte niemals verfüttert werden; es
wirkt gesundheitsschädlich, zuweilen sogar
todbringend. Essigsäurcreiches Futter bewirkt
beim Milchvieh eine namhafte Depression der
Milch- und Buttererträge. Nicht zu empfehlen
ist esj beim Einsäuern der Futtermittel Salz
einzustreuen, weil hiedurch die HJilchsäure-
gährung verlangsamt und die purgirende Wir¬
kung der Sauerfuttermittel eventuell nur be¬
fördert wird. Dagegen kann man die stark
purgirende Wirkung der eingesäuerten Rüben¬
blätter abschwächen, wenn man diese mit
Schlemmkreide (50 gr auf 100 kg) ein¬
stampft. '
Nimmt man regelmässig Einsäuerungen
vor, so thut man gut daran, permanente
Cementgruben herzustellen, die etwa 3—4 in
tief, 1—2 m breit und beliebig lang gemacht
werden. Die einzusäuernden Massen werden
schichtenweise in die Gruben gebracht und
festgestampft. Hohlräume dürfen in der Futter-
massq nirgends bleiben. Die gefüllten Gruben
werden, nachdem der Inhalt sich gesetzt hat,
1 m hoch «nit Erde beschüttet und in dieser
entstehende Erdrisse 'stets sofort und sorg¬
fältig verstopft. In sechs bis aejit Wochen
ist die Einsäuerung meist so weit gediehen,
dass die Gruben geöffnet und deren Inhalt
verfüttert werden kann. Die Futterentnahme
wird durch senkrechtes Abstechen des von Tag
zu Tag erforderlichen Quantums in möglichst
schmalen Streifen bewirkt. Bei grösserem und
regelmässigem Sauerfutterverbrauch mache
man die Gruben so gross, dass deren Inhalt
in wenigen Tagen verfüttert werden kann.
* Das in neuerer Zeit viel genannte Gof-
fart’sche Verfahren (Ensilage), das beson¬
ders für die Conservirung von Grünmais
berechnet ist, gehört ebenfalls zu den Ein¬
säuerungsverfahren und zeichnet sich nur
dadurch aus,-dass bei demselben nach unten
sich verengende (elliptische) Gruben zur An¬
wendung kommen, dass das geliäckselte Futter
successive eingetragen und schliesslich durch
mit Steinen beschwerte Bretter belastet wird,
um eine möglichst dichte Lagerung zu erzielen.
Es gibt noch verschiedene andere, in neuerer
Zeit gelegentlich als „die besten“ empfohlene
Methoden, welche angeblich sogar die „Frisch-
und Süsserhaltung des Grünfutters“ ermög¬
lichen — die aber insgesammt nichts Anderes
wie in irgend welcher Weise modificirte Ein¬
säuerungsverfahren sind und auf denselben
— den Erfindern allerdings nicht immer ganz
klaren — Principien beruhen (so z. B. die in
England übliche Frv'sche Methode). Pott.
Einsätzen des Fleisches. Das Einsalzen
'»der Pökeln des Fleisches ist die älteste
Methode der Fleischconservirung: sie bezweckt
die Entwässerung des Fleisches herbeizuführen.
Man kann deshalb behaupten, dass das Pökel¬
fleisch nichts Anderes als ein auf chemischem
Wege ausgetrocknetes Fleisch darstellt. Das ein¬
gesalzene Fleisch bildet einen bedeutenden In¬
dustriezweig, besonders in den Seestädten, da die
1 Verproviantirung der Seeschiffe zum grössten
Theile aus solchem Fleisch besteht.'Aber auch
in den Haushaltungen, besonders auf dem
Lande, wird das Schweine- und Rindfleisch sehr
. häufig gepökelt, nachdem diese Conservirungs-
methode wohl die billigste und bequemste ist.
Hiezu braucht man eine genügende Menge von
Salz, mit welchem die Fleischstücke gehörig
eingerieben werden. Die Selcher gebrauchen
ausser Salz auch den Salpeter, um dem
Fleische eine schöne rosenrothe Farbe zu ver¬
leihen. Da das Kochsalz (ebenso der Salpeter)
ein äusserst hygroskopischer Körper ist, so
entzieht es dem Fleische grosse Mengen des
Fleischwassers, wodurch die sog. Lake ent¬
steht. Hat sich die Lake gebifdet, dann
erfolgt ein Diffusionsverkehr zwischen der
Lake und dem-Fleische; aus der Lake geht
das Kochsalz in das Fleisch über, und aus dem
letzteren treten viele lösliche Fleischstoffe in
die Lake über. Hiebei wird das Fleisch aus-
gelaugi, hart und trocken. Das Pökelfleisch
besitzt daher einen bei weitem geringeren
Nährwerth als das frische Fleisch, es ist dabei
hart, schwer verdaulich, mit Balz überladen,
und wird nach mehrmaligem Genuss nur mit
Widerwillen genommen. Am stärksten wird das
Rindfleisch ausgelaugt, da es den grössten
Theil des Fleischsaftes und löslicher Substanzen
verliert; viel besser dagegen lässt sich das’
Schweinefleisch pökeln, da es weit weniger
aus gelaugt wird als das Rindfleisch. Das
Schweinefleisch ist nämlich feinfaserig und
enthält viel Fett, diese Fettmassen setzen der
eindringenden Lake einen erheblichen Wider¬
stand entgegen und schützen es vor allzu starker
Entwässerung. Die Zubereitung der Schinken
beruht ebenfalls auf dieser Methode. Soll sich •
das Pökelfleisch halten, so muss es unter der Salz¬
lake liegen oder mit derselben fleissig begossen
und je nach der Grösse des Fleischstückes
1—3 Wochen in der Lake liegen gelassen
werden. Wird dies nicht beobachtet und das
Fleisch der Einwirkung der Luft ausgesetzt,
so bedeckt sich die Lake mit Blasen und
weissem Schaume, wobei sich auf dem Fleische
ein halbröthlicher Niederschlag schleimiger Be¬
schaffenheit bildet—bald erhält der Niederschlag
einegelbröthliche Farbe, die Fleischfaser verliert
dagegen an Farbe, wird grünlich und bekommt
einen faden Geschmack; es ist verdorben und
darf zum menschlichen Genüsse nicht zugelassen
werden. Wurde zum Einsalzen ein von krankem •
Vieh stammendes oder irgend ein ungeniess-
bares Fleisch verwendet, so ist die Erkenntniss
des Betruges in vielen Fällen äusserst schwierig,
ja häufig gar nicht zu eonstatiren. Bei Versandt
des Pökelfleisches soll daher das Fleisch durch
einen Beschauzettel gedeckt sein; überhaupt
ist mit dieser Fleischeonserve bezüglich der
Controle auf dieselbe Art und Weise vorzu¬
gehen wie mit dem frischen Fleische. ■ Ei.
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EINSALZEN DES FUTTERS — EINSTREU.
m
Einsalzen des Futters. Das Bestreuen der*
Futtermittel mit gepulvertem Viehsalz wird
meist zu dem Zweck angewendet, dumpfigem
Dörrheu u. dgl. etwaige schädliche Wirkungen
zu benehmen und dasselbe vor dem Verderben
zu bewahren. Der beabsichtigte Zweck wird
in keinem Falle erreicht. Die Thiere* erlangen
überdies bei diesem Verfahren leicht Gelegen¬
heit, zu viel Salz aufzunehmen, was ihnen nicht
zuträglich ist. Das den Thieren zu gebende Salz
kann zwar auch in genau abzumessenden
Portionen über das vorgelegte Kurzfutter ge¬
streut w-erden. Das Auslegen oder Aufhängen
von Lecksteinen ist empfehlenswerther. (Ueber
4as Einsalzen des Sauerfutters s. unter Ein¬
säuern des Futters.) Pott.
Einschlagen der Hufe, s. Anfeuchten der
Hufe.
Einschleppung ansteckender Krankheiten
geschieht durch lebendes gesundes und krankes
Vieh und durch Viehproducte. Lebendes Vieh
kann ansteckende Krankheiten einschleppen,
an denen es selber zur Zeit leidet, oder aber
es ist noch scheinbar gesund, ist aber bereits
inficirt und befindet sich im Incubations-
stadium einer ansteckenden Krankheit, oder
es hat die Krankheit bereits überstanden,
der Ansteckungsstoff haftet nur noch an
seinem Fell oder an den Hufen, Klauen,
Hörnern etc. und wird so weithin verschleppt.
Von Thierproducten sind besonders gefährlich:
frisches Fleisch, frische Milch, frische, noch
feuchte Felle, Gedärme, Hufe, Klauen, Hörner,
Wolle, Haare, Borsten, Knochen, an denen
einige Ansteckungsstoffe in feuchtem Zustande
mehrere Wochen hindurch sich wirksam erhal¬
ten können. Auch gesalzene -Thierproducte
vermitteln zuweilen die Einschleppung von
Seuchen, da Kochsalz die wenigsten Conta-
gien zerstört. Weitere Quellen für Verbreitung
von Seuchen bieten frischer Dünger, Stroh,
Heu und andere Futterstoffe aus Seuchen¬
ställen. Gefahrlos dagegen sind alle voll¬
kommen ausgetrockneten, ausgelüfteten oder
ausgekochten Gegenstände, da die meisten
Ansteckungsstoffe durch Austrocknung und
Siedehitze zerstört werden; auch geräucherte
Schinken und sonstige Fleischwaaren sind —
mit Ausnahme für Trichinose — meist gefahr¬
los. Nur Milzbrandsporen widerstehen dem
Austrocknen und Räuchern, und sind daher
Milzbrandcadavcr und Producte von anthrax-
kranken Thieren stets zu vernichten. Semmer.
Ein8chlie$$en mikroskopischer Präparate,
s. mikroskopische Technik.
Einschfltten von Arzneimitteln, s. Ein¬
gehen derselben.
Einspeicheln des Futters. Als Einspeiche-
lung bezeichnet man denjenigen Vorgang,
mittelst dessen die Durchmischung der Nah¬
rung beim Kauen mit Mundflüssigkeit ge¬
schieht (s. u. Verdauung und Fütterung).
Einspringen, in der Jägersprache das
Heraustreiben der Hühner durch den Hund. Kh.
Einspritzung, s. Injcction.
Einstreu ist dasjenige Mittel, welches den
Thieren ein für die Hautpflege sowie für die
körperliche Ruhe nöthiges trockenes und rein¬
liches, weiches und im Winter warmes Lager
bietet, damit dieselben sich niederlegen, er¬
holen-, ausruhen und schlafen können; nebst-
dem hat aber die Einstreu den Zweck, die
festen und flüssigen thierischen Auswurfstoffe
aufzunehmen, wodurch deren Wegschaffung
und Verwendung, als Dünger im Felde am
leichtesten ermöglicht wird. Die rationell
wirthschaftenden Landwirtbe verlangen aber,
dass selbst das Streumittel ein solches sei,
welches den Werth des Düngers erhöht, oder
welches durch seine physikalische Beschaffen¬
heit oder chemischen Bestandteile eine gün¬
stige Wirkung auf Erhöhung der Fruchtbar¬
keit des Bodens ausübt.
Die Einstreu in Stallungen kann aus
verschiedenen Stoffen des Pflanzen- und Mi¬
neralreiches bestehen. Als allgemein gütiges
Einstreumittel steht das Stroh obenan; es saugt
die Jauche ziemlich auf, hält die Auswurf¬
stoffe zusammen, bildet dann ein voluminöses
und doch gut vertheilbares Düngerraaterial,
das besonders bodcnlockernd wirkt. Stroh als
Streu und hiedurch als Düngererzeugungs¬
material hat noch eine Menge anderer Vor¬
theile, und gegenwärtig ist noch kein Streu¬
ersatz für dasselbe bekannt, der sich, billige
Production oder Ankauf vorausgesetzt, dem
Stroh gleichwertig an die Seite setzen kann.
Bei der Streuverwendung zeigen sich nur
zwei Fehler; nämlich es wird entweder un-
mässig viel Stroh gestreut, oder es wird in
einer Form gestreut, die nicht ökonomisch für
den wichtigsten Streuzweck, sowie unpraktisch
für die Düngerverwendung im Felde ist. In
erster Hinsicht glauben viele Landwirtlie, dass,
wenn sie nur viel einstreuen, auch viel Dünger
wird, und nicht selten sieht aus dem Stroh¬
haufen (dem vermeintlichen Düngerhaufen)
doch der schlechte Futter- und Düngerwirth
heraus. Stroh selbst hat ja einen geringen
Düngerwerth, und in Folge verschwenderi¬
scher Verwendung von Stroh wird dem
Landwirthe kein Vortheil erwachsen. Stroh
in die Jauchenpfützen oder auf den Dünger¬
haufen zu werfen, um Dünger zu machen,
ist eine Unwirthschaft; denn es ist auch bei
sparsamer Verwendung möglich, alle Auswurf¬
stoffe auf dem Düngerhaufen beisammen zu
haben und auch beisammen zu halten. Um
Stroh zu sparen sowie doch allen Streuzwecken
nachzukommen, empfiehlt sich zweitens die
Zerkleinerung des Strohes, d. h. das Hacken
in kurze Stücke mit einem alten Beile oder
einem Sensenstumpfe; schon in solcher Form,
also z. B. drei- bis viermal der Länge nach
zerhackt, wird es mehr Jauche aufsaugen,
die Düngerwegschaffung erleichtern, und der
Dünger wird sich hauptsächlich gut unter¬
ackern lassen.
Die Streu ist entweder eine halbe oder
eine ganze und in letzterem Falle eine per¬
manente oder nicht permanente. Die per¬
manente Streu, d. Ti. diejenige, welche den
Thieren auch den Tag über belassen wird, ist
besonders zu empfehlen, wo das Stroh wohlfeil
und in genügender Menge zu haben ist: die
Thiere können das saftigste und beste Stroh
486
EINSTÜLPUNG DER LIDER. — EIS.
zur Nahrung auswählen und werden dadurch
von manchen üblen Gewohnheiten abgehalten,
sie ruhen den Tag über besser aus, selbst
wenn sie nicht liegen, Verstauchungen der
Gelenke und Gelenksentzündungen kommen
seltener vor und treten weniger heftig auf,
ebenso Stollbeulen und öderaatöse Anschwel¬
lungen der Füsse; die Temperatur in den
Stallungen wird milder und kann zu allen
Jahreszeiten gleichmässiger erhalten werden,
die Luft bleibt reiner und die Ventilation ist
wirksamer. In Privatstallungen, wo nicht die
Ordnung und Reinlichkeit wie in grösseren
Stallungen, z. B. beim Militär, herrscht,
namentlich aber in solchen, die nicht geräumig
genug sind und nicht gehörig gelüftet werden
können, ist die nicht permanente Streu vor¬
zuziehen. Eine halbe Streu, d. h. eine solche,
wo den Thieren nur eine dünne Schichte Stroh
den Tag über unterbreitet wird, hat mancherlei
Nachtheile; die Thiere haben keinen guten
Stand, besonders wenn der Boden zum Theil
ausgetreten ist, sie werden mehr durch
Insecten und durch die Streu selbst an den
Füssen belästigt, stampfen dann fortwährend,
wodurch die Fesselgelenke leiden und der
Beschlag schadhaft wird; die geringe Stroh¬
schichte ist nicht ira Stande, alle excrementellen
Stoffe zu absorbiren, die Thiere beschmutzen
sich daher stark beim Niederlegen, der Harn
sammelt sich in den Unebenheiten des Bodens,
zersetzt sich und verdirbt die Luft. Eine con-
cave Streu, d. h. eine solche, wo das meiste
Stroh hinten zu beiden Seiten des Standes
aufgestreut ist, ist nur Nachts zweckmässig.
Wo Strohmangel herrscht, d. h. wo Stroh,
es sei Roggen-, Weizen-, Dinkel- oder Fesen-
stroh als die am häufigsten verwendeten Stroh¬
arten fehlen, da treten Streu Surrogate an deren
Stelle, wozu Laub, Nadeln, Rohr, Schilf,
Wiesenstreu, Haidekraut, Erde, Rasenplaggen,
Torf, Sand, Sägespäne gehören und verwendet
werden. Die Benützung der Waldstreu (Laub,
Nadeln, Moos) soll so viel wie möglich ver¬
mieden werden, denn der Wald darf durch
die fortwährende Streuentnahme nicht zu
Grunde gehen, und es unterliegt keinem
Zweifel, dass dieselbe durch die anderen
Surrogate ersetzt werden kann. Als solche
sind zu nennen die Erde; man kann jede Erde
dazu benützen, nur darf sie nicht zu thonig
sein und muss stets in so trockenem Zustande
und in solcher Menge in den Ställen ver¬
wendet werden, dass aller Harn aufgesaugt
wird. Die Erde darf nicht dünnbreiig werden
und ist die grösste Reinlichkeit dabei zu be¬
obachten. Erde gibt es nun überall, aber wo
Torf zu haben ist, da hat man ein noch bes¬
seres Streumittel und hiebei ein ausgezeich¬
netes Düngemittel. Torfabraura, Torfklein oder
Mull saugen im trockenen Zustande sehr viel,
ja unter allen Streumitteln die meiste Jauche
auf und sind ein werthvolles, für Bodenver¬
besserung und Pflanzenernährung geeignetes
Material. Wo einmal die Torfstreu Eingang
gefunden, welcher Landwirth die Erfolge nach
derselben schätzen gelernt hat, der wird selbst
bei Streustrohverwendung immer noch etwas
Torfmaterial benutzen oder wenigstens seinen
Düngerhaufen damit bedecken.
Auch Sand, der im trockenen Zustande,
nicht kiesig ist, kann als Streusurrogat ver¬
wendet werden, ebenso Sägespäne in Form
gesiebten, holzsplitterfreien Sägemehles.
Wiesenstreu, Schilf und Rohr sind sehr gute
Streumaterialien, wenn sie richtig zubereitet
werden.
Die Einstreu in Stallungen richtet sich
auch nach den verschiedenen Thiergattungen,
Gebrauchs- und Productionszwecken derselben.
Die Luxus-, Gestüts- und Zuchtpferde er¬
halten in der Regel nur Strohstreu und wird
dieselbe Tag und Nacht beibehalten. Die
Militärpferde erhalten entweder die bleibende
(Matratzen-) Streu, oder es wird denselben
nur Nachts die Strohstreu gelassen, wobei
die erstere oft Monate lang liegen bleibt. Den
übrigen Arbeitspferden wird meistens nur zur
Ruhezeit eingestreut.
Zuchtstuten, welche nahe der Geburt
sind, müssen eine ergiebige, weiche, trockene,
reingehaltene und täglich frisch zu gebende
Strohstreu erhalten, ebenso die jungen Fohlen.
Die Rinder, als: Kälber, Jungvieh, Kühe,
Zug- und Mastochsen erhalten häufig, wenn
Strohmangel vorhanden ist, Streusurrogate.
Wer nun diese Mittel in hinreichender Menge
besitzt, der muss schon aus Rücksicht der
Düngergewinnung Tag und Nacht in seinen
Ställen einstreuen; wo dies nicht der Fall
ist, da kann beim Arbeits- und Milchvieh den
Tag über allerdings die Einstreu wegbleiben,
dagegen soll den Kälbern,Kälberkühen und den
Mastthieren fortwährend Streu, wenn möglich
aus Stroh, gegeben werden. Den Schafen
kann man täglich oder in Zwischenzeiten ein¬
streuen und bleibt Streu mit Dünger in der
Regel den Winter über in den Ställen liegen.
Den Schweinen ist die Strohstreu am
angemessensten, und soll dieselbe, wenn nicht
täglich, doch so oft erneuert werden, als sie
verunreinigt, nass und schmutzig oder zer¬
knittert, zerbissen und zusammengetreten
worden ist. Ableitner .
Einstülpung der Lider, s. Entropium.
Eintreten fremder Körper, s. Nageltritt.
Einwärtskehrung der Lider, s. Entro¬
pium.
Einwanderung nennt man die Ueber-
siedlung ganzer Thierarten in neue Wohn¬
gebiete behufs Sicherung ihrer Existenz. Für
das glückliche Gelingen derselben kommen
zahlreiche Umstände in Betracht. Von Einfluss
darauf sind zunächst die Wanderungsfahigkeit
(fliegende Thiere siedeln leichter über als
laufende) und die Transportmittel, ferner die
Accomraodationsfahigkeit der Einwanderer an
die bestehenden Verhältnisse (Klima, Boden,
Nahrung etc.). Dieselben Verhältnisse bedingen
auch eventuell Abänderungen in den Eigen¬
schaften etc. der Arten, wodurch neue Varie¬
täten, selbst Arten entstehen können. Sf
Einweichen des Futters, s. „Einquellen“
und „Anbrühen 11 des Futters.
Eis ist die feste Aggregationsform des
Wassers H0 2 ; das Wasser ist flüssig über
EISANTHEMA. — EISBALLEN.
487
0° C. und wird unterhalb dieser Temperatur
fest Das feste Wasser tritt entweder als an¬
scheinend homogene Masse auf, wie das Eis
auf der Oberfläche eines Teiches,, oder in der
Form von krystallinischen Gruppen, welche
regelmässige Agglomerate kleiner Krystalle
darstellen, die dem hexagonalen Systeme an¬
gehören. Das Eis ist durch Aneinanderlage¬
rung vonKrystallen entstanden, welche sämmt-
lich in der gleichen Richtung gelagert sind;
es scheint wohl sehr spröde, doch ist es bis
zu einem gewissen Grade plastisch, indem es
unter einem sich allmälig steigernden starken
Druck in verschiedene Formen übergeführt
werden kann. So lässt sich z. B. ein schmaler
cylindrischer Eisblock durch Druck in eine
Scheibe verwandeln. Bringt man zwei Eis¬
stücke bei einer Temperatur unter 0° an ein¬
ander und übt einen Druck auf dieselben aus,
so vereinigen sie sich an den Berührungs¬
flächen, und man erhält einen einzigen Block,
an dem keine Spur der Trennung sichtbar
ist. Diese Erscheinung wird als Recongelation
(Wiedererfrierung) des Eises bezeichnet.
Das Eis ist gleichsam als Gestein auch am
Aufbau unserer Erdfeste betheiligt und tritt
hier in zwei Formen auf, welche in Bezug
auf Entstehung und Structur verschieden
sind: Schnee-Eis und Wasser-Eis. Das
Schnee-Eis erscheint in drei Modificationen
als Schnee, Firn und Gletschereis. In den
Hochgebirgen und Polargegenden bilden die
zu sechsseitigen Sternen gruppirten Eis-
krystalle ausgedehnte Schnee-Ablagerungen.
Diese wandeln sich nun durch den Einfluss
der warmen Sonnenstrahlen auf Hochgebirgen
von etwa 3300m abwärts zu Firn (Firneis,
Körnerschnee) um. Der Firn besteht aus rund¬
lichen Eiskörnchen, welche entweder lose
neben einander liegen oder durch gefrontes
Wasser verkittet sind. Aus dem ‘Firn geht in
tieferen Regionen — etwa 2500 m —das eigent¬
liche Gletschereis hervor, welches aus
unmittelbar mit einander verschmolzenen
Firneiskörnern besteht, die gegen das untere
Ende des Gletschers immer grössere Dimen¬
sionen zeigen. Das Gletschereis zeigt in
grösseren Massen eine bläuliche Farbe, auch
eine Art von Schichtung, welche von weissen
luftblasenreichen und von blauen luftblasen-
armen Bändern durchsetzt wird.
Wasser-Eis, welches durch Abkühlung
der Gewässer an ihrer Oberfläche entsteht,
ist specifisch leichter als Wasser (0*918 bei
0° C.) und schwimmt auf diesem. Beim Frieren
dehnt sich das Wasser um 0*07 seines Vo¬
lumens aus, hiebei wird eine Menge Wärme
frei, welche für 1 g 79 Calorien ausmacht.
Auch das Wassereis zeigt meist deutliche
Schichtung senkrecht zur Oberfläche, es ist
durchsichtig, in grösseren Massen grünlich.
Das Grundeis ist ein schwammiges aus Eis-
nädelchen bestehendes Eis, welches sich auf
dem Grunde der Gewässer bildet; es ist,
mit gand und Geschieben verunreinigt, von
schmutziggrauer Farbe. Lotbisch.
Eisantheaa (abgel. v. s:V, hinein, und
•cb ävib)|xoc, Hautausschlag), ein Schleimhaut¬
exanthem. Sussdorf.
Eisballen werden nach Günther („Be-
urtheilungslehre des Pferdes 14 , 1859) in den
Züchtungsgegenden, wo man edle Pferdezucht
treibt, Anschwellungen in den Muskeln der
Hinterschenkel genannt, die besonders im
Bereich der Sitzbeine und der Kruppe sich
in einzelnen Jahren bei Saugfüllen nicht
selten einfinden. Die kranken Stellen sind
in den Muskeln mehr oder weniger aus¬
gedehnt, sie bestehen in einer eigentüm¬
lichen Degeneration der Muskelfibrillen und
sind, wenn das Thier ganz ruhig ist, weich,
sobald aber die geringste Aufregung eintritt
oder der kranke Muskel durch den geringsten
Schlag, sei es auch nur durch einen sog.
Nasenstüber, gereizt wird, treten die kranken
Stellen in Contractur, stehen dann markirt
vor und sind hart. Füllen der Art werden
stets steiler in den Fesseln, verkümmern und
verkrümmen. Ist das Uebel bedeutend, so
ist es unheilbar, es verschlimmert sich mehr
und mehr und wird so stark, dass die
Füllen, selbst jährig geworden, sobald sie in
rascheren Gängen erschrecken, durch den
starken, unwillkürlichen Muskelzug umge¬
worfen werden und momentan fest liegen.
Füllen der Art sind werthlos. In gelindem
Grad verschwindet das Uebel einzeln hei
äusserst kräftiger Ernährung und Warmhal¬
tung der jungen Thiere, selten ganz. Zurück¬
bleibende geringe Reste findet man einzeln
bei erwachsenen, selbst älteren Pferden; sie
pflegen sich hier nicht mehr durch beson¬
deren Nachtheil bemerklich zu machen: Zur
Zucht benützt man solche Pferde am liebsten
nicht, obgleich eine Erblichkeit in erster
Generation nicht gerade immer nachgewiesen
werden kann; einzelne hochedle Hengste
scheinen ihren Producten besondere Neigung
zu diesem Uebel mitzugeben. Die Section
ergibt nach einjährigem Bestehen des Uebels:
degenerirte Muskelfibrillen, die durch ver¬
dicktes Zellgewebe eingeschlossen sind und
nur einzelne Unterbrechungen aufweisen; der
ganze kranke Muskeltheil ist .derb, zähe,
glänzt nicht auf der dem Laufe seiner Fibern
parallelen Schnittfläche; seine Farbe variirt
von blassrosenroth zu blassgrauroth, selbst
grau, auf anderen Stellen ist er durchschei¬
nend wie frisches Fischfleisch und hat über¬
haupt im Querschnitt mit diesem viel Aehn-
lichkeit, auf anderen Stellen erscheint er im
Querschnitt körnig. Bei getödteten, noch
lebend warmen Thieren springt er im Quer¬
schnitt nicht zurück, schwillt aber sofort so¬
weit auf, wie die kranke Stelle reicht. In
dem Nervensystem wurden pathologische Zu¬
stände nicht aufgefunden. Hat dieses Bild
mit dem der Muskelentzündung auch manche
Aehnlichkeit, so kann sie doch mit dieser,
wie solche bei Pferden und Füllen sonst ge¬
sehen wird, nicht für identisch gehalten
werden, es stellt vielmehr eine besondere Art
der Muskelerkrankungen dar.
Wir haben in unseren Schuljahren selbst
zwei mit schwachen Eisballen behaftete Pferde
488
EISELE. — EISEN.
wiederholt geritten und erinnern uns noch,
dass dieselben schnell ermüdeten. Brümmer .
Etaele G., 1801—1859, studirte Thierarznei¬
kunde in Stuttgart, wurde 1847 Landesthier¬
arzt, gab 1836 eine Schrift heraus über Krank¬
heiten der Gliedmassen des Pferdes, schrieb
ferner über Alterslehre und über Verhütung und
Heilung des Kälber- oder Milchfiebers. Sr.
Eisen und dessen Verb in düngen. Das
Eisen, Fe, Atomgewicht 56, ist wegen seiner
physiologischen Bedeutung* als Bestandtheil
des thierischen und pflanzlichen Organismus,
ferner wegen seiner grossen Verwerthbarkeit
in der Industrie das wichtigste aller Metalle
und nach dem Sauerstoff, Silicium, Aluminium
das verbreitetste Element. Im Thier reiche
findet sich das Eisen reichlich im rothen
Farbstoffe des Blutes der Wirbelthiere, in
geringerer Menge in der Galle, während die
übrigen thierischen Flüssigkeiten: Harn, Spei¬
chel und die Gewebe, nur Spuren davon ent¬
halten. In der Pflanze kommt es vornehm¬
lich in den Blattorganen angehäuft vor. Im
gediegenen Zustande findet sich das Eisen nur
im Meteoreisen und Basalt,. hingegen bilden
dessen Verbindungen mit Sauerstoff und mit
Schwefel eine grosse Menge von Mineralien,
welche in Form von mächtigen Lagern einen
Theil der Erdrinde ausmachen. Die wichtigsten
Eiscnmineralien sind: Der Magneteisen¬
stein, eine Verbindung von Eisenoxydul (FeO)
mit Eisenoxyd (Fe,O a ) von der Formel Fe 3 0*,
die verschiedenen Varietäten des Rotheisen¬
ste ins — Eisenglanz, Blutstein, Glaskopf
— nach ihrer Zusammensetzung .Eisenoxyd
Fe*Oä, der Spath eis enstein, kohlensaures
Eisenoxydul FeC0 3 , der Brauneisenstein,
eine Verbindung von Eisenoxyd und Eisen¬
hydroxyd Fe t 0 8 + Fe t (OH) e . Diese Minera¬
lien sind es in erster Linie, welche zur Ge¬
winnung des Eisens aus seinen Erzen ver¬
wendet werden. Wohl kommt das Eisen auch
in Verbindungen mit Schwefel als Eisenbisulfid
Fe S* im Pyrit, ferner als Ferroferrisulfid
6 FeS + Fe*S* im Magnetkies vor, jedoch
müssen die Schwefelverbindungen, um daraus
metallisches* Eisen darzustellen, behufs Ent¬
fernung des Schwefels früher geröstet werden,
wobei sie in Eisenoxydverbindungen überge¬
führt werden.
Das Eisen kommt in drei Formen in den
Handel, als Roh- oder Gussbisen, als Stahl
und als Stab- oder Schmiedeeisen, welche
sich von einander durch die Menge von Kohlen¬
stoff unterscheiden, welche sie enthalten.
Das Roheisen enthält 3—6% Kohlen¬
stoff theils chemisch gebunden, theils als
Graphit mechanisch beigeraengt. Durch rasches
Abkühlen des geschmolzenen Eisens erhält
man das weisse Roheisen, wobei der
Kohlenstoff mit dem Eisen in chemischer
Bindung bleibt; es zeigt eine grosskörnige
krystallinische Structur, ist sehr hart und
spröde, spec. Gew. 7*1, schmilzt bei 1200° C.
und zieht sich beim Erkalten unregelmässig
zusammen, ist daher zum Giessen unbrauch¬
bar, hingegen wird es wegen der leichten
Oxydirbarkeit des darin enthaltenen Kohlen¬
stoffes zur Darstellung von Stahl und Schmiede¬
eisen benützt. Beim langsamen Abkühlen des
geschmolzenen Eisens entsteht das graue
Roheisen, dabei scheidet sich ein Theil des
Kohlenstoffs' in Form von kleinen jGraphit-
plättchen aus. Es ist weniger spröde und
leichter schmelzbar als das weisse Roheisen
und wird deshalb zujr Darstellung von Guss-
waaren benützt.
Der Strahl enthält 0*3—1*8% Kohlen¬
stoff, zeigt eine eigenthümliche graue Fär-.
bung, von sehr feinkörnigem Gefüge, spec.Gew.
7*6—8 0, schmilzt leichter als das Schmiede¬
eisen, bei 1700 —1900° C. Kühlt man ge¬
schmolzenen Stahl durch Eintauchen in Wasser
rasch ab, so wird er spröde und so hart, dass
er Glas ritzt, lässt man ihn langsam abkühlen,
so wird er biegsam und sehr gut hämmerbar.
Das Stab- oder Schmiedeeisen ent¬
hält die geringste Menge Kohlenstoff, 0*1 bis
0*5%, von hellgrauer Farbe, spec. Gew*. 7 6,
schmilzt bei 2000; es ist von allen Eisen¬
sorten am weichsten. Bei einem Kohlenstoff¬
gehalt bis zu 0*3% hat es ein faseriges,
bei höherem Gqhalt ein-feinkörniges Gefüge.
Ersteres ist widerstandsfähiger gegen den
Bruch, wird es aber häufigen Erschütterungen
ausgesetzt (Eisenbahnachsen), so geht es in
den krystallinisch körnigen Zustand über,
wobei es spröde wird und leicht bricht. Man
verwendet daher gegenwärtig zur Anfertigung
von Gegenständen, die andauernden Erschütte¬
rungen ausgesetzt sind, den Stahl.
Die verschiedenen Eisensorten des Han¬
dels enthalten sämmtlich ausser dem Kohlen¬
stoff auch noch andere fremde Bestandtheile:
zunächst mehr oder minder grosse Mengen von
Mangan (bis zu 30%), überdies in geringeren
Mengen bis Spuren auch Silicium, Schwefel,
Phosphor, Stickstoff, Kobalt, Nickel und Titan.
Chemisch reines Eisen erhält .man
in Pulverform, w*enn man reines Eisenoxyd
im Wasserstoffstrom erhitzt; man kann das¬
selbe in einer Wasserstoffatmosphäre aufbe¬
wahren, bringt im*n cs aber an die Luft, so
geräth es von selbst in Glühen — pyrophores
Eisen — w r obei es zu Oxyd verbrennt. Wird
das redücirte Eisen jedoch sehr stark erhitzt,
dann entzündet es sich an der Luft nicht
mehr von selbst; man erhält auf letztere Weise
das Ferrum reductum der Pharmacopöe.
In zusammenhängenden Massen wird es er¬
halten durch Zusammenschmelzen von rein¬
stem Schmiedeeisen (feiner Clavierdraht) mit
Eisenoxyd in einem verschlossenen Tiegel;
hiebei nimmt das Oxyd die im Metall ent¬
haltenen Verunreinigungen auf. und es schei¬
det sich ein Kern von reinem Eisen ab. Das
aus Eisensulfat mittelst Elektrolyse abge¬
schiedene metallische Eisen enthält noch
immer geringe Mengen von Wasserstoff.
Das chemisch reine Eisen ist von w’eiss-
grauer Farbe, ist weich, spec. Gew. 7*78, es
schmilzt bei 1800° C. und ist in trockener
Luft unveränderlich, an feuchter Luft bedeckt
es sich bald mit einer Schichte von Kisen-
oxydhydrat (Rost), an der Luft geglüht über¬
zieht es sich*mit einer sehwarzen Schichte
EISEN.
489
von Eisenoxyduloxyd Fe 3 0 4 (Hammerschlag),
im Sauerstoff erhitzt verbrennt es unter leb¬
haftem Glühen zu Eisenoxyd Fe 4 0 8 . In Be¬
rührung mit einem Magneten wird das chemisch
reine Eisen ebenfalls magnetisch, jedoch ver¬
liert es diese Eigenschaft, sobald man den
Magnet entfernt, hingegen wird kohlehaltiges
Eisen (Stahl) durch Bestreichen mit einem
Magnet dauerhaft magnetisch. Bei Rothglut
zersetzt das Eisen das Wasser, indem es sich
mit dem Sauerstoff desselben verbindet, hiebei
wird »Wasserstoff frei nach der, Gleichung
3 Fe-f 4 H 3 0 =.Fe a 04 + 4H a . Das Eisen
löst sich in den meisten verdünnten Säuren
unter Entwicklung von Wasserstoff auf, in con-
centrirter Schwefelsäure löst es sich unter Ent¬
wicklung von schwefeliger Säure. Taucht man
metallisches Eisen in kalte conecntrirte Sal¬
petersäure und wäscht es schnell ab, so wird
es passiv, das heisst es hat nun die Eigen¬
schaft, dass es von Salpetersäure nicht nvehr
angegriffen wird und auch aus Kupfersalzen
das Kupfer nicht anehr abscheidet. Diese
Passivität des Eisens rührt höchst wahr¬
scheinlich von der Bildung «einer Schichte
Eisenoxyd auf demselben her.
IXe Gewinnung des Roheisens, welches
das Material für die Darstellung der anderen
Eiöensorten bildet, aus den Mineralien oder
Erzen, in denen es vorkommt, beruht im
Wesentlichen auf einer Reduction der Eisen¬
oxyde durch Kohle. Indem die Kohle in der
Rothglut dem Eisenoxyd Sauerstoff entzieht,
bleibt metallisches Eisen zurück. Das metallur¬
gische Verfahren,-welches hiebei derzeit zur An¬
wendung kommt, wird als Hochofenprocess
bezeichnet und ist in Kürze folgendes. Die
sauerstoffhaltigen Verbindungen des Eisens
werden der Verwitterung ausgesetzt und ge¬
röstet, um sie zu lockern und Eisenoxydul in
Eisenoxyd zu überführen. Da die Eisenerze
stets Thon und Sand enthalten, welche un¬
schmelzbar sind und eine Vereinigung der
geschmolzenen Eisentheilchcn hindern würden,
so setzt man den Erzen vor dem Ausschmelzen
des Eisens solche Stoffe zu, welche mit Thon
oder Sand leichtflüssige Schmelzen (Schlacke)
bilden. Ist z. B.-den Erzen viel Thon bei¬
gemengt und setzt man Kalk hinzu, so bildet
sich leichtflüssiger kieselsaurer Kalk. Man
mischt daher die Erze früher mit den schlacke-,
bildenden Massen (Zuschlag), dann mit Coaks
oder Holzkohlen und schüttet die Mischung
in den zum TJieil mit glühenden Kohlen ge¬
füllten Hochofen, welcher bis 15 Meter hoch
ist, ein. Die sich bildende Schlacke bewirkt
aber, nicht nur das Zusammenflüssen der ge¬
schmolzenen Eise^theilchen, sie schützt auch
das gebildete Roheisen vor der oxydirenden
Wirkung der Gebläseluft; da nämlich die
Eisenerze erst bei sehr hoher Temperatur
reducirt werden, so muss eine lebhafte Ver¬
brennung durch einen starken, mittelst Ge¬
bläse erzeugten Luftzug unterhalten werden.
Das Brennmaterial verbrennt nun im Ofen
durch die eingeblasene heisse Luft zu Kohlei*-
säure, welche, indem sie durch 1 die höher
liegenden Kohlenschichten streicht, zu Kohlen¬
oxyd reducirt wird: dieses Kohlenoxyd
entzieht nun dem Eisenerz den Sauer¬
stoff, und es bildet sich metallisches
Eisen, welches sich am Boden des Ofens
sammelt und hier abgelassen wird.
Verbindungen des Eisens. Das Eisen
bildet zwei Reihen von Verbindungen, welche
nach den allgemeinen Formeln Fe X t und
Fe a X 6 zusammengesetzt sind. Die Verbin¬
dungen nach der Formel FeX, werden Eisen¬
oxydul- oder Ferroverbindungen genannt, die
nach der Formel Fe t X 6 Eisenoxyd- oder
Ferriverbindungen. Eine dritte Rnihe von Ver¬
bindungen lässt sich von der Eisensäur^
H, Fe 0 4 ableiten, welche ebenso wie die
Mangansäure sehr unbeständig ist.
a) Eisenoxycjul- 0 der Ferroverbin¬
dungen. In diesen functionirt das Elisen als
zweiwerthiges Metall. Man erhält sie beim Auf¬
lösen Von Eisen in einigen Säuren, oder wenn
man die entsprechenden Eisenoxydverbindun¬
gen reducirt. Die wasserhaltigen Salze der 1
selben sowie ihre Lösungen haben eine grüne
Farbe, sie färben auch das Glas grün: im
wasserfreien Zustande sind sie weiss. Ver¬
setzt man eine Lösung eines Ferrosalzes mit
Alkalien, so erhält man einen weissen Nieder¬
schlag von Eisenoxydulhydrat Fe (0H) 4 , wel¬
cher sich an der Luft durch Oxydation rasch
schmutziggrün, später rothbraun verfärbt. Die
wichtigsten. Ferroverbindungen sind:
E i s e n c h 1 0 r ü r, Ferrum chloratum, FeCl a .
Man erhält es durch Ueberlciten von trockenem
Chlorwasserstoffgas über erhitzte Eisenfeil¬
späne als eine weisse flüchtige Masse. Löst
man Eisen in Salzsäure auf und dampft die
Lösung bei Abschluss von Luft ab, so drhält
man hellgrüne zerfliessliche monocline Pris¬
men von der Zusammensetzung FeCl 4 -f* 4H t O,
weiche früher als Ferrum chloratum officinell
waren. Die wässerige Lösung derselben, welche
10% Eisen enthält, w r ird als Liquor ferri
chlorati, die weingeistige Lösung als Tinctura
ferri chlorati verordnet.
Eisenjodür, Ferrum jodatum, FeJ t .—
Verreibt man gepulvertes Eisen unter Zusatz
von Wasser mit der entsprechenden Menge
Jod, so erhält man eine grünliche Lösung,
aus der sich beim Verdampfen Krystalle von
der Zusammensetzung FeJ 4 -f-4H,0 abschei¬
den. Dieses Salz zersetzt sich an der Luft
leicht unter Bildung von Eisenoxyd und Ab¬
scheidung von freiem * Jod, die Zersetzung
wird durch Zusatz von Zucker sehr verlang¬
samt, Es wird daher das Präparat in der
Phannacie entweder mit Milchzucker ver¬
rieben {Ferrum jodatum saccharatum) oder in
Lösung mit Zucker versetzt (Syrupus ferri
jodatus) aufbewahrt.
Eisenoxydul, FeO, kommt im freien
Zustande in der Natdr nicht vor, hingegen
gelöst in Mineralwässern, welche den Gehalt
an Eisen auch durch einen zusammenziehen¬
den tintenartigen Geschmack verrathen. Man
erhält es als sammtschwarzes Pulver, wenn
man oxalsaures Eisen bei Abschluss von Luft
glühhend macht, oder über auf 300° C. er¬
hitztes Eisenoxvd Wasserstoff leitet. Es zieht
•
Digitized b
y-Google
490 EISEN.
an der Luft begierig Sauerstoff an, ist unlös¬
lich in Wasser leicht löslich in Säuren, mit
denen es die Eisenoxydulsalze bildet.
Sch wo fei saures Eisen oxydul, Ferro¬
sulfat,Eisenvitriol, grünerVitriolFeS0 4 +7H,0,
monocline Krystalle. Das wichtigste Eisensalz,
kommt in den Bergwerken als Melanterit
vor. Man erhält es durch Auflösen von Eisen¬
abfällen in verdünnter Schwefelsäure oder
durch langsame Oxydation von geröstetem
Eisenkies FeS, an der Luft; der Eisenkies
verliert beim Rösten die Hälfte des Schwefels,
das zurückhleibende Ferrosulfid (Fe S) nimmt
bei Gegenwart von Wasser Sauerstoff auf,
wobei es sich zu Eisenvitriol oxydirt, man
laugt die Masse mit Wasser aus und lässt sie
krystallisiren. Der Eisenvitriol findet ausge¬
dehnte Anwendung in der Industrie zur Be¬
reitung von Tinte und Farben, zur Darstellung
der Nordhauser Schwefelsäure (s. Schwefel¬
säure). Mit den Alkalisulfaten bildet es Doppel¬
salze, welche mit 6 Krystallwasser krystalli¬
siren und welche an der Luft viel weniger
leicht oxydiren als Eisenvitriol. Das ge¬
bräuchlichste dieser Doppelsalze ist das
schwefel saure Eisenoxydul ammoniak
FeS0 4 + (NH4) t S0 4 +6H a 0. Giesst man eine
Lösung von reinem Ferrosulfat in Alkohol, so
erhält man ein krystallinisches Pulver —
Ferrum sulfuricuin purum. Das Ferrum
sulfuricum siccum der Pharmacopöe er¬
hält man, wenn man Ferrosulfat im Wasser¬
bad so lange erhitzt, bis es nur mehr 15%
Wasser enthält.
Kohlensaures Eisenoxydul, Ferro-
carbonat, Ferrum carbonicum, Fe C0 ? , kommt
in der Natur als Spatheisenstein isomorph
mit Kalkspath und mit den Carbonaten von
Magnesium und Mangan in gelblichen Rhom-
boödern vor. Mit Thon gemengt bildet es als
Thoneisenstein mächtige Erzlager in England.
Es ist zum Theil löslich in kohlensäure¬
haltigem Wasser und kommt in dieser Weise
in den sogenannten Stahlwässern vor. Künst¬
lich erhält man es durch Versetzen einer
Ferrosalzlösung mit Natriumcarbonat bei Ab¬
schluss der Luft als einen Niederschlag, der
an der Luft sich bald in braunes Eisenoxyd¬
hydrat urawandelt. Durch Zusatz von Zucker
wird die Oxydation verzögert, daher in der
Pharmacopöe das Ferrum carbonicum
s'accharatum angewendet wird.
Phosphor saures Eisenoxyd ul,Ferro-
phosphat, Fe 3 (P0 4 )„ kommt in der Natur
kry stall wasserhaltig als Vi vianit vor; es
entsteht als weisser Niederschlag beim Mischen
einer Eisenoxydulsalzlösung mit phosphor¬
saurem Natron; an der Luft oxydirt es sich
rasch zu einem graubläulichen Pulver, unlös¬
lich in Wasser und in Weingeist: das Ferrum
phosphoricum der Pharmacopöen.
Einfaches Schwefeleisen, Ferro¬
sulfid, FeS, erhält man durch Erhitzen von
Eisen mit Schwefel als eine krystallinische
metallglänzende Masse, welche leicht schmilzt.
Diese Verbindung wird im chemischen Labo¬
ratorium häufig zur Darstellung von Schwefel¬
wasserstoffgas benützt, indem sie sich mit
Säuren unter Freiwerden von Schwefelwasser¬
stoff löst. FeS+2 HCl = FeCl,+SH„
Von den Verbindungen mit organischen
Säuren ist das milchsaure Eisenoxydul,
Ferrum lacticum, Fe(C 3 H 5 0 3 )„ von grösserer
Wichtigkeit. Es ist ein grünlicbweisses kry¬
stallinisches Pulver von schwach tintenartigem
Geschmack, in 38’2 Th. Wasser löslich.
b) Eisenoxyd- oder Ferriverbin¬
dungen. In diesen functionirt das Eisen als ,
sechswerthiges Doppelatom, sie entstehen
leicht bei, der Oxydation der Eisenoxydul¬
verbindungen oder beim Auflösen von Eisen¬
oxyd in Säuren. Die Lösungen der Eisen¬
oxydsalze haben eine gelbbraune Farbe und
geben, mit Ammoniak versetzt, einen roth-
braunen flockigen Niederschlag von Eisen¬
oxydhydrat. Die wichtigsten hieher gehörigen
Verbindungen sind:
Eisenchlorid, Ferrichlorid, Ferrum
sesquichloratum, Fe,Cl 6 . Man kann es auf
trockenem Wege durch Erhitzen von Eisen
im Chlorstrom in glänzenden schwarzgrauen
Blättchen erhalten; auf nassem Wege durch
Einleiten eine» Stromes von Chlorgas in eine
wässerige Lösung von Eisenchlorür. Dampft
man die mit Chlor gesättigte Lösung bis zum
specifischen Gewicht 1 • 67 ab, so erstarrt die¬
selbe zu einer gelben krystallinisehen Masse
von der Zusammensetzung Fe* CI* + 12H,0,
dem Ferrum sesquichloratum der Pharma-
copöe. Das Eisenchlorid ist an der Luft zer-
fliesslich, leicht löslich in Wasser, Alkohol
und Aether. Der Liquor ferri sesqui-
chlorati der Pharmacopöen ist eine gelb¬
braune Flüssigkeit von herbem ätzenden Ge¬
schmack, welche 40% metallisches Eisen
enthält. Die Tinctura ferri chlorati
aetherea, Liquor anodynus martialis, wird
bereitet aus einer Mischung von 1 Th. Eisen¬
chloridlösung, 2 Th. Aether, 4 Th. Weingeist,
welche in gut verkorkten Flaschen dem Sonnen¬
lichte so lang ausgesetzt wird, bis sie völlig
entfärbt ist, sie enthält 1% Eisen.
Eisenoxyd, Ferrioxyd, Fe, 0 3 , findet
sich als Rotheisenstein als wichtiges Eisenerz
in der Natur. Ausserdem erhält man es durch
Glühen von Eisenvitriol als Rückstand bei
der Darstellung der Nordhauser Schwefel¬
säure unter dem Namen des Colcothar,
Caput mortuum der alten Chemiker, auch
durch Glühen von Eisenoxydhydrat wird es
in dunkelgrauen, in Säure schwer löslichen
Krystallen (Eisenglanz) erhalten.
Eisenoxydhydrat, Fe,(0H) 6 , ist im
Brauneisenstein enthalten und entsteht beim
Liegen von Eisen an feuchter Luft (Rost).
Wird ein Eisenoxydsalz lpit überschüssiger
Kalilauge oder mit Ammoniak gefallt, so
scheidet sich das Eisenoxydhydrat in Flocken
aus. Beim Erhitzen gibt dasselbe Wasser ab und
wird Eisenoxyd, Fe,(OH) e = Fe,0 8 -|-3H,0.
Es löst sich leicht in Säuren. Mit Rohrzucker
gibt es eine Verbindung, welche in kaltem
Wasser leicht, in kochendem schwer löslich
ist, das Ferrum oxydatum saccharatum solu¬
bile der Phhrmacopoea Germanica, den Eisen¬
zucker.
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EISEN ALS NÄHRSTOFF. — EISENCHAMÄLEON.
491
Eine wichtige Anwendung findet das
Eisenoxydhydrat als Gegengift der arsenigen
Säure, Antidotum Arsenici, weil es sich mit
derselben zu. unlöslichem arsenigsauren
Eisenoxyd verbindet. Zur Bereitung desselben
werden nach der Pharmacopoea Germanica
100 Th. Ferrisulfat mit 250 Th. Wasser ver¬
mischt und dieser Flüssigkeit alsdann unter
Umschütteln und möglichster Vermeidung der
Erwärmung eine Mischung von 15 Th. ge¬
brannter Magnesia mit 250 Th. Wasser hin¬
zugefügt. Es resultirt hiebei eine braune
Schüttelmixtur, welche Eisenoxydhydrat neben
schwefelsaurer Magnesia erhält. Die Mixtur
muss stets frisch bereitet werden. Die bereits
vorhandenen Vergiftungserscheinungen können
durch das Gegengift nicht geheilt werden,
es handelt sich nur darum, etwa noch im
Magen oder Darm befindliches nicht resor-
birtes Gift unschädlich zu machen. Dieses
Antidot ist auch bei Vergiftungen mit anderen
Arsen Verbindungen anzuwenden.
Bei Gegenwart verschiedener organischer
Substanzen, wie Gummi, Eiweiss, Glycerin,
Weinsäure, Citronensäure wird das Eisen¬
oxydhydrat aus den Lösungen der Eisenoxyd¬
salze durch Alkalien nicht gefällt.
Schwefelsaures Eisenoxyd, Ferri¬
sulfat, Fe t (S0 4 ) 8 , bildet sich, wenn man eine
mit der entsprechenden Menge von Schwefel¬
säure versetzte Lösung von Ferrosulfat unter
Zusatz von Salpetersäure bis zur Syrupdicke
abdampft. Der Liquor ferri sulfurici
oxydati ist eine wässerige Lösung, welche
35% Ferrisulfat enthält.
Eisensäure, Fe0 4 H Ä , ist im freien
Zustand nicht bekannt, das Kaliumsalz der¬
selben, Fe0 4 K„ erhält man durch Erhitzen
von Eisenoxyd mit Salpeter als eine dunkel-
rothe, in Wasser lösliche Masse.
Erkennung der Eisenverbindungen.
1. In den Lösungen aller Eisensalze erzeugt,
nach Zusatz von Ammoniak, ein Ueberschuss
von Ammoniumsulfid einen schwarzen Nieder¬
schlag von Eisensulfid. Derselbe ist in Säuren
leicht löslich. 2. Gelbes Blutlaugensalz (Ferro-
cyankalium) Erzeugt in den Lösungen der
Eisenoxydulsalze eine weisse, rasch hellblau
werdende Fällung, in den Lösungen der
Oxydsalze eine tiefblaue Fällung von Berliner-
blau. Hingegen bewirkt rothes Blutlaugen¬
salz (Ferricyankalium) in Lösungen von Eisen¬
oxydsalzen keine Fällung, in denen der Eisen¬
oxydulsalze einen tiefblauen Niederschlag von
Turnbull’s Blau (welches nach neueren For¬
schungen identisch mit Berlinerblau ist).
3. Gerbsäure erzeugt in Eisenoxydullösungen
keinen, in Eisenoxydlösungen einen blau¬
schwarzen Niederschlag — Farbstoff der Tinte.
4. Schwefelcyan^alium färbt die Lösungen
der Eisenoxydsalze blutroth — Farbe des
löslichen Schwefelcyaneisens.
Die arzneiliche Anwendung des Eisens
s. u. Ferrum. Lotbisch.
Eisen als Nährstoff, s. u. Fütterung.
Eisenbahnwesen in Bezug auf die Veteri¬
närpolizei. Die Viehtransporte durch die Eisen¬
bahnen haben den Vortheil schnellerer Beför¬
derung und schnelleren Umsatzes von Capi¬
talien im Thierliandel und der bequemeren Ver-
proviantirung grosser Städte. Sie sind weniger
dazu geeignet, ansteckende Thierkrankheiten
in der Umgebung zu verbreiten, wie das bei den
Treibheerden oft der Fall ist, dafür bringen
sie aber zuweilen Thierseuchen aus Seuchen¬
gegenden schnell in weit davon entfernte
Länder, wie das die letzte Rinderpestinvasion
in England (1865—1866) und andere bewiesen
haben. Bei streng durchgeführter Controle des
zu verladenden und des ausgeladenen Viehes
bieten die Eisenbahnen aber weit mehr Sicher¬
heit gegen Verbreitung von Seuchen als das
Treibheerdensystem. Die zum Transport per
Eisenbahn bestimmten Thiere sind aber vor
ihrer Verladung einer strengen thierärztlichen
Controle zu unterziehen und mit den erforder¬
lichen Gesundheitsattesten zu versehen. Die¬
selbe strenge Controle ist beim Ausladen der
Thiere an ihrem Bestimmungsorte anzuwenden.
Seuchenkranke oder verdächtige Thiere sind
vom Eisenbahntransport auf grössere Strecken
auszuschliessen und die bei der Ankunft des
Transports an seinem Bestimmungsort krank
befundenen Thiere sofort der Schlachtbank
zu überliefern oder einer Gehöfts- resp. Stall¬
sperre zu unterwerfen. Die Eisenbahnwagen
aber, in denen sich mit ansteckenden Krank¬
heiten behaftete Thiere befanden, sind einer
gründlichen Desinfection zu unterziehen, zu
welchem Zweck sich am besten kochend¬
heisse Sublimatlösungen eignen. Viehtrans¬
porte aus solchen Ländern, in denen beständig
besonders gefährliche Seuchen, wie z. B. die
Rinderpest und die Schafpocken, herrschen,
sind nicht gestattet, und gegen solche Länder
wird nötigenfalls eine Grenzsperre ange¬
ordnet, und beim Verletzen derselben werden
die importirten Thiere entweder wieder über
die Grenze zurückbefördert oder nötigenfalls
getödtet und verscharrt und die benützten
Eisenbahnwagen an Ort und Stelle gehörig
desinficirt. Zu dem Zweck werden die Wagen
erst sorgfältig gereinigt, von angehäuftem
Mist und Harn befreit, mit Lauge ausge¬
waschen und dann mit desinficirenden Lösun¬
gen (Chlorkalk, Carbolsäure, Sublimat) be¬
handelt. Auch heisse Wasserdämpfe können
dazu benützt werden, wo solche zu beschaffen
sind. Einzelne Länder, wie z. B. Oesterreich
und Bayern, besitzen besonders eingerichtete
Desinfectionsstationen für Eisenbahnwagen mit
obligatorischer Ueberwachung der Desinfection
durch Thierärzte. Die Controle der Viehtrans¬
porte und Desinfection der Eisenbahnwagen
muss, wenn sie von Nutzen sein soll, für alle
Bahnverwaltungen obligatorisch sein und von
besonderen Veterinär- oder Polizeibeamten
überwacht werden, die den Local-Polizei-
Verwaltungsbehörden 'unterstellt sind und
revidirt werden. Semmcr.
Elsenberg, Baron, gab 1747 in Amsterdam
ein Werk über Exterieur des Pferdes heraus
und schrieb über Betrügereien im Pferde¬
handel. Semmer.
Eisenchamäleon, eine sehr wirksame
Lösung zur Desinfection von Dung- und
492
EISENHÜT. — EISNÄGEL.
Jauchegruben, Aborten, Cloaken u. g. w., be¬
stehend ans einer Mischung von 8 rohem
Permanganat, 45 rohem schwefelsauren Eisen
und 47 Regenwasser (Liebig). Vogel.
Etaenhut, Sturmhut, bekannte officinelle
Giftpflanze.
Der Eisenhut findet sich mitunter zwi¬
schen Wiesengras. Alle Arten dieser Pflanze
erzeugen bei den Thieren Aufblähen, Er¬
brechen, Durchfall, Zuckungen, Betäubungen;
nach wenigen Stunden erfolgt mitunter der
Tod. Am gefährlichsten soll Aconitum Na-
pellus sein (s. d.). Pott.
Etoensalmiak, s. Ammonium chloratum
ferratum.
Eisenschimmel, s. Haarfarben.
Eisenvitriol, s.SchwefelsaurcsEisenoxydul.
Eisenzeit umfasst die letzte Periode im
Dreitheilungssysteme des prähistorischen Zeit¬
alters von Europa. Sie folgte unmittelbar der
Bronzezeit (s. d.) und bildete den Uebergang
zur historischen Zeit. Man rechnet hieher ver¬
schiedene Gräberfunde, Cultusstätten, Tumuli,
Ustrinen etc. Dass thatsächlich schon zu prä¬
historischen Zeiten unseren europäischen Vor¬
fahren das Eisen bekannt war, beweisen zahl¬
reiche in den verschiedenen Ländern entdeckte
Eisenschmelzstätten, in welchen Eisenerze auf
primitive Weise eingeschmolzen wurden. Es
ist ersichtlich, dass nicht allen Völkern der
Gebrauch 'des Eisens gleichzeitig bekannt
wurde, und Forschungen in dieser Beziehung
r haben ergeben, dass manche Völkerstämme
noch tief in der Steinzeit lebten, während
andere schon metallkundig waren. Ursprünglich
dürften aus dem Eisen blos Waffen verfertigt
worden sein, worauf auch die vom Zahne der
Zeit arg mitgenommenen Funde hinweisen;
erst durch die allgemeinere Kenntniss der
Gewinnungsmanipulation und ihre Vervoll¬
kommnung verbreitete sich der Gebrauch des
Eisens auch auf die Hausgeräthe. Schon vor
der Eisenzeit stand die Viehzucht hei den
prähistorischen Völkern in Blüthe, die Dome-
stication unserer sämmtlichen Haussäugethiere
war vollzogen; dass aber Ackerbau und Viehzucht
erst durch die Verbreitung des Eisens eine solide
Grundlage erhielten, liegt klar auf der Hand.
Literatur: Der vorgeschichtliche Mensch von
W. Laer, 2. Aufl. v. Fr. v. Hellwald. Leipzig 18S0.
Koudclka.
Eisenzucker (Eisenoxydsaccharat), eine
Verbindung von Eisenoxydhydrat mit Zucker,
welche als Ferrum oxydatum saccharatum
solubile officinell ist: er wird £fls braunes
in Wasser lösliches Pulver erhalten, wenn
man 20 Th. der officinellen Eisenchlorid¬
lösung mit 20 Th. weissen Syrup und 40 Th.
Aetznatronlösung mischt, die Mischung nach
24 Stunden mit 300 Th. Wasser erhitzt, das
abgeschiedene Eisentfxydhydrat mit 90 Th.
Zucker eintrocknet und schliesslich noch so
viel Zucker hinzusetzt, dass das trockene
Pulver 100 Th. wiegt. Aus diesem Pulver
wird nun der officinelle Eisensyrup
bereitet, indem man den Eisenzucker mit
Zucker versetzt im Wasserbade 2 Stunden
lang digerirt und dann mit so viel weissera !
Syrup versetzt, dass die Mischung 300 Th.
wiegt. Man nimmt hiezu so viel Eisenzucker,
dass der Syrup in 100 Th. 1*2% oder 1 4%
Eisen = Fe enthält, was sich nach der obigen
Angabe der Zusammensetzung leicht berechnen
lässt. In den Apotheken erhält man Eisen¬
syrup häufig mit Vanille, Nelken und Rum
aromatisirt als flüssigen Eisenzucker
in elegant etiquettirten Flaschen als beliebtes
Eisenmittel. Loebisch.
Eisessig, s. Essigsäure.
Eismeierei, s. Molkereibetrieb.
Eisnägel. Hufnägel, welche sich von
den gewöhnlichen Hufnägeln dadurch unter¬
scheiden. dass deren Köpfe nieht glatt,
sondern keil- oder pyramidenförmig zugespitzt
sind. In die Hufeisen, bezw. in den Huf ein¬
geschlagen, stellen sie eine Schärfmethode
von nur mässiger Haltbarkeit dar. Ihre Wider¬
standsfähigkeit ist um so geringer, je weniger
der Boden mit Schnee bedeckt und je schwerer
das betreffende Pferd ist, daher werden Eis¬
nägel ausser im hohen Norden nur verhältniss-
raässig selten verwendet.
Es lassen sich dreierlei Arten von Eis¬
nägeln unterscheiden.
1. Der gewöhnliche Eisnagel. Seine
Klinge gleicht der eines gewöhnlichen Huf¬
nagels, und der Kopf ist entweder keil- oder
pyramidenförmig geformt. Die Schärfung des
Beschlages erfolgt in der Weise, dass man
aus jedem Eisenarm einen oder zwei Nägel
herausnimmt und durch Eisnägel ersetzt.
2. Der dänische Eisnagel (Broddar).
Es ist ein grosser, kräftiger Nagel mit keil¬
förmig geschärftem und gehärtetem Kopf.
Derselbe wird durch den Zehentheil des Huf¬
eisens, in welch letzterem ein extra grosses
Nagelloch angebracht ist, und durch die
Zehenhomwand geschlagen und wie ein ge¬
wöhnlicher Hufnagel vernietet. Er stellt einen
geschärften Griff dar, der, wenn erforderlich,
vom Pferdebesitzer oder Kutscher gewechselt
werden kann.
3. Die Müller’schen Eisnägel. Sie
weichen von den beiden vorhergehenden Arten
wesentlich ab, denn sie durchdringen nicht
die Horn wand, sondern werden am äusseren
oberen Eisenrande, an welchem die hiezu
besonders geschlagenen Löcher zum Vorschein
kommen, durch Umbiegen der kurzen Klinge
festgehalten. Bei ihrer Anwendung bleiben
demnach die gewöhnlichen, den Beschlag fest¬
haltenden Hufnägel vollständig unberührt.
Durch den Umstand, dass die Löcher für
diese Eisnägel besonders geschlagen werden
müssen, kann man die Anzahl und Vertheilung
dieser Eisnägel an einem Beschläge beliebig
modificiren. In der Regel benützt man vier
Nägel an einem Eisen, u. zw, je einen seitlich
zur Zehe und je einen am Schenkelende. Sie
lassen sich ebenso leicht und dabei ohne alle
Schädigung des Wandhornes ersetzen als die
unter 1 und 2 angeführten.
Für grosse Städte, in denen es nie oder
nur vorübergehend zu einer dicken Schnee¬
decke kommt, eignet sich keine Art von Eis-
1 nageln. Lungwitz.
EISZEIT. — EITER.
493
Efezeit, s. Glacialzeit.
Eiter ist ein entzündliches Exsudat und
bildet in frischem Zustande ohne fremde Bei¬
mengungen eine etwas dickliche, rahmartige
gelbliche Flüssigkeit von süsslichepi Geruch
und alkalischer Reaction und besteht aus
Eiterserum und Eiterkörperchen. Die Farbe
und Consistenz des Eiters ist aber keine'
constante;* es gibt gelben, weissen, grünen,
grauen und schwarzen Eiter, dünnflüssigen,
wässerigen, rahmartigen und dicken käse- !
ähnlichen Eiter. Der Eiter der Pferde ist
eiweissartig zähe, bei Rindern rahmartig, bei
Kaninchen dick, käseartig, bei Schafen und
Hunden dünn, wässerig. Der Muskeleiter ist
graugelb, der Knocheneiter schwarz etc. Gelber
dicklicher, geruchloser oder schwach süsslich»
riechender Eiter wird als guter Eiter, pus
bonum et laudabile, dünner, missfarbiger, übel¬
riechender Eiter als Jauche, Ichor oder Sanies
bezeichnet. Das Eiterserum ist in frischem
Zustande öine klare blasse, gelbliche oder
alkalische Flüssigkeit, die aus 905—915 % 0
Wasser und 85—95 % 0 fester Stoffe besteht,
u. zw. aus Eiweiss. fibrinoplastischer Substanz,
Salzen (Chlornatrium, phosphorsaures Natron,
schwefelsaures und kohlensaures Natron,
kohlensaure Magnesia), und dem zuweilen
Mucin, Pyin*, Lecithin, Fett, Cholesterin und
Phosphorsäure beigemengt sind. Die Eiter¬
körperchen gleichen den farblosen Blutkör¬
perchen, Lympli- und Schleimkörperchen, sind
meist rund, granulirt, 0*01 mm im Durch¬
messer, im frischen Zustande contractil und
beweglich, besitzen einen einfachen oder
mehrfachen Kern. Durch Zusatz von Wasser
quellen die Eiterkörperchen auf, durch Zusatz
von Essigsäure und Mineralsäuren werden sie
durchsichtig, neutrale Alkalisalze machen sie
einschrumpfen, und ätzende Alkalien zerstören
die- Eiterkörperchen. Zuweilen verschmelzen
viel? Eiterkörperchen zu einem grösseren
Körper mit vielen Kernen. Die Eiterkörperchen
bestehen aus Eiweiss, Nuclein, Lecithin, Fett,
Cholesterin, Cerebrin,Extractivstoffen und Sal¬
zen. Die Eiterkörperchen sind identisch mit den
farblosen Blutkörperchen und stammen aus
dem Blute. Bei jeder bedeutenderen Ent¬
zündung und Alteration der Gefässwände
wandern mehr oder weniger zahlreiche farb¬
lose Blutkörperchen neben Blutserum aus und
bilden den Eiter.
Die Eiterkörperchen nehmen die mit dem
Blutserum gleichzeitig austretende fibrinogene
Substanz in sich auf und. hindern dadurch
die Gerinnung des Exsudats, wie sie bei
croupösen und diphtheritischen Processen
eintritt, oder die Gerinnung wird durch spe-
cifische Giftstoffe (Eitergift) oder niedere
Organismen gehindert. Einige Autoren nehmen
eine Th’eilung und Vermehrung der aus-
gewanderten farblosen Blutkörperchen im
Eiter selbst- an, die nicht unwahrscheinlich
ist; dagegen hat die Anschauung der früheren
Autoren, die Eiterkörperchen seien ausschliess¬
lich Derivate dqr festen Bindcgcwebskörperchen
und Gewebszellen, weniger für sich und ist
durch die Waller-Cohnheim’sche Theorie der
Auswanderung farbloser Blutkörperchen ver¬
drängt worden. Ausser Serum und Eiter¬
körperchen findet man noch im Eiter freie
Kerne, rothe Blutkörperchen, Epithelzellen,
Fettröpfchen, Detritusmassen, Krystalle,
Mikrococcen und Bacterien.
Besonders reich an niederen Organismen
ist übelriechender, in Zersetzung begriffener
Eiter. Die blaue oder grüne Färbung abnormen
Eiters wird ebenfalls durch niedere Organismen
aus der Gruppe der Spaltpilze (Mikrococcen
und Bacterien) bedingt. Falls der Eiter keinen
freien Abfluss hat, sondern sich in Höhlen
und Parenchymen ansammelt, so wird er ent¬
weder wieder resorbirt, nachdem die Eiter¬
körperchen zu Eiweiss und Fettmolekülen
zerfallen, oder er geht verschiedene Meta¬
morphosen ein. Wird das Eiterserum allein
resorbirt, so wird der Eiter eingedickt und
unterliegt der käsigen Metamorphose, wobei
er in eine dicke weisse oder graugelbe Masse
umgewandelt wird,' die au^ Detritusmassen,
Eiweiss, Fettmolekülen und Fettkrystallen
besteht. Werden in diese käsige Masse
nachher Kalksalze abgelagert, so tritt Ver¬
kalkung des Eiters ein. Seltener ist eine
Schleimmetamorphose des Eiters:
Bei Vernachlässigung eiternder Geschwüre
und Zutritt von Luft und verschiedener Un¬
reinigkeiten geht der Eiter in Fäulniss über,
und es bildet sich eine missfarbige, übelrie¬
chende Jauche mit brandigen ’ Zerstörungen,
putrider Vergiftung oder Septicämie. Der
pyämische Eiter dagegen ist nicht einer
fauligen Zersetzung unterworfen, sondern
nur sehr reich an Mikrococcen sui generis,
welche Eiterkörperchen und Serum durch¬
setzen, von den Wundflächen aus in die
Lymph- und Blutbahnen dringen und den
ganzen Organismus überschwemmen. Sr.
Eiter (in chemischer Beziehung). Djirch
Filtration, welche wohl sehr langsam vor
sich geht, lässt sich der Eiter in ein klares
Serum und in die auf dem Filter bleibenden
Eiterkörperchen trennen, fn dem Eiter¬
serum findet sich Serumeiweiss, eine dem
Serumglobulin.ähnliche Eiweissubstanz, ferner
auch Pepton. Die Eiterkörperchen lassen
sich ähnlich wie die Blutkörperchen durch
verdünnte Salzlösungen isoliren. Während
jedoch die letzteren in Chlornatriumlösung
sich nur wenig verändern, verwandeln sich
die Eiterkörperchen darin zu einer zähschlei¬
migen Masse, hingegen scheinen sie sich in
•verdünnten Lösungen von schwefelsaurem
Natron und salpetersaurem Baryt nicht zu
verändern, sie sinken in diesen Lösungen
leicht zu Boden und können damit gewaschen
werden. Die Kerne der Eiterkörperchen wer¬
den durch verdauenden Magensaft nicht auf¬
gelöst; darauf beruht die Möglichkeit, die¬
selben zu isoliren. In den Kernen der Eiter¬
körperchen fand Miescher eine eigenartige
phosphorhaltige Substanz, das Nuclein. Nach
Entfernung dieses mittelst verdünnter Soda¬
lösung bleibt eine hornartige Substanz zurück.
Die Eiterkörperchen enthalten Eiweisstoffe,
Peptone, Cholesterin, Lecithin,Cerebrin, Fette,
494
EITERAUGE. — EIWEISSHARNEN.
Glycogen und anorganische Salze, überdies
wurden in den Extractivstoffen des Eiters
auch Leucin, Harnstoff und Zucker nachge¬
wiesen. Die Blaufärbung des Eiters, welche
zuweilen beobachtet wurde, rührt von einer
eigenthümlichen Art von Vibrionen her, welche
den Pyocyanin genannten blauen Farbstoff
absondern, und die sich von einer Eiterfläche
auf die andere überpflanzen lassen. Lh.
Eiterauge, s. Hypopium.
Eiterband, s. Haarseil.
Eiterbeule, s. Abscess.
Eiterherde, s. Abscess.
Eiterinfection. Bei grösseren Eiterungs¬
processen, besonders bei parenchymatösen
Eiterungen und Ansammlungen von Eiter in
den serösen Höhlen und Gelenken wird ein
Theil des Eiterserums und der zerfallenen
Eiterkörperchen von den Lymphgefässen aus
resorbirt, gelangt ebenso wie beim eitrigen
Zerfall von Thromben in die Blutbahnen und
veranlasst mehr oder weniger bedeutendes
Fieber und wohl auch embolische Processe
und metastatische Abscesse und bei Gegen¬
wart specifischer Mikroorganismen im Eiter
ein schweres Allgemeinleiden mit Ausgang in
den Tod (s. Pyämie). Seinmer.
Eiterstar (Cataracta purulenta) benennt
man jene Form der Cataract, bei welcher die
Corticalis oder auch der ganze Linsenkörper
eine Metamorphose eingegangen, sich ver¬
flüssigt hat, so dass an Stelle der ehemaligen
Linse nur noch ein weisser, milchiger, eiter¬
ähnlicher Brei restirt, welcher beim An¬
schneiden der Linsenkapsel sich alsdann aus
der Schnittöffnung entleert. Hat sich die
Rindenschichte allein in dieser Weise ver¬
flüssigt, der Linsenkern hingegen seine Con-
sistenz behalten, oder ist derselbe sogar
„sclörosirt“ und schwimmt nun innerhalb der
linsenkapsel in der erweichten Corticalis
umher, so bezeichnet man diese, nicht gerade
häufig vorkommende Starform als Cataracta
Morgagniana. Schlampp.
Eitervergiftung ist ein Zustand, wo ein
Eiterherd oder Abscess in ein Blutgefäss
durchbricht und eine grössere Menge von
Eiter in die Blutbahnen gelangt, oder wo
gebildete Thromben in den Blutgefässen eitrig
erweichen und zerfallen oder Eiterungspro-
cesse in den Gefässwänden selbst stattfinden.
Das Eindringen grösserer Mengen von Eiter
ins Blut verursacht starkes Fieber, Embolien
und metastatische Infarcte und Abscesse in
verschiedenen Organen und in vielen Fällen
den Tod durch hohes Fieber und Functions¬
störungen in lebenswichtigen Organen. Eine
andere Art von Eitervergiftung ist die, wo
nicht Eiter als solcher, sondern blos das
an niederen Organismen sui generis (Mikro-
coccen der Pyämie) reiche Eiterserum von
Geschwürsflächen aus in die Blut- und Lymph-
bahnen dringt, den Organismus mit deletären
Mikrococcen überschwemmt und durch ent¬
zündliche Zustände und Entartungen in inneren
Organen den Tod herbeiführt (s. Pyämie). Sr.
Eiweiss, s. Albuminstoffe, Eiweiss als
Nährstoff, s. u. Fütterung.
Eiweissbestimmung im Harn, s. Albumin¬
stoffe.
Eiwel88harnen, Albumin uri a (von
albumen, Eiweiss, oops'v, harnen), stellt sich
bei jeder Reizung und Hyperämie in der Niere
ein, mag letztere auf einem vermehrten Zuflusse
arteriellen Blutes oder auf erschwertem Abflüsse
des venösen Blutes beruhen, sofern die Circu-
lation des Blutes in den Nieren verlangsamt
ist und unter erhöhtem Blutdrucke steht.
Venöse Blutstauung wird hervorgerufen durch
Neubildungen in den Nieren (Nierensteine etc.),
durch das Vorhandensein von Strongylus gigas
im Nierenbecken, Entzündung und Entartung
• der Brust- und Bauchorgane mit Zurück¬
stauung des Blutes nach dem rechten Herzen,
den grossen Venenstammen und den Nieren-
gefässen. Den Abfluss des Blutes aus den
Nierengefässen erschweren Geschwülste, die
auf die Gefässe drücken, desgleichen reich¬
liche Ansammlung von Fäcalien im Dann-
canal, Thromben in den Verzweigungen der
Blind- und Grimmdarmarterien (Kolik) oder
der hinteren Aorta hinter den Nieren (beim
Pferde die Obliteration der Schenkelarterien),
der befruchtete Uterus und parctische Schwäche
oder Paralyse der Gefässnerven des Nieren¬
geflechtes und des hinteren Tlieiles des Rücken¬
markes. Der Blutdruck steigert sich in den
Glomerulis der Nieren in Folge Zunahme der
Blutmenge (Aufnahme vielen Getränks, schnelle
Resorption seröser Transsudate), starker Herz-
thätigkeit, Vagusreizung, anhaltend starker
Bewegung und von Druck auf die hintere Hohl¬
vene (vergl. Prof. Franck: ,,Eiweiss-, respective
Blutharnen der Pferde“ in der Wochenschrift für
Thierheilkunde und Viehzucht 1873, und Prof.
Pflug: „Die Krankheiten des uropoötischen
Systems der Hausthiere“, Wien 1876). In der
arteriellen Nierenhyperämie enthält der Harn
in der Regel nur Eiweiss und wenige
körnige, epithelfreie Faserstoffcylinder, erst
in höheren Graden Fibrinogen, Hämoglobin
und schliesslich Blutkörperchen, in der
venösen Hyperämie hingegen treten bald
neben dem Eiweiss Blutkörperchen und
viele feinkörnige Cylinder auf, die häufig aus
Kalk bestehen. Der Harn ist fast immer
alkalisch und specifisch leichter. Das Albumin
ist kein Product der Nieren, sondern es
transsudirt unter erhöhtem Blutdruck gleich¬
zeitig mit Serum aus dem Blute in den inter¬
stitiellen Nierengefässen in die Harncanälchen,
weshalb auch meistens in der Albuminurie
mehr Harn abgesondert wird als gewöhnlich.
Die Fibringerinnsel bilden sich in den geraden
Harncanälchen als dünne, nur mikroskopisch
sichtbare Fädchen und vermischen sich hier
mit dem Harne. Fibrinogene Substanz bringt
den Ham an der Luft zum Gerinnen — solcher
Ham wird lymphatischer Ham genannt. Eine
chylöse, milchartige oder zähe Beschaffenheit
nimmt der Ham an, wenn Lymplizellen und
feinkörnige Albuminate in den Harn übertreten,
wie man dies bei hungernden Thieren beob¬
achtet hat. Mitunter gerinnt der Harn bei der
EIWEISSINFILTRATIONEN. — EKCHYMOMA.
495
Cnyluria in der Blase, er wird dann nur uuter
Beschwerden entleert. Nach der Hoppe-
Seyler’schen Methode weist man das Eiweiss
im Harn nach, wenn man eipe Probe davon
mit Essigsäure bis zur sauren Reaction
versetzt, ihn dann mit einem gleichen Volu¬
men einer concentrirtcn Lösung des Natrium
8ulfuricum mischt und hierauf kochen lässt,
wobei sich das Eiweiss flockig ausscheidet.
Kohlensäure Kalksalze geben einen ähnlichen,
aber krystallinischen Niederschlag, der nach
Feser aus Gyps besteht. Auch Kochen des
mit etwas Salpetersäure angesäuerten Harns
schlägt das Eiweiss heim Stehen nieder.
Erscheinungen sind: Fieberlosigkeit,
Absatz eines mehr oder weniger dunkelgefärbten
oder hellen dichteren, eiweisshaltigen, leicht
schäumenden Hajns unter häufigem Drang auf
die Blase, unsicherer Gang, Schwanken mit der
Hinterhand und grössere Empfindlichkeit in der
Nierengegend. Dunkel gefärbt erscheint der
Harn vorzüglich in der venösen Stauungshyper¬
ämie der Niere, bei der auch der Harnabsatz
sich meistens .verringert, weil die erweiterten
Nierengefässe auf die Harncanälchen drücken
und der Harn nicht in gewohnter Weise aus
ihnen in das Nierenbecken abfliessen kann;
hier hält die Albuminurie gewöhnlich längere
Zeit an, wohingegen sie bei der arteriellen
Nierenhyperämie meistens schnell vorüber¬
geht. Neben den Symptomen der Albuminurie
machen sich auch die des Grundleidens bemerk -
lich, z. B. Herzfehler, Lungen-, Nieren- und
Leberkrankheiten etc., die dann einen febrilen
Zustand und schliesslich Hydrämie und Ka¬
chexie veranlassen können.
Bei trächtigen Stuten und Kühen konnte
Franck schon 6—8 Wochen vor der Geburt
Eiweiss im Harn nachweisen; kurz vor der
Geburt war der Eiweissgehalt desselben oft
ein ganz erheblicher.
•Behandlung. Diese richtet sich danach,
ob die Albuminurie aus einer arteriellen oder
venösen Nierenhyperärnie hervorgegangen ist.
Im ersteren Falle gönne man den Patienten
Ruhe und verabreiche ihnen eine leicht
verdauliche Nahrung. Die arterielle Fluxion
suche man durch kalte Umschläge auf die
Nierengegend, durch Aderlass und innerliche
Anwendung von Kali chloricum, Natr. sulfuric.,
Kali sulfur., Aloö, Kalomel, Ammon, hydro-
chlor., Tart. stib. etc. unter Zusatz von
Narcotica (Opium, Bilsenkrautextract) zu
mässigen. Diese " Medicamente reicht man
zweckmässig in schleimigen Decocten oder
narkotischen Infusen. Salpeter, Diuretica, Ter¬
pentinöl und Kanthariden sind wegen ihrer
reizenden Wirkungen contraindicirt. Die
Stauungshyperämie erfordert vor allen Dingen
eine Bekämpfung des Grundleidens. Ablei¬
tungen auf die Haut versprechen keinen beson¬
deren Erfolg, sie können in Einreibungen von
flüchtigem Liniment, Kampherspiritus, Chloro¬
form, 01. crotonis, Unguentum tart. stib. und
in Sinapismen bestehen; eine bessere Wirkung
erzielt man mit feuchtwarmen Umschlägen
auf die Lenden. Die Erschlaffung der Nieren¬
gefässe suche man mit Adstringentien zu heben,
wie Ferrum sulfuricum, Liquor ferri sesqui-
chlor., Plumb. acetic., Tanninum, Salicinum,
Acid. sulfuric. Zusatz von narkotischen Medi-
camenten ist auch hier zweckmässig. Schwäche
und Paralysen der Nachhand fordern zur An¬
wendung der nervenerregenden Mittel auf,
unter denen Arnica, Pyrethrum, Nux vomica,
Strychnin, Kampher und Ammon. ,carbonic.
pyrooleos. hervorzuheben sind. Anacker.
Eiwei88infiitrationen kommen vor in den
Zellen und Geweben bei entzündlichen Zu¬
ständen, insbesondere in den Drüsenzellen.
Bei parenchymatösen Nierenentzündungen und
fieberhaften Allgemeinleiden findet eine Ei¬
weis sinfiltration des Nierenepithels und der
Harncanälchen statt mit Abgang eiweiss¬
haltigen Harns (s. Nierenentzündung, Morbus
Brighti, Fieber). , Semnur.
Eiweisskörper, s- Albuminstoffe.
Ejaculatio 8eminis,Ausstossung des Samens,
nennt man den auf reflectorischem Wege her¬
beige führten Vorgang der Entleerung der in
den samenbereitenden und leitenden Drüsen
und Gängen aufgespeicherten Geschlechts-
secrete. Derselbe, durch mechanische Reize der
Präputialschleimhaut oder erotische Vorstel¬
lungen herbeigeführt, beginnt mit einer durch
die Wirkung derMm.ischio- und bulbo-cavernosi
veranlassten Blutstauung upd Füllung des Ge-
fässystems der Genitalorgane und nachfol¬
gender Erection des Penis, wonach bei weiterer
Fortdauer der Nervenerregung durch Ueber-
tragung des Reizes auf das im Lenden-, resp.
Dorsalmarke gelegene Centrum für dieEjacu-
lation und die davon ausgehenden motorischen
Nerven der Geschlechtsorgane zunächst ein
Erguss des Sperma in die Urethra und darauf
durch kräftige, stossweise Contractionen der
diese umlagernden Muskeln eine Ausstossung
desselben aus dem Canal, uro-genital. erfolgt.
Dem Samenergüsse schliesst sich unmittelbar
eine allgemeine Ermüdung und Abspannung,
gepaart mit einer gewissen Abneigung gegen
jede Fortsetzung des geschlechtlichen Ver¬
kehres an, die erst mit wiederbeginnender
Füllung des Hodens weicht. Sussdorf.
Ekbole(v. exßaXXsiv, auswerfen), 1. Abortus,
2. die vollkommene Ausrenkung eines Gelenkes,
daher adj.* ecbolica sc. remedia, Abortiv¬
mittel. Sussdorf.
Ekbolica, s. Amblotica.
Ekbrasnia (v. ixßpa$s:v, hervorsprudeln),
der plötzlich entstandene Hautausschlag. Sf
Ekchondrose (sx, und 6 xdv&po$, Knorpel),
knorpeliger Ausw'uchs als einfach hyperpla¬
stische Form des Chondroms, also als homologe
und homotopische Neubildung (opp. Enchon-
drom). Sussdorf.
Ekchoresis (v. exympstv, hcrausgehen),
die Defäcation, der Durchfall. Sussdorf
Ekchymom (t b lxxo|i.u>|ia, v. ex, aus, und
6 x^P-oSi Saft), die durch Saft-, vor Allem
Blutaustritt bedingten beulen artigen, harten,
fluctuirenden Geschwülste, gegenüber den
Ekchymoma (s. d.).
Ekchymoma (v. exxop.oöv, sich ergiessen),
der Bluterguss, das dabei extravasirte Blut. Sf.
496 ESCHYMOSEN.
Ekchymosen (r, ixxöjAoqts), d. s. Blutaus-
tretungen in Form grösserer, unregelmässig be¬
grenzter Flecken. Sussdorf.
Ekdora (v. ixSepr.v, abhäuten), Enthäu¬
tung, davon ecdoria sc. remedia, hautab¬
hebende, ablösende Mittel. Sussdorf.
Ekei, Nausea s. Nausia (vctö?, Schiff;
vauGur, Seekrankheit) ist Widerwille gegen-
Nahrungsaufnahme, der auf einer Verstimmung
des Allgemeingefiihls geruht. Der Verstimmung
selbst liegt eine Heizung des Vagus zu Grunde,
unter dessen Herrschaft hauptsächlich die Ver¬
dauung steht.
Reizt man die Verzweigungen des Vagus
in den Magenhähten,, so entsteht Uebelkeit
und Ekel, pflanzt sich die Reizung bis zur
Medulla oblongata, aus welcher er seinen
Ursprung nimmt, fort, so steigert sich der
Ekel bis zum Erbrechen. Das Brechcentrura
liegt bekanntlich ln der Medulla oblongata.
Sehr empfindlich ist in dieser Beziehung die
Magenschleimhaut in der Umgebung der
Cardia, ebenso die Zungenwurzel und der
Schlundkopf; auch sie werden mit Nerven-
fäden vom Vagus versorgt. Schon Kitzeln der
Zuhgenwurael ruft Uebelkeit und Erbrechen
t hervor; Hunde benutzen eine derartige Reizung
instijictiv, indem sie Gras kauen, um zu vo-
mitiren. Druck auf die Magennerven bewirkt
ebenfalls Ekel und Erbrechen, der Druck kann
durch verschluckte Fremdkörper, bei Hunden
hauptsächlich durch Knochenreste, bei Hühnern
duych verschluckte metallische Gegenstände
(Nägel etc.) und durch übermässig genossene
Nahrung bewirkt werden. Schweine und Hunde
geben das zu viel aufgenommene Nahrungs¬
quantum sehr leicht - wieder durch Erbrechen
von sich. In gleicher Weise werden die Magen-
nerven durch den alkalischen Schleim, welcher
sich im Verlaufe des Magenkatarrhs im Magen
auhäuft, desgleichen durch Säuren, welche
sich bei mangelhafter Verdauung aus den
Nahrungsbestandtheilen entwickeln (Essig-,
Milch- und Fettsäure)* und durch ungewöhn¬
lichen Blutreichthum der Magenschleimhaut
gereizt und erregt, wir finden deshalb in allen
gastrischen Krankheiten Appetits Verstimmung
und Widerwillen gegen Nahrungsaufnahme
vor. Aus gleicher Ursache versagen die Thiere
mit der Zeit die Aufnähme von faden, reiz¬
losen, erschlaffenden, schleimig-öligen, kleister-
artigen, spiritushaltigen, gekochten, geschro-
tenon und schwerverdaulichen Futtermitteln,
. weil diese sie anekeln, wenn sie sich längere Zeit
hindurch davon ernähren mussten. Bei Pferden
beobachten wir dies besonders am nächsten
nach Kleie und Getreideschrot. Die Brech¬
mittel wirken geliiul cgrrodirend und reizend
auf die Magennerven; so verursachen Zine.
und Cuprum sulfuricum, Tartarus stib., Salz¬
wasser, rad. Ipecacuanhae, rad. Veratri, rad.
Hellebori nigri, rad. Asari europaei, fol. Gra-
tiolae, Scilla maritima, Colchicum autumn.,
Apomorphin, Cydamin, Asclepiadin und Violin
Uebelkeit und Erbrechen, nicht minder viele
andere giftig und corrodirend wirkende Stoffe,
auch der Harnstoff, der in urämischen Zu¬
ständen auf der Magen- und Darmschleimhaut
— EKLAMPSIA.
deponirt wird. Der Ekel kann,auch von einer.
Reizung der Darmnerven ausgehen, wie wir
dies bei Verstopfung des Leibes, bei Darm-
invaginationen nnd incarcerirten Darmbrüchen
und bei Eingeweidewürmern beobachten. Der
Ekel kann aber auch von einer eigenartigen
Erregung der Geschmacks-, Geruchs- und Seh¬
nerven ausgehen, die auf die Verzweigungen des
Vagus reflectirt wird. Schon der Anblick ver¬
dorbener, gährender, faulender, übelriechender
und widerlich aussehender Dihge vermag Ekel
zu erregen, beim Menschen genügt hiezu oft
nur die Vorstellung solcher Dinge. Als eine
weitere Ursache des Ekels sind endlich noch
Erschütterungen der Nervencentren und des
Brechcentrums bei allgemeinen heftigen Körper¬
erschütterungen durch Niederstürzen, Fallen
aus der Höhe etc. zu nennen. Das Gefühl des
Ekels gibt sich durch Verschmähen des Futters,
Zurücktreten Voi\ der gefüllten Krippe, Gähnen,
Flehraen mit den Lippen, Aufstossen von Gasen,
stärkere Speichelabsonderung und Würgen * zu
erkennen. Immer ist der Ekel ein Begleiter
der gastrischen Krankheiten. Bej dem Geflügel
spricht sich Nausea ausserdem durch Sitzen
an stillen Orten, Schäumen aus dem Schnabel
und Brechneigung aus.
Zur Beseitigung des Ekels genügt in den
meisten Fällen die Regelung der diätetischen
Verhältnisse, in hochgradigen Fällen kann
völlige Nahrungsentziehung nöthig werden.
Brechneigung indicirt die Application eines
Vomitivs. Ist der Ekel mit Magenkatarrh,
gastrischen Leiden, Indigestion etc. gepaart,
so sind die bei diesen Krankheiten genannten
Arzneimittel in Anwendung zu bringen* (S. auch
„Appetitlosigkeit“, „Fresslust, abnorme“ und
i,Erbrechen“.) Anacker.
Ekkatharsis = Katharsis.
Ekkephaiosi8 (abgel. v. ix, aus, und r t
xe<pak7j, Kopf), die Enthirnung als geburts¬
hilfliche Operation. Sussdorf.
Ekklisis (v. ixxXivetv, abweichen), Ausein¬
anderweichen gebrochener Knochenstücke. Sf
Ekkoprosis (v. ixxoapoöy), Kothentleerung,
dazu als adj. eccoprotioa sc. remedia, d. i.
die Kothentleerung herbeiführende Mittel. Sf.
Ekkrisis, tj exxp'3'g, die Absonderung,
Ausscheidung in seltenen Zusammensetzungen,
z. B. .
Ekkrisiologia, die Lehre von den Ab¬
sonderungen;
Ekkrisionomia, Gesetzmässigkeit der
Absonderungen;
Ekkrisioschesis, Zurückhaltung de;*
Absonderungen etc. Sussdorf.
Ekkyesis (abgel. v. ix, aus, und vj xu7ja:?,
Schwangerschaft), die extrauterine Schwanger¬
schaft. Sussdorf.
Eklampsia seu Eclampsis (von ix, nach
aussen; Xapasiv, leuchten, strahlen) besteht •
in Convulsionen einzelner Muskelgruppen mit
Störungen der Psyche, vornehmlich des Be¬
wusstseins, öfter auch» mit Störungen in der
Coordination der Bewegungen. Hieraus ergibt
sieh, dass der Sitz des Leidens im Gehirn
und in der Medulla oblongata, unter Umstän¬
den auch im Rückenmark zu suchen ist und
Digitized by UjOOQie
EKLAMPSIA.
497
auf anatomischen Veränderungen der Nerven-
centren beruht. Die mit Erschlaffung ab¬
wechselnden krampfhaften Contractionen der
Muskeln sind die Reflexerseheinungen einer
Reizung des Gehirns, des Rückenmarks und
der sensitiven Nerven. Der Reiz besteht hier
in einer ungleichmässigen Vertheilung des
Blutes, das Blut strömt in ungewöhnlich
grossen Mengen zum Gehirn, die Gehirn-
hyperämie setzt sich aber schnell in Anämie
um, welche Muskelkrämpfe nach sich zieht.
Häufig ist dabei eine abnorme Blutmischung
mit im Spiele. Nach Nothnagel befindet sich
ein motorisches Centrum für die Muskeln des
Rumpfes und der Extremitäten in der Brücke,
die Centren für die motorischen Hirnnerven
enthält das verlängerte Mark, das Rückenmark
ist ein Leitungs- und Reflexorgan. Plötzliche
Reizung dieser Centren durch ungewöhnliche
innere oder äussere Erregungen bewirkt eine
Verengerung der Hirnarterien und damit Hirn¬
anämie mit nachfolgender venöser Stauun gs-
hyperämie, verbunden mit Schwinden des Be¬
wusstseins und Muskelkrämpfen. Die Congestion
zu den Gehirnhäuten erklärt das nervöse Auf¬
geregtsein der Patienten, die Hirnanämie und
das Gehirnödem die menr oder weniger aus¬
gesprochene Bewusstlosigkeit und Schwäche
und die Krämpfe. Man unterstellt einen zeit¬
weiligen Krampf der Häute der Hirnarterien.
Prof. Franck nennt in seiner Geburtshilfe das
Kalbefieber eine Eklampsia puerperalis (s. d.),
die im Wesentlichen mit der Eklampsie desMen-
schen identisch sei. Hochgradige Anämie des
verlängerten Markes erregt das Krampfcentrum,
es entstehen Krämpfe, Opisthotonus (Genick¬
krampf, von fortofl-e, nach hinten, und tovos,
Spannung), Pleurothotonus (von icXtopov, Seite)
und krampfhafte Bewegungen der Gliedmassen.
Beim Menschen hat man an eine Zurückhaltung
von Harnbestandtheilen im Blute, an einen
urämischen Zustand gedacht (Frerichs, Litz-
mann, Braun u. A.), nach Rosenberg und
Traube sind jedoch die Ursachen der Eklampsie
nur in abnormen Verhältnissen der Blutcir-
culation im Gehirne bei erhöhtem Aortendrucke
zu suchen, wie ihn der Gebäract mit sich
bringt, während die Blutwässerigkeit der tra¬
genden Thiere zu Gehirnödem disponirt, Bidder
und Munk vermochten durch Injectionen von
warmem Wasser unter bestimmtem Druck in
die Carotis augenblicklich Schlafsucht und
Convulsionen zu erzeugen, sie nehmen deshalb
an, dass Hydrämie und andauernder hoher
Blutdruck die wesentlichen Factoren der
Eklampsie bedingen; in der That sehen wir
häufig die Thiere vor und nach der Geburt
oder während des Säugens ihrer Jungen
eklamptisch erkranken, dann auch junge
Thiere. Nach Luciani ruft ein Reizungszustand
eines einzelnen psychomotorischen Centrums
der Hirnrinde nur Krämpfe in den von diesen
abhängigen Muskeln, eine Reizung der ganzen
Hirnrinde aber Epilepsie hervor, deren Cen¬
tralorgan die motorische Zone der Hirnrinde
darstelle (cfr. Centralblatt für inedieinische
Wissenschaft 1881). Nach Reizungen des
Rückenmarks entstehen unter abnormen Vcr-
Kocli. Encyklopfldie d. Thierb »ilkd. II. Bd.
hältnissen ‘Reflexkrämpfe. Luchsinger consta-
tirte durch seine Experimente, dass die Cen¬
tren des Rückenmarks auch durch überhitztes
oder mit Kohlensäure Überladenes Blut unge¬
wöhnlich erregt werden; er sah an den hinteren
Extremitäten theils klonische Krämpfe, theils
Streckkrämpfe Eintreten, wenn er Katzen das
Rückenmark und alle sensibeln Wurzeln hinter
dem letzten Brustwirbel durchschnitt und die
Sauerstoffaufnahme verhinderte. Erwärmung
des Blutes auf 40° C. ergab das gleiche Re¬
sultat. In Uebereinstimmung hiemit verfallen
öfter ermüdete, strapezirte und nervös abge¬
spannte Thiere in Eklampsie, ebenso Hündinnen,
wenn sie viele Junge säugen müssen, die be¬
ständig an den Zitzen herumsaugen, selbst
wenn keine Milch im Euter vorhanden ist.
Ich sah eine frischmelkende Kuh in Convulsionen
und Koma verfallen," sobald sie gemolken
wurde; die Bewusstlosigkeit trat in dem Grade
ein, dass der Kopf auf die Krippe gestützt,
die Augen geschlossen wurden und das Thier
schlaftrunken nach seitwärts umzufallen drohte.
Die Eklampsie befällt in der Regel nur jüngere,
zart organisirte, leicht nervös erregbare Thiere,
eine grössere Disposition dazu lassen weibliche
milch ergiebige Thiere nach der Geburt, sel¬
tener schon vor der Geburt erkennen, die
Disposition wird durch den Aufenthalt in
heissen, dunstigen, schlecht ventilirten Stallun¬
gen gesteigert. Albrecht (cfr. der Thierarzt
pro 1880) beobachtete die Krankheit bei Rin¬
dern und Ziegen nur in den Wintermonaten,
in denen die Ställe in der Regel geschlossen
werden, um sie warm zu halten. Hautreize,
Wunden, gastrische Zustände, Anschoppungen
von Fäcalien im Darm, acute Erkrankungen,
Würmer im Darmcanal, intensive Ernährung
bei vieler Ruhe, starke Erkältungen und hef¬
tige Gemüthserregungen geben Gelegenheits¬
ursachen bei den disponirten Thieren ab. Die
Disposition ist in vielen Fällen eine ererbte.
Der Reiz wird mithin häufig von der Haut
oder vom Darmcanale aus reflectorisch auf die
Krampfcentren übertragen. Röll (Pathologie
und Therapie der Hausthicre) führt als Ur¬
sachen der Convulsionen bei Ferkeln raschen
Futterwechsel, bei Katzen Bleivergiftung, bei
jungen Hunden das Zahnen — Richter-Zorn (der
Landwirth als Thierarzt) bei Schweinen den
Genuss von Häringslake, Pökelbrühe etc. an.
Nach Vergiftungen mit Nux vomica oder
Strychnin treten zwar auch Convulsionen ein,
aber der Krampf ist hier ein tetanischer, die
Spannung in den Muskeln mehr anhaltend,
auch treten hier Reflexkrämpfe viel leichter
und heftiger ein als bei der Eklampsie. Nahe
verwandt ist die Eklampsie mit der Epilepsie,
man hat sie deshalb auch acute Epilepsie
genannt; bei ihr erfolgen die periodischen
Krampfanfälle schnell auf einander, ohne nach
eingetretener Reconvalescenz zu recidiviren, in
der chronischen oder eigentlichen Epilepsie
ereignen sich die Anfälle zeitlebens in grossen,
krankheitsfreien Intervallen.
Symptome. Die Krankheit kann alle
unsere Hausthicre befallen, am häufigsten w ird
sie aber bei jungen Hunden, Katzen und
32
498
EKLAMPSIA PUERPERALIS. -
Ferkeln beobachtet, seltener bei jungen Kühen
3 — 14 —21 Tage nach dem Kalben. In der
Regel bricht sie plötzlich und unverhofft her¬
vor, höchstens machen sich als Prodromen
Unlust zum Fressen, Abgeschlagenheit und
Steifheit in den Bewegungen oder unsichere/,
schwankender Gang, wohl auch^unsteter Blick,
grössere Unruhe und Aufregung bemerklich.
Mit dem Eintritte des Krampfes halten die
Patienten den Kopf theils gesenkt oder stützen
ihn auf festen Gegenständen im Stalle, z. B.
auf der Krippe, theils sieht man ihn nach der
Seite hin verzogen, wobei Sich die Muskefti
des Halses contrahirt und hart anfühlen, die
Patienten mehr oder weniger bewusstlos sich
benehmen, zittern, eine erweiterte Pupille er¬
kennen lassen, beim Gehen wanken, nach seit¬
wärts oder auch vorwärts drängen; es stellen
sich .bald leiöhte Zuckungen in den Gesichts¬
muskeln und an den Extremitäten ein, wobei
die Thiere liegen; öfter strecken sie die Beine
steif von sich, während die Augen verdreht
und mit dem Kiefer kauende Bewegungen
gemacht werden, so dass sich Schaum bildet,
der zwischen den Lippen hervorquillt, oder
Kopf und Hals verzogen erscheinen. In anderen
Fällen hört man während der Anfälle Zähne¬
knirschen und Stöhnen, Ziegen wimmern und
schreien zuweilen ganz jämmerlich, Kühe
lecken sich beständig bestimmte Körperstellen,
z. B. die Seiten, die Schulter, das Flotzmaul,
oder sic belecken auch die Krippe. Andere
Patienten schlagen und stampfen mit den
Füssen oder machen mit ihnen, wenn man
sie zum Gehen zwingt, unregelmässige Bewe¬
gungen und fallen um. Die Respiration ge¬
schieht während des Anfalles beschleunigter,
der Herzschlag wird stüjmisch, der Puls
ist meistens seiner Zahl nach nicht sehr
alterirt, wohl aber seiner Qualität nach, denn
er fühlt sich theils hart, theils klein und
schwach an. Der Appetit ist gewöhnlich ganz
unterdrückt, die Patienten verschmähen jedes
Futter, die Defäcation ist verzögert, der ab¬
gesetzte Harn enthält Albumin, zuweilen er¬
folgt der Harnabsatz unwillkürlich; die Mast-
darmteraperatur ist die normale, öfter geht
ste unter die Norm herab, wenigstens fühlen
sich die Extremitäten dann mehr kalt an. Die
Krämpfe halten bald nur einige Minuten, bald
einige Stunden und darüber hinaus an, sie
hinterlasaen für kurze Zeit Mattigkeit, öfter
auch Torpor und Sopor, meistens aber kehrt
die normale Empfindung, überhaupt der nor¬
male Zustand nach dem Anfalle zurück; der¬
selbe kann bereits nach einigen Minuten oder
Stunden wiederkehren, aber auch während
einiger Tage fast ununterbrochen anhalten,
in welchem Falle alsdann der Tod nach
1—3*Tagen einzutreten pflegt ; er jst die Folge
einer Erstickung durch Glottiskrampf oder
einer Paralyse und Apoplexie durch Hirn¬
blutung. Beunruhigung der Patienten . durch
Geräusche oder Berührung ihres Körpers ruft
gern neue Recidive hervor. Je länger die Re-
cidive anhalten, je stärker der tonische Krampf
ist, desto schlechter ist es mit der Recon-
valescenz bestellt; in solchen Fällen ist der
letale Ausgang fast die Regel, sonst ist
Heilung zu erhoffen. Albrecht (1. c.) sah bis¬
weilen, dass die Eclampsie geringgradig anfing,
tagelang in derselben Weise anhielt, dass
sich dann nach 8—10 Tagen ein oder zwei
sehr heftige Anfälle einstellten, worauf die
Krankheit wie abgeschnitten war; ihre
Dauer kann 1—seltener bis 18 Tage
betragen.
äectionserscheinungen sind: Starke
Gefässinjection der Meningen, Blutanhäufung
in den Blutleitern, kleine' Blutextravasate auf
der Pia mater und im Gehirn oder an der
Basis des verlängerten Markes auf der einen
pder anderen Seite, bald mehr in der Nähe des
Kleinhirns, bald mehr in der Nähe der Brücke,
in deren Umgebung die Hirnsubstanz ödematös
erweicht ist. Oedem ist öfter im Gehirn, ver¬
längerten Mark, und seröses Transsudat dn den
Arachnoidalräumen und Hirnventrikeln zu
constatiren. Zuweilen sind die Furchen des
kleinen Gehirns verflacht, seine Läppchen
atrophirt, der Wurm breiartig' erwerbt, die
hinteren Schenkel vollständig zerstört. Die
Ursachen dieser Läsionen sind in Circulations-
störungen und Gefässembolie zu buchen.
Behandlung. Ruhe ist oft das beste
Remedium, selbst das Eingeben der Arzneien
vermag den Zustand zu verschlimmern. Man
will mit scharfen Ableitungen am Grunde der
Ohren oder an den Seitentheilen des Halses
(Kanthariden, Senf, Crotonöl), Purganzen und
gelind reizenden Klystieren, namentlich mit
krampfstillenden Mitteln, wie Zincum valeria-
nicum, aqua Laurocerasi, Aether, Chloral-
hydrat, Chloroform, Morphium, Morphiura-
injectionen, ferner mit Aconit- oder Digitalis-
tinctur gute Erfolge gehabt haben. Von den
säugenden Mutterthieren sind die Jungen zu
entfernen, auch ist die Diät zweckentsprechend
zu regeln. Gastrische Zustände, Eingeweide¬
würmer und Vergiftungen sind ihrer Art nach
zu behandeln. Bei jungen Hunden leisten mit¬
unter warme Bäder gute Dienste. Anacker.
Eklamp8ia puerperplis (v. exkajiiretv, her¬
vorleuchten, Krampf erzeugen, und von puer,
Knabe, Kind), Kalbefiebcr, auch paralytisches
Gebärfieber, Gebärapoplexie, Milchfieber, Schlaf¬
krankheit u. s. w. geheissen, ist eine meist in
den ersten vier, auf eine fast ausnahmslos leicht
und rasch von statten gegangene Geburt
folgenden Tagen plötzlich auftretende, rasch
und meist ungün&tig verlaufende, namentlich
beim Rinde, besonders bei den sehr milch¬
reichen, der beständigen Stabulation unter¬
worfenen Thieren ziemlich häufige Krankheit,
die ihren Sitz im Gehirne und Rückenmarke
sowie in den Gangliennerven hat und sich durch
Bewusstlosigkeit (Schlafsucht) und verschieden
hochgradige Paralyse, weit seltener durch
Krämpfe charakterisirt.Der Name eklamptisches
Gebärfieber ist insofern nicht ganz richtig, als er
das Symptomenbild, wenigstens bei der Kuh,
nicht deckt. Wohl kommt die Eklampsie hin und
wieder bei säugenden Hündinnen vor; dagegen
ist bei kalbefieberkranken Kühen das Auftjeten
einer eigentlichen Eklampsie, d. h. das Auf¬
treten von periodischen tonisch-klonischen
EKLAMPSIA PUERPERALIS.
499
Krämpfen, wodtlrch sich bei der Frau die
Eklampsie so ausgeprägt charakterisirt, eine
ungemein seltene Erscheinung. Auch der Name
Kalbefieber ist ein unglücklich gewählter, da
ja bei dieser paralytischen Krankheit fast
durchwegs jede Spur von Fieber fehlt, dagegen
eine hochgradige Niederstimmung sämmtlicner
Functionpn, niedrige Körpertemperatur, verlang¬
samtes Athmen vorherrschen und der anfänglich
langsame oder normal rhythmische Puls erst
später, namentlich bei ungünstigem Verlaufe
der Krankheit, beschleunigt wird. Dann kommt
ja die Krankheit nicht nur beim Rinde, son¬
dern auch bei anderen Hausthieren, besonders
beim Hunde, vor. Wenn aüch in weitaus den
meisten Fällen das Kalbefieber mit dem Gebär¬
acte in engem Zusammenhänge steht, so kann
dasselbe doch auch unter Verhältnissen schon
vor der-Geburt auftreten. Mit Rücksicht auf
das Symptomenbild, die Natur und den causalen
Zusammenhang des sog. Kalbefiebers mit dem
Gebäracte dürfte diese puerperale paralytische
Erkrankung wohl am richtigsten mit der Be¬
nennung Gebärparalyse bezeichnet werden.
Erscheinungen und Verlauf. Die
Krankheit ‘erfolgt stets plötzlich, ohne Vor¬
boten, einen, zwei bis drei Tage — selten
später — nach einer leichten, rasch und fast
immer ohne menschliche Beihilfe erfolgten
Geburt und fast ausschliesslich bei Kühen, bei
denen die Placenta bald nach der Geburt ab¬
gegangen ist. Hin und wieder tritt die Krankheit
auch schon vor oder während der Geburt,
•dann auch wieder, zwar höchst selten, erst
8—12 Tage nach derselben auf. Der Anfang
der Gebärparalyse, der meist übersehen wird,
charakterisirt sich durch folgende Symptome:
Unruhe des Thieres, Hin- und Hertrippeln,
matter, unsicherer, schwankender Gang, häu¬
figes Heben und Aufsetzen der Hinterfüsse,
meist mehr oder minder lange andauernder
Fieberfrost; Stöhnen: die Thiere vermögen sich
bald nicht mehr auf den Füssen zu erhalten,
sie legen sich nieder oder stürzen zu Boden,
machen anfangs .noch Versuche zum Auf¬
stehen, die jedoch meistens missglücken; es
hat sich Lähmung eingestellt. Nur selten zeigen
sich bei ^der Kuh eklamptische Zufälle, be¬
stehend m convulsivischen Bewegungen des
Kopfes und des Halses, Zufälle, die stets nur
von ganz kurzer Dauer sind und einem sopo¬
rösen Zustande weichen. Es stellt sich fast
immer rasch vollständige Hinfälligkeit und
Bewusstlosigkeit ein; die Kühe liegen mit
halbunterschlagenen Schenkeln auf der Seite
und stützen den rückwärts gebogenen Kopf
auf die Brustwandung. Hebt man den Kopf
in die Höhe, so fällt er wieder kraftlos nieder
und in die vorige Lage zurück; manchmal
ruht er auch schlaff auf dem'Boden. Die Thiere
sind vollständig theilnahmslos für die Um¬
gebung; das Auge ist halb geschlossen, der
Blick stier, die Augäpfel nach unten gerichtet.
Die Empfindlichkeit ist bald gänzlich' ver¬
schwunden; man kann die Kranken in den
Ohren kitzeln, mit dem Finger den Augapfel
berühren, ihnen an sonst sehr empfindlichen
Stellen Nadelstiche beibringen, ohne dass sie
dagegen reagiren. Ohren, Hörner und Fiisse
sind und bleiben kühl, selbst wenn der Frost¬
schauer längst vorüber ist. Die Schleimhäute
sind blass. Die häufig thränenden Augen sind
tief in ihre Höhlen zurückgezogen. Der Puls
ist anfangs fast immer normal, bloss hin und
wieder etwas verlangsamt; anfänglich voll und
deutlich fühlbar, wird er mit der- Steigerung
der Krankheit schwach, unregelmässig und
schliesslich unfühlbar; er wird bald beschleu¬
nigter, steigt auf 80, 90, 100 und selbst mehr
Schläge in der Minute. Das Athmen ist an¬
fänglich nur wenig verändert, wird aber bald
unregelmässig, ist selten beschleunigt, sondern
meist verlangsamt, tief ziehend, zuckend,
stöhnend und röchelnd (Vaguslähmung). Das
Maul ist kalt und speichelreich, klebrig. Fress¬
lust und Wiederkauen sind gänzlich «dahin;
die Peristaltik liegt völlig danieder; Darm¬
geräusche fehlen; die Mistentleerung ist- auf¬
gehoben; der Hinterleib wird bald und stets
durch Gase, die sich im Wanste und Darm-
canale entwickeln, aufgetrieben; es erfolgt
häufig Rülpsen; das Schlingen ist erschwert,
ja wird bald wegen eingetretener Zungen- und
Schlundkopflähmung ganz unmöglich. Beim
Aufstossen von Magengasen werden Futter-
bestandtheile aus dem Magen in die Rachen¬
höhle zurückgeführt und gelangen bei dem
aufgehobenen Schlingvermögen leicht in die
Luftröhre. Auch die Eingüsse gelangen aus
dem gleichen Grunde sehr leicht in die Luftröhre.
Von daher stammen die bei der Gebärparalyse
so häufig vorkommenden Fremdkörper-Pneu¬
monien. Die Harnentleerung ist stark ver¬
zögert, erschwert, ja sehr oft gänzlich sistirt.
Das Euter fühlt sich fast durchwegs Welk an;
die Milchsecretion ist beständig vermindert, in
manchen Fällen selbst gänzlich versiegt. Die
anfänglich normale Körperwärme sinkt bei
ungünstigem Verlaufe rasch und in sehr be¬
trächtlicher Weise; das Thermometer zeigt
zuweilen blos noch eine Mastdarm-Temperatur
von 36° C. und selbst noch weniger. Im Ver¬
laufe der Krankheit stellen sich bisweilen
Krämpfe des Halses und Verbiegungen des¬
selben ein.
Der Verlauf des sog. Kalbefiebers ist ein
sehr acuter. Innerhalb weniger Stunden ist die
Krankheit ausgebildet, und nach 12 Stunden
bis 1 oder 2 Tagen ist fast ohne Aus¬
nahme ihr Ausgang entschieden, indem sie’ in
Genesung oder Tod übergeht. Erfolgt die
Genesung, was oft plötzlich und unerwartet,
auch erst nach 2 oder 3—5 Tagen statt¬
hat, so kündigt sich dasselbe durch Rück¬
kehr der Empfindlichkeit und Aufmerksam¬
keit, durch Heben des Kopfes, wieder freies
Umherschauen, durch das Sichwiedereinstellen
der peristaltischen Bewegungen, durch den
Wiederabsatz des Mistes und die Entleerung
des Harns, durch das Wiederregewerden' des
Durstes, Appetites und des Wiederkauens,
durch die Rückkehr des Schlingvermögens und
der normalen sich nähernde peripherische
und innere Körperwärme an. Das Thier steht
wieder auf, ist nach einem oder zwei Tagen
meist wieder völlig hergestellt und gibt wieder
32 ♦
500
EKLAMPSIA PUERPERALIS.
Milch wie vor dem Eintritte der Krankheit.
Geht die Krankheit in den Tod über, so wird
der Schlafzustand und die Unempfindlichkeit
immer stärker, und die in einer förmlichen
Lethargie liegenden Thiere werden zuweilen
durch ein unruhiges Hin- und Herwerfen des
Kopfes aus derselben aufgeschreckt und sterben,
falls sie nicht vorher geschlachtet werden, in
der Regel so ruhig, dass der Eintritt des
Todes kaum wahrgenommen wird; zuweilen
verenden sie apoplektisch oder unter Convul-
sionen.
Die Prognose muss immer mit grosser
Vorsicht gestellt werden; sie ist im Grossen
und Ganzen eine ungünstige; wenigstens die
Hälfte der kalbfieberkranken Thiere ist ver¬
loren. Selbst scheinbar leichte Fälle nehmen
oft einen ungünstigen Verlauf, während um¬
gekehrt sehr schwere Fälle öfter plötzlich in
Genesung übergehen. Je früher die Krankheit
nach erfolgter Geburt sich einstellt, um so
unglücklicher, je später nach der Geburt,
um so günstiger ist der Verlauf. Je stärker
der komatöse Zustand ausgesprochen, um so
ungünstiger ist der Verlauf. Freierwerden der
Psyche, Wiederabgang von Mist und Harn,
Verlangen nach Futter und Getränke bilden
sehr günstige prognostische Anzeichen. Die
Besserung vollzieht sich öfter unerwartet
schnell, die Thiere erwachen plötzlich aus
ihrer Lethargie und fangen an zu fressen.
Eine üble Complication des Kalbefiebers ist
die durch Verschlucken häufig entstehende
Fremdkörper-Pneumonie, an welcher nach¬
träglich noch viele Kühe sterben, welche that-
sächlich vom Kalbefieber genesen sind. In
einigen Fällen bleibt auch während längerer
Zeit eine paralytische Schwäche der Nachhand
zurück.
Weniger gefährlich als beim Rinde ist
die Gebärparalyse beim Schweine (Ferkel¬
fieber) und bei der Hündin (Eklampsie), bei
welchen Thieren die Symptome der Paralyse
und des Torpors nicht so hochgradig als bei
ersterem ausgesprochen sind.
Die Diagnose ist beim Kalbefieber un¬
schwer zu stellen; das so charakteristische
Symptomenbild lässt bei auch nur einiger Auf¬
merksamkeit keine Verwechslungen mit an¬
deren Krankheiten zu. Das fast nur bei der
Kuh und fast nur nach einer erschwerten
Geburt vorkommende Festliegcn unterscheidet
sich vom Kalbefieber sehr deutlich dadurch,
dass bei ihm die Paralyse keine vollständige,
dass kein komatöser Zustand zugegen ist,
dass die Thiere bei vollem Appetite sind und
dass die Excretionen normal vor sich gehen.
Sectionsergebnisse. Die Section von
Rindern, die an der Gebärparalyse verendeten
oder in Folge deren geschlachtet wurden, er¬
gibt keine solchen krankhaften Veränderungen,
weldhe die während des Lebens beobachteten
Erscheinungen auch nur einigermassen er¬
klären Hessen. Die Sectionsergebnisse sind
meist negativer Natur. Von Entzündung zeigt
sich nirgends eine Spur, weder im Cerebro¬
spinalsystem, noch in den Sexual- und
Digestivapparaten, noch irgend anderswo. Der
Uterus ist normal und gehörig, ja meist stark
contrahirt. Die Verdauungsorgane tragen kaum
Veränderungen an sich. Der Wanst ,ist meist
mit Gasen stark erfüllt, der dritte Magen
fast ausnahmslos sehr hart anzufuhlen und
mit einem höchst trockenen, zerreibbaren In¬
halte an gefüllt, welcher Zustand nichts als
eine secundäre Erscheinung, d. h. eine Folge
der Lähmung" des Ganglien-Nervensystems ist.
Die Lungen sind normal, zum Theil emphy-
sematisch, oder zeigen die Erscheinungen der
Fremdkörper-Pneumonie in ihren verschie¬
denen Stadien. Die Untersuchung des Gehirnes
und Rückenmarkes sowie deren Häute von
verendeten Thieren — die Untersuchung des
Gehirnes bei durch dessen Zertrümmerung
getödteten Thieren kann selbstverständlich
nichts Belehrendes, Positives zu Tage fördern
— ergibt keine constanten und identischen Re¬
sultate. Das Gehirn ist dem Anscheine nach
meist normal. Während Einige, u. A. Bragard,
Festal, Fabry, Lecouturier, Saake und Anacker
die Meningen von starken Gefässinjectionen
durchzogen und namentlich die Pia mater an
den Umflächen des Grosshirnes bis zum ver¬
längerten Marke hin mit Blutaustretungen
verschiedentlich besetzt wollen gesehen und
unter der harten Hirnhaut in den Arachnoidal-
räumen, in den Gehirn Ventrikeln, sowie in
der Rückenmarkshöhle seröse Transsudationen
angetroffen haben, sahen Andere nichts der-
leichen. Zuweilen fand man venöse Blutfülle,
ann wieder, u. zw. zumeist Anämie und seröse
Durchfeuchtung des Gehirns und Rücken¬
marks. Noquet will als hauptsächlichste Läsion
eine Hyperämie des Rückenmarks, besonders
der Lendenportion desselben beobachtet haben.
Carter, Noquet u. A. notirten ferner eine Alte¬
ration der Nerven des Hüftgefleclites. Binz will
blutige Infiltrationen längs des Grenzstranges
vom Sympathicus wahrgenommen und Anacker
eine Hyperämie und seröse Durchfeuchtung
dieses Nerven beobachtet haben. Es herrscht
somit unter den Autoren die grösste Diver¬
genz bezüglich der Hauptläsionen beim Kalbe¬
fieber und ist die pathologische Anatomie bei
dieser Krankheit noch so viel als völlig neu
zu schaffen.
Ursachen. Die Gebärparalyse hängt,
wie es schon der Name besagt, aufs engste
mit dem Geburtsvorgange zusammen. Die¬
selbe stellt sich mit nur höchst seltenen
Ausnahmen immer nur ganz kurze Zeit, inner¬
halb 10—36 Stunden, und durchweg nur nach
leichten, raschen Geburten und fast nur bei
Kühen, bei denen die Nachgeburt abgegangen,
ein. Die schnelle Entleerung des Leibes und
die unter solchen Umständen sich rasch voll¬
ziehende Contrahirung des Uterus scheinen
da, wo noch andere, die Entstehung des
Kalbefiebers begünstigende Momente vor¬
handen sind, die Einwirkung dieser in hohem
Grade zu verstärken. An und für sich ver¬
mögen ein leicht und rasch sich vollziehender
Geburtsact und die dadurch bedingte rasche
Zusaramenziehung der Gebärmutter keines¬
wegs die Gebärparalyse zu veranlassen, denn
in sehr vielen Gegenden, wo solche physio-
EKLAMPSIA PUERPERALIS. 501
logische Vorgänge ebenso häufig als anderswo
statthaben, ist das sog. Kalbefieber kaum
dem Namen nach bekannt. Noch andere Ver¬
hältnisse sind von wesentlichem Einflüsse
auf den Ausbruch dieser noch immer so
räthselhaften Krankheit. Diese Zustände liegen
wesentlich in den constitutionellen und physio¬
logischen Verhältnissen der Thiere und in
der dadurch geschaffenen individuellen Anlage
oder Prädisposition derselben zur Ausbildung
dieser Krankheit. Eine prädisponirende indi¬
viduelle Anlage besitzen plethorische, wohl¬
beleibte, fein beschaffene, vorzügliche Milch¬
kühe. Eine so viel als absolute Ruhe, d. h.
eine beständige, die Thiere verweichlichende
Stabulation in Gemeinschaft mit einer sehr
reichlichen und zugleich mastigen, die Ver¬
dauungsorgane, überhaupt die ganze Körper¬
constitution stark erschlaffenden, aber die
Milchsecretion sehr stark betätigenden Fütte¬
rung, wie dies namentlich bei reichlicher Oel-
kuchen-, Malz- und Schlempefütterung der
Fall ist, wodurch die Kühe zu reinen Milch¬
maschinen gemacht werden, machen diese zur
Ausbildung der Gebärparalyse besonders prä-
disponirt. In* Gegenden, wo die Rinder auf
die Weide geführt werden, namentlich in Ge¬
genden, wo reine Alpenwirthschaft besteht
und die Thiere nur naturgemässes, die Milch¬
absonderung nicht übermässig betätigendes
Futter verzehren, und wo sie zugleich durch
den Weidegang abgehärtet werden, ist diese
Krankheit umgekehrt ungemein selten oder gar
nicht bekannt, trotzdem doch hier ebenso
viele Kühe ebenso leicht und rasch kalben,
als dies bei den dem beständigen Stallaufent¬
halte unterworfenen und zu mastig, nicht
mehr naturgemäss gefütterten Thieren der
Fall ist. Auch die zur Feldarbeit verwendeten
Thiere bleiben vom Kalbefieber verschont.
Dafür, dass die Gebärparalyse mit einer
reichlichen Milchsecretion in einem gewissen
Causalverhältniss steht, scheint auch der Um¬
stand zu sprechen, dass sich dieselbe sozu¬
sagen ausschliesslich in derjenigen Lebens¬
periode einstellt, in welcher die Kühe auf der
Höhe der Milchsecretion stehen, nämlich erst
nach der dritten oder vierten Geburt.
Gelegcnheitsursachen. Alle bisher
beschuldigten eigentlichen, das Kalbefieber
veranlassenden oder Gelegenheitsursachen
sind so viel als völlig problematischer Natur.
So verhält es sich mit der von sehr Vielen
beschuldigten Erkältung der Thiere. Die
durch äussere Erkältungen veranlasste Unter¬
drückung der nach der Geburt regen Haut-
thätigkeit und der dadurch bedingte verstärkte
Aortendruck genügen an und für sich nicht
zur Erklärung der Entstehung der Gebär¬
paralyse. Wohl mag in Fällen, wo die für
die Entwicklung der Gebärparalyse prädis-
ponirenden constitutionellen und physiologi¬
schen Verhältnisse zugegen sind, die Erkältung
ein die Entwicklung dieser Krankheit unter¬
stützendes, begünstigendes Moment bilden,
eine eigentliche Gelegenheitsursache ist sie
aber nicht. Völlig hypothetischer Natur ist
sodann die von Einigen beschuldigte oder
behauptete Intoxication der Blutmasse in
Folge Aufnahme putrider Stoffe vom Uterus
aus, zur Stützung welcher Hypothese bisnun
nicht der geringste Beweis erbracht ist. Die
Gebärparalyse der Kuh hat mit dem eigent¬
lichen Puerperalfieber, das eine vom Uterus
oder der Scheide ausgehende Septicämie dar¬
stellt, nichts gemein. Nicht minder hypothe¬
tisch ist die als Ursache des Kalbefiebers
beschuldigte Unterdrückung der Lochien.
Völlig unbegründet ist endlich die Beschuldi-
ung, die Entfernung des Jungen gleich nach
er Geburt von der Kuh und die dadurch
verursachte Sehnsucht nach demselben bilde
ein ursächliches Moment. Die eigentlichen
Gelegenheitsursachen des sog. Kalbefiebers
sind, abgesehen von dem Geburtsvorgange,
zur Zeit noch völlig unbekannt. Alles, was
wir über die ursächlichen Momente wissen,
lässt sich in Kürze in Folgendem zusammen¬
fassen: Die Gebärparalyse befällt die frisch,
leicht und rasch gekalbten, plethorischen,
wohlbeleibten, durch eine beständige Stabu¬
lation verweichlichten, fast ausnahmslos sehr
milchreichen Kühe, deren Constitution durch
eine zu üppige, zu mastige, namentlich die
Verdauungswege erschlaffende, zu sehr milch¬
treibende Fütterung stark geschwächt ist.
Alles Weitere gehört in das Gebiet der
Hypothesen.
Wesen. Da bei der Gebärparalyse die
pathologische Anatomie noch zu gründen, die
wirklichen veranlassenden oder Gelegenheits¬
ursachen noch aufzufinden sind, so kann
selbstverständlich erst nach Verwirklichung
dieser beiden Haupterfordernisse von einer
zuverlässigen Feststellung des Wesens des
paralytischen Kalbefiebers die Rede sein. Von
der Unmasse der zur Erklärung der nächsten
Ursache oder des Wesens dieser Krankheit auf-
gestellten Hypothesen kann keine befriedigen.
Die bisher verzeichneten, am Cadaver Vor¬
gefundenen makroskopischen Läsionen sind
theils so unbeständiger, theils so geringfügiger
Natur, dass sie keinen auch nur einiger-
massen sicheren Anhaltspunkt zur Erklärung
des Wesens und des klinischen Bildes der
Gebärparalyse bei der Kuh darbieten. In
zahlreichen Fällen fehlt zudem jede Spur
einer organischen Alteration, namentlich des
Nervensystems. Der so häufige rasche Wieder¬
eintritt der Gesundheit schliesst überdies
das Bestehen schwerer materieller Störungen
des Cerebrospinal- und Gangliensystems
aus. Mikroskopisch festgestellte Alterationen
dieser Organe fehlen gänzlich. Zufolge dem
klinischen Bilde, dem so viel als meist nega¬
tiven Obductionsbefunde, sowie zufolge dem
raschen Verlaufe, namentlich dem so häufigen
schnellen Eintritte der Genesung in scheinbar
selbst verzweifelten Fällen, scheint das Wesen
in einer hochgradigen functionellen Störung
des Gehirnes und Rückenmarkes, in einer
anfänglichen hochgradigen Abspannung der
cerebrospinalen Innervation zu beruhen,
welcher Zustand sich sehr rasch auf die
sympathischen Centren überträgt, d. h. da
solche Zustände erzeugt, die einen hemmenden
jitize^
Google
m EKLAMPSIA PÜERPERALIS.
Einfluss auf die natürliche Erregung der vom
Sympathicus innervirten Organe (Muskeln und
Drüsen) ausüben. Franck erblickt das Wesen
des Kalbefiebers in einer anfänglichen Gehirn-
congestion, in einem dadurch erzeugten Ge-
hirnödera mit nachfolgender Anämie und einer
hiedurch gesetzten plötzlichen Ernährungs¬
störung des Gehirnes. Anacker legt das
Hauptgewicht bezüglich der Pathogenese auf
eine Congestion zum Gehirn und Rücken¬
marke. Die Hyperämie dieser Nervencentren
schlage jedoch bald in das Gegentheil um,
indem die erweiterten und erschlafften Gefässe
aus dem mit wässerigen Bestandtheilen über¬
ladenen Blute Serum austreten lassen, wo¬
durch die Functionen des Gehirnes, des ver¬
längerten und des Rückenmarkes, später auch
die des Vagus unterdrückt, paralysirt wer¬
den (Torpor, Koma, Rückenmarks-Paralyse,
Schlund und Dannlähmung, verlangsamte Re¬
spiration, Pulsfrequenz). Weder die eine noch
die andere dieser Anschauungen kann befrie¬
digen. Es ist nicht gut einzusehen, warum
eine solche Hyperämie mit solch plötzlich ent¬
stehendem Hirn- und Rückenmarksödem und
nachfolgender Anämie blos zu einer bestimmten
Zeitnach einem durchweg leichten und raschen
Geburtsacte und nicht auch zu anderen Zeiten,
und nur bei plethorischen, wohlbeleibten,
milchreichen, durch die beständige Stabulation
verweichlichten Kühen und nicht auch bei
solchen, die sich unter anderen Verhältnissen
befinden, einstellen soll. Dann liesse sich
ferner auch der so häufige rasche, fast plötz¬
liche Eintritt der Genesung bei einem Be¬
stehen solcher Transsudate die aber in
Wirklichkeit sich selten vorfinden — physio¬
logisch schwer erklären. Violet betrachtet
das Kalbefieber in den meisten Fällen als
eine einfache Gehirncongestion, glaubt jedoch,
dass auch hin und wieder eine mehr oder
weniger starke Rückenmarks-Congestion be¬
stehe, welche über die Lähmung des Ganglien¬
systems Aufschluss gebe. Völlig unhaltbar ist
die von Mathd u. A. supponirte Untätig¬
keit des Uterus und der dadurch bedingte
Stillstand des Lochialflusses. Die Annahme
Harra’s, das Wesen des Kalbefiebers bestehe
in einer Aörämie, hat keine wissenschaftliche
Basis. Es ist nicht begreiflich, wie bei den
normalen Geburten beim Rinde Luft in die
Venen eindringen könne, da nirgends eine
Verwundung bei denselben sich einstellt.
Ueberdies lehrt die Physiologie, dass in den
kleinen Venen, wie sie in der Uterusschleim¬
haut in Betracht fallen, stets noch ein geringer
positiver Druck vorhanden ist, der den Ein¬
tritt von Luft in die Blutgefässe verhindert.
Nach Schmidt-Mülheim sollen sich alle
Symptome des Kalbefiebers, so verschiedenartig
und verwickelt sie auch immer erscheinen
mögen, ganz einfach und ungezwungen aus
einer lähmungsartigen Schwäche sowohl der
willkürlichen als der glatten Muskulatur ab¬
leiten lassen, weshalb er diese Krankheit mit
dem Namen Gebärparese bezeichnen möchte.
Er erblickt die Ursache des Kalbefiebers in
einer schädlichen Substanz, die eine lähmungs¬
artige Wirkung sowohl auf die quergestreifte
als auch auf die glatte Muskulatur auszuüben
vermöge, welche Substanz dementsprechend
am einfachsten als ein Muskelgift zu betrachten
sei, das seine Wirkung vom Circulationsstrome
aus geltend mache. Nach leichten und raschen
Geburten könnten bei den so schnell erfol¬
genden Contraetionen des Uterus und dem
Verschlüsse des Muttermundes unter dem Ab¬
schlüsse der Luft in dem blutleeren Uterus
eigenthümliche, von der Fäulniss völlig ver¬
schiedene ZersetzungsVorgänge in der eiweiss¬
haltigen Lochialflüssigkeit verlaufen, welche
nach Analogie der Entwicklung des Wurst¬
giftes zur Bildung des präsumirten Muskel¬
giftes führen. Dieser Hypothese sind zunächst
blos die Fragen entgegenzuhalten, wie sich
ein solches Muskelgift im contrahirten Uterus
so ausserordentlich rasch zu entwickeln und
seine Wirkung sozusagen urplötzlich auf die
Organe der willkürlichen und automatischen
Bewegungen auszuüben vermöge, und warum
denn dieses präsumirte Muskelgift sich nur bei
wohlbeleibten, mastig genährten, milchreichen,
beständig im Stalle gehaltenen und nicht auch
bei den durch den Weidegang ifhd den Ge¬
brauch zur Arbeit abgehärteten, mit blos
naturgemässen Nahrungsmitteln gefütterten
und nur älteren Kühen sich ausbildet und seine
Wirkung geltend macht?
Behandlung. So lange die Probleme
bezüglich des Wesens und der eigentlichen
pathogenetischen Ursache der Gebärparalyse
ungelöst sind, so lange kann natürlich deren
Behandlung auch keine rationelle, sondern eine
blos empirische, symptomatische sein. Den
verschiedenen Ansichten über das Wesen und
die Aetiologie dieser Krankheit entsprechen
denn auch ebenso verschiedene Behandlungs¬
methoden. Bei dem hochgradigen Danieder¬
liegen der Functionen der nervösen Central-,
organe, des Vagus und des sympathischen
Nerven ist die allgemein und örtlich reizende,
stimulirende Methode angezeigt. Durch mecha¬
nische und chemische, die Erregung der Haut¬
nerven, die Anregung der Magen- und Darm¬
functionen betätigende Mittel muss reflec-
torisch die Thätigkeit der Nervencentren zu
beleben und von da aus wieder reflectorisch
auf die centripetalen Nervenfasern belebend
zu wirken gesucht werden, um dadurch die
Muskelbewegungen und Drüsensecretionen zu
betätigen. Thatsächlich hat sich bisher diese
Methode unter allen als die erfolgreichste er¬
wiesen. Demzufolge ist der Aderlass nur höchst
selten, u. zw. blos beim Eintritte der Krank¬
heit, bevor sich der schlaftüchtige Zustand
eingestellt hat, angezeigt; bei einmal ein-
getretencr Empfindungs- und Bewusstlosigkeit
ist derselbe fast ausnahmslos nur schädlich.
Vor der Einleitung der eigentlichen Behand¬
lung sucht man die Kuh mit Gewalt in die
natürliche Bauchlage zu bringen, deren Kopf
jso gut als möglich aufzurichten und dieselbe
mit Hilfe von Strohbündeln in.dieser Lage zu
erhalten.
Die Erregung der Hautthätigkeit,
wodurch einerseits eine gleichmässige Ver-
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EKLAMPSIA PUERPERALIS.
503
theilung der Blutmasse herbeizuführen, anderer¬
seits reflectorisch die Thätigkeit der Nerven-
centren zu beleben gesucht wird, wird durch
tüchtiges Frottiren der Haut mit Strohwischen
oder Reisbürsten, durch öftere Einreibungen
der Rücken-Lendengegend, der Flanken und der
Gliedmassen mit heissem Essig, wirksamer
noch mit einer Mischufig aus gleichen Theilen
Terpentinöl und Salmiakgeist, welchen Stoffen
behufs besserer Mischung etwas Oel beigefügt
wird, und durch nachfolgendes gutes Bedecken
mit Stroh, erwärmten Tüchern oder erwärmten
Heublütlienkissen zu bewerkstelligen gesucht.
'Mathd lässt obige Mischung mit einer Reis¬
bürste einreiben; die Haut müsse an mehreren
Stellen blutrünstig werden, worauf das Thier
mit einer Wolldecke gut zugedeckt wird. Auch
das Auflegen von in kaltes Wasser getauchten,
ausgewundenen Tüchern auf den Körper und
das Belegen dieser mit wollenen Decken,
Betten u. dgl. bewirkt eine mächtige Steigerung
der Hautthätigkeit. Hartenstein, Baumeister
u. A. empfehlen als sehr heilsam continuir-
liche Kaltwasserdouchen auf Kopf, Rücken und .
Lenden, die bis zum Aufstehen des Thieres
fortgesetzt werden, w T as 1—1 y a Tag dauere.
Die Euterthätigkeit wird durch fleis-
siges Ausmelken und Streichen an den Zitzen
anzuregen gesucht*
Nach Erregung der Hautthätigkeit wird
das Hauptaugenmerk auf die Magen-Darm-
thätigkeit, auf die Mistausscheidung
und die Harnentleerung gerichtet. Der
Harn wird aus der gelähmten Blase mittelst
.des Katheters, einer Klystierspritzen - Canule
oder einfach mittelst Einführens des Zeige¬
fingers in die Harnröhre sowie auch durch
Druck vom Mastdarm aus entleert. Der im
Mastdarm angesaramelte trockene Mist' wird
durch die eingefettete oder eingeölte Hand
entfernt und die weiteren Darmausscheidungen
durch Leinöl-, Seifen-, Glaubersalz- oder
Tabakklystiere zu befördern gesucht. Zur An¬
regung der Magendarmfunctionen, zur Be-
thätigung der Abdorainalcirculation durch
Beseitigung, der Verstopfung wählt man dra¬
stisch abführende Mittel, namentlich Glauber¬
salz, auch Kochsalz oder Aloö, die man ein¬
fach in lauwarmem Wasser oder in einem'
Infusum von aromatischen Stoffen oder von
Sennesblättern verabfolgt. Man gibt gleich im
Anfänge, da das Schlingen noch weniger er¬
schwert ist, grosse Dosen von Salzen und
Aloü, jedoch nur in kleinen Flüssigkeits¬
mengen und mit grösster Vorsicht, und wartet
dann zu. Auch Crotonöl wird vielerseits als
sehr wirksam empfohlen und angewendet.
Machen sich bereits allgemeine paralytische
Erscheinungen, starkes Koma, ein gewisser-
massen lethargischer Zustand und beträcht¬
liches Sinken der Körpertemperatur bemerklich,
so eignet sich starker schwarzer Kaffee, stünd¬
lich oder dreiviertelstündlich % 1, dem jedes¬
mal 0*60—0*80 Glaubersalz und 0*5—0*8
fein pulverisirte Aloe beigefügt wird. Man
gibt 8—10—12 solcher Dosen. Mathe verab¬
folgt den Kranken, u. zw. vom Ausbruch der
Krankheit an, während fünf Stunden stündlich
eine Mischung aus */ 8 1 guten Weins, 1 dl
Branntweins und 1 dl essigsauren Ammoniaks,
nach Ablauf welcher Zeit diese Einschütte
von 5 zu 5 Stunden so lange fortge¬
setzt werden, als das Thier nicht von selbst
aufgestanden ist. Mit dieser internen be¬
rauschenden Behandlung im Verein mit die
Haut stark reizenden Frictionen will er die
grosse Mehrzahl der kalbefieberkranken Thiere
gerettet haben. — Im paralytischen Stadium
werden von Vielen stark erregende Nerven¬
mittel in Anwendung gebracht, so nament¬
lich Kampher, Schwefeläther, Terpentinöl,
Krähenaugen, Strychnin. Da jedoch bei dem
sehr raschen und so häufig ungünstigen Ver¬
laufe auf ein baldiges Abschlachten Bedacht
genommen werden muss, so sind stark
riechende und giftig wirkende Mittel, wie die
soeben angegebenen — da sie ins Fleisch über¬
gehen, demselben theils einen widerlichen
Geruch geben und deshalb dasselbe ungeniess-
bar, theils den Genuss für den Menschen ge¬
radezu gesundheitsschädlich machen — zu ver¬
meiden. Bei eingetretenen Schlingbeschwerden
müssen, um Fremdkörper-Pneumonien auszu¬
weichen, die Arzneien mittelst der Schlund¬
röhre, besser noch mittelst der Magenspritze
(Fig. 469) beigebrajiht werden. Am besten aber
ist es, bei Aufhebung des Schlingvermögens
innerlich gar keine Mittel mehr zu verabfolgen,
Fig. 469. Magenspritze.
da ja bei diesem Verfahren überhaupt die
Genesung ebenso oft erfolgt, als wenn viele
und drastische Mittel verabfolgt werden. Mit
sehr gutem Erfolge ist die Elektricität
(Apparat von Gaiffe) als ein zugleich die
Muskeltonicität, sowie wegen der Hervor-
rufung intensiver Schmerzen die Willens
äusserung mächtig anregendes Mittel ange¬
wendet worden, Bei sich einstellender hoch¬
gradiger Tympanitis wird das Gas durch
einen dünnen Troicart, dessen Canule belassen
wird, entfernt.
Prophylaxis. In den letzteren Wochen
vor dem Kalben Vermeidtmg einer zu reich¬
lichen, mastigen, künstlichen, die Verdauungs¬
organe erschlaffenden Fütterung und Gestat¬
tung der Bewegung im Freien. Aderlässe und
sog. gelind abführende Mittel vor der Geburt
bilden dagegen keine prophylaktischen Mittel.
Der Genuss des Fleisches geschlachteter
kalbefieberkranker Thiere ist, sofern ‘diese
504
EKPHLYSIS. — ELASTICITÄT.
keine heftig oder giftig wirkenden Stoffe, wie
Krähenaugen, Strychnin, Crotonöl, erhalten
haben, völlig unschädlich, und kann daher
das Fleisch zum öffentlichen Consume zuge¬
lassen werden. Strebei .
Ekphlysis (v. $x<pXöetv, £x®Xoaae'.v, heraus-
sprudeln, schnell hervorbrechen), für schnell
hervortretende blasenartige Exantheme, z. B.
E. vaccinia, Kuhpocke. Sussdorf.
Ekphraxis (v. ix, aus, und ypa coetv, ver¬
sperren, auch für icoxvoöv, dicht machen, ver¬
stopfen, gebräuchlich, daher in dieser Corapo-
sition: Verstopftes eröffnen), Beseitigung von
Verstopfungen; opp. emphraxis. Adj. ecphractica
sc. remedia, eröflhende Arzneimittel. Sussdorf.
Ek8trophie(^ ixotpo«nq, V. ix und atps^iv,
drehen), die Auswärtsarehung = Eversio, eine
Form der congenitalen Vorlagerungen der Ein¬
geweide, wie in Ekstropliie der Blase, eine
angeborene Spaltung der vorderen Blasen- und
benachbarten Bauchwand, meist mit gleich¬
zeitiger Spaltung der oberen Harnrührenwand
beim Menschen. Sussdorf.
Ektasis, Ektasia (v. ixtetveiv, ausdehnen),
Ausdehnung, abnorme Erweiterung; adj. ecta-
ticus, ausgedehnt, erweitert. Auch in Compo-
sitioncn gebräuchlich, z.B. Teleangiektasie. Sf
Ektatokakopneumonia (v. ix-cato«;, aus¬
gedehnt, xaxo's, schlecht, und ^ ravsopiovia,
Lungenkrankheit) und Ektatopneumonosapro-
sis (s. d.).
Ektatopneumonosaprosis (v. ixtardg, aus¬
gedehnt, 67cvs6p.ü)v, Lunge, o«*TCpoio:?, Fäule),
ausgedehnte Lungenfäule. Sussdorf.
Ekthyma (tö exüop.a, v. ixüw.v, über¬
wallen, hervorbrechen), nach Hippokrates etc.
die knotenartigen Eruptionen der allgemeinen
Decke, welche als grosspustulöse spontan bei
Ekzem, Akne etc. und künstlich nach irri-
tirenden Einreibungen entstehen. Sussdorf.
Ektoderm, s. Arohigastrula.
Ektodysaisthesia (abgel. v. ixto's, nach
aussen, und rj &oaacothqai'a, Unempfindlichkeit
der Sinne), Unempfindlichkeit der Sinne für
das, was in der äusseren Umgebung sich
zuträgt. Sussdorf,
Ektogene Infectionserreger, Bezeichnung
nach v. Pettenkofer für solche Infections-
erreger, welche sich in der Aussenwelt repro-
dnciren, zum Unterschiede von jenen, welche
sich im kranken thierischen Organismus repro-
duciren und entogene genannt werden (s.
Infection). Koch.
Ektokardia (ixto's, aussen, und yj xap§ta,
Herz), Sammelbegriff für die Lageveränderungen
des Herzens als intra- und extrathoracale. Sf
Ektopia (abgel. v. sxtorco;, entfernt), die
(abnorme) Vorlagerung eines Theiles: e. foetus,
die abnorme Lage des Fötus. Sussdorf
Ektozoon (abgel. v. ixto's, aussen, und
tö C&ov, Lebewesen), jeder auf der äusseren
Körperoberfläche lebende Schmarotzer =
Ektoparasit. Sussdorf.
Ektrosis (f) Ixtpoo:?, v. ex und titdu>3 -
xetv, fehlgebären), das Frühgebären, Fehl¬
gebären; adj. ectrotica sc. remedia, frucht-
abtreibende Mittel. Sussdorf.
Etaeopten. Die meisten ätherischen Oele
(s. d.) sind bei gewöhnlicher Temperatur
flüssig; bei niedriger Temperatur scheiden
jedoch manche derselben feste krystallinische
Substanzen aus. Diese letzteren nannte
Berzelius „Stearoptene“, während er jenen
Antheil, der hiebei flüssig bleibt, als „Elaeopten“
bezeichnete. Loebisch.
Elaeosaccharum, 0 e 1 z u c k e r, d. h. Zucker¬
pulver, welche durch irgend ein angenehm
schmeckendes ätherisches Oel, z. B. Pfeffer¬
minz-, Kümmel-, Anisöl verrieben werden und
dann als Geschmackscorrigentien dienen sollen.
Die Mischung wird von den Pharmakopoen in
der Art vorgeschrieben, dass auf 2 g fein
gepulverten Zuckers ein Tropfen des ätheri¬
schen Oeles kommt, das ex tempore zu ver¬
reiben ist. Vogel.
Elai8 gulnensis, die Oelpalme, s. Cocos
nucifera.
Elaphia (6 eXa?o;,Hirsch,mit adj.sXä-f'.os),
Hirschkrankheit, allgemeiner Tetanus. Sf.
Elap8U8 (v. elabi, herausfallen), Ausrenkung,
Luxation. Sussdorf.
Elasticität (von iXauvt», ich treibe) nennt
man die Eigenschaft eines Körpers, durch
äussere Kraft seine Gestalt zu verändern, ohne
den Zusammenhang zu verlieren, und dass er
beim Aufhören der Kraftwirkung wieder die
frühere Gestalt annimmt. Kautschuk kann man
auseinanderziehen, dünne Stahlstreifen lassen
sich spiralförmig aufrollen, Luft lässt sich auf
ein kleines Volumen zusammenpressen; sobald
jedoch die wirkende Kraft nachlässt, kehren
die genannten Körper wieder in ihre frühere
Form zurück. Zur Erklärung dieser Erschei-^
nung kann man annehmen, dass man beim An¬
nähern der Körpertheilchen durch Druck oder
Stoss den Molekülen Arbeit mittheilt, die ihre
lebendige Kraft vergrössert und ihnen daher
den grösseren Rückweg möglich macht; beim
Entfernen der Moleküle verwandelt sich die
dem ausgedehnten Körper mitgetheilte Arbeit
in Spannkraft, welche die Rückkehr derselben
bewirkt. Im gewöhnlichen Leben bezeichnet
man nur solche Körper als elastisch, bei
welchen wie in den oben angeführten Beispielen
schon durch eine geringe Kraft eine grosse
Aenderung herbeigeführt werden kann. Ge¬
nauere Untersuchungen lehrten jedoch, dass alle
Körper elastisch sind, nur besitzen die flüssigen
und luftförmigen Körper diese Eigenschaft
nicht allen Kräften gegenüber. Während näm¬
lich sämmtliche feste Körper, wie durch Ver¬
suche gezeigt wurde, ihre Elasticität sowohl
der Druck- als Zugkraft gegenüber äussern,
dehnen sich die luftförraigen Körper wohl
nach Aufhebung eines äusseren Druckes
wieder aus. sind also gegen eine Druckkraft
elastisch, aber eine Zugkraft ist an denselben
nicht anzubringen: hat man jedoch durch
Erweiterung der Grenzen eines Raumes das
Volumen des darin befindlichen Gases ver¬
grössert, so kehrt es von selbst nicht wieder
in sein früheres Volumen zurück. Flüssig¬
keiten lassen sich wohl durch die Wärme
ausdehnen, aber nicht durch eine Zugkraft.
Für alle Körper bezeichnet man die Grenze,
welche von den äusseren Kräften nicht über-
ELASTIN. — ELEKTUARIUM.
505
schritten werden darf, ohne dass eine blei*
bende Aenderung in der Lage der Theile
eintritt, als Elasticitätsgrenze. So lange
die äusseren Kräfte — Druck oder Zug —
innerhalb der Elasticitätsgrenze bleiben, gilt
das Gesetz, dass die Grösse der bewirkten
Formänderung (Zusammendrückung, Aus¬
dehnung, Biegung, Drehung) in gleichem
Verhältniss mit der Grösse der wirksamen
Kräfte wächst; so ist die Ausdehnung, welche
ein elastischer Metalldraht durch ein ange¬
hängtes Gewicht erfährt, der Grösse des Ge¬
wichtes proportional. Jene Zahl, welche nun für
eine Substanz anzeigt, um welchen Bruchtheil
seiner ursprünglichen Länge ein aus der¬
selben verfertigter Stab von 1 Quadratmilli¬
meter Querschnitt, mit einem Gewichte von
1 kg belastet, ausgedehnt wird, heisstE las ti-
citätscoöfficient oder Elasticitätsmodul.
Wird die Elasticitätsgrenze überschritten, so
erfolgt entweder eine stetige bleibende Ge¬
staltänderung des Körpers, ohne dass der
Zusammenhang der Theile sogleich gänzlich
elöst wird; in diesem Falle heisst der Körper
ehnbar; oder der Zusammenhang der
Theile wird plötzlich an einer Stelle gänzlich
unterbrochen, indem der Körper reisst oder
bricht; derselbe heisst dann spröde. Wäh¬
rend nun die flüssigen und gasförmigen
Körper eine permanente Elasticität besitzen,
d. h. nach dem Aufhören der Druckkraft voll¬
kommen wieder ihre frühere Form annehmen,
haben die Erfahrungen gelehrt, dass die festen
Körper unter andauernder Belastung ihre Ge¬
stalt bleibend ändern, sogar wenn diese Be¬
lastung nicht diejenige der Elasticitätsgrenze
erreicht; so verlieren Stahlfedern albnälig
ihre Kraft, Deckenbalken ziehen sich krumm
— daher darf in der Praxis die Belastung
der Bau- und Maschinentheile auch nur einen
gewissen Bruchtheil der Belastung für die
Elasticitätsgrenze betragen, darf also dieselbe
nicht erreichen.
Die Elasticität hat zahlreiche Anwen¬
dungen; die Elasticität der Stahlfedern be¬
wegt Uhren, Thürklinken, Telegraphenhebel,
sie dient zu Federwagen und zu Kraftmessern,
zum Schwächen der Wagenstösse u. s. w. Die
Elasticität der gasartigen Körper findet An¬
wendung in Luftkissen, Windbüchsen, Feuer¬
spritzen, sie ist die Ursache der meisten
Explosionen, der Wirkung des Schiesspulvers.
Zahllose Naturerscheinungen wären ohne
Elasticität nicht vorhanden: das Abprallen
der Körper von einander beim Stosse, die
Fortpflanzung des Stosses, die Schwingungen
der Theilchen aller Körper, also die Erschei¬
nungen des Schalles, des Lichtes, der Wärme
sind nur durch die Elasticität möglich. Lh.
Elastin wird die chemische Substanz be¬
nannt, welche man aus dem elastischen Ge¬
webe erhält, wie es in einigen Ligamenten, z. B.
im Nackenband des Rindes massig vorkommt,
wenn man ein solches mit Alkohol, Aether,
Wasser, concentrirter Essigsäure und mit ver¬
dünnter Natronlauge nach einander kocht. Nach
der Einwirkung aller dieser Reagentien behält
noch das Elastin seine ursprüngliche Form,
ist von gelber Farbe, im feuchten Zustande
dehnbar, nach dem Trocknen spröde. Das
Elastin ist in den obengenannten Reagentien
unlöslich, in concentrirter Alkalilauge löst es
sich unter Zersetzung. Durch Kochen mit
Wasser wird aus Elastin Elastinpepton
gewonnen, beim Kochen mit verdünnten Säuren
entsteht Hemiclastin, bei der Einwirkung
von Magensaft bilden sich ebenfalls diese
beiden Substanzen. Es wird übrigens lang¬
samer verdaut als Eiweisstoffe, dabei werden
die Fasern weich, quellen und lösen sich end¬
lich. Die chemische Zusammensetzung des
Elastins des Nackenbandes vom Rinde fand
Horbaczewsky im Mittel C54‘32, H6*99,
N 16*75, Asche 0’51%. Die Substanz ist
schwefelfrei. Loebisch.
Elastische Ligatur, s. Ligatur.
Elastisches Gewebe, s. Bindegewebe.
Elaterit, elastisches Erdpech (s. Erdöl),
war früher nur von der Odingrube in Derby -
shire bekannt; neuerlich wurde es in grossen
Stücken zu Newhaven in Connecticut aufge¬
funden. Es ist elastisch, biegsam nach Art
des Kautschuks, aber viel leichter zerreisslich.
Die Farbe des frischen Elaterit ist röthlich-
braun, durch Verwitterung wird sie schwarz.
Geruch bituminös. Die chemische Analyse er¬
gibt als Bestandtheile Kohlenstoff, Wasser¬
stoff und sehr wenig Sauerstoff Loebisch.
Elaterium album und nigrum wird der
durch Verdunsten eingeengte Fruchtsaft der
Springgurke, Momordica Elaterium L.
s. Ecbalium officinale Nees benannt,
dessen wirksamen Bestandtheil ein drastisch
wirkender Bitterstoff, das Elaterin, bildet,
welches im Elaterium album zu 15—50%
enthalten ist. Erschöpft man das weisse Ela¬
terium mit kochendem Weingeist, concentrirt
die Auszüge, dann fällt au* diesen das Ela¬
terin aus, welches durch Waschen mit Aether
und Umkrystallisiren aus absolutem Alkohol
rein erhalten wird. Das Elaterin hat die Zu¬
sammensetzung C* 0 H 18 O fi und krystallisirt in
farblosen, sechsseitigen Tafeln; es ist löslich
in Ammoniak und wird aus der Lösung durch
Säpren wieder abgeschieden, es bewirkt schon
in sehr geringen Dosen bei Thieren und
Menschen (3—6 mg) wässerige Stühle und
ruft Intoxicationserscheinungen, als: Flatulenz,
Eingenommenheit des Kopfes und heftiges
Erbrechen, hervor. Wegen der beträchtlichen
Wirkungsdifferenz verschiedener Handelssorten
hat das Elaterium als drastisches Abführmittel
keine allgemeine Anwendung gefunden. Lh.
Elaylchlorid, seine arzneiliche Wirkung,
s. Aethylenum chloratum.
Elbensteine, s. Fiebersteine.
Electuarium (v.Xe'xetv lecken), Lat wer ge,
eine teigartige Masse, die aus gepulverten
Arzneimitteln, aus einem Bindemittel (Eibisch¬
wurzelpulver, Leinmehl, Roggenmehl u. s. w.)
und aus Wasser besteht, das aber erst allmälig
zugesetzt wird, wenn das Bindemittel mit dem
Arzneipulver gut vermengt worden ist. Von letz¬
terem rechnet man beim Ordiniren 6—8 Theile
auf 1 Theil Bindemittel, und die Menge des zu¬
zusetzenden Wassers, das auch durch eine an
506 ELEKTA. — ELgKTRICITAT.
. dere Flüssigkeit, z. B. gelöste andere Arzneien,
einen süssen Saft (Syrup, Honig, Mohrrübensaft,
Roob Juniperi u. dgl.) ersetzt werden kann,
überlässt man am besten dem Apotheker,
indem auf dem Recepte die Formel beigefügt
wird: „quantum satis ut fiat electuarium 11 .
Will man sie dünner haben, so verlangt man
ein* electuarium molle v im anderen Falle
bereitet der Apotheker, wenn die Consistenz
‘nicht näher angegeben wurde, ein electuarium
s piss um, das nicht breiig, sondern mehr fest
ist;- erstere Latwerge ist leichter schlingbar,
was bei manchen Schleimhautleiden in den
oberen Wegen von Wichtigkeit ist, auch ver¬
breitet sie. sich leichter im Maul und kann
daher nicht so leicht wieder ausgeworfen
werden, namentlich wenn dazu Roggenmehl
verwendet wurde, während die mit Althäa-
pulver bereiteten mehr schlüpfrig sind und
daher eher aus dem. Maule gleiten können.
Diese Latwergenform empfiehlt sich besonders
bei denjenigen Hausthieren, bei welchen das
Eingeben flüssiger Arzneien dadurch, dass
leicht Theile derselben in die Luftwege und
Lungen gerathen, gefährlich ist, wie bei
Pferden und Schweinen (s. Eingeben von
Arzneimitteln), und verwendet man dazu
besonders solche Stoffe, welche nicht oder
schwer löslich sind, keinen besonders unan¬
genehmen Ges'chmack und Geruch und keine
reizenden oder scharfen Nebenwirkungen auf
die Schleimhaut der Maulhöhle haben. Die
Verabreichung in der Apotheke geschieht
entweder in Wachspapier oder besser in
irdenen Gefääsen. Vogel.
Elekta, s. Wolle.
Elektoral-Schaf, s. Merinoschaf.
Elektricität, thierische, nennt man
elektrische Ströme, welche durch die Lebens¬
erscheinungen von Thieren hervorgebracht
werden. Am frühesten wurde es von mehreren
Gattungea von Fischen bekannt, dass sie die
merkwürdige Fähigkeit besitzen, elektrische
Schläge hervorzubringen, deren sie sich als
"Angriffs- und Verteidigungswaffen bedienen.
Es sind dies namentlich der im Mittelmeer
vorkommende Zitterrochen (Torpedo Narke),
der im Nil und Senegal lebende Zitterwels
(Malapterurus electricus) und der in den Süss¬
wässern des tropischen Amerika einheimische
Zitteraal (Gymnotus electricus). Berührt man
mit beiden Händen diese Thiere, so erhält
man einen Schlag, dem Entladungsschlage
einer Leydener Flasche vergleichbar. Nach
Davy erhält man mittelst eines Drahtes
chemische, magnetische und Wärmewirkungen,
ja sogar Funken aus derselben; sie erteilen
die elektrischen Schläge willkürlich mittelst
eines besonderen, nervenreichen, elektrischen
Organes, welches bei den verschiedenen Gat¬
tungen verschiedenen Bau zeigt. Beim Zitter¬
aal erstreckt sich das elektrische Organ fast
durch die ganze .Länge des Körpers und be¬
steht aus 400 zellgewebartig in mehreren
Reihen neben einander stehenden Säulchen
— elektrischen Platten; beim Zitterrochen
liegt es zu beiden Seiten des scheibenförmigen
Körpers und besteht aus zahlreichen neben¬
einanderstehenden röhrenförmigen Zellen,
deren jede eine grosse Zahl von Querscheide¬
wänden enthält. In jede dieser Scheidewände
mündet ein Zweig von Nerven, die aus dem
Lobus electricus zwischen Vierhügel und ver¬
längertem Mark entspringen. Die Fische sind
fähig, mehrere elektrische Schläge nach ein¬
ander in kurzen. Zwischenräumen zu ertheileir,
hiebei erschöpft sich jedoch ihre Kraft all-
mälig, so dass zur Wiederherstellung derselben
eine Ruhezeit erforderlich ist. Die Zitterfische
selbst sind gegen die Wirkungen .elektrischer
Schläge von massiger Stärke unempfindlich.
Es ist im hohen Grade wahrscheinlich, dass
die elektrischen Organe der Zitterfische modi-
ficirte Muskeln sind, bei denen histologisch
die Nervenendigungen hochentwickelt, die con-
tractile Substanz aber geschwunden ist, und
bei deren physiologischer Thätigkeit die che¬
mische Spannkraft statt in Wärme oder in
mechanische Arbeit in Elektricität umgesetzt
wird. Für diese Auffassung spricht auch, dass
in den Embryonen diese Organe analog prä-
formirt sind wie die Muskeln.
Die eigentlichen Forschungen über thie¬
rische Elektricität beginnen jedoch erst mit
Aloys Galvani (1791), welcher durch den
Rückschlag auf Entladung der Elektrisir-
maschine Zuckungen in Froschschenkeln beob¬
achtete, die auch eintraten, wenn die Frosch¬
schenkel in Berührung mit zwei verschie¬
denen Metallen geriethen. Er verglich die
Muskeln mit einer Leydener Flasche (s. d.),
die Nerven mit der Zuleitung zur inneren Bele¬
gung und glaubte, dass den Nerven und Muskeln
eine selbständige Entwicklung von Elektricität
zukomme; Volta leitete jedocn das Zucken der
Froschmuskeln bei Berührung mit zwei ver¬
schiedenen Metallen von einem elektrischen
Strom her, dessen Quelle ausserhalb des
Froschpräparates liegt. A. v. Humboldt zeigte
später, dass im thierischen Körper zweifellos
Elektricitätsquellen liegen. Diese Studien
waren schon wieder vergessen, als Nobili mit
Hilfe des von ihm entdeckten Galvanometers
(1830) nachwies, dass, wenn*man die Enden
dieses empfindlichen Instrumentes mit dem
Becken und dem Fusse eines Frosches ver¬
bindet, die Nadel einen fortdauernden elek¬
trischen Strom in dem Schliessungskreise an¬
zeigt. Diesen Strom nannte er den Frosch¬
strom. Als Ursache dieser Erscheinung wurde
von Dubois-Reymond der von ihm im lebenden
Thierkörper aufgefundene Nerv-Muskelstrom
erkannt. Dieser Strom kann an jedem Muskel
und jedem Nerven gezeigt werden, wenn man
von einem Punkte eines Längsschnittes zu
einem Punkte eines Querschnittes einen um
ein empfindliches Galvanometer gehenden
Draht führt. Bei jeder Lebenserscheinung,
welche in Nerv und Muskel auftritt, zeigt die
Nadel des Galvanometers eine Aenderung.
Die Wirkung des Nerv-Muskelstromes zeigt
sich in der interessanten Thatsache, dass man
durch Krümmen eines Fingers die Nadel eines
eigens für diesen Versuch construirten höchst
empfindlichen, mehr als 6000 Windungen
enthaltenden Galvanometers ablenken kann,
ELEKTRISCHES LICHT.
507
dessen Drahtenden in zwei Glasgefasse voll
Salzwasser tauchen; hält man in jedes Ge-
fä8s einen Finger und krümmt den einen für
kurze Zeit, so bemerkt man eine Ablenkung
an der Nadel. Wie Dubois-Reyraond nachge¬
wiesen, werden also die Muskeln und Nerven
des lebenden Thieres von elektrischen Strömen
durchflossen. Aus den elektrischen Strömen
der einzelnen Muskeln und Nerven soll sich
der Gesammtstrom im Körper summiren, für
den Nobili’s oben erwähnter „Froschstrom“
ein Beispiel gibt. Nach dem Tode schwinden
die Ströme eher als die Reizbarkeit, sie er¬
halten sich im Muskel länger als im Nerven
(s. auch Muskel und Nerven).
An dieser Stelle mögen auch die physio¬
logischen Wirkungen des elektrischen Stromes
erwähnt werden, welche sich geltend machen,
sobald der Thierkörper oder ein Theil eines
solchen in den Stromkreis eingeschaltet wird.
Wenn der galvanische Strom durch den Körper
oder durch Körpertheile geht, so wird beim
Oeflhen und Schliessen des Stromes eine
schmerzhafte Zuckung empfunden, während
des Durchgehend wird bei einem schwachen
Strome nichts empfunden oder höchstens ein
Brennen an verletzten Stellen der die Pole
berührenden Theile; bei einem starken Strome
aber eine continuirliche innere Erschütterung,
welche bald Uebelbefinden erzeugt. Wird ein
schwacher Strom durch die dem Auge be¬
nachbarten Theile geleitet, so entsteht beim
Oeffnen und Schliessen desselben durch Rei¬
zung des Sehnerven Lichtempfindung in der
Form eines Lichtscheines; eine Reizung des
Hörnerven unter gleichen Umständen erzeugt
Schallempfindung, und leitet man den Strom
durch den Mund, so erzeugt der positive Pol
an der' Zunge einen sauren, der negative Pol
eihen alkalischen (laugenhaften) Geschmack.
Die Wirkung der Entladungsschläge, welche
durch die Conductorentladung der Elektrisir-
maschine oder der Leydener Flasche, auch
durch den Blitz bewirkt werden, beruht auf
der Wirkung des schnellen Wechsels der
Stromstärke, .durch welche eben in den Orga¬
nen heftige Erschütterungen hervorgebracht
werden. Sind nun die Centralorgane des
Nervensystems von einer starken Entladung
getroffen, so kann Betäubung und Tod durch
Nervenlähmung eintreten.
Will man Muskelzuckungen mit Hilfe
eines schwachen galvanischen Stromes hervor-
rufen, so muss der Strom schnell nach ein¬
ander unterbrochen und- dann wieder ge¬
schlossen werden. Dies geschieht z. B., wenn
man ein Blitzrad in den Schliessungsdraht
einschaltet; die einfachste Form desselben
ist ein Zahnrad, auf dessen Zähnen eine
Metallfeder schleift, zu welcher der eine Pol-
draht geht, während der andere mit der Rad-
achse verbunden ist. Werden nun dem in den
einen Draht eingeschalteten Thiere die Enden
desselben mittelst Elektroden auf gut leitende
Stellen der Körperoberfläche aufgesetzt, so ist
der Strom geschlossen, wenn bei dem Drehen
des Rädchens die Feder einen Zahn berührt;
der Strom ist geöflhet, wenn die Feder in
eine Zahnlücke ragt. Durch Drehung des
Rades wird also der Strom rasch hinter ein¬
ander geöffnet und geschlossen. Solche Ströme
heissen discontinuirliche, unterbrochene; sie
werden häufig zu Heilzwecken benützt. Zur
Herstellung derselben wendet man derzeit die
durch den elektro-magnetischen Inductions-
apparat erzeugten, von Faraday entdeckten
Inductionsströme (s. d.) an, welche man auch
als faradische Ströme bezeichnet, während
man das Heilverfahren „Faradisiren“ nennt.
Hiebei nimmt man an, dass die Leitung des
elektrischen Stromes im Thiere durch die
Nerven vermittelt wird; ein von fortwährend
unterbrochenen Strömen durchflossener Nerv
ist ein tetanisirter Nerv, er ruft in dem zu-
ehörigen Muskel eine dauernde Contraction,
en Tetanus, hervor.
Ausser dem eben erwähnten unterbro¬
chenen Strom wird auch der constante oder
galvanische Strom zu Heilzwecken benützt,
welcher entsteht, wenn man die beiden Pole
einer galvanischen Batterie durch einen Leiter
mit einander verbindet. In diesem Falle ist die
Entladung keine rasch vorübergehende, son¬
dern eine continuirliche, weil die von den beiden
Elementen einer solchen Batterie — Zink und
Kupfer — ausgehenden elektromotorischen
Kräfte die an sämratlichen Berührungsstellen
des Stromes vorhandenen elektrischen Diffe¬
renzen (welche sich aus der positiven und
negativen Elektricität ergeben) aufrecht er¬
halten, so oft und so lange auch die Aus¬
gleichung derselben angestrebt werden mag.
Wird nun ein lebendiger Nerv in -einer be¬
stimmten Strecke von einem constanten elek¬
trischen Strom durchflossen, so geht er in
den Zustand einer veränderten Erregbarkeit
über, den man den elektrotonischen Zustand
oder kurz Elektrotonus nennt, u. zw. erstreckt
sich der Zustand der veränderten Erregbar¬
keit nicht allein über die durchströmte
Strecke, sondern sie tlieilt sich den gesamm-
ten Nerven mit. Die Gesetze des Elektro¬
tonus kommen in der Nervenphysiologie zur
Anwendung. Loebisch.
Elektrisches Licht. Die Lichterscheinun¬
gen als Wirkung der Elektricität sind ver¬
schieden je nach der Art der Elektricität,
durch welche sie bewirkt werden. So kann
man mittelst der Elektrisirinaschine verschie¬
dene Formen der elektrischen Entladung mit
den sie begleitenden verschiedenen Licht¬
erscheinungen: Funkenentladung, Büschel¬
entladung und Glimmentladung, hervorrufen.
Als elektrisches Licht im engeren Sinne
wird jedoch nur die durch galvanische
Ströme erzeugte Lichtentwicklung bezeichnet.
Wenn man nämlich den metallenen Schlies¬
sungskreis eines kräftigen galvanischen Stro¬
mes an irgend einer Stelle unterbricht, so
springt zwischen den Unterbrechungsstellen
— Elektroden genannt — ein Funke über.
Dieser Funke ist aber nicht wie der Ent¬
ladungsfunke eine Vereinigung der beiden
Elektricitäten in der Luft, sondern eine Glüh¬
erscheinung; sie entsteht nur,, wenn die
Elektroden früher in Berührung waren. Diese
508
ELEKTRISIRMASCHINE.
Erscheinung wird so erklärt, dass beim Auf¬
hören der Berührung die letzten Moleküle
der Elektroden noch vom elektrischen Strom
durchflossen sind; sie bilden einen unendlich
dünnen und unendlich kurzen Draht, der in
die höchste Glut geräth. Die durch die
intensive Erhitzung an der Unterbrechungs-
stelle verflüchtigten Metalltheilchen bilden
dann einen die Stromleitung vermittelnden
glänzenden Lichtbogen zwischen den beiden
Elektroden, welcher der Davy’sche Licht¬
bogen genannt wird. Dieser Lichtbogen —
in der Elektrotechnik Bogenlicht genannt
— erscheint besonders glänzend, wenn bei
einer Kette von 50—60 Elementen oder im
Schliessungsdrahte einer dyuamo-elektrischen
Maschine an der Stelle der metallischen
Polenden Kohlenspitzen angewendet wer¬
den, die dabei zum hellsten Weissglühen er¬
hitzt werden und nebst dem sie verbindenden
Lichtbogen ein Licht ausstrahlen, welches an
Intensität schon bei 46 Bunsen’schen Ele¬
menten 0 * 235 des Sonnenlichtes beträgt. Beim
Glühen werden die Kohlenspitzen, auch me¬
tallene Polenden verbraucht, indem sie ver¬
brennen (nicht blos glühen): hiedurch wird
jedoch der Abstand der Spitzen vergrössert,
der Lichtbogen -verlischt daher bald, wenn
nicht der Abstand constant erhalten wird,
was durch den Kohlenlichtregulator
geschieht. Dieser muss das Licht constant
erhalten und einen sich nicht von der Stelle
bewegenden Lichtpunkt erzeugen, auch die
anfänglich sich berührenden Elektroden von
einander entfernen und beim Verlöschen des
Lichtes wieder näher an einander bringen.
Ist der Lichtbogen mit solch einem Regu¬
lator versehen, so hat man die elektrische
Lampe, welche derzeit zur Beleuchtung von
Bahnhöfen, Güterhallen, Fabriksräumen schon
sehr ausgedehnte Anwendung findet.
Eine zweite Form des durch den gal¬
vanischen Strom erzeugten elektrischen Lichtes
ist das Glühlicht. Dieses beruht auf der
Thatsache, dass, wenn der elektrische Strom
durch einen dünnen Metalldraht oder über¬
haupt durch einen Körper, welcher dem elek¬
trischen Strom einen grossen Widerstand
entgegensetzt, geht, derselbe eine Tempera¬
turerhöhung erfährt, die bis zur Glut, selbst
bis zum Schmelzen des Drahtes steigen kann.
Nach Joule ist die hiebei in einer bestimmten
Zeit entwickelte Wärmemenge dem Lei¬
tungswiderstande des Drahtes und dem
Quadrat der Stromstärke proportional. Es
handelt sich also bei der Erzeugung des Glüh¬
lichtes darum: 1. in den Schliessungsbogen
einen schlechten Elektricitätsleiter einzu¬
schalten, Platindrähte, Kohlenstäbe, um den
Leitungswiderstand zu erhöhen; 2. möglich
grosse Stromstärken anzuwenden, wie solche
nur mittelst der magnetelektrischen Maschinen
erreichbar sind.
Das Glühlicht (s. a. Beleuchtung thieri-
scher Körperhöhlen) ist jene Form des elek¬
trischen Lichtes, welche die Benützung des¬
selben selbst für kleinere Räume ermöglicht,
und dessen allgemeine Anwendung nur mehr
eine Frage der Zeit ist. Schon 1838 machte
Jobart den Vorschlag, kleine Kohlenstücke
durch den elektrischen Strom zur Glut zu
erhitzen, um auf diese Weise elektrisches
Licht zu erzeugen. Weil aber die Kohle, wie
beim Bogenlicht gezeigt wurde, beim Glühen
auch verbrennt, so gab Jobart an, dass man
die Kohlenstückchen in ein luftleeres Glas-
gefäss einschliessen müsse, wodurch die Ver¬
brennung bekanntlich unmöglich gemacht
wird; doch wurde eine brauchbare Lösung
dieser Aufgabe erst in den Jahren 18*77—1880
von Swan, Edison u. A. erreicht. Edison’s
Glüh lichtlampe, welche aus einem Raum
in den andern getragen werden kann, wie
irgend eine Petroleumlampe, besteht aus
einem bimförmigen, vollkommen luftdicht ver¬
schlossenen Glasgefäss, in welchem eine aus
Bambusfaser bereitete haarfeine Kohle in
Form einer einfachen Schleife von zwei Drähten
getragen wird. Diese Drähte sind am unteren
schmalen Ende des Gefasses in die Glas¬
wand eingeschmolzen, sie werden, wenn die
Lampe leuchten soll, an ihren aus dem Glas-
gefässe hervorragenden Enden mit der Strom¬
quelle in passender Weise verbunden. Vor
dem Zuschmelzen des bimförmigen Glas-
gefösses wurde die Luft aus demselben 4&rch
Auspumpen möglichst entfernt. Indem der
Strom nun den dünnen Kohlenfaden durch-
fliesst, findet er in diesem einen bedeutenden
Widerstand, der Kohlenfaden wird glühend und
strahlt ein intensives, ruhiges Licht aus. Lh.
Elektrisirmaschine. Will man grössere
Mengen freier Elektricität entwickeln, um
stärkere Wirkungen derselben zu haben, so
benützt man hiezu die Elektrisirmaschine,
welche auf dem Princip der Reibungs-
Elektricität beruht. Werden nämlich zwei
Körper an einander gerieben, so entsteht auf
dem einen der positive, auf dem anderen der
negative elektrische Zustand in gleicher
Stärke. Die Art der auf jedem geriebenen
Körper erregten Elektricität ist zunächst ab¬
hängig von dem Materiale, z. B. wird Glas
ohne Ausnahme positiv elektrisch beim Reiben
mit einem Amalgam (bestehend aus 2Gewichts-
theilen Zink und 1 Gewichtstheil Quecksilber
— Böttger’s Amalgam), auch werden Pelzwerk,
Wolle, Seide, Leinen, Papier und Metalle
unbedingt positiv, wenn sie mit Harzen,
Bernstein oder Schwefel gerieben werden;
ausserdem wird aber die Art der erregten
Elektricität auch durch sehr geringe Ver¬
schiedenheiten der Oberfläche, durch die Rich¬
tung der Reibung (bei Seidenbändern, ob sie
der Länge oder der Quere nach gerieben
werden) bestimmt. Die gewöhnliche Reibungs-
Elektrisirmaschine besteht aus dem Körper,
an welchem gerieben wird, aus dem reiben¬
den Körper oder Reib zeug und aus dem
zur Ansammlung der erzeugten Elektricität
dienenden Leiter oder Conductor. Als
Körper, an dem gerieben wird, benützt man
gewöhnlich eine kreisrunde Glasscheibe,
welche mittelst einer Kurbel um eine isoli-
rende Achse gedreht werden kann, als Reibzeug
dienen zwei mit Amalgam bestrichene Leder-
ELEKTRODIAGNOSTIK.
ELEKTRODYNAMIK.
909
kissen, welche von beiden Seiten her durch
massigen Federdruck gegen die Scheibe ge¬
drückt werden. Ueberdies befestigt man am
Reibzeug Lappen von Seidenzeug, welche
sich von beiden Seiten her gegen die Scheibe
legen, zu dem Zwecke, um die Zerstreuung
der Elektricität in die Luft, auf dem Wege
bis ,zum Conductor, zu verhindern. Der durch
Glasfüsse wohl isolirte Conductor besteht aus
Zink, Weissblech oder Messing und hat die
Gestalt einer Kugel oder . eines an beiden
• Enden mit Halbkugeln geschlossenen Cylin-
ders. Wünscht man an einer Stelle des Con-
ductors.eine grössere Menge Elektricität an¬
zusammeln, so gibt man dem Conductor
einen Fortsatz in Form eines längeren, dün¬
neren Cylinders, der in einen kugelförmigen
Knopf endet. Die auf der Scheibe erregte
Elektricität wird dem Conductor durch die
Einsauger zugeführt. Diese sind zwei Me¬
tallarme, welche beiden Flächen der Scheibe
gegenüberstehen und auf der inneren der
Scheibe zugekehrten Seite gewöhnlich mit
einer Reihe von Spitzen versehen sind. Da
die Dichtigkeit der Elektricität an den hervor¬
ragenden Theilen eines Leiters am grössten
ist und von hier aus am leichtesten eine
Zerstreuung derselben an die umgebende
Luft stattfindet, so müssen an allen übrigen
Theilen des Conductors hervorragende Kanten
und Spitzen sorgfältig vermieden werden.
Durch die Reibung des Amalgams mit dem
Glase wird nun das Reibzeug negativ, das
Glas positiv elektrisch. Die positive Elektri¬
cität der Scheibe wirkt, wenn sie durch
Drehung der Scheibe in die Nähe der Ein¬
sauger kommt, vertheilend auf die neutrale
Elektricität des Conductors. Die negative
wird angezogen und strömt aus den Spitzen
des Einsaugers auf die Scheibe über, deren
positive Elektricität dadurch neutralisirt wird.
Die abgestossene positive Elektricität des
Conductors bleibt dagegen auf diesem zurück
und saipmelt sich in den von der Scheibe
entfernteren Theilen desselben an, von wo
sie durch Ableitung nach dem Erdboden oder
durch Annäherung eines mit dem Boden ver¬
bundenen Leiters auf eine geringe Entfernung
in Form elektrischer Funken entfernt
werden kann. Um zu verhüten, dass ein
Theil der positiven Elektricität der Scheibe
durch die negative Elektricität, welche sich
auf dem Reibzeug ansammelt, neutralisirt
werde, muss das letztere während der Drehung
der Scheibe mit dem Erdboden in leitende
Verbindung gesetzt werden. Man kann jedoch
die Maschine auch so einrichten, dass auch
das Reibzeug isolirt werden kann; leitet man
dann die positive Elektricität des Conductors
zur Erde ab, so erhält man beim Drehen der
Scheibe vom Reibzeug negative Elektricität.
Anstatt des Glases kann man auch Hart¬
gummi als Körper, der gerieben wird, zur
Construction der Elektrisirmaschine benützen;
hiebei besteht das Reibzeug aus Pelzwerk.
Die erste Anlage der Elektrisirmaschine
rührt von Otto von Guericke aus Magde¬
burg, dem Erfinder der Luftpumpe, her (1672);
er benützte zur leichteren Erregung der
Elektricität durch Reibung eine um eine Achse
drehbare Schwefelkugel, bei welcher die Hand als
Reibzeug diente. Bei der von Armstrong 1849
constTuirten Dampf- Elektrisirmaschine
wird die Elektricität durch die Reibung hoch¬
gespannten Wasserdampfes an den Wänden
passend gestalteter Ausströmungsröhren er¬
zeugt, hiebei ist der Dampf positiv elektrisch,
der isolirte Kessel negativ elektrisch.
Die Elektrisirmaschine dient dazu, die Er¬
scheinungen der elektrischen Anziehung und
Abstossung (s. Elektroskop) sowie die auf dem
Princip der elektrischen Influenz beruhenden
in verstärktem Masse hervorzubringen; insbe¬
sondere lassen sieb mit Hilfe derselben die
verschiedenen Arten der elektrischen Ent¬
ladung und deren Wirkung auf den Thier¬
körper demonstriren und studiren. Lotbisch.
Elektrodiagnostik bezeichnet die Anwen¬
dung der Elektricität zu diagnostischen
Zwecken behufs Prüfung der Muskeln und
Nerven lebender Menschen auf ihre elektrischen
Eigenschaften in physiologischen und patholo¬
gischen Zuständen. Sie ist eine als methodische
Untersuchungsfonn ganz neue Disciplin, welche
auf der durch die Erfahrung erhärteten That-
sache beruht, dass gewisse functioneile und
anatomische Veränderungen mit bestimmten
Alterationen der elektrischen Eigenschaften
der Muskeln und Nerven Zusammenhängen.
Die Methode bedient sich als elektrodiagno-
stischer Apparate constanter galvanischer
Batterien, welche durch zweckmässige Ver¬
bindung der einzelnen Elemente die Einschal¬
tung einer beliebigen Zahl solcher und so die
Erreichung ganz bestimmter durch ein damit
verbundenes Galvanometer anzugebender Strom¬
stärke gestattet; der zur Verwendung kommende
Strom ist der inducirte, seltener der galvanische.
Die mit derartigen Störungen der elektrischen
Reaction der Muskeln und Nerven verbundenen
Erkrankungen sind besonders periphere und
von Alterationen der vorderen grauen Substanz
abhängige Lähmungen und Muskelatrophien,
während centrale Erkrankungen solche seltener
im Gefolge haben.
In der Thierheilkunde hat die Elektro¬
diagnostik wegen des Wegfalles uns zugäng¬
licher subjectiver Symptome bisher wohl noch
keine Verwendung gefunden und wird sie
auch nie in der Weise finden können wie bei
den Neuropathologen unter den Menschen¬
ärzten. Sussdorf.
Elektrodynamik. Der elektrische Strom
hat drei Arten von Ferne Wirkungen, u. zw.
1. dynamische, 2. magnetische und 3. elek¬
trische oder Inductionswirkungen. Die dyna¬
mischen, d. i. bewegenden Femewirkungen
bestehen darin, dass elektrische Ströme auf
einander und auf den Magnet einen bewegenden
Einfluss ausüben. Man nennt nun den Theil
der Lehre vom Galvanismus, welcher die
hiehergehörigen Erscheinungen in Betracht
zieht, auch Elektrodynamik. Sie behandelt die
Anziehung und Abstossung zweier elek¬
trischen Ströme auf einander, die Wirkung von
Magneten auf elektrische Ströme und die auf
olO ELEKTROLYSE. — ELEKTROPHYSIOLOGIE.
Wechselwirkung zwischen elektrischen Strö¬
men aufgebaute Ampfere’sche Theorie d£s
Magnetismus und schliesslich die Wirkung Ton
elektrischen Strömen auf Magnete. Loebisch .
Elektrolyse. Die chemische Zersetzung
eines chemisch zusammengesetzten Körpers
durch den galvanischen Strom bezeichnet
man als Elektrolyse. Schaltet man in den
Stromkreis einer aus mehreren galvanischen
Elementen gebildeten Kette einen chemisch
zusammengesetzten leitenden flüssigen Körper
. ein, z. B. Wasser, welches, um es besser
leitend zu machen, mit etwas Schwefelsäure
versetzt wurde, so beobachtet* man an den in
das Wasser tauchenden metallischen Leitungs¬
drähten oder Elektroden eine Gasentwicklung,
davon herrührend, dass das Wasser durchs
den galvanischen -Strom in seine chemischen
Elementarbestandtheile, in Wasserstoff und
Sauerstoff, zerlegt wird, welche beide gas¬
förmige Körper sind; zugleich kann man sich
überzeugen, dass sich Wasserstoffgas am
negativen PoL. Sauerstoff am positiven ab¬
scheidet. Man bezeichnet die durch die Wir¬
kung des Stromes sich zersetzenden Körper
als Elektrolyten. Die Drähte, durch welche
der Strom in den Elektrolyt eintritt, heissen
Elektroden, u. zw. diejenige Elektrode, durch
welche der positive Strom eintritt, die positive
Elektrode oder A n o d e, diejenige, durch welche
der negative Strom eintritt, die negative
Elektrode oder Kathode. Die an den Elek¬
troden ausgeschiedenen Bestandteile heissen
Jollen, u. zw. der am positiven Pol abge¬
schiedene elektronegative Bestandteil des
Elektrolyten das Anion, der am negativen
Pol abgeschiedene elektropositive Bestand¬
teil das Kation. Als Elektroden wendet
man am zweckmässigsten Platinplatten an,
zum mindesten muss bei der Zersetzung des
Wassers die Anode aus einem edlen Metall
bestehen, weil sich sonst der Sauerstoff nicht
gasförmig abscheidet, sondern mit dem Metall
* der Elektrode ein Oxyd bildet, welches sich
in der Säure auflöst. Die Menge des in einer
bestimmten Zeit an * den Elektroden abge¬
schiedenen Gases ist der Stromstärke pro¬
portional und unabhängig von der Gestalt
und Grösse der Elektroden, man kann daher
die Stromstärke messen, wenn man die Menge
des Sauerstoffs und Wasserstoffs bestimmt,
welche der Strom in einer bestimmten Zeit
aus angesäuertem Wasser entwickelt. Ein
für diesen Zweck eingerichteter Apparat heisst
Voltameter. Ebenso wie das Wasser werden
die meisten aus zwei Elementen bestehenden
chemischen Verbindungen zerlegt, wenn sie
im flüssigen oder gelösten Zustande der
Wirkung des Stromes ausgesetzt waren, u. zw.
werden durch denselben Strom aus verschie¬
denen Elektrolyten stets Mengen abgeschieden,
welche im Verhältnisse ihrer Aequivalent-
gewichte stehen, also derselbe Strom, der aus
Wasser in einer bestimmten Zeit 1 g Wasser¬
stoff abscheidet, wird in der gleichen Zeit
aus einer Kochsalzlösung 23 g Natrium ab¬
scheiden, weil 1 g Wasserstoff und 23 g Natrium
äquivalent sind.
An den Elektroden scheiden sich jedoch
nicht immer nur .chemisch einfache Körper
aus, sondern es können sich auch zusammen¬
gesetzte ‘Körper ausscheiden. Zerlegt man
z. B. eine concentrirte Lösung von Kupfer¬
vitriol, S0 4 Cu, durch den galvanischen Strom,
so wird sich an -der negativen Elektrode
metallisches Kupfer ausscheiden, an dem
positiven Pol wird hingegen die Atomgruppe
S0 4 abgeschieden, welche aber sofort in 0
und Schwefelsäureanhydrid, SO«, zerfällt;
letzteres löst sich in Wasser und bildet*
Schwefelsäure. Würden in einem solchen
Falle beide Elektroden aus Kupfer bestehen,
so würde an der «negativen Elektrode das
metallische Kupfer haften bleiben und das
Gewicht der Elektrode vermehren, an der
positiven Elektrode würde dagegen von der
Schwefelsäure eine gleiche Menge Kupfer
aufgelöst werdeü, und es würde sich wieder
Kupfervitriol bilden; die Folge davon ist,
dass die Zusammensetzung der Lösung immer
unverändert bleibt. Die Einwirkung der durch
den elektrischen Process abgeschiedenen
Atomgruppen auf die Elektroden, auf die
Elektrolyten und auf einander bewirkt eine
Reihe von chemischen Vorgängen, welche man
als secundäre Processe der Elektrolyse
bezeichnet. Auf der Abscheidung des Kupfers
an der negativen Elektrode beruht die von
Jacobi erfundene wichtigste technische
Anwendung der Elektrolyse, die Galvano¬
plastik. Es lässt sich nämlich der Kupfer¬
niederschlag, wenn er langsam’ und gleich-
mässig erfolgt, von der Elektrode, auf der er
sich gebildet hat, ablösen und gibt deren Ge¬
stalt (Münzen, Medaillen, Kunstgegenstände)
auf das genaueste wieder. Die Elektrolyse
findet ferner Anwendung zum Vergolden, Ver¬
silbern, Vernickeln: in der chemischen Praxis
dient sie zur Abscheidung von Metallen aus
ihren Verbindungen^ Loebisch.
Elektrophy8iologie. Die Physiologie lehrt
das Vorhandensein elektrischer Ströme in
Muskeln, Nerven und Drüsen. Die Autoren
fassen dieselben zum Theil (Du Bois-Reymotid)
als präexistent und dem lebenden Gewebe zu¬
kommend auf, ein anderer Theil (Hermann)
erachtet dieses im Ruhezustand für nur positiv
elektrisch, während er das Auftreten der nega¬
tiven Elektricität und so die Möglichkeit elek¬
trischer Ströme auf Thätigkeit. Verletzungen,
Absterben von Gewebsbestandtheilen zurück¬
führt. Die Prüfung des elektrischen Stromes
gescl lieht am einfachsten an parallel faserigen
Muskeln, z. B. dem M. sartorius des Frosches,
an welchen die Oberfläche als „natürlicher
Längsschnitt 41 von der an die Sehne anstos-
senden Grundfläche, dem „natürlichen Quer¬
schnitt 44 unterschieden wird; sie kann aber
auch an jedem excidirten Muskelstück vorge¬
nommen werden, das dann an Stelle der natür¬
lichen die künstlichen Längs- und Querschnitte
darbietet; an einem solchen nennt man
ferner eine genau in seiner Mitte rings uiu
den Muskel verlaufende Linie den „Aoquator 44
und die Mittelpunkte des Querschnittes die
„Pole 44 , alle jene Punkte aber, welche von dem
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ELEKTROPHYSIOLOGIE.
. 511
Aequator, resp. den Polen gleich weiten Abstand
einhalten, „symmetrische^ Punkte. Zum Nach¬
weis der an sich schwachen Ströme dient der
Multiplicator oder Elektrogalvanometer, welcher
in die Leitungsdrähte,-die Längs- und Quer¬
schnittverbinden, eingeschaltet wird. Vermit¬
telst dieser Vorrichtungen stellte Du Bois-Rey-
mond, der wissenschaftliche Begründer derElek-
trophysiologie, für die ruhende Muskulatur den
Satz auf: a) dass sich alle Theile des Quer¬
schnittes negativ elektrisch zu allen Theilen des
Längsschnittes verhalten, und dass demgemäss
der Strom durch den ableitenden Bogen vom
Längsschnitt zum Querschnitt verläuft, während
er im Muskel selbst vom Querschnitt zum
Längsschnitte geht, und b) dass sich jeder dem
Aequator nähere Punkt des Längsschnittes
positiv elektrisch -gegen jeden von diesem ent¬
fernteren Punkt verhält; c) er zeigte ferner
(vgl. dazu Fig. 470), dass ein, galvanischer
Strom nur dann entstände, wenn die Anord-
Fig. 470. Schema zur Demonstration der Muskelströme,
und zwar: bei I für den ruhenden, bei II für den thätigen
Muskel. A Aequator, P P' Pole des Muskelcylinders,
a nnd ß deuten die „wirksame“ Anordnung an, wie sie
zur Entstehung starker (a) und schwacher (ß) Ströme
ftlhrt, d entspricht der „unwirksamen“ Anordnung. In II
wird durch das Galvanometer die „negative Stromes-
schwaukung“ des th&tigen Muskels in aeT Stellung des
Zeigers 2, der bei dieser Anordnung des Schliessungs¬
bogens im ruhenden Muskel die Stellung l zeigen würde,
versinnlicht.
nung des Leitungsbogens eine „wirksame“ sei,
d. h. a) als stärkerer Strom, wenn die beiden
Enden dieses an Längs- und Querschnitt an-
liegen, ß) als schwacher, wenn sie unsymme¬
trische Punkte einer und derselben Fläche
(Längs- oder Querschnitt) berühren; d) für den
Fall der Anlegung der Leitungsdrähte an sym¬
metrische Punkte des Längs- oder Querschnittes
kann ein Strom nicht beobachtet werden, die
Anordnung ist eine „unwirksame“; e) die natmv
liehen Muskeln zeigen nun meist keine genau
senkrecht zum Längsschnitte stehenden Quer¬
schnitte, sondern bilden in der Regel sog.
„Muskelrhomben“ mit stumpfen und spitzen
Ecken. An solchen ist das geschilderte Ver¬
hältnis der elektrischen Spannungen zu ein¬
ander ein anderes. Es verhält sich hier nämlich
jeder einer stumpfen Ecke naheliegende Punkt
des Längs- oder Querschnittes stark positiv
zu einem der spitzen Ecke gleich naheliegenden
Punkte. Die durch Verbindung solcher Punkte
entstehenden Ströme sind stärker .als Oie bei
senkrechtem Querschnitte entstehenden, u. zw.
um so stärker, je schräger der Querschnitt.
Man nennt sie „Neigungsströme“.
“Aus der Kraft der Ströme ergibt sich
ferner, dass a) die Spannung der positiven
Elektricität, am Aequator am stärksten, allmälig
gegen das Ende des Längsschnittes abnimmt
und dort verschwindet, und dass b) die Span¬
nung der negativen Elektricität an den Poleh
am stärksten ist und ebenfalls bis zum Ende
des Querschnittes verschwindet; c) die elektro¬
motorische Kraft des Muskels ist um so grösser,
je länger und dicker derselbe, sie ist aber
auch dem kleinsten Muskelabschnitte eigen.
Die Grösse der elektromotorischen .Kraft
beträgt für die dicken Oberschenkelmuskeln
des Frosches ca. % 0 — i / l% Daniell (d. h. den
20.—12. Theil der Kraft eines DanieirscKen
Elementes); im Nerv, ischiad. des gleichen
Thieres ca. y fi0 Daniell, sie ist somit in diesem
relativ grösser als in den ersteren.
Die elektromotorische Wirksamkeit des
Muskels ist eine beschränkte, sie bedarf behufs
ihrer Entstehung eines wenn auch nur ganz
kurzen, Zeitabschnittes nach Anlegung des
Querschnittes (Hermann) und kaqn somit au
absolut frischen Muskeln, wie dem eben exci-
dirten Herzen (Engelmann), nicht nachgeiViesen
werden: sie verschwindet dagegen mit dem
Erlöschen der Muskelirritabilität, re^p. -mit
dem Eintritte der Todtenstarre (Roeber). Auch
andere Einflüsse alteriren sie, so lässt sie inner¬
halb der physiologischen Grenzen (also zwi¬
schen -f- 2 und 40 0 C.) erfolgende Temperatur¬
zunahme sich vermehren, höhere Grade schwä¬
chen die Stromstärke (Steiner).
Der Muskelstrom besitzt die gleichen
Eigenschaften wie der elektrische Strom. Er
veranlasst somit, auf einen motorischen Nerven
übergeleitet, als elektrischer Reiz Zuckung des
zugehörigen Muskels. Darauf beruht der Nach¬
weis des Stromes durch das v physiologische
Rheoskop“. Wird nämlich der mit seinem
Gastrocnemius in Verbindung stehende Ischia-
dicus gleichzeitig als Schliessungsbogen an
Längs- und Querschnitt eines frisch entnom¬
menen Muskels in „wirksamer“ Anordnung
angelegt, so zuckt der Gastrocnemius. Der
Muskelstrom hat auch die chemische Wirkung
des gewöhnlichen elektrischen Stromes; in
Jodkalium-Kleister geleitet, lässt er die Stärke
durch das am positiven Pole sich abscheidende
Jod sich blau färben; er wirkt also elektro¬
lytisch.
Die Erklärung des Zustandekommens der
elektrischen Ströme in Muskel- (und Nerven-)
Substanz gibt die Molekulartheorie Du Bois-
Reymond’s durch die Annahme kleiner elektro-
motorisch-thätiger Elemente, 'welche a priori
peripolar-elektrisch, d. h. mit positiver Aequa-
torialzone und negativen Polflächcn ausge¬
stattet seien. Wenn diese Aufstellung auch
einzelne der bezüglichen Erscheinungen zu er¬
klären vermag, so gibt sie doch für zahlreiche
derselben keinen genügenden Aufschluss, und
man ist deshalb neuerdings mehr der Her-
mann’schen Differenztheorie zugeneigt. Nach
dieser verhält sich der normale ruhende
C >
Google
ELEKTROSKOP.
513
Muskel- und Nerveninhalt positiv elektrisch,
in der Thätigkeit und mit dem Absterben
dagegen wird derselbe negativ, daher erscheint
an der verletzten Stelle negativ-elektrische
Substanz, die, mit der intacten, also positiven
Oberfläche in leitende Verbindung gebracht,
einen Strom entstehen lässt. Eine der Haupt¬
stützen für die grössere Wahrscheinlichkeit
dieser Hermann'schen Theorie liegt in der
Beobachtung einer Parelektronomie des
intacten Sehnenendes des Muskels, d; h. in der
Thatsache, dass der natürliche Querschnitt
positiv elektrisch ist und so wegen zuweilen
grösserer Spannung an diesem gegenüber dem
Längsschnitte den Strom in umgekehrter Rich¬
tung vom Quer- zum Längsschnitt treten lässt.
Die Thätigkeit des Muskels veranlasst
nun eine Modification der elektrischen Erschei¬
nungen, welche sich als „negative Stromes¬
schwankung“ ausspricht. Dieselbe besteht
in einer bis zum Verschwinden sich steigernden
Abnahme der elektrischen Spannungsdifferenz
im tetanisirten, vorher in hohem Grade elek¬
trisch-wirksamen Muskel, in Folge deren die
Ablenkung der Magnetnadel im Galvanometer
schliesslich, wegfällt (vgl. Fig. 470, II). Diese
auch der einfachen Zuckung am herausge¬
schnittenen und gereizten Skeletmuskel sowie
einer jeden Herzcontraction zukommende Er¬
scheinung läuft mit der gleichen Geschwin¬
digkeit wie die Contractionswelle vom gereizten
zum entgegengesetzten Ende des Muskels hin,
immer der Contraction der einzelnen Stelle
in kurzem Intervall, also während des Stadiums
der Latenz vorausgehend; man nennt sie eine
„Negativitätswelle“ in der elektromotorischen
Wirksamkeit des Muskels, sie dauert 0 • 003 Se-
cunden (Bernstein). Diese Schwankung in der
Stromesintensität, welche sich in der Negativi¬
tätswelle ausspricht, kann auch direct als Nerven¬
reiz wirken, sie veranlasst als solche nämlich
eine Zuckung (secundäre Zuckung) des Mus¬
kels, wenn man das oben als „physiologisches
Rheoskop“ bezeichnete Muskelnervenpräparat
des Frosches derart mit dem zuckenden Muskel
in Verbindung bringt, dass der N. ischiadicus
jenes den ableitenden Bogen darstellt.
Die bisher hauptsächlich als für den
Skeletrauskel giltig geschilderten Erscheinun¬
gen spielen sich in ganz ähnlicher Weise auch
ander organischen Muskulatur und den
Nerven ab. Die vorhandenen ‘Differenzen
beziehen sich im Wesentlichen nur auf die
Stärke des elektrischen Stromes, die Ge¬
schwindigkeit der Negativität«wellen (ca. 3 m
in einer Secunde im quergestreiften Muskel,
beträgt sie etwa 37 m im Nerven, kommt
also in beiden Geweben der Fortpflanzungs¬
geschwindigkeit der Erregung selbst gleich) etc.
Aber, wie schon erwähnt, auch die Drüsen
zeigen galvanische Ströme, besonders die
drüsenreichen Häute und Schleimhäute des
Frosches besitzen eine von der Aussen- gegen
die Innenfläche gerichtete elektromotorische
Kraft, von der nach Du Bois-Reymond und
Rosenthal auch Spuren bei Menschen und
Warmblütern nachzuweisen sind. Durch Aetzung
der Oberfläche werden diese Ströme schnell
vernichtet, weshalb der intacten Haut- oder
Schleimhautstelle ein» negativ-elektrisches Ver¬
halten gegenüber der angeätzten zugeschrieben
wird; durch Reizung der secretorischen Haut¬
nerven erleiden diese Drüsenströme Verände¬
rungen, sie zeigen ebenfalls die negative
Schwankung.
Elektrische Erscheinungen bieten uns in
Weiterem gewisse Fischarten (Torpedo, Gym-
notus, Malapterurus) dar, welche, mit beson¬
derem elektrischen Organe ausgestattet, will¬
kürlich oder reflectorisch kräftige Schläge
auszutheilen und dadurch selbst Pferde zu
betäuben und zu tödten vermögen. Das Organ
besteht aus Reihen von „Kästchen“, welche
durch Bindegewebe umgrenzt und mit einer
gallertartigen Substanz gefüllt sind; zu einem
jeden dieser Kästchen treten Nervenfasern, die
sich zu Netzen formiren, und deren Ausläufer,
in das Kästchen eindringend, dort eine (Ner¬
venend-) Platte bilden, welche als „elektrische
Platte“ bei Reizung der Nerven an der einen
Seite positiv, an der anderen negativ elektrisch
werden, so dass nunmehr die einander zuge¬
wendeten Flächen, durch die den Tuchläppchen
der Volta’schen Säule entsprechenden binde¬
gewebigen Dissepimente getrennt, mit ent¬
gegengesetzter Elektricität geladen sind. Durch
Summirung der äusserst zahlreichen Plättchen,
die bei dem Zitterwels den* ganzen Rumpf
umgeben, entstehen äusserst kräftige Gesammt-
ströme.
Endlich treten an dem lebenden und
todten Körper noch gewisse Erscheinungen
der Contact-Elektricität hervor, welche‘durch
das Reiben zwischen den epidermoidalen Bildun¬
gen der Haut (Haare, Federn etc.) und der Körper¬
bedeckung oder der streichenden Hand, ja
sogar zwischen den genannten Gebilden selbst
hervorgerufen werden; dieselben werden näm¬
lich durch Friction im Allgemeinen positiv
elektrisch, eine Entladungsgelegenheit aber
wird für gewöhnlich durch den Contact mit dem
Erdboden geboten, und erst wenn der Körper
durch Stehen auf isolirenden Teppichen etc.
nicht in directer Berührung mit dem Erdboden
sich befindet, kommt es zu stärkeren Ladungen
mit Funkengeben.
Die Elektrophysiolagie kann nun auch
noch die Besprechung jener Veränderungen
umfassen, welche aus der Einwirkung, des
elektrischen Stromes auf gewisse Organe,
Gewebsbestandtheile etc. resultiren. Dieselben
fallen indessen in das Gebiet der speciellen
Physiologie selbst und können somit nicht
im Allgemeinen geschildert werden. Sussdorf.
Elektroskop nennt man einen kleinen
Apparat, der insbesondere zur Wahrnehmung
der Reibungselektricität, auch zur annähernden
Beurtheilung kleinerElektricitätsmengen dient.
Die mit Messvorrichtungen versehenen Elek-
troskope bezeichnet man richtiger als Elektro¬
meter. Die am häufigsten gebrauchten Elek-
troskope haben folgende Einrichtung: Ein
Messingdraht, welcher an seinem oberen Ende
mit einem kugelförmigen Knopf oder einem
Plättchen versehen ist, trägt an seinem
unteren Ende zwei neben einander aufgehängte
ELEKTROTHERAPIE. S13
leicht bewegliche Körper. Bei dem Elektro-
skop von Cavallo sind diese beweglichen
Körper feine Silberdrähte, bei dem von Volta
Strohhalme, während Bennet schmale Streifen
von Blattgold anwendet. Das untere Ende des
Messingdrahtes nebst den daran befestigten
Goldplättchen ist zum Schutz gegen Beschä¬
digung und gegen Luftströmungen, überdies
zur Vermeidung einer schnellen Zerstreuung
der Elektricität in einem Glasgefäss einge¬
schlossen, durch dessen Hals der Messing¬
draht mittelst Schellack isolirt hindurchge¬
führt ist. Der Nachweis, dass irgend ein
Körper elektrisch ist, mittelst des Elektro-
skopes beruht nun auf dem Princip, dass die
gleichnamigen Elektricitäten einander ab-
stossen. Nähert man den Knopf desElektro-
skopes einem elektrischen Körper, so weichen
die Goldplättchen auseinander, indem sie
leichnamig elektrisch werden und in Folge
essen einander abstossen. Um mittelst des
Elektroskopes zu prüfen, ob irgend eine Elek¬
tricität positiv oder negativ ist, verfährt man
in folgender Weise. Man ertheilt zunächst
dem Elektroskop selbst eine bestimmte Elek¬
tricität, z. B. indem man dem Knopfe einen
geriebenen Glasstab nähert, negative Elek¬
tricität (die hiebei durch das Glas verdrängte
positive Elektricität wird durch Berührung
mit dem leitenden Finger fortgeführt); es
stehen hiebei die Goldplättchen des Elek-
troskops auseinander. Nähert man sich nun
dem Knopfe mit einem Körper, z. B. mit einer
geriebenen Stange aus Siegellack, so wird man
eine Bewegung der Plättchen wahrnehmen,
dieses deutet das Vorhandensein von Elek¬
tricität an. Ist nun die Elektricität die gleich¬
namige, mit welcher das Elektroskop geladen
ist, so gehen die Plättchen weiter auseinander,
denn zu der vorhandenen kommt noch die
des genäherten Körpers, es findet also eine
noch stärkere Abstossung statt. Ist der ge¬
näherte Körper — wie in unserem Falle — ent¬
gegengesetzt elektrisch, so gehen die Plätt¬
chen zusammen, ihre Elektricität wird von
der genäherten fremden gebunden, die Ab-
stossungserscheinungen vermindern sich bis
zum gänzlichen Zusammenfallen der Plättchen.
Sie gehen wieder auseinander, wenn man den
genäherten Körper entfernt (vorausgesetzt
dass er den Knopf oder das Plättchen des
Instrumentes nicht berührt hat). Loebisck .
Elektrotherapie nennt man die Anwen¬
dung der Elektricität als Heilmittel gegen
Krankheiten; dieselbe wird vielfach als ein
kräftiges Mittelwegen Schwäche und Lähmung
der Nerven- und Muskelthätigkeit betrachtet.
Die Anwendung dieses dynamischen Mittels hat
bis jetzt besonders in der Menschenheilkunde
Anhänger gefunden; in der Thierheilkunde
wurden fast nur Versuche gemacht. — Diese
Heilmethode- ist selbstverständlich von den
Kenntnissen und Fortschritten in der Physik
abhängig gewesen und ist selbst erst in
moderner Zeit recht in Ehren gekommen.
Während Einige an einen heilbringenden
Einfluss glauben, wird dieser Einfluss auf
den thierischen Organismus von Anderen mehr
Koch. Encyklopälie d. Thierheilkd. II. Bd.
oder weniger bezweifelt, von Manchen selbst
gänzlich abgesprochen; sie nehmen nicht an,
dass die Elektricität, welche man leiten, auf¬
bewahren, sozusagen greifen kann, mit dem
subtilen Lebensfluid zu -identificiren ist.
Eine solche Umwandlung der Kräfte ist
auch gar nicht nöthig, und es kann die Wir¬
kung der Elektricität eine heilbringende sein,
wenn sie nur die Lebensthätigkeit unterstützt
und in den angezeigten Stellen stärkt.
Wärme und Licht wirken ja auch auf die
Lebensthätigkeit nach specieller Art, und beide
Kräfte werden als Heilmittel benützt. Nicht
nur bei jeder Bewegung ist Production und
Consumtion von Elektricität, sondern auch bei
jeder Thätigkeit der Nerven und selbst beim
normalen Stoffwechsel ist dies der Fall (Aldini,
Nobili, Du Bois-Reymond). Die Erzeugung von
Elektricität sichert .selbst diesen Stoffwechsel.
Auf diese Weise erklärt sich die auflösende
Wirkung des längere Zeit benützten elektri¬
schen Stromes mit nur gelinden Zuckungen*
die hydropischen Ausschwitzungen sind nach
andauernder Anwendung der Elektricität ver¬
schwunden (Caussö, Rodet). Ein künstlicher
Strom kann sich dem natürlichen nur hinzu¬
gesellen; diesen zu ersetzen,* ist nicht möglich
(Aldini). Darum ist in Lähmungen ein Erfolg
von der Anwendung der Elektricität nur dann
zu hoffen, wenn der physiologische Strom
noch vorhanden ist.
Die gewöhnliche Elektricität der Luft,
besonders in gewissen Gegenden, in Waldungen,
übt auf den thierischen Organismus eine
wohlthuende Wirkung, u. zw. sowohl: auf die
Nerven, den Kreislauf und das Athmen, als
auch auf die Ernährung und die Sccretionen.
Diese nervenstärkende Wirkung erhält man
auch durch andauerndes Einwirken des elek¬
trischen Stromes, selbst wenn keine Zuckungen
provöcirt werden.
Die durch Reibung erzeugte Elektricität
wurde durch die Condvctorentladung der
Elektrisirmaschiüe, durch Entladung der Ley-
den’sche Flasche oder der elektrischen Batterie
zuweilen gebraucht. Jedes Sinnesorgan wurde
dadurch in seiner eigentümlichen Weise afficirt,
indem sich die Wirkung als Nervenreizung
äusserte. Jedoch die Reizungen der Nerven
waren entweder zu schwach oder zu stark, so
dass selbst Betäubung und Tod durch Nerven¬
lähmung eintreten konnte.
Die durch Berührung entwickelte Elektri¬
cität (nach Galvani) w*urde kaum versucht:
dieselbe spielt jedoch eine Rolle in den aus
zwei verschiedenen sich berührenden Metallen
gebildeten Ringen, Ketten oder Platten. In
einer aus Zink und Kupfer gebildeten Platte
erhält das erste Metall die positive, das andere
die negative Elektricität. Die Spannung der
erregten Elektricität ist stets eine geringe,
und der heilbringende Effect höchstens nach
längerer Zeit sichtbar.
Erst nachdem Volta die elektromotorische
Kraft erzeugte und dadurch elektrische Ströme
entstanden, fand die Medicin ejn brauchbares
Heilmittel. Die Elektricität wurde durch zwei
verschiedene Metalle in einer leitenden Flüssig-
33
ELEKTROTHERAPIE.
SI4
keit, welche auf die Metalle leicht chemisch
reagirte (das galvanische Element), gebildet.
Zur Production dieser elektrischen Ströme
wurden aus mehreren Elementen gebildete
Säulen oder Ketten (Riles) von verschiedenen
Formen gebaut.' Zuerst Trog* oder Becher¬
apparate, wo in die Flüssigkeit eine Reihe
von Kupfer- und Zinkplatten tauchen (meist
je ein Element fn einem Becher). Jede dieser
Zinkplatten ist mit der Kupferplatte des be¬
nachbarten Elementes entweder durch Löthung
oder durch Klemmschrauben verbunden. Die
Elektricität geht zq den Polen: der positive
Strom zum Kupfer und der negative zum
Zink. Diese Ketten haben den Uebelstand,
dass ihre Wirksamkeit schnell abninrmt, dass
ihre Stärke herabsinkt, und sie “hatten in
Heilversuchen nur selten einen Erfolg, wurden
auch nur'wenig benützt. Jedoch hatte Marianini
•einigen Erfolg bei Lähmungen, *so auch der
Thierarzt^Vierodt in Karlsruhe. Mugendie,
Andral undRemack hatten Erfolg bei erstickten
Thieren und Menschen; atfch wurden rheu¬
matische Leiden geheilt. Die neueren Ketten,
wo Kohle und Zink in doppeltsaurer Queck¬
silberlösung oder in einer Lösung von doppelt¬
chromsaurem Kali in verdünnte Schwefelsäure
tauchen, haben jedoch eine anhaltende Wirkung
und sind den doppeltflüssigen Ketten vorzu¬
ziehen, besonders wenn man sie mitlnductions-
apparaten verbindet. Hier ist noch die Verbin¬
dung der Elektricität mit der Acupunctur zu
erwähnen, wo man entweder die Pole mit
einer galvanischen Säule in Verbindung bringt
oder die-Nadeln selbst aus den beiden Metallen
fabricirt. Sarlandiöre und- Fabrö-Palaprat
hatten Erfolg bei Menschen in Lähmung,
Rheumen u. s. w. Prövost, Clichy, Caussö,
Flamens, Armbrecht hatten Erfolg bei Thieren
in Paralysen. Caussö heilte Aufblähung und
Magenkoller, so auch Brogniez.
Der erwähnte Uebelstand des Sinkens
der Wirksamkeit der elektrischen Ketten
wurde durch die sog. constanten Kettep ver¬
mieden; das äusserliche Merkmal dieser con-
8tanten Ketten besteht darin, dass dieselben
aus zwei Metallen und zwei verschiedenen
Flüssigkeiten zusammengesetzt sind. Es ge¬
hören hieher das DanielPsche, das Grove'sche
und das Bunsen’sche Element; letzteres ist
das gebrauchteste: in einemJThoncylinder ist
Kohle in concentrirter Salpetersäure und Zink
in verdünnter Schwefelsäure.
Die physiologischen Wirkungen der vol"
taischen Ströme auf den menschlichen und
thierischen Organismus sind andauernder als
diejenigen, welche durch Reibungselektricität
erzeugt sind; sie treten namentlich im Augen¬
blick des Entstehens und Verschwindens des
elektrischen Stromes hervor. Die Thiere
reagiren ungewöhnlich stark auf den elektri¬
schen Strom, und es ist gut, die Thiere stets
zu .fesseln. Der Apparat muss auch in ge¬
höriger Entfernung aufgestellt werden. In der
Thierheilkunde ist nicht zu vergessen, dass
Horn und Haare die Elektricität werfig oder
nicht leiten. "Mittelst der constanten Ketten
hat man mehrere Heilungen von Lähmungen,
rheumatischen Leiden erhalten, -auch verschie¬
dene Schwächezustände sind geheilt worden.
* Erst nachdem durch Faraday die Induc-
tionsströme entdeckt wurden, zeigte sich die
Elektricität geeignet, kräftige physiologische
Wirkungen zu erzeugen. Diese Inductions-
ströme werden dadurch erzeugt, dass im
Augenblick des Entstehens oder Verschwindens
eines elektrischen Stromes in benachbarten ge¬
schlossenen Stromleitern ebenfalls elektrische
,Ströme erzeugt werden; ähnliche Inductions-
strörae werden hervorgerufen, indem einem
geschlossenen Stromleiter ein Magnetstab an¬
genähert oder von ihm entfernt wird. Die Er¬
zeugung starker physiologischer Wirkungen
auf den t^hierischen und menschlichen Körper
ist besonders der schnellen Aufeinanderfolge
discontinuirlicher Ströme zuzuschreiben; sie
bilden gewissermassen ein Mittelglied zwischen
dem galvanischen Strom und dem Entladungs¬
strom der Leydener Batterie.
Es werden heute sehr praktische, selbst
in Verbandtaschen tragbare Inductionsappa-
rate zu Heilzwecken construirt, andere werden
in Kästchen transportirt. So sind die Naf sehen,
Gaiffe’schen, die Duchene’schen, die Masson-
schen Apparate von Aerzten- und Thierärzten
sehr gebraucht und heute in der Menschenheil¬
kunde sowie in der Thierheilkunde ausschliess¬
lich benützt. Alles, was wir. weiter unten von
neueren Heilresultaten sagen werden, ist mit¬
telst dieser Inductionsapparate erhalten worden.
Behufs Einwirkung* der Elektricität auf
den lebenden Organismus braucht man Lei¬
tungsapparate, sog. Conductoren. Als solche
Conductoren dienen meistens Metalldrähte
(mit Seide bedeckt), welche von den Polen
des Apparates auf dje angefeuchtete Haut
des Thieres geführt werden. Behufs besserer
Einwirkung auf die Haut werden auf dieselbe
mit den Drähten verbundene Platten (Excita-
toren) gelegt. Mittelst der Conductoren strömt
die erregte Elektricität durch die zwischen
den Conductoren befindlichen Muskelpartien,
ja sie ergreift selbst die in der Nähe ge¬
legenen oder durch Nerven mit jenen ver¬
bundenen Muskeln mit einer Stärke, die sich*
nach der Stärke des Apparates biä zu den
heftigsten Contractionen mit deutlichen Aus¬
brüchen von Schmerz steigern lässt. So oft
einer der Conductoren entfernt wird, lässt
der Krampf nach, wird jener wieder angesetzt,
so durchzuckt ein Schlag die Muskeln. Matr
hat behufs specieller Zwecke knopfartige,
olivenförmige, pinselartige Excitatoren con¬
struirt: andere sind mit mittelst Salzwassers
zu befeuchtenden Schwämmchen versehen
endlich werden in einigen Fällen Bäder als
Excitatoren benützt. Damit der elektrische
Strom nicht in. die Hände des Operateurs
übergehe, muss derselbe die’Conductoren mit
trockenen Holzstäbchen halten oder mit trocke¬
nem Flanell umwickeln; es muss ferner darauf
gesehen werden, dass die Leitungsdrähte
weder unter einander, noch mit feuchten
Gegenständen (z. B.'dera Boden) in Berührung
kommen. Da, wie schon gesagt, die Thiere
für den elektrischen Strom ungewöhnlich
ELEKTROTONUS.
empfindlich sind, ja verh<nissmässig viel
mehr als der Mensch, so hat der Operateur
sich ganz besonders vor j}em Gebrauch der
natürlichen Waffen der Thiere, vor Beissen
und Treten zu hüten: er muss in gehöriger
Entfernung, operiren, und darum empfehlen
sich die von Zündel beschriebenen Stab-
eicitatoren, welche l*20m Länge haben.
Dqt elektrische Strom der Inductions-
apparate ist meist gegen Nervenkrankheiten-
benützt worden, worunter in erste Linie sich
die Lähmungen stellen, sei es die Kreuz -
lähmung, sei es eine mehr locale Paralysie.
Ströme, welche nicht zu* stark wirken, und
solche mit geringeren Zuckungen sind hier
vorgezogen. Duchene, Purkinje, Sprenger,
Hering und Laquerriöre haben erkannt, dass
Lähmungen der Empfindung leichter durch die
Wirkung der Elektricität behoben werden, als
solche der Bewegung. Lähmung der Harn¬
blase und des Rectüras verschwinden ziemlich
schnell nach Anwendung der Elektricität, be¬
sonders wenn die Erkrankung nicht zu frisch
entstanden ist (Lafosse, Bourrel,* Zündel,
Hering, Ldgier, Laquerriere). Einige dieser
Thierärzte .operirten mittelst einer in die
Harnblase eingebrachten Sonde. Die Heilung
einer Lähmung ist, wie oben schon ange¬
geben, nur dann möglich, wenn der physiolo¬
gische Strom noch in den Nerven vorhanden,
also nur vermindert ist. Fehlt dieser physio¬
logische Strom, was vorkommt, wenn die Ver¬
bindung der Nerven mit dem Gehirn oder
dem Rückenmark fehlt, so ist an eine Heilung
gar nicht zu denken (Aldini, Remack). Nach
den Lähmungen sind es die rheumatischen
Leiden, welche am meisten mittelst Elektri¬
cität behandelt wurden; die Folgen waren
aber sehr verschieden, und es sind Fälle
bekannt, wo das Uebel noch ärger wurde;
dies geschah besonders dann, wenn das Leiden
etwas acut war, was bei Hunden häufig vor¬
kommt. Die intermittirende Schulterlähme ist
von Laquerrifere, Mairemangin. Haas, Fuchs ge¬
heiltworden. Die Behandlung musste in solchen
Fällen mehrere Wochen hindurch und mit we¬
nigstens zwei Anwendungen der Elektricität
am Tage fortgesetzt werden; Starrkrampf ist
von Kuhn mittelst anhaltenden elektrischen
Stromes mit Erfolg geheilt worden. Convulsive
Krankheiten, wie Veitstanz der Hunde, Hah¬
nentritt der Pferde, sind nie geheilt worden.
In Sohwächekrar.kheiten mit mehr oder
weniger Wassererguss haben Petrequin und
Rodet, sowie auch Clement einige Erfolge
gehabt. Bei Mangel an Thätigkeit des Magens
und der Gedärme, bei Mangel an peristal-
tischen Bewegungen der Baucheingeweide hat
Laquerriöre Erfolge erzielt. Die Stoffe, welche
in den Gedärmen sich befinden, namentlich
die Gase, sollen fortgetrieben werden; Laquer-
riöre erzielte einen Erfolg, indem er die Elek¬
tricität durch Einschnitte der Bauchwände
^direct auf die Gedärme einwirken liess.
‘Gleichen Erfolg erzielte Zündel, indem er
durch die angeieuchteten Bauchwände an den
passenden Stellen auf die Eingeweide wirkte.
Herder, Hewgthon haben die Elektricität be¬
nützt, um die Uteruscontractioncn beim Ge¬
bären zu provociren, was Brogniez schon
vor Jahren gemacht hatte.
Anwendungen der Elektricität behufs Auf¬
lösung von Geschwülsten, ja selbst von Harn¬
steinen, welche in der Men^phenheilkunde mit
Erfolg ausgeführt wurden, sind bis jetzt in
der thierärztlichen Praxis noch nicht vorge¬
nommen worden, obschon die von Dumas und
Prdvost gemachten Hamsteinauflösungsver-
suche an Hunden unternommen wurden. ZI.
Elektrotonus ist der Zustand, in welchen
ein von dem faradischen (inducirten) Strome
durchflossener Nerv versetzt wird. Derselbe
spricht sich aus 1. durch Veränderungen in
den elektromotorischen Eigenschaften des
Nerven: der Nervenstrom (s. Elektrophysio-
logie) wird durch einen gleichgerichteten
constanten Strom verstärkt, durch einen ent-
gegengesetzten abgeschwächt (positive, r^sp.
negative Phase des Elektrotonus). t. Im
Elektrotonus tritt auch eine Modification-in
der Erregbarkeit des Nerven ein: in der
Nähe der Einwirkungsstdle des positiven
Poles (Anode) des betreffenden inducirten
Stromes herrscht verminderte Erregbarkeit
(Anelektrotonus), in der Umgebung derjeni¬
gen des negativen Poles (Kathode) dagegen
vermehrte Erregbarkeit des Nerven (Katelek-
trotonus). Zwischen beiden existirt als neu¬
trale Grenze unveränderter Erregbarkeit der
Indifferenzpunkt, der bei starken Strömen
näher der Kathode, bei schwachen näher der
Anode liegt. Bei Anwendung sehr starker
Ströme tritt im Bereiche des Anelektrotonus
neben der Erregbarkeitsverminderuog auch
noch Verlust der Leitungsfähigkeit ein. Diese
Veränderuhgen der Nervenerregbarkeit im
Elektrotonus erstrecken sich nicht bl$s auf
die vom Strome direct durchflossene Strecke,
sondern auch auf die ausserhalb derselben
gelegene Partie („extrapolare Strecke“) des
Nerven, sie verlöschen aber von den Polen
gegen die Peripherie und sind demnach in
der Gegend der Pole immer am meisten
bemerkbar. 3. Da das Entstehen und Ver¬
schwinden des Elektrotonus mit Aenderungen
in der Vertheilung der Elektricität und elek¬
trischen Spannung im Nerven verbunden ist,*
so wirkt dasselbe selbst auch als Reiz auf den
Nerven ein. Die Erregungjlieses erfolgt aber
nicht bei jeder Schliessung und Oeffnung der
Kette, sondern bei Schliessung derselben nur
dann, wenn sie an der Kathode, bei Oeffnung'
nur,, wenn sie an der Anode stattfindet; als
stärkerer Reiz* erweist sich dabei der Schlies¬
sungsreiz an der Kathode. Der Satz verlangt
auch insofern noch weitere Einschränkung,
als nicht jede Schliessungen der Kathode
und nicht jede Oeffnupg an der Anode -ein
Reiz ist, sondern auch noch die Stärke und
Richtung deg Stromes auf die Entstehung einer
Erregung wesentlich mit Influenz ausübt. Es er¬
gibt sich dafür für den motorischen, also wenn
erregt durch eine Muskelzuckung antwor¬
tenden Nerven folgendes Gesetz, „Zuckungs¬
gesetz“: a) sehr schwache Ströme bewirken
nur Schliessungszuckung, gleichgiltig ob ab-
33 *
516
ELEMENTE.
oder aufsteigend applicirt (der Oeffnungsreiz
ist nach Obigem zu unbedeutend, um Erre¬
gung herbeizuführen); b) mittelstarke Ströme
dagegen bewirken Oeffnungs- und Schlies¬
sungszuckung, gleichgiltig ob der Reiz ab- oder
aufsteigend applicirt wird (in beiden Fällen ist
der Reiz gross genug, um den Nerven zur Thä-
tigkeit zu erregen); c) sehr intensive Ströme
bewirken aufsteigend nur Oefinungs-, abstei¬
gend nur Schliessungszuckung (in beiden
Fällen fallt die entgegengesetzte Zuckung
wegen der durch den starken Strom herbeige¬
führten Leitungsunfähigkeit der anelektroto-
nisch intrapolaren Nervenstrecke weg). Sf.
Elemente nennt man in der Chemie die
Urstoffe, aus welchen sämmtliche Körper be¬
stehen, und welche bis jetzt durch kein Mittel
in einfachere Bestandtheile zerlegt werden
können. Solche Elemente sind: Sauerstoff,
Kupfer, Gold u. s. w. Keine physikalische
Eigenschaft als solche ist charakteristisch für
den Begriff des Elementes als die, dass es
nicht mehr chemisch theilbar ist; in dem
Moment, wo es gelingen würde, das Jod zu
zerlegen, würde das Jod eben aufhören, ein
Element zu sein. Man kennt gegenwärtig
mit Sicherheit 66 Urstoffe oder Elemente,
welche alphabetisch geordnet mit ihren che¬
mischen Symbolen und Atomgewichten (nach
den neuesten Bestimmungen) in der folgenden
Tabelle angegeben sind:
Name
Sjm-
bol
Atom¬
gewicht
Name
S;m-
b«l
Atom¬
gewicht
Aluminium
Al
27-3
Nickel....
Ni
58-6
Antimon...
Sb
1220
Niob.
Nb
940
Arsen.
As
74*9
Osmium .
Os
1986
Baryum ...
Ba
1368
Palladium .
Pd
106-2
Beryllium..
Be
90
Phosphor..
P
30-96
Blei.
Pb
206*4
Platin ....
PI
196-7
Bor.
B
11*0
Quecksilber
Hg
199-8
Brom . ...
Br
7975
Rhodium ..
Rh
104-1
Cadmium .
Cd
111-6
Rubidium .
Rb
85-2
Calcium ...
Ca
39-9
Ruthenium
Rn
1035
Caesium...
Cs
1330
Sauerstoff .
O
15-96
Cer.
Ce
141-2
Skandium .
Sk
44-0
Chlor.
CI
.35-37
Schwefel ..
S
31-98
'Chrom_
Cr
52-4
Selen.
Se
78-0
Didym ...
D
1470
Silber ....
Ag
107*66
Eisen.
Fe
55’9
Silicium...
Si
280
Erbium....
Er
169*0
Stickstoff..
N
1401
Fluor .
Fl
19*1
Strontium .
Sr
87*2
Gallium ...
Ga
69*9
Tantal....
Ta
1820
Gold.
Au
1962
Tellur ....
Te
128-0
Indium....
In
113*4
Thallium ..
TI
203*6
Iridium....
Ir
196*7
Thorium ..
Th
231*5
Jod.
J
126*52
Titan .
Ti
48*0
Kalium...
K
-3904
Uran
U
240-0
Kabalt ....
Co
58*6
Vanadin...
V
51-2
Kohlenstoff
C
11-97
Wasserstoff
H
1-0
Kupfer ....
Cu
63-0
Wismuth ...
Bi
210-0
Lanthan ...
La
1390
Wolfram ..
W
1840
Lithium ...
Li
701
Yttrium.„.
Y
! 93 0
Magnesium
Mg
23-94
Zink .
Zn
64-9
Mangan .. .
Mn
54-8
Zinm..
Sn
117-8
Molybdän..
Mo
95*6
Zirconium .
Zr
90-0
Natrium ...
Na
22-99
Von diesen Elementen sind jedoch nur
wenige, etwa 14, allgemein verbreitet, u. zw.
bilden Stickstoff -und Sauerstoff die atmo¬
sphärische Luft, Wasserstoff und Sauerstoff
bilden das Wasser; die Gesteine, welche
die Hauptmasse der Erdrinde bilden, bestehen
hauptsächlich aus Sauerstoff, Silicium, Alu¬
minium, Eisen, Calcium, Magnesium, Natrium
und Kalium. Sämmtliche organische-Körper
des pflanzlichen oder thierischen Körpers ent¬
halten Kohlenstoff, die meisten auch Stick¬
stoff, Schwefel und Phosphor; auch das Chlor
gehört zu den meist verbreiteten Elementen.
Man theilt die Elemente in zwei grosse
Classen: in Metalloide, auch Nichtmetalle ge¬
nannt, und . Metalle. Zu den ersteren zählt
man 15 Elemente: Wasserstoff, Chlor, Brom,
Jod, Fluor, Sauerstoff, Schwefel, Selen, Tellur,
Stickstoff, Phosphor, Arsen, Bor, Silicium und
Kohlenstoff; alle übrigen gehören zu den Me¬
tallen. Die Metalloide — meistens gasförmig'
— verbinden sich mit Wasserstoff zu flüch¬
tigen, meist gasförmigen Körpern, die Ver¬
bindungen der Metalloide mit Sauerstoff haben
zumeist den Charakter von Säureanhydriden,
d. h. sie werden durch Hinzutritt von Wasser
zu Säuren. Ein Atom des Metalloides Schwefel
verbindet sich mit 3 Atomen Sauerstoff zu
Schwefelsäureanhydrid, welches durch Auf¬
nahme von Wasser zu Schwefelsäure wird.
Hingegen verbinden sich die Metalle zumeist
nicht mit Wasserstoff, die Sauerstoffverbin¬
dungen derselben bilden mit Wasser basische
Körper, so z. B. bildet die Verbindung von
2 Atomen Kalium und 1 Atom Sauerstoff nach
Hinzutritt von Wasser die Lakmustinctur
bläuende Kalilauge. Doch sind die Trennungs¬
merkmale besonders in Rücksicht auf die
physikalischen Eigenschaften der Metalle nicht
scharf genug ausgeprägt, so dass manche
Körper, wie Arsen und Antimon, nach ihrem
Aeussern sich wie Metalle verhalten, nach
ihrem chemischen Verhalten aber zu den Me¬
talloiden gezählt werden müssen, während
der gasförmige Wasserstoff nach seinen che¬
mischen Reactionen zu den Metallen gezählt
werden müsste.
Eine rationelle Eintheilung der Elemente
gelang, als man zur Grundlage derselben das
Verhalten der Atomgewichte wählte; es zeigte
sich hiebei, dass sämmtliche Eigenschaften der
Elemente durch die Grösse der Atomgewichte
bestimmt werden, oder wie es auch ausge¬
drückt wird, dass das physikalische und che¬
mische Verhalten der Elemente als eine
Function ihrer Atomgewichte aufzufassen ist.
Ordnet man nämlich die Elemente nach der
Grösse ihrer Atomgewichte, so wechseln,
wenn man diese vom kleinsten bis zum
grössten durchläuft, die Eigenschaften von
Glied zu Glied, kehren aber nach gewissen
Intervallen mehr oder, minder vollständig
wieder. Betrachten wir die nachfolgende
Tabelle, in welcher die Elemente nach ihren
Atomgewichten angeordnet sind, so ergeben
sich die folgenden wichtigen Beziehungen der¬
selben unter einander, welche als periodisches
System der Elemente ihren Ausdruck finden.
ELEMENTE. 517
Es lassen sich so die Elemente durch
<lie Aneinanderfügung der horizontalen Reihen
in fünf Perioden gruppiren. Wir sehen dieselben
in der nebenstehenden Tabelle, u. zw. stellen
die ersten zwei kurze siebengliedrige Perioden
und die drei letzteren grössere Perioden dar.
Abgesehen vom Wasserstoff, für welchen unter
den Elementen kein analoges sich findet,
sehen, wir in der ersten Periode das Lithium
als einwerthiges Metall, Beryllium als zwei-
werthiges, Bor ein dreiwerthiges Metalloid,
Kohlenstoff ein vierwerthiges Metalloid, wel¬
ches mit vier Wasserstoffen gesättigt ist; das
nächste Glied Stickstoff ist nun wieder ein
dreiwerthiges .Metalloid, der Sauerstoff ein
’zweiwerthiges und das Fluor ein einwerthiges
Metalloid. Die Werthigkeit .der Elemente
dieser Periode war also bis zum Kohlenstoff
aufsteigend und von hier bis zum Fluor ab¬
steigend. Die ersten Glieder sämmtlicher
fünf Perioden bestehen aus den die stärksten
Basen bildenden Metallen, den Alkalimetallen
und den Erdalkalimetallen (Lithium und
Beryllium in der ersten, Natrium und Mag¬
nesium in der zweiten Periode u. s. w.). Der
basische Charakter nimmt in den mittleren
Gliedern ab und geht allmälig in den säure¬
bildenden über, die letzten Glieder derPerioden
bilden die energischesten Metalloide: Fluor,
Chlor, Brom und Jod.
In den verticalen Reihen finden wir in
Gruppen geordnet Elemente von gleicher Wer¬
thigkeit und gleichem chemischen Charakter. So
finden wir in der Gruppe I sämmtliche Alkali¬
metalle nach aufsteigendem Atomgewicht an¬
einandergereiht. Hiebei zeigt sich, dass das
Atomgewicht für jede Verticalreihe um die¬
selbe Zahl zunimmt. Addirt man zum Atom¬
gewicht des Lithiums 7 die Zahl 16, so hat
man das Atomgewicht des Natriums 23.
Addirt man zu dem des Natriums wieder 16,
hat man das Atomgewicht des Kaliums 39.
Das Atomgewicht des Kalium differirt jedoch
von dem des Rubidiums um die Zahl 46 *4,
denn dieses beträgt 85*4? addirt man nun zum
Atomgewicht des Rubidiums wieder 48, so hat
man das des Caesiums. Ganz dieselben Zahlen-
fiifferenzen zeigen jedoch auch die übrigen
Verticalreihen, in welchen Elemente von ähn¬
lichen Eigenschaften auf einander folgen;
addirt man zum Atomgewicht des Fluors 19
nunmehr 16, so erhält man das des Chlor 35,
addirt man hiezu 45, so erhält man das Atom¬
gewicht des Brom 80, addirt man hiezu 47, so
hat man das Atomgewicht des Jod 127. Fluor,
Chlor, Brom und Jod bilden aber eine ebenso
charakteristische Gruppe von Elementen, die
sich in allen Reactionen ähneln wie die Alkali¬
metalle Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium,
Caesium. Es folfft aber hieraus, w r ie das aus
jeder Verticalreihe der obigen Tabelle sicht¬
bar ist, dass ähnliche chemische Eigenschaften
wiederkehren, wenn das Atomgewicht um eine
gewisse Grösse, 16 oder 45 bis 50, zuge¬
nommen hat.
Es würde zu weit führen, wenn wir alle
Beziehungen in den chemischen und physi¬
kalischen Eigenschaften der Elemente, deren
518 ELEMI. — ELEPHANT.
Gesetzmässigkeit sich aus der obigen von
Mendelejeff und Lothar Meyer aq^gearbeiteten
Anordnung derselben ergibt, hier erörtern
wollten. Nur soviel soll noch angeführt werdei^
dass das periodische System der Elemente _
.nicht nur einen theoretischen, den Forscher
befriedigenden ‘Werth besitzt, sondern auch
einen höchst praktischen.- Wie die Ansicht
der Tabelle nämlich zeigt, enthält das System
auch einige Lücken, wo in der HorizontaL-
oder Verticalreihe die Elemente fehlen. Da
jedoch sämmtliche chemische Reactionen eines.
Elementes von der Stelle abhängen, welche
dieses im periodischen System einnimmt, so
können wir die. Eigenschaften der bisher
noch fehlenden "Elemente mit grosser Be¬
stimmtheit Voraussagen; hiedurch sind wir
aber auch besser in der Lage, die den Lücken
entsprechenden Elemente durch analytische
Hilfemittel aufzusuchen. Die jüngste Ent¬
deckung der Elemente Gallium und Skandium *
brachte denn auch eine neue Bestätigung der
- Giltigkeitde» obigen Systems der Elemente. Lh .
Elemi, ein Harz, welches aus mittel- und
südamerikanischen Icica- und Amyrisarten
abstammt; es bildet weissliche, gelbliche fett¬
glänzende Massen, die schon zwischen den
Fingern erweichen, vom specifiechen Gewichte
1*02—1*08. Es ist unlöslich in Wasser, theil-
weise in kaltem, leicht in kochendem Wein¬
geist löslich, löst sich überdies in Aether
und in Terpentinöl. Beim Destilllren liefert
es ein bei 166—174° siedendes, leichtflüssiges
ätherisches Oel von der Zusammensetzung
der Terpene (s. äther. Oel). Nach Flückiger
sind die Bestandtheile des Elemiharzes:
Aetherisches Oel C 10 H le , Amyrin 2 (Ci 0 H,'«) +
H*0, amorphes Harz 2(C 10 H I8 ) -f 2H a O,
Bryoidin 2(C l0 H J8 )-f-3H a O, ferner Elemi-
säure und ein Bitterstoff. Dient zur Darstellung
von Firnissen, *in der Heilkunde zur Bereitung
einer reizenden Salbe — Unguentum Elemi
die bei torpiden Geschwüren angewendet
wird. Locbisch.
Elenchus (4 eksy^os, v. iksyys'v, unter¬
suchen, prüfen), das Verzeichniss, z.B. Elenchus
medicamentorum, Verzeichniss der Arznei¬
mittel. Sussdorf.
Eieonet J. M. gab 1835 eine kleine Schrift
* heraus unter dem Titel: „Typhus chez les ani-
maux domestiques“. Semmer.
Elephant. Gehört zu der Familie der
Pachydermaten (Dickhäutor), Ordnung der
Probosciden. Es gibt blos eine Art und zwei
Species, den afrikanischen und den indischen
Elephanten.
Anatomie. Der Schädel ist riesig und
zwar daher rührend, dass er sehr grosse Luft¬
höhlen zwischen den Schädelknochen und dem
Hirn besitzt. Die Prämascilla sind sehr breit,
die Nasenknochen kurz. Die Nase ist in einen
biegsamen Rüssel (Proboscis) verlängert. Die
Kinna des Ohres ist breit und flach, die
Ränder werden ab gerieben, narbig und weiss
in der Farbe bei zunehmendem Alter. Die
Lippen sind eigentümlich. Die obere % ver¬
schmilzt mit dem Nasenloch, um den Rüssel
zu bilden, sie ist nach vorne gespitzt, Schmal
und bildet einen Canal für die Zunge, welche
ebenfalls klein ist. Der Mund ist klein und
frei von jeglichen Gaumenfurchen. Das Auge
ist sehr klein, die Pupille kreisrund.. Das
Gesichtsfeld ist wegen der Kürze des Nackens
beschränkt. Die Thränendrüse wird ersetzt
durch die Absonderung einer Drüse, welche
innerhalb der Augenhöhle gegen den inneren
Rectusmuskel liegt. Der Schlund ist so ein¬
gerichtet, um das Wiederauswerfen des Wassers
aus dem Magen zu bewerkstelligen. Der Nacken
ist sehr kurz. Die Dorso-lumbal-Wirbel sind
in einer Anzahl von 23 vorhanden, sacrale 4.
Das Schlüsselbein ist rudimentär. Die Carpal-
und Metacarpalknochen und die Phalangen
sind kurz und dick, die Vorderfüsse breiter
als die Hintesfüsse. Der Schenkel hat kein
rundes Ligament und das Bein ist lang; das
Schienbein ist verhältnissmässig kurz. Die
Elephanten haben zweierlei Zähne: Schneide-
und Backenzähne. Erstere erreichen bei den
Männchen eine riesige Grösse und ein Gewicht
von 150—200 Pfund. Sie bestehen fast völlig aus
Elfenbein, sind in einem Theil hohl, haben
einen Umfang von 18—22 Zoll und können
bis 8 Fuss lang werden. Sobald sie eine so
grosse Länge erreicht haben, müssen sie ab¬
geschnitten w r erden. Doch muss man hiebei
auf die Pulpahöhle achten. Die sicherste Stelle
zum Abtrennen findet man,' wenn man dje
Distanz vom Auge, wo der Zahn entspringt,
bis zur Lippe auf den Zahn selbst überträgt;
man wird so den besten Platz für die Ab¬
trennung treffen. Eine gewöhnliche Säge, die
mit tröpfelndem Wasser feucht gehalten wird,
ist am besten hiezu dienlich. Die Molarzähne
bestehen aus Dentin, Schmelz und Crusta
petrosa; sie stehen zu dreien auf jeder Seite
oben und unten. Der Magen ist einfach und
langgestreckt, der Blinddarm breit, die Leber
dreilappig ohne Gallenblase. Die Saugwarzen
befinden sich zwischen den Vordergliedern. Die
wichtigste Eigentümlichkeit des Brustkastens
ist der Mangel eines Pleurosackes. Die Lungen
haften durchaus dicht an den Brustwänden.
Der untere Theil des Fussgliedes zeigt eine
eigentümliche Modification der Cuticula,
welche von M. Steel „Hoof-Slipper u (Huf-
Pantoffel) genannt wird. Er besteht aus einer
Sohle und Zehennägeln. Die erstere ist eine
Lage von zarter Hornmasse, welche die Grund¬
fläche bedeckt; sie ist runder an den Vprder-
als an den Hinterfüssen, verschmälert sich und
windet sich an dem hinteren Rand empor. Die
Zehennägel verschmelzen in die Wand fast in
derselben Weise, wie die Wand des Pferdehufes
sich mit der Sohle vereinigt. Die Thiere haben
vier oder fünf Nägel an den Vorder- und
drei bis vier an den Hinterfüssen. Die Haut
des Elephanten ist sehr empfindlich, obgleich
sie sehr dick ist. Die Haare auf der Körper¬
oberfläche sind kurz und steif, jene an dem
Schwanz sind dicke Hornborsten. Die Haut¬
farbe ist dunkelbraun; häufig finden sich
einige hellere Flecken von röthlicher Farbe
im Gesicht. — Die Elephanten erreichen eine
Höhe von 11 Fuss, doch nur in Ausnahms¬
fällen: acht Fuss bis zu den Schultern ist die
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ELEPHANT. 519
durchschnittliche Höhe. Die Thiere erreichen
ein sehr hohes Alfer; 150,—200 Jahre dürfte
die äusserste Grenze sein. In der Gefangen¬
schaft werden sie zumeist 80—100 Jahre alt.
Sie wachsen bis zum 30. Jahre und erreichen
ihre volle Kraft mit dem 35. Jahre. Das
Weibchen ist zur Zucht schon mit 15 Jahren
fähig. Die Trächtigkeitsdauer erstreckt sich
auf 21 Monate. Zwillingsgeburten sind sehr
selten. Die Jungen messen bei der Geburt
36 Zoll bis zur Schulter und wiegen 200 Pfund.
Sie saugen 5—6 Monate hindurch und .nähren
sich dann von zarten Gräsern.. Sobald ein
Junges geboren wird, bleibt dessen Mutter
und die ganze Heerde zwei Tage hindurch an
der Geburtsstätte, nach welchem kurzen Zeit¬
raum das junge Thier zum Gehen fähig ist.
Sehr bald darauf können sie Berge ersteigen
und Flüsse durchschwimmen. Im jüngsten'
Lebensalter klettern sie, wenn es gilt, Gewässer
zu übersetzen, auf den Rücken ihrer Mütter.
— Die Mehrzahl der Geburten erfolgt im
September, October und November. — Di«
Elephanten leben in Heerden von 30—100
Köpfen. Sobald das Futter karg wird, lösen
sie sich in kleine Partien, bestehend 'aus
Familiengruppen, auf. Je eine Heerde wird
stets durch ein Weibchen, nicht durch ein
Männchen geführt. Einzelne Elephanten
kommen gelegentlich wandernd in den Dschun¬
geln vor. Es sind gewöhnlich Männchen, die
durch stärkere Rivalen von der Heerde fern¬
gehalten werden. Manchmal werden sie auch
als „Auswürflinge 4, von der Gemeinschaft aus¬
geschlossen. Das Temperament derselben ist
dann zumeist verbittert, und sie werden
dadurch höchst gefährlich, da sie Alles an¬
greifen, was ihnen an die Nähe kommt. Sie
werden mit dem Namen Rogues (Schufte)
bezeichnet und richten häufig einen so erheb¬
lichen Schaden an, dass die Regierung eine
Belohnung auf ihre Vertilgung aussetzt. Sonst
sind die Elephanten gewöhnlich sehr harmlos
und inoffensiv; auch im wilden Zustande sind
sie sehr scheu und halten sich zurück. Nach
Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang be¬
suchen sie ihre Tränk platze; sie können jedes¬
mal 15% Gallonen Wasser aufnehmen. Die
Elephanten verstehen vorzüglich zu schwimmen,
obwohl sie auch manchmal in Folge von
Krämpfen ertrinken können.- Sie können mit
einer Schnelligkeit bis zu 15 (englischen)
Meilen in der Stunde laufen, jedoch nur auf
kurze Distanzen. Ausser dem Schritt ist ihnen
keine Gangart eigen; sie können weder traben,
trotten, noch galopiren; auch ist kein Sprung
weder in verticaler noch in horizontaler Rich¬
tung möglich. Eine 8 Fuss tiefe und 8 Fuss
breit^ Tranchde ist für einen Elephanten ab¬
solut unüberschreitbar (Sandersori). — J)ie
sog. weissen Elephanten sind Albinos von
schmutzig-milchiger Fleischfarbe. Einen rein
weissen Elephanten gibt es durchaus nicht.
Der männliche Elephant ist periodischen
Anfällen geschlechtlicher Erregung unter¬
worfen. Die Schläfen schwellen hiebei an, und
eine ölige Substanz wird von einer dort be¬
findlichen Drüse abgesondert. Zahme Elefanten
werden unter dem Einflüsse dieser Erregungen
äusserst gewaltthätig; sie verweigern die Arbeit
und tüdten nicht selten ihre Wärter, welchen
sie^ unter gewöhnlichen Umständen sehr, an¬
hänglich sind. Sobald solche Anfälle.auftreten,
müssen die Thiere wohl verwahrt werden; eine
anderweitige Behandlung ist unnöthig, denn
die Anfälle 'gehen nach kurzer Zeit vorüber.
Einzelne Thiere sind dieseff Zuständen häufig
ausgesetzt, werden daher als Tragthiere un¬
brauchbar. Ich erinnere mich eines prächtigen.
Elephanten, welcher aus dieser Ursache werthlos
geworden war. Derselbe tödtete zwei Wärter,
brach aus seinem Zwinger los, zerstörte einen
Theil des Gebäudes und richtete auch sonstigen
grossen Schaden an. Die grösste Schwierigkeit
bestand darin, ihn einzufangen* doch liess sich
dies endlich durch eine List leicht bewerk¬
stelligen. Man erinnerte sich nämlich, dass er
eine furchtbare Angst vor Kameelen hatte. Es -
wurden nun deren zwei nach ihm ausgeschickt,
wodurch es gelang, ihn ruhig zu einer Gruppe
von Bäumen zu drängen, an deren einem er
sodann gefesselt wurde. — Die Weise, in der
sich die Elephanten begatten, wurde schon
oft discutirt; nunmehr ist es allgemein bekannt,
dass das Weibchen steht und das Männchen
in derselben'Weise wie andere Quadrupeden
an nimmt.
Der Preis, welchen die englische Regierung
für einen Elephanten bezahlt, beträgt ca.
2000 Rupien. JSingeborae Fürsten und hohe
Würdenträger zahlen aber oft riesige Summen
für einen schönen männlichen Elephanten; es
werden nicht selten 5000, ja sogar bis
20.000 Rupien für einen solchen gegeben.
Die Fütterung der Elephanten differirt
nach den einzelnen Präsidentschaften Indiens.
In Bengalen werden täglich 400 Pfund Grün-
fytter und 18 Pfund ungeschälter Reis ge¬
geben ; in Bombay 340 Pfund Futter; in Madras
125 Pfund Futter und 25 Pfund Reis. Diese
Differenzen iu der Fütterung sind sehr sonderbar
und lassen sich nicht erklären. In Indien herrscht
jetzt allgemein der Wunsch nach gänzlicher
Abschaffung der Körnerration für Elephanten,
u. zw. aus dem Grunde, weil auch der wilde
Elephant kein Körnerfutter erhält, weil ferner
die Eingeboren, welche Elephanten halten, an
dieselben ebenfalls keine Körner verfüttern, und
Weil endlich der Reis sehr theuer ist und von
den Elephantenwärtern häufig gestohlen wird.
Die Kosten für den Unterhalt eines Elephanten
betragen monatlich zwischen 10 und 40 Rupien,
sind somit sehr hoch, und in Hinblick auf
eine Herabminderung derselben besteht haupt¬
sächlich die Absicht nach Abschafiung des
Körnerfütters. Die Elephanten leisten jedoch
wohl auch bei Grünfutter allein ihre Arbeit, doch
kann kein Zweifel bestehen, dass sie sowohl als
die Kameele hiebei, auf die Länge der Zeit
Schlecht genährt werden; es sollte daher nicht
ausser Betracht gelassen werden, dass T obwohl
einige Pfund Reis bei einem Thier von so
enormem Nahrungsbedürfniss nicht allzu viel
bewirken, dies doch iinmerliin etwas ist und
nicht gänzlich eingestellt werden sollte. Die
Durchschnitts-Tagesration für alle Elephanten
Digitized b.
Google
ELEPHANT.
520
sollte 400 Pfund Grün- oder 25 Pfund Trocken¬
lutter sein.
Von Mr. Sanderson wurde vor Kurzem ein
Elephantensattel erfunden. Der primitive Sattel
der Eingebomen besteht ausreinem zusamnlen-
genähten Tuche, das ca. 1 % Zoll dick ist und
bis zur halben Körperhälfte des Thieres an
beiden Seiten hinabhängt. Auf dieses wird ein
6 Fuss langer, 5 Fuss breiter und 9 Zoll dicker
Polster gelegt, welcher aus grober Sackleinwand
besteht und zumeist mit Heu ausgestopft ist.
‘Das Ganze wird mit einem um die Mitte, den
Hals und den Schweif des Thieres herumge¬
zogenen Strick befestigt. Der obenerwähnte
Sattel ist bestimmt, die Last, welche auf dem
Rückgrat ruht, zu erleichtern. Er besteht aus
zwei Polstern, die zu beiden Seiten des Rückens
der Elephanten liegen und daselbst durch ver¬
bindende Eisenreifen festgehalten werden. Auf
diese Weise wird das Rückgrat vom Druck
befreit und Luft zur Circulation durchgelassen.
Dieser Sattel wird durch Stricke, Ringe etc.
vervollständigt und wiegt 120 Pfund, während
das Gewicht jenes der Eingebornen 200 Pfund
beträgt.
Die Ladung für einen Elephanten ist mit
1640 Pfund bemessen. Ein besonders starker
kann wohl 2240 Pfund tragen. Für lange
Märsche werden jedoch selten mehr als
1200 Pfund einschliesslich des Sattels aufge¬
laden. Es ist dies ein Aequivalent für eine von
drei Kameelen oder von 4*5 Maulthieren ge¬
tragene Last. Die Elephanten können äusserst
grosse Anstrengungen vertragen, arbeiten vom
Morgen bis in die Nacht und können 20 Stunden
unter Belastung bleiben. Sie sollten jedoch
nicht mehr als 300 Meilen weit im Monat
getrieben werden, wenn möglich auf nicht
hartem Boden, können indessen im Nothfalle
auch auf rauhen Wegen und durch Flussbette
gehen, u. zw. besser als Pferde.
Die folgenden Grössenverhältnisse und
Gewichte (nach englischem Masa) der Organe
wurden von Dr. Gilchrist nach einem an
Anämie eingegangenen weiblichen Elephanten
festgestellt:
Länge von der Stirn bis zum
Schwanzansatz.
10
1
Rund um den Unterleib.
13
8
Länge des kleinen Eingeweides
68
—
«, ,, grossen ,,
38
3
Kopf incl. des Gehirns, welches
Cent.
Qu.
Pfd.
16% Pfd. wog..
4
0
22
Linker Vorderfuss.
2
2
25
Rechter „ .
2
2
14
Linke Schulter.
—
3
18
Rechte „ „ .
1
—
7
Linker Hinterfuss.
2
2
11
Rechter ,, .
2
3
—
Linke Rippen .
1
1
20%
Rechte „ .
2
—
26
Lenden und Theil des Steisses
3
—
16
Becken .
3
1
19
Nacken..
—
3
13
Brustbein..
—
3
9
Cent.
Qu.
Pfd.
Herz.
—
1
14
Lunge und Zwerchfell.
—
3
14
Nieren.
—
—
16
Gedärme. ...
2
1
23
Leber...
—
2
20%
Milz.....
—
—
Magen.
—
3
12
Die Fäces wogen.
2
1
9
Wasser in Bauch u. Magen- ca.
2
1
18
Summa in Pfd. Avoirdu-pois 4369
Pathologie. Es ist nicht beabsichtigt,
hier mehr als blos einen Streifblick auf
die Pathologie dieses Thieres zu werfen. Der
Gegenständ befindet sich in einem Stadium
sehr geringer Entwicklung, und in Folge der
Thatsache, dass dieses höchst werthvolle Thier
vollständig der Willkür seines Wärters, sowohl
in Bezug auf seine arzneilichen als auf seine
sonstigen Bedürfnisse überlassen ist, haben
Veterinärärzte in Indien nur wenig Gelegenheit,
praktisch mit den Krankheiten der Elephanten
vertraut zu werden. Mein College Mr. Steel
hat kürzlich im „Quarterly Journal of Vete-
rinary Science in India“ eine Reihe interes¬
santer Mittheilungen über die Pathologie des
Elephanten veröffentlicht, wrelchen der folgende
Auszug entnommen ist. Der gesunde Elephant
befindet sich in einem Zustande fortwährender
Bewegung. Entweder seine Ohren, Beine oder
der Rüssel sind beständig mobil, was als ein
untrügliches Zeichen für die Gesundheit des
Thieres gilt. Die Haut des Rüssels ist stark
und die denselben bedeckenden Haare, wie auch
jene aller anderen Körpertheile, borstig und
verursachen, wenn man mit der flachen Hand
darauf schlägt, ein stechendes Kitzeln, gerade
als ob eine Stecknadel in die Hand gedrungen
wäre. Auch dies ist ein schätzbares Anzeichen
für die Gesundheit des Thieres, da das
Haar eines kranken Elephanten sich schlaff
und weich anfühlt. Die Haut ist von guter
Farbe, wenn die lichten Flecken derselben
fleischfarbig und nicht blass aussehen. Das
Auge soll hell sein, der Puls, welcher an der
Ohrwurzel oder etwas weiter hinten gefühlt
wird, weist ca. 50 Schläge in einer Minute auf.
Die Fäces sind beim gesunden Thier fibröse
Ballen. Die allgemeinen Anzeichen gestörter
Gesundheit sind Traurigkeit, Verlust des
Appetits; die Maul- und Zungenschleimhaut
verliert ihre schön rothe Färbung und wird
entweder weiss oder grellroth; die Haut nimmt
ein schmutziggraues Ansehen an, und die un¬
aufhörliche Bewegung des Körpers, welche
oben als natürliches Zeichen der Gesundheit
angeführt wurde, wird gänzlich eingestellt.
Asthenia oder Schwäche. Dies isj eine
deivh äufigsten Krankheiten des Elephanten, ver¬
ursacht durch übermässiges Arbeiten, schlechte
Nahrung oder durch unverdauliche Futter¬
stoffe, interne Parasiten etc. Es stellt sich
eine allmälig fortschreitende Abmagerung ein,
die Haut wird trocken, die Haare fallen aus,
sonderbare Appetitgelüste geben sich kund,
indem das Thier z. B. Erde frisst. Die Fäces
werden unregelmässig in Farbe und Consistenz
ELEPHANT.
521
und von widerlichem Gestank. Das bemerkens-
wertheste Symptom sind Schwellungen des
Unterleibes, Halses oder der Brust, welche
beim Druck eine seröse Flüssigkeit abgeben.
Zuweilen bilden sich Geschwüre am Hinter¬
leib, bis endlich Paralyse eintritt. Die Krank¬
heit erstreckt sich häufig über Wochen und
Monate. Die Eingebomen nennen dieselbe
„Lerbad“; sie ist die am häufigsten mit dem
Tode endigende Krankheit der Elephanten.
DieBehandlung soll einestimulirende, tonische
und diuretische.sein; kräftigende Nahrung ist
das beste Heilmittel; auch sollen die kranken
Thiere vor der Sonne geschützt werden und
täglich massige Bewegung machen.
Anthrax befällt den Elephanten und
geht nicht selten tödtlich aus. Jene Fälle,
welche mir untergekommen sind, nahmen
einen rapiden Verlauf, manche endigten in
einigen Tagen. Lahmheit und locale Schwel¬
lungen waren vorherrschend. Die Autopsie
ergab die gewöhnlichen Exsudationen in das
subcutane Bindegewebe, Abdominalhöhle und
Eingeweide und Congestion der Lungen.
Eczema Epizootica oder auch „Maul¬
und Klauenseuche“ wurde bei Elephanten
während des afghanischen Feldzuges beob¬
achtet. Es wurden Blasen im Maule und auf
dem Rüssel gefunden; auch Lahmheit war
vorhanden. Es stellte sich eine Schwellung
der Weichtheile am Unterfusse ein bei gleich¬
zeitiger Eiterbildung. In einigen Fällen lösten
sich die Horngebilde der Füsse völlig ab, und
die Thiere starben an „sympathetischem
Fieber“. Die Behandlung bestand in Isolirung,
Anwendung von Adstringentien auf die Ge¬
schwüre, Schutz der Füsse gegen Fliegen
und alle Verunreinigung und einem milden
kathartischen Mittel, bestehend in Tamarinden¬
pulpen mit gewöhnlichem Salz, von jedem
acht Unzen mit dem Futter gegeben.
Variola wurde bei dem Elephanten
gleichfalls beobachtet. Der Ausbruch erfolgt
an Kopf, Brust und Hals. Manchmal werden
auch die Augen in Mitleidenschaft gezogen,
woraus dann eine Opacität der Cornea ent¬
steht.
Kolik. Dieselbe gibt sich durch plötz¬
liches Auftreten von Hinterleibsschmerzen
kund: es tritt Unruhe, Kreuzen der Hinter¬
beine, häufiges Niederlegen und ebenso rasches
Aufstehen ein. Die Thiere schlagen mit dem
Schwanz um sich, reissen das Maul sehr weit
auf und stecken den Rüssel in dasselbe.
Fiatulenzkolik ist nicht ungewöhnlich. Die
Behandlung besteht in Antispasmodica, Ene-
mata und einer kathartischen Dosis, Bähungen
des Unterleibes.
Enteritis. Kommt besonders häufig bei
heissem Wetter vor. Die Symptome sind Leib¬
schmerzen, Fieber und dünne Fäces. Die Ur¬
sachen bestehen zumeist in allzu häufiger
Verabreichung von stark stimulirendem Futter.
Die Behandlung besteht in Blutlassen aus
den Weichen, Bähungen und Verabreichung
von Opium und Kalomel.
Diarrhöe stellt sich beim Elephanten
in zwei Formen ein, einer parasitischen und
nicht parasitischen. Erstere ist nicht selten
ein ernster Krankheitszutand; letztere wird
durch Diätfehler, schlechtes oder unreinesL
Futter, gehaltlose Nahrung, Einwirkung von
Kälte und durch Baden des Tliieres, so lange
dasselbe erhitzt ist, verursacht. Die Behand¬
lung hängt von den Ursachen ab. Die Diarrhöe
kann übrigens auch eine Anstrengung des
Organismus sein, zu dem Zwecke, um schäd¬
liche Stoffe aus dem Körper zu entfernen, und
sollte als solche nicht gehemmt werden.
Adstringentien von Kalk, Katechu etc. können
erforderlich werden. Wasser, in welchem Reis
gekocht worden, soll reichlich gegeben werden.
Parasitische Diarrhöe tritt häufig auf.
Der Elephant ist ein Wirth für zahlreiche
Parasiten, von welchen vorläufig elf ver¬
schiedene Arten bekannt sind. Dieselben
können entweder Rundwürmer, Kürbiswürmer
(Fasciola) oder Pferdewürmer (Bots) sein.
Die Fasciola, von welchen drei Species bekannt
sind, zählen zu den wichtigsten Parasiten des
Elephanten; die eine dringt in die Gedärme
und bringt somit parasitische Diarrhöe hervor.
Symptome: Dieselben äussern sich in hart¬
näckiger Diarrhöe, welche bald einen ernsten
Charakter annimmt und welcher eine Neigung,
Erde zu fressen, vorangeht, wodurch auch
die Fäces erdig werden. Oedematöse Ergüsse
stellen sich um Kopf und Schultern ein, und
das Thier geht an Erschöpfung ein. Es ist
dies eine auch den Eingebomen wohlbekannte
Krankheit, welche den kranken Thieren in
deren Bestreben, Erde zu fressen, kein Hin-
demiss entgegenstellen. Die Erde bewirkt
Purgiren. Mangel arf Salz in der Nahrung
wird für eine der Ursachen der parasitischen
Diarrhöe angesehen, und dies sollte bei der
Behandlung in Erwägung gezogen werden.
Salz und Erde sollen den Thieren reichlich
gegeben werden. Die Körnerfütterung muss
eingestellt werden, sonst leiden die Thiere
an Flatulenz und Indigestion. Der Schwäche
muss durch eine tonische und stimulirende
Behandlung begegnet werden. Reiswasser soll
als Getränk verabreicht werden, und bei über¬
mässiger Diarrhöe sind als Adstringentien
Opium und Katechu zu verabreichen. Die
Autopsie zeigt die Schleimhaut des Dick¬
darms völlig bedeckt mit kleinen, hochrothen
rundlichen Körperchen: Parasiten, Amphi¬
stoma Hawkesii, welche durch Saugnäpfe
adhäriren; manche liegen auch frei im Darme.
Letzterer zeigt die Reizung durch eine Ver¬
dickung seiner Wandungen an.
Krankheiten des Nervensystems
sind bei den Elephanten sehr häufig. Schon
früher wurde die specielle geschlechtliche Auf¬
regung erwähnt, welche mit dem Namen
„must> ; bezeichnet wird; aber auch Gehirn¬
entzündung, Apoplexie und Sonnenstich sind
keinc.ungewöhnliehen Krankheiten. Die grossen
Facialhöhlen werden öfter entzündet, und von
ihnen aus kann die Entzündung sich auf das
Gehirn übertragen und so eine Encephalitis
hervorbringen. Die Symptome derselben sind
Rastlosigkeit, Aufregung, Bestreben, sich los¬
zumachen, starkes Fieber, emporgehobener und
oii . ELEPHANTENLÄUSE. — ELLENBOGEN.
zusammenjiezogener Rüssel, vortretender Aug-
apfel. Das Thier wird wild, so dass man sich
ihm nicht nähern kann, es fällt bald nieder’
und ist unfähig, sich wieder zu erheben. Die
Ursachen dieses Leidens sind allzu kräftiges
Futter, Strapazen bei übermässiger Hitze und
Entzündung der Stirnhöhlen. Die Behandlung
ist schwierig wegen der Gefahr, sich dem
tobenden Thier zu nähern. Aderlässe, kalte Um¬
schläge auf den Kopf und tüchtiger Gebrauch
von Purganzen- sind angezeigt.
Apoplexie. Dieselbe ähnelt dem vor¬
erwähnten Leiden, doch tritt hiebei mehr ein
eonfuses Benehmen als ein eigentliches
Toben ein.
Ich habe es nicht versucht, mehr hier
darzulegen, als eine Skizze der Pathologie
des Elephanten. Es gibt eben noch vielerlei
Krankheiten, welche dieses Riesenthier befallen,
so z. B. Fussleiden, überdies noch verschiedene
andere,' von denen unsere Kenntniss sehr gering
ist. — Eine purgative Dosis für einen Elephanten
besteht aus 6—8 Unzen Aloö oder einer Unze
Crotonsamen oder endlich 3—4 Pfund Magne¬
siumsulfat oder Kalomel bis zur Höhe einer
Unze. Opium kann als Adstringens in Dosen von
einer bis zwei Unzen gegeben werden. All
dieses kann mit dem Futter, in Blättern ein¬
gerollt, gegeben werden. Enemata können mit
einer Spritze verabreicht werden oder mit
einer kleinen Handfeuerspritze. Der Aderlass
kann sich bis zur Abnahme von 1 % Gallonen
Blut oder auch noch mehr erstrecken.
Allgemeine Bemerkungen überden
Elephanten. Der Elephant ist ein Lastthier
und nicht zum Zug geeignet, obwohl er in
Indien häufig zum Schleppen von Belagerungs¬
geschütz verwendet wird, bei welch letzterer
Verrichtung er als geradezu wundervoll be¬
zeichnet werden muss. Indessen ist er physio¬
logisch hauptsächlich nur als Tragthier orga-
nisirt.
Die Elephanten sind sehr leicht zu er¬
schrecken. Sobald Kanonen in Action kommen,
werden die Elephanten entfernt und durch
Stiere ersetzt, da erstere das Kanonendonnern
nicht vertragen können. .— So lange ein
Elephant von Anstrengung etc. erhitzt ist,
darf man ihn nicht ins Wasser treiben oder
einen Fluss durchschwimmen lassen. — Sobald
er als Arznei einen Bolus bekommen soll,
steckt man dem Thiere einen Knebel in das
Maul, fährt dann mit der Hand in dasselbe
und legt die Arznei auf den Zungengrund, w r o
sie dann unwillkürlich abgeschluckt wird. Um
eine Enema zu geben, muss man das Thier
mit dem vorderen* Körpertheil tiefer stellen
als mit dem hinteren.
Die Elephanten sind leicht zu zähmen
und abzurichten. Sie können zahlreiche Dinge
lernen. Der zahme kann den wilden Elephanten
einfangen und dann selber zähmen. In Burmah
schlichten die Elephanten Bauholz auf, u. zw.
zumeist ohne Ueberwachung. In Indien werden
sie zuweilen zum Umreissen von Mauern, ja
>ogar zum Demoliren von Häusern verwendet
Es r besteht für sie ein Disciplincodex, und^jedes
der Thiere, das sich gegen denselben vergeht,
wird aus der Reihe geholt und aus gepeitscht.
Diese Strafart wird an ihm von einem anderen
Elephanten mittelst einer schweren Kette
vollzogen, welche das letztere Thier mit seinem
Rüssel schwingt. Die zum Militärdienst gehö¬
rigen Elephanten werden dazu abgerichtet,
bei Paraden zu salutiren. Smith .
Elephantenlause 'liefern das Cardolum
vesicans, welches ähnliche Wirkungen hat
wie das Kantharidin )s. Acajou und Anacar-
diaceen), Vogel.
Elephantiasis, s. Hautkrankheiten.
Elephas primigenius, s. Mammuth.
Elevatio (v. elevare, erheben), Erhebung,
Ausdehnung; so spricht man von einer Rück-
stosselevation als der Erhebung der Arterien¬
wand in dem absteigenden SchÖhkel der Puls-
curve (s. Puls). Sussdorf,
Elevator (v. elevare, erhebend), der Auf¬
heber, Aufrichter für Muskeln. Sussdorf.
Elevatorium “(v. demselben), jedes in der
Chirurgie gebrauchte Instrument zur Aufhebung
eingesunkener Knochenstücke etc. Sussdorf.
Elfenbeinsubstanz, s. Dentes.
Elfixir oder Elixirium. Man versteht unter
dieser flüssigen Arzneiform eine Mixtur (s. d.),
welche sich von der gewöhnlichen nur dadurch
unterscheidet, dass die in der Mischung auf¬
zulösenden Substanzen vorzugsweise Salze oder
Extracte* sind, .welche, in grössere^ Mengen
beigefügt, der Arzneiflüssigkeit eine trübe,
auch wohl etwas dickliche Consistenz ver¬
leihen; auch ist dabei besondere Rücksicht auf
die Verbesserung des Geschmackes genommen
worden. * Vogel.
Ellag8äure, C 14 H 6 0 8 . Sie wurde aus der
Fichtenlohe, aus den Galläpfeln, der Tormentill¬
wurzel, den orientalischen Bczoaren, dem
Castoreum gewonnen, doch ist es nicht wahr¬
scheinlich, dass sie in diesen Körpern fertig^
gebildet vorkommt. In den Galläpfeln scheint
sie erst durch Gähriing bei Gegenwart von
Wasser zu entstehen, auch die uranatgerb-
säure zerfällt beim Kochen mit verdünnter
Schwefelsäure in Ellagsäure und Zucker. Die
Ellagsäure bildet ein blassgelbes leichtes
krystallinisches Pulver, ist geschmacklos,
schwer löslich in Wasser und Weingeist,
unlöslich in Aether. Concentrirte Schwefel¬
säure gibt beim gelinden Erwärmen damit
eine gelbe Lösung, aus der Wasser die Säure
unverändert fällt. Lotbisch.
Ellenbogen (Ellbogen) bedeutet exterieu-
ristisch jenen Theil der Ellbogengelenks¬
gegend sammt dem Ellbogenhöcker, welcher
einestheils hinter der vom Drehpunkte der
Schulter nach abwärts gefällten Senkrechten
und andererseits zwischen dem oberen Ende
des Ellbogenhöckers bis gegen das Niveau
der Unterbrust am oberen Ende des Vor¬
armes liegt. Das „Ellbogengelenk“ als federnde
Gelenksverbindung zwischen dem Ober- und
Vorarmbeine gehört daher exterieuristisch
grösstentheils. zp der Körperregion, welche
als „Ellenbogen“ bezeichnet wird. Dieses Ge¬
lenk ist ein typisches Charniergelenk, bei
welchem nur Beugen und Strecken als Vor¬
wärts- mid Rückwärtsbewegung möglich ist.
ELLENBOGENBEULE. — ELSASS-LOTHR1NGENS THIERZUCHT. 523
Je nach der Richtung des Oberarmbeins und
des Schulterblattes, und sohin bezw. auch
des Buggelenkes kommt das Ellenbogen¬
gelenk bald nach vorne, bald etwas weiter
nach rückwärts im Verhältnisse zur genannten
Senkrechten zu stehen; und je mehr schräge
das Oherarmbein gelagert ist, um so günstiger
wird die Winkelstellung für die Bewegung
des Ellenbogengelenkes. Den* Ellenbogen¬
höcker allein, so wichtig derselbe auch als
Hebelarm für die Streckmuskeln des Vor-
arras ist, exterieuristisch als Ellenbogen zu
bezeichnen, ist unrichtig, well durch denselben
nuf ein Punkt, nicht aber der ganze Umfang
des hinteren oberen Theiles des Vorarmes etc,
nebst Ellbogenhöcker als Ellbogenregion be¬
zeichnet und ausgedrückt wird.
Die Muskulatur in der Ellbogengegend
muss entsprechend stark und deutlich markirt
sein und nach hinten und innen eine hübsche
Rundung geben. Bei chronischem Lalnngehen,
namentlich in Folge von Huf- oder Schulter¬
leiden, magert auch die Muskulatur der Ell¬
bogenregion deutlich ab. Bezüglich der Be¬
schaffenheit des Ellbogenhöckers selbst ver¬
langt man, dass derselbe möglichst lang und
deutlich nach rück- und aufwärts gerichtet
ist, damit die Streckaction um so vortheil-
hafter nach den Gesetzen des Hebels aus¬
geführt werden kann; der kurze und vorwärts¬
geneigte Enbogenhöcker ist für die Streck¬
bewegung wesentlich ungünstiger. Der
Ellbogenhöcker muss auch in seinen Dicken-
und Breitendimensionen massig und in seiner
gesammten Richtung so gelagert sein, dass
er von hinten her in der Axe der Extremi¬
tät steht. Ist er in seinem oberen Ende zu
nahe der Brust angerückt und dabei schief
von vorne nach hinten gestellt, so nennt man
dies „angedrückt- 1 , wie das bei den tanz-
meisterisch stehenden Pferden vorkommt. Ist
der Ellbogenhöcker dagegen von der Brust
zu entfernt stehend und zugleich mit der
ganzen oberen Extremität nach aussen ge¬
dreht, wie das bei dem Zehentreten (Zehen¬
enge) der Fall ist, so nennt man den Ell¬
bogenhöcker „abstehend“.
Am Ellbogenhöcker kommt eine nach
Umfang und Art verschiedene. Geschwulst
(Stollbeule, Stollbeutel etc.) vor, die entweder
ein blosser Schönheitsfehler oder aber auch
von ernsterer Bedeutung bezüglich der Ge¬
brauchsfähigkeit des Thieres sein kann und in
Folge theils schlechten Beschlages, theils regel¬
widriger Lagerung der Thiere mit den Vorder¬
beinen bei Engbrüstigkeit, Erkrankungen der
Brustorgane etc. zu entstehen pflegt. Lr.
Ellenbogenbeule, s. Stollbeule.
Ellenbrock J. gab 1852 drei kleine
Schriften über Druse, Tympanitis und Blut¬
harnen heraus und schrieb in Hering’s Reper¬
torium über Fetträude, Maul- und Klauen¬
seuche etc. ” Semmer.
Ellinger Viehschlag, ein in Bayern, Mittel¬
franken vorkommender mittelschwerer licht¬
brauner Rindviehschlag, welcher gute Zug-
und Mastthiere liefert.
Ellins C. veröffentlichte 1761 seine Ver¬
suche über Rinderpest in Dänemark unter
dem Titel: „Specimen primum investigationum
luis bovillae“. . Semmer.
. Eltipsis (v. tV.sxpis, v. SvXsi'itetv, fehlen,
auslassend), für das Ausbleiben eines Pulses
gebraucht. Sussdorf.
Elodea canadensis, s. Wasserpest.
Elongatio (v. ekngare, verlängern), Ver¬
längerung durch Dehnung, Ausrenkung =
Sfubluxatio. Sussdorf.
ElsasS’Lothringens Thierzucht Eisass-
Lothringen, obwohl^ eine politische Einheit,
ist indess keine agncole. Verschiedene Eigen-
thümlichkeiten des Bodens, des Klimas, der
Gewohnheiten und Sitten haben auch für die
Thierzucht des Eisass sowohl als Lothringens
yerschiedene Bedingungen geschaffen. Elsäss
ist ein geographisch wohlbegrenztes Land,
wo jeder Landbauer auch zugleich Eigen-
thümer des Bodens ist, den er bearbeitet,
und wo das Grundeigenthum ausserordentlich
getheilt ist. Dasselbe betrug im Jahre 1870
im mittleren Durchschnitt * für eine Familie
kaum 3 ha 20 a; auch seither hat sich dieses
Verhältnis nur wenig geändert. Dieser Um¬
stand übt einen nicht .geringen Einfluss auf
die Thierproduction aus, welche dort von
grosser Wichtigkeit ist und so ziemlich ein
Viertheil der ganzen agricolen Production
ausmacht. In Lothringen sind die Gutswirth-
schaften von ihren Eigenthümern verpachtet,
welche es den Pächtern nicht leicht inachen,
wünschenswerte Verbesserungen einzuführen.
Die agricole Reparation des bebauten Grundes
im Jahre 1878 ergibt die folgenden Grössen¬
ziffern für Wiesen und Weiden in den drei
Theilen des Reiqhslandes:
Geäammtfl&che Wieacu Weiden
Hektaren
Ober-Elsass. 351.231 46.912 17.160
Unter-Elsass .... 477.436 63.777 9.552
Lothringen .. . .. 622.143 65.487 4.120
Elsass-Lothringen 1,450.810 176.176 30.832
Selbstverständlich sind die Weiden am
reichlichsten in den gebirgigen Theilen des
Landes anzutreffen. Lothringen baut für sich
allein dreimal mehr Hafer als Eisass; das
Gesammterträgniss Elsass-Lothringens über¬
schreitet gewöhnlich zwei Millionen Hekto¬
liter. Das Stroh der Cerealien spielt eine
hervorragende Rolle für die Ernährung der
Pferde und Rinder. Lothringen ist bemerkens¬
wert durch seine Culturen von Luzerne,
Unter-Eisass durch seinen Klee, Ober-Elsass
durch seine Esparsette. Indessen genügt die
durchschnittliche Futterproduction kaum, um
all das in Elsass-Lothringen gehaltene Vieh
zu ernähren. Tritt nun gar ein schlechtes
Jahrein, so werden die Thiere mangelhaft
gefüttert, und dieser Mangel, welcher zumeist
der sich stets ausbreitenden industriellen
Cultur sowohl wie der häufig mittelmässigen
Qualität der Weidegründe zuzuschreiben ist,
bildet ein gewaltiges Hemmniss für alle unter¬
nommenen Ameliorationen. Die letzte officielle
Zählung ergab im Jänner 1883 für ganz Elsass-
Lothringen 138.725 Pferde, 428.650 Rinder,
- jitizt a
Google
524
ELSASS-LOTHRINGENS THIERZÜCHT.
129.433 Schafe, 322.431 Schweine und
53.603 Ziegen.
Pferdezucht. Die 138.725 Pferde ver¬
theilen sich folgendennassen: Ober-Elsass
21.654, Unter-Elsass 45.816, Lothringen 71.255.‘
Die Zählung von 1873 wies 130.172 Pferde auf.
doch ist diese Vermehrung blos eine anschei¬
nende, denn im Jahre 18§3 hatte man in die
Ziffer auch die Armeepferde aufgenommen,
was 1873 nicht der Fall war. Die eigentliche
Ziffer ist daher 130.174, also dieselbe wie
zehn Jahre vorher. Unter diesen 130.174 Pfer¬
den befanden sich 27.311-unter und 102.863
über drei Jahren. Auf einen Quadratkilo¬
meter entfallen in Ober-Elsass 5*6 Pferde,
in Unter-Elsass 8*1, in Lothringen 10*6
und in Eisass-Lothringen durchschnittlich
8*9 Pferde. Ferner rechnet man in Ober-
Elsass 1 Pferd auf 22 Einwohner, in Unter-
Elsass 1 auf 14 und in Lothringen 1 auf 7,
d. h. im ganzen Reichslande durchschnittlich
1 Pferd auf 11 Einwohner. Die Pferdezucht
war in Eisass-Lothringen niemals, was die
Qualität betrifft, in blühendem Zustande und
hat- auch sozusagen keine Geschichte. Die Be¬
herrscher von Lothringen, die Herzoge Karl,
Rönd, Leopold und besonders Stanislaus
führten in ihre Domänen türkische, tatarische,
ungarische und siebenbürgische Hengste ein;
und man kann noch jetzt hie und da unter den
gegenwärtigen Pferden in Lothringen theil-
weise atavitische Merkmale dieser veredelnden
Typen gewahr werden. Aber das politische
Geschick Elsass-Lothringens hat sich seit
Langem der eifrigen Weiterzucht einer ver¬
besserten Rasse entgegengestellt. Die Kriege,
deren Schauplatz dieses Land seit Ludwig XIV.
so häufig war, die zwangsweisen Requisitionen
von Thicren und Lebensmitteln haben die
Viehzucht aufs tiefste unterwühlt. Die Züchter
hatten alles Interesse, ihre schönen und
werthvollen Pferde durch kleine und mangel¬
hafte zu ersetzen, welche bei Requisitionen
nicht in Betracht gezogen wurden und ausser¬
dem noch den Vortheil hatten, von Wenigem
leben .zu können. Das Gestüt von Roziöres,
1766 unweit von Nancy gegründet und mit
mehr oder weniger arabischen Pferden nahe¬
stehenden Hengsten bevölkert, hatte in kurzer
Zeit auf Formen und Grösse den günstigsten
Einfluss geübt. Doch hatten die Kriege zu
Ende des verflossenen Jahrhunderts und jene
unter Napoleon gar bald die erhaltenen
schönen Resultate vernichtet. Die nun fol¬
gende Periode des Friedens hat wohl einiger-
massen den Schaden wieder gutgemacht, und
die Pferdezucht Elsass-LothriDgens würde
bald wieder einen Aufschwung genommen
haben, wenn sie auf weisen Grundsätzen
basirt gewesen wäre. Was aber ihr Ge¬
deihen zumeist hindert, das sind vorerst
die schlechten ökonomischen Verhältnisse,
welche bei den Züchtern vorherrschen. In
Folge des Mangels an Raum durch die Zer¬
stückelung des Bodens werden die Füllen zu¬
meist in den Ställen aufgezogen, und diese sind
noch dazu gewöhnlich niedrig, schlecht ge¬
lüftet und mittelmässig gehalten. Die Fütterung
der jungen wie auch der erwachsenen Thiere
leidet an der Qualität der Nährmittel, in
welchen der Hafer gemeiniglich nur in win¬
zigen Verhältnissen vertreten ist und Rüben
— wenigstens im Eisass — besonders im
Winter eine allzu hervorragende Rolle spielen.
Ausserdem unterhalten die Grundbesitzer eine
zu grosse Anzahl von Thieren, welche dann
consequenterweise in engen Räumen unter¬
gebracht, ungenügend ernährt und zu Vieren
oder Sechsen zum Ziehen von Lasten ver¬
wendet werden, wofür zwei entsprechend ge¬
nährte Pferde mittlerer Grösse vollauf ge¬
nügen würden. Wenn man sodann noch übel¬
verstandene Kreuzungen in Betracht zieht*
wird man wohl den Zustand des Verfalles
begreiflich finden, in dem sich die Pferde¬
zucht dieses Landes befindet. Was diese
mangelhaften Zustände theilweise wieder gut
macht, ist der Ueberfluss an künstlichen
Wiesen, die — obwohl häufig unwissende —
Vorliebe der Einwohner für das Pferd, und
die sich stets erneuernden Anstrengungen
der Landesverwaltung, zur Zucht geeignete
Hengste beizustellen. Gegenwärtig beziffert
sich das Budget der Gestüte Elsass-Loth¬
ringens auf etwas mehr als 260.000 Francs.
Im Jahre 1883 zählte man 141 Deckhengste,
welche 8216 Stuten deckten, ausserdem noch
291 „autorisirte“ Hengste. Die Regionalaus¬
stellung in Metz im Jahre 1876 hat eine ge¬
wisse Verbesserung in den Formen, eine Ten¬
denz zum Verschwinden der Erbfehler und,
dank den seitLangem erzielten Fortschritten in
dem Agriculturzustand des Bodens, eine sehr
bemerkenswerthe Abnahme der periodischen
Fluxion gezeigt. Gegenwärtig ist die Zucht
des Linien-Cavalleriepferdes und jenes für ge¬
wöhnlichen Zug am meisten bevorzugt. Die
Landesverwaltung unterhält zu diesem Zwecke
vortreffliche Sprunghengste, worunter viele
von anglo-normannischer Rasse. — Das alte
lothringische Pferd, das sich nur noch stellen¬
weise im Moselthalc vorfindet, misst 1*40 bis
1 • 50 m, ist energisch, massig und wider¬
standsfähig. Sein Kopf ist fein und ausdrucks¬
voll, die obere Körperlinie hat eine regel¬
mässige Richtung. Die Formen sind eckig,
ohne Distinction, die Kruppe ist schräg, die
Glieder dünn, die Articulationen wenig her¬
vortretend, aber im Allgemeinen frei von Erb¬
fehlern; die Fesseln sind fast stets gebogen
und einander genähert. Der grösste Theil
der lothringischen Pferde ist von grösserer
Statur; dies rührt von — obwohl häufig ganz
ungeeigneten — Paarungen mit Ardenner,
belgischen und besonders Percherons und
anglo-normannischen Hengsten her; es sind
dies sodann meist Thiere mit massigem Körper,
zarten Knochen und von schlaffem Tempera¬
ment, das durch die ihnen zutheil werdende
mangelhafte Hygiene noch weiter ausgebildet
wird — Im Elsass gibt es keine scharf aus¬
geprägten Pferderassen, aber man findet dort
zahlreiche Varietäten, theils von Importationen
aus benachbarten Ländern, theils von Modi-
ficationen herrührend, welche durch das Klima,
die Ernährungsweise und die verschiedenen
ELSASS-LOTHRINGENS THIERZUCHT. 525
Kreuzungen bedingt werden. Gegen die Süd¬
grenze findet man hauptsächlich Hochbur¬
gunder, im Lande geborene oder in dasselbe
eingeführte Pferde. Fast jdas ganze Ober-
Elsass hindurch sieht man Sundgauer, zum
schweren Zug geeignete, ordinäre Pferde mit
niedrigem Widerrist, flachen Seiten, wenig
muskulösen Gliedern. Besser gebildet, von
runderen Formen, mit schönerem, ausdrucks¬
vollerem Kopf sind dieselben in der Umge¬
bung von Mülhausen. In den feuchten Ge¬
genden des Kreises Weissenburg sind die
besonders zum schweren Fuhrwerk und zur
Feldarbeit geeigneten Pferde von plumpen
Formen, mit dicker Haut und breiten Füssen,
In dem gebirgigen Theile findet man kleine,
nervöse Pferde, welche zu den Vogesenpferden
Lothringens zu zählen sind. In den sandigen,
wenig fruchtbaren Gegenden der zwischen
den Vogesen und dem Rhein liegenden
Ebenen sind die Pferde ähnlich den früher
erwähnten, aber noch gröber. Zwischen der
111 und dem Rhein sieht man noch das
. Harthpferd. Dasselbe ist halbwild, mit kleinem
Kopf, lebhaften Augen, schräger Schulter, gut
angesetztem Schwanz, breiten Articulationen;
eine im Uebrigen wenig zahlreiche Varietät.
In Strassburg-Land züchtet man leichte, ziem¬
lich feine Pferde, die von deutschen Stuten
stammen. Schliesslich begegnet man im nörd¬
lichen Theile von Unter-Elsass noch einige
Abkömmlinge von Hengsten aus dem gross¬
herzoglich Zweibrücken’schen Gestüt. Die¬
selben haben einen wohlproportionirten Körper,
gut gehaltenen Rücken, hohen Widerrist,
schräge und lange Schultern, gut gestellte
Gliedmassen und feine Haut. Es sind elegante,
massige, auch für die Landwirtschaft ge¬
eignete Thiere, welche lange Zeit hindurch
gute Dienste leisten können.
Rindviehzucht. Die 428.650 Stück
Rindvieh vertheilen sich folgendermassen:
Ober-Elsass 112.888, Unter-Elsass 177.926,
Lothringen 137.836. Gegen die.Zählung von
1873 ergibt sich eine Vermehrung um 10.166
Stück. Hinsichtlich des Alters waren darunter
133.469 unter und 295.181 über zwei Jahren.
Die entsprechenden Ziffern von 1873 waren
• 140.465 und 278.019. Die Vermehrung be¬
schränkte sich demgemäss ausschliesslich auf
die älteren Thiere, ja es zeigt sich sogar
eine Verminderung von ca. 7000 Stück beim
Jungvieh. Die Vermehrung der Rinder über
zwei Jahren entspricht — wie die Statistik
darthut — einer Verminderung der Zahl der
Agriculturpferde. In Lothringen wird das
Grossvieh besonders zu Schlachtzwecken und
zur Milchproduction gehalten. Bios in den
Landestheilen, welche an das Eisass grenzen,
und an mehreren Punkten dieses letzteren
Landes kann man Rinder zu landwirtschaft¬
lichen Arbeiten verwendet sehen. Die Rassen
sind ausserordentlich gemischt. Da das Land
sehr häufig von feindlichen Armeen geplündert
und gebrandschatzt wurde, hat man die
Ställe wieder bevölkert, indem man aus allen
Quellen schöpfte. Da aber die Culturen und
die Brauereirückstände weit geeignetere Nähr¬
mittel für die Milch- als für die Fleischpro-
duction bilden, nahm man mit Vorliebe Zu¬
flucht zu den holländischen, Schweizer und
deutschen Kühen, welche einen hohen Grad
von Milchergiebigkeit besitzen. An manchen
Orten wurden mit der Durham-Rasse Ver-
besscrungsversuche unternommen, die auch
zuweilen erfolgreich waren. Die folgende Ver¬
teilung nach Rassen der 4278 im Jahre 4883
zur Zucht zugelassenen Stiere gestattet einen
Einblick in die bezügliche Intensität der ver¬
schiedenen Zuchtbestrebungen in Eisass-
Lothringen : Landschlag 2831, Simmental 438,
sonstige Schweizer Schläge 433, Glan 12,
Holländer 114, Durham und Kreuzungen 440,
sonstige ausländische 6, ohne Angabe 4. Fast
alle Simmentaler Stiere sind im Eisass, fast
sämmtliche Holländer, die Durham und alle
Glan in Lothringen. Was sich dem sicheren
und constanten Fortschritt entgegenstellt, das
sind die mangelhaften Gepflogenheiten, welche
bei der * dortigen Rindviehzucht eingehalten
werden. Es sind nämlich die Ställe unge¬
nügend, schlecht gelüftet und die Anzahl des
Viehes ist zu gross für die beschränkten
Hilfsmittel der Pachthöfe; die Kälber werden
zu schlecht genährt und allzu früh abgesetzt.
Die Paarungen werden zumeist dem Zufall
überlassen, die Stiere schlecht ausgewählt,
so dass dadurch Fehler und Mängel auf die
Nachkommenschaft gelangen, welche ganz
leicht vermieden werden könnten. So wurden
im Jahre 1877 bei einer im Bezirke von Mül¬
hausen veranstalteten Enquete von 275 unter¬
suchten Stieren 20 als vortrefflich classificirt T
64 als gut, 110 als mittelmässig und 78 als
schlecht. Durch ein Gesetz vom 19. April 1878
wurden cantonale Expertencommissionen für
die Untersuchung der Stiere eingesetzt. Es
wurde den Gemeinden untersagt, zur Zucht
andere Stiere zu verwenden als die von Jahr
zu Jahr von den Commissionen zu diesem
Zweck als geeignet befundenen. Im Jahre 1883
wurden in Elsass-Lothringen von diesen Com¬
missionen 14 37 von 100 untersuchten Stieren
als für die Zucht untauglich befunden, doch
ergibt sich seither von Jahr zu Jahr eine
Verminderung dieser Percentziffer. Als locale
Rassen findet man in Lothringen und einigen
Thälern des Unter-Elsass einen Rindvieh¬
schlag von mittlerer Grösse, race meusienne
(Meuse) genannt. Derselbe ist von gemischtem
Ursprung, wobei indessen bald das hollän¬
dische und bald das Tourache-Blut vorherrscht
(s. Hochburgundische Viehzucht). Die Haar¬
farbe ist gleichmässig und schwankt zwischen
hellgelb und dunkelgelb, manchmal der Farbe
des Milchkaffees gleichkommen ff. Der Kopf
ist lang, von einem dichten Haarschopf über¬
ragt, die Hörner platt und nach vorne ge¬
richtet. Der Widerrist ist schmal, der Rücken
häufig hohl, die Brust eingeengt, der Bauch
dick, die Kruppe merklich erhöht. Dieser
Schlag besitzt eine hochgradige Milchergiebig¬
keit. Versuche zur Veredlung haben im All¬
gemeinen keine besonders guten Ergebnisse
geliefert. Die Milchergiebigkeit wurde ver¬
ringert, ohne dass dafür die gehoffte Früh-
oogle
556
ELSASS-LOTHRINGENS THIERZÜCHT.
reife eingetreten wäre, weil eben die Ernährung
nicht im gebotenen Verhältnis» hiezu vermehrt
wurde. Da durch den Krieg von 1870—1871
naturgeinäsB auch der Viehstand grossen
Schaden und Einbusse erlitt, so fand an vielen
Orten, speciell ira Kreise von Diedenhofen,
eine ansehnliche Substitution der localen
Rasse durch Holländervieh statt. Ein grosser
Theil der Milchproduction, hauptsächlich in
den gebirgigen Landestheilen, wird zur Her¬
stellung des Gerardmer Käses verwendet,
dessen Hauptproductionsort Remiremont in
Französrech-Lothringen ist. Im Süden von*.
Deutsch-Lothringen und von Eisass befindet
sich unter den dort vorkommenden Rindern
eine nicht unbeträchtliche Zahl von Individuen
der sog. Vogesenrasse, Welche in entfernten
Verwandtschaftsbeziehungen zur holländischen
Rasse steht. Ihr Kopf ist lang und ziemlich
stark, der Haarschopf gekräuselt und hervor¬
springend, die Hörner klein, bei den Kühen
nach vorne und oben gewölbt, dor Körper
schmal und gedrängt, «die Schenkel dünn; die
Gliedjnassen stark, der Schwanz hoch ange¬
setzt, die Behaarung schwarz. Wegen ihrer
kleinen Gestalt upd wegen ihrer guten Milch¬
ergiebigkeit nennt man sie die Bretonen des
Ostens. Von der Milch dieser Rasse wird in
FranZösisch-Lothringen zumeist der echte
Gerardmerkäse erzeugt. Das Milcherträgniss
bei dieser Rasse beträgt 6—8 1 per Tag. Drei
specielle Typen finden sich im Eisass vor:
Im Unter-Elsass der lothringische Typus,
gegen die Vogesen der Vogesenschlag; im
Öber-Elsass eine Mischlingsrasse der Vogesen*
und Hochburgunder; man findet dort auch
manche Thiere, welche mehr oder weniger
Blut von Simmenthaler und Schwyzer Rassen
haben. Im Allgemeinen hat der dortige Vieh¬
stand wenig individuellen Werth, und die
Züchter und Grundeigentümer sind noch
unentschieden über den Weg, den sie ein-
schlagen, und übe*r die Rasse, welche sic zur
Zucht wählen sollen. Dies gilt insbesondere
für die Ebene, denn in den gebirgigen Theilen
des Landes, wo die Schäferei eine grosse
Rolle spielt und wo die Weiden reichlich und
von guter Beschaffenheit sind, findet man
einen ziemlich gleichmässigen Schlag, obgleich
von verschiedener Grösse, mit grossem Kopf,
ziemlich kurzen* nach oben und vorne ge¬
richteten Hörnern, von mehr oder minder
dunkelrotlier Haarfarbe, häufig mit weissen
Flecken gezeichnet; der Rucken ist ziemlich
schmal, die Seiten wohlgerundet, Beine und
Oberschenkel gut geformt, der Charakter dieses
Schlages ist sanft; die männlichen Thiere sind
gute'Arbeitstiere, die weiblichen sehr milch¬
ergiebig; beide sind zu Schlachtzwecken recht
zufriedenstellend, wenn sie vorher einiger-
rnassen gemästet werden. Es sind hauptsäch¬
lich die Kühe dieses Viehschlages, von deren
Milch der vortreffliche Müpsterkäse stammt.
An mehreren Orten fabricirt man unechten
GroyerkHse von guter Qualität. Von eine*r
guten Milchkuh kann man jährlich bis zu
250 kg Käse erzeugen: im Durchschnitt er-
hält-man jedoch selten mehr als 120—130 kg.
Schafzucht. Die Theilung des Grund¬
eigentums macht die Schafzucht im Grossen
unmöglich. Die 129.433 Schafe verteilen
sich folgendermassen: Ober-Elsass 19.022,
Unter-ElsasB 29.892, Lothringen 80.519. Gegpn
die Zählung von 1873 ergibt sich eine Ver¬
minderung von 64.609 Stück oder 32%, deren
Ursachen, abgesehen^ von jenen, welche in
ganz Europa der Schafzucht entgegenstanden,
in den Epizootien zu suchen sind, welche in
den Jahren 1878, 1879 und 1880 fast die
Hälfte dieser Thiere in Elsass-Lotringen
hinrafften. Die Zucht ist also — wie bereits
bemerkt — im Eisass ziemlich unbeträcht¬
lich;-die Heerden bestehen dort zumeist nur
aus einigen Köpfen. In Lothringen sind die¬
selben allerdings zahlreicher, bilden jedoch
keinen hervorragenden Zweig der Thierzucht.
Die lothringischen Schafe, gleichwie jene <ies
Eisass, gehören keiner bestimmten Rasse an.
Es sind eben Thiere der Ardenner, deutschen
und Schweizer Rassen, gemengt mit Misch¬
lingen. Sie sind im Allgemeinen klein und
haben grobe Wolle. Kreuzungsversuche mit
englischen Rassen, welche für feuchtes Klima
wenig empfindlich sind, haben gute Ergeb¬
nisse geliefert. Hauptsächlich werden Dishley-
und Southdown-Schafe zur Kreuzung ver¬
wendet. Kreuzungen mit Merinos in trockenen
Oertlichkeiten, in der Nähe von Gebirgen,
waren gleichfalls von Erfolg begleitet.
Schweinezucht. Dieser Zweig 'der
Thierzucht besitzt für das Eisass und noch
mehr für Lothringen eine grosse Bedeutung,
da das Schweinefleisch die Basis der Fleisch¬
nahrung für die Landbevölkerung und die
arbeitenden Classen in den Städten bildet.
Die ira Jahre 1883 vorhanden gewesenen
Schweine vertheilten sich in nachfolgender
Weise: Ober-Elsass 58.654, Unter-Elsass
88.497, Lothringen 175.280. Gegen die Zählung
von 1873 ergab sich eine Vermehrung von
55.926 Stück oder 21%. Diese Vermehrung
war ira Eisass relativ viel grösser als in
Lothringen. * Das eigentliche lothringische
Schwein ist von mittlerer Grösse, von grau-
w r eisslicher Farbe; es hat häufig auf dem
Kopf oder auf der Kruppe einen oder zwei
mehr oder minder ausgedehnte schwarze
Flecken. Die Ohren sind gross, ein wenig
aufrechtstehend: der Kopf iÄ lang, ein wenig
gespitzt, die Stirnplatte gerade; der,Körper
lang, häufig schmal, der Rücken ein wenig
convex, die Glieder sjark. Fleisch und Speck
dieser Schweine stehen durch ausgezeichnete
Qualität in bestem Rufe. Diese Rasse, über
ganz Lothringen verbreitet, kommt auch allent¬
halben im Eisass vor, doch sind die Elsässer
Schweine weit weniger gut gehalten als jene,
in ihren Formen mangelhafter. Sie haben
manchmal röthliche oder halbrothe und halb¬
schwarze Borsten, die je nach den einzelnen
Thieren mene, oder weniger reichlich sind.
Die alte Lothringer Schweinerasse nimmt un¬
geachtet ilirer Qualität stets mehr und mehr
an Zahl ab, wenigstens was die reinen Typen
anbelangt. Man kreuzt es seit Langem jmd
mit stets wachsendem Erfolg mit englischen
ELUMBIS.*-
Schweinen, um bei den ersteren grössere
Frühreife zu erzielen, welche ihnen bisher
mangelte. Es dürfte daher der Zeitpunkt^ zu
welchem das .lothringische Schwein derart
modificirt sein wird, dass die Existenz dieses
Typus zweifelhaft geworden, in bald abseh¬
barer Frist eintreten.
Ziegenzucht. Die 53.603 Ziegen, die
im Jahre 1883 vorhanden waren, vertheilten
sich auf: Ober-Elsass 18.830, Unter-Elsass
15.218, Lothringen 20.155. Gegen die Zählung
von 1873 ergibt sich eine Verminderung von
2976 Stück oder 5%. Die Ziegenzucht in
Elsass-Lothringen bietet keinerlei specielles
Interesse dar.
Hunde. Die Zahl der Hunde, welche für
die Steuer im Jahre 1883/84 eingeschrieben
waren, belief sich: für Luxushunde auf 31.214,
Kettenhunde 29.347, zusammen daher auf
60.561 Stück. Dieselben haben «ich gegen
das voran gegangene Jahr um 4548 Stück ver¬
mindert. Neumann.
elumbis (v. e, einen Mangel andeutend,
und lumbi, Lenden); lendenlahm, Mangel der
Lende etc. als Missgeburt. Sussdorf.
Elutriation nennt man das Schlemmen
unter Wasser, welches Anwendung findet,
um aus schweren Metallpulveri^ und Kalk¬
verbindungen das feinste Pulver, das ^og.
Pulvis alcoholisatus (wobei alcoholisatus fein,
also feinkörnig, bedeutet) abzuscheiden. Lh.
Eiwert J. K. P., Dr., schrieb eine Heil¬
mittellehre für Thierärzte. Semmer.
Elytron (to eXotpov), Scheide, findet sich'
in zahlreichen Compositionen, z. B.
Elytroatresia, angeborener Mangel der
Scheidenöffnung;
Elytroblennorrhoea,. Scheidenfluss ;
Elytrokele, Scheidenbruch:
Elytrorrhaphe, Scheidennaht;
Elytrotomia, Scheidenschnitt etc. Sf.
Email, s. Dentes.
Embolie, Embolia (von ipßoXos, Pfropf,
ep.ßaXXe'.v, einstecken,eindringen), Verstopfung
von Gefässen durch eingekeilte fremde Körper,
Emboli oder Pfröpfe. Die Emboli können sich
innerhalb der Gefässe bilden und entstehen
aus zerfallenden Blutgerinnseln oder Thromben,
oder werden gebildet aus Stückchen der Intima
der Gefässe und des Endocardiums, der Herz¬
klappen und Entzündungs- und Zerfallspro-
ducten der Innenhaut des,Herzens und der
Geftsse. Andererseits können die Emboli
von aussen in perforirte Gefässe hinein¬
gelangen und bestehen aus Entzündungspro-
ducten, Eiter, Stückchen von Neubildungen
(Krebsen, Sarcomen, Tuberkeln, Rotzknötchen),
parasitischen Pflanzen und Thieren, wie Pilz¬
sporen (Actinomyces, Aspergillus u. a.), Spalt¬
pilzen, Blasenwürmem (Finnen u. a.), Rund¬
würmern (Trichinen), Psorosperraien, aus Fett,
Luft, Pigment, Gallenfarbstoffen, harnsauren
Salzen, Kalksalzen, Medicamenten (Silber,
Blei und Quecksilber).
Emboli, die aug den Venen und dem
rechten Herzen stammen,^werden meist in den
Lungen abgelagert, die aus den Lungen, dem
linken Herzen und den Arterien stammenden
EMBOLIE. . 527
in den verschiedenen Endausbreitungen des
Arteriensystemes, die ^aus der Pfortader¬
wurzel stammenden in der Leber. Die Emboli
setzen sich meist an Theilungsstellen der
Gefässe fest und verstopfen den Anfangstheil
kleinerer Gefässe ganz oder theilweise. An¬
fangs liegen die Emboli ganz locker in den
Gefässen, später adhäriren sie fest an der
Gefässwand. Grössere Emboli bleiben in
grösseren Gefässen, kleinere in kleineren und
die kleinsten am Anfang^ der Capillaren
stecken. Sind sie dagegen so klein, dass- sie
in die Capillaren hineinkönnen, so passiren
sie auch durch dieselben hindurch, so z. B.
können kleine Emboli die verhältnissmässig
weiten Luugencapillaren passiren, kommen in
die*Arterien und werden in engere Gebiete
der Nieren, Leber, Milz etc. eingekeilt. * Die
eingekeilten Emboli können einfach wieder
resorbirt werden, oder sie werden canalisirt,
organisirt, oder sie verkalken, verhornen oder
erweichen und zerfallen. Die Störungen und
Veränderungen, welche durch Emboli ver¬
ursacht werden, sind ^ehr verschieden, je
nach dem Orte, der Zahl und der Beschaffen¬
heit der Emboli. Wird durch zahlreiche Emboli
die Circulation in irgend einem Gefässbezirk
aufgehoben, so entstehen Veränderungen in
den Venen, Capillaren und später auch in
den Arterien; dieselben entarten, erweitern
sich und lassen Serum und Blutkörperchen -
austreten. Indifferente Emboli (aus Luft, Fett,
Fibrin, Kalk, Gewebspartikelchen ohne fremde
Beimengung) in geringer Anzahl verursachen
meist keine Veränderungen. Rauhe und che¬
misch reizende oder niedere Organismen ent¬
haltende Emboli dagegen veranlassen eine
entzündliche Reaction von Seiten der Gefäss¬
wand und der umgebenden Gewebe. Prolife¬
rationsfähige Krefls- und Sarcomzellen wuchern
am Orte der Einkeilung weiter und führen
zur Bildung metastatischer Krebse und Sar-
come; Tuberkel- und Rofzbacillen enthaltende
Emboli erzeugen metastatische Tuberkel und
Rotzknötchen.
Indifferente,Emboli sind in solchen Ge-
fassen, die eine hinreichende Menge offen¬
gebliebener Collateraläste besitzen, nicht nach-
tneilig. Wenn dagegen sämmtliche Collateral¬
äste verstopft sind oder ein Embolus in eine
sog. Endärterie hineingelangt, so erfolgt eine
Rückstauung des Blutes von den^ Venen aus,
eine Anschoppung und Blutaustritt durch die
von der Circulation abgeschlossenen, unge¬
nügend ernährten Gefässwände, ein sog. hämor¬
rhagischer Infarct. Endarterien kommen vor in
den Lungen, der Milz,-den Nieren, dem Ge¬
hirn und Darm. Hämorrhagische Infarcte nach
Embolien in den Arterien bleiben nur da aus.
wo zahlreiche Gefässanastomosen vorhanden,
oder wo der Blutdruck in 4en Venen ein sehr
geringer ist, wie z. B. im Gehirn. Vollständige
Verlegung einer Endarterie hat aufgehobene
Ernährung des von ihr versorgten Theiles und
Brand zur Folge. Dennoch entstehen in den
Lungen nicht immer bei Embolien der Lungen¬
arterien Infarcte und Brand, weil die Lungen-
capillaren weit sind, zahlreiche Anastomosen
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528
EMBOLUS. — EMBRYOLOGIE.
besitzen und von den benachbarten Capillaren
Blut beziehen können. Ebenso entstehen in
der Leber durch Pfortaderembolien nicht
immer Infarcte, weil die Leberarterien ihr
Blut in die Venae interlobulares senden.
Metastatische Abscesse durch Embolien ent¬
stehen nur, wenn den Emboli reizende, schäd¬
liche, in Zersetzung begriffene Stoffe und
niedere Organismen, besonders Mikrococcen
und Bacterien beigemengt sind. Metastatische
Abscesse kommen am häufigsten in den Lungen
und* der Leber vor. Abgesehen von völliger
Verstopfung von Gefössen ohne Collateraläste
sind die Emboli umsoweniger gefährlich, je
indifferenter sic sind, und vereinzelte Capillar-
embolien indifferenter Natur sind vollkommen
gefahrlos, so z.B. unbedeutende Luft- und Fett¬
embolien. Eindringen von Luft in die Venen
ist nur dann gefährlich, wenn die Luftmenge
eine sehr grosse ist. Der Tod erfolgt dann
durch Anhäufung von Luft im rechten Ven¬
trikel und den Lungengefassen und Aufhebung
des Lungenkreislaufs. Fettembolien sind nur
beim Eindringen grösserer Fettmengen nach
Knochenfracturen und Zerquetschungen von
Fettgeweben durch zahlreiche Lungen-, Him-
und Nierenembolien gefährlich. Die weiteren
Veränderungen in Folge ausgebreiteter Em¬
bolien hängen zum Theil von der Structur
der Gewebe ab. Sehr rasch zerfallen Organe
mit weicher Textur, wie Lungen, Leber, Milz,
Gehirn; langsamer die Haut (Furunkel), noch
langsamer die Knochen (Sequester). Brandig
jauchiger Zerfall erfolgt in weichen Organen
und hämorrhagischen Infarcten schnell, wenn
die Luft zu denselben Zutritt hat, * wie z.B.
in den Lungen, dem Magen, oder wenn die
Emboli deletäre Stoffe und Fäulnisserreger
mit sich führen. In Organen, die von nutri¬
tiven und functioneilen Gefassen zugleich
versorgt werden (Lungen, Leber), erfolgt bei
Verschluss der nutritiven Gefässe Brand oder
Atrophie und beim Verschluss der functioneilen
Gefässe Functionsstörung, Atrophie oder
Wucherung des interstitiellen Bindegewebes.
Die Zeit, innerhalb welcher sich die Circu-
lationsstörungen bei indifferenten Emboli
ausgleichen, hängt von der Grösse und Zahl
der verstopften Gefässe, von der Zahl der
collateralen Bahnen jnd von der Blutbe¬
schaffenheit ab, und die aus der Circulation
ausgeschalteten Gefässe entarten in ver¬
schieden langer Zeit. Die Folgen der Embolien
hängen ab von den Functionsstörungen lebens¬
wichtiger Organe, wie der Lungen, des Hirns,
der Leber, Nieren etc. oder von nachfolgender
Gangränescenz, brandiger oder eitriger Er¬
weichung. Die Symptome bedeutender Em¬
bolien treten immer plötzlich mit einem
Schlage auf. Embolien grösserer Hirngefässe
verursachen Lähmflngen oder Apoplexien und
schnellen Tod. Embolien der Lungenarterien,
wenn die grossen Aeste oder eine sehr grosse
Anzahl kleiner Zweige verlegt werden, ver¬
ursachen Dispnoe, Lungenödem, Hirnanämie
und Asphyxie. Embolien der Arteria coron.
cordis haben Lähmung'des Herzens zur Folge.
Bei Embolien der Arteria central, retinae
erfolgt Erblindung. Embolien der Arteria
meaent. ant. verursachen Darmhyperämien,
Darmblutungen, Koliken und Dannbrand. Em¬
bolien der Cruralarterien bedingen Schwäche
und Lähmungen der Hinterextremitäten. Er¬
folgt der Tod nicht gleich, so kann nach vor¬
übergehenden Anfällen eine Wiederherstellung
zur Norm durch Collateralkrei9läufe eintreten.
Sind keine Collateraläste da, so entstehen,
wenn der Tod nicht eintrat, bleibende Func¬
tionsstörungen, nachher Erweichung oder Brand
der durch die Emboli verschlossenen Bezirke
und kann der Tod noch nachher an metasta¬
tischen Abscessen und Erweichungsherden
erfolgen. Eindringen mit deletären Massen
durchsetzter Emboli veranlasst Schüttelfröste
und hohes Fieber. Mit Fäulnissproducten,
Eiter, Jauche, niederen Organismen, pyämi¬
schem und septischem Contagium, Tuberkel-
und Rotzbacillen durchdrungene Emboli haben
stets pernieiöse Folgen.
Am häufigsten kommen bei Verschlep¬
pungen der Emboli durch die Venen Ab¬
lagerungen derselben in den Lungen zu Stande.
Wenig zahlreiche Verstopfungen kleiner Zweige
der Arteria pulmonalis verlaufen symptomlos,
selbst wenn einzelne hämorrhagische Infarcte
sich bilden. Meist erfolgt ein Ausgleich von
Seiten der benachbarten Capillaren. Bei Em¬
bolien grösserer Aeste der Lungenarterien
entsteht sofort Athemnoth, collaterale Hyper¬
ämie und Oedem anderer Theile der Lungen,
blutiger Schaum in den Luftwegen, kleiner
Puls, und oft erfolgt der Tod schnell durch
Hirnanämie oder Asphyxie. Sernmer.
Embolus, Embolum (v.?p.ßoXos, EjxßoXov).
Alles was hineingesteckt oder geschoben
wird; in der Pathologie ein in das Gefässlumen
eingekeilter Blutpfropf, die Embolie (s. d.)
verursachend.
Embrocatio, richtigerembrocha(-rj EjxßpoxiQ,
v. epißpr/eLv, an feuchten), 1. Begiessung, Irri¬
gation; t. Kataplasmen, Fomentien. Sussdorf.
Embryologie. Obgleich dieser Abschnitt der
biologischen Wissenschaften erst in jüngster
Zeit seine Ausbreitung im weitesten Masse
erlangte, sind wir doch in der Lage, diese
Wissenschaft bis in die ältesten Zeiten, aus
denen uns schriftliche Berichte vorliegen, zu¬
rückzuverfolgen. Nur wurde dieselbe theilweise
als Abschnitt der Anatomie betrachtet und
daher der Entwicklungsgang des Organismus
weniger zusammenhängend dargestellt als viel¬
mehr auf die Beschreibung der äusseren Formen
der Embryonen Rücksicht genommen. Gegen¬
wärtig stellt sich die Entwicklungsgeschichte,
Embryologie (Saßpoov [t& ßpbov] t b
tvje 'faazpog ßpoov) (Eusthatius) aie Aufgabe, den
Entwicklungsgang der einzelnen Organismen
sowohl in anatomischer als auch physiologischer
Richtung in zusammenhängender Weise zu
verfolgen." Es wird daher nothwendig, dass
derjenige, welcher das Gebiet des Forschens
in der Embryologie betritt, mit den nöthigen
Hilfswissenschaften, wie-sie die Anatomie und
Physiologie verlangt, ausgestattet sei.
Dieser Abschnitt der Embryologie be¬
schränkt sich auf die Beschreibung des Ent-
EMBRYONALFLECK. — EMBRYOTOM1E. 529
wicklungsganges der organischen Individuen
(s. u. Entwicklungsgeschichte). Schtnk.
Embryonalfleck. An jener Stelle, wo sich
am Eichen der Embryo ausbildet, erscheint
eine wegen einer vermehrten Zellenanhäufung
daselbst weniger durchsichtige umschriebene
Partie. Es zeigt sich daher diese um¬
schriebene Partie als dunkler, anfangs runder,
später ovaler Fleck. Er wird als Embryonal¬
flecke (Täch embryonnaire) bezeichnet. An den
durchsichtigen Eichen der Säugethiere ist der
Embryonalfleck deutlich zu beobachten. Sk t
Embryothla8is (von ejjißpoov, Fötus, und
A-Xaois, Zerdrückung, Zerquetschung) ist eine
nicht häufige geburtshilfliche Operation. Unter
dem Worte Embryothlasis wird aber nicht
das Zerquetschen des ganzen Fötus, son¬
dern blos das Zerdrücken, Zermalmen oder
das Zusammendrücken dessen Kopfes ver¬
standen und wird diese Operation fast nur
bei Wasserköpfen vorgenommen (s. Embryo-
tomie). Strebei .
Embryotomie (vj ejxßp’joxojjita, v. ep.ßpoov,
Fötus, und tejjlvüj, zerschneiden, Zerschneidung
oder Zerstückelung des Fötus). Die Embryo¬
tomie umfasst alle Operationen, die mittelst
Zerstückelung des Jungen im Mutterleibe
dessen Verkleinerung bezwecken. Sie ist eine
schöne, aber ernste, eingreifende, für das
Mutterthier stets mehr oder minder gefähr¬
liche, fast durchwegs schwierige Operation,
die von Seite des Geburtshelfers viel Kraft,
Ausdauer und Geschicklichkeit verlangt. Sie
findet sich bei unseren Hausthieren überall
da angezeigt, wo in Folge von fehlerhaften,
nicht zu berichtigenden Lagen, abnormer Be¬
schaffenheit des Jungen oder bestimmten, die
Beckenweite vermindernden Beckenfehlern die
Extraction des Fötus im Ganzen nicht möglich
ist, oder w T o bei abgestorbenen Jungen dessen
Zerstückelung als das für das Mutterthier
weniger eingreifende Verfahren ercheint. Die
Embryotomie muss planmässig, mit Geduld
und ohne Säumen, d. h. ehe eine starke Ver¬
schwellung der Geburtswege und Ermüdung
des Geburtshelfers eingetreten ist, in allen
jenen Fällen vorgenommen werden, wo die
Entwicklung des Jungen im Ganzen nicht
möglich ist oder aber mit der grössten Ge¬
fahr für das Mutterthier verbunden sein
würde. Bei der Vornahme der Embryotomie
hat man namentlich folgende Regeln zu be¬
rücksichtigen: 1. Die zu entfernenden Theile
müssen gut fixirt und möglichst weit in die
Geburtswege hinein-, bezw. aus denselben her¬
ausgezogen werden; 2. man operire so viel
als möglich subcutan; 3. man unterlasse nie,
einen guten, verständigen Gehilfen zur Seite
zu haben.
Bei unseren Hausthieren bilden Kopf,
Brust- und Beckengürtel, d. h. die weiten
fötalen Körperstellen, häufig nicht zu bewäl¬
tigende Geburtshindernisse. Die Zerstückelung
zerfallt demgemäss in die Verkleinerung, bezw.
in das Abschneiden des Kopfes, in Verklei¬
nerung des Brust- und Beckengürtels. Bei
Bauchwassersucht des Fötus, bei Dunst- und
Koch. Eneyklopädie d. Thierheilkü. II. Bd.
Speckkälbern, bei Wasserköpfen wird die Um¬
fangsverminderung in den weitaus meisten
Fällen mittelst ausgiebiger Einschnitte her¬
beigeführt.
Verkleinerung des Kopfes, Cepha-
lotomie (von V) xscpaXiq, der Kopf, und xspivetv,
zerschneiden). Diese im Ganzen sehr selten
nothwendige Operation findet sich namentlich
beim Wasserköpfe angezeigt; dieselbe wird
auf vier Arten aus geführt, nämlich mittelst
der Punction, des Einschnittes, der Zermal¬
mung oder Eindrückung der Schädelwan¬
dungen sowie der theilweisen Zerstückelung
des Kopfes. Behufs Vornahme dieser Opera¬
tion sarten wird der vorliegende Kopf, wenn
möglich, durch eine Genick- oder Maulschlinge
oder durch einen in den Choanen befestigten
Haken fixirt. Liegt der Kopf mit dem Vor¬
derhaupt vor, so ist eine vorhergehende Hal¬
tungsberichtigung unnöthig. Die Schädel¬
kapsel wird an den fluctuirenden Stellen
mit einem geeigneten, mittelgrossen Trocar,
einem geeigneten Stemmeisen, am besten mit
dem MarggrafFschen oder mit dem Finger¬
messer oder blos mit einem geeigneten, ge¬
wöhnlichen Hakenmesser geöffnet. Gebraucht
man den Trocar, so zieht man vor dessen
Einführung in die Mutterscheide das Heft so
weit zurück, dass die Trocarspitze gänzlich
in der Canüle verborgen ist, ergreift sodann
denselben mit der linken Hand, zwischen dem
ausgestreckten Daumen und dem ausge¬
streckten Zeigefinger, u. zw. derart, dass der
letztere das freie Ende der Canüle überragt,
während die übrigen drei Finger das In¬
strument auf der Handfläche fixiren. Mit der
rechten Hand unterstützt und hilft man das
Instrument bis zum Kopfe hineinleiten. Sowie
das freie Ende der Canüle auf die geeignete
Kopfstelle hingebracht ist, wird mit der
rechten Hand der Stiel nach vorwärts und
damit der Trocar in die Schädelhöhle hin-
eingestossen, worauf derselbe zurückgezogen
wird, während die linke Hand die Canüle an
Ort und Stelle festhält. Beim Gebrauche des
Meisseis wird derselbe, um mütterlichen
Verletzungen auszuweichen, beim Ein- und
Hindurchführen durch die Geburtswege mit
der Hand möglichst gut gedeckt. Durch kräf¬
tigen Druck oder gelinde Schläge auf den
Stiel des Meisseis wird dieser in die Schädel¬
höhle eingetrieben. Die Oeffhung der Schädel¬
kapsel wird sehr vortheilhaft durch ausgiebige
Einschnitte mittelst des Fingermessers oder
auch nur eines gewöhnlichen, gut construirten
Hakenmessers bewerkstelligt. Nach dem Ab¬
flüsse des Wassers sucht man die Schädel¬
wandungen mit der Hand einzudrücken; wo
dies auf diese Weise nicht gelingt, sucht man
die Zermalmungen mittelst eines sog. Cepha-
lotriben zu erreichen. Letztere Operation ist
zwar ungemein selten erforderlich und in der
thierärztlichen Geburtshilfe wohl auch noch
nie ausgeführt worden.
Partielle Zerkleinerung des
Kopfes. Diese sehr mühevolle Operation
findet sich nur äusserst selten angezeigt und
blos in jenen Fällen, wo der Kopf zu gross,
34
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530
EMBRYOTOMIE.
wo namentlich Kopf und Fasse zusammen¬
genommen nicht zugleich das Becken pas-
siren können, 4 sowie in bestimmten Fällen
von Doppelköpfen, falls die Entfernung einer
oder der beiden Vordergliedmassen unmöglich
ist. Die Zerkleinerung des Kopfes kann auf
verschiedene .Weise erzweckt werden. Behufs
einer Verkleinerung des Höhendurchmessers
des Kopfes wird der Hinterkiefer am besten
folgenderweise entfernt: Man führt in die
Maulhöhle des durch einen Gehilfen .gut
fixirten Kopfes einen Meissei ein und über
die Backzähne hinweg bis zum. Hinterkiefer.
Während der Geburtshelfer das Instrument
in der richtigen, etwas nach einwärts ge¬
richteten Lage zu erhalten sucht, wird durch
einige Schläge auf den Meisseistiel der Ge¬
lenkstheil des Hinterkiefers abgestemmt, so¬
dann entfernt oder auch einfach belassen. Ein
anderes Raumgewinnungsverfahren besteht
darin, dass man den Hinterkiefer in der Me¬
dianlinie mittelst Ringmesser durchschneidet
und beide Kieferhälften flach gegen das
Gaumengewölbe drückt. Doppelköpfe werden,
wenn nöthig, durch Anwendung des Stemm¬
eisens in ihrer Mittellinie gespalten.
In den besprochenen Verhältnissen ge¬
lingt die Entwicklung der Frucht fast aus¬
nahmslos — mit Ausnahme bei voluminösen
Doppelköpfen — und mit wesentlich weniger
Mühe als durch die theilweise Zerstückelung
des Kopfes beim Einschlagen folgenden Ver¬
fahrens. Nachdem die Geburtswege durch
tüchtige Einölung, Einfettung oder Ein¬
spritzungen von Leinsamenschleim gut schlü-
pferig gemacht, Kopf und Vorderfüsse gehörig
in starke, aber nicht zu dicke Schlingen ge¬
nommen sind, stösst man dje Füsse, falls sie
schon in die Geburtswege eingedrungen sind,
wieder in die Uterushöhle zurück, zieht hierauf
einzig den Kopf in die Geburtswege herein,
doch nie zu weit; sowie dies zu Stande ge¬
bracht ist, sucht der Geburtshelfer den einen
oder den anderen in der Nähe des Becken¬
einganges ruhenden Fuss auf, ergreift dessen
Klauen und lässt sodann, die Klauen stets
in der Hand haltend, ihn durch Gehilfen
sachte am Stricke neben dem Kopfe vorbei
etwas und ja nie zu weit in die Geburtswege
hereinziehen. Nachdem dieses bewerkstelligt,
wird auf die gleiche Weise auch mit dem
anderen Fusse verfahren. Nun werden Kopf
und Füsse, je nachdem es nöthig ist, einer
nach dem anderen allraälig mehr herange-
zogen, bis sie in der Mutterscheide eine nor¬
male Lage haben. Indem der Geburtshelfer
die Geburtswege tüchtig einölt oder einfettet,
lässt er nun, während er die Hand in den
Geburtswegen eingebracht hält, um zu wissen,
wo etwa die vorgelagerten Theile am meisten
anstemmen, und während er dieselben mit¬
telst Druck oder Gegendruck richtig leitet das
Junge durch gleichförmigen, kräftigen Zug,
unter Einhaltung mehr oder minder grosser
inneliegender Pausen, herausziehen. Selbst¬
verständlich sind dicke, fette Hände und Arme
des Operateurs einem solchen Entwicklungs¬
verfahren nicht wenig hinderlich.
Das Abschneidern des Kopfes (De-
capitation). Die Amputation des Kopfes des
Jungen in den Geburtswegen ist eine höchst
mühevolle und für das Mutterthier zugleich
äusserst gefährliche, zum Glücke sehr selten
nöthige Operation. Dieselbe erscheint fast
nur bei Jungen mit doppelten Köpfen und
Hälsen sowie in vereinzelten Fällen von zu¬
rückgeschlagenem Kopfe und Halse angezeigt.
Die Entfernung der vorderen Gliedmassen
sowie das soeben beschriebene einfache, wenn
auch etwas mühsame Entwicklungsverfahren
führen meist zum Ziele. Angezeigt ist spdann
das leicht ausführbare Abschneiden des Kopfes,
wenn derselbe halb oder ganz ausser der Scham
vorliegt, nicht mehr zurückgebracht werden
kann und in Folge dieses Umstandes die Lage¬
berichtigung der unter den Leib zurückge¬
schlagenen Vorderfüsse nicht möglich ist.
Die Abnahme des Kopfes erfolgt ent¬
weder für sich allein im . Kopfgelenke, oder
aber mit gleichzeitiger Amputation einiger,
selbst aller Halswirbel. Im ersteren Falle
wird der Kopf mittelst Kopfhalfter, Genick¬
schlinge, Hinterkieferschlinge oder mittelst
in den Choanen befestigter Haken fixirt und
möglichst w r eit in das Becken hereingezogen,
während die gleichfalls angeseilten Füsse
behufs Raumgewinnung möglichst weit gegen
die Bauchhöhle zurückgeschoben werden.
Hierauf geht der Geburtshelfer mit dem
Fingermesser zur Genickgegend des Jungen
und durchschneidet auf beiden Seiten im
Kreise die Haut und Muskeln möglichst voll¬
ständig. Sowie dieses geschehen, schiebt der
Operateur mit der Hand die Haut und Musku¬
latur am Halse so weit als möglich zurück,
um so die Halswirbelsäule von den umlie¬
genden Weichtheilen möglichst zu befreien.
Das Kopfgelenk selbst wird nicht mit. dem
Messer getrennt. Während nun der Operateur
das Junge gut fixirt und möglichst in den
Fruchthälter zu schieben sucht, lässt er durch
einige Personen am Kopfe kräftigst ziehen,
während gleichzeitig derselbe umgedreht wird.
In Folge des Zuges dehnen sich die Kopf¬
gelenksbänder aus, zerreissen nach und nach,
und es löst sich schliesslich der Kopf da¬
selbst ab.
Der Kopf kann auch auf subcutane
Weise abgelöst werden; es ist dies jedoch
eine äusserst mühsame und schwierige Arbeit,
die nebstdem keine Vortheile verschafft. Ebenso
mühsam und schwierig ist folgende Methode:
Der Hinterkiefer wird im Gelenkstheile mit
dem MarggraffschenStemmeisen oder Geburts¬
meissei abgestemmt und entfernt; sodann wird
von der Maulhöhle des Jungen aus das Kopf¬
gelenk nach Möglichkeit mit demselben In¬
strumente eingeschnitten und hierauf erst die
Halshaut und Muskulatur im Kreise durch¬
schnitten. Der Kopf wird sodann durch in
den Choanen fixirte Haken losgerissen.
Bei zurückgeschlagenem Kopfe sowie bei
Missgeburten mit doppelten Köpfen und Häl¬
sen werden meist mehrere, in letzterem Falle
selbst säramtliche Halswirbel mit dem Kopfe
entfernt.
EMBRYOTOMIE.
531
*
Eine andere Methode zur Ablösung des
Kopfes samrat dem Halse, die fast aus¬
schliesslich bei den f soeben erwähnten Zu¬
ständen, d. i. in den Fällen angewendet wird,
wo man den Kopf nicht in die Geburtswege
/Einbringen kann, ist folgende: Män durch¬
stemmt mittelst des MarggraflTschen Stemm¬
eisens (Fig. 471) aie HälsWirbel¬
säule, und durchschneidet sodann
ihit'dem gleichen Instrumente öder
iriit dem Fingermesser die Weich¬
gebilde gänzlich. ‘
.Verkleinerung cj|es Btu st-
'•umfanges. Die Verkleinerung des
Brustumfanges k&nn theils durch
Entfernung blos einer oder beider *
-Vordergliedmassen, theils durch
Entfernung der Brust- und IJauch-
eingfeweide bewerkstelligt werden.
' IMe 1 Entfernung geschieht entweder
subcutan oder mit offenem Schnitte.
Letztere Methode Wird nur unge¬
mein selten mehr ausgeführt.
Indicationen. Die Entfei*
’nung der Gliedmassen ist ange¬
zeigt: bei einer Reihe von Miss¬
geburten, bei unmöglich zu be¬
richtigender Zurückschlagung des
Kopfes, bei gewissen Fällen von
ganz unter den Leib geschlagenen
Gliedmassen, bei zu grossen,'na¬
mentlich abgestandenen, in Zer-
setzung übergangenen, emphysema- M * £ ff _
tikch aufgetriebenen Föten (Dunst- sches
kälber) und bei Wasserkälbern. ci8 » n -
Endlich führt man diese Operation öfters nur
‘ alt Einleitung zur weiteren Zerstüokelung des
Jängen aus.
1. *Die subcutane Methode oder
das Ausderhautziehen der Glied¬
massen. Das Ausderhautziehen der Vorder-
gliedmassen ist eine der am häufigsten aus-
/ geführten Operationen der Embryotomie. Diese
ist bei richtiger, umsichtiger Ausführung mit
keinen weiteren Gefahren für das Mutterthier
verbunden. Das Ausderhautziehen der Glied¬
massen ist schon seit Langem bekannt und
prakticirt worden, hat aber in der Neuzeit
eine wesentliche Vervollkommnung erlangt.
Schon 1830 beschrieb sie der ältere Günther,
bald darauf Huvellier' in Alen^on, etwas
später Lecoq, de Bayeux, Canu, und in der
neueren Zeit namentlich Franck und Rossignol.
Operationsverfahren bei vorlie¬
gender Gliedmasse. Ehe zur Operation
selbst geschritten wird, muss die Gliedmasse
mit einem starken Stricke über dem Fessel
angeseilt und so weit als möglich nach aussen
gezogen werden. Während der Enthäutung
wird die Gliedmasse, durch einen Gehilfen
gespannt gehalten. Der Operateur spaltet,
ain besten mit dem Fingermesser, zunächst
an der inneren oder äusseren Fläche der
Gliedmasse die Haut und die oberflächlichen
Fascien, wenn möglich vom Brustbeine bis
zur Köthe hinunter. Sowie dieses geschehen,
schreitet man zur Enthäutung der Gliedmasse,
die, soweit letztere von aussen zugänglich
ist, mit einem Bistourröder mit einem anderen
geeigneten Messer auf*gewöhnliche Weise be¬
werkstelligt wird. An den im Becken befind¬
lichen Theilen vollführt man diese Lostren¬
nung entweder mittelst des Daumens, der
Faust, der gestreckt gehaltenen Hand oder,
und besser, mittelst eines geeignet construirten
eisernen Spatels (Fig. 472), oder,
in Ermanglung eines solchen, auch
mittelst -einbs spatelför&ig zuge-
- schnittenen Stückes Hartholz. Die
Zerreissung des subcutanen Binde-
■ gewebes und damit die Lostren¬
nung der 1 Haut von der Muskulatur
bewerkstelligt man mittelst eines
langgestielten, halbscharfen Spatels
viel leichter als mittelst der Hand
oder Faust, namentlich an den
Stellen, wo eine stärkere Verbindung
besteht. Da man zudem stets unter
der Haut des Jungen arbeitet, so ist
der Gebrauch eines Spatels mit
keiner Gefahr^ für das Mutterthier
verbunden. Einzelne seimige, ziem¬
lich zähe Verbindungen werden mit
dem an einer Kante des Spatels sich
befindenden Häkchen leicht entzwei
gerissen; Die Haut wird gänzlich bis
über den Widerrist hinauf losge-
trenqt. Ist dieses geschehen, * so
schneidet man, falls der Raum es
gestattet, behufs leichter Lösung
der Gliedmasse die Brustmuskeln
mehr' oder minder vollständig oder
unvollständig durch. Diese Opera¬
tion ist zyrar bei der geringen
Zähigkeit der Muskelfasern beim
Fötus und der wenig festen Verbin¬
dung :der Vordergliedmassen durch
Muskeln und Sehnen mit dem Rumpfe
nicht gerade nothwendig. Erst nach
Fig. 472 . geschehener vollständiger Lostren-
Spatei von nung der Haut wird diese, die in
strebei. ihren! gespannten Zustande dem
Geburtsinstrumente einen nicht unwesent¬
lichen Stützpunkt gegeben, durch einen Kreis¬
schnitt über der Köthe getrennt, an einem
Stricke befestigt und durch einen Gehilfen
mässig angezogen. Nunmehr schreitet man
zur Entfernung der Gliedmasse selbst. Wäh¬
rend der Operateur mittelst Gegendruckes
das Junge in seiner Lage möglichst fixirt,
lässt er an dem über der Köthe befestigten
Stricke durch zwei, drei oder vier Mann lang¬
sam, aber kräftig ziehen. Bald vernimmt man
einiges Knacken; die Muskeln dehnen sich aus
und reissen entzwei, die Gliedmassq streckt
sich und schlüpft bald vollständig nach aussen.
Die Ausführung des Zirkelschnittes über
der Köthe wie über dem Knie vor der Vor¬
nahme des Hautlängsschnittes ist, da die Haut
auf dieseWeise schwieriger abzulösen ist, nicht
empfehlenswerth. Eine andere zweckmässige
Methode ist folgende: Man macht zuerst über
dem Knie einen unvollständigen (%) Kreis¬
schnitt und trennt die Hautbrücke erst nach
vollständiger Lösung der Haut von der Mus¬
kulatur.
31 *
532
EMBRYOTOMIE.
2. Die Entfernung der vorderen
Gliedmassen mit offenem Schnitt ist
eine soviel als obsolet gewordene Methode.
Sie ist schwierig und nur dann ausführbar,
wenn — was ja höchst selten zutrifft — ge¬
nügender Raum zur Führung des Messers
vorhanden ist. Bei dieser Methode durch¬
schneidet man mit dem Fingermesser die Haut
sammt der Muskulatur am vorderen, sodann
am hintefen Schulterende, hierauf der Quere
nach oben am Widerrist und zuletzt gleich¬
falls der Quere nach oben an der inneren
Fläche des Vorarmes, so dass die vier Schnitte
die Schulter möglichst vollständig lösen. Das
Ausziehen der Gliedmasse geschieht sodann
in derselben Weise, wie bei* dem subcutanen
Verfahren angegeben wurde.
Das Ablösen der vorderen Glied¬
massen im Ellbogengelenk ist eine nur
höchst selten angezeigte Operation und wurde
namentlich von Donnarieix bei der Quer¬
bauchlage des Fohlens mit vorliegenden vier
Gliedmassen, wenn die Länge der Gliedmassen
deren ZuiÜckbringen in den Uterus und
damit die Lageberichtigung des Jungen un¬
möglich macht, ausgeführt. Das von Donnarieix
stets — in 15 Fällen — mit Erfolg einge¬
schlagene Verfahren ist folgendes: Es werden
zuerst die zwei hinteren sowie ein vor¬
derer, zunächst nicht zu entfernender Fuss
mit gewöhnlichen Gehurtsstricken angefesselt.
Hierauf wird der zu desartikulirende vierte
Fuss, während die drei anderen Füsse so viel
als thunlich zurückgestossen * werden, durch
vier oder fünf Mann so weit als möglich
aus dem Wurfe hervorgezogen, derart, dass
der Vorarm zum Vorscheine kommt. Nun¬
mehr wird, während ein Gehilfe die Scham¬
lippen auseinanderzieht, möglichst nahe dem
Ellbogengelenk ein tiefer Kreisschnitt durch
Haut und Muskulatur geführt. Die Gliedmasse
wird von Neuem kräftig angezogen; die nicht
oder nur theilweise durchschnittenen Muskeln
reissen hiebei entzwei, und man gelangt all-
mälig bis zum Gelenke. Mit dem Ringmesser
werden nunmehr die Sehnen und Gelenks¬
bänder bestmöglich durchschnitten und der
Fuss unter drehenden Bewegungen ausge¬
zogen. Mit der anderen Gliedmasse wird, wenn
nöthig, auf dieselbe Weise verfahren.
Die Ablösung der Gliedmasse im
Kniegelenke ist gleichfalls eine äusserst
seltene und blos in den soeben signalisirten
Fällen von Querbauchlagen prakticirte ge¬
burtshilfliche Operation. Sie ist, da der vor¬
liegende Fuss bis zum Knie und noch weiter
hervorgezogen werden kann, leicht zu be¬
werkstelligen. Man lässt, um beim Zurück¬
schieben der amputirten Gliedmasse Ver¬
letzungen des Mutterthieres auszuweichen,
einen den Stumpfen überragenden Hautlappen
stehen.
Entfernung der ganz unter den
Leib geschlagenen Gliedmasse. Diese
Operation ist leichter zu beschreiben als aus¬
zuführen, scheint überhaupt noch nicht ausge¬
führt worden zu sein. Saint-Cyr spricht in
seinem vortrefflichen Handbuch der thier¬
ärztlichen Geburtshilfe nichts davon. Franck
seinerseits meint, man könnte, falls es möglich
sei, bis zum Buggelenkp zu gelangen, auch
die gänzlich zurückgeschlagene vordere Glied¬
masse nach folgendem Verfahren aus der
Haut ziehen: Man schneidet zwischen Bug¬
gelenk und Brust die Haut und Muskulatur
mit Meissei oder Ringnfesser in möglichst
ergiebiger Weise durch, trennt hierauf* die
Haut? der Schulter so gut als möglich von der
Muskulatur und legt, indem man die Mus¬
kulatur von der Beugeseite des Buggelenkes
durchbohrt, unterhalb des Gelenkkopfes, dicht
am ’ Knochen eine kläftige Seilschlinge an;
Durch kräftiges Ziehen von 3—4 Mann könne
man die Gliedmasse ausziehen, besonders
wenn man vorher die Brustmuskeln noch durch¬
schnitten habe. Es stülpe sich hiebei die
Haut über die Gliedmasse um; die Haut würde
erst nach dem Ausziehen der Gliedmasse ge¬
trennt.
Die Exenteration (vom Lateinischen
exenterare, ausweiden). Diese Art von Zer¬
stückelung des Fötus bildet eine ziemlich
häufige und im Ganzen nicht schwierig aus¬
zuführende Operation. Durch die Entfernung
der Eingeweide erzweckt man in einer für
das Mutterthier gänzlich gefahrlosen Weise
eine bedeutende Umfangsverminderung des
fötalen Bauches und der Brust. Die Exentera¬
tion ist angezfeigt: 1. in den Fällen, wo nach
Entfernung der Vorddrgliedmassen der Körper-
umfifng des Jungen immer noch derart gross
ist, dass eine Entwicklung des letzteren ent¬
weder nicht möglich ist oder doch nur mit
grösster Gefahr für das Mutterthier bewerk¬
stelligt werden könnte; 2. bei Höhlen- und
allgemeiner Wassersucht (Wasserkälber) sowie
bei emphysematischen Kälbern (DunStkälber).
Das Junge zeigt sich in der Kopf- oder
Steissendlage. Bei der Kopfendlage entfernt
man entweder eine oder zwei Gliedmassen,
ehe man zur Exenteration schreitet, oder man,
vollzieht diese sogleich, d. h. ohne vorherige
Entfernung der Gliedmassen. In den Fällen,
wo man eine Gliedmasse aus der Haut ge¬
zogen, benützt man die hiedurch entstandene
Oeffnung zur Exenteration. Man geht mit dem
Fingermesser oder mit dem Geburtsmeissei,
der Innenfläche der Haut der ausgezogenen
Gliedmasse folgend, zur Seite der Brust¬
wandung hin, durchschneidet zwei bis fünf
Rippenknorpel, erweitert hierauf mit der Hand
die entstandene Brustöflhung, dringt mit jener
in die Brusthöhle ein, geht über die Herz¬
basis zur Wirbelsäule, trennt sodann die Aorta
von der letzteren los und reisst Herz, Lunge
und Thymusdrüsen entweder zusammen mit
einem kräftigen Rucke oder auch nur ein
Organ nach dem anderen heraus. Hierauf
durchbohrt man mit der Hand das Zwerch¬
fell und reisst auch die Eingeweide heraus.
Schreitet man ohne vorherige Entfernung einer
Gliedmasse zur Exenteration, so geht man
mit dem Fingermesser oder Meissei zwischen
Schulter und Brustwand ein und öffnet in
der soeben angegebenen Weise die Brust¬
höhle. — Liegt das Junge mit dem Steisse
EMBRYOTOMIE.
vor, so eröffnet man mit dem Fingermesser
die untere oder seitliche Bauchwand, entfernt
dann zuerst die Bauch- und erst nachher
die Brusteingeweide.
Bei für sich allein bestehender, dife Ge¬
burt des Fötus verhindernder Hautwassersucht
prakticirtman— ohne weitere Zerstückelung—
um der angesaramelten Flüssigkeit Abfluss
zu verschaffen, in alle erreichbaren Hautcysten
tiefe und lange Einschnitte, worauf ‘man zur
gewaltsamen Entwicklung des Jungen schreitet.
Verkleinerung des Beckengürtels.
Diese erzielt man durch Entfernung der Hinter¬
gliedmassen, sowie einigermassen auch durch
den Beckenfugenschnitt am Jungen. Da einer¬
seits J>ei den grösseren Hausthieren die Steiss-
geburtenverhältnissmässig selten sind, anderer¬
seits die Jungen in solcher Lage leichter und
mit weniger Gefahr als bei der Kopfendlage für
das Mutterthier entwickelt werden können,
so finden sich diese Zerstückelungen des
Jungen sehr selten angezeigt. — Die> Ent¬
fernung der Beckengliedmassen, die sich am
besten auf subcutane Weise bewerkstelligen
lässt, ist weit schwieriger als diejenige der
Vorderglicdmassen. Die Verbindung der Haut
mit .den untenliegenden Geweben ist eine
innigere als bei den vorderen Glied¬
massen; die Muskeln, welche die Gliedmasse
mit dem Rumpfe verbinden, sind zahlreicher
und mäditiger; dann bleibt noch der Wider¬
stand der Ligamente zu überwinden.
Bei der subcutanen Entfernung der
Beckengliedmassen wird im Wesentlichen wie
bei dem Ausderhautziehen einer vorderen
Gliedmasse verfahren. Der zu entfernende
angeseilte Fuss f wird gleichfalls möglichst
weit aus den Geburtswegdn herausgezogen,
dann durch einen Gehilfen gespannt gehalten
und sodann die Haut, nachdem dieselbe von
der Beckenfuge bjs zur Köthe der Länge
nach gespalten, von letzterer Stelle bis zum
Kreuzbeine, äusseren und inneren üarmbein-
winkel mittelst Messer, Spatel oder Faust
von der Muskulatur losgetrennt. Erst nachdem
dies geschehen, wird die Haut über der Köthe
durch einen Kreisschnitt getrennt und sodann
an einem nicht zu starken Stricke befestigt.
Hierauf sucht man mit dem Fingermesser
die Muskelmassen namentlich an der äusseren
und inneren Seite des Oberschenkelgelenkes
möglichst ergiebig zu durchschneiden. Der
äussere Schnitt wird unmittelbar über dem
grossen Unfdrehcr geführt und müssen die
hier über einander gelegenen vier Darmbein-
Umdrehermuskcln, bezw. deren Sehnen sowie
auch der Spanner der Schenkelbinde, die
Kreuzsitzbeinmuskeln des Schenkels und der
grosse Gesässbackbeinmuskel so viel als thun-
lich durchschnitten werden. Sodann werden
dicht unter der Beckenfuge der lange und
breite Einwärtszieher durchschnitten. Gut,
wenn nicht gerade nothwendig ist es, das
runde Band des Backbeinkopfes in der Ge¬
lenkshöhle zu durchschneiden. Sowie die
Muskelmassen in der‘Umgebung möglichst
ergiebig durchschnitten sind, schreitet man
zur Entfernung der Gliedmassen. Während
533
4
der 'Geburtshelfer das Junge fixirt, d. h.
zurückhält, lässt er durch 2—4 Gehilfen an
der Gliedmasse kr|ftig, aber gleichförmig
ziehen, während gleichzeitig ein weiterer
Gehilfe die Gliedmasse stark .nach auswärts
dreht. Bald löst sich unter deutlichem Krachen
das Backbein aus der Pfanne und die Glied¬
masse vom Rumpfe los.
Die Entfernung derhinterenGlied-
massen mit offenem Schnitt ist sowohl
eine äusserst schwierige als auch für das
Mutterthier mit grosser Gefahr verbundene
Operation. In Folge Raummangels ist es
ungemein schwierig, selbst unmöglich, die
Haut und die das Oberschenkelgelenk um¬
gebenden Muskelraassen zu durchschneiden.
Sodann lauft man beim Operiren mit offenem
Schnitt Gefahr, das Mutterthier zu verletzen.
Aus diesen Gründen ist diese Operations¬
methode verlassen worden.
Die Entfernung der gänzlich unter
den Leib geschlagenen Bpckenglied-
massen scheint der grossen Schwierigkeiten
wegen bisher nicht ausgeführt worden zu
sein.* Fr an ck hält diese Operation für mög¬
lich und in bestimmten Fällen bei Fohlen
für angezeigt. Das Verfahren wäre folgendes:
Man geht mit dem Fipgermesser oder noch
besser mit dem MarggraflPscl^n Stemmeisen
in die Scheide ein bis zur Gegend des Ober¬
schenkelgelenkes des Jungen. Hiör durch¬
trennt man nun die Haut desselben und die
Muskulatur wenigstens in einer Länge, dass
man mit der Hand in die gemachte Wunde
eindringen kann; durchschneidet sodann so
viel als thunlich subcutan mit dem Finger¬
messer die Muskulatur in der Umgebung des
Oberschenkelgelenkes. Nachdem mittelst der
in die* Operationswunde eingeführten Hand
die Fleischmasse um das Oberschenkelgelenk
getrennt ist, wird um das Oberschenkelbein
selbst eine Seilschlinge unterhalb der Um¬
dreher gelegt und sodann durch kräftigen
Zug von 2—4 ‘Mann der Schenkel aus seiner
Gelenksverbindung gerissen. Liegt die Schlinge
genügend fest, so kann audh sogleich die
Gliedmasse ausgezogen werden. Gleitet jedoch
die Schiingo pach der Lösung des Ober¬
schenkels *us der Pfanne von dem ersteren
ab, so versuche man zunächst die Extraction
des Jungen, ohne dass der Schenkel zuv<*r
ausgezogen worden wäre. Das Ausziehen wird
in diesem Falle durch Haken bewerkstelligt,
die ins ovale Loch des,Beckens oder am
Beckeneingange an den Querästen der Scham¬
beine festgehakt sind. Im letztgenannten
Falle wäre vor der Extraction des Jungen
die Exenteration angezeigt.
Die Ablösung der Gliedmassen
im Sprunggelenke. In Fällen, wo die
gebeugten Sprunggelenke sehr weit in die
Geburtswege eingedrungen sind und deren
fehlerhafte Haltung zu berichtigen unmöglicn
ist — welch letzteres aber bei einem rich¬
tigen Verfahren wohl nie der Fall sein
wird — ist vorgeschlagen worden, die Füsse
im Sprunggelenke abzuschneiden. Es wird
hiebei folgenderweise verfahren: Nachdem
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EMBRYULCIE. —. EMETICA.
534
*
man über dem Sprunggelenke einer jeden
Gliedmasse eine starke Schlinge fest ange¬
legt, l&sst man durch Anziehen der letzteren
durch 4—5 Personen die Sprunggelenks¬
spitze eines Fusses bis zum Wurfe her¬
beiziehen. Wänrend nun ein Gehilfe die
Schamlippen auaeinandejrhält, durchschneidet,
der Operateur der Reihe nach mittelst irgend
eines geeigneten Bistouris die Achillessehne,
die Seitenbänder, die ,in der Behge des
Sprun^jgelenkes gelegenen Muskeln und ent*
fernt * hierauf den Fuss. Der Stumpf wird
so viel thunlich oder höthig zurückgeschoben
und sodann der andere Fuss äuf dieselbe
Weise eiartikulirK Die Geburt wird hierauf
durch Anziehen der.beiden über den Knöcheln
des Unterschenkelbeines fixirt gebliebenen
Stricke bewerkstelligt. ...,
Der Beckenfugenschnitt am Jun¬
en. Durch diese immerhin höchst seltene
peratiofi *erz weckt man ebenfalls eine Ver¬
minderung de$ Beckenumfanges beim Jungen;
Operationsverfah*ens Man durchschneidet
zunächst die Haut und Muskulatur an der
unteren Fläche des Beckens, zwischen » den
Schenkeln des Jungen, bis zum Knochen;
führt sodann das Marggraffsche Stemmeisen
bis zur Mitte des hinteren -Gesässbeinaus-
scbnittes und tyennt durch schwache Schläge,
die man durch einen Gehilfen auf den Stiel
des Instrumentes anbringeii lässt, die Becken¬
fuge. Sowie dieses geschehen, schreitet man
zur Entfernung der Eingeweide. Beim Ein¬
dringen der Nachhand des Jungen in die
Geburtswege wird das fötale Becken, indem
sich dabei dessen Beckenfugenränder über
einander legen, zusammengedrückt.
Halbirung des Jungen. Dieselbe wird
zuweilen erforderlich bei nicht zu berichtigen
möglicher Rückenquer-* Rückenvertical- und
Baudiverticallage (sog. hundesitzige Lage)
sowie bei zu starlAr Entwicklung des Hinter-
theiles und endlich bei sog. Dunstkälbern
(Physometra). Die Halbirung“ wird sowohl
ausser- afs innerhalb der mütterlichen Ge¬
schlechtsorgane 1 vorgenommen.
1. Halbirung des Jungen ausser¬
halb des Wurfes. Zum Zwecke der nicht
schwierigen Amputation der vorderen Hälfte
des Jungen wjrd dieses, falls es nicht schon
halb geboren ist, möglichst weit aus den
Geburtswegen hervorgezogen. Währertd nun
der Operateur durch einen Gehilfen die
Schamlippei} gut , auseinanderhalten lässt,
zertheilt er den Rumpf in folgender Weise:
Zuerst durchschneidet er nahe dem Wurfe
des Mutterthieres die Bauchwandungen bis
zur Wirbelsäule, durchschneidet sodann die
die Wirbelsäule bedeckende Haut und Mus¬
keln und trennt hierauf so viel als thunlich die
Wirbelsäule. Ein kräftiges Anzieherf, wenn
nöthig unter drehenden Bewegungen, beendet
cfie Lostrennung des Vordertheiles. Nun
werden die Baucheingeweide, falls dies nicht
schon nach der Trennung der Bauchwan¬
dungen geschehen, entfernt. Hierauf wird,
um bei der nun auszufuhrenden Wendung
des Hintertheiles Verletzungen des Uterus
durch vorstehende Knochentheile zu ver-i
meiden, die Haut über dem Rumpfe entweder
zusammengenäht oder auch nur, gleich einem
Sacke, zusammengebunden. Damit dieses um;
so leichter geschehen könne, macht man den
Kreishautschnitt möglichst weit vpn der Stelle
entfernt, wo man die Wirbelsäule trennep ‘
will, und trennt die Haut, indem man dieselbe
mittelst der Finger nach rückwärts schiebt,
von den Muskeln los. Die Wendung des Hinter¬
theiles ist immer eine sehr schwierige Arbeit,, *
ja sie ist selbst unmöglich zu bewerkstelligen,
namentlich bei stark emphysematischen Jun¬
gen und bei beträchtlich entzündetem Uterus.
Halbirüng' des Jungen im Uterus.'
Diese äüsserst schwierige und ebenso sejtene
Zerstückelung des Jungen wurde vom fran¬
zösischen Thierarzte Favereau bei der
Rückenquerlage bei einer Kuh folgenderweise
ausgeführt: Behufs leichterer Ausführung der
Operation wurde die Kuh durch Gehilfen auf¬
recht gehalten. Mittelst des gekrümmten Bi¬
stouris vollführte er die Exarticulation zwi¬
schen dem letzten Rücken- und ersten Lenden¬
wirbel, was in Folge des Festsitzens des
Fötus und der Steifigkeit der Wirbelsäule
leicht von statten ging. Nachdem die QefF-
nüng durch Verlängerung des Schnittes längs
der letzten Rippe erweitert worden, entleerte-
er vollständig die Bauchhöhle. Die Verwick¬
lung der Gedärme um das Bistouri herum'
machte jedoch die Durchschneidung derBauCb-
wandüngen schwierig und zugleich auch für
das Mutterthier gefährlich, umsotaehr, als die
schlaffen Bauchwandungen dem Messer auf¬
wichen. Bei dieser Sachlage legte er einen
an einem Ende mit eine* Bleikugel Ver¬
sehenen Strick um die noch vereinigten
BaachwandtHeile an. Während nun ein Ge¬
hilfe durch Anziehen des Strickes die in die
Schlinge genommenen Thfile' fixirte, schnitt'
Favereau ^sur Seite des laufenden Knotens,
der ihm als guter Leiter diente, die Baüch-
wandung gänzlich durch. Die Extraction der
Strünke geschah nun leicht nach folgendem
Verfahren: Ein Strick wurde in- eine doppelte
Oeffnung, die zu beiden Seiten der Wirbel-*
säule zwischen den zwei letzten Rippen ge¬
macht worden, eingebracht und sodann durch #
leichtes Ziehen an demselben der Vordertheil*
herausbefördert; ein zweiter Strick wurde
behufs Ausziehens des Hintertheiles zwischen
den seitlichen Apophysen der zwei letzten
Lendenwirbel befestigt.
Literatur : Saint-Cyr, Traitö d’obstftrique
vdWrinaire, Paris 1875. F r ä n c k, Handbuch der tier¬
ärztlichen Geburtshilfe, Berlin 1876. Favereau im Re-
cueil de med. veterinaire, No. 11, 1885. Strebei.
Embryulcie (tö ejxßpoov, Embryo, und
SXxciv, ziehen), die intrauterine Ausweidung der
Frucht, also eine Form der Embryotomie: Sf w
Emesis, r\ efiects (von ejxetv, erbrechen),
das Erbrechen; davon als Adj. emeticus
in emetica sc. remediä, Brechmittel. Sf.
Emetica, Brechmittel (Vomitm), haben
Bedeutung theils um* den Magen zu ent¬
leeren, fremde Körper, Gifte u. s. w. auf dem
kürzesten Wege zu elirainiren v theils weit
EMETIN. —
man ihnen durch die Einwirkung auf das
Nervercystem, das bei dein Brechacte un¬
zweifelhaft eine allerdings nicht näher ge¬
kannte Alteration erfährt, einen günstigen, •
selbst codpirenden Einfluss auf solche Krank¬
heiten zuzuschreiben geneigt ist, die erst im
Entstehen begriffen sind. Von therapeutischem
Weuthe ist die Bedeutung der Brechmittel
•nur für die Omnivoren und Fleischfresser,
denn die grösseren Hausthiere vermögen sich
nur auf toxische Gaben zu erbrechen. Die 1
Einleitung .des Brechactes geschieht für
gewöhnlich durch eine locale Reizung der
feinen Vagusenden im Magen, welche durch
die den Brechmittelh eigentümlich zukom-
menden Stoffe direct erzeugt wird und reflec-
torisch bis zu dem im verlängerten Marke
gelegenen Brechcentrum, von dem die Coordi-
nation der Bewegungen des Zwerchfells und
der Bauchmuskeln abhängt, fortgetragen wird.
‘ Did Wirkung erfolgt dann in ähnlicher Weise,
wie wenn die Schleimhaut des Pharynx eine
mechanische Reizung, z. B’. dürch Kitzeln,
erfährt. Neuere Untersuchungen über die
Wirkung des bedeutendsten aller Vomitive,
des Apomorphins, haben indessen gelehrt,
dass nicht alle Brechstoffe blos durch locale
Reizung der an die Oberfläche der Magen-
wandqng bis zwischen die CylinJerzellen der
•Epithelialschicht.tretenden peripheren Zweig¬
ehen des X. Hirnnerven eine Brechwirkung
ausüben, vielmehr der Vomitus auch durch
Resorptionswirkungen eintreten kann, denn
das letztgenannte Alkaloid bedingt gar keinen
örtlichen Reiz und wirkt noch viel intensiver
bei Einspritzungen unter die Haut als vom
Magen aus. Im Uebrigen kann der Effect
derjenigen Mittel, welche wie das Zink- und
Kupfervitriol leicht ätzende Eigenschaften
besitzen, mit Sicherheit als ein örtlicher
(reflectoriscfyer) angesehen werden, und liegt
der Beweis hiefür darin, dass man bei allen
den Magen anätzenden Stoffen Brechen
beobachtet, dieses aber ausbleibt, sobald
diese Corrosionsmittel in das Blut gebracht ,
werden. Mit der emetischen Wirkung ist
mehr oder weniger besonders bei reizbaren
nervösen Hunden (offenbar wie beim Menschen)
das Gefühl des Ekels oder der Nausea vor
und nach dem Brechacte verbunden; ebenso
schliessen sich manche.Brechmittel, wie z. B.
der Tartarus eyieticus, in ihrer Wirkungsweise
den Abführmitteln an, indem sie zugleich
eine constante Beschleunigung der Dick¬
darmperistaltik bedingen und so den Namen
der Brechdurchfall erregenden Mittel
Emetocathartica erhalten haben.Dieser
letztere Effect ist als eine reflectorisch fort¬
geleitete Reizung von den Magennerven her
aufzufassen, wie auch bei Hunden vom Darme
aus häufig eine Irritation der* Magennerven
und damit Erbrechen, oder doch wenigstens
Nausea entsteht; immerhin gibt diese kathar-
tisebe Wirkung z. B. des Brechweinsteins
einen Wink, denselben nicht als Emeticum
zu verwenden, wenn mit der Entleerung des
Magens nicht auch eine solche des Darms
verbunden werden darf, wie z. B. bei Ver-
EMISSIO. ' 53 5
«
giftungen oder wenn vorher schon diarrhöische
Zustände bestehen. Zu den thierärztlichen
Brechmitteln zählen; ,1. das Apomorphin,
2. das schwefelsaure Kupferoxyd, 3. das
schwefelsaure Zinkoxyd, 4. das Emetin der
Brechwurzel, 5. das Veratrin. Ausserdem
haben eine dem Emetin und Aporaqrphin
ähnliche Wirkung das Kraut der Gratiola,
das. Colchicin, dasViolin der Wurzel unserer
wohlriechenden Veilchen, das Cyclamin aus
den Knollen von Cyclamen europaeum, das
Asclepiadin von Vincetoxicüm officinale. Die
näheren Eigentümlichkeiten .der Vomitive
können bei den einzelnen Mitteln nachgö-
schlagen werden.
Als Nauseosa gdlten alle Brechmittel,
wenn sie in kleinster Dose gegeben werden, und
Antiemetica, den Magen beruhigende,
das Brechen verhindernde Mittel sind: Eis,
kohlensäure Alkalien, Kohlensäure und Mor¬
phin. Vogel.
Emetin, ein Alkaloid, welches das wirk¬
same brechenerregende Princip der Ipeca-
cuanhawurzel (Cephaelis Ipecacuanha) • dar¬
stellt. Die chemische Zusammensetzung des¬
selben ist bis nun noch nicht festgestellt.
Man erhält es durch Extraction der Wurzel*
mit Alkohol, das Extract wird zum -Syrup
verdampft, mit Kalilauge versetzt und mit
Chloroform geschüttelt. Difs Chloroform hinter¬
lässt beiin Verdampfen eine Masse, aus wel¬
cher das Emetin in verdünnte Säure aufge¬
nommen wird. Aus dieser Lösung durch
Ammoniak abgeschieden, ist das Emetin ein
weisses amorphes Pulver von schwach bitterem
kratzendem Geschmack, schwer in Wasser,
leicht in Weingeist, Chloroform, Aether lös¬
lich. Es tfurde als Emeticum versucht, doch
seit der Einführung des ^pomorphins ver¬
lassen. Infusion von mehr als 0*01 tödtet
Katzen in 12—15 Minuten unter adynamischen
Erscheinungen. Loebisch.
Emetokathar8i8 (abgel. von -rj speo:s,
das Erbrechen, und -r xa&apoic, Reinigung),
die Reinigung als Brechdurchfall, daher in
emetocathartica sc. remedia, Erbrechen und
Durchfall erzeugende Arzneimittel. Sussdorf.
Eminentia (von eminere), Hervorra£ung,
Erhebung als anat. Terminus, E. quadrige-
mina, resp. bigemina, Vierhügel. Sussdörf.
Emtnlik, ein orientalischer Hengst, neben
sieben anderen prächtigen“ Pferden in den
Jahren 1818—1820 für das Hauptgestüt zu
Trakehnen (iu Ostpreussen) angekauft und
daselbst lange Zeit zur Zucht verwendet.
Diese acht Hengste lieferten im Ganzen 83
zum Einrangiren geeignete Zuchtstuten, die
in Summa 729 Jahre zur Zucht benützt
worden sind. Der Eminlih soll mehrfach ganz
vorzüglich schöner und leistungsfähige Fohlen
gezeugt haben. Freytag .
Emissarium (von emittere, ausschicken),
Fortsatz, auch Ausführungsgang, z. B. emis-
saria durae matris, die Fortsätze der harten
Hirnhaut. Sussdorf.
Emisslo (von emittere), das Auslassen, .
Entleeren von Harn, Samen etc. Sussdorf.
DigitizecLtey
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536
EMMENIAGOGA. — EMPFINDUNGSVERMÖGEN.
emmeniagoga (abgel. von ta ejj.p.Vjv:a,
monatliche Reinigung, und Ehrend)
sc. remedia, eig. die •monatliche Reinigung
befördernde Mittel, dann auch die Uterus¬
bewegungen anregende und dadurch frucht¬
abtreibende Mittel. Sussdorf.
Emmenthaler Vieh. Der Rindviehschlag,
welcher im Emmenthal, namentlich in den
Aemtem Signau und Trachselwald als ein¬
heimisch noch angetroffen wird, gehört der
schweizerischen Fleckviehrasse an und zeichnet
sich durch meistens leichteren Bau, dunklere,
rothe Haarfarbe und weniger edle Formen aus
als der seit Jahrzehnten zu seiner Zuqhtver-
besserung verwendete Simmenthaler Schlag.
Durch intensiven Futterbau unterstützt, wird
die fortgesetzte Einführung und Züchtung von
schwereren, harmonischer gebauten Thieren
aus dem Simmenthale den Emmenthaler Vieh¬
schlag nach und nach vom Grossbesitz ver¬
drängen. , Btrdtz .
Emollientia, Erweichungsmittel, s.Demul-
centia.
Emotio (von emovere), die Ausrenkung. Sf.
Empfindung nennt man ganz allgemein
den Effect einer jeglichen Reizung eines
Sinnesnerven. Man unterscheidet demnach
Licht- ‘ oder Sehempfindung, Schall- oder
Gehörsempfindung, Geruchs-, Geschmacks¬
und Gefünlsempfincfung; die letztere ist ent¬
weder eine Tast-, eine Druck-, eine Schmerz-,
eine Temperatur- oder sie ist eine ganz eigen¬
artige Empfindung, wie sie mit dem Sammel¬
namen der Gemeingefühle im Einzelnen als
Hunger, Durst, Kitzel, Wollust, Ekel, Schwin¬
del etc. belegt wird. Ausserdem treten auch noch
innerhalb der einen oder anderen Sinnes¬
sphäre Verschiedenheiten in der Qualität der
Empfindung auf (Jie Lichtempfindung ist roth
oder grün etc., die Temperaturempfindung
warm oder kalt). Der Effect der Reizung eines
Sinnesnerven ist in der Regel ein ganz spe-
cifischer, d. h. es hat jede Reizung eines
Nerven (vielleicht auch einer jeden oder
wenigstens vieler Nervenendigungen) eine ganz
bestimmte Empfindung zur Folge, gleichviel
welcher Art der betreffende Reiz war (Gesetz
der „specifischen Sinnesenergie“, Job. Müller);
so veranlasst sowohl der Licht- als der ther¬
mische, elektrische, mechanische etc. Reiz, der
den Sehnerve» trifft, immer eine Lichtempfin¬
dung etc. Das Zustandekommen einer Empfin¬
dung hängt somit wesentlich von der Ein¬
wirkung eines Reizes auf das Sinnesorgan und
der continuirlichen Weiterleitung dieses zum
Centralorgan ab; in diesem kann es alsdann
durch einen physischen Act zur Bildung einer
Vorstellung, d. i. bewussten Wahrnehmung
kommen, wenn die Empfindung auf die äussere
Ursache bezogen wird; bei «der Bildung der
bewussten Wahrnehmung spielt selbstver¬
ständlich die Erfahrung eine grosse Rolle,
insofern sie mit der betreffenden Wahrnehmung
immer nur eine bestimmte Vorstellung zu ver¬
binden lehrt. Die Intensität der Empfindung
hängt ganz wesentlich von der Intensität des
Reizes ab, und es ist so die Psyche befähigt,
aus dem Vergleich mehrerer verschiedener
Empfindungen einen Schluss auf die Diffe¬
renz in der Grösse der Irritamente zu ziehen;
sinkt diese unter einen gewissen Werth, den
Schwellenwerth (d. i. nach Fechner die Reiz¬
grösse, welche gerade noch eine Empfindung
veranlasst) herab, so findet eine Perception
des Reizes nicht mehr statt; nimmt die Grösse
des Reizes dagegen zu, so steigt auch* die
Intensität der Empfindung an, u. zw. nach
dem von Fechner aufgestellten (übrigens von
E. Hering bekämpften) psychophysischen Ge¬
setze derart, dass die jedesmalige Zunahme
der Empfindungsgrösse eine gleiche ist, wenn
die Zunahme in den Reizgrössen in immer
gleichen Verhältnissen erfolgt. Jenseits ge¬
wisser extremer Reizgrössen kommt es nicht
zur Perception, sondern zu einer Ueberreizung.
Zwischen dem Momente der Einwirkung des
Reizes und dem Entstehen einer Empfindung
vergeht regelmässig eine gewisse Zeit t —
Reactionszeit — welche nicht nur für die ver¬
schiedenen Sinne (z. B. für die Schallempfin¬
dung kürzer als für die Lichtempfindung),
sondern auch noch individuell verschieden ist.
Auch behufs Wahrnehmung zweier schnell
auf einander folgender gleichartiger Reize
als getrennte Reize bedarf es einer gewissen
Zwischenzeit, die auch z. B. für das Ohr wieder
kürzer ist als für das Auge etc. Hierauf und
auf der Thatsache, dass die Empfindung in
der Regel etwas länger andauert als der
Reiz, also eine Art Nachempfindung veran¬
lasst, beruht es, dass in kurzen Intervallen
ein Sinnesorgan treffende Reize als eine zu¬
sammenhängende, andauernde Reizung perci-
pirt werden (z. B. die bildliche Darstellung
der Gangarten durch Vorbeiführung der photo¬
graphischen Momentaufnahme imZoetrop etc.).
(Jeber eigenartige Empfindungen, wie niu-
sionen, Hallucinationen und das Speciellere
der einzelnen Sinneswahrnehmungen s. d. Sf.
Empfindungsvermögen nennt man die
Fähigkeit der bewussten Wahrnehmung. Das¬
selbe ist einmal von der Erregbarkeit und
Leitungsfähigkeit der einzelnen Sinnesorgane,
vor Allem aber auch von der normalen Func-
tionirung des Centralnervensystems abhängig;
Störungen in der anatomischen Einrichtung
wie in der physiologischen Thätigkeit des
einen oder anderen bedingen somit auch Alte¬
rationen des Empfindungsvermögens. Dasselbe
befähigt uns vor Allem zur Orientirung über
Zustände und Vorgänge in der Aussenwelt
und zur Beurtheilung der eigenen Stellung
in derselben, auch über innere Vorkommnisse
und Zustände gibt es uns Auskunft; es wird
dadurch zu einem sehr wichtigen Factor im
Kampfe ums Dasein. Die Grösse des Empfin¬
dungsvermögens ist eine bei unseren Thieren
nicht blos nach der Species, sondern auch
nach der Individualität und zufälligen Be^
dingungen differente. Ganz allgemein kann
man wohl das des Jugendalters als ein weniger
entwickeltes bezeichnen, denn die Beobachtung
lehrt, dass das neugebome Individuum einer
bewussten Wahrnehmung so gut wie nicht
fähig ist; erst mit dem Erwachen des Be¬
wusstseins bildet sich auch jene heraus, um
EMPHRAGMA. — EMPHYSEM. 537
allmälig durch die Ueberlegung zu einem den Lungen, Hypertrophie und Dilatation des
planmässigen Handeln umgeformt und an der rechten Herzventrikels, Stauungshyperämien
Hand der Erfahrung zu dem Analogieschlüsse in der Leber, dem Pfortadersystem, dem Darm,
ermöglichenden Vermögen grossgezogen zu den Hirnhäuten und seröse Transsudationen,
werden. Auf die volle Entwicklung des Em- Die emphysematosen Lungen sind meist mehr
pfindungsvermögens wird selbstverständlich oder weniger aufgetrieben, dollabiren nicht
auch die Intelligenz des Individuums üb$r- beim Oeffnen des Thorax, schwimmen auf
haupt Einfluss aus üben, ein Umstand, der dem Wasser, sind von erweiterten (bis linsen -
dann auch die Verschiedenheiten in dem Grade grossen) lufthaltigen Alveolen oder grossen
desselben bei verschiedenen Thierarten be- Luftblasen im interstitiellen Gewebe durch¬
dingt. Unter diesen steht in der fraglichen setzt. Beim Bersten der Luftblasen gelangt
Richtung der Hund« obenan, dann folgen die Luft oft in die Mediastinalräume, von da
Pferd, Wiederkäuer und Schwein. Sussdorf. in das subcutane Bindegewebe am Halse, von
Emphragma, ep.<ppayfjL<x (v. i|A<ppdaaetv, wo aus sie sich weiter über den Hals und Rumpf
hineinstopfen), Verstopfung, Infarct; dazu als verbreiten kann. Die Ursachen des Lungen-
Adj. emphractica sc. remedia, stopfende emphysems sind: enger, schmaler Thorax,
Mittel. Sussdorf. übermässige Ausdehnung der Hinterleibs-
Emphysem, Emphysema, eu/püOTjjia, von organe (Heubauch), schlaffes Lungengewebe
sv, in, und. <p6ov)p.a, das Geblasene, oder durch Vererbung oder hohes Alter, über-’
sp.<puoü>o, aufblasen, das Aufgeblasensein, mässige Anstrengungen (bei Post-, Renn-,
die Windgeschwulst, Anhäufung von Luft Lastpferden und Jagdhunden), Einathmen sehr
in den Geweben. Das Emphysem kommt am kalter Luft, die sich in den Lungenalyeolen
häufigsten vor in den Lungen als Lungen- durch Erwärmen ausdehnt, Ausathmungs-
emphysem und im subcutanen Bindegewebe als hindernisse durch Verengerungen des Kehl
Hautemphysem. Das Lungenemphysem zer- kopfes oder der Bronchien, chronische Bron-
fällt in ein vesiculäres und interstitielles. Das chialkatarrhe mit Schleimansammlungen,
vesiculäre Lungenemphysem charakterisirt sich Husten, Luftleerwerden und Verödung ein-
durch eine bleibende Erweiterung und An- zelner Lungenpartien durch Pneumonien,
füllung der Lungenbläschen mit Luft. Je nach- Lungenseuche, Tuberculose etc., wobei die ge-
dem die Bläschen einfach erweitert sind oder sunden Partien mehr • Luft aufnehmen und für
durch Schwund der Scheidewände zu grösseren die untergegangenen fhnctioniren müssen, In-
Blasen confluiren, theilt man das Emphysem nervationsstörungen (Krankheiten des Vagus),
in ein kleinblasiges und grossblasiges, gleich- Behandlung s. Dampf.
massiges oder ungleichmässiges, je nach einer Das Hautemphysem ist entweder um*
gleichmässigen oder ungleichmässigen Ver- grenzt oder diffus über grössere Strecken
theilung desselben im Lungengewebe. Dasinter- oder den ganzen Körper verbreitet. Das Haut-
lobuläre Emphysem entsteht durch Berstung emphysem bildet eine weiche, kühle, schmerz-
einzelner Lungenbläschen und Austritt von Luft lose, verschiebbare, beim Druck knisternde
in das interlobuläre Bindegewebe und unter die Geschwulst. Die Luft oder das Gas, welches
Pleura. Es bilden sich dabei grössere und sich beim Hauteraphysem im subcutanen
und kleinere Luftblasen, welche die Gewebe Bindegewebe ansammelt, stammt entweder
verdrängen und die Pleura auftreiben. Das von den Luftwegen und Lungen, oder vom
Lungenemphysem kommt am häufigsten bei Magen und Darm, oder aber es entwickeln
den Pferden vor und verursacht bei denselben sich die Gase am Orte der Ansammlung
eine Form des Dampfes, eine Krankheit, die selbst durch Zersitzungsprocesse (Fäulniss,
bei jeder Anstrengung AthembeSchwerden Brand). Bei Verletzungen der Trachea strömt
veranlasst und bereits von Eumelus, Pela- die Luft ins subcutane Bindegewebe am Halse,
gonius, Theomnestus, Ruini, Ruffus u. A. be- und von da verbreitet sie sich über den
schrieben wird (s. Dampf). Kopf und Rumpf. Bei Brustwunden, Rippen-
Ausser bei Pferden kommt das Lungen- brüchen etc. mit Verletzungen der Lungen
emphysem noch vor bei Rindern und Jagd- dringt die Luft aus den Lungen ins subcu-
hunden, wenn auch seltener als bei Pferden. tane Bindegewebe am Thorax und breitet sich
Die ersten Stadien des Lungenemphysems von da aus. Ebenso kann beim interstitiellen
zeichnen sich durch keine besonders auf- Lungenemphysera die Luft durch die Media¬
fallenden Symptome aus. Bei weiter vorge- stinalräume vorne an der Brust ins subcutane
schrittenem Emphysem treten Athembeschwer- Bindegewebe gerathen. Die aus den Luftwegen
den bei jeder Bewegung auf, die Thiere und Lungen ausströmende Luft infiltrirt oft
athmen unregelmässig, mit starker Benützung das subcutane Bindegewebe an Kopf, Hals,
der Bauchmuskeln (Flankenbewegung),und bei Rumpf und Extremitäten und treibt das ganze
fortgesetzter Bewegung tritt Athemnoth, Dia- Thier tonnenartig auf, verschwindet aber
pnoe und selbst Asphyxie ein. Der Percussions- schnell ohne alle Nachtheile nach Verschluss
schall ist sehr voll und hell, das Bläschen- der Wunden an den Luftwegen und Lungen,
geräusch fast verschwunden an den kranken Nach dem Magendarm stich oder bei in die
Stellen und durch ein crepitirendes Geräusch Bauchwand perforirenden Magendarmgeschwü-
ersetzt; es ist kurzer, trockener, dumpfer oder ren dringen die Magendarmgase ins subcutane
sonorer Husten vorhanden, verbunden mit Bindegewebe..Dieselben wirken deletärer als
etwas Auswurf. In Folge des Lungenemphy- die Luft aus den Luftwegen und veranlassen
seras entstehen bald Circulationsstörungen in entzündliche Reaction oder brandiges Ab-
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538
EMPIRIE. — EMPLASTICA.
sterben. Eine dritte Quelle für Hautemphysem
bilden brandige und jauchige Processe unter
der Haut (s. Raüschbrand, Gangrän), wobei
sich Fäulnissgase entwickeln und in den Ge¬
weben anhäufen. Seltener dringt Luft von
aussen in Wunden und ins sujbcntane Binde¬
gewebe, und ebenso selten ist spontanes
Hautemphysem ohne Zersetzungsprocesse unter
der Haut. •
■ Die Behandlung des Hautemphysems
besteht in Entfernung der Ursachen, Ver¬
schluss der Wunden an den Luftwegen, dem
Magen und Darm und'bei Anhäufungen dele¬
tärer Gase in Incisionen und antiseptischem
Verfahren. Bei einfachen Luftansammlungen
begnügt man sich mit Frictionen und schwach
reizenden Einreibungen. Scmmcr.
Empirie (vom griechischen sp.rcs:pixYj sc.
iT ^X VY 2i fep-rcripriv, erfahren sein), Erfahrung und
als solche die Grundlage alles nicht apriori¬
schen Wissens. Erfahrung nennt man 1 die
Summe der Kenntnisse, welche J sich zuletzt
auf Wahrnehmung von Thatsachen gründen;
jede einzelne Erkenntniss dieser Art heisst
eine Erfahrung. Der gesammte Erfahrungs¬
kreis zerfällt in den der äusseren und der
inneren Erfahrung, bei welcher Untei Scheidung
davon abgesehen wird, dass Alles, was wir
von der Aussenwelt erfahren, nur dadurch
unsere Erfahrung wird, dass es als Empfin¬
dung und Vorstellung Object unseres Bewusst¬
seins wird. Auf dem Versuche, den Kreis
der äusseren Erfahrung in dem der inneren
aufgehen zu lassen, beruht der Idealismus;
auf der Behauptung, dass jener seine von dem
auffassenden Subjecte unabhängigen, reellen
Beziehungspunkte verlangt, der Realismus.
Auf keinen Fall gibt das blosse Dasein irgend
eines äusseren oder inneren Factums schon
eine Erfahrung; es muss das Bewusstsein über
das hinzukommen, was man erfährt. Viele
Menschen erfahren daher gar Manches, ohne
Erfahrungen zu machen; ebenso wird man
auch durch fremde Erfahrungen selten klug.
Absichtliche Erfahrung führt zur Beobachtung
und zum Experimente. Das Verhältnis? zwi¬
schen Erfahrungen und Gedanken und Be¬
griffen bezeichnet Kant sehr treffend durch
den Satz: Anschauungen ohne Begriffe sind
blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer.
Die Erfahrung hat besonders in den philosophi¬
schen Wissenschaften sowie in der Meclicin
eine grosse Rolle gespielt. So gewiss es nun
ist, dass die Erfahrung die Grundlage der
ganzen theoretischen Philosophie und Medicin
bildet, ebenso gewiss kann durch blosse Er¬
fahrung eine rein philosophische und medi-
cinische Erkenntniss nicht geschaffen werden.
Erfahrung, noch so sehr gehäuft, aus allen
Theilen der Welt und aus allen Zeiten zu¬
sammengerafft, bildet doch iimner nur eine
Masse von Einzelheiten, .welcher alle Ordnung
und höhere Einheit abgeht, ohne die über¬
haupt keine wissenschaftliche Erkenntniss
denkbar ist. Für die Naturwissenschaften ist
die reine Erfahrung noch am wichtigsten,
weil in diesen auch eine einzelne Erfahrung
einen relativen Werth hat. Freilich muss sich
eine solche rein empirische Erkenntniss ge¬
fallen lassen, durch jede neu gemachte ent¬
gegengesetzte Erfahrung berichtigt und wider¬
legt zu werden. In der Medicin bildete sich
schon im III. Jahrhundert v. Chr. nach dem
Vorgänge von Herophilus, Serapion und Phi¬
linus aus Kos eine Schule, die sich vorzugs¬
weise die empirische nannte. Die Vorgänger,
besonders Herophilus, drangen auf unbefan-,
gene Naturbeobachtungen und sorgsame Zu¬
sammenstellung des Beobachteten zu einer'
Geschichte, aus welcher dapn durch das Ueber-
einstimmen vieler Beobachtungen die un¬
wandelbaren Vorschriften für gewisse Fälle
hervorgehen sollten. Die Schüler hingegen,
Philinus an der Spitze, schlossen alle theore¬
tischen Studiön, selbst Anatomie und Physio¬
logie, aus und hielten % sich einzig an Tra¬
ditionen und ihre eigenen Erfahrungen am
Krankenbette. Später näherten sie sich wieder
den Dogmatikern, indem sie den Epilogismus
annahmen, d. h. die Kunst,“ aus vorhandenen
bekannten Erfahrungen auf das Unbekannte,
durch Erfahrung noch nicht Ermittelte zu
schliessen. * Ableitner.
Empiriker (empiricus sc. medicus bei
Cicero, griech. sjvteip'xöc) heissen diejenigen
Aerzte und Thierärzte, welche ihr Wissen und
ihre Kunst allein auf Erfahrung gründen und
aufbauen, mit Ausschluss aller theoretischen
Ansichten und Lehrgebäude. Es sind dies
Menschen, die aus Mangel an theoretischen,
medicinischen Kenntnissen blos . aufs Unge¬
fähr nach depi Namen der Krankheit oder
nach einzelnen Symptomen Mittel verordnen,
welche der gemeine Glaube oder einseitige
Beobachtung gegen jene Zufälle als heilsam
bezeichnet, ohne zu beurtheilen, ob sie der
Individualität des Kranken und dem Cha¬
rakter der Krankheit angemessen sind. Die
'Zuverlässigkeit der Heilmethoden wird dem
Empiriker nicht durch innere Argumente,
sondern durch die Zahl der Beobachtungen
bestimmt. Ihm liegt also Alles daran, eine,
möglichst grosse Reihe von Erfahrungen zu ;
sammeln; Erfahrung ist ihm Norm des Han¬
delns. Empirisch werden alle Begriffe, Urtheile
und Schlüsse genannt, welche sidi blos auf
Erfahrung gründen.
Empirismus ist dasjenige philosophische
System, nach welchem alle Erkenntniss einzig
und allein aus der Erfahrung abgeleitet
worden ist. Ableitner.
Emplasmogonie (abgel. v. ev, inwendig,
rb rcka-fia, Bildungsstoff, i] pW), Zeugung),
eine von Haeckel sog. Art der ^Urzeugung“
von Zellen innerhalb der formlosen, durch
Histolyse der Fliegenlarve entstandenen oder
im Embryosack der Phanerogamen vorhan¬
denen Bildungsmasse, ' bei der cs durch
Aggregation von Plasraamolekülen zur Bildung
von Kernen als Attractionscentren für den sich
darum lagernden Zelleib kommen soll. Der
ganze Process dürfte auf eine jener Formen in-
directer Zelltheilung zurückzuführen sein. Sf.
emplastica (v. £jj.:iXdaosiv, einschmieren)
sc. remedia, verschmierende und dadurch ver¬
stopfende Mittel. Sussdorf.
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«EMPLASTßUM. — EMULSIO.
539
Emplästruip,. Pflaster, sind alle zum An¬
kleben an die äussere Haut bestimmten, in
Stangenform vorräthig gehaltenen Mischungen
von einer dem Wachs analogen Consistenz,
welche in der Handwarme erweichen und dann
kleben. Sie können bei den Hausthieren nur
beschränkte Anwendung finden, insofeme die
dichte Behaarung der Haut, noch mehr aber
die nicht zu vermeidenden Bewegungen des
Körpers und Hautmuskels das Haften des
Pflasters fast unmöglich machen; die Thier¬
ärzte, benützen daher die eigentlichen Heft¬
pflaster zum Vereinigen von Wund- und
Gesfchwürsrändern oder Festhalten von Ver¬
bandstücken so gut wie gar nicht, wohl aber
wird hie und da bei schleichenden Entzün¬
dungen von Sehnen, Bändern, Schlejmbeuteln
u. dgl. ein Klebpflaster als Träger scharfer
Arzneimittel verwerthet, um diese auf längere 1
Zeit gleichmässig einwirken zu lassen. Mit
Beziehung auf erstere Verwendungsweise wird
nur das Pdchpflaster: t
Emplastrum Picis nigrae,Lund’sche
P f 1 a s t e r, zum Bedecken bei Widerristschäden
und Satteldrücken verwendet. Man bereitet es,
indem gleiche Theile Pech und dicker Ter¬
pentin an lei'chtem Feuer verflüchtigt und gut
emischt werden; nachher streicht man von
em erwärmten Pflaster meslerrückendick auf
ein ßtück Leder, klebt dieses gut auf, lässt
es so lange auf der Haut liegen, bis es weg-
falltj und wiederholt bis zur Heilung.
Emplastrum ahglicum acre, scharfes
englisches Pflaster, schwarzes Pflaster, wird
gegen Sehnenklapp, Piephacken, Spat u. s. w.
hie und da an^ewendet und wird dessen Zu¬
sammensetzung verschieden angegeben, nach¬
stehende Combination verdient aber wegen
ihrer grossen Klebkraft und Wirksamkeit vor
allen anderen den Vorzug. Man schmilzt
über gelindem Feuer 15 Can^haridenpulver mit
3 Euphorbium und 10 Burgunderharz und setzt
je 6 Colofhon, Mastixgummi, Safranpflaster,
Terpentin, schwarzes Pech und armenischen
Bolus hinzu. Bei der Application wird die
Masse erwärmt, mit einem Spatel einige Milli-
•meter dick auf die Haut (nicht zu heiss) auf-
getragen und alsbald mit geschnittenem Werg
bedeckt, worauf man mit einem warmen Eisen
eine recht innige Verbindung herstellt. Sind
die Haare sehr dick und lang, so müssen sie
erst verkürzt, aber nicht zu sehr abgeschoren
werden, weil sonst das Pflaster nicht lange
genug liegen bleiben würde. Gemeinhin fällt
es innerhalb 14 Tage ab. Vogel.
Emplastrum Cantharidum besteht aus
SH spanischen Fliegen, 10 Euphorbium und
j& 60 dickem Terpentin und Mastix. Dieses
Pflaster hält zwar sehr gut, ist aber zu
schwach. Weitere Pflaster kennt die Thier¬
heilkunde nicht. Das gewöhnliche Heftpflaster
Emplastru*m ädhaesivum besteht aus
roher Oelsäure, Bleiglätte, Colophonium und
Talg. Vogel.
Empnoumatosfe, y\ £pi*ve'jp.axwats (von
^aicveofjLttToöv, mit Luft anfüllen), das An¬
füllen .mit Luft, also auch Einathmen, dann
die Folge der Luftansammlung, der Meteo¬
rismus. Sussdorf.
Empre8is, y euntpvjots (von
anzünden), Entzündung. Sussdorf^
Emprosthotonia, r\ sp^poofl-oxovtoi (von
sp.7tpGofl£v, nach vorne, und xovo$, Spannung),
Starrkrampf mit vorherrschender Beugung
nach der Brust. Sussdorf.
Empyem (von Iputoeiv, ein Lungenge¬
schwür haben, oder ev. und rcöov, Eiter),
Eiterbrust, Ansammlung von Eiter im Thorax,
auch Pyothorax, entsteht durch eitrige Pleu¬
ritis nach Durchbruch von Abscessen und
Cavfcrnen von den Lungen aus, bei Lungen-*
gangrän und bei der Staupe der Hunde
häufig durch vollständige Vereiterung ein¬
zelner Lungentheile oder, eines ganzen Lun¬
genflügels. Die Gegenwart des Eiters im
Thorax lasst sich leicht durch Auscultation
und Percussion nebst Probepunction fest¬
stellen, nach welch letzterer eine eitrige
Flüssigkeit aus der Brusthöhle abfliesst. Kleine
Eitennengen im Thorax werden wieder resor-
birt, grössere Eiteranhäufungen verlangen
operative Entfernung durcn Punction (s. Para-
centesis) und Injectionen verdünnter Jod¬
lösungen (oder anderer Antiseptica), die nach¬
her wieder entleert werden Semmer.
Erapyema^xö £p.TC6Y)p.a(von epiitooöv, ver¬
eitern), Eiteransammlung in geschlossener
Höhle. Sussdorf.
Empyokele (eu-ttjos, mit Eiter gefüllt, und
xyjXt, Bruch), der mit Eiter gefüllte Bruch¬
sack, Eiterbruch, Eiteransammlung im Hoden¬
sack. Sussdorf.
.«mpyreumatica (Adj. zu xo lp.7r6psop.a,
das Anzünden) sc. remedia, brenzliche, theer-
hältige Mittel, Producte der trockenen Destil¬
lation. Sussdorf.
Emulsin, ein zur Glasse der Enzyme (s.d.)
oder unorganisirten Fermente zählender*
ei weissartiger Stoff, welcher in den süssen
und bitteren Mandeln vorkommt und die
Fähigkeit besitzt, das in den bitteren Man¬
deln enthaltene Amygdalin in Zucker, Bitter¬
mandelöl und Blausäure zu spalten; auch ist
es fähig, das in der Weidenrinde vorkom-
raende S^licin in Zucker und Saligenin zu
zerlegen. Wie alle Enzyme verliert es seine
Wirkungskraft, wenn es in Lösung bis zum
Kochen erhitzt wird. Locbiseh.
Emulsio, Emulsion. Substanzen, welche in
Wasser unlöslich sind^wie Oele, Fette, Harze, 1
Kampher, Balsame) und doch mit Wasser ver¬
abreicht werden sollen, lassen sich durch
Vermittlung einer Bindesubstanz (Emulgens),
Gummi arabicum, Eigelb, Althäaschleimetc., in
feinster Vertheilung suspendiren und zu einem
Ganzen vereinigen, wie dies bei der Milch
der Fall ist. Eine solche railchähnliche Arznei¬
form heisst Emulsion und der im Wasser zu
suspendirende Körper das Emulgendum. Ist
letzteres sammt dem Bindemittel schon in dem
Arzneimittel enthalten, wie z. B. das Oel und
das gummiähnliche Emulsin in den Mündeln,
im Lein-, Mohn- oder Hanfsamen, dürfen also
fliese Pflanzensamen nur gestossen und mit
Wasser verrieben werden x so hat man. die
itize v
Google
540 ’ ENANTHEMA. —
Emulsio vera, während bei der falschen
Emulsion (E. spuria) die drei Körper erst
künstlich mit einander gemengt werden müssen.
Zur Emulsirung von fett^i Oelen verwendet
man gewöhnlich arabisches Gummi 1 auf 2 Oel,
bei der Emulsio Olei Ricini 1 :3—4, um die
abführende Wirkung nicht zu sehr zu schwä¬
chen. Als Zwischenmittel bei Gummiharzen
nimmt man ebenfalls arabisches Gummi 1:2
oder einen Eidotter auf 20 g Gummiharz;
Terpentinöl 1 mit ebensoviel Gummi arabicum;
Kampher 1 mit 10 Gummi oder 1 Eidotter
auf 2 Kampher. Nach der Pharmacopoea
•werden jetzt überall die Samenemulsionen aus
1 Theil Samen zu 10 Theilen Colatur, die
Oelemulsionen aus 2 Oel, 1 Gummi arabicum
and 17 Wasser bereitet. Vogel.
Enanthema (abgel. v. £v, in, im Innern,
und to avO-Yjjxa, v. av&elv, blühen), jeder Aus¬
schlag an der inneren Körperoberfläche, also
Schleimhautexanthem. Sussdorf.
Enantiopathia (abgel. v. evotvuos, ent¬
gegengesetzt, und to rca&os, leiden), eig. das
entgegengesetzte Lejden, dann übertr. die Heil¬
methode, welche durch Erzeugung entgegen¬
gesetzter Leiden heilt, z. B. des Durchfalles
durch Erzeugung von Verstopfung; sie ist so
auch eine Methode* der Allopathie (s. d.). Sf
Enarthrosis (von lv, in, lind r.
Gelenk), nach Galen schon die Unterabthei-
lung der Diarthrose, welche sich durch Vor¬
handensein einer tiefeVi Pfanne auszeichnet. Sf.
Encastelure, Vollhuf, Zwanghuf. Sf.
Encephalica anaesthetica sind jeneArznei-
mittel, welche auf das Gehirn betäubend ein-
wirken, so dass zugleich auch die Empfindung
verloren geht (s.' Anaesthetica). Vogel.
Encephalitis, Gehirnentzündung, s.
Arachnitis.
(Encephatomalacie, von evxe^aXos, Gehirn,
und p.aXax:a, Weichheit; zerfallt in zwei
Gruppen, u. zw.:
1. Einfache Erweichung durch aufge¬
hobene Ernährung in Folge von Thrombose,
Embolie, Druck, Zertrümmerung, Blutung.
2. Entzündliche Erweichung, ver¬
ursacht durch Entzündung in Folge eitriger
oder jauchiger Embolien, Schädelfracturen etc.
Die Erweichungen betreffen meist erbsen-
bis nussgrosse, selten hühnereigrosse um¬
grenzte Herde und zerfallen der Farbe nach
in folgende Gruppen: •
1. Die weisse Erweichung, Encephälo-
raalacia alba, oder auch graue Erweichung
bildet einen Erweichungsherd von weisser,
schmutzigweisser oder grauer Farbe und ver¬
schiedener Consistenz, ist zu einem molkigen,
flüssigen Brei umgewandelt, ohne scharfe
Grenzen gegen die umgebende normale Hirn¬
substanz. Der Herd besteht aus feinkörnigen
Massen, zerfallenen Nervenfasern und Myelin.
Die Gefasse des Herdes sind theils mit fein¬
körnigen Massen gefüllt, theils eollabirt und
zerfallen. Nach Resorption der Zerfallsmassen
bleibt eine Cyste mit klarem oder trübem
flüssigen Inhalt zurück. Die weisse Erweichung (
entsteht durch Verschluss der zuführenden
ENCHONDROMA.
Arterie und umgrenzten brandigen Zerfall der
Hirnsubstanz.
2. Die rothe Erweichung, Encephalo-
malaciarubra, ist ausgezeichnet durch eine mehr
oder weniger intensiv rothe Färbung mit einem
Stich ins Gelbliche, Bräunliche oder Graue;
sie entspricht einem hämorrhagischen Infarct,
bildet einen dicken Brei, der reich an Blut¬
körperchen und nach Zerfall derselben an
rothem Farbstoff ist. In den ersten Stadien
sind die Gefässe des Herdes prall mit Blut
gefüllt, später enthalten dieselben nur Fett¬
körnchen und Pigment, und die Hirnsubstanz
zerfällt zu einem fettig - körnigen Detritus.
Gesellt sich zur rothen Erweichung eine Aus¬
scheidung von Eiterkörperchen hinzu, so be¬
zeichnet ipan sie als rothe entzündliche Er¬
weichung.
3. Die gelbe (oder braune) Erweichung,
Encephalomalacia flava, ist entweder eine wei¬
tere Entwicklungsstufe der rothen Erweichung,
nachdem in derselben die Blutkörperchen zer¬
fallen und Fettmetamorphose eingetreten ist,
oder aber sie entwickelt sich selbständig bei
passiven Blutstauungen durch Verschluss der
abführenden Venen und Imbibition mit blut¬
farbstoffhaltigem Serum und Austritt nur
weniger rother Blutkörperchen. Die Form¬
elemente der gelben Erw'eichungsherde sind
ebenfalls vorwiegend fettig-körnige Detritus¬
massen. Auch die gelbe Erweichung kann
durch hinzukommende Auswanderung farbloser
Blutkörperchen in eine entzündliche Form
übergehen.
4. Die entzündliche* eitrige Erwei¬
chung der Hirnabscesse besteht aus einer
Anhäufung gelben oder grünlichen Eiters in
nuss- bis taubeneigrossen Herden, die von einer
Schicht sclerosirter Hirnsubstanz umgeben
sind. Die Hirnabscesse entwickeln sich durch
traumatische Einflüsse, Schädelfracturen, Caries
der Schädelknochen und durch in die Hirn-
gefässe eingekeilte Emboli, die entzündungs¬
erregende Substanzen mit sich führen. Der
Eiter in den Hirnabscessen kann schleimig un«l
käsig entarten, oder er bricht um die Hirn¬
ventrikel durch.
Erweichungsherde und Abscesse in den
Grosshirnhemisphären verursachen bei den
Hausthieren meist keine besonders auffallenden
Krankheitserscheinungen. Setnmer.
Encharaxis, -fj ejydpa£'.<; (v. syyapdbastv),
das Einschneiden, Scarificiren, Aderlässen. Sf.
Encheirescologia (abgel. v. t iy/zior^'.z,
Behandlung, insbesondere durch Handanlegen
[evye'pelv], und 6 Xoyos, Lehre), Lehre von der
(manuellen) Krankheitsbehandlung. Susidorf
Enchondroma (abgel. v. £v, innerhalb,
und 6 ydvopo;, Knorpel), die heterologe,
heterotopische Knorpelneubildung Virch'ow’s
(s. Chondrom). Sussdorf
Das Enchondrom ist eine meist scharf
umschriebene aus hyalinem Netz, Faser- oder
Schleimknorpel und Bindegewebszügen be¬
stehende Geschwulst von knorpelharter oder
etwas weicherer Consistenz. Die bei den Haus¬
thieren im Ganzen selten vorkommenden En-
chondrome sitzen meist an den Knorpeln der
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ENCHORIONOSOS. — ENDOCARDITIS.
%
541
■Respirationsorgane (Kehlkopf, Luftröhre,
Rippen), oder an den Knochen und Gelenken.
Dieselben sind mehr oder weniger reich an
Knorpelzellen und gleichen oft makroskopisch
den Fibroiden, auch kommen Combinationen
mit Fibromen, Lipomen, Sarcomen und Carci-
nomen vor. Die Chondrome unterliegen der
Fett-, Schleim- und cystoiden Entartung, der
Tuberculisirung, Verkalkung und Verknöche¬
rung (Osteoidchondrom). Die Enchondrome
sind gutartige Geschwülste, machen selten
Metastasen und sind durch Exstirpation
heilbar. Strnmer.
Enchoriono808 (abgel. v. eyx^P 10 ^ ein-
heimisch, und 6 vo'oos, Krankheit}, die ein¬
heimische, einer bestimmten Gegend eigen-
thümliche Krankheit = Morbus indigenus. Sf
Enchyma, xb (v. £yx^ stv )i Auf-
guss, der Bildungssaft (?) des Zellgewebes
(Hayne). Sussdorf.
Enohymapozema (abgel. v. xb und
xb dTtdCep-a, Absud), Infuso-Decoct. Sf
Endeixis, sv8et£ic, Anzeigen, Indication,
davon
Endeixiologia, die Lehre von den
Anzeigen. f Sussdorf
Endemia (v. sv3v;p.o<;, einheimisch), einer
bestimmten Gegend (in Folge der daselbst
herrschenden Verhältnisse) eigentümliche
Krankheit, davon
Endemiologia und Endemionoso-
logia, Lehre von den Endemien. Sussdorf.
Endepidermis (abgel. v. svoov, inwendig,
und yj irridspijiis, Oberhaut), das (epidermis-
ähnlich gebaute) Epithel. Sussdorf.
endermaticus (abgel. v. ev, in, hinein,
und io 3eppi«, Haut), in die Haut eindringend,
z. B. in Methodus endermatica die Appli-
cationsweise von Arzneimitteln, welche diese
in die Haut, d. i. zwischen Epidermis und
Corium bringt. Sussdorf.
Endermati 8 Che Methode. Bei dieser Be¬
handlungsweise will man die Arzneimittel in
das Gewebe der Cutis appliciren, nachdem sie
ihrer Epidermis beraubt worden ist, um ent¬
weder örtliche oder entfernte Wirkungen zu
erzielen. Diese Applicationsweise ist jetzt
gänzlich verlassen worden, und an ihre Stelle
ist entweder die epidermatische Methode oder
die subcutane Injection getreten. Die Ent-
blössung der Haut geschah früher entweder
durch blasenziehende Arzneimittel oder durch
heisses Wasser, bezw. den Major’schen Hammer
und die Moxa s. u. Brennen. Vogel.
Endgutachten, Superarbitrium, ist die
wissenschaftliche Beurtheilung bereits abgege¬
bener divergirender Gutachten oder eines Ar¬
bitrium und Contraarbitriura. Die Veranlassung
zum Superarbitrium kann von den uneinigen
Parteien oder vom Gericht gegeben werden.
Nachdem sich die Parteien darüber geeinigt
haben, kann ein dritter Sachverständiger das
Endgutachten abgeben, oder aber es wird vom
Gericht ein Collegium, ein Institut oder eine
Thierarzneischule zur Beurtheilung der vor¬
handenen divergirenden Gutachten aufgefordert.
Zur Abfassung eines Endgutachtens müssen
die ganzen Processacten vorliegen; etwa un¬
vollständige Punkte in denselben müssen er¬
gänzt und, wo nöthig, Untersuchungsobject
und Zeugen nochmals vorgeführt werden.
Das Superarbitrium bildet ein selbstän¬
diges Document. Dasselbe muss eine geschicht¬
liche Darstellung des Sachverhältnisses (die
Species facti) in gedrängter Kürze, aber doch
so vollständig vorausschicken, dass bei Be¬
gründung des Endgutachtens die Acten nicht
mehr nöthig sind und dass alle thatsächlichen
Gründe in der Geschichtsdarstellung liegen.
Hierauf folgt das Endurtheil, das immer
speciell und ausführlich begründet werden
muss, mit wissenschaftlicher Beleuchtung aller,
vorhandenen Thatsachen. Ist das vorliegende
B^weismaterial ungenügend, und können die
streitigen Objecte und Zeugen nicht noch
einmal vorgeführt werden, so kann das End¬
gutachten auch auf „Nicht erwiesen 14 lauten. Sr.
Endknöpfchen der Nerven nennt man
eine Art der Nervenendigung in Form von
knopfförmigen Anschwellungen der Nerven-
fibrillen in oder zwischen Zellen, resp. Nerven-
endapparaten (s. Nervenendapparate). Sf.
Endknospen der Nerven nennt Merkel
jene sensiblen Nervenendapparate, welche
unter Gruppirung spindelförmiger Deckzellen
rings um die eigentliche Nervenendzelle die
Knospenfom annehmen (s. Nervenendappa¬
rate). Sussdorf.
Endkotben, Kolbenkörperchen, nennt man
zusammenfassend alle jene cy lindrisch-kolbigen
Nervenendapparate, bei welchen sich um den
spitz oder stumpf oder knopfförmig abgestutzt
endigenden Nerven ein von bindegewebiger
Hülle umgebener sog. „Innfcnkolben“ zäh¬
flüssiger, resp. zelligerBeschaffenheitgruppirt.
Dieselben sind nach den Verschiedenheiten,
welche die Hülle des inneren Kolbens zeigt,
verschieden benannt worden; so z. B. besitzen
die Krause’schenEndkolben eine ein-oder zwei¬
blätterige, die Vater-Pacini’schen Körperchen
eine viel- (bis dreissig- und mehr-) blättrige
Hülle etc. (vgl. auch Nervenendapparate). Sf.
Endoaortitis (abgel. v. evSov, inwendig,
und Aorta), die Entzündung der Aorten¬
intima. Sussdorf
Endocardiale Geräusche sind solche,
welche innerhalb des Herzens ihren Ursprung
nehmen und von aussen wahrgenommen werden
können (s. Auscultation des Herzens). Vogel.
Endocarditis (IvSov = innen, ij xap3i'a =
das Herz). Entzündung der inneren Herzaus¬
kleidung, bildet einen pathologischen Process,
der zwar bei unseren Haussieren nicht so
häufig wie bei den Menschen diagnosticirt
wird, dessenungeachtet aber keineswegs zu
den allerseltensten Krankheiten gehört. Es
wäre überflüssig, über die Wichtigkeit dieser
Krankheit viel Worte zu verlieren, da es kein
Geheimniss mehr ist, dass die Endocarditis,
wenn nicht immer direct tödtlich, so doch
für die weitere Gesundheit des Thieres nicht
ohne Folgen bleibt. Ihre Folgen nämlich sind
oft organische Herzfehler (vitia cordis), die
nicht nur die Herzthätigkeit beeinträchtigen,
sondern auch die schwersten Störungen im
Gesammtorganismus hervorrufen. Trotzdem
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t
I
ENDOCARDITIS
542
hatte die Krankheit, wie wir dies offen ge¬
stehen müssen, nicht nur in der Thierheil¬
kunde, sondern auch in der Nosologie des*
Menschen erst in der letzteren Zeit den ihr
ebührenden Platz eingenommen. Bevor Vesal
en genauen Bau des Herzens angegeben
und die epochemachende Entdeckung Harvey’s
die Function dieses Organes bei der Blut-
circulation erklärt hatte, konnten, begreiflicher¬
weise, die pathologischen Processe des Herzens
und umsomehr jene des Endocardiums sammt
ihren Folgekrankheiten nicht ergründet wer- r
den* Aber -selbst nach den wichtigen. Ent-
,• deckungen dieser Forscher verfloss noch eine
geraume Zeit, ehe die Herzkrankheiten die
ihnen gebührende Aufmerksamkeit der Patho¬
logen auf sieh lenkten.. Man kann sogar be¬
haupten, dass die Lehre über die Krankheits-
Äustände ; des in Red& stehenden Organes ;
erst im XVTH. Jahrhundert genauer sich zu j
entwickeln begann. Und wirklich, erst in
dieser Zeit tauchen genauere Beschreibungen
der pathologischen Veränderungen' auf, wobei ‘
Raymond Vieussens, noch mehr aber Lrancisi
(1728) den Anfang machtbn, indem nament¬
lich der letztere mit bewunderungswürdiger
Genauigkeit die Hypertrophie und s Dilatation
des Herzens, die Krankheiten des-Pericardiums 1
und des Valvularapparates geschildert hat. *
Die eigentlichen Fortschritte in der
Diagnostik und Beurtheilnhg der päthologi-!
sehen Abnormitäten des Herzens während
des Lebens treten uns erst mit der Ein¬
führung und Anwendung der physikalischen
«* Untersuchungsmethoden bei Herzkrankheiten
und HerzfehleAi entgegen, da erst diese Unter¬
suchungsmethoden, u. zw.: Percussion (Auen-
brugger 1761) und die Auscultation (Laöneck
1819), hauptsächlich, aber die Vervollkomm¬
nung dieser Methoden durch spätere Forscher
(Corvissart, Piorry, insbesondere Skoda etc.)
dergleichen Fortschritte mit sich brachten,
dass man jetzt mit ihrer Hilfe, wenigstens
beim Menschen, ziemlich subtile Anormali- *
täten des besprochenen Organes, unter anderen
auch die Endocarditis und ihre Folgen, zu
diagnosticir,en im Stande ist.
Man sieht auch, dasä schon Kreysig (1815)
mitHilfe der damals bekannten Untersuchungs¬
methoden im Stande war, den Satz aufzu¬
stellen,’ dass Herzfehler Folgen der Endo¬
carditis sind, wobei er auch die Aufmerksam¬
keit auf die häufige Entzündung der inneren
Herzauskleidung bei Rheumatism en und Schar¬
lach (beim Menschen) lenkte, und dass Bouil-
land, der in der nosologischen Terminologie
zum erstenmal die Bezeichnung Endocarditis
eingeführt hat, am lebenden Menschen mit
Zuhilfenahme der Auscultation die Existenz
der Entzündung der inneren Herzauskleidurig
zu bestimmen vermochte.
Bei unseren Hausthieren ist natürlicher¬
weise Endocarditis in einer noch späteren
Zeit Gegenstand der klinischen Beobachtung
geworden; wenigstens findet man in den
Werken von Hayne (1852), Hering (1858), die
für ihre Zeit ziemlich genaue Beschreibungen
der Hausthierkrankheiten geliefert haben,
noch keine Schilderung der Endocarditis als
einer speciellen Form der Herzkrankheiten.
Die Endocarditis tritt häufiger in der
linken als in der rechten Herzhälfte auf, der
Process ist hiebei gewöhnlich nur auf um¬
schriebene Stellen des Endocardiums be¬
schränkt, z. B. auf die innere Auskleidung
der Herzwänd (Endocarditis parietalis) oder
auf jene der Klappen (Endocarditis valvu-
laris). Dem Verlaufe nach wird die Entzün¬
dung der Herzauskleidung in eine acute,
subacute und chronische Endocarditis einge-
theilt, wenngleich diese Formen, da eine in
die andere unmerklich übergeht, nicht immer
streng zu' unterscheiden sind.
Bei der acuten Form kommt es manchmal
zur Erweichung und zum Zerfall der oberfläch¬
lichen Lamelle des entzündeten Endocardiums,
welche Krankheitsform unter dem Namen *
.Endocarditis ulcerosa, maligna oder diph-
teritica bekannt ist. Am häufigsten . nimmt
die Endocarditis diese.Form an, wferin sie
als Comfdicätiun bei Sep'ticämie auftritt. In
solchen Fällen, sollen im Detritus manchmal
bei mikrosköpischör Untersuchung Mikrococcen
zu finden sein. . In der achten, häufiger jedoch
in der subäeuten; Form koiiimf es zur Bil¬
dung von Excrescenzen oder Vegetationen
von verschiedener Gestalt, u. zw\ an den
Klappen, an den sehnigen Gebilden der Pa-
{jillärrauskeln u. s. w.' In diesem Falle, wird
die Krankheit mit dem Nariien Endocarditis "
verrucosa bezeichnet.
Die* chronische Form, die sich gewöhn¬
lich aus . der acuten entwickelt, manchmal
auch primär erscheint, hat gewöhnlich die
Bildung eines .derben, narbigen Bindegewebes
zur Folge, in welches sjch manchmal Kalk¬
salze ablagern. Diese letzte Form, die am
häufigsten zu Herzfehlern (Insüfficienz, Stenose)
Veranlassung- gibt, nennt man Endocarditis
chronica retrahens, Endocarditis fibrosa, auch
Endocarditis sclerotica.
Von unseren Haussäugethieren werden
.Pferde und Hunde am häufigsten, manchmal
auch Schweine von der Endocarditis ergriffen.
Bei Pferden, die öfter von der acuten Endo¬
carditis befallen werden, erstreckt sich der
.pathologische Process am häufigsten auf die
Auskleidung der Herzkammern, def Traberkeln,
derPapillarmuskeln und auf die Aortenklappen,
bei Hunden dagegen, die an der Endocarditis
chronica häufiger leiden, ist die Entzündung
gewöhnlich auf die Atrioventricularklappen,
. namentlich aber auf die zweizipflige Klappe
.localisirt..
Aetiologie. Das Endocardium scheint
eine besondere Reizbarkeit und Anlage zu
specifischen Entzündungsprocessen zu besitzen.
Ausser bei Krankheiten rheumatischen Cha¬
rakters, die nach Erkältungen entstehen, wie
z. B. bei der Rehe, Lungen-, Lungenfell-,
Bauchfellentzündung, bei der Synovitis u.s.w.,
beobachtet man die Endocarditis als Ver¬
wicklung auch bei manchen anderen Krank¬
heiten.'Ja es scheint sogar, dass selbst manche
Veränderungen in der Blutmischung eine Ent-
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ENDOCARDITIS. t 543
Mündung der Intima des Herzens hervorzu¬
rufen im Stande seien, daher sie im Verlaufe
mancher acuter Infectionskrankheiten (In¬
fluenza, Ahthrax, Rabies, Septicämie) häufig
beobachtet wird. Sie erscheint auch im Ver¬
lauf von Krankheiten, die mit bedeutenden
Schmerzen verbunden sind (Tetanus), ferner
bei Myocarditis u.s.w. Längerer Gebrauch von
Digitalis und Sublimat soll auch die Endo-
carditis hervorrufen. Beim Rindvieh kommt
sie als traumatische Endocarditis in Folge
Eindringens fremder Körper von der Haube
aus vor. Als eine a'us traumatischer oder
genauer gesagt mechanischer Ursache ent¬
standene Endocarditis kann man jene be¬
zeichnen, die bei Hunden in Folge vorhandener
’ CirculationsStörungen durch Anprallen des
Blutes an die Atrioventricularklappen daselbst
entstehen. Endlich können manche thierische
Parasiten, z. B. Echinococcen, wenn sie bis
zum Endocardium Vordringen, Veranlassung
zur Endocarditis geben.
Ob jedoch, wie Manche behaupten, eine
Endocarditis, hervorgerufen durch Eindringen
von specifisohen Mikrococcen oder Bacterien,
vorkommt, ob es somit thatsächlich eine
Endocarditis bacterica gebe, die 'Entscheidung
'dieser Frage muss der Zukunft überlassen
werden.
Die einmal entstandene Entzündung der
Herzauskleidung kann in weiterer Folge
mehr oder weniger drohende Krankheitszu¬
stände hervorrufen; sic kann z. B. Quelle von
Circulationsstörungen und Stasen in der
Lunge sein, in Folge dessen sich nicht selten
ein tödtliches Lungenödem entwickelt. Sie
kann auch in den Lungen, in der Leber, in
den Nieren u. s. w. metastatische Entzündungen
hervorrufen, dadurch, dass mit dem Blute
Enflboli (abgerissene Vegetationen, Blut¬
gerinnsel u.s.w.) aus dem Herzen in diese
Organe eindringen. Endlich, da sie verschie¬
dene Herzfehler bedingt, die zu Circulations¬
störungen Veranlassung geben, wird die Endo¬
carditis mittelbar die Quelle verschieden con-
secutiver unheilbarer Krankheitszustände.
Symptomatologie. Im Beginne der
Krankheit namentlich in leichteren Fällen
zeichnet sich die Endocarditis durch keine
Symptome aus, die uns als Basis zur sicheren
Diagnose dienen könnten; auch ist wenigstens
in der Anfangsperiode die Differentialdiagnose
zwischen einer Pericarditis und Myocarditis,
mit denen sie übrigens nicht selten complicirt
ist, eine ziemlich schwierige Aufgabe. Die
Unmöglichkeit einer präcisen Diagnose, sogar
das Uebersehen der Existenz eines Krank¬
heitszustandes überhaupt kommt im Beginne
desto leichter vor, wenn der Krankheitsprocess
die Auskleidung der Herzwand, der Traberkeln,
der Papillarmu8keln unterhalb der Atrioven¬
tricularklappen, wie dies beim Pferde am
häufigsten der Fall ist, ergriffen hat. Da
hiebei die Endocarditis selten direct einen
tödtlichen Ausgang nimmt, anstatt dessen
aber am häufigsten in einen chronischen
Zustand übergeht, welchen anfänglich eben
keine charakteristischen Erscheinungen kenn¬
zeichnen, so gelangt man zur definitiven
Diagnose gewöhnlich «erst dann, wenn sich
sog. Herzfehler: Insufficienz^ Stenose, Hyper¬
trophie,* Dilatation ausgebildet haben. Im All¬
gemeinen können, je nach der Intensität der
Krankheit der von dem pathologischen Pro-
cesse ergriffenen Partie des Endocardiums,
je nach der individuellen Reizbarkeit des
Thieres, je nach der Form der Krankheit und
der secundären, durch pathologische Processe •
bedingten Veränderungen etc., bald deutlichere,
bald weniger ausgeprägte fieberhafte Erschei¬
nungen hervortreten. Der accelerirte Puls (bei
grösseren Thieren bis über 100 in der Minute)
ist häufige^ geschwächt als verstärkt und
zeichnet sich manchmal, hauptsächlich bei
Hunden, durch seinen aussetzenden Charakter
aus. Die allgemeine Körpertemperatur ist
bald in einem höheren, bald in einem gerin¬
geren Grade erhöht, die sichtbaren Schleim¬
häute höher geröthet, der Appetit ist ver¬
mindert, oft auch fast gänzlich aufgehoben;
die Pupille ist manchmal erweitert, das Thier
traurig und abgeschlagen; in manchen'Fällen
beobachtet man einen pochenden, sogar tumul-
tuarischen, häufig über eine weit ausgebreitete
Fläche fühlbaren Herzschlag, der selbstrechter-
seits deutlich hervortritt. Manche Thiere
äussern beim Druck auf die Thoraxwand in
der Umgebung des Herzens eine schmerzliche
Empfindung.
Ausser den bis jetzt 'angeführten Sym¬
ptomen treten deutlich nach den geringsten
Anstrengungen des Thieres, hauptsächlich
wenn der Entzündungsprocess die zweizipflige
Klappe ergriffen hat (wie dies beim Hunde
gewöhnlich der Fall ist), deutliche Abwei¬
chungen im Athmen hervor. Die Respiration
erfolgt häufiger mit Anstrengung und ist mit
sichtbarer Thätigkeit der Athmungsmuskeln
und deutlicher Rippenbewegung (Dyspnoe)
verbunden.
Sehr wichtig sind die Abweichungen in t
demCirculationsapparate, u.zw. Vergrösserung
des Herzens, welche durch Percussion nach¬
weisbar ist, der in grösserer Ausbreitung
fühlbare Herzschlag, der oft auch rechterseits
vorkomrat, ebenso Ueberfüllung der Venen,
wobei in der Vena jugularis manchmal eine
immer deutlicher werdende Pulsation zu be¬
obachten ist.
Da eine länger andauernde Stasen-
hyperämie der Lungen sich im venösen System
auch auf entferntere Organe fortpflanzt, so
treten bald verschiedene Complicationen, wie
z. B. chronischer Katarrh der Verdauungs¬
wege, ein Leber-Milzleiden u.s.w., mit aen
ihnen zukommenden Symptomen und Folgen
auf; zu diesen gesellt sich schliesslich auch
nicht selten Wassersucht, welche dem tödt¬
lichen Ausgange vorauszugehen pflegt.
Nach Schilderung der Symptomatologie
der Endocarditis der linken Herzhälfte in
allgemeinen Umrissen bleibtnoch zu erwähnen,
dass die Unterscheidung der Endocarditis der
rechten Herzhälfte, in Folge einer gewissen
Aehnlichkeit der Krankheitserscheinungen bei
unseren Hausthieren, durchaus nicht so leicht
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, oogle
544 ENDOCARDITIS.
ist, da die deutlichen Klappenphänomene —
sowohl die systolischen als auch die diasto¬
lischen Geräusche — fcei unseren Hausthieren
(den Hund nicht ausgenommen) nicht in dem
Grade charakteristisch sind, um uns in den
Stand zu setzen, bezeichnen zu können, ob
die Geräusche von der rechten oder linken
Herzhälfte herrühren.
Das sicherste Symptom eines Krankheits-
v zustandes des rechten Herzens ist ein ziem¬
lich starkes systolisches Geräusch, das bei
der Insufficienz der dreizipfligen Klappe und
Dilatation des rechten Herzens auch an der
rechten Seite des Brustkorbes hörbar und von
einer venösen Pulsation der Vena jugularis
begleitet ist. Da jedoch ähnliche Phänomene,
die durch das Zurückprallen des Blutes
in die rechte Vorkammer bedingt sind, wie
wir schon oben bemerkt haben, auch als
secundäre Erscheinung bei der Endocarditis
der linken Herzhälfte Vorkommen können,
so dürfen dieselben höchstens insoweit als
Symptom zur Differenzirung, ob die Entzün¬
dung die rechte oder linke Herzhälfte primär
ergriffen hat, in Betracht gezogen werden, in¬
wieweit wir genau die Reihenfolge der Circu-
lationsstörungen und der Krankheitserschei¬
nungen, die unmittelbar von der Thätigkeit
des Herzens abhängig sind, zu bezeichnen im
Stande sind.
Die Endocarditis, wie es in der Aetio-
logie erwähnt wurde, kann zu Embolien Ver¬
anlassung geben, die mit dem Blutlauf nach
verschiedenen Organen gelangen. Es ist be¬
greiflich, dass je nach dem Organe, in wel¬
ches die Emboli eingeführt wurden, und je
nach den von denselben erzeugten Folge¬
zuständen ganz verschiedene Krankheits¬
symptome hervortretep werden. Es können
Symptome einer metastatischen Entzündung
der Lungen, Leber, der Nieren (Albuminurie,
Hämaturie etc.), es kann weiter eine Lahm¬
heit einer oder mehrerer Extremitäten auf-
’ treten, endlich erscheinen manchmal an
verschiedenen Stellen oberflächliche Hautent¬
zündungen, Oedeme, phlegmonöse Entzün¬
dungen u. s. w. Die erwähnten Kranheitszu-
stände, insoweit sie Folgen von Metastasen
sind, kommen auch in der Septicämie vor,
die durch Endocarditis ulcerosa hervorgerufen
wird und die gewöhnlich auch Synovitis nach
sich zieht. Da jedoch die acute Endocarditis
oft genug in eine chronische übergeht, diese
letztere aber zu Herz- und Klappenfehlern
führt, so entstehen am häufigsten in Folge
von Circulationsstörungen verschiedene chro¬
nische Leiden, die früher oder später zum
tödtlichen Ausgange führen. Denn wie es
einerseits selten geschieht, dass bei- der En¬
docarditis eine vollkommene Genesung des
Thieres erfolgt, so kommt es andererseits nur
ausnahmsweise vor, dass die Endocarditis als
solche direct den Tod herbeiführt. Immerhin
kommen Fälle vor, wo der Tod im Verlaufe
von 10—-14 Tagen in Folge von Herzparalyse
oder Lungenödem erfolgte.
Aus den bis nun angeführten Daten ist
zu ersehen, dass die Diagnose der Endo¬
carditis namentlich im Beginne der Krankheit
bei unseren Hausthieren mit Ausnahme des
Hundes, bei welchem die Sache nicht auf
solche Schwierigkeiten stösst, keineswegs eine
leichte Aufgabe ist, und dass erst dann, wenn
die Krankheit bereits einen chronischen Ver¬
lauf angenommen und wichtige organische
Veränderungen herbeigeführt hat, dieselbe mit
grösserer Präcision bestimmt werden kann.
Die Prognose ist schon deshalb, weil
die Endocarditis im Beginne schwer zu er¬
kennen ist, eine zweifelhafte. Wenn somit die
Krankheit nicht während des acuten Verlaufes
mit dem Tode endigt, jedoch aber bedeutende
nicht zu beseitigende organische Veränderun-
en hervorruft, so verkürzt sie das Leben
es Thieres und untergräbt die Gesundheit
für die Zukunft. Daher erscheint es auch bei
Schlachtthieren vom ökonomischen Stand¬
punkte wohl am zweckmässigsten, dieselben
ehemöglichst der Schlachtbank zu übergeben.
Pathologische Anatomie. An jenen
Stellen des Endocardiuras, die vom Krank-
heitsprocesse ergriffen wurden, finden wir
gewöhnlich weder eine bedeutendere Röthung
noch eine Injicirung der Blutgefässe, welche
den oberflächlichen Schichten des Endocar-
diums mangeln. Statt dessen kann man jedoch
in diesen Schichten eine Erweichung, ein be¬
deutendes Aufquellen mit abundanter Zellen¬
proliferation verbunden beobachten, in Folge
dessen lässt sich das Endocardium leicht ab-
lösen, verliert an der Oberfläche seine gewöhn¬
liche Glätte und seinen Glanz, wird trübe und in
der Continuität geschwächt; unter ihm sind
Blutextravasate oder ein mehr oder weniger
reichliches Exsudat vorhanden, welches bis
zu einer gewissen Tiefe die Herzmuskulatur
infiltrirt. In manchen Fällen entsteht am En¬
docardium in Folge Zerfalles eine mehr oder
weniger tiefe Verschwärung mit Substanz¬
verlust, wobei jedoch die einzelnen Geschwüre,
nachdem es zur Entstehung eines neuen
Bindegewebes gekommen ist, auch vernarben
können. Statt des Verschwärungsprocesses
findet man häufiger, dass das Bindegewebe
daselbst zu wuchern beginnt, so dass das
Endocardium entweder verdickt, und je mehr
sich das Bindegewebe zusammenzieht, hart
wird, oder es entwickeln sich auf ihm Vege¬
tationen von verschiedenem Aussehen. Ver¬
änderungen dieser Art kommen auch an
den Traberkeln, an den Sehnenfäden in der
Umgebung der Atrioventricularöffnungen, am
Eingänge in die Aorta und Pulmonalis vor,
am häufigsten beobachtet man sie jedoch an
den Atrioventricularklappen und besonders an
der zweizipfligen. Indem nun diese letzteren
Gebilde die Verkürzung der Sehnenfaden,
Verdickung, Steifwerden und Runzelung der
Klappen, ebenso der Ränder der Herzöffnungen
bedingen, werden sie die Ursache von ver¬
schiedenen unheilbaren Fehlern. Hauptsäch¬
lich sind es Verengerungen der Herzöffnungen
(stenosis ostii) und mangelhafter Verschluss
der Klappen (Insufficientia valvularum), die
in diesem Falle rigid, verdickt und mit aus-
gefransten Rändern erscheinen, ja es entstehen
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ENDOCARDIUM. — ENDOGENE ANSTECKUNGSSTOFFE. ’ 545
manchmal in den Klappen, besonders ii> den
Atrioventricularklappen Durchlöcherungen.
Auch an der Herzmuskulatur treten im
Gefolge der Endocarditis pathologische Ver¬
änderungen auf, unter anderen ist die Hyper¬
trophie des Herzens gar nicht selten, beson¬
ders der linken Herzhälfte, während in der
rechten häufiger eine Dilatation beobachtet
wird. In manchen Fällen trifft man in den
Herzhöhlen ziemlich bedeutende Gerinnungen
(thrombus) an, deren Zusammensetzung und
Consistenz uns hinreichend überzeugen, dass
sie nicht in den letzten Augenblicken des
Lebens, d. i. während der Agonie, sondern in
einer viel früheren Zeitperiode des Krank-
heitsverlaufcs entstanden sind. In dem Masse,
wie sich einzelne Partikelchen von diesen
Thromben losgetrennt haben und mittelst
Blutcirculation als Emboli in verschiedene
Organe eingetrieben worden sind, treffen wir
auch in denselben entsprechende Krankheits¬
veränderungen an, wie Infarcte oder metasta¬
tische Abscesse in den Lungen, der Leber,
den Nieren u. s. w.
Ausser den erwähnten Veränderungen
finden wir häufig die Hirnhäute sowie auch
das Gehirn selbst im Zustande einer Hy¬
perämie oder in dem einer serösen Infil¬
tration. Nicht selten sammelt sich ein hy-
dropisches Transsudat auch in den Gehirn¬
kammern an. Seröse Transsudate kommen
ausserdem an verschiedenen Körpertheilen
vor, namentlich in den Lungen, die auch mit
Blut überfüllt sein können. Die Bronchial-
schleimhäute, ebenso die Schleimhäute des
Verdauungstractes sind im Zustande eines
Katarrhs.
Wenn die Endocarditis als Coraplication
der Rehe, der Influenza oder einer anderen
dergleichen Krankheit auftritt, oder wenn sie
selbst die Ursache einer secundären Krank¬
heit abgegeben hat, in einem solchen Falle
finden wir bei der Section die diesen Krank¬
heiten eigentümlichen Veränderungen vor.
Therapie. Eine vollständige Heilung
der Endocarditis ist wohl seiten zu erzielen,
schon aus dem Grunde nicht, da im Beginne
der Krankheit, zu welcher Zeit eine entspre¬
chende Therapie wohl die meiste Aussicht
auf einen günstigen Erfolg hätte, die Krank¬
heit nicht mit gehöriger Präcision diagnosti*
cirt werden kann, häufig sogar gänzlich über¬
sehen wird. Kommt die Therapie in Anwen¬
dung, so muss sie auf ein symptomatisches
Verfahren beschränkt bleiben, da die durch
den Krankhejtsprocess gesetzten Veränderun¬
gen überhaupt nicht behoben werden können.
Vor Allem muss zu diesem Ende die Auf¬
merksamkeit auf eine entsprechende Regu¬
lirung der Diät gerichtet sein, wobei das
Thier Ruhe geniessen, in einem passenden,
reine Luft enthaltenden Stande eingestellt
und vor allen Einflüssen, die eine Beschleuni¬
gung der Blutcirculation hervorrufen, geschützt
werden soll.
Nicht selten tritt die Nothwendigkeit ein,
rasch gegen die Dyspnoö einzugreifen, welche,
wie wir wissen, von der Stauungshyperämie
Koch. Encyklopadio d. Thierheilkd. IT. Bd.
der Lungen abhängig ist. Um jedoch das er¬
schwerte Athmen zu beseitigen, darf man
nicht zur Ader lassen, denn dies kann die
Veranlassung zu einer rascheren Entwick¬
lung von Wassersucht, ja selbst eines acuten
Lungenödems sein, welche Complicationen
in dieser Krankheit ohnehin unaufhörlich
drohen.
Hier sind die auf lösenden Salze und auch
manche andere antiphlogistische Mittel, wie
z. B. Glaubersalz, Salpeter, Brechweinstein
angezeigt, neben denen auch harntreibende
Mittel anempfohlen werden, u. zw. Digitalis, •
Oleum terebinthinae, Baccae Juniperi, bei
Hunden Scilla maritima, u. s. w.
Ausserdem darf man auch den allge¬
meinen Ernährungszustand des Thieres nient
aus den Augen verlieren, um dem Kräfte¬
verfall, besonders aber der Herzparalyse ent¬
gegenzutreten. Aus diesem Grunde sollen
ausser einem nahrhaften Futter Roborantia,
wie Chinin, Eisenpräparate etc., verabreicht
werden. Manche rathen ableitende Mittel,
hauptsächlich Application scharfer Einreibun¬
gen an der Brustwand in der Herzgegend.
Statt dieser Mittel eignen sich besser Frot-
tirungen des ganzen Körpers mit trockenen
Wischen, oder nach vorheriger Bespritzung
mit spirituösen Mitteln. Indem man dadurch
die Circulation auf einer ausgebreiteten Haut¬
fläche anregt, kann man noch am besten eine
Mässigung der Hyperämie der wichtigsten
Organe, damit auch jener der Lunge erzielen.
Was die speciellen Heilungsmethoden anbe¬
trifft, im Falle wenn eine metastatische Ent¬
zündung dieses oder jenes Organes oder
andere Folgezustände der Endocarditis, die
so häufig zu Stande kommen, erscheinen, in
dieser Hinsicht müssen die allgemeinen Grund¬
sätze der Therapie befolgt werden.
Literatur: Vogel, Lehrbuch der physikalische»
Diagnostik der Krankheiten der Hausthiere, Stuttgart 1874.
— ROH, Lehrbuch der Pathologie und Therapie der Huus-
tliiere (4. Auflage), Wien 1876. — Anaeker, Speciclle
Pathologie und Therapie für Thierftrzte, Hannover 1879.
— Widmann, Choroby aerca (Herzkrankheiten), War¬
schau 1884. Seifmann.
Endocardium (abgel. v. evoov, inwendig,
S xapoca, Herz)* die innere Herzhaut, eiue
urclisichtige, an verschiedenen Stellen ver¬
schieden dicke Haut, welche die innere Ober¬
fläche des Herzens nebst Ihren Vorsprüngen
(Klappen, Sehnenfäden etc.) überkleidet und
mit (1er Intima der Gefässe in ununter¬
brochenem Zusammenhänge steht. Auch histo¬
logisch ist sie wie diese eine fibrillär-elastische,
von glatten und Purkinje’schen Muskelfasern
durchsetzte Membran,.der einwärts ein poly¬
gonales Endothel aufliegt. (Näheres s. Herz.) Sf.
Endochorion (abgel. v. evoov, inwendig,
und to x o ? tov > Haut), nach Bischoff die ge-
fässlose, die Allantoisflüssigkeit umschlie߬
sende Hypoblastlage der Allantois, nach
Anderen die innere Lage der Gefässhaut
(Chorion) der Frucht überhaupt (s. Eihäute). Sf.
Endogene Ansteckungsstoffe.sind solche,
die sich nur im lebenden Organismus ver¬
mehren und reproduciren und Krankheiten er¬
zeugen, die sieh nur durch Ansteckung von
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546
ENDOGENES. — ENDOMETRITIS.
Thier auf Thier verbreiten. Sie stellen die
Contagien dar und verursachen die rein con-
tagiösen Krankheiten, zu denen die Rinderpest,
Lungenseuche, Maul- und Klauenseuche, die
Pocken, Hundswuth, Tuberculose, Rotz, Septi-
cämie, Pyämie, Petechialtyphus gehören.
Solche Krankheitserreger, die sowohl
innerhalb als auch ausserhalb des Thierkörpers
sich entwickeln und vermehren können, oder
sowohl endogen als auch ectogen entstehen,
nennt man am p hi gen und die durch solche
veranlassten Krankheiten miasmatisch-con-
. tagiöse Krankheiten, zu denen gezählt werden:
Milzbrand, Typhus, Cholera, Hühnercholera,
Ruhr, Influenza, Staupe, Druse, Diphtherie, Ery¬
sipel, Rothlauf, Katarrhe, Pneumonie, Pleuritis,
Hepatitis. Semmer.
endogenes, fcvooyevrjc (v. SvBov und
vevsoftai), das was im Innern eines anderen
Körpers erzeugt ist, z. B. endogene Zell¬
bildung = Enaogenesc als ein Vorgang, bei
welchem eine Zelle im Innern ihrer Mutter-
zelle entsteht, um nach deren' Untergang
oder durch Abschnürung frei zu werden. Sf.
Endolymphe (abgel. v. evSov, inwendig,
und ri kofjicpY], Lymphe) heisst die innerhalb
des häutigen Labyrinthes befindliche. Flüssig¬
keit (Lymphe), deren Erschütterungen den
directen Reiz für die Hörnervenendapparate
abgeben dürften. * Sussdorf.
Endometritis (SvSov, inwendig, ^xpa,
Gebärmutter), innere (am häufigsten katar¬
rhalische) Gebärmutterentzündung.
Unter diesem Namen versteht man eine
Entzündung der Schleimhaut des Tragsackes.
Dieser pathologische Process ist wohl zu
unterscheiden von derMetritis parenchymatosa
wie auch von der Peri- und Parametritis.
Während nämlich bei Metritis parenchymatosa
die tieferen Schichten — die Muskelhaut
— ergriffen sind, bei der Peri- und Para¬
metritis der äussere Ueberzug oder selbst
die den Uterus umgebenden Gebilde in Mit¬
leidenschaft gezogen sind, erstreckt; sich der
Entzündungsprocess bei der Endometritis
nur auf die innere Auskleidung, auf die
Schleimhaut des Tragsackes, welche Form,
wie bekannt, als eine katarrhalische bezeich¬
net wird.
Was nun den Charakter dieses Entzün-
dungsprotesses anbelangt, so wird, ausser
der erwähnten katarrhalischen, noch eine
croupöse und eine septische Endometritis
beobachtet. Da jedoch die letzterwähnte
Form, welche hauptsächlich nach anormalem
Geburtsvorgang vorzukoramen pflegt, als eine
specielle anzusehen ist und als soldie ge¬
wöhnlich unter den Namen Metritis septica,
Septicaemia puerperalis u.s.w. beschrieben
wird, so möge sie daher in einem besonderen
Artikel, am geeigneten Orte, abgehandelt
werden.
Die innere Uterusentzünduug kommt bei
allen unseren Haussieren, am öftesten jedoch
bei Kühen vor. Manchmal tritt sie als ein
selbständiges Leiden auf; nicht selten ist
sie nur Folge anderer pathologischer Processe,
wie z.B. polypöser Wucherungen oder anderer
Tragsacksneugebilde: hin und wiecler tritt
sie auch als Complication bei der Rinder¬
pest und manchen anderen Krankheiten auf.
Der Process beschränkt sich oft nui r auf
besondere Abschnitte, so z.B. auf ein Uterus¬
horn; nicht selten breitet sich der Krank-
heitsprocess bei längerer Dauer aijck auf die
Scheide aus. Die chronische Endometritis
mit jahrelangem Verlaufe kommt häufiger vor
als die acute, aber auch die letztere ist
ziemlich häufig Gegenstand thierärztlicher
Behandlung.
Aetiologie. Wie erwähnt, leiden Kühe
am häufigsten an Uteruskatarrh, doch auch
bei Stuten gehört die Krankheit nicht zu den
Seltenheiten. Bei Hündinnen erscheint sie
gewöhnlich in Gesellschaft mit den bei ihnen
häufig vorkommenden Scheidenexcrescenzen
(sog. Condylomen). Alle übrigen Hausthiere
sind diesem Leiden nur selten unterworfen.
Das 'mittlere Lebensalter, zu welcher Zeit
die Thätigkeit der Genitalien mit grösster
Energie vor sich geht, wirkt prädisponirend
auf die Entstehung dieser Krankheit’. Sie
erscheint jedoch besonders in chronischer
Form auch im höheren Lebensalter, und nur
bei ganz jungen Thieren gehört sie zu den
• Seltenheiten.
Die croupöse Form mit manchmal sehr .
weit auf der Uterusschleimhaut ausgebreiteten
Pseudomembranen kommt im Allgemeinen nur
selten und dann nur bei jüngeren Kühen vor.
Abortus und schwere Geburt, mechanische
Reize, hauptsächlich bei ungeschickter Ge¬
burtshilfeleistung, starke Ausdehnung des
Tragsackes, wie sie bei fier Trächtigkeit mit
mächtig entwickelten Jungen vorzukommen
pflegt, unvorsichtige gewaltsame Ablösung der
lest angehefteten Nachgeburt, Zurückbleiben
im Tragsacke von Partikelchen der Nachge¬
burt oder des abgestorbenen, in Maceration
befindlichen Fötus, Eindringen von Mikro¬
organismen (putriden Stoffen) in die nach
der Geburt offen gebliebene Gebärmutter,
Vorfall derselben, äussere StösSe sind Um¬
stände, die oft Gelegenheitsursachen der Me¬
tritis, am häufigsten aber der Endometritis
abgeben. Als Complication beobachtet man
die Endometritis bei der Rinderpest, bei der
Maul- und Klauenseuche, bei der Beschäl¬
seuche und Bläschenausschlag der Genitalien,
bei verschiedenen Neugebilden des Tragsackes,
manchmal auch bei jenen der Scheide.
Die Metritis soll auch hauptsächlich bei
Schafen in epizootischer Verbreitung Vor¬
kommen, u.zw. in Folge Erkältung bei lang-
apdauemdera Austriebe hochträchtiger Mutter-
thiere während nasskalter Witterung auf die
Weide, auch bei*plötzlichem Uebergang von
karger zu intensiver Fütterung. .
Die acute Fonn kommt gewöhnlich nach
hefti g wirkenden Insulten bei jungen, robusten
Thieren vor; sie nimmt äber bei schlechter
Haltung, anhaltendem Reiz der Genitalien
und ungünstigen hygienischen Bedingungen
leicht den chronischen Charakter an, der
auch bei'alten, ausgezehrten Individuen pri¬
mär entstehen kann.
ENDOMETRITIS.
. 547
Kommt es während des Uteruskatarrhs
zum vollkommenen Verschluss des Gebär¬
muttermundes durch eine zähe Schleimaus¬
scheidung, so entsteht leicht ein Zustahd,
den man Hydrometra, bezw. Pyometra nennt,
während bei offenem Gebärmuttermund der
beständige Ausfluss Fluor albus oder Leu-
corrhoea. heisst.
Erscheinungen und Verlauf. Nur
bei einer bedeutenden Ausdehnung des Krank-
heitsprocesses tritt die .acute katarrhalische
Endometritis mit deutlichen Symptomen auf.
Das Thier wird traurig, die ‘Fresslust nimmt
ab, die innere Temperatur steigt, während die
äussere ungleichmässig auf der Körperober¬
fläche vertheilt ist. Puls, manchmal auch das
Athmen sind beschleunigt, die Thiere halten
den Rücken gekrümmt, die Milchsecretion ist
vermindert, der Mistabsatz verzögert. Man
bemerkt ein unruhiges Benehmen des Thiercs,
Umsehen nach dem Hinterleibe, beschwerliche
Bewegungen und Schmerz&usserungen selbst
gegen leichten Druck auf die Leistengegend.
Hiebei bemerkt man einen mehr oder weniger
reichlichen Schleimausfiuss aus den Geni-.
talien. Die Schleimhaut der Scheide findet
man bei näherer Untersuchung höher geröthet,
aufgelockert und mit Schleim belegt.
. Bei der croupösen Form sind die er¬
wähnten Erscheinungen intensiver ausge¬
sprochen, in den Ausscheidungen aus den
Genitalien findet man Fetzen von Pseudo¬
membranen, manchmal selbst förmliche Ab¬
güsse einzelner Abschnitte des Uterus. Die
erwähnten Erscheinungen, die natürlich nicht
alle auf einmal, sondern gradatim auftreten
und ebenso in ihrer Intension zunehmen,
gehen gewöhnlich auch stufenweise zurück,
und das Thier erlangt binnen 8—14 Tagen
volle Genesung. Nur in seltenen Fällen, u. zw.
wenn der Process auf die tieferen Schichten
dea Tragsackes übergeht, wenn er auch die
seröse Haut einnimmt und sich eine secun-
däre Peritonitis ausbildct u.s.w., steigern sich
die oben beschriebenen und hauptsächlich die
Fiebererscheinungen. In solchen Fällen kann
im Laufe von 10—15 Tagen der Tod ein-
tretep.
Oefter als ein tödtlicher Ausgang kommt
ein Uebergang der acuten in chronische Endo¬
metritis vor. Dies ist -am meisten der Fall
bei alten, abgeschwächten Thieren, bciThieren,
die' während des Leidens Ungünstigen Einflüs¬
sen (nasskaltem Wetter, Futtermangel u.s.w.)
ausgesetzt sind, dann bei Thieren, die an
habituellem Prolapsus uteri leiden oder bei
welchen Partikelchen der Naohgeburt ira
Tragsacke zurückgeblieben sind u.s.w. Uebri-
* gens kann auch bei erwähnten Umständen
der chronische Gebärmutterkatarrh als pri¬
märes Leiden erscheinen.
Bei der chronischen Endometritis, die
manchmal, wie erwähnt, Jahre lang dauern
kann, sind eine lange Zeit hindurch gar keine
Fiebererscheinuugen zu bemerken. Fresslust
und Wiederkauen stellen meistentheils keine
Anomalien vor. Bei längerer Dauer des Lei¬
dens jedoch nimmt gewöhnlich der Nährzu¬
stand des Thieres und die Milchsecretion deut¬
lich ab, bis endlich, nachdem ein Magendarm -
katarrh sich zugesellt und kachektische Er¬
scheinungen auftreten, das Thier im. Colli-
quationszustande, manchmal aber in Folge
von septischer Vergiftung oder einer Compli-
cation von metastatischer Pneumonie eingeht. •
Die chronische Endometritis zeichnet sich
durch einen reichlichen, schleiraigeitrigen oder
jauchigen, chocoladefärbigen, oft übelriechen¬
den Ausfluss aus der Scheide aus, in welchem
oft Fetzen flockiger Gerinnsel anzutreffen sind.
Dieser Ausfluss erscheint manchmal unter lei¬
sem Drängen und Hauiabgang, kommt auch
oft beim Niederlegen des Thieres zum Vor¬
schein. In Folge dieses Ausflusses findet man
gewöhnlich die Hinterschenkel und den Schweif
besudelt.
Bei näherer Untersuchung findet man die
Schleimhaut der Scheide intensiv gelockert,
bleich, hie und da mit braunrothen oder
schiefergrauen Flecken, nicht selten auch mit
reichlichen Extravasaten oder ausgebreiteteu
Geschwüren bedeckt und mit einer der oben
beschriebenen ähnlichen Flüssigkeit über¬
zogen. Hat sich in Folge des Zurückbleibens
des Ausflusses im Tragsacke die Hydrometra
(Pyometra) ausgebildet, so findet natürlich
gar kein Ausfluss aus den Genitalien statt.
Da nun bei einem solchen Zustande der
Hinterleib immer mehr und mehr an Umfang
zunimmt, so kann man leicht getäuscht werden
und das Thier irrthümlicherweisc als trächtig
oder bauchwassersüchtig ansehen. Den Auf¬
schluss erlangt man in solchem Falle einer¬
seits durch Berücksichtigung der Periode der
etwa möglichen Schwangerschaft und der Zeit
der erwarteten Geburt, hauptsächlich aber
durch manuelle Untersuchung der Gebär¬
mutter per rectum und per vaginam, wobei
dieselbe bei Hydrometra sich als ein ziemlich
grosser, abgerundeter, schwappender Körper
ohne hervorragenden harten, dem Fötus ge- .
hörenden Inhalt anfühlt.
Autopsie. In Fällen, wo sich Gelegen¬
heit findöt, ein mit leichtem Uteruskatarrh
behaftetes Thier zur Section zu bekommen (da
die Krankheit gewöhnlich nicht tödtlich ist),
findet man die Uterusschleimhaut gleichmässig
geröthet, aufgequellt, mit etwas vergrösserten
Schleimdrüsen, manchmal mit nicht bedeu¬
tenden Extravasaten versehen und mit einer
schleimigen, selten schleimigblutigen Flüssig¬
keit oder selbst mit einer croupösen Pseudo- .
membran überzogen. Nur selten ist ein ähn¬
licher Zustand auf die ganze Tragsackschleim-
baut verbreitet, öfter, wie bereits erwähnt,
ergreift er nur manche Abschnitte, z. B. ein
Horn, die Gegend des inneren Mutter¬
mundes u.s.w. Gewöhnlich ist hiebei auch
die Scheidenschleimhaut auf eine ähnliche
Weise alterirt. Bei der Endometritis chronica
trifft man an den ergriffenen Abschnitten eine
mehr schmutzige, braune oder schiefergraue,
fleckige oder streifige Tingirung der Schleim¬
haut: dieselbe ist verdickt, uneben, mit ziem-
•lich tiefen Geschwüren, dichten Extravasaten,
oder- auch mit polypösen Excrescenzen ver-
35*
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548
END0S1S. — ENDOSKOPIE.
sehen. Die Höhle der Gebärmutter ist ver-
grössert, besonders wenn eine Hydrometra
(Pyometra) stattgefunden hat, und enthält
eine m. w. bedeutende Menge von eiteriger,
jauchiger, oft übelriechender Flüssigkeit, in
der nicht selten macerirte Partikelchen der
nicht abgegangenen Nachgeburt oder selbst
des abgestorbenen Fötus angetroffen werden.
In manchen Fällen beobachtet man noch
hie und da bedeutende Substanzverluste der
Schleimhaut bei Wiederkäuern, hauptsächlich
der Cotyledonen. Ausser dem Angeführten
trifft man noch Erscheinungen secundärer
Leiden, wie z. B. jene von Peritonitis, Septi-
cärnie u. s. w. an.
Prognose. Der Ausgang der Endo¬
metritis acuta wird nur dann bedenklich, wenn
die Symptome, besonders die Fiebererschei¬
nungen, unter Anwendung einer rationellen
Therapie nicht abnehnien oder selbst sich
steigern, denn in den meisten Fällen endigt
acute Endometritis mit Genesung, und nur
bei trächtigen Thieren lässt sie den Abortus
befürchten.
Von viel grösserer Bedeutung ist die
chronische Form, möge sie eine primäre oder
Folge der acuten Endometritis sein.
Hier ist nicht nur ein hartnäckiges An¬
halten des Leidens trotz einer rationellen Be¬
handlung zu befürchten, nicht nur sind für
die Zukunft Recidiven und Unfruchtbarkeit
des Thieres vorauszusehen, sondern es ist bei
der langwierigen Dauer ausser Kachexie noch
durch Eindringen von Infectionsstoffen (sep¬
tischen Mikroorganismen) in die Gebärmutter¬
höhle Septicämie mit ihren Folgen zu be¬
fürchten.
Therapie. Interne Behandlung ist nur
in manchen Fällen angezeigt; wichtiger ist
eine entsprechende Hygiene. Das Thier muss
jedenfalls in einem trockenen, mit reiner Luft
versehenen Stalle untergebracht werden, eine
reichliche, trockene Streu und ein entspre¬
chendes Futter bekommen. Nur bei deutlicher
ausgesprochenem Fieber kann eine mässige
Antiphlogose (Natr. sulfuricum, manchmal
mit Zusatz von Kali nitricum oder Ammon,
chlor.) angezeigt sein. Bei reichlichem chro¬
nischen Ausflusse aus den Genitalien und
Sinken der Kräfte des Thieres werden Tonica
und Roborantia (Rad. Gentianae Calami aro-
mat., Rad. Valerianae, selbst Kampher) am
Platze sein und in Form von Abkochung,
Aufguss oder Emulsion angewendet. In diesen
Fällen können manchmal auch jene Mittel
angezeigt sein, welche die Contraction der
Gebärmutter befördern, wie z. B. Infus, herb,
et summitat. Sabinae, Decoct. Sccalis comuti
oder Ergotin. Im Falle von wehenartigem
Drängen sind Einspritzungen von Morphii acet.
in das Unterhautbindegewebe zu empfehlen.
Die Hauptsache bildet jedoch die örtliche Be¬
handlung. Bei acuter Form ist Sorgfalt auf
Beinhalten und Beförderung des Ausflusses
aus den Genitalien zu verwenden. Es können
zu diesem Zwecke Einspritzungen von Inf.
Ohamomil. oder von schleimigen Mitteln
lauwarm an gewendet werden, wobei noch
kalte Umschläge auf die Lendengegend oder
selbst kalte Klystiere in manchen Fällen
unterstützend wirken können. Die erwähnten
Ausspritzungen müssen sich jedoch auf die
Scheide beschränken, im Falle der Gebär¬
muttermund so weit contrahirt ist, dass die
Canüle nicht ohne Schmerzen einzubringen
wäre.
Bei chronischem Ausflusse sind Ein¬
spritzungen von Adstringentien in die Gebär¬
mutter selbst angezeigt (solutio acidi tannici.
Alumen crud., Cupr., Zinc. sulf., Argent. nitr.),
und wenn derselbe übelriechend (septisch) ist,
sind Antiseptica (Sol. acid. carb., Kali hyper-
mang., Hydr. rauriat. corros., Aqua chlor.)
indicirt.
Vor dem Ausspritzen mit den erwähnten
Medicamenten muss eine sorgfältige Aus¬
spülung der Gebärmutter oder selbst manuelle
Reinigung derselben von etwa angesammelten
Zersetzungsproducten stattfinden. Hiezu kann
lauwarmes Wasser oder schleimige Abkochun¬
gen mit Zusatz von Carbolsäure gebraucht
werden. Um den Abfluss aus den Genitalien
zu befördern, muss das Thier mit dem Hinter-
theile niedriger gestellt werden, und sollte
der Gebärmuttermund nicht genügend eröffnet
oder selbst vollkommen geschlossen sein, wie
dies bei Hydrometra vorzukommen pflegt, so
muss derselbe artificiell erweitert werden,
wobei jedoch keino Metallinstrumente, son¬
dern wo möglich nur die Finger zu Hilfe zu
nehmen sind.
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass
man nach vollbrachter Operation an Thieren,
die mit chronischer, noch mehr aber mit
septischer Metritis behaftet sind, vorsichtig
sein muss, und man darf, bevor man sich nicht
sorgfältig desinficirt hat, in keine Berührung
mit trächtigen Thieren treten. Um einen etwa
zu befürchtenden Abortus zu vermeiden, wäre
noch zu beobachten, dass langwieriger, übel¬
riechender Ausfluss aus den Genitalien in
einem gew issen Grade ansteckend wirkt, daher
Tliicre, die mit demselben behaftet sind, nicht
in der Nähe von trächtigen Mutterthieren
aufgestellt werden dürfen. Seifmann.
Endosis, yj evSoo: 9 , Nachlassen, Weichen,
z. B. einer Krankheit. Sussdorf.
Endoskopie (abgel. v. ev&ov, inwendig,
und oxorcetv, schauen) heisst die Methode
der mittelst künstlicher Beleuchtung bewerk¬
stelligten Untersuchung im Innern des Kör¬
pers gelegener Theile. In der Thierheilkunde
beschränkt sich die Anwendung derselben
auf relativ wenige Organe resp. Höhlen. Abge¬
sehen vom Auge (s. Ophthalmoskopie) bedient
man sich ihrer eigentlich nur zur Prüfung
der Nasen-, eventuell auch Maul- und Rachen¬
höhle, während sie in der Menschenheilkunde
auch bei der Untersuchung des männlichen
und weiblichen Urogenitalapparates vielfache
Verwendung findet. In der Thiermedicin wird
ein central durchbrochener Concavspiegel,
welcher das Licht einer Lichtquelle (gewöhn¬
lich der Sonne) aufzufangen und in die
betreffende Höhle zu reflectiren hat, meist
als Endoskop benützt: erst neuerdings hat
ENDOSMOSE. — ENGLISCHE PFERDEZUCHT. 541)
Bayer das elektrische Glühlicht zu diesem
Zwecke herangezogen (s. Beleuchtung von
Körperhöhlen). Ihr Hauptaugenmerk richtet
die Endoskopie in der thiSrärztlichen Praxis
auf die Diagnose des Nasenrotzes. Sussdorf.
Endosmose und Exosmose s. Diffusion.
Endosporium (abgel. v. fvoov, inwendig,
und ij orcopa, 6 sicopo*, Same) nennen die
Mykologen die äussere der beiden Membranen,
welche die Milzbrandspore als directe Um¬
hüllung des protoplasmatischen Centrums
mitbilden hilft. Sussdorf.
Endpfatte, motorische der Skeletmuskel-
nervcn, nennt Kühne die dicht unter dem
Sarkolemma der Muskelfaser gelegene fein¬
körnige, kernhaltige Protoplasmamasse, in
welcher die Terminalfaserchen in Form eines
zarten Fibrillennetzes ihr Ende erreichen
(s. Muskel). Sussdorf.
Endwulst, Axenwulst ist nach Kölliker
eine zur Zeit des Verschlusses der Rücken-
furche vorhandene Verdickung am hinteren
Ende des embryonalen Körpers von Vögeln
und Säugethieren, innerhalb deren Epiblast,
Mesoblast und Chorda Zusammenflüssen.
Kölliker lässt an entsprechender Stelle aus
dem Wulst Chorda, Urwirbel und Entoderm
entstehen, während ihm Andere, ihn als das
vordere Ende des Primitivstreifens auffassend,
jegliche Bedeutung für die Entwicklung des
Körpers selbst absprechen. Sussdorf.
Enema, xfc evejjia, Klystier. Sussdorf
Energia, rj evepreia, die Thatkraft, Energie,
bezeichnet den Grad in dem Ablauf eines Vor¬
ganges; man spricht z. B. von Lebensenergie,
Stoffwechselenergie etc., wenn die Processe,
welche das Leben bedingen, resp. den Stoff¬
wechsel repräsentiren, mit gewisser Lebhaftig¬
keit sich abspielen. Sussdorf.
Engbrüstigkeit ist eine chronische Ath-
mungsbeschwerde, über die das Nähere unter
Asthma nachzusehen ist. Anacker.
Engelwurzel, Radix Angelicae (s. Archan-
gelica officinalis). Vogel.
Engineer war ein viel gerühmter englischer
Halbbluthengst, Sohn des noch berühmteren
Halbbluthengstes Sampson, welcher um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts grosses Auf¬
sehen gemacht hat und vielfach als Sieger
aus bedeutenden Rennen hervorgegangen ist.
Sampson besass einen Antheil des Blutes nor¬
discher Pferde, war mithin das Product der
Kreuzung „heterogener“ Elemente. Freytag.
Englands Rindvieh-, Schaf- und Schweine¬
zucht (s. u. Grossbritanniens Viehzucht).
Englische Krankheit ist eine in der
humanen Medicin gebräuchliche vulgäre Be¬
zeichnung für Knochenweiche oder Rhachitis,
eine Knochenerkrankung junger Thiere, bei
denen die Knochen noch nicht ihre voll¬
ständige Entwicklung erreicht haben, das
bindegewebige Gerüst des Knochengewebes in
Wucherung geräth und die Verkalkung des¬
selben ausbleibt, in Folge dessen die Knochen
weicher bleiben, sich leicht verkrümmen, die
Gelenkenden anschwellen und sich verdicken
(s. Knochenweiche oder Rhachitis). Anr.
Englische Pferdezucht. Das Königreich
England (ohne Wales) besass zur Zeit der
letzten allgemeinen Viehzählung (1880) im
Ganzen 1,092.272 Pferde der verschiedenen
Altersclassen, unter denen sich eine ansehn¬
lich grosse Zahl von Zuchtstuten und Fohlen
(325.745 Stück) befand. Seit ältester Zeit
wird in jenem Inselreiche die Pferdezucht
mit besonderer Vorliebe, aber auch an den
meisten Orten mit viel Geschick und grosser
Sorgfalt betrieben. Der Gestütsdirector
Schwarznecker in Marienwerder sagt mit
vollem *Recht: „England ist ein classischer
Boden für den Züchter überhaupt und speciell
für den Hippologen. Ein ehrfurchtsvoller
Schauer erfasst wohl jeden Thierzüchter, wenn
er zum erstenmale das Land betritt, in dem
ein nie gesehener Gestaltenreichthum, eine
bisher ungekannte üppige Formenfülle in den
Hausthieren ihm entgegentritt.“ Der sehr gras¬
wüchsige Kreideboden, die eigenthümliche
Bewirthschaftungsweise des dortigen Gross¬
grundbesitzes wie der Bauernhöfe bei einem
gleichmässig milden, feuchten Klima und
manches Andere ist ohne Frage von jeher für
den Betrieb der Pferdezüchtung und Haltung
von grosser Bedeutung gewesen. Aus der Ge¬
schichte jenes Landes erfahren wir, dass schon
die alten Römer bei der Eroberung Britan¬
niens unter Cäsar (55 v. Chr. Geb.) in jenem
Lande viele kräftige, sehr rasche Pferde vor¬
gefunden haben, die sich im Kampfe* äusserst
muthig und gewandt zeigten, sich mit dem
Sichel wagen rasch auf die andringenden Feinde
stürzten und hiedurch grosse Verheerungen
unter denselben anrichteten. Die Britannier
zeigten sich beim Gebrauch und der Führung
der Rosse in der Regel geschickter als die
sie besiegenden Römer. Die englischen Pferde
älterer Zeit sollen zwar nicht besonders
grosse, aber in der Regel sehr muskelkräftige
und sehnige Thiere gewesen sein, die sich
vortrefflich zur Zucht eigneten. Durch Ver¬
wendung germanischer Hengste — als Be¬
schäler — wurden im VIII. und IX. Jahr¬
hundert die verschiedenen Pferdeschläge Eng¬
lands etwas vergrössert und schwerer. Einen
ganz besonders günstigen Einfluss auf die
Hebung der Zucht hat dort die Besitznahme
des Landes durch Wilhelm den Eroberer
(1066) ausgeübt; derselbe führte mit nor¬
mannischen Sitten auch normännische Pferde
guten Schlages nach England ein. Zu jener
Zeit — vielleicht auch schon etwas früher
— wurden auch mehrfach spanische Pferde
in das Land gebracht und diese an mehreren
Orten ganz geschickt zur Kreuzung mit
den alten Landrassen benützt. Später — im
XH. Jahrhundert — sollen auch vereinzelt
arabische Hengste zur Zucht verwendet
worden sein. Heinrich I. liess 1121 wahr¬
scheinlich das erste orientalische Pferd aus
der Wüste holen, und später, nachdem er
sich von der Vortrefflichkeit und den grossen
Leistungen dieses Thieres überzeugt hatte,
noch andere Pferde derselben Rasse aus dem
Orient iraportiren.
Im XIII. Jahrhundert liess Johann ohne
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550
ENGLISCHE PFERDEZUCHT.
Land mehrere Zuchtpferde des schwersten
flandrischen Schlages herbeiholen und legte
auf diese Weise den Grundstein zur Bildung
des schweren englischen Karrenpferdes, welches
in neuerer Zeit wegen seiner fabelhaften Kraft
und Ausdauer so hoch geschätzt und jneistens
theuer bezahlt wird. Der sehr tüchtige Hippo-
loge König Eduard II. hat zu Anfang des
XIV. JahidiundeFts viele schöne, zum Theil
höchst werthvolle Rosse aus der Lombardei,
Champagne und Normandie kommen und zur
Kreuzung mit den altenglischen Landpferden
verwenden lassen.
Das erste grössere Gestüt mit spanischen
Hengsten und Stuten wurde zur Regierungs¬
zeit Eduard's III. gegründet; auch sorgte
dieser König für möglichst rasche Ausdehnung
der besseren Pferdezüchtung über das ganze
lnselland. Im XV. und XVI. Jahrhundert
scheint Englands Zucht keine grossen Fort¬
schritte gemacht zu haben, und zur Regierungs¬
zeit der Königin Elisabeth lag dieselbe voll¬
ständig danieder. Erst unter dem König
Jacob I. (1603—1625) kam dieselbe wieder
' empor; man benützte mehrfach edle Tliiere
der südeuropäischen und orientalischen Rassen
zur Zucht. Unter Jacob’s Regierung wurden
alle Wettrennen, welche schon früher in
England beliebt gewesen sein sollen, besser
organisirt und hohe Preise für die Sieger
ausgesetzt. Cromwcll sorgte ebenfalls recht
gut für die Hebung der Zucht edler Pferde,
und cs liess dieser geschickte.Staatsmann zu
verschiedenen Zeiten mehrere gutgebaute
orientalische Hengste aus Asien und Nord¬
afrika holen und zur Zucht benützen. Unter
der Regierung des vorletzten Stuart, Carl II.
(1660—1685), begann eigentlich erst die
Bildung des in der Neuzeit so berühmt ge¬
wordenen englischen Vollblutpferdes. Die von
ihm eingeführten orientalischen Stuten (die
sog. Royal maresj nebst mehreren vortreff¬
lichen Hengsten der arabischen und berbe-.
rischen Rasse haben einen grossen Erfolg,
gehabt; sie lieferten meistens eine sehr gute
Nachzucht, ausgezeichnete Thiere für die
Rennbahn, und cs wird von verschiedenen
englischen Autoren das Jahr 1686 als das
Geburtsjahr der* englischen Vollblutzucht be¬
zeichnet. (Näheres über die Geschichte und
Beschreibung des englischen Rennpferdes
s. unter Vollblutpferd.)
Im XVII. Jahrhundert wurden für die Ver¬
vollkommnung der verschiedenen anderen eng¬
lischen Rassep sehr beachtenswerthe Anstren¬
gungen gemacht: man benützte damals mit
Vorliebe die edlen Vollbluthengstc als Be¬
schäler für gutgebaute Landstuten — nament-
. lieh in der Grafschaft York — und erzielte
auf diese Weise die vielgerühmtcn kräftigen
Halbblutpferde: tüchtige Gebrauchsthiere,
welche zwar nicht immer zur Zucht tauglich
waren, aber für den Dienst im Geschirr und •
unter dem Reiter nichts zu wünschen übrig
liessen. Die Clevelander Braunen (s. u. Cleve¬
land-Pferd) erfreuten sich Ende des vorigen
Jahrhunderts als Postkutschpferde des besten
Namens; ebenso auch die tüchtigen Trotter,
die Jagdpferde (Huhters) und viele andere
Schläge (breeds), welche in der Regel nach
den verschiedenen Grafschaften benannt wur¬
den; sie fanden überall gute Abnahme. Hin
und wieder wurden auch reinblütige Renn¬
pferde (also Vollblut) zum Jagdreiten benützt,
doch es zeigten sich dieselben meistens nur
für leichteres Gewicht verwendbar.
Ausser den Yorkshire- und Clevelander
Kutschpferden sin d inEngland aus der Kreuzung
von gewöhnlicheren Zugpferden mit Halb¬
bluthengsten mehrere namhafte Rassen hervor*
gegangen, die sowohl im In- wie inr Auslande
behebt sind. Dieselben zeichnen sich zum
Theil durch etwas massive Formen und grosse
Stärke aus und sind daher für den Ackerbau
wie auch für das schwerere Lastfuhrwerk sehr
gut zu verwenden (s. unter Clydesdale- und
Suffolkpferde).
In Norfolk werden sehr viele tüchtige
Carrossiet*8 und daneben auch die sog. Trotter
oder Traber gezüchtet (s. Norfolktraber), die
auch in ansehnlich grosser Zahl zum Export
gelangen. Die Zucht der schweren Karren¬
pferde (card- oder draught-horses) trifft mau.
am besten, schwersten in der Grafschaft
Lincoln; sie werden aber auch neuerdings
recht gut an vielen anderen Orten des König¬
reiches gezüchtet. Sie bilden den Gegensatz
zu den leichten Rennpferden und den zier¬
lichen Ponics, welche man am besten in Wales,
Exmoor, New-Forest, Schottland (Galloway)
und hauptsächlich auf den Shetlands-Inseln
zu sehen, bekommt. Auch diese Thiere finden
in England eine vielseitige Verwendung. Alle
Pferde, welche in der Grösse unter 1*50 in
herabgehen, nennt man dort gewöhnlich
Ponies; sie werden sowohl von alten Herren
und Damen, hauptsächlich aber von den
Kindern und Bedienten geritten (s. unter
Pony).
Endlich wären hier noch die Cobs und
Hacks zu erwähnen. Die letzteren werden
auch häufig „Haekneys“ genannt und sind
die ^gewöhnlichen Reitpferde der Farmer mit
bescheidenen Ansprüchen (s. unter Haok und
Cob).
England exportirt alljährlich eine grosse
Anzahl von Pferden aller Rassen, besonders
viele Renn- und schwere Wagenpferde. Durch¬
schnittlich werden jährlich etwa 50D0 Stück
ausgeführt. Die Einfuhr ist aber ebenfalls
sehr bedeutend und hat sich von Jahr zu
Jahr vennehrt; man bezieht aus Belgien,
Holland und Frankreich hauptsächlich schwere
Karrenpferde und neuerdings viele ponyartige
Geschöpfe aus Polen und Russland. In den
letzten Jahren sollen auch viele Pferde aus
den Vereinigten Staaten Nordamerikas nach
England gekommen sein; diese gehören
meistens den schweren Schlägefi an und
übertrefien im Körpergewicht mehrfach die
schwersten englischen Rosse von Lincoln-
shire etc.
Südamerika hat in der allerneuesten
Zeit gleichfalls einige Schiffsladungen mit
Pferden nach England geliefert; diese gehören
aber den leichteren Schlägen an und' sollen
ENGLISCHER HUFBESCHLAG.'— ENGLISIREN.
dazu bestinuut sein, den kleinen, unansehn¬
lichen. Ponies aus Russland und Polen Con-
enrrenz zu machen. Freytag.
Englischer Hufbeschlag. Unter englischem
Hufbeschlage versteht man den Beschlag mit
Hufeisen, welche der Mechanik des Hhfes die
meiste Concession machen. Die Vordereisen —
gleichviel ob mit oder ohne Falz — zeigen an
der Huffläche eine horizontale Tragefläche und
fast ausnahmslos auch Abdachung. Während
das Vordereisen fast immer stollenlos ist,
stellt das Hintereisen ein sog. Streicheisen
ohne Griff dar. Die Ausführung des Beschlages,
geschieht auf warmem Wege ohne Hilfe eines
Aufhalters. ■ JLungivitz.
Englisches Pflaster, scharfes Pflaster,
Emplastrum acre anglicum, s. Emplastrum. VI.
Englisches Salz, soviel als Bittersalz,
das früher aus den starken Bittersalzquellen
in Searborough und Epsam bezogen wurde. VI.
Engiisiren oder Anglisiren (Sehweif¬
muskelschnitt) nennt man eine beim Pferde
zuweilen ausgeführte Operation, welche im
Durchschneiden der Schweifmuskeln besteht
und den Zw$ck hat, den Schweif höher tragen
zu machen, wodurch das Thier ein edleres,
lebhafteres Aussehen bekommt. Durch das
Engiisiren will man Pferden, welchen das
Hochtragen des Schweifes mangelt, weil sie
das Feuer und die günstige Formation der
"Kruppe nicht besitzen, den Typus eines edlen
Rassepferde» geben. Bei diesem Operations¬
verfahren werden die Niederziebermuskeln
des Schweifes entweder nur einfach durch¬
schnitten, oder es wird ein grösserer oder
kleinerer Theil herausgeschnitten, um so die
Wirksamkeit der . Aufhebemuskeln zu ver¬
stärken. Häufig pflegt man mit dem Engii¬
siren die Amputation (Coupiren) eines Stückes
vom Schweife zu verbinden, wodurch das
Höhertragen desselben wesentlich begünstigt^
wird.
Dicsfr Operation soll, schon im Mittel-
alter üblich gewesen sein, wenigstens das
Durchschneiden der Muskel, Das eigentliche
Engiisiren aber, bei welchem operativen Ver¬
fahren ein Theil der Muskeln ausgeschnitten
wird, ist zuerst in England ausgeführt worden,
zur Zeit als das Vollblutpferd erzeugt wurde
und man edle Pferde aus Spanien und dem Orient
nach England einführte. Man wollte den ge¬
meinen Pferden das Aussehen der durch Blut
verbesserten Pferde geben. Erst in der zweiten
Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde diese
Operation auch in Frankreich, Deutschland
und in den anderen europäischen Staaten
eingeföhrt. Dieselbe war vielfach eine Mode¬
sache und wurde bei Wagenpferden öfter als bei
Reitpferden vorgenommen; sowohl der Züchter
als der Händler mussten, des leichteren Absatzes
ihrer Pferde wegen, ihre Zuflucht zu derselben
nehmen. In neuerer Zeit ist durch Veredlung
der Pferde mittelst orientalischer und engli¬
scher Zuchtthiere das Engiisiren und Coupiren
weniger erforderlich geworden: auch hat die
Mode sich dalnn geändert, dass man jetzt den
Schweif lieber geradeaus und im Bogen ab¬
wärts fallend, als in einem stumpfen Winkel
scharf in die Höhe gestreckt zu sehen wünscht.
Das Herabhängen des Schweifes ist theils
natürliche Folge seiner Schwere, theils die
Wirkung der herabziehenden Muskeln; das
Hinaufziehen und also das Hochtragen des
Schweifes wird durch die Aufhebemuskeln be¬
wirkt; ist die Rübe leicht, nicht besonders
lang und blos mit feinen Haaren besetzt, so
braucht die Kraft der aufliebenden Muskeln
nicht gross zu sein, um den Schweif wenig¬
stens zeitweise.wagrecht zu halten; wenn aber
das Ge^entheil stattfindet, so reicht die Wir¬
kung jener Muskeln nicht aus, um dem Schweif
die verlangte Richtung zu geben, und man ist
genöfhigt v auf operativem Wege nachzuhelfen,
theils indem man die Wirkung der abziehenden
Jluskeln verringert, theils indem man das Ge¬
wicht des Schweifes durch Coupiren vermin-"
dert. Es kommt diese Nothwendigkeit oft bei
den Kreuzungsproducten Norddeutschlands
und dem sog. Norfolkschlage vor, wo Kruppe
und Schweifansatz gut sind, aber die Kraft
'fehlt, um den Schweif aufrecht zu tragen;
zur Sicherung des Erfolges der^ Operation ist
das Vorhandensein einer Neigung zum Schweif¬
tragen unerlässlich, was sich am besten beur-
theilen lässt, wenn das Thier im Trabe vor¬
geführt oder geritten wird; je nachdem es
den Schweif mehr oder weniger in die Höhe
hebt, ist der Erfolg der Operation zu bcur-
theilen und 'die Operationsmethode sowie die
Zahl und Entfernung der Schnitte u. s. w. zu
bestimmen. Hoffnung auf Erfolg fehlt gänz¬
lich bei gemeinen, schlaffen, phlegmatischen
Pferden, bei Thieren mit abschüssiger Kruppe
und bei schlechtem, tiefem Schweifansatze.
Zu vermeiden ist die Operation bei nicht ganz
gesunden Thieren.
Die Anatomie der Schweifrübe des Pferdes
ist aus dem Durchschnitt derselben leicht auf-
^ufassen; die Grundlage bilden die Schweif¬
wirbel, welche die Fortsetzung des Kreuzbeins
sind und allmälig an Grösse abnehmen, so
dass die letzten das Aussehen eines Wirbels
verlieren. Mit ihnen laufen Nerven vom Ende'
des Rückemharks und mehVere Blutgefässe,
die vom Kreuzbein herkommen. Rings um den
Schweifwirbel sind die Muskeln ungelegt;
diese bilden auf jeder Seite drei Partien; die
eine zieht den Schweif in die Höhe, die andere
zieht ihn herab, und die dritte veranlasst die
Seitenbewegungen, wenn eine derselben allein
wirkt, oder aber zieht ihn ebenfalls kräftig
abwärts, wenn beide Muskeln zugleich wirken.
Eine starke fibröse Scheide überzieht die
sämmtlichen Schweifmuskeln (Fig. 473*u. 474).
Die Operation kann am stehenden Thiere
vorgenommen werden, nachdem die Hinter-
füsse desselben gespannt worden sind, oder
man legt das Pferd auf die linke Seite. Vor
der Vornahme des Schnittes werden die Haare
des Schweifes so eingeflochten, dass sie auf
dem Rücken der Rübe einen Zopf bilden, der
sich unten in zwei Aeste theilt, an deren
äusserstem Ende je eine Schleife angebracht
ist, welche zum Aufhängen des. Schweifes in
die Rollen oder zum Anbinden an die Rücken
gurte benützt wird. Soll nach der Operation
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552
ENGLISIREN.
der Schweif in Rollen gehängt werden, so
müssen am Plafond gerade über dem Pferde¬
stande, u. zw. in der Mitte desselben, die
Rollen angebracht werden, die eine am hin-
Fig. 473. Schweifmuskel des Pferdes, a oberer Kreuzbeimnuskel des Schweifes, b Seitenkreuz-
beinmnukel des Schweifes, c unterer Kreuzbeimnuskel des Schweifes, d Gesässbeinmuskel,
t» Kreismuskel des Afters, f Hebemuskel dos Afters, g Schliessmnskel der Scheide.
Fig. 474. SchweifstQck vom Pferde, an der Verbindungs¬
stelle zweier Wirbel getrennt, in welchem die eröffneten
Blutgefässe sichtbar sind.
teren Ende des Standes, hinter der Krappe
des Thieres, die andere nahe an der Wand
des Stalles, wo die Gewichte ungehindert auf-
und abziehen können (Fig. 475); diese Rollen
sollen bei einem
Durchmesser von
5 bis 6 cm eine
Dicke von 15 mm
haben und müs¬
sen am Umkreise
eine tiefe Furche
haben, in welche
sich die Schnur
legt;dieseSchnur
soll ca. 2 mm
Dicke haben,
ohne Knoten und
so lang sein, dass
sie, vom Schweife
des Pferdes über
beide Rojlen lau¬
fend, so weit ge¬
gen den Boden
reicht, dass sie
selbst noch frei spielen kann, wenn das Pferd
sich niederlegt. Das passendste Gewicht ist
ein Sack mit Sand von 1—2 kg. Bei kitzlichen
Pferden ist es rathsam, den Schweif schon einige
Tage vof der Operation in die Rollen einzu¬
hängen, um dieselben daran zu gewöhnen; auch
ist es gut, dann das Gewicht etwas stärker zu
halten als nach der Operation. Statt der im
Stalle befestigten Rollen zum Aufhängen des
Schweifes hat Brogniez einen auf dem Pferde
selbst ruhenden Apparat angegeben, durch
welchen man den Schweif in die Höhe ge¬
richtet erhalten kann (Fig. 476).
Die Methoden des Schweifmuskelschnittes
bestehen in dem offenen oder subcutanen
Schnitt. Das erste, ältere Verfahren hat den
Fig. 475. Ein Pferd nach der Methode von Poulie ausgebundeu.
ENGLISIREN.
o53
Vortheil grösserer Wirksamkeit und Sicher¬
heit, weil man die zu durchschneidenden Tlioile
vor den Augen hat: dagegen erfordert die Hei¬
lung längere Zeit und hat oft gefährliche
Folgen.
der Entfernung des Afters zu bestimmen, ist
nicht zweckmässig, weil der After bald mehr,
bald weniger tief liegt. Man kann nun ent¬
weder zuerst die Haut und hierauf erst den
Muskel durchschneiden, oder die Durchschnei¬
dung der Haut und des
Muskels mit einem einzigen
Schnitte gleichzeitig vollfüh-
ren (Fig. 478). Früher durch-
«w schnitt man die Haut der.gan-
tt zen Breite des Schweifes von
ySja_ dem behaarten Rande einer
x 11 Seite zu jenem der anderen
jr Seite. Heute wird viel zweck-
Wßa ^ massiger die mittlere Partie
geschont, und man zerschnei-
jl * * det die Muskeln einer jeden
^ i'I Seite von innen nach aussen,
' m indem man das Messer an der
'yW unteren Seite des Schweifes
l¥ einsticht, so dass der Kücken
\ der Klinge gegen die Wirbel
Fig. 476. Befestigung des Schweifes nach der Methode von Brogniez. gekehrt ist, all denen das
Messer bis gegen den äusseren
Der offene Schnitt wird entweder quer Rand vorgeschoben und dort ausgestochen wird;
oder der Länge nach ausgeführt, oder es werden Haut und Muskel werden sodann mit einem Zuge
beide in Verbindung gebracht. Für den Quer- durchschnitten. Ist die erforderliche Anzahl
schnitt bedient man sich am besten eines
dem Gartenmesser ähnlich gebogenen spitzen
Bistouris (Fig. 477), dessen schneidender Theil
der sonst starken Klinge nur ca. 2 cm lang
ist, der hintere gleich lange Theil der Klinge
Fig. 477. Gebogenes Bistouri zum subcutanea .Schweif¬
muskelschnitt.
aber feilenartig eingeschnitten ist: ausser¬
dem braucht man noch ein convexes Bistouri,
von Schnitten (gewöhnlich zwei, selten drei)
gemacht, so fasst man die in der ersten, bei
drei Schnitten auch noch in der zweiten Wunde
vorspringenden Muskelenden, während man
gleichzeitig durch den Gehilfen einen Druck
zwischen beiden Wunden ausüben lässt, mit
der Pincette oder mit dem scharfen Haken,
zieht sie etwas hervor und schneidet sie
mit dem Bistouri oder mit der Scheere ab,
wobei man darauf zu sehen hat, dass in
je einander entsprechenden Schnitten gleich¬
grosse Stücke des Muskels entfernt werden,
widrigenfalls Schieftragen des Schweifes er¬
folgen könnte. Sind die Muskcltheile entferrit.
einen scharfen Haken oder eine Pincette, end¬
lich Verbandapparate, wie Werg, eine schmale
Binde und dann einen etwa 3 dm langen.
1 dm dicken, in der Mitte gebundenen und
daselbst geknickten Strohbauschen. Wird die
Operation stehend vorgenommen, so stellt
sich der Operateur hinter das Pferd und zu¬
gleich unmittelbar an den linken Hinterfass,
beugt den mit der linkeu Hand von obenher
erfassten Schweif etwas nach vorne über
und hält ihn, den linken Vorarm fest auf
die linke Seite der Kruppe gestützt, wäh¬
rend der Operation in dieser Weise. Wird
die Operation im Liegen vorgenommen, so
kniet der Operateur entweder an dem Hinter¬
schenkel, während ein Gehilfe an der
Kruppe kniet und den Schweif vom Leibe
abzieht: er kann auch selbst an die Kruppe
sich stellen und den Gehilfen an die Hinter¬
schenkel setzen; in jedem Falle hält der
Operateur den Schweif mit der linken Hand
neben den Händen des Gehilfen. Der erste
Querschnitt soll an der Stelle, wo die Haut
des dritten Einwärtsziehers des Schenkels an
den Schweif tritt,»gemacht werden: der zweite
und wenn nötliig dritte Schnitt je 4 cm weiter
rückwärts. Den ersten Schnitt nach dem Masse
?ig. 47S. Offener Schweifrauskelschnitt. n Längsschnitt,
b T-fÖrmiger Schnitt, c Querschnitt.
554
ENGL1SIREN.
so legt man in jede Wunde, nachdem das
Blut ausgedrückt worden, kleine, mit ver¬
dünntem Weingeist und etwas Carbolsäure
angefeuchtete Wergbäuschchen bringt auf
diese ein grösseres Bäusclichen und erhält
dieselben mittelst des oben erwähnten Stroh-
bauschens, welchen man mit Binden in der
Lage festhält. Hering hat ganz besonders
empfohlen, zuerst die Haut einzuschneidön,
und 4 jiacht selbst diese Schnitte mit dem ge¬
ballten Bistouri von einem behaarten Rande
des Schweifes zum andern; hierauf biegt
er den Schweif etwas mehr ab, um die
Muskeln deutlicher vorspringen zu lassen,
durchschneidet mit einer gewöhnlichen und
starten Lanzette zuerst den linken, dann den
rechten Niederzieher und trachtet dabei so¬
wohl die mittleren als auch die seitlichen
Gefässe unverletzt zu erhalten. Sind sämmt-
liche Schnitte in gleicher Weise ausgeführt,
so werden die vorspringenden Muskeln ab¬
geschnitten, in jede Wunde ein kleiner feuchter
Wergbauschen und daneben ein grösserer
trockener Wergbauschen gelegt und mit
eitlem etwa drei Finger breiten Leinwand¬
streifen auf dem Rücken des Schweifes mässig
festgebunden. Den Strohbauschen hält Hering
für überflüssig, da das Band so locker ist,
dass es selbst bei eintretender Anschwellung
des Schweifes nicht drückt.
Statt des Querschnittes ist von Pilger,
Delafond und Anderen' der Längenschnitt an¬
empfohlen worden, nach welchem die Heilung
viel rascher und mit geringerer Narbenbil¬
dung erfolgen soll, was jedoch nicht immer
der Fall ist. Diese Methode
besteht darin, dass auf der
Mitte eines jeden der bei¬
den unteren Schweifmuskeln
ein Längenschnitt von 8 bis
l(Tcm durch die Haut geführt
wird: dieser Schnitt fängt an
derselben Stelle an, wo bei
der oben beschriebenen Me¬
thode der erste Querschnitt
stattfindet. Nachdem die Haut
getrennt worden, schneidet
man den blossgelegten Mus¬
kel mit einem gekrümmten
Messer (Fig. 4-79) von innen
nach aussen ab, indem man
das Messer zwischen den Mus¬
kel . und den Knochen zu
schieben sucht und nach aus¬
wärts schneidet. Die Wun¬
den werden mit länglichen
Wergbauschen auf die ge¬
wöhnliche Weise verbunden.
Einfach erwähnen wollen
wir jenes Verfahren, bei wel¬
chem sowohl Quer- als Län¬
genschnitt gemacht werden;
dieses besteht darin, dass man
von der Mitte eines jeden
Querschnittes einen kurzen,
nach rückwärts gerichteten
LSnsensclmitt ’ macht oder Fi 47f) Myotenü .
zwischen je zwei Schnitten tom.
die Haut der Länge nach spaltet, so dass
.die Wunde im ersten Fall die Form eines T,
im zweiten die eines T bekommt und man
grössere Stücke des SFuskels herausnehmen
kann.
Nach der Operation mit offenen Wunden ^
wird das Pferd im Stall zwischen zw r ei eng-"
gerichtete Latierstangen gestellt, der Schweif
aber erst nach 12 Stunden «md immer schief
nach rückwärts in die Rollen aufgehängt.
Schon nach einigen Stunden muss jedoch der %
Verband gelockert werden, was um so nöthiger
ist, wenn eine starkp Blutung stattgefunden
hat; ist ein Strohbauschen benützt worden,
so geschieht die Auflockerung durch Heraus¬
ziehen von Halmen; wenn kein Strohbauscdien -
gebraucht wurde, so kann man, wenn Druck •
zu befürchten ist, die Knoten der Binde etwas
aufziehen. Den Verband selbst nimmt man erst *
nach 24 Stunden ab und bringt neue Werg¬
bauschen in die Wunden, nachdem die anderen
mit Vorsicht und nach gehöriger Anfeuchtung
entfernt worden sind. Der Verband bleibt, bis
die Heilung eingetreten ist, also mindestens
14 Tage. Die operirten Pferde kann man
schon in der zweiten Nacht liegen lassen,
wenn der Schweif gehörig aufgehängt bleibt;
er§t am fünften oder sechsten Tage kann man
den Schw T eif während der Nacht herabhängen
lassen.- Von derselben Zeit ^n sind auch
die Thiere täglich zu bewegen und nach und
nach immer mehr. Der Schweif braucht nicht
während des Umherführens aufgehoben zu
werden, denn in der kurzen Zeit, während
welcher der Schweif herunterhängt, ist eine
Verengerung der Wunde nicht zu befürchten.
Soll einem Pferde, welchem der Muskelschnitt
gemacht wurde, ausserdem ein Stück des
Schweifes abgeschlagen werden, so nimmt
man diese letzte Operation erst nach ‘Ver¬
heilung der durch den Schnitt entstandenen -
Wunde vor.
Als eine zwischen dem offenen und dem
subcutanen Schnitte anempfohlene Englisir-
methode ist die von Brogniez (vgl. Fig. 480)
zu erwähnen; er drückt mit einem ifieissel-
förmigen Messer (Dermatom) auf jeder Seite
zwei oder drei je 25 cm lange Ocffnungen in die
Haut der Länge nach ein, durch welche er ein
sichelförmiges geknöpftes Messer (Myotom)
einführt und um den Muskel herum bringt,
welcher sofort von innen nach aussen abge¬
schnitten wird; nachdem dies in jeder der
Wunden geschehen ist, zieht man die Muskel¬
stümpfe mit einerPincette hervor und schneidet
sie ab. Ein eigentlicher blutstillender Ver¬
band ist nicht nötliig, und, wie oben schon
gesagt, hat Broginez statt der im Stalle be¬
festigten Rollen zum Aufhängen des Schweifes
einen- auf dem Pferde selbst ruhenden Schweif¬
träger angegeben, durch welchen man den
Schweif in die Höhe gerichtet erhalten kann.
Das subcutane Englisiren hat wesentliche
Vorzüge darin, dass es einfacher ist und
keine offene Wunde hinterlässt, somit ausser
dem ersten Verband keine weitere Behand¬
lung nöthig macht. Dagegen bewirkt diese
Methode weniger sicher-das höhere Tragen
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ENGLISIREN.
des Schweifes und eignet sich somit liur für
solche Thiere, die durch ihren Schweif¬
ansatz und sonstige Eigenschaften schon Nei¬
gung zum Tragen haben, nur den Schweif
nicht hoch genug halten. Zu dem subcutanch
Fig. 4«0. Darstellung des subcutanea öchweifmuskel-
schnittes und die hiezn verwendeten Instrumente nach
Brognioz.
Schnitte braucht man ein spitzes Tenotom
für den Stich durch die Haut und ein sensen¬
förmig gekrümmtes Tenotom mit stumpfer
Spitze und schmaler Klinge (Fig. 481); Hering
empfiehlt selbst, dass dieses gekrümmte Teno¬
tom nur auf der vorderen Hälfte der Klinge
schneiden soll. Der Operateur macht mit dem
spitzen Tenotom dicht am oben liegenden be¬
haarten Rande, an der Stelle, wo sonst der erste
Querschnitt stattfindet, einen kleinen Stich der
Fig. 461. Gerades und gekrümmtes Tenötoui.
Länge nach durch die Haut; hierauf schiebt
er das stumpfe Tenotom flach durch die Haut¬
wunde,mit demFinger der linken Hand fühlend,
unter die Haut bis zur Mittellinie des Schweifes:
nun wird das Messer auf die Schneide ge¬
wendet und*mit demselben untergleichzeitigem
stärkeren Zurückbiegen des Schweifes der ge¬
spannte Niederzieher in Zügen durchschnitten,
bis das Messer durch den Widerstand, den
es antrifft, anzeigt, dass es am Knochen an¬
gekommen ist. Während das Messer den Mus¬
kel durchschneidet, fühlt man unter dem an¬
gelegten Finger der linken Hand das Krachen
und Zurückweichen der getrennten Muskel¬
bündel und sehnigen Thcilc. Es ist wesentlich,
dass sie vollständig durchschnitten werden.
Um den Muskel der anderen Seite durchzu¬
schneiden, wird ebenso verfahren wie rechts.
Es wird gewöhnlich nur ein Schnitt und dieser
möglichst nahe am Schweifansatz gemacht;
sollte ein zweiter Schnitt nöthig erscheinen,
so macht man ihn etwa 5 cm hinter dem.ersten.
Nachdem die Muskeln auf beiden Seiten durch¬
geschnitten sind, drückt man das in der Lücke
an gesammelte. Blut durch die Wunde heraus,
legt einen kleinen Wergbausch auf die
operirte Stelle und bindet ihn ziemlich fest
auf. Der Schweif wird sofort in die Rolle ge¬
hängt, der Verband nach 1*2 Stunden gelockert,
nach 24 Stunden erneuert und dann 2 bis
3 Tage unberührt gelassen. Nach dieser Zeit
ist ein Verband unnöthig geworden, indem
man die Stichwunden kaum mehr sieht; der
Schweif soll jedoch 14 Tage in den Rollen
bleiben.
Das Englisiren hat sehr leicht nachtheilige
und selbst sehr üble Folgen, und Hering
spricht selbst von einer Sterblichkeit von
4% in Folge dieser Operation; wenn sie
nicht selbst ausser Mode gekommen wäre,
so wäre eine so grausame Operation, wie
sie Gonatt nennt, einfach zu verbieten. Häufig
kommen Blutungen vor in Folge der Ver¬
wundung der seitlichen oder mittleren Schweif¬
arterien, was bei offenem Schnitte oft -der
Fall ist. Passender Druck durch festeres
Anlegen der Binden genügt in den meisten
Fällen: auch hört meist die Blutung durch
das Aufhängen des Schweifes auf, wo man
dann das Gewicht am andern Ende der Rollen¬
schnur verstärkt: es darf jedoch diese Span¬
nung des Schweifes nicht zu lange dauern,
weil sonst Brand zu befürchten wäre. Man
kann auch sonstige blutstillende Mittel ge¬
brauchen und muss selbst im Nothfalle die
Unterbindung der Arterie vornehmen. Brüche
des Schweifes können von zu starkem Zurück¬
biegen entweder während der Operation ent¬
stehen, wenn das Thier rasch das Hintertheil
einzieht, oder später beim Aufhängen durch die¬
selbe Veranlassung, besonders wenn beim
Schnitt die Knorpelschichte zwischen zwei
Wirbeln verletzt worden ist. Hiegegen ist das
horizontale Aufhängen des in einer festen Rinne
liegenden Schweifes anzurathen. Des Eindrin¬
gen von Luft in die Venen und dadurch herbei¬
geführter Tod ist von Loiset und Brogtiiez
beobachtet worden. Mehr oder weniger heftige
Entzündung der Schweifrübe, Schrunden
und Geschwüre an der Wurzel aes Schweifes,
Ausfallen der Haare kann durch zu nahe an*
einander angebrachte Schnitte, durch zu festen
Verband, durch Warmhalten oder Befeuchten
der Wunde, durch zu schwere Gewichte an
den Rollen, ja oft durch nicht fassliche Ursachen
erzeugt werden; der Brand kann eintreten
und das sowohl unter der Form des heissen
als auch des kalten Brandes. Caries der
Schweifwirbel, Schweiffisteln, selbst Absces^c
am Schweife und am Mastdarm sind oft be¬
obachtet worden. Starrkrampf ha£ sich auch
556 ENKATARRHAPHIE. — ENTERON.
zuweilen eingestellt, aber immer 8 —14
Tage nach der Operation. Endlich kann ein
sclüechtes oder schiefes Tragen des Schweifes
Vorkommen: es wird dies durch fehlerhaftes
Operiren oder durch unzweckmässige Nach¬
behandlung bedingt. Ist die Operation gut
ausgefallen, so tragen die Pferde, wenn sie
zum erstenmale nach erfolgter Heilung vor¬
geführt werden, den Schweif meist anscheinend
etwas zu hoch, indes dauert dies nur so lange,
bis die Narbe sich stärker zusammengezogen
hat, und der Schweif erhält s<^iliesslich die
gewünschte Richtung. Zundel.
Enkatarrhaphie (v. £yxatapsaictesv, ein¬
nähen), das Einnähen, Vergraben fremder
Körper in normales Gewebe. Sussdorf.
Enkausis, yj eyxaoasc (von £yxa:6iv, ein-
brennen), das tiefe Einbrennen, die Anwen¬
dung des Brenncylinders. Sussdorf.
Enkephal 08 r 6 $yxs<paXos (von Iv und
iJj xecpaX-q, Kopf) sc. •jlosXo^, das im Kopf be¬
findliche Mark, Gehirn; davon das Adj. enke-
phalodes, hirnähnlich, und die Composita:
Enkcphalochysis, acute Gehirnentzün¬
dung mit Wassererguss in das Hirn;
Enkeph^aloedema, Gehirnödem;
E n k e p h*a 1 o k e 1 e, Hirnvorfall;
Enkephalolithiasis, Steinbildung im
Hirn;
Enkephalomalakia, Enkephalomala-
kosis, Hirnerweichung;
* Enkephalomeningitis, Hirnhautent¬
zündung;
Enkephalopathia, Hirnleiden;
Enkephalophyma, Hirntumor;
Enrkephalorrh a ch i o m e n i n g i ti s,
Hirn-Rückenmarkshautentzündung;
Enkephaloseismos, Gehirnerschütte-
rung;
Enkephalotomia, Enthirnung als ge¬
burtshilfliche Operation;
Enkephalotyphos, Gehirntyphus;
Enkephalozoa, 1. Thicre, die ein Ge¬
hirn besitzen, 2. Hirnparasiten. Sussdorf
Enorchismus (abgel. v. sv und ij opyts,
Hode), vgl. Kryptorchismus. Sussdorf
ensiformis (ensis, Schwert, forma, Gestalt),
schwertähnlich, z. B. cartilago ensiformis, der
Schwertknorpel des menschlichen Brust¬
beines. Sussdorf.
Ensilage (Aufspeicherung). Empfiehlt sich
besonders dem indischen Ackerbauer als ein
Mittel, durch welches er das für seinen Vieh¬
stand zu dessen Unterhalt nöthige Futter
während der acht oder neun Monate des
Jahres .aufspeichern kann, in welchen das
durch die Hitze vertrocknete Erdreich nichts
hervorbringt. Versuche in dieser Richtung
wurden gemacht nicht blos zu Nutz und
Frommen der Eingebornen, sondern auch der
Regierung selber, welche für den Unterhalt
von einigen tausend Pferden während der
heissen Jahreszeit Vorsorge zu treffen hat.
Diese Versuche haben sich als sehr erfolgreich
erwiesen, selbst dort, wo der Silo höchst ein¬
fach war, ein blosses in den Boden gegrabenes
Loch mit keinerlei Mauerauskleidung. Die
Frage der Ensilage wird gegenwärtig von der
indischen Regierung in ernste Erwägung ge¬
zogen, und es waltet kein Zweifel ob, dass in
den kommenden Jahren sowohl für den Land-
wirth als für die Regierung durch die An¬
wendung eines Systems, das sich als höchst
praktisch erwiesen hat, unschätzbare Vortheile
erwachsen werden (s. a. u. Einsäuern). Smith.
Enstrophe (von Evatps'fEiv), die Einwärts¬
drehung = JPronation. Sussdorf.
Entarteritis, s. Arteriosclerose.
Entarthrochondros (abgel. von svto?,
innerhalb, xo apfrpov, Gelenk, 6 ydväpo?, Knor¬
pel), Zwischengelenksknorpel. Sussdorf
entarthroticus (abgel. von evtd$, inner¬
halb, und t b apO-pov, Gelenk), innerhalb eines
Gelenkes befindlich, z. B. cartilagines entar-
throticae, Zwischengelenksknorpel. Sussdorf.
Entartung, s. Degeneration.
Ente und Entenzucht, s. Geflügel und
Geflügelzucht.
Enteritis besteht in einer entzündlichen
Affection sämmtlicher Darmhäute; ist nur die
Darmschleimhaut von der Entzündung er¬
griffen, so pflegt man den Zustand nicht als
Enteritis oder Darmentzündung, sondern als
Darmkatarrh zu bezeichnen (s. „Darmkatarrh“
und „Darmentzündung“). Anacker .
Enterocoelier (abgel. von xo svtspov,Darm.
und xgTXos, hohl, daher Coelom, Leibeshöhle)
nennt A. Hertwig die Gesammtheit jener
Thiere (Würmer [exclusive Plathelminthen],
Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten),
bei welchen das Coelom (Pleuroperitoneal¬
höhle, Perivisceral- oder Leibeshöhle) durch
Ausstülpung des Urdarms (daher Enterocoel,
Huxley) als dessen anfangs paariger, diver¬
tikelartiger Anhang entsteht, welcher sich
später jederseits von dem Darmrohr abschnürt
und ventral von demselben mk dem gegen¬
seitigen zu einer einheitlichen Höhle zusam-
menfliesst. Gleichzeitig mit der Coelombildung
kommt es auch zur Bildung des Mesoblasts,
der durch Aussackung des Hvpoblasten, theils
diesem (Darmseitenplatte, Splanchnopleura),
theils dem Epiblast (Körperseitenplatte, So-
matopleura) sich anlegend, so die directe
Umscheidung des Coeloms übernimmt. Nicht
nur diese Eigenthüralichkeit, sondern auch
noch zahlreiche andere, wie die secundäre
Entwicklung des Blut- und Lymphgeftiss-
systems als Spalten- und Röhrensystem in
dem zum Mesenchym heranwuchernden Meso-
blasten, ferner die Entwicklung des willkür¬
lichen Muskelsystems aus den Epithelzellen
der Somatopleura, des Nervensystems aus
Epiblastzellen, der Genitalorgane aus den
Epithelien der Leibeshöhle etc. etc., stellen
die Enterocoelier den sog. Schizocoeliern (s. d.)
als einen zur Zeit noch ganz principiell ver¬
schiedenen Typus gegenüber. Sussdorf.
Enteron, a, t b svteoov (von evtos, inner¬
halb), Darm, Eingeweide, davon
Enteraden, Darmdrüse;
Enteraörektasia, Ausdehnung der
Därme durch Gas, Flatulenz, Meteorismus;
Enteralgia, Darmschmerz, Kolik:
Enterangemphraxis (abgel. von fvte-
pov, Darm, 6 ayyo;, Geföss, und vj s{i.®pa£ts,
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ENTFERNTE WIRKUNG DER ARZNEIMITTEL. — ENTOZOOEN. 557
Verstopfung), Verstopfung, Embolie der Darm-
gefässe;
Enterechema (abgel. vonevnpov, Darm,
und xb Ton), Darmgeräusch;
Enterektasis, Darmausweitung, Auf¬
blähung;
Enterelkos, Darmgeschwür;
Enterelesia, Enterelosis (abgel. von
evtspov, Darm, und eketv, etXstv, wickeln),
Darmverschlingung;
Enterembole, Darminvagination;
Enteremphraxis, Darm Verstopfung;
Enterepiplokele, Darm- und Netz-
bruch zugleich:
Enterepiplomphalokele, Darmnetz¬
bruch durch den Nabel:
Entereupepticum, sc. remedium, die
Darmverdauung beförderndes Mittel;
Enteritis, Darmentzündung;
Enterobubonokele, Darmleistenbruch;
Enterokatarrhus, Darmkatarrh;
Enterokele, Darmbruch;
Enterokentesis, Darmstich;
Enterogastrokele, Darmmagenbruch;
Enteroklysma, Darmklystier;
Enterolithiasis. Darmsteinbildung;
Enterolithos, Darmstein;
Enteromerokele (abgel. von Ivtepov,
Darm, 6 p.irjpo's, Schenkel, und yj y.TjXy;, Bruch),
Schenkeldarmbruch;
Enteromphalokele (abgel.von evtspov,
Darm, 6 XjxcpaXo?, Nabel, und yj ktqXt,, Bruch),
Nabeldarmbruch;
Enteromykoderm a, Darmschleimhaut:
Enteromykodermitis, Darmschleim¬
hautentzündung;
Enteromyiasis, Ansiedlung der Brem¬
senlarven im Darm;
Enteronkos, Darmgeschwulst;
Enteroparalysis, Darmlähmung;
Enteropathia, Darmleiden;
Enterophlogosis, Darmentzündung;
Enterophthisis. Darmschwindsucht;
Enteropncumatosis, Darmaufblähung
durch Gase;
Enterorrhagia, Darmzerreissung;
Enteroscheokele (abgel. von evtspov,
Darm, 6 &3/os, Hodensack, und ij *f { \r r
Bruch), Darm-Hodensackbruch;
Enteroscirrhus, Darmkrebs;
Enterospasmos, Darmkrampf;
Enterosphigme, Darmeinklemmung;
Enterostenosis, Darm Verengerung;
Enterotoinia, Darmschnitt;
Enterotyphos, Darmtyphus;
Enterozoon, Darmparasit, sowie jedes
mit Verdauungsschlauch ausgestattete Thier;
Enterydrokele, Darm- und Wasser¬
bruch zugleich. Sussdorf.
Entfernte Wirkung der Arzneimittel. Bei
allen Medicamenten kann man eine örtliche
Wirkung (Actio localis) von einer entfernten
Wirkung (Actio remota) unterscheiden, je
nachdem der wirksame Stoff am Orte der
Application seinen Einfluss auf die Gewebs-
bestandtheile geltend macht oder erst nach
zuvoriger Aufnahme in die Circulationsorgane
diesen in entfernten Organen urtd Systemen,
wohin er eben mit dem Blut gelangt, ent¬
faltet. Hienach wären die entfernten Wirkungen
identisch mit den Resorptionswirkungen, es
werden jene jedoch zuweilen auch durch das
Nervensystem vermittelt und nicht aus¬
schliesslich durch den Kreislauf. Zu den in-
directen Wirkungen letzterer Art gehören
z. B. die reflectorischen Wirkungen, entstanden
zufolge der nervösen Verbindungen und der
sympathischen Beziehungen der Organe unter
einander; ebenso haben die chirurgischen,
mechanischen Mittel, die meisten Brech- und
Abführmittel, die Antiseptica, hautreizenden
Mittel u. s. tf. eine reflectorische und entfernte
Wirkung, ohne resorbirt worden zu sein, im
Ganzen aber kommt es allerdings am häufigsten
zu entfernten Wirkungen durch Aufsaugung
der betreffenden Stoffe in das Blut. Vogel.
Enthelminthes (abgel. von ivxdc, inner¬
halb, und -q IX|uv;, Wurm), die Eingeweide¬
würmer, Entozoa. Sussdorf.
Entokele (abgel. von Ivxo«;, innerhalb, und
rj Bruch), der innere Bruch (eines
Theiles in einem anderen). Sussdorf.
Entomiasis (abgel. von evxopos [£vxep.vstvl,
eingeschnitten, sc. Ctpov = Insect), eine durch
Insecten erzeugte Krankheit Sussdorf.
Entoparasitica heissen jene Arzneistoffe,
welche die im Innern des Körpers sich auf¬
haltenden Schmarotzer zu tödten oder wenig¬
stens zu vertreiben im Stande sind (s. Anti-
parasitica). Vogel.
Entophyton (abgel. von ivxo's, innerhalb,
und t h cpoto'v, Pflanze), jeder pflanzliche im
Innern des Körpers vegetirende Parasit. Sf
Entorgani8mtJ8 (abgel. von mdg, inner¬
halb, und Organismus) ganz allgemeiner Aus¬
druck für Lebewesen, welche in anderen, also
parasitisch leben. Sussdorf.
Ent08omia (abgel. von Ivxo's, innerhalb,
und xb oÄp.a, Leib), die Verwachsung zweier
Körper mit einander. Sussdorf.
Entosthia, Eingeweide = Intestina. Sf.
Entotorrhoea (abgel. von £vxo$, inner¬
halb, xb obz, «rco's, Ohr, und y] £o*q, Fluss),
der Ohrenfluss, welcher nach innen geht oder
von innen kommt. Sussdorf.
Entoxici8mu8 (abgel. von ev, in, und xb
xo{’.xov, Gift), Vergiftung = Intoxicatio. Sf.
Entoiaena (abgel. von svxo's, innerhalb,
und xb oCatva Nasengeschwür, Rotz), der
eigentliche Rotz (Lungen- und Nasenrotz). Sf.
Entozooen sind bei Hausthieren in Indien
nichts Seltenes. Bei den Pferden kommen
ausser den gewöhnlichen Parasiten dieses Thieres
noch Ampnistomen vor, welche die grossen
Eingeweide bewohnen und häufig viel Unheil
anrichten. Junge australische Pferde werden
nach ihrer Ankunft in Indien vielfach von
Ascariden geplagt, welche Schwächezustände
verursachen und manchmal durch Perforation
des Darmes den Tod herbeiführen können.
Der Palissadenwurm und Taenia perfoliata
sind nicht ungewöhnlich; auch sind mir bei
Pferden Lebcregeln vorgekommen. Bei den
Rindern ist Amphistoma conicum äusserst häufig.
Es gibt nur wenige unter den zum mensch¬
lichen Genüsse geschlachteten Schafen und
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558 ENTOZOON. -
Kindern, welche nicht in grösserem oder ge¬
ringerem Masse mit Entozooen behaftet sind.
Echinococcus Veterinorum kommt weitaus- am
häufigsten vor. Cysticercus bovis ist in einigen
Theilen Indiens* besonders im Pendscliab stark
verbreitet, wo im Jahre 1868 über 6% der
geschlachteten Thiere mit diesem Parasiten
befallen waren.
Von den gewöhnlichen Parasiten der Rin¬
der und Schafe kommen wir nun zu denen
des Elephanten, welche von Dr. Cobbold nach
Specimen beschrieben wurden, die ihm von
Veterinärärzten und Anderen aus Indien ein-
geschickt worden waren. Bis jetzt sind 14 Arten .
von Parasiten bekannt, welche den Elephanten
heimsuchen, und von diesen sind 11 Entozooen u
ferner 7 Arten Nematoden und 4 Trematoden.
Der wichtigste Parasit des Elephanten ist
Amphistoma Hawkesii, welcher die unter dem
Namen „Lungun“ bekannte Krankheit ver¬
ursacht. Dieser Parasit ist von rother Farbe,
ca. % Zoll lang und hält sich im grossen Ein¬
geweide auf. Eine Reihe von Beweismomenten
spricht dafür, dass dieser Parasit die Ursache
sehr ernstlicher Krankheiten unter den Ele¬
phanten ist und den Tod vieler derselben l)er-
beiführt. (Ueber die mit diesem Parasiten in
iTezieliung stehenden Krankheiten s. Elephant,
Pathologie.) Von den Parasiten des Kameels
ist bisher wenig oder nichts bekannt. Von
Hydatiden verursachte Leiden der Lungen,
Leber, Milz etc. sind sehr häufig, und die
Cysten erreichen oftmals eine enorme Grösse.
Ein Nematode wurde kürzlich von M. Steel bei
einem Kameel gefunden, das an Diarrhöe ein-
gegangen war, welche anscheinend durch die
Gegenwart dieses Parasiten verursacht worden
war. Eine nähere Beschreibung desselben ist
noch nicht geliefert worden. Smith.
Entozoon (abgel. von ävxo'c, innerhalb,
und to tioov, Thier), jeder thierische, im
Innern des Körpers lebende Parasit. Sussdorf.
Entrahmung der Milch, s. abgerahmte Milch.
Entritte, s. Darmentzündung.
Entropium (von lv, in, «in-, und Tpornfj,
umkehren, Iv-xpgfcstv, nach einwärts kehren),
die Einwärtskehrung des Augenlides. Es
kommt besonders häufig bei Hunden, aber
auch bei den übrigen Thieren gelegentlich
vor. Am häufigsten ist das untere, doch auch
das obere und beide Augenlider zugleich
betroffen. .Je nachdem nur ein gewisser Ab¬
schnitt des Lidrandes diese Inversion zeigt
oder derselbe in seiner ganzen Länge einge¬
stülpt erscheint, spricht man von einem par¬
tiellen oder totalen Entropium. Je nach
dem Grade seiner Entwicklung bemessen sich
die Folgen des Entropiums. Dadurch, dass
der Lidrand sich nach innen umgeschlagen,
kommen die Cilien in Berührung mit der
Hornhäut und Bindehaut und üben als Fremd¬
körper einen starken Reiz auf dieselben aus, der
von genannten Membranen gewöhnlich mit einer
entzündlichen, nicht selten für das Auge
deletär werdenden Reaction beantwortet w ird.
Noch mehr steigert sich naturgemäss dieser
Reiz, wenn die Einrollung des Lides eine
sehr weitgeliende ist, so dass die inVertirte
ENTROPIUM.
äussere Haut mit ihren kurzen, straffen
Haaren in grösserer Ausdehnung in Berüh¬
rung mit der Conjunctiva -und Cornea tritt.
Was das Vorkommen des Entropiums
betrifft, so werden unter den Hausthieren
besonders die Hunde davon befallen, unter
ihnen in grösserer Häufigkeit besonders die
Hühner- und Jagdhunde. Unter den ursäch¬
lichen Momenten kommt die Enucieation
des Augapfels in Betracht, die relativ selten
vorgenommen wird. Einlegen eines künst¬
lichen Auges, möglichst bald nach voll¬
endeter Heilung, ist das beste Mittel zur
Verhütung des Entropiums. Fernere Ursachen
des Entropiums sind Erkrankungen der Binde¬
haut und des Tarsus, wenn sie eine Schrum¬
pfung oder Contraction der genannten Mem¬
brane zur Folge haben (längere Zeit sich
hinziehende inveterirte Conjunctival-Katarrhe;
Verbrennungen und Anätzungen der Binde¬
haut). Auch Fremdkörper, die in den Binde¬
hautsack gelangten, können bei längerem
Verweilen ein Entropium hervorrufen.
Behandlung. Fast ausnahmslos muss
dieselbe eine operative sein, da“ das. Leiden
gemeiniglich erst in völlig ausgebildetem
Zustande zur ärztlichen Beobachtung gelangt.
Die einfachste Methode besteht darin, dass
man etwa x / % cm vom freien Lidrande ent¬
fernt mit einer sog. Entropiumzange (Fig. 482)
eine horizontale Hautfalte in der ganzen
Breite des Lides emporhebt (Fig. 483) und
sie mit der Schee re abträgt, worauf die
Wundränder des so geschaffenen Defectes
mittelst einiger Knopfnähte wieder vereinigt
werden (Fig. 484). Der Zug der entstehen¬
den linearen Narbe stülpt das Lid alsdann
nach aussen in die normale Stellung. Eine
Fig. 4b2. Eutropiuinpincette.
andere Methode ist die: Parallel zum Lidrand
wird in etwa 3 mm Entfernung von demselben
ein der Lidlänge beinahe gleich grosser Haut¬
schnitt geführt und hierauf zwei von der
temporalen und nasalen Begrenzung des mitt¬
leren Drittels des letzteren ausgehende, nach
unten convergircnde Schnitte geführt und
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darf auch die Resection des Orbicularis,
durch did man bei der Excision der Haut-
falte die Wirkung der Operation unterstützen
kann, nicht zu ergiebig ausfallen. Enthaarung
des Lides ante Operationen!, peinliche Reini-
hiedurch ein dreieckiger, loszupräparirender
Lappen umschrieben, dessen 6—10 mm lange
Basis von dem mittleren Drittel jenes hori¬
zontalen Schnittes gebildet wird und dessen
Spitze etwa 10—12 mm von der Basis ab¬
Fig. 483. Der Ansatz der Entropiumpincette.
Fig. 484. Ausschneiduug einer horizontalen Hautfulto bei
Entropium des unteren Lides und Schliessung des De-
feetes mittelst dreier Nähte.
stellt. Die Ränder dieses dreieckigen Defectes
werden vernäht, während die leicht klaffende
horizontale Wunde durch Granulation vernarbt
(Fig. 485). Die resultirende T-förmige Narbe
spannt das Lid in wagrechter und verticaler
Richtung an. Dass man bei einer derartigen
Operation auch des Guten zu viel thun kann,
muss bei Bemessung der Grösse der Wunde, die
man machen will, berücksichtigt werden. Je
breiter man die Falte schlägt, desto grösser die
Wunde, desto stärker wird die Lidverkürzung
sein und damit um so ausgiebiger die Zug¬
wirkung der Narbe. Es besteht also die Ge¬
fahr eines Umschlagens des Entropiums in
ein Ectropium. Aus dem gleichen Grunde
Fig. 480. Entropiumoperation nach S ämis ch-Evcrs-
husch. Meridionnlschnitt. e^Cornea; t Tarsus des oberen,
t t Tarsus des unteren Lides; o 1 oberes, u 1 unteres Lid;
n Uebergangsfalte der Bindehaut; f und f t die aui freien
Lidrande ausgostochenen Fadenenden: p und p t die in die
Fadenenden gebrachten, durchbohrten Perlen, über welchen
der Knoten geknüpft wird.
gung (am besten mit Sublimatwasser), car-
bolisirte Nähseide oder Catgut sind selbst¬
verständlich. Eine sehr einfache und zweck¬
entsprechende Methode, das Entropium auf
operativem Wege zu beseitigen, ist endlich
noch das von gäinisch-Eversbach (Fig. 486)
mitgetheilte und beim Menschen und von letz¬
terem Autor auch beim Hunde mit gutem Er¬
folge eingeschlagene Verfahren, dessen nam¬
hafter Vortheil vor den übrigen Methoden es
ist, keine Hautwunde anlegen zu müssen. Die
Operation wird damit eingeleitet, dass der
Operateur das- eingerollte Augenlid zuerst
‘ ectropianirt und dann dasselbe so weit ab-
zielit, dass die Uebergangsfalte vom Lidtheile
der Bindehaut zu deren Augapfelabschnitt
(Fornix Conjunctivae)* in ihrer ganzen* Aus¬
dehnung zur Anschauung gelangt. Auf der
Uebergangsfalte bestimmt sich der Operateur
sodann in Gedanken drei gleich weit von ein¬
ander gelegene Punkte, an welchen die Ein¬
stiche zu erfolgen haben. Eine feine Nadel,
mit dünner englischer (vollständig aseptischer)
Nähseide oder Catgut versehen, wird nun an
eineni dieser Punkte durch die Conjunctiva
gestochen und so geführt, dass sie, den Lid-
Fig. 485. Enfropiuinoperation mittelst horizontalen
Scliuittes und Ausscheidung eines dreieckigen IT aut-
lappens. Drei Sutureu sind zur Schliessung des Defectei
«ingelegt.
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560 ENTSCHÄDIGUNG. — ENTWICKLUNGSDAUER.
knorpel umgebend, das Lid in seiner ganzen
Länge durchsticht und am freier! Lidrand
wieder zum Vorscheine kommt. Wenn man
nun das andere Ende des Fadens in die
Nadel nimmt und ein bis zwei Millimeter
vom ersten Einstichpunkte auf der Ueber-
gangsfalte seitlich sich einen neuen wählt,
die Nadel in gleicher Weise und in gleicher
Richtung unter abermaliger Umgebung des
Tarsus durch das Lid führt, dass sie ein bis
zwei Millimeter entfernt vom ersten Faden¬
rande am freien Lidrande ausgestochen werden
kann, ist eine Fadenschlinge fertig, welche
sich durch die ganze Länge des Lides zieht.
Es ist nun noch nöthig, beide Fadenenden
am Lidrande zu knüpfen, und zwar geschieht
dies über zwei kleine, durchbohrte Glasperlen,
von denen man vorher je eine in die Faden¬
enden gleiten liess. Und solcher Schlingen
werden im Ganzen (wie Fig. 487 dies veran¬
schaulicht) drei durch das entropianirte Lid
Fig. 467. Entropiumoperation nacli Samisch-Evers-
b usch. Das Lid abgezogen.
gezogen. Die Stichcanäle werden mit der
Zeit in solide Bindegewebsstränge umge¬
wandelt, deren Zug den eingerollten Lidtheil
nach aussen stülpt, so dass auf diese Weise
die Verunstaltung gehoben wird. Snppuration
tritt dabei — antiseptische Cautelen voraus¬
gesetzt — wohl nie ein. Scklamfp.
Entschädigung für auf polizeiliche An¬
ordnung *getödtete Thiere erfolgt entweder aus
staatlichen Mitteln oder durch Versicherungs¬
gesellschaften, falls die zu tödtenden Thiere
gegen die unter ihnen herrschende Seuche
versichert waren. Getödtet werden auf polizei¬
liche Anordnung solche Thiere, die an beson¬
ders gefährlichen unheilbaren Krankheiten
erkrankt oder solcher Krankheiten verdächtig
sind, wie Rinder, unter denen die Rinderpest
ausgebrochen, rotzige Pferde, an Hundswuth
leidende Hunde, hochgradig tubereulöse Thiere.'
ln den meisten Staaten ist es üblich, in
solchen Fällen nicht den vollen Werth der
getödteten Thiere, solidem nur einen Theil ‘
desselben (‘/ 3 —%) den Eigentümern der
Thiere zu vergüten. In solchen Fällen aber,
wo eine bösartige Seuche, wie z. B. die Rinder¬
pest, unter einer Heerde ohne Schuld des
Eigentümers ausgebrochen und die ganze
Heerde mit Einschluss der noch gesunden Thiere
vertilgt wird, ist eine volle Entschädigung
des Besitzers von Seite des Staates wünschens¬
wert, da der Thierbesitzer einen Theil seiner
Heerde vielleicht durch zeitige, schnelle Par-
cellirung hätte retten können und eine nur
teilweise Vergütung zu Verheimlichungen der
Seuchen Anlass gibt. Obgleich rotzige Pferde,
hochgradig tubereulöse Thiere, wuthkranke
Hunde an und für sich werthlos sind und
eine Entschädigung derselben nur bei erfolgter
Versicherung zu verlangen wäre, so wäre auch
hier eine staatliche Vergütung, um Verheim¬
lichungen zu vermeiden, oft wohl am Platze.
Entschädigung kann der Käufer im
Thierhandel beanspruchen durch die Minderungs¬
klage (actio quanti minoris), wenn das gekaufte
Thiei sich nachher seinem wahren Werth nach
als zu teuer bezahlt herausstellt, oder wenn der
gezahlte Kaufpreis den wahren Werth des Thieres
um mehr als die Hälfte übersteigt. Ist das
gekaufte Thier vollkommen wertlos und wird
der Handel durch die Wandlungsklage (actio
redhibitoria) rückgängig gemacht, so hat der
'Käufer ausserdem das Recht, eine Entschä¬
digung für die Fütterung des Thieres zu ver¬
langen, falls dasselbe zu jeglicher Arbeit
unbrauchbar war und während der Dauer des
Processes dem Käufer nichts eintrug, oder
wenn der gebrachte Nutzen so gering war,
dass er in keinem Verhältniss zu den gehabten
Fütterungskosten stand. Scmmcr.
Entwicklung des Jungen zur Geburt. In
der Stellung und Haltung des Fötus treten
mit Eintritt des Geburtsactes sehr wesent¬
liche, zur Ermöglichung der Geburt noth-
wendige Aenderungen ein. Stellung und Hal¬
tung der Frucht sind während der Geburt ganz
andere als vor derselben. Während vor der
Geburt der gekrümmte Rücken des Fohlens
nach abwärts und etwas nach rechts, beim
Kalbe entweder, u. zw. meist seitwärts oder
nach aufwärts liegt, der gebeugte Kopf bei
beiden dem Brustbeine genähert ist und die
gebeugten vier Gliedmassen einander ge¬
nähert sind, daher Kopf und Füsse mehr
oder weniger vom Muttermund entfernt liegen,
machen in Folge der Uteruscontractionen
beim Eintritt der Geburt die Früchte eine
Drehung um ihre Längsaxe; die Rücken¬
fläche des Jungen wird dem Rücken des
Mutterthieres zugekehrt: in'Folge Anpassung
des Jungen zu den Raumverhältnissen des
Uterus und des mütterlichen Beckens nehmen
Kopf, Gliedmassen und Rücken eine gestreckte
Haltung oder Lage an. Kopf und Vorderfüsse
dringen (bei Kopfendlagen) gleichzeitig durch
den geöffneten Muttermund in das Becken
ein, u. zw. in der Weise, dass der Kopf ent¬
weder auf den beiden Vordergliedmassejr auf¬
liegt oder zwischen denselben zu liegen kommt.
Bei Steissendlagen treten bei normalen Ver¬
hältnissen die beiden Hinterfüsse gestreckt
in die Geburtswege ein. Strebei.
Entwioklungsdauer. Für die Entwick¬
lungsdauer der verschiedenen Thiere lässt
sich im Allgemeinen keine Regel aufstellen.
Man versuchte die Grösse des Thieres zu be¬
rücksichtigen und kam dabei zu il^m Resultate,
dass auch hier die Dauer verschieden lang
ist, obgleich die Thiere gleich gross sind.
Ferner haben grössere Thiere oft eine kürzere
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
56t
Entwicklungsdauer als kleinere, oder sie haben
ungefähr dieselbe Entwicklungsdauer, wie die
Maus und das Huhn.
Von einigen Vögeln und Säugethieren
ist Folgendes bekannt. Vögel: Fliegen¬
vögel (geradschnabelige Colibris) 12 Tage;
Huhn, Ente, Perlhuhn ungefähr 21 Tage; Gans
29 Tage; Pfau 31 Tage; Schwan 42 Tage;
Casuar uns Neuholland 65 Tage. Säuge-
thiere: Maus 3 Wochen; Meerschweinchen
3 Wochen; Hase, Kaninchen, Hamster 4 Wo¬
chen; Ratte, Murmelthier, Wiesel 5 Wochen;
Igel 7 Wochen; Katze, Marder 8 Wochen;
Hund, Fuchs, Iltis, Luchs 9 Wochen; Wolf,
Dachs 10 Wochen; Löwe 14 Wochen; Schwein,
Biber 17 Wochen; Schaf 21 Wochen; Ziege,
Gemse, Gazelle 22 Wochen oder 5 Monate;
Reh, Lama 24 Wochen; Bär, kleine Affen¬
arten 30 Wochen; Hirsch, Rennthier 36 bis
40 Wochen; beim Menschen 40 Wochen oder
9 Kalendermonate; ungefähr 10 Kalender¬
monate beim Pferde, Esel, Zebra; 13 Monate
beim Kameele; 18 Monate beim Rhinoceros;
nahezu 2 Jahre beim Elefanten. Schenk .
Entwicklungsgeschichte. Sie stellt uns
die Beschreibung der einzelnen Formen der
Individuen dar und sucht die Gesetze, nach
denen der Bildungsact vor sich geht, soweit
als möglich festzustellen. Man bezeichnet diese
Lehre als Ontogenie. An sie schliesst sich
unmittelbar die Stammesgeschichte, Phylö¬
ge nie, oder die Entwicklungsgeschichte der
organischen Reihen an, welche auf Grund der
Kenntnisse, welche man durch die Ontogenie
erlangt, den Zusammenhang der Reihen aus
den Erscheinungen in ihrer Entwicklung fest¬
stellt, die Umwandlung der einzelnen Organis¬
men verfolgt und endlich die Descendenzlehre
bis zu einem gewissen Grade passend be¬
gründet und erläutert. Dieser Zweig der Em¬
bryologie (s. d.) ist erst in den letzten Jahren
hinzugekommen, und es steht die grössere Aus¬
breitung desselben mit der Erweiterung der
Kenntnisse über die Physiologie der Embryo¬
nen in Aussicht.
Alle unsere Kenntnisse, welche wir in
der Embryologie zu erlangen haben und die
in unserer vorliegenden kurzen Mono¬
allein zukommen. Diese verschiedenen Vor¬
gänge, welche den Entwicklungsgang der
Individuen bilden, machen die Ontogenie der
Individuen aus.
An einem jeden Eichen unterscheiden
wir im Allgemeinen gewisse Merkmale, welche
als charakteristisch bei sämmtlichen Eiern zu
beobachten sind. Vor Allem muss in einem
jeden Eichen eine Protoplasmamasse vorhanden
sein, aus welcher sich der künftige Embryo auf¬
baut. Dieses Protoplasma kann in sich die
Nahrung enthalten, welche dem Eichen nach
der Befruchtung bis zu einem gewissen Grade
der Entwicklung nothwendig ist, oder es kann
der Nahrung an- oder inneliegen, in welchem
Falle bis zur vollendeten Beendigung des
Erabryonallebens das Nahrungsmateriale zur
Erzeugung von lebendiger Kraft und Wärme
verwendet werden muss. Man theilt dem¬
nach die Eier in zwei Hauptclassen, in
holoblastische und in meroblastische
Eier. Unter ersteren versteht man solche Eier,
welche vorzugsweise oder nur aus dem Proto¬
plasma (Bildungsdotter) bestehen, während
man unter meroblastische Eier solche begreift,
die ausser dem Protoplasma noch ein Deuto-
plasma (Nahrungsdotter) besitzen. Protoplasma
und Deutoplasma können in den Eiern der
verschiedenen Thiere vereinigt sein, oder sie
sind getrennt von einander, oder es fehlt das
Deutoplasma gänzlich. Das letztere gilt nur
insoferne, als man das Deutoplasma mit den
optischen Hilfsinstrumenten nicht unterscheiden
kann. Man unterscheidet ferner auf Grund¬
lage des Vorkommens der beiden Haupt¬
bestandteile und ihrer Anordnung im Eichen
alecytale und lecytale Eier und unter
den letzteren telo- oder centrolecytale, je
nachdem der Dotter an- oder inneliegend ist.
Holoblastisches Ei.
Zur genaueren Kenntniss eines Eies der
einfachsten Form diene ein holoblastisches
Ei eines Säugetieres. Die Beschreibung des¬
selben nebst der Abbildung (Fig. 488) gibt
uns einen Anhalt, auch die übrigen holoblasti-
schen Eier der niederen Thiere kennen zu
graphie dargestellt werden, reichen vom
Eichen bis zu dem entwickelten Thiere
im Allgemeinen. Es ist demnach bei allen
Thieren, wo eine geschlechtliche Zeugung
stattfindet, das reife Ei der Ausgangs¬
punkt allen Entwicklungslebens, weshalb
wir uns mit dem reifen Eichen in
erster Linie beschäftigen wollen.
Das Ei stellt uns einen Elementar¬
organismus dar, der nicht mit anderen
Elementarorganismen in seinem reifen Zu¬
stande zusammenhängt, sondern, als eine
selbständige Zelle ausgebildet, alle bisher
beobachteten Attribute der Zelle in sich
enthält. Nur unterscheidet sie sich von
anderen Zellen dadurch, dass sie durch
die stattgehabte Befruchtung zu einer
Reihe von Vorgängen befähigt wird, zu
welchen kein anderer Organismus die
Fähigkeit erlangt, und die nur dem Ei
Fig. 468. Reifes Eichen vom Kaninchen aus dem Eierstock.
(Holoblastisches Ei.)
Koch. EncyklopAdie d. Thierheilkd. II. Bd.
36
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562 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
lernen. Bei dem Säugethierei unterscheiden
wir folgende Bestandteile: Der Hauptbe¬
standteil desselben ist das Protoplasma,
allgemein Dotter genannt. Er füllt das Ei
nahezu oder gänzlich aus. Er besteht aus
einer homogenen Grundmasse mit einer Menge
grösserer .und kleinerer Körnchen. Die ganze
Masse des Dotters enthält, nach den bisher
vorgenommenen chemischen Analysen, Bestand¬
teile, die auch im ausgebildeten Thierc zu
finden sind. Der Dotter birgt in sich ein rund¬
liches oder ovales helleres Gebilde, welches
mit Rücksicht auf die an der Zelle wahr¬
nehmbaren Bestandteile als Kern der Eizelle
zu betrachten ist. Man bezeichnet dasselbe
als Keimbläschen (vesicula germinativa).
Innerhalb des Keimbläschens sind ein
oder mehrere kleinere, festere, das Licht
verschieden vom übrigen Inhalte des Keim¬
bläschens brechende Körperchen zu beob¬
achten. Ein solches constant im Innern des
Keimbläschens befindliches Körperchen wird
Keim fl eck (macula germinativa) genannt.
Das ganze Eichen ist von einem deutlich
membranösen, ziemlich breiten Ueberzuge, die
zona pellucida — Dotterhaut — umgeben.
Sie erscheint bei schwacher Vergrösserung
homogen. Bei stärkeren Vergrösserungen una
bei Anwendung einer 0*1% Ueberosmium-
säure erscheint die zona pellucida radiär ge¬
streift. Die Streifen werden als der Ausdruck
von Poren bezeichnet. Das reife Säugethierci
misst im Durchschnitt ungefähr 0*2 mm. Es
ist also ein mikroskopisch kleines Gebilde
und innerhalb gewisser Grenzen auch von ver¬
schiedener Grösse bei verschiedenen Thieren.
Da wir hier im Allgemeinen das reife
Säugethierei berücksichtigen, so ist es auch
nöthig, an dieser Stelle Einiges über die charak¬
teristischen Merkmale desselben zu berichten.
Als Hauptmerkmal des reifen Eies scheint
in erster Linie die Grösse desselben ange¬
sehen zu werden, da in den grösseren
reifen Eierstockfollikeln, welche zumeist an
der Oberfläche des Ovariums liegen, auch
die grössten Eichen zu finden sind. Als zweites
Merkmal der Reife gilt die Stellung des Keim¬
bläschens im Dotter. Bei jüngeren Eiern liegt
dasselbe mehr central, während es bei den
reiferen Eiern wandständig r nahezu an der
Oberfläche des Dotters zu liegen kommt.
Ferner liegen bekanntlich auf der Ober¬
fläche des Eichens, unmittelbar nachdem das¬
selbe aus dem Eierstockfollikel auf den
Objectträger zur Untersuchung gebracht wurde,
einige Epithelien des Follikels. Diese sind
beim reifen, grösseren Ei mehr oder weniger
in radiärer Richtung zur Oberfläche des Eies
langgestreckt und spindelförmig ausgezogen.
Endlich ist die Zwischensubstanz zwischen
den einzelnen Epithelien auf der Oberfläche
des reifen Eichens eine viel lockerere als bei
den unreifen Eiern. Wenn man künstliche
Befruchtungsversuche auf der Oberfläche des
frischen Uterus durchführt und dabei die
nöthigen Vorsichtsmassregeln bezüglich der
Temperatur beobachtet, so genügt die von
den Spermatozoßn entfaltete Kraft durch ihre
Bewegung, um von der Oberfläche der grösse¬
ren, reifen Eichen die anhaftenden Epithelien
wegzuschaffen, während bei den kleineren,
unreifen Eiern die Spermatozoön ihre Be¬
wegung früher einbüssen und theilweise zwi¬
schen den Epithelien nahe der Eioberfläche
liegen bleiben, bevor die letzteren von der
Zona pellucida weggeschafft werden.
Meroblastische Eier.
Als Paradigma für die meroblastischen
Eier, welche besonders bei den Vögeln, be¬
schuppten Amphibien, Fischen, bei Arthro¬
poden, vielen Malacozoßn etc. Vorkommen,
ja sogar in letzterer Zeit bei Beutelthieren
beobachtet wurden, diene hier das Ei des
Haushuhnes. Im Zustande der Reife besitzt
das Ei des Eierstockes noch keine harte Ei¬
schale, allein die Dotterhaut und der Dotter
als wesentlicher Bestandteil des Eies ist
bereits vorhanden. Das frisch gelegte reife
Ei ist bereits befruchtet und sein Eiproto¬
plasma mehr oder weniger bis zu einem ge¬
wissen Grade entwickelt, so dass man in dem
sogenannten Bildungsdotter nur Furchungs¬
elemente beobachtet. Jedoch sind die Bestand¬
teile des meroblastischen Eies am gelegten
Hühnerei makroskopisch deutlich zu sehen,
weshalb hier die Schilderung desselben vor¬
ausgeschickt werde.
Nach aussen ist die poröse, kalkhaltige
Schale; wird dieselbe mit Leim oder ander¬
weitigen Massen überzogen, so stirbt das Ei,
beziehungsweise der Embryo, ab. An der Innen¬
fläche ist die Schale von einer Membran, der
Schalenhaut, überzogen. Wird die Schale
mit einer Pincette sorgfältig durchbrochen
und die Schalenhaut vorsichtig weggeschnitten,
so bekommt man den gelben Dotter (Nahrungs¬
dotter) zu Gesichte, auf dessen Oberfläche ein
runder Fleck zu sehen ist. Dieser — Hahnen¬
tritt, cicatricula genannt, — hat einen
Breitendurchmesser von circa 2 mm und
bildet den wesentlichen Theil des Eies, da er
das Protoplasma oder den Bildungsdotter dar¬
stellt, also das erste Materiale für den Aufbau
des Embryos liefert. Der Hahnentritt kommt
deshalb im Ei bei der Eröffnung nach oben
zu liegen, weil seine Bestandtheile specifisch
leichter sind und unter ihm eine mehr oder
weniger deutlich ausgebildete Höhlung sich
befindet. Er muss regelmässig während der
Bebrütung des Eies horizontal liegen und
nach oben gekehrt sein, da bei einer anderen
Lage leicht Zerrungen an demselben Vor¬
kommen, welche entweder eine vollkommene
Verödung des Keimes oder Monstrositäten
der verschiedensten Art zur Folge haben. Der
gelbe Dotter und der Hahnentritt sind
von einer Membran, der Dotterhaut, um¬
geben. Diese ist in dem Hühnereiweiss
suspendirt und seitlich gegen die Enden der
längeren Axe des Eies durch verdickte Schnüre,
die spiralig gedreht sind, die Chalazien, an
der Schalenhaut befestigt. Diese sind es,
welche den Dotter in der Eiweisschichte in
Schwebe erhalten. Das Eiweiss ist von einer
grösseren Masse von Sepimenten durchzogen.
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
m
Vom weissen Dotter zieht gegen die
Mitte des Eies ein Gang zu einer central
mit weissen Elementen mehr oder weniger ge¬
fällten Höhle, welche den Namen Latebra
führt.
Der Bildungsdotter (Fig. 489), welcher
dem Protoplasma des holoblastischen Eies ent¬
spricht, enthält, wenn er noch nicht gefurcht
ist, das Keimbläschen. Sein Protoplasma ist
feinkörnig, ähnlich dem des holoblastischen
Eies (Fig. 490).
Die Elemente des Nahrungsdotters be¬
stehen entweder aus verschiedenartig geform¬
ten, rundlichen oder polygonalen Stücken mit
einem feinkörnigen Inhalte, oder zuweilen bei
einigen Thieren aus verschiedenen krystallini-
schen Plättchen oder aus Stücken mit krystalli-
nischen Flächen und Kanten. Bei den gela-
chiern sind namentlich Formen der letzteren
Art im Bildungsdotter zu beobachten. Bei
diesen Thieren, welche ihre Eier ins Wasser
legen, wie beispielsweise bei Scylüum cani-
cula, ist die Eischale an den Stellen, wo
später der entwickelte Embryo ausschlüpft,
durch quergestellte Leistchen, die sich vor
dem Ausschlüpfen de9 Eies lockern, an der
schmäleren Seite passend aneinandergefügt.
Die Form der Eischale ist verschieden bei ver¬
schiedenen Thieren und bedingt die Form
des Eies. Bei denjenigen Vögeln, welche fär-
bige Eier legen, sind Gallenfarbstoffe in den
Eischalen nachgewiesen worden.
Befruchtetes Ei in den ersten Stadien.
Die geschlechtliche Befruchtung des Eies
bei den verschiedensten Thieren findet ledig¬
lich nur durch das Eindringen der Sperma¬
tozoon in das Innere des Eies statt. Dies ist
ein Satz, an dem sich wohl in der letzten
Zeit kaum in irgend einer Weise mehr rütteln
lässt. Nur bleibt der Vorgang bei der Par-
thenogenesis noch als unerklärt, wobei sich
ein Organismus entwickeln kann, ohne dass
eine Zuthat des Spermas zu dem Eichen nach-
gewiesen worden wäre.
Die ersten Veränderungen, welche ein Ei
im Contact mit den Spermatozoon durchmacht,
lassen sich am leichtesten und am bequemsten
an Wirbellosen untersuchen, besonders an den
im Wasser künstlich befruchteten Eiern von
Seethieren. Es eignen sich hiezu die Eier von
Serpularien, von Echinodermen und Holo-
thurien. Das Materiale für die ersteren ist
leicht zu beschaffen, indem man die Thier-
chen aus ihren härteren Röhren heraus¬
hebt und in Seewasser bringt. Sowohl die
Männchen als auch die Weibchen geben ihre
Zeugungsstoffe von selbst ab und findet als¬
bald die Befruchtung der Eier statt. An den
einzelnen Proben von den mikroskopisch
kleinen Eiern lassen sich die verschiedenen
Veränderungen durch die
ersten Vorgänge der Be¬
fruchtung bedingt leicht
unter dem Mikroskope
beobachten.
Einige dieser Ver¬
änderungen seien hier
kurz angeführt. Auf der
Oberfläche des Eies sieht
man viele Spermatozoon
in radiärer Richtung,
mit dem Köpfchen voran
und dem Schwänze in
Bewegung stehen, wäh¬
rend viele Spermatozoon
sich frei in der Flüssig¬
keit bewegen.
Das bisher in nicht
besonders sich kundgebender Lebensthätigkeit
befindliche Ei wird nun mit einemmale zur
Thätigkeit angeregt, die eine sich ändernde
Lebensfähigkeit im Dotter des Eies nach sich
führt. Nur durch diese Eigenschaft des Dotters
und nicht etwa durch die Lebensfähigkeit des
Keimbläschens selbst kommt es dahin, dass das
Keimbläschen, welches beim reifen Eichen ohne¬
hin lateral liegt, gänzlich aus dem Dotter elimi-
nirt wird und zwischen diesem und der Dotter¬
haut zu liegen kommt. Das Austreten des
Keimbläschens nach der Befruchtung ist eine
Erscheinung, welche im Allgemeinen bei den
Eiern aller bisher untersuchten Thiere auf-
tritt. — Ist das Keimbläschen an die Ober¬
fläche getreten, sodann beobachtet man, dass
;lb *
Keimbläschen
nahe der Oberfläche Dotterhant
564
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
der Inhalt des Keimbläschens, d. i. der Keim¬
fleck nnd ein : ge neben ihm liegende kleinere
Körperchen an die Oberfläche des Eidotters
gelangen nnd zwischen diese und die Ei¬
hülle zu liegen kommen. Diese Körperchen
werden zur Zeit, wo sie auf der Oberfläche
des Dotters liegen, als Richtungskörper¬
chen bezeichnet. Sie befinden sich an jener
Stelle, oder, besser gesagt, an jenem Pole
des Eichens, wo später bei der Segmentation
des Dotters die erste Eifurche, durch welche
das Ei in zwei Hälften getheilt wird, entsteht.
Die Richtungskörperchen, auch Polar¬
körperchen (Cellules polaires) genannt, sollen
nach einigen Autoren aus dem Protoplasma
des Eies entstehen, nach anderen sollen die
Richtungskörperchen wohl aus dem Keim-
fleck hervorgegangen, jedoch erst aus einem
spindelförmigen (kernähnlichen) Körper im
Dotter, welcher theilweise aus Ueberbleibseln
aus dem Keimflecke, theilweise aus solchen vom
Keimbläschen zusammengesetzt ist, entstanden
sein. Es ist somit das Ei durch den Austritt
des Keimbläschens aus einem Zustande, wo
es eine Zelle darstellt, mit Protoplasma und
Kern in eine Zelle übergegangen, an der ein
Kern fehlt. Das Ei hat sich gleichsam ver¬
jüngt und besteht nun aus einem kernlosen
Protoplasmastücke. Man einigte sich unter
den meisten Embryologen in den letzten
Jahren dahin, dass man das erste Stadium
als Monerula- und das Stadium des Eichens
ohne Kern als Cytulastadium bezeichnet.
An der Stelle, wo das Keimbläschen
gelegen war, kommt es im kernlosen Eichen
zur Ausbildung eines neuen Kernes. Die Bil¬
dung des Kernes in den Zellen zu verfolgen,
ist nicht ohne Schwierigkeiten. Am zugäng¬
lichsten ist noch der Beobachtung die
Bildungsweise des ersten Kernes im Eichen.
Dieser erscheint nicht durch eine genaue
Contour begrenzt, sondern er erscheint als
eine hellere Partie im Dotter, welcher mit
unzählig vielen radiären Streifen in demselben
steckt. Eine genaue Grenze zwischen dem
Kerne und dem Dotter existirt nicht. Er
kommt vorwiegend durch die Umlagerung
der Körnchen im Protoplasma des Eichens
zu Stande, wobei auch wahrscheinlich am
Protoplasma gewisse Aenderungen einge¬
leitet werden. Es ist der Kern aus dem Proto¬
plasma einer kernlosen Zelle hervorgegangen,
in welchem die Körnchen weniger dicht und
vorwiegend in radiärer Richtung geordnet
sind (Fig. 491).
Nachdem wir die Kernbildung im Eichen
kennen, ist es besonders wichtig, auf ein in
den letzten Jahren bekanntes Factum bei
der Befruchtung aufmerksam zu machen. Es
kommt nämlich bei dem Eindringen der Sper-
matozoön ins Eiprotoplasma einem Sperma¬
tozoon die Aufgabe zu, an einer Stelle im Ei
anregend zur Bildung eines Kernes zu wirken.
Es soll auch zur Kernbildung der Kopf des
Spermatozoon mit einbezogen worden sein.
Dieser Kern, der nach dem Eindringen des
Spermas ins Eichen entstanden ist, wird Pro-
nucleus masculinus (männlicher Vorkern)
genannt. In unmittelbarer Nähe, ihm gegen¬
über, entsteht ein zweiter Kern an der Stelle,
wo früher das Keimbläschen im Eichen ge¬
legen war, welcher in ganz ähnlicher Weise zu
a
Radi&r
gestreifter
Kern
b
Sternflgur (Pronucleus fern.) Kemspindel
Aboraler
Fig. 491. a |Kernbildung im Eichen einer Serpnla uncinata;
b Ei von Asterias glacialis mit Kernspindel nnd Besten
vom Keimbläschen. (Schematisch nach Fol.)
Stande kommt und den Namen Pronucleus
feminin us (weiblicher Vorkern) führt.
Sind die beiden Kerne im Eichen vor¬
handen, so erreichen sie sich an jener Stelle,
wo sie einander zugewendet sind, mit ihren
radiären Ausläufern. Diese Annäherung der
beiden Kerne und ihre Vereinigung bilden die
Conjugation im Eichen der Thiere (Fig. 491 b).
Es wird in jüngster Zeit bei dem Eindringen
der Spermatozoön ins Ei nachgewiesen, dass es
nur einem Spermatozoon gegönnt ist, unter nor¬
malen Bedingungen ins Ei einzudringen und
als Anlage für einen Kern zu dienen. Zu¬
weilen aber, wenn es sich ereignet, dass
mehrere Samenfäden ins Eichen eindxingen
und jeder zur Bildung eines Kernes führt,
kommt es auch zu unregelmässiger Furchung
und zu anderweitigen Unregelmässigkeiten in
der Entwicklung, und es ist nicht unwahr¬
scheinlich, dass auf diese Weise selbst Mon¬
strositätenbildungen eingeleitet werden. Wenn
sich das Spermatozoon der Eihaut bei Petro-
myzon nähert, soll eine Zurückziehung des
Protoplasmas eingeleitet werden. Beide Kerne
(männlicher und weiblicher Vorkern) werden
nun bei normalem Entwicklungsgänge ausge¬
bildet und mit einander vereinigt, sie stellen
den ersten unpaaren Kern im befruchteten
Eichen vor.
Furchungsprocess.
Jede Vergrösserung, jedes Wachsen einer
organischen Masse geht mit einer Vermehrung
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
565
der Elemente durch Theilung einher. Dieser
Process macht sich auch im Entwicklungsleben
des Thieres geltend. Sobald das thierische
Ei zu einer kernhaltigen Zelle nach der statt¬
gehabten Befruchtung sich gestaltet hat, greift
auch in ihr ein fundamentaler Process im Ent¬
wicklungsleben durch, vermöge dessen das Ei
in eine Unzahl kleinerer Stucke zerklüftet wird,
bis dieselben die Dimensionen der kleinsten
Zellen besitzen. Es ist hier gleichsam eine
organische Masse gleich einem Felsblocke in
viele kleine Theilchen gespalten worden,
welche als Bausteine zum Aufbau des Organis¬
mus verwendet werden können, um nach be¬
stimmten Gesetzen geordnet zu werden.
Der Process der Zerklüftung des Eichens
wird Furchungsprocess oder Segmentation ge¬
nannt. Beim Furchungsprocesse ist eine be¬
stimmte Regelmässigkeit und ein gewisser
Rhythmus in der Furchung beobachtet worden.
a
Zellen, aus denen
das Hypoblast
hervorgellt
Kernige Zellen,
aus denen das
Epiblast hervor¬
geht.
Fig. 492. Mehrere Stadien der Furchung von Syeandra
raphanus. (Nach F. E. Schulze.) a Stadium mit 8 Furehungs-
stücken, von oben gesehen; b dasselbe Stadium, von der
Seite gesehen; o Stadium mit 16 Segmentationsstacken,
von der Seite gesehen; d Stadium mit 48 Stücken, von
der Seite gesehen; e Stadium mit 48 Stücken, von
oben gesehen.
Dieser Vorgang ist sehr leicht an Eiern von
Wirbellosen, besonders an Seethieren zu ver¬
folgen, wo dies jedoch wegen der Kleinheit
der Eichen mittelst des Mikroskopes geschehen
muss (Fig. 492). An holoblastischen Eiern kann
man den Furchungsprocess leicht makrosko¬
pisch verfolgen oder mit Hilfe einer Loupe
sehen, wenn man als Materiale im Frühjahre
in Mitteleuropa die Eier der schwanzlosen
Batrachier, besonders der Frösche wählt,
u. zw. kurze Zeit nachdem die Eichen ge¬
laicht wurden. Man beobachtet an diesen zu¬
erst durch eine Meridionalfurche die obere
Hälfte des Eies gespalten. Sie wird von einer
zweiten gekreuzt, wodurch es zu einer Zer¬
klüftung der oberen Hälfte des Eichens in
vier Theile kommt. Hierauf tritt nach einem
gewissen kurzen Zeitunterschiede in äquato¬
rialer Richtung am Eichen eine Furche auf,
durch welche die obere, kleinere Hälfte von
der unteren, grösseren getrennt wird: die
erstere besteht aus vier Theilen, die letztere
hingegen nur aus einem einzigen Stücke. Nun
setzt sich der Zerklüftungsprocess auch auf
diese fort, indem sich zuerst die Meridional-
furchen auf die untere Hälfte fortsetzen und
sich hier kreuzen. Hierauf beginnt der gleiche
Process von Neuem auf der oberen Hälfte
des Eies. Es werden die früheren Meridional-
furchen von neu entstehenden gekreuzt. Eine
neue Aequatorialfurche folgt dieser Kreu¬
zung der neuen Meridionalfurchen. Diese
setzen sich abermals auf die untere Hälfte
fort, und man bekommt auf diese Weise eine
grössere Vermehrung der Furchungsstücke
an denselben. Dieser Process dauert so lange
fort, bis wir denselben nicht weiter deut¬
lich verfolgen können und bis das Ei in
eine Masse grösserer Stücke zerklüftet ist.
Dabei wird es sich als allgemeines Gesetz
zeigen, dass die obere Hälfte des Eies, bezw.
derjenige Theil, wo die erste Furche ent¬
standen ist, sich stets in einem weiter zer¬
klüfteten Zustande befindet wie die untere
Hälfte desselben. Während an der oberen
Hälfte vier Furchungsstücke zu treffen sind,
ist die untere Hälfte ungefurcht, und wenn
die obere Hälfte viele kleine Zellen besitzt,
die in Folge desTurchungsprocesses gebildet
wurden, besteht die untere Hälfte noch aus
verhältnissmässig grossen Stücken, welche
zuweilen eine runde Form besitzen und Fur¬
chungskugeln genannt werden (Fig. 493).
Endlich begegnet man an einem solchen
gehärteten Eichen in der oberen Hälfte einer
Höhle, die von den Furchungselementen um¬
geben ist, welche man Furchungshöhle
nennt (vgl. Fig. 497).
Wir haben bisher allgemein von einer
oberen und unteren Hälfte des Eies ge¬
sprochen und wollen nun diese beiden Hälften
näher beschreiben. Die obere Hälfte ist die¬
jenige, welche am Froschei dunkler gefärbt
ist und der Sonne zugewendet wird, wenn
das Ei, von seiner Gallerthülie umgeben, im
Wasser liegt. Sie wird in neuerer Zeit als
aboraler Pol des Eichens bezeichnet, zum
Unterschiede von dem oralen Pole oder
566 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
der dem Lichte abgewendeten Eihälfte, an
welcher der Urmund, die erste Vertiefung
von aussen ins Ei, entsteht.
Fig. 493. Gefurchtes Froschoi, aus grösseren Furchungs-
stücken zusaminengefQgt. (Querschnitt.)
Der Furchungsprocess findet bei den
Eiern aller Thierclassen mit der angegebenen
Regelmässigkeit statt. Er wird als ein onto-
genetischer Vorgang im Entwicklungsleben
bezeichnet, der als ererbt in allen Thier¬
classen vorkommt, und bildet eine Einleitung
zur regelmässigen Anordnung der Elemente
im normal' sich bildenden Embryo.
Wir haben schon bemerkt, dass das
Cellularstadium sich umwandelt und die Ei¬
zelle dabei in einen verjüngten Zustand, das
Stadium der Cytula, übergeht. Wenn nun
das Ei gefurcht ist, so ordnen sich die ein¬
zelnen Elemente zu einer Masse von grös¬
seren Furchungskugeln, die innerhalb der
Eihülle liegen und dem Eichen in toto das
Aussehen der unebenen, höckerigen Maul¬
beere verleihen. Man bezeichnet dieses Stadium
als Morula Stadium. An dieses Stadium
reiht sich, wie wir oben am Froschei gesehen
haben, ein Stadium der Entwicklung an,
welches gleichfalls hervorzuheben ist, weil es
durch die Ausbildung der sog. Furchungshöhle
besonders hervortritt. Dieses Stadium wird
als Blastulastadium bezeichnet.
Bis zu diesem Stadium die Eier in der Ent¬
wicklung zu verfolgen, ist ohne weitere theore¬
tische Anhaltspunkte über die Keirablattlehre
leicht möglich, indem man sich nur darauf
zu beschränken hat, die Thatsachen als Ergeb¬
nisse der Entwicklung aneinanderzureihen. Wir
müssen uns daher, bevor wir aus dem Blastula¬
stadium weiter den Entwicklungsgang ver¬
folgen, mit der allgemein angenommenen
Lehre über die Keimblätter vertraut machen.
Bevor wir aber hiezu übergehen, wollen
wir noch in Kürze Einiges im Allgemeinen
über den Furchungsprocess bis zum Blastula¬
stadium von einigen Thierclassen hervorheben.
Von den Wirbelthieren eignet sich das
Kaninchen am besten zu den Studien über
die Eifurchung, da das Material hiezu am
leichtesten zu beschaffen ist. Das Weibchen
kann, unmittelbar nachdem es geworfen hat,
belegt und dessen Eier befruchtet werden.
Von da angefangen bis zum sechsten oder
siebenten Tage ist der Furchungsprocess ab¬
gelaufen. Die befruchteten, in Furchung be¬
griffenen Eier befinden sich im Eileiter und
gehört nur eine geringe Fertigkeit dazu, die¬
selben auf der inneren Oberfläche der Schleim¬
haut der Tuba unter der Loupe aufzufinden.
Man kann an verschiedenen Thieren die ver¬
schiedenen Entwicklungsstadien verfolgen. Man
beobachtet die Zweitheilung und dann die Vier¬
theilung. Es folgen auch hier die Furchen in
zwei auf einander senkrechten Richtungen,
bis die Furchung so weit reicht, dass man
das Morula- und Blastulastadium erreicht hat
(Fig. 491).
Bei den Vögeln wird nur der Bildungs-
dotter gefurcht. Die Furchung erfolgt im Ei¬
leiter, daher an dem frischgelegten Eichen
der Furchungsprocess nicht mehr studirt
werden kann. Derselbe ist bereits abgelaufen.
Die Furchen ziehen an dem flach ausgebrei¬
teten Keime in radiärer Richtung und kreuzen
sich dieselben wiederholt, bis die Furchung
das Morulastadium erreicht hat
Nach den angeführten zwei Typen, welche
dem Furchungsprocesse bei dem holoblasti-
schen und meroblastischen Ei entsprechen,
geht der Furchungsprocess mit einigen Modi-
ficationen an den Eiern der verschiedenen
Wirbelthiere und Wirbellosen einher.
Ein nicht uninteressanter Versuch über
das Ergebniss der Furchung bei Kreuzungen
nichtfarbiger und farbiger Species ist fol¬
gender: Nimmt man von See-Igeln, welche
ziemlich farbstoffreich sind, die Eichen, so
zeigen sich an diesen im Protoplasma mehr
oder wenige farbstoffhaltige, bald grössere, bald
kleinere dunkelrothe Körnchen. Werden solche
Eier von dem Sperma derselben Species be¬
fruchtet und verfolgt man dabei den Furchungs¬
process, so findet man den Farbstoff gleich-
mässig in den verschiedenen Furchungskugeln
vertheilt. Nimmt man aber zur künstlichen Be¬
fruchtung das Sperma von einem farbstofffreien
Männchen, alsdann wird gleich bei der ersten
Zweitheilung die eine Furchungskugel der
anderen gegenüber farbstoffreicher sein, und
bei den weiter vorgerückten Furchungs¬
stadien findet man einige Furchungskugeln
farbstoffarm oder farbstofflos, während die
anderen mit den dunkelrothen Körnchen ziem¬
lich stark überladen erscheinen. Es zeigt sich
in letzterem Befruchtungsfalle eine auffallende
Unregelmässigkeit in der Vertheilung des Farb¬
stoffes in den Furchungskugeln; die farbstoff¬
reichen Kugeln bleiben auf der Oberfläche des
Eichens, während die farbstofflosen in der
Mitte desselben zu liegen kommen.
Von besonderem Einflüsse auf den Ver¬
lauf der Furchung ist das Licht und die
Wärme, welche beide den Ablauf des Pro-
cesses beschleunigen. Selbst der Einfluss der
Farbe ist nicht ohne Wirkung auf den Ver¬
lauf der Furchung. In den Lichtstrahlen von
der Wellenlänge des Roth geht der Furchungs¬
process rascher unter sonst gleichen Versuchs¬
bedingungen vor sich, als in Blau oder Violett.
Ebenso ist der Process im Dunklen verlang-
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
567
Dicke Schichte (Mucin)
Fig. 494. Vier Farchungsstadien der Eichen des Kaninchens.
samt. Die unter rothem Lichte gezüchteten
Kaulquappen sind auch viel lebhafter als die
unter blauem befindlichen. Der Einfluss der
Farbe zeigt sich erst bei den sich bewegenden
Embryonen von im Wasser gezüchteten Thieren
am auffälligsten. In letzter Zeit wird die
Wirkung der Schwere als ursächliche Bedin¬
gung zum Beginne und der Durchführung der
Furchung angesehen, was durch eine Reihe
von Versuchen bestätigt wird.
Man beobachtet sowohl bei den Eiern
der Wirbelthiere als auch bei den Wirbel¬
losen, dass die Erscheinungen der Zerklüf¬
tung des Dotters auch ohne vorhergegangene
Befruchtung sich kundgeben. Solche Vorgänge
finden nicht so geordnet und mit der be¬
schriebenen Regelmässigkeit statt. Sie führen
auch nicht zu einer Anordnung der Elemente,
welche zu der Anlage der Keimblätter führt,
was besonders bei den Eiern der Wirbelthiere
der Fall ist. Auch scheinen die Furchungs¬
elemente ihre Lebensfähigkeit gänzlich ein-
zubüssen, denn sie verflüssigen bald. An Eiern
von Hühnern und Tauben ist es leicht zu¬
gänglich, diese Beobachtungen anzustellen.
Solche Vorgänge der Entwicklung, welche an
unbefruchteten Eiern constatirt werden, zählt
man zu den parthenogenetischen Vorgängen
im Eie.
Keimblattlehre.
Diese Lehre ist von fundamentaler Be¬
deutung für das Verständniss der Entwicklung
einzelner Organe und Gewebe, ferner für die
Erklärung einer Reihe pathologischer Processe,
namentlich aber soweit es die Neubildungen
und ihre Genese betrifft. Da die Anordnung der
Keimblätter oder einzelner geordneter Lagen
von Zellen aus dem Furchungsprocesse hervor¬
gegangen und sowohl bei Wirbellosen als auch
bei Wirbelthieren vorkommt, so ist der Aus¬
gangspunkt für alles weitere Forschen im Thier¬
reiche vorzugsweise das Stadium, in welchen
die Keimblätter bereits vorhanden sind. Man
hat zu verschiedenen Zeiten, seitdem man der
Embryologie als Fachwissenschaft die Auf¬
merksamkeit zugewendet hat, die Zahl der
Keimblätter als verschieden gross angegeben.
Bald war der Keim zweiblätterig, bald
erschien er dreiblätterig. Zuweilen liess man
ihn aus theoretischen Gründen zwei-, zuweilen
auch dreiblätterig sein. Erst in den letzten
Jahren einigte man sich auf Grund der Er¬
gebnisse exacter Forschung, dass es drei
Schichten im Keime gibt, welche aus Zellen
hervorgegangen sind, die als Producte des
Furchungsprocesses sich zu solchen Schichten
ordnen. Wir unterscheiden demnach drei
Keimblätter: 4. dasEctoderma oder äus¬
seres Keimblatt, auch Epiblast genannt;
2. das Mesoderma oder mittleres Keim¬
blatt, Mesoblast, und 3. das Entoderraa
oder inneres Keimblatt, auch Hypoblast ge¬
nannt.
Die drei Keimblätter werden auch nach
ihrer Dignität bei der Verwendung zum Auf¬
baue der Gewebe folgendermassen benannt.
Das Ectoderma heisst Nervenhornblatt,
weil es zur Grundlage für alle Nerven und
Horngebilde im bezüglichen Thiere wird. Das
Entoderma heisst auch Darmdrüsenblatt,
da dasselbe den wesentlichen Theil des Sub¬
strates für den Darm und die Anhangsdrüsen,
568
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
welche in den Dann münden, enthält. Alle
anderen Gewebe sind das Product aus den
Zellen des Mesoderma, welches daher auch
den Namen motorisch - germinatives
Blatt führt (Fig. 495).
Man unterscheidet gegenwärtig pri¬
märe und secundäre Keimblätter. Das
Ectoderm und Entoderm sind als primäre
Keimblätter anzusehen. Sie gehen am Schwanz-
Elementen, während die kleine Oeffnung der
Urmund oder Blastoporus genannt wird.
Der Embryo in diesem Stadium der Ent¬
wicklung bildet die Urform, welche den ver¬
schiedensten Organismen während des Ent¬
wicklungslebens zukommt Sie wird mit Leich¬
tigkeit bei den Echinodermen, den Würmern etc.
unter dem Mikroskope beobachtet, tritt aber
auch bei höheren Thieren auf, wo sie von
Furche des Central-
Mesoblast Epiblast nerven Systems
ende des Embryos, wie in der jüngsten Zeit
nachgewiesen wurde, in einander über: ein
Vorgang, der sowohl bei Wirbellosen als auch
bei Wirbelthieren mitunter leicht beobachtet
wird und häufig, aber nicht ohne Schwierig¬
keiten erwiesen werden kann. Man bezeichnet
diese beiden Blätter als primäre Keimblätter,
weil sie bei vielen Thieren als zuerst auf¬
tretende beobachtet werden, bevor noch vom
Mesoderm und seinen Schichten (somatisches
und splanchnisches Mesoblast) etwas zur
Beobachtung kommt.
Eine der Hauptschwierigkeiten, welche
in den letzten Jahren den Forschungen auf
dem Gebiete der Entwicklungsgeschichte sich
entgegenstellten, war die Ergründung der Ent¬
stehungsweise des mittleren Keimblattes. Die
Fachmänner, welche sich mit diesem Capitel
beschäftigten, weichen in ihren Ansichten
bedeutend von einander ab. Die Literatur
über diesen Gegenstand häufte sich aber
dabei in einer Weise, dass es selbst Fach¬
leuten nicht geläufig ist, alle über diesen Ge¬
genstand vorliegenden Lehren zu beherrschen.
Mit der Lehre von der Entstehung des
mittleren Keimblattes innig verbunden ist
noch die Lehre über die Gastrula, ein
Stadium der Entwicklung, welches in der
Ontogenese der Individuen so charakteristisch
ist, dass es bei allen, wenn auch nicht in
der vollkommen ausgebildeten Weise vor¬
kommt.
Wir haben oben ein Stadium geschil¬
dert, welches wir mit dem Namen Blastula
bezeichneten. Diesem Stadium schliesst sich
die Gastrula unmittelbar an. Sie kommt da¬
durch zu Stande, dass die Elemente, welche
die central in der Blastula gelegene Höhle
umgeben, sich am oralen Pole einstülpen. Es
wird hiebei die ursprüngliche Höhle in der
Mitte der Blastula verdrängt, und dafür ent¬
steht eine neue, nach aussen mit der Umge¬
bung durch eine mundartige Verengerung
communicirende Oeffnung. Diese Höhle bildet
die Gastrula saramt den dieselbe umgebenden
mehreren Autoren nachgewiesen wurde, ja
sogar von den Säugethieren abgebildet und
beschrieben ward (Fig. 496). Am Urmunde ist
der Uebergang des Ectoderms in das Ento¬
derm deutlich zu beobachten. Im Gastrula-
stadiura nimmt man auf der Oberfläche des
Embryos lebhafte Bewegungen wahr, welche
sich dem ganzen Embryo mittheilen und unter
dem Einflüsse von höheren Wärmegraden, als
diejenigen sind, unter denen der Embryo nor¬
malerweise lebt, beschleunigt werden. Solche
Bewegungen sind bei Wirbellosen und bei
Wirbelthieren nachgewiesen worden. Sie wur¬
den auch an Kanincheneiern beobachtet, und
beim Froschembryo dauern sie längere Zeit fort.
Es sind Flimmerhärchen, welche die Ober-
Gastrulastadiura vom
Dieyeinatypns. (Nach
E. van Bcnneden.)
(Urnn .)
Fig. 4D6. Gaetrulastadium von Chrysaora. (Nach Clans.
Entoderm
Ectoderm
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
569
fläche des Eichens bedecken und in lebhafter
Bewegung sind.
Nehmen wir einige Embryonen von ver¬
schiedenen Thieren durch, wie sich die Keim¬
blätter im Gastrulastadium verhalten und
wie sich die Form der Gastrula zeigt, so
wird man bald dahin gelangen, dass die
Form der Gastrula bedeutend variirt, dass
jedoch dieselbe anfangs von den pri¬
mären Keimblättern, dem Ectoderm und
Entoderm, umgeben ist. Durch die Ver¬
schiedenheit der Form der Gastrula kam
es dahin, dass diese Urform sogar von
mancher Seite vollständig in Abrede ge¬
stellt wurde, wenigstensfür bestimmte
Thierclassen. Hiedurch gelangte man
durch wiederholte Untersuchungen zur
Erkenntniss, dass die Form der Gastrula
nicht immer die einfachste ist, wie sie
oben abgebildet wurde, sondern ver¬
schiedene Formen bietet, weshalb man
eine Gastrula invaginata und delami-
nata, ferner Epibolica und Embolica etc.
beschrieben findet.
Es kommt hiebei wesentlich darauf
an, ob der Urmund breiter oder enger,
ob die Höhlung flacher oder mehr ver¬
tieft ist, und ob die umgebenden Ele¬
mente aus dem Furchungsprocesse her¬
vorgegangen, sich mehr von aussen her
lagerten, oder ob die Vertiefung durch
Einstülpung entstanden ist etc. Endlich
können noch eine Reihe von anderen
Momenten an der Gestaltung der Gastrula
mitwirken.
Das Prototyp der echten Gastrula
ist die Gastrula invaginata, wie sie
am Ei des Amphioxus am deutlichsten zu
beobachten ist. Hier war die Blastula dünn¬
wandig, und es ist der dünnen Lage von
Zellen um die centrale Höhle leicht möglich
ewesen, sich einzustülpen. Bei jenen Eiern
agegen, welche gleichfalls zu den holoblasti-
schen Eiern zählen, wo die Blastula eine ver-
hältnissmässig dickwandige ist, da ist die Inva-
gination nicht so leicht möglich. Hier ergeben
sich einige Schwierigkeiten beim Processe der
Blastulabildung, und dieselbe wird auch nicht
so einfach durchgeführt, wodurch die Gastrula
eine Form erlangt, die verschieden von der
oben angegebenen einfachsten Form ist. Als
Paradigma dient uns hiezu das Ei des Fro¬
sches oder noch besser das Ei der Kröte,
deren Laich der embryonalen Forschung leicht
zugänglich ist.
Die Blastulaform des Froschcichens hat
folgendes Aussehen (Fig. 497). Man sieht am
Durchschnitte die Höhle in der oberen Hälfte
des Eies. Bedeckt ist die Höhle der Blastula
von Elementen, welche aus dem Furchungs¬
processe hervorgegangen, die aber um Vieles
kleiner sind als die Elemente auf dem Boden
der Furchungshöhle, welche die seitliche und
untere Circumferenz der Höhle umgeben. Am
unteren Pole des Eies ist von aussen her
makroskopisch ein rundes, weisses, deutlich
begrenztes Feld zu sehen, welches bei fort¬
schreitendem Entwicklungsgänge bis zu einem
kleinen weissen Punkte sich einengt und end¬
lich vollständig schwindet. ^ Das weisse Feld
besteht aus grossen Furchungsstücken, und
in dem Masse, als dieses schwindet, werden
die Elemente kleiner, und es bildet sich an
einem Theile des Umfangs ein Spalt, der da¬
durch zu Wege zu kommen scheint, dass die
grossen Furchungsstücke sich von den klei¬
neren, der Oberfläche näher gelegenen Zellen
ioslösen. Dieser Spalt bildet sich nach und
nach zu einer grösseren Vertiefung aus, welche
von aussen her sich ausbildet und nach einem
gewissen Fortschreiten in der Entwicklung
ein Bild bietet, welches Aehnlichkeit mit der
Gastrula hat. Hiebei gehen aber gewisse Ver¬
änderungen innerhalb des Eies vor sich,
welche zur Bildung des mittleren Keimblattes
führen. Mit der Ausbildung des Urmundes
von dem oralen Pole des Eichens her und
mit der Ausbildung und Erweiterung des
Spaltes zum bleibenden Darmcanal kann man
in einer Reihe aufeinanderfolgender Stadien
beobachten, dass Zellen vom Boden der
Furchungshöhle sich allmälig gegen die Decke
der Furchungshöhle erstrecken, also ihren
früheren Standort verlassen und durch eine
Verschiebung der Formation an die Decke
der Höhle hinanwandern, wo sie das Substrat
für das Mesoderm abgeben. Es zeigt sich also
in diesem Falle, dass nicht nur das Ectoderm
und Entoderm, sondern auch das Mesoderm
aus den Furchungselementen hervorgegangen,
was gleichzeitig mit der Ausbildung der Ga¬
strula geschieht (Fig. 496 und 498).
Bei den meroblastischen Eiern sind die
einzelnen Verhältnisse bei der Anordnung
der Furchungskugeln zu dem in Keimblätter
geschichteten Keime wesentlich anders, als
wir es bisher schilderten. Auch sind die
Bedingungen zur Bildung der Gastrula und
die Form dieser gänzlich different von dem
was bei den holoblastischen Eiern der Fall
war. Nimmt man beispielsweise den Keim
Kleinere Furchungsstücke
Oralor Pol-*
Furchungs-''"
höhle
Aboraler Pol mit grossen
Furcliungs stücken
Fig. 497. Furchungsstadium am Eichen des Frosches mit der
Furchungshöhle. (Blastula-Stadium.)
570
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
eines Hühnerembryos oder denjenigen Theil,
welcher in den Furchungsprocess einbezo¬
gen wird, so findet man, dass er gegen den
Nahrungsdotter nicht durch eine gerade Linie
abgegrenzt ist, sondern es ragen Fortsätze
desselben in den Nahrungsdotter hinein,
welche Keimfortsätze heissen. Als dünner
Anflug setzt sich ein Theil des Keimes auch
seitlich über die Oberfläche des Nahrungs¬
dotters fort (Keimrinde oder Dotterrinde).
Geht nun der Bildungsdotter (Keim, Keim¬
rinde, Dotterfortsätze) in die Furchung über, so
wird anfangs von den Dotterfortsätzen nichts
gefurcht, sondern erst in den späteren Ent¬
wicklungsstadien. Breitet sich der gefurchte
Keim über die Oberfläche des Nahrungs¬
dotters aus und hat seine Circuniferenz eine
gewisse Ausdehnung erlangt, dann entsteht
am Rande eine Verdickung, welche insoferne
von höchster Bedeutung ist, als man an
dieser Stelle die Anlage des eigentlichen
Embryos begegnet. Hier findet sich am Rande
der Uebergang des äusseren Keimblattes in
das Entoderm, und zwischen beiden ist bereits
das Mesoderm gelegen. Das letztere entsteht
also hier am Rande aus den am Keime be¬
findlichen Furchungselementen, und wie die
meisten Autoren in der letzten Zeit überein¬
stimmend annehmen, ist das Mesoderm eine
Provenienz aus Ectodermelementen.
Wächst der Keim weiter fort, so dass
sein Durchmesser auf der Oberfläche des
Nahrungsdotters nach und nach zu-
niramt, dann wird der Embryo all-
mälig grösser, es wird der Streifen,
wo die drei Keimblätter über einan¬
der liegen, länger, und man sieht den
Embryo, welcher früher nur einem
kleinen Knötchen am Rande des Kei¬
mes gleich war, deutlicher ausgebildet
in Form eines Streifens gelagert. Der
Nahrungsdotter ist auch mehr über¬
zogen vom Bildungsdotter, was sich
in dem Masse ausbildet, als man den
grössten Theil des Nahrungsdotters
vom Bildungsdotter eingeschlossen er¬
hält, bis auf einen kleinen Rest am
Schwanztlieile des Embryos, wo ein
kleines Feldchen des Nahrungsdotters
herausschaut. In der Umgebung dieses
Feldchens geht überall das äussere
Keimblatt in das innere über. Hier
wäre also die Stelle, wo wir eine
Aehnlichkeit beispielsweise beim meroblasti¬
schen Eie der Forelle mit dem Blastoporus
beim Amphioxus- oder beim Froschei zu
suchen hätten. Es wäre aber doch voreilig,
da eine Homologie zwischen beiden Bildungen
zu suchen, weshalb man es vorzieht, die Dotter¬
öffnung der Meroblasten mit dem Namen
Blastotrema zu bezeichnen (Fig. 499).
Aus all dem bisher Angeführten geht
hervor, dass die Gastrula eine typische Haupt-
forra bei dcmEntwicklungsprocessc des Thieres
bleibt, dass ferner am Rande der Gastrula,
besonders aber vom Rande des Keimes her
die Ausbildung des Embryos eingeleitet wird,
und dass auch hier der Ort ist, wo das mittlere
Keimblatt sich ausbildet, endlich dass das
Decke der o "•
F urchungshöble
Furchungs-
höhle
0
m
Eetoderm
-'''Mesoderm
Entoderm
Darmhöhle
\
Dotterpfrorf
Spalt (dem Blastoporus
entsprechend)
Fig. 49t 1 . Bildung des Darmes und Mesoderms beim Froschei.
(Nach Stricker.)
Vergrösserter
Keim
Keim
Keim
Fig. 499. Forelleneier, in Entwicklung begriffen. (Loupen-Vcrgvö^serung.)
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
571
Substrat für die Bildung des mittleren Keim¬
blattes aus den Elementen der primären Keim¬
blätter entnommen wird.
Hieraus ergibt sich einer der höchst inter¬
essanten und wichtigen Lehrsätze, welcher
der Entwicklungsgeschichte entnommen wird
und sowohl beim Studium des normalen Wachs¬
thums als auch bei pathologischen Processen
von grösster Wichtigkeit bleibt, nämlich dass
das Substrat für die epithelialen Gebilde, wel¬
ches in den primären Keimblättern (dem Ecto-
derm und Entoderm) liegt, aus den Furchungs¬
elementen direct hervorgeht. Aus diesen aber
bildet sich erst später, u. zw. an dem Ueber-
gange beider genannten Keimblätter in ein¬
ander in der Umgebung des Blastoporus das
mittlere Keimblatt oder das Substrat für
alle anderen Gewebe des thierischen Körpers
mit Ausnahme der Epithelien und der ner¬
vösen Gebilde. Auch das Blut fällt in das
Gebiet der Elemente des mittleren Keimblattes.
Wenigstens stehen die Gebilde des Gefässhofes
und des Fruchthofes, aus denen das Blut sich
entwickelt, in directem Zusammenhänge mit
den Elementen des mittleren Keimblattes im
Bereiche des Embryonalleibes. Ein eigener
Blutbindegewebskeim, wie er von Autoren
noch in den letzten Jahren beschrieben worden
ist, der vom Rande des Keimes, dem sog.
Keimwalle aus gegen den axialen Theil des
Embryos das Blut und die Bindesubstanzen
in den Embryo hineinschicken soll, oder
wenigstens das Substrat dazu existirt nicht.
Eine Ansicht dieser Art kann nach den
Forschungen der letzten Jahre kaum mehr
einen haltbaren Boden finden. Die Epithel¬
formation geht in Form der primären Keim¬
blätter den anderen Gewebsformen vor.
Eine der interessantesten und höchst auf¬
fälligen Erscheinungen bei der Ausbildung
des Mesoblasten zeigt sich im Verlaufe der
Entwicklung des Amphioxuseies. Dieser Ent¬
wicklungsvorgang ist insoferne wichtig und
erwähnenswerth, als er wesentlich verschieden
von dem ist, welchem wir bei den meisten
anderen Thieren begegnen. Er ist wohl früher
schon an den Eiern der Echinodermen beob¬
achtet worden. Es wurde bei diesem Thiere
gefunden, dass sich das mittlere Keimblatt
durch Invagination aus dem Entoderm bildet.
Zugleich aber lässt sich deutlich nach-
weisen, dass auch die im Körper befindliche
Pleuro- und Peritonealhöhle, die serösen Säcke,
gleichfalls nur Abkömmlinge aus dem Darm-
canale sind, somit auch die ganze Pleuro¬
peritonealhöhle (Coelom) des Embryos von den
Elementen des inneren Keimblattes ausge¬
kleidet ist. Es entsteht beim Amphioxus das
Mesoderm durch Invagination aus dem Ento¬
derm. Die umstehenden Figuren erläutern das
Gesagte (Fig. 500 a, b,c). Zugleich wird auch
nachgewiesen, dass die Chorda dorsalis in ähn¬
licher Weise wie die auskleidenden Elemente
des Coeloms aus dem Entoderm gebildet wird.
Mit Rücksicht auf diese eigene Art der Bil¬
dung des Coeloms durch Invagination aus dem
Darmcanale werden auch Unterschiede bei
der Eintheilung im Thierreiche versucht. Man
bezeichnet solche Thiere, deren Peritoneal¬
höhle sich in der eben genannten Weise wie
beim Amphioxus bildet, als Enterocoelier,
zum Unterschiede von denjenigen Thieren, bei
welchen in einer solid geordneten Lage von
Mesodermelementen durch Spaltbildung das
Coelom entsteht, die demnach als Schizo-
coelier bezeichnet werden. Unter Berücksich¬
tigung dieser Erscheinungen am Amphioxus-
eichen sucht man auch die Bildung des
Mesoderms bei Eiern anderer Thiere in ähn¬
licher Weise zu erklären, indem man die Er¬
scheinungen bei den Embryonen, soweit sie
die Vorgänge um den Blastoporus betreffen,
welche sich auf die Bildung des Mesoderms
beziehen, mit jenen am Amphioxusei zu
vergleichen sucht. Es ist uns schon be¬
kannt, dass man beispielsweise bei mero¬
blastischen Eiern (Huhn) die ganze Anlage
des Embryos um den Blastoporus am Rande
des Keimes findet. Hier geht auch das Ecto-
derm in das Entoderm über. Allein in der
Bucht an derUmbiegungsstelle'zwischen beiden
finden sich Elemente, die anfangs ganz in
der Nähe des Schwanzendes total untrenn¬
bar von den früheren Elementen bleiben,
oder es ist wenigstens keine Trennungscontour
zwischen ihnen zu beobachten. Diese Ele¬
mente sind die ersten Spuren eines Mesoderms.
So weit steht die Sache bei den höheren Verte¬
braten. Da nun bei diesen alle Gebilde als
epiblastisches Product angesehen werden
müssen, so muss demnach bei diesen Thieren,
wo das Coelom eine Spaltbildung ist (Schizo-
coelier), ein schroffer Gegensatz zu den Entero-
coeliern bestehen. Es zeigt sich aber bei näherer
Prüfung der Bildungsvorgänge in diesem Sta¬
dium, soweit sie sich auf das Entstehen des
mittleren Keimblattes beziehen, dass sowohl
das Ento- als auch das Mesoderm aus dem
Ectoderm hervorgehen, jedoch immer in der
Weise, dass das erste Product das Entoderm,
das zweite das Mesoderm ist. Liegen diese
beiden Vorgänge zeitlich aus einander (Am¬
phioxus), so geht die Mesoblastbildung von
dem invaginirten Ectoderm aus; fallen sic
aber nahe oder gänzlich zusammen (höhere
Wirbelthiere), so erscheint das Mesoderm aus
dem Ectoderm direct hervorgegangen. Diese
Betrachtungen nebst einer Reihe von anderen
Lehren über die Genese der Keimblätter,
welche in den letzten Jahren die Literatur
über diesen Gegenstand ausfüllen, führen uns
an diesem Orte zu weit und gehören in eine
hierüber speciell handelnde Schrift. Hier seien
nur die Hauptzüge über die Genese der Keim¬
blätter, soweit sie mit den bezüglichen Form¬
veränderungen in dem frühen Stadium der
Entwicklung Zusammenhängen, gegeben, und
soweit dieselben sich auf die Hauptgruppen
der Eichen beziehen.
Auf einen in den letzten Jahren genauer
beschriebenen Abschnitt des Eies, den sog.
Primitivstreifen bei den verschiedensten
Embryonen, haben wir hier noch Rücksicht
zu nehmen. Sein Bildungsvorgang hängt mit
der Blastulation und der Mesodermbildung
innig zusammen.
572
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
Fig. 500 a. Auf dem Querschnitte ist ersichtlich, dass die Chorda und die Peritonealhöhle aus dem Entoderm gebildet
werden. (Enterocoelier. [Waldeyer)].
Entoderm
liückonwulst Centraluervensystem
i /
»Ectoderm
Fig. 500 b. Schema der MesoblastbUdung durch Invagiuation. Auf dem Querschnitte der zwei Keimblätter.
Rückenwulst Nervensystem
Gastrisches Mesoblast —
Fig. 500 c. Durch Invagination die Chorda und das Coelom ausgebildet. (Waldeyer.)
Wir wollen hier zuerst feststellen, was
man unter dem Namen Primitivstreifen ver¬
steht, und dies zugleich an dem Embryo des
Hühnchens naher erläutern.
Wenn man den Hülmerembryo in der
frühesten Zeit, ungefähr am ersten Tage der
Bebrütung, näher untersucht, so beobachtet
man einen hellen Hof (area pellucida), welcher
von einem dunklen Hofe (area opaca) umgeben
wird. Am zweiten Tage der Entwicklung sind
die beiden concentrisch gelegenen Höfe noch
deutlicher von einander getrennt, und man
kann die Ueberzeugung erlangen, dass der
äussere Hof von der massenhaften Gefäss-
bildung (Gefässhof) dunkler erscheint als der
innere, welcher den Embryo in Form eines
Streifens zeigt. Dieser Streifen stellt schon
den Embryo dar. Er wird fälschlich auch
Primitivstreifen genannt. Soweit an ihm der
Embryonalleib mit den Keimblättern und den
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
573
Anlagen in denselben ansgebildet ist, kann
der Name Primitivstreifen nicht ange¬
wendet werden. Dieser Name bezieht sich
nur auf das am Schwanzende gelegene grössere
oder kleinere Stück, aus dem der Embryonal¬
leib sich bildet, und der in dem Masse
schwindet, als er nach und nach zur Bildung
des Mesoblasts und damit auch des Embryos
einbezogen wird. In dem ausgebreiteten Keime
oder dem Hahnentritte des Vogeleies sieht
man am Bande die ersten Spuren zur Bildung
des Embryos in Form einer sog. Sichelrinne.
Der Embryo entsteht auch hier in ähnlicher
Weise am Rande des Keimes wie bei den
Fischembryonen. Bald wird diese Sichelrinne
von einer länglich ziehenden Furche ge¬
schnitten. Beide bilden eine Vertiefung, dem
Blastoporus entsprechend. Die Elemente,
welche um diese Vertiefung liegen, bilden
mit ihr zusammen den Primitivstreifen. Die
Elemente werden allmälig zum Embryonal¬
leibe umgestaltet und formiren beim Wachs-
thume in erster Linie das Kopfende, während
am Schwanzende noch Reste des Primitiv¬
streifens Zurückbleiben, die später erst zum
Aufbaue des Embryonalleibes einbezogen
werden. Von der Vertiefung bleibt anfangs
noch ein Theil der Längsrinne, bis auch
diese schwindet und nur der Blastoporus als
letzter Rest der Sichelrinne zurückbleibt. Aus
dem Gesagten geht hervor, dass der Primitiv¬
streifen in seiner Entstehungsweise und bezüg
lieh seiner Verwendung von grosser Wich¬
tigkeit ist, indem man durch seine genaue
Kenntniss sowohl die Bildung des Mesoderms
als auch die Gastrulation im Thierreiche
kennen lernt, ferner alles über die ersten Wachs¬
thumserscheinungen am Embryo vom Schwanz¬
ende gegen den Kopftheil des Embryos er¬
fährt (Fig. 501 a, b).
Mit diesem Abschnitte wollen wir auch
den allgemeinen Theil Über die Entwicklungs¬
geschichte des Thierreiches abschliessen,
indem wir uns hier auf die Haupteigenschaften
(ontogenetische Merkmale oder Eigenschaften)
während der Entwicklung beschränken, Und
wollen zur Ergänzung einige wichtige Vor¬
gänge, wie sie sich am Thierleibe in der
Anlage der Organe zeigen, besonders er¬
wähnen. Eine vollständige Beschreibung der
Entwicklungsgeschichte der einzelnen Organe
lässt sich hier schwierig — wegen des knappen
Raumes, der diesem Capitel eingeräumt werden
kann — durchführen. Wir wollen daher hier nur
die Anlagen in den einzelnen Keimblättern
beschreiben, so dass demjenigen, der nicht
versirt in dem Fache ist, eine übersichtliche
Darstellung der Entwicklungsvorgänge im
Embryo gegeben werden soll.
Fig. 601a. Primitivstreifen in zwei frühen Entwicklungs¬
stadien. (Kupffer.)
Rest des hinteren
Langschenkel
der Primitivrinne
Fig. 601h. Hühnerembryo mit 9 Urwirbeln. (Kupffer.)
Anlagen im Ectoderm.
Mit diesem Namen bezeichnet man jene
Zellenlage im Embryo, welche die ganze
äussere Oberfläche des Keimes bedeckt und
welche in der Regel aus einer gemeinschaft¬
lichen mehrzelligen Lage von Zellen besteht.
Nur bei denjenigen Wirbelthieren, welche kein
Amnion besitzen, ist das äussere Keimblatt
gleich vom Anfänge her aus zwei Zellenlagen
zusammengesetzt, von denen das äussere
Stratum einzellig und das innere mehrzellig
ist. In dieser anfänglichen Sonderung ist auch
eine Verschiedenheit in der Verwendung für
die Gebilde des späteren Organismus gegeben.
Die äussere Lage ist nur das Substrat für
die Horngebilde, während die innere Lage
den Nervengebilden, sowohl den centralen als
auch den peripheren, zur Anlage dient. Aus dem
Ectoderm gehen folgende Organe hervor: das
centrale und periphere Nervensystem, die
Anlage des Auges, die Chorda dorsalis, die
Ganglien des Cerebrospinal- und des sympathi¬
schen Nervensystems. Diese erwähnten Organe
haben ihre erste Entstehungsweise im axialen
574 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
Theile des Ectoderms. Der periphere Theil,
welcher sich von ihm ab schnürt, dient folgenden
Organen zur Anlage: der Lens crystallina und
dem äusseren Epithel der Cornea, dem Laby-
rinthbläschen und somit $en Nerven und Horn¬
gebilden der Schnecke sammt denen der
Bogengänge, des saeculus hemisphaericus und
hemiellipticus. Ferner gehen aus dem periphe¬
ren Theile des äusseren Keimblattes hervor:
die Epithelialgebilde der Haut sammt allen
verschiedenen Formen von Horngebilden, die
sich in Form einer Lage von Zellen bei den
Amnioten als inneres Epithel des Amnions
längs dieser Membran fortsetzen. Der peri¬
phere Theil des Ectoderms setzt sich endlich
auch durch die Mundhöhle bis zu einer ge¬
wissen Grenze als Ueberzug bis an das
Entoderm fort, wo die Anlage der Zähne und
anderweitiger Hornformationen aus demselben
gebildet werden. Am Schwanzende geht das
Ectoderm in das Entoderm über.
Das Centralnervensystem ist eines
der am frühesten angelegten Organe im
Wirbelthierembryo. Es liegt anfangs als eine
verdickte Zellenmasse auf der Oberfläche des
Embryos und kommt später durch die Wachs¬
thumsverhältnisse in die Tiefe des Körpers,
umhüllt und geschützt von den Gebilden des
mittleren Keimblattes, zu liegen. Das Vor¬
handensein des empfindenden Theiles auf der
Körperoberfläche erinnert an Zustände, wie sie
bei den niederen Thieren im ausgebildeten
Individuum normal Vorkommen, wo gleich¬
falls die empfindenden Theile im Körper nur
auf der Oberfläche sind.
Die Verdickung der Elemente des Cen¬
tralnervensystems ist eine rein locale und
zieht vom Kopfe bis an das Schwanzende.
Bald erheben sich beiderseits am Rande der
Verdickung die Elemente zu zwei länglich
ziehenden Wülsten, die Rückenwülste,
durch welche eine Furche seitlich begrenzt
erscheint, die den Namen Rückenfurche
führt. In dieser Form zeigt sich das Central¬
nervensystem bei den Wirbelthieren. Man
findet am Kopftheile die Furche weiter als
in der Mitte des Embryonalleibes, wo die
Rückenwülste höher sind. Am Schwänze findet
abermals eine Erweiterung der Furche statt.
Die beiden Rückenwülste, welche die Furche
begrenzen, kommen am Rücken des Embryos
einander näher und vereinigen sich, bis sie
mit einander verwachsen sind und sich der
periphere Theil des äusseren Keimblattes von
dem axialen, beziehungsweise dem Central¬
nervensysteme abgeschnürt hat. Es hat sich
somit die Rückenfurche dadurch zu einem
länglichen Canale umgeformt, welcher den
canalis centralis medullae spinalis darstellt.
Die Elemente, welche ihn umgeben, bilden
das Substrat für die Elemente des Gehirnes
und des Rückenmarkes. Au3 ihnen gehen
hervor sämmtliche nervösen Elemente des
Centralnervensystems, die epitheliale Aus¬
kleidung des Centralcanals und jene Art von
Gewebe, welche in der sog. Neuroglia sich
vorfindet, die aus dem Ectoderm sicn bildet.
Während das Nervensystem diese Form¬
änderungen durchmacht, wird es zugleich von
den Elementen des Mesoderms ringsherum
umgeben und trennt am Rücken den abge¬
schnürten peripheren Theil des Ectoderms
vom Centralnervensystem. Aus diesen umge¬
benden Elementen stammen alle knöchernen
und bindegewebigen Gebilde, die das Central¬
nervensystem umgeben, und ferner jener Theil
des Bindegewebes, welcher von der Umge¬
bung mit den Gefässen gegen das Central¬
nervensystem wuchert.
Nicht bei allen Thieren bildet sich das
Centralnervensystem in derselben Weise. Bei
den Knochenfischen, und besonders schön zu
beobachten bei den Salmonen, bildet das
Gehirn und Rückenmark in der frühesten
Anlage eine solide Zellenmasse, gleichsam im
axialen Theile einen soliden, der Länge nach
geordneten Kiel, in welchem durch Dehiscenz
der Zellen in dessen Längsaxe ein Canal
entsteht, der dem künftigen canalis centralis
medullae spinalis entspricht.
Das geschlossene oder noch zum Theil
offene Centralnervensystem des Hühnerembryos
ist am Schwanzende am Primitivstreifen noch
eine Zeitlang an einer kleinen circumscripten
Stelle solid ohne Andeutang einer Furche.
Von der Rückenfurche aus gelangt man,
eine kurze Zeit bevor das Rohr geschlossen
ist, durch einen kurzen Gang (canalis neuro-
entericus) durch den Urmund in das Darmrohr.
Besonders deutlich ist dies an guten Präpa¬
raten auf Sagittalschnitten durch Froschlarven
zu sehen. Der Canalis neuro-entericus ist be¬
sonders bei der Gastrulation der Wirbelthiere
sehr zu beachten.
Das Centralnervensystem bleibt nicht lange
in der geschilderten primitiven Form. Am Kopf¬
theile wird dasselbe zu einer erweiterten blasigen
Auftreibung, welche schon in der frühesten
Anlage durch die erweiterte Furche zu sehen
war, sich umgestalten, in der gleichsam Seg-
mentirungen, entsprechend mehreren blasen¬
förmigen Erweiterungen, Vorkommen, die unter
einander communiciren. Diese Abschnitte füh¬
ren den Namen Gehirnblasen. Sie werden
im ausgebildeten Zustande fünf an Zahl. Als
die erste ist die vorderste am Kopfende be¬
zeichnet. Die Gehirnblasen machen auch eine
Reihe von Krümmungen durch, indem sie
nicht in einer Ebene zu liegen kommen. Die
erste Krümmung findet zwischen der ersten
und zweiten Gehirnblase statt. Sie führt den
Namen Hakenkrümmung. Die zweite bildet
sich an jener Stelle aus, wo künftighin der
pons Varoli zu liegen kommt. Sie wird Brücken-
krümmung genannt. Die dritte oder hinterste
wird Nackenkrümmung genannt. Die Gehim-
blasen und ihre Stellung zu einander werden
leicht an Wirbelthieren beobachtet und eignen
sich Hühnerembryonen vom dritten und vierten
Tage der Entwicklung hiezu am besten. Die
einzelnen Hirnblasen haben auch noch andere
Namen, durch welche ausgedrückt wird, was
aus diesen einzelnen Abschnitten mit Rück¬
sicht auf das ausgebildete Hirn sich heraus¬
bildet (Fig. 502 a, b, c).
Digitized by A^OOQle
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
!>7!>
Ceutralcanal des Nervensystems.
Aeussere einzellige Lage
des Ectoderms
Tiefere mehrzellige Lage/'
des Ectoderws
Umgebende Elemente
Ceutralnervensystein-j-‘
Entoderm
i
Centralnervensystem vom Frosche, abgeschlossen.
Fig. 502 a.
Rückenfurche Rückenwulst
Fig. 602 b. Nervensystem und Chorda auf dem Querschnitt vom Hühnerembryo des zweiten liebrtttungstages.
Centralnervensystem
Fig. 502 c. Bildungsweise des Nervensystems bei den Salmonen, auf dem Querschnitte eines Embryos ersichtlich.
Die erste Hirnbiese wird auch Vorder¬
oder Grosshirnblase genannt, da aus ihr die
beiden Grosshimhemisphären sich ausbilden.
Die zweite Gehirnblase wird Zwischenhirn¬
blase genannt. Aus ihr geht der Talamus
opticus hervor, weshalb sie Sehhügelblase
genannt wird. Die dritte Hirnblase ist die
grösste. Sie heisst auch Mittelhirn- oder Vier¬
hügelblase, da die Corpora quadrigemina oder
bigemina sich aus ihr entwickeln. Sie ragt
am meisten von allen Gehirnblascn hervor
und fällt dadurch zuerst auf. Aus der vierten
Gehirnblase wird das Kleinhirn. Sie heisst
auch Kleinhirnblase und wird zuweilen als
Hinterhirnblase bezeichnet. Endlich die letzte
Gehirnblase wird als Nachhirnblase bezeich¬
net. Sie dient dem vierten Ventrikel zur
Grundlage.
Von den letzten zwei Gehirnblasen ist
jene Circumferenz, die gegen den Kücken des
Embryos sieht, auffällig dünn, und legt sich
die dorsale einzellige Lage von Zellen des
Rohres in der fünften Gehirnblase im Verlaufe
der Entwicklung an die umgebenden Gebilde
des mittleren Keimblattes derart an, dass sie
sich vom Rohre trennt, und es bleibt dadurch
der fünfte Ventrikel bekanntlich gegen die
dorsale Wand offen.
Ausser der angeführten Verwendung des
ursprünglich angelegten Medullarrohres ist
noch zu beachten, dass aus dem gegebenen
Substrate das gesammte Gehirn hervorgeht,
576
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
auch jene Theile, welche hier nicht angeführt
wurden, wie die grossen Ganglien in der
Wandung der Gehirnblase, die verschiedenen
Faserzüge, deren Verlauf bisher ergründet
wurde und bekannt ist, etc. Es sind die an¬
geführten Namen der Gehirnblasen nur nach
den wichtigsten Gehirntheilen, welche aus
ihnen hervorgehen, gegeben. .
Aus dem übrigen Theile des abgeschlos¬
senen Medullarrohres geht das Rückenmark
hervor. Sowohl die graue und die weisse Sub¬
stanz des Rückenmarkes als auch die den
Centralcanal auskleidenden Elemente gehen
aus dein im Embryo gegebenen Substrate für
das Medullarrohr hervor.
Zu den nervösen Anlagen im abgeschnür¬
ten Theile der Elemente des axialen Theiles
des Rückenmarkes gehören auch die Nerven-
ganglien, wie sie im Verlaufe der Cerebro¬
spinalnerven zu finden sind. Man glaubte eine
Zeitlang, dass die Nervenganglien im Gebiete
des mittleren Keimblattes sich da entwickeln,
wo man sie im aus gebildeten Wirbelthiere
findet. Demgegenüber zeigte es sich in neuerer
Zeit durch übereinstimmende Untersuchungen
mehrerer Fachmänner, dass die Ganglien¬
zellen der Cerebrospinalnerven von dem axia¬
len Theile des Ectoderms, u. zw. von dem
unteren und seitlichen Theile des Rücken¬
markes und des Gehirnes des Embryos stammen.
Anfangs sieht man an den bezüglichen
Stellen in gewissen Abständen seitliche Ver¬
dickungen von Zellen, welche bei den späteren
Wachsthumsverhältnissen im Embryo nach und
nach in die Peripherie hinausrücken, bis sie
den Standort erreichen, welchen sie bleibend
im ausgebildeten Thiere einnehmen. Sie bleiben
aber stets durch Züge von marklosen Nerven¬
fasern mit dem Nervensysteme in Verbindung.
Wenn im Verzweigungsgebiete eines Nerven
mehrere von einander getrennte Ganglien
beim entwickelten Thiere Vorkommen, so sind
dieselben im Embryo in der ersten Anlage
in einer Zellenmasse gemeinschaftlich vor¬
handen.
Es sind demnach die Ganglienzellen der
Cerebrospinalnerven directe Abkömmlinge des
Centralnervensystems und mit diesem aus
einem gemeinschaftlichen Substrate hervor¬
gegangen. Auch die Ganglien des Sympathicus
gehen aus demselben Bildangsmateriale her¬
vor. Ihr Auftreten geschieht aber viel später,
und sie stammen aus den Ganglien der Cere¬
brospinalnerven, indem sich Stücke von diesen
ablösen, bei der weiteren Ausbildung des
Nervensystems allmälig von ihren Mutter¬
ganglien entfernt werden ufld mit diesen nur
durch Nervenfaserzüge in Verbindung bleiben.
Aus dem axialen Theile des Nervensystems
bildet sich, wie dies deutlich am Schwanz¬
ende des Embryos zu sehen ist, die Chorda
dorsalis. Am deutlichsten ist der zeitweilige
frühe Zusammenhang der Chorda mit dem
Ectoderm an Embryonen von Salmo fario zu
beobachten. Es ist ferner das Aussehen der
Elemente der Chorda ebenso wie ihr künftiges
Schicksal, gleichsam als Epidermialgebilde
unterzugehen, was besonders für die Annahme
der Angehörigkeit der Chorda zum Ectoderma
spricht.
Die Chorda stellt im Embryo eine läng¬
liche, kielförmige, solide Zellenmasse dar,
welche am Schwanzende beginnt und bis an
die Basis des Gehirnes reicht, wo sie mit einer
kleinen Anschwellung (Chordaknopf) in der
Nähe der vorderen Gehirnblase aufhört. Sie
ist auch bei den Ascidien und anderen Wirbel¬
losen nachgewiesen, wenigstens sind ähn¬
liche Gebilde bei diesen Thieren beschrieben
worden. Dadurch hört sie auf, als ein charak¬
teristisches Merkmal zur Unterscheidung der
Wirbelthiere von den Wirbellosen zu gelten.
Die ersten als Chorda auftretenden Zellen,
welche ectodermaler Natur sind, stellen die
eigentliche Chorda mit der Cuticula,
worunter die oberflächliche Zellenlage ver¬
standen wird, vor.
Dieser Theil wird in späteren Entwick¬
lungsstadien in ähnlicher Weise wie das
Centralnervensystem von den Gebilden des
Mesoderms umgeben, welche den skeleto-
genen Theil der Chorda bilden. In spä¬
teren Stadien der Entwicklung, wo bereits die
Wirbelsäule angelegt ist, sind die Chorda¬
reste derart vertheilt, dass sie innerhalb der
knorpeligen, bezw. knöchernen Wirbelkörper¬
anlage in Form eines dünnen Streifens liegen,
während sie in den Zwischenwirbelbänaern
bauchig aufgetrieben erscheint. Es gibt dieses
Aussehen der ganzen Chorda auf Frontal-
oder Sagittalschnitten das Bild einer Perl¬
schnur. Bald aber bleibt nur der letzte Rest
der Chorda auf die Z wischen wirbelbänder be¬
schränkt.
Endlich schwindet auch dieser gänzlich,
und der Beweis, dass die Chorda dorsalis
(Rückensaite) nur ein embryonales Gebilde ist
und dem künftig ausgebildeten Thiere fehlt,
ist vollständig geliefert. Nur bei manchen
Thieren, wie beispielsweise bei den Selachiern,
ist die Chorda auch ein postembryonales
Gebilde.
Aus dem axialen Theile geht noch schliess¬
lich die erste Anlage des Auges hervor, welche
in Folgendem kurz geschildert werden soll.
Die erste Anlage des Auges ist eine
paarige Aussackung der Zwischenhirnblase.
Es wird hier gleichsam ein Stück aus der
Seitenwand des Gehirnes nach aussen und
seitlich in die Peripherie hinaus verschoben,
bis dasselbe den peripheren Theil des Ecto-
derras nahezu erreicht; nur bleibt von den das
Gehirn umhüllenden Elementen des mittleren
Keimblattes ein Rest zwischen der Ausstülpung
des Gehirns und der epithelialen Bedeckung
auf der Oberfläche des Embryos zurück, so
dass es nicht zu einer Berührung dieser beiden
Stücke kommt. Die Aussackung wird primäre
Augenblase genannt. Sie stellt das Substrat
für die Retina und das Stratum pigmentosum
Chorioideae dar (Fig. 503).
Diese beiden Theile gehen derart aus
der Aussackung hervor, dass diese vorerst eine
Einstülpung von aussen her erleidet; dadurch
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
t
577
bekommt die Anlage des Auges ein Aassehen,
wie dies in anten stehen der Fig. 504 za sehen
ist. Dier darch die Einstülpung geschaffene
Vertiefung ist der Raum, welcher den Glas¬
körper, ein Product aus dem MesQderm, birgt.
Der Raum "besitzt nach unten einen Spalt,
der eine Zeitlang beim Wirbelthierembryo
offen bleibt. Bei manchen Embryonen ver¬
wächst der Spalt vollständig, indem sich die
Berührungsränder desselben mit einander
vereinigen, bet anderen bleiben Spuren dieses
Spaltes vorhanden, welche Gebilde des Meso¬
nahme an jener Stelle, wo sie durch einen
Stiel mit dem Gehirne zusammenhängt, von
den Gebilden des mittleren Keimblattes um¬
geben wird, so ist auch zu erwarten, dass
die umgebenden Elemente in die napfförmige
Vertiefung hineinragen. Wenn sich aber
dieselbe nach unten und innen zu schliessen
beginnt, so wird der Zugang gegen das
Innere des Auges kleiner, bis er nur den
oben erwähnten Streifen erkennen lässt, der
als Pforte anzusehen ist, durch welche die
Elemente des Mesoderms ins Auge gelangen,
Mesoderm gebilde
Fig. 603. Frontal schnitt eines Hühnerembryos vom zweiten Tage der Entwicklung in der Höhe der Augenblasen.
Peripherer Theil des Ectoderms
Obere Ränder der Linsengrube
Linsengrube
Unterer Rand der Linsengrube
Glaskörper in der Einstülpung-
(Mesodermgebilde)
l/l^o i
(I
JiliSE
Mesodermgebilde
— Stratum pigmentosum
chorioideae
-Rest der ersten Augenblase
Retina
Fig. 50L Durchschnitt durch das Auge des Hühnerembryos vom Anfänge des dritten Tages.
derms ins Auge als bleibende Theile des Auges
treten lassen. Dieser Spalt im Embryonal¬
leben, der nach unten und innen in der ein¬
gestülpten Augenblase existirt, wird Augen¬
spalt, Coloboma, genannt. Man sieht diesen
Angenspalt' auch, makroskopisch am Auge
jener Thiere, wo sich bereits das Pigment
ausgebildet vorfindet. Da wo der-Spalt ist,
fehlt das Pigment, was sich durch einen
weisse’h Streifen auf dunklem Grund kund¬
gibt. Da die Augenblase — als seitliche Aus¬
stülpung des Gehirns — ringsherum, mit Aus-
Koch.. Encyklopädie*d. Thiorheilkd. IT. Bd.
um hier die Gefasse des Auges,, den Glas¬
körper, die Membrana hyaloidea zu bilden.
Bei den Augen der Vögel betheiligen
sich noch hier die Gebilde des Coloboma bei
■der Ausbildung des Pecten. Bei den Fischen
sind die Gebilde des mittleren Keimblattes
zusammen mit^Ectodermalelementen an der
Ausbildung des Coloboms thiitig, und beim
Säugethier, wo im postembryonalen Leben
keine Spur eines Coloboms zu finden ist,
bleibt die Eintrittsstelle des Opticus, die sog.
Papilla nervi optici, als der letzte Rest des
37
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578 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
Coloboras. An dieser Stelle trifft man ähn¬
liche Bildungsformen, wie an der Stelle, wo
sich beim Vogel das Pecten oder beim Fische
der Processus falciformis entwickelt. Da bei
diesen Thieren die Eintrittsstelle für den
Opticus im Ange mit den erwähnten Gebilden
zusammenfällt, so bleibt es als endgiltig aus¬
gesprochen, dass die Papilla nervi optici
ebenso wie das Pecten und der Processus
falciformis mit der Bildung des Opticus und
dem Verschlüsse des Coloboms zusammen¬
fallen.
Die eingestülpte Augenblase besitzt zwei
Lamellen, eine innere, dickere, mehrzellige
Lage und eine äussere, dünnere, in der Regel
einzellige Schichte. Aus der ersteren werden
sämmtliche Schichten der Retina inclusive
der Zapfen- und Stäbchenschichte gebildet.
Die letztere wandelt sich in das stratum
pigmentosum Chorioideae um. Der Abschnitt
der Augenblase, welcher mit dem Gehirne
in Verbindung bleibt und temporär während
des Entwicklungslebens existirt, wird als
Stiel des Opticus bezeichnet.
So weit die Anlage des Auges, insoferne
es sich hier um die Bildung der licht¬
empfindenden Platte (Retina) und des Pig¬
mentes handelt. Die anderen Bestandtheile
finden ihre Anlage im peripheren Theile des
Ectoderms, deren Beschreibung hier folgen soll.
Aus dem peripheren Theile des Ecto¬
derms gehen eine Reihe von Organen oder
Organbestandtheilen hervor, welche theilweise
ohne Mitwirkung des Mesoderms zu Stande
kommen. Wir führen hier in erster Linie, an
das Auge anschliessend, die Linse und das
äussere Epithel der Cornea an. Die erste
Anlage der Linse ist in einer localen Ver¬
dickung der Ectodermelemente auf der Ober¬
fläche des Embryos zu sehen, welche genau
gegenüber der napfförmigen Vertiefung der
Augenlinse zu liegen kommt.
An dieser Stelle zeigen die Ectoderm¬
elemente in auffälliger Weise bei allen jenen
Thieren, wo sich Pigment im ganzen Ectoderra
bildet, keine Spur einer Pigmentbildung. Aus
dieser zur Linse bestimmten Zellenmasse
geht auch das äussere Epithel der Cornea
hervor, nachdem die Linse sich abgeschnürt
hat (s. Fig. 504).
Die Linsenbildung aus der verdickten,
pigmentfreien Masse geht folgendermassen
vor sich. Zuerst beobachtet man, dass sich die
erwähnte Zellenmasse vertieft. Es wird hie¬
durch eine Linsengrube geformt. Die Grube
besitzt eine runde Öeffnung. Ihr Begrenzungs¬
rand sucht sich allmälig zu vereinigen, und
die vordere obere Circumferenz strebt nach
unten und hinten sich anzulegen. In dem
Masse, als dies geschieht, wird die Öeffnung
immer kleiner, bis sie schwindjet und die’
Linsengrube in eine Linsenblase umge¬
wandelt wird. Die Elemente der Linsenblase
liegen dann in den Mesodermgebilden einge¬
schlossen, während der Rest der Ectoderm-
gebilde, von dem sich die Linscnblase abge-
geschnürt hat, zum äusseren geschichteten
Epithel der Cornea umgestaltet wird.
Die Linsenblase verändert sich im wei¬
teren Verlaufe derart, dass ihre innere Circum¬
ferenz zu Fasern sich umgestaltet, während
die äussere als ein verdicktes Epithel der
hinteren Fläche der vorderen Linsenkapsel¬
wand zurückbleibt. Die innere Hälfte der
Linsenblase zu Fasern umgestaltet, zeigt eine
gewisse Schichte, in der die Kerne der ein¬
zelnen Fasern liegen. Man bezeichnet die
Zone als Kernzone (Fig. 505). Zwischen den
Linsenfasern und dem Epithel, an der hinteren
Fläche der vorderen Linsenkapselwand besteht
ein Spalt, der nur kurze Zeit dauert, und das
Ephithel geht seitlich direct in die Fasern der
Linse über. Die hintere Oberfläche der Linse trägt
in der Mitte eine kleine Verdickung, welche
in Form einer Erhabenheit über das Niveau
hinüberragt. Um die Verdickung ist eine cir¬
culare Furche, auf welche am Rande ein er¬
höhter Wall folgt. Von diesem' schlägt sich
ein Theil von oben und unten derart nach
innen gegen das Auge um, dass ihre Ränder
aneinander stossen, und wenn sie sich be¬
rühren, so bilden sie eine Linie an der
hinteren Fläche der Linse, wie das bei¬
spielsweise bei der Linse des Kaninchens
oder des Haifisches etc. zu sehen ist oder bei
allen jenen Linsen, welche man als Linsen
mit bipolarer Anordnung der Linsenfasern
bezeichnet. Die beiden im Randwalle an der
hinteren Fläche befindlichen Massen der
Linsenfasern schlagen sich in diesen Linsen
nach vorne um und bilden durch ihr Zusam¬
mentreffen an der vorderen Fläche eine Linie,
die in ihrer Richtung in Bezug auf die hintere
Linie diese kreuzt.
Man erklärt sich leicht auf diese Weise
das Zustandekommen der bipolaren Anord¬
nung der Linsenfasern. Die multipolare An¬
ordnung der Linsenfasern mit der sternför¬
migen Figur an der vorderen und hinteren
Fläche der Linse, durch die Anordnung der
Linsenfasern bedingt, wie dies beispielsweise
am Auge des Rindes, Pferdes etc. vorkommt,
kommt dadurch zu Stande, dass von dem äus¬
seren Walle an der hinteren Fläche nicht
nur nach zwei auf einander senkrechten Rich¬
tungen die Umkrärapung der Fasern stattfindet,
sondern dies geschieht mehrfach in radiärer
Richtung bei den Linsen mit multipolarer
Anordnung der Fasern oder besser in mehreren
auf einander senkrecht stehenden Richtungen.
Zu den Gebilden, welche aus dem peri¬
pheren Theile des Ectoderms hervorgehen,
gehört ferner die Anlage des Labyrinths. An
einer umschriebenen Stelle auf der Oberfläche
des Embryos, w r o sich das Gehörorgan aus¬
bildet, zeigen sich auf beiden Seiten am
Embryo paarig in der Anlage ähnliche Vor¬
gänge, wie wir sie bei der Anlage der Linse
geschildert haben. Es kommt zu einer Ein¬
stülpung des Ectoderms in Form eines Grüb¬
chens, welches das Labyrinth grübchcn dar-
. stellt. Aus diesem geht in ähnlicher Weise
durch Vereinigung des Randes und Abschnü¬
rung von der oberflächlichen Zellenlage ein
Bläschen hervor, welches Labyrinthbläs¬
chen genannt wird (Fig. 505). Das Labyrinth-
Digitized by
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
579
bläschen ist ein Ectodermgebilde, von den Ele¬
menten des Mesoderms eingeschlossen. Es ent¬
hält somit sämmtliche Elemente, aus denen die
nervösen und Horngebilde des Labyrinths her¬
vorgehen, während die umgebenden knöchernen
oder knorpeligen Elemente des Labyrinths
Producte aus den das Labyrinthbläschen um¬
gebenden Mesodermgebilden darstellen.
Das Labyrinthbläschen macht in kurzer
Zeit nach seinem Entstehen eine Reihe von
Formveränderungen durch, welche zu den
bleibenden Formen des Labyrinthes des aus¬
gebildeten Thieres führen. Zunächst wird man
beobachten, dass das Bläschen sich in der
Richtung gegen die Basis der vierten Gehirn¬
blase verlängert. Es entsteht hiedurch eine
Fortsetzung in Form des noch nicht spi¬
ralig gedrehten Ductus cochlearis, dessen
innere Wandung dicker als die äussere ist.
An diesen setzt sich vom Nervensysteme her
die Ganglienmasse als Ganglionspirale an. Vom
Reste der Labyrinthblase werden gleichsam
durch das Eingreifen * der umgebenden Ele¬
mente des mittleren Keimblattes die halb-
zirkelförmigen Canäle abgeschnürt. Aus den
Elementen in der Verdickung des Ductus
cochlearis geht das Cortische Organ, die
Reissner’sche Membran, die auskleidenden
Gebilde des häutigen Labyrinthes etc. hervor.
An diesen Theil des Labyrinthes, welcher zur
Empfindung der Gehörswahrnehmungen dient,
legt sich in späteren Entwicklungsstadien der
schalleitende Apparat, das Mittelohr und
das äussere Ohr, während der Ausbildung an.
Fig. 505. Durchschnitt durch das Auge eines Hühnerembryos vom vierten Tage der Bebrütung.
Mesoderrogebildc Vereinigung der beiden Amniosfalten am Rücken des Embryos
Fig. 506. Querschnitt durch einen Hühnerembryo zu Anfang des dritten Tages der Entwicklung.
37 *
580 ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
Der letztere Vorgang wird bei der Ausbil¬
dung des Mittelohres geschildert.
Zuletzt sei noch hier das Geruchsorgan
in seiner frühen Anlage geschildert. Dieses
manifestirt sich in der frühesten Entwicklungs¬
zeit^ ganz analog dem Labyrinthgrübchen und
der" Linsengrube. Sobald sich die paarige
Vertiefung zu beiden Seiten ausgebildet hat,
werden die Zellen höher, und gleichzeitig wird
die" ganze Zellenmasse im Grübchen dicker.
Es kommt aber hier nicht über die Grübchen¬
bildung hinaus; nur werden die ursprünglich
angelegten Geruchsgrübchen grösser und ge¬
räumiger, was mit den Bildungsverhältnissen
im Mesoderm zusammenhängt.
Ferner sei noch hier hervorgehoben, dass
das Ectoderm das innere Epithel des Am¬
nions liefert, so dass der ganze Amnionsack
von den Elementen .des Ectoderms ausge¬
kleidet ist. Dieses schlägt sich mit dem
Mesoderm über den Bücken des Embryos und
participirt somit an der Amnionbildung.
Wir haben schon wiederholt hervorge-
„ hoben, dass aus dem peripheren Theil die
Horngebilde, wie sie in der verschiedensten
Form im Thierreiche % Vorkommen, hervor¬
gehen. Die *in Verhornung begriffenen Zellen
zeigen eine Metamorphose ihres Protoplasmas,
welche ähnlich der beginnenden Fettmeta-,
morphose ist. Es treten in den Zellen runde,
tropfenartige Massen auf, die anders licht¬
brechend werden als der übrige Zellenleib.
„ Die Tropfen schrumpfen zusammen, und neben
ihnen bilden sich neue tropfenartige Meta¬
morphosen, welche gleichfalls zusammen¬
schrumpfen; dieser Process wiederholt sich
so lange, bis die ganze Zelle chemisch um¬
gestaltet ist und zugleich ihr Aussehen ein
total anderes wurde. Sie bekommt nämlich
das Aussehen, als wäre sie wie von einer
staubartigen Masse durchsetzt. Es sind durch¬
wegs feine Körnchen, in welche das Proto¬
plasma umgewandelt wurde. In diesem Zu¬
stande beginnt die Zelle härter zu werden
und erlangt auch die .übrigen Eigenschaften
der Hornsubstanz.
Wir kennen ein eigentümliches Ver-
hältniss im Ectoderm mit Rücksicht auf die
Anordnung der Zellen, welches sich auch im
Entwicklungsgänge bei den Anlagen in ver¬
schiedener Weise manifestirt Dieses Ver-
hältniss besteht darin, das^ es einige Thiere
gibt, bei denen das Ectoderm aus einer ge¬
meinschaftlichen Lage von Zellen besteht,
während bei anderen gleich vom Anfänge an
das äussere Keimblatt aus zwei Zellenlagen
besteht (s. Fig. 502 a, Frosch). Bei diesen wer¬
den im peripheren Theile des Ectoderms das
Labyrinthgrübchen, die Linse, überhaupt die
nervösen peripheren Gebilde aus der tieferen
Schichte geformt, während die oberflächliche
Schichte nur-zu Horngebilden umgewandelt
wird. Bei den ersteren, wo eine Sonderung
in zwei Schichten nicht vorliegt, gehen beide
Arten der Gewebe aus einer Schichte .hervor.
Im Allgemeinen lässt es sich bisher fest-
. stellen, dass bei den Anamnien das Ectoderm
von seinem Anfänge aus zwei Zellenschichten
besteht, während die^Amnioten nur eine ge¬
meinschaftliche Zellenlage für sämmtliche
Nerven und Horngebilde besitzen.
Das Mesoderm.
Mit diesem Namea bezeichnet man eine ge¬
meinschaftliche, in der Mitte des ausgespannten
Keimes liegende zusammenhängende Zellen¬
lage, die vom Ectoderm nach aussen und
vom Entoderm nach innen zu bedeckt ist. In
ihr liegt das Substrat für sämmtliche Organe
und Gewebe, welche nicht im Ecto- und
Entoderm zu suchen sind. Seine Gebilde be¬
theiligen sich aber, wie "in jüngster Zeit
nachgewiesen worden, zur Epithelformation
für jene Districte, wo die Epithelien weder
vom äufcseren, noch vom Inneren Keimblatte
hin gelangen können. Solche Orte besitzen
eine Epithelbedeckung, von der man in neuerer
Zeit sagt, dass die Elemente Endothelien '
sind, zwischen denen, noch Räume beschrieben
werden, welche mit Rücksicht auf ihre phy¬
siologische Dignität als resorbirende Stomata *
gekannt sind und zum Durchgang einer Flüssig¬
keit (Lymphe) bestimmt sind. Es lässt sich
aber nicht leugnen, dass man den Namen
Endothel nur in sehr beschränkter Weise an-
wenden darf, indem gewisse Gebiete ihre
Epithelauskleidung vom mittleren Keimblatte ,
beziehen, ohne dass man -sie in die Reihen
der Endothelien stellen kann. So z. B. wird
niemand von einem Endothel des Ovariums
oder einem Endothel der Niere etc. sprechen,
obgleich die bedeckenden oder auskleidende’n
Epithelien dieser Organe aus dem Mesoderm
entstehen. Es scheint sich der Name Endo¬
thelien nur auf die auskleidenden Elemente
bestimmter Körperabschnitte zu beschränken, *
u. zw. nur auf die Ueberzüge jener Membranen,
welche die sog. serösen Höhlen begrenzen.
In das Bereich der Producte des mitt¬
leren Keimblattes gehört auch die Blutbil¬
dung. Obgleich auch manche Autoren Blut aus
einer Bildungsmasse am Keimwulst in der
Umgebung des Keimes hervorgehen % lassen,
so ist es doch sichergestellt, dass dieser Theil
ein Substrat, aus Furchungselementen gebildet,
darstellt, und ist der Theil, aus dem das Blut
hervorgeht, die sog. Vasogenmembran, mit dem
mittleren Keimblatte in Continuität und ge¬
hört ihm direct an. •
Das mittlere Keimblatt besitzt die aus¬
gedehnteste Verwendung unter allen drei •
Keimblättern zum Aufbaue des Thierleibes.
Sämmtliche Gewebsformen, aus denen der
Körper zusammengesetzt ist, werden aus
diesem Keimblatte geformt, nur nicht die
Nerven und Horngebilde und das Epithel des
Darmes und der sog. Darmdrüsen.
Wenn der Embryo wächst und nach den
verschiedenen Richtungen in den körperlichen
Dimensionen zunimmf, so geschieht die Zu¬
nahme weder im Ectoderm noch im Ente-
derm in so erheblichem Masse, dass sie mit
dem Wachsthuine des Embryos im Einklänge
stünde. Dagegen ist dies nachweisbar, im
Mesoderm der Fall. Hier ist die Zjanahme
der Elemente eine so*auffällig grosse, dass
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. • 58i
die Körperzunahme zumeist nur auf Kosten
der Vermehrung der Mesodermgebilde ge¬
schieht. In der ersten - Hälfte der Entwick¬
lung findet dies in auffällig rascher Weis’e und
in hohem Masse statt. In der zweiten Hälfte
der Entwicklung findet'die Zunahme lang¬
samer statt und verlangsamt sich mehr und
mehr, je weiter vom Beginne der Entwick¬
lung das Individuum entfernt ist.
Die Formveränderungen an dem äusseren
und inneren Keimblatte gehen' stets mit sol¬
chen am ifiittlerefi Keimblatte einher. .Man
suchtp in den Beziehungen dieses Blattes zu
den beiden anderen ein Wachsthumsgesetz fest¬
zustellen, welches in Folgendem besteht: wenn
z.B. zwei Keimblätter zur Bildung irgend eines
Organs einander entgegenwachsen, so stellt
man sich vor, dass ein Kampf zwischen beiden
Blättern sich in derWeise manifestirt, dass eines
dem andern sich endlich anpasst. Bei dieser
Gelegenheit ereignet es sich, dass das Meso¬
derm constant formbedingend auf die Anlagen
in den beiden anderen Blättern wirkt. So lässt
es sich mit Leichtigkeit nachweisen, dass bei
der Ausbildung der Lunge die Elemente des
mittleren Keimblattes, bezw. in späteren Sta¬
dien die Gefasse, eine Vergrüsserung der respi¬
ratorischen Oberfläche dadurch bedingen, dass
die Mesodermgebilde dem Entoderm entgegen¬
wuchern und dadurch Gänge und Bläschen zu
Wege bringen. In ähnlicher Weise werden im
Eierstocke durch die dem Ovarialepithel an¬
liegenden Elemente beim Wachsthume und
der 'Entwicklung des Ovariums die Follikel
ausgebildet. Hier wirken bindegewebige Ele¬
mente des Ovariums auf die epithelialen des¬
selben formbedingend, also Elemente des
mittleren % Keimblattes geben Veranlassung
zur Bildung der Form von anderen Elementen
desselben Keimblattes. Auch in den Beziehun¬
gen des äusseren Blattes zum mittleren lässt
sich in analoger Weise da« angeführte Wachs¬
thumsgesetz erkennen. So sind die Anlagen
der Haare und Drüsen Formgebilde, die an¬
fangs auf der Oberfläche des Embryos liegen
und durch das Wachsen des mittleren Keim¬
blattes in die Tiefe *der Cutis gelangen.
Man ersieht aus dem Angeführten, von
welcher eminenten Bedeutung das mittlere
Keimblatt für das Verständniss des Bildungs¬
ganges der einzelnen Individuen ist. Es ist
nicht nur* eines der wesentlichen Blätter mit
Rücksicht auf seine Entstehungsweisc, son¬
dern von besonderer Wichtigkeit für die Bil¬
dung der einzelnen Organe und für das Ver¬
ständniss des Zusammenhanges der Gewebe.
An diesem Kcimblatte, welches ursprüng¬
lich bei seinem Auftreten eine zusammenhän-
ende Zellenmasse repräsentirt und an der
eine besonderen Unterschiede wahrzunehmen
sind, unterscheiden wir anfangs zwei Abschnitte.
Ein Abschnitt liegt im axialen Theile des Em¬
bryos und ein Abschnitt liegt lateral zu beiden
Seiten des ersteren. Am Schwanzende, in*
der Gegend des Primitivstreifens, hängt das
Mesoderm mit dem Ectoderm und Entoderm
zusammen. Von letzterem ist wohl eine Tren-
nungscontour der gellen beider Keimblätter
zu beobachten.
Bald lagert sicTi der axiale Theil beider
Keimblätter derart zu beiden Theilen des
Nervensystems, dass das mittlere Keimblatt
an dieser Stelle < durch die Chorda dorsalis
und das Centralnervensystcm gleichsam wie
in zwei paarige Stücke gespalten erscheint,
die sich rechts und links vom Nervensysteme
lagern. In diesem lateral vom Rückenmark
liegenden Theile des Mesoderms begrenzen
sich umschriebene Zellenmassen, welche paarig
in^der Höhe des Mitteldarmes entstehen und in
der Richtung gegen das Schwanzende an Zahl
zunehmen, gegen das Kopfende in der Höhe
vor dem Labyrinthbläschen aufhören. Diese
umschriebenen, mit ihrer Umgebung zusam¬
menhängenden Zellenmassen bilden die Ur-
wirbel (s. Fig. 507 a, b). Sie sind wesent¬
liche und besonders hervorzuhebende Theile
des Mesoderms, da sie eine Segmentirung des
Körpers bedingen. Man* nennt sie deshalb auch
Segmente. Sie bilden ferner das Hauptmate¬
riale für die verschiedenen Bindegewebs-
substanzen und Muskeln, welche aus dem
Mesoderm gebildet werden. Bei der Grössen¬
zunahme des Embryos nach den verschie¬
denen räumlichen Richtungen sind es, wie wir
bald selien werden, die Urwirbel, deren Ver¬
mehrung der Elemente die Hauptmasse der
neugebildeten Körpersubstanz ausmacht. Da
nun aus dieser Hauptmasse nicht nur die
Bindesubstanzen, sondern auch die Muskeln
und viele andere Gebilde hervorgehen, so ist
es leicht begreiflich, dass eine Continuität in
diesen Geweben, also ein Zusammenhang des
Bindegewebes mit den Knochen, Knorpeln
und den Muskeln von vorneherein in der
Anlage dieser Gewebe gegeben ist; die Ur-
wirbel sind am ausgebreiteten Embryo im
Fruchthofe leicht zu beobachten. Auf Durch¬
schnitten kann man sich überzeugen, dass die
Urwirbel aus zwei verschiedenen Theilen,
einem peripheren und einem centralen Theil
bestehen (Fig. 507 b).
Der periphere besteht aus radiär ge¬
stellten länglichen Elementen, während der
centrale oder der Kern der Urwirbel die Zellen
dicht gedrängt neben einander liegen hat.
An die Urwirbel nach aussen zu beiden
Seiten grenzen die Uebergangstheile der Ur¬
wirbel in den peripheren Theil des mittleren
Keimblattes. Dieaer zeigt bald eine Spaltung
in zwei Lamellen, welche bis nahe an den
Kopftheil reichen und eine Höhle einschliessen,
welche Pleuroperitonealhöhle (Coelom) gen annt
wird. Alle jene Thiere, bei denen ein Coelom
nachgewiesen wird, sind mit dem Namen
Coelomaten bezeichnet. Die beiden die Höhle
begrenzenden Lamellen sind derart gelagert,
dass die eine der Leibeswand des Embryos
sich anschmiegt und alle Krümmungen und
Biegungen des Ectoderms mitraacht. Sie führt
den Namen somatisches Mesoblast. Die
zweite, die Peritonealhöhle nach innen ^ be
grenzende Lamelle, macht alle Krümmungen
und Biegungen des Darmdrüsenblattes mit
und liegt der Darmwand an. Man bezeichnet
582.
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
diese Lamelle als splanchnisches Meso¬
blast. Sowohl das splanchnische als auch
das somatische Mesoblaslf gehen in einander
über, und ist diese Uebergangsstelle, wie wir
bald sehen werden, für die Anlage des Uro¬
genitalsystems von grösster Bedeutung. Es
wurden die zwei Lamellen, welche das Coo-
lom begrenzen, auch anders benannt. Vom
somatischen Mesoblast ^glaubte man früher,
dass es zum Peritoneum parietale und zu
sämmtlichen Geweben, welche zwischen diesem
und den Muskeln in der Darmwand und den
aus ihr hervorgehenden Gebilden zur Ent¬
wicklung das erste Bildungsmateriale bieten.
Man bezeichnet daher das somatische Meso¬
blast .als Darmfaserplatte.
Sowohl die Hautmuskelplatte als auch
die Darmfaserplatte haben nach unseren
Kenntnissen in letzter Zeit nicht mehr die
ihnen hier vindicirte Aufgabe, sondern ihre
Elemente gehen lediglich nur eine Verände¬
rung zu Epithelien, bezw. zu Endothelien ein,
Fig. 507 a. Querschnitt eines Embryos 1'4cm lang von Mustelus vulgaris in der Höhe der Leber.
Fig. 507 b. Querdurchschnitt in der unteren Körperhälfte eines Hühnerembryos vom dritten Tage der Bebrütung.
und dem Ectoderm in der Leibeswand liegen,
umgewandelt wird.
Somit wurde supponirt, dass sowohl die
eigentliche Cutis als auch die Muskeln in der
Leibeswand, als auch sämmtliche Bindege-
webssubstanzen aus dieser Lamelle von Zellen
hervorgehen. Man bezeichnete sie daher als
Hautmuskel platte.
Das splanchnische Mesobkst dagegen soll
dem Peritoneum viscerale und sämmtlichen
Geweben zwischen dem Peritoneum und dem
Epithel des Darmes, somit dem Bindegewebe
Es wird von diesen Elementen die ganze
Pleuroperitonealhöhle ausgekleidet, zugleich
werden die Gänge, welche die Anlage für
das Urogenitalsystem, die Wolffschen und
Müller’schen Gänge und Elemente, welche
das Epithel des Ovarium bilden, d. i. das
Bildungsmateriale für die künftigen Eichen
der Thiere, geformt.
Wenn wir die Form dieser Zellen, als
auskleidende Elemente des Coeloms, anfangs
betrachten, so ist dieselbe cylindrisch in der
ganzen Ausdehnung. Später bleiben dann die
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. 583
Cylinderepithelien nur dorsalwärts in der
Peritonealhöhle, also nur auf der Übergangs¬
stelle* der somatischen Pleura in die'Splanchno-
pleura begrenzt, während die auskleidenden
Elemente im Bereiche der übrigen Peritoneal¬
höhle mehr oder weniger flach werden. Das er¬
höhte Epithel in der Peritonealhöhle führt den
Namen Keimepithol. Es wird zu jenem
epithelialen Ueberzuge verwendet, welcher
das Ovarialepithel darstellt. Das Keimepithel
ist sowohl beim männlichen als auch beim
weiblichen Individuum im Embryonalleben
vorhanden. Bei den später zu beschreibenden
Anlagen des Embryos sind diejenigen für
das Urogenitalsystem gleichfalls in beiden
Geschlechtern in gleicher Weise vorhanden.
Es ist somit die Zwitterform als diejenige
zu betrachten, welche die normale bei den
Embryonen bleibt.
An der Uebergangsstelle zwischen den
Urwirbeln und der Hautmuskelplatte bildet
sich dorsalwärts aus den Elementen nahe der
Hautmuskelplatte ein länglicher Gang. Dieser
stellt anfangs bei manchen Thieren auf dem
Querschnitte einen soliden Zellenstrang vor,
der später hohl wird. Paarig in der Anlage
zu beiden Seiten des Embryos liegt ein
solcher Gang und zieht gegen das Schwanz¬
ende. Hier vereinigen sich beide Gänge und
münden gemeinschaftlich in die Cloake, d. i.
die Einmündungsstelle säramtlicher Gänge
des Urogenitalsystems und des'Darmrohres.
Die Vereinigung dieser beiden Gänge wird
theilweise in die Wandung der Cloake ein¬
bezogen, welche an dieser Stelle- auch ein
niedrigeres Epithel besitzt. Die beiden be¬
sprochenen Gänge sind die Urnierengänge
oder die WolfTschen Gänge. Sie stellen das
epitheliale Substrat für die Urniere dar,
welche durch seitliche Sprossung aus dem
Gange die aus Schläuchen zusammengesetzte
Urniere* oder den WolfTschen Körper dar¬
stellt, deren gewundene Schläuche in diesen
Gang münden. Aus diesem Gange bildet sich
durch seitliche Sprossung nach der Rücken¬
seite des Embryos jederseits eine Ausstülpung,
die Anlage der bleibenden Niere. Sie
stellt anfangs ein nach hinten am WolfTschen
Gange hängendes längliches Säckchen, welches
anfangs eine bestimmt ausgesprochene hohle
epitheliale Erhabenheit zeigt, der sich die
bindegewebigen Elemente des umgebenden
Mesoderms anlegen. Aus dem WolfTschen
Gange geht ferner beim männlichen Individuum
der Samenleiter hervor und soll der Wölfi¬
sche Körper in einem Theile seines röhren¬
förmigen Organs die Anlage für den Hoden
enthalten. Beim weiblichen Individuum soll
dieser Theil ebenso wie der ganze WolfFsche
Körper untergehen.
Aus dem Epithel, welches den Uebergang
der Hautmuskelplatte in die Darmfaserplatte
bildet, geht noch der Müller’sche Gang hervor.
Dieser bildet vorzugsweise die Anlage für
die Tuben und den Uterus und findet im
männlichen Individuum nach den bisherigen
Angaben keine Verwendung zur Ausbildung
der Genitalien.
Während der Wolffsche Gang mehr nach
aussen liegt, hat der Mtiller’sche Gang ven-
tralwärts seinen Verlauf. Seine Anlage zeigt
sich zu beiden Seiten des Darmes, der im
Stadium des Abschliessens zu einem Rohre
umgestaltet ist, in Form einer Furche. Die
Furche steht offen gegen die Plcuroperitoneal-
höhle und zeigt, wie Querschnitte belehren,
nicht einen gleichen Entwicklungsgang in
seinem ganzen Verlaufe. Auch zeigt die Furche
in gewissen Abständen, die den Segmenten
entsprechen, Unterbrechungen, welche sich
dadurch kundgeben, dass die Furche seicht
und flach wird. Die Furche wandelt sich in
ein abgeschlossenes Rohr um, welches an
seinem oberen Ende offen bleibt und unten
in die Cloake mündet. Das obere offene Ende
entspricht jenem Ostium tubae, welches gegen
die Bauchhöhle offen mündet (s. Fig. 507 a).
Ist die Anlage für die inneren Genitalien
vorhanden, dann wächst dieselbe rasch und
schreitet in der Entwicklung voran. Besonders
bemerkbar wird dieses an dem WolfTschen
Körper, welcher bald einen beträchtlichen
Theil des Körperquerschnittes einnimrat. Da¬
durch entsteht am Embryo zu beiden Seiten
der Wirbelsäule eine hügelartige Hervor-
ragung gegen die Peritonealhöhle, was be¬
sonders an den Querschnitten deutlich her¬
vortritt.
Aus dem Angeführten über das mittlere
Keimblatt ist es ersichtlich, woher das Sub¬
strat für die epithelialen Gebilde, der Anlage
des Urogenitalsystems und der Peritoneal-
endothelien kommen. Unbekannt ist uns noch,
woher der bindegewebige knorpelige, knöcherne
muskulöse etc. Theil des Embryonalleibes
stammen, nachdem diese geweblichen Be-
standtheile aus der Hautmuskelplatte und
Darmfaserplatte nicht hervorgehen.
Zur Aufklärung dieser Thatsache ist es
zweckmässig, die Urwirbel zunächst in ihren
Veränderungen in der Höhe des Mitteldarmes
zu verfolgen. Im Verlaufe des vorschreitenden
Entwicklungsganges werden die Urwirbel
grösser. Die Grössenzunahme lässt sich auf
eine Vermehrung der Elemente des centralen
Theiles der Urwirbel zurückführen, während
jene des peripheren Theiles unverändert
bleiben und nur stellenweise in ihrer Con-
tinuität unterbrochen werden, damit die
Gebilde des Kernes der Urwirbel, welche
nicht mehr auf ihrem bisher ihnen einge¬
räumten Raum sich beschränken können, nach
den verschiedenen Richtungen im Embryonal¬
leibe sich ausbreiten können. In dieser nach
den verschiedensten Richtungen vorgescho¬
benen Formation aus dem Kerne der Urwirbel
ist, wie wir bald sehen werden, das Substrat
für alle Bindesubstanzen und Muskelgewebe
sowohl in der Leibeswand als auch in der
Darmwand gegeben. Wie sich dieses Ver¬
halten nach und nach herausbildet, werden
wir aus Folgendem entnehmen.
Die local sich vermehrenden Elemente
des Urwirbelkernes (centralen Theiles der
Urwirbel), welche zu beiden Seiten des Cen¬
tralnervensystems liegen, lagern sich derart^
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
584
dass sie das Nervensystem vom peripheren
Theile des äusseren Keimblattes durch ihr
Dazwischentreten trennen. Sie umgeben das-
. selbe ferner an der ventralen Seite und
trennen 3ie Chorda vom Bückenmarke, dem
die erstere eine Zeitlang direct anliegt.
Ausser diesem Verbreitungsgebiete der Ur-
wirbelmasse ist noch hervorzuheben, dass sich
dieselbe nach der Peripherie hin fortsetzt
und hier überall den Baum ausfüllt, der sich
durch die Lageveränderung und Anordnung
der Keimblätter ergibt. Diese Bäume sind
anfangs nur sehr klein und liegen zwischen
den Zellenplatten des mittleren Keimblattes
und den angrenzenden Lagen des äusseren
und inneren Keimblattes. Sie werden abe^
durch die hineingeschobene Formation aus
den Urwirbeln allmälig grösser, indem dadurch
die Zellenplatten der verschiedenen Keim¬
blätter aus einander weichen. Der ganze ent¬
standene Baum wird von der Masse der
Zellen, die aus dem centralen Theile der Ur-
wirbel entstanden, ausgefüllt. So sieht man die
Urwirbelmasse sich dorsal zwischen die*soma-
tische Pleura und das Ectoderm erstrecken
und den Raum zwischen beiden vollständig -
ausfüllen. Wir haben somit die Leibeswand
des Embryos aus drei aneinander liegenden
Zellenma8scn gebildet gesehen, von welchen
die mittlere Zellenlage die stärkste wird. Die
drei Zellenlagen sind, von aussen nach innen
gezählt, das Ectoderm, die Fortsetzung der
Urwirbelmasse und die Somatopleura. Alle
drei zusammen bilden die Seiten platte.
Aus der mittleren Schichte der Seitenplatte
gehen sämmtliche Bindesubstanzen und Muskel¬
gebilde der Leibeswand hervor. Ein Theil
derselben ragt vorn* Ectoderm bedeckt über
das Niveau der Körperoberfläche hervor und
wird zur Anlage der Extremitäten, deren
Gewebe mit Ausnahme der Horngebilde im
Embryo in Form einer gemeinschaftlichen
Zellenmasse Zusammenhängen, verwendet.
Es ist somit der Knochen sammt dem
au ihm inserirenden Muskel aus einer beiden
gemeinschaftlichen Zellenmasse — der ür-
wirbelmasse — hervorgegangen, wie dies
die entwicklungsgeschichtlichen Studien der
jüngsten Zeit lehren.
Ueberdies ist noch zu wissen, dass bei
den Thieren, wo der Embryo von einer Hülle,
dem Amnion, umgeben wird, diese Membran
gleichfalls Elemente der Urwirbelmasse in
sich birgt. Das Amnion ist ein Product aus
der Fortsetzung des Ectoderms, welches die
Seitenplatte bedeckt, und der Hautmuskel¬
platte. Beide Lamellen schlagen sich in der
Höhe des Mitteldarmes von beiden Seiten
nach dem Bücken des Embryos und ver¬
einigen sich mit Hilfe einer an den Berüh-
rungsrändem auftretenden Verdickung der
Zellenmasse. Es wird auf diese Weise über
dem Bücken des Embryos der Sack geschlossen.
Zwischen die beiden Lamellen rückt gleich¬
falls die Urwirbelmasse und bildet eine dritte
eingeschobene Zellenlage, welche das binde¬
gewebige Substrat des Amnions bildet. Es
ist somit für das Verhalten der Urwirbel¬
masse festgestellt, dass sie nicht nur die
verschiedenen im Embryonalleibe befindlichen
Bäume umgibt, sondern sie setzt sich* auch
in die umhüllende Membran (Amnion) des
Embryos fort und es wird „auf diese Weise
der Embryo von seiner Urwirbelmasse um«
geben.
Die Zunahme der Elemente im Embryo
bedingt es auch, dass sich diese Masse in die
verschiedenen im Embryo gebotenen Räume
fortsetgt. So sieht man die Urwirbelmasse
sich in den Raum zwischen der Splanchno-
pleura und dem Entodefm fortsetzen. Es
ist dies ein Raum, in welchen von der Peri¬
pherie her in den Embryonalleib aus dem
Gefässhofe die Gefässe sich fortsetzen (vasa
omphalo-mesaraica). Hier findet sich gleich¬
falls in späteren Stadien die Fortsetzung der
Urwirbelmasse, die im Vereine mit der Splan-
- chnopleura und dem Darmdrüsenblatte im
Gegensätze zur Seitenplatte nach innen von
der Pleuroperitonealhöhle die Darmplatte
. bildet.
Von hier aus erstrecken sich die Ele¬
mente dieser Masse zum Theile mit den Ge-
fässen in die Dotterblase, einer mit dem
Darme des Embryos in Verbindung stehenden
Blase, die mehr bder weniger Nahrungs¬
materiale für den Embiyo’ führt.
Wenn sich im weiteren Verlaufe der Ent¬
wicklung die Darmwand zu einem Rohre in
der Höhe des Mitteldarmes abschliesst, feiper
wenn die Leibeswand von jeder Seite ein¬
ander entgegenkommt, so dass sich beide
mit einander vereinigen, dann kommt die
Seitenplatte mit der Seitenplatte und die
Darmplatte mit der Darmplatte in Verbindung,
wobei die Urwirbelmasse derart im Embryo
angeordnet wird, dass sie sämmtliche Bäume,
die in der Höhe des Mitteldarmes entstanden,
umgibt. Nur an einer umschriebenen Stelle
in der Höhe des Nabels bleibt die -Vereini¬
gung unterbrochen, bis die Entwicklungs¬
vorgänge Am Kopf und am Schwanzende des
Embryos so weit gediehen sind, dass sie sich
zu denen des Mitteldarmes gesellen, um den
Nabel zu bilden und abzuschliessen (Fig. 508).
Am Kopfende treten ausser den Krüm¬
mungen der Gehirnblasen, deren wir bef der
Beschreibung der Anlagen im Ectoderm ge¬
dachten, noch Krümmungen der ganzen Keim¬
anlage auf, wo sich ebenfalls, wie das in der
Höhe des Mitteldarmes zu sehen war, ein
Theil der Keimanlage zu Amniosbildung über ■
den Kopf des Embryos zurückschlägt. Es sei
dieser Vorgang hier, in Kurzem geschildert.
Das äussere Keimblatt schlägt sich gegen
die Bauchseite um und macht hierauf eine
Faltenbildung durch, vermöge welcher der
Kopftheil einen Ueberzug erlangt, der gleich¬
sam mit einer kappenartigen Bedeckung ver*
glichen wird. An dieser Umschlagstelle be¬
obachtet man ausser dem äusseren Keim¬
blatte noch die Hautmuskelplatte des mitt¬
leren Keimblattes, die sich in ähnlicher Weise
umschlägt und an allen Krümmungen und .
Biegungen des Ectoderms am Kopftheile
ebenso wie sonst im Embryonalleibe parti-
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
585
cipirt und sich dem Ectoderm anlegt. Die
sich über den Kopf schlagende Falte wird
Kopfkappe genannt. Sie wächst gegen die
hintere Körperhälfte des Embryos, wo sie
sich mit der entgegenkommenden Schwanz¬
kappe und den seitlichen sich umschlagenden
Falten vereinigt. Die Vereinigungsstelle wird
Amniosnabel genannt. An dieser Stelle
besitzen alle entgegenkommenden Falten eine
Verdickung, durch welche ihre Vereinigung
zum Abschlüsse des Amniossackes bewirkt wird.
So weit über das äussere Keimblatt und
die Hautmuskelplatte des Mesoderms mit
Rücksicht auf ihr Verhalten bei der Bildung
der Kopfkappe. Während sich diese beiden
genannten Zellenlagen derart verhalten, biegen
sich die Darmfaserplatten und das Entoderm
gleichfalls gegen die Bauchfläche des Em-
Herz mit einem mesenteriumähnlichen An¬
hänge an der unteren Fläche des Vorderdarmes
hängt (Fig. 509). Die Elemente dieser -Ver¬
bindung gehen einerseits in die Herzwandung,
andererseits In die auskleidenden Gebilde
der Pleurocardialhöhle über. Im Innern der
Herzhöhle begegnen wir einer der gebildeten
Herzwand anliegenden, als innere Auskleidung
mehr oder weniger flach ausgebreiteten Zellen¬
lage, welche mit den Elementen der Urwirbel-
masse zusammenhängt, die den Vorderdarm
umgibt. Betrachtet man das Herz als Ganzes,
so stellt es einen länglichen Schlauch dar,
welcher S-förmig gekrümmt ist, nach vorne
und hinten in je ein gabelig sich theilendes
Endstück ausläuft. Die* zwei Aeste am vor¬
deren Ende sind arterielle Aeste, aus denen
die Kiemenschlagadern und die Aorten her-
Keimopithel
Nervensystem
Ectoderm
Peripherer Theil der Urwirbel
Aorta
Urwirbelmasse
_ Chorda
/ußführungsgang
es WolfFschen
Körpei -
Hautmuskolplatto
Urwirbelmasse in
der Seitenplatto
Dotterelomeute im offenen Darm
Urwirbelmasse in _
der Seitenplatte ■
Aeusseros Epithel
des Amnion
Inneres Epithel.
des Amnion
Amnioshöhle""
Darmfaserplatto
tlrwirbolmasse der Darm-
wand
Entoderm''
Urwirbelmasse ins
Amnion .übergehend
Peripherer Theil der
Urwirbel
Kern der Urw ?rKo1
Vasa omplialo-mesaraica
Fig. 509- Querschnitt in der Höhe des Mitteldarmes, vom Huhne am dritten Tage der Ilebrütung.
bryos um und biegen in die Dotterblasen-
-wand ein, welche sie mit der zwischen ihnen
befindlichen Urwirbelmasse bilden. Durch die
Umbiegung dieser Schichten gegen den Bauch
des Embryos, was vom Kopfe her und von
beiden Seiten aus geschieht, wird ein Theil
des offenen Darmes in ein Rohr umgestaltet.
Man bezeichnet diesen Abschnitt des Darmes
als Vorderdarra. Vor demselben ist ein spalt¬
förmiger Raum, entsprechend der Pericardial-
höhle. Aus einer umschriebenen Stelle der"
Darmfaserplatte wird das Herz gebildet. Man
beobachtet dasselbe als ein kleines hohles
Säckchen, welches dem Vorderdarm anhängt
Und dessen Wandung aus den Elementen der
Darmfaserplatte besteht.
Auf Querschnitten durch den Embryonal¬
leib beobachtet man, dass das embryonale
Vorgehen. Die hinteren zwei Aeste sammeln
das Blut aus dem Gefässhofe, wo dasselbe
oxydirt wird und als sauerstoffhaltiges Blut in
das Herz kommt, von wo es in den Körper¬
kreislauf übergeht, von da in den Gefässhof;
es lässt in diesem Stadium der Entwicklung
den ersten Kreislauf des Wirbelthieres er¬
kennen (Fig. 510 a, b).
Das Herz selbst besteht aus contractilen,
zelligen Elementen, welche gar keine Aehn-
lichkeit mit den contractilen Fasern der
Muskeln besitzen. Die Contraction des Herzens
ist eine rhythmische, verhältnissmässig rasche,
und wird durch verschiedene physikalische
und chemische Einflüsse verändert. Da wir
in diesem Entwicklungsstadium keine specifi-
schen nervösen Elemente kennen, auch keine
Verbindung zwischen dem Herzen und dem
586
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
Centralnervensystem
Fi g. 509. Querschnitt eines Kaninchenembryos vom elften bis zwölften Tage der Entwicklung,
Arcus aorta
Fig. 510 a. Schema des Blutkreislaufes beim Hühnerembryo am dritten Tage (hell ist cordipetal, dunkel ist cordifugal)^
Nach Preyer.
Fig. 510 b. llühnerembryo vom dritten Tage der Bebrütung nach Entfernung der Eischale und Schalenhaut.
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
587
Nervensysteme uns bekannt ist, so können
wir die Ursache der Contraction noch nicht
in das Nervensystem verlegen, sondern müssen
in dem Protoplasma des embryonalen Herzens
selbst die Fähigkeit, sich rhythmisch zu con-
trahiren, annehmen. Als Beweis hiefür gilt
uns die Thatsache, dass ein ausgeschnittenes
Herz vom Embryo, in dem keine Ganglien¬
zellen vorhanden sind, sich rhythmisch con-
trahirt.*Dasselbe zeigen die Elemente des
frisch herauspräparirtcn Herzens an Zupfprä¬
paraten. Die Temperaturerhöhung bis zur
Bebrütungstemperatur bei Hühnereiern erhöht,
die Erniedrigung derselben verlangsamt den
Pulsschlag des Embryos.
In späteren Entwicklungsstadien "ändert
sich das schläuchförmige Herz sowohl mit
Rücksicht auf seinen Bau als auch in Be¬
ziehung seiner anatomischen Bestandteile,
je nach der Thiergattung, welcher es ange¬
hört, und ändert sich auch demgemäss die
Verteilung und Anordnung der Gefässe im
Körper.
Nachdem das Herz angelegt und die Kopf¬
kappe des Embryos vom Amnion ausgebil¬
det ist, beobachtet man Vorgänge in der
Höhe des Kopfes bei den Wirbeltieren,
welche zur Gliederung des Kopfes vom Rumpfe
durch den eingeschobenen Hals führen. Ferner
geht damit einher die Ausbildung des Ge¬
sichtes, des äusseren und mittleren Gehör¬
organes, der Hypophysis, der ganzen Mund-,
Rachen- und Nasenhöhle. Es entstehen paarig
an beiden Seiten des Kopfes unterhalb der
Gehirnblase jederseits fünf Fortsätze aus der
Masse der Urwirbel, die sich gegen das
Kopfende erstreckt, und gleichsam die Bil¬
dungsmasse abgibt, welche sich an der Aus¬
bildung der Sinnesorgane beteiligt, insoferne
diese aus dem Mesoderm zu ihrem Ausbaue
die verschiedenen Bindesubstanzen und Mus¬
keln beziehen. Diese gesammte Zellenmasse,
welche in jener Höhe an fängt, wo die Seg¬
mente autören, ist ein Theil der Urwirbel-
masse und führt den Namen Sinnesplatte.
Aus dieser Sinnesplatte gehen die oben er¬
wähnten stumpfartigen Fortsätze hervor. Es
sind dies die Kiemenbögen, in ihnen be¬
finden sichKiemengefasse, zwischen den Kie¬
menbögen befinden sich Räume —Zwischenkie¬
menräume (Fig. 511 a). Wenn sich die Kiemen¬
bögen bauchwärts vereinigt haben, so liegen
die Zwischenkiemenspalten zu beiden Seiten
paarig. Bei einigen Thieren verschwinden die
Kiemenbögen bis auf die vordersten drei,
welche constant bleiben. Ein jeder Kiemen¬
bogen besteht aus Mesodermgebilden, welche
vom peripheren Theile des äusseren Keim¬
blattes bedeckt sind. Dadurch, dass die
Kiemenbögen paarig zu beiden Seiten ent¬
stehen und gleichzeitig damit die Krümmung
der Gehirnblase eingeleitet wird, entsteht
vor dem blindsackförmigen Ende des Vorder¬
darmes eine Bucht, welche man als Mund¬
bucht bezeichnet, die in ihrer ganzen Aus¬
dehnung vom Nervenhornblatte ausgekleidet
und durch sämmtliche Schichten des Keimes
von dem Vorderdarme getrennt ist. Die
temporär bestehende Scheidewand zwischen
Mund- und Darmhöhle wird als Rachen¬
haut bezeichnet. Nach dem Durchbruche
dieser treten die Mund- und Darmhöhle mit
einander in Verbindung. An der umschrie¬
benen Stelle, wo der Chordaknopf und das
blindsackförmige Ende des Vorderdarmes an
die Gehirnbasis stossen, kommen die drei
Keimblätter gleichfalls mit einander mehrfach
in Contact, und wird an dieser Stelle die
Hypophysis cerebri ausgebildet.
Die Kiemenbögen haben ihre eigentüm¬
lichen Verwendungsarten bei den Wirbel¬
tieren, die in Kurzem folgendermassen zu¬
sammengestellt werden können.
Der erste Kiemenbogen, das ist der
vorderste, macht beiderseits eine winkelige
Biegung und kommt an der ventralen Seite
mit dem anderen in Berührung, wobei die
beiden horizontal ziehenden Aeste mit ein¬
ander verwachsen. Aus diesem ersten Kieraen-
bogen wuchert lateral von seiner Ursprungs-
III. Ventrikel
Fig. 511a. Kopf eines Hühnerembryos vom vierten Tage <ler Bebrütung; vom Halse getrennt und von der unteren
Fläche beobachtet.
■MV.'??*!
m
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
Grosshirnblase
\
Naaengrübchen
Auge
H. Kiemenbogen
Stirnnasenfortsatz
„ Coloboma (Augenspalt)
Processus oYbitalis
II. Kienienbogon
I. Kiemenbogen Visceralspalte
Fig. 511 b. Kopf des Hahnerembryos vom sechsten Tage; vom Halse getrennt und von der unteren Fläche gesehen.
(Nach Balfour.)
Dritte Hirnblaso
Zweite Himblase
Grosshirnhemisphäre
Hintere Extromität
Stiel des Nabels
Auge
Processus orbitalis
Vierter Ventrikel (Nachhirnblase)
Unterkie fer forts at z
Zweiter Kiemenbogen
Vordere Extremität
Schwanzende Urwirbel (Segmente)
Fig. 511 c. Kaninchenembryo von ungefähr zwölf Tagen (Balfour).
stelle ein Fortsatz gegen die Gehirnblase, er
wird als Processus orbitalis bezeichnet. Der
Processus orbitalis und der horizontale Ast
von beiden Körperhälften einander gegen¬
über gestellt, bilden nach ihrer Vereinigung
den Zugang zur Mundbucht. Aus dem hori¬
zontalen Aste wird der Unterkiefer gebildet,
an der Vereinigungsstelle der beiden Pro¬
cessus orbitales kommt der Oberkiefer zu
Stande. Aus dem Processus orbitalis werden
noch die verschiedenen übrigen Gesichts¬
knochen gebildet, an welche sich von oben
her das Stirnbein anlegt. An der Vereini¬
gungsstelle der beiden Unterkieferäste wird
bald ein unpaariges Höckerchen sichtbar,
welches gleichfalls paarig entstanden ist und
die Anlage der Zunge darstellt, welche,
nachdem auch der zweite Kiemenbogen sich
in der Mitte an der Bauchseite vereinigt,
mit diesem und dem dritten Kiemenbogen
verwächst (Fig. 511a, b, c).
Es ist demnach die Vereinigung des
Zungenbeines, welches aus dem zweiten und
dritten Kiemenbogen hervorgeht, mit der
Zunge von vorneherein durch die Anlage ge¬
geben. Da der ganze erste Kiemenbogen von
Ectodermgebilden bedeckt ist, so ist die An¬
lage für sämmtliclie Horngebilde in der Mund¬
höhle, wie wir solche in den Epithelien der
Zunge und in den Zähnen finden, gegeben.
Die Zähne erscheinen anfangs als kleine
Grübchen, an de^en Grunde die Höckerchen
als Zahnanlagen zu sehen sind. Jedes dieser
Höckerchen trägt Epithelien auf der Ober¬
fläche und besteht vorwiegend aus Mcsoderm-
gebilden. Aus der Epithelialbedeckung werden
die Schmclzprismen gebildet, während das
Zahnbein, die Gefasse, die Pulpa aus den
Elementen des mittleren Keimblattes hervor¬
gehen.
Die Epithelialbekleidung am Rande des
Zahnsäckchens verklebt mit einander, wodurch
die Zähne im Ober- und Unterkiefer bei den
Wirbelthieren verborgen bleiben. Der zweite
Kiemenbogen ist paarig und vereinigt sich
von beiden Seiten in ähnlicher Weise, wie
dies beim ersten Kiemenbogen der Fall war.
Mit ihm zugleich verwächst auch der dritte
Kiemenbogen in der Mitte. Aus dem zweiten
Kiemenbogen geht hervor der Processus sty-
loideus, das Ligamentum stylo-hyoideum und
die kleinen Hörner des Zungenbeines, während
die grossen Hörner des Zungenbeines und der
Körper desselben aus dem dritten Kiemen¬
bogen hervorgehen.
Mit dem Namen Meckerscher Fortsatz
bezeichnet man einen knorpeligen Strang, der
sich an der Innenseite des Unterkiefers bei Eni-
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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
589
bryonen nahe der Mitte des Entwicklungs¬
lebens bildet und ein Best des ersten Kiemen¬
bogens ist,.welcher nach und nach schwindet. Er
ist ein Rest der ursprünglichen knorpeligen
Anlage, an dessen Aussenseite sich die Kno¬
chenmasse anlegt. Ein Rest des MeckeTschen
Fortsatzes ist an der Vereinigungsstelle der
beiden 'Unterkieferhälften in Form eines
Knorpelüberzuges zu sehen.
Es ist eine bekannte Erscheinung, dass
Asymmetrien der beiden Gesichtshälften bei
entwickelten Thieren zu beobachten sind.
Solche Asymmetrien werden zuweilen von
ungleichmässigem Gebrauche der Muskulatur
der beiden Gesichtshälften oder auch von
anderen Momenten abgeleitet. Die Messungen,
welche an den Kiemenbögen in den frühesten
Anlagen gemacht wurden, ergaben Massunter-
schiede, die bald zu Gunsten des Kiemen¬
bogens der einen oder anderen Hälfte aus-
fallen. Auf diese Weise ist es festgestellt,
dass das ursprüngliche Substrat, welches für
dem inneren Epithel des Trommelfells ent¬
spricht, die Mesodermgebilde, die darauf
folgen, sind die Membrana propria und der
Cuticulartheil des Trommelfells, während
die äussere Epitheldecke dem äusseren Epithel
des Trommelfells entspricht. Es ist das
Trommelfell bei den höheren Wirbelthieren
in diesem Stadium mit der Oberfläche des
Körpers gleichlaufend, in ähnlicher Weise,
wie dies bei den niederen Thieren im Ex-
traembryonalleben der Fall ist. Die Gehör¬
knöchelchen sind Producte aus der Basis
cranii, welche gegen das Mittelohr hinein
wuchern und eine epitheliale Bedeckung des¬
selben besitzen. Man sieht den Steigbügel
eine Zeitlang an jener Stelle, wo :wir das
foramen ovale finden, mit der Labyrinthkapsel
innig verwachsen. Erst später bildet sich
eine Gelenksverbindüng aus, durch welche
das foramen ovale entsteht, das durch
die Steigbügelplatte bedeckt wird. Die Ge¬
lenke zwischen dem Steigbügel und Ambos,
• / /
Verengerung zwischen Mund- und Paukenhöhle
Paukenhöhle (Tuba Eustochii)
Fig. 512. "Mittelohr des Embryos vom Kaninchen.
die Ausbildung" der Gesichtshälften gegeben
ist, ungleich vertheilt auftritt.
Wir können diesen Theil der embryonalen
Entwicklung nicht verlassen, ohne auf die
Bildungsweise des mittleren Öhres, der Gehör¬
knöchelchen, zurückzukommen, da das Mittel¬
ohr aus der Mundbucht und nicht, wie man
früher glaubte, durch Umwandlung des ersten
Kiemenspaltes gebildet wird.
Es haben die Untersuchungen in der
letzten Zeit gezeigt, dass von der Mundhöhle
aus, welche in. dieser Höhe einem stark aus¬
gebildeten Querspalte auf dem Durchschnitte
gleicht, seitlich ein Theil ausgebuchtet wird
und nahezu die äussere Oberfläche des Ecto-
derms erreicht, wenn nicht einige Reste der
Mesodermgebilde die ectodermale Auskleidung
der Mundhöhle, bezw. der seitlichen Aus¬
buchtung von der oberflächlichen Zellbedeckung
trennen würden. Die seitliche Ausbuchtung
stellt uns das Mittelohr vor. Jene Stelle der
Bucht, welche nahezu die äussere Oberfläche
erreicht, besitzt eine Zellauskleidung, welche
ferner zwischen Hammer und . Ambos sind
ursprünglich nicht vorhanden, [sondern man
begegnet im Embryo einer Continuität der
Gehörknöchelchen. Das ganze Mittelohr der
Embryonen ist überdies vom embryonalen
Bindegewebe ausgefüllt (Fig. 512).
Die am Kopfe befindlichen Mesoderm¬
gebilde, welche die Gehirnblasen umwuchern
und sämmtliclie Anlagen der peripheren Sinnes¬
organe umgeben, bilden die Gefässe und die
verschiedenen Bindesubstanzen der bezüglichen
Sinnesorgane. Sie sind demnach die Grundlage
für die Schädelknochen, die knöchernen Ge¬
bilde des Labyrinthes, Bindegewebsmassen im
Auge, sie completiren die Gewebe des Geruchs¬
organs, kurz, sie verhalten sich mit Rücksicht
auf ihr Verbreitungsgebiet ähnlich der Ur-
wirbelmasse in der Höhe des Mitteldarmes.
Am JSchwanztheile des Embryos gQhen
ebenfalls "ähnliche En twicklungserscheinungen
vor sich, wie wir sie am Kopfende schilderten.
Es kommt zur Bildung einer Schwanzkappe, die
in ähnlicher Weise wie die der Kopfkappe er-
590
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
folgt. Es schlagen sich hier die drei Keim¬
blätter zur Bildung einer blindsackförmigen
Vertiefung am Schwanzdarme um. Das äus¬
sere Keimblatt biegt sich dann gegen den
Rücken des Embryos zur Amnionbildung um.
Mit ihm geht die Hautmuskelplatte und zwischen
diesen beiden ein Theil der Urwirbelmasse in
die Formation des Schwanztheiles des Amnions
ein. Die Darmfaserplatte schlägt sich mehr
oder weniger ventralwärts zu dem Darmdrüsen¬
blatte und liegt demselben an, bis sich die
Urwirbelmasse aus der Darmwand in dieselbe
hinein erstreckt.
Am Schwanzende findet sich im Allge¬
meinen, sowohl was die Faltenbildung als
auch was die Ausbildung des blindsackförmigen
Darmes betrifft, dass alle diese Theile viel
kleiner sind, als die bezüglichen Theile am
Kopfende des Embryos waren.
Aus dem Darmdrüsenblatte und der Darm¬
faserplatte wird bei einer Reihe von Thieren
(Allantoideae) ein Theil der Darmw r and vom
Schwanzende in Form einer bald kleineren, bald
grösseren Blase hervorgetrieben, welche ven¬
tralwärts wächst und die Allantoisblase dar¬
stellt. Die Blase hängt durch einen Stiel an
dem Darme, der Allantoisstiel genannt wird.
Ein Theil desselben liegt innerhalb der Bauch¬
wand und wird in seinem hinteren Abschnitte
zur Harnblase umgestaltet, während sein vor¬
derer Theil eine Zeitlang im Embryonal¬
leben den Urachus bildet, der offen als Stiel
der Allantois in den Nabelstrang hinein sich
erstreckt.
Die Allantois liegt in ihrer ersten Ent¬
wicklungsform als eine Falte, mit der Con-
vexität nach oben gerichtet, ausserhalb des
Embryonalleibes. Dies geschieht schon zu
einer Zeit, bevor die Sclnvanzkrümmung ein¬
geleitet wird. Diese Falte wird durch die Bil-
dungsvorgänge nach und nach so gestellt, dass
dieselbe bauchwärts zu liegen kommt, wo sie
dann in den Schwanzdarm mündet.
Die Allantois (Fig. 513) wird allmälig
Fig. 613. Schema zu deu Eihauten de* SAugcthierembryoä.
A Sack der Allantois ; 0 NaholM.tschon ; E' E'eigentliches
Amnion; E* E" sog. .seröse Hülle, die sieh vom Amnion
lo-.löst und einen Theil des spateren t’horions bildet;
C Amuioüuubel; V liest der Zonu pellucida (primitives
Chorionj.
grösser, und ihr Sack enthält eine Flüssigkeit,
die Allantoisflüssigkeit genannt, welche durch
einen in ihr vorkommenaen Körper, das Allan-
toin, besonders beachtenswerth ist, indem
dieses ein Secret des Harnapparates des Em¬
bryos repräsentirt.
Nachdem die Allantois allmälig grösser
wurde, gestaltet sie sich derart, dass sie über
den Rücken des Embryos sich hinüberschlägt
und sich in einen häutigen Sack umw'andelt,
der den Embryo als zweite Umhüllung nach
aussen umschliesst. Es legt sich diese Mem¬
bran dem Amnion an und bildet das Cho-
rium.
Diese beiden Membranen stellen die Ei-
liäute im strengen Sinne des Wortes vor, sie
sind beide Producte aus dem Embryonalleibe.
Während das Amnion als aus der Seitenplatte
hervorgegangen betrachtet wird, ist“ das Cho¬
rion ein Product aus der Darmwand, und in
beide setzt sich die Urwirbelmasse fort.
Zu diesen Eihäuten gesellt sich ein mem-
branöser Ueberzug, welcher nicht vom Embryo
stammt, sondern dem mütterlichen Boden an¬
gehört. Es ist dies eine metamorphosirte Schleim¬
haut des Uterus, welche gleichsam in einen
hypertrophischen Zustand überführt wird, so¬
bald das Eichen in die Uterinhöhle gelangt.
Das Ei wird nämlich in* eine Falte des Uterus
aufgenommen. Diese Falte umschliesst das
Ei und bildet die Decidua vera, während die
übrige Schleimhaut, die sich von der Falte
zurückschlägt, und die Schleimhaut des Uterus
im Allgemeinen als Decidua (Decidua reflexa,
serotina etc.) bezeichnet wird. Die Vereinigung
der Decidua, des vom Mutterboden gelieferten
Theiles der Eihaut, mit dem Chorion der fötalen
Eihaut bildet ein Ernährungsorgan des Em¬
bryos, welches wir als Placenta kennen lernen
werden. Die Allantois besitzt, nachdem sie
sackartig ausgebildet ist, einige Gefässe, welche
als Vasa allantoidea bezeichnet werden. Diese
sind Aeste der Aorta und versorgen mit ihren
Verzweigungen das Chorion. Es wird dadurch
das Chorion zu einer sehr gefassreichen Mem¬
bran, und wenn dasselbe auf seiner äusseren
Oberfläche eine Menge von grösseren und
kleineren Zöttchen erhält, so werden auch
diese mit Capillarschlingen versorgt, und das
früher glatte Chorion wird zu einem sog.
Chorionfrondosumumgestaltet; zwischen diesen
Zöttchen und der Decidua tritt eine innige Ver¬
bindung derart ein, dass sich die Zöttchen in
die erweiterten und vergrösserten Drüsenräume
der Uterinschleimhaut erstrecken, und es wird
hiedurch die erste Verbindung zwischen Chorion
und der Uterinschleimhaut bewerkstelligt, wo¬
durch es zur ersten Anlage der Placenta gekom¬
men ist. Nicht alle Zöttchen auf der Chorion¬
oberfläche bleiben und w erden bei allen Thieren
zur Placentarbjldung einbezogen. Bei -einigen
wird nur ein Theil zur Placenta verwendet,
während der übrige Theil mehr oder weniger
zu Grunde geht und atrophirt. Solche Thiere
besitzen eine discale Placenta. Bei anderen
Thieren bleiben die Zöttchen auf der ganzen
Oberfläche oder zum grössten Theile erhalten.
.Solche Thiere haben eine Form der Placenta,
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
591
welche rings um den Embryo ausgebreitet ist.
Nicht selten ist die Placenta gürtelförmig,
wie bei dem Huude und den Katzenarten. Zu¬
weilen bilden sich einzelne inselförmige Zotten¬
anhäufungen aus. Es kommt zur Bildung von
einzelnen Cotyledonen, wie bei der Placenta
der Wiederkäuer.
Bei der Untersuchung der Placenta ergibt
es sich, dass dieselbe aus zwei Theilen, einer
Placenta uterina und einer Placenta foetalis,
besteht. Beide sind in manchen Fällen un¬
kennbar mit einander verwachsen, in anderen
sind sie leicht von einander zu trennen. Die
Blutgefässe der Placenta foetalis sind von
denen der Placenta uterina getrennt. Die
ersteren befinden sich in den Zöttchen als
capillar verästelte Schlingen und sind von dem
Blute der mütterlichen Placenta umspült.
Die Zotten einer Placenta lassen sich
leicht isoliren und besitzen auf ihrer Oberfläche
einen Epithelüberzug, der stellenweise als An¬
deutung der neu zu entstehenden Zotte ver¬
dickt erscheint. Unter dem Epithel ist ein
bindegewebiges Stroma, in dem die Capillaren
der Zotte liegen. Stellenweise befinden sich bald
grössere, bald kleinere Züge von Bindegewebe.
Entoderm.
Unter dieser Zellenlage verstehen wir die
innerste Auskleidung der Keimanlage. Sie prä-
sentirt sich zumeist in den frühesten Stadien
im axialen Theile des Keimes unter dem Nerven¬
systeme als eine einschichtige Lage von Platten-
epithelien, die auf dem Durchschnitte Durch¬
schnitten von Spindeln gleichen. Seitlich ist
die Zellenlage verdickt Die anfänglich platten
Gebilde werden in späteren Entwickiungsstadien
cylindrisch und ziehen als auskleidende Ele¬
mente durch den ganzen Darmtract und in die
Wege, welche als Drüsenausführungsgänge in
den Dann münden. Man sieht in diesen Ele¬
menten die Kernfiguren in bestimmten Axen
der Zellen liegen, welche sich constant in der¬
selben Ebene der Zellen zeigen.
Bei den Krümmungen, welche wir am
Embryo am Kopf- und Schwanztheile beob¬
achteten und beschrieben haben, die zur Bil¬
dung der Kopf- und Schwanzkappe führen,
hat auch das Entoderm zur Auskleidung der
Elemente des Darmes die Krümmungen mit¬
gemacht. Es geht ferner in die Dotterblase
über, welche gleichfalls vom Entoderm aus¬
gekleidet wird. Ein Stiel — der Ductus
omphalo-mesaraicus — besitzt Elemente
des Entoderms als innere Auskleidung. Die¬
selben sind als deutliche Cylinderepitheliep
bei jenen Thieren zu sehen, bei denen es nur
einen Dotterstrang gibt. Dieser ist ein
Gebilde, in welchen sich in ähnlicher Weise,
wie im Nabelstrang der Stiel der Dotter¬
blase fortsetzt. Er findet sich bei allen jenen
Thieren, welche eine Dottersackplacenta
besitzen, wobei das Entodermepithel zur Pla-
centarbildung mit einbezogen wird; Bei diesen
Thieren kommt es nur zu einer* einmaligen
Fortsetzung der Entodermeleraente nach aussen
vom Embryonalleibe. Es sind diese Erschei¬
nungen am Dotterstrange deutlich bei mustelus
vulgaris und an dem Dotterstrange und der
Dottersackplacenta des glatten Haies des Ari¬
stoteles zu sehen.
Bei den Amnioten existiren zwei Fort¬
setzungen des Entoderms, die sich aus dem
Embryonalleibe nach aussen und rin den
Nabelstrang hinein erstrecken. Das erstemal
zieht eine Fortsetzung des Entoderms in die
Dotterblase. Der Stiel derselben verkümmert
bei diesen, und der Rest der sog. Dotter- oder
Nabelblase bleibt zwischen dem Chorion und
Amnion in der Peripherie liegen, welcher noch
als verkümmertes Bläschen zwischen diesen
Membranen in den Eihäuten der Neugeborenen
zu finden ist. — Eine zweite Fortsetzung des
Entodenns bei den Amnioten ist die Fort¬
setzung in den Stiel der Allantois und in die
Allantois selbst. Von diesem Abschnitte des
Entoderms wird der Theil, welcher im Stiele
der Allantois innerhalb des Embryonalleibes
sich befindet, zum auskleidenden Epithel der
Harnblase und des Urachus. Bei dem letzteren
und im Gebiete des Nabelstranges verkümmert
dasselbe mit dem Hohlraume, den es auskleidet.
Ebenso ist sein Schicksal in jenem Abschnitte
der Allantois unbekannt bis auf den Umstand,
dass es zur Zeit geschwunden ist, da sich
aus der Allantois eine Membran ausgebildet hat,
welche wir als Chorion bezeichneten.
Nach dem Durchbruche der Rachenhaut
tritt die Mundrachenbucht mit dem Vorder¬
darme in Communication. Dieser stellt gleich
vom Beginne angefangen ein geschlossenes
Rohr vor, in dem sich als innere Auskleidung
die Zellen des Entoderms auf seiner ganzen
Oberfläche finden. Es werden daher folge weise
alle jene Abschnitte des Darmes und seine
Anhänge, welche in denselben münden, von
dem Entoderm ausgekleidet werden. So ist der
Oesophagus und der Magen, die Trachea und
die Lunge vom Epithel bis in die feinsten
Verzweigungen ausgekleidet. Es wird in den
Vorderdarm noch die Anlage der Leber, bezw.
des ursprünglich unpaaren Gallenganges verlegt.
Aus dem Mitteldarme, wenn derselbe geschlossen
wird, geht der Dünndarm hervor. Seine Höhle
wird gleichfalls vom Entoderm ausgekleidet.
Es sind somit die Epithelien des Darmcanals
samint dem ihnen charakteristischen Saume,
also die peripheren Endstätten zur Aufnahme
des Chylus aus dem Entoderm hervorgegangen.
Wenn man den Schwanzdarm mit seinen An¬
hängen betrachtet, so geschieht in ihm genau
dasselbe. Er gibt das Epithel für den Dick¬
darm, Enddarm der verschiedenen Thiere mit
der epithelialen Auskleidung seiner Anhänge.
Jener Theil der Cloake, wo die Ausführungs¬
gänge des Urogenitalapparates münden, wie
beispielsweise die Cloakenschenkel oder die
regio urogenitalis der Cloake, werden theil-
weise von den Mesodermgebildcn ausgekleidet,
was besonders bei den Knochenfischen deutlich
zu beobachten ist.
Somit haben wir in kurzen Umrissen die
allgemeinen Anlagen im Embryo der Thiere
besprochen und bezüglich der Anlagen der
einzelnen Organe in den einzelnen Keimblät¬
tern, soweit es der hier angewiesene Raum
592
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE.
gestattet, das Nothwendigste zum allgemeinen
Verständnisse über den Aufbau des Thier¬
körpers gegeben. Eine Erweiterung* erfahren
, unsere Kenntnisse über die Embryologie durch
die in jüngster Zeit an gestellten Forschungen
über die Physiologie des Embryos.
Geschiehte. Die Berichte über die Zeu¬
gung und Entwicklung der Organismen reichen
bis in die ältesten Zeiten zurück. Wenn man den
Schriften der ältesten Forscher im Alterfhume
Aufmerksamkeit schenkt, so finden sich schon
Angaben über dieses Capitel zerstreut. So sind
hier die Namen Pythagoras (550 v. Chr.), An-
axagoras (500 v. Chr.),Empedokles (473v.Chr.)
hervorzuheben. Der letztere lehrte bereits, dass
die ältesten Wesen der Schöpfung unvollständig
ausgebildet waren. Ferner war es ihm und
seinen Zeitgenossen bekannt, dass der Embryo
durch den Nabelstrang seine Nahrung erhält.
Hippokrates bringt Angaben über Erfah¬
rungen auf dem Gebiete der Entwicklung des
Embryos. Er kennt bereits die Allantois und
macht Mittheilungen über die Superfötation.
* Plato theilt mit, dass sich das Rückenmark
am frühesten angelegt findet. Am ausführ¬
lichsten sind die Erfahrungen, des Aristoteles
(384 v. Chr.). Die Placenta bei den Thieren
und ihre physiologische Function war ihm
theilweise bekannt. Er.theilt schon über eine
polycotyledone Placenta und einen Strang mit,
durch den diese mit dem Embryo in Verbin¬
dung steht. Er kennt ferner ähnliche Ver¬
hältnisse bei gewissen Haifischembryonen, Man
bezeichnet gegenwärtig eine Arf als den glatten
Hai des Aristoteles, über dessen Dottersack-
placenta dieser Mittheilungen machte. Aristo¬
teles beschrieb ferner, wie das Küchlein im
Ei ruht. Ueber die Beschreibungen von Miss¬
bildungen, die Art und Weise der Begattung
bei verschiedenen Thieren, über das Entstehen
des Geschlechtes und viele andere Punkte,
soweit sie auf das Entwicklungsleben Bezug
haben, ist bei Aristoteles bereits in den über¬
lieferten Schriften berichtet. Bei anderen
Autoren aus der Zeit vor Christi Geburt finden
sich verschiedene Mittheilungen embryologi-
§chen Inhalts. Galen (131—203 n. Chr.) kennt
das Foramen ovale und den ductus arteriosus.
Zu verschiedenen Zeiten nach Christi Ge¬
burt war die Embryologie gleich den anderen
Wissenschaften mehr oder weniger gepflegt
worden, und in gewissen Zeiträumen, gleich
wie bei den anderen Naturwissenschaften, trat
ein voller Stillstand ein.
Erst im XVI. und XVII. Jahrhunderte
wurde dem Entwicklungsgänge der Organis¬
men die volle Aufmerksamkeit zugewondet.
Besonders hervorzuheben ist Fabricius ab Aqua-
pendente, welcher Beschreibungen der äusseren
Formen am sich -entwickelnden Hühnchen,
Säugethiere und am menschlichen Fötus ge¬
bracht *hat. Bis zu Fabricius liegt uns von
den Anatomen seiner Zeit über die Ent¬
wicklungsgeschichte der Thiere wenig vor.
Von Fabricius ab Aquapendente sind hervor¬
zuheben die Schriften: De formato foetu (1600)
und De formatione foetus (1604). Spigelius
(1631), De formato foetu. Die ähnlich betitelte
Schrift von C. Needham 1667 behandelt Em¬
bryonen der Säugethiere. Harvey’s Ausspruch:
Omne vivum ex ovo, ist. allgemein bekannt
(Exercitationes de generatione animaüum 1652).
Regner de Graaf (1677, Opera omnia, Cap. XVI)
machte auf die nach ihm benannten Follikel
aufmerksam. Swammerdam (1685 f) lehrte den
Furchungsprocess am Froschei. Leeuwenhoek
(1690) machte auf die Samenthierchen auf¬
merksam und gab hiedurch Veranlassung* zur
Spaltung in zwei Parteien, die Spermatiker
und Ovulisten. Vallisneri, Verhoyen, Ruysch,
Kerkring, Hävers waren Männer, deren Thätig-
keit mehr mit der Anatomie in Verbindüng
stand, die aber mehr oder weniger auch das
Wissen in der Embryologie erweiterten. Mar¬
cellus Malpighi (De formatione pulli, de ovo
incubato [1687]) Batav. Albinus (Icones ossium
foetus 1737). In den Schriften des Physiologen
Haller ist in der grossen Physiologie und in
seinen anderen Schriften (1758) auch die Be¬
schreibung des Embryos berücksichtigt.
Dieser Abschnitt bildet eine Periode, in
der die Embryologie noch nicht als eine in
den Naturwissenschaften unentbehrlich gewor¬
dene Hilfswissenschaft betrachtet wurde. Es
blieb nur der Lust des einen oder anderen
Fachmannes überlassen, sich mit der Beschrei¬
bung der äusseren Formen der Embryonen zu
beschäftigen.
Eine neue Aera wurde von Caspar Friedrich
Wolff (1733—1794) vorbereitet, welche erst
ungefähr 80 Jahre später durch Pander und
v. Bacr zur Blüthe gelangte. Wolffs Haupt-
yerdienst liegt darin, dass er die Entwicklung
des Darmes auf eine einfache blattartige Anlage
zurückführte. Somit legte er den Grundstein
zur Keimblattlehre, welche später durch Pander
(1817) und v. Baer (1828—1837, Entwick¬
lungsgeschichte, Beobachtung und Reflexion)
weiter ausgebildet und von dem letzteren unter
Beobachtung der Entwicklung der einzelnen
Organe durchgeführt wurde.
K.E. v. Baer hatte noch das Hauptverdienst,
dass er in einem offenen Brief an die Peters¬
burger Akademie das Säugethierei zum ersten¬
mal beschrieb und dadurch den alten Satz:
Omne vivum ex ovo, vollinhaltlich bestätigte.
Ueber die Periode in der Entwicklungsgeschichte,
welche sich während des Lebens Baer’s ab¬
spielte, ist das Wichtigste in der Selbstbiographie
Karl Ernst v. Baer’s (Petersburg 1866) ent¬
halten.
Nach Petersburg käm v.Baer 1834; er starb
als russischer Unterthan hochbetagt, erblindet
in Dorpat.
Aus dieser Zeit sind hervorzuheben die
Namen: Authenrieth, Sömmering, Senfl^ Oken,
Kieser, Meckel, Tiedemann, Purkinje, übdr
welchen letzteren Baer klagte, dass er ihm
die schönsten Entdeckungen machte; ferner
Prevost, Dumas, Coste, Seiler, Bröschet, Velpeau,
Bischoff, E. H. Weber, Allen Thomson, Rathke,
Johannes Müller, Reichert, Rudolph Wagner,
Valentin und viele Andere.
Die Keimblattlehre, wie sie durch Baer
und Pander begründet wurde, war die Zwei¬
blätterlehre; bestehend aus einem animalen
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ß UNI
UNIVE^köh i j
' -^NTWICKLUNGSZUSTAND
DER FUTTERPFLANZEN.
593
und vegetativen Blatte, oder auch seröses und
Schleimblatt genannt, welche für v. Baer nicht
zur Erklärung aller Thatsachen imEntwicklungs-
gange der Organe ausreichte. Er war daher
genöthigt, eine Schichte einzuschieben, aus
welcher die Gefässe und die. Faserwand des
Darmes hervorgehen soll. Durch die Arbeiten
von Schwann und Schleiden trat eine neue Aera
in allen biologischen Wissenschaften ein, und die
Zellenlehre wurde zur Grundlage der Betrach¬
tungen über den Entwicklungsgang der Orga¬
nismen. C. Th. v. Siebold, Rathke, Reichert,
Remak sind Autoren, welche in erster Linie
genannt zu werden verdienen, und besonders
ist es letzterer, welcher durch seine Keimblatt¬
lehre den Grundstein zu den aus gebreiteten
Kenntnissen der Embryologie legte, wie sie
uns die Literatur der Gegenwart liefert. Durch
die Umgestaltung der Zellenlehre, wonach die
einzelnen Zellen nach Brücke als Elementar¬
organismen anzusprechen sind, änderte sich
auch die Auffassungsweise des Eichens. Der
Entwicklungsgang wird in einer anderen Weise
aufgefasst, wie dies schon im Jahre 1863 von
M. Schultze in einem Aufsatze dargelegt wurde:
Observationes nonnullae de ovorum ranarum
segmentatione.
In den letzten zwanzig Jahren wurde die
Embryologie an den versöhiedenen Hochschulen
gelehrt und bearbeitet. Es ist hier nicht der
Ort, auf die Leistungen der meisten gegen¬
wärtig lebenden Autoren näher einzugehen.
Es sei hier nur erwähnt, dass sich im All¬
gemeinen das Bestreben zeigt, die Entwick¬
lungsgeschichte des Menschen und der Thiere
von den verschiedensten Gesichtspunkten zu
ergründen. Man sucht die Anatomie und
Physiologie des Embryos zu erforschen, um
auf Grundlage des Entwicklungsganges der
einzelnen Individuen die Stammesgeschichte
(Phylogenie) kennen zu lernen. Namentlich ist
der letztere Abschnitt eine Erweiterung unserer
Kenntnisse, zu weither wir durch Darwin's
epochemachenden Arbeiten über die Descendenz-
lehre gelangten. Wir wollen nun die verschie¬
denen Hochschulen folgen lassen, an welchen
und durch wen Embryologie gelehrt und ge¬
pflegt wird: Berlin (Waldeyer); Breslau
(Auerbach); Budapest (Mihalkovics, v. Than-
hoffer); Erlangen (Gerlach); Freiburg i. B.
(Wiedersheim); Frankfurt a. M. (Bütschli);
Graz (Ebner); Greifswald (Laudois);Halle
(Welker Herrn.); Heidelberg (Gegenbaur);
Innsbruck (Oellacher); Jena (Haeckel,
Preyer); Kiel (Hensen); Leipzig (His,
Räuber); Marburg (Lieberkühn, Gasser);
München (Kupffer); Strassburg (Goette);
Wien (Schenk); Würz bürg (Koelliker);
Genf (Fol); Paris (Robin, Balbiani, Blan-
chard); Gent (Yan Bambecke); Lüttich
(E. van Beneden); Löwen (Gilton?); Cam¬
bridge (Balfour, Foster); Neapel (Zoologi¬
sche Station); Russische Universitäten
(Owsjanikow, Babuchin, Kowalewsky, Mecz-
nikow [in Odessa als Privater zurückgezogen],
Peremeschko); Warschau (Hoyer).
Von den Werken, welche in den letzten
Jahren erschienen und eine allgemeine Ueber-
Koeh. Encyklopädie d. Thierheilkd. II. Bd.
sicht über den anatomischen Theil der Embryo¬
logie darstellen, sind folgende zu nennen.
Literatur : B i s c h o f f, Entwicklungsgeschichte
der Säugethiere und des Menschen, Leipzig 1842. —
Ecker A., Icones physiologicae 1851—1859, Bildliche
Darstellungen. — E r d 1, Entwicklung der Leibesform des
Hühnchens 1845. — Rathke, Entwicklungsgeschichte
der Wirbelthiere, Leipzig 1861. — Schenk S. L., Lehr¬
buch der vergleichenden Embryologie der Wirbelthiere 1874.
— Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie,
deutsch von Dr. B. Vetter, 1880. — E. Haeckel, An-
thropogenie 1874. — W. His, Unsere Körperform, Leipzig
1875. — Koelliker, Entwicklungsgeschichte etc., Leipzig
1876. — Die Specialschriften sind zerstreut in den ver¬
schiedenen Archiven und Jahrbüchern. Plastische Dar¬
stellungen aus Wachs zum Verständnisse der anatomischen
Verhältnisse werden von Dr. A. Ziegl er in Freiburg i. B.
angefertigt. Schenk.
Entwicklungszustand der Futterpflanzen
und ihr Nährstoffgehalt. Alle Pflanzen sind
im grossen Ganzen im jugendlichen Zu¬
stand reicher an stickstoffhaltigen Bestand-
theilen und an Asche, während der Holzfaser¬
gehalt mit dem Alter zunimmt und sich
zugleich die Verdaulichkeit der Einzelnnähr¬
stoffe vermindert. Nachdem die stickstoff¬
haltigen Nährstoffe die theuersten und werth¬
vollsten sind, weil ferner mit dem Holzfaser¬
gehalt der Futtermittel die Verdaulichkeit
abnimmt, leuchtet von selbst ein, dass die
vegetabilischen Substanzen gemeinhin um so
nährkräftiger sein müssen, je eher dieselben
eingeheimst und verfüttert werden. Eine Aus¬
nahme machen in letzterer Beziehung nur
die Wurzeln, Knollen und Samen, die
nämlich im vollentwickelten Zustande am
reichhaltigsten an verdaulichen Nährstoffen
sind. Der beste Zeitpunkt für das Ab
bringen allen krautartigen Futters ist der
Eintritt jenes Entwicklungsstadiums, in
welchem man am meisten Rohnährstoffe ge¬
winnt, ohne dass bereits eine wesentliche Ver¬
ringerung der Verdaulichkeit eingetreten wäre.
Dieser Zeitpunkt tritt bei den meisten kraut-
artigen Futterpflanzen theils dicht vor, theils
beim Beginn oder während der vollen Blüthe
ein. Die angedeuteten Variationen im Stoff¬
gehalt der verschiedenen Pflanzenbestand-
theile werden bedingt durch die in der
lebenden Pflanze vor sich gehenden Stoff¬
wanderungen, welchen zufolge bald die
Stengel, bald die Blättern und dann wieder
die Blüthen oder Samen und deren ver¬
schiedene Bestandteile mehr oder weniger
reich an gewissen Nährstoffen sind. Es wird
daher auch der Nährwerth der Futterpflanzen
in ausschlaggebender Weise bedingt durch
das Zusammensetzungsverhältniss derselben
aus Stengelsubstanz, Blättern und Blüthen,
Bei in der Reife vorgeschrittenen Futter¬
pflanzen ist der Nährwerth um so grösser, je
reicher dieselben an Blättern und Blüthen sind.
Bei jüngeren Pflanzen ist hingegen ein mög¬
lichst hoherGehalt an feinen fleischigen Stengel-
theilen und an Blättern am erwünschtesten.
Beim Getreidestroh enthalten die oberen
Blätter mehr Protein als die unteren. Es ist
mit Rücksicht hierauf empfehlenswerth, alle
minderwerthigen Strohsorten zu halbiren und
eventuell nur die obere Hälfte zu ver¬
füttern. Pott.
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K
594 ENTWÖHNEN DER FERKEL. — ENTZÜNDUNG.
Entwöhnen der Ferkel. Die Dauer der
Säugezeit richtet sich einmal nach der Rasse
der Schweine und zweitens nach dem Zwecke
der Nutzung der abzusetzenden Thiere. Die
Ferkel, welche von Sauen der primitiven
europäischen Rassen geboren werden, ent¬
wickeln sich langsamer als diejenigen, welche
von Sauen der veredelten englischen, indi¬
schen oder chinesischen Rassen abstammen.
Die ersteren müssen längere Zeit bei ihren
Müttern verbleiben als die letzteren, und ebenso
muss den zur Zucht bestimmten Ferkeln der
Genuss der Muttermilch längere Zeit gewährt
werden als denjenigen, welche zum Verkauf
an sog. Schweinemäster bestimmt sind. Man
rechnet durchschnittlich auf eine Säugezeit
von 6 Wochen; doch können wir nur
dann empfehlen, die Ferkel schon in der
7. Woche ihres Lebens abzusetzen, wenn sie
von frühreifer Rasse stammen oder für den
Verkauf bestimmt sind. Alle zur Zucht be¬
stimmten Ferkel werden zweckmässig erst im
Alter von 2 Monaten entwöhnt: sie werden
dann allein fressen und andere Futtermittel,
wie Kleie, Kartoffeln, Gerste, Grünfutter, gut
verdauen können. Eine Zugabe von Molkerei¬
abfällen, Oelkuchen etc. wird den entwöhnten
Ferkeln sehr dienlich sein. Doch ist hiebei
grosse Vorsicht nöthig; jedes saure Futter¬
mittel ist den Ferkeln nachtheilig. Man gebe
die Futterrationen in kleinen Portionen und in
Pausen von 2—2% Stunden. Das Abge¬
wöhnen der Ferkel soll nicht auf einmal,
sondern allmälig geschehen; die sehr zier¬
lichen, zurückgebliebenen Thierchen lässt
man gewöhnlich eine Woche länger bei der
Sau als die grösseren, kräftigen Ferkel. Die
ersteren erholen 6ich dann meistens sehr
rasch und stehen im Alter von 10 bis
12 Wochen den grösseren Ferkeln im Gewichte
nicht mehr nach. Freytag.
Entwöhnen der Fohlen, s. unter „Ab¬
setzen“.
Entwöhnen der Kälber. Die Ansichten
über die beste Zeit des Absetzens, Abspänens
oder Entwöhnens des Kalbes sind bei den
Züchtern der verschiedenen Länder, wo die
Rindviehzucht umfangreich betrieben wird,
sehr getheilt. Nach unseren Erfahrungen aus
der Praxis in Schleswig-Holstein kann die
Muttermilch in den ersten 7—8 Lebens¬
wochen durch keines der sog. Surrogate
(Kälbertränke) vollständig ersetzt werden,
und es empfiehlt sich dringend, die jungen
Thiere entweder gänzlich bei der Kuh zu
belassen oder dieselben täglich fünf- bis
sechsmal zu ihren Müttern zu führen, damit
sie die frische Milch in genügender
Menge aufnehmen können. Erst später, im
Alter von 2 Monaten, ist der Magen des
Kalbes soweit ausgebildet, dass derselbe
andere Futtermittel ohne Nachtheil auf¬
nehmen und verdauen kann. Getreideschrot,
gekochten Leinsamen, gutes feines Heu oder
Grummet können zudieser Zeit in den Stall-
l'ütterungswirthschaften an die Stelle der
Muttermilch treten, doch dürfte eine Zugabe
von etwas Milch auch dann noch zu empfehlen
sein. Wo gute, gesunde Weiden in der Nähe
des Hofes zur Verfügung stehen, werden
die Kälber im Alter vou 2—3 Monaten ohne
Nachtheil ausgetrieben, und sie können hier
— von der Mutter getrennt — bis zum Herbst
verbleiben. Sobald aber im October nasses,
kaltes Wetter eintritt, sollte das Jungvieh
in den Stall kommen und hier mit Heu,
Rüben, Kartoffeln und Oelkuchen ernährt
werden. Salzlecksteine dürfen im Kälberstalle
niemals fehlen. Das Entwöhnen der 2 Mo¬
nate alten Kälber wird allmälig vorgenommen
und kann sich auf die Dauer von 3 bis
5 Tagen erstrecken. Jul. Kühn empfiehlt, die
Entwöhnung der Saugkälber von der Mutter¬
milch in derselben Weise vorzunehmen wie
bei den durch Tränken aufgezogenen Thieren.
Man gebe ihnen in den ersten 8 Tagen
nach aem Absetzen nur kuhwarme Milch Und
entziehe ihnen dieselbe nur allmälig, damit
sie durch das Entwöhnen nicht vom Fleische
kommen. Das Auge des Herrn muss bei der
Aufzucht des Jungviehs stets, und ganz be¬
sonders zur Zeit des Absetzens desselben sehr
wachsam sein. Freytag .
Entyposis (von ivxoaoöv, Eindruck er¬
zeugen), Schultergelenk, Schulterpfanne. Sf.
Entzündung, Inflammatio, Phlogosis, v\6-
ytoais, ist ein mit Alteration der Gefasswände
verbundener Process gestörter Ernährung und
abnormen Stoffwechsels, der unter den Er¬
scheinungen von Hyperämie und Exsudation
von Serum und farblosen Blutkörperchen ver¬
läuft und mit Gewebsveränderungen verbunden
ist. Die Veränderungen können bestehen in
Infiltration mit Serum und Eiterkörperchen,
Entartungen, Neubildungen, Zerstörungen und
Brand. Schon Celsus (30 v. Chr. bis 50 n. Chr.)
stellte für die Entzündung vier Cardinalsym-
ptorae auf, u. zw. erhöhte Temperatur (Calor),
erhöhte Röthung (Rubor), Geschwulst (Tumor)
und Schmerz (Dolor). Zu diesen vier Cardinal-
symptomen der Alten kommt noch ein fünftes,
die Functionsstörung (Functio laesa). Aber
nicht bei jeder Entzündung sind alle fünf
genannten Symptome vorhanden. Bei Ent¬
zündungen gefassloser Theile, wie der Cornea
und Knorpel, .fehlt die höhere Röthe. die
Geschwulst ist nicht vorhanden bei Entzün¬
dungen der Knochen, Knorpel, der serösen
und fibrösen Häute des Gehirns und Rücken¬
marks, und ist auch da nur unbedeutend, wo
das Exsudat durch die Lymphgefasse schnell
wieder abgeführt wird. Schmerzen fehlen bei
Entzündungen solcher Theile, die wenig oder
keine sensiblen Nerven haben, wie die Nieren,
einige Schleimhäute u. a. Die Entzündung
kann alle Körperorgane und Gewebe ergreifen,
insbesondere aber die gefässhaltigen. Man
bezeichnet die Entzündung der einzelnen Or¬
gane durch Anhängen der Endung „itis u an
die griechische Bezeichnung der Organe, wie
z. B. Hirnentzündung als Encephalitis, Hirn¬
hautentzündung als Meningitis, Kehlkopf¬
entzündung Laryngitis, Nierenentzündung
Nephritis. Leberentzündung Hepatitis, Bron¬
chialentzündung Bronchitis etc. Entzündungen
der serösen Ucberzüge und äusseren Häute
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ENTZÜNDUNG.
595
werden durch Vorsetzen der Silbe „Peri il vor
die Benennung des entzündeten Organes be¬
zeichnet, z. B. Perimetritis, Entzündung des
serösen Ueberzuges des Uterus, Peribron¬
chitis, Entzündung de* die Bronchien um¬
kleidenden Bindegewebsmembran, Periphle¬
bitis, Entzündung der Aussenhaut der Venen.
Entzündung des die Organe umgebenden
Bindegewebes wird durch Vorsetzen der Silbe
„Para“ charakterisirt, z. B.Parametritis,Para¬
nephritis etc. Die Entzündungen ergreifen
entweder nur umgrenzte Partien, oder sie
sind diffus verbreitet. Die einmal entstandene
Entzündung kann sich der Continuität oder
■der Contiguität nach ausbreiten.
Ursachen. Die Disposition zu Entzün¬
dungen ist bei den verschiedenen Thier¬
gattungen verschieden. Mehr geneigt zu Ent¬
zündungen sind Pferde, Schafe, Schweine,
weniger Rinder, Esel und Hunde. Immunität
gegen Entzündung kommt keinem Thiere zu,
nur muss die Entzündungsursache oder der
Entzündungsreiz in verschiedenem Grade je
nach der Individualität einwirken, um eine
wirkliche Entzündung zu erregen.
Die Entzündungsursachen oder Erreger
sind 1. im Organismus selbst enthaltene, wie
Harnaustritt, Gallenergüsse, Austritt von
Koth und Darmgasen in die Bauchhöhle,
Bildungen von Zersetzungsproducten in den
Körpergeweben und Flüssigkeiten, Steine,
Innervationsstörungen etc.; 2. von aussen hinzu¬
gekommene, u. zw. traumatische, wie Schnitte,
Stiche, Quetschungen, eingedrungene fremde
Körper etc., thierische Parasiten, pflanzliche
Parasiten, Pilze und Schizomyceten (Miasmen,
Contagien), chemisch reizend oder zerstörend
wirkende Stoffe, Aetzmittel, Medicamente,
Gifte etc., und thermische, wie hohe Hitze-
und Kältegrade.
Um den Entzündungsvorgang zu beob¬
achten, bringt man durchsichtige Membranen,
wie die Schwimmhaut oder Zunge der Frösche,
Flügel der Fledermäuse oder das Mesenterium
■der Säugethiere im Zusammenhänge mit dem
lebenden Thiere unter das Mikroskop und
applicirt auf dieselben irgend ein Reizmittel,
wie Ammoniak, Salze, Säuren, Alkohol,
Kantharidentinctur, Senföl, höhere Hitze- oder
Kältegrade, mechanische Reize etc.
Es entsteht an den gereizten Stellen
nach vorübergehender Verengerung eine Er¬
weiterung der Arterien, Capillaren und kleineren
Venen. Zugleich mit der Erweiterung tritt
nach vorübergehender Beschleunigung eine
Verlangsamung des Blutstromes ein in Folge
von Abnahme des Blutdruckes und Zunahme
von Reibungswiderständen an den Gefäss-
wänden. Es sammeln sich in den kleinen
Venen die leichteren farblosen Blutkörperchen
an der Randzone an, fliessen langsamer,
stocken schliesslich ganz und beginnen theils
durch active Wanderung, theils durch das
Serum mitgezogen, durch die Wandungen hin¬
durch auszutreten, während die schwereren
rothen Blutkörperchen in der Mitte des Ge-
fässes ihren Strom fortsetzen. Aus den Ca¬
pillaren treten oft farblose und farbige
Körperchen zugleich aus und mit den Blut¬
körperchen eine vermehrte Menge von Serum,
Eiweiss und Fibrin. Die Gefässe sind somit
durchlässiger geworden; die Kittsubstanz des
Endothels hat sich gelockert, die Stomata
und Stigmata haben sich erweitert und er-
! möglichen den Austritt der unmittelbar an¬
liegenden weissen Blutkörperchen. Guerin
constatirte ausserdem Verbindungsbahnen
zwischen den Capillaren und den Lymph-
gefäs San fangen und ist der Meinung, dass
bei Entzündungen die flüssigen und festen
Exsudate aus den Lymphgefässen stammen
durch Erweiterung der sehr engen Verbindungs-
bahnen zwischen Blut- und Lymphgefässen.
Früher nahm man an, dass bei den Entzün¬
dungen nur Blutserum durch die Gefässwände
durchtrete; die in den entzündlichen Exsudaten
gefundenen Körperchen entstanden nach Vir-
chow durch Theilung der fixen Bindegewebs-
körperchen. SchonDöllinger 1819, Müller 1824,
und nach ihnen Koch, Hasselt, Kaltenbrunner
und Zimraermann hatten den Austritt farb¬
loser Blutkörperchen aus den Gefässen beob¬
achtet. Waller beschrieb den Vorgang der
Auswanderung farbloser Blutkörperchen 1846
recht genau, aber erst die Arbeiten Cohn¬
heims haben die Auswanderungstheorie bei
Entzündungen zweifellos festgestellt. Die
Cohnheim’sche Auswanderungstheorie findet
aber noch immer in den Anhängern der
Proliferationstheorie bei Entzündungen zahl¬
reiche Gegner wie: Stricker, Böttcher, Hoff-
mann, Recklinghausen, Norris, Kremianski,
Durante, Oser. Klein, Burdon-Sanderson,
Key, Wallis, Ranvier, Köster, Schrenk u. A.
Diese Autoren stützen sich auf ihre Beob¬
achtungen, nach welchen bei centraler Reizung
der Cornea, die gefässlos ist, sich im Reiz¬
bezirk Eiterkörperchen ansammeln, und leiten
diese von einer Proliferation der Hornhaut¬
körperchen her.
Cohnheim, Seidl, Senftlebcn, Eberth,
Bizzozero, Talma u. A. haben aber nachgewiesen,
dass bei Reizungen der Cornea der Reiz sich
bis auf den Cornealrand fortsetzt und aus den
getroffenen Randgefässen farblose Blutkörper¬
chen austreten und bis zum Centrum der
Cornea Vordringen, bei Verletzungen der
Cornea aber durch Nadeln, Haarseilehen etc.
eine Einwanderung der Zellen von der Con-
junctiva aus stattfindet. Aus den Hornhaut¬
körperchen entstehen keine Eiterkörperchen,
sondern bei der Heilung des Reizbezirkes
wieder Hornhautkörperchen. Eine Vermehrung
und Neubildung der festen zelligen Elemente
der Gewebe findet nur als Regeneration oder
Ersatz verlorengegangener oder zerstörter
Gewebselemente statt. Die Entzündungsreize
verursachen eine moleculärc Alteration der
Gefässwände, Lockerung des Gefässendothels
und der Kittsubstanzen, wodurcli die Reibung
zwischen Blut und Gefässwand vermehrt, der
Blutstrom verlangsamt wird und die Ge¬
fässe durchlässiger werden. Starke Aetzmittel
aber und Temperaturen von -{-54 und — 18°
ab verursachen absolute Stase und liehen die
I Circulation und Exsudation auf. Die Gewebe
38 *
596
ENTZÜNDUNG.
werden vernichtet, und es entstehen Aetz-
schorfe (Brand).
In gefössreichen Theilen fehlt bei den
Entzündungen fast nie eine Hyperämie, die
je nach dem Grade der Entzündung und dem
Gefässreichthum verschieden intensiv ausfallt.
Dieselbe wird verursacht durch Erweiterung,
Verlängerung und Ueberfüilung der Gefasse
mit Blut, später wohl auch durch Neubildung
von Capillaren. und Austritt farbiger Blut¬
körperchen. Die Hyperämie ist bald gleich-
massig, bald fleckig, streifig und punktförmig,
und variirt zwischen verschiedenen Graden,
die sich durch eine hellrothe bis dunkelbraun-
rothe Farbe anzeigen. Die Hyperämie erklärt
wohl die Röthe der entzündeten Partien, zum
Theil auch die vermehrte Wärme, die Ge¬
schwulst und den Schmerz, aber nicht die
Exsudation. Ueber die Ursachen der Entzün¬
dungshyperämie hat man verschiedene Theorien
aufgestellt:
1. Nach der spasmodischen Theorie von
Brücke, Cullen, Eisemann, Heine u. A. entsteht
durch den Entzündungsreiz entweder direct
oder reflectorisch eine krampfhafte Contraction
der kleinen Arterien, wodurch die vis a tergo
abnimmt und bei gleichzeitiger Contraction
der kleinen Venen sich Blut in den Capillaren
anhäuft.
2. Nach der paralytischen Theorie von
Stilling, Henle, Vacca, Wilson, Hastings u. A.
trifft der Entzündungsreiz die sensiblen Nerven
und verursacht eine antagonistische oder reflec-
torische Lähmung der Gefässnerven mit Er¬
schlaffung und Erweiterung der zuführenden
Arterien und vermehrter Blutzufuhr.
Diese beiden Theorien erklären wohl die
Hyperämie, aber nicht die Entzündung, denn
die Hyperämie als solche ist durchaus nicht
identisch mit Entzündung. Bei activen Con-
gestionen findet sich allerdings auch vermehrte
Röthung, Wärme, Zunahme des Umfanges und
wohl auch Schmerz, niemals aber vermehrte
Exsudation. Bei passiven, venösen Stauungen
findet sich ebenfalls vermehrte Röthung,
Schmerz, Geschwulst und auch Transsudation,
aber keine vermehrte Wärme. Ausserdem ist
das Stauungstranssudat sehr wässerig, arm an
farblosen und reich an rothen Blutkörperchen,
während das entzündliche Exsudat stets reich
an farblosen Blut- oder Eiterkörperchen und
Eiweiss ist und wenig rothe Blutkörperchen
enthält. Bei völliger Stase aber hört die Ex¬
sudation ganz auf und es tritt Brand ein.
Da Entzündungen auch in solchen Körper¬
teilen eintreten, die dem Nerveneinfluss durch
Durchschneidung der Nerven entzogen sind,
wie in gelähmten Gliedmassen, in den Augen
nach Durchschneidung des Nervus Trigeminus,
den Extremitätenenden nach Durchschneidung
der Fesselnerven, den Lungen nach Durch-
schneidung des N. Vagi etc., so genügen die
neurotischen Theorien zur Erklärung der Ent¬
zündungen nicht. Weder Hyperämie noch
Stase verursachen Entzündung.
3. Nach einer dritten oder der sog. Attrac-
tionsthcorie von Haller, Langenbeck, Emmert,
Vogel oder der Theorie der nutritiven Reizung
und cellularer Attraction von Virchow trifft
der Reiz die Gewebe und Zellen unmittelbar,
und von diesen geht der Anlass zu weiteren
Veränderungen aus. In Folge der Reizung
wird nach Virchow ftie auf Stoffaufnahme,
Ernährung und Neubildung gerichtete Thä-
tigkeit der Zellen und Gewebe gesteigert. Es
entsteht eine vermehrte Anziehung zwischen
den Zellen und dem Blute, ein grösserer Theil
des Blutplasmas als unter normalen Verhält¬
nissen tritt als Exsudat aus den Gefässen an
die Zellen und Gewebe und bewirkt Schwellung
und Vermehrung derselben. Die Vorgänge in
den Zellen und Geweben sind aber keine
activen, sondern rein passive, theilweise von
der vermehrten Exsudation abhängige. Bei in¬
tensiven Reizen werden ausserdem die zeitigen
Elemente der Gewebe mortificirt und können
von sich aus keinen activen Einfluss auf die
Gefasse und das Blut ausüben. Eine Alteration
der Gewebe und Zellen kann allerdings der
Alteration der Gefasse vorhergehen, damit aber
eine Entzündung entsteht, müssen die Gefäss-
wände selbst primär oder secundär, direct oder
indirect vom Entzündungsreiz getroffen und
moleculär verändert werden. Es entsteht in
Folge dessen Erweiterung der Gefasse,Lo ckerung
des Endothels und der Kittsubstanzen, Zunahme
der Reibungswiderstände, Verlangsamung des
Blutstromes, vermehrte Porosität und Durch¬
lässigkeit für Plasma und farblose Blut¬
körperchen.
Von einigen Autoren werden auch beson¬
dere moderirende oder der Secretion vorste¬
hende Nerven, ähnlich den Drüsennerven, an¬
genommen, durch deren Reizung, ebenso wie
durch Reizung der die Gefässe direct erwei¬
ternden Nerven eine vermehrte Exsudation
eintritt. Die von Weber, Schüler, Boner,
Buchheim constatirte Thatsache, dass nach
Unterbindung der Arterien und Venen einer
Extremität und Durchschneidung der Nerven
durch Application von Reizmitteln, wie Kali,
Ammoniak, Kochsalz, Natron, Salpeter, Subli¬
mat, Brechweinstein, Höllenstein, Kantha-
ridentinctur, Jodkali und anderer Aetzmittel
auf die Schwimmhaut des Frosches, in welcher
die Circulation aufgehört hat, das Blut aus
den Arterien und Venen rückwärts # in ^ie
Capillaren strömt, welche Thatsache von den
Autoren zu Gunsten der Attractionstheorie
gedeutet wird, spricht ebenso für eine directe
Alteration der Gefässwände, besonders da
solche Mittel, welche die Gefässwände nicht
angreifen, wie Wasser, Gummi, Alaun, Tannin¬
lösungen, phosphorsaures Natron ohne Einfluss
bleiben. Die Gefässwände müssen permeabler
werden und ihre Nutrition gestört oder auf¬
gehoben werden, damit es zur Exsudation
kommt.
Die wesentliche Bedingung für eine jede
Entzündung ist die Exsudation. Dieselbe kann
in allen Körpergeweben stattfinden und bildet
oft das einzige sichere Merkmal der Entzün¬
dung. Das Exsudat zerfällt in ein freies,
interstitielles und parenchymatöses, dem
Charakter und der Qualität nach in ein
seröses, albuminöses, schleimiges, fibrinöses
ENTZÜNDUNG.
597
(croupöses and diphtheritisches), hämorrha¬
gisches und eitriges (s. Exsudat).
Ausser Hyperämien und Exsudationen
kommen bei Entzündungen oft Neubildungen
von Geweben, Rückbildungen und Entartungen
su Stande. Die neugebildeten Gewebe gleichen
entweder vollkommen den normalen Geweben,
wie bei Regenerationen von Epithel, Epidermis,
Bindegewebe, Knocheügewebe, Gefässen, Ner¬
ven, Indurationen und Adhäsionen. Jedes
bedeutende Geschwür, Wunden und Substanz¬
verluste heilen durch die sog. Granulationen.
Die Granulationen gehen aus dem entzündeten
oder eiternden Boden hervor und bestehen
aus Neubildungen und Wucherungen von
Oapillarschlingenmit dazwischen eingelagerten
Zellen, aus denen sich nachher Bindegewebe,
sog. Narbengewebe entwickelt. Die Granu¬
lationen bilden zarte, rothe, kleine, leicht
blutende gefässreiche Knötchen auf der Ober¬
fläche von Wunden und Geschwüren. Ist der
Defect durch Granulationen vollständig aus¬
gefüllt, so wuchert das benachbarte Epithel
oder die Epidermis darüber hinweg, und die
Wundheilung ist vollendet. Die Adhäsionen
oder Verwachsungen der entzündeten serösen
Synovial- und Schleimhäute unter sich und
mit anliegenden anderen Organen kommen
durch Bildung eines gefässreichen Granu¬
lationsgewebes zu Stande. Die neugebildeten
Gefässe der gegenüberliegenden entzündeten
Membranen wachsen gegen einander und ver¬
schmelzen mit einander mit gleichzeitigerNeu-
bildung von Bindegewebe. Verwachsungen
der Schleimhäute unter sich und mit anderen
Organen können nur nach vollständigem Ver¬
lust des Epithels und Ersetzen desselben
durch Granulationsgewebe zu Stande kommen.
Durch Neubildung von Bindegewebe in
entzündeten Parenchymen bilden sich ent¬
zündliche Hypertrophien und Indurationen.
Schrumpft das neugebildete Bindegewebe
nachher zusammen, so entstehen die sog.
indurativen Atrophien und Cirrhosen, beson¬
ders in drüsigen Organen, wie Leber, Milz,
Nieren, Lungen. Auch Neubildung von Drüsen¬
gewebe (Leber, Milz) und cytogenem Gewebe
kommt zuweilen bei Entzündungen vor.
Rückbildungen und degenerative Vor¬
gänge sind bei Entzündungen häufig. Zunächst
entsteht bei jeder Entzündung eine moleculäre
Veränderung der Gefässwände, die nachher
zur Norm zarückkehrt oder aber mit bleibender
J Vernichtung der Gefässe endet. Auch die
Veränderungen in den umgebenden gereizten
Geweben sind entweder vorübergehend, oder
sie führen zum Untergang derselben. Am
häufigsten findet sich eine albuminöse Infil¬
tration oder körnige Trübung der Zellen
(Epithel und Drüsenzellen). Im weiteren Ver¬
lauf kann hinzukommen eine schleimige und
fettige Metamorphose oder völliger Zerfall
und Untergang der Zellen mit oder ohne
nachherige Regeneration. Ausser in den
Zellen kommen Entartungen durch Entzün¬
dungen zu Stande im Hirn und Rückenmark,
im Muskel- und Knochengewebe.
Bei Einwirkung sehr intensiver Reize,
wie concentrirter Aetzmittel, hoher Hitze- und
Kältegrade, starker Quetschungen und Zer¬
trümmerungen etc., wobei die Gefässwände
mortificirt werden und die Circulation auf¬
hört, stirbt der ausser Ernährung gesetzte
Theil ab; es entsteht Schorfbildung oder
Brand der Gewebe mit Entzündung in der
Umgebung und Bildung einer‘Demarcations-
linie, durch welche das abgestorbene Gewebe
abgestossen oder eingekapselt wird. Anderer¬
seits kann bei sehr heftigen Entzündungen
mit reichlicher Exsudation in den Paren¬
chymen »und Geweben durch Druck des Ex¬
sudats, Compression der Gefässe oder durch
Bildung von Thromben in den Gefässen der
Blutzufluss nachher aufgehoben werden, und
der entzündete Theil stirbt brandig ab.
Die angeführten Cardinalsymptome der Ent¬
zündung — Röthe, Hitze, Geschwulst, Schmerz,
und Functionsstörung — sind nur an der
äusseren Haut und den zugänglichen Schleim¬
häuten deutlich sichtbar. Innere Entzündungen
sind meist nur aus den Functionsstörungen und
dem die Entzündung begleitenden Fieber zu
diagnosticiren. DieEntzündungsröthe entsteht,
wie erwähnt, durch Anfüllung der erweiterten
Blutgefässe, Verlängerungen und Neubildungen
derselben und zuweilen auch durch Blut-
extravasate.
Die Entzündungshitze erklärt sich durch
vermehrten Zufluss warmen Blutes und durch
verstärkten Stoffwechsel im entzündeten Theil.
Die Wärme entzündeter äusserer Körpertheile
steigt um einige Grade höher als die der
gleichen nichtentzündeten, trotzdem dass
die Wärmeausstrahlung entzündeter Theile
vermehrt ist. Allerdings erreichen entzündete
äussere Körpertheile selten die normale Blut¬
wärme. Requerel und Brechet haben aber
nachgewiesen, dass das aus einem entzündeten
Körpertheil abfliessende Venenblut wärmer
ist als das zufliessende Arterienblut, und
ebenso wärmer als das Venenblut der ent¬
sprechenden gesunden Körpertheile.
Die Entzündungsgeschwulst bildet sich
durch vermehrte Anfüllung der Blutgefässe,
vermehrten Blutgehalt, vermehrte Exsudation
und Anhäufung des Exsudats in den Geweben
uhd Parenchymen der entzündeten Theile,
oft auch durch Neubildung von Bindegewebe
und Gefässen und durch Blutaustritte.
Der Entzündungsschmerz entsteht im
Beginne durch Einwirkung des die Entzündung
erregenden Reizes, der direct die sensiblen
Nerven trifft. Im weiteren Verlauf der Ent¬
zündung wird die Nervenreizung durch den
Druck von Seiten der angefüllten Gefässe und
des angesammelten Exsudats bedingt. Der
Schmerz ist um so heftiger, je härter und
unnachgiebiger der entzündete Theil ist, wie
z. B. unter dem Hufhorn, unter Fascicn, dem
Periost, in den Drüsen, den serösen HäuteiT
und Synovialhäuten. Ferner hängt der Grad
des Schmerzes von der Intensität der Ent¬
zündung und der Masse des Exsudats ab.
Der Schmerz ist bald umgrenzt, bald diffus
und irradiirt und wird im centralen Nerven¬
system auf Nerven ganz gesunder Theile
• 598
ENTZÜNDUNG.
übertragen. Wenig schmerzhaft sind Entzün¬
dungen weicher, nachgiebiger Theile, wie der
äusseren Haut und der Schleimhäute. Auch
die vom N. Sympathicus versorgten Organe,
wie die Brust- und Bauchorgane und Ge-
schlechtstheile, können bei Entzündungen sehr
heftige Schmerzen verursachen durch Fort¬
pflanzung des Reizes durch die Spinalwurzeln
des Sympathicus zum Rückenmark. Die Function
der entzündeten Theile ist in verschiedenen
Graden gestört, verändert, vermindert oder
aufgehoben. Zu derartigen Functionsstörungen
gehören: Lähmungen der Muskeln, Athmungs-
störungen, Verdauungsstörungen, Durch¬
falle etc.
Für die Diagnose der Entzündungen
innerer Organe liefern die Auscultation, Per¬
cussion und das Thermometer unentbehrliche
Hilfsmittel.
Die Entzündungen verlaufen acut und
chronisch; die acuten führen schnell zur
Genesung oder zum Tode, die chronischen
verursachen oft langwieriges Siechthum, Ab¬
zehrung, Anämie, Entartungen und den Tod
durch Erschöpfung.
Die Ausgänge der Entzündungen sind:
1. Zertheilung, Resorption und Wieder¬
kehr zur Norm.
2. Vereiterungen und Infiltrationen.
3. Bleibende Ernährungsstörungen.
4. Der Tod (localer oder allgemeiner).
Die Zertheilung geschieht durch Resorp¬
tion der Entzündungsproducte nach Zerfall
derselben zu Eiweiss- und Fettmolecülen,
Ausgleich der Störungen in den Gefässwänden
durch das circulirende Blut und Neubildung
verloren gegangener Elemente.
Bleibende Störungen erfolgen durch Ver¬
wachsungen, Adhäsionen, Indurationen, Hyper¬
trophien, Schrumpfungen, Cirrhosen, Atro¬
phien und bleibende Entartungen entzündeter
Gewebe.
Der Tod kann sein ein örtlicher durch
aufgehobene Ernährung eines entzündeten
Körpertheiles (Brand) oder der Tod des
ganzen Individuums durch hochgradige Störung
oder Vernichtung der Function lebenswichtiger
Organe, wie der Lungen, des Herzens, des
Gehirns, der Leber, der Nieren oder durch
Aufnahme der Entzündungsproducte ins Blut,
hochgradiges Fieber oder Blutvergiftung mit
deletärem Eiter (Pyämie) oder mit Jauche
(putride Vergiftung und Septicämie).
Die Eintheilung und Gruppirung der
Entzündungen geschieht nach der Dauer,
nach den ätiologischen Momenten, nach dem
Charakter und den vorwaltenden Erschei¬
nungen.
Der Dauer nach zerfallen die Entzün¬
dungen in acute (fieberhafte) und chronische
(fieberlose).
Nach den Ursachen theilt man die Ent¬
zündungen ein in:
1. Traumatische Entzündungen, Wund¬
entzündungen, mechanische Entzündungen
durch äussere Gowalteinwirkungen, Verwun¬
dungen, Druck, Quetschungen, Decubitus, Zer-
reissungen, eingedrungene fremde Körper etc. r
durch Storung normaler Ernährung und nor¬
malen Blutzuflusses entstandene. Durch die-
traumatischen Entzündungen kommt die Wund- *
heilung zu Stande entweder per primam
intentionem durch Verklebung und Granu¬
lation oder per secundam intentionem durch
Eiterung und Granulation.
2. Toxische oder chemische Entzündungen
entstehen durch Einwirkung von Aetzmitteln,
scharfen Stollen und Giften.
3. Physikalische oder thermische Entzün¬
dungen oder Verbrennungen und Erfrierungen
durch Einwirkung grosser Hitze- und Kälte¬
grade.
4. Virulente Entzündungen entwickeln
sich unter dem Einfluss von Brandjauche,
fauligen Flüssigkeiten und um brandig abge¬
storbene Körpertheile herum.
5. Dyskrasische Entzündungen durch An¬
häufungen schädlicher Stoffe im Blute und
den Geweben (Scorbut, Gicht).
6. Infectiöse, miasmatische, contagiöse
und parasitäre Entzündungen entwickeln sich
nach Aufnahme von Miasmen, Contagien >
Pilzen und parasitischen Thieren.
7. Rheumatisch katarrhalische Entzün¬
dungen werden durch Einwirkung von Kälte,
Feuchtigkeit und besonderen Miasmen bedingt.
8. Metastatische Entzündungen durch
eitrigen Zerfall von Thromben oder Hinein-
gerathen deletärer fester Substanzen in die
Blutbahnen und Steckenbleiben derselben in
den Gefässen innerer Organe.
9. Hypostatische Entzündungen entstehen
bei geschwächter Herzkraft und Marasmus
durch passive Blutstauungen, zu welchen
geringfügige Reize hinzukommen.
10. Anästhesische und neuroparalytische
Entzündungen, durch Verletzungen und Durcb-
schneidungen von Arterien und Nerven.
11. Neurotische und reflectorische Ent¬
zündungen, durch Nervenreize und Reflexe
bedingte (Herpes Zoster, Pemphigus, Urti¬
caria) von congestivem und exsudativem
Charakter.
12. Früher nahm man eine sog. genuine
oder spontane Entzündung an, bei welcher
keine evidente Ursache nachzuweisen war.
Jetzt wissen wir aber, dass zu jeder Ent¬
zündung ein entzündungserregender Reiz ge¬
hört; die genuinen oder spontanen Entzün¬
dungen sind daher solche, wo geringfügige
Reize zu Entzündungen besonders disponirte,
Organe treffen.
Nach den vorwiegenden Erscheinungen
theilt man die Entzündungen ein in:
1. AnämischeEntzündungen, durch mangel*
haften Zufluss arteriellen Blutes hervorgerufen.
2. Die congestiven oder vasculösen Ent¬
zündungen, bei welchen die Hyperämie, Er¬
weiterung, Verlängerung und Neubildung von
Gefässen vorwiegt und die Exsudation nicht
sehr bedeutend ist. Entartungen, Neubildungen
und Rückbildungen fehlen meist, und die
vollkommene Heilung ist hier Regel. Hieher
gehören alle acuten leichten katarrhalischen
Schleimhautentzündungen sowie die leichteren
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ENTZÜNDUNG.
599
Formen der Hautentzündungen (Erythem,
Erysipel), die leichteren Entzündungen der
serösen Häute, Drüsen und Muskeln (Rheuma¬
tismen).
3. Exsudative Entzündungen, bei welchen
die Exsudation besonders hervortritt; die¬
selben zerfallen wieder nach dem Charakter
der Exsudate in:
a) Entzündungen mit fibrinösem Exsudat in
den serösen und Schleimhäuten, Lungen etc.;
b) Entzündungen mit serösem Exsudat
in den serösen und Synovialhäuten, Lungen,
die vesiculösen Hautentzündungen (Eczem,
Herpes, Pocken);
c) dio desquamativen und parenchyma¬
tösen Entzündungen mit Abstossung und
Zerfall des Epithels;
d) die Entzündungen mit schleimigem
Exsudat in den Schleimhäuten;
e) die croupösen Entzündungen mit Bil¬
dung von Pseudomembranen;
f) die eitrigen oder purulenten Entzün¬
dungen mit Secretion reinen oder gemischten
Eiters in allen Organen und Geweben, bei
Einwirkung intensiver Beize und Gegenwart
niederer Organismen und eines Ferments, das
die Gerinnung des Exsudats hindert. Die
eitrigen Entzündungen zerfallen wieder in
rein purulente mit Eitersecretion an der Ober¬
fläche oder in Parenchymen und in die
ulceratiye mit Zerstörung von Geweben und
Geschwürsbildung. Die eitrige Knochenent-
zünduug wird mit dem Namen Caries be¬
zeichnet.
Jede Wunde, Aetzung, Quetschung, jeder
Substanzverlust und jede heftige Entzündung
kann in Geschwürsbildung Übergehen. Der
Geschwürsbildung geht oft Entartung und
Zerfall der Gewebe voraus. Nach dem Charakter
theilt man die Geschwüre in gutartige, bös¬
artige, fressende, torpide, nach dem Krank-
heitsprocess in katarrhalische, diphtheritische,
folliculäre, scorbutische, dysenterische, typhöse,
tuberculöse, carcinomatöse, brandige Ge¬
schwüre, Rotz- und Wurmgeschwüre etc. Nicht
jede Wunde und nicht jeder Substanz Verlust
ist aber ein Geschwür; die Geschwürsbildung
ist stets mit progressivem Zerfall von Geweben
verbunden und durch Eitersecretion charakteri-
sirt. Die Ulcera heilen nachher durch Granu¬
lation. Die ulcerative Entzündung bildet einen
Uebergang zu den degenerativen Formen.
4. Die productiven Formen der Entzün¬
dung zeichnen sich durch vorwiegende Neu¬
bildung von Geweben aus; sie verlaufen meist
langsam, das Exsudat ist meist sparsam und
enthält farblose Blutkörperchen. Vorzugsweise
werden Gefässe und Bindegewebe neugebildet.
Die Gefässneubildung geschieht durch Spros¬
sung aus den vorhandenen Capillaren oder
intercellulär in Zellensträngen, die sich zu
Röhren verbinden, oder aber intracellulär
durch Zellen mit Fortsätzen, die sich canali-
siren und verschmelzen.
Durch Verschmelzung der ausgewanderten
farblosen Blutkörperchen entstehen epitheloide
Riesenzellen und Protoplasmakörper, aus
welchen durch Zerklüftung und Fibrillen¬
bildung Bindegewebe hervorgeht. Die produc¬
tiven Entzündungen führen in den serösen
Häuten zu Verdickungen, Bildungen von
Sehnenflecken, Zotten und Adhäsionen; in
den Schleimhäuten entstehen Hypertrophien
und Verdickungen, in drüsigen Organen
Hypertrophien, Indurationen, Scirrhosen und
Sclerosirungen. Oft entstehen auch wirkliche
Neubildungen in Form von Geschwülsten
(Warzen, Polypen).
5. Die degenerativen Entzündungen zer¬
fallen in einfach degenerirende und brandig-
gangrenös-nekrotische. Bei den einfach dege-
nerirenden Entzündungen werden die Zellen
und Gewebe erst albuminös infiltrirt, dann
fettig entartet (parenchymatöse Entzündungen
der Leber, Nieren, Knorpel, Muskeln etc.).
Die brandigen Entzündungen entstehen
durch nachherige absolute Stase des Blutes
oder durch vollständige Vernichtung der
Gewebselemente in den entzündeten Geweben
oder durch Einwirkung einmal gebildeter
Brandjauche, durch welche die damit berührten
Gefässe und Gewebselemente mortificirt werden.
Zu den brandigen Entzündungen kann man
noch als Unterabtheilungen rechnen:
a) Die diphtheritische Entzündung mit
Infiltration der Gewebe, mit zelligem Exsudat
und Absterben derselben;
b) die typhöse Entzündung mit zelliger
oder serös blutiger Infiltration;
c) die phagadaenische Entzündung, die
sich durch eine progressiv fortschreitende
schichten weise Zerstörung der eitrig infiltrirten
Gewebe charakterisirt;
d) die käsige Entzündung, wobei die
Gewebe zu trockenen, grauen oder orange¬
gelben käsigen Massen zerfallen, nachdem
sie eitrig infiltrirt worden;
e) die tuberculöse und scrophulöse Ent¬
zündung mit massenhafter Zellenproduction
und nachheriger Verkäsung, atheroraatöser
Entartung, Verkreidung und Verkalkung;
f) die nekrotische Entzündung mit Ver¬
trocknung oder jauchigem Zerfall der abge¬
storbenen Gewebe.
6. Specifische Entzündungen durch Ein¬
wirkung und mit Production specifischer Gifte,
wie Rotz, Wurm, Milzbrand, Erysipel etc.
Bei den meisten exsudativen, den dege¬
nerativen und specifischen Entzündungen
spielen niedere Organismen aus der Gruppe
der Spaltpilze eine wichtige Rolle.
Nach dem Charakter wurden die Ent¬
zündungen früher eingetheilt in:
1. athenische, kräftige, active und
2. asthenische, schwächliche oder passive.
Die sthenischen, activen Entzündungen
verlaufen schnell mit kräftiger Reaction von
Seiten des Körpers (hieher gehören acute
Rheumatismen, Pneumonien, Pleuriten, Ery¬
sipele, traumatische Entzündungen etc.); als
hypersthenisch bezeichnet man Entzündungen,
die sich durch profuse Exsudationen, Ent¬
artungen oder brandigen Zerfall auszeichnen.
Die sthenischen Entzündungen sind meist
fieberhaft und kommen bei kräftigen, gut ge¬
nährten Thieren vor.
— ENUCLEATIO BULBI.
600 ENTZÜNDUNGSFIEBER.
Die asthenischen, passiven, adynamischen
Entzündungen verlaufen meist chronisch,
kommen bei schwächlichen, mangelhaft er¬
nährten Thieren vor oder an geschwächten,
gelähmten Körpertheilen mit mangelhaftem
Blutzufluss und mangelhafter Reaption. Die
Behandlung der Entzündungen besteht in
Anwendung des antiphlogistischen Heilver¬
fahrens. Dazu gehören locale und allgemeine
Blutentziehungen, Anwendung der Kälte (in
den ersten Stadien), Ableitungsmittel, scharfe
Einreibungen in der Haut, Haarseile, Abführ¬
mittel, die kühlenden Mittelsalze, China¬
präparate etc.
Soll die Zertheilung oder Eiterung be¬
fördert werden, so wendet man warme Kata-
plasmen und scharfe Mittel an.
Bei specifischen Entzündungen kommen
die antiseptischen und desinficirenden Mittel
in Anwendung.
Zur Beförderung der Resorption von Ent-
zündungsproducten kommen auch Druckver¬
bände, Massage, Quecksilber, Jod, Alkalien etc.
in Verwendung.
Chronische Entzündungen werden oft in
ein acutes Stadium versetzt und dann ener¬
gisch behandelt
(Behandlung der Entzündung einzelner
Organe s. bei diesen.) Semmcr.
Entzündungsfieber, Febris inflamm&toria
(Febris, das Fieber, inflammare, entzünden)
s. Febr. phlogistica 0pXo£, Flamme) s. Febr.
synochalis (ooveyeiv, Zusammenhalten) s. Febr.
angiotenica (d^ystov, Gefäss, tsivsiv, spannen)
s. Febr. sthenica (ofl-evos, Kraft), leitet in der
Regel jede Entzündung der verschiedenen
Organe ein; es beruht auf einer Störung in
den Verrichtungen des Central-Nervensystems,
namentlich derjenigen Centren, welche den
Stoffwechsel regeln, wie dies vom Vagus be¬
kannt ist. Man unterstellt hiebei eine läh¬
mungsartige Schwäche des Vagus, hingegen
eine ungewöhnliche Erregung der Herzganglien
durch die erhöhte Temperatur des Blutes. Die
neuesten Forschungen machen es wahrschein¬
lich, dass pyrogene f tc 5p, Feuer) Stoffe, z. B.
Mikrococcen, Bacterien etc. in das Blut ein¬
gedrungen sind, welche auf die Moderation
der Wärmebildung und des Stoffwechsels
alterirend ein wirken; es steigert sich in Folge
dessen die Oxydation der Fette und Eiweiss-
stoflfe in den Organen und mit ihr die Körper¬
temperatur und der Verbrauch an organischen
Stoffen.
Aus den angeführten Vorgängen lassen
sich die Symptome des Entzündungsfiebers
erklären; sie bestehen in Verstimmung des
Allgemeingefühls, Abgeschlagenheit, Mattig¬
keit, Verlust des Appetits, Frostschauer, der
sich durch Zittern, Aufsträuben der Haare,
blasse Schleimhäute, Kälterwerden der extre¬
men Körpertheile, kleinen Puls und retardirte
Excretionen zu erkennen gibt, gefolgt von
Schweissausbrüchen, Steigerung der Körper¬
temperatur, Vollerwerden des Pulses, Freier¬
werden der Se- und Excretionen, höherer
Röthung der Schleimhäute und Beschleunigung
der Respiration. Abnahme der Kräfte, Steige¬
rung des Durstes und Abmagerung sind weitere
Folgen des beschleunigten Stoffwechsels. Die
Höhe der Körpertemperatur, welche mit dem
Thermometer festzustellen ist, gibt den zu¬
verlässigen Masstab für den Grad des Fiebers
und für die Lebensgefahr des Patienten
ab; mit der Zunahme der Temperatur über
die Norm steigt in demselben Grade die Be¬
drohung des Lebens, in den meisten Fällen
steht mit ihr die Frequenz und Qualität des
Pulses im Einklang. Herabsetzung der Körper¬
temperatur ist deshalb bei dem Entzündungs¬
fieber eine indicatio vitalis, ganz besonders,
wenn die Temperatur 41—42° C. erreicht;
wir bewirken eine Verminderung der Fieber¬
hitze durch Aufenthalt der Patienten in gut
ventilirten kühlen Stallungen, Verabreichung
kühlender Getränke, die man je nach den
Umständen mit Kali nitr., Natr. nitric., Kali
chloric., Kali sulfuric., Tart. stibiat., Ammon,
hydrochlorat., Natr. salicylic., Kalomel etc.
versetzt. Als die Temperatur herabsetzende
Mittel haben sich ferner bewährt: Wein,
Branntwein, Aconit, Veratrin, Chinin, Hydro¬
chinon, Resorcin, Antipyrin, Coffein, Digitalis,
Convallarin. Convallaria majalis wirkt ganz
wie Digitalis, sie ist ein beruhigendes Herz¬
mittel, das man als Extract in der Durch¬
schnittsdosis von 1*0—l*50g per Tag (für
die mittelgrossen Hausthiere) geben kann; sie
verdient vor der Digitalis den Vorzug, weil
sie keine ungünstigen Nebenwirkungen hat
und die Herzkraft nicht schliesslich erschöpft.
Resorcin gebe man stündlich von 1—2—5 g
als mittlere Dosis. Das Antipyrin ist ein
Chinolinderivat von starker, antifebriler Wir¬
kung in der mittleren Dosis von 2 g alle
1—2 Stunden. Das Hydrochinon hat sich bei
fieberhaften Entzündungen in der Dosis von
1*0, dreimal zu wiederholen, als ein prompt
wirkendes Febrifugum erwiesen. Das Coffeinum
wirkt analog der Digitalis, die Wirkung er¬
folgt aber viel schneller als von der Digitalis;
pro die können 0*8—1*80 g, in verschiedenen
Gaben getheilt, gegeben werden.
Für die Herabsetzung der Körpertempe¬
ratur sind noch Kaltwasser-Klystiere, kalte
Umschläge in der Nähe der entzündeten
Organe, Einhüllungen des ganzen Körpers in
nasse Tücher und Kaltwasserdouchen von
wesentlicher Bedeutung. Im Uebrigen ist
die Behandlung der Entzündung ihrer Art
und ihrem Wesen nach zu modificiren. Anr .
EntzÜRdungswidrige Mittel, s. Antdphlo-
gistica und Antiseptica.
Enucleatio bulbi, die operative Aus¬
lösung des Augapfels aus seiner Scheiden-
und Bindehaut unter Schonung und Zurück¬
lassung der Nebenapparate des Auges in der
Augenhöhle.
Die Enucleation ist immer als eine ein¬
greifende Operation zu betrachten und dem
Patienten daher die Aufmerksamkeit zu schenken,
als ob er schwer verwundet wäre.
Vorgänge bei der Operation. Die in
der humanen wie Thier-Medicin (hier mit
einigen durch anatomische Verhältnisse gebo¬
tenen Modificationen) heute allgemein ange-
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ENUCLEATIO BULBI. 601
wendete Methode der Enucleatibn des Aug¬
apfels ist in ihren Grundzügen von Bonnet
zuerst * angegeben und von Stöber ausge¬
führt worden; bei Thieren wurde die Operation
nach dieser Methode mit den nöthig gewor¬
denen Aenderungen, resp. Weiterungen zuerst
von Berlin (Repertorium der Thierheilkunde,
Bd. 37, p. 106 u. ff., 1876) unternommen und
beschrieben.
Wegen der Durchschneidung der Ciliar¬
nerven, einem sehr schmerzhaften Vorgang,
und zum Zwecke einer ruhigen, präcisen und
ungestörten Führung der Instrumente ist die
Vornahme der Operation in der (Chloroform-)
Narkose — wo sie nur irgend möglich ist —
dringend zu empfehlen; doch hat Berlin (1. c.)
selbst beim Pferde ohne dieselbe operirt.
Das Thier wird auf die entgegengesetzte
Seite niedergelegt und gut fixirt; kleinere
Thiere kommen auf einen niedrigen Tisch zu
liegen, vor welchem der Operateur sitzt. Bei
grossen - Thieren kniet derselbe hinter dem
Kopfe. Die Umgebung des Operationsfeldes
wird mit Sublimatlösung (1:5000) eingehend
desinficirt. Vermittelst je eines eingelegten
Desmarre’schen Lidhalters zieht ein Assistent
das obere und untere Augenlid ab, während
ein zweiter sich damit beschäftigt, die Palpebra
tertia in eine Fixirpincette zu fassen und die¬
selbe zu ektropioniren, so dass das Operations¬
terrain zur Anschauung kommt. Der Operateur
beginnt damit, dass er die Lidspalte durch
einen geraden Schnitt mittelst eines Bistouri
in ihrem temporalen Winkel um 1—1*5 cm
erweitert. Nach diesem vorbereitenden Schnitte
wird mit einer Blömer’schen Fixationspin-
cettc eine Falte der Conjunctiva unmittelbar
vor dem Ansätze des Musculus rectus externus
gefasst und dieselbe mit einer Cooper’schen
Scheere eingeschnitten. Die eine Branche der
Scheere wird nun unter die Schleimhaut ge¬
schoben und die Conjunctivalwunde zuerst in
der Richtung nach oben-innen, dann in der
Richtung nach unten-innen bis je an die An¬
sätze des Muse, rectus superior, resp. rect.
inferior verlängert. Darauf wird ein stumpfer
Schieihaken (die in menschenärztlichem Ge¬
brauche stehenden Schieihaken sind für grössere
Hausthicre etwas schwach und daher unzu¬
reichend, weshalb sie in etwas vergrössertem
und verstärktem Massstabe anzufertigen sind)
unter die Sehne des Muse. rect. ext, gebracht,
dieselbe straff angezogen und sodann mit der
Scheere durchschnitten; in gleicher Weise die
Sehne des Muse. rect. inf. et sup. Wenn nun
die Conjunctivalwunde noch erweitert wird,
ist man im Stande, den Muse. rect. internus
in gleicher Weise zu durch trennen. Danach
werden die Sehnen der beiden Muse, obliqui
mit dem Haken aufgesucht und durchschnitten.
Auf diesen ersten Theil der Operation,
welcher bezweckt, die vordere Hälfte des
Augapfels von seiner conjunctivalen und mus-
culären Anhaftung zu trennen, folgt der
zweite, bei welchem die hintere Augapfel¬
hälfte von ihren Verbindungen abgelöst werden
soll: vom Musculus retractor und dem Nervus
opticus.
Indem man die C o o p e rische Scheere mit
dem concaven Theil über den Augapfel nach
hinten bringt, macht man zunächst an der
oberen peripheren Anheftung des Retractor
mit einigen kurzen Scheerenschnitten eine Lücke
in denselben, drängt den Schieihaken durch
diese Lücke in den Muskeltrichter hinein,
spannt den Rand der Lücke scharf an, wobei
man den Augapfel hervorzuziehen sucht, und
durchschneidet ringsum den Muskelansatz in
seiner ganzen Peripherie. Während dieses
Actes ist besondere Aufmerksamkeit darauf zu
verwenden, dass man bei keinem allenfalls zu
senkrecht ausfallenden Schcerenschlage die
Augenkapsel (Sclera) durchzwickt und so ein
Auslaufen des Glaskörpers veranlasst. Es er¬
übrigt nach dfer Retractor-Durchschneidung nur
noch die Trennung des Sehnerven, \^ozu man
den Zeigefinger der linken Hand über den nun
schon so ziemlich aus der Augenhöhle hervor¬
tretenden Augapfel hinweg gegen den Grund
der Augenhöhle zu führt, bis seine Spitze den
nicht zu verkennenden rundlichen Nervenstrang
fühlt; man führt auf dem Finger die Scheere
geschlossen bis an den Sehnerven vor, öffnet
sie, schiebt die beiden Branchen über den
Opticus und durchtrennt ihn in möglichster
Nähe des Bulbus mit einem einzigen, kräftigen
Scheerenschlage.
Der jetzt vollkommen gelöste Augapfel
lässt sich leicht aus der Orbita herausdrängen
und mit den Fingern erfassen, wobei allen¬
falls noch bestehende Verbindungen vollends
durchtrennt werden.
Die Blutung ist während der Operation
meist nur eine mässige, nicht störende; erst
nach der letzten Durchtrennung des Opticus
kann es Vorkommen, dass die Arteria ophthal-
mica aus der Augenhöhle herausspritzt. Der
Blutverlust ist jedoch nur «in ganz massiger,
und man halte sich daher nicht damit auf,
blutende Gefässe mittelst der Pincette auf¬
suchen und unterbinden zu wollen — was
ohnehin meist vergebliches Bemühen ist —
sondern spüle die Orbita frischweg mit Eis-
wasser aus, wodurch sich die Gefässlumina
an und für sich verengen, worauf man
die Tamponade der Orbita ausführt. Als
Material zu Tampons kann man wohl mit
antiseptischen Stoffen imprägnirte Watte be¬
nützen. Der im lateralen Lidwinkel zu Beginn
der Operation angelegte Schnitt wird durch
zwei Suturen geschlossen, und wenn es nöthig
werden sollte, kann man über dem Tampon
die Lider ebenfalls vernähen; doch durchsticht
man dieselben nicht in ihrer ganzen Dicke,
auch nicht an ihrer Lidrandportion, sondern
fasst etwa in gleicher Entfernung vom ciliaren
wie orbitalen Rande eine Hautfalte, durch¬
sticht sie unter Schonung des darunter liegenden
Tarsus und knüpft dann die Naht. Unter
solcher Vorsicht geschlungene Nähte reissen
auch nicht so leicht aus als die am Lidrande
gezogenen.
Nach 2—5 Tagen kann man. die Lid-
suturen lösen, den antiseptischen Tampon
herausnehmen und nun die Orbitalhöhle durch
Ausspülungen mit Sublimatwasser täglich von
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602 ENULA. — ENZOOTISCHE KRANKHEITEN.
ihrem leichten Eiterbeschlage reinigen, ohne
dass eine erneuerte Tamponade nöthig wäre.
Unter einem grauweissen Beschläge der
blossgelegten Scheidenhaut entwickeln sich
Granulationen, und allmälig verkleinert sich
die granulirende Fläche dadurch, dass die
Conjunctiva bulbi von der Peripherie gegen
die Eintrittsstelle des Nervus opticus in die
Orbita hineingezogen wird. Dieser Process pflegt
in 8—14 Tagen ganz beendet zu sein. Je
mehr von der Conjunctiva bulbi zurückgelassen
werden konnte, desto leichter erfolgt die Ver¬
wendung desselben zur Ueberkleidung der
Höhle, und desto geräumiger gestaltet sich
diese bei der Vernarbung.
Sobald jeder entzündliche Reizzustand
verschwunden ist, schreite man in'den nächsten
14 Tagep bis 4 Wochen unter hier zu beob¬
achtenden Cautelen zur Einlegung eines künst¬
lichen Auges (s. Prothesis ociüaris). Der Effect,
den die Proth. oc. erzielen soll, wird nach
Enucleationen meist ziemlich vollständig er¬
zielt, da die Schale sich auf ein Muskelpolster
stützt und so gut liegt.
Indicationen zur Enucleation.
Berlin (1. c. p. 116) stellt 6 Indicationen fest:
Die Ausschälung des Augapfels ist ge¬
boten :
1. in allen jenen Fällen, wo innerhalb der
Augenkapsel ein diagnosticirbarer Tumor vor¬
handen ist (Gliom, Sarcom, Carcinoip), voraus¬
gesetzt, dass derselbe die Sclera noch nicht
durchbrochen und sich über die Adnexa des
Augapfels verbreitet hat. Sollte dieser unglück¬
liche Fall bereits ein getreten sein, so genügt
natürlich die Enucleation allein auch nicht
mehr, sondern es müssen durch vollständige
Ausweidung der Augenhöhle die Geschwulst¬
massen oft sogar unter Mitnahme des Periostes
entfernt werden;
2. bei Luxationen des Bulbus, w r enn
der vorgetretene Augapfel auf keine Weise
mehr in seine Höhle zurückgebracht zu werden
vermag oder bei gleichzeitiger Verwundung,
Vertrocknung oder sonstiger Destruction ohne¬
hin verloren ist (häufig bei Möpsen, Bull¬
doggen);
3. bei ausgedehnten Verletzungen der
Sclera oder Hornhaut oder beider Membranen
zugleich, wenn der Verlust des Auges auf
dem Wege langwieriger Entzündung zu er¬
warten steht;
4. bei empfindlichen phthisischen Aug¬
äpfeln, wenn die Empfindlichkeit derselben
das Tragen eines künstlichen Auges unmög¬
lich macht, und endlich
5. in jenen Fällen, wo in einem Auge
Processe sich abgespielt haben, welche be¬
fürchten lassen, dass das andere, bis dahin
noch gesunde Auge sympathisch ergriffen werde
und schliesslich auch zu Grunde gehe. Hier
tritt die Enucleation mit vielem Vortheil an
die Stelle jener etwas rüden Operationen des
Durchsteeliens des Auges mittelst eines Nagels,
Querdurchschneidens der Hornhaut etc. etc.
Als Contra-Indication für die Enu¬
cleation ist der Fall anzusehen, dass in dem
betreffenden Auge floride entzündliche Processe
(Panophthalniitis) ablaufen; hier könnte nach
der Operation eine Meningitis eintreten, deren
Verlauf man nicht mehr in der Hand hat. Sp.
Enula (tö svooX«, von £v, in, und tö
oöXov, Zahnfleisch), das Zahnfleisch auf der
inneren Seite der Zähne (Alveolarperiost [?],
Zahnpulpa [?]). Sussdorf,
Enuresis (SvoopeTv, hineinharnen), 1. der
unwillkürliche Harnabgang, das Unvermögen,
den Harn zu halten, 2. die Harnentleerung,
ohne auszuschachten. Sussdorf,
Enystron, tö rvooTpov (von avueiv, voll¬
enden), der vierte Magen der Wiederkäuer, wo¬
selbst die Magenverdauung vollendet wird. Sf
Enzian, bekanntes rein bitteres, appetit¬
erregendes Magenmittel, wie es die Wurzel
verschiedener Gentianeen liefert (s. letztere). VI.
Enzoon (abgel. von ev, inwendig, und tö
tipov, Thier) = Entozon. Sussdorf,
Enzootie (von Sv, in, und C<I>ov, Thier),
Ortseuche (Endemie), eine seuchenartig auf¬
tretende Krankheit, die an gewisse Gegenden
und Orte gebunden ist und durch locale, den
betreffenden Orten eigenthümliche Ursachen
veranlasst wird. Die Enzootien treten meist
periodenweise, durch Witterungs- und Boden¬
verhältnisse bedingt, hervor und gehen selten
über gewisse Grenzen hinaus; einige von
ihnen können aber unter Umständen sich
weit verbreiten und zu Landesseuchen oder
Epizootien werden. Zu den enzootisch auf¬
tretenden Krankheiten gehören die Sumpf¬
fieber, Malariafieber, Wechselfieber, die bös¬
artige Kopfkrankheit der Rinder, der Typhus,
die Ruhr der Säuglinge, die enzootische Leber¬
entzündung der Ferkel, die alle durch besondere
Boden- oder Stallmiasmen veranlasst werden.
Ferner sind hieher zu rechnen eine Reihe durch
thierische Parasiten verursachter Leiden, wie
die Leberegelseuche, Bandwurmseuche, Lun¬
genwurmseuche, Magenwurmseuche, dieTrichi-
nosis, die Drehkrankheit, die Räude. Auch die
seuchenartig auftretende Knochenerweichung
(Osteomalacie) wäre zu den enzootischen
Krankheiten zu rechnen. Alle diese Krank¬
heiten mit Ausnahme der Räude sind nicht
direct ansteckend und übertragbar und können
somit durch einzelne kranke Individuen in
andere Gegenden nicht verschleppt werden.
Oft treten aber auch einige ansteckende
Seuchen (Milzbrand, Rauschbrand, Septicämie,
Pyämie, Erysipel, Beschälseuche, Rotz, Lun¬
genseuche, Tuberculose u. a.) enzootisch auf
oder bleiben auf bestimmte umgrenzte Gebiete
beschränkt. Semmtr.
Enzootische Krankheiten sind solche
Leiden, die nur an bestimmten Orten oder
Ställen seuchenartig auftreten und über ge¬
wisse Grenzen nicht hinausgehen und meist
durch an die Localitäten gebundene Schäd¬
lichkeiten verursacht werden. Zu den enzoo¬
tischen Krankheiten gehören die Sumpffieber,
die bösartige Kopfkrankheit, der Typhus, die
Ruhr, die enzootische Leberentzündung der
Ferkel, die Wurmseuchen, die Osteomalacie, die
durch verdorbene Futterstoffe und schlechtes
Trinkwasser veranlassten Magendarmkatarrbe,
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EOZOON. — EPIDERMIS.
603
Anämien, Kachexien, Fäule, Bleichsucht (der
Schafe), die Equisetkrankheit etc. Scmmer.
Eozoon canadense (von ?ük, Morgenröthe,
und C<I>ov, Thier) ist das älteste bis jetzt
bekannte Fossil, welches zuerst von dem
Geologen Logan in einem zwischen Gneiss
eingelagerten Flötz von körnigem Kalk Cana-
das, der unzweifelhaft zu den ältesten gehört,
und seither in den Alpen, in Böhmen, im Erz-
und Fichtelgebirge, Finnland, u.s.w. im Urkalke
entdeckt und darum Eozoon genannt wurde,
weil es die erste und älteste bekannte Spur des
organischen Lebens, gleichsam die Morgen-
röthe deiÄelben, auf der Erdoberfläche ist. Es
gehört nach genauen Untersuchungen von
Dawson und Carpenter und anderen aus-
ezeichneten Kennern der mikroskopischen
tructur der fossilen Organismen aus niedri¬
gen Thierclassen zu den Rhizopoden und
stellt in den Kalkschichten grosse Knollen
dar von beiläufig 30 cm Breite und 10—15 cm
Dicke. Sie sind aus abwechselnden Lagen von
Kalk oder Dolomit gebildet, welche die ur¬
sprünglich festen Theile des Körpers darstellen,
während die dazwischen gelegenen ursprüng¬
lich von dem gallertartigen thierischen Körper
erfüllten Räume nachträglich mit Serpentin
ausgefüllt sind. Dieser riesige Wurzelfüsser
hatte wahrscheinlich Fortsätze von formloser
Substanz (Sarcode), welche sich durch die
Schalen hindurch mittelst feiner Canäle nach
aussen erstreckten. Es hat sich von ihm blos
das Kalkgerüste erhalten, der frühere thierische
Körper in den Zwischenräumen und Kammern
ist durch Serpentin ersetzt. Gegen die thierische
• Natur dieses Fossils ist aber vielfach Wider¬
spruch erhoben worden; in der Neuzeit ist man
durch die mikroskopischen Untersuchungen über
die Erscheinungsformen des Serpentins abermals
hinsichtlich der thierischen Natur des Eozoon
sehr in Zweifel gerathen. Koudelka.
Epagogion (v. zb ixafibfiov), Vorhaut,
davon
Epagogiiti s, Vorhautentzündung etc. Sf.
Epanorthosls (v. ircavop&oöv, wieder auf¬
richten), die Wiederherstellung etc., davon
epanorthotica sc. remedia, d. s. sowohl
die roborantia, stärkenden, wie die corrigentia,
verbessernden Mittel. Sussdorf\
Epaphairesls (v. Ixay aipsiv), das wieder¬
holte Wegnehmen (des Blutes, also das wieder¬
holte Aderlässen). Sussdorf.
Eparma (v. eirai'psafla!, sich erheben),
Erhebung, Geschwulst, Ausschlag. Sussdorf.
Ependym (t b I:tev3’jp.a, Ueberkleid, von
IrcevSosiv, überziehen) heisst die zarte Aus¬
kleidungsmembran der Höhlen und Canäle des
cerebrospinalen Centralnervensystems. Sie ist
eine von flimmerndem Cylinderepithel gedeckte
dünne Lage netzförmiger Stützsubstanz. Sf.
Ephelkis (v. srct, auf, und io IXxoc, Ge¬
schwür), Geschwürdecke, Schorf. Sussdorf.
Ephelotes (v. i'-cyjX&öv, darauf nageln),
weisser Fleck (in oder auf dem Auge, also
Hornhautfleck). Sussdorf.
ephemerus, po$ (v. l-xl, auf, und
rj Tjp.gpa. Tag), einen Tag dauernd, eintägig,
z. B. febris ephemerä. Sussdorf.
‘ Ephldrosi8 (v. eiu, auf, und y; tSpwa’.s,
Schwitzen), Schwitzen, ermattender, schwä¬
chender Schweiss. Sussdorf.
Ephippium (v. Siw, auf, und 6 Ttctcos, Pferd),
eigentlich die Satteldecke, übertragen bei
Neueren der Sattel selbst, anatomischer
Terminus zur Bezeichnung der an der dor¬
salen Keilbeinkörperfläche vorfindlichen sattel¬
artigen Einsenkung. Sussdorf.
Epibolie (r) intßoX-q [v. £ittßdXXsivJ, das
Aufliegen), epibolische Invagination, bezeichnet
im Gegensatz zu Embolie in der Morphologie
jene modificirte Form der Gastrulation bei
Nahrungsdotter besitzenden (lecithalen) Eiern,
welche zur Bildung nur einer kleinen Urdarm-
höhle (Archenteron) führt, die sich ausserdem
schon bei massiger Nahrungsdottermenge mit
gequollenen Hypoblastzellen verstopft zeigt.
Der Process besteht somit nicht eigentlich
in einer Invagination, sondern in einer Um¬
wucherung der Hypoblastzellen durch die
Epiblastzellen, die vom Bildungspol des Eies
ausgeht und die Bildung einer einschichtigen
Blase herbeiführt. Sussdorf.
Epiohordis, ^ £rctx°P^ (▼. auf, und
•q yopo-q, Darm). Gekröse. Sussdorf.
Epichorion. 1. xb liuytiptov (v. Itu, auf,
und i) ytupa, Land), einheimisch = einhei¬
mische Krankheit. 2. zb iict^dpiov (v. htl, auf,
und x& ydptov, Haut), die Oberhaut = Epir
dermis, daher auch die äussere Lage der
Gcfässhaut der Frucht = Exochorion, auch
= Membrana decidua Hunteri. Sussdorf.
Epidermati8ßhe Methode, die Application
von Arzneimitteln auf die Oberhaut, wie sie
für locale oder entfernte Wirkungen in An¬
spruch genommen wird (s. Einreibungen der
Arzneimittel). Vogel.
EpidermialkrebO, eine aus einem binde¬
gewebigen alveolären Stroma mit eingelagerten
Nestern und Zapfen von plattenförmigen
Epidermiszellen bestehende Geschwulst, die
meist an den Uebergangsstellen der Schleim¬
häute in die äussere Haut ihren Sitz hat, wie
z. B. am After, der Vulva, dem Penis, dem
Euter, den Lippen etc. (s. Krebs und Can-
croid). Scmmer.
Epidermis (von Srct, auf, und xö Sepp«,
Haut), Oberhaut, nennt man gemeinhin die
oberste Lage der allgemeinen Decke, jene von
in der Tiefe (strat. mucos. s. Malpighi) noch
durchsafteten und regenerationsfähigen, an der
Oberfläche (strat. corneum) dagegen eingetrock¬
neten, verhornten Zellen gebildete gefässlose
Haut, welche nicht blos nach der Species,
sondern auch nach der Individualität und am
einzelnen Individuum noch nach der Gegend
verschiedene Mächtigkeit zeigt. An den kahlen
Stellen der Körperoberfläche von auffallender
Stärke ist sie an den behaarten Theilen der¬
selben massiger entwickelt, hier besitzt sie
beim Pferde z. B. nur die Dicke von etw a
30 {jl, dort (Euterhaut) von 420 jx, so dass das
Verhältniss zwischen der Dicke der Epidermis
und der Cutis eher ein umgekehrtes ist. Die
Oberhaut ist im Allgemeinen eine hornartig
trockene, gegen mechanische, thermische und
chemische Agentien resistente Membran, welche
604 EPIDERMISNEUBILDUNGEN. — EPJKARDIUM.
bei den meisten Hansthierspecies dunkelgrau
und nur bei wenigen (Schwein zum Theil,
vielen Schafen, weissgeborenen Schimmeln etc.)
nicht pigmentirt erscheint, bei vielen Thieren
(besonders den heller gezeichneten) ist sie in
der Umgebung der physiologischen Atrien
etc. pigmentfrei, sonst in der angedeuteten
Weise dunkel; jederzeit röhrt, wenn vor¬
handen, die Färbung von der Ansammlung
eines schwärzlich-braunen Farbstoffes in der
Tiefe des Strat. mucos. her. — Die Histologie
der Epidermis vergleiche man unter Cutis, hier
dagegen soll noch die Lebensgeschichte und
physiologische Bedeutung derselben kurz be¬
rührt werden. Die Epidermis ist ein Product
des Epiblastes; anfangs in Form einer ein¬
schichtigen Lage cylindrischer Zellen (Horn¬
blatt Kölliker’s) die Körperoberfläche deckend,
kommt es bald zur Differenzirung der Ober¬
hautzellen und auf dem Wege der indirecten
Zelltheilung zur Schichtung und Umformung
derselben; schon die Abhebung der oberfläch¬
licheren Lagen von der ernährenden Matrix,
noch mehr aber die mit dem Beginne des extra¬
uterinen Lebens erfolgende Eintrocknung und
Hornmetamorphose dersuperficiellen Schichten
führt bald eine Lockerung und schliesslich
Abstossung derselben in Form feinster
Schuppen (Abschuppung) herbei, ein Process,
der fort und fort eine Regeneration in der
^Tiefe des Gewebes verlangt. Daneben erfolgt
eine Einsenkung eines Theiles dieser Ober¬
hautzellen, durch welche es zur Bildung der
Hautdrüsen (s. Cutis) kommt, die ihrerseits
wieder durch activeZellenthätigkeit und Zellen¬
metamorphose (fettige Degeneration) die Haut-
secrete produciren — ein Vorgang, der bei
den höheren Vertebraten eben nur in beson¬
deren Drüsen, bei den niederen auch in Ober¬
flächenzellen (Schleimbildung bei Fischen) sich
abspielt. — Die physiologische Bedeutung der
Epidermis liegt in deren physikalisch-physio¬
logischen Eigenschaften. Sie gewährt einen
beachtenswerthen Schutz gegen die Einwirkung
mechanischer,thermischer und selbst chemischer
Influenzen, der freilich bei unseren behaarten
Thieren nicht die Bedeutung erlangt wie bei
nackten. Wegen ihres geringen Wärmeleitungs ¬
vermögens kommt sie für die Wärmeökonomie
des Körpers in Betracht, und als geschlossene
Deckmembran verhütet sie Säfteverluste aus
den Lymphspalten des Corium. Endlich nimmt
sie einen Theil der sensiblen Nervenend-
apparate auf und dient so auch gewissen Sinnes¬
reizen als gewöhnliche Applicationsstelle. Sf.
Epidermisneubildungen kommen vor nach
Abstossungen derselben durch entzündliche
Processe bei Hautentzündungen, nach Ab¬
schilferungen, Excoriationen und Abstossungen
durch traumatische Einflüsse nach Verwun¬
dungen und Geschwürbildungen, ferner bei
hypertrophischen Wucherungen, bei der der-
moiden Umwandlung an der Luft ausgesetzten
Schleimhäuten und in Warzen, Papillomen
und Carcinomen. Bei Verwundungen und Ge-
schwtirbildungen geht die Neubildung der
Epidermis von den Rändern der Geschwüre,
von den umgebenden normalen Epidermis-
zellen durch Theilung derselben aus, oder sie
erfolgt von nachgebliebenen Resten des Rete
Malpighi am Grunde der Geschwüre, oder
aber von den Schweiss- und Talgdrüsen aus.
Bei erhaltenem Rete Malpighi erfolgt die
Neubildung der Epidermis von dort aus,
ebenso wie die hypertrophischen Wucherungen,
Schwielen (Callositas, Tyloma), Warzen, Haut¬
hörner mit gleichzeitiger Hypertrophie der
Papillen und Neubildung von Gefässen und
Bindegewebe. Bei den Carcinomen wuchert
die Epidermis in Fonn von Knoten und
Zapfen in das Bindegewebe hinein und ver¬
anlasst ebenfalls eine gleichzeitige Neubildung
von Bindegeweben und Gefässen. Scmmcr .
Epididymldes, s. Nebenhoden.
Epidosis (v. lat&tSdvat). 1. Die unerwartete
Krankheitszunahme. 2. die plötzliche An¬
schwellung eines Theiles. Sussdorf.
Epidosit, eine in Neuholland (Victoria)
vorkommende Felsenart, welche der Epidot
(s. d.) mit Quarz und Hornblende bildet. Lh.
Epidot (von zugeben), ein zu
den wasserfreien Amphoterolithen zählendes
Mineral, welches in sehr grossen klinorhom-
bischen Krystallen vorkommt. Neuerlich wurde
es im Sulzbachthale im Pinzgau in 5 Zoll langen
und \ Zoll dicken glänzenden dunkelgrünen
Krystallen gewonnen. Die saftgrüne Varietät
wirdPistacit genannt. Härte 6—7, spec. Gewicht
3—3*5; glasglänzend, halbdurchsichtig, grün,
grau, rosenroth, braun und schwarz. Er besteht
aus Kieselsäure, Thonerde und Kalk. Losbisch.
Epidrome (v. eatxplxetv, hinzulaufen), der
Säftezufluss = Congestion. Sussdorf
epigastricus, richtiger epigastrius, .
laiyaoiptos (v. lat, auf, und rj yaat^p, Magen),
über dem Magen befindlich, z. B. Regio epi-
gastria = xo laiydatptov (Plut. etc.), die
vordere Bauchgegend, welche sich vom Zwerch¬
fell bis zur mittleren Bauchgegend, d. i. einer
Querebene erstreckt, die den letzten (beim
Pferde vielleicht besser den 16.) Rückenwirbel
durchschneidet. Sussdorf
Epigenesis (v. lat, auf, und r t ylveat;,
Entstehung) nennt man im Gegensatz zu
Evolution die von C. Fr. Wolff zuerst ver¬
tretene Ansicht über die Entwicklung eines,
Individuums, wonach der complicirte Organis¬
mus von Thier und Pflanze aus einfachster
zellenartiger Grundlage unter Umbildung und.
Differenzirung derselben zu einer mehrschich¬
tigen blattförmigen Anlage („Keimblättern“)
vor sich geht. Sussdorf.
Epiglottis, auch Epiglossis (v. lat', auf,
und ■»} yXoiaaa, Zunge), Kehldeckel (weil auf
dem Zungengrunde gelegen, resp. einen
Zungenanhang darstellend), davon als adj.
epiglotticus, dann
Epiglottitis,Kehldeckelentzündung. Sf.
Epigonatis (v. lat, auf, und xo yoVj, Knie),
Kniescheibe. Sussdorf.
Epikardium (abgeleitet von lat, auf, und
r) xapäta, Herz), die äussere Herzhaut, das
Visceralblatt der serösen Herzbeutelhaut (die
demMyocardium direct auf liegende Membran),
zieht von den Wurzeln der grossen Gefasse
über die Basis zur Spitze des Herzens und
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EPIKAUSIS. — EPILEPSIA. 60*
grenzt so den Pericardialraum von innen ab.
Histologisch stellt das Epicardium eine fibrillär¬
elastisch gebaute und von einem polygonalen
Endothel tiberkleidete Membran dar, die mit
dem interstitiellen Gewebe des Myocardium in
directem Zusammenhänge steht (s. Herz). Sf.
Epikausis (yj &Kixa’jot£ v. sjrixaisiv), das
oberflächliche Brennen, das zur Bildung eines
Epikauma, etwa = Brandblase, führt. Sf.
Epikrisis y liuxptats (v. imxpivssv, be-
urtheilen). 1. die wissenschaftliche Beurthei-
lung eines Krankheitsfalles in seinen einzelnen
Gesichtspunkten, wie Wesen, Zusammenhang
der einzelnen Erscheinungen, Genese, Aus¬
gang etc. 2. Wichtige Erscheinungen, die die
Krise begleiten und vervollkommnen. Sf.
Epikyema, t6 fcrctxuvjjia (v. Ircixtmv), die
bei der Superfötation (gleichzeitigen Ent¬
wicklung* von Früchten verschiedenen Alters)
sich bildende jüngere Frucht. Sussdorf.
' Epikyesis, yj liuxoroes (v. ItuxosTv), Nach-
empfängniss, also = Superfötation. Sf.
Epikylis, —ides, Epikylion (v. Ini, auf,
und yj xoXi's, Augenlid), das obere Augenlid. Sf
Epilepsia (von h «, auf, wiederholt, und
Xy)^, Anfall), die Fallsucht; andere populäre
Bezeichnungen für diese Krankheit sind
„Krampfsucht“ und „Schwere Noth“; früher
nannte man sie wohl auch die „heilige Krank-
keit kt , „Morbus sacer“. Die Epilepsie besteht
in Gehirnkrärapfen, die mit mehr oder weniger
vollständiger Aufhebung des Bewusstseins
und der Empfindung verbunden sind, nicht
lange anhalten und erst nach längeren krampf-
freien Zwischenpausen wiederkehren.
Die pathologischen Befunde sind bei den
Epileptikern sehr verschiedene gewesen, woraus
hervorgeht, dass die Epilepsie auf Störungen
in den Functionen de9 Nervensystems, u. zw.
speciell in denen des Grosshirns beruht.
Kussmaul nnd Tennecker verlegen den Sitz
der epileptischen Krämpfe in die Brücke und
in das verlängerte Mark, weil die Brücke ein
motorisches Centrum für die Muskeln des
Rumpfes und der Extremitäten, die Medulla
oblongata die Centren der motorischen Hirn¬
nerven enthält. Man nahm an, dass plötzliche
centrale oder centripetale Reize die genannten
»Centren ungewöhnlich erregen und einen
Krampf, resp. eine Verengerung der Hirn¬
arterien veranlassen, die zu Gehirnanämie
und mit ihr zum Schwinden des Bewusstseins
und zu klonisch-tonischen Muskelkrämpfen
führt, welche letzteren secundär eine venöse
Hirnhyperämie nach sich ziehen. Luciani hin¬
gegen glaubt auf Grund seiner Studien (vergl.
„Centralbl. für medicin. Wissensch.“ 1881) den
Sitz des epileptischen Reizungszustandes in
die motorische Zone der Hirnrinde verlegen zu
müssen, sei es, dass das ganze Rindensystem
oder ein einzelner Punkt desselben gereizt
wird, von dem aus sich die Reizung weiter
ausbreitet; in letzterem Falle werden die
Muskeln der Reihe nach vom Krampf be¬
fallen. Die krankhafte Erregung der Medulla
oblongata hält er für ein accessorisches, ver¬
vollständigendes, aber nicht durchaus noth-
wendiges Moment. Luciani sah bei einem
Affen nach Reizung der motorischen Rinden¬
zone epileptische Krämpfe eintreten, wie dies
auch nach Elektrisirung der einen oder anderen
Seite der motorischen Zone der Fall ist.
Sommer (1. c.) fand bei Epileptikern häufig
die graue Substanz des Ammonshornes in
eine dichtkörnige molekuläre Masse umge¬
wandelt, einigemale auch Ansammlungen von
Fettkörnchen, verdickte Wandungen an den
Gefassen und viele Amyloidkörper im Ammons¬
horn und in grösseren Rindenbezirken, Schrö¬
der, van der Kolk und Rosenbach (cfr. Virchow’s
Archiv, 97. Bd.) weisen die Annahme zurück,
dass die epileptischen Anfälle eine Folge
der Gehirnanämie seien, denn der Beweis sei
nicht erbracht, dass Erregung des gefässver-
engemden Centrums der Medulla oblongata
im Stande wäre, eine solche Anämie des Ge¬
hirns hervorzubringen, wie die durch Abschluss
aller zum Kopfe ziehenden Arterien bewirkte.
Nach den Versuchsresultaten Rosenbach ? s
an Hunden entsteht in der Hirnrinde unter
der Einwirkung unbekannter Ursachen perio¬
disch eine abnorme Erregung örtlich begrenzter
Centren, die sich auf die ganze Oberfläche der
Hemisphären verbreitet. Ist die Erregung zu
schwach, um das functioneile Gleichgewicht
der Bewegungscentren zu stören, so verläuft
der Anfall ohne Convulsionen als momentanes
Schwindelgefühl bei kurzweiliger Bewusst¬
losigkeit. Intensive Erregung theilt sich den
motorischen Centren mit und löst sich in
epileptischen Krämpfen aus. Mechanische Ein¬
flüsse, als Verletzungen, Hirndruck etc., können
Epilepsie verursachen, indem sie die Erreg¬
barkeit der Rindencentren modificiren und
diese dann den Ausgangspunkt der Anfälle
bilden. In Uebereinstimmung hiemit hat man
als Ursachen der Epilepsie Vollblütigkeit, Hirn¬
hyperämie, Blutungen ins Gehirn, Gehirnödem,
Ansammlung von Serum in*den Hirnventrikeln,
Verdickungen der Schädelknochen und Menin¬
en, Exostosen an der Innenfläche des Schädel-
aches, im Gehirne selbst Geschwülste, Tu¬
berkeln, Finnen, Gefässembolie etc. vorgefun¬
den. Die corticale Epilepsie ist ein Symptom
organischer Gehirnaffectionen, sie muss ihrem
klinischen Verlaufe nach von der idiopathischen
oder functioneilen Epilepsie unterschieden
werden, die Anfälle dieser sind Effecte pri¬
märer Erkrankung der Grosshirnrinde.
Die Disposition zur Erkrankung an Epi¬
lepsie ist häufig eine angeborne, bestehend in
leichtere* Reizbarkeit der* Gehirnrinde. Die
Heredität konnte von Obersteiner experimentell
nachgewiesen werden, die durch Verletzungen
des peripheren und centralen Nervensystems
künstlich erzeugte Epilepsie ging bei Meer¬
schweinchen auf deren Junge über. Gemüths-
errcgungen, Schreck, Aerger, mastige Fütterung
bei vieler Ruhe, aufgeregterGeschlechtstrieb etc.
vermögen die Disposition zu wecken, des¬
gleichen wenn ein Reiz von der Aussenfläche
des Körpers oder vom Danncanale aus reflec-
torisch auf die Centren der Hirnrinde über¬
tragen wird, z. B. von zerrenden Narben nach
Haut- und Muskelverletzungen, schmerzhaften
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606 EPILEPSIA.
Quetschungen durch Kummetdruck oder um
die Hörner gelegte Ketten und Stricke, Schädel¬
brüchen, von grellem Lichte als Reiz für die
Augen, von schwerem Zahnen, Reizungen durch
das Vorhandensein von Pentastomen in den
Nasengängen oder im Ohre der Hunde oder
Eingeweidewürmern im Darmcanale.
Sind die Krampfanfälle von grösserer
Heftigkeit und stellen sie sich in sehr kurzen
Intervallen unter Trübungen des Bewusstseins
ein, so werden sie als epileptiforme oder
eklamptische Krämpfe bezeichnet: sie sind
nicht gleichwerthig mit der Epilepsie und
werden im Verlaufe der Meningitis, der Ge-
hirncongestionen (Staupe der Hunde) auch
bei Thieren häufig beobachtet, welche hohe
Berge ersteigen müssen; meist führen sie den
Tod herbei.
Vom Schwindel ergriffene Thiere taumeln
zwar und können Umfallen, aber in der Regel
vermissen wir bei ihnen die epileptischen
Krämpfe.
Symptome: Ihnen gehen öfter Abge-
schlagenheit, Mattigkeit und Unlust zur Arbeit
voraus, der epileptische Paroxysmus erfolgt
indes unverhofft und plötzlich, die Thiere
fangen an zu zittern, an denJ Augenlidern, an
den Lippen, Gesichts- und Halsmuskeln stellen
sich leichte Zuckungen ein, Kopf und
Hals werden nach seit- oder rückwärts ver¬
zogen, die Augen verdreht, die Patienten be¬
wegen sich taumelnd und schwankend, fallen
endlich um und liegen nunmehr ohne Bewusst¬
sein und Empfindung auf der Erde, während
sie stöhnen oder heulen, mit den Zähnen
knirschen, die Kiefer krampfhaft bewegen,
bei den kauenden Bewegungen den Speichel
zu Schaum schlagen, schwitzen, einzelne
Körpertheile krampfhaft verzogen, namentlich
die Füsse schlagend bewegt werden. Zuweilen
gehen Koth und Harn unwillkürlich ab, auch
Aufstossen und Erbrechen können stattliaben.
Während des Paroxysmus geschieht die Re¬
spiration angestrengter und beschleunigt, der
Herzschlag fühlt sich pochend und unregel¬
mässig, der Puls klein und leer an, die Pupille
ist erweitert, die peripheren Schleimhäute
haben eine mehr blasse Farbe. Die Dauer
eines Anfalles kann 2—io Minuten betragen;
nach dieser Zeit kehren Empfindung und Be¬
wusstsein zurück, die Thiere benehmen sich
wieder wie gesunde, nur zeigen sie sich
angegriffen und matt. Nicht immer kommt es
zum Niederfallen zur Erde, aber Convulsionen
und Krämpfe fehlen nie. *
Die neuen Anfälle kehren bald früher,
bald später, oft erst nach Wochen oder Mo¬
naten wieder, bei Arbeitsthieren gern während
der Bewegung. Je häufiger, heftiger und an¬
dauernder die epileptischen Anfälle werden,
desto nachtheiliger wirken sie auf die Gesund¬
heit ein, sie führen alsdann mit der Zeit zu
Störungen in der Verdauung und in den sen¬
soriellen Verrichtungen, selbst zur Abmagerung,
zu Gehirnödem und Gehirnapoplexie und damit
zur Vernichtung des Lebens, ln den meisten
Fällen bleiben die Thiere, von denen das Ge¬
flügel nicht ausgeschlossen ist. zeitlebens mit
der Epilepsie behaftet; die meiste Aussicht auf
Heilung bietet die consensuelle, auf reflecto-
rischem Wege zu Stande gekommene Epilepsie.
Die autoptischenErscheinungen sind wenig
constant, oft sind nach dem Tode keine makro¬
skopisch wahrnehmbaren Läsionen am Gehirn
oder verlängerten Mark wahrzunehmen, unter
ihnen noch am häufigsten Gehimödem, Gehirn¬
erweichung, Verfettung der Hirnfasern und
Wassersucht der Hirn Ventrikel. Mitunter lässt
sich mikroskopisch eine Erweiterung und
varicöse Entartung der Capillaren der Medulla
oblongata nachweisen.
Behandlung. Die Hauptaufgabe der
Therapie ist auch hier die Entfernung der
Ursachen; lässt sich diese bewerkstelligen,
dann ist Heilung möglich, andernfalls bleiben
die Heilversuche fruchtlos. Würmer und An¬
schoppungen im Darmcanal sind durch Abführ¬
mittel und Purganzen zu beseitigen, überhaupt
ist auf offenen Leib und leichtverdauliche
Nahrung zu halten, weil der Epilepsie oft
Vollblütigkeit und Gehirncongestionen zu
Grunde liegen; hier sind auch Ableitungen
auf die Haut nützlich. Pferde, die viel Ruhe
haben, sind täglich zu bewegen. Vermuthet
man Gehirnödem, so befördere man die Se-
und Excretionen. Hengste wurden zuweilen
durch die Castration geheilt. Gemüthsauf-
regungen vermeide man möglichst, in der
Umgebung der Epileptiker vermeide man be¬
unruhigende Geräusche und Hantirungen, selbst
grelles Licht, denn die Erfahrung hat erwiesen,
dass man durch Abhaltung der Lichtstrahlen
vom Auge, indem man es mit einem schwarzen
Tuche zubindet, den epileptischen Anfall cou-
piren kann. Zerrende Narben oder schmerz¬
hafte Quetschungen sind zu beseitigen.
Nächstdem sind die Nerventhätigkeit herab¬
setzende, beruhigende Mittel angezeigt: Chloral-
hydrat in Wasser oder Schleim, das beim
Nachlass der Fresslust und beim Eintritt eines
pochenden Herzschlages ausgesetzt werden
muss; Aether und Schwefeläther, Blausäure,
Emulsion von bitteren Mandeln oder aqua
Laurocerasi (für Hunde), unter Zusatz einer
Solution des Cuprum sulfuric. ammoniacatum
(0*06) in aquae destill. 60’0 theelüffelweise
zu geben: Chlorzink, Zinkoxyd, Zinkvitriol,
Bromkali von chemischer Reinheit und in,
grossen Dosen bei nachhaltiger Anwendung,
eine Solution des Argentum nitricum in Wasser
oder Baldrian-Infusum: Atropin .in kleinen
Dosen; Morphium, Aconit, Cannabis indica,
Conium, Hyoscyamus, Belladonna, Nux vomica,
Indigo, Bryonia, Digitalis mit KalomeL Ein
Thee- oder Esslöffel voll Kochsalz in den
Mund gesteckt, soll nicht allein den Anfall
coupiren, sondern auch bei fortgesetztem
Gebrauch zur Heilung führen. Auch mit sub-
cutanen Injectionen von Strychninum sulfuric.
s. nitric. will man Erfolge erzielt haben.
Die Homöopathen eröflhen die Cur mit
Aconitum und geben alsdann Stramonium
und Belladonna, zwischen den Anfällen auch
wöchentlich 2—J Gaben Camphora, Hvosc.
oder Sulfur. (Vergl. Straub, Rocept-Taschen-
i buch.) Anacktr .
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EPILEPSIE. — EPISPASTICA.
607
Epilepsie als Gewährsmangel muss durch
wiederholte Beobachtungen der einzelnen
Anfälle constatirt werden. Die Gewährszeit
für Epilepsie beträgt:
28 Tage in Baden (Grossherzogthum), Hessen,
Frankfurt, Hohenzollern, Württem¬
berg;
29 r „ Nassau;
30 „ Frankreich und Elsass-Lothringen;
40 r „ Bayern;
42 „ „ Sachsen-Coburg-Gotha. Semmer .
Epilirung der Cilien ist die bei ver¬
schiedenen Krankheiten, insbesondere falscher
Stellung dieser Gebilde nothwendige operative
Therapie, darin bestehend, dass man das Haar
knapp an der Mündung seines Follikels mit
der Cilienpincette erfasst und mit lang¬
samem Zuge entfernt. Näheres s.u. „Wimper¬
haare des Auges“. Schlampp.
Epinette v. fci«, unter, und vlpjoi«;, Ver-
theilung, die Vertheilung nach dem concreten
Fall. Bei der Geflügelmast an gewendeter Appa¬
rat, in einem drehbaren, etageförmig abge-
theilten Käfig bestehend, der in Fächer getheilt
ist, in welchen sich die zu mästenden Thiere
an Ketten oder Riemen gefesselt befinden. Kk.
Epinotion, xo iictvaitiov (abgel. v. m,
auf, und xo vüxov, Rücken), Schulterblatt. Sf.
Epiparoxysmus (v. trJ., nach, und 6 ira-
po^oaiio's, erneuter Anfall), ein einem Paroxys-
mus bald (zu früh) nachfolgender Anfall. Sf
epipa8tU8, iirtittxoTos (v. STtircaaaeiv, auf¬
streuen), subst. in cpipastum, das Streupulver=
Aspergo. Sussdorf
epiphaenomenus, iit^atvo^evo? (v. hti-
(patvstv), nachträglich erscheinend, subst. in
epiphaenomena sc. symptomata, später hinzu¬
kommende Krankheitssymptome. Sussdorf.
Epiphlogisma, zb eTCt*?Xo'ytap.«, die ober¬
flächliche Entzündung, Hautentzündung, ent¬
zündete Stelle. Sussdorf
Epiphora (£ir:<popa, der Zufluss, das Her¬
vorbrechen), der Thränenfluss, das Thränen-
träufeln, s. „Thränenapparat u . Schlampp .
Epiphysis, yj l7tt®oct?(von str/p6s».v), heisst
in der Anatomie jeder Knochenfortsatz, welcher
ursprünglich, d. h. während der Entwicklung
des Knofehens, durch eine besondere Knorpel¬
schichte (Epiphysenknorpel) von dem übrigen
Theile des Knochens getrennt war. Dieselbe
verknöchert somit stets von einem besonderen
Ossificationspunktaus. Gemeinhin verstehtman
darunter die Gelenkenden der Röhrenknochen
und unterscheidet sie in ein proximales (oberes)
und distales (unteres). Dieselben, in der Jugend
deutlich von dem Mittelstücke (Diaphyse) ab¬
gegrenzt, verschmelzen früher oder später mit
diesem vollständig, so dass der betreffende
Knochen am ausgewachsenen Individuum als
einheitliches Ganzes erscheint. Die Verwach¬
sung der Epiphysen mit der Diaphyse geht nicht
immer für beide Epiphysen ganz gleichzeitig
vor sich, so verwächst z. B. die obere. Epiphyse
des mittleren Mittelfussknochens ebenso wie
die untere der Phalanx prima schon vor der
Geburt mit dem Mittelstück, die entgegen¬
gesetzte dagegen erst viel später. Das Vor¬
handensein getrennter Epiphysen ist für das
Längenwachsthum des Knochens bedeutungs¬
voll; es scheint, dass eine Uebereinander-
schichtung von Knochensubstanz nur während
des Bestehens der Diaphysenknorpel mög¬
lich ist. Sussdorf.
Epiphyton (abgel. v. ärn, auf, und xo
<poxov, Pflanze), Schmarotzerpflanze, jeglicher
pflanzliche Parasit. Sussdorf.
Epiplasma, xo eiu«Xaap.a (v. ht'.rcXaaas'.v),
Salbe, Breiumschlag. Sussdorf.
Epipler08i8, eTrtttX-qpüiotc (v. ircircXYjpoöv),
Ueberfüllung, bes. Hyperämie. Sussdorf.
Epiploke,Yj eiwittXoxrjfv. iitiJcXexstv, hinein¬
flechten), Verwicklung, Darmverschlingung. Sf.
Eplploon, zb iiC’rcXoov (v. intwXstv, darauf
schwimmen), das Netz, omentum, als das gleich¬
sam auf den Eingeweiden des Bauches Schwim¬
mende; davon
Epiploenteroschokele (v. xo Ivtspov,
Dann, 6 oa^ox, Hodensack, und tj xtqXyj, Bruch),
Netzdarmhodensackbruch.
Epiplokele, Netzbruch.
Epiplomphalokele, Netznabelbruch. Sf.
Epiporoma, zb $it'.itu>po>p.a (v. iit'.rcwpoöv),
die oberflächliche Verhärtung, Schwiele, auch
der Callus an gebrochenen Knochen. Sf.
Episarcidium (abgel. v. Iiw, auf, und
yj aap£, Fleisch) = Anasarka als eine zwischen
Fleisch und Haut befindliche Affection. Sf
Epi8Che8i8, ^ fcrci'o/eai; (v. Srcs/stv).
(krankhafte) Zurückhaltung einer (normalen)
Ausleerung. Sussdorf
Epi86ma8ia, ^ £ittOYm«ata(v. £?uaY;p.*'ve'.v),
Krankheitsvorzeichen, Prodrome. Sussdorf.
Epision, zb eiuatov, s. Ituosiov, Scham¬
gegend, Schamhaare, Scham; davon
Episioedema, Schamödem;
Episionkus, Geschwulst an der Scham;
Episiorrhagia, Schamlippenzerreissung;
tibertr. Blutung aus den Schamlippen;
Episiorrhaphe, Schamlippennaht. Sf.
Epispasis, rj tmoi:aai$ (v. iicioicäv, heran¬
ziehen), die krankhaft erschwerte Inspiration
(Galen); dav. adj. epispastica sc. remedia,
blasenziehende Mittel. Sussdorf
Epispastica, eine Abtheilung der haut¬
reizenden Arzneimittel, welche man je nach der
Art und dem Grade ihrer Wirkung in Untcr-
abtheilungen gebracht hat; sie heissen nämlich
Rubefacientia, wenn sie nur eine Haut-
röthe, also Hauthyperämie erzeugt haben, oder
Epispastica, wenn eine wirkliche Haut¬
entzündung mit ihren Ausgängen hervorgerufen
wird, während diese wieder in Vesicantia
zerfallen, sobald der Ausgang der Entzündung
in Blasenbildung geschieht oder diese statt
mit Serum sich mit Eiter füllen — Pustu-
lantia, Suppurantia. Nur die Concentration
des Mittels ist es, sowie die Art und Weise
der Einreibung, welche darüber entscheidet,
wie weit die Reizung in der Haut geht; eine
Entzündung wird aber immer mehr oder
weniger gesetzt, auch fallen meistens die
Haare aus, welche sich aber bald regeneriren,
wenn nur eine Exsudation in den Haarbalg
stattgefunden hat. Inwiefern man durch diese
hautreizenden, Ausschwitzung und Eiterung be¬
dingenden Mittel einen Einfluss auf Krankheit*-
608
EPISPHAERIA. — EPITHELIEN.
Vorgänge im Innern des Körpers auszuüben
vermag, ist erst in neuerer Zeit näher bekannt
geworden. Früher glaubte man, durch sie den
eigentlichen Krankheitsstoff, dieMateria peccans,
aus dem Körper hinauszuschaffen, Baunscheidt
hat daher besondere Löcher in der Haut ange¬
bracht; später sprach man von der Wirkung
durch Gegenreiz, von Blutableitung u. s. w.,
ohne aber diese Anschauungen wissenschaft¬
lich begründen zu können, man verfiel daher
in das andere Extrem und verwarf die haut¬
reizende Methode ganz, bis sie erst jetzt
experimentell eine wissenschaftliche Grund¬
lage gewonnen hat. Das nähere Verständniss
hiefür ergab sich erst aus der besseren Er-
kenntniss der physiologischen Functionen der
Haut, wobei sich gezeigt hat, dass diese
namentlich auch Sinnesorgan und dadurch
Regulator für die Innenwärme, die Respi¬
ration, Circulation, also für die wichtigsten
Stoffwechselvorgänge ist, nicht blos ein Schutz-,
Athmungs- und Secretionsorgan; es kommt
übrigens viel darauf an, mit welcher Inten¬
sität diese Hautreize gesetzt und mit welchen
Mitteln sie erzielt» werden. Schwächere
Hautreize, hervorgerufen durch die Epi-
spastica rubefacientia und vesicantia, als welche
für gewöhnlich das Terpentinöl, der Salmiak¬
geist, der schwarze Senf, Chrysarobin u. dgl.
in Anwendung kommen, bedingen zunächst
Verengerung der peripheren Blutgefässe, Ver¬
minderung des Blutgehaltes derselben (z. B.
bei Gehirnentzündung der Piagefässe), t ge¬
steigerten Blutdruqk, verlangsamte Athmung
und Erhöhung der Innen wärme; starke Haut¬
reize, hervorgerufen durch Kanthariden,
Euphorbium, Brechweinstein, Crotonöl, Glüh¬
eisen. faradischen Pinsel, Haarseile, Fonta¬
nellen u. s. w., haben vielfach gegentheilige
Wirkungen gegenüber den schwachen Haut¬
reizen, insbesondere Sinken der Temperatur,
Verlangsamung des Kreislaufes und der Ath¬
mung und dadurch Steigerung des Stoff¬
wechsels, aber bald Abnahme des Blutgehaltcs
der inneren Organe, welche bis zur Anämie
und Schwund des Fettes gehen kann, es kann
somit bei anhaltender und ausgebreiteter
Anwendung der epispastischen Mittel der
Organismus stark mitgenommen werden. Ver¬
gleiche auch Derivantia unter „Ableitung“. VI,
Episphaeria (abgeL v. lut, auf, und t?j
ccpalpa, Kugel), die Hirnwindungen, Gyn
cerebri. Sussdorf,
Epistasis, ij iwiotaoic, (v. lictoxaoO'ai,
darauf stehen), aas Schwimmen auf der Ober¬
fläche, z. B. einer Wolke im Harn, als Gegen¬
satz zu Hypostasis. Sussdorf.
Epistaxis (v. lirtoxaCeiv, tröpfeln), ist
dasjenige Nasenbluten, bei welchem
Blut tropfenweise aus der Nase abfliesst, im
Gegensätze zurRhinorrhagia seuHaemonhagia
narium (v. piv, Nase; a(p.a, Blut; £arr),Riss),
dem Nasenblutfluss, bei dem das Blut aus
der Nase in massig starkem, aber gleich-
massigem Strome fliesst oder in mehr oder
weniger starkem Strahle hervorstürzt; in
diesem Falle ist das Nasenbluten öfter eine
Theilersclieinung des Lungenblutsturzes (s.
auch unter „Ausfluss“, „Blutfluss“ und
„Blutung“). Anacker.
Epi8trophe, y eit'.oipo<pTq (v. sirioxpe^siv),
das Umdrehen, die Wiederkehr = Recidiv. Sf.
Episfropheus, 6 ItctoTpotpeuc, der Um¬
dreher, Name für den zweiten Halswirbel,
weil auf ihm die Drehungen des Kopfes er- 4
folgen (s. Skelet und Wirbelsäule). Sussdorf.
Epithelialkrebs, eine Krebsgeschwulst
mit zahlreichen eingelagerten Epithelzapfen
und Knoten. Da alle Krebsgeschwülste aus
Bindegewebe, Gefässen, Rundzellen und ein¬
gelagerten Epithelzellenmassen bestehen, so
ist die Bezeichnung Epithelialkrebs eigent¬
lich keine präcise. Sie wird aber von den
Autoren festgehalten, welche auch einen
Endothelkrebs und Bindegewebskrebs an¬
nehmen (s. Krebs). Semmer.
Epithelialplatten nennt His den Epi- und
Hypoblasten als die Anlage der die innere
und äussere Körperoberfläche überziehenden
Epithelhäutchen im Gegensatz zu den Binde¬
substanzen und Muskelplatten. Sussdorf.
Epithelien, Epithelgewebe. Aus dem
bei erster embryonaler Anlage auftretenden
äusseren und inneren Keimblatte geht ein
Gewebe hervor, welches den Namen Epithel¬
gewebe führt und seiner Genese nach also als
Zellenbelag aller mit der Aussenwelt in Ver¬
bindung tretenden Organoberflächen erscheint.
Demgemäss findet sich das Epithelgewebe als
häutiger Ueberzug der allgemeinen Körper¬
decke, der Schleimhäute des Verdauungs-,
Respirations-, Genital-, Harntractus, kleidet
alle vom Ento- oder Ectoderm stammenden
Drüsen und deren Ausfiihrungswege aus und
dient auch zum Aufbau des Zahnschmelzes,
der Haare, Klauen, Linse, gewisser Nerven¬
endigungen etc. Die einzelnen Zellen des
Epithelialgewebes, welche direct von den
Furchungszellen Ursprung nehmen und je nach
ihrer ectodermalen oder entodermalen Abkunft
als Ecto- oder Entercyten bezeichnet werden,
nennt man kurzweg Epithelien oder Epithel¬
zellen, und erscheinen dieselben unter den
variabelsten Formen, je nachdem sie durch
Druck, Zug, Spannung, also durch mechanische
Einflüsse oder durch ihre Arbeitsleistung zu
irgend einer Gestalt gepasst wurden. Im All¬
gemeinen ist die Zellengestalt für das jeweilige
Körper- oder Organterritorium typisch, indes
kann die Form doch nach ganz localen Ver¬
hältnissen, z. B. in der Harnblase, zeitlich
variiren, oder eine Formveränderung ist durch
die Function und Lebenserscheinungen der
Zellen bedingt, wie z. B. Drüsenzellen sich
ändern und die Malpighi’schen Zellen mit der
Zeit zu kernlosen Schüppchen werden. Für das
Epithelialgewebe ist aber bestimmt charak¬
teristisch, dass die zusammensetzenden Zellen
dicht an einander liegen, nur durch eine ganz
spärliche, kaum wahrnehmbare Kittsubstanz
geschieden sind und dieses Gewebe niemals
direct von Blutgefässen durchsetzt ist. Je nach
der Mächtigkeit der zu häutigen Gebilden an
einander gepassten Zellenlagen unterscheidet
man ungeschichtetes = einschichtiges Epithel
von dem geschichteten = mehrschichtigen
EPITHELIEN.
609
Epithel (letzteres ist seiner Dicke halber auch
makroskopisch isolirbar, Zunge, Haut). Am
todten Organismus ist die Kittsubstanz, welche
die Epithelien ähnlich wie der Mörtel die Mauer¬
steine mit einander verbindet, sehr fest, am
lebenden Organismus scheint sie an gewissen
Partien die Rolle eines weichen, Ernährungs¬
saft zuführenden Gewebes zu spielen (Saft¬
canalsystem).
Nafck den physiologischen Functionen
unterscheidet man Deckepithelien, Drü-
senepithelien = Enchymepithelien und
Neuroepithelien. (Die Drüsen epithelien
s. D r ü s e n, die Neuroepithelien unter N e r v e n-
endigung.) Der Form nach trennt man die
Deckepithelien in Platten-, Cylinder-
und Flimmerepithel; jede dieser Formen
kommt in ungeschichteter Lage ebenso wie
geschichtet vor. Bei mehrschichtigem Vor¬
kommen ist die Grenze der Gestalt keine voll¬
ständige, sondern es besteht hier häufig die
oberste Lage aus cylindrischen Zellformen,
während die unteren, tieferen Lagen kegel¬
förmige, kubische, rundliche Zellen aufweisen
und umgekehrt. Man spricht dann bei solchen
durch Druckwirkung und Wachsthumsmodali¬
täten verschieden gestalteten Zellen von Ueber-
gangsepithel.Das Epithelgewebe sitzt in der
Regel auf Bindegewebe oder zur Bindesubstanz¬
gruppe gehörigen Organtheilen mittelst einer sog.
Basalmembran. Das eine Ende der Zellen, oder
bei mehrschichtigen die obere Lage ist frei
dem Lumen des betreffenden Canals, Hohl¬
raumes oder sonstwie der Organoberfläche zu¬
gewandt, das andere, basale Ende der Zellen
oder die untere Lage bei mehrschichtigen ist
* an der Basalmembran befestigt, u. zw. durch
eigenthümliche gezähnelte, plattenartig, flügel¬
artig oder anderweitig verbreiterte Zellenfort¬
sätze (Fussplatten).
Das Plattenepithel (Fig. 514) kommt
als einschichtiges an der inneren Fläche des
vorderen Theiles der Linsenkapsel, im innem
Fig. 514. Verschiedene Formen von Plattenepithelien.
a Plattenepithel von der Zungenschleimhaut; b Riffzellen;
r verhornte Schuppen vom Hufe des Pferdes; d Harn-
blasenepithelien.
Ohre und in manchen Drüsenausführungs¬
gängen, ferner als Pigmentepithel in der äus-
sersten Retinaschicht vor; als mehrschichtiges
wird es an getroffen auf der äusseren Haut und
ihren Einstülpungen und Fortsetzungen in
Schleimhäute, so in der Maul- und einem Theil
der Rachenhöhle, auf der Zunge, im Schlunde,
der Schlundportion des Pferdemagens, den
Vormägen der Wiederkäuer, den äusseren Ge¬
schlechts- und Harngängen etc. etc. Wie der
Name besagt, ist das Plattenepithel vorwiegend
Koch. Encyklopädie d. Thierheilkd. 11. Bd.
repräsentirt durch plattgeformte dünne Zellen,
welche nach Art der Pflastersteine (Pflaster-
epithel) neben einander liegen; bei mehr¬
schichtiger Lage sind nur die obersten Lagen
von platten Zellen hergestellt, die mittleren
und tieferen 'Schichten zeigen uns noch vollere,
mehr der Kugelform genäherte Zellen. Nach
Ellenberger ist der Bau des geschichteten
Plattenepithels derart, dass auf der etwas ge-
zähnelten Basalmembran direct weiche, voll¬
saftige Zellen (Protoplasten) sitzen, welche von
kugeliger, cylindrischer oder keulenförmiger
Gestalt sind und den Namen Basalzellen,
Ersatzzellen des Epithels führen. Die nächst
höheren Lagen bieten ähnliche kegel- oder
keulenförmige Zellen, die zum Theil mit einem
Basalfortsatz verschiedener Gestaltung ver¬
sehen sind und mit diesem zwischen die
eigentlichen Basalzellen hereinreichen (Fuss-
zellen, Flügelzellen). Mehr und mehr nach
aufwärts zur freien Oberfläche einer Platten¬
epithelmembran werden die Zellen saftärmer,
daher trockener, nehmen durch verschiedene
Druckwirkung plattere Form und besondere
Eindrücke an, wonach z. B. Zellformen vor¬
handen sein können, die den Namen Riff¬
zellen führen, weil sie an den Rändern zackig
und stachelig und auf ihren Ebenen geriffi
erscheinen und mit diesen Riffen und Zähne¬
lungen ineinander hängen, während endlich
ganz oberflächlich erst die völlig abgeplatteten,
meist schon zu kernlosen, verhornten Schüpp¬
chen umgcstaltcten Zellen liegen. Alle die
Zellformen, welche im geschichteten Platten¬
epithel gefunden werden, sind nichts Anderes
als physikalisch umgestaltete, ursprünglich
rundfe Zellen der tiefsten basalen Schichte, wie
denn beim Embryo die ganze Masse noch vor¬
wiegend aus runden Zellen besteht. Die rund¬
lichen basalen Zellen gehen eben, je weiter
sie nach aufwärts geschoben werden, lediglich
durch Druckwirkung jene Gestaltveränderung
und bei verschiedenen Härten auch durch
Umwandlung in Keratin eine chemische Ver¬
änderung, die sog. Verhornung ein; die basalen
Zellen vermitteln den Wiederersatz der an
der Oberfläche verloren gehenden. Selbst das
dickste Plattenepithel ist absolut blutge¬
fässlos, dagegen besteht zwischen den Zellen
ein Saftcanalsystem in Form von Spalträumen,
in welchen vorhandenes Bluttranssudat den
Stoffwechsel der Zellen bethätigt und mit
Lymphgefässnetzen in Beziehung tritt. Soweit
dieses Canalwerk vorhanden, kann man auch
Lymphoidzellen zwischen den Epithelien an¬
treffen, oftmals solche
mit Pigment beladen.
Eine besondere Art
des Plattenepithels ist
durch die Zellen derPig-
mentschicht der Netz¬
haut repräsentirt (Fig.
515). Hier findet man
Zellen, welche gleich
sechsseitigen Mosaik-
steinen in einzelliger
Fig. 515. Zellen der Pig- , /n p j npr TVf pni
mentscliiehte der Netzhaut ^U einer IViem
des Rindes. bran vereinigt sind und
39
610 EPITHELIOM.
bei denen der Zelleib braun oder braun¬
schwarz durch massenhaft in ihm befind¬
liche Pigmentkörnchen gefärbt erscheint, der
Zellkern indes, weil er pigmentfrei, soweit*
derselbe nicht vom Zelleibe verdeckt ist, als
heller Fleck hervortritt. Die ddt Netzhaut,
resp. den nervösen Elementen derselben zu¬
gewandte Fläche dieser Zellen trägt feine
Fadenfortsätze, welche zwischen die Aussen¬
glieder der Netzhautstäbchen und -Zapfen sich
lagern. Die dem Glaskörper zugewandte Fläche
der Zellen ist ärmer an Farbstoff als die
mittlere Partie, und die Pigmentkörnchen
sind elliptisch oder stabförmig, nach Frisch
sind es scharfkantige, prismatische Krystalle,
und bei manchen Thieren sind auch noch
intensiv gefärbte Fettkugeln in diesem Epithel.
Diese Pigmentzellen sollen amöboider Bewe¬
gung fähig sein.
Das Cylinderepithel (Fig. 516) findet
sich vorwegs im Verdauungsschlauch und den
Ausführungsgängen derVerdauungsdrüsen, zum
Fig. 516. Cylinderepithelien von der Magenoberfläche des
Pferdes, a Von der Seite; b von oben gesehen.
Theil auch in letzteren selbst. Den Namen
Cylinderzellen wendet man dann an, wenn der
Zelleib einer Epithclialzelle ein gutes Stück
länger als breit ist. Solche Zellen können
nebenher noch verschieden geformt erscheinen:
kegel-, bim-, becher-, pyramidenförmig; ihr
Kern kann rund oder oval sein, und ausserdem
trifft man noch je nach der Function be¬
sondere Structurunterschiede (s. Becherzellen,
Deckelzellen bei Darm). Die Cylinder¬
epithelien kommen ebensowohl in einschichtiger
wie in mehrschichtiger Anordnung vor und
liegen in letzterem Falle als Ersatzzellen,
rundliche und Uebergangsformen dieser Epi-
thelien auf der Basalmembran. Meistentheils
stellen fadenartige gezähnelte, bandartige Fuss-
platten, d. h. basale Fortsätze der Cylinder¬
epithelien die Verbindung mit dem binde¬
gewebigen Boden, resp. der Basalmembran
her. Betrachtet man eine von Cylinderzellen
hergestellte Oberfläche von oben, so erkennt
man ein zierliches Mosaik polygonaler Felder
— die Umrisse des Zelleibes jeder Cylinder-
zelle von der freien Fläche aus. Epithclial-
zellen, welche ebeuso hoch wie lang sind, nennt
man kubische Zellen. Besitzen epitheliale
Zellen an ihrer Oberfläche haarartige Fort¬
sätze, welche, so lange die Zellen am Leben
sind, Bewegung zeigen, so nennt man die mit
solchen Wimpern oder Cilien (s. d.) ausge¬
statteten Zellen Flimmerepithelien. Nur
an wenig Körperpartien, so im mittleren Ohre,
sind es Platten epithelien, welche Wimpern
tragen: fast allenthalben treffen wir den Besitz
von Cilien an Cylinderzellen geknüpft, sowohl
— EPIZOON.
an einschichtige wie mehrschichtige, in letz¬
terem Falle führt aber nur die oberste freie
Schicht die Wimperhaare und sind solche
überall vorhanden, wo es sich um Fortschaffung
feinster corpusculärer Eiepiente aus Höhlen
und Canälen handelt (Eileiter, Uterus, Trachea,
Bronchien, einem Theil der Nasenschleim¬
haut etc.). Es gibt noch eine Hauptform der
Epithelien, welche den Zellenbelag der serösen
Häute bilden und speciell den Namen*
Endothel führen; insoweit diese Form
auf dem Peritoneum und der Pleura nebst den
diversen Blättern dieser Membranen ihre Lage
hat, ist sie als echtes Epithelgewebe anzu¬
sprechen, soweit indes das Canalwerk der
Blut- und Lymphgefässe, die Gelenkhöhlen,
überhaupt die abgeschlossenen, nicht mit der
Aussenwelt communicirenden Spalt- und Hohl¬
räume des Körpers davon ausgekleidet sind,
haben wir es mit wirklichem Endothel (s. d.)
zu thun; letzteres Gewebe stammt nämlich
vom mittleren Keimblatte (Mesoderm) ab.
Die Epithelialzellen sind Gebilde, welche
jo nach Localität ihres Sitzes nicht nur ver¬
schiedene morphologische Eigenschaften kund-
thun, sondern damit auch verschiedene physio¬
logische Leistungen verbinden. Die Deck-
cpithelien fungiren als schützende Ueberzüge
der betreffenden Organe, die Flimmerzellen
übernehmen die Fortbewegung thicrischer Pro-
ducte (Ei) und diverser Secrete, auch fremder
ein gedrungener Elemente, die Drüsenepithelien
liefern Secrete, welche für den Körperhaushalt
unentbehrlich sind,oder schaffen StoffWechselpro-
ducte aus dem Körper, weiters gibt es Formen,
welche die Resorption von Nährstoffen besorgen,
und die Pigmentepithelien spielen eine Rolle f
zur Erzeugung des Sehpurpurs. Die Epithelien
fallen schon physiologisch verschiedenen rück¬
gängigen Metamorphosen anheim und gehören
zu den am leichtesten sich regenerirenden
Geweben des Körpers.
Literatur: Ellenberger, Vergl Histologie der
Haussäuget,hiere. Kitt.
Epitheliom. Im weiteren Sinne des Wortes
versteht man unter Epitheliom eine jede Neu¬
bildung, die mit starker Wucherung des Epithels
oder der Epidermis verbunden ist, wie z. B.
die Warzen (Papillome), Adenome und Kcra-
tosen (Schwielen, Leichdörner und Haut¬
hörner). Semmtr.
Epitheln (v. auflegen), Um¬
schlag. Sussdorf.
Epitrichium (abgel. von erct, auf, und
•q Haar), ein der abgestossenen Ober¬
haut der sich häutenden Amphibien und Rep¬
tilien morphologisch vielleicht gleichkom¬
mendes epidermoidales Häutchen, welches
von gewissen Säugethieren, darunter Schwein
und wahrscheinlich auch Pferd, während des
intrauterinen Lebens zur Zeit des Empor¬
wachsens der Haare abgestossen wird, um
entweder als continuirliche Hülle bis zur
Geburt bestehen zu bleiben oder schon
während desEmbTyonallebenszu zerreissen. Sf.
Epizoon (abgel. v. eitt, auf, und to Cuiov,
Thier), das auf anderen Organismen vege-
tirende Lebewesen, Schmarotzerthier; davon
t
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EPIZOOTIE. - EQUIDAE.
61t
Epizoologia, die Lehre von den Epi¬
zoen. Sussdorf
Epizootie (v. &tcj, über, und Cwöv, Thier),
Landesseuche, Wanderseuche (Epidemie bei
Menschen), eine Krankheit, die sich über
grössere Strecken oder ganze Länder aus¬
breitet und entweder durch solche Miasmen
veranlasst wird, die nicht an bestimmte
Localitäten gebunden sind und Krankheiten
hervorrufen, die unter Umständen contagiöse
Eigenschaften erlangen (Influenza, Katarrhe,
Pneumonien, Pleuriten, Druse, Cerebrospinal¬
meningitis, Gastroenteriten, Rheumatismen),
oder denen ausgesprochene Contagien, meist
flüchtiger Natur zu Grunde liegen, wie Rinder¬
pest, Schafpocken, Lungenseuche, Maul- und
Klauenseuche, Staupe, Hühnercholera, Roth-
lauf, Diphtherie. Aber auch Krankheiten mit
einem fixen Contagium können oft grössere
Ausbreitung erlangen und weithin verschleppt
werden, wie Milzbrand, Hundswuth, Rotz,
Beschälseuche. Viele der genannten Seuchen
entstehen aber meist anfangs an einem be¬
stimmten Ort als Enzootien und verbreiten
sich dann durch Ansteckung über ganze
Länder und Erdtheile, wie z. B. die Rinder¬
pest von den Steppen Südrusslands auf die
nördlichen Gebiete und auf die angrenzenden
Staaten. Viele Seuchen lassen sich durch
streng durchgeführte polizeiliche Massregeln
auf gewisse Gebiete einschränken oder zu
Enzootien umwandeln, andere dagegen, die
aus sehr flüchtigen Contagien oder weit ver¬
breiteten Miasmen hervorgehen, lassen sich
durch nichts in ihrer Verbreitung aufhalten,
wie die Influenza, Staupe, Druse, Diphtherie,
Rothlauf der Schweine, Hühnercholera, Maul¬
seuche, Katarrhe u. a. Viele Epizootien haben
eine Heimat, aus der sie sich periodenweise
über die benachbarten Länder ausbreiten.
Die meisten Seuchen stammen aus Asien und
wandern daher von Osten nach Westen
(Rinderpest, Maulseuche,' Influenza, Hühner¬
cholera, Cholera des Menschen, Beschälseuche).
Andere Epizootien entwickeln sich in allen
Ländern unter Umständen spontan, wie Milz¬
brand, Tuberculose, Rotz, Hundswuth, Roth¬
lauf, Typhus u. a.
Literatur: Faulet, Reeherches historiques et
physiques sur les maladies epizootiqnes, Paris 1775. —
Laubender, Seuchengeschichte. München 1811. —
Guersent, Essai sur les ßpizooties, Paris 1816. —
Schurr er, Seuchenchronik, Tübingen 1823. — Dupuy,
Traitö historique sur les maladies öpizootiques des bötes
fl cornes, Paris 1837. — Heusingor, Reeherches de
Pathologie compar^e, Cassel 1854. — Haubner, Vete-
rinftrpolizei, Dresden 1869. — Reynal, Traito de la
Police sanitaire, Paris 1873. — Pütz, die Seuchen und
Heerdekrankheiten, Stuttgart 1882. Hemmer.
Epona. <r IwTciova (v. 6 utTtos), die Göttin
der Pferde (Juvenal). Sussdorf
Epostoma (abgel. v. zn :, auf, und to
ogtbov, Knochen), Knochenauswuchs = Perio-
stom. Sussdorf
Ep80m, englischer Flecken südwestl. von
London gelegen, bedeutender Rennplatz, wo¬
selbst die Derbyrennen stattfinden. Koch.
Ep80ffi8alz, soviel als Bittersalz oder
englisches Salz (s. d.). Vogel.
Epulis (abgel. v. litt, auf, und t b ooXov,
Zahnfleisch), eig. jede Zahnfleischgeschwulst,
dann auch die vom Zahnrand der Kiefer
sich entwickelnden nicht entzündlichen Ge¬
schwülste (Billroth); man unterscheidet Epulis
fungosa, fibrosa, ossea, carcinomatosa etc. Sf.
Epulosis, "ri eicouXtuols (v. sitooXetafl-a:,
vernarben), Vernarbung, davon adj. epulotica
sc. remedia, vernarbende Mittel. Sussdorf
Equidae, Pferde (Zoologie). Familie der
unpaarzehigen Hufsäugethiere, Perissodactyla
Owen. Sie charakterisiren sich als Zehen¬
gänger von wohlproportionirten Körperformen,
deren Ftisse nur eine wohlentwickelte, an der
letzten Phalange mit einem Huf bekleidete
Zehe besitzen. Ihr Gebiss besteht in jeder
Kieferhälfte aus drei Schneidezähnen, einem
Eckzahn und sechs Backenzähnen mit qua¬
dratischer Kaufläche. Der Körper ist mit kurzen
Haaren bedeckt, nur im Nacken entwickelt
sich eine Mähne und am Schwanz ein Schweif
oder eine Endquaste von längeren Haaren, zwei
Zitzen in der Weichengegend.
Die Pferde bilden in der heutigen
Schöpfung eine scharf begrenzte Familie,
die von vielen Forschern auch als eigene
Ordnung der Säugethiere, als Solipeda oder
Solidungula betrachtet wird. Cuvier ver¬
einigte sie unter dem Familiennamen Solipeda
mit der Ordnung der Pachydermen. Owen,
auf vergleichende anatomische und paläonto-
logische Forschungen sich stützend, wies ihre
nahe Verwandtschaft mit mehreren fossilen
Säugethierfamilien nach und vereinigte sie
mit den übrigen unpaarzehigen Hufthieren,
den Tapiren; Iihinoceronten, den fossilen
Paiäotheriden, Macrauchenien u. a. in der
Ordnung der Perissodactyla.
Die lebenden Equiden haben einen wohl¬
proportionirten Körper; ihr Kopf ist mager,
gestreckt, vertical getragen, die Augen gross
und lebhaft, die Ohren gross, zugespitzt, sehr
beweglich, der Hals kräftig, aufrecht getragen,
der Leib gerundet, fleischig, die Beine schlank
und kräftig, sie enden mit einem Hufe. Das
Haarkleid ist kurz, meist dicht anliegend,
nur am Halse verlängert es sich zu einer auf-
r echtstehen den oder w r ellig herabhängenden
Mähne, der kurze Schwanz trägt entweder
lange Haare von der Wurzel an und bildet
einen Schweif, oder er ist nur an seiner
Spitze mit längeren Haaren besetzt. An der
Innenseite der Beine, oberhalb der Hand¬
wurzel, bei Equus auch der Fusswurzelgegend,
finden sich haarlose, hornig verdickte Epi-
dermisplatten, die sog. Kastanien. Am Schädel
ist der Gesichtstheil gestreckt, durchschnitt¬
lich zweimal so lang als der Himtheil. Der
Hirntheil zeigt die Parietalgegend gewölbt
und wird nach hinten von stark vortretenden
Occipitalleisten, welche sich rückwärts über
die Nackenfläche biegen, begrenzt. Die Fron¬
talregion ist sehr breit, entweder vollkommen
flach oder schwach gebogen. Die sehr langen
Nasenbeine liegen in derselben Ebene wie
die Stirnbeine und springen weit nach vorne
über die Nasenhöhle vor. Der Zwischenkiefer
39 *
61 2 EQUIDAE.
ist schmal, am Ende gewölbt und stark zur
Aufnahme der Schneidezähne; der lange schräg
aufsteigende Nasalfortsatz verbindet sich nur
auf eine kurze Strecke mit dem Nasenbeine.
Der Oberkiefer ist hoch und springt über der
Backzahnreihe kantig vor. Die Gaumenbeine
sind sehr kurz, der Hintergrund des harten
Gaumens liegt dem vorletzten Backzahn gegen¬
über. Die Augenhöhle ist nach hinten durch
den absteigenden Fortsatz des Stirnbeins, den
Jochfortsatz des Schläfenbeins, nach unten
durch das Jochbein geschlossen. Der Joch¬
fortsatz des Schläfenbeins verhindert, im
Gegensatz zu den ebenfalls mit geschlossener
Augenhöhle versehenen Wiederkäuern, die
Vereinigung des Stirnbeinfortsatzes mit dem
Jochbein. Die Unterkieferäste sind an der
Symphyse verschmolzen. Der senkrechte Theil
jedes Astes ist lang, der Gelenkhöcker quer¬
stehend und von vorne nach hinten convex, der
schmale Kronenfortsatz viel höher als der
Gelenkhöcker. Es sind 7 Halswirbel, 18 bis
19 Brustwirbel, 5—6 Lendenwirbel, 5 bis
6 Kreuzwirbel und 17—21 Schwanzwirbel
vorhanden. Die sechs auf den mit breiten
seitlichen Fortsätzen versehenen Atlas fol¬
genden Halswirbel haben einen stark verlän¬
gerten Körper, der nach vorne eine stark
convexe, nach hinten eine entsprechend con-
cave Fläche zeigt, die oberen Dornfortsätze
sind in allen mit Ausnahme des siebenten
verkümmert. In der Rückenregion verringert
sich der opistocoele Charakter der Wirbel¬
körper, die Dornfortsätze wachsen an Länge
bis zum vierten oder fünften Wirbel. Der
Dornfortsatz des sechzehnten Rückenwir¬
bels steht senkrecht, während die vor die¬
sem liegenden sich nach hinten, die auf ihn
folgenden etwas nach vorne neigen. Die
Querfortsätze des vorletzten und letzten
Lendenwirbels zeigen auf ihren Hinterrändern
concave Gelenkflächen, die mit ebensolchen
convexen, vom Vorderrand des letzten Lumbar-
und ersten Sacral wirb eis entwickelten Fort¬
sätzen gelenken, ein Verhältniss, das nur den
Equiden unter den Säugethieren zukommt.
Die Extremitäten zeigen die möglichste Re-
duction in der Strahlen ent Wicklung. Der Fuss
berührt nur mit der Spitze der letzten Pha-
lange der Mittelzehe, die vom Hufe umgeben
ist, den Boden, die zwei höheren Phalangen
stehen mit ihren längeren Achsen in einen
Winkel geneigt zur Unterfläche des Hufes,
die Mittelfuss- und Mittelhandknochen sind
wieder senkrecht, der Oberarm und Ober¬
schenkel sind in die gemeinsame Körperhaut
eingeschlossen und geringer Bewegung fähig,
die Achse des Oberarmbeines schräg nach
unten und hinten geneigt, die des Ober¬
schenkels nach vorne und unten im rechten
Winkel zum Becken.
Vom Schultergürtel ist nur eine Scapula
vorhanden, die lang und schmal ist, kein
Acromion und nur einen kleinen Coracoid-
fortsatz besitzt. Der Humerus ist kurz, sein
Kopf sieht nach hinten; die zwei Vorderarm¬
knochen sind verschmolzen, der Schaft der
Ulna wird sehr dünn, und ihr schwaches
Distalende bildet schliesslich eine schmale
Leiste am äusseren Rande des Radius, mit
dem es verschmilzt. Es sind sieben Hand¬
wurzelknochen vorhanden, u. zw. drei in der
proximalen Reihe, an die sich nach hinten ein
Pisiforme anschliesst, und drei in der distalen.
An der Hand fehlt der fünfte und erste
Finger vollkommen, vom zweiten und vierten
sind nur die spiessförmigen Mittelhandknochen
vorhanden, als sog. Griffelbeine, nur der dritte
Finger ist vollständig entwickelt. Die Becken¬
knochen sind verlängert, ihre Längenachse
bildet mit dem Rückgrat einen spitzen Winkel,
die Darmbeinkämme sind breit und liegen
quer. Die Schambeinsymphyse ist sehr lang.
Am Femur findet sich, wie bei allen Perisso-
dactylen, ein dritter Trochanter, an den sich
der grosse Gesässmüskel anheftet. Der Kopf
trägt eine tiefe Grube für das Ligamentum
rotundura. Am Vorderschenkel ist das Proxi¬
malende der Fibula rudimentär, der Schaft
nicht durch Knochen vertreten und das Distal¬
ende mit der Tibia versohmolzen. Die Fuss-
wurzelknochen sind in der Zahl von sechs
bis sieben vorhanden, je nachdem die Ecto-
und Entocuneiformia getrennt bleiben oder
verschmelzen, die Zehen verhalten sich wie
die Finger in der Vorderextremität.
Das Gebiss der Pferde zeigt in jeder
Kieferhälfte drei Schneidezähne, einen Eck¬
zahn, sechs Backzähne. Das Milchgebiss, wel
ches bei der Geburt vollständig ist, mit Aus¬
nahme der äusseren Schneidezähne, die nach der
Geburt erscheinen, besteht aus drei Schneide¬
zähnen, einem Eckzahn und vier Backzähnen.
Der vorderste, sehr kleine Backzahn wird nicht
gewechselt, er fällt gewöhnlich aus, wenn der
erste bleibende Prämolar auftritt, ausnahms¬
weise bleibt er aber auch erhalten und wird
dann beim Pferde als Wolfszahn bezeichnet.
Die Schneidezähne stehen dicht gedrängt,
sind meisseiförmig, und ihre Krone zeigt eine
Schraelzfalte, welche von oben und hinten
in die Zahnsubstanz sich ein senkt und auf
der abgekauten Zahnfläche eine Grube be¬
grenzt, die beim Hauspferd als Kunde be¬
zeichnet wird. Zwischen den äussersten
Schneidezähnen und den vordersten Mahl¬
zähnen befindet sich eine weite Lücke, das
Diastema; in diesem tritt näher den Schneide¬
zähnen der Eckzahn auf, der aber meist nur
beim männlichen Pferde entwickelt ist, bei
dem weiblichen gewöhnlich fehlt. Die Back¬
zähne sind gross, dichtstehend, im Ober¬
kiefer mit quadratischem Querschnitt, von
gleicher Grösse, nur der vorderste, Prämo¬
lar III, ist grösser und von dreieckigem Quer¬
schnitt, die Spitze des Dreiecks nach vorne
gerichtet, der letzte Mahlzahn, Molar IH, ist
kleiner als die übrigen und sein Querschnitt
unregelmässig dreieckig, die Spitze des Dreiecks
nach hinten gerichtet. Die Structur des
Zahnes ist sehr complicirt durch Faltung
und Leistenbildung der Oberfläche und Ein¬
lagerung von Cement in die dazwischen ent¬
stehenden Gruben oder Thäler, so dass die
abgenützte Krone auf der Fläche eine eigen-
thümliche Zeichnung bietet.
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EQUIDAE. 613
Man unterscheidet an einem oberen Mahl¬
zahn eine Aussenwand, welche anf der abge¬
schliffenen Krone die Form von zwei Halb¬
monden darbietet, eines vorderen und eines
hinteren, welche beide mit ihren concaven
Seiten nach aussen gekehrt sind. Von der
inneren Seite des vorderen Halbmondes zieht
eine halbmondförmige Vorderleiste nach innen
und hinten, und ihre Innenfläche verbreitert
sich zu einer starken Längsfalte oder einem
Pfeiler. Vom vorderen Theile des hinteren
Halbmondes nimmt eine Hinterleiste einen
ähnlichen Verlauf und hat ebenfalls ihren
Pfeiler. Die tiefen Zwischenräume oder Thäler
zwischen diesen Leisten und der Aussenwand
sind mit Cement ausgefüllt, welches den
ganzen Zahn umhüllt. Die Backzähne des
Unterkiefers sind auf dem Querschnitt schmal,
in der Richtung des Kiefers verlängert. Ihre
Kaufläche erscheint aus zwei halbmondför¬
migen Leisten gebildet, deren Convexitäten
nach aussen sehen. Das freie Ende jedes
Halbmondes hat einen Pfeiler, und wo die
beiden Halbmonde sich berühren, findet sich
ein grosser Doppelpfeiler. Das Ganze ist von
Cement umhüllt.
Die Speiseröhre der Pferde ist eng, an
ihrer Einmündungsstelle in den Magen ver¬
dickt sich die Muskelschicht so bedeutend,
dass sie das Lumen comprimirt und die
Schleimhaut sphincterartig vorspringt.
Der Magen, retortenförmig, mit grossem
Blindsack, zeigt nach Beschaffenheit der
Schleimhaut zwei Abschnitte, einen kleineren
Cardial- und einen grösseren Pylorusabschnitt
Die Schleimhaut des ersteren Theiles ist weiss-
lich, glatt, mit einem derben, geschichteten
Pflasterepithel bekleidet, die des Pylorus-
abschnittes weich, sammtartig, dunkel gefärbt
und mit Cylinderepithel bedeckt. In seinem
mittleren Theil munden die zahlreichen Lab-
drüsen, in dem Endtheil bis zur Pförtner¬
klappe Schleimdrüsen. Der Dünndarm ist
eng, der Dickdarra sechsmal dicker als der
Dünndarm, der Blinddarm ungemein gross,
sein Volumen das Doppelte des Magens. Der
ganze Darmcanal beträgt beim Pferde achtmal
die Länge des Körpers. Die Leber ist zwei¬
lappig und entbehrt der Gallenblase.
Das Herz hat eine stumpfkegelförmige
Gestalt, in der Herzscheidewand entwickelt
sich ein Knorpel, bei erwachsenen Thieren
fehlt die eustachische Klappe, und es verbleibt
blos eine Vena cava anterior. Die Aorta theilt
sich unmittelbar hinter dem Ursprung in einen
vorderen und einen hinteren Zweig; der letz¬
tere wird Aorta Thoracica genannt, der erstere
gibt den Kopfarterien und denen der Vorder¬
extremitäten den Ursprung; es ist demnach
ein Truncus anonymus vorhanden ftr die
Carotiden und die Arteriae subclaviae wie bei
den Wiederkäuern.
Die Luftröhre theilt sich nur in zwei
Bronchi. Beim männlichen Geschlecht (Hengst)
liegen die Hoden in der Bauchhöhle, doch
bleibt der Leistencanal beständig offen, und
die Hoden steigen zur Brunstzeit in einen
Hodensack hinab; der grosse Penis wird von
einer Vorhaut bedeckt. Im weiblichen Ge¬
schlecht (Stute) ist der Uterus zweihömig.
Zwei Zitzen sind in der Inguinalgegend vor¬
handen. Am Ei fehlt eine Decidua, die Al-
lantois verbreitet sich über die ganze Innen¬
seite des Chorion und bedeckt das gefäss-
reiche Amnion. Die kleinen Zotten, welche
dieselbe mit Gefössen versieht, sind gleich-
massig über die ganze Chorionfläche ver¬
theilt. Placenta diffusa. Das neugeborene Thier
ist schon kurz nach der Geburt im Stande,
der Mutter zu folgen.
Die Equiden leben im wilden Zustande
heerdenweise in den Steppengebieten Asiens
und Afrikas. Ihre Nahrung besteht in Pflan¬
zenstoffen, vorwiegend Gramineen und deren
Samen und krautartigen Pflanzen. Zwei Formen,
das Pferd und der Esel, sind schon in vor¬
historischen Zeiten vom Menschen gezähmt
und zum Hausthier gemacht worden und
gegenwärtig mit dem Menschen Über die
ganze Erde verbreitet. Die jetzt lebenden
Equiden können alle einer Gattung, Equus L.
zugerechnet werden. Doch lassen sich nach
dem Vorgänge Hamilton-Smith’s drei Unter¬
gattungen unterscheiden.
{. Equus. Die Ohren sind relativ klein,
die Haare, von der Wurzel des Schwanzes an
verlängert, bilden einen Schweif. Kastanien
an den Vorder- und Hinterextremitäten, E. ca-
ballus L. Das Pferd. Nur noch in gezähmtem
Zustande bekannt. Dass die zahlreichen Rassen
von mehreren Arten von Wildpferden her-
stararaen, ist wahrscheinlich. Die Frage, ob
die in den Steppen des unteren Dniepr vor¬
kommenden wilden Pferde, als Tarpane be¬
kannt, verwilderte Hauspferde oder ursprüng¬
lich wilde Pferde seien, ist noch nicht end-
giltig entschieden. E. Przewalskji Po-
liakow. Kertag der Kirgisen, Taki der Mon¬
golen. Ein Wildpferd, das erst in den letzten
Jahren durch den russischen Reisenden
Przewalsky in der centralasiatischen Wüste
entdeckt wurde. Es unterscheidet sich von
E. caballus durch den im oberen Theile zot¬
tigen Schweif und die aufrechtstehende Mähne.
2. As in us. Die Ohren sind relativ lang,
der Schwanz nur am Ende mit einer Quaste
langer Haare versehen. Kastanien nur an den
Vorderfüssen. Einfarbig grau oder isabell¬
farben mit dunklem Rückenstreif und zuweilen
ebensolchem Schulterstreifen. A. hemionus
Tall. Kulan der Kirgisen, Dschiggetai der
Mongolen. In Thibet und der centralasiati¬
schen Wüste sowohl im Gebirge als in der
Ebene lebend. A. onager L. Gurkur, Gaur.
In Persien, Mesopotamien, Kleinasien, Svrien
und Arabien. A. taeniopus Rüpp. In Abys-
sinien und in den Ländern östlich vom Nil
bis an die Küsten des Rothen Meeres. Wahr¬
scheinlich die Stammform des zahmen Esels.
A. vulgaris. Bei Aegyptem und Semiten vor
dem Pferde als Hausthier benützt.
3. Hippotigris. Die Ohren sind mittel¬
lang und breit, der Schwanz am Ende lang
behaart. Die Färbung zeigt auf hellem Grunde
dunkle Streifen über den ganzen Körper oder
einen Theil desselben. Kastanien nur an den
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614
EQÜIDAE.
Vorderfassen. H. Quagga Gm. In den Step¬
pengebieten Südafrikas bis zum Vaalflusse.
H. BurchelliGray. In den Steppengebieten
Südafrikas bis zum 10—12 0 N. B. H. Z e b r a L.
Süd- und Ostafrika bis Abyssinien. In gebir¬
gigen Gegenden.
Die gegenwärtig lebenden wilden Equiden
haben demnach sehr localisirte Verbreitungs¬
gebiete, sie sind nur auf bestimmte Theile
des asiatischen und afrikanischen Tieflandes
beschränkt Aber schon in der Quarternärzeit
war ihr Verbreitungsgebiet ein viel ausge¬
dehnteres. Nach den in Höhlen und Kies¬
lagern erhaltenen Knochenresten bevölkerten
zu jener Zeit, wo der Mensch schon in Europa
lebte, Heerden von Pferden Europa und Nord¬
afrika nicht nur, sondern auch den ganzen
Continent von Amerika. Man findet Reste
von mehreren (vier) Arten Equus in dem
Pampaslehm von Argentinien, eine Art in
den Höhlen Brasiliens, sechs Arten in Nord¬
amerika, wo sie Zeitgenossen des Mastodons
und des Elephanten waren. Reste von Pferden
finden sich noch in den Pliocänablagerungen
Europas, in Indien bis in die jüngere Miocän-
zeit, deren Säugetliierfauna in den Ablage¬
rungen der Siwalikhügel so reichliche Ueber*
reste hinterlassen hat.
Die meisten Pferdereste des mittleren
und höheren Diluviums in Europa dürfen
dem Equus caballus L. zugerechnet werden,
das schon damals in grösseren und kleineren
Formen vorkam; einige im Diluvium von
Wcsteregeln gefundene Ueberreste führt
Nehring auf den Dschiggetai, Asinus hemionus
zurück, der sich zu jener Zeit mit anderen
Arten der asiatischen Steppenfauna weit nach
Westen verbreitete. Einer besonderen Art,
Equus Stenonis Cocchi, die sich durch den
einfacheren Zahnbau von Equus caballus
unterscheidet, werden die Pferdereste der
pliocänen Ablagerungen des Val d’Arno zuge¬
schrieben, andere aus den spätpliocänen
Ablagerungen der Auvergne als Equus fossilis
Owen. Ober- und Unterkieferzähne eines
Pferdes und ein Schädel aus spätpliocänen
Ablagerungen Italiens, welche eine inter¬
mediäre Stellung zwischen Equus Stenonis
und Equus caballus andeuten, werden von
Forsyth Major auf eine Art bezogen, welche
er als Equus quaggoides bezeichnet, da sich
in ihrem Baue Anklänge an den des Quaggas
zeigen.
Diluviale Reste vom Esel wurden in
Italien, Spanien und Frankreich südlich der
Loire gefunden. Sanson unterscheidet diese
als Asinus europaeus und leitet von ihm die
zahmen Eselrassen Südfrankreichs, des Poitou,
der Gascogne und Spaniens ab.
Die Pferde Amerikas scheinen vor dem
Auftreten des Menschen auf diesem Continent
ausgestorben zu sein, zurückverfolgcn lässt
sich dort die Gattung Equus bis in das
obere Pliocän.
In älteren Ablagerungen Europas, in
dem jüngeren Miocäu und im älteren Plio¬
cän treffen wir auch noch Reste von Huf-
thieren. welche als Equiden bezeichnet werden
können; es sind die Arten der Gattungen
Hipparion und Hippotherium. Das Skelet
dieser Thiere sowie das Zahnsystem stimmt
mit dem der lebenden Formen überein, an
den Füssen aber ist die Reduction der Zehen
noch nicht so weit vorgeschritten. An die
Metacarpen und Metatarsen der zweiten und
vierten Zehe schliessen sich hier je drei
Phalangen an, deren letzte die Form des
Hufbeines hat. Diese Seitenzehen sind aber
viel kleiner als die Mittelzehe und berührten
den Boden nicht. Sio verhielten sich zu der
grossen Mittelzehe wie die Afterzehen der
Wiederkäuer zu den beiden allein den Boden
berührenden Mittelzehen. In noch älterer
Zeit, der älteren und mittleren Miocänzeit,
findet sich ein Hufthiertypus in Europa,
welcher in seinem Skelet und Zahnbau noch
sehr an die Pferde erinnert, andererseits aber
nahe Verwandtschaft zu perissodactylen Sam¬
meltypen der Eocänzeit zeigt, dem Palaeo-
otherium und Palaplotherium, die wir als
Wurzeltypen für die Rhinoceronten betrachten
dürfen. Das Anchitherium hat im Skeletbau
viel Aehnlichkeit mit dem Pferde, aber sein
Fuss besitzt drei vollständige Zehen, die
Mittelzehe ist zwar noch etwas stärker als
die beiden seitlichen, aber diese berührten
doch den Boden. Am Vorderarm war die
Ulna vollständig und vom Radius gesondert,
ebenso scheint die Fibula vollkommen ent¬
wickelt gewesen zu sein. Das Gebiss zeigt
sieben Backzähne, wovon der erste, welcher
dem hinfälligen Wolfszahn der, Pferde ent¬
spricht, von ansehnlicher Grösse ist. Die
Kronen der Backzähne sind kurz, die Vorder-
und Hinterleisten weniger gekrümmt als
beim Pferde, die accessorischen Pfeiler fehlen,
und die flachen Thäler sind nicht mit Cement
erfüllt.
Während in der alten Welt die Stamm¬
formen der Equiden sich nicht weiter zurück¬
verfolgen lassen, haben die mächtig ent¬
wickelten Tertiärformationen Nordamerikas
Urkunden hinterlassen, welche die ursprüng¬
lichen Stammformen der Equiden bis in die
Eocänzeit zurückverlegen und zugleich zeigen,
dass dieser Typus seinen Ursprung in der
neuen Welt besitzt.
Professor March, welchem die Wissen¬
schaft die Darstellung dieser wichtigen
Funde verdankt, charakterisirt diese Ent¬
wicklungsreihe folgendermassen. Im Unter-
eoeän findet sich die älteste Pferdeform von
der Grösse eines Fuchses, Eohippus. Das¬
selbe besitzt 44 Zähne, die Molaren mit
kurzen Kronen und verschieden von den
Prämolaren gestaltet. Ulna und Fibula sind
vollständig entwickelt und getrennt von
Radius und Tibia, die Vorderfüsse haben
vier wohlentwickelte Zehen und das Rudiment
einer fünften, die Hinterfüsse drei Zehen.
In den höheren Schichten der Eocänformation
wird Eohippus durch die Gattung Oro*
hipp us ersetzt. Hier ist die rudimentäre
fünfte Zehe an den Vorderfüssen verschwunden,
und der letzte Prämolar hat die Form der
Molaren angenommen. In den tiefsten Schichten
EQUIDAE. 615
der Miocänformation tritt die Gattung Me so¬
ll i pp us auf. Hier sind nur noch drei Zehen
an den Vorderfüssen vorhanden und das
rudimentäre Metacarpus einer vierten, drei
Zehen am Hinterfuss. Zwei Prämolarzähne
sind wie die Molaren gestaltet. Die Ulna ist
mit dem Radius verwachsen, die Fibula nicht
mehr vollständig. In dem oberen Miocän tritt
eine neue Form auf, Miohippus, das zu¬
nächst mit dem Anchitherium Europas über¬
einstimmt, aber generische Unterschiede zeigt.
Drei Zehen an allen Füssen, nahezu von
gleicher Grösse; es existirt noch das Rudiment
des fünften Metacarpus. Im unteren Pliocän
erscheint eine Form, welche sehr nahe dem
europäischen Hipparion steht, Protohippus.
An allen Füssen finden sich noch drei Zehen,
aber nur die mittelste berührt den Boden.
Endlich erscheint im mittleren Pliocän eine
Form, welche der Gattung Equus sehr nahe
steht, Pliohippus, bei der die seitlichen
Phalangen verschwunden sind, der zweite
und vierte Metacarpal- und Metatarsalknochen
aber noch mehr entwickelt ist als in Equus und
die Kronen der Backzähne noch kürzer sind.
Die Gattung Equus erseneint in Amerika erst
in der späteren Pliocänzeit, um noch vor
dem Auftreten des Menschen wieder zu ver¬
schwinden.
Alles zusammengenommen, darf man nach
den bis jetzt bekannten geologischen Urkunden
annehmen, dass die Equiden sich im Norden
der neuen Welt zuerst von den übrigen
perissodactylen Hufthieren zu diflerenziren
begonnen haben und sich allmälig aus mehr-
hufigen plumpen Geschöpfen zu den flüchtigen
einhufigen Thieren entwickelt haben, welche
heute die Steppengebiete der alten Welt be¬
völkern. Der Umstand, dass man die Gattung
Equus in viel älteren Formationen Indiens,
der jüngeren Miocänzeit, als in Amerika an¬
trifft, lässt aber vermuthen, dass die Gattung
Equus im Centrum der alten Welt sich
zuerst differenzirt hat, um von dort aus einen-
theils Europa und Afrika, anderntheils, über
die zur Pliocänzeit bestehenden Landbrücken
zwischen der alten und neuen Welt, Amerika
bis nahe an seine Südspitze zu bevölkern.
Aus unbekannten Ursachen starben dort diese
Thiere noch in der Postpliocänzeit aus, und
erst den europäischen Eroberern der neuen
Welt war es Vorbehalten, die verödeten Steppen¬
gebiete Süd- und Nordamerikas wieder mit
Heerden dieses Hufthieres zu bevölkern. Studer.
Vorgeschichte. Die Aufhellung der
geologischen Vorgeschichte irgend einer heu¬
tigen Thierform ist abhängig von zweierlei
Umständen sehr verschiedener Art. In erster
Linie vom Zufall, der uns Ueberreste von
Vorfahren in mehr oder weniger reichem
Mass und mehr oder weniger glücklicher Aus¬
wahl in die Hände spielt. Zweitens von der
besonnenen Vergleichung solcher Ueberreste
und der richtigen Einordnung der von ihnen
gebotenen Merkmale in ein einheitliches und
nach geschichtlichen und gestaltlichen Anhalts¬
punkten möglichst richtiges Bild von Ent¬
wicklung.
Beiderlei Bedingungen sind für die heut¬
zutage mit dem Titel Pferd bezeichnete Säuge¬
thierform im Verlauf der letzten 50—60 Jahre
in ungewöhnlich günstigem Masse eingetroffen.
Während Cuvier, der Schöpfer der Säugethier-
Paläontologie, noch bis in die Zwanziger¬
jahre kaum Anlass fand, von fossilen Pferden
zu sprechen, gehört heutzutage die Vorge¬
schichte dieser Thiere zu den reichsten und
bestbebauten Theilen von geologischer Thier¬
geschichte.
Einen gewaltigen Vorsprung vor anderen
Säugethieren bot dabei freilich die merkwürdig
scharf ausgeprägte und in der Gegenwart fast
gänzlich isolirte Gestalt der in Rede stehenden
Thiergruppe. Kaum ein Beispiel lässt sich
namhaft machen, wo sich die markantesten
Merkmale der Organisation und gleichzeitig
diejenigen, die der Erhaltung in fossiler Form
am leichtesten fähig sind, wie etwa Zähne und
Fussknochen, in gleichem Masse zu einem
Gepräge von Bestimmtheit vereinigen, das für
Abwägung von Modificationen gleich sichere
Wegweisung bot.
Schon das populäre Urtheil hat daher
niemals Bedenken getragen, den Begriff Pferd,
der streng genommen nur dem bekannten, mit
einem langhaarigen Schweif versehenen Haus¬
thier gilt, auf die zwar anders beschweiften,
aber doch in der Einhufigkeit und im Gebiss
sehr ähnlichen Thierformen auszudehnen, die
in allerlei Variation einen grossen Theil von
Asien und Afrika bewohnen und von dem
Pferd unter dem Titel von Halbpferd oder
Halbesel, von Esel, und bei gestreiftem Fell
unter demjenigen von Zebra, Quagga u. s. f.
unterschieden wurden.
Der Titel Pferd gipfelt also in einer
Combination von Merkmalen, welche unseres
Wissens in einer einzigen und vielleicht nur
unter der Hand des Menschen zu ihrer Cul-
mination gelangten Thierform vereinigt sind.
Aber dieser Begriff erweitert sich und schwächt
sich ab, sobald wir uns unter unzweifelhaft
wilden Thieren umschauen. Dennoch ist in der
gesummten neuen Welt so wenig als in Austra¬
lien irgend ein noch lebendes Thier in wildem
Zustand bekannt geworden, das zu der Be¬
zeichnung Pferd hätte verleiten können.
Ganz andere Lehren bot die Paläontologie.
Sie nöthigte zwar sofort, von der Art der
Behaarung und der Färbung abzusehen und
sich auf die Merkmale von Gebiss und von
Knochenbau und hauptsächlich vom Fussbau
einzuschränken. Aber hier trat eine Reihe von
Abänderungen zu Tage, die schliesslich die
Grenzen auch des weitesten Umfanges des
heutigen Begriffes Pferdefamilie verwischte
und diese so scharf bezeichnete Thierform mit
anderen, freilich grösstentheils nur fossilen in
so nahe Berührung brachte, dass es für den
Paläontologen unmöglich geworden ist, zu
sagen, wo der Titel Pferd beginnt, eine Be¬
rechtigung in sich zu tragen. Es vereinfacht
sich der Zahnbau und complicirt sich der
Fussbau mit der Zunahme des Alters der
geologischen Epoche, welcher die Thiere an¬
gehören, bis wir endlich Gestalten vor uns
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616
EQUIDAE.
haben, die kaum mehr etwas an sich tragen,
was berechtigen kann, sie Pferd zu nennen.
In ähnlicher Weise erweitert sich die geo¬
graphische Verbreitung, u.zw. derart, dass nicht
nur etwa alte und sehr verwischte Typen von
Pferdegestalt, sondern auch Formen, welche
diesen Namen ohne allen Zweifel so gut ver¬
dienen wie die Mehrzahl ihrer heute noch in
der alten Welt einheimischen Vertreter, in
der neuen Welt auftreten, u. zw. in solcher
Mannigfaltigkeit von besonderen Modificationen,
dass gegenwärtig aus dem Umfang von Ame¬
rika, u. zw. von Oregon bis nach Patagonien,
eine überaus viel grössere Zahl von Thieren
bekannt ist, die sicherlich dem Pferdestamm
angehören, als in dem ganzen Umfang von
Europa, Asien und Afrika. Gänzlich fremd ist
dieser Typus, wie überhaupt der gesammte
Plan der Hufthiere, so viel wir wissen, nur
Australien geblieben.
Da also die Vorgeschichte der Pferde in
Amerika weit ausgedehnter und vollständiger
am Tage liegt als in der alten Welt, so wird
es am Platze sein, zuerst die dort gesammelten
Erfahrungen mitzutheilen.
Hier stossen wir denn von vorneherein auf
den nicht unwichtigen Umstand, dass Süd¬
amerika es wahrscheinlich niemals zur Ent¬
wicklung des Pferdetypus im vollsten Sinne
des Wortes gebracht hat. An pferdeartigen
Thieren hat man dort zwar epic ganze Anzahl
von Arten unterschieden, wovon die grosse
Mehrzahl der postpliocänen, in Europa etwa
präglacial zu nennenden Periode, und eine
einzige dem Pliocän angehört; die ersteren,
obschon Einhufer, weisen aber in Körpergrösse
und anderen Merkmalen theils auf Thiere, die
wir nach dem der alten Welt entnommenen
Sprachgebrauch vielleicht eher Esel oder
Zebra nennen würden, während die Mehrzahl
derselben in der alten Welt keine Vertreter
hat. Sie sind daher von Owen mit dem beson¬
deren Namen Hippidium bezeichnet worden.
Obschon ftusserlich einhufig, besitzen sie doch
am Vorderfuss ein Rudiment einer vierten Zehe
und sind überdies kleine, aber grossköpfige
Thiere, die sich von allen altweltlichen Formen
hauptsächlich durch auffällige Länge derNasen-
beine stark unterscheiden. Bei ihnen sowohl
als bei einigen der anderen Formen findet sich
überdies vor der Augenhöhle eine an die
Thränengrube von Wiederkäuern erinnernde
Grube, welche den heutigen Pferden fehlt.
Die einzige Form, die der Tertiärperiode
(von Patagonien) angehört, ist bereits drei-
hufig (Anchitheriura).
In Nordamerika steigt die Anzahl von
Vertretern des Pferdestammes allem Anschein
nach weit über das Doppelte der südameri¬
kanischen Arten. Wollte man Alles, was von
verschiedenen Paläontologen dazu gezählt
worden, als besondere Arten betrachten, so
dürfte die Anzahl weit über zwanzig steigen.
In der Reihenfolge der Erdschichten er¬
strecken sie sich von dem Diluvium bis in das
Eocän. Sie lassen also eine viel grössere Ver¬
schiedenartigkeit des Baues erwarten als in
Südamerika und beginnen angeblich mit sehr
kleinen, 4—5zehigen Thieren von Fuchsgrösse
im Eocän, um im Diluvium mit Formen von
dem vollen Gepräge des Pferdes zu schliessen.
In den jüngeren, postpliocänen Forma¬
tionen scheint dabei Nordamerika an Pferden
ärmer zu sein als Südamerika, aber neben
fertigen Einhufern merkwürdigerweise noch
Dreihufer von der vorwiegend altweltlichen
Gestalt von Hipparion, die in Südamerika noch
nicht aufgefunden worden ist, zu enthalten. Um
so reicher fällt die Pferdefauna des Miocän aus.
Sie enthält neben einer Anzahl von Einhufern,
von welchen einige zu den Hippidien zu ge¬
hören scheinen, reichliche Dreihufer verschie¬
denen Grades, d.h. von verschiedener Länge und
Stärke der Seitenfinger: je weiter wir zurück¬
gehen, desto mehr wird die Dreihufigkeit
herrschend (Protohippus, Hipparion, Mio-
hippus, Anchitherium u. s. f.). Im Eocän end¬
lich treten Thiere auf, die bei immer gerin¬
gerer Körpergrösse im Vorderfuss bereits vier
äusserlich sichtbare Finger und selbst einen
rudimentären fünften Finger tragen (Orohippus,
Eohippus u. s. f.) und wo gleichzeitig die bei
Einhufern allen Graden der Verkümmerung und
der Verschmelzung mit den Hauptknochen
ausgesetzten Hilfsknochen der Extremitäten.
Ulna und Fibula, zu selbständiger Function
gelangen. In gleichem Masse vereinfacht sich
der Bau des Gebisses und sicherlich auch
des Schädels, bis wir endlich Thiere vor uns
haben, in welchen nur noch die verglei¬
chende Anatomie, aber mit immer gerin¬
gerer Sicherheit Vorfahren von Pferden zu
erkennen vermag.
Obschon man sich bemüht hat, diese
immer weiter zurückliegenden Etapen mit aller¬
lei Namen zu bezeichnen, welche gleichzeitig
die Zeitperiode angeben sollten, mit der sie zu¬
sammenfallen (Plio-, Mio-, Eo-Hippus etc.), so
istdoch sicher, dass in jeder dieser Epochen, im
Pliocän, im Miocän, im Eocän allerlei Modifica¬
tionen eintraten, die bald vorwiegend das Ge¬
biss, oder den Schädelbau, oder den Fussbau
betrafen, so dass der Entwicklungsplan sich zu
einem sehr complicirten gestaltet und keines¬
wegs für alle Organe gleichen Schritt hält.
Noch viel gewagter wäre es, etwa eine ur¬
sprüngliche Anfangsform der Pferdefamilie
namhaft zu machen. In Europa hat die Pa¬
läontologie, und sicherlich mit vollem Recht,
die grosse Familie der Paläotherien in den
Stammbaum der Pferde eingeschaltet und
wird auch hier nicht stehen bleiben, sondern
sich bequemen müssen, noch weiter zurück¬
liegende Gruppen, wie etwa die Lephiodonten,
mit hineinzuziehen. In Amerika war man ge¬
neigt, auch die sog. Hyracotherien in diesen
Stammbaum aufzunehmen. Der Ariadnefaden
wird aber offenbar seine Greifbarkeit ver¬
lieren, je weiter er sich von seinem Endpunkt
entfernt. Sicher ist nur, dass sich das Ge¬
leise, so weit es überhaupt verfolgbar ist,
stets an die durch Dominiren eines einzelnen
Mittelfingers bezeichnete Structur des Fusscs
und an Jochzähnigkeit des Gebisses hielt,
welche beide Merkmale aber in älteren Erd¬
epochen im Vergleich zu der Gegenwart so
EQUIDAE.
617
sehr an Mannigfaltigkeit der besonderen Aus¬
führung zunehmen, dass die Fährte für den
einzig äusserlich gebliebenen Pferdehuf und
für den auf den Gipfel von Complication ge¬
stiegenen Pferdezahn zusehends ihre Sicher¬
heit verliert.
Ueberaus viel einfacher als in Amerika
gestaltet sich die Vorgeschichte der Pferde¬
familie in der alten Welt.
Am wenigsten hat Afrika dazu beige¬
tragen, obschon dieser Erdtheil gegenwärtig
noch mehr als die Hälfte der noch lebenden
Vertreter der Familie beherbergt. Immerhin be¬
kanntlich in Form, die durch kleine Statur
und eine höchst eigenthümliche Livröe, die
ja selbst den Esel nicht ausschliesst, ein
höchst eigenthümliches Gepräge trägt, das
auf grosse Isolirung dieses Familienzweiges
schliessen lässt. Allerdings sind denn auch
die sehr wenigen fossilen Formen, die bisher
in Afrika zum Vorschein gekommen sind
(Hipparion und Equus Stenonis), wie sie nur
dem Nordrande Afrikas angehören, nicht ver¬
schieden von denjenigen, welche sich auch in
Südeuropa und in Asien vorfinden.
,In der alten Welt sind die grossen Etapen
der Entwicklungsgeschichte des Pferdes mit
den Namen Equus, Hipparion, Anchitherium
bezeichnet worden, an welche sich dann weiter
-rückwärts der mit vollem Recht nicht mehr
Equus genannte * Bauplan der Paläotherien
anschliesst.
Unter Equus werden Einhufer bezeichnet,
wie sie sich gegenwärtig nach Merkmalen
untergeordneterer Art in die bekannten Ge¬
stalten von Pferd, Esel, Halbesel, Zebra u.s.f.
ausbreiten. Derartige Modificationen des Ein¬
hufers finden sich schon in ziemlicher An¬
zahl, drei bis vier in postpliocänem und plio-
cänem Terrain von Europa und vornehmlich
von Südeuropa und von Südasien (Equus
Stenonis, nomadicus, sivalensis etc.), wovon
es höchst wahrscheinlich ist, dass einige mehr
dem Quagga oder Halbesel oder Esel, andere
aber an Statur und anderen Merkmalen dem
Pferde ebenbürtig waren.
Im altweltlichen Pliocän und Miocän
herrschen neben den nur dem Pliocän unge¬
hörigen Einhufern die dreihufigen Hipparien
und Anchitherien, welche, ähnlich wie die ent¬
sprechenden Etapen in Amerika, die theilweise
bis auf alle Punkte mit den ebengenannten
altweltlichen Formen zusammenfallen, eine mit
dem geologischen Alter zunehmende Verein¬
fachung des Gebisses und eine Entfaltung des
Extremitätenskeletes zeigen, die indessen erst
bei den eocänen Paläotherien zu einer mehr
oder weniger grossen Gleich werthigkeit zwischen
den drei Fingern sowie zwischen den zwei
Gliedern des Vorderarmes und des Unterschen¬
kels geht. Auffallend ist der Umstand, dass
sich auch bei den älteren europäischen Vor¬
fahren der Pferde die Thränengrube einstellt,
von welcher bei den amerikanischen Pferden
die Rede war. Mindestens die Hipparien sind
von Mittel- und Südeuropa bis nach Indien
und China verbreitet. Hippidien scheinen in
der alten Welt so vollständig zu fehlen wie
Hipparien in Südamerika, das doch vermuth-
lich, u. zw. allem Anscheine nach noch im
Pliocän Anchitherien besass.
Wenn man versuchen wollte, diesen
ganzen Vorgang von Entwicklung und von
allmäliger Metamorphose zusammenzufassen,
so würde es sich zu empfehlen scheinen, die
einzelnen Etapen mit bestimmteren Namen
und die Stärke der Verwirklichung derselben
mit bestimmteren Zahlen von Species, als es
im Vorigen geschehen ist, zu fixiren. Solche
Verzeichnisse finden sich auch Reichlich genug
fast in allen Arbeiten, die sich mit diesem
Gegenstand beschäftigt haben. Allein es braucht
nur wenig Einsicht in die Natur des Gegen¬
standes, um wahrzunehmen, dass diese Namen
und Zahlen einstweilen noch weit davon ent¬
fernt sind, als gleichwertig gälten zu dürfen.
Sie gründen sich ja meist nur auf mehr oder
weniger fragmentäre Ueberreste, die sich bald
auf diesen, bald auf jenen Theil der Organi¬
sation beziehen und auch von verschiedenen
Autoren sehr verschieden gewerthet werden;
das vollständige Geschöpf, so weit es über¬
haupt in versteinerter Form der Erhaltung fähig
ist, kennen wir also nur in den seltensten
Fällen, und von mancher angeblichen Species
nur einzelne Zähne oder einzelne Knochen.
Nicht weniger verschiedener Deutung
fähig sind in sehr vielen Fällen die Angaben
über das gedogischc Alter der Schichte, der
solche Ueberreste an gehören, da namentlich
für jüngeres Terrain die stratigraphische Taxi¬
rung in verschiedenen Erdtheilen ziemlich un¬
sicher ist.
Noch schwerer fällt bei Beurtheilung
solcher EntwicklungsVorgänge ins Gewicht,
dass dieselben ja an verschiedenen Orten ver¬
schieden rasch ablaufen, oder dass die geolo¬
gische Metamorphose der Thiere hier langsam,
dort rasch sich gestalten kann, ja dass nichts
wahrscheinlicher ist, als dass sie niemals eine
ganze Fauna irgend eines Welttheiles oder
kleineren Bezirkes gleichzeitig betraf, sondern
ausserordentlich unmerklich bald grössere, bald
kleinere Fortschritte an einzelnen Individuen
machte, bis endlich die Modification eine mehr
oder weniger allgemeine ward. So werden
also die Documente, die uns schliesslich in die
Hand fallen, sogar nach den zufälligen Alters-
stadien, in welchen uns die Thiere überliefert
wurden, sehr verschieden ausfallen können,
und für nicht wenige der in der Literatur auf
sehr spärliche Ueberreste gegründeten Species
ist es durchaus nicht erwiesen, ob sie nicht
nur andere Altersstadien von angeblich anderen
Species derselben Epoche darstellen möchten.
Wissen wir ja aus der Untersuchung der’ noch
mit uns lebenden Pferde, in welch starkem
Masse nicht nur etwa die Körpergrösse, sondern
auch mit dem Alter der Grad der Reduction
des Extremitätenskeletes, die überdies am
Vorder- und am Hinterfuss sehr ungleich aus¬
fallt, die Schädelform, die Complication des
Zahnbaues wechselt, also alle die Merkmale,
an die wir für die Beurtheilung von Fossilien
gebunden sind. Und kennen wir ja Fälle
genug, wo noch unter heutigen Pferden ge-
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618
EQUIDAE.
legentlich sog. Rückschläge oder Entwicklungs¬
stillstände eintreten. Bevor wir für jede Species
gleichzeitig alle Merkmale, u. zw. für deren
verschiedene individuelle Altersstadien kennen,
können also sog. Species- oder Genusverzeich¬
nisse nur einen sehr allgemeinen Werth bean¬
spruchen.
Trotzdem blickt in dem einstweilen vor¬
handenen Material ein gemeinsamer Plan
der Umwandlung schon deutlich genug durch,
um ihn mit einigen Zügen formuliren zu
können.
Ueberall wo pferdeähnliche Thiere je
existirten, entwickelte sich in mehr oder weniger
langer Reihenfolge das mächtige, schlank- und
säulenfüssige, einhufige, langhalsige Geschöpf,
das wir schliesslich Pferd nennen, aus An¬
fängen von oft geringer Körpergrösse, die wir
sicher, wenn sie noch lebten, mit ganz anderen
Namen, vielleicht Tapir oder gar Klippdachs
u. dgl. bezeichnen würden, falls wir nicht ganz
neue Namen dafür schaffen müssten, aus
Thieren mit drei unter sich fast gleichwerthigen
plumpen Fingern am Hinterfusse, vier oder
gar fünf am vorderfusse, mit völlig getrennten
Knochen von Unterschenkel und Vorderarm,
mit grossem Kopf und freistehenden, wahr¬
scheinlich eine Art Rüssel tragenden Nasen¬
beinen, mit unvollständig geschlossenen Augen¬
höhlen, vor welchen eine Thränengrube liegt,
mit vorragenden Eckzähnen uhd je sieben
niedrige, zweijochige Kronen tragenden Back¬
zähnen. Das sind die unpaarfingerig ange¬
legten Hufthiere, wie sie in grosser Zahl das
Eocän der nördlichen Hemisphäre bewohnen,
und über deren eigene Herkunft und noch
ältere Stammformen wir einstweilen noch auf
sehr unsichere Speculationen angewiesen sind.
Zusehends und schon innerhalb der Eocän-
periode nehmen die Mittelfussglieder an Länge
und an Ungleichwerthigkeit zu, in stärkerem
Masse immer im Hinterfuss als im Vordcr-
fuss; die Seitenzehen werden zu blossen After¬
zehen, die Knochen von Unterschenkel und
Vorderarm verschmelzen allmälig unter sich
auf immer früheren Altersstufen, und Radius
und Tibia dominiren immer mehr. Gleichzeitig
mit solcher Zunahme von Säulenfüssigkeit
werden die Zähne unter sich gleichförmiger,
und gewinnen namentlich die Backzähne eine
immer weitergehende Fältelung ihrer Kauriffe
und eine immer grössere Höhe und hieinit
Andauer der Zahnkrone, was sich wiederum
in einer allmäligen Umgestaltung des Schädel¬
baues abspiegeln muss.
Aus vorwiegend kleinen und plumpen,
schwerfälligen und vermutlich auf sehr rohe
Nahrung angewiesenen Thieren, die wohl am
ehesten den Sumpf und den Wald bewohnten,
entwickelt sich allmälig die hohe, elegante
und flüchtige Gestalt der exquisiten Gras¬
fresser, die wir jetzt ausschliesslich auf offener
Weide, in schrankenlosen Steppen und Savannen
sich ergehen sehen. Sie ist noch dreifingerig
in der Miocänperiode und bis in das Pliocän,
wo die ersten Spuren von äusserlicher Ein-
hufigkeit auftreten. An einzelnen Arten er¬
hält sich indes die dreihufige Form bis in das
Pliocän und tritt, wie schon gesagt, ge¬
legentlich noch heutzutage an einzelnen Indi¬
viduen auf.
Hiebei ist nicht zu vergessen, dass sich
dieser Umbau, obwohl er schliesslich nur
noch Formen zurückliess, die einander so nahe
stehen, dass wir sie in ein einziges Genus zu¬
sammenfassen, in einer Familie vollzogen hat,
welche sich einst über den grössten Theil der
Erde verbreitete und daher in eine grosse
Zahl von Formen zerfiel, die wir mit einer
ganzen Menge von lebenden Genus- und
Speciesnamen zu bezeichnen genöthigt sind.
Aber auf allen diesen Linien ist dieselbe Ten¬
denz der Umbildung erkennbar, nur dass sie
sich hier mehr in dieser, dort in jener Rich¬
tung deutlicher ausspricht und ihre Spuren
bald vorwiegend im Gebiss, bald im Schädelbau,
bald im Fussbau zurückliess. Was wir als
ausgestorbene Genera und Species bezeichnen,
sind also nur Stillstände verschiedenen Ranges
und verschiedenen Stadiums in einem grossen
Entwicklungsgang, der eine einst überaus
mannigfache Gestalten umfassende Familie
von Hufthieren gemeinsam beherrscht, aber
schliesslich eine einzige Gestalt von säulen-
füssigen Einhufern ohne Thränengrube den
Sieg gewinnen liess. Was das Erlöschen und
Zurückbleiben bald dieser, bald jener Mittel¬
form bald hier, bald dort herbeiführte, ist
uns einstweilen vollständig verschlossen.
Dabei ist offenbar, dass dieser Entwick¬
lungsgang in den verschiedenen Theilen der
Erdoberfläche, wo w ir Stammformen von Pferden
vorfinden, keineswegs gleichmässigen Schritt
hielt. Wie man sich schon genöthigt sah, ob¬
schon man darin zu weit gegangen sein mochte,
solche fossil gewordene Formen in den ver¬
schiedenen Erdtheilen vielfach mit verschie¬
denen Genusnamen zu bezeichnen, so ergibt
sich, wenn wir uns nur an die augenfälligsten
Züge der in Rede stehenden Metamorphose
halten, dass z. B. die Dreihuflgkeit in der
neuen Welt später verschwand als in der alten,
und dass die äussere Einhufigkeit in der alten
Welt vermuthlich früher zu Stande kam als
in der neuen. Ebenso ist bereite gesagt worden,
dass die von Owen sog. Form von Hippidium
der neuen Welt und vorwiegend Südamerika
ausschliesslich an gehört, ja dass es fraglich
ist, ob in Südamerika je eine Thiergestalt zu
Stande gekommen sei, die unserem Hauspferd
gleichgestellt werden könnte. Auch die Schluss¬
gestalten, die Südamerika erzeugt hat, scheinen
den heutigen afrikanischen Pferden näher zu
stehen, als diejenigen des nördlichen Theiles der
alten Welt.
Da überdies die noch lebenden afrikani¬
schen Vertreter der Pferdefamilie, auch abge¬
sehen von ihrer besonderen Färbung, in Körper¬
grösse sowie in mancherlei Details ihres Baues
eine niedrigere Stufe der Metamorphose an¬
deuten als diejenigen von Asien, so ist man wohl
zu dem Ausspruch berechtigt, dass die südliche
Hemisphäre mindestens heutzutage, aber wahr¬
scheinlich auch schon in vormenschlicher Zeit
Formen von älterem Typus beherbergte als die
nördliche. Die Entwicklung ist also daselbst
EQUIFERUS. — EQUINE.
619
zurückgeblieben und in Südamerika sogar, wenn |
auch erst in sehr später, aber doch wahr¬
scheinlich vonnenschlicherZeit völlig erloschen.
Für ältere Perioden würden solche geo¬
graphische Abwägungen der verschiedenen
Stadien dep Entwicklungsganges gewagt sein,
da die Spuren desselben oft ihre Zuverlässig¬
keit, noch öfter aber ihre Gleichwerthigkeit ver¬
lieren, in je ältere Erdperioden wir zurück¬
gehen. Immerhin scheint so viel sicher zu sein,
dass in der mittleren Tertiärzeit die Blüthezeit
der Vorgeschichte der Pferde auf Nordamerika,
u. zw. auf beide Seiten des Felsengebirges fällt.
So werden wir doch vermuthlich die dort so
ungewöhnlich reiche Entfaltung der Pferde-
familie deuten dürfen, wenn auch vielleicht
deren Vertreter damals in Nordamerika tiefer
stehen mochten als deren Zeitgenossen in der
alten Welt. Für die älteste Tertiärzeit, das
Eocän, scheint einstweilen Europa reichlichere
und sicherere Spuren von Pferdevorfahren an
den Tag gebracht zu haben als die neue Welt.
In der neuen Welt schliesst die Geschichte
der Pferde und wahrscheinlich mit Pferden
im vollsten Sinne des Wortes, heben welchen
freilich auch noch dreihufige Hipparien fort¬
lebten, ab im Pleistocän; für Südamerika, wo
sie es nur zu Hippidicn und vielleicht zu zebra¬
ähnlichen Thiereh brachte, vielleicht noch
später. In Afrika sind sichere Spuren von
dort einheimischen echten Pferden ebenfalls
unbekannt; auch die verschiedenen Arten des
südeuropäischen Pleistocäns scheinen sich, je
genauer man sie kennen lernt, umsomehr den
Eseln und den gestreiften Pferden anzuschliessen.
Den Gipfelpunkt, den offenbar das langschwei-
fige Hausthier vertritt, treffen wir heutzutage
bekanntlich im wilden Zustande höchstens,
aber immer noch in einer sehr niedrigen, den
Halbpferden noch sehr nahestehenden Rasse,
im centralen Asien.
Immerhin wäre es offenbar unrichtig, dieses
Gebiet als die einzige Quelle des unmittel¬
baren Stammes dieses jetzt als Hausthier in
zahllosen Rassen von sehr verschiedener Er¬
scheinung wieder über die gesaramte Erde ver¬
breiteten Geschöpfes zu betrachten. Kennen
wir doch nicht nur körperliche Ueberreste,
sondern von primitiver Menschenhand gezeich¬
nete Abbildungen genug, welche den Beleg
leisten, dass Pferde, die von gewissen tiefste-
lienden Rassen des zahmen Thieres sich nicht
unterscheiden lassen, in grossem Reichthum
einen guten Theil von Europa zur Zeit des Höhlen¬
menschen bewohnten, wofür Belgien, Frank¬
reich, die Schweiz und ein Theil von Deutsch¬
land reichliche Beispiele bieten. Andererseits
wissen wir durch Nordenskiöld, dass sogar
auf den sibirischen Tundren, ja selbst auf den
Inseln des neu-sibirischen Archipels Ueberreste
von Pferden in ausserordentlichem Reichthum
sich in derselben Gesellschaft von wilden
Thieren finden wie bei den Höhlenmenschen in
Central- und Südeuropa (Mammuth, Nashorn,
Auerochs, Schaf u. dgl.). Dies lässt darauf
schliessen, dass zur Zeit des Menschen min¬
destens in der paläolithischen Periode das
Pferd über einen grossen Theil von Europa
und Asien sehr stark verbreitet war. Um so
auffälliger ist es, dass es an manchen Orten,
wo wir es später als Hausthier mit ebenso¬
viel Recht erwarten sollten, fast gänzlich fehlt.
In den schweizerischen Pfahlbauten, in der
Periode der geschliffenen Steine und der Bronze,
wo ein grosser Hausthierstand Sitte war,
gehören Pferdeüberreste zu den grossen
Seltenheiten, obschon sie in demselben Ge¬
biete in der Mammuthperiode reichlich sind.
Dies scheint mindestens die Frage zu ge¬
statten, ob nicht auch in der alten Weit das
Pferd dem Schicksal entgegenging, welches
dasselbe in der neuen Weit erreichte, und ob
es nicht an manchen Orten die Hand des
Menschen sein mochte, welche es über diese
Kiippe, die ihm von Seite natürlicher Ver¬
hältnisse drohte, hinüberrettete.
In diesem Lichte würde die Geschichte
des Pferdes viele Aehnlichkeiten mit deijenigen
einer ganzen Anzahl von Thieren bieten,
welche doch höchst wahrscheinlich in Folge
der mächtigen Veränderung des Klimas, die
der jüngsten Frist der Erdgeschichte von dem
gesammten früheren Wohngebiet der Pferde
nur den östlichen und südlichen Theil der
alten Welt, in der neuen Welt nur tropische
und früher vermuthlich grösstentheils von Wald
bedeckte Gebiete freiliess, erst aus ihrem ur¬
sprünglichen Wohnort als Nomaden vertrieben
und schliesslich grösstentheils zum völligen
Erlöschen gebracht wurden.
Am Schlüsse dieses kurzen Ueberblickes
über die Vorgeschichte und hiemit auch über
die frühere Mannigfaltigkeit der Erscheinung
der Pferdeform mag nur mit einem Wort ge¬
dacht werden, welche verschwindende Bedeu¬
tung den in neuerer Zeit sowohl in Frank¬
reich als in Deutschland gemachten Versuchen
beigemessen werden darf, die zahllosen localen
Rassen des gezähmten Pferdes in verschiedene
Species zu gruppiren. Rütimeyer .
Equiferus (v. Equus, Pferd, und ferus,
wild), ein wildes Pferd.
Equine, Pferdepockenlymphe, wird in
letzter Zeit, obgleich die Pferdepocke, Horse-
pox, nicht ganz identisch mit der Kuhpocke
ist, zur Darstellung von Vaccine für Menschen
durch Ueberimpfung auf Rinder benützt. So
berichtet Peuch neuerdings über eine erfolg¬
reiche Uebertragung der Pferdepocke auf
Rinder und dadurch erzielte Vaccination von
1500 Menschen. Die Pferdepocke wurde im
vorigen Jahrhundert zuerst von Jenner als
grease oder soreheels, eine der Menschen-
blatter ähnliche Krankheit beschrieben.
Darauf lieferte Loy 1798 eine ausführliche
Beschreibung der Pferdepocke. Trotzdem
wurde die Pferdepocke von vielen Autoren
nachher mit Mauke, Krebs, Wurm, Rotz,
Aphthenscuche etc. verwechselt. Spinolanannte
sie Schutzmauke. Von zahlreichen Autoren
unternommene Uebertragungsversuche fielen
theils positiv, thoils negativ aus. Im Jahre 1860
beobachteten Sarrans und Lafosse gleichzeitig
mit einer Pockenepidemie bei Menschen ein
enzootischcs Auftreten der Pocken bei 100
EQUISETUM. — EQÜÜS F0SS1LIS.
Pferden, und Lafosse erzeugte durch Impfung
mit der Lymphe Pockenpusteln bei Rindern
und Menschen. Depaul und Bouley stellten
1863—1864 durch zahlreiche Versuche fest,
dass viele der als Mauke, Rhinitis pempigoides,
Herpes, Stomatitis aphthosa,. Phlyctänen-
entzündung, Herpes phlyctaenoides etc. be-
zeichneten Krankheiten weiter nichts waren
als die Pferdepocken, Horsepox. t
Die Pocken bei Pferden beginnen mit
Fieber, Appetitlosigkeit, Abgescnlagenheit,
Hitze und Schwellung an den Extremitäten,
Hautröthung, zuweilen Lahmheit, Steifigkeit.
Nach 3—o Tagen erfolgt allgemeine Pocken¬
eruption in Form linsen- bis erbsengrosser
Knötchen an der Nase, den Lippen, dem
Kopf, Hals, Bauch und an den Extremitäten.
Aus den Knötchen entwickeln sich später
Bläschen und Pusteln, welche entweder bersten
und eine gelbe Lymphe entleeren oder zu
braunen Krusten eintrocknen. Auf der Schleim¬
haut der Nase und des Maules entstehen von
vorneherein erbsengrosse Bläschen, nach deren
Beratung Geschwiirchen Zurückbleiben, die
aber bald heilen.
Verwechslungen mit Mauke oder Rotz
sind wegen der schnellen spontanen Heilung
der Pferdepocken nicht möglich. In zweifel¬
haften Fällen entscheidet die Impfung auf
Rinder, bei denen sich, falls Pferdepocken
vorliegen, stets Pocken an den Impfstellen
entwickeln, was bei Mauke und Rotz nicht
der Fall ist. Verursacht werden die Pocken
nach den neuesten Forschungen (seit Chauveau
nachgewiesen, dass das Pockencontagium an
feste Partikelchen gebunden) durch specifische
Mikrococcen, die aber in den Schafpocken, M$n-
schenblattern, Kuhpocken, Pferde-, Schweine-
und Hundepocken verschieden sind. Der
Mensch und jede Thiergattung haben eigene
Pocken, nur gewähren Kuh- und Pferdepocken
Schutz gegen Menschenblattern. Die Prognose
bei Pferdepocken ist stets günstig. Die Be¬
handlung besteht einfach in Isolirung der
Kranken.
Literatur: Jenner, Loy, Bouley, Zündel,
Dictionnairc; Pütz, Seuchen und Heerdekrankheiten;
Bölling er, Ueber Menschen- und Thierpocken. Scmmer.
Equisetum, Schaft- oder Schachtel¬
halm, Equisetaceae, L. XXIV. Verschiedene
dem Landbau sehr hinderliche Unkräuter,
welche sehr viel Kieselsäure (Scheuerkraut),
aber auch zum Theil giftige Substanzen ent¬
halten, wie namentlich das Equisetum arvense
und palustre, Acker- und Wiesenschaft¬
halm, verursachen namentlich in den nörd¬
lichen Gegenden, wo diese Pflanzen vielfach
im Heu Vorkommen, zuweilen Vergiftungen
bei Pferden, bestehend in grosser Schwäche,
Störungen der willkürlichen Bewegung und
des Bewusstseins (Coma), hervorgerufen durch
Hyperämien in den Nervencentren, verbunden
mit serösen Ausscheidungen im Gehirn, Rücken¬
mark, den Gelenken und Sehnenscheiden und
schliesslich mit allgemeiner Hydrämie. Für
sich allein sind somit die Schachtelhalme ge¬
fährliche Pflanzen, in nur mässigen Mengen
dem Heu beigemischt aber unschädlich, ebenso
wenn letzteres ein halbes Jahr gelegen ist
(Renelt). Vogel.
Equus asinus fossilis. Diluviale Reste des
Esels sind bis jetzt noch ziemlich selten und
werden nur aus einigen wenige» Fundorten
beschrieben. Die Höhlen von Brengues (1.)
und Aurignac in Frankreich, die Lindenthaler
Hyänenhöhle (2.) und die Ablagerungen von
Langenbrunn in Deutschland, die äipkahöhle
(3.) in Mähren, eine Spalte im Urkalk bei
Zuzlawitz (4.) im Böhmerwalde und die Höhle
Pieczara Borsuöza in Galizien sind die von
Prof. Woldrich erwähnten Fundorte diluvialer
Eselreste. Häufiger trifft man den Esel in
prähistorischer Zeit, so namentlich in der
Terremare Italiens. Nordmann (5.) beschreibt
Zähne aus dem Diluvium von Odessa und
Nerubay und unterscheidet einen Equus asinus
fossilis minor und einen Equus asinus fossilis
major. Nehring glaubt, dass die aus der Lin¬
denthaler Hyänenhöhle stammenden Wildesel-
reste derselben Art angehören wie jene aus
Langenbrunn^ und er will sie auf eine der in
den Steppen Asiens lebenden Wildeselarten
zurückführen. Rütimeyer findet, dass die
Extremitätenknochen von Langenbrunn noch
kleiner sind als jene unseres Hausesels. So¬
wohl Nehring als auch Ecker (6.) wollen die
obigen Fossilreste nicht mit unserem Haus¬
esel, der aus Afrika herüberkam (H. Milne-
Edwards und Lenormant, Compt. rend. de
linst. 1867 resp. 1870), in Zusammenhang
bringen.
Literatur: 1 . Puel, Ballfitin do la Socifittf g6o-
logique de France, T. IX. — 2. Nohring, Fossilreste
eines Wildesels aas der Lindenthaler Hyänenhohle bei
Gera. Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang XI. 1879. —
3. Dr. J. Woldrich, Beiträge zar Fnuna der Breccien
und anderer Dilüvialgebilde Oesterreichs, mit besonderer
Berücksichtigung des Pferdes. Jahrbuch der k. k. geo¬
logischen Reichsanstalt in Wien, 32. Band 1882, Heft IV.
— 4. Wold Heb, Diluviale Fauna von Zuzlawitz bei
Winterberg im BOhmerwalde, II. Theil. Sitzungsberichte
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien,
Band LXXXIY. 1881. — 5. Nordmann, Paläontologie
Südrusslands, Helsingfors 1858. — 6. Dr. Rehmann
und A. Ecker, Zur Kenntniss der quaternären Fauna
des Donauthaies. Archiv für Anthropologie, Band IX. 1876.
Koudelka.
Equus fosailfe ist eine bis in die neueste
Zeit gebrauchte, von Cuvier (1.) eingeführte
Bezeichnung für quaternäre Reste des Pferdes,
die sich auch für unsere diluvialen Pferdereste
bei vielen Autoren bis auf den heutigen Tag
erhalten hat. Es stellte sich aber bald heraus,
dass schon für die diluviale Epoche Europas
sich mehrere Formen des Pferdes unterscheiden
lassen, und dass demnach jene Bezeichnung
nicht ausreicht. Nordmann (2.) unterscheidet
für das Diluvium Equus fossilis major und
Equus fossilis minor, doch charakterisirt er
diese beiden Formen nicht ausreichend und
findet nur in der sehr bedeutenden Länge
(Höhe) der Zähne der ersteren Form einen
specifischen Unterschied, der bei vorgeschrit¬
tener Zahnusur nicht zu gebrauchen ist. Das
kleinere Pferd verhält sich wie das Hauspferd.
Rütimeyer (3.) lieferte die ersten wichtigen
Beiträge zur Kenntniss der fossilen Ueberreste
des Genus Equus in Europa und bezeichnete
EQUUS FOSSILIS.
mit dem Namen Equus fossilis Owen das Pferd
aus den vulcanischen Tuffen der Auvergne.
Später (4.) bestimmte er diese fossile Pferde¬
form näher und führte an, dass sie mit dem
Equus Stenonis Cocchi aus dem lacustren
Pliocän Piemonts und Toscanas übereinstimme,
und schlug deshalb vor, für dieses cis- und
transalpinische Pferd den Namen Equus Ste¬
nonis Cocchi beizubehalten. Dieses selbe Pferd
wurde von Falconer Equus Ligeris, von Lartet
Equus amensis genannt, und es findet sich
nach Cocchi hauptsächlich in dem unteren
toscanischen Pliocän, seltener in dem mittleren.
Eine sehr wichtige Arbeit über fossile Pferde
lieferte Dr. Forsyth Major (5.) und berichtet,
dass das pliocäne Pferd, Equus Stenonis Cocchi,
das sich durch die Gestalt des‘mittleren Innen¬
pfeilers der oberen Backenzähne auf den ersten
Blick vqn Equus Caballus unterscheidet und in
dieser Beziehung an Hippariön (s. d.) erinnert,
nicht identisch sei mit Equus fossilis Owen
des Prof. Rütimeyer. Der Autor stellt aus Funden
von Ober- und ünterkieferzähnen aus der Um¬
gebung von Chiusi und aus zwei Schädeln aus
dem Val d’Amo eine Pferdeform auf, welche
eine mittlere Stellung zwischen Equus Ste¬
nonis und Equus Caballus einnimmt, und die er
wegen der Anklänge derselben an das Quagga
Equus quaggoides nennt. Es wurden demnach
in letzter Zeit von dem Genus Equus Gray
folgende fossile Formen aufgestellt, welche den
Uebergang vom Hipparion zu unserem Equus
Caballus vermitteln: Equus Stenonis Cocchi,
Equus fossilis Owen und Equus quaggoides
Major, welche sämmtlich dem Pliocän ange¬
hören. Sämmtliche dieser Pferdeformen, von
denen zumeist Zähne, Kieferstücke und geringe
Fragmente der übrigen Skeletknochen bekannt
sind, wurden auf Grund der Unterschiede im
Zahnbau, speciell in der Bildung der Schmelz¬
falten aufgestellt, und eine genauere osteo-
logische Charakteristik fehlt vollständig. Mit
den diluvialen Pferdeformen, deren 66 eben¬
falls mehrere gab, beschäftigte sich Woldrich
(6.) und unterschied nach sorgfältigen Detail¬
studien und Vergleichungen eines reichhaltigen
Materiales aus der Knochenbreccie von Pola
in Istrien, sowie aus dem Löss von Nussdorf
und aus der Sipkahöhle in Mähren etc. vier
Pferdeformen, die sich im Zahnbau theilweise
an die pliocänen Pferde, theils an unsere
heutigen Equus Caballus-Formen anschliessen;
es sind dies: Equus Stenonis affinis Wol-
drich, Equus quaggoides affinis Woldrich,
Equus Caballus fossilis Rütimeyer und Equus
Caballus fossilis minor Woldrich. Prof. Wol¬
drich gelangt schliesslich zu dem Resultate,
„dass in dem diluvialen Equus Stenonis affinis,
oder in Equus Caballus fossilis Rütimeyer,
oder in beiden die Stammform des noch wenig
bekannten grossen Pferdes der Bronzezeit,
weiters in ersterem die Stammform unseres
grossen Equus Caballus L. mit stärkerer se-
cundärer Schmelzfältelung, in letzterem die
Stammform unseres sehr grossen Equus Ca¬
ballus L. mit einfacher Schmelzfältelung und
sehr langem Innenpfeiler zu suchen sein wird;
femers im diluvialen Equus Caballus fossilis
621
minor die Stammform des Equus Caballus minor
der Bronzezeit und weiters die Stammform de»
kleinen Equus Caballus L. der Sueven und der
heutigen Gegenwart, in welcher diese Form
im Verschwinden begriffen ist u . Ausser diesen
erwähnten pliocänen und diluvialen Pferde¬
formen besteht in der Literatur und in den
Museen eine Menge anderer Bezeichnungen
für fossile und subfossile Pferdereste, von denen
zumeist bloss der Name und der Fundort an¬
gegeben sind; die häufigsten darunter sind
folgende:
Equus adamiticus, gebräuchlich für
Pferdereste aus diluvialen Ablagerungen. Cocchi
erwähnt unter diesem Namen oder auch unter
Equus Larteti eine Pferdeform, welche aus
einem höheren Horizonte des Pliocän, nämlich
aus den unteren Schichten vom Val di Chiana
in Maspino am Hügel dell’Olmo stammt, die
dem heutigen Pferde näher steht als Equus
Stenonis Cocchi. Rütimeyer (4.), führt jedoch an,
dass er dem Namen Equus Larteti weniger
Gewicht beilege, da er die dem Museum zu
Florenz gehörigen Originalien, die diesem
Namen zu Grunde liegen, nicht anders als
Equus Caballus nennen würde.
Equus angustidens v. Meyer, s. Hip-
potherium.
Equus Caballus belgius benennt San-
son das Wildpferd der prähistorischen Station
von Solutrö; es soll nach ihm dem heutigen
Ardennenpferde am nächsten stehen, und er
zählt es zu der langköpfigen Rasse, obzwar
ihm kein einziger erhaltener Schädel zu Ge¬
bote stand. Woldrich identificirt das Pferd von
Solutrö mit seinem Equus Caballus fossilis
minor und glaubt mit Ecker (7.), dass der
Tarpan Südrusslands ein directer, im wilden
Zustande verbliebener Nachkomme dieses dilu¬
vialen W^Jdpferdes sein kann.
Equus Caballus fossilis var. ger¬
manica Nehring ist das mittelgrosse prä¬
historische Pferd.
Equus Caballus fossilis latifrons
Nehring, das kleine in der alluvial-prähistori¬
schen Zeit vielfach in Mitteleuropa vertretene
Pferd, welches mit Equus Caballus fossilis
minor Woldrich übereinstimmt.
Equus Caballus primus v. Meyer,
s. Hippotherium.
Equus intermedius benannte Major
ein Pferd aus einer Breccie von Olivola von
f eringerem Alter als das lacustre Pliocän des
’al d’Arno, in der Anschauung, dass es zwi¬
schen E. Stenonis und E. Caballus stehe,
welche Ansicht auch Rütimeyer theiltc; später
vereinigte jedoch Major den Schädel von
Olivola mit Equus Stenonis Cocchi und hielt
die Ablagerungen, in denen er gefunden wurde,
nicht für eine Knochenbreccie, sondern für
pliocän.
Equus jujillacus Bravard stammt aus
dem Diluvium und soll theilweise mit Equus
robustus zusammenfallen.
Equus major und
Equus occidentalis lebten zur Pliocän-
622
ERBÄLLEN. — ERBFEHLER.
zeit in Amerika gleichzeitig mit Elephas primi-
genius etc.
Equus parvus, eine zartgebaute Pferde¬
form aus den Ablagerungen von Schussenried
und Hohlefels.
Equus piscenensis Gervais stammt aus
dem Diluvium von Pdzenas und ist durch un¬
gewöhnlich schlanke erste Phalangen ausge¬
zeichnet.
Equus plicidens Owen (8.) aus der
Höhle von Oreston, mit starker Fältelung der
Emailbänder. Rütimever bemerkt, dass er an
recenten Pferdezähnen die Faltenbildung der
Schmelzlinie so weit gehen sehe als in der
Zeichnung von E. plicidens Owen, und auch
Nordmann zweifelt an der Selbständigkeit
dieser Pferdeform.
Equus robustus Pomel wurde in dem
Diluvium der Auvergne gefunden. Es lebte
zur interglacialen Epoche in Europa mit dem
ersten Elephanten {Elephas meridionalis) und
dem Flusspferd (Hippopotamus major). Auch
aus Grenelle, Remagen und Nussdorf stammen
Pferdeknochen, die einem grossen und plump
gebauten Pferde, Equus robustus, zugeschrieben
werden.
Equus primigenius, Reste des Pferdes
aus diluvialen Ablagerungen; auch nannte so
v. Meyer das Hippotherium (s. d.).
Equus spelaeus Owen, das wilde Höh¬
lenpferd, wurde von R. Owen (9.) aus der be¬
kannten Höhle von Bruniquel bestimmt und
nur des Vorkommens wegen so benannt, da
er selbst zum Resultate gelangte, dass sich
die Zähne dieses Pferdes von E. Caballus in
der Gesammtheit nicht unterscheiden lassen.
Owen gibt Abbildungen von zwei Varietäten,
die eine mit längerem und schmälerem Innen¬
pfeiler der oberen Backenzähne, die andere
mit etwas kürzerem und breiterem Innen¬
pfeiler. Uebrigen8 kommen sowohl jn dieser
Höhle als auch in jener von Thayingen ein¬
zelne Zähne «vor, die bis an die Form von
Equus fossilis Owen anstreifen. Von vielen
Autoren wird mit Equus spelaeus das kleine
Höhlenpferd bezeichnet, von dem Knochen als
sog. „Küchenabfälle“ in den meisten Höhlen
Europas Vorkommen und dessen Fleisch von
den Höhlenbewohnern gegessen wurde. Wein¬
land glaubt, dass die seit unvordenklicher
Zeit auf einigen englischen Inseln (Shetland)
und in dem gebirgigen Wales lebenden halb¬
wilden Ponies, welche in Bau, Temperament
und Nahrungsbedürfniss unserem gewöhnlichen
Pferde so wenig gleichkommen, noch Reste
jener kleinen Pferde des Steinalters sind.
Literatur: 1 . G. Cuvier, Reeherches sur les osse-
mens fossiles, Paris 1821. 2. Aufl. 1825. — 2. Nord-
msnn, Paläontologie Südrusslaads, Helsingfors 185S.—
3. L. Rütimeyer, Beiträge zur Kenntnis* der fossilen
Pferde u. s. w. Verhandl. d. naturf. Gesellseh. in Basel,
1863.— 4. Rütimeyer, Weitere Beiträge zur Beurthei-
lung der Pferde der Quartärnür-Epoche. Abhandl. d. Schweiz,
palftontol. Gesellsch. 167 5, V. II. — 5. Dr. ForsythMajor,
Beiträge zur Geschichte der fossilen Pferde insbesondere
Italiens. Abhandl. d. Schweiz, palftontol. Gesellsch., Bd. IV.
1877, 1. Th., und Bd. VII. 18SU, II. Th. — 6. Dr. J. N.
Wold rieh, Beiträge zur Fauna der Breccien u. a. Dilu¬
vialgebilde Oesterreichs, mit besonderer Berücksichtigung
des Pferdes. Jahrb. d. k. k. geolog. Reichsanst. 32. Bd.,
Wien 1SS2, IV. Heft. — 7. A. Ecker, Das europäische
Wildpferd und dessen Beziehungen zum domestieirteu
Pferde, Globus 1878, Bd. XXXIV. — 8. British Mammals,
pag. 293. — 9. R. Owen, Description of the Cavern of
Bruniquel etc. Philos. Transactions 1869. Koudclka.
Erhallen, s. Ballenentzündung.
Erbfehler. Unter diesem Namen versteht
man nach althergebrachtem und noch jetzt
geltendem Sprachgebrauch eine gewisse An¬
zahl von Krankheiten und Formfehlern des
Körperbaues, die von den Eltern auf die
Jungen übergehen. Ihre Anwesenheit schliesst
die Zuchttauglichkeit der Elternthiere aus.
Der Name Erbfehler dürfte so alt sein wie
die Thierzucht selbst, den wir finden bereits
in den Schriften der römischen Schriftsteller,
die über Landwirtschaft und Thierheilkunde
geschrieben haben, einige Krankheiten, die
für erblich galten. Seit dem Alterthum bis
zum heutigen Tage hat man eine grosse Zahl
von Krankheiten in die Kategorie d$r Erb¬
fehler eingereiht, ohne darüber klar zu werden,
ob sie auch wirklich solche sind. Ja es gab
vor Kurzem noch eine Zeit, wo der Name
einer solchen Krankheit einfach genügt hat,
um sie für erblich zu erklären. Erst in der
neuesten Zeit, als mit dem Fortschritte der
Thierheilkunde so manche Krankheitsursachen
entdeckt wurden, hat man den sog. Erbfehlern
eine grössere Aufmerksamkeit geschenkt und
dadurch manche bis vor Kurzem noch dunkle
Punkte der Thierzuchtlehre aufgeklärt. Dessen¬
ungeachtet gestehen wir offen, dass noch heut¬
zutage die Kenntniss der Erbfehler eines der
dunkelsten Capitel der Thierzuchtlehre bildet
und in Folge dessen im alltäglichen Leben
Schwierigkeiten entstehen, die kaum bewältigt
werden können.
Die Erkennung eines Erbfehlers ist wohl
einfach, schwierig dagegen seine Beurtheilung;
doch ist es selbstverständlich, dass bei männ¬
lichen Thieren das Urtheil viel rigoroser aus-
fallen wird als bei weiblichen, da ein Männchen
-während seines Lebens Hunderte von Nach¬
kommen- erzeugen kann. Die Schwierigkeit
der Beurtheilung eines Erbfehlers hat ihren
Grund darin, dass 1. selbst jene Fehler, die
exquisit als Erbfehler gelten, nicht immer in
der Nachzucht erscheinen müssen und des¬
halb auch nicht in jedem Falle beobachtet
werden. Dies ist auch der hauptsächlichste
Grund, warum viele Thierärzte und Thier¬
züchter von der Erblichkeit einer Krankheit
überzeugt sind, Andere hingegen (die sie an
den Jungen nicht beobachtet haben) das
Gegentheil behaupten; 2. weil diese Fehler
nicht gleich nach der Geburt, sondern in
einer viel späteren Zeit zum Vorschein
kommen. Es ist daher erklärlich, warum die
Erbfehler von den einzelnen Autoren ober¬
flächlich und stiefmütterlich behandelt werden.
Die meisten begnügen sich damit, die Namen
der einzelnen Erbfehler aufzuzählen, um auf
diese Weise dem schwierigen Thema aus dem
Wege zu gehen.
Zu den Erbfehlern zählt man: i. bei
Pferden: den Dummkoller, die Monatblindheit,
den grauen Star, Pfeiferdampf, den Spat,
Knochenauswüchse, Huffehler, die Stätigkeit
und das Koppen. Einige wollen noch hiezu
ERBFEHLER.
623
die Fallsacht, den Rotz und die Folilenlähme
beigezählt wissen; 2. bei Rindern: die Perl¬
sucht; 3. bei Schafen: die Traberkrankheit;
4. bei Schweinen: die Scrofulose.
Die hier aufgezählten Fehler und Krank¬
heiten erscheinen in der Nachkommenschaft
auf eine zweifache Art, d. i. entweder gleich
nach der Geburt oder erst in späteren Jahren.
Gewöhnlich tritt die Krankheit nicht gleich
nach der Geburt auf; es ereignet sich zwar,
dass eine kollerkranke Stute ein Fohlen ge¬
bärt, welches die Erscheinungen des Kollers
zeigt, ein an Schafpocken leidendes Mutter¬
schaf ein pockenkrankes Lamm zur Welt
bringt, oder eine an Perlsucht leidende Kuh
ein perlsüchtiges Kalb wirft, doch müssen
dergleichen Fälle, da sie höchst selten Vor¬
kommen, eher zu den Ausnahmen als zur
Regel gezählt werden. Sie beweisen nur, dass
die Infection des Jungen noch während seiner
Entwicklung im Mutterleibe stattfand. In der
Regel erscheint jedoch ein Erbfehler oder eine
Erbkrankheit nicht gleich nach der Geburt,
sondern nach Jahren, was uns klar beweist,
dass die Elternthiere dergleichen Krankheiten
nicht als solche auf ihre Jungen übertragen,
sondern nur die Anlage zur Entwicklung der¬
selben.
Der Einfluss einer erblichen Krankheit
lässt sich leicht demonstriren. Ein Fohlen,
dessen Eltern an Spat oder Ueberbeinen ge¬
litten, besitzt diesen Fehler noch nicht bei
der Geburt, es besitzt höchstens eine gewisse
Schwäche des Knochensystems. Der Spat und
die Ueberbeine treten erst später auf, nach¬
dem das Thier zum Gebrauche herangezogen
wurde. Ein Kalb, welches von perlsüchtigen
Eltern stammt, erkrankt nicht gleich nach "der
Geburt an der Perlsucht, gewöhnlich erst im
zweiten oder dritten Lebensjahre.
Andererseits muss jedoch hervorgehoben
werden, dass die ererbte Anlage nicht immer
und nothwendigerweise eine wirkliche Krank¬
heit zur Folge hat. Einen gewissen Theil der
Anlage erhält das Junge ganz bestimmt, selbst
dann, wenn nur ein Elternthier an der here¬
ditären Krankheit gelitten hat, das zweite
jedoch frei von Erbfehlern war. Ob jedoch
die ererbte Anlage zur wirklichen Erkrankung
führen wird oder nicht, hängt von den Ver¬
hältnissen und Einflüssen ab, die auf das im
Wachsthum begriffene Thier einwirken. Nicht
selten überwiegt der Einfluss des gesunden
Elternthieres, in anderen Fällen wiederum
erzeugt die zweckentsprechende Fütterung,
Wartung und Pflege eine Widerstandsfähig¬
keit des Körpers, und es tritt die ererbte An¬
lage in dem Grade zurück, dass das Hervor¬
treten der Krankheit unterbleibt. Im Gegen-
theile tritt dagegen bei unzureichender
Ernährung und fehlerhafter Pflege der Nach¬
kommen die vererbte Anlage so stark hervor,
dass sie zum Auftreten der elterlichen Fehler
führt. So beobachtet man zuweilen, dass ein
Schaf während seiner ganzen Lebensdauer
gesund bleibt, obgleich der Bock, der es er¬
zeugt, an Traberkrankheit gelitten hat. Daraus
wollen Einige den Schluss ziehen, dass die
Erblichkeit dieser Krankheit eine sehr unbe¬
deutende sei, doch mit Unrecht; eine weitere
Beobachtung zeigt, dass dieses Schaf, mit voll¬
kommen gesunden Böcken gepaart, Lämmer
wirft, die grösstentheils nach Ablauf des
zweiten oder dritten Lebensjahres in die
Traberkrankheit verfallen. Die Erklärung
dieser Erscheinung ist nicht schwer anzu¬
geben. Das Schaf hat die Anlage zur Traber¬
krankheit vom Vater ererbt, doch blieb diese
Anlage während des ganzen Lebens verborgen,
und die Krankheit ist nur deshalb nicht zum
Ausbruche gelangt, weil das Schaf unter
günstigen Bedingungen aufgewachsen ist und
gelebt hat. Seine Nachkommen, auf welche es
seine Anlagen übertragen hat, verfielen in die
Krankheit, da dieselben in weniger günstigen
Umständen als die Mutter verweilten.
Nicht alle Erbfehler sind für den Züchter
von gleicher Wichtigkeit, es muss daher jede
erbliche Krankheit von verschiedenen Gesichts¬
punkten aus betrachtet und verschiedenartig
beurtheilt werden.
1. Dummkoller. Da die pathologischen
Veränderungen, die den Dummkoller erzeugen,
nicht immer dieselben sind, so sind auch die
Ursachen mannigfacher Art. Unter diesen Ur¬
sachen spielt wohl die Erblichkeit eine her¬
vorragende Rolle. Hat man ein dummkolleri-
sches Pferd vor sich* und geht man der Sache
auf den Grund, so fördern die gepflogenen
Erhebungen in den meisten Fällen eine für
uns sehr wichtige Thatsache, dass entweder
beide Elternthiere oder wenigstens ein Eltern¬
thier an derselben Krankheit gelitten hat.
Trotzdem der Glaube an die Erblichkeit dieser
Krankheit allgemein unter den Züchtern ver¬
breitet ist, müssen wir doch offen gestehen,
dass in der thierärztlichen Literatur keine
genau constatirten Fälle von Erblichkeit ver¬
zeichnet sind.
2. Die Mondblindheit und der graue
Star. Beide Krankheiten werden unter Einem
abgehandelt, da der graue Star in den meisten
Fällen nur eine Folgekrankheit der Monat¬
blindheit ist, was somit von einer Krankheit
gesagt wird, gilt auch für die andere. Beide
Krankheiten sind erblich und dies in einem
sehr hohen Grade. Die so häufig vorkom¬
menden Fälle dieser Krankheiten liefern uns
hievon einen genügenden Beweis. Die Monat¬
blindheit hat schon in manchen Gestüten
grosse Verheerungen angerichtet, so dass die
Zucht aufgegeben werden musste. Solch
traurige Erfahrungen haben namentlich die
Franzosen zu verzeichnen. Die Ursache dieses
Uebelstandes bestand darin, dass manHengste,
die mit einem solchen Fehler behaftet waren,
zur Zucht verwendete.
Die Monatblindheit erscheint bei Pferden
nicht gleich nach der Geburt, sondern erst
später, am häufigsten zwischen dem fünften
und siebenten Lebensjahre. Eine grosse Zahl
von Fällen, die mit grösster Bestimmtheit
den hohen Grad der Erblichkeit dieser Krank¬
heit bezeugen, hat Reynal sowohl aus eigener
Praxis als auch aus Beobachtungen, die in
den französischen Gestüten gesammelt wurden,
624 ERBFEHLER.
zusaro mengestellt. Aas seinen Beobachtungen
geht hervor, dass sowohl der Vater als auch
die Mutter einen ausserordentlichen Einfluss
auf die Uebertragung der Anlage zur Monat¬
blindheit besitzen; doch haben im Ganzen
und Grossen die Mütter in grösserem Masse
die Anlage hiezu vererbt als die Väter. Be¬
sonders interessant sind jene seiner Beob¬
achtungen, die uns beweisen, dass die Anlage
durch eine ganze Generation verborgen
bleiben kann und erst in der zweiten Gene¬
ration zur wirklichen Erkrankung führt. Nicht
minder interessant ist die angeführte That-
sache, dass eine Stute (des Herrn Devilliers)
acht Fohlen geworfen, von denen die ersten
vier gesund geblieben sind, da sie zu jener
Zeit gezeugt wurden, als die Stute noch ge¬
sunde Augen besass, während die letzten vier,
die nach dem Ausbruche der Monatblindheit
bei der Stute geboren wurden, insgesammt
erblindeten.
Was nun den grauen Star betrifft, muss
hervorgehoben werden, dass man nicht alle
jene Pferde, welche eine Trübung der Linse
aufweisen, für zuchtuntauglich erklären darf,
denn nicht immer ist die Linsentrübung die
Folge einer überstandenen Monatblindheit.
So entsteht manchmal eine Trübung durch
eine mechanische Verletzung des Augapfels
durch Schlag, Stoss, Stieh etc. Ja es kommt
vor, dass der graue Star sich bei sehr alten
Pferden ohne hereditäre Ursache einstellt,
als sog. Cataracta senilis. Ist die Linsen¬
trübung durch einen mechanischen Insult ent¬
standen, so sieht man in solchen Fällen keine
vollständige, sondern nur eine theilweise
Trübung. Am häufigsten findet man in der¬
gleichen Fällen einen grauen Fleck in der
Linse, von welchem weisse Streifen auslaufen,
eine Erscheinung, welche die grösste Aehn-
lichkeit mit einer gesprungenen Eisfläche hat.
Ausserdem bemerkt man in dergleichen Fällen
Hornhautnarben, die deutlich dafür sprechen,
dass die Linsentrübung in Folge einer Ver¬
letzung stattfand. Immerhin erheischt die
Klugheit, über solche Trübungen sein Urtheil
sehr vorsichtig zu fällen und ein mit solchem
Defecte behaftetes Thier nicht eher zur Zucht*
zu verwenden, bevor man nicht von der Nicht¬
erblichkeit dieser Krankheit vollkommen über¬
zeugt ist.
3. Der Pfeiferdampf. Es gibt wohl
manche Ursachen, die dieses Uebel erzeugen,
unter diesen nimmt jedoch die Erblichkeit ent¬
schieden den ersten Platz ein. Wir besitzen näm¬
lich eine grössere Anzahl constatirter Fälle, die
die Erblichkeit dieser Krankheit bezeugen, so
dass man diesen Einfluss gar nicht abstreiten
kann. Andererseits muss jedoch hervor gehoben
werden, dass nicht alle Nachkommen der an
Pfeiferdampf leidenden Eltern in diese Krank¬
heit verfallen — ein Th eil bleibt immer von der
Krankheit verschont. Der Grad der Erblichkeit
des Pfeiferdampfes scheint somit kein grosser
zu sein. Girard Sohn gibt an, dass der Hengst
Misanthrop, der ein Rohrer war, sehr hübsche
Fohlen gezeugt hat, die grössere Hälfte seiner
Producte verfiel jedo.eh im späteren Alter in
die väterliche Krankheit. Ebenso erzählt
Renault, dass ein englischer Hengst im
10. Lebensjahre den Pfeiferdampf acquirirt hat,
und seit dieser Zeit haben beinahe alle seine
Nachkommen diese Krankheit ererbt. Merk¬
würdigerweise ist der Pfeiferdampf bei diesen
Nachkommen erst im 10. Jahre zum Vorschein
gelangt, d. i. in demselben Alter, in welchem
sich die Krankheit beim Vater einstellte.
4. Der S p a t ist ein exquisiter Erbfehler,
da die Nachkommen spatlahmer Pferde gewöhn¬
lich in dieses Uebel verfallen. Dieser Fehler
erscheint jedoch nicht gleich nach der Geburt,
sondern erst in einem späteren Alter, haupt¬
sächlich dann, wenn das Pferd zu einer an¬
strengenden Dienstleistung verwendet wurde.
Zugleich kann man auch beobachten, dass ein
gewisser Theil der Nachkommenschaft von
diesem Fehler gänzlich verschont bleibt. Die
gewöhnliche Ursache des Spates ist der Galop
oder irgend eine andere anstrengende Gang¬
art, bei der das Pferd gezwungen ist, die
ganze Körperlast auf den Hinterfuss zu über¬
tragen; hiebei wird das Sprunggelenk stark
erschüttert. Ein stark fundamentirtes Pferd
hält diese Erschütterungen mit Leichtigkeit
aus, ohne irgendwelchen Schaden zu leiden,
dagegen Pferde schwächlicher Constitution
und besonders jene mit schwachen Sprung-
f elenken und Bänderapparaten verfallen in
en Spat. Der Spat ist somit ein Zeichen
schwächlicher Constitution, weshalb auch
ein jeder solche Hengst und jede solche Stute
von der Zucht auszuschliessen wäre, nicht etwa
aus Furcht, dass dergleichen Elternthiere den
Spat direct auf ihre Jungen übertragen, son¬
dern dass sie die schwächliche Constitution
vererben, besonders jene der Sprunggelenke,
und damit auch die Anlage zur Bildung des
^Spates. Hat aber ein stark fundamentirtes
Pferd sich den Spat in einem späteren Lebens¬
alter durch mechanische Insulte, z. B. durch
Schlag, ungewöhnliche Anstrengungen etc.
zugezogen — also nicht in Folge der Ver¬
erbung — so kann man es ohne Bedenken
zur Zucht verwenden.
o. Knochenauswüchse. Ueber Knochen¬
auswüchse kann man dasselbe sagen, was
bereits über den Spat gesagt wurde. Sie sind
erblich, doch haben sie in der Zucht nicht
jene Bedeutung wie etwa der Dummkoller, die
Monatblindheit oder der Spat, da sie eher zu
den Schönheitsfehlern als zu den wirklichen,
den Gebrauch des Thieres beeinträchtigenden
Fehlern gezählt werden müssen. Immerhin
muss daran festgehalten werden, dass ein mit
Knochenauswüchsen behaftetes Pferd niemals
ein mustergiltiges Zuchtpferd sei.
6. Die Huffehler. Zu diesen gehören: zu
dünne, zu weiche und zarte, dann brüchige
Hufe, Zwanghufe, Knollhufe, Hornspalten,
die hohle Wand und der Strahlkrebs. Der
grösste Theil der Züchter betrachtet sämmt-
liche fehlerhafte und unregelmässige Hufe für
erblich, doch mit Unrecht. Es ist nämlich
bekannt, dass mit wenigen Ausnahmen die
fehlerhaften Hufe weder bei Fohlen, noch bei
unbeschlagenen und nicht arbeitenden Pferden
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ERBFEHLER.
625
auftreten, sondern erst bei erwachsenen, be¬
schlagenen oder schwer arbeitenden Pferden.
Mit einem Worte, die Ursache der fehlerhaften
Hufe ist im fehlerhaften Beschlag, unpassen¬
der Behandlung des Hornschuhes und schwerer
Arbeit auf einem harten Boden zu suchen.
Andererseits darf auch nicht ausser Acht ge¬
lassen werden, dass die schwächliche und
Zarte Bauart der Hufe, besonders wenn das
Horn zu fein und zu dünn ist, geradeso ver¬
erbt wird *wie der ganze Körperbau überhaupt.
Dergleichen Hufe werden ganz bestimmt von
den Eltern auf die Jungen übertragen. Man
muss deshalb* die Erblichkeit der Hufe in
dem Sinne auffassen, dass nicht die Fehlen
als solche auf die Nachkommenschaft über¬
tragen werden, sondern nur d$r schwächliche
Bau der Hufe, wodurch die Anlage ererbt
wird, die unter ungünstigen Verhältnissen zur
Entwicklung des Fehlers führt. Solche Gelegen¬
heitsursachen sind: der schlechte Beschlag,
der Gebraucli zu einer schweren Arbeit etc.
Erfahrungen, die ich in dieser Hinsicht ge¬
sammelt habe, haben mich überzeugt, dass
die mit einem Hornspalt behaftete Mutter
Fohlen warf, die im späteren Lebensalter an
demselben Fehler laborirt haben. Eine nähere
Untersuchung hat ergeben, dass sowohl die
Mutter als auch die Nachkommenschaft sehr
feines und dünnes Horn besassen, wodurch
die Bildung der Hornspalte erklärlich ist.
7. Stätigkeit. Dieses Uebcl, durch Ver¬
änderungen in der Gehirnmasse bedingt, ist
erblich. Doch darf nicht -vergessen werden,
dass die Stätigkeit bei jedem Pferde hervor¬
gerufen w r erden kann in Folge von schlechter
Behandlung und Misshandlungen'"überhaupt.
In einem solchen Falle ist selbstverständlich
von der Erblichkeit keine Rede. Leider sind
uns derzeit keine charakteristischen Merkmale
bekannt, um die in Folge von Veränderungen
des Nervensystems entstandene Stätigkeit von
jener, die durch Misshandlungen verursacht
wurde, unterscheiden zu können. Es bleibt
daher nichts übrig, als jedes stätige Pferd,
welches clie gewöhnlichen Dienste versagt,
bösartig und t gefährlich ist, von der Zucht
auszuschliessen.
8. Das Koppen. Diese Untugend erlernen
die Pferde nicht nur eines vom anderen, son-"
dern sie erhalten diese als ein Erbtheil von
den Eltern. Bis vor Kurzem hat man wohl
vermuthet, dass das Koppen erblich sei, es
fehlte jedoch an Beweisen. Ich sah im Gestüte
Kisber den Hengst Virgilius, der ein Köpper
ist, und habe daselbst erfahren, dass viele
seiner Nachkommen diese Untugend ererben.
Eineif eclatanten Fall von Erblichkeit erzählt
Collin: Ein anglo-normannischer Hengst, der
ein Aufsatzkopper war und dessen Untugend
vomEigenthümer verschwiegen wurde, bedeckte
viele Stuten. Collin hat genaue Erkundigungen
über'die Nachkommenschaft eingezogen und
erfuhr, dass mehr als ein Drittel sämmtlicher
Fohlen, die dieser Hengst gezeugt, in wenigen
Monaten nach der Geburt in diese- Untugend
verfielen, ohne dass den Fohlen irgendwelche
Gelegenheit zum Nachahmen oder Erlernen
Koch. Eneyklopädio d. Thierheilkd. ü. Bd.
dieses Fehlers gegeben war. Das Koppen
konnte somit nur ererbt worden sein.
9. Die Fallsu'cht. In früheren Zeiten hat
man allgemein behauptet, die Fallsucht sei
eine hereditäre Krankheit. Da nun in neuerer
Zeit trotz genauer Beobachtungen die Erb¬
lichkeit dieser Krankheit sich nicht bestätigt,
so soll man die Epilepsie aus, der Reihe der
Erbfehler streichen.
10. Der Rotz. Ehemals galt der Rotz
für eine Erbkrankheit. Gegenwärtig unterliegt
es jedoch keinem Zweifel mehr, dass diese
Krankheit keine hereditäre sqi, da sie nur in
Folge der stattgefundenen Infection auftritt.
Zwar kommen noch heutzutage Fälle vor v
dass eine rotzkranke Mutter ein Fohlen zeugt,
welches kurze Zeit nach der Geburt an Rotz
erkrankt, dennoch können wir dergleichen
Fälle nicht auf Kosten der Erblichkeit, sondern
der intra- oder extrauterinen Infection ein-
rechnen. Auch haben wir keinen Grund, an
die Erblichkeit der RotArankheit zu glauben,
selbst dann nicht, wenn ein Nachkomme rotz¬
kranker Eltern im späteren Alter an Rotz er¬
kranken würde, % da bekanntlich der Rotz nicht
durch Jahre verborgen bleiben kann.
11. Die Fohlenlähme. Die meisten Au¬
toren zählen die Fohlenlähme zu den Erb¬
fehlern und beschuldigen hiebei hauptsächlich
die Mutter, die den grössten Einfluss auf die
Entwicklung dieser Krankheit besitzen soll?
Doch* stimmen alle .darin überein, dass ausser
der krankhaften Constitution auch Gelegen¬
heitsursachen auf die Entwicklung -des schon
vorhandenen Keimes Her Lähme von grosser Be¬
deutung sind. Dies geht schon daraus hervor,
dass manche Stuten ihren Nachkommen eine
bedeutende Neigung zur Lähme mitgeben;
auch gibt es Jahrgänge, in welchen eine grosse
Zahl von Fohlen dieser Krankheit zum Opfer
fällt, während sie in anderen gänzlich aus-
bleibt. Die in der thierärztlichen Literatur
verzeichneten Fülle von Fohlen- und Kälber¬
lähme sprechen deutlich für die Erblichkeit
dieser Krankheit. Diese Erbkrankheit ist jedoch
in dem Sinne zu verstehen, dass die fehler¬
hafte Constitution der Mutter auch auf das
Junge übejgeht und es daher in der Jugend¬
zeit mannigfachen Krankheiten ausgesetzt ist.
12. Die Perlsucht. Man beschuldigt
viele Ursachen, die die Tuberculose des Rindes
hervorzurufen im Stande wäret!, doch nur eine
Ursache ist vollkommen sichergestellt, d. i.
die Erblichkeit. Von den vielen in der Literatur
verzeichneten Fällen eines exquisiten Einflusses
der Elternthiere, die die Tuberculose vererben,
könnten wir wohl genug anführen, wir unter¬
lassen es, da sie tägliche Erscheinungen sind.
Die Anlage zu dieser Krankheit erhalten die
Rinder schon bei der Geburt, doch nur in
den allerseltensten Fällen kommt die Tuber¬
culose gleich nach der Geburt zum Ausbruche,
gewöhnlich erst im späteren Alter, sobald die
Gelegenheitsursache - zur Entwicklung sich
günstig gestaltet. Um einem Weitergreifen
der Krankheit Einhalt zu thun, sollen daher
alle jene Thiere, welche von perlsüchtigen
Eltern stammen, von der Zucht ausgeschlossen
40
626
ERBGRIND. — ERBKRANKHEITEN.
werden. Dies gilt insbesondere von den Bullen,
da sie bekanntermassen ein weit grösseres
Unheil in der Hürde anstiften als die Kühe.
13. Die Traberkrankheit. So lange die
hochveredelte Zucht der Merinoschafe in Europa
nicht betrieben wurde, galt die Traberkrankheit
für eine Rarität, ja selbst heutzutage findet
sie sich nur ausnahmsweise bei der Negretti-
rasse ein. Bei den groben Landschafen ist die
Krankheit beinahe unbekannt. Die Krankheit
erscheint nicht gleich nach der Geburt, sondern
zwischen, dem zweiten oder dritten Lebens¬
jahre, und da nur bei solchen Schafen, die
von traberkranken Eitern stammen oder deren
Familienmitglieder traberkrank waren. Zahl¬
reiche Erfahrungen haben zur Evidenz be¬
wiesen, dass die Krankheit eine erbliche ist,
indem die Nachkommen eine besondere Krank¬
heitsanlage hiezu von den Eitern erhalten.
Die Verfeinerung und Zartheit des Faserbaues,
namentlich die übertriebene Veredlung übt
den nachtheiligsten Einfluss und ist immer
als die erste Gelegenheitsursache zu betrachten.
Wie innig die Krankheitsanlage mit der zu
hoch getriebenen Wollverfeinefung und Verzär¬
telung ■ der Schafe zusammenhängt, wird am
besten dadurch bewiesen, dass die Krankheit
beinahe ausschliesslich in den Electoral-
schäfereien zu Hause ist, während andere
verschont bleiben. Wenn nun von Einigen nur
die Incestzucht als Hauptursache der Traber¬
krankheit beschuldigt wird, so hat dies seinen
richtigen Grund darin, dass die zu weit ge¬
triebene Verwandtschaftszucht wohl die Rassen¬
charaktere steigert, zugleich aber auch den
Nachtheil einer schwachen Constitution und
des damit verbundenen Uebels mit sich bringt.
Da die Traberkrankheit unheilbar ist, so
darf man niemals traberkranke, ja selbst dieser
Krankheit nur verdächtige Schafe zur Zucht
verwenden. Jede Ueberfeinerung und Verzärte¬
lung der Schafe muss vermieden werden. Nur
die allerkräftigsten und wollreichen Böcke
dürfen mit feinen Mutterschafen gepaart
werden. Besonders hüte man sich vor dem
Ankäufe der Zuchtthiere aus traberkranken
oder dieser Krankheit verdächtigen Heerden.
14. Die Scrofulose bei Schweinen.
Was die Ursache der Scrofulose anbelangt, so
steht es fest, dass die Anlage hiezu von den
Eltern ererbt wird. Ja es sind uns genug Fälle
bekannt, wo nicht nur die Anlage, sondern
die Krankheit selbst vererbt wurde. Das letz¬
tere ist jedoch nur dann der Fall, w T enn die
Krankheit in der Familie recht eingewurzelt
ist; schon in den ersten Tagen und Wochen
nach der Geburt kommt die Krankheit zum
Vorschein. Eine gewisse Neigung zu diesem
Leiden besitzen meist Schweine veredelter
englischer Rasse, die sich durch einen feinen
und zarten Bau, weiche Haut, Frühreife und
grosse Mastfähigkeit auszeichnen. Es liegt
daher im Interesse der Schweinezucht, die
Nachkommen kranker, an Scrofulose leidender
Thiere zur Zucht nicht zu verwenden, da man
sonst Gefahr läuft, die Ferkeln an Schwind¬
sucht zu verlieren.
Damit haben wir sämmtliche Erbfehler
aufgezählt und ihre Bedeutung in der Thier¬
zucht klargelegt. Für die Praxis resultiren
daraus folgende Winke: Thiere, die mit einem
Erbfehler behaftet sind, sollen von der Zucht
ausgeschlossen werden. Zwar wird eine Erb¬
krankheit nicht jedesmal vererbt, denn die
Thiere erben ja nicht die Krankheit, sondern
nur die Anlage hiezu. Auch erscheint der
Fehler nicht gleich nach der Geburt, sondern
erst im späteren Lebensalter. Die Beurtheilung
der Erbfehler fällt verschieden aus,* da es
immer davon abhängt, auf welche Art und
Weise der Fehler entstanden ist. Diesen soll
man immer für erblich erklären, wenn die
.Entstehungsursache unbekannt ist! Anders ver¬
hält sich die Sache, wenn mechanische Ein¬
wirkungen, Ueberanstrengungen oder hohes
Alter den Fehler hervorgerufen haben. Aber
auch solche Thiere sollen von der Zucht aus¬
geschlossen werden, sobald eine schwächliche
Constitution, mangelhaft entwickeltes Knochen¬
gerüst, schwache Gelenke oder andere der¬
gleichen Fehler damit gepaart erscheinen. Es
versteht sich von selbst, dass man in Fällen,
in denen man sich nicht mit voller Bestimmt¬
heit von der Entstehungsursache fies Uebels
überzeugen konnte, selbst dann, wenn* das
Thier sonst gut gebaut wäre, vorsichtshalber
die Krankheit lieber für einen Erbfehler er¬
klären soll, als sich späteren Enttäuschungen
preiszugeben. Dergleichen Experimente sind
zu kostspielig und höchst unpraktisch. Obgleich
man einerseits durch die Ausschliessung eines
solchen Thieres von der Zucht die ökonomischen
Verhältnisse schädigt, so ist andererseits der
hiedurch entstandene Schaden ein minimaler
im Vergleiche zu jenen Verlusten, die der
Züchter erleiden müsste, falls er die Bedeutung
der Erbfehler unterschätzen würde. Baranski.
Erbgrind, s. Arthrococcus und Hautkrank¬
heiten.
Erbkrankheiten, morbi hereditarii
(v. morbus, die Krankheit; heres, der Erbe).
Zu ihnen rechnet man alle diejenigen Krank¬
heiten, welche nachweislich von den Eltern
constant aut* die Nachkommen übergehen; sie
basiren mithin auf einer ererbten Disposition,
auf einem Defect in dem anatomischen Baue
bestimmter Organe oder organischer Systeme,
der bereits in den elterlichen Zeugungsstoffen,
dem männlichen Samen und dem weiblichen
Eichen, vorhanden ist. In den meisten Fällen
zeigt sich die Nachkommenschaft nicht sofort
nach der Geburt mit der Erbkrankheit be¬
haftet, sondern diese entwickelt sich erst
allmälig in späteren Lebensaltern, etwa im
2.—5. Jahre nach der Geburt, unter der Con-
currenz schädlicher Einflüsse. Der jugendliche
Organismus ist an einer oder der anderen
Stelle leicht reiz- und verwundbar, er vermag
den Kampf um das Dasein auf die Dauer
nicht zu bestehen. Von den Erbkrankheiten
sind die Erbfehler (s.d.) zu unterscheiden; jene
beruhen auf einer angeerbten Constitution,
diese auf Abnormitäten im Baue des Körpers,
welche sich schon bei der Geburt im Exterieur
des Jungen nachw'eisen lassen und bei den
Eltern vorfindlich sind.
ERBKRANKHEITEN.
627
Die Erbkrankheiten beruhen in erster
Linie selbstverständlich auf den Gesetzen der
Vererbung. Gleiches kann nur von Gleichem
kommen; der Same und das Ei enthalten
die. Keime für das Individuum, die in allen
Theilen die Richtung gebende Anlage für den
Aufbau des sich entwickelnden Organismus,
sie sind eigentlich nichts Anderes als eine
Verjüngung des Stammkörpers. Same und Ei
gehen in einander auf, bei der Befruchtung
dringen die Samenfäden durch feine Oeffhungen.
in das Eichen ein, das Junge ist mithin ein
Mischproduct von Vater und Mutter, wir
finden in ihm Aehnlichkeiten von beiden
wieder. Mit der Verschmelzung von Samen
und Ei ist das Vorbild für die Gestaltung
des Individuums fest begründet, sie liefert
den Boden und den Stoff zum Aufbau des
Körpers, so namentlich auch den Boden, auf
welchem sich später die Krankheiten zu ent¬
wickeln vermögen. Die mangelhafte anato¬
mische Beschaffenheit bestimmter Gewebe
geht in ihren Grundzügen auf die Zeugungs¬
stoffe über, die in jeder Beziehung der genaue
Abdruck der Eltern sind. Die Vererbung oder
Heredität ist durchaus beharrlich, wohl aber
vermögen begünstigende Umstände die Anlage
zu Krankheiten in den Nachkommen zu steigern,
so z.B. wenn beide Eltern mit Defecten belastet
sind oder die Jungen unter Umständen leben,
welche der Krankheitsentwicklung günstig
sind; die abnorme Beschaffenheit der Organe
befestigt sich in den Nachkommen mehr und
mehr, sie wird zum integrirenden Theile des
Körpers. Wie schon gesagt, müssen die Erb¬
krankheiten nicht immer in jeder Generation
zum Ausbruche kommen, sie können unter
günstigen Verhältnissen schlummern, um
plötzlich wieder bei späteren Generationen
hervorzubrechen, weil das vorelterliche Funda¬
ment noch das gleiche ist.
Darwin unterstellt als letzten Grund der
Fortpflanzung undT Vererbung die Pangenesis
(v. rcäv, alles; yeveois, Zeugung, Ursprung),
die Zeugung aller Thiere und Pflanzen aus
wenigen, vielleicht aus einer einzigen Grund¬
form. Die Zellen als Einheiten des Körpers
sollen vor ihrer Umwandlung in ausgebildete
Substanz kleine, atomenhafte Körnchen ab¬
geben, welche im Körper kreisen, bei genü¬
gender Ernährung aber durch Theilung sich
vermehren und in die nämlichen Zellen um¬
wandeln. Statt dass sonst die Keimkörnchen
unmittelbar von den Eltern den Kindern über¬
liefert werden, sollen sie auf manche Genera¬
tionen in schlummerndem Zustande verpflanzt
werden und sich später erst durch veränderte
Lebensbedingungen entwickeln können.
Zufällig erworbene Abnormitäten vererben
sich nicht constant, z. B. Warzen, eine durch
Knochenbruch verbogene oder schiefe Extre¬
mität etc.; erst wenn solche Zufälligkeiten
mit Beharrlichkeit wiederkehren, accommodirt
sich der Bildungsprocess der Körperform,
der Zustand wird damit stabil und constant.
Es können sich somit unter Verhältnissen
schliesslich alle Krankheiten und Gebrechen
vererben, am zuverlässigsten alle diejenigen,
welche in den Geweben bleibende anatomische
Veränderungen hinterlassen oder von be¬
stimmten Stellen aus der Säftemasse inficirende
Elemente zuführen, chronisch verlaufen und
unheilbar sind. In letzterer Beziehung in-
teressiren uns vornehmlich die krebsigen
Degenorationen verschiedener Organe und
die Tuberculose. Beide Krankheiten (Krebs
und Tuberculose) erben in den Familien fort,
der Krankheitskeim geht auf den Fötus über,
er vermehrt sich allmälig und offenbart sein
Vorhandensein erst dann, wenn er bereits
erheblichere Degenerationen in den Organen
veranlasst hat. Von dem Tuberkelbacillus
wird angenommen, dass er ausserhalb des
Thierkörpers sich gar nicht vermehrt, sondern
sein Dasein nur ira Organismus fristet. {Zur
Tuberculose gehören auch der Rotz des
Pferdes und die Perlsucht des Rindes.)-Die
Perlsucht kann schon angeboren sein, man
hat sie bei neugebornen sowie bei 8—14 Tage
.alten Kälbern vorgefunden, welche von perl¬
süchtigen Eltern abstammten. Jessen con-
statirte in Gemeinschaft mit Semmer frische
junge Perlknötchen in den Lungen dreier im
3. Monate der Tragezeit abortirter Kalbs¬
fötus. Ueber die Vererbbarkeit des Rotzes
liegen zuverlässige neuere Beobachtungen nicht
vor, indes lässt sie sich auch hier analog
der Tuberculose des Menschen und der Rinder
unterstellen, wenn schon in den meisten
Rotzfallen die Infection nachweislich erst im
extrauterinen Leben stattfindet. Die übrigen
Infectionskrankheiten lassen den Verdacht
der Heredität nicht aufkommen, weil sich bei
ihnen das Contagium vivum ausserhalb des
Thierkörpers entwickelt und erst nach der
Geburt aufgenommen wird. Nur die Anlage
zur Reproduction des Contagii im Thierkörper
ist hereditär; so ist es ja bekannt, dass Pferde
für das Rinderpestcontagium, hingegen Rinder
wieder für das Rotzcontagium durchaus un¬
empfänglich sind.
Die übrigen als Erbkrankheiten bekannten
Gebrechen beruhen nur auf Vererbung der
Anlage; es wird von den Eltern irgend ein
bei ihnen vorhandener Locus minoris resi-
stentiae auf die Kinder übertragen, an dem
sich später über kurz oder lang das Leiden
entwickelt. Gewöhnlich beschränkt sich der
defecte Locus auf ein einzelnes wichtiges
Organ oder auf ein organisches System.
Bezüglich des Gehirns sind als Erbkrank¬
heiten bekannt: Anlage zu Schlagfluss,
Dummkoller, Stätigkeit, Schwindel
und Epilepsie. In vielen Fällen mag hier
die Anlage auf einer Schlaffheit der Blut¬
gefässe des Gehirns, auf einer leichten Zer-
reissbarkeit oder Schlaffheit der Gefasswan-
dungen beruhen, welche dem Blutserum den
Austritt gestattet. Die Epilepsie beruht häufig
auf einer angebornen Reizbarkeit des Gehirns
und der Medulla oblongata, die Erblichkeit
dieser Krankheit lässt sich bei Menschen bei
ca. 30% nachweisen. Obersteiner konnte die
Epilepsie der Meerschweinchen experimentell
auf deren Junge übertragen. Aehnlich verhält
es sich mit dem Rückenmark; als wichtiges
40*
628
ERBRECHEN.
vererbbares Rückenmarkleiäen ist die Traber¬
krankheit der Schafe hervorzuheben. Diese
nistet sich besonders gern in veredelten Schaf¬
stämmen ein: ihr sind besonders die Zucht¬
böcke unterworfen; sie kann, einmal einge¬
rissen. die ganze Zucht vernichten. Die milch¬
reichen Rinderrassen, unter ihnen besonders
die niederländischen Kühe, besitzen eine
angeborene Disposition zum paralytischen
Puerperalfieber oder dem sog. Kalbefieber.
Diese Krankheit fordert , z. B. unter * den
holländischen, frischmelken Kühen ungewöhn¬
lich viele Opfer. Auch Schwäche in der
Widerstandsfähigkeit der«* Schleimhäute der
Luftwege und der Alveolen der Lunge ver¬
erbt sich, so namentlich die leichte Erkran¬
kung an Kehlkopfkatarrh, bei Pferden das
Lungenemphysem oder das Asthma
und das sog. Kehlkopfpfeifen oder
der Pfeifer dämpf, ferner unter den Leiden
der Yerdauungsorgane eine gewisse Ver¬
dauungsschwäche und Reizbarkeit des-
Darmcanals, die besonders bei Pferden sich
in häufigen Anfällen von Kolik bemerkbar
macht. Die Scrofulose zählt ebenfalls zu
den hereditären Uebeln, sie grassirt am
häufigsten unter Schweinefamilien, seltener
unter Fohlen und Rindern; diese Krankheit
ist wohl auch Lähme genannt worden, wenn
sie sich mit Gelenkleiden paart. Eine ange¬
borene und ererbte Lähme im wahren Sinne
des Wortes bildet die Fettdegeneration
der.Muskeln junger Thiere, vorzüglich der
Ferkel und der Lämmer, die sich durch
Schwäche in den Bewegungen, Durchfall und
Abmagerung zu erkennen gibt und ihre Opfer
theils schon während des fötalen Lebens,
theils in den ersten Tagen oder Wochen nach
der Geburt befällt; veredelte, frühreife eng¬
lische Rassen sind ihr am häufigsten unter¬
worfen und. erliegen ihr meistens.
Weiter vererben sich Defecte in der
Construction des Knochengerüstes, eine ge¬
wisse Porosität des Knochcngewebe?,
so dass die Descendenten sehr leicht an
Rhachitis, Spat, Hasenhacke* Schale, Ueber-
beinen u. dgl. m. erkranken, desgleichen leicht
an Gallen, wenn die Sehnen und Sehnen¬
scheiden eine angeborene, von den Eltern
überkommene Schlaffheit besitzen.
Wichtig wegen ihrer verderblichen Folgen
sindnoch als Erbkrankheiten die periodische
Augenentzündung und der schwarze
Staar der Pferde zu nennen, weil sie stets
zuvölliger Erblindung führen. Die periodische
Augenentzündung befällt die Pferde meistens
erst im 5.—7. Jahre. Leider haben böse Er¬
fahrungen in Gestüten nur zu deutlich die
Heredität dieses Augenleidens erwiesen. Anr.
Erbrechen, Vomitus s. Emesis (von
vomere = lp.siv, sich erbrechen), wohl auch
vomitio, vomitium, vomitum oder emetos
genannt, ist ein unwillkürliches, gewaltsames
Ausstossen des Mageninhaltes durch dieCardia
in die Speiseröhre und von da aus durch
Maul und Nase nach aussen unter Mitwirkung
der Magenmuskulatur, des Zwerchfells und
der Bauchmuskeln. Die Bauchpresse ist für
das Zustandekommen des Brechactes durchaus
erforderlieh, durch ihren Druck auf den con-
trahirten Magen jyird der Mageninhalt haupt¬
sächlich bei verschlossenem Pylorus und ge¬
öffneter Cardia nach vorne entleert. Durch¬
schneidet man die Zwerchfellsnerven und
lähmt oder durchschneidet man die Bauch¬
muskeln (Colin, Gianuzzi), so wird das Er¬
brechen unmöglich; auch nach der Durch¬
schneidung der motorischen Magennerven
-erfolgt nur unvollständiges Erbrechen. Vomitus
kommt auf reflcctorischem Wege zu Stande,
das Brechcentrum hat seinen Sitz in der
Medulla oblongata, es kann durch mechanische
und chemische Reize erregt werden, welche
auf die Schleimhaut des Verdauungscanals
vom Maule bis zum Beginne des Dickdarms
oder des Harn- und Gesclilechtsappar^tes
einwirken, odef welche vom Blute aus das
Brechcentrum oder dessen centripetale Fasern
erregen, wie dies von den Brechmitteln und
verschiedenen Giften bekannt ist. Mechanische
Insulte des Brechcentrums erregen dasselbe
auch direct; wir sehen nicht selten nach
Gehirnerschütterung, Hin- und Herschaukeln
auf Schiffen (Seekrankheit) die Thiere vomi-
tiren. Sehr reizbar bezüglich des Brechcen¬
trums sind die Reflexbahnen am Grunde der
Zunge, im Schlundkopf und in der Umgebung
der Cardia, sie werden auch bei Reizungen
des Nervensystems angeregt, denn mit den
Krampfanfällen ist nicht selten Erbrechen
verbunden. Herbivoren erbrechen schwerer
als Camivoren; Schiff sucht den Grund dieser
Erscheinungin der verhältnissmässig grösseren
Länge des Bauchtheiles des Schlundes der
Herbivoren, so dass der Schlund bei den
Contractionen des Zwerchfelles eingebogen
und theilweise verschlossen werde. Indes
erbrechen Wiederkäuer ziemlich leicht, die
Rumination selbst ist im Grunde genommen
nichts anderes als ein normales Erbrechen.
Das schwTrige Erbrechen der Pferde erklärt
sich aus dem anatomischen Baue des Magens:
bei ihnen gebt der Oesophagus nicht mit
allmäliger Erweiterung, sondern „scharf abge¬
setzt in den Magen über, auch ist er an der
Cardia mit einem kräftigen, muskulösen
Schliessapparat versehen, hingegen erweitert
sich die Pylorusöffnung trichterförmig nach
dem Duodenum zu und ist nur locker ge¬
schlossen. So kommt es, dass bei etwaigen
Magencontractionen die Contenta nicht nach
dem Schlunde hin entweichen können, sondern
durch den Pylorus austreten; Pferde erbrechen
sich meistens in das Dudodenum. Bei den
Camivoren liegen die anatomischen Verhält¬
nisse umgekehrt, hier pflanzt sich der Oeso¬
phagus mit allmäliger Erweiterung und
lockerem Verschluss in den Magen ein,
während der Pylorus ohne Erweiterung in
den Darm übergeht, fest verschlossen und
viel weiter von der Cardia entfernt ist als
bei Pferden. Dem Angeführten gemäss wird
es erklärlich, wenn wir Vomitus am häufigsten
im Verlaufe katarrhalischer Affectionen des
Verdauungscanals, der gastrischen Leiden
und Beschwerden und bei übermässiger Ab-
ERBRECHEN.
629
sönderung der Magensäure antreflen; unter
ihnen sind folgende namhaft zurnachen: Ueber-
ladungen des Magens mit Futterstoffen, be¬
sonders mit schwervgrdaulichen, blähenden
und erschlaffenden, ungewöhnlich kalten oder
heissen Dingen. Wiederkäuer erbrechen selbst
nach Ueberfüllung des Pansens mit Grün-
futter, Malzkeimen etc. gar nicht selten, das
Futter wirkt dann wie ein Fremdkörper auf
die Magennerven reizend, auch erschlafft
durch den Druck 4^ angehäuften Futter¬
massen die Cardia, und diesen steht nunmehr
der Austritt in den Oesophagus offen. Bei
Rindern beobachtete man ferner Erbrechen,
wenn die Haube durch einen Riss im Dia¬
phragma in die Brusthöhle eingedrungen
war, bei Pferden, wenn der Magen stark ange¬
fallt und der kräftige Widerstand der Schlund¬
klappe überwunden oder'deren Muskelfasern
erschlafft und gelähmt sind,, wie dies bei
alten Köppern der Fall sein kann. Ist die
Lähmung des cardialen Sphincter eine Folge
-der Entzündung der Häute des Magens, indem
seine Fasern serös durchfeuchtet und erweicht
sind, so zerreissen in der Regel die Magen¬
häute während des Brechactes; Vomitus des
Pferdes zieht somit meistens den Tod nach
sich, es wird also mit Recht als ein gefahr¬
drohendes Symptom angesehen, es ist jedoch
nicht die Folge einer Magenzerreissung,
sondern umgekehrt.
Weitere Ursachen des Erbrechens geben
ab: Fremdkörper in der Rachenhöhb und im
Schlunde, Divertikelbildung im Schlunde,
Schlunderweiterung, Magenkatarrh, Magen¬
entzündung, Magenkrebs, Magengeschwüre,
Darmentzündung, Tympanitis, Darminvagina-
tionen, Darmverschlingung, Darm paralyse,
eingeklemmte Hernien, Staupe und Wuthder
Hunde, Urämie, Septicämie etc.
Erscheinungen. Dem Brechacte gehen
Appetitsverstimmung, Widerwillen gegen
Nahrung, Uebelkeit, Nausea oder Nausia (von
vaö?, Schiff, eigentlich Schiffskrankheit),
Gähnen, Flehmen mit den Lippen als Zeichen
einer Verstimmung der Magennerven, stärkere
Speichelabsonderung, Aufstossen von Gasen,
Würgen, dumpfe Schmerzäusserungen voraus;
letzteres ist der Fall, wenn Magendarm
katarrh zugegen ist, alsdann erscheint die
Zunge auch unrein und mit Schleim belegt.
Vergiftungen sind mit heftigen Bauchschmer¬
zen, häufig auch mit Durchfall verbunden;
geschahen sie durch xorrodirende Gifte, so
finden sich Erosionen an den Lippen, am
Zahnfleisch, auf der Zunge, an den Backen etc.
vor. Während des Erbrechens beobachten wir
krampfhafte Zusammenziehungen der Bauch¬
muskeln; der Pylorus schliesst sich, hingegen
öffnet sich die Cardia, der Speisebrei wird
mit Vehemenz stossweise nach aussen ge¬
worfen wobei sich der Kehldeckel auf die
Stimmritze legt, denn sonst würde das Er¬
brochene in die Luftröhre gelangen, was mit¬
unter auch geschieht und dann eine Fremd¬
körperpneumonie oder selbst Erstickung zur
Folge hat. Kleinere Mengen des Erbrochenen
werden aus der Luftröhre mit dem Husten
entfernt. Bei den krampfhaften Zusammen¬
ziehungen des Magens drängt dessen Inhalt
öfter mit solcher Kraft gegen den Pylorus,
dass dieser sich etwas öffiiet und ein Theil
des Inhaltes in das Duodenum gelangt. Nach
dem Erbrechen enthält der Harn viel Pig¬
ment und grössere Mengen harnsaurer Salze,
die sich später zu Boden setzen. Sind Schlund¬
erweiterung oder fremde Körper im Oeso¬
phagus amVomitiren schuld, dann machen
sich Beschwerden und Hindernisse beim Ab¬
schlucken bemerklich, das Futter gelangt nur
theilweise oder gar nicht in den Magen und
wird unmittelbar nach dem Abschlucken
wieder ausgeworfen, es ist deshalb nur mit
Schleim und Speichel vermischt, ohne sauer
zu riechen, da der Magensaft in ihm fehlt.
Das Ausgebrochene, Emesma, riecht, so¬
fern es aus dem Magen (bei Wiederkäuern
aus dem Labmagen) kommt, sauer, weil es
mit Magensaft reichlich durchtränkt ist,
meistens ist es nur wenig verdaut und er¬
weicht, bei Wiederkäuern auch nur grob zer¬
kaut und ohne sauren Geruch, wenn es aus
dem Pansen und der Haube kommt; hier er¬
folgt das Erbrechen leicht nach jedesmaliger
Futteraufnahme, hingegen sind die Thiere
viel kränker, fiebern, fressen und ruminiren
gar nicht mehr, treiben etwas tympanitisch
auf und leiden an Diarrhöe, wenn der Lab¬
magen erkrankt ist. Enthält das Ausgebrochene
Blut, oder besteht es gänzlich aus Blut, so
wird der Vorgang zum Bluterbrechen,
Vomitus eruentus (cruor, geronnenes Blut)
s. Haeinatemesis (afjjia, Blut); hier ist das
Blut klumpig geronnen, wenn ihm Blutungen
aus den Magengefässen zu Grunde liegen,
hingegen mehr verflüssigt und mit Speise¬
resten und Magensaft vermischt, wenn es von
Carnivoren genossen wurde.
Incarcerirte Hernien, In vagin ationen und
Verschlingungen der Därme verursachen das
Kotherbrechen, Ileus s. Miserere (stXelv,
verwickeln, iniser, elend); antiperistaltische
Bewegungen schaffen den Darminhalt ’ in
den Magen, dieser wirft ihn unter Erbrechen
durch Maul und Nase aus; heftige Schmerz¬
äusserungen und hartnäckige Verstopfung sind
hier die Vorläufer. Auch sonst kann beim- Er¬
brechen durch antiperistaltische Bewegungen
Galle aus dem Duodenum in den Magen über¬
treten, wie dies besonders bei stürmischem,
heftigem und anhaltendem Brechen, der
Hyperemesis s. Hyperemesia (oirep, über)
beobachtet wird, sie wird dann mit dem Er¬
brochenen nach aussen entleert
Nicht immer kommt es zu vollständigem
Erbrechen, zuweilen ist nur Würgen und
Neigung zum Erbrechen, Vomituritio,
vorhanden. Die Folgen des Vomitus sind sehr
verschieden. Bei Magenüberladungen und
gastrischen Beschwerden ist das Erbrechen
ein heilsamer Act, den Hunde instinctiv da¬
durch herbeiführen, dass sie Gras fressen und
sich mit den Grashalmen den Gaumen kitzeln.
Vomitus des Pferdes sowie Haematemesis,
Miserere und Vergiftungen sind stets bedenk¬
lich, sie enden häufig mit dem Tode. Ausser-
630
ERBRECHEN ERREGENDE MITTEL. — ERBSEN.
dem hat ein plötzlich eintretendes, sich
höchstens innerhalb einiger Stunden oder
Tage öfter repetirendes Erbrechen keine
grosse Bedeutung, die es erst erhält, wenn
es mehrere Wochen hindurch anhält und
chronisch wird, weil ihm alsdann organische
Abnormitäten des Magens oder eine unge¬
wöhnliche Reizbarkeit des Brechcentrums zu
Grunde liegen. Die damit verknüpften Uebel-
stände sind Störungen in der VeVdauung und
Ernährung, Abmagerung, Schwäche, Hin¬
fälligkeit, bei stürmischem und nachhaltigen
Erbrechen kann Erstickung, Zerreissung oder
Entzündung eines Baucheingeweides, Zer¬
reissung eines Blutgefässes, Apoplexie und
Paralyse erfolgen. Schweine, Hunde, Katzen
und Geflügel erbrechen leicht. Für Köpper
und junge Pferde ist Vomitus kein so gefahr¬
drohendes Symptom wie für ältere Pferde und
Nichtkopper.
Behandlung. Die Indicationen zur Be¬
seitigung des Erbrechens bestehen zunächst
in Regelung der Diät, Verminderung des
Nahrungsquantums und möglichster Ver¬
meidung der Reize, welche das Erbrechen
unterhalten. Oefter wird feste Nahrung ganz
zu meiden und mit flüssiger zu vertauschen
sein, immer sei sie leicht verdaulich. In den
gastrisch-katarrhalischen Leiden, bei Magen¬
überladungen und Vergiftungen ist die Vomi-
turitio durch Verabreichung von Emetica
zum vollständigen Vomitus zu bringen, um
den Magen zu entlasten, schädliche Stoffe
zu elirainiren und das Nervensystem umzu¬
stimmen. Säurentwicklung in den ersten
Wegen erheischt säurefilgende Mittel, wie
Kreide, Magnesia, Natrum bicarbonicum, Kalk¬
wasser, Liquor. Ammon, caust., gepulverte
Holzkohle, Hyperemesis noch Narcotica, wie
Aether, Inhalationen eines Gemisches von
4 Th. Stickstoffoxydul und 1 Th. Sauerstoff,
Opium, Morphin, Extr. hyosc., Aqua lauro-
cerasi, Verschlucken von Eisstückchen, be¬
ruhigende Infuse von Flor. Chamom. roman.,
Fol. menth. piper., Rad. valerian., Sem. Carvi,
schwarzer Kaffee, gelinde Adstringentien, wie
Kali carbon., Calcaria carbon., Argent. nitr.
fus., Plumbum acet., Jodtinctur, Alumen crud.,
Mineralsäuren, Acid. carbolicum, Essig, Ipe-
cacuanha und Tannin; die letzteren Mittel
sind namentlich bei alten Magenkatarrhen
und Erschlaffung der Magenhäute und der
Cardia indicirt, ihnen folgen zweckmässig
bittere und roborirende Medicamente. Die
Adstringentien gibt man in Solutionen. Hiebei
ist ruhiges Verhalten, Warmhalten des Leibes
und Einreibung des Bauches mit Spir. cam-
phorat. zu empfehlen. Die Homöopathen geben
Coculus, wenn Diarrhöe zugegen ist, Varatrum
alb., in hartnäckigen Fällen Cuprum. Anr.
Erbrechen erregende Mittel, s. Emetica.
Erbrechen verhindernde Mittel, s. Anti-
emetica, Emetica.
Erbsen (Pisum sativum) als Futter¬
mittel. Werden als Grünfutter sowie behufs
Körnergewinnung angebaut. Alle Bestand-
theile dieser Pflanze sind vortreffliche Futter¬
mittel. Grünerbsen enthalten:
13*3-23*9, im
Mittel
18 * 5 % Trockensubstanz
3'2— 3*9 „
35 „ stickstoffhaltige Stoffe
— — „
0'6 „ Rohfett
4*6—10*5 „
7*6 „ stickstofffreie Extractstoffe
3 0— 7*7 *
5'4 % Holzfaser
— — „
-
1 4 „ Asche
Bezüglich ihrer Verdaulichkeit dürften
sie sich am ehesten mit Grünwicken ver¬
gleichen lassen. Sie bilden vornehmlich ein
gutes Milchfutter, welches der Butter einen
sehr angenehmen Geschmack verleiht. Lassen
sich nicht leicht inDürrheu umwandeln, da sie
schwer trocknen. Dürrlieu enthielt 83*3%
Trockensubstanz, 14 3% Protein, 2*6% Roh-
fett, 34 * 2 % stickstofffreie Extractstoffe, 25 * 2 %
Holzfaser und 7'0% Asche.
Erbsenkörner enthalten:
77 9— 911,im Mittel 86‘8 70 Trockensubstanz
18 * 6—29'9 „ .. 22 ‘4 ., stickstoffhaltige Stoffe
0-6— 6 3 .. „ 3 0 Rohfett
41'9—59 * 6 „ 52*6., stickstofffreie Extraetstoffe
19— 9*2 „ 6*4 „ Holzfaser
— — „ 2’4 „ ABcbo
Gehören zu den nährstoffreichsten und
schmackhaftesten Kraftfuttermitteln. Sind auch
leicht verdaulich. Von den Nährstoffen ver¬
dauten :
Rohprotein Roh fett
Wiederkäuer 88,’ 9 % 74*7 %
Pfordo 83'0 * 6*9,
Schweine 85—90 „ 36—67 „
i. M. 88* 1 * i. M. 49*2 „
Stickstofffreie
Extractstoffe
93 ’ 3 %
89 0 „
95-99 „
Die Körner werden am besten als Schrot,
mit Häcksel u. dgl. vermengt, verfüttert. Sie
sind ein vorzügliches Kraftfutter für Zug¬
pferde, denen man davon bis zur Hälfte der
Körnerration geben kann. Vortreffliches Bei¬
futter für zurückgebliebene Fohlen (1 —t Pfd.),
überhaupt für die Aufzucht. Weniger gut
geeignet für tragende Thiere, weil zu
stickstoffreich und in grossen Mengen ver¬
füttert blähend. Mastfutter ersten Ranges für
Schweine, weil sie, wie die Gerste, ein
kerniges,' süsses Fleisch und ebensolchen
Speck erzeugen. Wirken auch auf die Milch-
secretion günstig ein: nach grossen Gaben
wird jedoch die Butter zu hart.
Erbsenstroh enthält:
-88'1, im
Mittel 85*7%
Trockensubstanz
-10*1 „
„ 7*3 ..
stickstoffhaltige Stoffe
3'3 „
2*0
Roh fett
-39 8 „
32'3
stickstofffreie Extractstoffe
-51 * 8
.. 39'2
Holzfaser
— „
4*9 ..
Asche
Eine der gehaltvollsten Strohsorten und
auch leicht verdaulich. Von sehr gutem Erbsen¬
stroh verdauten Wiederkäuer 60*5% Roh¬
protein, 45*9% Rohfett, 64*4% stickstoff¬
freie Extractstoffe. Kann, wenn in tadel¬
losem Zustande, sogar als theilweiser Ersatz
des Wiesenheues für Jungvieh dienen und ist
ebensogut geeignet für Rindvieh, Schafe und
Pferde. Für Milchvieh ist es nur als Neben-
futter verwendbar, weil zu grosse Gaben die
Milchproduction übel beeinflussen. Leider sind
das Erbsenstroh und die Spreu häufig von
verschiedenen Scbmarotzerpilzen [Mehlthau,
Eischimmel (Oidium erysiphoides), Schimmel
(Peronospora Viciae), Rost, Erbsen schoten-
rost (Gloesporinm Pisi), Schwärze (Clado-
sporium herbarum) u. a.] befallen und in
ERCOLANI. — ERDEN.
631
diesem Zustande ohne entsprechende Zube¬
reitung (Dämpfen) nur in geringen Mengen
verfütterbar.
Erbsenspreu enthält:
85-7-87-8, im
Mittel
86-0 %
Trockensubstanz
7-2—15*8 „
10*3 „
stickstoffhaltige Stoffe
1-0— 47 „
2-5 „
Rohfett
30-0—36-6 n
34 0 *
.stickstofffreie Extractstoffe
22*4—41*0 „
32 0 *
Holzfaser
— — „
*
.7-2 „
Asche
ist also noch wevthvoller wie das Stroh und
jhrer Zusammensetzung nach mittlerem Wiesen¬
heu vergleichbar. Ist in ähnlicher Weise wie
Stroh verwendbar und ausserdem als Zusatz
des Kochfutters für Schweine gut geeignet.
Als Abfälle bei Verarbeitung der Erbsen¬
körner zu Mehl u. dgl. sowie beim Schälen
derselben resultiren verschiedene, ebenfalls,
als Futtermittel gut verwendbare Materialien,
als da sind:
Erbsenkleie
Erbsenkleie- Erbsen¬
mehl malzmehl
mit Trockensub-
f SG'3-87-7%
84-6-87-7% 91 . g0/
im M. 86*4 „ yi J
stanz
lim M. 87-0 n
stickstoffhal¬
I 71— 8'0 -
110-16-4.
imM. 14-7 , 1 "
tigen Stoffen i
1 im M. 7" 4 *
**
Rohfett |
1 1-0— 2-6 „
1 im M. 1 • 5 „
0'7 — 3"S „ 2 .,.
imM. 1-9 „ * ö ”
stick stofffr. i
121-6—35-5 *
33-4-50-6 , 50 . 9
‘imM. 40-8. J "
Extractstoffen
lim M. 29 0 „
Holzfaser j
141-5—53-7 „
lim M. 46"3 „
13 6-32-3 „ ö .„
im M. 24 ‘ 8 „ ö u *
Asche
im M. 2'8 n
im M. 4 2 „ 2 6 *
Das Kleiemehl und das Malzmehl sind
sehr gute Kraftfutterstoffe; bezüglich ihrer
Verfütterung mag das bei den Körnern
Gesagte gelten. Erbsenmehl enthält nach
W o 1 ff: 86 * 6 % Trockensubstanz, 23 * 7 % stick¬
stoffhaltige Stoffe, 3'5%Rohfett, 54*5% stick¬
stofffreie Extractstoffe, 4‘5% Holzfaser und
3*5% Asche. Die Erbsenkleie hat wegen
ihres hohen Rohfaser- und geringen Nährstoff¬
gehaltes keinen grossen Futterwerth. Sie dient,
wie die Reisschalen, häufig zur Verfälschung
anderer Kleiesorten und von Futtermehlen. Pt.
Ercolani G. B. Conte, Dr. med., geb. 1817,
gest. 1884, war erst Professor an der Tbier-
arzneischule zu Turin, dann zu Bologna. Gab
1832 das esete italienische thierärztliche
Journal „Giomale di Veterinaria“ in Gemein¬
schaft mit Lessona heraus. 1831—54 erschien
von ihm „Ricerche storico-analitiche sugli
scrittori di veterinaria“. 1860 begann Ercolani
herauszugeben „Nuovi elementi di med. veter.“.
Ercolani war einer der fruchtbarsten und
thätigsten italienischen thierärztlichen Schrift¬
steller. - Semmtr .
Erdäpfel, s. unter Kartoffel.
Erdalkalien (erdige Alkalien) nennt man
die Oxyde und Oxydhydrate der Erdalkali¬
metalle, also Baryt = BaO, Strontian = SrO,
Kalk = CaO und Magnesia = MgO und die
entsprechenden Hydroxyde; sie sind sämmt-
lich weiss, in Wasser schwer löslich, bläuen
rothes Lackmuspapier und fällen aus den
Lösungen der meisten Metallsalze Metall¬
oxyde und Metalloxydffydrate, sie wirken
weniger stark ätzend wie die Alkalien, ihre
Lösungen nehmen aus der Luft Kohlensäure
auf, unter Bildung von kohlensauren Salzen
der betreffenden Erdalkalien, welche sich
auescheiden. Die Lösungen der Erdalkalien
in Wasser finden mannigfache Anwendung
in der Medicin und in der chemischen Technik
(s. Kalkwasser). Das Barytwasser wird bei
hygienischen Untersuchungen zur Absorption
der in einem bestimmten Volum Luft ent¬
haltenen Kohlensäure benützt (s. Luftana-
lyse). Loebisch. m
Erdalkalimetalle (Alkali-Erdmetalle), eine
Gruppe ton Metallen, welche nach ihrem
chemischen Verhalten die Stelle zwischen
den beiden Gruppen, welche man als Alkalien
und Erden bezeichnet, einnimrat. Man zählt
nunmehr zu dieser Gruppe die drei Metalle
Barium, Strontium und Calcium, früher wurde
auch noch Magnesium hieher gerechnet,
welches manche Eigenschaften allerdings
mit diesen gemein hat, jedoch insbesondere
wegen der Löslichkeit des Schwefel sauren
Salzes m einer Gruppe mit Zink und
Beryllium zusammengestellt wurde. Ent¬
sprechend der früher üblichen Eintheilung
wurde demgemäss Magnesiumoxyd unter
den Erdalkalien mitgerechnet. In ihren che¬
mischen Eigenschaften zeigen die drei Erd¬
metalle Calcium, .Strontium und Barium eine
Steigerun g von dem Calci um mit dem niedrigsten
Atomgewicht 40 beginnend bis zum Barium
mit dem Atomgewicht 137. Summirt man
die Atomgewichte von Calcium und Barium
40 + 137 = 177 und theilt durch 2, so er¬
hält man das Atomgewicht des Strontium 87*5
(statt 88*5), dessen chemisches Verhalten
thatsächlich in der Mitte zwischen dem von
Calcium und Barium liegt. So z. B. ist der
schwefelsaure Baryt ganz unlöslich in Wasser,
schwefelsaures Strontium schwer löslich darin,
und schwefelsaurer Kalk leichter löslich. Das
Bariumhydroxyd ist als Base energischer als
Strontium- und Calciumhydroxyd, es ist lös¬
licher in Wasser urid zeigt die stärkste An¬
ziehungskraft zur Kohlensäure, welche es
auch nicht so leicht beim Erhitzen abgibt
wie Strontium und Calcium. Auch die Erd¬
alkalimetalle zerlegen das Wasser bei ge¬
wöhnlicher Temperatur unter gleichzeitiger
Entwicklung von Wasserstoff, doch auch diese
Reaction geht bei der Einwirkung von Barium
auf Wasser mit grösserer Energie vor sich
ais bei der von Strontium und Calcium.
Magnesiummetall ist nicht im Stande, das
Wasser bei gewöhnlicher Temperatur zu zer¬
legen, es leistet dies selbst bei Siedhitze nur
langsam, ein Grundmehr, warum dasselbe nicht
in dieser Gruppe mitgezählt werden soll. Lh.
Erdbirnen, s. unter Topinambur.
Erde, japanische, Terra japonica, der
getrocknete Baumsaft mehrerer ostasiatischer
Bäume oder Sträucher, der unter dem Namen
Katechu officinell ist (s. d.). Vogel.
Erdtyyi M. (1782—1837) studirte Thier¬
arzneiwissenschaft in Wien, wurde erst Cor-
repetitor, dann Professor für Zootomie und
Zoophysiologie am Wiener Thierarznei-Institut.
Erdölyi gab. heraus Schriften über Druse,
über Anatomie, Physiologie. Alterslehre. Sr.
Erden werden die Oxyae der Erdmetalle
genannt, also die Sauerstoffverbindungen von
Aluminium und den sehr seltenen Metallen
632
ERDFLOH. — ERDNÜSSE UND ERDNUSSKÜCHEN.
Yttrium, Erbium, Cer, Lanthan, Didym. Die
Erden sind farblos, in Wasser unlöslich, die
Oxydhydrate der Erdmetalle sind schwache
Basen, sic bläuen Lackmuspapier. Das Thon¬
erdehydrat, Aluminiumoxydhydrat verhält sich
starken Basen gegenüber wie eine Säure. Lh .
* Erdfloh* Flohkäfer (Haltica), kleiner
Blattkäfer mit vier Gliedern an jedem Fusse,
welcher wegen seines bedeutenden Spring¬
vermögens vermittelst seiner verdickten Hinter¬
schenkel den Namen Floh erhalten hat, ob¬
gleich er mit dem eigentlichen Floh (Pulex),
welcher zu den Zweiflüglern gehört, nichts
gemein hat. Alle Erdflöhe — es* leben in
Europa mehrere hundert Arten — haben
einen mehr geschlossenen, eiförmigen oder
halbkugeligen Körper, fadenförmige, ziemlich
lange Fühler, durch welche sie sich, abge¬
sehen von der springenden Bewegung, am
auffälligsten von aem Rapsglanzkäfer (Meli-
getlies) mit keulenförmigen Fühlern, mit dem
sie häufig verwechselt.werden, unterscheiden.
Ihr Körper zeigt meistens einen metallischen
Glanz bei meist grünlicher bis schwarzer
Färbung. Einzelne Arten sind mit Abzeichen
versehen, so z.B. zeigt der gelbgestreifte Erdfloh
Fig. 517. Erdfloh, Haltica nemorum. a Larve; b Pupyo;
c Käfer.
(Haltica nemorum, Fig. 517) auf jeder Flügel¬
decke einen gelben Längsstreifen. Die Larven
sämmtlicher Arten sind mit drei Paar Brust¬
beinen, dunkelgefärbtem Kopfe versehen und
weiss bis gelb gefärbt. Alle Arten ernähren
sich von Pflanzen, besonders beliebt sind bei
vielen Arten die sog. Kreuzblüthler (Kohl¬
arten, Raps, Rettig etc.)/ Wegen ihrer grossen
Anzahl — der Erdfloh hat mehrere Gene¬
rationen in einem Jahre — und weil sie
schon die Keimblätter der eben genannten
Pflanzen vernichten, überhaupt die Pflanzen
im zartesten Alter angreifen, werden sie für
Landwirtschaft und Gartencultur sehr nach¬
theilig: sie machen in manchen Jahrgängen
die Cultur kohlartiger Gewächse geradezu
unmöglich. Haben die Pflänzchen bereits
mehrere Blätter, so überwinden sie den Frass
der Erdflöhe leichter. Jedoch kommt es vor,
besonders in warmen, trockenen Sommern,
dass Pflanzen, die bereits zum Umsetzen
herangewachsen sind, bis zum Absterben
oder doch Verkümmern zerfressen werden.
Die Zerstörungen der Erdflöhe sind daran
erkenntlich, dass die Blätter vielfach durch¬
löchert, aber niemals vom Ran3e her ange¬
griffen sind. Die Larven vieler Arten leben im
Blattgewebe und Stengel verschiedener Pflan¬
zen; sie sind im Allgemeinen wenig schädlich.
Bezüglich der Vertilgung des Käfers können
wir behaupten, dass wir bis jetzt kein sicheres
Mittel haben, die Pflanzen vollständig vor
den Erdflöhen zu schützen, eventuell letztere
zu vertilgen. Brümmer.
Erdgallkraut, das bei uns allgemein -und
fast in ganz Europa verbreitete, mit den rosen-
rothenBlüthen gesammelte Kraut derGen%nee
Erythraea Centaurium (s. d.). Vogel.
•Erdmandelöl nennt man das fette Oel
der Wurzelknollen von Cyperus esculentus L.,*
- es riecht nach Haselnüssen, schmeckt schwach
kampherartig und ist reich ah Pflanzenfett,
lässt sich daher leicht verseifen. Loebisch.
Erdmann C. G. H., Dr. phil., war Lehrer
der ‘Chemie, Physik und Pharmacie an der
.Thierarzneischule zu Berlin. 1841 gab Erd¬
mann ein Lehrbuch der Chemie und Pharma¬
kologie für Aerzte, Thierärzte und Pharma-
ceuten heraus. In Gemeinschaft mit Hcrtwig
verfasste er 1856 eine Receptirkunde und
Pharmakopöe für Thierärzte, die mehrere Auf¬
lagen erlebte. Sertimer.
Erdmetalle. In diese Gruppe von Me¬
tallen gehören Aluminium, Yttrium, Erbium,
Cer, Lanthan, Didvm, von denen das Alumi¬
nium wegen seiner grossen Verbreitung in der
Erdrinde in Form seiner Sauerstoffverbindung
A1 S 0 S = Thonerde, der ganzen Gruppe den
Namen gegeben hat. Die Oxyde der Erd¬
metalle sind ebenso wie die der Alkalien und
Erdalkalien weder durch Kohlenstoff noch
durch Wasserstoff reducirbar. Hingegen zer¬
setzt das Aluminium das Wasser bei höherer
Temperatur ähnlich dem Eisen unter Bildung
von Aluminiumoxyd und Entwicklung von
Wasserstoff. Loebisch.
Erdnüsse und Erdnusskuchen als Futter¬
mittel. Die Früchte oder Samen derErdnuss-
pflanze (Arachis hypogaea) r welche in den tropi¬
schen Ländern (westliches Afrika, Südamerika,
Ostindien, China, Japan) im Grossen angebaut'
wird, werden in riesigen Quantitäten behufs
Oelgewinnung nach Europa importirt. Die
Samen *), welche man auch Erdmandel, Erd¬
pistazie oder Mandudibohne nennt, dienen
ausserdem in den bezeichneten Ländern als
Nahrungsmittel; sie kommen in der Erde zur
Reife, indem sich die Blüthenstiele der frucht-
- baren Schmetterlingsblüthen (Papilionaecae)
nach dem Abblühen derart verlängern und
nach abwärts senken, dass der Fruchtknoten
schliesslich 5—8 cm tief in die Erde eindringt.
Die Fruchthülsen enthalten 2—3 längliclie
Samen, welche rothbraun sind, Zuweilen aucli.
weisslich. Die Samenlappen sind haselnuss-
artig, von süsslich-öligem Geschmack und sehr
ölreich. Sie enthalten:
93*2 — 93’7, im Mittel 93’5% Trockensubstanz
— — r - 2S 2 * stickstoffhaltige Stoffe
31 • 0 — r,rr, . . 41-0 * Rohfett**)
• — — * 7*2 „ 8tickstofffr.Exfcract8t.offe***)
— „ 13*0 r Holzfaser
— -- r - 3'i, Asche •
*) Nicht zu verwechseln mit den Worzelknollcn von
Lathyrus tuherosus und Carum bulbocastannm, die man
gleichfalls Erdnüsse nennt.
**) Das Erdnussöl enthalt Glyceride dpr Palmitin-,
Hypngaoa- und Avachinsäure.
* * * • Dm stfekstofffreien Evtractstoffe bestehen grossen-
theils aus Starke, etwas Gummi und Zucker. »
ERDNÜSSE UND ERDNUSSKUCHEN.
633
Die besten Erdnüsse kommen aus dem
Cayor-District in Senegambien (Rufisque), und
wird aus denselben ein hochfeines Salatöl
hergestellt. Weniger fein sind die Congo- und
Zanzibar-Nüsse. Aus indischen Nüssen wird
nur Oel zu technischen Zwecken (Seifenfabri-
cation) gewonnen. Die Erduüsse werden ent¬
weder mit oder ohne Hülsen verschifft. Die
erstere Methode ist vorzuziehen, weil die Nüsse
dabei meist in besserem Zustande in die Oel-
fabriken gelangen, woselbst aus ihnen das ent¬
haltene Oel durch hydraulische Pressung ge¬
wonnen wird. Freilich werden die Samen auf
diese Weise nicht vollständig entölt und ent¬
halten die als Futtermittel verwendeten Press¬
rückstände noch mehr oder minder beträcht¬
liche Fettmengen, was wesentlich zur Er¬
höhung des Futterwerthes beiträgt. Eine
vollständigere Entfettung erzielt man ver¬
mittelst Extraction durch Schwefelkohlenstoff.
•Ersterenfalls resultiren kuchenartige Rück¬
stände, die sog. Erdnusskuchen, letzteren-
falls Mehle, nämlich das Erdnussmehl. Die
im Handel vorkommenden Erdnussmehle sind
übrigens zuweilen auch nichts Anderes wie
gemahlene Kuchen und heissen dann richtiger
Erdnusskuchenmehl. Am bekanntesten *
und verbreitetsten sind die Erdnusskuchen,
von denen man wieder zwei Sorten unter¬
scheidet, nämlich geschälte (aus geschälten
Früchten gewonnene) und ungeschälte (von
nicht enthülsten Samen herrührend). Die
ersteren sind entschieden die werthvolleren.
Sie können nach v. 0liech dadurch noch
weiter veredelt werden, „dass man vor dem
Pressen die röthlichbraune Samenhaut und
den Keimling, welche einen bitteren Geschmack
besitzen und oft die Ursache sind, dass die
Kuchen nicht gerne von dem Vieh genommen
werden, durch Schälen entfernt“.
Die geschältem Kuchen enthalten:
87 ö—92 2, im
Mittel 90‘0% Trockensubstanz
36-5—52-9 „
47*6 „ stickstoffhaltige Stoffe
17—'75-6
7 5 Rohfett
17*2—33'6 „
., 24 ’0 „ stickstofffreie Extraetstoffe
3-8— 8*2 „
„ 5'4 , Holzfaser
— - „
„ 6'6 „ Asche
Sie gehören zu den stickstoffreichsten
vegetabilischen Kraftfuttermitteln und zeichnen
sich den ungeschälten Kuchen gegenüber
vor Allem durch ihren höheren Protein- und
geringeren Rohfasergehalt aus.. Die- unge¬
schälten Kuchen enthalten:
8s'2—92‘2, im Mittel 90'2% Trockensubstanz
23 2—37-2 r
„ 31*0 *
stickstoffhaltige Stoffe *
5-1 —11-2 r
^ 8'9 „
Roh fett
11-9—30-2 *
, 20*7 „
stickstofffreie Extraetstoffe
191— 28-0 *
- 22 7 „
Holzfaser
— — *
„ 69 n
Asche
Die Verdaulichkeit der geschälten Erd¬
nusskuchen für Wiederkäuer beziffert v. Wolff
nach einem Verdauungsversuch mit Schafen
auf 90*9% des Rohproteins, 85*7% des Roh¬
fettes und 98 * 1 % der stickstofffreien Extract-
stoffe. Gute Erdnusskuchen sind von weissröth-
licher oder weissgrauer Farbe, angenehm süs§-
lichem Geschmack und zcrtheilen sich, wenn
man sie in Wasser verrührt, leicht. Wenn man
mit Wasser verrührtes Kuchenmehl oder der-
gleichenin einemhohen Trinkglas mit Jodlösung
versetzt, soll es nach Holdefleiss eine schöne
Blaufärbung zeigen, während schlechte (verdor¬
bene) Kuchen eine mehr grünliche bis schmutzig-
grüne Färbung annehmen, weil die in ihnen
vorhandene Stärke sich zersetzt hat. Alle land-
wirthschaftlichen Nutzthiere verzehren gute
Erdnusskuchen ihres Wohlgeschmackes wegen
mit Vorliebe. Die Erdnusskuchen sind besonders ■
als Kraftfutter für Milchkühe hoch beliebt, weil
sie die Milchqualität günstig beeinflussen. Auch
zürn theilweisen Ersatz des Hafers für Pferde
haben sie sich gut bewährt. C. Frey tag und
v. d. Becke empfehlen z. B. Pferden an¬
statt 6 kg Hafer nur 4 kg Hafer und 1 kg
Erdnusskuchen zu geben. Die Pferde erwiesen
sich nach der Beifütterung von Erdnusskuchen
feuriger und ausdauernder. In Trankform ver¬
abreicht, befördern die Erdnusskuchen den
Haarwechsel. Man gibt sie übrigens sonst den
Thieren am besten in Schrotform vor: das
Schrot wird trocken über das andere Kurz-
futter gestreut, resp. mit diesem vermengt.,
In letzterer Form sind sie auch als Kraft¬
futter für Schafe, Schweine, Jung- und
Mastvieh gut verwendbar. Andere Beschrän¬
kungen, als sich aus dem hohen Nährstoff¬
gehalt der Kuchen von selbst ergeben, sind
bezüglich der Grösse der zu verabreichenden
Mengen nicht zu beobachten, wenn die Kuchen
oder Kuchenmehle von tadelloser Beschaffenheit
sind. Es kommt aber sehr häufig vor, dass
mit schädlichen Fremdbestandtheilen (Haaren,
Eisen- und Blechtheilcn, Sand u. dgl.)' ver¬
mischte, ferner stark mit Mikroorganismen
durchsetzte, ranzige und schimmlige Kuchen,
% sowie auch mit schädlichen Substanzen ab¬
sichtlich vermischte Kuchen und Kuchenmehle
in den Handel gebracht werden. Hiedurch ist
die Erdnusskuchenfütterung in Misscredit ge¬
bracht worden, indem sie nämlich zuweilen
heftige Verdauungsstörungen (Koliken, Durch¬
fälle), Verwerfen der Mutterthiere, Gelenklähme'
beim Jungvieh, Sterben der Lämmer und
Milchkühe verursachte.
Die in den Kuchen oft .reichlich vorhan¬
denen Haare rühren von den aus Kameel¬
oder Pferdehaar gewebten Presstüchern her.
Man kann die Haare nur dadurch beseitigen,
dass die Kuchen gemahlen und ausgesiebt
werden. Cohn und Eidam fanden in Erd-
nüsskuchen einen gelben und einen schwarzen
Aspergillus, ferner mehrere Mucorarten. Diese
und wahrscheinlich noch andere Mikroorga¬
nismen (Bacterium und Micrococcus) ver¬
ursachen durch ihre Wucherung in den Erd¬
nusskuchen oder auf den Erdnüssen zweifellos
einschneidende Veränderungen, die sich nach
Holdefleiss hauptsächlich durch Zurück¬
gehen des Eiweissgehaltes kenntlich machen.
Jedenfalls führen sie zur Entstehung gesund¬
heitsschädlicher Zersetzungsproducte, wie z. B.
von Ptomainen (den Pflänzenalkaloiden ähn¬
liche Substanzen), die ja zum Theil sehr giftig
sind. Dass viele Krankheiten, welche nach dem
Genüsse zersetzter Nahrungsmittel auftreten,
durch Ptomaine hervorgebracht werden, scheint
nach neueren Untersuchungen kaum mehr
zweifelhaft zu sein. (Bergmann hat eine pto-
634
ERDNUSSÖL. — ERDT.
mainähnliche Substanz [Sepsin] in gefaulter
Hefe gefunden. Nach den Untersuchungen von
Brugnatelli, ferner von Pellagio und Erba ist es
höchst wahrscheinlich, dass die Pellagra [Lepra
lombardica] auf im faulenden Mais entstehende
Ptomaine zurückzuführen ist.) Verdächtig
sind alle chö coladefarbigen, überhaupt
dunkel gefärbten Kuchen. Sie rühren meist von
unreifen, beim Seetransport verdorbenen Samen
her, enthalten ranziges Fett, zersetzte Stärke,
viele Pilzorganismen und sind daher stets nur
mit grosser Vorsicht zu verfüttern. Schmecken
die Kuchen ranzig, bitter und herb, so kann man
um so bestimmter annehmen, dass sie verdorben
sind. Besonders zu warnen ist vor den absicht¬
lich verfälschten Erdnusskuchen. Dr. Anacker
fand z. B. in Erdnusskuchen, die sich als in¬
tensiv gesundheitsschädlich für Kühe, Kälber,
Schafe und Ziegen erwiesen hatten, neben
Pilzwucherungen vielen Sand, Steinchen so¬
wie Ricinus- und Crotonöl. Heinrich hat
einige Erdnusskuchen untersucht, welche wenig
oder gar kein Erdnussöl, dagegen aber 9%
eines dunklen, braunen Oeles enthielten (wahr¬
scheinlich Baumwollsamenöl), das denselben
künstlich zu gesetzt worden sein musste.
Die beim Enthülsen der Erdnüsse resul-
tirenden Schalen, welche im gemahlenen
Zustande zur Verfälschung von Leinmehl u. dgl.
dienten, werden neuestens auch als Futter¬
mittel ausgeboten. Bei verschiedenen Proben
dieser Schalen („Erdnusskleie“) schwankte der
Proteingehalt zwischen 6*55 und 20*74%,
der Fettgehalt zwischen 2*85 und 17*34%,
und sind dieselben mithin nicht ganz werthlos.
Sie gelten aber gewiss nicht mit Unrecht
als schwerverdaulich. Pott.
Erdnussöl. Das aus den Blüthen der in
Nordamerika häufig wachsenden Gaultheria
procumbens L. bereitete Gaultheriaöl, im
amerikanischen Volksmund auch Wintergreen-
oil genannt. Es ist frisch farblos, wird aber
an der Luft röthlich, von angenehmem Ge¬
ruch und süsslich gewürzhaftem Geschmack.
Es siedet zwischen 200 und 222 °C. Es ist ein
Gemenge von etwa °/ 10 des Methyläthers der
Salicylsäure und l / xo eines dem Pfeiferöl ähn¬
lich riechenden Kamphers des Gaultherileus.
Das Erdnussöl gehört in Nordamerika zu den
populärsten Hausmitteln zur Einreibung bei
rheumatischen Schmerzen, auch als Wund¬
verbandmittel. In grösseren Dosen (30 g) in¬
nerlich als Magenmittel angewendet, wurden
bei Kindern Vergiftungen beobachtet. Lh .
Erdöl (Steinöl, Petroleum, Naphtha). Schon
im Alterthum waren Quellen bekannt, welche
angezündet brannten. Berühmt waren in dieser
Beziehung die Quellen von Agrigent inSicilien,
von Baku in Kleinasien am kaspischen Meere,
ln neuerer Zeit wurden in Pennsylvanien
ausserordentlich reiche Quellen von Erdöl
erschlossen, wodurch dasselbe diesseits und
jenseits des Oceans zu einem weitverbreiteten
Beleuchtungs- und Heizmateriale wurde. Die
Erdöle verdanken ihre Entzündungsfähig¬
keit den Kohlenwasserstoffen, aus denen
sie bestehen. Sie sind nämlich Gemenge
mehrerer Kohlenwasserstoffe der Sumpfgas-
und Aethylenreihe. In der homologen Reihe
der genannten Kohlenwasserstoffe, in welcher
jedes nachfolgende Glied um 1 Atom Kohlen¬
stoff und um 2 Atome Wasserstoff mehr ent¬
hält als das vorhergehende Glied, verhält
sich der Aggregatzustand der Kohlenwasser¬
stoffe in der Weise, dass diejenigen mit wenig
Kohlenstoff bei gewöhnlicher Temperatur gas¬
förmig, diehiit mehr Kohlenstoff unter gleichen
Verhältnissen flüssig und die mit noch mehr
Kohlenstoff bei gewöhnlicher Temperatur starr
sind. Das Erdöl besteht demnach aus einem
Gemenge von leichtflüchtigen, flüssigen und
starren Kohlenwasserstoffen, welche letztere
durch die flüssigen in Lösung gehalten wer¬
den. Durch die Gegenwart der leicht flüch¬
tigen Kohlenwasserstoffe erhält das Erdöl
die Fähigkeit, schon bei relativ niedriger
Temperatur sich zu entzünden. Da hiedurch
beim Gebrauch des Erdöls häufig Explosionen
stattfanden, war die Industrie darauf bedacht,
die leichtflüchtigen Bestandtheile von den¬
selben zu trennen, in der Weise, dass gegen-
wärtignur solches Petroleum zur Beleuchtung
in den hiefür construirten Lampen benützt
werden darf, aus welchem sämmtliche bei
80° C. siedenden Kohlenwasserstoffe durch
Destillation entfernt sind. Ein solches Erdöl
heisst dann raffinirtes Petroleum. Die wich¬
tigsten Producte, welche man bei der De¬
stillation des rohenErdöls gewinnt, sind:
1. Als flüchtigstes Product das bei 30° C.
siedende Rhigolen. 2. Zwischen 50—60°
siedend Petrol eumäth er vom spec. Gew. 0*67
in der chemischen Technik häufig benützt.
3. Ein etwas höher siedender Petroleum¬
äther (II) wird in der Industrie zum Aus¬
ziehen von Oel und Fett aus Samen benützt.
4. Bei 80° C. gewinnt man das Benzin und
das diesem ähnliche Ligroin, welches schon
als Brennmaterial in eigens hiezu construirten
Lampen benützt wird. Alle bisher genannten
Stoffe haben einen eigentümlichen ätherischen
Geruch und sind wegen ihrer grossen Flüch¬
tigkeit sehr feuergefährlich. Das gereinigte
Petroleum ist nun von allen diesen Stoffen
durch Destillation befreit, zeigt das spec.
Gew. von 0*78—0*82 und brennt nur mit
Hilfe eines Dochtes. Es ist wasserhell schwach
gelblich und schillert schön blau. Nachdem
dieses Brennöl abdestillirt wurde, bleiben noch
schwere Gele von 0*9 spec. Gew. zurück,
welche als Schmieröle benützt werden;
manche Erdölsorten liefern als letzten Rück¬
stand feste Kohlenwasserstoffe, welche als
Paraffin in den Handel kommen. Loebisch.
Das Erdöl ist als Antiparasiticum offici-
nell, u. zw. nach der Pharmacopoea Austriaca
unter dem Namen Petroleum rectificatum und
nach der Pharmacopoea Germanica als Benzi-
num Petrolei (s. Benzin und Benzol). Vogel.
Er d8 eileibe, 8. Cyclamen europaeum.
Erdschierling. s. Conium maculatum.
Erdt W. E. H. studirte Thierarzneikunde
in Berlin, schrieb in Gurlt und Hertwig’s Maga¬
zin über Schafkrankheiten, KnochenraehlfÜtte-
rung, das Thierarzneiwesen im preussischen
Staate (1861—1862). Semmer.
- >* REGISTER ZUM ZWEITEN BAND. -
(Dieses Register vervollständigt, ergänzt und berichtigt die Materie des II. Randes.)
BUCHELN.
Buchein, s. Bucheckern.
Bügel, s. Kehlkopf der Vögel
Caniramin, eine von Geiger für das Bru-
cin vorgeschlagenc Benennung, herrührend
von dem ostindischen Namen der Brechnuss, in
welcher das Alkaloid Brucin neben Strychnin
vorkommt. Loe bisch.
Canis familiaris palustris lado-
gensis. Beim Durchstich des Siaser Canales
am Ladoga-See fand man in Weehsellagern
von Torf und Sand Knochen des Menschen und
des Hundes nebst Culturspuren. Diese Funde
wurden wegen der Fauna und der Stein- und
Bein Werkzeuge in die prähistorische Periode
zwischen die dänischen Küchcnabfälle (Kjüken-
möddinger, s. d.) und die Schweizer Pfahl¬
bauten, u. zw. in die neolithische Zeit gestellt.
Prof. Anucin in Moskau berichtet nun. dass
sich unter den ihm von Prof. Inostranzew
übergebenen Resten zwei Hundeformen befin¬
den, eine kleinere und eine grössere. Die
kleinere Form Nr. 1 stimmt im Ganzen mit
Canis familiaris palustris Etitim. (s. d.) über¬
ein, besonders mit den stärksten Exemplaren,
ist jedoch nicht identisch mit demselben: das
Profil ist minder eingebogen, die Schnauze
weniger gespitzt, im Allgemeinen war dieser
Hund minder zahm als der Torfhund. Anucin
vergleicht diesen v Ladogasee-Hund mit dem
sibirischen Hund n Safka u und findet die grösste
Uebereinstimmung, woraus hervorgehen soll,
dass der Canis familiaris palustris ladogensis
nicht minder verbreitet war als der Torfhund.
Canis familiaris Inostranzew. Die
grössere Hundeform Nr. 2 der am Ladoga-See
entdeckten prähistorischen Funde stimmt in
Gestalt überein mit Canis familiaris inter-
medius Woldrich (s. d.), ist jedoch ebenfalls
grösser, hat beinahe die Grösse des Bronze¬
hundes (Canis familiaris matris optimae Jeitt.,
s. d.): diese Form wird von Anucin Canis
familiaris Inostranzew benannt.
Literatur. D. N Anucin, Sobakn, wolk i lisica (Hund,
Wolf und Fuchs), Moskau 1882. Mit 2 Tafeln. Mittheiluugen
der anthrop. Gesellschaft in Wien 1883, XIII. Baud, p. 82.
Koudclka.
Caraooiiren von caracoler, d. h. schnelle
Wendung, Schwenkung mit dem Pferde
machen. Das Pferd führt eine Viertelum¬
drehung aus, wobei jedoch nicht an Boden
gewonnen werden darf. Um schön caracoliren
zu können, muss das Pferd gut auf der Stelle
versammelt und darauf erst die Wendung
gemacht werden. Grassmann .
Ceremonialge8etz. Im Allgemeinen der
Inbegriff jener Bestimmungen in den Gesetz¬
gebungen der Völker im Alterthume und der
— EMBRYO.
heidnischen Völker bis auf unsere Zeit, durch
welche der Götter-, insbesondere der Opfer¬
dienst geregelt wird.
Da in den meisten Staaten des Alter¬
thums die Staatseinlichtung auf theokrati-
scher Grundlage beruhte und der Götter-
cultus eine der wichtigsten staatlichen Func¬
tionen war, so bildete auch das Ceremo-
nialgesetz den hervorragendsten Theil der
Staatsverfassung.
Im engeren Sinne versteht man unter
Ceremonialgesetz die auf den Gottesdienst
Bezug habenden Theile des mosaischen Ge¬
setzes. insbesondere die Vorschriften über die
während der staatlichen Selbständigkeit der
Juden geübten Opferdienste, wie sie ur¬
sprünglich in den. fünf Büchern Mosis fest¬
gesetzt wurden und hierauf durch Tradition
weitere Ausbildung fanden.
Den Abschluss und die nähere Erklärung
fand das mosaische Ceremonialgesetz iin
Talmud. Mansch .
Cervicalcanal, s. Gebärmutter.
Chätillonal8. Die mit diesem Namen be-
zeichneten Schafe gehören dem reinen Me¬
rinostypus an (Merinosschaf). Deren Ver¬
breitungsbezirk ist, wie schon der Name an¬
zeigt, die Umgegend von Chätillon-sur-Seine,
Hauptstadt des gleichnamigen Arrondisse-
* ments im Departement Cöte <TOr, eine Hoch¬
ebene mit mildem und warmem Klima. Nach
der Saöne zu finden sich reiche Weiden,
vorzüglich zur Schafzucht und Viehmast ge¬
eignet. Die unter dem Namen Chätillonais
bekannten Schafe sind wohl reine Merino8-
rasse, es führen einzelne Heerden, wie die
von Montenot-Beau zu Nesles, nachweislich
auf rein spanische Abkunft zurück. Früher
war bei der Zucht dieses Typus die Produc¬
tion einer hochfeinen edlen Wolle der erste
Factor, weniger wurde auf Formenentwicklung
Gewicht gelegt; in neuerer Zeit hat man
auch dieser Rechnung getragen und gestrebt,
die Formen zu vergrössern und für Fleisch¬
bildung geeigneter zu machen, wobei dann
allerdings den Adel und die Feinheit der
Wolle Einbnsse erleiden mussten. Als die
beste Heerde, welche beide Eigenschaften
am glücklichsten zu vereinigen wusste, wird
diejenige von Japiot-Cotton gerühmt; ebenso
die des Herrn A. Maitre in Chätillon, die
sich noch durch bessere Fleischformen aus¬
zeichnen soll. Häufig kommen bei den Chä¬
tillonais ungehörnte Böcke vor. Bohm.
Chevißtschaf. Der Heimatsbezirk des¬
selben ist Süd-Schottland, u. zw. ganz speciell
sind es die Cheviotberge, die nordöstlichsten
REGISTER ZUM ZWEITEN BAND.
Ausläufer der schottischen Grenzgebirge. Diese
Cheviotberge sind eine Reihe einzelner Kegel-
formen, welche sich theils in ihrer Grund¬
fläche berühren, theils durch fruchtbare Thäler
von einander getrennt sind. Die Vegetation
auf den Bergkegeln ist bis fast auf die Spitze
eine ausgiebige; verschiedene Grasarten, wilder
Feldkümmel und Farrenkräuter gedeihen dort
vorzüglich und überziehen das Erdreichen
dichter Decke. Nach Norden zu verlaufen
diese Bergkegel schliesslich in Haideland,
nach Süden zu in fruchtbaren Boden.
Die erste Schilderung des dort heimischen
'Schafes erhalten wir im Jahre 1792 von
Sinclair; danach waren die Thiere gut von
Formen und so gut entwickelt, dass das
Vordertheil kn Schlachtgewichte dem Hinter-
theil gleichkam. Nach ihm waren die Thiere
hochbeinig, erreichten dadurch aber eine
grössere Marschfertigkeit, was ihnen bei der
Ueberschreitung von Sümpfen und Schnee¬
feldern sehr zu statten gekommen wäre. Das
Vliess ist nach seiner Angabe ein im Stapel
kürzeres und dabei in der Decke gut geschlos¬
senes. Die Haltung der Thiere scheint in
jenen Zeiten eine sehr harte gewpsen zu sein,
denn er nennt sie gute Schneegänger und
erwähnt, dass sie künstliches Futter nie er¬
hielten, als nur, wenn sie gemästet würden.
D. Low schildert die Thiere als in beiden
Geschlechtern ungehörnt, mit fast durch-
gehends weissen Gesichtern, höchst selten
nur käme ein dunkelgefärbtes (dun) vor. Das
herYorstehende Auge sei lebhaft, das Ohr
gross, der Leib lang, daher dasselbe auch
im Volksmunde dort als „lange Rasse“ be¬
zeichnet würde.
Die Thiere besitzen ein grosses An¬
passungsvermögen, fugen sich leicht den ver¬
schiedensten Lebensbedingungen; in. flacher,
nahrhafter Gegend werden sie grösser, ihre#
ganzen Körperverhältnisse schwerer, massiger,
in dürftigeren "Gegenden sind sie leichter
und kleiner. Die Wolle des früheren. Cheviot¬
schafes gehörte zu den feinsten Englands,
wenn auch nicht ganz so fein als die des
Ryelandschafes, doch gehörte solches noch
Römer zu derjenigen Gruppe von Schafen,
deren Wollkleid aus dem reinen, markfreien
Wollhaare ohne jede Beimischung von Grannen¬
haar besteht. Low gibt das Durchschnitts¬
gewicht des Vliesses in gewaschenem Zu¬
stande auf 1*50 kg an. Das Fleisch wurde
als ein sehr schmackhaftes gerühmt.
Mit vorschreitender Cultur haben die
Züchter dieses Schafes sehr grosse Sorgfalt
auf dasselbe verwendet, namentlich auf die
Entwicklung von Fleischformen. Die Er¬
nährungsweise ist eine ganz andere geworden,
man baut Turnips für dieselben, sorgt für
die Winterszeit auch für gutes, trockenes
Futter. Um grössere und entwickeltere Fleisch¬
formen zu erreichen, wurden vielfache Kreu¬
zungen, früher mit der Southdown-, dann mit
der New-Leicesterzucht vorgenommen. Da¬
durch erhielt die Wolle einen ganz anderen
Charakter. Das heutige improved Cheviot
slieep trägt eine Wolle von bedeutend grösserer
Haarstärke wie fiüher, die stark gewellt ist,
einen seidenartigen Glanz hat und bei zwölf¬
monatlichem Wüchse eine Länge von 12 bis
14 cm erreicht. Das Schurgewicht eines nur
massig mit Fettschweiss durchsetzten Vliesses
ist 2^-2 % kg, eignet sich aber nicht mehr
wie früher zur Herstellung gewalkter Stoffe;
dagegen wird es von deutschen Fabrikanten,
namentlich in neuester Zeit zur Herstellung
eleganter Kammgarnstoffe mit Vorliebe ver¬
arbeitet. Bohm.
Chromogene Spaltpilze. Micrococcus galli~
narum. Irrthümlich ist dieser Spaltpilz der
Hühnercholera unter die „Chromogenen Spalt¬
pilze“ gerathen, wohin er nicht gehört. Harz.
Chymiflcationsmagen, s. Magen der Wie¬
derkäuer.
Civilprocessverfahren oder bürgerliches
Rechts verfahren erstreckt sich auf die. Ent¬
scheidung streitiger Civilrechtssachen und
steht im Gegensatz zum Criminalprocess. Die
meisten Sfreitigkeiten im Thierhandel werden
auf civilrechtlichen Wege entschieden, da sie
in die Gruppe der Schädigungen des Eigen¬
thums und Uebervortheilungen fallen. Nur die
in böswilliger Absicht vorgenommenen Be¬
schädigungen und Tödtungen von Thieren
und Fälschungen ira Thierhandel gehören vor
das Criminalgericht. Semmer.
Code. Im Allgemeinen Gesetzbuch. Im
Besondern die französische Gesetzsammlung,
die unter Napoleon I. in den Jahren 1804 bis
1810 (code Napolöon) publicirt wurde. Sic
zerfällt in 5 Thcile, u. zw.: Die Codificirung
des Civilrechtcs (code civil), des Strafrechtes
(code pönal), des Handelsrechtes (code de
commerce), des Civilprocesses (code de pro-
cödure civile) und des Strafprocesses (code
dMnstruction criminelle). Der Code warde nicht
allein in Frankreich, sondern auch in jenen
Theilen Deutschlands publicirt, die zur Zeit der
Entstehung des Code dem Rheinbunde ange¬
hörten. Aber auch nach Beendigung der Fran-
zosenherrschaft blieb der code civil geltendes
Recht in diesen deutschen Landen, so in den
preussischen, bairischen und hessischen Rhein¬
provinzen und in Baden. Daselbst wurde" es
als badisches Landrecht anerkannt. Ausserdem
gelten alle Theile des Code mit mehrfachen
Modificationen seit 1865 in Rumänien. Mansch.
Codex. Im Allgemeinen ein Buch, ge¬
wöhnlich wird darunter ein Gesetzbuch ver¬
standen. Spcciell wird jedoch mit der Be¬
zeichnung Codex jener Theil der justiniani¬
schen Gesetzsammlung verstanden, der die
Rescripte und Verordnungen des römischen
Kaisers enthält. Er bildet einen Theil des
corpus juris civilis, wurde im Jahre 529 n. Chr.
unter der Regierung des Kaisers Justinian
publicirt und zerfällt in 50 libri, welche wieder
in Fragmente oder lcges (Gesetzes) zer¬
fallen. Als ein Theil des corpus juris civilis
wurde der Codex auch in Deutschland ein¬
geführt und bildete daselbst einen Theil des
geltenden gemeinen Rechtes. Mansch.
Coloradokäfer, s. Kartoffelkäfer.
Dalwitz. Das im Grossherzogthum Meck¬
lenburg-Schwerin unweit Teterow gelegene
REGISTER ZUM ZWEITER BAND.
Dalwitzer Gestüt des Heinrich Ludwig Grafen
v. Bassewitz wird nicht nur auf Dalwitz,
zu welchem Gross-Dalwitz gehört, sondern
* auch auf den übrigen die Grafschaft bildenden
Gütern Stechow, an dem Hennig Graf v. ‘Bas¬
sewitz, Sohn des Gfafen Heinrich, das Mit¬
eigenthumsrecht besitzt, sowie auf Stierow,
Strietfeld, Gnewitz, Zarnewanz und Barkvieren
unterhalten. Das Gesammtareal dieser Güter
beträgt 4687’8 ha, darunter bedeutende Wiesen
von verschiedener Beschaffenheit. Der ge-
sammte Pferdebestand zählte 1885 304 Pferde
und Fohlen. Von ihnen dienen 194 den land-
-wirthschaftlichen Zwecken und 110 Pferde
bilden das Gestüt* Dasselbe besteht aus
5 Beschälern, 19 Mutterstuten, 30 edleren
Fohlen und 40 Fohlen des Ackerpferdschlages.
Von den Beschälern stehen 4 in Dalwitz und
1 in Gnewitz, sie decken nicht nur Gestüts-,
sondern auch fremde Stuten. Ebenso sind die
Mutterstuten und Fohlen, letztere in Rück¬
sicht auf die jedesmal vorhandenen Futter¬
mittel, auf die einzelnen Güter beliebig
wechselnd vertheilt. Die edleren Fohlen-
bleiben im ersten und zweiten Jahr bei
Kraftfutter im Stall, weiden das dritte und
vierte Jahr mit den übrigen Fohlen, die auch
das erste und zweite Jahr auf die Koppel
getrieben werden, zusammen. Das Gestüt
wurde um das Jahr 1850 gegründet. Der
* er$te Mutterstutenstamm bestand aus edleren
Halbblutstuten, die bald durch stärkere ersetzt
wurden. Als Beschäler fanden englische Voll¬
bluthengste Verwendung, unter ihnen von
1867 bis 1883 der in Basedow, dem gräflich
Hahn’schen Gestüte, gezüchtete und auf dem
Turf wohlbekannte Meleager von Blackdrop
aus der Brown Bess von Glaucus. Zwei der
gegenwärtigen Beschäler sind von Meleager
gefallen. Seit 1860 neigt das Gestüt, wie es
in Mecklenburg zur Allgemeinheit geworden,
dazu hin, ein massiges Pferd zu züchten, so dass
z. Z. auch ein Percheron- und ein Pinzgauer
Beschäler benützt werden. Einige der jetzigen
Mutterstuten sind von Percheronhengsten ge¬
fallen; mit Vollblut gepaart liefern jene zum
Theil praktische Reit- und namentlich gute
Wagenpferde. Grassmann ..
Dialyse, ein Verfahren, welches man an¬
wendet, um krystallisirbare Substanzen von
unkrystallisirbaren Stoffen, den sog. Colloid-
substanzen (s. d.), welche sich beide in einer
Lösung befinden, zu trennen. Diese Trennungs¬
methode gründet sich auf die von Graham
ermittelte Thatsache, dass sämmtliche in
Wasser gelösten Stoffe nach ihrem Verhalten
gegen feuchte Membranen (thierisch^ Blase,
vegetabilisches Pergamentpapier) in zwei
Gruppen gesondert werden können: in solche,
welche jene Membranen durchdringen, wenn
sich jenseits derselben Wasser befindet, also
durch die Membran diffundiren, krystalloide
Stoffe, und in solche, denen diese Fähigkeit
abgeht — colloide Stoffe. Diese letzteren
sind nicht krystallisationsfähig. Senkt man
also eine Lösung, welche z. B. unorganische
Salze und Eiweiss enthält, in Gefässen, deren
Boden durch ein Diaphragma von Pergament¬
papier ersetzt ist, in ein grösseres mit Wasser
efülltes Gefäss zum Theil ein, so diffundiren
ie Salze allmälig durch das Diaphragma in
das äussere Wasser hinüber, während das Ei¬
weiss als Colloidsubstanz zurückbleibt. Lh.
Discomyces nannte Rivolta die von Harz
als Actinomyces bezeichnete Gattung. Harz.
Oi8Comycetes, s. Ascomycetes.. Harz.
Disqualification, disqualificirt (latein.
mangelnde Befähigung, Untauglichkeit — zu
etwas unfähig, untauglich machen), ist im
sportsman’schen Sinne der Mangel einer der
' zur Qualification nach den betreffenden
Rennbestiramungen (Rennprogramm) gefor¬
derten Bedingungen, weshalb ein diesen Be¬
dingungen nicht entsprechendes Pferd nicht
mitlaufen darf, beziehungsweise keinen-An¬
spruch auf einen Preis hat. Ein Pferd wird
disqualificirt, wenn es auf der, Reugeldliste
steht, ferner wenn es unter unwahren An¬
gaben genannt wurde oder unter falschen
Angaben gelaufen ist. Auch* Trainer, Jockeys
und Besitzer von Rennpferden können aus '
mehrfachen Ursachen disqualificirt sein und
die Disqualification i\ber dieselben temporär
oder auch dauernd verhängt werden. Lechntr.*
E ist die in ophthalmologischen Werken
häufig gebrauchte Abkürzung für Emmetropie
(Normalsichtigkeit, s. d.). Dass ein Auge nor¬
malsichtig sei, wird dann durch eine Gleichung
ausgedrückt, wobei .auf die eine Seite daa
Auge, auf die andere das Symbol für Emme¬
tropie (E) zu stehen kommt; es wird also
die Notiz, das linke Auge eines Patienten sei
normalsichtig befunden worden, zu schreiben
sein: L. A. = E (Linkes Auge = Emme¬
tropie). Schlampp ..
Egyptische Pferdezucht. Ueber die Bedeu¬
tung der egyptischen Pferdezucht in* ältester
Zeit wird manches Fabelhafte erzählt. Erst seit
dem Einfalle der Hyksos scheint die Gattung
Equus Caballus in Egypten grössere Verbreitung
gefunden zu haben, und es ist nicht unwahr¬
scheinlich, dass dort bis zu unserer Zeit der
Esel allein als Reit- und Lastthier benützt
worden ist. — Von verschiedenen Autoren
wird zwar heute noch Egypten als die Heimat
des Pferdes bezeichnet, obgleich niemals in
der Bilderschrift der altegyptischen Baudenk¬
mäler Pferde entdeckt sind. Erst beim Aus¬
zuge der Juden aus jenem Nillande wird das ,
Pferd als Reit- und Zugthier erwähnt. Pharao
verfolgte die Juden mit Wagen und Reitern.
— In späterer Zeit hat dort die Pferdezucht
ohne Frage eine ziemlich grosse Bedeutung
erlangt, und es ist dieselbe im ganzen Lande
sehr umfangreich betrieben worden. Zu Anfang
des vorigen Jahrhunderts sollen aus Egypten
mehrfach schöne, rasche Pferde nach Europa
verschifft worden sein, die hier grossen Beifall
fanden. Unter der Regierung des Mehemet Ali
hat die egyptische Pferdezucht einen grossen
Aufschwung genommen; derselbe errichtete an
verschiedenen Orten des Nilthaies grosse
Stutereien, die hauptsächlich mit arabischen
Hengsten besetzt wurden. Ferner haben auch
die Mameluken sehr viel zur Verbesserung
litizedJay
Google
REGISTER ZUM ZWEITEN BAND.
der dortigen Zucht beigetragen; sie waren
nicht nur tüchtige Reiter, sondern verstanden
auch ihre Pferde gut zu pflegen und die Auf¬
zucht. der Fohlen geschickt zu betreiben. —
Zur Zeit Napoleon I. setzten die tapferen
Mameluken mit ihren raschen und gewandten
Pferden die Sieger von Lodi in grösstes
Erstaunen, und man wusste nicht recht,
ob man die Reiter oder die Leistungen
ihrer schönen Pferde mehr bewundern sollte.
— In den letzten Jahrzehnten hat die Zucht
und die Dressur der Pferde in Egypten viel
vom alten Ruhme eingebüsst; diese wie jene
wurde mehr und mehr vernachlässigt, und nur
an wenigen Orten fanden sich tüchtige, brauch¬
bare Rosse. — Nach einer statistischen Angabe
des „Journal of the Statistical Society“ in
London besitzt Egypten etwa 18.200 Pferde
neben 96.700 Eseln und Maulthieren. Wir
ersehen aus diesen Zahlen, dass dort der Esel
und dessen Bastard als Reitthier in ungleich
grösserer Zahl gehalten und vielleicht auch
höher geschätzt wird als das Pferd; jener ist
bekanntlich genügsamer und bei knappem
Futter dort in der Regel sehr leistungsfähig
und ausdauernd. — Die egyptischen Pferde,
welche in der Neuzeit zu uns nach Deutsch¬
land gekommen sind, haben wenig Beifall
gefunden; sie waren klein und durchaus nicht
so schön wie die Pferde der arabischen Wüste,
welche der Kaiser Wilhelm vom Sultan zum
Geschenk erhalten hat. — Der egyptische
Hengst Saklawi Djedrani und zwei Stuten,
welche nach Schwarznecker’s Angaben im
Gestüt zu Graditz gestanden haben, liessen
Vieles zu wünschen übrig, namentlich war
der Hengst unschön in der Kopf- und Kruppen¬
form. (S. auch Aegyptisches Pferd.) Frey tag.
Ehlit, ein Phosphorkupfererz, welches- in
Ehl bei Linz am Rhein gefunden wurde; es
9ieht dem Malachit (Kupfercarbonat) sehr
ähnlich, unterscheidet sich von diesem aber
dadurch, dass es sich in Säuren zwar löst,
aber nicht braust. Es bildet monokline Kry-
stalle mit deutlich blätterigem Bruch. Es
besteht nach seiner chemischen Zusammen¬
setzung aus phosphorsaurem Kupferoxyd,
Kupferoxydhydrat und enthält bis 7% Vana¬
dinsäure beigemengt. Loebisch.
Ehrenpreis, s. Veronica.
Eichelgrube, s. Männliches Glied.
Eichelkrone, s. Männliches Glied.
Eichelwulst, s. Männliches Glied des
Hundes.
Eichelzwiebel, s. Männliches Glied des
Hundes.
Eichhorst iin Grossherzogthum Mecklen-
burg-Strelitz, ritterschaftlichen Amts Star-
gard. Hier wurde zu Ende des achtzehnten
bis etwa zum Beginn des zweiten Viertels
dieses Jahrhunderts ein zwar kleines, aber
durch sein gutes Pferdematerial wohlbekanntes
Gestüt unterhalten, dessen Besitzer, v. Bre-
dow, sich des Rufes seltener Pferdekennt-
niss erfreute. Neben der Benützung einiger
englischer Pferde wurde hier besonderes Ge¬
wicht auf Erhaltung der alten mecklen¬
burgischen Rasse gelegt. Grassmann.
Eidoptometrie, s. u. Sehen (Sehschärfe).
Eierfressen. Eine Untugend, welche bisher
wohl nur bei den Hühnern beobachtet worden
ist und die darin besteht, dass sie ihre
eigenen oder fremde Eier fressen.
Ursachen. Zufälliges Fressen zerbro¬
chener Eier; Fütterung mit unzerdrückten
Eierschalen, besonders wenn an diesen sich
noch etwas Ei-Inhalt befindet; Mangel an
Kalk im Futter, so dass Windeier oder
tfliesseier gelegt, welche von den Hühnern
mit grosser Begierde gefressen werden, und
ferner die Lust geweckt wird, auch mit
normaler Schale versehene Eier zu verzehren.
Diese Untugend kann sich nach und nach
auf einen grossen Theil des Hühnerbestandes
ausdehnen und ist nicht leicht wieder zu
beseitigen, weshalb die Vorbeuge die Haupt¬
sache ist.
Vorbeuge. Man reiche den Hühnern in
dem Futter genügende Mengen von Eier¬
schalen bildender Substanz, besonders den
eingesperrten Hühnern; den frei herumlau¬
fenden Thieren stehen kalkhaltige Stoffe in
Form von Mauerschutt u. s. w. zur Verfügung.
Ausser gebrannten Austerschalen, Schlemm¬
kreide, Eierschalen, die aber nur in sehr
zerkleinertem Zustand vorgelegt werden dürfen,
weil sie sonst, wie oben schon angedeutet,
Veranlassung zu dieser Untugend sind, würde
man zweckmässig etwas phosphorsauren Kalk
dem Futter beimischen. Wenn man die Nach¬
ahmung dieser Untugend seitens der anderen
Hühner fürchtet, so ist es das Beste, den
Eierfresser, wenn es nicht ein besonders
werthvolles Zuchtthier ist, zu beseitigen.
Helfen diese Mittel nicht, so sind Legenester
eigener Construction, in welchen die Eier,
wenn sie gelegt, von selbst dem Huhne ent¬
zogen werden, angezeigt. Brümmer.
Elrometer, s. Wollmesser. Nach verschiede¬
nen Principien construirte Instrumente, um die
Feinheit des Wollhaares, d.li. die Grösse seiner
Querdurchschnittsflädie zu bestimmen. Bokrn.
Eiroskop, eigentlich Wollprüfer, d. h. In¬
strumente zur Prüfung verschiedener von
der Wolltextilindustrie geforderter Eigen¬
schaften des Wollhaares, als Dehnbarkeit,
Widerstandskraft, Elasticität u. s. w., s. Wolle
und deren Eigenschaften. Häufig wird Eiroskop
aber auch gleichbedeutend mit Eirometer
gebraucht. Bohm.
Ektopie (ex, aus, und xoico?, Ort), die Orts¬
veränderung, Lageveränderung, die wider¬
natürliche Lagerung eines Thciles, die Dis¬
location oder Deviation eines Organes.
Ectopia bulbi, die Ektopie des Aug¬
apfels; der Augapfel konnte in Folge irgend
eines Hindernisses sich während der Fötal¬
periode nicht innerhalb seiner Augenhöhle
entwickeln und kam so (unter mehr oder
weniger bedeutender Verbildung) ausserhalb
derselben zu liegen.
Ectopia lentis, die Ektopie der Kry-
stallinse des Auges; eine angeborene Lage-
Anomalie der Linse, wobei dieselbe ihre nor¬
male Stellung im Pupillargebiete des Auges
nicht eingenommen hat, sondern während
Digitized by
Googl«
REGISTER ZUM
ihrer Entwicklungsperiode ausserhalb des¬
selben zu liegen kam. Im Gegensätze zu der
mit auf die Welt gebrachten, meist symme¬
trisch auftretenden Ektopie bezeichnet man
die während des Lebens erworbene Orts¬
veränderung der Linse als Luxatio, resp. Sub-
luxatio lentis s. u. Lens crystallina. Scklampp.
Eichhund. Schwed. Elghund, Björnhund,
Fägelhund. Eine Form der wolfshundartigen
Polarhunde, weiche im nördlichen Norwegen,
namentlich bei den Lappen und Finnen und den
Schweden des nördlichen Schwedens vor¬
kommt.
Im allgemeinen Habitus gleicht der Elch¬
hund einem starken, kurz und dicht behaarten
Spitzhund, noch mehr dem grönländischen
Eskimohund, seine Schulterhöhe variirt von
50 zu 55 cm. Der Kopf ist mittelgross, länger,
breiter und viereckiger als beim gewöhnlichen
Spitz, Oberkopf und Stirn weniger stark ge¬
wölbt, doch immerhin die Profillinie vordem
Auge vertieft. Die Schnauze ist lang und spitz,
der Nasenrücken gerade, die Lippen gut ge¬
schlossen, kaum merklich überfallend. Die
Ohren sfrid bei der von den Finnen gezüch¬
teten Rasse aufrecht und spitz, bei der von
den Lappen gezüchteten an der Spitze nach
vorne überhängend. Das Auge mittelgross.
Iris gelbbraun, der Hals ist etwas über mit¬
tellang, muskulös und kräftig, der Rücken
gerade, die Brust breit, ziemlich tief und gut
gewölbt, der Bauch wenig aufgezogen. Die
Läufe sind mittellang, stämmig und gerade.
Die Ruthe kaum mittellang, stark, kurz be¬
haart. Sie wird meist über dem Rücken in
einem Ringel getragen, und zwar soll der
Ringel nach rechts liegen. Die Behaarung
besteht aus kurzem, dichtem Pelz, dessen Wolle
weich und hellgelblich braun gefärbt ist. Das
kurze, rauhe Grannenhaar ist braungrau oder
graubraun mit schwarzen Spitzen. Die Be¬
haarung ist überall dicht anliegend, nur an
den Keulen etwas verlängert. Die Gesammt-
färbung erscheint einheitlich wolfsgrau oder
wolfsbraun, nur die Unterseite und die Innen¬
seite der Beine ist etwas heller.
Dient als Haus- und Jagdhund; als letz¬
terer leistet er bei Elch-, Bären- und Auer¬
hahnjagden vortreffliche Dienste als Hetz¬
hund, Leithund und Stellhund. Das Fell wird
zu Pelz werk verarbeitet. Studer .
Elektoral8Chaf, s. Merinosschaf.
Elektoralwollen, s.u. Wolle (Tuchwollen).
ZWEITEN BAND.
Eistersprung. Die kleine im Schritt
ausgeführte, sprungartige Bewegung eines
Pferdes nach vorwärts, welche in der Weise
vollbracht wird, dass das Pferd sich steif
macht, die Vorderfüsse gleichzeitig ein wenig,
um Boden zu gewinnen, vorsetzt und dabei
in der Regel mit dem Kopf aufwärts schlägt,
wird Elstersprung genannt. Der Elstersprung
wiederholt sich je nach dem Grade des Un¬
vermögens des Reit-, seltener aber auch des
Wagenpferdes oft schon nach wenigen Schritten
und ist sowohl ein Zeichen als auch sicherer
Masstab für die Schwäche des Thieres in
Bezug auf die* an dasselbe gestellten Anfor¬
derungen. Er muss beim Reitpferde durch
gehörige Aufmerksamkeit des Reiters dadurch
vermieden werden, dass dieser das Pferd in
stetem Gleichgewicht zu erhalten sucht. Gn .
Embryo (tö ejxßpoov = „t b £vto<; tv);
Yaotpös“, Eust., von iv, in, und ßpos'.v, keimen,
wachsen, also Alles, was innerhalb eines ande¬
ren wächst), die Frucht innerhalb der Ei-
hüllen, d. h. vom Augenblicke der Entstehung
des Individuums bis zu dessen Durchbruch
durch die Eihüllen (Haeckel). Neuerdings
versteht man unter Embryo zuweilen auch die
Frucht innerhalb der ersten Entwicklungs¬
periode, d. i. etwa bis zur Fertigstellung des
Körpers und der Eihüllen, wonach sie Fötus
(Fetus) genannt wird. — „Freier Embryo“
= Larve. Das Wort kehrt auch in vielen
Zusammensetzungen wieder, z. B. in
Embryographia, Beschreibung des
Embryo;
Embryologia, Lehre von der Entwick¬
lung der Frucht, Entwicklungsgeschichte
(s. d.);
Embryophthora, die Abtödtung des
Embiyo;
Embryoskopie, die von Preyer einge¬
führte Methode der Untersuchung von Hühner¬
embryonen in situ mit Rücksicht auf ihre
Lebensvorgänge mittelst des Ooskops, d. i.
eines innen geschwärzten, am Ende einen
unter 45° angebrachten Spiegel tragenden
Sehrohres, welches die Beleuchtung des Eies
durch directes Sonnenlicht ermöglicht;
Embryothlasis, Zerstückelung des
Embryo im Mutterleibe;
Embryotomia, anatomische Zergliede¬
rung des Embryo, häufiger aber die Zer¬
stückelung des Embryo zu geburtshilflichen
Zwecken etc. Sussdorf.
litizeeTby Google
ERRATA.
Znm I. Band.
Pag. 608, 1. Spalte, 24. Zeile von nnten lies „Kinder“ statt „Rinder“.
„ 646, 1. „ 20. „ „ oben n. ff. lies: „allmftlig der Hafer entzogen, bis znletzt nur...
verfüttert wurden“.
Znm II. Band.
Pag. 31, 1. Spalt«, „Büste“ und „Butte L.*‘ sind identisch.
96, 2. ., 4. Zeile von unten lies „Eierstockbandes“ anstatt „Eierstockes“.
„ 124, 2. .. 20. „ „ oben „ anstatt „Jänner“ Ende „Februar“.
128, 1. 26. „ unten „netzartig“ anstatt „unpaarig“; 16. Zeile von unten „einer“
anstatt „eines“.
Pag. 163, 2. Spalte, 6. Zeile von unten lies „Eisbeeren“ statt „Einbeeren“.
164, 2. „ 3. u. 4. ., „ „glanzenden und fettig anzufühlenden“.
166, 1. „ 15. ,, „ oben „ „ehoroideus“ statt „choroideis“. *
166, 2. Spalte, 14. ., „ „ „icterische“ statt „identische“.
188, 2. „ 20. ., .. oben „Giostra“ statt „Giastra“. ‘
„ 230, 1. ., 25. u. 24. „ unten „ „vergänglich gut“ statt „vorzüglich gut“.
265, 2. „ 7. „ „ oben „ „ Court ivron“ statt „Coortiorou".
262, 1. „ 7. „ ., unten „ „das Einathmen“ statt „heim Einathmen“.
275, 2. „ 24. „ „ oben „ ..Derache“ statt „Devache“.
„ 311, 1. „ 6. „ „ „ „ „Kino“ statt „Vino“.
316, 1. „ 6. u. 7. „ „ unten ,, „Coprostasis“ statt „Koprostais“.
„ 325, 1. „ 31. „ „ „ ,. anstatt: „Der Anus wird durch die“ „der Anus wird unter
Remission der“, 22. Zeile von nnten statt über „den“ über „die“; 2. Spalte, 8. Zeile von oben „Muskelgmppen,, statt
„Muskelgruppe“.
„ 444, 1. Spalte, 4., ö. u. 6. Zeile von unten sind die Anfangsbuchstaben der Zeilen verwechselt.
„ 470 bei der Erklärung der Fig. 458 muss es heissen: gezeichnet von „Mareati“ anstatt von „Dr. Caritä“.
„ 471 soll bei Figur 464 „Rhabdonema strongyloides“ in Klammem sein.
„ 474 bei der Erklärung der Tafel XII, 1. Reihe, 3. Figur, muss es heissen, gezeichnet von „Mareati“
anstatt von „Dr. Caritä“.
Pag. 475, 2. Spalte, letzte Zeile lies „acanthotrias“ anstatt „aeantotrios“.
„ 476, 1. „ 3. u. 4. „ von oben lies „Coenurus cerebralis“ anstatt „Coenurus centralis“; 8. und
9. Zeile von oben „Cysticercus fasciolaris“ anstatt „Cysticercus fascicularis“; 19. und 20. Zeile von oben „T. aculata“
anstatt „T. aculenta“; 17. Zeile von nnten „F. inegastoma“ anstatt „megalostoma“; 14. Zeile von unten „F. multi-
papillosa“ anstatt „F. mntipapillosa“; letzte Zeile, entfällt „felis“.
Pag. 481, 2. Spalte, 32. Zeile von unten lies „Haarwechsel“ statt „Harnwechsel“.
„ 482, 1. „ 15.16. „ „ „ „ „butyricum Prozmowski“ statt „butyrmm Prazmowski“.
„ 540, 2. „ 23. „ „ „ „ „in die Hirnventrikel“ statt „um die Himventrikel“.
„ 642, 2. Spalte, 18. Zeile von unten pag. 543, 1. Spalte, 9. Zeile, von unten pag. 544, 2. Spalte,
16. Zeile von unten lies „Trabekeln“ anstatt „Traberkeln“.
Pag. 561, 1. Spalte, 26. und 27. Zeile von obon muss es heissen: der Individuen „während des Entwicklungs¬
lebens“ u. s. w.
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